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German Pages [291] Year 2021
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Johann Gottlieb Fichte
Über das Wesen des Gelehrten Herausgegeben von Alfred Denker, C. Jeffery Kinlaw und Holger Zaborowski
VERLAG KARL ALBER
https://doi.org/10.5771/9783495823989
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Johann Gottlieb Fichte Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit
VERLAG KARL ALBER
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https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Johann Gottlieb Fichte hielt im Sommer 1805 in Erlangen öffentliche Vorlesungen zum Thema Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit. In diesen Vorlesungen erläuterte Fichte sein Verständnis des Wesens und der Aufgabe des Gelehrten und führte in seine Philosophie ein. Dieser Text ist ein wichtiges Zeugnis nicht nur für die Entwicklung von Fichtes Philosophie, sondern auch für die Geschichte des Deutschen Idealismus und das Verständnis von Bildung und Wissenschaft im frühen 19. Jahrhundert. Dieser Band enthält den Text von J. G. Fichtes Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit (1805) zusammen mit Interpretationen, die Fichtes Vorlesungen im Rahmen seines eigenen Werkes und im Kontext der Philosophie- und Geistesgeschichte verorten.
Die Herausgeber: Alfred Denker studierte Philosophie, Geschichte und Theologie in Groningen und Amsterdam. Er lebt als Privatgelehrter und Schriftsteller in Spanien. Er ist Mitherausgeber des Heidegger-Jahrbuchs und Herausgeber der Martin-Heidegger-Briefausgabe und hat sich in zahlreichen Veröffentlichungen auch mit der Philosophie des Deutschen Idealismus beschäftigt. C. Jeffery Kinlaw is professor of philosophy and religion at McMurry University in Abilene, TX (USA). He was written widely on German Idealism and Heidegger, and has research interests in epistemology, political philosophy, free will, and philosophy of religion. Holger Zaborowski ist Professor für Philosophie an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Erfurt. Er ist Mitherausgeber des HeideggerJahrbuches und der Martin-Heidegger-Briefausgabe. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Philosophie der Neuzeit, zur Phänomenologie, politischen Philosophie und Religionsphilosophie.
https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Johann Gottlieb Fichte
Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit Herausgegeben von Alfred Denker, C. Jeffery Kinlaw und Holger Zaborowski
Verlag Karl Alber Freiburg / München
https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Interpretationen und Quellen (IQ) Herausgegeben von Alfred Denker und Holger Zaborowski Band 4
Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2020 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise, Bad Wünnenberg Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-48718-1 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-82398-9
https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Inhalt
Vorwort
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit (1805) . . . . . . . . . . . . . . . . . . von Johann Gottlieb Fichte
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Vorrede.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
Erste Vorlesung: Plan des Ganzen. . . . . . . . . . . . . . . .
14
Zweite Vorlesung: Nähere Bestimmung des Begriffs der göttlichen Idee. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Dritte Vorlesung: Vom angehenden Gelehrten überhaupt; insbesondere vom Talente und Fleiße. . . . . . . . . . . . . .
32
Vierte Vorlesung: Von der Rechtschaffenheit im Studiren. . . . .
40
Fünfte Vorlesung: Wie die Rechtschaffenheit des Studirenden sich äußere. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
Sechste Vorlesung: Ueber die akademische Freiheit.
. . . . . .
56
Siebente Vorlesung: Vom vollendeten Gelehrten im Allgemeinen.
65
Achte Vorlesung: Vom Regenten.
72
. . . . . . . . . . . . . . .
Neunte Vorlesung: Vom mündlichen Gelehrten=Lehrer. Zehnte Vorlesung: Vom Schriftsteller.
. . . .
79
. . . . . . . . . . . . .
88
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Inhalt
Interpretationen Menschliche Bildung und göttliche Idee. Über Struktur und Gedankengang von Fichtes Erlanger Vorlesungen Über das Wesen des Gelehrten . . . . . . . . . . . . . Annette Sell, Bochum Über das Wesen des Gelehrten im Kontext der Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Jeffery Kinlaw, Abilene, TX, USA Fichte on Bestimmung and Wesen des Gelehrten . . . . . . . . . Angelica Nuzzo, New York, NY, USA
99
111
125
Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten, or the Educated Man as the Salt of the Earth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tom Rockmore, Pittsburg, PA, USA, and Beijing, China
139
Werkzeuge? Zur Herrschaft der Gelehrten im Kontext des Fichteschen Spätwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franziskus von Heereman, Vallendar
155
J. G. Fichtes Über das Wesen des Gelehrten und die Bestimmung des magister bei Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . Wilhelm Metz, Freiburg
177
Wie sich der Philosoph bei Descartes und Fichte zu sich selbst verhält . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Kessler, Paris, Frankreich
188
The Ghosts of Kantian Philosophy in Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richard Velkley, New Orleans, USA
203
Reinhold über die Bildung eines neuen Menschen Ernst-Otto Onnasch, Utrecht, Niederlande
. . . . . . . 218
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Inhalt
Die innerliche Verknüpfung von »objektiver Wissenschaft« und »subjektiver Bildung«. Wilhelm von Humboldts Universitätsidee – mit einem Ausblick auf seine Kritik an Fichtes Überlegungen zum Gelehrten und zur Universität . . . . . . . . . . . . . . Holger Zaborowski, Erfurt
234
Die Todesangst als die Vermittlung zur absoluten Idee . . . . . Paul Cobben, Tilburg, Niederlande
252
Fichte and Schelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Vater, Milwaukee, WI, USA
264
Fichtes Über das Wesen des Gelehrten und Heidegger . . . . . . Alfred Denker, Sevilla, Spanien
280
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Vorwort
Dieser Band der Interpretationen und Quellen ist Johann Gottlieb Fichtes Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen auf dem Gebiete der Freiheit gewidmet. Der Primärtext wird in der Fassung der Erstausgabe (Berlin: In der Himburgischen Buchhandlung, 1806) der Erlanger Vorlesungen des Sommerhalbjahres 1805 wiedergegeben. Eindeutige Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. Dabei hat die Edition dieses Textes im Rahmen des Bandes I,8 der J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (J. G. Fichte, Werke 1801–1806, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mitwirkung von Josef Beeler, Erich Fuchs, Ives Radrizzan und Peter K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 37– 139) wichtige Hilfe geleistet. Über weitere Abweichungen vom Text der Originalausgabe informieren die Fussnoten. Die Marginalien geben 1) die Seitenzahlen der Erstausgabe und 2) die Seitenzahlen (einschließlich der Angabe der Bandnummer VI) der Ausgabe dieses Textes im Rahmen der von Fichtes Sohn Immanuel Hermann herausgegeben Gesamtausgabe der Werke Fichtes (Berlin 1845–1846) an. Fichtes Text wird durch Aufsätze ergänzt, die diesen wichtigen Text der Philosophie des Deutschen Idealismus interpretieren und in seinen geistes- und philosophiegeschichtlichen Kontext stellen. Im Folgenden werden Bezüge auf Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen auf dem Gebiete der Freiheit durch Angabe der Seitenzahl der hier vorliegenden Edition in runden Klammern ausgewiesen. Der Band geht zurück auf eine Konferenz, die im Sommer 2012 an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar stattfand. Die Herausgeber des Bandes danken sehr herzlich für ihre freundliche und tatkräftige Unterstützung der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar und der McMurry University in Abilene, Texas, USA sowie Herrn Lukas Trabert und Frau Julia Pirschl vom
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Vorwort
Verlag Karl Alber für die sehr angenehme und erfolgreiche Zusammenarbeit. Erfurt, Sevilla, Spanien, und Abilene, Texas, USA, im Juli 2020 Alfred Denker, C. Jeffery Kinlaw und Holger Zaborowski
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Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit (1805) Johann Gottlieb Fichte
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| Vorrede.
[III] VI, 349
Diese Vorlesungen machen keinen Anspruch auf den Rang eines schriftstellerischen Werkes, dessen Bild ich in der zehnten derselben aufzustellen mich bestrebt habe; sondern es sind gehaltene Reden, welche ich abdrucken lasse in der Voraussetzung, daß sie vielleicht noch diesem und jenem nützlich werden könnten, der nicht Gelegenheit hatte, sie zu hören. Mag man auch, wenn man will, sie betrachten, als eine neue und verbesserte Ausgabe der vor zwölf Jahren von mir erschienenen Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, so gut, als ich unter den | gegebenen Bedingungen eine solche Ausgabe zu [IV] machen vermochte: und sollte es sich etwa zutragen, daß jemand nach der Weise der Verwaltung meines Lehrer=Berufs in Erlangen fragte, so hätte ich nichts dagegen, daß diese Vorlesungen für einen Bestandtheil der abgelegten Rechenschaft gälten. – Weiter habe ich hiebei dem lesenden Publikum, mit welchem mich zu unterhalten ich immer größeres Widerstreben fühle, nichts zu sagen. Berlin, im Jänner 1806. Fichte.
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[1] VI, 350
| Erste Vorlesung. Plan des Ganzen.
Ich eröffne hiermit die öffentlichen Vorlesungen, die ich im Lektions=Verzeichnisse unter der Benennung: de moribus eruditorum, angekündigt habe. Sie konnten diese Ueberschrift übersetzen: Moral für Gelehrte; über die Bestimmung des Gelehrten; von der Sitte des Gelehrten u. dgl.; aber der Begriff selbst, wie er auch übersetzt und gefaßt werde, bedarf einer tiefern Erörterung. Ich gehe an diese vorläufige Erörterung. So wie man das Wort Moral oder Sittenlehre hört, gedenkt man an [2] eine Bildung | des Charakters und der Handlungsweise durch Regeln und Vorschriften. Aber es ist nur in einem beschränkten Sinne, und nur von einem niedrigeren Standpunkte der Einsicht aus wahr, daß der Mensch durch Vorschriften gebildet werden, und sich selber nach ihnen bilden könne; hingegen vom höchsten Standpunkte der absoluten Wahrheit aus, in welchen wir uns hier stellen wollen, muß innerlich im Wesen des Menschen liegen, und sein Wesen, Seyn und Leben selber ausmachen, was in seiner Denkart und in seinen Handlungen sich äußern soll; was aber im Menschen innerlich ist, tritt nothwendig auch äußerlich in ihm hervor, stellt sich dar in allem seinen Denken, Wollen und Handeln, und wird ihm unwandelbare und unveränderliche Sitte. Wie hiermit die Freiheit des Menschen, und alle Bestrebungen der Erziehung, des Unterrichtes, der Religion, der Gesetzgebung – denselben zum Guten zu bilden, sich vereinigen lassen, ist der Gegenstand einer [3] ganz andern Untersuchung, welche wir hier nicht an|stellen wollen. VI, 351 Hier können wir nur im Allgemeinen bezeugen, daß beide Behaup|tungen sich sehr wohl vereinigen lassen, und daß die Möglichkeit der Vereinigung einem tiefern Studium der Philosophie klar werde. Der beständige Charakter und die Handlungsweise, oder mit einem Worte, die Sitte des wahrhaften Gelehrten, läßt sich vom höchsten Standpunkte aus eigentlich nur beschreiben, keinesweges aber verordnen oder befehlen. Hinwiederum: diese erscheinende und äußerlich sich darstellende Sitte des wahren Gelehrten gründet sich auf das, was 14 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Über das Wesen des Gelehrten
innerlich, und in seinem Wesen, unabhängig von aller Erscheinung, und vor aller Erscheinung vorher ist, und wird durch dieses innere Wesen nothwendig verursacht und unveränderlich bestimmt. Wollen wir daher seine Sitte beschreiben, so müssen wir zuförderst sein Wesen angeben: aus dem Begriffe dieses lelzteren aber läßt die erstere, seine Sitte, sich vollständig und erschöpfend ableiten. Diese Ableitung nun aus jenem vorauszusetzenden We|sen zu vollbringen, ist der eigent- [4] liche Zweck dieser Vorlesungen. Der Inhalt derselben wäre daher kürzlich also anzugeben: sie sind, und sollen seyn e i n e B e s c h r e i b u n g d e s We s e n s d e s G e l e h r t e n , u n d d e r E r s c h e i n u n g d e s selben im Gebiete der Freiheit. Zur Erzeugung der Einsicht in das innere Wesen des Gelehrten dienen folgende Sätze: 1) Die gesammte Sinnenwelt mit allen ihren Verhältnissen und Bestimmungen, und insbesondere das Leben der Menschen in dieser Sinnenwelt sind keinesweges an sich und in der That und Wahrheit dasjenige, als welches sie dem ungebildeten und natürlichen Sinne der Menschen erscheinen; sondern es ist etwas höheres und verborgenes, welches der natürlichen Erscheinung bloß zum Grunde liegt. Man kann diesen höhern Grund der Erscheinung in seiner höchsten Allgemeinheit sehr schicklich nennen: die göttliche Idee; und dieser Ausdruck: göttliche Idee, soll von nun an nichts mehr bedeuten, als eben den höhern Grund | der Erscheinung, so lange, bis wir diesen Begriff weiter be- [5] stimmen. 2) Ein bestimmter Theil des Inhalts dieser göttlichen Idee von der Welt ist dem ausgebildeten Nachdenken zugäng|lich und begreiflich, VI, 352 und soll, unter der Leitung dieses Begriffs, durch die freie That der Menschen an der Sinnenwelt herausgebildet und in ihr dargestellt werden. 3) Falls es unter den Menschen Einzelne geben sollte, welche, ganz oder theilweise, in den Besitz des zuletzt erwähnten Theils der göttlichen Idee von der Welt sich setzten –, sey es nun, um durch Mittheilung an Andere die Erkenntniß der Idee unter den Menschen zu erhalten und zu verbreiten, oder durch unmittelbares Handeln auf die Sinnenwelt diese Idee in ihr darzustellen –, so wären diese Einzelne der Sitz eines höhern und geistigeren Lebens in der Welt, und eine Fortentwiklung der Welt, so wie sie zufolge der göttlichen Idee erfolgen sollte. | 4) Diejenige Art der Erziehung und geistigen Bildung in jedem [6] Zeitalter, vermittelst welcher dieses Zeitalter die Menschen zur Er15 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Über das Wesen des Gelehrten
kenntniß des erwähnten Theils der göttlichen Idee zu führen hofft, ist die gelehrte Bildung, – und derjenige Mensch, welcher dieser Bildung theilhaftig wird, der Gelehrte desselben Zeitalters. Es ist aus dem Gesagten klar, daß das Ganze derjenigen Erziehung und Ausbildung, welche ein Zeitalter die gelehrte Bildung nennt, lediglich das Mittel ist, um zur Erkenntniß des erkennbaren Theils der göttlichen Idee zu führen, und Werth hat – lediglich, in wiefern sie in der That dieses Mittel wird, und ihren Zweck erreicht. Ob nun, in einem gegebenen Falle dieser Zweck erreicht sey, oder nicht, kann die gewöhnliche und natürliche Ansicht der Dinge, indem sie ja für die Ideen völlig blind ist, nimmer beurtheilen; sie vermag nichts mehr, als das bloß empirische Faktum aufzufassen: ob eine Person dasjenige, was [7] man gelehrte Bil|dung nennt, genossen habe, oder nicht genossen habe. Es giebt daher zwei höchst verschiedene Begriffe vom Gelehrten: den einen nach dem Scheine, und der bloßen Meinung; und in dieser Rücksicht muß jeder für einen Gelehrten gelten, der durch die gelehrte Erziehung hindurchgegangen ist, oder wie man das gewöhnlich nennt, der da studirt hat, oder noch studirt: den zweiten nach der Wahrheit; VI, 353 und in dieser Rücksicht ist nur derjenige ein Ge|lehrter zu nennen, welcher durch die gelehrte Bildung des Zeitalters hindurch zur Erkenntniß der Ideen gekommen. – D u r c h d i e g e l e h r t e B i l d u n g d e s Z e i t a l t e r s h i n d u r c h habe ich gesagt: denn wenn auch jemand ohne dieses Mittel auf einem andern Wege zur Erkenntniß der Idee kommen könnte, wie ich im Allgemeinen gar nicht zu leugnen gedenke; so würde doch ein solcher seine Erkenntniß nach einer festen Regel, weder theoretisch mittheilen, noch unmittelbar pragmatisch in der Welt [8] realisiren können, weil es ihm an der, nur in der | gelehrten Schule zu erwerbenden, Kenntniß seines Zeitalters und der Mittel, auf dasselbe zu wirken, fehlte; und es würde darum allerdings ein höheres Leben in ihm leben; aber kein auf die übrige Welt eingreifendes und sie entwikkelndes Leben: – der eigentliche und ganze Zweck, den die gelehrte Bildung hat, wäre in ihm 1 ohne dieselbe ausgedrückt, und er wäre zwar wohl ein höchst vorzüglicher Mensch, aber kein Gelehrter. Wir unsers Orts gedenken hier die Sache keinesweges nach dem äußern Scheine zu betrachten, sondern nach der Wahrheit. Uns gelte
Das hier in der Erstausgabe folgende »keineswegs« wurde – in Übereinstimmung mit der Edition dieses Textes im Rahmen der Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften – gestrichen.
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Über das Wesen des Gelehrten
daher von nun an für den ganzen Lauf dieser Vorlesungen nur derjenige für einen Gelehrten, der durch die gelehrte Bildung des Zeitalters hindurch zur Erkenntniß der Idee wirklich gekommen ist, oder wenigstens zu derselben zu kommen lebendig und kräftig strebt. Wer, ohne dadurch zu der Idee zu kommen, diese Bildung erhalten hat, ist nach der Wahrheit, so wie wir hier die Sache zu betrachten haben, | gar Nichts; er ist ein zweideutiges Mittelding zwischen dem Besitzer der Idee, und dem von der gemeinen Realität kräftigst gestützten und getragenen: – über dem vergeblichen Ringen nach der Idee hat er versäumt, die Geschicklichkeit, die Realität zu ergreifen, in sich auszubilden, und schwebt nun zwischen zwei Welten, ohne einer von beiden anzugehören. Die Eintheilung in der Art der unmittelbaren Anwendung der Ideen überhaupt, welche wir schon oben (14 f.) angaben, | gilt offenbar auch für denjenigen, der durch die gelehrte Bildung in den Besitz dieser Idee gekommen, d. h. für den Gelehrten. Entweder ist der nächste Zweck desselben der, die Ideen, in deren lebendige Erkenntniß er sich hineinversetzt hat, andern mitzutheilen; und sodann ist sein nächstes Geschäft: die Theorie der Ideen, im Allgemeinen oder Besonderen – er ist ein Lehrer der Wissenschaft. – Nur zunächst, und im Gegensatze mit dem zweiten Gebrauche der Ideen, ist das Geschäft des Lehrers der Wissenschaft als bloße Theorie | zu bezeichnen; in einem weitern Sinne ist es eben sowohl praktisch, als das des unmittelbaren Geschäftsmannes: der Gegenstand seiner Wirksamkeit ist der Sinn und Geist des Menschen; und es ist eine sehr erhebliche Kunst, diesen nach einer Regel zu Begriffen zu gestalten und zu erheben. Oder der nächste Zweck dessen, der durch gelehrte Bildung sich in den Besitz der Ideen versetzt, ist der, die, in Beziehung auf seine eigentliche Absicht, willenlose Welt, nach dieser Idee zu gestalten: etwa die Gesetzgebung, – das ganze rechtliche und gesellschaftliche Verhältniß der Menschen untereinander, – oder auch die die Menschen umgebende, und auf ihr würdiges Daseyn einfließende Natur, nach der göttlichen Idee des Rechts, oder der Schönheit, so weit es in dem gegebenen Zeitalter, und unter den gegebenen Bedingungen möglich ist, auszubilden; indeß er seinen eigentlichen Begriff sowohl, als die Kunst, mit der er ihn an der Welt herausgestaltet, für sich behält. – Sodann ist der Gelehrte ein pragmatischer | Gelehrter. Niemand, wie ich bloß im Vorbeigehen bemerke, Niemand sollte in die eigentliche Leitung und Anordnung der menschlichen Angelegenheiten eingreifen, der nicht ein Gelehrter im wahrhaften Sinne des Worts wäre, d. h. der nicht durch gelehrte Bil17 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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dung der göttlichen Idee theilhaftig geworden. Mit Zuträgern und Handlangern ist es ein anderes: ihre Tugend besteht in pünktlichem Gehorsam und der Vermeidung alles Selbstdenkens, und über ihr Geschäft Selbsturtheilens. Noch gibt es aus einem andern Gesichtspunkte eine andere Eintheilung im Begriffe des Gelehrten, welche für uns | zu allernächst fruchtbar ist. Nemlich, entweder hat der Gelehrte die ganze göttliche Idee, in wiefern sie vom Menschen zu fassen ist, oder auch einen besondern Theil dieses an ihr zu erfassenden, – was freilich nicht ohne eine wenigstens klare Uebersicht des Ganzen möglich ist, – schon wirklich ergriffen, durchdrungen, und sich vollkommen klar gemacht, so daß sie sein, zu jeder | Zeit in derselben Gestalt zu erneuerndes, Besitzthum, und ein Bestandtheil seiner Persönlichkeit geworden sey; so ist er ein vollendeter und fertiger Gelehrter, ein Mann, der ausstudirt hat; oder derselbe ringt noch und strebt die Idee überhaupt, oder den besondern Theil und Punkt, von welchem aus Er für seine Person das Ganze durchdringen will, sich vollkommen klar zu machen; einzelne Lichtfunken springen schon von allen Seiten ihm entgegen, und schließen eine höhere Welt vor ihm auf, aber sie vereinigen sich ihm noch nicht zu einem untheilbaren Ganzen; sie verschwinden ihm eben so unwillkührlich wieder, als sie ihm kamen, und er kann sie noch nicht unter die Botmäßigkeit seiner Freiheit bringen –, so ist er ein angehender und sich bildender Gelehrter, ein Studirender. – Daß es wirklich die Idee sey, die besessen oder angestrebt werde, ist beiden gemeinschaftlich: geht das Streben bloß auf die äußere Form, und den Buchstaben der gelehrten Bildung, so erzeugt sich, wenn die Runde | durchgemacht ist, der vollendete, wenn sie noch nicht durchgemacht ist, der angehende Stümper. Der letztere ist noch immer erträglicher, als der erstere; denn noch läßt sich hoffen, daß er, bei der Fortsetzung seines Weges etwa in einem künftigen Punkte von der Idee ergriffen werden könne; an dem ersten aber ist alle Hoffnung verlohren. Dies m. H. ist der Begriff vom Wesen des Gelehrten, und die erschöpften zufälligen, das Wesen keinesweges ändernden, sondern insgesamt dasselbe bei sich führenden Bestimmungen dieses Begriffes; der Begriff nemlich vom stehenden und starren Seyn, welcher lediglich die Frage nach dem Was? beantwortet. Durch Beantwortung dieser einzigen Frage nach dem Was ist die philosophische Erkenntniß, dergleichen wir hier | ohne Zweifel erstreben, noch keinesweges befriedigt; die Philosophie fragt noch weiter nach dem Wie, und fragt, strenge genommen, allein nach diesem, als welches das Was schon ohne dies bei sich führt. | Alle philosophische 18 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Über das Wesen des Gelehrten
Erkenntniß ist ihrer Natur nach nicht faktisch, sondern genetisch, nicht erfassend irgend ein stehendes Seyn, sondern innerlich erzeugend und construirend dieses Seyn aus der Wurzel seines Lebens. Es ist daher auch in Beziehung auf den, seinem stehenden Wesen nach beschriebenen Gelehrten die Frage übrig: wie wird er zum Gelehrten; und, – da selbst sein Seyn und Gewordenseyn ein ununterbrochen lebendiges, und in jedem Momente ein sich erzeugendes Seyn ist, – wie erhält er sich als Gelehrter? Ich antworte kurz: durch die ihm beiwohnende, seine Persönlichkeit ausmachende und in sich verschlingende Liebe zur Idee. Denken Sie sich dieses also: Jedes Daseyn hält und trägt sich selber; und im lebendigen Daseyn ist dieses Sich=selbst=Erhalten, und das Bewußtseyn davon, Liebe seiner selbst. Die ewige göttliche Idee kommt hier in einzelnen menschlichen Individuen zum Daseyn: dieses Daseyn der göttlichen Idee in ihnen umfaßt nun sich selber mit un|aussprechlicher Lie- [15] be; und dann sagen wir, dem Scheine uns bequemend, dieser Mensch liebt die Idee, und lebt in der Idee, da es doch, nach der Wahrheit, die Idee selbst ist, welche an seiner Stelle, und in seiner Person lebt und sich liebt, und seine Person lediglich die sinnliche Erscheinung dieses Daseyns der Idee ist, welche Person keinesweges an und für sich selbst da ist, oder lebt. Diese strenger gefaßten Ausdrücke und Formeln schließen das ganze Verhältniß auf, und wir können nun, wiederum dem Scheine uns bequemend, ohne Mißverständniß zu befürchten, fortfahren. In dem wahrhaften Gelehrten hat die Idee ein sinnliches Leben gewonnen, welches sein persönliches Leben völlig vernichtet, und in sich aufgenommen hat. Er liebt die Idee, keinesweges über alles, denn er liebt nichts neben ihr, er liebt sie allein. Sie allein ist die Quelle aller seiner Freuden, und seiner Genüsse, sie allein das treibende Princip aller seiner Gedanken, Bestrebungen und Handlungen; | lediglich VI, 357 für sie mag | er leben, und ohne sie würde das Leben ihm geschmacklos [16] und verhaßt seyn. In beiden, dem vollendeten, wie dem angehenden Gelehrten, lebt die Idee; nur mit dem Unterschiede, daß sie in dem erstern diejenige Klarheit, und diejenige feste Consistenz gewonnen, die sie in diesem Individuum unter den gegebenen Umständen gewinnen konnte; und nunmehr, in sich selber zu einem geschlossenen Daseyn geworden, aus sich herausgreift, und auszuströmen strebt in lebendige Worte und in Thaten; daß sie hingegen in dem letztern noch innerhalb ihrer selber arbeitet, und nach der Entwickelung und Befestigung desjenigen Daseyns ringt, das sie unter den gegebenen Umständen gewinnen kann. Beiden wäre auf gleiche Weise ihr Daseyn ge19 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Über das Wesen des Gelehrten
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schmacklos, wenn sie nicht Anderes, oder Sich selber, nach Ideen bilden könnten. Dies ist das einzige und unveränderliche Lebensprincip des Gelehrten; desjenigen, dem wir diesen Namen zugestehen. Aus diesem Princip entwickelt sich mit absoluter Nothwen|digkeit das Thun und Treiben desselben unter allen möglichen Umständen, unter denen er gedacht werden kann. Wir dürfen ihn daher nur in den für unsern Zweck erforderlichen Beziehungen denken, in denen er gedacht werden kann, und wir werden sein inneres und äußeres Leben mit Sicherheit berechnen, und im Voraus beschreiben können. Und auf diese Weise ist es möglich, aus dem in seiner Lebendigkeit aufgefaßten Wesen des Gelehrten seine Erscheinungen in der Welt der Freiheit, oder der scheinbaren Zufälligkeit mit wissenschaftlicher Strenge abzuleiten. Dieses nun ist unsere Aufgabe; und das so eben Gesagte die Regel der Lösung dieser Aufgabe. Wir wenden uns hier zunächst an Studirende, d. h. an solche, die, der billigen Voraussetzung nach, angehende Gelehrte sind, in dem von uns angegebenen Sinne des Worts; und es ist zweckmäßig, die aufgestellten Grundsätze zuerst auf sie anzuwenden. Wären sie nicht, was wir voraussetzen, so würden unsere Worte | für sie bloß Worte seyn, ohne Sinn, Bedeutung und Anwendung. Sind sie, was wir voraussetzen, so werden dieselben zu ihrer Zeit auch reife und vollendete Gelehrte werden; denn jenes Streben der Idee | sich zu entwickeln, das da höher ist, als alles Sinnliche, ist auch unendlich mächtiger, und bricht mit stiller Gewalt sich Bahn durch alle Hindernisse. Es kann dem studirenden Jünglinge wohlthätig werden, schon jetzt zu wissen, was er einst seyn wird, und schon in der Jugend sein reiferes Alter im Bilde zu erblicken. Ich werde darum nach Vollendung des nächsten Geschäfts auch den fertigen Gelehrten aus den angegebenen Principien construiren. Die Klarheit gewinnt durch Gegensätze; ich werde darum allenthalben, wo ich zeige, wie der Gelehrte sich äußere, zugleich angeben, wie er eben darum, weil er allein also sich äußert, sich nicht äußere. In beiden Haupttheilen, und ganz besonders im zweiten, wo ich vom vollendeten Ge|lehrten rede, werde ich mich sorgfältig hüten, satirische Nebenblicke, Censur des gegenwärtigen litterarischen Zustandes, und überhaupt Anwendungen auf denselben, zu veranlassen; und ich ersuche die Zuhörer einmal für immer, nicht gegebene Veranlassungen nicht zu nehmen. Der Philosoph entwirft ruhig seine Construktion nach den aufgestellten Principien, ohne während dieses Geschäfts den 20 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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wirklich vorhandenen Zustand der Dinge seiner Beachtung zu würdigen, oder des Andenkens desselben zu bedürfen, um die Betrachtung fortsetzen zu können; eben so wie der Geometer die seinige entwirft, ohne sich zu bekümmern, ob seine Figuren der reinen Anschauung mit unsern Werkzeugen nachgemacht werden können. Und besonders ist es dem unbefangenen studirenden Jünglinge zu gönnen, daß er mit den Ausartungen und Verdorbenheit des Standes, in den er einst treten soll, nicht eher genau bekannt werde, als bis er Kraft gewonnen hat, dem Strome des Beispiels sich entgegen zu stämmen. | Dies M. H. ist der vollständige, mit seinen Gründen aufgestellte Plan der Vorlesungen, die ich in diesen Stunden vor Ihnen zu halten gedenke. Ich füge für heute dem Gesagten nur noch einige Anmerkungen bei: An Betrachtungen der Art, wie diese heutige war, und wie die folgenden insgesamt ausfallen werden, pflegt man gewöhnlich | zu tadeln: zuförderst die Strenge; sehr oft in der gutmüthigen Voraussetzung, daß der Vortragende es nur nicht gewußt habe, daß seine Bestimmtheit uns misfallen werde, daß wir dies ihm nur freimüthig sagen müßten, und er sodann wohl in sich gehen, und seine Sätze mildern werde. So haben wir gesagt: wer durch die gelehrte Bildung nicht zur Kenntniß der Idee gekommen sey, oder diese Kenntniß erstrebe, sey eigentlich gar Nichts, und später haben wir gesagt: er sey ein Stümper. Dies ist in der Weise jener unbarmherzigen Aeußerungen, die man den Philosophen so übel nimmt. – Um von dem vorliegenden Falle absehend, so|gleich der Maxime im Ganzen zu begegnen, so erinnere ich, daß diese Denkart, ohne entschiedene Kraft, der Wahrheit alle Achtung zu versagen, von derselben nur etwas herunter zu handeln und abzumarkten sucht, um wohlfeileren Kaufes zu einiger Achtung für sich selber zu kommen. Aber die Wahrheit, die nun einmal ist, so wie sie ist, und nichts in ihrem Wesen wandeln kann, geht ihren Weg gerade fort; und es bleibt ihr in Rüksicht derer, die sie nicht rein darum, weil sie wahr ist, haben wollen, nichts anderes übrig, als dieselben stehen zu lassen, gerade also, als ob sie nie geredet hätten. Sodann pflegt man Vorträge dieser Art zu tadeln, wegen ihrer vermeinten Unverständlichkeit. So denke ich mir, – keinesweges Sie, M. H., sondern irgend einen vollendeten Gelehrten in der Bedeutung des Scheines, dem etwa die so eben angestellte Betrachtung unter die Augen käme, als hintretend, hin und her zweifelnd, und endlich tiefsinnig ausbre|chend: die Idee, die göttliche Idee, dasjenige, was der Erscheinung zu Grunde liegt: was soll nun das bedeuten? Ich würde 21 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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einen solchen Frager zurückfragen: was soll denn diese Frage bedeuten? – Untersucht man das letztere genau, so bedeutet sie in den meisten Fällen nicht mehr, als folgendes: unter welchem andern Namen, und in welchen andern Formeln kenne ich denn schon dieselbe Sache, die Du mit einem so sonderbaren, und mir so unbekannten Zeichen ausdrückst; und darauf wäre denn, abermals in den meisten Fällen, VI, 360 die einzig passende Antwort folgende: Du kennst diese Sache | überhaupt nicht, und hast während Deines ganzen Lebens nie etwas von ihr vernommen, weder unter diesem, noch unter einem andern Namen, und falls Du zur Kenntniß derselben kommen sollst, so mußt Du eben jetzt von vorne anfangen, dieselbe kennen zu lernen; – und dann am schicklichsten unter derjenigen Benennung, unter der sie Dir zuerst [23] angetragen wird. So wird das heute gebrauchte Wort | Idee in den folgenden Vorlesungen allerdings weiter bestimmt, und erklärt, und, wie ich hoffe, zur vollkommenen Klarheit herauf erklärt werden; aber das ist keinesweges das Geschäft einer einzigen Stunde. Wir behalten uns dieses, wie alles andere, was wir noch zu erinnern hätten, bis auf die folgenden Vorlesungen vor.
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| Zweite Vorlesung. Nähere Bestimmung des Begriffs der göttlichen Idee.
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Folgendes waren die Hauptsätze, die wir in der letztern Vorlesung unserer Erörterung des Begriffs vom Gelehrten zu Grunde legten. Die gesammte Welt ist keinesweges in der That und Wahrheit dasjenige, als was sie dem ungebildeten und natürlichen Sinne des Menschen erscheint, sondern sie ist ein höheres, das der natürlichen Erscheinung bloß zu Grunde liegt. In der höchsten Allgemeinheit kann man diesen Grund der Erscheinung sehr füglich nennen die göttliche Idee von der Welt. Ein bestimmter Theil des Inhalts dieser göttlichen Idee ist dem gebildeten Nachdenken zugänglich und begreiflich. | Wir äußerten gegen den Schluß derselben Vorlesung, daß dieser, [25] hier freilich noch dunkle Begriff einer göttlichen | Idee, als der letzten VI, 361 und absoluten Grundlage aller Erscheinungen, erst in der Zukunft, vermittelst seiner durchgeführten Anwendung, ganz klar werden könne. Dennoch finden wir es zweckmäßig, denselben vorläufig im Allgemeinen näher zu erklären, und wollen diesem Geschäfte die heutige Stunde widmen. Wir stellen für diesen Zweck folgende Sätze auf, welche für uns zwar die Resultate einer angestellten tiefern Untersuchung, und vollkommen erweislich sind, die wir aber Ihnen hier nur historisch mittheilen können; höchstens rechnend auf Ihr eignes Wahrheitsgefühl, das uns auch ohne Einsicht in die Gründe beistimme; und etwa darauf, daß Sie bemerken: es werden durch diese Voraussetzungen die wichtigsten Fragen beantwortet, und die tiefsten Zweifel gelöset. Wir stellen folgende Sätze auf: 1) Das Seyn, durchaus und schlechthin als | Seyn, ist lebendig und in [26] sich thätig, und es giebt kein anderes Seyn, als das Leben: keinesweges aber ist es tod, stehend, und innerlich ruhend. Was das denn doch in der Erscheinung vorkommende Todte sei, und wie es zum einzigen wahren Seyn, zum Leben, sich verhalte, werden wir tiefer unten sehen. 2) Das einzige Leben, durchaus von sich, aus sich, durch sich, ist das Leben Gottes: oder des Absoluten, welche beide Worte eins und dasselbe bedeuten: und wenn wir sagen: das Leben des Absoluten, so ist 23 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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dies auch nur eine Weise zu reden; indem in der Wahrheit, das Absolute das Leben, und das Leben das Absolute ist. 3) Dieses göttliche Leben ist an und für sich rein in sich selber verborgen, es hat seinen Sitz in sich selber, und bleibt in sich selbst, rein aufgehend in sich selbst, zugänglich nur sich selber. Es ist – alles Seyn, und ausser ihm ist kein Seyn. Es ist eben darum durchaus ohne Veränderung oder Wandel. | 4) Nun ä u ß e r t sich dieses göttliche Leben, tritt heraus, erscheinet, und stellet sich dar, als solches, als göttliches Leben: und diese seine Darstellung, oder sein Daseyn und äußerliche Existenz ist die Welt. Nehmen Sie das Gesagte strenge; es |stellt sich dar, sich selber, so wie es innerlich wirklich ist und lebt, und kann sich nicht anders darstellen: es tritt daher zwischen sein wahres inneres Seyn, und seine äußere Darstellung keinesweges etwa eine grundlose Willkühr in die Mitte, zufolge welcher es sich nur theilweise hergäbe, theilweise aber verbärge; sondern seine Darstellung, d. h. die Welt ist lediglich durch die zwei Glieder, sein eigenes inneres Wesen an sich, und die unveränderlichen Gesetze einer Aeußerung und Darstellung überhaupt, bedingt, und unveränderlich bestimmt. Gott stellt sich dar, wie Gott sich darstellen kann. Sein ganzes, an sich unbegreifliches Wesen, tritt heraus, ungetheilet, und ohne Rückhalt, so wie es in einer bloßen Darstellung heraustreten kann. | 5) Das göttliche Leben an sich ist eine durchaus in sich geschlossene Einheit, ohne alle Veränderlichkeit oder Wandel, sagten wir oben. In der Darstellung wird dasselbe, aus einem begreiflichen, nur hier nicht auseinander zu setzenden Grunde, ein ins unendliche sich fortentwikkelndes, und immer höher steigendes Leben in einem Zeitflusse, der kein Ende hat. Zuförderst: es bleibt in der Darstellung Leben, haben wir gesagt. Das lebendige kann keinesweges dargestellt werden in dem Todten, denn diese beiden sind durchaus entgegengesetzt, und darum, so wie das Seyn nur Leben ist, eben so ist das wahre und eigentliche Daseyn auch nur lebendig, und das Todte i s t weder, noch ist es, im höheren Sinne des Wortes, d a . Dieses lebendige Daseyn in der Erscheinung nun nennen wir das menschliche Geschlecht. Also allein das menschliche Geschlecht ist da. So wie das Seyn aufgeht und erschöpft ist in dem göttlichen Leben, so gehet das Daseyn, oder die Darstellung jenes göttlichen Lebens auf | in dem gesammten menschlichen Leben, und ist durch dasselbe rein und ganz erschöpft. Sodann: das göttliche Leben wird in seiner Darstellung zu einem ins unendliche sich fortentwikelnden, und nach dem Grade der innern Lebendigkeit und 24 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Kraft immer höher steigenden Leben. Daher, – welche Folgerung wichtig ist: daher ist das Leben in der | Darstellung, in allen Zeitpunkten seines Daseyns, im Gegensatze mit dem göttlichen Leben, beschränkt, d. h. zum Theile nicht lebendig, und noch nicht zum Leben hindurchgedrungen, sondern insofern todt. Diese Schranken soll es nun immer fort durch sein steigendes Leben durchbrechen, entfernen, und in Leben verwandeln. Sie haben an dem so eben aufgestellten Begriffe der Schranken, wenn Sie denselben recht scharf in das Auge fassen, und erwägen, den Begriff der objektiven und materiellen Welt; oder der sogenannten Natur. Diese ist nicht lebendig, so wie die Vernunft, und einer unendlichen Fortentwikelung fähig, sondern todt, | ein starres und in sich beschlossenes Daseyn. Sie ist das, – das Zeitleben anhaltende, und hemmende; und allein durch diese Hemmung zu einer Zeit ausdehnende, was ausserdem mit Einem Schlage als ein ganzes und vollendetes Leben hervorbrechen würde. Sie soll ferner durch das vernünftige Leben in seiner Entwikelung selber belebt werden; sie ist darum der Gegenstand und die Sphäre der Thätigkeit und der Kraft=Aeußerung des ins unendliche sich fort entwikelnden menschlichen Lebens. – Dies, m. H., und schlechthin nichts weiter ist die Natur in der ausgedehntesten Bedeutung des Wortes, und selber der Mensch, in wiefern sein Leben im Vergleich mit dem ursprünglichen und göttlichen Leben beschränkt ist, ist nichts weiter. Da das unendliche Fortschreiten des zweiten nicht ursprünglichen, sondern abgeleiteten, menschlichen, Lebens, – und eben darum, damit ein Fortschreiten möglich sey, zugleich die Endlichkeit, und die Beschränktheit des menschlichen Lebens aus jener Sich=Darstel|lung des Absoluten hervorgehen; so hat die Natur ihren Grund freilich auch in Gott, aber keinesweges als etwas, das da absolute da ist und da seyn soll, sondern nur als Mittel und Bedingung eines andern Daseyns, des Lebendigen im Menschen, und als etwas, das durch den steten Fortschritt dieses lebendigen immer mehr aufgehoben werden soll. Lassen Sie sich darum ja nicht blenden oder irre machen durch eine Philosophie, die sich selbst den Namen der Natur=Philosophie beilegt, und welche alle bisherige | Philosophie dadurch zu übertreffen glaubt, daß sie die Natur zum Absoluten zu machen, und sie zu vergöttern strebt.Von aller Zeit her haben sowohl alle theoretischen Irrthümer, als alle sittlichen Verderbnisse der Menschheit darauf sich gegründet, daß sie den Namen des Seyns, und Daseyns wegwarfen an dasjenige, was an sich weder ist, noch da ist, und das Leben und den Genuß des Lebens bei demjenigen suchten, was in sich 25 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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selber den Tod hat. Jene Philosophie ist da|her – weit entfernt, ein Vorschritt zur Wahrheit zu seyn, lediglich ein Rükschritt zu dem alten und verbreitetsten Irrthum. 6) Alles so eben in den bisherigen Sätzen Aufgestellte kann nun der Mensch, der ja selbst die Darstellung des ursprünglichen und göttlichen Lebens ist, im Allgemeinen einsehen, wie wir z. B. es eingesehen haben, es sei nun aus Gründen, oder lediglich von dunklem Wahrheitssinne geleitet, oder auch nur es wahrscheinlich findend, weil es einen vollständigen Aufschluß giebt über die wichtigsten Probleme. Der Mensch kann es einsehen, d. h. die Darstellung kann zurükgehen in ihren Ursprung, denselben nachbildend, mit absoluter Gewißheit in Rüksicht des d a ß : keinesweges aber ihn wiederholend und noch einmal machend in der That, und Wahrheit; denn die Darstellung bleibt ewig nur Darstellung, und kann nie herausgehen aus ihr selber, und sich verwandeln in das Wesen. [33] 7) Der Mensch kann es einsehen in Rük|sicht des Daß, haben wir gesagt, keinesweges aber in Rücksicht des Wie. – Wie und warum aus dem Einen göttlichen Leben gerade ein solches also bestimmtes fortfließendes Zeitleben hervorgehe, könnte man nur dadurch begreifen, daß man alle Theile des letztern in vollendeter Auffassung begriffe, sie gegenseitig und allseitig durcheinander deutete, so sie auf den Einheitsbegriff zurückbrächte, und diesen dem Einen göttlichen Leben gleich fände. Aber dieses fortfließende Zeitleben ist unendlich, die Auffassung seiner Theile kann daher nie vollendet werden: das Begreifende aber ist selber das Zeitleben, und steht in jedem Punkte, in dem man es denken möchte, selber in der Endlichkeit und in Schranken VI, 365 gefesselt da, welche es | ganz nie abstreifen kann, ohne aufzuhören, die Darstellung zu seyn, und ohne in das göttliche Wesen selbst sich zu verwandeln. 8) Aus dem letztern scheint zu folgen, daß das Zeitleben bloß im Allgemeinen nach seinem Wesen begriffen werden könne, so wie es [34] im | obigen von uns begriffen ist, überhaupt als Darstellung des Einen ursprünglichen, und göttlichen Lebens; daß es aber im Besondern, seinem eigentlichen Inhalte nach unmittelbar gelebt und erlebt werden müsse, und nur in und zufolge dieses Erlebens in der Vorstellung und dem Bewußtseyn nachgebildet werden könne. – Und so verhält es sich denn in einer gewissen Rücksicht, und mit einem bestimmten Theile des menschlichen Lebens wirklich. Es bleibt durch den ganzen unendlichen Zeitfluß hindurch in jedem einzelnen Theile desselben am menschlichen Leben etwas übrig, das im Begriffe nicht vollkommen 26 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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aufgeht, und eben darum auch durch keine Begriffe verfrühet oder ersetzt werden kann, sondern das da unmittelbar gelebt werden muß, wenn es je in das Bewußtseyn kommen soll; dies nennt man das Gebiet der bloßen und reinen Empirie oder Erfahrung. Die oben erwähnte Philosophie benimmt auch darin, daß sie den Schein sich giebt, als ob sie das ganze menschliche Leben im Begriffe | aufzulösen, und die Erfahrung zu ersetzen vermöge, sich verkehrt, und verliert, über dem Bestreben das Leben durchaus zu erklären, das Leben selber. 9) So verhält es sich mit dem Zeitleben in einer gewissen Rücksicht und nach einem bestimmten Theile desselben, sagte ich. Denn in einer andern Rücksicht und nach einem andern Theile desselben verhält es sich anders, aus folgendem Grunde, den ich bildlich ausdrucken werde, der aber einer genauern Aufmerksamkeit wohl werth ist. Das Zeitleben tritt nicht bloß in einzelnen Momenten, sondern es tritt auch in ganzen gleichartigen Massen ein in die Zeit, welche gleichartigen Massen nun eben es sind, die wiederum in einzelne Momente des wirklichen Lebens sich spalten. Es giebt nicht eine einzige Zeit, sondern es giebt Zeiten, und Zeitordnungen über | Zeitordnungen und in Zeitordnungen. So ist z. B. das gesammte gegenwärtige irrdische Leben der menschlichen Gattung eine solche | gleichartige Masse, welche mit Einem male ganz eingetreten ist in die Zeit, und allgegenwärtig ganz und ungetheilt da ist – für den tiefern Sinn, lediglich für die sinnliche Erscheinung noch ablaufend in der Weltgeschichte. Die allgemeinen Gesetze und Regeln dieser gleichartigen Massen des Lebens, lassen sich, nachdem dieselben Massen nur eingetreten sind in die Zeit, wohl begreifen, und, für den ganzen Ablauf dieser Massen im Voraus einsehen, und verfrühen, indeß die Objekte, d. h. die Hemmungen und Störungen des Lebens, über welche hinweg diese Massen ablaufen, lediglich der unmittelbaren Erfahrung zugänglich sind. 10) Diese erkennbaren Gesetze der gleichartigen Massen des Lebens, die vor dem wirklichen Erfolge voraus erkannt werden, müssen nothwendig erscheinen, als Gesetze des Lebens selber, wie es seyn und werden soll, gerichtet an das auf sich selber ruhende und selbstständige Prinzip dieses Zeitlebens, das da als Freiheit erscheinen muß; d e m nach als Gesetze | für ein freies Thun und Handeln d e r L e b e n d i g e n . Gehen wir zurück auf den Grund dieser Gesetzgebung, so liegt dieser im göttlichen Leben selber, welches in der Zeit sich nicht anders äußern und darstellen konnte, denn auf diejenige Weise, die uns hier als eine Gesetzgebung erscheint; und zwar, wie in dem aufgestellten Begriffe lag, keinesweges als eine mit blinder Gewalt 27 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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gebietende, und sich Gehorsam erzwingende Gesetzgebung, wie wir in der willenlosen Natur eine solche annehmen, sondern als Gesetzgebung an das von ihr selbst als Leben hingestellte Leben, dem die Selbstständigkeit nicht entrissen werden kann, ohne daß ihm dadurch zugleich die Wurzel des Lebens ausgerissen werde; mithin, wie wir oben sagten, als göttliches Gesetz an die Freiheit, oder als Sittengesetz. Nun ist ferner, wie wir schon oben eingesehen, dieses Leben nach dem Gesetze des ursprünglichen göttlichen Seyns, das einige wahre Leben, und seine Ursprünglichkeit; alles andere | aber außer diesem Leben ist nur Hemmung und Störung | desselben, lediglich darum daseyend, damit an ihm das wahre Leben sich entwickle, und in seiner Kraft sich darstelle; deswegen ist alles andere gar nicht um sein selbst willen da, sondern lediglich als Mittel für den Zweck des wahrhaften Lebens. – Die Verbindung zwischen Mittel und Zweck vermag die Vernunft nur also zu fassen, daß sie einen Verstand sich denke, der den Zweck gedacht habe. Das gesetzmäßige menschliche Leben ist in Gott begründet: man denkt sich daher, nach der Analogie mit unserm Verstande, Gott, als denkend das sittliche Leben des Menschen als einzigen Zweck, um dessenwillen er sich dargestellt, und alles übrige ausser diesem Leben ins Daseyn gerufen habe; keinesweges, als ob es an sich also sey, und Gott so, wie der Endliche, denke, und das Daseyn vom Bilde des Daseyns in ihm unterschieden werde, sondern lediglich, weil wir das Verhältniß auf keine andere Weise fassen können. Und in dieser absolut nothwendigen | Vorstellungsweise wird denn das menschliche Leben, wie es seyn soll, die Idee und der Grundgedanke Gottes bei Hervorbringung einer Welt, die Absicht und der Plan, dessen Ausführung Gott mit der Welt sich vorsetzte. Und so ist denn, m. H., für unsern Zweck hinreichend erklärt, wie der Welt die göttliche Idee zu Grunde liege, und in wiefern und wie diese dem gemeinen Auge verborgene Idee dem gebildeten Nachdenken begreiflich und zugänglich werde, und ihm nothwendig erscheinen müsse, als dasjenige, was der Mensch durch freie That in der Welt hervorbringen solle. Beschränken Sie bei diesem Sollen, und bei dieser freien That Ihr Denken nicht etwa sogleich auf den bekannten kategorischen Imperativ, und auf die beengte und dürftige Anwendung, die demselben in den gewöhnlichen allgemeinen Sittenlehren und Moralsystemen gegeben wird, und zufolge einer solchen Wissenschaft gegeben werden muß. Fast immer, und aus guten in den Gesetzen der philosophischen Ab|straktion, durch welche eine Sittenlehre zu Stande kommt, wohl 28 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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begründeten Gründen, hält man sich am längsten bei der Form der Moralität auf, daß etwas nur geschehe rein und | lediglich um des Gesetzes willen; und wo man noch zum Inhalte fortschreitet, so scheint die Hauptabsicht mehr diese zu seyn, die Menschen nur dahin zu bringen, daß sie das Unrechte lassen, als die andere, daß sie das Rechte thun; auch ist man genöthigt, in der Pflichtenlehre sich in einer solchen Allgemeinheit zu halten, daß die Regeln für Alle auf die gleiche Weise passen, und auch aus diesem Grunde mehr angezeigt wird, was die Menschen nicht thun sollen, als was sie thun sollen. Alles dieses ist allerdings auch die göttliche Idee, aber nur in ihrer entferntern, und abgeleiteten Gestalt, keinesweges in ihrer frischen Ursprünglichkeit. Die ursprüngliche göttliche Idee von einem bestimmten Standpunkte in der Zeit läßt größtentheils sich nicht eher angeben, als bis der von Gott begeisterte Mensch kommt, | und sie ausführt. Was der göttliche Mensch thut, das ist göttlich. Im Allgemeinen ist die ursprünglich und rein göttliche Idee, – das, was der unmittelbar von Gott begeisterte soll, und wirklich thut, – für die Welt der Erscheinung schöpferisch, hervorbringend das neue – unerhörte, und vorher nie da gewesene. Der Trieb des bloßen natürlichen Daseyns geht auf das Beharren beim Alten; selbst wo die göttliche Idee sich mit ihm vereinigt – auf die Aufrechthaltung des bisherigen guten Zustandes, und höchstens auf kleine Verbesserungen desselben: wo aber die göttliche Idee rein und ohne Beimischung des natürlichen Antriebes ein Leben gewinnt, da baut sie neue Welten auf, auf die Trümmern der alten. Alles Neue, Große und Schöne, was von Anbeginn der Welt an in die Welt gekommen, und was noch bis an ihr Ende in sie kommen wird, ist in sie gekommen, und wird in sie kommen durch die göttliche Idee, die in einzelnen Auserwählten theilweise sich ausdrückt. | Eben so, wie das Leben der Menschen das einzige unmittelbare Werkzeug und Organ ist der göttlichen Idee in der Sinnenwelt, so ist dasselbe menschliche Leben auch der erste und unmittelbare Gegenstand dieser Wirksamkeit. Die Fortbildung der menschlichen Gattung hat die göttliche Idee – dieselbe Fortbildung hat jeder, welcher von dieser Idee ergriffen wird, – zum Ziele. Diese letztere Einsicht macht es uns | möglich, die göttliche Idee in Absicht ihres Wirkungskreises einzutheilen, oder, die Eine an sich untheilbare Idee als mehrere Ideen zu denken. Zuförderst: das an sich und in der Wahrheit einige und untheilbare menschliche Leben ist in der Erscheinung, in das Leben mehrerer Individuen nebeneinander, deren jedes mit seiner Freiheit und Selbststän29 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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digkeit versehen ist, zerfallen. Diese Zertheilung des Einen Lebendigen ist eine Natureinrichtung, somit eine Störung und Hemmung des wahren Lebens, | wirklich geworden deswegen, damit an ihr, und in dem Streite mit ihr, die Einheit des Lebens, die nach der göttlichen Idee ist und seyn soll, mit Freiheit sich bilde: das menschliche Leben ist nicht Eins geworden durch die Natur, damit es sich selber lebe zur Einheit, und damit alle die getrennten Individuen durch das Leben selber zur Gleichheit der Gesinnung zusammenschmelzen. Im natürlichen Zustande widerstreiten einander und hemmen sich gegenseitig die verschiedenen Willen dieser Individuen, und die durch sie bewegten Naturkräfte. So ist es nicht in der göttlichen Idee, und so soll es nach derselben in der Sinnenwelt nicht bleiben. Die erste, keinesweges in der bloßen Natur begründete, sondern erst durch eine neue Schöpfung in die Welt eingeführte Macht, an welcher dieser Streit der individuellen Kräfte so lange sich bricht, bis er durch allgemeine Sittlichkeit gänzlich aufgehoben werde, ist die Errichtung des Staats, und eines rechtlichen Verhältnisses zwischen mehrern Staaten: kurz, alle die Einrichtungen, wodurch jeder einzelnen oder verbundenen individuellen Kraft die ihr | zugehörige Sphäre angewiesen, und sie in derselben zugleich beschränkt, und zugleich vor allem fremden Eingriffe gesichert wird. Diese Einrichtung lag in der göttlichen Idee, sie ist auf Antrieb derselben von begeisterten Menschen in die Welt eingeführt worden, sie wird durch denselben Antrieb in der Welt erhalten, und immerfort vervollkommnet werden, bis zu ihrer Vollendung. Dieses vom Streite mit sich selbst zur Einmüthigkeit zu erhebende Menschengeschlecht ist noch überdies mit einer willenlosen Natur umgeben, welche sein freies Leben immer|fort beschränkt, bedrohet und einengt. So mußte es seyn, damit dieses Leben durch eigne Freiheit seine Freiheit gewinne; und diese Kraft und Selbstständigkeit des sinnlichen Lebens soll, zufolge der göttlichen Idee, fortschreitend sich entwickeln. Dazu bedarf es, daß die Naturkräfte den menschlichen Zwekken unterworfen werden, und, damit man dieses vermöge, daß man die Gesetze, nach denen diese Kräfte wir|ken, erkenne, und im Voraus ihre Kraftäußerungen zu berechnen vermöge. Ueberdies, nicht bloß nützlich und brauchbar soll die Natur dem Menschen werden, sie soll zugleich anständig ihn umgeben, das Gepräge seiner höhern Würde annehmen, und von allen Seiten dasselbe ihm entgegen strahlen. Diese Herrschaft über die Natur lag in der göttlichen Idee, und wird auf den Antrieb dieser Idee durch Einzelne, die von ihr ergriffen werden, unaufhörlich erweitert. 30 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Endlich, der Mensch hat seinen Sitz nicht bloß in der Sinnenwelt, sondern die eigentliche Wurzel seines Daseyns ist, wie wir gesehen haben, in Gott. Von der Sinnlichkeit und ihren Antrieben fortgerissen, kann das Bewußtseyn dieses Lebens in Gott sich ihm leicht verbergen, und sodann lebt er, welche edle Natur er auch übrigens seyn möge, in Streit und Zwiespalt mit sich selber, in Unfrieden, und Unseeligkeit, ohne wahre Würde und Lebensgenuß. Erst wie das Bewußt|seyn der [46] wahren Quelle seines Lebens ihm aufgeht, und er freudig in dieselbe sich taucht, und ihr sich hingiebt, überströmt ihn Friede, Freude und Seeligkeit. Es liegt in der göttlichen Idee, daß alle Menschen zu diesem erfreuenden Bewußtseyn kommen, um das ausserdem unschmackhafte endliche Leben mit dem unendlichen zu durchdringen und in ihm zu genießen: drum haben von jeher Begeisterte gearbeitet, und werden fortarbeiten, dieses Bewußtseyn in seiner möglichst reinsten Gestalt unter den Menschen zu verbreiten. Die genannten Wirkungssphären: die der Gesetzgebung, die der Naturkenntniß, und Naturherrschaft, die der Religion, | sind die allge- VI, 371 meinsten, in denen die göttliche Idee durch Menschen in der Sinnenwelt sich äußert und darstellt. Es ist sichtbar, daß jeder dieser Hauptzweige wiederum seine einzelnen Theile habe, in denen vereinzelt die Idee sich offenbaren könne. Rechnet man nun noch dazu die Wissenschaft der göttlichen Idee, sowohl daß | es eine solche Idee gebe, als [47] die, ihres Inhalts im Ganzen, oder in einzelnen besondern Theilen; ferner die Kunst und Fertigkeit, die klar erkannte Idee in der Sinnenwelt wirklich darzustellen; – welches beides, die Wissenschaft wie die Kunst, doch auch nur durch den unmittelbaren Antrieb der göttlichen Idee erworben werden kann – so haben wir die fünf Hauptarten, wie die Idee in dem Menschen sich äußert. Die Art der Bildung nun, durch welche, nach der Annahme eines Zeitalters, man zum Besitz dieser Idee, oder dieser Ideen komme, haben wir die gelehrte Bildung, und denjenigen, der durch diese Bildung hindurch wirklich zu dem angestrebten Besitze gekommen, den Gelehrten desselben Zeitalters genannt: und es muß Ihnen durch das heute Gesagte leichter geworden seyn, diesen Ausspruch wahr zu finden, die verschiednen Zweige der Gelehrsamkeit, die man annimmt, darauf zurückzuführen, daraus abzuleiten, und so unsern Ausspruch anzuwenden.
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| Dritte Vorlesung. Vom angehenden Gelehrten überhaupt; insbesondere vom Talente und Fleiße.
Die Idee selbst ist es, welche durch eigene Kraft in dem Menschen ein selbstständiges und persönliches Leben sich verschaft, in diesem selbstständigen Leben sich fortdauernd erhält, und vermittelst desselben die Welt ausser diesem persönlichen Leben nach sich gestaltet. Der natürliche Mensch vermag nicht durch eigene Kraft sich zum Uebernatürlichen zu erheben; er muß durch die Kraft des Uebernatürlichen selbst dazu erhoben werden. Dieses sich selbst gestaltende, und erhaltende Leben der Idee im Menschen stellt sich dar, als Liebe: – zu[49] förderst, der Wahrheit nach, als Liebe der Idee zu sich | selber, sodann in der Erscheinung, als Liebe des Menschen für die Idee. – Dies haben wir in unsrer e r s t e n Vo r l e s u n g aufgestellt. So verhält es sich im Allgemeinen mit aller Liebe; nicht anders im Besondern mit der Liebe zu der Erkenntniß der Idee, zu welcher Erkenntniß der Gelehrte sich erheben soll. Die Liebe der Idee überhaupt für sich selbst, und insbesondere für ihre eigene Klarheit bricht in dem von ihr ergriffenen und als Eigenthum besessenen Menschen hervor als Erkenntniß der Idee; in dem reifen Gelehrten, in einer bestimmten und vollendeten Klarheit; in dem angehenden, anstrebend diejenige Klarheit, welche sie in diesem Individuum unter diesen Umständen gewinnen kann. – Wir reden, dem – gleichfals in der ersten Vorlesung vorgezeichneten Plane folgend – zuerst vom angehenden Gelehrten. In ihm strebet zu allererst die Idee, sich selbst zu fassen in einer [50] bestimmten Gestalt, und sich zum Stehen zu bringen unter dem un|VI, 373 aufhörlichen Wogen der mannigfaltigen Vorstel|lungen, die in stetem Wechsel sich in seiner Seele durchkreuzen. Er wird durch dieses Streben ergriffen von der Ahndung eines ihm noch unbekannten und in keinem deutlichen Begriffe von ihm anzugebenden Wissens, bei jedem von ihm Erfaßten fühlend, daß dieses nicht das rechte sey – ohne deutlich aussprechen zu können, was von dem Rechten ihm eigentlich abgehe, und w i e das an seine Stelle zu setzende Rechte beschaffen seyn solle. Dieses Streben der Idee in ihm wird von nun an sein eigenes 32 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Leben und der höchste, und innigste Trieb desselben, und tritt an die Stelle seines bisherigen sinnlich egoistischen, bloß auf persönliche Erhaltung und thierisches Wohlseyn gerichteten Triebes; denselben sich unterordnend, und darum vernichtend, als Einzigen und Grund=Trieb. – Allerdings wird ferner, so wie bisher, das gegenwärtige persönliche Bedürfniß seine Befriedigung fordern; nur wird diese Befriedigung nicht mehr also, wie bisher, auch nachdem das | gegenwärtige Bedürfniß gehoben ist, weder der dauernde Gedanke, noch der nicht aus den Augen schwindende Gegenstand auch des ruhigen Nachdenkens, noch die Triebfeder alles Thuns und Lassens des denkenden Wesens bleiben. Wie die sinnliche Natur ihr Recht erhalten haben wird; so wird der befreite, und mit neuer Kraft ausgerüstete Gedanke aus der fremden Welt, in die er herabgezogen wurde, ganz von selbst, und ohne äußere Zunöthigung oder Vorsatz wieder zurükkehren in seine Heimath, und sich auf die Bahn begeben, von deren Ziele jenes Geahndete unbekannte ihm entgegenstralte. Nach diesem Unbekannten wird er unaufhörlich hingezogen; – in dem Dichten und Trachten darnach verlieren sich seine besten geistigen Kräfte. Man nennt diesen so eben beschriebenen Trieb nach einem nicht deutlich gekannten Geistigen Genie: und nennt ihn also aus gutem Grunde. Er ist ein Uebernatürliches, nach einem andern Uebernatürlichen Hinziehendes | im Menschen, welches die Verwandtschaft desselben mit der geistigen Welt, und seine ursprüngliche Heimath in dieser Welt andeutet. Ob man nun annehme, daß dieser Trieb, der an sich die göttliche Idee überhaupt, in ihrer ursprünglichen Einheit und Untheilbarkeit | anstreben sollte, gleich ursprünglich, und bei der ersten Erscheinung eines bestimmten Individuum in der Sinnenwelt sich also gestalte, daß dieses Individuum die Idee nur in einem gewissen Berührungspuncte zuerst erfassen, und nur von diesem Berührungspuncte aus in das Ganze allmählig eindringen könne; oder ob man lieber annehmen wolle, daß dieser eigentliche Berührungspunct für das Individuum sich nur während der ersten Entwikelung der individuellen Kraft an dem mannigfaltigen Stoffe, der ihr dargeboten wird, bilde, und jedesmal in denjenigen Stoff falle, der gerade im Momente der sattsam entwickelten Kraft derselben und durch das Ohngefähr dargeboten wird: – welches von beiden man annehmen | wolle, sage ich; so wird doch in der Erscheinung der wirklich sich äußernde, und etwas erfassende Trieb immer sich darstellen, als Trieb für eine besondere Seite der Einen an sich untheilbaren Idee, oder – wie man zu folge der Erörterung in unsrer lezten Vorlesung, ohne Mißverständniß zu befürchten, 33 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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auch sagen kann: – als Trieb für eine besondere Idee in der Sphäre aller möglichen Ideen; oder, wenn dieser Trieb Genie genannt wird, – das Genie wird immer erscheinen als ein besonderes Genie, für Philosophie, Poesie, Naturbeobachtung, Gesezgebung und dergleichen, keinesweges aber bloß im Allgemeinen, als Genie. Dieses besondere Genie ist, nach der ersten Annahme, gleich als besonderes in dieser seiner Bestimmtheit angeboren; nach der zweiten ist es nur im Allgemeinen als Genialität überhaupt angeboren, und lediglich, durch den ohngefähren Gang der Bildung, in Genie für dieses besondere Fach verwandelt worden. Die Entscheidung | dieses Streites liegt außerhalb der Grenze unserer dermaligen Aufgabe. Wie er entschieden werde, so leuchtet auf jeden Fall ein im Allgemeinen, die Unentbehrlichkeit der vorläufigen geistigen Bildung, und einer ersten Anweisung, mit Begriffen, und Erkenntnissen umzugehen, und zu schalten, damit sich entdecke, ob überhaupt Genie da sey; ferner leuchtet ein im Besondern die Nothwendigkeit, Begriffe von mancherlei Art und Natur an den Menschen zu bringen; damit entweder das angeborne besondere Genie aus ihnen die ihm angemessene Art des | Stoffes herausfinde, oder das nicht angeborne in der Mannigfaltigkeit irgend einen besondern sich erwähle. Schon dieser allerersten geistigen Bildung entdekt sich das künftige Genie. Jener Trieb ist ein Trieb des Wissens, der zuerst auf das Wissen, nur als Wissen, und lediglich um zu wissen, geht, und als Wißbegierde erscheinet. Aber selbst nachdem dieser Trieb sichtbar, | entweder in der regen Verfolgung des uns reizenden Räthsels, oder auch in glüklichen Ahndungen zur Lösung desselben, herausgetreten, bedarf es noch immer des fortgesetzten Fleißes, und der ununterbrochenen Forschung. – Man hat oft die Frage aufgeworfen, ob es das natürliche Talent, oder der Fleiß sey, was in den Wissenschaften am meisten fördere. Ich antworte: beides muß sich vereinigen; für sich allein, und ohne das andere taugt keines von beiden. Das natürliche Talent, oder das Genie ist ja nichts weiter, als der Trieb der Idee, sich zu gestalten; die Idee aber hat an sich gar keinen Inhalt oder Körper, sondern sie erbaut sich denselben erst aus den wissenschaftlichen Umgebungen der Zeit, welche lediglich der Fleiß herbeiliefert. Wiederum vermag auch der Fleiß nichts weiter, als diese Umgebungen und Elemente der zu erbauenden Gestalt herbeizuschaffen; – dieselbe organisch zu verbinden, und ihr eine lebendige Seele einzuhauchen, vermag er nicht, sondern dies bleibt lediglich der Idee, | die als natürliches Talent sich offenbaret, überlassen. Daß die in dem wahren Gelehrten zum Leben gekommene 34 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Idee in die umgebende Welt eingreife, ist ja der Zweck ihrer Gestaltung. Sie soll das höhere Lebensprincip werden, und die innigste Seele der umgebenden Welt; sie muß darum gerade denselben Körper angenommen haben, den diese umgebende Welt trägt, in demselben, wie in ihrer Behausung, wohnen, und jedes Gliedmaß davon mit freier Willkühr nach ihrem jedesmaligen Zwecke bewegen, so wie jeder Gesunde seine eigenen Hände, oder Füße, in Bewegung zu setzen vermag. Bei wem das inwohnende Genie, entweder, weil ihm die Wege zur gelehrten Bildung nicht zugänglich sind, oder weil es aus Trägheit und hochmüthigem Eigendünkel sie verschmäht, mit seiner Gestaltung | auf hal- VI, 376 bem Wege stehen bleibt, – zwischen dem und seinem Zeitalter, und – was aus dem letztern folgt – zwischen ihm, und jedem möglichen Zeitalter, und dem ganzen Menschengeschlechte in jedem Punkte | seiner [57] Bildung – ist eine unausfüllbare Kluft befestiget, und die Mittel des wechselseitigen Einflusses sind abgeschnitten. Was auch in ihm wohnen möge, oder strenger ausgedrükt, was auch bei fortgesezter Bildung in ihn eingekehrt seyn möchte: er kann es weder sich selber, noch andern klar deuten, noch es zur bedachten Regel seines Handelns machen, und so es in der Welt realisiren. Es gebrechen ihm die zwei nothwendigen Bestandtheile des wahrhaftigen Lebens der Idee: die Klarheit, und die Freiheit. Die Klarheit: sein Grundbegriff ist ihm nicht durchsichtig, und in allen seinen Punkten nach allen Richtungen hin zu erneuern, von der innersten Wurzel an, wo er aus der Gottheit unmittelbar übergeht in seine Seele, bis zu allen Punkten, in denen er eingreifen, und sich gestalten muß in der wirklichen Welt, und nach allen besondern Gestalten, die er unter jeder Bedingung annehmen muß. Die Freiheit, welche aus der Klarheit entspringt, und nie ist ohne sie: er erkennt | nicht an jeder Erscheinung, die ihm vorkommt, auf den [58] ersten Blick, die Gestalt, welche in ihr der Begriff nehmen müßte, und das Mittel, dessen man sich dazu bedienen müßte, noch hat er dieses Mittel in seiner freien Gewalt. Man nennt ihn Schwärmer, und dies ist sein rechter Name. – In welchem dagegen die Idee sich vollkommen ausgestaltet, der erblikt aus ihr, als seinem einigen Lichtpunkte, die ganze Wirklichkeit, und durchblikt sie in demselben Lichte innerlich; was auf seine Idee irgend sich bezieht, versteht er aus ihr, wie es so geworden, was an ihm recht sei, was ihm zum rechten noch fehle, auf welche Weise es recht gemacht werden müßte; und er hat überdies das Mittel dieses Rechtmachens in seiner freien Gewalt. Erst sodann ist in ihm die Gestaltung der Idee vollendet, und er, ein reifer Gelehrter: – derjenige Punkt, wo der Gelehrte übergeht in den freien Künstler, ist 35 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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der Punkt der Vollendung des Gelehrten. Daher bedarf es, selbst nach[59] dem Genie sich gezeigt, | und ein sich gestaltendes Leben der | Idee VI, 377 sichtbar geworden, bis zur Vollendung dieser Gestaltung, des fort-
gesetzten Fleißes. Daß nach der Vollendung des Gelehrten die Bildungs=Epoche des Künstlers anhebe, daß auch diese des Fleißes bedürfe, daß sie unendlich sey: liegt nicht im Gebiete unsrer gegenwärtigen Aufgabe, und wir erinnern es nur im Vorbeigehen. Doch, was sage ich, daß es auch nach der Erscheinung des Genies des Fleißes bedürfe: – gleich als ob ich diesen Fleiß von meiner Verordnung, von meinem Gutachten, und von meinem Erweise seiner Nothwendigkeit abhängig zu machen, und den fehlenden dadurch hervorzubringen gedächte? Vielmehr, wo das Genie nur wirklich eingetreten, da findet sich der Fleiß von selber, und vermehrt sich in steter Steigerung, und treibt den angehenden Gelehrten unaufhaltsam fort zu seiner Vollendung; wo hingegen der Fleiß sich nicht findet, da war es nicht das Genie, und der Antrieb der Idee, welche zum Vorschein [60] kamen, sondern etwas | höchst gemeines und unwürdiges an seiner Stelle. Die Idee ist nicht ein individueller Zierrath, da das Individuum als solches überhaupt nicht in der Idee liegt, sondern sie strebt auszuströmen in das ganze Menschengeschlecht, dieses neu zu beleben, und nach sich umzubilden. Dies ist der beständige Charakter der Idee; und was ohne diesen Charakter ist, ist nicht die Idee. Wo sie daher ein Leben gewinnt, strebt sie, durch ihr eignes inneres, keinesweges durch das individuelle Leben, unwiderstehlich nach dieser allgemeinen Wirksamkeit. Sie treibt sonach jeden, den sie nur wirklich ergriffen, wider den Willen und den Dank der persönlich sinnlichen Natur in ihm, und eben als leidendes Werkzeug fort zu dieser allgemeinen Wirksamkeit, zu der Geschiklichkeit dazu, und zu dem Fleiße, den ihre Erwerbung erfordert. Ganz von selber, und ohne daß es dazu des Vorsatzes der Person bedürfe, hört sie nicht auf zu wirken, und sich zu entwikeln, [61] bis sie | die lebendige, und in die Umgebung eingreifende Gestalt gewonnen, die sie unter diesen Bedingungen gewinnen kann.Wo bei vorhandenen und zugänglichen Mitteln zur Fortsetzung der gelehrten BilVI, 378 dung – denn der zweite Fall, daß diese Mittel nicht vorhan|den, oder der Person nicht zugänglich seyen, kommt hier nicht in Betrachtung, – wo, sage ich, im ersten Falle die Person bei dem Selbstbewußtseyn, daß sie etwas der Idee, oder dem Genie ähnliches habe, stehen bleibt, da ist weder Idee, noch Genie, sondern es ist lediglich eine hochmüthige Natur vorhanden, welche vor andern ihres Gleichen mit etwas ungemei36 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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nem sich herausputzen wollte. Eine solche Natur äußert sich zunächst in der Selbstbeschauung ihrer Eigenschaften und Vorzüge, und in dem wollüstigen Beruhen darauf, womit verächtliche Seitenblikke auf die persönlichen Eigenschaften und Gaben anderer meistens vereinigt sind; dagegen derjenige, der von der Idee rastlos fortgetrieben wird, keine Zeit übrig behält, an sich selbst zu denken, noch, verloren | mit allen seinen Sinnen in die Sache, sein oder anderer Talent für diese Sache abzuwägen. Das Talent, wo welches vorhanden ist, sieht, – die Sache nemlich, keinesweges aber sieht es sich; so wie ein gesundes Auge auf das Objekt sich heftet, keinesweges aber nach sich selber hinschielt. In solchen daher lebt sicher nicht die Idee. – Was ist es denn also, das sie belebt, und zu der vielleicht emsigen und schnellen Agilität forttreibt, die wir an ihnen bemerken? Eben ihr kräftiger Hochmuth und Eigendünkel, und der verzweifelte Vorsatz, der Natur zum Trotz, für eine ungemeine Natur zu gelten, ist es, was sie begeistert, was sie forttreibt und fortspornt, und was ihnen statt des Genie dient. Und was ist denn dasjenige, das sie hervorbringen, und was dem gemeinen Blikke, der selbst nicht im Reinen und Klaren ist, und der besonders auf das ausschließende Kriterium alles wahrhaft Idealen, auf Klarheit, Freiheit, Besonnenheit, Künstlergepräg nicht achtet, so aussieht, als wäre es Idee; | was ist es? Entweder etwas, das sie selbst auf eigene Hand sich ausgedacht, oder sich einfallen gelassen haben, das sie zwar selbst nicht verstehen, wovon sie jedoch hoffen, daß es neu, frappant, paradox erscheinen, und darum weit glänzen werde, und womit sie sich nun auf gutes Glück auf Abentheuer begeben, in der Hoffnung, daß im Verfolge sie selbst, oder andere einen Sinn darin entdecken werden. Oder auch, sie entlehnen es von andern, sehr künst|lich es verdrehend, verschiebend und verschraubend, daß man die erste Gestalt daran nicht so leicht wieder erkennt; schmähen auch wohl aus Vorsicht auf die erste und wahre Heimath des entlehnten, daß daselbst nichts zu holen sey, auf daß Unbefangene ja nicht auf den Gedanken kommen, dort nachzusuchen, ob sie nicht etwa selber das Ihrige da geholt. Mit einem Worte: Selbstbeschauung, Selbstbewunderung und Selbstlobpreisung – bleibe die letztere auch innerlich, und werde vor dem Auge des Beobachters sorgfältig verbor|gen, – und der aus ihnen entspringende Unfleiß und die Verschmähung des in der Niederlage der gelehrten Bildung schon Vorhandenen, zeugen sicher von Mangel an wahrem Talent: sich selbst vergessen und verlieren in der Sache, und vor ihrem Gedanken zu keinem Gedanken an sich selber kommen können, ist die unabtrennliche Begleitung jedes wahren Talents. Es folgt 37 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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daraus, daß jedes wahre Talent, besonders auf dem Wege seiner ersten Entwickelung, wiewohl auch nachher, und nachdem es zur Reife gekommen, von zarter Bescheidenheit und schamhafter Jungfräulichkeit umgeben wird. Das Talent selbst weiß am allerwenigsten von sich selber; es ist schon und wirkt und waltet mit stiller Macht fort, ehe es zum Bewußtseyn seiner selbst kommt. Wer stets nach sich selber hinsieht, wie es ihm anstehe, und was an ihm sey, und zu allererst es entdekt, an dem ist sicher nicht viel. Fern sey es daher von mir, falls etwa hier unter uns ein aufblühen[65] des Talent sich finden sollte, die zarte Schaam und Beschei|denheit desselben zu trüben, durch die allgemeine Aufforderung an Sie, sich selber zu prüfen, ob Sie wohl von der Idee ergriffen seyn möchten. Vielmehr widerrathe ich Ihnen dringend, diese auf die angegebene Frage gestellte Selbstprüfung. Und damit dieses nicht als eine Folge bloßer Lehrerklugheit und vielleicht zu weit getriebener Vorsichtigkeit erscheine, sondern als Resultat der absoluten Nothwendigkeit einleuchte, setze ich noch hinzu, daß diese also aufgestellte Frage keiner weder sich selber beantworten, noch von einem andern die sichere Antwort VI, 380 darauf erhalten kann; daß da|her bei einer angestellten Selbstprüfung die Wahrheit nicht zum Vorschein kommen, dagegen aber der Jüngling zu jener Selbstbeschauung, und jenem eigenliebigen Brüten auf sich selber angeführt werde, durch welches auf die Länge jedermann sowohl intellektuell, als moralisch bis auf den Grund verdirbt. Es giebt Zeichen in Menge, an denen man erkennen kann, daß das etwa im [66] Verborgenen vorhandene Talent, bei einem | Studirenden noch nicht zum Vorschein gekommen, und wir werden in der Zukunft vermittelst des Gegensatzes mit dem heute Gesagten Veranlassung finden, die merkwürdigsten anzugeben; aber es giebt nur Ein entscheidendes Kriterium, daß Talent vorhanden gewesen sey, oder daß keines vorhanden gewesen sey; und dieses Eine entscheidende Kriterium ist erst nach dem vollendeten Erfolge anwendbar. Wer da wirklich zu einem vollendeten Gelehrten und Künstler, in dem angegebenen Sinne des Worts geworden ist, seine Welt umfassend aus seiner klar durchschaueten Idee, und von dieser Idee aus in jeden Punkt dieser seiner Welt frei einzugreifen vermögend, der hat Talent gehabt, und ist von der Idee ergriffen gewesen, und diesem läßt es sich nun auch sagen, daß er davon ergriffen gewesen; wer ohnerachtet des fleißigsten Studiums, dennoch in das reife Alter tritt, ohne sich zur Idee erhoben zu haben, der ist ohne Talent gewesen, und ohne Berührung mit der Idee, und es
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läßt sich ihm | dieses nunmehro auch sagen: dem aber, der noch auf dem Wege sich befindet, läßt sich keines von beiden sagen. Es bleibt bei dieser eben so weisen, als nothwendigen Einrichtung der Dinge für den studirenden Jüngling, der durchaus nicht wissen kann, ob Talent in ihm vorhanden sey, oder nicht, nichts anderes übrig, als daß er immer fort handle, als ob welches in ihm vorhanden sey, das doch endlich zum Vorschein kommen müsse, und daß er sich unter alle die Bedingungen, und in alle die Lagen versetze, in denen es zum Vorschein kommen muß, falls es vorhanden ist; daß er mit unermüdetem Fleiße, in treuer Hingebung des ganzen Gemüthes, alle die Mittel der gelehrten Bildung ergreife, die sich | ihm darbieten. Den schlimmsten Fall gesetzt, daß am Ende seines Studiums sich finde, es habe aus der ganzen in ihm aufgehäuften Masse der Gelahrtheit nirgends ein Funke von Idee ihm entgegen gestrahlt, so bleibt ihm doch wenigstens Ein Be| wußtseyn, welches unentbehrlicher ist, als das Genie, und bei dessen Abwesenheit der Besitzer des größten Genie weit weniger werth ist, denn Er: – das Bewußtseyn, daß es nicht an ihm liege, wenn er nicht mehr geworden, und daß der Platz, an dem er stehengeblieben, der Wille Gottes sey, dem er mit Freuden sich füge. Talent läßt sich keinem anmuthen; denn es ist eine freie Gabe der Gottheit; redlicher Fleiß aber und Ergebung in seine Natur läßt sich jedem anmuthen: auch ist diese gründliche Rechtschaffenheit selbst die göttliche Idee in ihrer allgemeinsten Gestalt, und kein nur redliches Gemüth ist ohne Gemeinschaft mit der Gottheit. Die mittelst jenes aufrichtigen Strebens nach etwas Höherem erworbenen gelehrten Kenntnisse werden ihn immer zu einem tauglichen Werkzeuge machen für höher gebildete, welche in den Besitz der Idee gekommen. Gern und ohne Neid und Eifersucht, und ohne ein nagendes Ringen nach Höhen, für | die er nicht gemacht ist, wird er diesen sich unterwerfen, und mit der ihm schon zur andern Natur gewordenen Treue ihrer Leitung sich hingeben; also sich erwerbend die Gewißheit, seine Bestimmung erfüllt zu haben, als das letzte und höchste, was in irgend einer Lage der Mensch sich erwerben kann.
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| Vierte Vorlesung. Von der Rechtschaffenheit im Studiren.
Soll jemand ein wahrer Gelehrter werden, also daß die göttliche Idee von der Welt in ihm theils diejenige Klarheit, theils denjenigen Einfluß auf die ihn umgebende Welt gewinne, die sie unter diesen Umständen gewinnen kann, so muß diese Idee selber durch ihre eigene innere Kraft ihn ergreifen und ihn unaufhaltsam forttreiben zum Ziel. Nun stehen wir in unserer Beschreibung des Wesens des wahren Gelehrten bei der Schilderung des angehenden Gelehrten oder des Studirenden. Ist dieser schon wirklich von der Idee ergriffen, oder, was dasselbe [71] heißt, hat er Ge|nie und wahrhaftes Talent, so ist er über alle unsere Vorschriften erhaben; ohne unser, ja ohne sein eigenes Zuthun wird dieses Talent seine Bestimmung in ihm erreichen; auch haben wir, was in diesem Falle zu sagen ist, in der letzten Vorlesung erschöpft. Aber, wie wir gleichfalls in derselben Lehrstunde eingesehen haben; der angehende Gelehrte kann nie entscheiden, ob er in dem von uns angegebenen Sinne des Wortes Talent habe, oder nicht, noch kann es ein anderer statt seiner, und in seine Seele hinein entscheiden. Es bleibt ihm daher nichts übrig, als mit inniger und vollkommener Rechtschaffenheit also zu handeln, als ob Talent in ihm verborgen wäre, das doch endlich einmal zum Vorschein kommen müsse. Selbst das wirkliche Talent, wo es vorhanden ist, äußert sich gerade so, wie jene Rechtschaffenheit im Studiren; beide fallen in der Erscheinung wiederum zusammen, und kommen vollkommen überein. [72] Von jenem in Beziehung auf den ange|henden Gelehrten wenigstens VI, 383 unerforschlichen Merkmale des Talents absehend, | haben wir nur die Aeußerungen der Rechtschaffenheit im Studiren vollständig zu erschöpfen, und wir sind sicher, das bestimmte Bild dessen, der auf die rechte Weise studirt, aufgestellt zu haben. Der rechtschaffene Studirende ist für uns der wahre Studirende überhaupt, und beide Begriffe gehen in einander auf. Die Rechtschaffenheit überhaupt, wie wir gleichfalls damals be40 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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merkten, ist selbst eine göttliche Idee, und es ist die göttliche Idee in ihrer allgemeinsten Gestalt, in der sie alle Menschen in Anspruch nimmt. Sie wirkt daher, so wie die Idee überhaupt, mit ihrer eigenen innern Kraft; ohne Zuthun der persönlichen Liebe des Individuum, ja, vernichtend, so viel sie soll, diese persönliche Selbstliebe, bildet auch sie, eben so wie wir es bisher vom Genie gesagt haben, sich im Menschen aus zu einem eigenen Leben, ihn unwiderstehlich forttreibend, und umfassend alles sein Denken und alles | sein Thun. – Sein Thun habe ich gesagt; die Rechtschaffenheit als Idee ist nemlich eine unmittelbar praktische, ein äußeres, scheinbar freies Handeln des Menschen bestimmende Idee; dagegen das Genie zunächst innerlich und auf die Einsicht wirkt. Wer wirklich Talent hat, der wird mit glücklichem Erfolge studiren, und es wird allenthalben Licht und Klarheit aus den durchdachten Gegenständen ihm entgegen quellen: wer Rechtschaffenheit hat im Studiren, dem läßt dieses Glück sich nicht sicher versprechen, aber es wird wenigstens an ihm nicht liegen, daß er es nicht hat, und er wird nichts, was in seinem Vermögen steht, verabsäumen; um dasselbe sich zu erwerben; selbst wenn er des glücklichen Erfolges nicht theilhaftig würde, so hat er sich doch seiner w ü r d i g gemacht. Die Rechtschaffenheit, als lebendige und herrschend gewordene Ansicht, geht auf die individuelle Person dessen, den sie ergriffen hat, und betrachtet diese als stehend unter einer be|stimmten Gesetzgebung, als existirend lediglich um einer gewissen Bestimmung willen, und als Mittel für einen höhern Zweck. Der Mensch soll etwas seyn und thun, sein zeitliches Leben soll ein unvergängliches und ewiges Resultat hinterlassen in der Geisterwelt; jedes besondern Individuums Leben | ein besonderes, ihm allein zukommendes und von ihm allein gefordertes Resultat; so sieht der Rechtschaffene alles persönliche Leben der Menschen in der Zeit an, und so besonders dasjenige Leben, welches ihm am nächsten liegt, sein eigenes; und auf eine andere Weise vermag derjenige, in welchem diese Rechtschaffenheit lebendige Idee geworden ist, das menschliche Leben sich nicht zu denken. Von dieser Ansicht geht er aus, auf sie kommt er stets wieder zurück, nach ihr richten sich alle seine übrigen Ansichten. Nur in wiefern er jenem Gesetze gehorcht, und jene Bestimmung, die er für die seinige erkennt, erfüllet, mag er sich selber dulden und tragen; alles in ihm, was nicht auf jenen höhern Zweck ge|richtet ist, und nicht als Mittel für desselben Erreichung einleuchtet, verachtet er, hasset er, wünscht er vernichtet. Er betrachtet seine individuelle Person selbst als einen Gedanken der Gottheit, und so eben, wie die Gottheit ihn gedacht, ist seine Be41 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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stimmung und der Zweck seines Daseyns. Dies ist mit einem Zuge die Idee der Rechtschaffenheit, ob nun der Rechtschaffene sich gerade dieser oder anderer Worte bediene. Zwar läßt sich, wie so eben erinnert worden, der bloßen Rechtschaffenheit, als solcher, nicht mit Sicherheit versprechen, daß sie, im Studiren insbesondere, oder für irgend einen äußern Zweck, den sie sich im Allgemeinen setzt, einen glücklichen Erfolg haben werde; darin aber äußert auch sie die selbstständige und sicher zu ihrem Ziel fortschreitende Kraft der Idee, und mit Sicherheit läßt sich dem Rechtschaffenen versprechen, daß er in der Rechtschaffenheit selber, ihrer Befestigung und ihrer Erhöhung, einen glücklichen Erfolg haben werde. | Er wird im Fortgange auf dem Wege der Rechtlichkeit immer weniger nöthig haben, sich zu ermahnen, und zu ermuntern, und zu kämpfen gegen die wiederkehrende böse Lust, sondern die recht= und gesetzmäßige Denkart und Ansicht wird ihm von selbst kommen, und bei ihm herrschend und zur zweiten Natur werden. Treibe mit Rechtschaffenheit, was du treibst, z. B. dein Studiren, falls du studirst; ob es dir nun mit dem, was du treibst, wie hier mit dem Studiren, gelingen werde, das überlasse Gott; und du überläßest es ihm | gewiß, so gewiß du mit Rechtschaffenheit an das Werk gegangen bist; mit der Erlangung der Rechtschaffenheit selber, und noch oben drein der unerschütterlichen Ruhe, der innern Freudigkeit und eines unbefleckten Gewissens wird es dir unfehlbar gelingen. Wie gesagt, der Rechtschaffene überhaupt betrachtet sein persönliches freies Leben als unabänderlich bestimmt durch den ewigen Gedanken der Gottheit; der s t u d i r e n d e Rechtschaf|fene insbesondere betrachtet sich selbst, als durch diesen Gedanken der Gottheit d a z u bestimmt, daß die göttliche Idee von der Beschaffenheit der Welt ihn ergreife, und in ihm eine bestimmte Klarheit und einen bestimmten Einfluß auf die ihn umgebende Welt erhalte. So faßt er seine Bestimmung auf; denn darin besteht das Wesen des Gelehrten; und so gewiß er mit Rechtschaffenheit, d. h. mit der Voraussetzung, daß die Gottheit mit seinem Leben eine Absicht habe, und daß er alles sein freies Handeln nach dieser Absicht einrichten müsse, an das Studiren gegangen ist, so gewiß hat er vorausgesetzt: es sey der göttliche Wille, daß er ein Gelehrter werde. Es kommt hiebei nicht darauf an, ob wir selbst mit Freiheit und Besonnenheit uns diesen Stand erwählt haben, oder ob andere statt unser ihn gewählt, uns in die Wege der Vorbereitung dazu gebracht, und jeden andern Stand für uns verschlossen haben. Wie könnte jemand in den jugendlichen Jahren, in denen die Wahl | des 42 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Standes gewöhnlich geschieht, und in den meisten Fällen geschehen muß, die Reife und Besonnenheit haben, um selbst zu entscheiden, ob er, der noch nicht versuchte und entwickelte, Fähigkeit zu den Wissenschaften habe? So wie wir zur Besinnung kommen, ist die Wahl des Standes schon gemacht, sie ist gemacht ohne unser Zuthun, weil wir damals nichts dabei zu thun vermochten, jetzt können wir nicht mehr zurück; diese Nothwendigkeit gilt den unabänderlichen Bedingungen, in die unsere Freiheit sich versetzt findet, mithin dem göttlichen Willen an uns, völlig gleich. Wäre in der gemachten Wahl durch andere gefehlt worden, so wäre das nicht unser Fehler; wir können nicht entscheiden, ob gefehlt worden, und dürfen es nicht voraussetzen: | wäre gefehlt VI, 386 worden, so wäre es unsere Sache, den Fehler, so viel an uns liegt, wieder gut zu machen. Auf alle Fälle ist es der göttliche Wille, daß jeder in der Lage, in die die Nothwendigkeit ihn gesetzt hat, alles thue, was in derselben geschehen soll. Wir sind in | die Lage gekommen, zu studiren; [79] es ist daher ganz sicher der göttliche Wille, daß wir uns betrachten als angehende Gelehrte, und als alles dasjenige, was in diesem Begriffe liegt. Dieser Gedanke nun mit seiner unerschütterlichen Gewißheit ergreift und erfüllt die Seele jedes rechtschaffenen Studirenden: – der Gedanke: Ich, wie ich nun heißen mag, diese bestimmte und ausdrücklich bestimmte Person, bin dazu da, und deswegen in das Daseyn gekommen, damit in mir Gottes ewiger Rathschluß über die Welt, von einer andern, bis jetzt völlig verborgenen Seite in der Zeit gedacht werde, und Klarheit gewinne, und in die Welt eingreife, so daß er nie wieder ausgetilgt werden könne; nur diese eine an meine Persönlichkeit geknüpfte Seite des göttlichen Rathschlusses ist das wahrhaft Seyende an mir; alles übrige, was ich mir noch beimesse, ist Traum, Schatten, Nichts: nur sie ist das unvergängliche und ewige an mir, alles übrige wird verschwinden in das Nichts, aus welchem | es nur schein- [80] bar, nie aber nach der Wahrheit, hervorgegangen ist. Dieser Gedanke erfüllt seine ganze Seele; ob er nun selbst deutlich gedacht und ausgesprochen werde, oder nicht – alles andere, was da deutlich gedacht, ausgesprochen, gewünscht, gewollt wird, läßt auf ihn sich zurückführen, als seine höchste Prämisse, läßt nur aus ihm sich erklären, und nur unter seiner Voraussetzung sich als möglich denken. Durch dieses Urprinzip alles seines Denkens wird er sich selber, und wird der Gegenstand seiner Thätigkeit, die Wissenschaft, ihm über alles ehrwürdig und heilig. – Er selber wird sich ehrwürdig und heilig. Nicht etwa, daß er hochmüthig auf die Vorzüglichkeit seiner Bestimmung, 43 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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den göttlichen Rathschluß zum Theil mit zu denken, und ihn einzuführen in die Welt, vor andern unscheinbareren Bestimmungen, ruhe; diese sich betrachtend auseinandersetze; und darum seine | Person für etwas besseres achte, als andere Personen. Erscheint | die eine Art der menschlichen Bestimmung uns vorzüglicher, als eine andere, so ist das nicht deswegen, weil die Erhabenheit der Individuen, sondern darum, weil die Erhabenheit der göttlichen Idee in der ersten klärer heraustritt. Der Mensch hat gar keinen eigenen Werth, außer dem, daß er mit Treue seine Bestimmung, von welcher Art dieselbe seyn möge, erfülle; und hier können, ganz unabhängig von der Art der Bestimmungen, alle einander gleich kommen. Ueber dieses weiß ja der angehende Gelehrte noch nicht, ob er den eigentlichen Zweck seines Studirens, den Besitz der Idee, erreichen werde, sonach, ob jene erhabene Bestimmung die seinige sey; sondern er ist nur verbunden, die Möglichkeit davon vorauszusetzen. Zwar kann der vollendete Gelehrte, von dem wir hier zunächst nicht reden, nachdem er den Erfolg in der Hand hat, seine Bestimmung faktisch erkennen; aber auch für ihn dauern die Anforderungen der von ihm ergriffenen | Idee, auf Ausführbarkeit und Ausführung fort, und sie werden fortdauern bis an das Ende seines Lebens, und so wird er nie Zeit erhalten, über die Vorzüglichkeit seiner Bestimmung Betrachtungen anzustellen, wenn auch nicht schon an sich dergleichen Betrachtungen nichtig wären. Aller Hochmuth gründet sich auf das, was man zu seyn glaubt, – zu seyn, im ruhenden und vollendeten Seyn, und der Hochmuth ist eben darum in sich selbst nichtig, und widersprechend; denn gerade dasjenige, was man i s t , und wobei das ewige Werden anhält, ist man wahrhaftig – nicht. Unser wahrhaftiges und unmittelbares Seyn in der göttlichen Idee kommt unablässig vor als Anforderung eines Werdens, demnach als Mißbilligung unsers jedesmaligen stehenden Seyns; und so macht die Idee uns wahrhaft bescheiden, und beugt vor ihrer Majestät uns nieder in den Staub. Der Hochmüthige beweiset durch den Hochmuth selbst, daß er der Demuth mehr, denn irgend ein anderer bedürfte, denn indem er | etwas zu seyn glaubt, zeigt er dadurch, daß er wahrhaftig gar nichts ist. Der Studirende daher wird durch den aufgestellten Gedanken sich selber heilig und über alles ehrwürdig, nicht in Rük|sicht dessen, was er ist, sondern in Rüksicht dessen, was er werden soll, und immerfort sollen wird. Das eigentliche sich selbst Wegwerfen des Menschen besteht darin, wenn er sich zum Mittel macht für ein Zeitliches und Vergängliches, und Sorge und Mühe an etwas Anderes zu wenden wür-
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digt, als an das Unvergängliche und Ewige. In dieser Rüksicht soll jeder sich selber ehrwürdig und heilig seyn, und so auch der Studirende. Zu welchem Zwecke denn, o studirender Jüngling, wendest du diesen Fleiß, welcher, so groß oder gering er sey, doch immer einige Mühe kostet, auf die Wissenschaften? strengest du deine Aufmerksamkeit an, wenn du weit lieber deine Gedanken herumschweifen ließest, versagst dir so manchen Genuß, wozu dir die | Lust gar nicht fehlt? Antwortest du: damit ich nicht einst darben müsse; damit ich eine gute Versorgung, ein gemächliches Auskommen erhalte, wovon ich mir gütlich thun könne; damit meine Mitbürger mich ehren, und ich leichter sie zur Erfüllung meiner Wünsche zu bewegen vermöge: – Ich frage, wer ist denn dieser Du, für dessen einstige Pflege und Wohlseyn du dich so lebhaft interressirest, und für denselben dich schon jetzt abarbeitest und aufopferst? Es ist noch sehr ungewiß, ob es je zu der gehofften Pflege kommen wird; gesetzt aber, es käme dazu, und du pflegtest dieses Du eine gute Reihe von Jahren hindurch; was wird zuletzt das Ende seyn von dem allen? Alle Pflege wird ein Ende haben, und der gepflegte Körper hinsinken, und sich in einen Aschenhaufen verwandeln. Und dafür willst du das einförmige, stets in derselben Gestalt wiederkehrende und oft verdrießliche Geschäft des Lebens beginnen, und dir es noch mit Bedacht, über die Last, die es schon an | sich bei sich hat, beschwerlich machen? Ich wenigstens finge unter dieser Bedingung den Roman gleich bei dem Ende an, und ginge noch heute in mein Grab, in welches ich über kurz oder lang doch gehen muß. – Oder antwortest du, mit löblicherem Anscheine, nur nicht gründlicher, also: Ich will meinen Nebenmenschen nützlich werden, und ihr Wohlseyn befördern; so frage ich: Wozu wird denn nun wieder deine Nützlichkeit nützen? Nach einer Reihe von Jahren wird von allen, denen du nützen willst, | und wie ich dir das freiwillig zugebe, nützen wirst, kein einziger mehr da seyn, noch den mindesten weitern Nutzen von deiner Nützlichkeit ziehen. Du hast deine Mühe an das Vergängliche gewendet; sie vergehet und du vergehest mit ihr, und es kommt eine Zeit, wo jede Spur deines Daseyns ausgetilgt seyn wird. – So nicht der würdig Studirende, wenn er auch nur mit dem Princip der Rechtschaffenheit an sein Geschäft gegangen ist. Ich bin, sagt er zu sich; aber so ge|wiß ich bin, bin ich da durch einen Gedanken der Gottheit, denn nur sie ist die Quelle des Daseyns, und außer ihr ist kein Daseyn. Was ich durch und in diesem Gedanken bin, das bin ich vor aller Zeit und bleibe es unabhängig von aller Zeit, und dem Wechsel derselben. Dies zu erkennen, will ich streben; an dessen Herausarbei45 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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tung will ich meine ganze Kraft wenden; dann ist sie an das Ewige verwendet, und ihr Resultat bleibt am Ewigen. Ich bin ewig, und es ist unter der Würde des Ewigen, daß es sich selbst an die Vergänglichkeit verschwende. Bey demselben Princip wird dem Studirenden auch der Gegenstand seiner Thätigkeit, die Wissenschaft, ehrwürdig. Es kommt dem angehenden Gelehrten bei seinem Eintritte in das Gebiet der Wissenschaften so manches entgegen, was ihm als sonderbar und willkührlich, als geringfügig, als unscheinbar sich darstellt; den Grund seiner Nothwendigkeit, seinen Einfluß auf das gesammte Gebiet der Wissenschaf| ten, welches er selbst noch nicht überschaut, vermag er nicht zu begreifen. Was wäre es überhaupt, das der Anfänger, der erst nur die Theile des Ganzen zusammensetzen soll, aus dem Ganzen, das er noch nicht hat, sich zu erklären vermöchte? Indem hiebei der Eine das ihm unbegreifliche vernachläßigt, und verachtet, und so unwissend bleibt; ein Anderer auf blinden Glauben, und in der Hoffnung, daß es schon zu irgend einem Geschäft im Leben nützlich seyn werde, es mechanisch lernt: fasset der Rechtschaffene, würdig und edel, es auf in der allgemeinen Idee, die er von der Wissenschaft hat. Was ihm auch vorkomme, in jedem Falle gehört es zum Umfange desjenigen, von welchem aus die göttliche Idee ihn zu ergreifen | bestimmt ist, und zu dem Stoffe, in welchem das Ewige in ihm sich herausbilden und eine Gestalt gewinnen soll. Erscheint demjenigen, dem es an beiden, an Talent, wie an Rechtschaffenheit gebricht, die Wissenschaft als bloßes Mittel, gewisse irrdische Zwecke | zu erreichen; so erscheint sie demjenigen, der auch nur mit rechtschaffenem Herzen sich ihr weihte, nicht nur in ihren höchsten und das Göttliche unmittelbar berührenden Zweigen, sondern herunter, bis auf die unscheinbarsten Vorbereitungskenntnisse, als etwas in der ewigen Idee der Gottheit selbst gedachtes und beschlossenes, und ausdrücklich für ihn und in Beziehung auf ihn gedachtes, damit sie dadurch ihr Werk an ihm, und vermittelst seiner in dem ganzen ewigen Weltsysteme, vollende. Und so heiliget sich ihm denn immer mehr seine Person durch die Heiligkeit der Wissenschaft, und wiederum die Wissenschaft durch die Heiligkeit seiner Person. Sein ganzes Leben, so unbedeutend es auch äußerlich erscheine, hat innerlich einen ganz andern Sinn, und eine neue Bedeutung erhalten. Was aus diesem seinen Leben auch erfolgen, oder nicht erfolgen möge, immer ist es ein göttliches Leben. Und um dieses Lebens theilhaftig zu werden, bedarf es weder beim Stu|direnden, noch bei irgend einem menschlichen Geschäfte besonderer 46 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Talente, sondern nur des lebendigen guten Willens, welchem Willen der Gedanke unsrer höheren Bestimmung und unsrer Unterordnung unter ein ewiges Gesetz, sammt allem, was daraus folgt, schon von selbst aufgehen wird.
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| Fünfte Vorlesung. Wie die Rechtschaffenheit des Studirenden sich äußere.
Die Vorlesungen, welche ich hierdurch wiederum eröffne, haben unter mancherlei ungünstigen Nebenumständen begonnen. Zuförderst, ich mußte meinen Gegenstand aus einem Standpunkte fassen, dessen Höhe zu erschwingen wohl nicht jeder Studirende vorbereitet gewesen seyn dürfte. Ein neu angestellter Lehrer an einer Universität kann nicht füglich das Maaß der im öffentlichen Umlauf befindlichen wissenschaftlichen Bildung kennen; auch ist es natürlich, daß man voraussetzt, die längst vor uns notorisch vorhanden gewesenen Mittel einer [91] solchen Bildung seyen gebraucht worden. Aber | hätte ich auch wissen und voraussetzen können, daß das Publikum im Ganzen zu einer solchen Ansicht nicht hinlänglich vorbereitet sey, ich hätte dennoch meinen Gegenstand nicht anders fassen können, als ich ihn gefaßt habe, oder ich hätte ihn gar nicht berühren müssen. Auf der Oberfläche verweilen, und das schon hundertmal Gesagte nur in einer andern Form wiederholen soll man nicht: wer nichts anderes kann, der thut besser, wenn er ganz schweigt; wer es aber anders kann, der hält es nicht aus, es auf jener Weise zu thun. – Ferner, es mußten die einzelnen Theile dessen, was an sich doch ein systematisches Ganzes ist, durch Zwischenräume von Wochen unterbrochen werden; – und auch für diese Vorlesungen noch ausdrücklich zu erinnern, was ich im Allgemeinen für jeden philosophischen Unterricht vorgeschlagen hatte, daß man das Vorgetragene in seinem Zusammenhange wiederholen, und vor der neuen Vorlesung sich wieder in das Ganze, und in den Geist des[92] selben hineinversetzen solle, | verbot mir der Anstand. Endlich ist der Vortrag in diesen Vorlesungen nicht, wie in meinen übrigen, ganz frei, VI, 392 und sich herablassend zur Vertraulichkeit des Gesprächstones, | sondern er ist wirklich ausgearbeitet, und wird gehalten also wie er nieder geschrieben ist. Auch dies hielt ich der Wohlanständigkeit gemäß, ich wollte diesen Vorträgen auch alle die äußere Bildung geben, welche die von meinen andern Arbeiten übrige, und auf diese zu wendende Zeit verstattete. Oeffentliche Vorträge sind freie Gaben eines akademischen 48 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Über das Wesen des Gelehrten
Lehrers; und zum Geschenke giebt der nicht unedle gern das Beste, was er zu geben vermag. Die beiden zuletzt erwähnten Umstände lassen sich nicht aufheben, und es bleibt Ihnen nichts übrig, als sie aus ungünstigen in für Sie günstige zu verwandeln. Der erste ist für diejenigen, welche meine Privat=Vorlesungen besuchen, durch die letzten Lehrstücke derselben, über den Unterschied der philosophischen Ansicht von der historischen, gehoben: und ich halte | dafür, daß diese Lehrstücke Sie zum Fassen derjenigen Ansicht, welche wir hier von unserm Gegenstande nehmen, sattsam vorbereitet haben. Ich will heute zuvörderst das hier behandelte Ganze in die Form, welche Sie dort haben kennen lernen, aufnehmen, es in dieser Form vorzeigen und von ihr aus wiederholen. Was es auch irgend sey, das der Mensch seiner Betrachtung unterwerfe, so kann es betrachtet werden auf eine doppelte Weise, und gleichsam mit einem doppelten Sinnenorgan: entweder historisch, durch die bloße innere Betastung, oder philosophisch, durch das innere Auge; und auf dieselbe doppelte Weise läßt sich auch derjenige Gegenstand, welchen wir hier untersuchen, d a s W e s e n d e s G e l e h r t e n , auffassen. Die historische Ansicht fasset die vorhandenen Meinungen über den Gegenstand auf, versucht unter ihnen die allgemeinste und herrschendste auszulesen, stellt diese hin als Wahrheit, erhält aber nichts wahres, sondern lauter Wahn. Die philosophische erfasset die | Dinge, so wie sie an sich sind, d. i. in der Welt des reinen Gedankens, welcher Welt Urprinzip Gott ist; demnach also, wie Gott sie denken müßte, falls ihm ein Denken beizulegen wäre. Welches ist das Wesen des Gelehrten, als eine philosophische Frage, bedeutet daher folgendes: wie müßte Gott das Wesen des Gelehrten denken, | falls er dächte. In diesem Geiste haben wir die aufgestellte Frage genommen, und in diesem Geiste sie folgendermaßen beantwortet. Zuvörderst; Gott hat die Welt überhaupt gedacht, nicht nur wie sie ist, und sich findet, sondern auch also, wie sie sich durch sich selbst weiter gestalten soll; außer dem, was sie ist, liegt in dem göttlichen Gedanken von ihr noch das Prinzip einer ewigen Fortentwiklung, und zwar einer Fortentwiklung aus dem höchsten, was in derselben sich findet, aus den vernünftigen Wesen in ihr, vermittelst derselben Freiheit. Sollen nun diese vernünftigen Wesen jenen göttlichen Gedanken von der Welt, wie sie werden soll, durch ihre freie That rea|lisiren, so müssen sie vor allem voraus ihn selbst fassen und erkennen. Auch dieses Fassen und Erkennen jenes ersten göttlichen Grundgedankens vermögen sie nicht, ausser zufolge eines zweiten göttlichen Gedankens, daß sie, 49 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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eben diese, denen es verliehen wird, jenen Gedanken fassen sollen. Diejenigen nun, welche in dem göttlichen die Welt erschaffenden Gedanken also gedacht sind, daß sie jenen ersten göttlichen Grundgedanken, zum Theil, fassen sollen, sind in ihm als Gelehrte gedacht; und umgekehrt, Gelehrte sind möglich, und sie sind, wo sie sind, wirklich nur durch den göttlichen Gedanken; und sie sind in dem göttlichen Gedanken solche, welche Gott seinen Grundgedanken von der Welt zum Theil n a c h d e n k e n ; Gelehrte insbesondere, in wiefern sie durch die in jedem Zeitalter, auch nicht ohne den göttlichen Gedanken, vorhandenen Mittel der höchsten geistigen Bildung, zu jenem Denken sich erhoben haben. Jener göttliche Gedanke von dem Men|schen, als einem Gelehrten, [96] muß nun selbst den Menschen ergreifen, und seine innige Seele, das wahre eigentliche Leben in seinem Leben werden. Dies kann geschehen auf zweierlei Art und Weise, entweder unmittelbar, oder mittelbar. Ergreift jener Gedanke den Menschen unmittelbar, so gestaltet er sich in ihm durchaus durch sich selber, ohne alles andere Zuthun, zu einer solchen Erkenntniß des göttlichen Weltplans heraus, wie sie in diesem Individuum heraustreten kann; alles sein Denken und Treiben geht von VI, 394 selber auf dem geradesten Wege fort zu die|sem Ziele; was er auf diesem Boden thut, ist gut und recht, und ohne Fehl, denn es ist selbst unmittelbar göttliche That. Diese Erscheinung nennen wir Genie. Nun läßt es sich im einzelnen Falle nie entscheiden, ob ein Individuum unter diesem unmittelbaren Einflusse des göttlichen Gedankens stehe, oder nicht stehe. Oder der zweite, und allgemein anwendbare Fall; der göttliche Ge[97] danke von dem | Individuum als Gelehrten, ergreift den Menschen und begeistert und belebet ihn nur mittelbar. Er findet sich durch seine Lage, die er als, ohne sein Zuthun bestimmt, für den Gedanken der Gottheit anerkennen muß, in der Nothwendigkeit zu studiren. Er ergreift diese Bestimmung – eben vermittelst des Denkens, daß sie der göttliche Gedanke von ihm und über ihn sey, mit Rechtschaffenheit; denn also nennt man das Denken, daß Gott eine Absicht mit unserm Daseyn habe. Durch dieses Umfassen seiner Bestimmung, nicht, daß sie eben überhaupt also sey, sondern daß sie also sey allein und lediglich durch den göttlichen Gedanken, wird ihm sowohl seine Person, als sein Geschäft die Wissenschaft, über alles ehrwürdig, und heilig. Der letzte Gedanke war es, den wir in der vorigen Vorlesung auseinander setzten, und aus welchem wir heute weiter zu folgern gedenken. Dieser Gedanke der Göttlichkeit und Heiligkeit seiner Bestimmung 50 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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ist die Seele seines | Lebens, der Trieb, der alles hervortreibt, was aus ihm hervorgeht, der Aether, in welchen alles sich taucht, was ihn umgiebt. Seine Aeußerungen und Erscheinungen in der Sinnenwelt werden denn ohne weiteres jenem Gedanken gemäß. Er will nicht mit ihm übereinstimmend handeln, ermahnet, treibet, nöthiget sich nicht zu einem solchen Handeln, sondern er kann gar nicht anders handeln; sollte er ihm widerstreitend handeln, so würde er dazu sich ermahnen, treiben und nöthigen müssen, und es würde ihm doch nicht gelingen. Fassen Sie dieses fest in Ihre Seele, hier beim Uebergange von der Idee eines rechtschaffenen Studirenden zu seiner äußern Erscheinung. Unsere Sittenlehre, falls es Sitten|lehre ist, was wir hier vortragen, – unsere Sittenlehre befiehlt nicht: eben so, wie alle Philosophie, hält auch sie sich innerhalb der Gesetzmäßigkeit und Nothwendigkeit, und beschreibet bloß, was da folgt und was nicht folgt. Könnte diese Sittenlehre einen Wunsch nach außen sich er|lauben, und einen Erfolg hoffen, so wäre es nur der, die Quelle des Guten aus dem troknen und harten Felsen heraus zu schlagen, welche sodann von selber fortströmen würde, in ihrer ursprünglichen Reinigkeit; die Säfte des Stammes innerlich zu verbessern; – keinesweges aber durch eitle Künste ihm fremde Früchte anzuheften, welche aus diesem Holze nicht wachsen können. Ich werde darum vieles, das hieher zu gehören scheinen könnte, gar nicht berühren, ich werde von manchem, das ich berühre, mit einer unerwarteten Milde sprechen; keinesweges, als ob ich nicht wüßte, daß eben dasselbe auch andere Ansichten leidet, und daß in diesen Ansichten härter davon gesprochen werden muß, sondern weil ich hier das Wirkliche nur an die Heiligkeit des Ideals halten will, das in gewisse Tiefen des Verfalls gar nicht herunter gezogen werden muß. Mag äußerer Sittenmeister seyn, wer da will; wir wollen hier mit der Gemeinheit, für welche äußere Antriebe auch Antriebe sind, gar nicht in Berührung treten. | Die Auffassung seiner Bestimmung als eines göttlichen Gedankens, mache dem Studirenden seine eigne Person heilig und ehrwürdig, haben wir zuvörderst gesagt. Diese Ansicht seiner Person wird in seinem äußerlichen Leben sich zeigen ganz von selber, und ohne daß er es zu wollen, oder daran zu denken braucht: in heiliger Unschuld und Unbefangenheit, ohne daß er es selbst so eigentlich weiß, indem ein anderes Leben gar nicht in seinen Gesichtskreis fällt. Um sein Leben mit einem Zuge zu beschreiben: e s f l i e h t d i e B e r ü h r u n g m i t d e m G e m e i n e n u n d U n e d l e n . Wo dieses an ihn trifft, treibt es ihn zurück: so wie jene bekannte zarte Pflanze 51 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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vor der Berührung des Fingers sich zurück zieht. Wo es gemein und unedel hergeht, da findet ihr ihn nicht: es hat ihn zurück getrieben, ehe es ihm recht nahe kam. | Was ist gemein und unedel? – So fragt nicht Er; ihn lehrt es unmittelbar in jedem einzelnen Falle sein innerer Sinn.Wir nur | fragen so, um sein schönes Leben zu beschreiben und an dem Bilde desselben uns zu ergötzen. Gemein und unedel ist, was die Phantasie herunterzieht, und den Geschmack für das Heilige abstumpft. Sage mir, worauf deine Gedanken, wenn du nicht mehr mit straffer Hand sie nach einem Ziele hinrichtest, sondern ihnen zur Erholung erlaubst, frei zu schweifen, – worauf sie sodann fallen, wohin sie von selbst, als in ihre geliebteste Heimath kehren, woran du dich in der innersten Tiefe deines Gemüths ergötzest, wenn du dich ergötzen willst; und ich will dir sagen, was für einen Geschmack du hast. Fallen sie auf das Göttliche, und auf alles dasjenige in der Natur, und in der Kunst, worin dieses Göttliche in seiner imposanten Majestät am unmittelbarsten sich ausdrückt, so ist dir das Göttliche nicht furchtbar, sondern befreundet, du hast an ihm Geschmack, und es ist dein liebster Genuß. Fliehen sie, gesetzt auch, du hättest bis jetzt mit Kraft ihre Richtung auf ein ernsthaftes Ziel durchgesetzt, | los gebunden, wieder zum Brüten auf sinnlichen Ergötzungen, und zum Spiele mit ihnen, so hast du nur am Gemeinen Geschmack, und du mußt die Thierheit einladen in die innerste Tiefe deines Gemüths, wenn es dir in demselben recht wohl seyn soll. Nicht so der edle studirende Jüngling. Seine durch Fleiß und Anstrengung ermatteten Gedanken, kehren, so wie sie entlassen werden, zum Heiligen, Großen, Erhabenen zurück, um in ihm auszuruhen, an ihm sich zu erneuern, und zu neuen Anstrengungen sich wieder zu gebären. In der Natur, so wie in den Künsten, in der Poesie, der Musik, sucht er für sich das Erhabene heraus, und das im großen und imposanten Style; in der Poesie z. B. und in den Redekünsten, die erhabenen Stimmen der Vorwelt, und von den Neuern nur dasjenige, was in dem Geiste der Alten empfangen und geboren ist. Ideenlose Spiele, in denen die Form der Künste mißbraucht wird, um nichts auszudrucken; oder wohl gar Produkte, deren Ef|fekt auf die thierische Sinnlichkeit der Menschen berechnet ist, und die dadurch zu gefallen streben, daß | sie diese aufregen und erwecken, kommen an ihn nicht. Er braucht nicht erst zu bedenken, wie schädlich sie ihm werden können; sie gefallen ihm nur eben nicht, und er kann ihnen keinen Geschmack abgewinnen. Wohl mag des gereiften Alters Gedanke auf dem verkehrten aus52 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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ruhen, um dasselbe in der Evidenz seiner Verkehrtheit zu erblicken, und zu belachen. Er ist gegen die Ansteckung davon befestigt. So nicht der zartere Jüngling; darum treibt eine geheime Stimme ihn ganz davon zurück. Der reife Mann, der nicht mehr bloß sein Ideal bilden, sondern dasselbe einführen soll in die wirkliche Welt, bekommt es mit der Verkehrtheit zu thun, und muß dieselbe in ihren geheimsten Falten, Krümmungen und Wendungen kennen; aber er kann dies nicht, ohne sie zu betrachten. Auch ermattet und stumpft sich ab der Haß gegen das Gemeine durch die Zeit, und die Erfahrung, daß | der Thorheit in der Welt doch nie weniger werde, und daß fast der einzige sichere Vortheil, den man von ihr ziehen kann, der ist, über sie zu lachen. So kann der Jüngling das Leben nicht betrachten, und so soll er es nicht betrachten. Jedes Alter des Lebens hat seine Bestimmung. Gutmüthiges Belächeln des Gemeinen ist die Sache des gereiften Mannes; die Sache des Jünglings ist ernsthafter Haß desselben: und keiner wird dahin kommen, es wahrhaft frei, und rein bleibend zu betrachten, und zu belächeln, der nicht damit angehoben hat, es zu fliehen und zu hassen. Für das jugendliche Alter ist der Scherz nicht gemacht, und es sind schlechte Menschenkenner, welche dieses glauben; wo die Jugend schon im Spiele zerfließt, da wird es nie zum Ernste und nie zum wirklichen Daseyn kommen. Der Antheil des Jünglings am Leben ist der Ernst und das Erhabene; dem reifern Alter erst nach einer solchen Jugend geht das Schöne auf, und mit demselben der Scherz mit dem Gemeinen. | Gemein und unedel ist ferner, was die Kraft des Geistes schwächt. Ich will den Müßiggang nennen; die Trunkenheit zu nennen, oder die Wollust, ist unter der Würde dieser Betrachtungen. – So da zu stehen, oder zu sitzen, ohne irgend etwas zu treiben; dumpf und gedankenlos den Raum um uns | herum anzustaunen, macht auch auf die Zukunft den Menschen dumpf. Jener Hang zum Nichtexistiren, zum geistigen Todseyn, wird Gewohnheit, und wird andere Natur. Er überfällt uns im Arbeiten, oder im Zuhören, macht eine Lücke von Nichts in das zusammenhängende Ganze, tritt zwischen ein zwischen zwei Begriffe, die wir verknüpfen sollen; und nun vermögen wir nicht das allerleichteste und allerbegreiflichste zu begreifen. Wie dieser Zustand das jugendliche Alter betreffen könne, kann so gar demjenigen, der alles durchdringt, und versteht, unverständlich bleiben; und es dürfte in den meisten Fällen nicht täuschen, wenn man noch auf andere verborgene Gebrechen, als den Grund | davon schlösse. Die Jugend ist das Alter der sich erst entwickelnden Kraft; allenthalben sind noch Triebe und Prinzipe übrig, die 53 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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in neuen Schöpfungen aufzugehen bestimmt sind: der Jugend eigentlicher Charakter ist rastlose nie unterbrochene Thätigkeit; natürlich und sich selbst überlassen kann sie nie ohne Beschäftigung seyn. Sie träge zu erblicken ist der Anblick des Winters mitten im Frühlinge, der Anblick des Erstarrens und Verwelkens der so eben erst aufgekeimten Pflanze. Wäre es natürlicher Weise möglich, daß diese Trägheit den rechtschaffenen, außerdem schuldlosen studirenden Jüngling befiele, so würde er sie durchaus nicht an sich dulden. Auf seine Geisteskraft ist in dem ewigen Gedanken der Gottheit gerechnet, sie ist darum sein theuerstes Kleinod, und er wird deswegen sie nicht noch vor ihrer Anwendung erstarren lassen. Er wacht unaufhörlich über sich selbst, und leidet es nicht, daß er unbeschäftigt sey. Nur einen kurzen Zeitraum [107] dieser Anstrengung bedarf es, und es geht wei|terhin alles von selbst; denn zum höchsten Glücke gewöhnt man sich eben so, und noch leichter, weil sie natürlicher ist, an die Thätigkeit, als an den Unfleiß; und nach einer in anhaltender Beschäftigung zugebrachten Periode, vermag man fernerhin nicht ohne Geschäftigkeit zu leben. Unedel und gemein ist endlich dasjenige, was den Menschen der Achtung für sich selber, des Glaubens an sich selbst, und des VerVI, 399 mögens, zuverläßig auf sich selbst und seine |Vorsätze zu rechnen, beraubt. Nichts ist zerstörender für den Charakter, als wenn man selbst seinen eignen Vorsätzen nicht mehr glauben kann, weil man sich so oft vorgenommen hat, und immer wieder vorgenommen hat, was man doch niemals vollführet. Dann geräth der Mensch in die Nothwendigkeit, sich selbst zu entfliehen, und niemals einzukehren in sein Inneres, weil er sich vor demselben schämen müßte, vor keiner Gesellschaft sich [108] mehr zu hüten, als vor seiner eigenen, und recht vorsätz|lich sich in Zerstreuung und Selbstentfremdung hineinzuwerfen. So nicht der edle studirende Jüngling; er hält sich immer Wort, und was er sich aufgegeben hat, das führet er sicher aus, sey es auch nur deswegen, weil er es sich aufgegeben hat. – Aus demselben Grunde, weil der eigne Vorsatz, und die eigne Einsicht ihn leiten soll, giebt er sich nicht hin zum Sklaven anderer, oder auch der gemeinen Meinung. Es ist ohne Zweifel das allerunedelste, wenn der Mensch aus zu großer Gefälligkeit, welche im Grunde Feigheit, und Muthlosigkeit ist, oder aus Trägheit, sich selber zu rathen, und bei sich selber die Maximen seines Verhaltens einzuholen, sie sich von andern geben läßt, und diesen mehr glaubt, denn sich selber. Ein solcher hat gar kein Selbst in sich, und glaubt an kein Selbst in ihm selber, sondern er geht flehend bei andern herum, und bittet sie, einen nach dem andern, ihm das ihrige zu leihen. Wie könnte 54 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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ein solcher sich für ehrwürdig und heilig halten, da er sich nicht einmal kennt, noch anerkennt? |Der rechtschaffene Studirende macht sich nicht zum Sklaven der [109] gemeinen Meynung, habe ich gesagt; demohnerachtet aber fügt er sich der hergebrachten äußern Sitte, wo dieselbe indifferent ist, eben darum, weil er sich selber ehrt. In diese Sitte wächst ja der Jüngling von Erziehung von selbst hinein: sollte er sich davon entfernen, so müßte er sich es zuerst vornehmen, und durch Sonderbarkeiten und Auffallenheiten sich auszeichnen und bemerkbar machen wollen. Wo sollte er, dessen Zeit durch wichtigere Dinge in Beschlag genommen ist, auch nur die Zeit hernehmen, um über solche Gegenstände nachzudenken; und ist denn die Sache so wichtig, und giebt | es denn gar nichts ande- VI, 400 res, wodurch er sich auszeichnen könne, daß er zu solchen Dingen seine Zuflucht nehmen müsse? Nein, denkt der edle studirende Jüngling, ich bin dazu da, um wohl in schwerere Dinge mich zu finden, als die äußere Sitte ist, und es soll nicht aussehen, als ob ich zu ungeschickt sey, um in diese mich zu finden. Um | einer solchen Gering- [110] fügigkeit willen will ich mich, und meinen ganzen Stand von Lieblosen nicht verachten und hassen, von Bessergesinnten nicht gutmüthig belächeln lassen; meine Mitbürger anderer Stände, und des gleichen Standes, meine Lehrer, meine Vorgesetzte, sollen mich als Menschen, in jedem menschlichen Verhältnisse, ehren, und respektiren können. Und auf diese Weise fließet denn in jeglicher Rücksicht das Leben des studirenden Jünglings, welcher sich selbst achtet, unbescholten und liebenswürdig dahin.
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| Sechste Vorlesung. Ueber die akademische Freiheit.
Wir wurden am Schlusse der vorigen Vorlesung in der Betrachtung eines Studirenden, dem durch die Ansicht seiner Bestimmung als eines göttlichen Gedankens seine eigene Person heilig geworden, auf die äußere Sitte desselben geführt. Es hängt mit diesem Gegenstande zusammen ein häufig vorkommender, selten aber gehörig durchdachter Begriff; der Begriff von akademischer Freiheit der Studirenden. Zwar liegt sehr vieles von dem, was man bei Erörterung dieses Begriffes zu sagen hätte, unter der Würde dieser Betrachtungen, und erst im Fortgange werden wir ein Mittel finden, ihn auf unsern Standpunkt zu erheben. VI, 401 Ich kann daher nicht nur gern | verstat|ten, sondern ich muß sogar [112] bitten, die Erörterung dieses Begriffs, die ich heute zu vollziehen gedenke, für eine bloße Episode in dem Ganzen, welches ich hier vortrage, aufzunehmen. Einen Gegenstand jedoch, auf den man bei einer Betrachtung über das sittliche Verhalten Studirender beinahe unwillkührlich getrieben wird, ganz zu übergehen, hielt ich um so weniger für zweckmäßig, da man gewöhnlich die Berührung desselben scheut, und daran ganz wohl thut, indem diese so leicht in Polemik, oder in Satyre ausarten kann, vor welchen beiden wohl der in diesen Vorlesungen angegebene Ton uns sichern wird. Also, was ist a k a d e m i s c h e F r e i h e i t : die Beantwortung dieser Frage ist unsre heutige Aufgabe. – So wie jeder Gegenstand aus einem doppelten Standpunkte angesehen werden kann, theils historisch, theils philosophisch, so kann es auch der unsrer dermaligen Untersuchung. Faßen wir ihn zuerst aus dem historischen Standpunkte, d. h. [113] untersuchen | wir, was diejenigen, die zuerst eine akademische Freiheit verstattet und eingeführt haben, dabei sich gedacht haben mögen. Akademien sind von jeher gedacht worden als höhere Schulen, im Gegensatze mit den niedern, vorbereitenden Schulen, oder den eigentlich sogenannten Schulen; und so der Studirende auf der Akademie im Gegensatze mit dem Schüler. Die Freiheit des ersten konnte daher nur gedacht werden, als Befreiung von einem Zwange, unter welchem der 56 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Über das Wesen des Gelehrten
letztere stand. Der Schüler z. B. mußte in einer bestimmten Kleidung, welche jenen Zeitaltern die Würde des künftigen Gelehrten bezeichnete, in die Klasse kommen, er durfte seine Lehrstunden nicht versäumen, er mußte noch manche andere Pflichten, die jenen Zeitaltern für eine Art von stellvertretendem Gottesdienste der angehenden Geistlichen, zu denen in der Regel der Studirende sich bestimmte, galten, übernehmen, z. B. das Chorsingen. In allen diesen Rücksichten wurde strenge und ununterbrochene Auf|sicht über ihn gehalten, und der Uebertretende sehr oft auf eine unedle Weise gestraft; und zwar waren die Aufseher und Richter die Lehrer selbst. Indeß entstanden Universitäten; und die übrige, ungelehrte Welt dürfte sehr geneigt | gewesen seyn, dieselben unter eben die Verfassung zu bringen, welche sie an gelehrten Bildungsanstalten allein kannte, und an den Schulen vor sich sahe. Dennoch erfolgte es nicht also, und es war unmöglich, daß es also erfolgen konnte. Die Stifter der ersten Universitäten waren Gelehrte von ausgezeichnetem Talente und Kraft, mit welcher sie durch die finstern Umgebungen ihres Zeitalters sich zu den Einsichten hindurch gearbeitet hatten, die sie besaßen; sie waren von ihrer Wissenschaft ergriffen, und lebten in derselben; sie waren mit einem glänzenden Ruhm umgeben, und wurden in den Zirkeln der Großen geachtet, verehrt, wie Orakel befragt. Sie konnten keinesweges geneigt seyn, sich zu dem Geschäfte eines Aufsehers, und Pädagogen ihrer Zuhörer | herunter zu lassen. Es kam dazu, daß sie die Lehrer an den niedern Schulen, aus deren Klasse sie selbst durch ihre eigene Kraft sich empor geschwungen hatten, in einem hohen Grade verachteten, und schon deswegen dasjenige nicht treiben, und darin nicht glänzen mochten, worin jene glänzten. Ihr Ruf versammelte hunderte und tausende aus allen Ländern Europas um sie herum, und zog sie in ihre Hörsäle; durch die Menge ihrer Zuhörer wuchs abermals ihr Ansehen, zugleich auch ihre Einkünfte, und sie konnten nicht geneigt seyn, auf irgend eine Weise denen, die ihnen dieses alles verschafften, beschwerlich zu fallen. Ueberdies, wie konnten junge Männer, welche sie nur im Vorbeifluge, unter hunderten ihres gleichen, kennen lernten, und welche nach einem halben oder ganzen, oder einigen Jahren wieder in ihr entlegenes Vaterland zurückkehrten, sie näher interessiren, und ihnen am Herzen liegen. Weder ihre Sittlichkeit, noch ihr Fortschritt in den Wissenschaften verschlug ihnen et|was; und damals war die Erfindung eines bekannten lateinischen Sprichworts, das vom Geld nehmen, und ins Vaterland schicken redet, sehr natürlich. Die akademische Freiheit, als Befreiung vom Schulzwange und von aller Aufsicht der Lehrer über 57 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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die Sittlichkeit, den Fleiß und die wissenschaftlichen Fortschritte der Studirenden, welche für diese Lehrer bloß und lediglich Zuhörer wurden, war entstanden. Dies ist die eine Seite der Ansicht. Es läßt sich erklä|ren, und unter der Voraussetzung eines nicht sehr hohen Grades von Sittlichkeit, natürlich finden, daß diese Stifter der ersten Universitäten also dachten, und daß ein Theil dieser Denkart durch sie seit dem vergangenen Jahrhunderte bis auf uns herabgekommen ist. Gehen wir aber jetzt an die andere Seite der Ansicht. Was wäre denn an den Studirenden, die sich unter einem solchen Begriffe von akademischer Freiheit ihrer Lehrer befaßt gewußt hatten, natürlich gewesen und vernünftig? Etwa, | daß sie sich durch diese Gleichgültigkeit ihrer Lehrer für ihre sittliche Würde und für ihre wissenschaftliche Vervollkommnung noch höchlich geehrt gefunden hätten, und daß sie diese Gleichgültigkeit als ein heiliges Recht gefordert hätten? Ich sollte es nicht glauben; denn diese Gleichgültigkeit ist Verachtung und Geringschätzung der Studirenden, und es ist beleidigend, ihnen durch sein Verfahren unter das Gesicht zu sagen: es ist mir gleichgültig, was aus euch wird oder nicht wird. Wäre etwa das natürlich gewesen, daß sie aus der Unbesorgtheit anderer um ihre Sittlichkeit, und die Regelmäßigkeit ihres Fleißes geschlossen hätten, daß auch sie selber es damit halten könnten, wie sie wollten, und wäre das vernünftig gewesen, wenn sie ihre akademische Freiheit in das Recht gesetzt hätten, unsittlich und unfleißig zu seyn? Ich sollte es nicht glauben. Vielmehr würde das vernünftig gewesen seyn, wenn sie aus diesem Mangel fremder Aufsicht geschlossen hätten, daß sie sich selber in desto | strengere Aufsicht nehmen müßten, und aus dieser Befreiung von äußern Antrieben, für sich die Pflicht gezogen hätten, sich selbst desto kräftiger anzutreiben, und desto unabläßiger über sich zu wachen, und wenn sie so die akademische Freiheit sich gedacht hätten, als die Freiheit a u s e i g n e m E n t s c h l u ß e das anständige und zweckmäßige zu thun. In Summa, und um das Resultat zu ziehen: die akademische Freiheit der Studirenden, dieselbe historisch und nach ihrer faktischen Einführung in die Welt genommen, zeigt in ihrer Entstehung, in ihrem Fortgange und in ihren noch bestehenden Resten, eine ungebührliche Geringschätzung des | ganzen Standes der Studirenden, als eines höchst unbedeutenden Standes; und derjenige Studirende, der durch diese Freiheit sich geehrt findet, und sie als ein Recht in Anspruch nimmt, befindet sich in einer höchst sonderbaren Täuschung; er ist übel be58 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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richtet, und hat gewiß noch nie ernsthaft über den Gegenstand nachgedacht. Es mag | dem reiferen gutdenkenden Manne, der allemal ein Liebhaber des Lebens und der Jugend ist, gar wohl anstehn, daß er über manche Ungeschicktheit, manche Ungebildetheit, manchen Fehlgriff der noch nicht gezügelten Kraft hinweg sehe, gutmüthig darüber lächle, und denke, mit den Jahren wird der Verstand wohl kommen; aber dem Jünglinge, der durch dieses Urtheil sich geehrt fände, und dasselbe als sein eignes, ihm zugehöriges Recht forderte, ließe wenigstens ein zartes Ehrgefühl sich nicht wohl beimessen. Betrachten wir jetzt denselben Gegenstand, die akademische Freiheit der Studirenden, mit dem philosophischen Sinne, wie sie seyn sollte, und unter gewissen Bedingungen auch seyn könnte, und was sich daraus ergeben wird, wie die faktisch vorhandene akademische Freiheit von dem würdigen, seine Bestimmung verstehenden, und sie ehrenden studirenden Jünglinge genommen werde. Bahnen wir uns den Weg zu dieser Einsicht durch folgende Sätze: | 1) Das Gesetz beschränkt die äußere Freiheit der Bürger in allen möglichen Richtungen und nach allen möglichen Seiten hin, – je vollkommner es ist, desto mehr: und das soll es eben thun, denn darin steht seine Bestimmung. Es läßt daher der innern Freiheit und der Sittlichkeit der Bürger durchaus keine Sphäre übrig, in der sie äußerlich erscheinen und sich darthun könne, und es soll ihr keine solche Sphäre übrig lassen. Alles, was da geschehen soll, findet sich geboten, bei Strafe; was unterlassen werden soll, findet sich verboten, gleichfalls bei Strafe. Jede innere Versuchung zur Unterlassung des gebotenen, oder zur Verübung des verbotnen findet in dem Bewußtseyn des Bürgers sein bestimmtes Gegengewicht an der festen Ueberzeugung, daß er, falls er der Versuchung nachgiebt, dafür das und das bestimmte Uebel erleiden werde. Man sage nicht: also vollstän|dig umfassend sind die bestehenden Gesetzgebungen nicht, auch ist weder die Aufsicht noch die Verwaltung des Rich|teramts irgendwo so unfehlbar, daß jedem Vergehen seine bestimmte Bestrafung sicher seyn könne: ich weiß dieß, aber so wie ich gesagt, soll es dennoch seyn, und so soll es immer mehr und in einem weit höhern Grade werden. Auf die Moralität der Menschen darf die Gesetzgebung nicht rechnen, indem von einer so unzuverläßigen Sache die absolut zu fordernde Freiheit und Sicherheit aller, innerhalb der ihnen angewiesenen Sphäre, nicht abhängig gemacht werden darf. Für den Gerechten giebt es freilich unter keiner möglichen Gesetzgebung ein Gesetz: das zu verbietende will er ohnedies nicht, auch wenn es nicht verboten wäre, und das Rechte und Gute will er ohne59 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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dies, ohne alle Rücksicht auf das Gebot; er ist nie zum Vergehen versucht, und so tritt auch die Vorstellung von der zu erwartenden Strafe nie in sein Gemüth ein. Er hat das Bewußtseyn seiner Sittlichkeit, und an diesem Bewußtseyn derselben ihren Lohn in sich selber. Aeußerlich aber ist zwischen ihm | und dem unsittlichen, der von jeder ihm möglichen Ungerechtigkeit nur durch die Drohung des Gesetzes abgehalten, und zu jeder pflichtmäßigen Handlung nur durch dieselbe Drohung getrieben wird, gar kein Unterschied; der erstere kann nicht mehr thun, noch unterlassen, als der letztere, nur aus einem andern innern Bewegungsgrunde, der aber äußerlich nicht erscheint, – gleichfalls thut und unterläßt. 2) Unter dieser Gesetzgebung steht nun und soll stehen auf die gleiche Weise a l s B ü r g e r der Gelehrte, so wie der Ungelehrte. Beide können auf die gleiche Weise über das Gesetz durch Rechtschaffenheit der Gesinnung sich erheben; aber es ist bei keinem von beiden darauf gerechnet, und es kann in dieser Sphäre der äußerlichen Gesetzgebung an keinem von beiden diese Rechtschaffenheit erscheinen. – Inwiefern ferner der Gelehrte als solcher Mitglied eines gewissen S t a n d e s im Staate, und Verwalter eines gewissen Berufs ist, steht er unter dem Zwanggesetze dieses Standes und | Berufs, und es kann abermals nicht erscheinen, ob er aus innerer | Rechtschaffenheit oder aus Furcht vor der Strafe seine Pflichten in dieser Sphäre vollbringe, auch kommt es dem Ganzen darauf gar nicht an, wenn er sie nur vollbringt. In diejenige Region endlich, in welche entweder die mangelhafte Gesetzgebung noch nicht eingedrungen ist, oder in welche gar keine äußere Gesetzgebung eindringen kann, begleitet ihn die Furcht vor der Schande, und es läßt sich hier nicht absehen, ob er zufolge dieser Furcht, oder aus innerer Rechtschaffenheit seine Pflicht thue. 3) Aber es giebt außer diesen noch andere Verhältnisse des Gelehrten, über welche keine Gesetzgebung etwas bestimmen, noch über die Vollziehung des Rechten wachen kann; wo denn der Gelehrte sich nothwendig selber das Gesetz geben, und sich selber zu dessen Erfüllung anhalten muß. Er trägt in der göttlichen Idee die Gestalt der künftigen Zeitalter, die da erst werden sollen, in sich, und er soll | ein Beispiel aufstellen, und ein Gesetz geben den künftigen Geschlechtern, welches er in der Gegenwart, oder in der Vergangenheit vergebens suchen würde. Jene Idee tritt in jedem Zeitalter heraus in einer neuen Gestalt, und begehrt die umgebende Welt nach sich zu gestalten; es treten drum immer neue Verhältnisse der Welt zur Idee, und immer eine neue Art des Widerstreites der erstern gegen die letztere heraus. 60 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Der Gelehrte bekommt hiebei den schwierigen Streit zu vermitteln, wie die Wirksamkeit seiner Idee mit der Reinigkeit derselben, ihr Einfluß mit ihrer Würde zu vereinigen sey. In ihm verborgen bleiben soll seine Idee nicht, sondern sie soll heraustreten und die Welt ergreifen; und zu dieser Wirksamkeit ist er durch das Tiefste seines Wesens getrieben. Aber die Welt ist unfähig, diese Idee in ihrer Reinigkeit zu fassen; sie strebt im Gegentheil dieselbe herunter zu ziehen zu ihrer gemeinen Ansicht. Wollte er dieser Reinigkeit etwas vergeben, so könnte er leicht wirken; | aber er ist von Achtung für die Idee erfüllt, und er kann ihr nichts vergeben wollen. Er hat daher die schwierige Aufgabe, beide Zwecke zu vereinigen. Kein Gesetz, doch was rede ich hier von Gesetzen, kein Beispiel der Vorwelt oder der Zeitgenossen, kann ihm | das Mittel dieser Vereinigung angeben, denn so gewiß in ihm die Idee eine neue Gestalt gewonnen, ist sein Fall noch nicht da gewesen. Selbst das bloße Nachdenken kann ihm diesen Vereinigungspunkt nicht angeben; denn obgleich durch dasselbe die Idee in ihrer Reinigkeit, als der erste Punkt der Vereinigung dargestellt wird, so fehlt doch sehr viel daran, daß in demselben Denken auch der zweite Punkt, die Denkart der umgebenden Welt, und was von ihr sich ohngefähr erwarten lasse, rein aufgehen, und durch dasselbe sich erschöpfen lassen sollte. Wohl alle Männer, welche auf ihr Zeitalter kräftig gewirkt, dürften ihre Laufbahn mit dem innern Geständnisse beschlossen haben, daß sie in ihren Rechnungen auf das Zeitalter sich im|mer verrechnet, indem sie dasselbe nie für so verkehrt und so blödsinnig genommen, als es sich hinterher doch gefunden, und daß, indem sie die Eine Schiefheit desselben richtig berechnet, und ihr ausgewichen, auf der andern Seite eine andere, nicht vorher gesehene, sich offenbaret. Soll jemals etwas gelingen, so bedarf es zu allem Nachdenken hinzu noch eines sichern Taktes, welcher nur durch frühe Uebung und Angewöhnung gewonnen wird; welches das erste wäre. Es ist ferner klar, daß der Gelehrte in dieser Rücksicht, daß er schlechthin alles mögliche thue, um den Widerstreit zwischen der innern Reinigkeit der Idee und ihrer äußern Wirksamkeit zu heben, lediglich an seinen eigenen guten Willen gewiesen sey, und hierüber keinen andern Richter habe, denn sich selbst, und keinen andern Antrieb, außer in sich selbst. Hierüber kann kein Fremder ihn beurtheilen; hierin kann sogar kein Fremder ihn ganz verstehen, noch die tiefere Absicht seines Verfah|rens errathen. Weit entfernt, daß die Achtung für fremdes Urtheil seinen eignen guten Willen in dieser Region unterstützen könne, muß er hier sogar über das fremde Urtheil hinaus seyn, und 61 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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es betrachten, als gar nicht vorhanden. Er ist an seinen guten Willen gewiesen, und zwar bedarf es hier eines kräftigen und unerschütterlichen guten Willens, gegen die Versuchungen sehr edler Antriebe. Was ist edler als der Trieb zu wirken, Menschen zu begeistern, | und gewaltig ihren Blick auf das Heilige zu richten? Und doch kann dieser Trieb zur Versuchung werden, das Heilige gemein darzustellen, damit es an die Gemeinheit komme, und so es zu entheiligen. Was ist edler, als die tiefste Achtung für das Heilige, und die Nichtachtung und Vernichtung alles Gemeinen jenem gegen über? Und doch kann diese Achtung jemanden in Versuchung führen, sein Zeitalter gänzlich weg zu werfen, es auf zu geben und mit ihm gar nichts zu schaffen haben zu wollen. Es bedarf eines kräftigen | guten Willens, um der ersten, und des allerkräftigsten, um der letzten dieser Versuchungen nicht zu unterliegen. Es leuchtet meines Erachtens ein, daß der Gelehrte für sein eigenthümliches Geschäft des schärfsten Taktes für das Zweckmäßige, und einer tiefen Sittlichkeit, strenger Wachsamkeit über sich selbst, und zarter Schaam vor sich selber bedürfe. Es leuchtet hieraus ein, daß er sehr früh in die Möglichkeit und Nothwendigkeit gesetzt werden sollte, sich jenen Takt und jene Schaam vor sich selber zu erwerben, und daß diese Bildung des Sinnes und Charakters ein ganz eigentlicher Bestandtheil der Bildung des angehenden Gelehrten seyn sollte. Jeder Bürger ohne Ausnahme kann sich zum Takte des zweckmäßigen und zur Sittlichkeit bilden, und muß es können, die Gesetzgebung muß die Möglichkeit ihm übrig lassen, und sie ist auch schon durch ihre eigene Natur dazu genöthigt. Aber es kommt der Gesetzgebung und dem ganzen gemeinen Wesen nicht darauf | an, ob der Bürger sich dazu erhebe oder nicht, weil sein Geschäft immer fort unter dem Gebiete der äußern Aufsicht bleibt. Bei dem Studirenden aber liegt dem gemeinen Wesen und der ganzen Menschheit alles daran, daß er sich zur reinsten Sittlichkeit erhebe, und einen Takt des zweckmäßigen bekomme, da er bestimmt ist, einst in eine Sphäre zu treten, wo schlechthin alles äußere Urtheil für ihn wegfällt. Die Gesetzgebung f ü r i h n sollte ihm daher nicht bloß, wie jedem andern Bürger, die sittliche Bildung verstatten, sondern sie sollte ihn, so viel an ihr liegt, in die äußere Nothwendigkeit setzen, sich diese Bildung zu erwerben. | Und wie könnte sie dieses thun? Offenbar nur dadurch, daß sie ihn seiner eigenen Beurtheilung des schicklichen, anständigen und zweckmäßigen, und seiner eigenen Aufsicht über sich selbst überlasse. Er soll sich einen eigenen Takt für das Schickliche und Zweckmäßige verschaffen? Wie kann er, wenn das Gesetz ihn | überall begleitet, und überall 62 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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ihm sagt, was er zu thun oder zu lassen hat? Verbiete das Gesetz immerhin demjenigen, den es bis ans Ende unter seiner Zucht behalten kann, alles, was es von ihm unterlassen haben will: denjenigen, den es ohnedies einst sich selbst überlassen muß, behandle es bei Zeiten als einen Freien und Edlen. Der gesittete Mann wartet gar nicht ab, bis die Gesetzgebung etwas unanständig finde, und ihr Verbotsdekret anschlage: es wäre ihm eine Schmach, wenn er dieser Belehrung erst bedurft hätte; er kommt dem Gebote zuvor, und unterläßt, was der Gemeinere um ihn her sich ohne Bedenken erlaubt, lediglich deswegen, weil es dem höher gebildeten nicht ansteht. Lasse man dem Studirenden den Spielraum, sich lediglich durch sich selbst in diese Klasse zu setzen. Er soll tiefe und kräftige Sittlichkeit, zarte Schaam vor sich selber, inniges Ehrgefühl in sich entwickeln. Wie kann er, wenn die Androhung der Strafe ihn immer umgiebt? Spreche lie|ber das Gesetz [131] also zu ihm: Meinethalben kannst du das Rechte immer unterlassen, das Verkehrte immer thun; es soll dir nichts weiter schaden, außer daß du verachtet und gering geschätzet wirst, und dich selbst, wenn du einen Blick in dein Inneres thust, verachten mußt. Willst du es auf diese Gefahr wagen, so wage es getrost. – Das Menschengeschlecht soll ihm einst ihr wichtigstes Interesse anvertrauen können, und er selbst soll in der Verwaltung dieses Interesse sich selbst vertrauen können? Wie kann jenes, wenn es ihn nicht geprüft hat, und wie kann er sich selbst trauen, wenn er sich nicht selbst hat prüfen können? Wer im Kleinen nicht getreu gewesen ist, dem kann nicht das Große anvertrauet werden; und wer vor sich selber in der Probe nicht bestanden ist, der kann ohne die Fülle von Ehrlosigkeit, das Vertrauen im Größern nicht annehmen. – Aus diesem jetzt aus einander gesetzten Grunde sollte akademi|sche Freiheit, und eine beträchtlich ausgedehnte, | doch VI, 410 [132] zweckmäßig berechnete akademische Freiheit seyn. In dem vollkommnen Staate würde meines Erachtens die äußere Einrichtung der Universitäten also seyn. Zuvörderst würden dieselben von andern, ihr eigenes Geschäft treibenden Ständen abgesondert werden, damit diese Stände durch den, doch auch als möglich vorauszusetzenden Mißbrauch der akademischen Freiheit, nicht beeinträchtiget und geplagt, nicht zu ähnlichen Unregelmäßigkeiten versucht, oder, falls sie strenge unter dem Gesetze gehalten würden, nicht durch den täglichen Anblick einer vom Zwange befreiten Klasse neben sich, zum Haß des Gesetzes verleitet würden. Die Studirenden auf diesen Universitäten nun würden einen hohen Grad von Freiheit genießen; Unterricht zwar über das Sittliche und Anständige, und eindringende 63 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Vorstellungen im Allgemeinen würden ihnen ertheilt werden, gute Beispiele würden sie umgeben, und ihre Lehrer würden nicht nur gründ[133] liche Gelehrte, sondern | sie würden zugleich eine Auswahl der besten Menschen in der Nation seyn: Zwangsgesetze aber wären für sie sehr wenige vorhanden. Mögen sie frei das Gute wählen oder das Schlechte; die Zeit des Studirens ist nur ihre Prüfungszeit. Die Zeit der Entscheidung ihres Schicksals kommt hinterher, und es ist bei dieser Einrichtung der Vortheil, daß der Untaugliche als Untauglicher klar da steht, und es nicht weiter verhehlen kann. Die dermalige wirkliche Einrichtung der Universitäten ist nun zwar keinesweges die so eben beschriebene. Es ist zweifelhaft, ob die akademische Freiheit jemals aus dem Punkte angesehen worden, aus welchem wir sie so eben gezeigt; besonders, ob sie von denjenigen also angesehen worden, welche den Universitäten ihre Verfassung gaben. Wirklich entstanden ist die akademische Freiheit auf dem oben beschriebenen Wege, aus der Nichtachtung des Standes der Studirenden; wir können unentschieden lassen, wodurch die noch vorhandenen Re[134] ste derselben | erhalten werden; denn selbst, wenn angenommen würde, daß dieselbe nur in einem geringern Grade noch fortdauernde Nichtachtung des Standes, und etwa der Mangel an Geschicklichkeit, VI, 411 diese Ueber|reste wegzubringen, der Grund davon sey, so verschlägt dies dem würdigen Studirenden, der die Sachen nicht nach dem Aeußern, sondern nach ihrem innern Geiste nimmt, durchaus nichts. Was auch immer andere über akademische Freiheit denken mögen, er für seine Person nimmt sie in dem rechten Sinne, als ein Mittel sich selbst rathen zu lernen, wo die äußere Vorschrift ihn verläßt, über sich selbst wachen zu lernen, wo kein anderer über ihn wacht, sich selbst antreiben zu lernen, wo es keinen äußern Antrieb mehr giebt, und so für seinen künftigen hohen Beruf sich zu stärken und zu befestigen.
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| Siebente Vorlesung. Vom vollendeten Gelehrten im Allgemeinen.
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Der rechtschaffene Gelehrte denkt seine Bestimmung, des göttlichen Begriffs von der Welt theilhaftig zu werden, – als den Gedanken der Gottheit von ihm; und hierdurch wird sowohl seine Person als sein Geschäft ihm über alles ehrwürdig und heilig, und diese Heiligkeit zeigt sich in allen seinen Aeußerungen: Dies ist der Hauptgedanke bei welchem wir stehen. Wir haben bisher gesprochen von dem angehenden Gelehrten, dem Studirenden, und gesehen, wie die Ueberzeugung von der durch jene erhabene Bestimmung erhaltenen Würde seiner Person, sich in seinem Leben ausspreche. | Wie seine Ueberzeugung von der Heiligkeit der [136] Wissenschaft auf sein Studiren einfließe, haben wir schon in einer der frühern Vorlesungen bemerkt; und es ist nicht nöthig, über diesen Punkt noch etwas hinzuzufügen. Es ist dies um so weniger nöthig, da in den Erscheinungen und Aeußerungen des Studirenden die Achtung für die Wissenschaft ganz zunächst und vorzüglich in der zweckmäßi|gen Ansicht und Heiligung VI, 412 seiner Person sich zeigt, und in derselben aufgeht: was bei dem vollendeten Gelehrten sich anders verhält. In dem angehenden Gelehrten soll die Sache, welche er anstrebt, die Idee, eine Gestalt und ein eigenthümliches Leben erst gewinnen; sie hat es noch nicht. Der Studirende besitzt noch nicht unmittelbar, noch durchdringt er die Idee: er verehret sie nur in ihrer Verborgenheit, und erfasset sie nur vermittelst seiner Person, als dasjenige, wozu diese sich erheben und von ihm ergriffen werden soll. Er kann noch nichts unmittelbar für sie thun; nur mittelbar kann | er für sie leben, indem er seine Person, als ihr [137] bestimmtes Werkzeug, ihr weihet und heiligt, und dieselbe rein erhält an Sinn und Geiste, überzeugt, daß jede Unreinigkeit sie für diesen Zweck verderbe und zerstöhre; indem er sich ganz ihrer Wirksamkeit hingiebt, und mit unermüdetem Fleiße alles dasjenige treibt und thut, was ein Mittel werden kann, daß diese Idee in ihm sich entwickle. Anders verhält es sich mit dem vollendeten Gelehrten. So gewiß er dieß 65 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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ist, hat die Idee in ihm ihr eigenthümliches und selbstständiges Leben begonnen; sein persönliches Leben ist nun w i r k l i c h in dem Leben der Idee aufgegangen, und in demselben vernichtet, welche Selbstvernichtung in der Idee von dem Studirenden nur angestrebt wurde. So gewiß er ein vollendeter Gelehrter ist, giebt es für ihn gar keinen Gedanken mehr an seine Person, sondern sein sämmtliches Denken geht immerfort auf im Denken der Sache. Und so giebt mir denn die zuerst gemachte Eintheilung in die Heilig|keit der Person, und die des Geschäfts, zugleich einen Uebergangspunkt von der Betrachtung des angehenden Gelehrten zu dem vollendeten, dessen Bild neben das Bild des Studirenden zu stellen ich aus den ehemals angeführten Gründen mir vorgenommen. Wir haben bisher den angehenden Gelehrten größtentheils betrachtet, als den auf einer Universität studirenden, und beide Begriffe sind in unserm bisherigen Gebrauche derselben fast gänzlich zusammen gefallen. Erst jetzt, da wir den Studirenden von der Akademie in das Leben zu begleiten gedenken, wird es Zeit zu erinnern, daß das Studiren und der Zustand | des erst angehenden Gelehrten sich nicht nothwendig mit dem Aufenthalte des jungen Mannes auf der Akademie schließe; ja wir werden tiefer unten einen Grund einsehen, um dessen willen in der Regel erst nach den Universitätsjahren das Studiren recht eigentlich anhebt. So viel aber bleibt richtig, und steht als Resultat des bisherigen fest, daß derjenige | Jüngling, der nicht wenigstens auf der Universität vom Respecte für die Heiligkeit der Wissenschaft ergriffen worden, und nicht wenigstens da seine Person schon in dem Grade achten gelernt, daß er sie für jene hohe Bestimmung nicht verdorben, späterhin niemals eine Ahndung von der Würde der Wissenschaft bekommen wird; und, was er auch einst im Leben treiben möge, es treiben wird, wie ein gemeines Handwerk, und mit den Gesinnungen eines Söldlings, der bei seiner Arbeit keine höhere Aussicht hat, als auf die Bezahlung, die er dafür erhalten wird. Von diesem noch weiter zu reden, liegt außerhalb den Grenzen dieser Betrachtungen. Welchem Studirenden aber die Ueberzeugung aufgegangen, daß der eigentliche Zweck seines Studirens verfehlt sey, wenn nicht die Idee in ihm eine innere Gestalt und ein selbstständiges Leben bis zur höchsten Fertigkeit ausbilde, derselbe wird mit seinem Abgange von der Universität sein Studiren und seine wis|senschaftlichen Uebungen keinesweges schließen. Selbst falls er durch äußere Gründe genöthigt würde, ein bürgerliches Geschäft zu übernehmen, wird er alle an ihm zu ersparende Zeit und Kraft der strengern Wissenschaft widmen, und kein Mittel 66 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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höherer Ausbildung, das ihm dargeboten wird, sich entgehen lassen: noch nebenbei versichert, daß selbst zur Betreibung seines Geschäfts die fortgesetzte Schärfung seines Geistes an ernster Wissenschaft ihm sehr ersprießlich seyn werde. Rastlos wird er, selbst im glänzenden Amte stehend, selbst in die reifern Jahre gekommen, streben und arbeiten, sich der Idee zu bemächtigen; niemals, so lange ihn seine Kraft noch hoffen läßt, die Hoffnung aufgebend, mehr zu werden, als er dermalen ist. Ohne dieses rastlose Fortarbeiten würde manches wahrhaft große Talent verlohren gegangen seyn; denn in der Regel entwikkelt ein großes wissenschaft|liches Talent, je mehr innern Gehalt und Gediegenheit es hat, sich desto langsamer, und die innere Klarheit | desselben erwartet das reifere Alter und die männliche Kraft. Welchen Studirenden tiefer Respekt für die Heiligkeit des Gelehrten=Berufs ergriffen, den wird dieser Respekt in der Wahl seines bürgerlichen Berufs leiten; von dem eigentlichen Gebiete desselben, falls er nicht mit innigster Ueberzeugung die Tüchtigkeit dazu in sich fühlt, durch die Verehrung desselben zurückgehalten, wird er ein untergeordnetes Geschäft für sich wählen. Ein untergeordnetes gelehrtes Geschäft aber ist ein solches, dem die zu erreichenden Zwecke durch einen andern bis zur Erkenntniß der Idee ausgebildeten Verstand aufgegeben worden, und in welchem die beim Studiren, als einem Streben nach der Idee, nebenbei erworbenen Fertigkeiten, bloß als Mittel für die Erreichung jener von außen her gegebenen Zwecke gebraucht werden. Er selbst für seine Person wird dadurch nicht zum Mittel herabgewürdigt, dagegen sichert ihn seine vom Leben überhaupt genommene Ansicht | auf immer; er dient im Geiste und in der Gesinnung lediglich Gott, und befördert, nur unter der Leitung seines Obern, welchen er die ihm ertheilten Aufträge und die Absichten derselben verantworten läßt, Gottes Zwecke mit den Menschen, welche alles menschliche Treiben im Auge behalten muß. – So verfährt er ganz gewiß in der Wahl seines bürgerlichen Berufs, so gewiß er schon in der Jugend von Achtung für die Würde des eigentlichen Gelehrten=Geschäfts ergriffen worden. Ohne inniges Bewußtseyn des Besitzes der angemessenen Kraft und Ausbildung dieses übernehmen, heißt dasselbe entheiligen, und ist Rohheit und Gewissenlosigkeit zugleich. Auch kann er über diesen Punkt unmöglich sich im Irrthume befinden; denn so gewiß er auch nur seine Universitätsjahre zweckmäßig verlebt hat, ist das Würdige denn doch sicher in irgend einem Grade ihm in die Augen gefallen, und er hat einen Maaßstab erhalten, an dem er sich messen kann. Wenn ein gewissenhaftes Studiren | auf der Universität auch nur den 67 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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einzigen Vortheil gewährte, daß es den Jüngling mit einem Bilde der VI, 415 würdigen Verwaltung des Gelehrten=Berufs für sein | Leben ausstatte-
te, und jeden, dem die Kraft dazu nicht verliehen ist, aus dieser Sphäre zurückscheuchte, so würde schon dadurch der Vortheil des Studirens groß und höchst wichtig. Was ein untergeordnetes gelehrtes Geschäft sey, ist so eben im Allgemeinen angegeben worden; man bedarf zu dessen Verwaltung keinesweges des unmittelbaren Besitzes der Idee, sondern nur der im Streben darnach erworbenen Kenntnisse. Es versteht sich, daß es auch hierin wieder höhere und niedere Grade gebe, je nachdem das Geschäft eine größere oder geringere Masse von Kenntnissen erfordert, und daß der gewissenhafte Mann auch in dieser Rücksicht nichts über seine Kräfte gehendes übernehmen werde. Es ist nicht nothwendig, daß wir diese untergeordneten gelehrten Geschäfte noch ins besondere an[144] geben. – | Der höhere und eigentliche Gelehrten=Beruf läßt in allen seinen besondern Arten erschöpft sich angeben; und es ist sodann leicht diese Folgerung zu machen; alles dasjenige, was von studirten Männern getrieben zu werden pflegt, das in jenem erschöpfenden Verzeichnisse des höhern Gelehrten=Berufs nicht vorkommt, sondern dadurch ausgeschlossen wird, ist untergeordnetes Gelehrten=Geschäft. Wir haben sonach nur jenes erschöpfende Verzeichniß aufzustellen. Schon in unserer ersten Vorlesung haben wir das Leben desjenigen, in welchem die gelehrte Bildung ihren Endzweck erreicht hat, bestimmt charakterisirt: sein Leben ist selbst das Leben der die Welt fortschaffenden und von Grund aus neu gestaltenden göttlichen Idee innerhalb der Welt. Eben daselbst ist angegeben worden, daß dieses Leben in zweifacher Form vorkommen könne, entweder nemlich im wirklichen äussern Leben und Wirken, oder im bloßen Begriffe, welches zwei ver[145] schiedene | Hauptgattungen des eigentlichen Gelehrten=Berufs giebt. Die erste Gattung befaßt alle diejenigen, welche selbstständig und nach ihrem eignen Begriffe die menschlichen Angelegenheiten zu leiten haben, und stets zu neuer der fortschreitenden Zeit angemessener Vollkommenheit zu erheben, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse der VI, 416 Menschen unter einander, so wie das Verhältniß des Ganzen zur willen| losen Natur, ursprünglich und als letztes und höchstes freies Princip anordnen; nicht bloß solche, welche auf der höchsten Stufe als Könige oder unmittelbare Räthe der Könige stehen, sondern alle ohne Ausnahme, welche entweder für sich allein, oder in Verbindung mit andern über die ursprüngliche Anordnung jener Angelegenheiten selbst zu denken, selbst zu urtheilen, und etwas geltendes zu beschließen, das 68 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Recht und den Beruf haben. Die zweite Gattung befaßt die eigentlichen und vorzugsweise also genannten Gelehrten, deren Beruf es ist, die Erkenntniß der göttlichen Idee unter den Men|schen zu erhalten, dieselbe immerfort zu höherer Klarheit und Bestimmtheit zu erheben, und sie in dieser sich stets verjüngenden und verklärenden Gestalt von Geschlechte zu Geschlechte fort zu pflanzen. Die erstern greifen gerade zu ein in die Welt, und sind der unmittelbare Berührungspunkt Gottes mit der Wirklichkeit; die letztern sind die Vermittler zwischen der reinen Geistigkeit des Gedankens in der Gottheit, und der materiellen Kraft und Wirksamkeit, welche dieser Gedanke durch die erstern erhält, die Bildner der ersten, und das bleibende Unterpfand für das Menschengeschlecht, daß es stets Männer dieser ersten Gattung geben werde. Keiner kann wahrhaft das erste seyn, ohne erst das zweite gewesen zu seyn, und ohne es fortdauernd zu bleiben. Die zweite Gattung zerfällt wieder in zwei Unterarten, nach der Weise der Mittheilung ihrer Begriffe von der Idee. Entweder nemlich ist ihr nächster Zweck der, durch unmittelbare und persönliche freie Mittheilung ih|rer idealen Begriffe, in künftigen Gelehrten die Fähigkeit auszubilden, daß sie selber durch sich selbst die Idee fassen und begreifen; sie sind Gelehrten=Erzieher, Lehrer an niedern oder höhern Schulen, – oder sie legen ihren Begriff von der Idee in einer vollendeten und abgeschlossenen Bearbeitung hin für diejenigen, welche zur Fähigkeit, dieselbe zu fassen, sich schon gebildet haben. Dieses geschieht gegenwärtig durch Schriften; also, sie sind Schriftsteller. Die jetzt genannten Gattungen und Klassen, deren verschiedene Geschäfte nicht gerade an verschiedene Personen ausge|theilt werden müssen, sondern gar füglich auch in einer und eben derselben Person sich vereinigen können, befassen die wahren eigentlichen Gelehrten, und drücken aus den Gesammtberuf derjenigen, in denen die gelehrte Bildung ihren Endzweck erreicht hat. Jedes andere Geschäft, wie es immer Nahmen haben möge, das von S t u d i r t e n , welche man auch durch diese Benen|nung von den eigentlichen Gelehrten unterscheiden könnte, getrieben zu werden pflegt, ist ein untergeordnetes Gelehrten=Geschäft. Der Studirte bleibt bei diesem stehen, bloß deswegen, weil er durch sein Studiren nicht zum Gelehrten geworden ist, die dennoch aber bei dieser Gelegenheit erlangten Fertigkeiten und Kenntnisse in diesem Geschäfte eine nützliche Anwendung finden. Es ist durchaus nicht der Zweck der Gelehrten=Bildung Subalterne zu erziehen, und Niemand soll auf den Subalternen=Dienst hinstudiren; denn es könnte ihm sodann begegnen, daß er sogar diesen Zweck nicht erreich69 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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te. Nur weil vorauszusehen war, daß die Mehrheit der Studirenden ihres eigentlichen Zwecks verfehlen würde, hat man subalterne Geschäfte auch für Studirte bestimmt. Dem Subalternen wird der Zweck seines Geschäfts durch einen fremden Verstand gegeben; er bedarf der Beurtheilung nur über die Wahl der M i t t e l , und in Absicht der Zwekke des pünktlichsten Gehorsams. Die an|erkannte Heiligkeit des eigentlichen Gelehrten=Berufs, hält jeden gewissenhaften Studirten, der sich des Besitzes der Idee nicht bewußt ist, von der Uebernehmung desselben zurück, und verbindet ihn, sich mit einem untergeordnetem Geschäft zu bescheiden; dieses und nichts mehr hatten wir über ihn zu sagen, da sein Geschäft kein eigentliches Gelehrten=Geschäft ist. Wir überlassen ihn dem sichern Geleite der allgemeinen Rechtschaffenheit und Pflichttreue, die schon während seines Studirens die innigste Seele seines Lebens geworden. Dieser beweiset durch die Ve r z i c h t l e i s t u n g auf den eigentlichen Gelehrten=Beruf, daß er denselben für heilig halte; wer mit Rechtschaffenheit und gutem Gewissen in irgend einer Art und Gattung diesen Beruf übernimmt, zeigt durch sein T h u n und ganzes L e b e n , daß er ihn für heilig hält. Wie diese An|erkennung des Heiligen insbesondre in jeder besondern Art und Gattung des Gelehrten=Berufs, dessen Gattungen wir vollständig | angegeben haben, sich zeige, davon werden wir nach der Reihe in den künftigen Vorlesungen reden. Heute wollen wir nur noch angeben, wie sie im Allgemeinen, immer sich gleichbleibend bei der Verschiedenheit der Gattungen, sich äußere und offenbare. Der würdige Gelehrte will kein anderes Leben und Wirken haben, sich gestatten und an sich dulden, außer dem unmittelbaren Leben und Wirken der göttlichen Idee in ihm. Dieser unveränderliche Grundsatz durchdringt und bestimmt nach sich innerlich sein ganzes Denken; derselbe Grundsatz durchdringt und bestimmt nach sich äußerlich sein Handeln. Was zuvörderst das erste betrifft, – da er durchaus keine Regung in sich und an sich duldet, die nicht unmittelbar sey Regung und Leben der göttlichen Idee, die ihn ergriffen hat, so wird begleitet sein ganzes Leben von dem unerschütterlichen Bewußtseyn, daß es einig sey mit dem göttlichen Leben, daß an ihm und in ihm Gottes Werk vollbracht werde, | und sein Wille geschehe, er ruhet darum auf demselben mit unaussprechlicher Liebe und mit der unzerstörbaren Ueberzeugung, daß es recht sey und gut. Hierdurch wird nun sein Blick überhaupt geheiliget, verklärt und religiös; in seinem Innern geht ihm die Seligkeit auf, und in ihr stete Freudigkeit, Ruhe und Stärke: alles 70 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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auf dieselbe Weise, wie dieses auch der ungelehrte, ja der allerniedrigste im Volke, durch treue Ergebung in Gott, und durch redliche Erfüllung seiner Pflichten, als göttlichen Willens gleichfalls sich erwerben, und genießen kann; daß daher dies keinesweges eine Eigenthümlichkeit des Gelehrten ist, und dasselbe hier nur in der Bedeutung angemerkt wird, daß er dieser religiösen Ansicht seines Lebens gleichfalls theilhaftig sey, und derselben theilhaftig werde auf dem angezeigten Wege. Jener Grundsatz durchdringt äußerlich das Handeln des wahren Gelehrten. Er hat mit diesem Handeln niemals noch einen andern Zweck außer dem, seine Idee auszudrücken, | und die erkannte Wahrheit dar- [152] zustellen in Werk oder Wort. | Keine persönliche Rücksicht auf sich VI, 419 selbst oder andere treibt ihn zu thun, was nicht durch diesen Zweck gefordert wird, keine solche Rücksicht hält ihn zurück, so daß er irgend etwas durch diesen Zweck gefordertes unterlasse, Seine Person und alle Persönlichkeit in der Welt ist ihm schon vorlängst verschwunden, und rein aufgegangen in dem Anstreben der Verwirklichung der Idee. N u r die Idee treibt ihn, und wo sie ihn nicht treibt, da ruht er und bleibt unthätig. Er übereilt nichts, von Unruhe und Rastlosigkeit getrieben, welche Erscheinungen zwar wohl Vorbedeutungen einer sich entwickelnden Kraft seyn können, niemals aber bei der wahrhaft entwickelten reifen und männlichen Kraft angetroffen werden. Ehe nicht die Idee ihm klar und lebendig, bis zum Worte oder zur That vollendet, und abgerundet da steht, treibt ihn nichts zur Thätigkeit: die Idee treibt ihn ganz und bemächtigt sich aller seiner Kraft, füllt | aus alles sein [153] Leben und Streben. Er setzt immer und ununterbrochen sein ganzes persönliches Daseyn, das er bloß und lediglich als Werkzeug derselben betrachtet, an derselben Ausführung. Möchte ich nur über diesen einzigen, nunmehro von allen Seiten berührten und angeregten Punkt Ihnen verständlich werden und Sie überzeugen. Was der Mensch auch immer thun möge, so lange er es aus sich selber, als endliches Wesen, und durch sich selbst, und aus eignem Rathe thut, ist es nichtig, und zerfließt in das Nichts. Erst wie eine fremde Gewalt ihn ergreift, ihn forttreibt, und statt seiner in ihm lebendig wird, kommt wirkliches und wahrhaftes Daseyn in sein Leben. Diese fremde Gewalt nemlich ist immer die Gewalt Gottes. Auf dessen Rath zu schauen, und diesem sich ganz hinzugeben, ist die einzige wahre Weisheit, in jedem menschlichen Geschäfte, und darum ganz vorzüglich in dem höchsten, was dem Menschengeschlechte zu Theil wurde, im Berufe des wahren Gelehrten. 71 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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| Achte Vorlesung. Vom Regenten.
Derjenige, in welchem die gelehrte Bildung ihren Endzweck – den gebildeten in den Besitz der Ideen zu setzen, wirklich erreicht hat, zeiget durch die Ansicht und die Verwaltung des übernommenen Gelehrten=Berufes, daß sein Geschäft ihm über alles ehrwürdig und heilig sey. Die auf die Fortbildung der Welt sich beziehende Idee kann ausgedruckt werden, entweder durch wirkliches Leben und Wirken, oder zunächst in dem bloßen Begriffe. Auf die erste Weise wird sie von denen ausgedruckt, welche die Verhältnisse der Menschen, – theils unter einander selbst, oder den rechtlichen Zustand, theils ihr Verhält[155] niß zur willenlosen Natur, oder die Herrschaft der Vernunft über das | Vernunftlose, – ursprünglich und als letztes freies Prinzip leiten und anordnen, welche über die wirkliche Einrichtung dieser Verhältnisse einzeln oder in Verbindung mit andern, selbst zu denken, selbst zu urtheilen, und etwas geltendes selbstständig zu beschließen das Recht und den Beruf haben. Von der heiligen Ansicht und Verwaltung dieses Geschäfts haben wir heute zu reden. Wir wollen um der Kürze willen, und da wir durch die Bestimmung unsers Begriffs dem Mißverständnisse vorgebaut haben, die Verwalter des beschriebenen Geschäfts im Allgemeinen nennen d i e R e g e n t e n . Das Geschäft des Regenten ist in den frühern Vorlesungen, und so eben bestimmt angegeben worden, und es bedarf für unsern dermaligen Zweck keiner weitern Zergliederung desselben. Wir haben nur zu zeigen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten der wahrhaftige Regent besitze, und durch welche Ansicht und Verwaltung seines Berufs er beweise, daß er denselben heilig halte. [156] | Wer sein Zeitalter und die Verfassung desselben zu leiten und zu VI, 421 ordnen übernimmt, der muß über dieselben erhaben seyn, sie nicht bloß historisch kennen, befangen in dieser Kenntniß, sondern dieselbe durchaus verstehen und begreifen. Der Regent besitzt zuförderst einen lebendigen Begriff von demjenigen Verhältnisse überhaupt, worüber er die Aufsicht übernimmt, weiß, was es eigentlich an sich ist, bedeutet 72 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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und soll. Er kennt ferner vollständig die veränderlichen und ausserwesentlichen Gestalten, die es in der Wirklichkeit, unbeschadet seines innern Wesens, annehmen kann. Er kennt die bestimmte Gestalt, welche es in der Gegenwart angenommen, und weiß, durch welche neue Gestalten hindurch es dem an sich unerreichbaren Ideale immer mehr angenähert werden müsse. Ihm gilt kein Glied der bestehenden Verfassung für ein nothwendiges und unveränderliches, sondern jedwedes nur für einen zufälligen Standpunkt in einer stets zu größerer Vollkommenheit herauf zu steigernden Reihe. Er kennt | das Ganze, von welchem jenes Verhältniß ein Theil ist, und von welchem alle Verbesserungen des Letztern Theile bleiben müssen; und behält dieses Ganze bei den beabsichtigten Verbesserungen des Einzelnen unverrückt im Auge. Diese Kenntniß giebt seinem Erfindungsgeiste die Mittel an die Hand, seine Verbesserungen auszuführen; dieselbe Kenntniß verwahrt ihn vor dem Fehlgriffe durch vermeinte Verbesserungen des Einzelnen, das Ganze zu desorganisiren. Sein Blick vereinigt immerfort die Theile und das Ganze, und das letztere im Ideale und in der Wirklichkeit. Wer nicht mit diesem freien Blicke die menschlichen Verhältnisse betrachtet, der ist niemals Regent, an welcher Stelle er auch stehe, und er kann es nie werden. Seine Ansicht selbst, und sein Glaube an die Unveränderlichkeit des Bestehenden macht ihn zum Untergeordneten und zum Werkzeuge derer, welche die Einrichtung machten, an deren Unveränderlichkeit er glaubt. Es trägt sich dies oft zu, und | es haben nicht alle Zeiten wirkliche Regenten. Große Geister der Vorwelt herrschen oft noch lange nach ihrem Tode fort über die künftigen Zeitalter, vermittelst solcher, die Nichts für sich, son|dern nur die Fortsetzungen und Lebensverlängerungen von jenen sind. Sehr oft ist dies auch kein Unglück; nur soll derjenige, der das menschliche Leben mit tieferem Blicke zu fassen begehrt, wissen, daß diese nicht eigentliche Regenten sind, und daß unter ihnen die Zeit nicht fortgeht, sondern ruht; – vielleicht um Kräfte für neue Schöpfungen zu gewinnen. Der Regent, sagte ich, versteht das Verhältniß, worüber er die Aufsicht übernimmt; und erkennt, was Jedes an sich sey, und seyn solle insbesondere, und er versteht es überhaupt als absoluten göttlichen Willen an die Menschen. Es gilt ihm nicht als Mittel für irgend einen Zweck; noch etwa insbesondere für den Zweck des menschlichen Wohlseyns; sondern er begreift es selber als Zweck, als die absolute Weise, Ordnung und Würde, in der | das Menschengeschlecht existiren soll, nachdem es überhaupt existirt. Hierdurch wird ihm nun zuförderst sein Geschäft, dem Adel seiner 73 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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eignen Denkart gemäß, veredelt und gewürdiget. Alles sein Sinnen und Trachten darauf zu richten, und sein ganzes Leben zu setzen an den Zweck, daß sterbliche Menschen die kurze Spanne Zeit, welche sie neben einander zu leben haben, sich unter sich so wenig als möglich verbittern, und daß sie zu essen und zu trinken haben und sich zu kleiden, so lange, bis sie einer künftigen Generation Platz machen, die wiederum essen und trinken wird, und sich kleiden, – dieß Geschäft müßte einem edlen Menschen als eine seiner sehr unwürdige Bestimmung erscheinen. Der Regent nach unserm Bilde ist gegen diese Ansicht seines Berufs gesichert. Durch denselben Begriff jener Verhältnisse wird ihm das Geschlecht, an welchem er seinen Beruf verwaltet, gewürdigt. Wer immerfort die Unbeholfenheit und Ungeschicktheit der [160] Menschen im | Auge zu behalten, und dieselben täglich zu leiten hat, wer noch überdies oft Gelegenheit bekommt, ihre Schlechtigkeit und ihr Verderben im Allgemeinen zu überblicken, der könnte – auf nichts mehr sehend denn auf dies, nicht sehr geneigt seyn, sie zu achten oder zu lieben; wie denn auch von jeher kräftige Geister auf erhabenen Stellen, deren Inneres nicht von wahrer Religiosität durchdrungen geweVI, 423 sen, nicht | dafür bekannt sind, daß sie das Menschengeschlecht sehr verehret hätten, oder geachtet. Der Regent nach unserm Bilde blickt in seiner Würdigung des Geschlechts über dasjenige, was sie w i r k l i c h sind, hinaus, auf das, was sie im g ö t t l i c h e n B e g r i f f e sind, und diesem zufolge werden können, werden sollen, und einst ganz gewiß seyn werden; – und dies erfüllt ihn mit Achtung für ein Geschlecht von dieser erhabenen Bestimmung. Liebe ist nicht einem Jeden anzumuthen; es ist sogar, wenn man tiefer denkt, eine Anmaßung, daß ein [161] Regent sich herausnehme, die gesammte Mensch|heit, oder auch nur seine gesammte Nation, zu lieben, und sie seiner Liebe zu versichern und sie von derselben abhängig zu machen. Diese Liebe wird dem von uns geschilderten Regenten erlassen; sein Respekt für die Menschheit, als das Bild und den Schützling der Gottheit, ersetzt dieselbe im Uebermaße. Er begreift sein Geschäft als göttlichen Begriff vom Menschengeschlechte; er begreift ferner die Verwaltung desselben, als göttlichen Begriff von Ihm selber, diesem Individuum; er anerkennt sich für einen der ersten und unmittelbarsten Diener der Gottheit, für eines der körperlich existirenden Gliedmaßen, durch welche sie geradezu eingreift in die Wirklichkeit. Nicht etwa, daß dieser Gedanke ihn zu hochmüthiger Selbsterhebung aufblähe; Jeder, der von der Idee ergriffen ist, hat seine Persönlichkeit in derselben verloren, und er hat gar keinen Sinn mehr 74 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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übrig für ein Selbst in ihm und an ihm; sondern daß er ihn treu und gewissenhaft mache in seinem erhabenen Berufe. | Daß er selber, als Er selber, und als dieses Individuum diese Anschauung der Ideen, und diese Kraft derselben sich nicht gegeben, sondern sie empfangen habe, weiß er sehr wohl; er weiß, daß er von dem Seinigen nichts hinzuthun kann, als den rechtschaffenen und gewissenhaften Gebrauch; er weiß, daß dasselbe in eben dem Maaße der Niedrigste im Volke eben so wohl thun kann, als er selbst es thun kann; und daß dieser sodann in den Augen der Gottheit denselben Werth hat, welchen auch er unter dieser Bedingung haben wird. Der äußere Rang vollends, und die Erhabenheit seines Sitzes über andere Sitze, welche nicht seiner | Person, sondern seiner Würde gegeben worden; und welche lediglich eine der Bedingungen der Verwaltung dieser Würde ist, dieses wird ihn, der höhere und wesentlichere Auszeichnungen zu würdigen weiß, nicht blenden. Mit einem Worte: er betrachtet in dieser Ansicht sein Geschäft nicht etwa als einen Liebesdienst, den er der Welt leiste, sondern als seine absolute per|sönliche Pflicht und Schuldigkeit, durch deren Leistung allein er sein persönliches Daseyn erhält, gewinnt und bezahlt, und ohne welche er zergehet in Nichts. Dieselbe Ansicht seines Berufs, als des göttlichen Rufs an ihn berechtigt ihn in sich selber, und rechtfertiget ihn vor sich selber gegen eine erhebliche Bedenklichkeit, welche außerdem in diesem Geschäfte sehr oft den gewissenhaften befallen müßte; und sie macht seinen Gang sicher, entschieden und ohne Wanken. – Zwar darf niemals und in keinem Falle der Einzelne, im Begriffe bestimmt, und berechnet gedacht, als dieser Einzelne, dem Ganzen aufgeopfert werden; sey dieser Einzelne auch noch so geringfügig, sey das Ganze, und das dabei beabsichtigte Interesse des Ganzen auch noch so überschwänglich. Oft aber müssen Theile des Ganzen für das Ganze in Gefahr gesetzt werden; welche Gefahr nun selber, keinesweges aber der Regent, entscheide, und unter den Einzelnen ihre Opfer sich auswähle. Wie könnte | derjenige Regent, der keine andere Bestimmung des Menschengeschlechts begriffe, als die, daß demselben hienieden wohl sey, und der sich lediglich als den liebenden Pfleger dieses Wohlseyns betrachtete, jemals vor seinem Gewissen die Gefährdung und den erfolgten Fall jener einzelnen Opfer verantworten; da ja jeder Einzelne denselben Anspruch auf Wohlseyn haben muß, den die andern Einzelnen gleichfalls haben? Wie könnte ein solcher z. B. die Beschließung eines gerechten Krieges, eines Krieges, der für die Erhaltung der unmittelbar, oder mittelbar (zufolge der nothwendigen Folgen für die Zukunft) bedrohten Selbst75 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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ständigkeit der Nation unternommen wird, die Opfer, die in demselben fallen, und die mannigfaltigen Uebel, die durch ihn sich über die Menschheit verbreiten, jemals vor seinem Gewissen verantworten? Der Regent, der sein Geschäft als | einen göttlichen Beruf erkennt, steht gegen alle diese Bedenklichkeiten, und gegen die Ueberraschung jeder unmännlichen Weichheit fest und | unerschüttert. Ist der Krieg gerecht, so ist es Gottes Wille, daß Krieg seyn soll, und Gottes Wille an Ihn, daß er den Krieg beschließe. Falle nun als Opfer, was da fallen soll; es ist abermals der göttliche Wille, welcher das Opfer sich wählt. Gott hat das vollkommenste Recht auf alles menschliche Leben, und alles menschliche Wohlseyn, da es von ihm ausgegangen ist, und zu ihm zurükkehrt, und nichts in seiner Schöpfung verlorengehen kann. – Nicht anders in der Verwaltung des Rechts. Es muß ein allgemeines Gesetz seyn, und dieses allgemeine Gesetz muß schlechthin ohne Ausnahme gehandhabt werden. Um eines Einzelnen Willen, der da glaubt, seine Lage sey so einzig, daß ihm durch die Handhabung dieses Gesetzes zu hart geschehe, und an dessen Vorgeben vielleicht etwas wahres ist, kann die Allgemeinheit des Gesetzes nicht aufgegeben werden. Bringe er das kleine Unrecht, das ihm geschieht, der Erhaltung des Rechtes überhaupt unter den Menschen, zum Opfer. | Diese in dem Regenten waltende, und die Verhältnisse seiner Zeit und seiner Nation gestaltende göttliche Idee wird nun, so wie es die Idee allenthalben, und in jeglicher Gestalt, in der sie den Menschen ergreift, wird, das eigne Leben desselben: und er mag kein anderes Leben haben, noch an sich dulden, und gestatten, außer diesem Leben. Er erfasset zuförderst in deutlichem Bewußtseyn dieses sein Leben, als das unmittelbare göttliche Wirken und Walten in ihm, und die Vollziehung des göttlichen Willens an und in seiner Person. Es ist nicht nöthig, den im Allgemeinen geführten Beweis, daß dieses Bewußtseyn seinen Blick heilige, verkläre und in Gott eintauche, hier insbesondere zu wiederholen. Jedermann bedarf der Religion, jedermann kann sie an sich bringen, jedermann erhält mit ihr unmittelbar die Seeligkeit: Ganz vorzüglich bedarf sie, wie sich schon oben ergeben hat, der Regent. Ohne in ihrem Lichte sein Geschäft zu verklären, kann er es gar nicht mit gutem Gewissen treiben. | Es bleibt ihm nichts übrig, als entweder Gedankenlosigkeit, und mechanische Be|treibung seines Geschäfts, ohne über die Gründe und die Berechtigung desselben je sich Rechenschaft abgelegt zu haben; oder falls ihm Gedankenlosigkeit nicht zu Theil wurde, Gewissenlosigkeit, Verstockung, harter Sinn, und Menschenhaß und Menschenverachtung. 76 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Die in ihm zum eignen Leben herausgestaltete Idee ist es, die statt seiner sein Leben führet. Nur Sie treibt ihn; nichts anderes an ihrer Stelle. Seine Person ist ihm längst in der Idee aufgegangen: wie könnte jemals von ihr eine Triebfeder ausgehen? Er lebt in der E h r e ; in Gott verschmolzen sein ewiges Werk zu wirken: wie könnte der R u h m , das, was sterbliche und vergängliche Menschen von ihm urtheilen werden, für ihn eine Bedeutung haben? Immer mit seiner ganzen Person an die Idee gesetzt, wie könnte er jemals nur Sich gütlich thun, oder sich schonen wollen? Seine Person und alle Persönlichkeit ist ihm | in dem göttlichen Begriffe von einer Ordnung des Ganzen verschwunden. Er denket die Ordnung, und erfasset nur durch das Medium dieses Gedankens die Personen; er gestattet drum in seinem Berufe weder Freund, noch Feind, weder Günstling, noch Zurückgesetzten, sondern alle insgesammt, und Er selbst mit ihnen, gehen ihm ewig auf in dem Begriffe der Selbstständigkeit und der Gleichheit Aller. N u r die Idee treibt ihn, und wo sie ihn nicht treibt, da hat er kein Leben, sondern er bleibt in Ruhe und unthätig. Er will niemals nur wirken, sich regen und thätig seyn, bloß damit etwas geschehe, oder von ihm gesagt werde, daß er thätig sey; denn er will niemals bloß, daß etwas geschehe, sondern daß geschehe, was die Idee will. So lange ihm diese schweigt, schweiget auch Er, denn nur für sie hat er die Sprache. Er respektirt keinesweges das Alte, darum weil es alt ist; aber er will eben so wenig ein Neues, damit ein Neues sey, und darum, weil es neu ist. Er | will das Bessere und Vollkommnere; so lange dieses noch nicht in seiner Klarheit ihm aufgegangen ist, und so lange er durch Neuerung die Sachen lediglich anders, keinesweges aber besser machen | würde, thut er eben gar nichts, und vergönnt dem Alten den Vorzug, den es durch die frühere Besitzergreifung gewonnen. Auf diese Weise ergreift und durchdringet ihn die Idee ganz, durchaus, und ohne Rükhalt, und es bleibet nichts übrig von seiner Person, und von seinem Lebenslaufe, das nicht ihr als ein immerwährendes Opfer fortbrenne. Und so ist er denn die unmittelbarste Erscheinung Gottes in der Welt. Daß ein Gott sey, leuchtet dem nur ein wenig ernsthaften Nachdenken über die Sinnenwelt ohne Schwierigkeit ein. Man muß zuletzt doch damit enden, demjenigen Daseyn, was insgesammt nur in einem andern Daseyn gegründet ist, ein Daseyn zu Grunde zu legen, welches den Grund seines Daseyns in sich selber habe; und dem in unaufhaltbarem Zeit|flusse hinfließendem Veränderlichen ein daurendes und unveränderliches zum Träger zu geben. Unmittelbar sichtbar aber, und 77 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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wahrnehmbar durch alle auch äußere Sinne, erscheinet die Gottheit, und tritt ein in die Welt in dem Wandel göttlicher Menschen. In diesem Wandel stellt sich dar die Unveränderlichkeit des göttlichen Wesens in der Festigkeit und Unerschütterlichkeit des menschlichen Wollens, das schlechthin durch keine Gewalt von der vorgezeichneten Bahn abzubringen ist. In ihm stellet sich dar Gottes innere Klarheit an der menschlichen Erfassung und Umfassung alles Irrdischen in dem Einen, das da ewig dauert. In ihm stellet sich dar Gottes Wirken, nicht gerade in der Beglückung, worin auch das göttliche Wirken nicht besteht, sondern in dem Ordnen, Veredlen und Würdigmachen des menschlichen Geschlechts. Ein göttlicher Wandel ist der entscheidendste Beweis, den Menschen für das Daseyn Gottes führen können. [171] Es ist der Menschheit alles daran gelegen, | daß jene Ueberzeugung vom göttlichen Daseyn, ohne welches sie selbst in ihrer Wurzel in Nichts zergehen würde, in derselben nie verschwinde, und untergehe, und ganz besonders muß den Regenten, als den höchsten Anordnern der menschlichen Verhältnisse daran gelegen seyn. Theoretisch durch Vernunftgründe jenen Beweis zu führen, oder über die Art dieser BeVI, 428 weisführung durch die zweite Gattung der Gelehrten zu rich|ten, und zu wachen, ist nicht ihres Amtes; dagegen aber fällt die faktische Beweisführung durch ihr eignes Leben, und diese zwar in der höchsten Instanz, ihnen ganz eigentlich anheim. Spreche aus ihrer Verwaltung uns allenthalben Festigkeit und Sicherheit, spreche allseitige Klarheit, spreche ein ordnender und veredelnder Geist uns an, und wir werden in ihren Werken Gott sehen von Angesicht zu Angesicht, und keines andern Beweises bedürfen; Gott ist, werden wir sagen, denn sie sind, und er ist in ihnen.
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| Neunte Vorlesung. Vom mündlichen Gelehrten=Lehrer.
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Neben denjenigen Besitzern der Ideen, deren Geschäft es ist, durch Leitung der menschlichen Angelegenheiten die Idee unmittelbar in das Leben einzuführen, giebt es noch eine zweite Gattung: die eigentlich und vorzugsweise also genannten Gelehrten, welche die Idee zunächst darstellen im Begriffe; und deren Beruf es ist, die Ueberzeugung, daß es überhaupt eine göttliche dem Menschen zugängliche Idee gebe, zu erhalten, diese Idee immerfort zur höheren Klarheit und Bestimmtheit zu erheben, und sie in dieser sich stets verjüngenden und verklärenden Gestalt von Geschlecht zu Geschlecht fortzupflanzen. | Dieser letztere Beruf theilt sich wiederum in zwei andere, ihrem [173] nächsten Zweck und den Regeln ihrer Ausführung nach sehr verschiedene Geschäfte. Entweder nemlich sollen nur erst die Gemüther der Menschen zur Empfänglichkeit für die Idee heraus gebildet werden, oder die Idee selber soll in einer bestimmten Gestalt für die zu ihrer Erfassung schon hinläng|lich gebildeten, niedergelegt werden. Das er- VI, 429 ste Geschäft hat zu seinem nächsten, und unmittelbaren Gegenstande bestimmte Menschen; der Gebrauch, der in derselben von der Idee gemacht wird, ist lediglich das Mittel, eben diese Menschen, als den nächsten Zweck, also zu bilden, daß sie fähig werden, selbstständig und durch sich die Idee zu erfassen. Es folget, daß in diesem Geschäfte Rüksicht auf die zu bildenden Menschen, den Standpunkt ihrer Bildung, und ihre Bildsamkeit überhaupt genommen werden muß; und daß ein Wirken in diesem Fache Werth hat, nur, inwiefern es gerade auf diejenigen passet, auf die es berechnet ist, und auf | keine anderen. [174] Das zweite hat zum Gegenstande unmittelbar die Idee, und die Bildung und Gestaltung derselben in einem Begriffe, und nimmt durchaus keine Rüksicht auf irgend eine subjektive Beschaffenheit und Bildsamkeit der Menschen; es hat dieses Geschäft überhaupt keinen im Gesichte, als ganz bestimmt denjenigen, welcher fähig ist, die Idee in dieser ihr gegebenen Gestalt zu fassen, sein Werk selber setzt und bestimmt durch sich selbst den Empfänger, und dieses Werk ist eben für den79 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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jenigen, der es fassen kann. Der erstere Zweck wird am besten und schicklichsten erreicht durch mündliche Vorträge der Gelehrten=Erzieher; der zweite durch gelehrte Schriften. Beide Geschäfte gehören zu dem eigentlichen Gelehrten Berufe, keinesweges zu den subalternen, und untergeordneten Verrichtungen der Studirten, die ihnen nur darum anheim fallen, weil sie den eigentlichen Zweck ihres Studirens nicht erreicht haben. Jeder, der auch nur gewissenhaft sein Studiren betrieben, und bei | diesem gewissenhaften Studium ganz sicher einen Begriff von der Wichtigkeit des Gelehrten Berufs erhalten, zeiget durch die Nichtübernahme der zuletzt genannten Geschäfte, falls er nicht mit fester Ueberzeugung die Tüchtigkeit zu denselben in sich findet, daß er dieselben für heilig achte; wer sie aber übernimmt, zeigt es durch die würdige Verwaltung. In der künftigen Stunde werden wir von dem würdigen Schriftsteller reden; heute unterhalten wir uns von dem würdigen Lehrer künftiger Gelehrten. Die Lehrer und Erzieher derjenigen, die sich für den ge|lehrten Stand bestimmen, sind aus guten Gründen einzutheilen in zwei Klassen; in die Lehrer an den niedern gelehrten Schulen, und in die an den höhern, oder den Universitäten. Nicht ohne Bedacht zähle ich auch die Lehrer an den niedern gelehrten Schulen zu den eigentlichen, keinesweges aber subalternen Gelehrten, und fordere in dieser Rüksicht von ihnen, daß sie in den Besitz der Ideen gekommen, und von denselben, wenn | auch nicht gerade bis zur innigen Klarheit, dennoch bis zur lebendigen Wärme, durchdrungen seyen. Schon als Knabe werde derjenige, der zum Studiren bestimmt ist, ihm selbst unsichtbar mit den Ideen, und der Heiligkeit derselben umgeben, und in sie eingetaucht. Nichts werde gemein und handwerksmäßig mit ihm getrieben, und ihm als Mittel für einen beschränkten Zweck Preis gegeben, woraus irgend einmal etwas ideales sich entwickeln soll. Zum Glück sind die G e g e n s t ä n d e , welche ganz eigentlich in die Schulen gehören, von der Art, daß sie jeden, der sie nur gründlich treibt, über die gemeine Denkart erheben, und die Lehrer unvermerkt leiten, auch ihre Anvertrauten darüber wegzusetzen; möchte nur von der äußern Lage derselben Lehrer in der Regel sich dasselbe sagen lassen, und ihre Unabhängigkeit, und ihr Standpunkt in der Gesellschaft ihrem höchst ehrwürdigen Berufe immer entsprechen. Die G e g e n s t ä n d e des Schulunterrichts sagte ich: An einem gründlichen Studium der Sprache, | getrieben, so wie es getrieben werden muß, an alten, von unsrer Verknüpfung der Begriffe wesentlich verschiedenen Sprachen, entwickelt sich eine tiefere Einsicht in die Begriffe, und aus den Werken der Alten, an denen 80 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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dieses Studium getrieben zu werden pflegt, spricht ein würdiger und veredlender Geist das jugendliche Gemüth an. Aus diesem Grunde soll der Lehrer an jeder Schule für künftige Gelehrte der Ideen theilhaftig seyn, weil er den Jüngling mit dem Hohen und Edlen, noch ehe dieser es zu unterscheiden vermag von dem Gemeinen, unvermerkt vertraut zu machen, und ihn an dasselbe zu gewöhnen hat, und ihn zu entwöhnen von dem Niedrigen und Unedlen. – Also bewahret in den Jahren des zarten Alters, und also vorbereitet auf das Höhere, betrete der | VI, 431 Jüngling die Universität. Auf dieser erst kann ihm deutlich ausgesprochen werden, und er geleitet werden, zu begreifen, und anzuerkennen, – was ich in diesen Vorlesungen vor Ihnen auszusprechen mich bestrebt | habe: – daß unser gesammtes Geschlecht wahrhaft da ist nur [178] in dem göttlichen Gedanken, und daß es Werth hat, nur inwiefern es mit diesem göttlichen Gedanken übereinkommt, und daß der Stand der Gelehrten dazu da ist, um diesen göttlichen Gedanken nachzubegreifen, und ihn einzuführen in die Welt. Auf der Universität erst kann der Studirende einen deutlichen Begriff von dem Wesen und der Würde derjenigen Bestimmung erhalten, welcher schon vorher sein Leben gewidmet wurde. Hier muß er diesen deutlichen Begriff erhalten. Der Lehrer an der niedern Schule hatte noch auf einen andern Unterricht zu rechnen für seinen Anvertrauten, und setzte denselben voraus: der akademische Lehrer hat auf keinen weitern Unterricht zu rechnen, außer auf denjenigen, den der angehende Gelehrte sich selber zu geben hat, und zu welcher Fähigkeit, daß er sich selber sein eigner Lehrer werde, er ihn eben 1 erheben soll: aus seinem Hörsaale ihn entlassend, übergiebt er ihn an sich selber und an die | Welt. Hierin eben, daß der [179] Jüngling auf der niedern Schule seinen Beruf nur ahnde, der Jüngling aber auf der Universität ihn deutlich begreife und erkenne, dürfte wohl der wahre charakteristische Unterschied der niederen von der höhern Schule liegen, und dadurch die verschiedenen Pflichten der Lehrer an beiden bestimmt werden. Der akademische Lehrer, von welchem wir vorzüglich zu reden haben, soll den mit dem Wesen und der hohen Würde seines Berufs deutlich bekannt gemachten Studirenden bilden zur Empfänglichkeit für die Idee, und zu der Fähigkeit, dieselbe aus sich selber zu entwickeln, Das hier in der Erstausgabe stehende »aber« wurde – in Übereinstimmung sowohl mit der Edition dieses Textes durch I. H. Fichte als auch mit seiner Edition im Rahmen der Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften – durch »eben« ersetzt.
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und ihr eine eigenthümliche Gestalt zu geben: – alles dies, wenn er kann: in jedem Fall aber, und unbedingt, soll er ihn mit Achtung und Respekt für den eigentlichen Gelehrten=Beruf erfüllen. Der erste Zweck des Studirens, daß die Idee von einer neuen und eigenthümlichen Seite gefaßt werde, ist zwar nicht aufzugeben, weder von dem Lernenden noch von | dem Lehrenden an dem | Lernenden; es wäre aber doch möglich, daß er verfehlt würde, und beide müssen sich im Voraus auf diese Möglichkeit bescheiden. Wird auch dieser Zweck verfehlt, so kann der studirte, noch immer ein brauchbarer, würdiger, und rechtschaffner Mann bleiben. Der letzte Zweck aber, daß er wenigstens Achtung für die Idee aus seinen Bestrebungen nach derselben mit davon bringe, um dieser Achtung willen vermeide etwas zu übernehmen, dem er sich nicht gewachsen fühlt, wenigstens durch die Fortdauer dieser Achtung für das ihm unerreichbare, fortdauernd sich heilige, und alles, was an ihm liegt, beitrage, um diese Achtung unter den Menschen zu erhalten, ist niemals aufzugeben; denn, falls sogar dieser Zweck nicht erreicht würde, ginge über seinem Studiren selbst seine Würde als Mensch verloren, und er würde, durch dasjenige, was ihn erheben sollte, nur um so tiefer verdorben. Die Erreichung des ersten Zwecks an dem Studirenden ist für den akademischen Lehrer ein beding|ter Zweck: bedingt durch die Möglichkeit seiner Ausführung. Die Erreichung des zweiten muß er stets ansehen, und anerkennen, als seinen unbedingten Zweck, den er mit Wissen und Willen nie aufgeben darf. Zwar möchte es kommen, daß er auch diesen nicht erreichte; nur muß er niemals an dessen Erreichung verzweifeln. Was kann nun der akademische Lehrer für die Erreichung des letztern Zweckes thun? Ich antwortete: er kann dafür nichts besonderes thun, und nichts anderes, als dasjenige, was er für den ersten und nächsten Zweck ohnedies thun müßte. Indem er dies letztere thut, und es ganz thut, thut er zugleich das erstere mit. Er prägt ihnen Achtung für die Wissenschaft ein; sie werden ihm nicht glauben, wenn er nicht diese tiefe Achtung, die er ihnen empfiehlt, selber in seinem ganzen Leben zeigt. Er will sie innigst mit dieser Achtung durchdringen; lehre er nicht bloß durch Worte, sondern durch die That; sey er selbst das lebendige Beispiel, und | die ununterbrochene Erläuterung desjenigen Satzes, den er ihnen zum Leiter ihres ganzen Lebens geben will. Das Wesen des gelehrten Berufs, als einen Ausdruck der göttlichen Idee, hat er ihnen beschrieben; daß diese Idee den wahren Gelehrten | ganz durchdringe, und erfasse, und ihr Leben an der Stelle seines eignen Lebens setze, hat er ihnen gesagt; vielleicht hat er ihnen noch 82 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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überdies gesagt, auf welche bestimmte Weise nun Er selber an seinem Theile den Endzweck der Wissenschaft zu verwalten habe, und worinn sein eigentlicher besonderer Beruf, als akademischer Lehrer bestehe. Zeige er sich als das, was er dies seyn muß, als ergriffen von diesem seinen Berufe, und als das immerwährende Opfer desselben, und sie werden begreifen lernen, daß die Wissenschaft etwas achtungswürdiges sey. Durch diese Seite seines Berufes werden nun zwar die Pflichten des akademischen Lehrers nicht verändert, denn er kann, wie schon oben gesagt, für den letztern Zweck nichts thun, | was er nicht ohnedies für den ersten hätte thun müssen: aber seine eigene Ansicht dieses Berufes wird ruhiger und fester. Möge ihm auch unmittelbar gar nicht sichtbar werden, und einleuchten, daß er seinen eigentlichen Zweck, seine Anvertrauten über das bloß leidende Auffassen zur Selbstthätigkeit, und über den Buchstaben hinaus zu der geistigen Ansicht zu führen, erreiche, so wird er darum doch nicht sogleich vergebens gearbeitet zu haben glauben. Dem akademischen Studium muß ohnedies das eigne Studium, zu welchem das erste nur die Vorbereitung ist, folgen. Ob er nun nicht doch zu diesem kräftig angeregt, ob er nicht einige, bis jetzt freilich nicht erscheinende Funken für dieses, die zu rechter Zeit sich schon entzünden werden, in die Seelen geworfen habe, das kann er doch immer nicht wissen. Allein selbst den schlimmsten Fall gesetzt, daß er auch so viel nicht erreicht hätte, – seine Thätigkeit hat noch einen andern Zweck, und wenn sie auch nur für diesen etwas geleistet hat, so ist sie | nicht ganz verloren. Wenn nur wenigstens der Glaube, daß es etwas achtungswürdiges für den Menschen gebe, daß Menschen durch Fleiß und Redlichkeit sich zur Anschauung dieses Achtungswürdigen erheben, und in dieser Anschauung kräftig und seelig seyn können, erhalten, und bei einigen erfrischt und belebt worden; wenn nur einigen die Ansicht ihres Geschäfts ein wenig gesteigert worden, so daß sie mit weniger | Leichtsinn an dasselbe gehen werden, wenn er nur hoffen darf, daß einige seinen Hörsaal, wenn auch nicht gerade geistreicher, doch wenigstens bescheidener, verlassen werden, so hat er nicht ganz ohne Erfolg gearbeitet. Der akademische Lehrer wird ein Beispiel der Achtung für die Wissenschaft, sagten wir, indem er sich zeiget als ganz und völlig durchdrungen und aufgegangen in seinem Berufe, und als ein nur ihm geweihetes Werkzeug. Was erfordert dieser Beruf? Er, der akademische Lehrer, soll Menschen zur Empfäng|lichkeit für die Idee ausbilden: er muß die Idee 83 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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kennen, sie ergriffen haben, und von ihr ergriffen seyn; wie könnte ausserdem eine Empfänglichkeit für das ihm unbekannte ihm bekannt seyn? Er muß diese Empfänglichkeit selbst ehemals in sich ausgebildet haben, und sie mit sehr klarem Bewußtseyn in sich ausgebildet haben; denn nur durch unmittelbaren eigenen Besitz kann sie erkannt werden, nur durch unmittelbare eigene Erwerbung kann die Kunst, dieselbe zu erwerben, bekannt werden. Er kann sie zu dieser Empfänglichkeit nur durch die Idee selber, und dadurch, daß er diese in den verschiedensten Gestalten und Wendungen an sie bringt, und sie an ihnen versucht, ausbilden. Die Idee ist durchaus eigenthümlicher, und von allem Mechanismus in der Wissenschaft völlig verschiedener Natur; nur dadurch, daß man sie empfängt, bildet sich die Empfänglichkeit für sie. Durch das Mittheilen des bloßen Mechanismus übt man freilich im [186] Mechanismus, nimmermehr aber erhebt man zur Idee. Es ist eine | unerlaßliche Anforderung an den akademischen Lehrer, daß er die Idee in vollkommner Klarheit, und als Idee erfaßt habe, und den besondern Lehrzweig, den er etwa vorträgt, in der Idee erfaßt habe; und aus ihr verstehe, was dieser Lehrzweig eigentlich sey, bedeute, und wolle: indem ja jeder besondere Lehrzweig keinesweges vorgetragen wird, lediglich damit er vorgetragen werde, sondern als eine besondere Gestalt, und Seite der Einen Idee, und damit auch diese Seite an dem Studirenden versucht, und er an ihr versucht werde. Könnte nicht wenigstens am Schlusse seiner gelehrten Bildung dem Studirenden klar mitgetheilt VI, 435 | werden, was das Studiren sey, so wäre ja das Studiren rein aus der Welt ausgetilgt, und es würde gar nicht mehr studirt, sondern es wäre lediglich die Anzahl der Handwerke um Eins, oder einige vermehrt.Wer sich nicht in dem lebendigen und klaren Besitze der Ideen weiß, der zeigt, wenn er auch nur gewissenhaft ist, seine Achtung für den Beruf [187] eines akade|mischen Lehrers, von dessen Wesen er doch wohl bei seinem Durchgange durch das Studiren Kunde bekommen haben wird, durch die Nichtübernehmung desselben. Der akademische Lehrer hat den Beruf, nicht nur überhaupt die Idee, in dem Einen und vollendeten Begriffe, in dem er sie erblickt, so wie der Schriftsteller, mitzutheilen; sondern er muß sie auf das mannigfaltigste gestalten, ausdrücken, und kleiden, um in irgend einer dieser zufälligen Hüllen sie an diejenigen, nach deren gegenwärtiger Bildung er sich zu richten hat, zu bringen. Er muß daher die Idee nicht bloß überhaupt, er muß sie in einer großen Lebendigkeit, Beweglichkeit, und innerer Wendbarkeit und Gewandheit besitzen: Er vorzüglich muß dasjenige, was wir oben als Künstlertalent des Gelehrten beschrie84 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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ben haben, besitzen: die vollendete Fähigkeit, und Fertigkeit, in jeder Umgebung, den Funken der sich zu gestalten beginnenden Idee anzuerkennen, immer das geschickteste Mittel zu finden, um gerade diesem | Funken zu vollkommnem Leben zu verhelfen, allenthalben und in jedem Zusammenhange anzuknüpfen wissen, dasjenige, worauf es eigentlich ankommt. Der Schriftsteller mag nur Eine Form für seine Idee besitzen; ist diese Form nur vollkommen, so hat er seiner Pflicht Genüge gethan: der akademische Lehrer soll eine Unendlichkeit von Formen besitzen, und ihm kommt es nicht darauf an, daß er die vollkommene Form finde, sondern daß er die in jedem Zusammenhange passendste finde. Ein guter akademischer Lehrer muß ein sehr guter Schriftsteller seyn können, sobald er will: umgekehrt aber folgt es gar nicht, daß selbst ein guter Schriftsteller ein guter akademischer Lehrer sey. Doch hat jene Fertigkeit und Gewandtheit ihre Grade, und das Recht auf den akademischen Beruf ist nicht gerade jedem, der dieselbe nur nicht in dem höchsten Grade besitzt, abzusprechen. | Es folgt aus dieser von dem akademischen Lehrer zu fordernden Gewandtheit in der Ge|staltung der Idee noch eine neue Forderung an ihn – diese, daß seine Mittheilung stets neu sey, und die Spur des frischen und unmittelbar gegenwärtigen Lebens trage. Nur das unmittelbar 2 lebendige Denken belebt fremdes Denken, und greift ein in dasselbe: eine veraltete und todte Gestalt, sey sie auch vorher noch so lebendig gewesen, muß erst durch den andern und seine eigne Kraft wieder in das Leben gerufen werden: die letztere Forderung macht mit Recht der gelehrte Schriftsteller an seinen Leser; der akademische Lehrer aber, der in diesem Geschäfte nicht Schriftsteller ist, würde sie mit Unrecht machen. Diesem Berufe giebt nun der würdige, und gewissenhafte Mann, so gewiß er ihn übernahm, und so lange er ihn beibehält, sich ganz hin, nichts anderes wollend, denkend, und begehrend, als gerade das zu seyn, was er seiner Ueberzeugung nach seyn soll; und zeiget dadurch öffentlich seinen Respekt für die Wissenschaft. | Für die Wissenschaft, als solche, sage ich, und weil sie Wissenschaft ist, für die Wissenschaft überhaupt, als die Eine und dieselbige göttliche Idee, in allen den verschiedenen Zweigen und Gestalten, in Das hier in der Erstausgabe stehende »unmittelbar« wurde – in Übereinstimmung sowohl mit der Edition dieses Textes durch I. H. Fichte als auch mit seiner Edition im Rahmen der Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften – durch »mittelbar« ersetzt. 2
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denen sie heraustritt. Es ist wohl möglich, daß einen Gelehrten, der ausschließend einem gewissen Fache sein Leben gewidmet hat, eine Vorliebe für sein Fach, und eine Ueberschätzung desselben andern Fächern gegenüber befalle; entweder weil er sich nun einmal daran gewöhnt hat, oder auch, weil er durch das vornehmere Fach selbst vornehmer geworden zu seyn glaubt. Wende ein solcher noch so viel Kraft auf die Bearbeitung dieses Fachs, er wird dem Unbefangenen nie den Anblick eines solchen geben, der die Wissenschaft als solche verehrt, und wird den scharfen Beobachter dessen nie überreden, wenn er mindere Achtung anderer, der Wissenschaft eben sowohl angehörigen Fächer, blicken läßt. Es wird dadurch nur klar, daß er die Wissenschaft nie [191] als Eins begriffen, daß er sein Fach nicht aus diesem | Einen heraus begriffen, daß er sonach selbst dieses sein Fach keinesweges als WisVI, 437 senschaft, sondern nur als sein Handwerk | liebe, welche Liebe zum Handwerke denn auch anderwärts gar löblich seyn mag, in der Wissenschaft aber von der Benennung eines Gelehrten ganz und gar ausschließt. Wer, sey es auch in einem beschränkten Fache, wirklich der Wissenschaft theilhaftig geworden, und sein Fach von ihr aus erhalten, der mag vielleicht sehr vieles aus andern Wissenschaften nicht einmal historisch wissen, aber ein allgemeines Verständniß von dem Wesen jedes Zweiges hat er, und eine stets sich gleich bleibende Achtung aller Theile der Wissenschaft wird er immer zeigen. Nur durch diese Liebe seines Berufs und der Wissenschaft sey er getrieben, und zeige er sich getrieben; nicht durch irgend etwas anderes, nicht achtend seiner Person, oder anderer Personen Interesse. Schweige ich auch hier, so wie anderwärts, von dem ganz gemeinen, [192] das in den Umkreis, der heiliges berührt hat, nie | eintreten möge: setze ich z. B. gar nicht als möglich voraus, daß ein Priester der Wissenschaft, der neue Priester ihr zu weihen gedenkt, vermeide, dasjenige zu sagen, was jene nicht gern hören, deswegen weil sie es nicht gern hören, auf daß dieselben ja fortfahren, Ihn gern zu hören. Nur eine nicht ganz in diesem Grade unedle, und gemeine Verirrung verstattet es vielleicht, daß ihrer gedacht, und das Gegentheil von ihr aufgestellt werde. In jedem Worte, das der akademische Lehrer in seinem Berufe ausspricht, spreche die Wissenschaft, spreche seine Begierde, diese zu verbreiten, spreche die innigste Liebe zu seinen Zuhörern, – nicht als zu seinen Zuhörern, sondern als zu künftigen Dienern der Wissenschaft. Sie, die Wissenschaft, sie, diese lebendige Begierde, die Wissenschaft deutlich zu machen, rede, nicht aber rede der Lehrer. Ein Streben zu reden, damit geredet sey, und schön zu reden, damit schön geredet sey, und 86 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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die andern es wissen; – die Sucht, Worte zu machen, und | schöne Worte, wo doch die Sache schweigt, ist keines Menschen Würde angemessen, am wenigsten aber der eines akademischen Lehrers, welcher zugleich die Würde der Wissenschaft für künftige Generationen repräsentirt. Dieser Liebe seines Berufs und der Wissenschaft gebe er | sich ganz hin. Das Wesen seines Geschäfts besteht darin, daß die Wissenschaft, und besonders diejenige Seite, von welcher er dieselbe ergriffen, immer fort und fort neu und frisch in ihm aufblühe. In diesem Zustande der frischen geistigen Jugend erhalte er sich; keine Gestalt erstarre in ihm und versteine: jeder Sonnenaufgang bringe ihm neue Lust und Liebe zu seinem Geschäfte, und mit ihr neue Ansichten. Die göttliche Idee an und für sich ist geschlossen, auch ist sie in jeglichem ihrer einzelnen Theile geschlossen. Die bestimmte Form ihres Ausdruckes für ein bestimmtes Zeitalter kann gleichfalls geschlossen seyn; aber das lebendige Regen in ihrer Mittheilung ist unendlich, so wie die | Forterschaffung des menschlichen Geschlechts unendlich ist. Bleibe keiner in diesem Kreise, in welchem die Form dieser Mittheilung, und sey es die vollkommenste dieses Zeitalters, anfängt zu erstarren; keiner, dem nicht fort die Quelle der Jugend fließet. Dieser Quelle gebe er sich treulich hin, so lange sie ihn fortträgt; läßt sie ihn fahren, so bescheide er sich, in diesen Wechsel des werdenden Lebens nicht mehr zu gehören, und scheide das Todte von dem Lebendigen. Es lag in meinem Ihnen vorgezeichneten Plane, m. H., auch diesen Gegenstand, über die Würde des akademischen Lehrers, abzuhandeln. Ich hoffe dies mit derselben Schärfe gethan zu haben, mit der ich von den übrigen unsrer Betrachtung allhier anheim fallenden Gegenständen geredet habe; ohne bei dem letzten durch die Betrachtung mich mildern zu lassen, daß ich selber den Beruf verwalte, von welchem ich redete, und daß ich ihn verwaltete in derselben Stunde, da ich | davon redete. Durch welches Bewußtseyn mir diese Festigkeit gegeben wurde, mögen Sie zu einer andern Zeit untersuchen; jetzt reicht es für Sie hin, lebendig einzusehen, daß die Wahrheit, in jeder Anwendung, welche man von ihr macht, wahr bleibe.
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| Zehnte Vorlesung. Vom Schriftsteller.
Um die Ihnen gelieferte Uebersicht des gesammten Gelehrten=Berufs zu vollenden und abzuschließen, habe ich heute nur noch vom Berufe des Schriftstellers zu reden. Ich habe bisher über die besondern Gegenstände meiner Untersuchung rein und klar die Idee ausgesprochen, ohne Seitenblicke auf die wirkliche Beschaffenheit der Dinge im Zeitalter zu werfen. Mit dem heute abzuhandelnden Gegenstande auf dieselbe Weise zu verfahren, ist beinahe unmöglich. Der Begriff des Schriftstellers ist in unserm Zeitalter so gut als unbekannt; und etwas höchst unwürdiges usurpirt sei[197] nen Namen. Hier ist der eigent|liche Schaden des Zeitalters, und der wahre Sitz aller seiner übrigen wissenschaftlichen Uebel. Hier ist das Unrühmliche rühmlich geworden, und wird aufgemuntert, geehrt, und belohnt. Es ist nach der fast allgemein verbreiteten Meinung ein Verdienst und eine Ehre, daß jemand etwas habe drucken lassen, lediglich darum, weil er hat drucken lassen, und ohne alle Rücksicht darauf, was das ist, was er hat drucken lassen, und wie dasselbe ausgefallen. Anspruch aber auf den höchsten Rang in der gelehrten Republik machen diejenigen, welche wiederum drucken lassen, daß und was andere haben drucken lassen, oder wie man es nennt, welche die Schriften Anderer recensiren. – Es läßt sich kaum erklären, wie eine so ungereimte Meinung habe entstehen und Wurzel fassen können, wenn man die Sache nach ihrem wahren Wesen betrachtet. Hiermit verhält es sich nun so: an die Stelle anderer aus der Mode [198] gekommenen Zeitvertreibe trat in der letzen Hälfte des vo|rigen Jahrhunderts das Lesen. Dieser neue Luxus fordert von Zeit zu Zeit neue VI, 440 Modewaaren; denn es ist ja un|möglich, daß einer wiederum lese, was er schon einmal gelesen hat, oder auch dasjenige, was unsere Vorgänger vor uns gelesen haben; – so wie es unanständig ist, in demselben Kleide zu wiederholten Malen in große Gesellschaft zu kommen, oder sich nach der Sitte der Großältern zu kleiden. – Das neue Bedürfniß 88 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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erzeugte ein neues Gewerbe, durch Lieferung der Waare sich zu nähren und zu bereichern strebend; den Buchhandel. Der glückliche Erfolg, den die ersten Unternehmer bei diesem Gewerbe fanden, feuerte wieder andere an; und so ist es denn in unsern Tagen dahin gekommen, daß der ganze Nahrungszweig sehr übersetzt ist, und viel zu viel Waare nach dem Verhältniß der Abnehmer geliefert wird. Der Bücherverleger bestellt, so wie der Verleger jeder andern Waare, seine Waare beim Fabrikanten; lediglich darum, damit er Waare | auf die Messe bringen könne; er erhandelt auch wohl zuweilen unbestelltes, und blos auf Spekulation verfertigtes Gut: und der Schriftsteller, der da schreibt, damit geschrieben sey, ist dieser Fabrikant. – Es ist gar nicht zu begreifen, warum der Bücherfabrikant vornehmer sein solle, als jeder andere Fabrikant; vielmehr dürfte sich finden, daß er, da der Luxus, den er befördert, fast schädlicher ist, als jeder andere Luxus, weit geringer sei, als jeder andere Fabrikant. Daß er einen Verleger findet, mag ihm wohl nützlich und vortheilhaft seyn; wie es ihm aber zugleich eine Ehre sein könne, läßt sich nicht einsehen. Auf das Urtheil des Druckers, welches ja lediglich ein Urtheil über die Verkäuflichkeit oder Nichtverkäuflichkeit der Waare zu sein vermag, wird ohne Zweifel kein Werth gesetzt werden sollen. In diesem Andrange des litterarischen Gewerbes hatte jemand den glücklichen Gedanken, aus allen Büchern die da gedruckt werden, ein einziges fortgehendes Buch zu ma|chen, um die Leser dieses Buches des Lesens der übrigen zu überheben. Es war ein Glück, daß der letzte Zweck nicht überall erreicht wurde, und nicht alle darauf fielen, bloß dieses Buch zu lesen: indem in diesem Falle keine andere weiter abgesetzt, mithin auch nicht mehr gedruckt worden wären; somit auch dieses Buch, das für die Möglichkeit seiner eigenen Existenz | immer andere Bücher voraussetzt, gleichfalls hätte ungedruckt bleiben müssen. Ein Unternehmer eines solchen Werks, das man gewöhnlich gelehrte Bibliothek, gelehrte Zeitung u. dgl. nennt, hatte noch den Vortheil, durch die milden Beisteuern vieler Einzelnen, die in der Regel sich nicht nennen, sein Buch erwachsen zu sehen, und durch fremde Arbeiten sich Gewinn und Ehre zu verdienen. Damit die Dürftigkeit des Einfalles nicht so leicht in die Augen springe, gebrauchte man den Vorwand: man wolle die ausgezogenen Autoren zugleich beurtheilen – ein seichter Vorwand für den, der gründlich denkt, | und tiefer sieht. Entweder nemlich ist das Buch, – was dermalen die meisten Bücher sind, – ein schlechtes Buch, gedruckt lediglich, damit ein Buch mehr in der Welt sey: so hätte es gar nicht geschrieben werden sollen, es ist eine Nullität, 89 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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und deswegen ist auch die Beurtheilung desselben eine Nullität: oder das Buch ist ein Werk, wie wir tiefer unten ein wahres schriftstellerisches Werk beschreiben werden; so ist es das Resultat eines ganzen kräftigen, der Kunst oder der Wissenschaft, gewidmeten Lebens, und es dürfte leicht ein anderes ganzes eben so kräftiges Leben auf die Beurtheilung desselben verwendet werden müssen. Ein viertel oder ein halbes Jahr nach seiner Erscheinung, auf ein paar Blättern, ist ein Endurtheil darüber nicht wohl möglich. – Wie könnte es eine Ehre seyn, zu dergleichen Collecten beizusteuern, da gerade der gute Kopf mehr geneigt ist, ein zusammenhängendes Werk nach einem selbst geschaffenen, ausgedehnterem Plane zu arbeiten, als durch jede neue [202] Zeiter|scheinung sich unterbrechen zu lassen, so lange bis eine abermalige neue Erscheinung diese Unterbrechung wieder unterbricht. Jene Geneigtheit, nur stets darauf zu merken, was andere denken, und an diese Gedanken, so Gott will, einen eigenen Versuch zum Denken anzuknüpfen, ist ein entschiedenes Zeichen der Unreife, und eines unselbstständigen und abhängigen Talentes. – Oder soll die Ehre darin liegen, daß die Unternehmer solcher Werke uns des Richteramts fähig achten, und uns dasselbe übertragen? In der Regel geht ihr VI, 442 Urtheil auch nicht weiter, als das Urtheil eines | gewöhnlichen ungelehrten Drukers, – auf die Verkäuflichkeit oder Nichtverkäuflichkeit der Waare, und auf das äußere Ansehen, welches dadurch ihrem Recensions=Institute zuwächst. Es ist mir nicht unbekannt, daß ich an dem gesagten etwas sehr Paradoxes gesagt habe. Wir alle, die wir uns auf irgend eine Weise mit der Wissenschaft, die man in diesem Zusammenhange Literatur nen[203] nen kann, | beschäftigen, wachsen auf in dem Gedanken, daß die Betriebsamkeit mit derselben ein Glück sey, ein Vortheil, eine ehrenvolle Auszeichnung unsers gebildeten und philosophischen Zeitalters, und die wenigsten haben Kraft, das Vorurtheil zu durchdringen, und in sein Nichts aufzulösen. Das einzige scheinbare, was zur Vertheidigung jener Betriebsamkeit angeführt werden könnte, ist meines Erachtens folgendes: Es werde doch dadurch ein großes Publikum rege, aufmerksam und gleichsam bei einander gehalten, damit dieses Publikum, – falls einmal etwas Rechtes an dasselbe gebracht werden solle, schon vorhanden sei, und nicht erst gesammelt werden müsse. Ich aber antworte: zuvörderst scheint das Mittel für den beabsichtigten Zweck viel zu ausgedehnt, und es ist ein großes Opfer, daß mehrere Generationen mit Nichts beschäftiget werden sollen, damit einst eine künftige sich mit Etwas beschäftigen könne: sodann aber ist es gar nicht wahr, daß 90 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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ein Publikum durch jene verkehrte | Betriebsamkeit, – nur rege erhalten werde, es wird durch dieselbe zugleich verkehrt, verbildet und für das Rechte verdorben. – Es ist in unserm Zeitalter manches Vortreffliche erschienen, ich will hier nur die Kantische Philosophie nennen; – aber gerade jene Betriebsamkeit des litterarischen Marktes hat es ertödtet, verkehrt und herabgewürdiget, so daß der Geist davon verflogen ist, und statt seiner nur noch ein Gespenst herum geht, dessen niemand achtet. Wie das Schreiben um des Schreibens willen zu ehren vermöge, predigt die Gelehrten=Geschichte unserer Tage jedem, der gründlich denkt. Wenige Schriftsteller ausgenommen haben die übrigen durch ihre Schriftstellerei sich ein schlimmeres Zeugniß gegeben, als irgend ein anderer ihnen hätte geben können, und kein nur mittelmäßig wohldenkender würde | geneigt seyn, studirte Männer sich so seicht, verkehrt und geistlos zu denken, als die Mehrzahl in ihren eigenen Schriften sich zeigt. Das | einzige Mittel, noch einige Achtung für sein Zeitalter, und einiges Bestreben, auf dasselbe zu wirken, beizubehalten, ist dieses: anzunehmen, daß diejenigen, welche ihre Meinung laut vernehmen lassen, die schlechteren sind, und daß es blos unter denjenigen, die da schweigen, einige gebe, die der Belehrung über das Bessere, und Vollkommnere fähig seyen. Dieses schriftstellerische Gewerbe des Zeitalters also ist es nicht, von welchem ich rede, wenn ich vom schriftstellerischen Berufe spreche, sondern etwas ganz anderes. Den Begriff des Schriftstellers habe ich schon oben durch Unterscheidung desselben von dem mündlichen Lehrer des angehenden Gelehrten angegeben. Beide haben die Idee auszudrücken und mitzutheilen in der Sprache; der letztere für bestimmte Individuen, nach deren Empfänglichkeit er sich zu richten hat, der erstere ohne alle Rücksicht auf irgend ein Individuum, in der vollendetsten Gestalt, welche sie in diesem Zeitalter annehmen kann. | Die Idee soll der Schriftsteller darstellen; er muß daher der Idee theilhaftig seyn. Alle schriftstellerische Werke sind entweder Werke der Kunst, oder der Wissenschaft. Was ein Werk der ersten Art anbetrift, so versteht es sich von selbst, daß, da es unmittelbar keinen Begriff ausdrückt, und den Leser von nichts belehrt, es nur die Idee ausdrücken könne, und unmittelbar anregen müsse in demselben, widrigenfalls es nur ein leeres Spiel mit Worten seyn, und gar keinen Inhalt haben würde. Was ferner wissenschaftliche Werke betrifft, so muß der Verfasser eines solchen Werks die Wissenschaft nicht blos historisch 91 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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aufgefaßt, und von andern sie überliefert erhalten haben, sondern er muß sie durch sich selbst von irgend einer Seite idealisch durchdrungen, sie selbstschöpferisch, und auf eine neue, vorher schlechthin nicht da gewesene Weise aus sich hervorgebracht haben. Ist er lediglich ein Glied in der Kette der historischen Tradition, und vermag er nichts mehr, als die Gelahrtheit bloß | wieder zu | geben, wie er sie erhalten hat, und wie sie in irgend einem Werke, aus dem er sie geschöpft hat, schon niedergelegt ist, so lasse er doch ruhig andere aus derselben Quelle schöpfen, aus welcher auch er geschöpft hat. Wozu bedarf es denn hier seiner Vermittelung und Einmischung? Das, was schon einmahl gethan ist, noch einmal thun, heißt nichts thun, und diesen Müßiggang erlaubt sich kein Mann, der auch nur die allen anzumuthende Rechtlichkeit und Gewissenhaftigkeit besitzt. Sollte er denn, in der Zeit, da er thut, was er zu thun nicht vermag, nicht etwas zu thun finden, das seinen Kräften angemessen ist. Es kommt gar nicht darauf an, ein anderes und neues Werk in einer Wissenschaft zu schreiben, sondern ein besseres, als irgend Eins der bisher vorhandenen Werke. Wer das letztere nicht kann, der soll überhaupt nicht schreiben; und es ist Sünde, und Mangel an Rechtschaffenheit, wenn er es dennoch thut, – die sich höchstens mit seiner Gedankenlosigkeit und dem | vollkommenen Mangel an einem Begriffe von der Sache, die er treibt, entschuldigen läßt. Er soll die Idee ausdrücken in der Sprache; auf eine allgemein gültige Weise, in einer vollendeten Form. Die Idee muß in ihm so klar, lebendig und selbstständig geworden seyn, daß sie selbst ihm sich ausspricht in der Sprache; und, dieselbe in ihrem innersten Prinzip durchdringend, durch ihre eigene Kraft aus ihr einen Körper sich aufbaut. Die Idee muß selber reden, nicht der Schriftsteller. Alle Willkühr des letztern, seine ganze Individualität, seine ihm eigene Art und Kunst muß erstorben seyn in seinem Vortrage, damit allein die Art und Kunst seiner Idee lebe, das höchste Leben, welches sie in dieser Sprache und in diesem Zeitalter gewinnen kann. So wie er frei ist von der Verpflichtung des mündlichen Lehrers, sich der Empfänglichkeit anderer zu fügen, so hat er auch nicht dessen Entschuldigung vor sich. Er hat keinen gesetzten Leser im Auge, sondern er construirt seinen Leser, | und giebt ihm das Gesetz, wie er seyn müsse. – Es mag Gedrucktes geben, das ein bestimmtes Zeitalter, und ein bestimmtes Publikum im Auge behält; wir werden tiefer unten sehen, durch welche Umstände dergleichen Schriften nothwen|dig werden können: doch sind dies nicht die eigentlichen schriftstellerischen Werke, von denen wir hier sprechen, sondern es 92 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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sind gedruckte Reden, die da gedruckt wurden, weil die Versammlung, an die man sie halten wollte, nicht zusammen gebracht werden konnte. Daß auf diese Weise in seiner Person die Idee der Sprache mächtig werde, dazu wird erfordert, daß er selbst zuerst die Sprache in seine Gewalt gebracht habe. – Die Idee greift nicht unmittelbar ein in die Sprache, sondern sie greift nur vermittelst Seiner, als des Besitzers der Sprache, ein in die Sprache. Jene dem Schriftsteller unentbehrliche Herrschaft über die Sprache, erfordert lange und anhaltende Vorübungen, die da Studien sind auf künftige Werke, keinesweges aber selbst | Werke, und die der gewissenhafte Gelehrte zwar schreibt, keinesweges aber sie drucken läßt. – Es erfordert lange, und anhaltende Vorübungen, sagte ich, doch befördern hier zum Glück die beiden Erfordernisse einander gegenseitig: wie die Idee lebendiger wird, so bildet sich die Sprache, und wie die Gewandtheit im Ausdrucke wächst, so vermag die Idee in einer größern Klarheit hervor zu quellen. – Dieses sind die ersten und nothwendigsten Bedingungen aller wahren Schriftstellerei. Die Idee selbst nun – auszudrücken auf die beschriebene Weise seine Idee in der Sprache, ist es, welche lebet, und allein lebet in jedem, dem die Ahndung aufgegangen, daß er wohl einst ein schriftstellerisches Werk liefern könne; sie ist es, welche ihn treibt, bei seinen Vorbereitungen und Studien auf dieses Werk, so wie bei der einstigen Vollziehung seines Vorsatzes. Begeistert wird er durch diese Idee, zu einer würdigen und heiligen Ansicht des schriftstellerischen Berufes. Das Werk des mündli|chen Gelehrten=Lehrers ist unmittelbar und an sich selber doch immer nur ein Werk an die Zeit und für die Zeit, berechnet auf die Stuffe der Bildung derer, die sich ihm anvertrauten. Nur inwieferne er voraussetzen darf, daß unter ihm sich wieder würdige Lehrer für die Zukunft bilden, die einst wiederum andere bilden werden, und so ins Unendliche fort, kann er sich denken, als wirkend für die Ewigkeit. Das | Werk des Schriftstellers aber ist in sich selber ein Werk für die Ewigkeit. Mögen künftige Zeitalter einen höhern Schwung nehmen in der Wissenschaft, die er in seinem Werke niedergelegt hat; er hat nicht nur die Wissenschaft, er hat den ganz bestimmten und vollendeten Charakter eines Zeitalters, in Beziehung auf diese Wissenschaft in seinem Werke niedergelegt, und dieser behält sein Interesse, so lange es Menschen auf der Welt geben wird. Unabhängig von der Wandelbarkeit spricht sein Buchstabe in allen Zeitaltern an alle Menschen, welche diesen Buchstaben zu beleben | vermögen, und begeistert, erhebt, und veredelt bis an das Ende der Tage. 93 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Diese Idee, in dieser ihm bekannten Heiligkeit treibt ihn, und sie allein treibt ihn. Er glaubt nicht, daß ihm Etwas gelungen sei, bis ihm Alles gelungen ist, und bis sein Werk dasteht in der angestrebten Reinheit und Vollendung. Ohne alle Liebe für seine Individualität, treu hingegeben an diese Idee, die fortdauernd ihn erleuchtet, erkennt er mit sicherm Blicke alle Reste seiner alten Natur in dem Ausdrucke der Idee für das was sie sind, und streitet unabläßig mit sich selbst, sich von denselben frei zu machen. So lange er dieser absoluten Freiheit und Reinheit sich nicht bewußt ist, hat er nicht vollendet, sondern arbeitet fort. – Wohl kann es in einem Zeitalter, wie das eben beschriebene, in welchem die Notiz von Wissenschaft sich sehr ausgebreitet hat, und auch an solche gekommen ist, die zu jedem andern Geschäfte besser [213] taugen, sich zutragen, daß er genöthigt | werde, vorläufige Rechenschaft von seinen Bestrebungen abzulegen; auch können andere Berufsweisen, z. B. die des mündlichen Gelehrten=Lehrers, ihn dazu veranlassen: aber nie wird er diese abgedrungenen Schriften für etwas Anderes geben, als für das, was sie sind, für vorläufige Rechenschaft, berechnet auf ein gewisses Zeitalter und auf einen gewissen Zeitumstand; keinesweges aber wird er sie für ein auf die Ewigkeit vollendetes Werk halten. Diese Idee allein treibt ihn, nichts Anderes: alle Rüksicht auf Personen ist ihm verschwunden. – Ich rede nicht davon, daß er sich selber VI, 447 in seinem Zwecke rein vergessen hat: | dies ist zur Gnüge auseinander gesetzt. Auch die Persönlichkeit Anderer gilt ihm der Wahrheit und der Idee gegenüber nicht mehr, als seine Eigene. Ich will nicht erwähnen, daß er andere Schriftsteller und Gelehrte nicht in ihren bürgerlichen [214] oder persönlichen Verhältnissen angreife. Dies ist durchaus un|ter der Würde dessen, der es nur mit Sachen zu thun hat, so wie es unter der Würde dieser Betrachtungen ist, davon Erwähnung zu thun. Dies aber will ich anmerken, daß er sich keinesweges durch die Schonung für eine Person abhalten laßt, den Irrthum zu widerlegen, und die Wahrheit an seine Stelle zu setzen. Die Voraussetzung von irgend einem andern: er könne dadurch beleidigt werden, daß man einen Irrthum rüge, der ihm begegnet, oder eine Wahrheit aufstelle, die ihm entgangen, wäre wohl selbst die größte Beleidigung, die einem nur halb vernünftigen Manne zugefügt werden könnte. In dieser strengen und unverholenen Aufstellung der Wahrheit, wie er sie erkannt, ohne alle Rüksicht auf Personen, läßt er sich durch nichts irre machen; auch nicht durch die vornehm vorgegebene Betrachtung der sogenannten feinen Welt, welche schriftstellerische Verhältnisse nur durch die Ver94 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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gleichung mit ihren gesellschaftlichen Zirkeln zu begreifen vermag, und dem | Verkehr der Gelehrten unter einander die Etiquette der Höfe [215] aufdringen möchte. Ich beschließe hiermit diese Vorlesungen. Ist in irgend Einen der hier vorhandenen ein Gedanke gefallen, der da bleiben wird, und ihm Führer werden wird zum Bessern, so wird dieser dabei vielleicht auch dieser Vorlesungen und Meiner gedenken, und auf diese Weise allein möchte ich Ihrem Andenken empfohlen bleiben.
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Interpretationen
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Menschliche Bildung und göttliche Idee. Über Struktur und Gedankengang von Fichtes Erlanger Vorlesungen Über das Wesen des Gelehrten Annette Sell, Bochum
Über das Wesen des Gelehrten nachzudenken, ist im Rahmen einer philosophischen Abhandlung überaus interessant und entbehrt nicht eines besonderen Reizes, denn wohl kaum ein an der Universität tätiger Philosoph oder eine Philosophin würde die Bezeichnung als Gelehrter bzw. als Gelehrte ablehnen, es sei denn aus einer gewissen Koketterie. So geht uns der Gegenstand des Gelehrten auf mannigfache Weise unmittelbar und mittelbar an. Dieser Gegenstand zeigt sich hier in der Form eines Textes, und die Beschäftigung mit einem Text bedeutet, ihn verstehen zu wollen. Ein Textverständnis wird ermöglicht durch die Erkenntnis der Struktur und des Gedankengangs dieses Textes. Die formale Struktur des Fichteschen Werks Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit ist zunächst offensichtlich und oberflächlich mit der Einteilung in zehn Vorlesungen gegeben. Fichte wendet sich in jeder Vorlesung einer eigenen Thematik zu, und es wird nun zu zeigen sein, wie er diese systematisch und rhetorisch aufbaut. Wird mit der Form einhergehend der Gedankengang der Vorlesung betrachtet, so stellt sich dem Interpreten die wohl größere Aufgabe: Welchen Gedanken trägt die Vorlesung? Welchem Gang Fichtes ist zu folgen? Diesen Fragen nach Struktur und nach Gedankengang gilt es im Folgenden nachzugehen und Antworten darauf zu finden. Dabei werden stets die verschiedenen Ebenen des Autors, des Auditoriums sowie des Gegenstandes der Vorlesungen zu differenzieren sein. Der Gelehrte Fichte spricht zu potentiell angehenden Gelehrten über das Wesen des Gelehrten. * * * Folgt man zunächst Fichtes eigener Aussage, so geht es um eine neue und verbesserte Ausgabe von »Einige[n] Vorlesungen über die Be99 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Annette Sell
stimmung des Gelehrten«. 1 Dieser Wunsch nach Verbesserung gegenüber dem früher Gesagten rekurriert auf Fichtes Jenaer Vorlesungen von 1794. 2 Das Thema des Gelehrten und die damit verbundenen philosophischen, didaktischen und politischen Aspekte des Lehrers sowie des Schülers beschäftigten Fichte zeitlebens in seinen Schriften und Briefen und wurden von ihm immer wieder neu durchdacht und verändert. Vordergründig soll es in den Erlanger Vorlesungen von 1805 Über das Wesen des Gelehrten um die Moral bzw. die Sitte des Gelehrten gehen, dementsprechend verheißt das im Lektionsverzeichnis angekündigte Thema: de moribus eruditorum. Es richtet sich also der Gelehrte Johann Gottlieb Fichte an seine Studenten und sucht diesen zu vermitteln, wie ein Gelehrter zu bestimmen und auch zu bilden bzw. auszubilden sei. Der Gelehrte – auch Fichte selbst – ist ein Mensch, der sich stets in einem gesellschaftlichen Raum bewegt und in diesem seine Wirkung entfalten muss und will. Ein im Elfenbeinturm ruhender Gelehrter ist somit per definitionem ausgeschlossen. Es geht um das Wesen des Gelehrten im Gebiet der Freiheit. Dabei sind sowohl die geistige als auch die politische Freiheit gemeint. 3 Wie und woher der Gelehrte seine Bildung, seinen Auftrag und seine pädagogische Kraft gewinnt, wird in den ersten beiden programmatischen Vorlesungen entwickelt. Um die Zielsetzungen dieser Vorlesungen zu erfüllen, bedarf es Johann Gottlieb Fichte, Werke 1794–1796, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob unter Mitwirkung von Richard Schottky (= Gesamtausgabe I, 3), StuttgartBad Cannstatt 1966, 23–68. 2 Ives Radrizzani zeigt die Unterschiede zwischen der Jenaer und der Erlanger Vorlesung auf und stellt heraus, dass der starke Bezug auf Gott noch nicht in Jena zu verzeichnen ist. Ives Radrizzani, »Die Erlanger Vorlesungen ›Über das Wesen des Gelehrten‹ : Eine ›neue und verbesserte Ausgabe‹ der ›Bestimmung des Gelehrten‹ ?«, in: Michael Gerten (Hrsg.), Fichte in Erlangen 1805 (= Fichte-Studien 34), Amsterdam/New York 2009, 381–392. Vgl. zum Vergleich dieser Vorlesungen auch Walter Jaeschke, der den inhaltlichen und methodischen Unterschied zwischen den beiden Vorlesungen herausstellt. »Überdeutlich wird diese Differenz bereits durch den zentralen Begriff der neuen Darstellung: den Begriff der ›göttlichen Idee‹. Sie ist – zumindest zunächst – das eigentliche Thema dieser Vorträge.« Walter Jaeschke und Andreas Arndt, Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785–1845, München 2012, 433. 3 Hartmut Traub stellt diesen Bezug auf die Politik bzw. die Verbindung von Politik und Wissenschaft in diesen Vorlesungen heraus. Hartmut Traub, »Von der Wissenschaft zur Weisheit. Systematische und biographische Aspekte zu Fichtes Erlanger Vorlesung Über das Wesen des Gelehrten (1805)«, in: Michael Gerten (Hrsg.), Fichte in Erlangen 1805, 329–416, hier: 403. 1
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Menschliche Bildung und göttliche Idee
zunächst bestimmter begrifflicher Voraussetzungen bzw. Prämissen. Die wesentliche Voraussetzung ist hier, dass allen Erscheinungen die göttliche Idee zugrunde liegt. Mit dem Begriff der göttlichen Idee ist der tragende Begriff dieser Vorlesungen gegeben. Erst durch die göttliche Idee ist der Mensch das, was er ist. Sie ist der Grund seines Seins. Durch die göttliche Idee ist dem Menschen auch die gelehrte Bildung gegeben, und mit der göttlichen Idee ist das göttliche Leben verbunden. Als dritter systematischer Begriff ist hier das Sein zu nennen. Die Begriffe Idee, Leben und Sein bestimmen das Wesen des Gelehrten, und durch ihn wirkt die göttliche Idee, sodass die Bildung dem Gelehrten in einer jeweiligen historischen Situation zugänglich werden kann. Der Gelehrte lebt also in einer realen Welt. Sein Ziel ist die Erkenntnis der Idee, durch die er bereits bestimmt ist. Nun ist die Aufgabe des Gelehrten also vorläufig formuliert. Auf die Frage, wie d. h. auf welche Weise diese Erkenntnis der Idee nun erreicht werden solle, antwortet Fichte mit dem Begriff der Liebe. Der »Mensch liebt die Idee, und lebt in der Idee« (19). So ist der Mensch in dieser Liebe die sinnliche Erscheinung der göttlichen Idee. Anders ausgedrückt: Im Gelehrten versinnlicht sich die göttliche Idee. Wenn Fichte in der zweiten Vorlesung die göttliche Idee näher beschreibt, so zeigt er zunächst den Zusammenhang von Sein und Leben. Das Leben ist dabei als Leben Gottes oder als Absolutes zu verstehen. Das göttliche Leben ist in sich selbst begründet und getragen sowie unveränderlich. Mit dem Begriff der Schranke bestimmt Fichte das Verhältnis des göttlichen zum natürlichen Leben. Der Natur schreibt er insofern kein Leben zu, als dass sie zwar in Gott begründet, aber ein starres, totes, endliches Wesen ist. Hier richtet sich Fichte implizit gegen die Schellingsche Naturphilosophie, die nach seinen Worten »die Natur zum Absoluten zu machen, und sie zu vergöttern strebt« (25). Der Hiatus oder die Schranke von Natur und Geist bleibt bei Fichte bestehen, und eine begriffliche Verschränkung beider ist nicht möglich. Auch die Rechts- und Staatsverhältnisse liegen in der göttlichen Idee begründet. Aber nur die göttliche Idee hat Bestand, und die Menschheit ist schließlich das »Werkzeug und Organ« (29) derselben. Dem Gelehrten fällt nun die Aufgabe zu, durch seine Bildung in einer bestimmten geschichtlichen Situation zur Kenntnis der göttlichen Idee zu kommen und diese an die Studierenden zu vermitteln, damit diese ebenfalls zu dieser Idee gelangen. Eine präzise inhaltliche Bestimmung des Begriffs der göttlichen Idee ist in diesen Vorlesun101 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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gen nicht zu finden und Fichte selbst nennt ihn einen »noch dunkle[n] Begriff« (23). Als Attribute können ihr Unendlichkeit, Unveränderlichkeit, Herrscher über die Natur, Grund alles Seins und Daseins beigelegt werden. Philosophiehistorisch ist hier eher an die platonischen Idee als an den Kantischen Ideenbegriff zu denken, der sich von diesem grundlegend unterscheidet. 4 Da es sich in diesen Vorlesungen um Fichtes sogenannte Populärphilosophie handelt, sind eine transzendentalphilosophische Deduktion der Begriffe oder eine Genesis auch nicht zu erwarten. 5 Jedoch sind die Vorlesungen vor dem Hintergrund einer ausgefeilten Systematik entstanden. Im Hintergrund stehen die Wissenschaftslehren von 1804 und 1805, auf deren Bestimmung des Absoluten Fichte hier populärphilosophisch aufbauen und so die Idee als göttliche bilden konnte. Die ersten beiden Vorlesungen geben also eine Antwort auf die Frage nach dem Gegenstand der Vorlesungen. Die göttliche Idee beantwortet demnach die Frage: Was ist ihr Gegenstand? Wird gefragt, wer ihr Gegenstand ist, so ist zu antworten: der Studierende sowie der Gelehrte. 6 * * * Im Anschluss an diese philosophisch-systematische Vorbereitung geht es in der dritten bis sechsten Vorlesung vornehmlich um die konkrete Ausbildung des angehenden Gelehrten bzw. des Schülers oder Studenten. Dabei ist der appellative Ton dieser Vorlesungen nicht zu verkennen. Damit sich der Student zu einem Gelehrten entwickelt, bedarf es des Talents und des Fleißes. Das Talent kann aber nicht durch Fleiß erworben werden. Die Idee selbst offenbart sich in dem Talent. Ist der Trieb zum Geistigen stark ausgeprägt, so kann von einem Genie gesprochen werden. Der Fleiß hingegen ist allen MenZu den philosophiehistorischen Bezügen des Ideenbegriffs in diesen Vorlesungen siehe Hartmut Traub, »Von der Wissenschaft zur Weisheit. Systematische und biographische Aspekte zu Fichtes Erlanger Vorlesung Über das Wesen des Gelehrten (1805)«, 409 ff. 5 Zu Fichtes Populärphilosphie allgemein vgl. Hartmut Traub, J. G. Fichtes Populärphilosophie 1804–1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1992. Siehe auch: Peter L. Oesterreich / Hartmut Traub, Der ganze Fichte: Die populäre, wissenschaftliche und metaphilosophische Erschließung der Welt, Stuttgart 2006. 6 In der 8. Vorlesung werden auch der Regent bzw. der Politiker und in der 10. Vorlesung der Schriftsteller bzw. der Künstler zum Gegenstand der Vorlesung. 4
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Menschliche Bildung und göttliche Idee
schen eigen. Um ein wahrer Gelehrter zu werden, bedarf es auch der Rechtschaffenheit. Dieser im heutigen Vokabular eher selten anzutreffende Begriff bedeutet im christlich-religiösen Kontext »rechtschaffen sein vor Gott«, »sich recht verhalten zu Gott«. Hegel spricht im Kontext der Sittlichkeit innerhalb Rechtsphilosophie ebenfalls von Rechtschaffenheit, und zwar im Sinne der Tugend. 7 Die Rechtschaffenheit ist auch bei Fichte an ein praktisches Handeln gebunden, wobei dieses aber nur in dem Sinne frei ist, als dass es durch die göttliche Idee bestimmt ist. Folgt der Studierende bescheiden und rechtschaffen der göttlichen Idee, so erweist er sich als der Wissenschaft würdig. Es bleibt stets festzuhalten, dass die Idee vom angehenden Gelehrten bzw. Menschen überhaupt nicht qua Verstand, Vernunft oder äußerer Anstrengung erreicht werden kann, sondern die Idee muss durch ihre eigene Kraft den Gelehrten ergreifen und forttreiben. Im Hinblick auf den institutionellen Rahmen, in dem die Idee wirkt, spricht Fichte aus historischer und philosophischer Perspektive von der akademischen Freiheit des Studenten. Dabei kritisiert er die zeitgenössische Situation. »Die akademische Freiheit, als Befreiung vom Schulzwange und von aller Aufsicht der Lehrer über die Sittlichkeit, den Fleiß und die wissenschaftlichen Fortschritte der Studirenden, welche für diese Lehrer bloß und lediglich Zuhörer wurden, war entstanden« (57 f.). Die Freiheit vom Zwang betrachtet Fichte als eine Täuschung, denn hierdurch sei dem Studenten in keiner Weise gerecht zu werden. Die akademische Freiheit ist also durch Missachtung des Standes der Studierenden entstanden, so Fichtes These. An diese institutionelle Kritik schließt sich seine eigene Auffassung zur akademischen Freiheit an. Hier wird insbesondere deutlich, dass der Gelehrte nicht nur Mitglied einer akademischen Einrichtung, sondern auch Mitglied in einem Staat ist und somit auch Zwängen unterliegt (60). Sowohl der Gelehrte als auch der Nichtgelehrte ist Bürger eines Staates. »Jeder Bürger ohne Ausnahme kann sich zum Takte des zweckmäßigen und zur Sittlichkeit bilden, und muß es können, die Gesetzgebung muß die Möglichkeit ihm übrig lassen, und sie ist auch schon durch ihre eigene Natur dazu genöthigt« (62). Diese Gedanken weisen schon auf Fichtes Rede Über die einzig mögliche Störung der akademischen G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts. Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, hrsg. von Klaus Grotsch und Elisabeth Weisser-Lohmann (= Gesammelte Werke 14, 1), Hamburg 2009, 140.
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Freiheit voraus, die er im Oktober 1811 zum Amtsantritt als Rektor an der Berliner Universität hielt und die auch Kritik an der Ausübung der sogenannten akademischen Freiheit übte und so eine politische Provokation Fichtes darstellte. 8 * * * Dem Gedankengang der Vorlesungen folgend stellen die Vorlesungen sieben bis zehn schließlich den vollendeten Gelehrten dar. Die wesentliche Aufgabe des vollendeten Gelehrten lässt sich prägnant formulieren: Er soll der göttlichen Idee von der Welt teilhaftig werden und sie an andere Menschen vermitteln. Der angehende Gelehrte hat die Idee demgegenüber noch nicht durchdrungen. Das gesamte persönliche Leben des vollendeten Gelehrten ist in der Idee aufgegangen; er geht dabei auf im Denken der Sache. Nun spricht Fichte von unterschiedlichen Gelehrtentypen. Es gibt Gelehrte, die direkt in der Wirklichkeit agieren, und es gibt Gelehrte, welche die göttliche Idee entweder an Bildungsinstitutionen oder in ihren Schriften verbreiten. Mit dem Begriff des Regenten, der in der achten Vorlesung beschrieben wird, ist gegeben, dass sich das Wirken des Gelehrten auch auf eine reale, gesellschaftliche Welt bezieht und diese pflichtgemäß zu regeln und zu verwalten sucht. Der Regent leitet die rechtlichen Zustände der Menschen und wird dabei von der göttlichen Idee getrieben. Er ist in erster Linie Gott verpflichtet und folgt dem göttlichen Ruf. In den letzten beiden Vorlesungen zeigt Fichte, dass die Aufgabe des Gelehrten – dem heutigen Hochschullehrer entsprechend – sowohl im mündlichen Vortrag, d. h. der Vorlesung, als auch in der Schrift, d. h. der Publikationen zu sehen ist. Dass eine wesentliche Aufgabe des gegenwärtigen Professors in der Akquise von sogenannten Drittmitteln besteht, könnte an dieser Stelle eher auf die Funktionen des Regenten bezogen werden. Fichte unterscheidet schließlich den Hochschullehrer vom Schullehrer. Wohingegen in heutiger Zeit etwa in Frankreich, Italien, Spanien der professeur, professore oder profesor sowohl einen Schul- als auch einen Universitätslehrer bezeichnet, unterschiedet Fichte be8 Johann Gottlieb Fichte, Werke 1808–1812, hrsg. von Reinhard Lauth, Erich Fuchs, Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani, Peter K. Schneider, Martin Siegel und Günter Zöller unter Mitwirkung von Josef Beeler-Port (= Gesamtausgabe I, 10), StuttgartBad Cannstatt 2005, 347–375.
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grifflich und vor allem auch wesentlich den Schullehrer vom Universitätslehrer, dessen Aufgabe anspruchsvollere Ziele als diejenigen des Schullehrers sind. Mit Ausführungen über die praktischen Tätigkeiten des Hochschullehrers bzw. des wahrhaften Gelehrten beschließt Fichte seine Vorlesungen. In der Vorlesung, also im mündlichen Vortrag, soll die Empfänglichkeit für die Idee erworben werden, wohingegen es in der Schrift um die Idee selbst geht, die ihr Gegenstand ist. Die diskursive Form eines Kolloquiums oder Seminars schließt Fichte hier nicht in sein didaktisches Konzept mit ein. Der eigene Anspruch des Gelehrten soll dabei sein, das »lebendige Beispiel« (82) für die Studierenden darzustellen. Er soll ihnen zeigen, dass auch er von der Idee durchdrungen ist. Die Vorraussetzung hierfür ist, dass er die Idee kennt und von ihr ergriffen ist. Nicht nur die rein kognitive Wissensvermittlung fordert Fichte, sondern der Gelehrte wird insofern zum Teil der Lehre, als dass er sich selbst mit seiner Persönlichkeit in diese eingibt. In einer ausgefeilten Sprache muss der Gelehrte die Idee »auf das mannigfaltigste gestalten, ausdrücken, und kleiden, […]« (84). Erst eine brilliante Rhetorik macht den guten Gelehrten aus. 9 Im Sinne der Interdisziplinarität muss der Gelehrte auch andere Fächer wahrnehmen und schätzen. Dabei treiben ihn aber nicht egoistischer Geltungsdrang und institutionelles Machtbewusstsein an. Nur aus der Liebe zum Beruf und zur Wissenschaft wird er getrieben, nicht durch das Interesse anderer Menschen. Einhergehend mit diesen Forderungen und inhaltlichen Bestimmungen des Gelehrten, denen heute sicherlich kein Hochschullehrer widersprechen würde, reflektiert Fichte in seiner Vorlesung über seine Vorlesung. Hier besteht also eine Identität des Inhalts der Vorlesung mit dem momentanen Tun. Fichte verwaltet selbst den Beruf, von dem er redet, just in dem Moment, in dem er darüber redet. Wenn sich nun Fichtes Zeitkritik darauf richtet, dass es eine Ehre sei, wenn jemand etwas hat drucken lassen, »ohne alle Rücksicht darauf, was das ist, was er hat drucken lassen, und wie dasselbe ausgefallen« (88), so liegt ein Vergleich mit der gegenwärtigen Publikationsflut nicht fern. Das Buch als Ware und der Verleger als am Profit Zur mündlichen und schriftlichen Tätigkeit des Gelehrten bzw. zur 9. und 10. Vorlesung vgl. die Ausführungen von Jean François Goubet, »Mündliche und schriftliche Kommunikation in Fichtes Erlanger Vorlesungen 1805«, in: Michael Gerten (Hrsg.), Fichte in Erlangen 1805, 417–430.
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orientierter Unternehmer sorgen dafür, einem großen Publikum eine Vielzahl an literarischen Erzeugnissen bereitzustellen. So herrschte auch schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts eine »Betriebsamkeit des litterarischen Marktes […]« (91). Dieser Kritik am Buchhandel seiner Zeit folgen schließlich noch paradigmatische Hinweise zur Bestimmung des Wesens des Gelehrten. So wird von Fichte gefordert, dass das historische Philosophieren mit dem systematischen eine Einheit zu bilden hat. Denn der Wissenschaftler soll die Werke nicht nur historisch auffassen, sondern sie selbst durchdringen und auf innovative Weise hervorbringen. Der bloßen Paraphrase soll er sich enthalten. Wer nichts Neues hervorzubringen vermag, sollte besser gar nicht schreiben. Das Medium, dessen sich der Gelehrte bedient, ist dabei die Sprache. Er soll in der Sprache die Idee ausdrücken. »Die Idee greift nicht unmittelbar ein in die Sprache, sondern sie greift nur vermittelst Seiner, als des Besitzers der Sprache, ein in die Sprache« (93). Die Idee spricht sich selbst aus. Nun ist mit diesen Überlegungen der gedankliche Schritt zu Heideggers Sprachdenken nicht weit. »Die Sprache spricht«, sagt Heidegger in einem Aufsatz innerhalb des Bandes Unterwegs zur Sprache. 10 Die Sprache oder nach Fichte die Idee spricht sich selber aus, bringt sich selber hervor, ohne die Initiative einer subjektiven Instanz. Mit diesen Überlegungen zur Sprache schließen die Vorlesungen Fichtes. Vom programmatischen Teil über die Idee, das Leben und die Liebe (Vorlesungen 1 und 2), über den angehenden Gelehrten (Vorlesungen 3 bis 6) führt die Argumentation der Vorlesungen zur Beschreibung des vollendeten Gelehrten (Vorlesungen 7 bis 10), um mit diesem ihren Endpunkt zu erreichen. * * * Die politischen Bezüge sind in diesen Vorlesungen unverkennbar. Auch Fichtes gegenwärtige autobiographische Situation ist in den Vorlesungen explizit oder implizit präsent: etwa seine Kritik an der akademischen Freiheit, am gegenwärtigen Buchhandel oder an Schellings Naturphilosophie in der zweiten Vorlesung. Schließlich ist zu fragen: Wer kann im Umfeld dieser vielfältigen Gedanken, Kritiken und Bezüge nun überhaupt Gelehrter werden? Fichte würde antworMartin Heidegger, »Die Sprache«, in: Martin Heidegger, Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1959, 12.
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ten: Prinzipiell kann jeder Mensch bzw. Wissenschaftler Gelehrter werden, auch dem Naturwissenschaftler steht es frei, sich zu einem solchen zu entwickeln. Der Gelehrte muss sich aber schließlich der göttlichen Idee unterstellen; sie »treibt ihn, nichts Anderes: alle Rüksicht auf Personen ist ihm verschwunden« (94). Unter der Vorraussetzung dieser Grundbedingungen sind dann die oben beschriebenen Anforderungen an den Gelehrten zu erfüllen. Auch wenn der Begriff des Gelehrten im 21. Jahrhundert antiquiert zu scheinen mag, so ist es doch – wie eingangs bereits erwähnt – immer noch sinnvoll und notwendig, über das Wesen eines Gelehrten und sein Wirken aktuell nachzudenken. Vergleicht man den von Fichte beschriebenen Gelehrten etwa mit dem Pädagogen im weiteren und dem Hochschullehrer im engeren Sinne, so lassen sich wesentliche Erkenntnisse für diesen Beruf gewinnen. Der Begriff des Berufes führt zum Begriff der Berufung, und das nicht nur im hochschulpolitischen Sinne. Die Berufung ist im religiösen wie im soziologischen Sinne als ein innerer Ruf oder eine innere Stimme zu verstehen, der oder die dazu aufruft, eine Lebensaufgabe zu erfüllen. Obwohl der Begriff der Berufung sowohl im kirchlich-religiösen Bereich als auch in der alltäglichen Sprache nicht selten anzutreffen ist, spielt er im aktuellen Diskurs über pädagogische Handlungsweisen keine Rolle. Im Kontext der tagespolitischen Bildungsdiskussionen, die vor allem durch Reformvorschläge im Hinblick auf institutionelle Neuerungen und finanzielle Rahmenbedingungen bestimmt werden, ist aber die Selbstreflexion des Pädagogen unumgänglich. Bildung wird aktuell vornehmlich im Kompositum gebraucht: Bildungsdebatte, Bildungssystem, Bildungspolitik. Die Liste ließe sich erweitern. Wenn es um das lehrende Individuum, also um den Einzelnen geht, so stehen zumeist die konkrete Ausbildung sowie die Forderung einer gesellschaftlichen Anerkennung des Lehrers bzw. des Lehrerberufs im Vordergrund. Fichtes Überlegungen zum lehrenden Ich bzw. zum Gelehrten können diese Diskussion um die gegenwärtige Bildung neu beleben. In einer realpolitischen Situation ist es für den lehrenden Menschen unabdingbar, seine Stellung zu sich selbst und zur Welt zu reflektieren. Neben einer systematischen Einordnung dieser Schrift in das Fichtesche Gesamtœuvre und den historischen Kontext eröffnet sich in den Vorlesungen also eine Diskussion über das Selbstverständnis des Gelehrten und vor allem über die gegenwärtige bildungspolitische Situation. Dass Fichte das Zurückstellen des individuellen Anspruchs zu107 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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gunsten einer Idee fordert, mag dabei überzeugen. Bei Fichte wird der Gelehrte durch die Idee und nicht durch individuelles Geltungsbewusstsein oder gar Machtstreben bestimmt. Die Idee ist seine Berufung. Wie eine solche Idee zu füllen ist, ist von der jeweiligen Philosophie abhängig. Dass Fichte hier von der göttlichen Idee spricht, ist oben dargestellt worden. Wird die Idee neutral als übergeordnete Instanz gefasst, so lässt sich auf verschiedenen Ebenen mit ihr arbeiten. So kann sie neben der göttlichen Idee auch im Sinne eines generalisierenden Gedankengebildes oder einer Sache angenommen werden, die einem überzogenen Subjektivismus oder Egoismus entgegenzuwirken vermag. Folgt man diesem Gedanken weiter, so gelangt man sicherlich zur Subjektkritik Martin Heideggers, aber auch zur Pädagogik Theodor Ballauffs, der Fichtes Bestimmung des Menschen 1962 herausgegeben und mit einem Nachwort versehen hat. 11 Im Sinne einer Kritik an der Überbetonung des Anthropozentrismus spricht sich Ballauff in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts für eine Bildung des Menschen aus, die sich unter das Denken und die Wahrheit stellt und somit zum Anwalt des Seins der Sache und des Menschen wird. 12 Sein Schüler Klaus Schaller hat diese Pädagogik in seiner Pädagogik der Kommunikation von 1987 im Hinblick auf ein Demokratieverständnis weiterentwickelt und mit Habermas’ Diskursethik und Deweys Pragmatismus verbunden. 13 Zwischen den verschiedenen Ansätzen zu einer neuen Pädagogik im Anschluss an die durch die Diskussionen der sogenannten 68er angestoßenen Veränderungen sucht Schaller einen kritisch-emanzipatorischen Ansatz mit Heideggers Subjektkritik zu verbinden. Gegen eine krampfhafte Suche nach dem eigenen Selbst stellen sich Ballauff und auch Schaller also in den Dienst der Sache und des Mitmenschen. Etwa in diesem Sinne lässt sich auch die Fichtesche Idee verstehen, in der sich das einzelne Individuum unter eine Sache bzw. die Idee stellt. Dass und inwiefern eine Unterwerfung unter eine göttliche Idee Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Theodor Ballauff und Ignaz Klein, Stuttgart 1962. 12 Vgl. Theodor Ballauff, Pädagogik als Bildungslehre, aus dem Nachlass hrsg. von Andreas Poenitsch und Jörg Ruhloff, Frankfurt am Main 41986; Theodor Ballauff – Pädagogik der »selbstlosen Verantwortung der Wahrheit«, hrsg. von Jörg Ruhloff und Andreas Poenitsch, Weinheim 2004. 13 Klaus Schaller, Pädagogik der Kommunikation: Annäherungen – Erprobungen, Sankt Augustin 1987. 11
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aber auch Gefahren für die individuelle Freiheit enthalten kann und inwiefern es einer auf Demokratie gegründeten Sittenlehre zuwiderläuft, müsste insofern diskutiert werden, als dass der Mensch nicht mehr aus sich selbst als das endliche Wesen handeln soll, da er so – wie Fichte sagt – »zerfließt in das Nichts« (71). Das Diktum des frühen Fichte, dem eigenen Ich zu folgen, und die im System der Sittenlehre 1798 geforderte Freiheit des Handelns 14 greifen in den Vorlesungen Über das Wesen des Gelehrten nicht mehr auf dieselbe Weise. Denn erst durch die fremde Gewalt soll wirkliches und wahres Dasein das Leben des Staatsmannes bestimmen. Diese fremde Gewalt ist die Gewalt Gottes. Fichte scheint hier sowohl aus philosophischen als auch autobiographischen Gründen 15 hinter das aufklärerische Selbst seiner Frühschriften zurückzufallen, in denen er noch die »Denkfreiheit des Menschen« forderte, 16 da der einzelne Mensch frei und nur ein ihm innewohnendes Gesetz geltend ist. Der Denkweg vom frühen zum mittleren und späten Fichte muss im Hinblick auf die Freiheit des Menschen differenziert und nicht zuletzt kritisch betrachtet werden. Sollen nun zum Ende der vorliegenden Überlegungen Adjektive zur Beschreibung der Vorlesungen Fichtes Ueber das Wesen des Gelehrten gefunden werden, so sind die folgenden vier zu nennen: Johann Gottliebe Fichte, Werke 1798–1799, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mitwirkung von Hans Michael Baumgartner, Erich Fuchs, Kurt Hiller und Peter K. Schneider (= Gesamtausgabe I, 5), Stuttgart-Bad Cannstatt 1977, 1– 317. 15 Fichte wurde in seiner Zeit als Jenaer Professor vorgeworfen, ein Atheist zu sein. Dieser Vorwurf war Ursprung des songeannten »Atheismusstreites«, der mit Fichtes Entlassung von der Professur an der Universtiät Jena endete. Nachdem Fichte 1805 gerade erst die Professur in Erlangen angetreten hatte, ging es vielleicht auch darum, Provokationen im Hinblick auf seine Haltung gegenüber Gott zu vermeiden. So ist dieser biographische Kontext im Hinblick auf die starke Position, die in der Argumentation der göttlichen Idee zukommt, zu berücksichtigen. Zum Atheismusstreit vgl. Walter Jaeschke und Andreas Arndt, Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785–1845, 131–161. Vgl. auch Philosophisch-theologische Kontroversen. Pantheismusstreit – Atheismusstreit – Theismusstreit, hrsg. von Georg Essen und Christian Danz, Darmstadt 2012. 16 Die Zurückforderung der Denkfreiheit ist ebenso wie der Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publikums über die französische Revolution eine anonyme Flugschrift, in der sich Fichte zu den Prinzipien der Französischen Revolution in Deutschland bekennt. Sie sind erschienen in Johann Gottlieb Fichte, Werke 1791–1794, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob unter Mitwirkung von Manfred Zahn und Richard Schottky (= Gesamtausgabe I, 1), Stuttgart-Bad Cannstatt 1964. 14
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politisch, didaktisch, transzendentalphilosophisch, religionsphilosophisch. Diese Aspekte sind im Gedankengang der Vorlesungen inhaltlich und systematisch präsent. Strukturell durchziehen verschiedene Ebenen den Text: Der Autor Fichte richtet sich als Gelehrter in einer Vorlesung mit einem Erziehungsauftrag an ein Auditorium. Dieser mündliche Vortrag liegt nun schriftlich fixiert vor. Die Studenten und lesenden Rezipienten sollen durch die Beschreibung und die Definition des Gelehrten und durch die Darstellung selbst zu Gelehrten erzogen werden. Die Selbstreflexion des gelehrten Autors, der Adressat als angehender Gelehrter, der Gelehrte als Inhalt und Gegenstand sowie die Rhetorik der Vorlesung bzw. der Schrift als Form werden aufeinander bezogen und bilden so ein vielschichtiges Gesamtgebilde. Dabei werden diese Überlegungen von den Grundbegriffen der göttlichen Idee, des göttlichen Lebens und des Seins getragen. Die menschliche Bildung steht in Fichtes Ausführungen im Dienste der göttlichen Idee. Die Verwobenheit dieser verschiedenen Aspekte sollte in den vorliegenden Überlegungen freigelegt und auch im Hinblick auf aktuelle Anknüpfungspunkte dargestellt werden. Mit Fichtes eigenen Worten soll hier geschlossen werden. In der Grundlage des Naturrechts von 1796 ist eine sowohl für den Fichte der Erlanger Vorlesungen von 1805 als auch für den heutigen Menschen noch zutreffende Aussage über die vielfältigen Formen und Aufgaben eines Gelehrten zu finden: Der Gelehrte von Profession studirt nicht lediglich für sich; als Gelehrter, der Form nach, studirt er gar nicht für sich, sondern für andere. Entweder er wird ein Kirchendiener, oder Staatsbeamter, oder Arzt; so ist es ihm darum zu thun, das erlernte unmittelbar auszuüben; deswegen lernt er die Form, wie es auszuüben ist, mit hinzu, und lernt es gleich auf die Weise, daß dieselbe dabei sey. Oder er wird ein Lehrer künftiger Gelehrten auf Schulen oder Universitäten; so ist sein Zweck, das erlernte einst wieder mitzutheilen, und durch eigene Erfindungen zu vermehren, damit die Kultur nicht stille stehe. 17
In diesem Sinne der eigenen Erfindungen und im Dienste einer nicht stillstehenden, lebendigen Kultur mögen die Vorlesungen Fichtes, trotz einer kritischen Haltung ihnen gegenüber, den zeitgenössischen Lehrer oder Gelehrten inspirieren und auf sich selbst und seine Tätigkeit und Verantwortung reflektieren lassen. Gottlieb Fichte, Werke 1797–1798, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mitwirkung von Richard Schottky (= Gesamtausgabe I, 4), Stuttgart-Bad Cannstatt 1970, 134.
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Über das Wesen des Gelehrten im Kontext der Wissenschaftslehre C. Jeffery Kinlaw, Abilene, TX, USA
Was auch immer andere über akademische Freiheit denken mögen, er für seine Person nimmt sie in dem rechten Sinne, als ein Mittel sich selbst rathen zu lernen, wo die äußere Vorschrift ihn verläßt, über sich selbst wachen zu lernen, wo kein anderer über ihn wacht, sich selbst antreiben zu lernen, wo es keinen äußern Antrieb mehr giebt, und so für seinen künftigen hohen Beruf sich zu stärken und zu befestigen. (64) Johann Gottlieb Fichte In Fichte’s inaugural term as professor of philosophy at Jena, he delivered lectures on what surely appeared initially as two unrelated topics: a set of public lectures on the moral obligation of the scholar, initially advertised as »Morality for Scholars« and delivered under the title Die Bestimmung des Gelehrten, and a set of private lectures on what Fichte termed the Wissenschaftslehre, which embraces much of what we today might call core analytic philosophy (epistemology, metaphysics, and philosophy of mind). Discerning students attending both sets of lectures, however, discovered quickly the interconnection between them: an extended argument for the pervasiveness of basic human freedom underlying and, more important, underwriting all human experience, and the cultivation of that basic human freedom into a fully functional and efficient rational autonomy as the foundation for everyday life and for both moral self-development and, by entailment, a just society. The central claim of the Wissenschaftslehre is radical and controversial, namely, that all human experience is constructed by one’s free acts of self-determining self-activity in the sense that all mental contents, propositional attitudes, and practical aims—all representations and modes of representing—are posited by free acts of self-determination. The salient purpose of education and the central task of the scholar become then, for Fichte, twofold: first, to show through teaching and publication how this core freedom 111 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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can and should be cultivated into a more advanced moral autonomy, and second, to facilitate the development of moral autonomy within students. Fichte was convinced that education was transformative, precisely because it unlocks one’s incipient freedom and provides the discipline and sacrifice which facilitates the development of autonomy. Cognition of one’s freedom is transformative, precisely because reflective appropriation of that freedom requires one to act freely and observe in a disciplined manner what it means to be free. In sum, awareness of one’s freedom is performative; cognition of one’s freedom occurs as one acts freely. One of the more puzzling features of the 1805 lectures entitled Über das Wesen des Gelehrten and of the later Wissenschaftslehre is what some refer to as the theological turn in Fichte’s thought that occurred after 1801. Later versions of the Wissenschaftslehre speak of the I as the image of the Absolute, as the mediated presence of the Absolute within the world, or as God’s self-unfolded (entäußert) manifestation within the world. These locutions permeate the entire 1805 Gelehrten lectures. The following passage is commonplace: Der würdige Gelehrte will kein anderes Leben und Wirken haben, sich gestatten und an sich dulden, außer dem unmittelbaren Leben und Wirken der göttlichen Idee in ihm. Dieser unveränderliche Grundsatz durchdringt und bestimmt nach sich innerlich sein ganzes Denken; derselbe Grundsatz durchdringt und bestimmt nach sich äußerlich sein Handeln. (70)
And thus of the divine idea: »[…] so wird begleitet sein ganzes Leben von dem unerschütterlichen Bewußtseyn, daß es einig sey mit dem göttlichen Leben, daß an ihm und in ihm Gottes Werk vollbracht werde, und sein Wille geschehe, er ruhet darum auf demselben mit unaussprechlicher Liebe und mit der unzerstörbaren Ueberzeugung, daß es recht sey und gut« (70). I will argue, however, for a naturalized reading of what Fichte calls the divine idea (göttliche Idee) of the world or the divine life (göttliche Leben). By the divine idea, which of course guides and motivates the scholar’s vocation, Fichte means universal rational existence construed in the sense of rational autonomy. 1 Its referent is a supra-sensible, spiritual proto-commuFichte’s identification of divine idea with universal rational existence is the basis for my claim that Fichte has naturalized the concept of the divine idea. I avoid the term »secular« to preserve the possible sense in which universal rational existence retains, for Fichte, some religious dimension and value. In the later Wissenschaftslehre,
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nity 2 of rational autonomous agents, constructively and perpetually developed through their own striving for fully mature and efficient rational autonomy, a goal for which they must strive though never attain. In this sense, universal rational existence is a regulative idea. The divine idea then specifies what human existence should be, what it means to be a free and rational being, and the obligation one has constantly to strengthen the efficaciousness of one’s freedom. Of course, this also identifies the vocation of the scholar and outlines her leadership role in promoting universal rational existence. I defend this naturalized interpretation by arguing that Fichte’s introduction of the Infinite Will in Die Bestimmung des Menschen and the divine idea in Über das Wesen des Gelehrten (and by implication, the Absolute in the later Wissenschaftslehre), as well as his claim that God is the moral world-order in Über den Grund unsers Glaubens an eine göttlichen Weltregierung, are motivated by an attempt to close an explanatory gap in an account of the efficacy of free agency. Fichte had argued, specifically in the later Jena Wissenschaftslehre, that dogmatism fails as an explanatory hypothesis because mechanistic transeunt causation cannot account for the reality of mental phenomena, which Fichte takes to be indisputably real. On the other hand, Fichte insists that mental causation (free self-determination to represent this or that object in this or that way) cannot explain how intentions as mental phenomena are executed within the physical world, that is, how mental acts can initiate a series of physical events. Nor is it evident how free rational acts are efficacious within the universal order of rational beings. The Infinite Will and, by implication, the divine idea fill this gap. My paper will proceed as follows. First, I very briefly sketch Fichte’s view of the central purpose of education and indicate what it means to be a virtuous scholar. Next I turn, again briefly, to Fichte’s preference for describing the scholar’s vocation in markedly and distinctly religious, even Lutheran, language, and then explain more Fichte, of course, refers repeatedly to what I call universal rational existence as the self-disclosure—even self-externalization (sich-Entäußerung) of the Absolute. And yet, although universal rational existence might have some sort of theological foundation, it is not construable in any standard religious way—thus, my claim that Fichte naturalizes what a more sympathetic reader might prefer to call God’s self-disclosure. 2 I write »proto-community« because what Fichte understands as a rational world order has no institutional instantiation. The reason for this will become clearer later in the paper.
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clearly what Fichte means by universal rational existence as a naturalized interpretation of the divine life in light of the scholar’s responsibility to advance the rational autonomy of citizens and, more specifically and directly, students. The core of the paper is devoted to an explanation of what motivates the salient role Fichte assigns to the divine Idea in the 1805 Gelehrten lectures. I argue that the transition in the Wissenschaftslehre and from the 1794 to the 1805 Gelehrten lectures arises from an effort to resolve a standard problem in the philosophy of mind, specifically the problem of mental causation in the physical world. The important transitional text for my argument is Die Bestimmung des Menschen. I conclude by suggesting, though without defending the claim, that the prominent role of the divine idea and the Absolute in Fichte’s later work indicates a mild transition in Fichte’s view of the central task of the Wissenschaftslehre from epistemology to moral philosophy. The primary and overarching purpose of education, for Fichte, is not technical training for entrance into the market economy, but rather human self-development. As he stated emphatically in 1794, all science (Wissenschaft), philosophy, and teaching direct themselves to the elevation (Erziehung) of humankind, that is, to facilitate the advancement of one’s core identity as a free and rational being. If these disciplines do not commit themselves to this aim, they are, as Fichte insists truculently, worthless. 3 The practical value of education is its facilitation of human progress toward a more expansive freedom and rational autonomy in individuals and of a greater benefit for society (for Fichte, the former entails the latter). Fichte writes: Es wurde ein bestimmter Stand, die weitere Ausbildung eines bestimmten Talentes gewählt, um der Gesellschaft dasjenige, was sie für uns gethan hat, wiedergeben zu können; demnach ist jeder verbunden, seine Bildung auch wirklich anzuwenden zum Vortheil der Gesellschaft. Keiner hat das Recht, bloss für den eigenen Selbstgenuss zu arbeiten, sich vor seinen Mitmenschen zu verschliessen, und seine Bildung ihnen unnütz zu machen; denn eben durch die Arbeit der Gesellschaft ist er in den Stand gesetzt worden, sie sich zu erwerben, sie ist in einem gewissen Sinne ihr Product, ihr Eigenthum; und er Beraubt sie ihres Eigenthums, wenn er ihnen dadurch nicht nützen will. Jeder hat die Pflicht, nicht nur überhaupt der Gesellschaft nützlich seyn zu wollen; sondern auch seinem besten Wissen nach alle seine Bemühungen auf 3 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794), in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Bd. 6, Berlin 1971, 301.
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den letzten Zweck der Gesellschaft zu richten, auf den – das Menschengeschlecht immer mehr zu veredeln, d. i. es immer freier von dem Zwange der Natur, immer selbstständiger und selbstthätiger zu machen – und so entsteht durch dieses neue Ungleichheit eine neue Gleichheit, nemlich ein gleichförmiger Fortgang der Cultur in allen Individuen. 4
Fichte was convinced that education ennobles us precisely by inspiring us to alter our motivational system toward the advancement of society. How so? Consider the average citizen. She agrees to limit her freedom to the extent that she consents to contractual obligations, consent that, notably, is overseen by legal authorities. Yet she is hardly an autonomous agent when she simply upholds contracts, precisely because contractual relations are purely external and thus neutral on what might motivate the parties to enter the contract. In sum, contracts require parties to submit to a higher ordering principle, namely, the legality of contracts, but allow them to retain a purely instrumental conception of rationality. Pathological desires and inclinations may motivate our citizen nonetheless. Autonomy, on the other hand, begins with one’s subjection of her desires and inclinations to a higher, independent rational principle. Students, Fichte insists, must conform themselves consciously to the purposiveness (Zweckmäßigkeit) of self-legislation. Scholarly training toward autonomy begins with uncompromising commitment to one’s vocation, whereby one relinquishes her commonplace assumptions about what properly motivates her and begins to develop the self-discipline whereby she orients her motivational system toward the pursuit of her vocation (62). This is what Fichte means when he states that the scholar gives a law to herself and attempts to shape the world according to this law through her teaching and her actions, as well as criticize the world with the divine Idea as a model. Law, of course, is the law of rational freedom. Unsurprisingly, virtue for the incipient or mature scholar is integrity (Rechtschaffenheit). Integrity is a virtue in the Aristotelian sense because it re-orients one’s motivational system toward ever expanding rational autonomy and thereby becomes a pattern of behavior. To have scholarly integrity is to direct oneself in a disciplined manner for the sake of a certain vocation and as a means to a higher end, namely, the self-discipline of rational autonomy. Integrity is a Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 320–321.
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single-minded commitment to fulfill one’s vocation, to subordinate all endeavors to that one endeavor (41). Clearly, the acquisition of technical expertise or the cultivation of innate talent is secondary for scholarly formation to self-formation as a certain type of person, precisely into one who is a mature participant in universal rational existence. As noted earlier, Fichte exhibits a marked proclivity for describing self-formation and, especially scholarly self-formation, in religious terms. Consider the following passages, two of which describe integrity in religious, even Lutheran language. Die Rechtschaffenheit überhaupt, wie wir gleichfalls damals bemerkten, ist selbst eine göttliche Idee, und es ist die göttliche Idee in ihrer allgemeinsten Gestalt, in der sie alle Menschen in Anspruch nimmt. (40 f.) So faßt er seine Bestimmung auf; denn darin besteht das Wesen des Gelehrten; und so gewiß er mit Rechtschaffenheit, d. h. mit der Voraussetzung, daß die Gottheit mit seinem Leben eine Absicht habe, und daß er alles sein freies Handeln nach dieser Absicht einrichten müsse, an das Studiren gegangen ist, so gewiß hat er vorausgesetzt: es sey der göttliche Wille, daß er ein Gelehrter werde. (42) Ich, wie ich nun heißen mag, diese bestimmte und ausdrücklich bestimmte Person, bin dazu da, und deswegen in das Daseyn gekommen, damit in mir Gottes ewiger Rathschluß über die Welt, von einer andern, bis jetzt völlig verborgenen Seite in der Zeit gedacht werde, und Klarheit gewinne, und in die Welt eingreife, so daß er nie wieder ausgetilgt werden könne […]. (43) Auf diese Weise ergreift und durchdringet ihn die Idee ganz, durchaus, und ohne Rükhalt, und es bleibet nichts übrig von seiner Person, und von seinem Lebenslaufe, das nicht ihr als ein immerwährendes Opfer fortbrenne. Und so ist er denn die unmittelbarste Erscheinung Gottes in der Welt. (77)
Two instructive observations about these exemplary passages: first, Fichte undoubtedly maintains that one’s striving for ever more comprehensive and effective autonomy is the mediation of the divine life and presence in the world; and second, Fichte clearly refers to a divine initiative in grasping and thereby forming a person or scholar toward rational autonomy. In fact, this is his principal explanation for inexplicable talent or genius. Those who argue for a theological turn in Fichte’s thought, denoted primarily by a theological grounding for the I, can surely point to these passages, especially the first and fourth above, where Fichte seems to affirm that God shapes human existence and, moreover, human self-formation independent of human initia116 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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tive. Despite such prevalent passages, I maintain nonetheless that what Fichte means by the divine presence within or the divine idea of the world is something strictly natural. By natural, I mean what is conceived or explicated solely in terms of the world we inhabit and the laws intrinsic to it, emphasizing, importantly, that mental phenomena are an irreducible part of this world. And by mental phenomena, I mean to include non-pathological intentions and motives, specifically rational intentions and motives, as well as freely initiated actions whose intentions—what one projects to accomplish in her action—and motives—the reason(s) for which she intends to act—are mental phenomena, especially when one acts solely from duty. Fichte states unmistakably in Ueber den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung that the moral world-order is what he views as divine, and that God is simply the efficacy of action within this world-order. 5 What Fichte means then by the divine idea is a conception of universal rational existence as a proto-community of free and rational beings who perpetually strive to develop an inner moral autonomy and whose striving assures the advancement of the realization of genuine universal rational existence. Much in the way the postulate of God’s existence assures for Kant the ultimate unity of morality and happiness, Fichte postulates divine existence—or an Infinite Will in Die Bestimmung des Menschen—to provide a basis for a belief in the efficacy of rational action and thus in the inexorability of human progress. Divine existence assures rational beings that the world is conducive to the development of freedom, that one can have faith, though only the assurance of faith, that the rational action has positive effects within the community of free beings. In sum, the divine is universal rational existence or a moral world-order within which striving for fully functional autonomy ennobles life or, in Fichte’s preferred expression, makes life holy. The central issue Fichte confronts, and for whose resolution he postulates some transcendent volitional force, is the problem of the efficacy of reason. The Infinite Will or the Absolute (God) mediates the effects of rational action within the moral community. In the 1794 Gelehrten lectures Fichte urges the acquisition of the skill of giving— affecting others as free and rational beings—and receiving—making Johann Gottlieb Fichte, Ueber den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung, in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Bd. 5, Berlin 1971, 185–186.
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the most of their positive effects on one, a skill that is cultivation of two basic drives: the drive to communicate, to cultivate in others one’s strongest traits, and the drive to receive, to maintain an openness which allows others to cultivate in one those traits in which they are notably strong. Reason, Fichte contends, unites these two drives. 6 But this presupposes, of course, that rational action can have positive effects on the lives of others without violating their freedom. How, then, does one explain the efficacy of reason? How can rational action have consequences among rational agents? Fichte was convinced that rational action must have consequences. How Fichte comes to explicate the efficaciousness of reason is a story that begins with his more extensive critique of dogmatism in the later Jena Wissenschaftslehre. Fichte’s case against dogmatism is a contest between two explanatory hypotheses: dogmatism and Fichte’s critical idealism. The winning contestant is the theory which can best explain experience, including our experience of what we take to be free action. Fichte’s argument, to be sure, is that dogmatism fails as an explanatory hypothesis, whereas critical idealism succeeds because it explains exactly the phenomena whose explanation eludes the dogmatist. Any explanatory hypothesis must satisfy two criteria: it must be comprehensive—in this case, provide an explication of all components of experience—and it must explain experience on the basis of a single, unitary principle. The task then is to explain how and why we have representations, both those accompanied by a feeling of freedom and those accompanied by a feeling of necessity. What Fichte means is this: the preferred explanatory hypothesis will be the one that can account for a wide range of mental phenomena: mental contents (seeing a blue sky or a dogwood tree in the backyard, or hearing a bird chirping outside one’s window) and having mental contents in a certain way (believing that my cat is sleeping next to the laptop on my desk, setting a goal of becoming an accomplished pianist, and having the sense of choosing freely to attend a concert rather than a football match). Note that these phenomena include representations and having representations, that is, mental contents and having mental contents, and that the latter includes propositional attitudes as well as volitions. One further requirement: both explanatory hypotheses will
Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 315–316.
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adhere to the principle of sufficient reason. Fichte never states this requirement directly, but it is clearly at work in what follows. The explanatory basis for experience must be something lying outside experience, and for the dogmatist this »something« is an independently existing entity. And yet, what makes the dogmatist position radical and, for Fichte, so objectionable is its mode of explanation. For the dogmatist, all explanation is by means of mechanistic transeunt causation. As an explanatory hypothesis, dogmatism is simply the extension of causal explanation for physical events to all phenomena. And yet, the dogmatist cannot honestly claim that her theory is merely a global application of the scientific method. As it turns out, substantive metaphysical commitments accompany the method. Consider, for instance, the case of Thomas Hobbes and, specifically, his discussion of human nature in Book I of the Leviathan. Hobbes is the first philosopher to extend seventeenth century scientific method to the study of human nature. In doing so, however, he transferred the metaphysics of physical objects—matter in motion explained exhaustively in terms of classical efficient causation among physical objects—to the domain of the mental. So-called mental events are explained in the same way in which physical events are explained, simply because mental events are nothing more than physical events. For Hobbes, an idea is nothing more than motion among minute particles in the brain. Hobbes of course is a proud physicalist and reductionist. For Fichte, the same holds true for the dogmatist: all causation is classical mechanistic, transeuent causation among physical objects. So understood, the dogmatist is committed to physicalism. The dogmatist confronts a disjunction: either admit mental events cannot be explained by classical causation—given that classical causation is a relation among physical objects—or deny the existence of mental phenomena. Since the dogmatist, to be sure, is concerned to avoid explanatory failure, she opts for physicalism, which becomes the malignancy in her theory. The thrust of Fichte’s argument is quite straightforward. Since mental phenomena are irreducibly real and dogmatism denies the irreducible reality of the mental, dogmatism is committed to a core yet false proposition. Again, since the dogmatist cannot account for mental phenomena as mental phenomena, she must deny their existence or admit explanatory failure. The explanatory failure confronting the dogmatist appears as an explanatory gap in her theory —again, the inability to account for mental phenomena. Although 119 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Fichte contends that dogmatism cannot explain the fact that one has representations 7 (a dogwood tree appearing in my perceptual field, for instance), he focuses his argument instead on the dogmatist’s failure to explain one’s having an experience of or representing, say, the dogwood tree in one’s experience. Recall that representing can be accompanied by a feeling of necessity in the case of perceptual experience or a feeling of freedom when, for instance, one decides to think of something or freely projects a goal for action. Fichte focuses on representing, precisely because his version of critical idealism accounts for mental contents as well as having mental contents on the basis of a freely initiated act of self-positing. By self-positing, Fichte means a freely initiated act of self-determination that is the act of representing as that which produces what is represented. All mental contents (perceptions, intentions, and volitions) are derived from what are acts of incipient freedom. In some cases—deciding to think of a flourless chocolate torte or acting solely on the basis of dutifulness and thus irrespective of desires or inclinations—free self-determination is overt; in others, perceiving an object, for instance, it is muted. But the fundamental dispute with the dogmatist is not simply that dogmatism entails determinism, but rather that the dogmatist denies the existence of the mental acts by which freedom is exercised. As stated initially, the underlying dispute with the dogmatist is that the latter commits herself firmly to a reductionist philosophy of mind. Fichte thus concludes that critical idealism, as an explanatory hypothesis, is superior to dogmatism for two reasons. First, critical idealism offers a unitary and comprehensive explanation of experience: all components of experience are underwritten by and derived from freely initiated, though rule-following, self-determining acts of the I: in all experience one freely determines oneself to represent something as an object of experience. Second, critical idealism has the further advantage of being able to show that its explanatory principle can be exhibited within experience. This, Fichte maintains, occurs in
There is an explicit denial in the second introduction to Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre: Novo Methodo, hrsg. von Erich Fuchs, Hamburg 1994, 15. Note also the following passage from the »Erste Einleitung« in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Bd. 1, Berlin 1971, 439: »Dass alle Einwirkung mechanisch sey, und das durch Mechanismus keine Vorstellung entstehen, kann kein Mensch, der nur die Worte versteht, läugnen.«
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intellectual intuition, whereby one is performatively aware of her acts of self-determination. Fichte’s argument fails, precisely because critical idealism is based upon a false, or at least highly questionable and unsupported principle. The claim that representations accompanied by a feeling of necessity are derived from a free act, and that the feeling of necessity is simply the experience of the restraint of the I’s own rule-following, is at best implausible. And Fichte offers no example suggesting otherwise. All of his examples of free self-determination involve acts of overt freedom, not cases of everyday experience. On the other hand, Fichte’s dispute with the dogmatist is quite instructive for our purposes. Fichte challenges the dogmatist in part by presenting an alternative explanatory hypothesis in which freedom is ubiquitous. The freedom exercised in all acts of representation—all sich setzen als setzen, as he puts it in the Wissenschaftslehre: Novo Methodo— may be embryonic freedom, but it provides the metaphysical basis for a more advanced theory of autonomy and a pedagogical foundation for a philosophy of education centered around moral self-improvement. And yet, even if one ignores the fundamental weakness in his defense of critical idealism, the story remains incomplete. Fichte was convinced that free acts, as traditionally understood, have consequences even when the fulfillment of one’s intention is blocked by unforeseen consequences or by one’s own incompetence and even when one is prevented from transforming an intention into an observable action. Autonomous acts are rational actions, and as such they have consequences and influences upon other rational beings or within the community of universal rational existence. Each such rationally autonomous act enlivens, ennobles, and advances the progress of the proto-community of free and rational beings. Yet, how does this occur? How is Fichte to explain the way in which rational action by autonomous agents is causally efficacious, especially since causal influence on a free and rational being cannot undermine, but rather must elevate, that individual’s freedom. To be sure, Fichte himself found much of this to be mysterious, though requiring an explanation nonetheless. I argue that the problem of the efficacy of reason motivates Fichte’s postulation of an Infinite Will, the Absolute, or the divine idea of the world. And this transition in the Wissenschaftslehre explains in part why the later Wissenschaftslehre is more a treatise in moral philosophy than in epistemology. The development of one’s budding autonomy by answering the 121 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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moral demand to become autonomous—Fichte’s version of the categorical imperative—not only elevates oneself but also progressively improves society. The command to become an increasingly autonomous agent, however, presupposes that that one can justifiably believe that one’s efforts have positive effects on the rational community. As Fichte observes in Die Bestimmung des Menschen, the demand of autonomy carries as well the expectation of efficaciousness. 8 And yet, intentional action often fails to bring about in the observable world, either from chance, the recalcitrance of nature, or perhaps from the incompetence of agents, the desired effects that amount to some good. Again, in some cases, one is precluded from acting altogether. On the other hand, adherence to the command to act autonomously must fulfill some purpose—if not in the physical world, then in some supra-physical world (überirdische Welt). 9 To be sure, it appears quite odd for an ethical anti-consequentialist like Fichte to be concerned with the consequences of actions. Indeed, the consequences of an action are irrelevant to the reasons for which one acts. At the same time, acting dutifully contributes to the advancement of universal rational existence among rational beings; at the very least, it inspires others to commit more assiduously to developing their own autonomy. The final aim of reason, for Fichte, is complete self-sufficiency (mature autonomy) and effectiveness, both within an individual and within universal rational existence. 10 The problem, then, is how the efficaciousness of acts of willing are mediated among free and rational beings. All action is rule-governed. Just as actions initiated within nature adhere to nature’s laws, rational action (acts of will) must adhere to laws intrinsic to reason. For this reason, Fichte postulates the existence of a rational, moral world-order whose internal law mediates the efficacy of rational action. When one acts, the will initiates a series of effects within nature according to the laws of motion, and within the supra-physical world according to some unknown and incomprehensible spiritual law. Since this law must be commensurable with one’s will, the law of the supra-physical world, Fichte concludes, must be a will. By this Fichte means that the efficaciousness of the will, of 8 Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Bd. 2, Berlin 1971, 265. 9 Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, 280–281. 10 Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, 288.
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rational action generally, is not weakened by something alien to it, such as the laws of nature, but rather is promoted since the will’s efficacy is actually reason’s effect on itself. For this reason, Fichte states that the will doesn’t impose a law on what it attempts to influence, but rather contains the law within itself. 11 Fichte thus attempts to resolve the problem of the efficacy of reason with a practical postulate. Only by means of the mediation of the infinite Will can one explain how pure rational beings are to influence one another: »Nur durch unsere gemeinschaftliche geistige Quelle wissen wir von einander; nur in ihr erkennen wir einander, und wirken wir auf einander.« 12 The problem of reason’s efficaciousness emerges from Fichte’s commitment to a wider naturalism, one that includes mental phenomena and, particularly, rational action and its spiritual effects among rational beings—in sum, a naturalism that is a metaphysical dualism. Universal rational existence or the moral world-order is naturalistic because it is a component of this world, and its internal law is an immanent principle within, again, this world. To understand someone as a free and rational being is to view her as independent of the forces of nature. She has the capacity to initiate an action solely from her own self-activity (Selbsttätigkeit). As Fichte develops a theory of rational autonomy, his emphasis shifts from an account of perception and (implicitly) propositional attitudes to an explanation of rational efficacy. With this transition comes a view of the world as primarily, if not exclusively, the domain within which practical rationality is exercised. Consider the following: Meine Welt ist—Object und Sphäre meiner Pflichten, und absolut nichts Anderes […]. Alles was für mich da ist, dringt nur durch diese Beziehung seine Existenz und Realität mir auf, und nur durch diese Beziehung fasse ich es— und für eine andere Existenz fehlt es mir gänzlich am Organ. 13
The moral world of duties is thus the basis for the reality (for a rational being) of the natural world. What Fichte means is this: X is real for a rational being insofar as X is an object of some intention—for instance, the satisfaction of some desire or the promotion of some end. What X is for a rational being depends on the aims that the rational being has projected for herself. Consciousness of the world 11 12 13
Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, 297. Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, 301. Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, 261.
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thus proceeds from the need to act. 14 What one finds in Die Bestimmung des Menschen is a transition, from the claim that all intentional relations are derived from one’s self-determination to posit oneself as having a particular intentional relation as well as determining oneself to posit the object of that relation, to the following: the ultimate standpoint of the Wissenschaftslehre is based on two theses: (1) everything that is exists in some relation to a rational being, and (2) all relations that a rational being takes to other things is based on one relation, namely, a rational being’s vocation (Bestimmung) to act ethically. 15 Again, the world is the object and sphere of one’s duties and nothing further. And this enables us to see how and why Fichte’s later work occupies itself foremost with moral philosophy. I have attempted to set Über das Wesen des Gelehrten within the context of the Wissenschaftslehre by explaining Fichte’s motivation for making the divine Idea of the world a guiding principle for these lectures and for the later Wissenschaftslehre. I argue that the divine Idea of the world is an immanent principle within the incipient community that is universal rational existence whose postulated existence is a solution to the general problem of rational efficacy. The scholar’s position within the rational community is second only to that of (presumably) enlightened sovereign authorities and whose task is to facilitate through teaching and writing, as well as by the example of an exemplary life, the self-development of moral autonomy in students and the general public.
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Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, 263. Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, 261.
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Fichte on Bestimmung and Wesen des Gelehrten Angelica Nuzzo, New York, NY, USA
At the beginning of the published version of his Jena lectures on the Bestimmung des Gelehrten, Fichte raises the interconnected set of questions that frame the topic of his reflection in 1794. To ask what is the Gelehrter’s determination and vocation—his Bestimmung— means to explore his relationship to mankind as a whole and to a particular class of men. And since the Gelehrter’s determination can be conceived and pursued only within society, in order to tackle that central question Fichte is lead to the discussion of the broader issue of »what is the determination of man within society.« This discloses, in turn, the »higher« question—the question around which all human thinking and striving ultimately revolve—concerning the »determination of man as such.« 1 For, the Gelehrter’s determination is the »determination of the highest and truest man.« 2 This progression, whereby the Gelehrter’s determination is ultimately tied to man’s determination, signals that the general constellation in which Fichte’s reflection on the »morality for Gelehrte« 3 is placed in 1794 is a social philosophy grounded in a moral theory that, in contrast to Kant’s idea of a pure morality valid abstractly for all rational beings as such, is conceived anthropologically from the start. In the printed announcement of these same lectures, Fichte presents his topic by stating that, since all our inquiries must ultimately aim at »mankind’s supreme goal,« which is its practical improvement and progress, the »students of the sciences« have a central role to play in the realization of that Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Bd. 6, Berlin, 1971, 289–346, here 293 f. 2 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 294. 3 Fichte’s letter to Karl August Böttiger, April 2, 1794, in: Johann Gottlieb Fichte, Briefwechsel 1793–1795, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob, Stuttgart–Bad Cannstatt 1970, 89–94, 92. 1
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aim. Indeed, they »constitute that center from which humanity in the highest sense of the word radiates.« Since their morality—their vocation and duties—is tied to the progress of the sciences, it becomes necessary, Fichte maintains, to raise the question: »What is the Gelehrter’s proper vocation?«—a question that leads him, in turn, to ask: »What is his place in the scheme of things? What relation do Gelehrten have to each other and to other men in general?« 4 The horizon in which the Gelehrter’s determination is considered is connected not only to the broader issue of man’s vocation, but also to an account of the Gelehrter’s position in the world as a whole. In this way, as Fichte refers the notion of Bestimmung to the figure of the Gelehrter, he echoes the Enlightenment’s use of the term which conjoined in one concept a moral and a cosmological meaning. 5 Fichte’s ongoing interest in the topic of the morality and duties of the scholar—de moribus eruditorum (14)—continues in the series of public lectures delivered in Erlangen in 1805 and published in 1806 with the titel Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit. While Fichte’s central topic seems to be the same as in the Jena lectures—i. e., the morality or Sittenlehre of the Gelehrter insofar as this is tied to his vocation in relation to other men in society and despite the fact that Fichte himself encourages us to view the later work as »a new and better edition of the lectures on the determination of the scholar published twelve years ago« (13)— the framework in which the topic is now placed has radically changed. The question of the Gelehrter’s Sittenlehre is extended so as to encompass a metaphysical conception that comes prominently to the fore and fundamentally impacts Fichte’s idea of the Gelehrter’s vocation. This reflects the broader change that occurs in Fichte’s thought after 1801, namely, what many interpreters view as the theological and religious turn that permeates all his writings after that date. At stake is no longer the issue of understanding how the human being can think or feel the divine, but rather the problem of how God can be the principle of all being and appearing in the world. This is the fraFichte’s letter to Karl August Böttiger, April 2, 1794, 153 f. See Angelica Nuzzo, »Determination and Freedom in Kant and in Fichte’s Bestimmung des Menschen«, in: Fichte’s Vocation of Man. New Interpretive and Critical Essays, ed. by Daniel Breazeale and Tom Rockmore, Albany: SUNY Press, 2013, 225-240. For the relation to Spalding’s use of Bestimmung see in general Luca Fonnesu, Antropologia e idealismo. La destinazione dell’uomo nell’etica di Fichte, Roma/ Bari 1993. 4 5
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mework in which Fichte’s reflection on the nature and role of the Gelehrter within society is now placed. In 1805 the issue of the Gelehrter’s ethical and social Bestimmung is reformulated as the question of his metaphysical Wesen. Since the claim is that the Gelehrter’s moral vocation can be understood and fulfilled only once it is »deduced« from his »essence,« (14 f.) the central problem regards now directly das Wesen des Gelehrten. In this perspective, the Sittlenlehre for the Gelehrter does not present what the true Gelehrter ought to be. It rather deduces what he truly is according to his unchanging essence. To be sure, Fichte’s reflection in 1805 can be seen as developing the cosmological question raised in the announcement of the 1794 lectures and absent in the published book: »What is the Gelehrter’s place in the scheme of things?« Fichte’s central concern in the Erlangen lectures is to frame the Gelehrter’s identity and vocation within the metaphysical »scheme of things.« In what follows I argue that Fichte’s reflection on the morality of the Gelehrter in 1805 replaces the social and anthropological conception of man’s »determination« at the center of the 1794 lectures with a metaphysical theory that grounds the Gelehrter’s moral vocation in a Spinozistic conception of essence and its manifestations. The Gelehrter is now a sort of »mode«—an expression and manifestation— of the divine idea that is immanently at work in the human world. Metaphysically and ethically, although not theologically, Fichte’s Gelehrter considered in his essence comes close to Spinoza’s sage. Moreover, by way of this new metaphysical framework Fichte distances himself radically from Kant. In 1805 the Sittenlehre of the Gelehrter is no longer a concrete, anthropological, social critique of Kantian pure morality as it was in 1794; the Gelehrter’s freedom is no longer a concrete, »applied« variant of Kantian autonomy. What Fichte proposes in 1805 is rather a modern (and Christianized) version of Spinoza’s ethics. Herein the »divine idea,« Spinozistically conceived, replaces Kant’s practical postulate of God’s existence. The divine idea is now the »scheme of things« to which the Gelehrter owes his essence, in which he finds his moral vocation, and within which his activity is always already inscribed. With this broader interpretative claim concerning the relation between the 1794 Bestimmung and the 1805 Wesen des Gelehrten in view, I draw the latter to the center and dwell on the following methodological and systematic points. First, I discuss Fichte’s claim that the morality for Gelehrten exposed in Über das Wesen des Gelehrten has no prescriptive but merely a descriptive 127 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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value in that its aim is to deduce what is necessarily implied by the essence of the Gelehrter and then to present it philosophically in its manifestations within the realm of freedom. Second, I compare the notion of Bestimmung employed in the two lecture series in order to bring to light the fundamental transformation to which this Enlightenment notion is subject within the new metaphysical and theological framework of Fichte’s philosophy after the turn of the century. Herein I follow, in particular, the implications of the connection between Wesen and Bestimmung established in 1805. Finally, I offer some brief reflections on the concept of freedom that permeates the later lectures.
Sittenlehre for the Gelehrter as Deduced from his Wesen The broad semantic validity of the term Gelehrter, along with the philosophical and historical variance of its meaning, has been noted by translators of Fichte’s works in many languages. To be sure, the difficulties it presents are matched by those offered by the term Bestimmung to which the former is intimately related throughout Fichte’s lectures (from 1794 to 1805 on to 1811). 6 These difficulties have a philosophical basis that comes to the fore in the shift in Fichte’s discussion on the topic between the two series of public lectures of 1794 and 1805. Methodologically, in 1805 Fichte insists more than once on the distinction between the historical and the philosophical consideration or standpoint that can be taken on the subject. 7 The 1794 lectures take for granted, in a historical way, as it were, what or who the Gelehrter is and proceed to draw the philosophical implications of such a concept within the framework of Fichte’s philosophy of freedom. Indeed, the proximity of the philosophical and the historical meaning accounts for the controversial impact that surrounded the Jena lectures and ultimately led to their publication. In 1805, by conAfter the Erlangen lectures Fichte comes back to the topic in 1811 in the five Berlin lectures on the Bestimmung des Gelehrten published in 1812. See, for example, Daniel Breazeale’s preface to Johann Gottlieb Fichte, Some Lectures Concerning the Scholar’s Vocation, in: Johann Gottlieb Fichte, Early Philosophical Writings, tr. and ed. by Daniel Breazeale, Ithaca 1988, 140 f. Given the broad variety of meanings of the term, I prefer to leave the original German. I generally render the term Bestimmung with determination, although I use vocation when the context is clearly ethical. 7 See for example 14, 20 f., 48 f., 56 f. 6
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trast, Fichte deduces the actual manifestations or the actual figures displayed by this concept from the metaphysical »essence« of that which the Gelehrter is according to truth, i. e., the Gelehrter »in the idea.« In this case, the philosophical meaning is dislodged from the historical manifestation—the latter being made dependent, metaphysically, on the former. 8 In 1794 the Gelehrter is the scholar viewed as militant intellectual but is also, more generally, the educated person and the teacher of humanity. In 1805 the Gelehrter is the scholar viewed as the student in the process of his formation and the mature educator of humanity, the writer and the political councilor, but first and foremost the religiously inspired representative of a metaphysical worldview to which he owes his very existence and capacity to act (without it he would be an impostor; he would have only the semblance of Nichts—21, 43). The question at the center of the 1805 lectures is a question of »essence.« This already discloses the »highest standpoint of the absolute truth« endorsed by Fichte’s presentation. He contends that all external actions and worldly manifestations of man’s striving and thinking, if considered in their truth, must be viewed as stemming from a permanence of character as »unwandelbare und unveränderliche Sitte« (14), which, in turn, must be brought back to an essence that is rooted in the divine idea, is the direct expression of such idea, and is itself fundamentally independent of all contingent external manifestations. Thereby Fichte introduces the »concept of the essence of the Gelehrter,« i. e., the concept of the permanent and enduring »being« which answers the questions of »what« the Gelehrter is (18 f.). The issue pursued by Fichte in these lectures, however, is not exhausted by a merely theoretical and speculative conception of essence. To bring the essence of the Gelehrter to the center means to raise, at the same time, the question of the »how«—the »genetic« question that indicates the practical, dynamic, living problem of how one becomes a true Gelehrter, i. e., of how that essence is itself the process of its ongoing and living »construction« and actualization (27). In 1794 Fichte’s problem is, directly, the problem of the Gelehrter’s Bestimmung. This is the first, fundamentally practical question through which the figure of the Gelehrter itself is defined. The issue of his determination/vocation insofar as it is connected See 16 for the connection between the Gelehrter’s knowledge of the divine idea and his influence on his Zeitalter.
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with the issue of man’s determination/vocation is the highest philosophical question, and this question can be addressed in its own right without going back to a more original question of essence. In fact, Fichte declares that in his lectures all he plans to do is »to build upon feelings« that all humans have albeit not always clearly and consciously. 9 Fichte’s discussion, at this point, is inscribed in the doctrine of the Jena Wissenschaftslehre in which the I’s position is the unconditioned and most original level of analysis. To this level of analysis all listeners of Fichte’s lectures are encouraged to relate. In 1805 both the »what« and the »how« questions articulate the »deduction« (Ableitung) of the Gelehrter’s manifestations in the realm of freedom. This deduction proceeds from the Gelehrter’s essence conceived as the direct expression of the divine idea. For, Fichte maintains, from the essence of the Gelehrter his morals and customs can be »completely and exhaustively« deduced without recurring to any further external assumptions (14). Such derivation is, at the same time, the philosophical act of bridging the distance between the divine and the human world and the gesture that establishes the morality of the Gelehrter as a direct instantiation or actualization, in the phenomenical world, of the divine moral order. As this deduction describes the most general programmatic task of the 1805 lectures, the originality of the question of essence over that of determination/vocation lends to the Sittenlehre presented in later work its peculiar methodological character. At the outset Fichte claims that »[d]er beständige Charakter und die Handlungsweise, oder […] die Sitte des wahrhaften Gelehrten, läßt sich vom höchsten Standpunkte aus eigentlich nur beschreiben, keinesweges aber verordnen oder befehlen« (14—my emphasis). The philosophical presentation of the Gelehrter’s essence or the deduction of his morality is a descriptive not a prescriptive endeavor. It is the presentation of what the true Gelehrter always already does do following from his essence or as an implication of his essence. It is not the prescription of what he ought to do in order to be a true Gelehrter. Thus, Fichte claims that these lectures »sind, und sollen seyn eine Beschreibung des Wesens des Gelehrten, und der Erscheinung desselben im Gebiete der Freiheit« (15). In the fifth lecture, apparently casting a shade of doubt on the fact that the ethics herein presented is indeed an ethics but truly revealing the peculiar Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 294; also 295.
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character of its normativity, he insists that »[u]nsere Sittenlehre, falls es Sittenlehre ist, was wir hier vortragen,—unsere Sittenlehre befiehlt nicht« (51—my emphasis). Keeping itself within the bounds of »Gesetzmässigkeit und Notwendigkeit,« which is the law and necessity of the divine idea, it »beschreibet bloß, was da folgt und was nicht folgt« (51). The descriptive character of the Sittenlehre for Gelehrter is a direct implication of its assuming the question of essence as the most original question. This brings Fichte close to Spinoza’s Ethica. Indeed, the »description« that Fichte pursues is a description of what necessarily »follows and does not follow« according to the eternal laws of an essence grounded in the divine idea; it is the description of the metaphysical implications of inscribing the figure of the Gelehrter within the order of the divine idea. Moreover, the relation between essence and appearances in the world is described as a relation of necessary and unchanging causation (phenomenally action is »nothwending verursacht und unveränderlich bestimmt« through the essence— 15). Accordingly, to »describe« the essence is to infer from it the necessary series of actions and duties that belong to the very concept of the Gelehrter, to its true unchanging reality. In this way, the Sittenlehre for Gelehrter is a metaphysics of morals that owes its normativity to the fact that essence, as »ground« of appearances, is itself rooted in the necessity of the divine idea. In contrast to the 1794 lectures, the normativity of the theory is not due to the prescriptive character of the Gelehrter’s—and ultimately of man’s—moral Bestimmung (what I am is my determination, i. e., what I am is what I ought to be; my determination/vocation is my duty), 10 but to the fact that the Gelehrter’s Wesen has its ground in the divine idea (what the Gelehrter truly is is a necessary implication of the divine idea: what I ought to be is what I necessarily am in my essence). In 1794 the proposition »Der Mensch soll sein, was er ist, schlechthin darum, weil er ist« 11 is grounded in Fichte’s account of the nature of the I and of self-consciousness. It means that all that a person is ought to be referred to the pure I as its ultimate foundation. Accordingly, the categorical imperative or the law of morality is derived from the posited Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 296 f. 11 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 296. 10
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absolute being of the I. In 1805 what the Gelehrter truly is in his existence is rooted in the essence whose truth is sanctioned not by the nature of subjectivity but by the nature of the divine idea. The ground of normativity is not in the subject (in a variation on Kant’s idea of autonomy) but in the divine idea.
The Gelehrter and his Bestimmung: Determination of Man and Determination of the Divine Idea From the fact (i) that »the divine idea« is the Grund of appearances, and (ii) that a part of this idea, which is the world, is accessible to the »gebildetes Nachdenken,« (iii) the definition of the Gelehrter follows. Gelehrte are those individual human beings in which »the eternal divine idea […] comes to existence« (Dasein) or »acquires a sensible life« that entirely »cancels« (vernichtet) their personal life (19). Thus, Gelehrte are those individuals who either entirely or partially are in possession of an access to the part of the divine idea that is the world, and, guided by this concept through their free action, re-present, promote, and advance the divine idea in the sensible world (15). Such action is either the communication of the knowledge of the divine to other human beings or the direct presentation in action of such idea in the sensible world. All (historical, cultural, social) manifestations of the Gelehrter’s striving, hence all the figures that the concept of Gelehrter may assume in the phenomenical world, should be brought back to this philosophical division of the concept, which completely exhausts them (18). Although in the 1805 lectures the issue of the Bestimmung of the scholar is not as explicitly raised as in 1794, it is still central to Fichte’s reflection. Bestimmung now occupies the genetic question of the »how« one becomes a true Gelehrter, and is dependent on the issue of the Gelehrter’s essence. In 1794 (and again in the 1800 Bestimmung des Menschen) Fichte’s claim is that one discerns what one’s determination/vocation is through inner feeling or immediate self-awareness. The systematic backdrop of Fichte’s discussion is provided by the Wissenschaftslehre developed in these years, as well as by his reaction to Kant’s critical philosophy. 12 The awareness that brings one’s determination to the fore puts the subject in connection with the external world of nature and with the inter12
See, paradigmatically, the first lecture of the Bestimmung des Gelehrten.
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subjective world of other human beings. Moreover, this defining knowledge of one’s determination is immediately practical and performative: the awareness of one’s Bestimmung is both the defining act or positing of one’s existence in the world and the fulfillment of the moral »ought« that such determination entails. Knowledge of one’s determination and performance of one’s vocation are one and are the subject’s most original, positing act. Bestimmung is, at once, cosmological and moral self-determination, and as such is the fundamental act of freedom. In 1805 knowledge of one’s determination is mediated by one’s awareness of being part and manifestation—or, I suggest, Spinozistically of being a »mode«—of the divine idea. Significantly, it is not directly the exclusive knowledge of the divine idea that makes some human being into a Gelehrter. This figure is not defined by possession of a special type of knowledge. 13 Instead, since it follows from (or is implied by) the Gelehrter’s essence that he recognizes himself as a thought or mode of existence of the divine idea, one is a Gelehrter through the awareness of the fact that one’s essence is an instantiation or a finite expression of the divine idea. It is such inner awareness and cognitive recognition that ultimately grounds and directs all the Gelehrter’s knowledge and activity, and is, most originally, the necessary and indispensable condition of all his further knowledge and moral striving—even of his moral Bestimmung. To be sure, Fichte expresses this relation in a truly Spinozistic way offering an equivalent of Spinoza’s consideration or knowledge of things sub specie aeternitatis. In the fourth lecture, Fichte introduces the central concept of »integrity« or Rechtschaffenheit as the animating and inspiring principle of the Gelehrter’s activity. Integrity is the obligation that the Gelehrter perseveres in fulfilling and bringing to actuality the moral determination that he recognizes as his own (41). Fichte insists that Rechtschaffenheit is a principle of action because it informs the way in which the Gelehrter views the world, other people, society, and his own age. Integrity is a »lebendige und herrschend gewordene Ansicht«—a pervasive living attitude that has become permanent and enduring character (41). It is what makes the Gelehrter consider things in the perspective of the divine idea—i. e., with a grasp that is eternal, impersonal, or not limited to his own individual and contin13
This seems to distinguish Fichte’s position in 1805 also from his views in 1811.
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gent person, and guided by the unchanging necessity of his essence. In other words, Rechtschaffenheit offers Fichte’s version of the perspective in which Spinoza’s sage relates to the world, namely, sub specie aeternitatis. The Gelehrter, Fichte maintains, »betrachtet seine individuelle Person selbst als einen Gedanken der Gottheit, und so eben, wie die Gottheit ihn gedacht, ist seine Bestimmung und der Zweck seines Daseyns« (41 f.). This is Fichte’s definition of Rechtschaffenheit, 14 which replaces the common self-centered perspective of human individuality with the speculative standpoint of the divine idea eternally thinking its own thoughts. It is this super-human enlarged grasp that now defines the Gelehrter’s vocation and provides the Urprinzip of all thinking and science (43). The shift from the concept of Bestimmung endorsed in 1794 is clear. Determination is no longer the self-standing and self-grounding act of autonomy or self-legislation proper of subjectivity. It is instead the speculative recognition that one is a »thought of the divine being«—a recognition that discloses, in turn, that one’s determination and final end is this very thought in the way in which the divine idea eternally thinks it (and not in the way in which the individual, personal self thinks it). Moreover, again in a quite Spinozistic fashion, Rechtschaffenheit implies free action as acknowledgment of the necessity of the divine order in which the Gelehrter’s striving is always already inscribed. [D]er Rechtschaffene überhaupt betrachtet sein persönliches freies Leben als unabänderlich bestimmt durch den ewigen Gedanken der Gottheit; der studirende Rechtschaffene insbesondere betrachtet sich selbst, als durch diesen Gedanken der Gottheit dazu bestimmt, daß die göttliche Idee von der Beschaffenheit der Welt ihn ergreife, und in ihm […] einen bestimmten Einfluß auf die ihn umgebende Welt erhalte« (42—my emphasis; cf. also 43).
Bestimmung is moral vocation because it is, first and foremost, metaphysical determination of essence through the divine thinking. Bestimmung expresses recognition of the necessity to follow the order of the divine idea, not autonomous self-determination, as was the case in 1794 (and in the 1800 Bestimmung des Menschen). Expressed in a less Spinozistic and more orthodox Christian way, Fichte contends that the Gelehrter acknowledges, »es sey der göttliche Wille, daß er ein Gelehrter werde« (42). This position can be contrasted to the argument of the third lecture on the Bestimmung des Gelehrten 14
»Dies ist mit einem Zuge die Idee der Rechtschaffenheit« (42).
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in which the professional choice of the Gelehrter takes place within society. In 1805 Fichte contends that once we recognize that our determination is rooted in the divine idea—or is, as it were, a thought of the divine being itself—then we must recognize that »the choice of the social class has already been made,« that there properly is no »personal« choice (43). Finally, the individual human being becomes a Gelehrter through the »love« for the divine idea—indeed a kind of love that oversteps the human confines and comes close to the amor dei intellectualis that animates Spinoza’s sage in Ethica V. To love the divine idea is to live in it because it is the idea itself that lives in the person of the Gelehrter and loves itself through him (19). This is the life or mode of existence of the Gelehrter—its truest determination. In the fifth 1805 lecture, Fichte extends the consideration of things sub specie aeternitatis to philosophy itself. Philosophy is indeed the view of things as they are »an sich selbst,« which indicates the world of pure thought whose Urprinzip is God. Importantly, Fichte identifies this view with the way in which God »would have thought the world« (if thinking could be attributed to him). If now the question of the Gelehrter’s essence is addressed in this perspective, it is re-formulated as follows: »wie müßte Gott das Wesen des Gelehrten denken, falls er dächte« (49). God has thought the world not only as it is but also as it ought to be, according to a principle of eternal development (19 f.). In his thought »is« and »ought,« necessity and freedom converge. Hence the normative character of the Bestimmung that expresses the configuration of essence according to necessary laws. In this framework, Fichte offers a complex definition of the Gelehrter which fully confirms, at this point, the Spinozistic view I have been underscoring so far. Gelehrte are those individuals who are thought by the same first divine thought that creates the world, and are thought as determined in such a way as to be able to think themselves that first divine thought—Gelehrte are divine thoughts determined to think themselves (albeit in a limited, i. e., human perspective) as divine thoughts; they are modi of the eternal substance or divine idea. They are a re-thinking—or Nachdenken, as it were—of the divine thought itself (49 f.). »Diejenigen nun, welche in dem göttlichen die Welt erschaffenden Gedanken also gedacht sind, daß sie jenen ersten göttlichen Grundgedanken, zum Theil, fassen sollen, sind in ihm als Gelehrte gedacht« (50). Accordingly, the Gelehrter must always be aware that his thoughts are thoughts of the divine being and have nothing individual or personal to them. This fundamental awareness 135 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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must inform all the scholar’s activity—his studying, teaching and writing, and political counselling.
Freedom as Self-Determination and Freedom as Recognition of Necessary Determination The concept of Bestimmung that informs Fichte’s argument in the 1794 lectures is immediately connected with a concept of freedom thought in the aftermath of Kant’s critical philosophy. Freedom is Selbst-bestimmung. It is the autonomous position of the I in abstract isolation, but more truly and concretely it is the I’s practical self-determination in a world of other rational human beings; ultimately, it is self-determination of man in society. 15 In the aftermath of the Kantian paradigm, freedom has its source in reason and is separated from sensibility; freedom characterizes human purposeful action in opposition to the necessity of nature’s mechanism. 16 And yet, fundamentally correcting Kant’s position, Fichte thinks of freedom in solidarity with feeling, drives, and desires. Freedom is the »ultimate explanatory ground for consciousness,« which cannot itself belong to the realm of consciousness. On this basis he maintains that properly I can be conscious neither of my own freedom nor of free beings outside of myself. But I am conscious of no cause determining my empirical I other than my will. Hence, negatively, the only »consciousness of freedom« is the »lack of any consciousness of a cause« determining me. 17 Thereby Fichte renders Kant’s argument of the originality of freedom as Faktum der Vernunft, and opens the way for the claim of the later Bestimmung des Menschen that posits faith as the basis of all free action in the world and of the recognition of other rational free beings outside of oneself. To the extent that in the 1805 lectures Fichte’s idea of freedom is framed by the metaphysical position discussed above, the idea of selfdetermination animating the Gelehrter gains a new meaning. Freedom is no longer the ultimate ground of self-consciousness, nor is it Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 300. 16 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 304 f. 17 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 305. 15
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incompatible with the idea of determination by another power than the I. The divine idea and the necessity of its eternal order now replace the notion of freedom as original ground and Faktum der Vernunft. Freedom is the awareness or consciousness of one’s essence as belonging to the necessary order of God’s thought. In the case of the Gelehrter, freedom is the recognition of one’s being a divine thought necessarily determined to think this very divine thought (together with the world which is itself part of the divine idea). Again, it is Spinoza, not Kant who presents Fichte with the paradigm for conceiving freedom at this later point. The Gelehrter—as before »the highest and truest man« 18 now, however, as »göttliche[r] Mensch« in addition (29)—is the instrument or the modus through which the divine idea realizes freedom in the world. Education, communication, culture but also enlightened politics are, in turn, the worldly means that the Gelehrter uses in fulfilling this pre-ordained aim. 19 In disclosing the divine idea as »ground« of the world, he shows that what necessarily occurs in the world is »was der Mensch durch freie That in der Welt hervorbringen solle« (28). There is no tension between Sein and Sollen, necessity and freedom. The Gelehrter mediates between the two orders bringing them to their unity. In an important sense, freedom for Fichte is still self-determination. But it is the divine idea, not the human self nor an absolute subjectivity, which determines itself freely. The divine idea determines itself freely—but also necessarily —through the consciousness of the Gelehrter. It is then not surprising that in the first lecture on the Wesen des Gelehrten Fichte rejects the idea of a Sittenlehre concerned with or based upon—but truly »limited by«—a »categorical imperative« such as Kant’s. Fichte repeats his critique of the »philosophical abstraction« that dominates such moral systems shaped as »Pflichtenlehre,« and distances himself forcefully from them (29). Freedom is still law or »Sittengesetz« but it is moral law »als göttliches Gesetz,« not as law of an autonomous human reason—human reason, taken in isolation or severed from its divine »essence,« is by no means autonomous (27). In fact, in a claim that sounds like a strong declaration against human autonomy, Fichte contends that whatever man does »out of himself« is »Nichts,« that Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 294. 19 This is the broader framework in which Fichte’s discussion of »academic freedom« in the sixth lecture should be placed. 18
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only through the »fremde Gewalt« of God can he achieve anything in the world (71). In this way, however, and with this understanding of freedom, Fichte tackles another problem at the center of Kant’s practical philosophy as exposed in the second Critique. This is the issue of how freedom defined as noumenal self-determination can be actualized in the world of nature and other human beings. As the representative of a divine self-determination necessarily carried out in the sensible world, the Gelehrter is now the hinge or the instrument around which Fichte’s Spinozistic ethical monism revolves.
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Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten, or the Educated Man as the Salt of the Earth Tom Rockmore, Pittsburgh, PA, USA, and Beijing, China
Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit (1805) is a semi-popular text, a form of philosophy for which Fichte is well known and which he practiced with great success. Fichte more than once discussed the role of the professional philosopher or morally educated individual in taking both a Kantian and then a broadly Platonic approach. The two are not necessarily opposed since Kant claimed to be a deep Platonist. Socrates, who says he knows only that he does not know, famously contends that the unexamined life is not worth living in examining the various practices of the contemporary city-state. Plato transforms this critical attitude into the dogmatic claim that only the philosopher knows in proposing the design of a perfect state. According to Plato, only the philosopher has access to knowledge required for directing the social context. Kant disagrees with Plato in enfranchising each individual to decide how to act. In disagreeing with Kant, Fichte makes a qualified return to Plato in contending that only the philosopher has insight into God’s plan for the world. Instead of empowering each person to act according to self-determined principles, he claims that the individual must follow principles provided by the scholar who alone is capable of knowing God’s will. This text will examine Fichte’s view of the role of the philosopher, or the philosopher-scholar. I will trace the evolution of this view in his writings, and I will call attention to the change in his view in response to his difficulties in Jena. I will suggest that after he left Jena Fichte transformed his conception of the philosopher’s role in substantially weakening it.
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On the origins of Fichte’s view of morality Fichte consistently describes himself as a Kantian. Kant’s critical philosophy is a strictly secular approach to different types of knowledge. Though Kant famously limits reason to make room for faith, he works out a theory of religion within reason alone. He further discusses morality without resorting to faith. Though influenced by Kant, Fichte, after he left Jena, takes a specifically Christian approach to morality. In Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) he gives a moral proof for the existence of God as moral Being, more precisely as a moral lawgiver. Slightly later, in Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung (1798), in responding to a text by Forberg, Fichte took the position that the living and working moral order is God himself, and we can conceive no other. 1According to Fichte, this moral world order, which can be deduced from nothing else, is the basis of all objective knowledge, the ground of all certainty. This led to the famous accusation of atheism that forced Fichte’s departure from Jena. Fichte’s dismissal from his position in Jena led to a deep change in his philosophical position. Already in the Bestimmung des Menschen (1800), Fichte has turned away from some of his most significant early insights. In Kant’s moral theory, practical reason is wholly independent of contingent circumstances. Fichte, who formulates a theory of the philosophical subject in context, hence as limited by its surroundings, draws attention to a difference in kind between theoretical and practical reason in parting company with Kant who treats morality along the lines of theoretical reason. But he attenuates this distinction in the Bestimmung in mainly or even wholly suppressing the contextual limitations introduced earlier through the concept of striving. The result is to retreat from ethics, which, as I will use the term, is contextual, in the direction of morality, which is not contextual, in decisively weakening his position. In the Bestimmung Fichte describes God as the living holy will in whom we live and move and have our being. God reveals himself in 1 Johann Gottlieb Fichte, Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung, in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Bd. 5, Berlin 1971, 186. The notes in the text refer to this edition by volume and page number.
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the heart, and is comprehended in faith. Fichte applies this view in describing the role of the philosopher, or scholar in his text on the scholar, whom slightly later the lectures on the role of the scholar he depicts in a clear Christian reference as the salt of the earth. We recall that in the Sermon on the Mount (Matthew 5:13–16) Jesus speaks of those who are blessed with religious faith: »You are the salt of the earth, you are the light of the world.« The blessings are accompanied through the responsibility of Christian discipleship in the kingdom of God. The Old Testament speaks of the Jews as God’s chosen people, who, in the New Testament, are apparently replaced by disciples of Christ, or the Christians. Thus in the First Epistle, Peter proclaims that the whole Christian congregation is in effect a royal priesthood, a chosen nation, through God’s mercy God’s people. 2 And after the Beatitudes, Jesus tells the disciples their focus must be on deeds in the world, hence on practical things. Fichte’s enthusiasm for Christianity is coupled with severe doubts about Judaism clearly bordering on anti-Semitism or worse, which leads some, e. g. Hans Sluga, to view him as a forerunner of Nazism. 3 National Socialism featured an extreme form of political nationalism. Fichte made important contributions to political nationalism in Germany. Fichte answered the call of Freiherr vom Stein, who attempted to develop the patriotism necessary to resist the French. In Reden an die Deutsche Nation (1808), a series of speeches delivered in Berlin under French occupation, he urged the Germans to have character and be German. For Fichte so-called »Germanness« lies in the supposed but clearly mythical continuity of the German language. Tacitus, for instance, hails supposed German virtues in »Germania« and celebrates Arminius in his Annales. Fichte’s idea of »Germanness« seems closely linked to a form of cultural anti-Semitism, since he thinks that making Jews free German citizens would harm the German nation. Fichte’s negative views of Jews was neither unusual for his time nor the result of being dismissed from the University of Jena. In an earlier text focusing on the ideals and politics of the French Revolution, Beiträge zur Berich»You are a chosen race, a royal priesthood, a holy nation, God’s own people, that you may declare the wonderful deeds of Him who called you out of the darkness into His marvelous light. One you wre not people but now you are God’s people; once you had not received God’s mercy but now you have received mercy.« (1 Peter 2,9–10) 3 See Hans Sluga, Heidegger’s Crisis: Philosophy and Politics in Nazi Germany, Cambridge 1993. 2
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tigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution (1793), he referred to Jews as forming a separate state within a state that could »undermine« the German nation. In an unfortunate passage, he further indicated that Jews should have civil rights only if it were possible to behead them in putting new heads in their place without a single Jewish idea. 4 At a minimum, Fichte’s view of the importance of Christianity is linked to his acceptance of the prevailing negative view of Jews. 5
Fichte on the role of the scholar Fichte’s view of the scholar as a moral instrument developed in reaction to his dismissal from Jena. The theme of morality is a consistent theme throughout his writings. Fichte links his views of morality and of the scholar. The scholar’s social role engages Fichte’s attention both early, during his Jena period (Einige Vorlesungen über die BestimJohann Gottlieb Fichte, Werke 1791–1794, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob unter Mitwirkung von Manfred Zahn und Richard Schottky (= Gesamtausgabe I, 1), Stuttgart-Bad Cannstatt 1964, 291–293: »Derjenige Jude, der über die festen, man möchte sagen, unübersteiglichen Verschanzungen, die vor ihm liegen, zur allgemeinen glauben Gerechtigkeits-, Menschen- und Wahrheitsliebe hindurchdringt, ist ein Held und ein Heiliger. Ich weiß nicht, ob es deren gab oder gibt. Ich will es glauben, sobald ich sie sehe. Nur verkaufe man mir nicht schönen Schein für Realität! – Möchten doch immer die Juden nicht an Jesum Christum, möchten sie doch sogar an keinen Gott glauben, wenn sie nur nicht an zwei verschiedne Sittengesetze, und an einen menschenfeindlichen Gott glaubten. Menschenrechte müssen sie haben, ob sie gleich uns dieselben nicht zugestehen; denn sie sind Menschen, und ihre Ungerechtigkeit berechtigt uns nicht, ihnen gleich zu werden. […] – Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern, und sie alle dahin zu schicken. […] Ich will nicht etwa sagen, daß man die Juden um ihres Glaubens willen verfolgen solle, sondern daß man überhaupt niemand deswegen verfolgen solle. Ich weiß, daß man vor verschiednen gelehrten Tribunalen eher die ganze Sittlichkeit, und ihr heiligstes Produkt, die Religion, angreifen darf, als die jüdische Nation. Denen sage ich, daß mich nie ein Jude betrog, weil ich mich nie mit einem einließ, daß ich mehrmals Juden, die man neckte, mit eigner Gefahr und zu eignem Nachteil in Schutz genommen habe, daß also nicht Privatanimosität aus mir redet. […] Wem das Gesagte nicht gefällt, der […] widerlege obige Tatsachen.« 5 See Hans-Joachim Becker, Fichtes Idee der Nation und das Judentum (= FichteStudien, Supplementa Bd. 14), Amsterdam 2000. 4
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mung des Gelehrten, 1794), and later, after he had been in effect driven out of Jena as a result of the Atheismusstreit (Über das Wesen des Gelehrten, 1805), both times in a series of lectures, hence in his familiar semi-popular format. Fichte believes that the kind of philosophy one espouses depends on the kind of person one is, hence on pre-philosophical circumstances. Thus, we can expect that his view will change under the press of circumstances. I believe that his later position, in which he strengthens his visible relation to the Christian religion, presents a suitably modified, but weaker, less interesting version of the earlier position. An important distinction between eighteenth and nineteenth century philosophy is the progressive emancipation of philosophy from religion, reason from faith. This tendency is manifest in Kant’s separation between reason and faith throughout the critical philosophy and present in Fichte’s early Jena writings. Yet it is reversed in Fichte’s qualified retreat to a religious standpoint after his departure from Jena. Fichte’s conception of the scholar and the scholar’s social role is presented in two series of lectures both before and after his dismissal from Jena. The link between the two lecture series about the scholar lies in a single rapid passage, late in the first lecture series, where he compares the task of the scholar to that delineated by the founder of the Christian religion. Fichte here asks a rhetorical question in two ways and answers it in passages that must be cited: Die Worte, die der Stifter der christlichen Religion an sein Schüler richtete, gelten ganz eigentlich für den Gelehrten: Ihr seyd das Salz der Erde; wenn das Salz seine Kraft verliert, womit soll man salzen? wenn die Auswahl unter den Menschen verdorben ist, wo soll man noch sittliche Güte suchen? 6
Here as elsewhere in his writings, Fichte stresses not words but deeds. The salt of the earth are those Christians devoted to Jesus. The practical question lies in knowing what to do when the deeds become less frequent and the will flinches before the task, a task which Fichte clearly defines as bringing about ethical good. Fichte clearly breaks on this point with Kant, whose deontological approach privileges the good will as the highest value. Fichte’s answer is consistent with his view of the relation of philosophy and 6 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, Bd. 6, 333.
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social life. Practical difficulties, which arise in ordinary life, can only be dispelled on the theoretical, or philosophical, plane. The philosopher and philosophy are intimately linked to practice. One must turn to the philosopher to realize God’s will in society. Fichte writes: »Also der Gelehrte in der letzten Rücksicht betrachtet, soll der sittlich beste Mensch seines Zeitalters seyn; er soll die höchste Stufe der bis auf ihn möglichen sittlichen Ausbildung in sich darstellen.« 7
Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794) Fichte goes over this ground in very different ways in the two series of lectures delivered in Jena before his humiliating dismissal, and then later after his public humiliation has taken place. It is difficult to resist the observation that in this interval the initially visible selfassurance of a famous philosopher at the height of his powers, in the process of developing a secular analysis of the scholar’s social role, has given way to a more tentative, unsure attitude centering on the social role of the scholar as the visible organ of the invisible church in striving, in difficult circumstances, to give social weight to his public role. Über die Bestimmung des Gelehrten is a connected series of five lectures, which was intended as the introduction to a larger text, and which were published separately. As one might expect, Fichte here develops a closely Kantian approach. His Kantianism is evident not only in the general emphasis on universal principles, but also in the dualism between natural necessity and freedom of the will. 8 Yet unlike Kant, Fichte thinks we can only strive for but in fact never attain rational goals. 9 Fichte ends the short Vorbericht in noting that ideals cannot be reached in the practical world, but that through them reality must be judged and modified. 10 The first lecture, which is entitled »Über die Bestimmung des Menschen an sich,« opens with a complex question, which raises the Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 333. 8 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 305. 9 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 307. 10 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 292. 7
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role of the philosopher in society: what is the task of the scholar, and what is his relation to humanity? 11 Early in the Greek tradition Plato responds that the philosopher’s role lies in applying the capacity he alone has to know the true to create an ideal state that is both beautiful and good. Fichte makes a qualified return to this question in asking: what is the human task, and how can it be reached? 12 Like Plato before him, Fichte focuses on the idea of a rationallyorganized society composed of rational individuals, collectively tending toward social improvement understood as an endless task. A person is a rational being, who ought to be what he is, 13 in acting on the maxim, which he understands as an eternal law, 14 and which is formulated through an absolutely free will. 15 The highest goal of human being is the agreement of a person with himself, hence with his rational dimension, and the agreement of all things outside him with his necessary practical concepts. 16 Since God is rational, the project of the finite human being striving to become God is an infinite project. 17 The final result is the realization of ethical good, hence happiness. This theory presupposes a three level hierarchy composed of God, who is perfectly rational, then the scholar who is the intermediary between the infinite God and other people, and finally ordinary human beings, who are incapable of knowing God’s plan for the world. Like Plato, Fichte is concerned with the realization of a rational society that, like Kant, is composed of rational beings only. He considers society to be composed of rational beings who interact according to concepts 18 in realizing a perfect society, which is the goal of human Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 293. 12 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 294. 13 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 296. 14 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 297. 15 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 297. 16 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 299. 17 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 299–300. 18 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 306. 11
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life. 19 In a fully rational society, individuals will freely interact and government will be superfluous. 20 Clearly this is a desirable but also an unreachable goal. Though elsewhere Fichte considers economic factors, here he considers everyone to be on the same level, 21 hence to be educated alike. 22 Plato suggests that membership in different social classes is a function of intrinsic capacity. Fichte, on the contrary, suggests that the class is freely chosen. 23 The scholar plays a crucial role in the rational perfection of human society. We can only strive for but not reach this goal. 24 Cultural development, which passes through different stages, can be considered from philosophical, philosophical and historical, or purely historical perspectives. 25 The scholar, who is the teacher of the human race (Lehrer des Menschengeschlechtes 26), must apply his expertise (Fach) in striving to reach shared social aims. He must take into account the needs and available means in each time and place in functioning as a leader to realize specific intermediate goals on the way to the final goal of humanity. In this sense, Fichte suggests that the scholar is the tutor of humanity (Erzieher der Menschheit 27). In comparison to the originator of the Christian religion, the scholar should be the morally best person of his period. 28 In a dithyrambic passage, Fichte insists that that the future of humanity depends on the scholar about
Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 306. 20 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 307. 21 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 308. 22 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 314. 23 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 320. 24 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 325. 25 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 327. 26 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 331. 27 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 332. 28 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 333. 19
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whom he writes in the first person: »Ich bin ein Priester der Wahrheit.« 29 In the fifth and last lecture, Fichte returns from consideration of the endless future of humanity to Rousseau’s doubts about the »Einfluss der Künste und Wissenschaft auf das Wohl der Menschheit«. 30 Fichte thinks that the scholar, who is educated in a modern social context, can usefully contribute to its further progress, which Rousseau, who understands »Rückkehr als Fortgang,« simply denies. 31 In the state of nature no one is educated. 32 Education is only possible in leaving the state of nature behind. 33 Fichte ends his lectures with the call to act in order to carry out plans for the »Verbesserung des Menschengeschlechts«. 34 In summary, in this early text Fichte proposes a secular analysis of a rational society based on the scholar as the crucial rational intermediary between the people who do and cannot know and the scholar who knows and who applies his knowledge for the benefit of everyone. We detect here neither a concern with the details of real human life in society, which are never mentioned, nor more than a passing concern with religion, which receives only a single cursory reference in passing. This changes radically in Fichte’s return to the theme of the role of the scholar after he was obliged to leave Jena in the wake of the so-called Atheismusstreit. When Fichte comes back to the theme of the social role of the scholar, the problem is no longer privileged access to knowledge but knowledge of God, and the relation of philosophy to the Christian religion becomes the central theme.
Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 333. 30 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 335. 31 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 336. 32 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 340. 33 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 342. 34 Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen ueber die Bestimmung des Gelehrten, 345. 29
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Über das Wesen des Gelehrten und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit (1805) In the later set of ten lectures delivered in 1805, the term »Bestimmung« has been replaced by »Wesen,« but the overall theme is basically the same. There is a palpable change here in Fichte’s writing. During the Jena period, even Fichte’s semi-popular texts, such as the Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797) are tightly reasoned, models of philosophical construction. This rapidly changes after he left Jena. For instance, Bestimmung des Menschen, which appeared shortly afterward, is divided into three sections: doubt, knowledge, and faith. The two parts of the text devoted to doubt and knowledge are closely reasoned. But the final part on faith, which wanders around, reads like an extended sermon, not like a philosophical text, certainly not like a Fichtean philosophical text from the Jena period. The strictly philosophical approach of Über die Bestimmung gives way in Über das Wesen to an extended effort to identify philosophy with religion, and the scholar with the clergyman. Fichte here develops the idea that the role of the scholar is to foster Christianity. Insofar as the role of the scholar is to spread the holy word, one can say that the division between the theological and the philosophical, which Kant respects, has been abolished. We can further infer that in his philosophical role Fichte is intent in making true religion available to the non-scholarly. The text is divided into ten lectures. In the first lecture, where Fichte sets out the plan of the whole, he identifies his aim as »de moribus eruditorum« or, in his translation »Moral für Gelehrte« and so on (14). The focus has now shifted, or partly shifted, from the realization of human good in a social context, the focus of the earlier set of lectures, to what a scholar ought to do. »Moralität« or »Sittenlehre,« terms Fichte uses interchangeably, concern the education of character and types of action through rules and prescriptions in unifying »Seyn und Leben« (14). Rules and precepts go only so far, since who one is appears in what one does. The stated aim of these lectures is to describe the essence of the scholar as well as its social manifestation, or in Fichte’s words »eine Beschreibung des Wesens des Gelehrten, und der Erscheinung desselben im Gebiete der Freiheit« (15). Fichte’s dualistic analysis presupposes a distinction between the ordinary external world (Sinnenwelt) in which, as the Stoics would 148 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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say, we live and act and have our being, which is a natural appearance (Erscheinung) and the presupposed divine idea (die göttliche Idee), which is its ground. The term »göttliche Idee« designates in his words »den höhern Grund der Erscheinung« (15). According to Fichte’s quasi-Platonic approach, appearance rests on reality, or the divine idea of the world, which can be known in whole or in part, and can further be realized through free human actions. It remains unclear how human beings are supposed to know reality. Plato, when faced with this question, retreats to the suggestion that philosophers have privileged access to, or intuition of, the mind-independent real. Kant later suggests that we cannot know reality, which, since it does not and cannot appear, lies beyond cognition, leading Maimon, for instance, to depict the critical philosophy as a form of skepticism. Fichte, who is clearly not skeptical, suggests that in every age some individuals can at least partially ascertain, grasp and realize the divine idea. Thus scholarly education leads to knowledge of the knowable part of the divine idea (15). What Fichte means by a scholar is someone who loves the eternal divine idea and that idea only, which attains actuality in the human individual. This idea is the focus of the scholar’s whole existence, which centers on realizing it. Fichte claims the ways the scholar should act can be derived from this principle with scientific rigor (mit wissenschaftlicher Strenge, 20). He reminds the listener that whoever has access to scholarly education but has not acquired knowledge of the idea or who does not strive in this direction, is truly nothing, a mere amateur (Stümper; 21). In anticipating the question of what it means to discover the divine idea, he asks: what does such a question mean? Yet this is not yet an answer to what is obviously a key difficulty in the position. Fichte attempts to answer this question in different ways in the remainder of the text. He begins through a series of assertions he neither explains nor justifies. According to Fichte, being (Seyn) is alive and active; the only being is life, and the only life is »das Leben Gottes: oder des Absoluten« (23 f.) which is both a hidden unity and also appears. In other words, the world is nothing more or other than the selfmanifestation of God in the world through the transition from the true inner being to its external existence. Fichte goes on to assert that the divine life forms a self-enclosed, immutable unity, whose manifestation lies in the living human race (»das menschliche Geschlecht«), but nature, unlike reason, is not alive but rather dead (24). 149 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Nature, whose ground lies in God, is a mere means and limit for human beings, and is increasingly sublated. In a cursory reference to Schelling, whose insistence on philosophy of nature (Naturphilosophie) later led after the publication of his System des transzendentalen Idealismus (1800) to a break with Fichte, the latter suggests that the reader should not be led astray by »Natur-Philosophie« which, in regressing to earlier mistakes, makes nature into the absolute (25). Yet other than that Schelling fails to follow Fichte on this point, there is no reason in the text to prefer Fichte’s view of nature to Schelling’s. Fichte goes on to contend that there are laws for the so-called true life (27 f.). Fichte, who repeats his claim that the only true life is a life ordered according to divine principles, again insists that the world is grounded in the divine idea, an idea which is available to the educated, and which appears to such individuals in the form of human goals realizable through free activity (28). In passing, Fichte takes the occasion to warn against restricting oneself to the categorical imperative, in a word to Kant’s view of morality, or again to systems of morality or ethics, in short to mere philosophical theories. In Fichte’s opinion, this and related approaches are no more than a diluted form of the divine idea, which does not depend on Kant or anyone else since, as Fichte reminds us, what the godly person does is godly (29). Since human progress has the divine idea as its goal, it follows that human being does not have its real root in the external world, but rather in God (30). Fichte develops further aspects of the overall view that human life is grounded only in God in a series of ways in the remaining lectures. Since the main themes have already been sounded, we can go more quickly. If, for purposes of discussion, we concede Fichte’s point that everything follows from the divine idea, how do we know that we are on the right path or are even capable of eventually grasping the divine idea of the world? In a meditation on genius and readiness to work hard (Fleiß), Fichte indicates that both are necessary (34). The idea is not the perquisite of a single person, but runs throughout all humanity (36). We never know if we are really talented but can only strive, since talent is a gift of God (39). But striving is an appropriate tool for the more educated (für höher gebildete; 39). The fourth talk concerns the correct approach for study (Rechtschaffenheit im Studiren) to grasp the divine idea of the world (40). Since it is not possible to know beforehand if one possesses the necessary talent, there is no alternative to acting as if it were in one’s pos150 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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session (40). The proper approach is for the scholar’s study to be entirely directed by the eternal thought of the Godhead (Gottheit), for it is God’s will that one becomes a scholar (42). The goal of the scholar’s study is obviously, Fichte again repeats, through science to attain a grasp of God’s whole eternal world system (46). At this point the text becomes even more repetitive. The fifth talk, which calls attention to a distinction between historical and philosophical perspectives, indicates that philosophy grasps things as they really are in the world of pure thought, whose ultimate principle is God, who is the essence of the scholar (49). The scholar’s role is to grasp and transmit God’s plan, including that it is God’s plan to become a scholar (49). The sixth talk concerns academic freedom, the problem that caused Fichte to resign his post, and which he defines as the freedom to decide for oneself (58). Academic freedom allows the scholar to learn without any external pressure (64). The seventh talk concerns the fulfilled scholar in the role of bringing the divine conception of the world into the world, in fully subordinating oneself to this task (65). Fichte insists that the life of the scholar is »selbst das Leben der die Welt fortschaffenden und von Grund aus neu gestaltenden göttlichen Idee innerhalb der Welt« (68). The change in tone from the earlier to the later text is striking and difficult to overlook. It as if Fichte, who was deeply shaken by his expulsion from Jena, had seized on the occasion of discussing the life of the scholar to insist that such a person must center his life on carrying out God’s plan for human beings in the world. The suggestion is that in his role as a scholar Fichte is not unworthy, but worthy in the highest degree in his function to realize God’s will on earth. At this point, the distinction between philosophy and theology has vanished, and the former takes as its task the dogmatic assertion of the latter. In his early writings, Fichte attained recognition as a Kantian, hence as a critical philosopher. Yet his philosophy has here entirely lost its critical edge. It no longer seeks to justify its claims in retreating into the most naked form of dogmatism. The former text identified with the search for reason. This text identifies with pure Christian religious faith, faith in the Christian God, faith in the Christian God’s plan, which is never identified other than to insist that it can be known or at partly known by the scholar.
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Conclusion: Fichte on the scholar as the salt of the earth Fichte’s Jena writings after the Kritik aller Offenbarung (1792) are strictly secular, and presented, like Kant’s critical philosophy, on secular grounds, through argument independent of religious faith. After the Atheismusstreit, in the Bestimmung and other writings Fichte integrates faith into his analysis of reason in founding reason in religious faith. Reason based on faith, through its alleged grasp of reality, above all God’s plan for human beings, provides a circular justification of faith. In other words, Christian faith justifies itself. Yet nothing shows, and Fichte provides no argument to show, how we know or might even potentially know that we grasp or might even potentially grasp God’s plan. Yet unless this claim is supported by careful and convincing argument, it merely remains an interesting biographical detail with no more than dubious philosophical value. This change in his position, which is neither unexpected nor anodyne, should not be overlooked. When Fichte was forced to leave Jena, he was a famous philosopher at the height of his powers and, though still young, already clearly embarked on the project of extending the critical philosophy after Kant, a major contemporary thinker with Schelling, who had not yet emerged as an independent thinker, as his disciple. Fichte was obviously shaken by the experience to the extent that he reoriented his position. Though he consistently insists on the Kantian point that the philosopher is wholly free, his sensitivity to his surroundings illustrates his famous claim that the kind of philosophy one favors depends, on the contrary, on who one is. As already noted, in this regard a retreat from the crucial point of justifying his claims on philosophical grounds into religious faith decisively weakens the philosophical position at the same time as it strengthens his religious credentials. A second result is to move closer to Kant’s own dualism between freedom and necessity at the price of suppressing a basic early insight about finite human being in context. A third consequence is to follow Kant’s path in reverse. In his later writings, such as the Anthropologie and the Kritik der Urteilskraft, the author of the critical philosophical revises his conception of the subject in moving toward a philosophical anthropology while Fichte apparently moves in the other direction in rethinking his earlier conception of the subject as a finite human being in forging a new concept of the subject as wholly dependent on God. Fichte’s theory of human being as active presupposes a conception 152 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten
of freedom, which is a central element in his thought in this period. 35 He proposes two different models. In the Jena period, in reacting to Kant he depicts ethics as possible on a heteronymous basis for two reasons. On the one hand, the subject is always in a context, by which it is constrained, hence never wholly free. On the other hand, the subject strives to push out the limitations of the context in increasingly approximating to complete autonomy. In Bestimmung, Fichte appears to drop or at least to downplay striving in taking a different line. In effect, he answers the Kantian claim that ought implies can by saying that it is in fact so. I take him to be claiming that individuals do not merely strive but in fact can and do act in a wholly unconstrained fashion in realizing their moral aims. In Über das Wesen des Gelehrten he follows out the line he takes in Bestimmung in rethinking morality, which he earlier discusses in secular terms, as the realization of God’s hidden plan for humanity. In the process, Fichte substitutes theology for philosophy, and Christianity for morality. In renouncing, under the pressure of circumstances, a pressure that cannot be denied, he qualifies the freedom of the subject that, following Kant, is a central theme in Fichte’s Jena period. In leaving Jena, Fichte leaves behind his view of the subject as striving, hence as limited by the surroundings, in incorporating faith into what was earlier a secular position in which, in a Kantian manner, he proposed a position based on self-justifying reason. In one sense he was, as he maintains, free to make a pre-philosophical decision. Yet in another sense, he was not free at all but rather constrained by the traction of the world, in his case by his difficult circumstances in making a pre-philosophical decision that, as he also suggests, occurs not outside of but rather within the constraints of the social context. I come now to my conclusion. Unlike Kant, Fichte agrees with Plato that only the philosopher really knows, in this case knows God’s divine plan. Whereas Plato founds politics in philosophy on the premise that only the philosopher has access to knowledge in the full sense, in his post-Jena writings, in particular in Über das Wesen des Gelehrten, Fichte founds politics in philosophy on the premise that only the philosopher knows or at least partially knows God’s divine See, for instance, his account of the »Begriff von Freiheit« in Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts, in: ders., Werke 1794–1796, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob unter Mitwirkung von Richard Schottky (= Gesamtausgabe I, 3), Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, 345.
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Tom Rockmore
plan for all humanity. As a result of his expulsion from Jena, in Ueber das Wesen der Gelehrten Fichte turns away from a conception of philosophy as a source of secular knowledge useful for a secular conception of politics, a conception earlier sketched in Bestimmung des Gelehrten, in turning toward philosophy as a means to realize a theological conception of politics. In Über das Wesen des Gelehrten, the philosopher becomes the salt of the earth since he carries out the will of the founder of Christianity, and philosophy becomes the handmaiden of theology, whose realization constitutes the highest human goal. The result is a retreat from the Enlightenment view of reason that reaches its highpoint in the critical philosophy, which is prolonged in Fichte’s Jena period, but which later declines after his departure from Jena in his subordination of philosophical reason to Christian religious faith. In short, in becoming a Christian scholar, hence the salt of the Christian earth, Fichte abandons the modern conception of philosophy, which depends on the distinction between philosophy and theology, reason and religious faith.
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Werkzeuge? Zur Herrschaft der Gelehrten im Kontext des Fichteschen Spätwerks Franziskus von Heereman, Vallendar
Wer sich mit den hier verhandelten Vorlesungen Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit von 1805 befasst, wird darin Hohes und Erhabenes über den Gelehrten lesen. Heilsames zugleich – in einer Zeit, da die geisteswissenschaftliche akademische Bildung als vermeintlich fruchtloses und selbstverliebtes Expertentum in Irrelevantem oder gar unwissenschaftlich Subjektivem droht, völlig an den Rand einer Gesellschaft gedrängt zu werden, die zugleich wenig so beschwört wie Bildung. 1 Wie aus versunkenen Zeiten hört man über das Selbstverständnis des »rechtschaffenen Studirenden«: »Ich, wie ich nun heißen mag, diese bestimmte und ausdrücklich bestimmte Person, bin dazu da, und deswegen in das Daseyn gekommen, damit in mir Gottes ewiger Es dürfte sich noch deutlich verschärft haben, was Fichte bereits 1794 in seinen ersten Ausführungen über den Gelehrten beklagte: »Indeß man in demjenigen Umkreise, den die gewöhnliche Erfahrung um uns gezogen, allgemeiner selbst denkt, und richtiger urtheilt, als vielleicht je, sind die mehresten völlig irre, und geblendet, sobald sie auch nur eine Spanne über denselben hinausgehen sollen. […] Aber wenn sie darum nun selbst verlangen, alles zu sich herabzuziehen, wozu sie sich nicht erheben können, wenn sie z. B. fordern, daß alles Gedruckte sich als ein Koch-Buch, oder als ein Rechen-Buch, oder als ein Dienst-Reglement solle gebrauchen lassen, und alles verschreien, was sich nicht so brauchen lässt, so haben sie selbst um ein Großes Unrecht« (Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1794–1796, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob unter Mitwirkung von Richard Schottky [= Gesamtausgabe I, 3], Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, 26). Drei Vorlesungsreihen zum »Wesen des Gelehrten« liegen uns vor. Neben der hier abgedruckten Erlanger Vorlesung von 1805 sind das aus der Jenaer Zeit Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794) (in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1794–1796 [= Gesamtausgabe I, 3], Stuttgart-Bad Cannstatt 1966) und die an der Berliner Universität gehaltenen aus dem Nachlass veröffentlichten Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten 1811 (in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1810–1812, hrsg. von Reinhard Lauth, Erich Fuchs, Peter K. Schneider und Ives Radrizzani [= Gesamtausgabe II, 12], StuttgartBad Canstatt 1999).
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Franziskus von Heereman
Rathschluß über die Welt, von einer andern, bis jetzt völlig verborgenen Seite in der Zeit gedacht werde, und Klarheit gewinne, und in die Welt eingreife, so daß er nie wieder ausgetilgt werden könne; nur diese eine an meine Persönlichkeit geknüpfte Seite des göttlichen Rathschlusses ist das wahrhaft Seyende an mir« (79). 2 Zugleich aber liest man im unmittelbar folgenden Passus dasjenige Verständnis einer Sendung und Bestimmung des Menschen, die das Gros der Zeitgenossen dazu gebracht hat, aus Sorge vor dem hier anklingenden Totalitarismus jeder nicht-relativistischen These jenseits der Science Lebewohl zu sagen. Zunächst klingt es nach hoch zu lobender Demut: »alles übrige, was ich mir noch beimesse, ist Traum, Schatten, Nichts: nur sie [meine Bestimmung] ist das unvergängliche und ewige an mir, alles übrige wird verschwinden in das Nichts, aus welchem es nur scheinbar, nie aber nach der Wahrheit, hervorgegangen ist« (43). Aber dieses Nichts des »ich« bedeutet die radikale Selbigkeit mit der erscheinenden göttlichen Idee und muss deshalb im selben Augenblick in einen grenzenlosen Hochmut umschlagen: »sein persönliches Leben ist nun wirklich in dem Leben der Idee aufgegangen, und in demselben vernichtet« (66), damit aber ist »sein Leben […] selbst das Leben der die Welt fortschaffenden und von Grund aus neu gestaltenden göttlichen Idee innerhalb der Welt« (68). Daraus ergeben sich dann Forderungen, wie die des bedingungslosen Gehorsams aller Nicht-Gelehrten gegenüber dem Gelehrten. So soll derjenige, der im Laufe seines Studiums der Idee nicht ansichtig wurde, ein »taugliche[s] Werkzeug« sein »für höher gebildete, welche in den Besitz der Idee gekommen«, denen er sich »[g]ern und ohne Neid« unterwirft (39). Der gelehrte Regent ist dann gar »die unmittelbarste Erscheinung Gottes in der Welt« (77), und als solche Gottesbeweis: »wir werden in ihren Werken Gott sehen von Angesicht zu Angesicht, und keines andern Beweises bedürfen; Gott ist, werden wir sagen, denn sie sind, Oder 1794: Fichte möchte durch seine Lehre beitragen, dass er »einst, wenn Sie [die Studenten] diese Gegenden werden verlassen und sich nach allen Enden werden verstreut haben, in Ihnen an allen Enden, wo Sie leben werden, Männer wüßte, deren auserwählte Freundin die Wahrheit ist; die an ihr hangen im Leben und Tode; die sie aufnehmen, wenn sie von aller Welt ausgestoßen ist; die sie öffentlich in Schuz nehmen, wenn sie verläumdet und verlästert wird; die für sie den schlau versteckten Haß des Großen, das fade Lächeln des Aberwitzes, und das bemitleidende Achselzucken des Kleinsinns freudig ertragen.« (Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794), 59). Vgl. auch im Text von 1811 Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 339.
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Werkzeuge? Zur Herrschaft der Gelehrten
und er ist in ihnen« (78). In der Ausführung von 1811 heißt es über den Gelehrten: »Durch ihn allein rükt die Welt weiter […]. Er ist der eigentliche Vereinigungspunkt zwischen der übersinnlichen, und der sinnlichen Welt; und dasjenige Glied und Werkzeug, vermittelst welches die erste eingreift in die leztere.« 3 Ihm unterstehen alle, die der Idee (im Text von 1811: dem »Gesicht«) nicht ansichtig geworden sind: Der ausübende ist blosses Werkzeug des Künstlers, und kann ein taugliches Mitglied des Ganzen seyn nur, inwiefern er diesem sich unterordnet; der Künstler allein ist unmittelbares Werkzeug des übersinnlichen Weltgesetzes. Die Wirksamkeit des ersten kann beurtheilen der Künstler, die des lezteren kann kein Mensch beurtheilen, oder richten, und er ist allein Gott und seinem Gewißen verantwortlich. 4
Und es begegnet der schlimme Satz: Es lassen einzelne Menschen in der Weltgeschichte sich nennen, die den Wert von Millionen anderer überwiegen. In äusserst wenigen spricht die Gottheit sich unmittelbar aus; diese sind es, in welchen und um welcher willen die Welt eigentlich da ist. Die Menge ist dazu da, um diesen zum Werkzeuge zu dienen, und auch dieser Teil macht die geringere Zahl aus; die Mehrheit ist nur da, um jene zu prüfen, ängstigen, und zu hindern […]. Blos dazu da, um bekämpft und besiegt zu werden. 5
Dieses letztere kann man wohl noch als rhetorische Entgleisung werten. Aber deren Möglichkeit und die zuvor angeführten Theoreme lassen ahnen, warum »die Freiheitsphilosophie Fichtes in ihrer Anwendung auf Staat, Gesellschaft und Religion für autoritär ausgerichtete Geister und Ungeister Attraktivität gewinnen konnte«. 6 Fichte ist einer der systematisch konsistentesten Philosophen überhaupt. Er macht keine Vorannahmen, die er nicht benennen würde, er macht keine Sprünge, er verschleiert nichts. Sein System liegt offen vor den Augen dessen, der sich die Mühe macht, es zu studieren. Deshalb verbietet sich der Ausweg, den totalitären Charakter 3 Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 324. 4 Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 346. Künstler hier im Sinne des vollendeten Gelehrten, der seine Kunst beherrscht. 5 Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 350 f. 6 Ernst Fuchs, »Letztbegründung und Konzepte politischer Ordnung in Fichtes späten Tagebüchern«, in: Hans Georg von Manz / Günter Zöller (Hrsg.), Fichtes praktische Philosophie. Eine systematische Einführung, Hildesheim 2006, 152.
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Franziskus von Heereman
seines Primates der Gelehrten einer persönlichen Grille oder geschichtlichen Umständen anzulasten. Er folgt vielmehr aus seinem System und ist, wenn man sich mit ihm nicht anfreunden kann, ein Grund, in eine fruchtbare Auseinandersetzung mit Fichte zu treten. Ich möchte zunächst mit Blick auf das Spätwerk der Frage nachgehen, wieso Fichte an dieser Stelle denkt, wie er denkt, 1) in Bezug auf die Freiheit überhaupt und 2) in Bezug auf den Gelehrten innerhalb der Gemeinde der Iche, um dann 3) einen Einspruch zu erheben, der 4) nach einer Modifizierung des Systems verlangt. 7
1. Freiheit beim späten Fichte Wie kommt Fichte zu der These, das Leben des Gelehrten sei »selbst das Leben der die Welt fortschaffenden und von Grund aus neu gestaltenden göttlichen Idee innerhalb der Welt« (68)? Dieser ins Totalitäre drängenden Identifikation von bestimmten endlichen ichen mit der absoluten Erscheinung liegt, wie nun zu zeigen ist, zugrunde, dass Fichtes spätes System entgegen des eigenen Anspruches kein »System der Freiheit« 8 ist – zumindest dann nicht, wenn wir unter Frei-
Damit knüpfe ich aktualisierend an bereits Vorgelegtes an: Franziskus von Heeremann, Selbst und Bild. Zur Person beim letzten Fichte (1810–1814), Amsterdam/ New York 2010; Franziskus von Heeremann, »›Als diese Ich sind wir alle Nichts‹ ? Das Individuum beim letzten Fichte«, in: Fichte-Studien 40 (2012), 247–271. Der neue Ertrag des vorliegenden Aufsatzes ist zum einen die Analyse der Theorien zu Wesen und Bestimmung des Gelehrten sowie deren Verortung im System des späten Fichtes. Zum Anderen ermöglicht das Eingehen auf die frühe, mittlere und späte Durchführung dieser Disziplin im Vorbeigehen erste Bemerkungen meinerseits zu Fragen der veränderten Lehre, von denen ich mich in den beiden anderen Untersuchungen ausdrücklich dispensiert habe, um die letzte Werkperiode von 1810–1814 zunächst in der Eigenständigkeit, mit der sie den Studenten präsentiert wurde, darzustellen. 8 Entwurf eines Briefs an Jens I. Baggesen (1795), in: Johann Gottlieb Fichte, Briefe 1793–1795, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob unter Mitwirkung von Hans Gliwitzky und Manfred Zahn (= Gesamtausgabe III, 2), Stuttgart-Bad Canstatt 1970, 298. Noch 1813 notiert Fichte in seinem Denktagebuch: »So bin ich drum wahrhaft Stifter einer neuen Zeit: der Zeit der Klarheit; bestimmt angebend den Zwek alles menschl. Handelns: mit Klarheit Klarheit wollend. – . Alles andere will mechanisiren: ich will befreien« (Johann Gottlieb Fichte, Diarium I, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1813–1814, hrsg. von Erich Fuchs, Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani, Peter K. Schneider, Martin Siegel und Günter Zöller. Unter Mitwirkung von Günter Meckenstock und Erich Ruff [= Gesamtausgabe II, 15], StuttgartBad Canstatt 2009, 295). 7
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Werkzeuge? Zur Herrschaft der Gelehrten
heit die Fähigkeit des je Einzelnen verstehen, sich selbst sittlich zu bestimmen und diese Bestimmung selbst durchzutragen oder zu widerrufen. Zeichnen wir dafür nach, an welcher Stelle seines Systems Freiheit auf den Plan tritt und was sie ausmacht. Die Wissenschaftslehre hat auf dem Weg ihrer Durchklärung des Wissens, vor allem in ihrem klassischen Aufstieg der zweiten Wissenschaftslehre von 1804 (II/8), herausgearbeitet, dass das Wissen von einem Gedanken lebt, den es nicht aus sich haben kann: Es selbst ist durch und durch Bild. Bloße Sichtbarkeit eines Seins, das es als solche gerade nicht selbst sein kann. Wenn das Wissen aber reines Bild ist, kann es dasjenige, als dessen Bild es sich vorfindet, nicht aus sich haben. Es ist vielmehr umgekehrt – das Sein ist »freilich auch ein durch den Verstand erkanntes, aber schlechthin nicht durch die Erkenntniß gesetztes, indem im Gegentheil diese durch jenes gesetzt ist«. 9 Dieses Sein ist dem Wissen vorgängig ein in sich geschlossenes, unbegreifliches Leben. Ein »esse in mero actu«. 10 Von diesem Sein gilt nun: Es »ist an und für sich rein in sich selber verborgen, es hat seinen Sitz in sich selber, und bleibt in sich selbst, rein aufgehend in sich selbst, zugänglich nur sich selber« (24). Woher dann aber etwas außerhalb des Seins – nämlich eben dasjenige Denken des Seins, von dem die Transzendentalphilosophie ihren Ausgang nimmt, und das nie unkritisch zu vergessen, ihr großes Verdienst ist? 11 Fichtes Antwort lautet: Dies ist kein Widerspruch, denn dasjenige, was außerhalb des Seins ist, ist nicht: Es ist nicht Sein, sondern Erscheinung – Erscheinung des Seins. 12 Diese lässt sich nicht ableiten, 9 Johann Gottlieb Fichte, Staatslehre 1813, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1813–1814, hrsg. von Erich Fuchs, Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani, Peter K. Schneider und Günter Zöller unter Mitwirkung von Alessandro Bertinetto, Simone Furlani und Martin Siegel (= Gesamtausgabe II, 16), Stuttgart-Bad Canstatt 2011, 24. 10 Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1804, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1804, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mitwirkung von Erich Fuchs, Erich Ruff und Peter K. Schneider (= Gesamtausgabe II, 8), Stuttgart-Bad Canstatt 1985, 228. Vgl. in unserem Text, 23 f. 11 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1811, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1810–1812 (= Gesamtausgabe II, 12), 158; Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1812, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1812, hrsg. von Reinhard Lauth, Erich Fuchs, Peter K. Schneider, Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani und Günter Zöller (= Gesamtausgabe II, 13), Stuttgart-Bad Canstatt 2002, 252. 12 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Anweisung zum seligen Leben, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1806–1807, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mit-
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Franziskus von Heereman
sondern nur vorfinden. Weil das Sein unbegreiflich ist und nicht an sich einsehbar, kann keine Spekulation Gründe für sein Erscheinen finden. 13 Das Wissen findet sich vor. Wenn es aber ist, dann ist es notwendig, »denn wenn man das Gegentheil annähme, so würde in Gott ein Seyn, u. auch nicht Seyn, ein Wandel, eine Selbstbestimmung zum Uebergange vom Nichterscheinen zum Erscheinen angenommen werden müssen, welches dem Grundbegriffe widerspricht«. 14 Dies ist die »faktische Problematicität der Wissenschaftslehre, die nur durch das Faktum selbst zur Kategoricität wird«. 15 In dieser Selbsterkenntnis stellt sich für das Wissen die Forderung, sich ganz und gar als Erscheinung zu denken. Dies aber nun deduktiv: Was muss gegeben sein, wenn Gott erscheint? Es gilt zu denken: »seine Aeußerung, in der er ganz sey, wie er ist, und doch in ihm selbst auch ganz bleibe, wie er ist.« 16 Die Erscheinung ist zunächst einfach, wie das Sein/Gott selbst. 17 »Wie er« heißt aber auch: Sie muss ein Leben sein – ein erscheinendes Durch-sich. 18 In diesem Durch-sich macht sich die Erscheinung zur Sich-Erscheinung, ohne die sie gar nicht Erscheinung wäre. Denn eine Erscheinung, die nicht angesehen wird, ist nicht erschienen, und da es neben dem Sein und der Erscheinung nichts Drittes gibt, dem die Erscheinung erscheinen könnte, muss sie sich selbst erscheinen. Vom Bild zum Bild des Bildes. Das ist nicht bloß eine Möglichkeit, sondern Sinn, Wesen und Grund der Erscheinung. Dieses Sich-erscheinen wird deshalb zum Sollen des Lebens der Erscheinung. 19 Zu diesem Sich-Erscheinen gehört ein doppeltes Erscheinen: Erwirkung von Josef Beeler, Erich Fuchs, Marco Ivaldo, Ives Radrizzani, Peter K. Schneider und Anna-Maria Schurr-Lorusso (= Gesamtausgabe I, 9), Stuttgart-Bad Canstatt 1995, 86; vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 168. 13 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 170. 14 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 171. 15 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 193. Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1812, 66 f. 16 Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre in ihrem allgemeinen Umrisse 1810, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1808–1812, hrsg. von Reinhard Lauth, Erich Fuchs, Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani, Peter K. Schneider, Martin Siegel und Günter Zöller unter Mitwirkung von Josef Beeler-Port (= Gesamtausgabe I, 10), StuttgartBad Canstatt 2005, 336. 17 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1812, 58. 18 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 182. 19 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 193 f.
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Werkzeuge? Zur Herrschaft der Gelehrten
scheinung der Erscheinung Gottes (1) und Erscheinung der Erscheinung Gottes (2). Zu (1): Die Erscheinung ist kein bloßer Schein, sondern in ihr gibt sich Realität zu sehen, und zwar nicht irgendeine empirische und damit vermeintliche Realität, 20 sondern die eine und einzige: das Absolute/Gott. Damit trifft der Nihilismusvorwurf Jacobis, der Fichte bis zu seinem Lebensende tief beschäftigt hat, 21 zumindest nicht die Spätphilosophie, die andererseits ohne diesen Anstoß Jacobis vielleicht nicht zu einer absoluten Realität jenseits aller Erscheinung gelangt wäre: »Das Wissen ist allerdings nicht ein bloßes Wissen von sich selbst, wodurch es in sich selbst zerginge, und nichts würde, ohne alle Dauer und Anhalt, sondern es ist ein Wissen von einem Seyn; nemlich von dem Einen Seyn, das da wahrhaft ist, von Gott.« 22 Nur erscheint Gott eben so, wie er einzig erscheinen kann, d. h. gebrochen in die Struktur, die die Wissenschaftslehre als notwendig für sein Erscheinen aufweist. Deshalb muss eben auch die Erscheinung Gottes (2) erscheinen: Eben jene Strukturen, die nicht dem Wesen des Absoluten entstammen, sondern den Notwendigkeiten für ein Sich-Erscheinen der Erscheinung. Nur wenn die Erscheinung sich selbst als solche erscheint, kann sie sich von Gott unterscheiden als sein Dasein, und dasjenige von ihm abziehen, was sich aus der Form des Daseins ergibt. 23 D. h. das Erscheinungsleben muss zu sich kommen, und es kann nur zu sich kommen – dieser Gedanke zieht sich bei Fichte durch – an einer Schranke und Hemmung. Diese Schranke wirft es auf sich zurück, da An deren reiner Bildhaftigkeit hält Fichte bis zum Schluss fest: Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Thatsachen des Bewußtseyns 1810/11, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1810–1812, 83; Johann Gottlieb Fichte, Thatsachen des Bewußtseyns 1813, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1813–1814, hrsg. von Erich Fuchs, Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani, Peter K. Schneider, Martin Siegel und Günter Zöller. Unter Mitwirkung von Günter Meckenstock und Erich Ruff (= Gesamtausgabe II, 15), Stuttgart-Bad Canstatt 2009, 97. 21 Johann Gottlieb Fichte, Thatsachen des Bewußtseins 1810/11, 132; Johann Gottlieb Fichte, Sittenlehre 1812, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1812 (= Gesamtausgabe II, 13), 315. Und noch in den letzten Niederschriften: Diarium III, in: Nachgelassene Schriften 1813–1814, mit einem Gesamtinhaltsverzeichnis aller Bände hrsg. von Erich Fuchs, Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani, Peter K. Schneider und Günter Zöller (= Gesamtausgabe II, 17), Stuttgart-Bad Canstatt 2011, 38. Zu dieser wohl fruchtbarsten Kontroverse um Fichte siehe Klaus Hammacher (Hrsg.), Fichte und Jacobi (= Fichte-Studien 14), Amsterdam/New York 1998. 22 Johann Gottlieb Fichte, Thatsachen des Bewußtseins 1810/11, 132. 23 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 223. 20
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Franziskus von Heereman
es sonst in seiner Tat aufgehen würde und damit ewig unbewusst bliebe. 24 Und dieser zur Natur gebildete Widerstand wird zur Sphäre der Tätigkeit des doppelten Sich-Erscheinens. Das Leben der Erscheinung wird sich bewusst und zugleich tritt in dieses Bewusstsein ein kategorisch Gesolltes: Das zu verwirklichende Bild Gottes. 25 Vor der Natur stehend soll das Ich diese gemäß dem göttlich Absoluten gestalten, dessen Bild in ihm zur Erscheinung drängt. Dieses ist aber ein unabschließbarer Prozess, weil vollbringbar und anschaubar nur ein endlich Bedingtes ist, 26 das Ewige aber durch das Bedingte nie ausgeschöpft werden kann: »Weil das faktische Princip schlechthin in aller Unendlichkeit nicht kann, was es doch in aller Unendlichkeit soll, dehnt sich sein Vermögen aus zu einer Unendlichkeit. Das Soll ist das Eine, u. das Kann jagt dem soll ewig nach.« 27 Nun findet sich aber faktisch nicht bloß eine Freiheit vor der Schranke, sondern eine Vielzahl. Den Grund dafür nennt unser Text: »Diese Zertheilung des Einen Lebendigen ist eine Natureinrichtung, […] wirklich geworden deswegen, damit an ihr, und in dem Streite mit ihr, die Einheit des Lebens, die nach der göttlichen Idee ist und seyn soll, mit Freiheit sich bilde« (30). Es ist dies ebenfalls ein durchgehender Gedanke Fichtes, dass die Vernunft »etwas nur im Gegensatze, und als durch einen Gegensatz beschränkt anzuschauen vermag«. 28 Das Gegenteil von Einheit aber ist Vielheit, und deshalb
Vgl. 25 f.; Johann Gottlieb Fichte, Thatsachen des Bewußtseins 1810/11, 78. Dieses unmittelbare Bild des Absoluten, das sich als Soll in der Freiheit zeigt, und von ihr in einer ins Indefinite aufgebrochenen Reihe verwirklicht werden soll, wird in Fichtes Spätwerk immer wieder neu und anders benannt. In unserer Schrift ist es die »Idee«, in der Schwesterschrift von 1811 – wie schon bemerkt – »das ›Gesicht‹«; in den Thatsachen des Bewußtseins 1810/11 der »Endzweck«; in der Sittenlehre 1812 der »Begriff«; i. d. Wissenschaftslehre 1812 »Schema I« etc. Ich erwähne es, weil uns all diese Termini, die letztlich dasselbe meinen, in den hier verwandten Zitaten begegnen. 26 Vollbringbar: »Alles Machen […], als eben eine Vollziehung der Freiheit, trägt seine Vollendung u. Ganzheit, u. so sein Ende und seine Vergänglichkeit in sich. […] das machen giebt nothwendig ein zu vollendendes, u drum bedingtes Seyn« (Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 233). Anschaubar: »Soll es angeschaut werden, so muß es fixirt und zusammengefaßt werden, denn es ist das Wesen der Anschauung, daß sie fixi[e]re« (Johann Gottlieb Fichte, Thatsachen des Bewußtseins 1810/11, 10). 27 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1811, 235 f. Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Diarium I, 355. 28 Johann Gottlieb Fichte, Thatsachen des Bewußtseins 1810/11, 79. 24 25
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Werkzeuge? Zur Herrschaft der Gelehrten
braucht es zur Darstellung des einen Lebens eine scheinbare Vielfalt von Freiheiten. 29 Das ich 30 muss sich also als Individuum aufheben, indem es seine Einheit mit allen einsieht und bejaht. 31 Es muss verstehen, dass es nicht eine auf sich ruhende Kraft ist, als diese ist es bloßer Schein, sondern dass es, sofern es etwas ist, das eine Erscheinungsleben ist, in dem sich das göttliche Erscheinen vollzieht. Tut es das, so ist es ergriffen von dem einen Leben. Dann lebt es nicht mehr selbst sein Leben. Fichte betont wieder und wieder (auch in unserem Text mit wünschenswerter Deutlichkeit), dass sich das Leben in der Erscheinung zwar als Freiheit zeigt, der in Wahrheit aber das notwendige Ablaufen des Erscheinungslebens zugrunde liegt: Die Idee erscheint als eine Gesetzgebung »an das von ihr selbst als Leben hingestellte Leben, dem die Selbstständigkeit nicht entrissen werden kann, ohne daß ihm dadurch zugleich die Wurzel des Lebens ausgerissen werde« (28). Realiter aber ist es nur ein »scheinbar freies Handeln« (41). [U]nd dann sagen wir, dem Scheine uns bequemend, dieser Mensch liebt die Idee, und lebt in der Idee, da es doch, nach der Wahrheit, die Idee selbst ist, welche an seiner Stelle, und in seiner Person lebt und sich liebt, und seine Person lediglich die sinnliche Erscheinung dieses Daseyns der Idee ist, welche Person keinesweges an und für sich selbst da ist, oder lebt. (19)
Es hilft nichts dieser Freiheitsverneinung nun andere Freiheit behauptende Stellen des Textes entgegenzusetzen, denn für diese legt der unmittelbare Folgesatz den hermeneutischen Schlüssel eindeutig fest – sie bequemen sich dem Schein: »Diese strenger gefaßten Ausdrücke und Formeln schließen das ganze Verhältniß auf, und wir könVgl. Johann Gottlieb Fichte, Rechtslehre 1812, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1812 (= Gesamtausgabe II, 13), 201. Vgl. Wolfgang Janke, Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, Berlin/New York 1993, 372. 30 Um das ich-Individuum vom Gesamt- und Groß-Ich des einen Erscheinungslebens zu unterscheiden, schreibe ich es im Folgenden klein. 31 Dabei geht es nicht in erster Linie um eine Abwertung der individuellen Form. Als der notwendige archimedische Punkt in der Überwindung der Natur sowie als konkreter und je verschiedener Ort der Inkarnation des Göttlichen via des bestimmten Sittengesetzes bleibt sie die für die Erscheinung schlechterdings notwendige Form. Was abgewertet wird, ist nicht primär das Besondere, sondern der Besondere als unhintergehbares Selbst, nicht das Individuelle, sondern das Individuum. Es soll nicht es selbst sein, sondern eine Form des einen und einzigen Selbst. Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Sittenlehre 1812, 370. 29
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nen nun, wiederum dem Scheine uns bequemend, ohne Mißverständniß zu befürchten, fortfahren« (19). Bliebe als Bollwerk der Freiheit noch das freie Sich-Erheben zu solchem Einswerden mit der göttlichen Idee. Aber hier, wie in anderen Texten des Spätwerkes, negiert Fichte das entschieden: »Der natürliche Mensch vermag nicht durch eigene Kraft sich zum Uebernatürlichen zu erheben; er muss durch die Kraft des Uebernatürlichen selbst dazu erhoben werden.« 32 Das Individuum wird ergriffen, ohne etwas tun zu können. 33 Das Einzige, was das ich hat, ist das Zusehen: Der »Begriff, wie er erscheint, bildet durch sich den Willen, u. das Thun: die ganze Anschauung ist drum ein leidendes Zuschauen dem Leben des Begriffs: ohne irgend ein in den Faden des Ablaufes eintretendes, und diesen Faden etwa anhaltendes, u. beförderndes Ich«. 34 Warum dieser Abschied von der Person? Weil das eine göttliche Leben erscheinen soll, das nur in einer radikalen Einheit der Erscheinung da sein kann, und weil die Einzigkeit des göttlichen Lebens erscheinen soll, die in ihrer Einzigkeit das reale Prinzipsein anderer nicht dulden kann. Gott soll erscheinen, und d. h. nicht wir: weder als Produzenten noch als Produkt. Wir haben darob den Anschein der Realität eigenen Handelns durchschauend zu negieren bzw. in uns negiert uns die absolute Erscheinung. Wie eingangs schon angedeutet: Eine Demut radikaler Nichtigkeit, deren Resultat unfassbarer Hochmut sein muss. Nicht mehr ich handle, sondern unmittelbar das göttliche Erscheinen. Und deswegen gibt es hier auch keine Zwischenstadien, keinen status viatoris – entweder bloßer Schein (Individuum) oder das göttlich ergriffene Erscheinungsleben selbst: heilig oder verdammt. 35
»Das Ich geht eben unter, es vernichtet nicht sich, durch irgend eine Freiheit, sondern es wird vernichtet« (Johann Gottlieb Fichte, Sittenlehre 1812, 370; vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1812, 175 f.). 33 Warum das eine ist und das andere nicht, ist ein Geheimnis. Das Böse muss zwar sein, nämlich als Möglichkeitsbedingung der Sichtbarkeit von sittlicher Freiheit, aber nur für einen Moment (vgl. Johann Gottlieb Fichte, Sittenlehre 1812, 349). 34 Johann Gottlieb Fichte, Sittenlehre 1812, 346, vgl. 339. »Die Spontaneität von Denken und Wollen beim Jenaer Fichte (und bei Kant) wird beim Berliner Fichte in transzendentale Aisthesis gekehrt.« (Günther Zöller, »Denken und Wollen beim späten Fichte«, in: Fichte-Studien 17 [2000], 283–298, 298). 35 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Sittenlehre 1812, 346; Johann Gottlieb Fichte, Thatsachen des Bewußtseins 1810/11, 124. 32
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2. Die Herrschaft der Gelehrten Wie aber kommt es nun innerhalb dieser Zusammenhänge zur Herrschaft der Gelehrten? Die Gemeinde der Iche ist das Bild des Absoluten. Zur Versichtbarung Gottes wäre es ja hinreichend, ihn einfachhin anzuschauen, aber weil Anschauung Bestimmtheit impliziert, keine Bestimmtheit aber jemals das schlechthin Absolute darzustellen vermag, macht dies eine indefinite Reihe von einander bedingenden Bestimmtheiten notwendig. Dafür nun bedarf es der Verwirklichung einer jeden Konkretion in einer stehenden WirklichkeitsSphäre, weil nur so die einander bedingenden Anschauungen, ihrer bloß aktualen Gegebenheit enthoben, aufbewahrt sein und so die nächste Konkretion ermöglichen können. 36 Die Außenwelt und gesellschaftliche Wirklichkeit ist also der Ort, an dem ein konkretes Bild verwirklicht und damit aufbewahrt wird. So und nur so kann das nächste Bild eintreten: »Nur so, durch die wirkliche That befragt, spricht die ursprüngliche Erscheinung der Gottheit sich weiter aus, und nach diesem Gesetze geht es fort ins unendliche.« 37 Fichte lässt dabei gänzlich offen, als was sich das Absolute zeigen wird: »Der Begriff, der da leben soll, ist hiebei vorausgesezt, als das schlechthin unbekannte, durch kein Denken a priori zu erforschende, sondern dem Bewußtseyn, das darauf gerichtet ist, eben als absolutes sich gebend. Attentire auf dich.« 38 Während es die Aufgabe aller ist, das je bekannte Bild an der je eigenen Position zu verwirklichen, ist es nur einigen gegeben, das neue zur Verwirklichung aufgetragene Bild zu erkennen: Dies sind die Gelehrten. Da aber der Sinn allen gesellschaftlichen Lebens der unendliche Fortschritt in der Verwirklichung des Bildes ist, müssen die herrschen, die einzig die Gemeinde diesem Ziel entgegenführen können: »Die Antwort auf die Frage: Wer hat ein Recht Oberherr zu seyn, ergiebt sich näher: Der höchste menschliche Verstand, und da es diesen in keiner Zeit giebt, der höchste menschliche Verstand seiner Zeit, und seines Volkes.« 39
Vgl. die Ausführung von 1811 (Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 319). 37 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 318. 38 Johann Gottlieb Fichte, Sittenlehre 1812, 365. 39 Johann Gottlieb Fichte, Staatslehre 1813, 72. 36
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Bleibt zu fragen, was der genetische Grund dafür ist, dass »[a]lles Neue, Große und Schöne, was von Anbeginn der Welt an in die Welt gekommen, und was noch bis an ihr Ende in sie kommen wird, […] durch die göttliche Idee« nur eintritt, indem sie »in einzelnen Auserwählten theilweise sich ausdrükt« (29; Hervorhebung durch F. H.). Wenn es um mehr als nur eine empirische Feststellung geht, die ja zumindest die Zukunftsprognose nicht decken könnte, muss es einen apriorischen Grund geben, den Fichte für seine Auserwählungstheorie hier allerdings nicht liefert. Dies tut er andernorts – z. B. in der Ausführung von 1811: Gesez der übersinnlichen Welt, daß sie nur in wenigen auserwählten und dazu im Rhate der Gottheit bestimmten ursprünglich heraus brach in Gesichten; die große Mehrzahl der übrigen sollte erst von diesen wenigen aus, die da gleichsam als Mittler da standen zwischen dem Menschengeschlechte, u. dem übersinnlichen, gebildet werden. 40
Diese »ursprünglich begeisterten Seher, deren es geben wird, und geben muß, bis an das Ende der Tage«, 41 sind eine kleine Zahl und bilden deshalb nicht den Normalfall des Menschengeschlechtes, weil dieses »bestimmt [ist] mit absoluter Freiheit in jedem Einzelnen zu allem selbst sich zu machen, was es seyn soll, und nichts in sich übrig zu behalten, das nicht sey Erzeugniß dieser Freiheit«. 42 Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Lehre: Die Nicht-Seher wollen, auch mit ihrem guten Rechte, den Willen Gottes an sich nicht mehr verspüren, durch einen fremden, sondern ihn vernehmen in sich selbst. Sie wollen selbst klar einsehen; an diese klare Einsicht drum must du dich wenden, und diese für dich gewinnen, und außerdem bringst du sie nicht aus der Stelle. 43
Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 328. 41 Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 330. 42 Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 329. 43 Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 331. Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Staatslehre 1813, 352: »Die geistige Fortschöpfung nun geht einher auf folgende Weise. Sie hebt unmittelbar an in einzelnen Punkten der Geisterwelt, als geistiges Gesicht; in diesen einzelnen durchaus sich selbst machend […]. Hierin ist der Mensch durchaus nichts durch sich selbst, sondern alles durch Gott. In diesem Punkte aber schließt sich auch das unmittelbar göttliche Wirken, und von ihm aus bedient sich Gott der Freiheit, und Selbständigkeit des Men40
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Die Gelehrten sind also diejenigen, die durch Erwählung geworden sind, was die anderen durch ihre Vermittlung frei werden sollen. Dass die Anderen das nur werden können (und dürfen) durch eigene Einsicht, schränkt die Totalherrschaft ein. Aber wie weit? Einerseits geht es um eigene Einsicht und Freiheit eines jeden (wohlgemerkt: wir bequemen uns dieser Ausdrücke, indem es doch eigentlich das eine Erscheinungsleben selbst ist), auf der anderen Seite wird immer wieder betont, dass der Nicht-Gelehrte das Gesicht als Gesicht weder einsehen noch beurteilen könne und sich deshalb zum Werkzeug zu machen habe. Gar: Die Tugend von »Zuträgern und Handlangern […] besteht in pünktlichem Gehorsam und der Vermeidung alles Selbstdenkens, und über ihr Geschäft Selbsturtheilens« (18). Was 1806 gänzlich verloren zu gehen droht, nämlich das Herauferziehen zur Einsicht, taucht 1811 wohltuend wieder auf: Zwar fordert Fichte auch dort von den Nicht-Sehern bedingungslosen Gehorsam, solange sie noch keine Einsicht haben, 44 aber zugleich nimmt er die Gelehrten in die Pflicht: »Die erste Aufgabe die in dieser Lage an die GelehrtenGemeinde gestellt wird, ist die, sich und das Volk bis an das Ende der Tage einander entgegen zu erziehen zum Wechsel klarer Einsicht.« 45 schen, um die Wirkung, von dem einzelnen Punkte aus, worin sie hervorbrach, fortzupflanzen über das ganze Geschlecht.« 44 Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 350. 45 Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 334. Dies war 1794 durchgehender Tenor: Der gesellschaftliche »Trieb geht auf Wechselwirkung […] nicht auf blose Kausalität, nicht auf blose Thätigkeit, wogegen der andere sich nur leidend zu verhalten hätte. Der Trieb geht darauf aus, freie vernünftige Wesen ausser uns zu finden, und mit ihnen in Gemeinschaft zu treten; er geht nicht auf Subordination, wie in der Körperwelt, sondern er geht auf Koordination aus« (Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794), 39; vgl. 44). Auch ist hier noch nicht der Ganz oder Gar-nicht-Horizont gegeben, kann doch der Gelehrte auch noch etwas vom Nicht-Gelehrten lernen: Der Gelehrte bedarf nicht nur der »Mittheilungsfertigkeit«, sondern auch der »Empfänglichkeit«, und »er soll durch stetes Hinzulernen sich diese Empfänglichkeit erhalten; und sich vor der oft, und bisweilen bei vorzüglichen Selbstdenkern, vorkommenden gänzlichen Verschlossenheit vor fremden Meinungen und Darstellungsarten zu verwahren suchen; denn niemand ist so unterrichtet, daß er nicht immer noch hinzulernen könnte, und bisweilen noch etwas sehr nöthiges zu lernen hätte; und selten ist jemand so unwissend, daß er nicht selbst dem Gelehrtesten etwas sollte sagen können, was derselbe nicht weiß.« (ebd. 56). Eine Mahnung, von der man wünschte, Fichte hätte sie auch in späteren Jahren beherzigen können. (Dass ihn eher seine verletzliche und durch den Atheismus-Streit zeitlebens verletzte als eine von Haus aus hochmütige
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Gleichwohl muss gefragt werden, wie sehr eine solche Bildung befreit, wenn sie solange zu blindem Gehorsam verpflichtet, bis präzise dasjenige eingesehen ist, was der Lehrer bereits eingesehen hat. Fichte reserviert zwar jedem Individuum innere Freiheit, aber verwirklichen in äußerer Freiheit darf sich nur, was von den Gelehrten geboten oder genehmigt ist, und dies in möglichst umfassender Durchbestimmung: Das Gesetz beschränkt die äußere Freiheit der Bürger in allen möglichen Richtungen und nach allen möglichen Seiten hin, – je vollkommner es ist, desto mehr […]. Alles, was da geschehen soll, findet sich geboten, bei Strafe; was unterlassen werden soll, findet sich verboten, gleichfalls bei Strafe. (59) 46
3. Meuterei der Werkzeuge: Keine Person bloß Mittel Eine solche Herrschaft absoluter Bevormundung ruft – wenigstens heute – scharfen Protest hervor. Was aber sträubt sich eigentlich gegen die Diktatur der Gelehrten und mit welchem Recht? Ich möchte ausgehen von Fichtes Aufruf, den Eltern ihre Kinder zu nehmen, um sie in staatlichen Bildungseinrichtungen für eine neue Gesellschaft nach Prinzipien der Wissenschaftslehre zu erziehen. Regieren müssen die Gelehrten, und ihre vornehmste Aufgabe ist die Durchführung einer Nationalerziehung, zu deren Durchsetzung die Kinder abgesondert werden müssen. »In der Berührung mit uns müssen sie verderben, dies ist unvermeidlich; haben wir Natur daran gehindert hat, zeigt in einer neueren Fichte-Biographie, die ein so dringendes Desiderat war, wie sie gelungen ist, Wilhelm G. Jacobs [Johann Gottlieb Fichte. Eine Biographie, Berlin 2012, z. B. 109 ff.]). 46 In der ersten Gelehrtenschrift war die Freiheit des Einzelnen noch sehr stark betont worden. Dies nimmt in den beiden späteren Schriften signifikant ab. Ein plastisches Beispiel ist der Wandel von der prinzipiell freien Berufswahl (Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 48) zur »Eintheilung in Stände und Klassen« aufgrund einer »letzten und inappellablen Entscheidung des Lehrerstandes« (Johann Gottlieb Fichte, Staatslehre 1813, 80), und ganz deutlich wird es, wenn Fichte sowohl 1806 (39, 73) wie auch 1811 (Johann Gottlieb Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811), 346, 350) den Ausübenden als Werkzeug des Gelehrten bezeichnet, wo er noch 1794 eben in der Ablehnung der erzwungenen Standeswahl den Werkzeugbegriff gerade zum Gegenteil des Richtigen erklärt: »Wir wollten ein Glied der Gesellschaft, und wir machen ein Werkzeug derselben; wir wollten einen freien Mitarbeiter an unserm großen Plan, und wir machten ein gezwungenes leidendes Instrument desselben.« (Johann Gottlieb Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794), 48).
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einen Funken Liebe für sie, so müssen wir sie entfernen aus unserm verpestenden Dunstkreise und einen reinern Aufenthalt für sie errichten.« 47 Der Staat, »als der Gott und seinem Gewissen allein verantwortliche Vormund der Unmündigen« (womit nicht die Kinder gemeint sind, sondern deren uneinsichtigen Eltern), hat dabei »das vollkommene Recht, die letzteren zu ihrem Heile auch zu zwingen«. 48 Dies ist ein Plan, den Fichte in der Staatslehre von 1813 und im begleitenden Diarium-I wiederholt. Dort heißt es: Ueberhaupt geht, wie es scheint, die Familie gänzlich zu Grunde: So ohngefähr war auch Plato’s Ansicht. […] Ich will […] die Ehen alle kinderlos […]. Auch allen ferneren Zusammenhang zwischen Eltern, u. Kindern aufgehoben, durchaus wie Plato. An die Stelle der Eltern treten die Erzieher. […] Eine andere Kinderfabrik kann der Staat nicht anlegen – wohl aber eine andere Bildungsfabrik. 49
Die, die Fichte in dieser Forderung Gefühl und Takt absprechen, tun ihm kein Unrecht, denn: »Jemandem Gefühl und Takt absprechen, heißt ihm Unverstand absprechen.« 50 Was spricht eigentlich dagegen? Was ist die vernünftige Basis eines sich gegen diesen Plan sträubenden Gefühls? Versuchen wir ihm eine Stimme zu geben: Natürlich soll jedem Kind eine gute Bildung zuteilwerden, aber die kann doch das Elternhaus nicht ersetzen. Warum nicht? Weil der Mensch nicht zuallererst darin aufgeht, ein zu Bildender zu sein. Vor aller bildenden Formung auf einen Zweck hin kommt das ganz und gar unverzweckte »Es ist gut, dass es Dich gibt« 51 der Liebe, es ist gut, längst bevor Du etwas geleistet hast, nämlich: jetzt und immer. Das aber zu sprechen, ist vor allem der Reden an die Deutsche Nation, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1808–1812, hrsg. von Reinhard Lauth, Erich Fuchs, Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani, Peter K. Schneider, Martin Siegel und Günter Zöller unter Mitwirkung von Josef Beeler-Port [= Gesamtausgabe I, 10), Stuttgart-Bad Canstatt 2005, 235. Vgl. ebd. 222 f. 48 Johann Gottlieb Fichte, Reden an die deutsche Nation, 245 f. 49 Johann Gottlieb Fichte, Diarium I, 296 f. und 306. 50 Johann Gottlieb Fichte, Diarium I, 302. 51 Vgl. Josef Pieper, Über die Liebe, in: Josef Pieper, Werke in acht Bänden, hrsg. von Berthold Wald, Bd. 4: Schriften zur philosophischen Anthropologie und Ethik: Das Menschenbild der Tugendlehre, Hamburg 22006, 514 f. Und zwar nicht bloß und auch nicht zuerst gut für mich, sondern an sich und für dich. Vgl. dazu: Franziskus von Heereman, »Analogia Amoris – Gott und Mensch lieben«, in: Thomas Möllenbeck / Berthold Wald (Hrsg.), Liebe und Glück. Annäherungen mit C. S. Lewis und Josef Pieper, Paderborn 2012, 72–86; sowie ebd. Jörg Splett, »Was ist eigentlich Liebe?«, 45–56. 47
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Dienst der Eltern (und diese Aufgabe an Erzieher auslagern zu wollen, wenn man sie denn, anders als Fichte, im Blick hätte, bedeutet für diese eine Überforderung sondergleichen – zumal ihnen das Recht zu jener Parteilichkeit der Liebe fehlt, das den Eltern eignet). Kurz: Eltern verstehen ihr Kind (hoffentlich) nicht primär von seiner Bestimmung her, sondern sehen in seiner bloßen Existenz als solcher schon einen Letzt- und Endzweck. Und damit sind wir mit Fichte an einem fundamentalen Scheideweg angelangt. Entweder »ich bin/Du bist ein Zweck« oder »ich muss mir mein/Du musst Dir Dein Leben verdienen«. 52 Ich bin dann Mittel/Werkzeug zu einem Zweck, wie Fichte in unserem Text wieder und wieder sagt. Wenn auch nicht zwingend Werkzeug anderer iche, so doch und zwar unausweichlich (Gelehrte, wie Nicht-Gelehrte) der göttlichen Erscheinung. Und da weder ich noch wir den Zweck, zu dessen Erreichung wir ein Mittel sind, je erreichen werden, werden wir ein ewiges Mittel sein. Der Rechtschaffene wird »ehrwürdig und heilig«, jedoch: »nicht in Rüksicht dessen, was er ist, sondern in Rüksicht dessen, was er werden soll, und immerfort sollen wird« (44 f.). Nicht, dass es nicht ein Leben-für gäbe und dass es nicht zum gelungenen Menschsein gehörte, seine Aufgabe zu finden und in der Tat sich ganz für diese einzusetzen. Aber die Phänomenologie der Elternliebe, ja aller Liebe, zeigt doch, dass dies ein zweites ist. Zunächst ist der Geliebte als er selbst Zweck. Es ist gut, dass er ist, nicht um der Gattung willen, sondern um seinetwillen. Und deshalb ist seine Bestimmung natürlich gut und wichtig für das Geschlecht, aber sie ist ihm wesentlich geschenkt und gegönnt: kein Sollen einfachhin, sondern ein Sollen-Dürfen. Goldgrund der Güte 53 gerade unter seinem Leben-für. Indem ich es »bezahle« – ein gnadenloser Gedanke, der Fichte gleichwohl durchwirkt haben muss: »Mein Stolz ist der, meinen Platz in der Menschheit durch Taten zu bezahlen.« (Aus einem Brief an M. J. Rahn vom 5. 3. 1793, in: Johann Gottlieb Fichte, Briefe 1775–1793, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob unter Mitwirkung von Hans Gliwitzky und Manfred Zahn [= Gesamtausgabe III, 1], Stuttgart-Bad Canstatt 1968, 375); vgl. auch Johann Gottlieb Fichte, Sittenlehre 1798, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1798–1799, hrsg.von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mitwirkung von Hans Michael Baumgartner, Erich Fuchs, Kurt Hiller und Peter K. Schneider (= Gesamtausgabe I, 5), Stuttgart-Bad Canstatt 1977, 315; Johann Gottlieb Fichte, Reden an die deutsche Nation, 200; Johann Gottlieb Fichte, Über die einzig mögliche Störung der akademischen Freiheit, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1808–1812 (= Gesamtausgabe I, 10), 375. Die Kehrseite ist, dass bei Fichte das Thema Dank einen Totalausfall erleidet. 53 »Güte« trifft den Sachverhalt klarer als »Liebe«, weil der Liebesbegriff durch seine 52
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4. Selbstzwecke: Erscheinung absoluter Liebe Dass der Mensch an sich selbst ein letzter Zweck 54 ist, möchte ich für jedes der vermeintlichen Werkzeuge (ob der Gelehrten oder des Absoluten) gegen Fichte aufrechterhalten. Wie aber fände eine solche Selbstzwecklichkeit bzw. die auf sie zielende Liebe Platz in Fichtes System? Ich meine nur durch einen fundamentalen Neuansatz in der Systemspitze. Das Höchste, das der frühe Fichte kannte, war die Tathandlung des Ich=Ich, die ihm im Laufe seiner durch den Atheismusstreit angefachten Vertiefung der Wissenschaftslehre vom Höchsten selbst zur Erscheinung des Höchsten wurde – Erscheinung desjenigen reinen und absoluten Lebens, in dem es keinen Einschlag des Nicht-Ichs gibt. Im Rahmen dieser Entwicklung arbeitet er dann auch einen Liebesbegriff aus, der vor allem in der Anweisung zum seligen Leben (1806) dargestellt wird: Sie ist unsere gefühlte Verbundenheit mit dem Absoluten, die aber ist eigentlich – wie es ja schon in unserem Text anklingt (vgl. 18 f., 32) – des »Seyns Tragen und Halten seiner Selbst in dem Dasein […], seine Liebe zu sich«. 55 Ein solches unmittelbares Eingehen des Absoluten in das Erscheinungsgeschehen, das sich kaum mehr vom Hegelschen Sich-Wissen des Absoluten in uns unterscheiden lässt, schließt Fichte im letzten großen Anlauf seines Schaffens als Professor in Berlin ausdrücklich aus. Es ist hier nicht das Absolute, das sich in uns weiß, sondern seine eine Erscheinung, die ein durch das Absolute prinzipiiertes 56 eigenes vielfältige Verwendung in der Ideengeschichte und in der Alltagswelt auf keinen einheitlichen Bedeutungskern mehr zurückzuführen ist. Was hier gemeint ist, ist jene Haltung, die Aristoteles zuerst auf den Begriff gebracht hat: »Man bezeichnet als Freund denjenigen, der uns das Gute, oder was so erscheint, um unseretwillen wünscht und tut, oder denjenigen, der uns Sein und Leben um unseretwillen wünscht.« (Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1166a 3–6). Dieses Um-des-anderenwillen ist das, was wir hier und im Folgenden mit Liebe meinen. 54 Ein wirklicher Selbstzweck ist ein Letztzweck, alles andere sind Zwischenzwecke, die nur solange Zweck sind, wie sie noch nicht erreicht wurden; als Erreichte aber sind sie Mittel für einen anderen Zweck. »Wovon wir sagen, daß wir ihm um eines andern willen freund sind, das benennen wir offenbar nur mit einem fremden Wort, freund aber mögen wir in der Tat wohl nur jenem sein, in welchem alle diese sogenannten Freundschaften endigen.« (Platon, Lysis, 220a-b). 55 Johann Gottlieb Fichte, Anweisung zum seligen Leben, 168. 56 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Diarium I, 274: »daß es nicht durch sich schlechtweg ist, in sich den Grund haltend, ist klar, außerdem wäre es das absolute Seyn selbst: es ist drum durch das Seyn: durch dessen sich abbilden.«
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Leben hat. Das bewahrt das Absolute vor einem Pantheismus, in den Fichte um seiner Absolutheit willen nicht geraten wollte. Fichte hat sich v. a. in der Wissenschaftslehre 1812 ausdrücklich von Spinoza abgehoben: Eins ist und ausser diesem Einen ist schlechthin nichts. […] Nicht damit verwechselt Sätze, denen die Wissenschaftslehre eben widerspricht, und die sie als den Grund aller Irrthümer u. Verworrenheit aufstellt: hen kai pan. alles in dem Einen. – . Alles: die Summe des Mannigfaltigen? Wer sagt denn, daß in dem Einen ein Mannigfaltiges sey, wer könnte es verstehen: […] eben der Sp [inozische]. Widerspruch. 57
Gleichzeitig affirmiert er diese Hen-kai-pan-Struktur im Blick auf die Erscheinung: »Alles in dem Einen, alles Eins. – . Allerdings, nemlich in der Einen Erscheinung. – . In ihm leben, weben, sind wir: ja, in seiner Erscheinung: nimmer in seinem absoluten Seyn.« 58 Für die Freiheit des Einzelnen macht es allerdings kaum einen Unterschied, ob durch ihn unmittelbar das Absolute handelt oder die eine Erscheinung, so oder so ist es nichts mit seiner Person: »Ein reflektirtes Ich: eine eigentliche Subjektivität, thut nie etwas, u. ist nie etwas, sondern sie mit ihrem Ausspruche, ihrem Prädikate ist stets, u. immer Reflex der wahren objektiven Erscheinung im Hintergrunde.« 59 Und dies hat natürlich Folgen für den Charakter des gesamten Systems. Denn wenn die Erscheinung nur in individuo bewusst ist, dort aber nicht frei, dann gibt es letztlich kein anderes Prinzip als das Absolute, von dem die Erscheinung restlos ergriffen ist. 60 Dann ist zwar nicht das Absolute alles, aber alles ist ihm restlos und unausweichlich unterworfen. Es gibt schlechterdings kein ermächtigtes Mitwirken. Und da das Absolute selbst nie anders als notwendig wirkt, gibt es in diesem System zwar Leben, aber nirgends ein freies. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1812, 56. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1812, 60. Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1810, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1807– 1810, hrsg. von Reinhard Lauth, Hans Gliwitzky, Peter K. Schneider und Erich Fuchs unter Mitwirkung von Ives Radrizzani und Anna-Maria Schurr-Lorusso (= Gesamtausgabe II, 11), Stuttgart-Bad Canstatt 1998, 293 f. 59 Johann Gottlieb Fichte, Diarium II, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1813–1814, hrsg. von Erich Fuchs, Hans Georg von Manz, Ives Radrizzani, Peter K. Schneider und Günter Zöller unter Mitwirkung von Alessandro Bertinetto, Simone Furlani und Martin Siegel (= Gesamtausgabe II, 16), Stuttgart-Bad Canstatt 2011, 234. 60 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Thatsachen des Bewußtseins 1810/11, 125. 57 58
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Die Liebe kehrt, nachdem ihre Systemstelle in der Anweisung im Folgenden zwar nicht dementiert, aber doch fallengelassen wurde, 61 in anderer Funktion noch einmal wieder: In der Sittenlehre von 1812 als Name für die Anerkennung, die wir einander schulden: »Liebe, allgemeine Menschenliebe.« 62 Diese richtet sich auf den Mitmenschen in seiner Bestimmung zum Werkzeug des Absoluten und ist der innige und tätige Wille, dass sich dieses in ihnen realisiere. Diese Liebe gilt jedem, und sei er noch so unsittlich, denn sein Bestehen belegt seine Bestimmung. 63 Dass dies aber nicht die Liebe eines anderen um seiner selbst willen ist, liegt offen zutage. Im Gegenteil, der andere als (scheinbar) anderer ist ebenso auszulöschen wie ich: »Auf diesem Gebiete thut überhaupt keiner etwas für den andern, indem auch keiner etwas für sich thut. Die Individuen sind da gar nicht da.« 64 Und zugleich ist diese Liebe auch nicht die eigentliche Erscheinung des Absoluten, sondern deren Bedingung; denn nur in einer zur Sittlichkeit erhobenen Gemeinde der iche kann die eigentliche Erscheinung des Absoluten beginnen: »Das gegenwärtige Leben ist, Vorbereitung; es ist in ihm gar nicht gegeben der eigentliche weltschöpferische Begriff, sondern es ist nur aufgegeben sein Bild. Nicht das Objekt ist aufgegeben, sondern lediglich die Bildung des Subjekts zum Werkzeuge.« 65
Nur in der Wissenschaftslehre 1807, der »Königsberger«, taucht sie in dieser Form noch einmal auf dem Katheder auf (Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1807, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1806–1807, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mitwirkung von Erich Fuchs, Marco Ivaldo, Peter K. Schneider und Anna-Maria Schurr-Lorusso [= Gesamtausgabe II, 10], Stuttgart-Bad Canstatt 1994, 167 f., 177 f.). In den faszinierenden privaten Reflexionen über Probleme der Wissenschaftslehre ringt Fichte noch einmal mit dem Gedanken (Johann Gottlieb Fichte, »Aufzeichnungen«, in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1807–1810, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mitwirkung von Erich Fuchs, Marco Ivaldo, Peter K. Schneider und Anna-Maria Schurr-Lorusso [= Gesamtausgabe II, 11], Stuttgart-Bad Canstatt 1998, 201 f., 212, 216 f.), danach taucht er weder in den Reflexionen zur Wissenschaftslehre noch in den öffentlichen Ausführungen je wieder auf. 62 Johann Gottlieb Fichte, Sittenlehre 1812, 373. 63 Von hierher ergibt sich auch die Nichtzulässigkeit der Todesstrafe (Johann Gottlieb Fichte, Rechtslehre 1812, 277). 64 Johann Gottlieb Fichte, Rechtslehre 1812, 215. »Iche ausser ihm werden ihm [dem Sittlichen] solche Objekte, […] lediglich, inwiefern sie als unsittlich, und nur in dieser Rüksicht mit einem Selbst begriffen werden, u. zur Sittlichkeit gebildet, d. i. das Selbst an ihrem Platze in der gesamten Erscheinung ausgetilgt werden soll.« (Johann Gottlieb Fichte, 370; vgl. Johann Gottlieb Fichte, Diarium I, 398). 65 Johann Gottlieb Fichte, Sittenlehre 1812, 359. 61
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Das Höchste, das Fichte kennt, ist also an sich das Leben Gottes und für uns die lebendige Erkenntnis dieses Lebens. Um aber auf die Ebene der Güte zu kommen, bedarf es eines Neueinsatzes, denn im Horizont von Leben und Erkennen ist die Liebe als Güte noch nicht in Sicht. Wir liebten dann, um zu erkennen, welches Um-zu den/die Geliebte(n) verzweckte. Die Güte als das Höchste zu behaupten, aber heißt: Wir leben und erkennen, um zu lieben. Leben und Erkenntnis sind dann kein in sich Höchstes, sondern Abstraktionen aus einer Wirklichkeit, die die ihre dimensional übersteigt – so wie Fläche und Linie aus dem Raum abstrahiert werden, niemals aber aus sich dessen Dimension erreichen können. Was hier um wessentwillen ist, wird man nicht unabhängig von der Frage, worum willen ich selbst sein will oder meine sein zu sollen, beantworten können. Mit Fichte: »Was für eine Philosophie man wähle, hängt […] davon ab, was für ein Mensch man ist.« 66 Wenn man über Leben und Erkenntnis die Liebe verortet, wird man Fichte in seiner Systemspitze – dem Absoluten – modifizieren müssen. Wenn dieses als Wovonwoher des Liebensollens und -könnens selbst als absolute Liebe zu denken ist, dann müsste dessen Erscheinen fundamental anders gedacht werden als bei Fichte – ohne dass dabei zu vergessen wäre, wie viel auch ein derart transponierter Entwurf Fichtes Entdeckung und Durchführung radikalen Erscheinungsdenkens verdankte. Die erste Frage, die sich dann neu stellen würde, wäre: Was ist das Wozu der Erscheinung? Fichte kann einerseits die Frage nicht beantworten, weil sich aufgrund der Unbegreiflichkeit des Seins ein Grund für sein Erscheinen gar nicht benennen lässt. Andererseits soll sie unbedingt sein. Lässt sich dann aber auf ein Wozu verzichten? Es gibt nur zwei mögliche Adressaten eines Um-willen: Das Absolute oder die Erscheinung. Dass Erscheinung um des Absoluten willen geschieht, gibt nur Sinn, wenn es ihrer bedarf. Dies aber gibt gar keinen Sinn. 67 Wenn es aber nicht um den Erscheinenden geht, Johann Gottlieb Fichte, Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre 1797/98, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1797–1798, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mitwirkung von Richard Schottky (= Gesamtausgabe I, 4), Stuttgart-Bad Canstatt 1970, 195. 67 Anders wäre es eben nicht als das Absolute gedacht. »Die Beschreibung des Wissens als Sich-Anschauung des Seins ist falsch, wenn dieß vom absoluten Sein gelten soll. […] es gilt nämlich das Sicherscheinen des Seins vom Sein der Erscheinung.« (Johann Gottlieb Fichte, Thatsachen des Bewußtseins 1810/11, 12). »Es kommt eben 66
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Werkzeuge? Zur Herrschaft der Gelehrten
dann um die Erscheinung bzw. um diejenigen, denen die Erscheinung erscheint, d. h. um uns. Movens des Sich-zu-sehen-Gebens wäre das Glück des Sehenden. Mit Franz von Baader: »Nur die Liebe spricht.« 68 Und erst hier ist die Person Selbstzweck, weil als Letztzweck gemeint. Die Erscheinung geschieht um dessentwillen, dem sie erscheint. Damit ist der Monismus aufgebrochen. Erstens, weil es einen wirklichen Anderen gibt – jemanden, der nicht das Absolute ist (wenn er auch nichts wäre ohne dieses, weshalb seine Existenz der Absolutheit des Absoluten keinen Eintrag tut); sodann, weil dieser nicht alleine bleiben kann, wenn sich das, was sich zeigen will, zeigen soll: Was aus Güte erscheinen würde, erschiene auch als Güte; im Füreinander der iche, die in diesem Füreinander das absolute Für-einen-jeden des Absoluten versichtbaren würden. 69 Der Einzelne als er selbst wäre gerade die Erscheinung der Güte, die ihm dieses Selbst-sein und diese selbsthafte Güte anderen gegenüber (und anderer ihm gegenüber) gönnt. Es wäre dann ein Absolutes gedacht, dem die Wahrheit und Realität der Freiheit des ich nicht geopfert werden muss, ja nicht geopfert werden darf, 70 und zwar um des Gehaltes der Erscheinung willen, die als Güte nicht erscheinen könnte ohne bleibende, gegönnte Selbsthaftigkeit der iche. Dann aber wäre auch der infinite Regress von Erscheinungen aufgebrochen: Was zu erscheinen hätte, wären dann nicht immer nur Möglichkeitsbedingungen für eine Erscheinung, die per definitionem nie erscheinen würde (wobei sich füglich fragen ließe, wie es dann Bedingungen ihrer geben kann), sondern die Versichtbarung wäre darauf an zu zeigen, daß es nicht Gott sey, der sich verstehe, sondern, daß es seine absolute Erscheinung sey.« (Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Diarium III, 196). Vgl. Paul Baumanns, J. G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/ München 1990, 350 f. 68 Franz von Baader, Sämmtliche Werke Bd. 12, Hauptabt. 2, Nachgelassene Werke 2, Erläuterungen zu sämmtlichen Schriften Louis Claude de Saint-Martin’s, hrsg. von Friedrich von Osten-Sacken, Leipzig 1860, 416. 69 Sowie, was ein anderes Kapitel wäre, das Füreinander in Gott, ohne das er nicht als Liebe gedacht werden kann. Vgl. dazu Jörg Splett, »Gottes Dreieinigkeit denken? Zu Möglichkeiten trinitarischer Theologie zwischen Augustinus und Richard v. St.Victor«, in: Edith Düsing, Werner Neuer und Hans-Dieter Klein (Hrsg.), Geist und Heiliger Geist, Würzburg 2009, 87–104. 70 Noch einmal Franz von Baader: »Wir haben glücklicherweise einen Gott, der […] nicht, wie Saturn, vom Frasse seiner Kinder lebt.« (Franz von Baader, Sämmtliche Werke Bd. 8, Hauptabt. 1, Systematische Sammlung der zerstreut erschienenen Schriften, Zur Religionsphilosophie 2, hrsg. von Franz Hoffmann, Leipzig 1855, 102 f.)
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Franziskus von Heereman
immer da und immer dann erreicht, wenn der eine für den Anderen ist. Dann aber wäre auch der Primat der Gelehrten aufgebrochen: Sie wären dann nicht mehr primär diejenigen, die die Welt weiter bringen, sondern die Liebenden. Denn dies ist die Tragik Fichtes: Das Absolute, das er denkt, vermag den Nihilismus des reinen Ich zu überwinden, indem es dem ich einen Inhalt gibt, der Tribut aber ist dessen völlige Vernichtung. Das Sein, wie Fichte es denkt, kann eben nicht mehr, als sich zu behaupten; wäre es die Güte, so würde es das ich behaupten (als sein »Du« in einem Anruf von letzter Gültigkeit). Wenn Fichte dann gegen das Selbst polemisiert, gibt es einen Einspruch, der nicht seinem Theozentrismus den Kampf ansagen muss, sondern ihm beipflichten kann, dass der letzte Sinn und Zweck der Weltveranstaltung das Erscheinen Gottes ist. Dann nämlich, wenn der erscheinende Gott der Gott der Liebe ist, der in der Selbsthaftigkeit eines jeden als gründende Liebe da ist. Die Antwort auf Fichtes ernsteste Frage: »was liegt denn nun aber daran, ob ihr seyd oder nicht[?]«, 71 lautet dann: die Ehre Gottes.
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Johann Gottlieb Fichte, Sittenlehre 1812, 369.
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J. G. Fichtes Über das Wesen des Gelehrten und die Bestimmung des magister bei Thomas von Aquin Wilhelm Metz, Freiburg
Fichte hat zu wiederholten Malen – von der Jenenser Zeit bis zur letzten Schaffensperiode – über das »Wesen des Gelehrten« gehandelt; seine Lehre lässt sich jeweils in den Kontext seiner stets sich wandelnden Gesamtphilosophie klar einordnen. Im Folgenden sollen seine Erlanger Vorträge über das Wesen des Gelehrten aus dem Jahre 1805/6 im Fokus stehen, in denen Fichte das, was einen wahren Gelehrten ausmacht, im Licht seiner Philosophie des Absoluten erörtert. Das Eigentümliche seiner Lehre lässt sich durch den Kontrast mit Thomas von Aquin gut verdeutlichen, der in seinem Hauptwerk Summa Theologiae an herausgehobenem Orte die Bestimmung des magister darlegt. Fichte hat sich niemals auf Thomas von Aquin bezogen und dessen Summa Theologiae studiert; es handelt sich folglich um einen rein sachlichen Vergleich, den wir – in geschichtlichem Abstand sowohl zum Denken des Hochmittelalters als auch der klassischen Neuzeit – vornehmen. Beiden geschichtlichen Sphären, Hochmittelalter und klassischer Neuzeit, ist gemeinsam, dass die Institution der Universität eine herausragende Bedeutung innehat. Die Universität ist im Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert im lateinischen Mittelalter entstanden; 1 in der Periode der klassischen Neuzeit – erwähnt sei der Name Wilhelm von Humboldt – kommt es zur Neugeburt der Universität. Die Werke eines Bonaventura oder Thomas von Aquin sind ohne die Institution der Universität ebenso undenkbar wie die Philosophien Fichtes und Hegels, um nur diese beispielhaft zu nennen. Fichte hat zwar nicht allein als Universitätslehrer vor einem akademischen Publikum gewirkt, sondern sich ebenso als freier Redner vor nicht akademischen Hörern (beiderlei Geschlechts) hervorgetan. Aber die denkerische Besinnung auf das, was eine schulmäßige »Lehre« ist und Vgl. das Buch Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, hrsg. von Walter Rüegg, München 1993.
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was sie in den Studierenden bewirken könnte, ist Fichte zeitlebens ein zentrales Anliegen. Im Folgenden soll zunächst die Bestimmung des magister nachgezeichnet werden, die wir bei Thomas von Aquin finden. Im zweiten Teil sollen einige Stationen zwischen Hochmittelalter und klassischer Neuzeit genannt werden. Drittens wird das neuzeitliche »Wesen des Gelehrten« anhand von Fichtes Erlanger Vorträgen herausgestellt.
Die Bestimmung des magister in der Summa Theologiae des Thomas von Aquin Für die Person des Thomas von Aquin stellen der »neue Aristoteles«, die »neuen Orden« sowie die »neuen Universitäten« des Hochmittelalters die Koordinaten dar, ohne die sein philosophisch-theologisches Schaffen undenkbar gewesen wäre. Gleichwohl sei im Folgenden nicht auf die Person des Thomas von Aquin, sondern allein darauf geschaut, wie die Aufgabe und Bestimmung des magister innerhalb des thomasischen Lehrgebäudes gedacht und charakterisiert werden; hinter der »Objektivität« der Lehre tritt das Individuum des Thomas von Aquin gänzlich zurück. Das Hauptwerk Summa Theologiae zeichnet sich durch eine groß angelegte und ebenso detaillierte Architektonik aus. 2 Allein der Ort eines Traktates innerhalb dieser Architektonik wirft ein Licht auf die Bedeutung seines Themas; dies gilt insbesondere von Thomas’ Lehre vom magister, die wir innerhalb des wohl durchdachten Aufbaus der Prima Pars der Summa Theologiae an exponierter Stelle finden. Wie sieht die Gesamtkomposition der Prima Pars aus? An welchem Ort innerhalb derselben untersucht Thomas die Bestimmung des magister? Die erste quaestio der Prima Pars nimmt eine Sonderstellung ein, in der das Wesen der Theologie als der höchsten unter allen Wissenschaften erörtert wird; diese quaestio stellt die luzide »Einleitung« in das Gesamtwerk dar. Die quaestiones 2 bis 43 bieten die thomasische Gotteslehre – angefangen von den berühmten »fünf Wegen« über die Lehre von den Attributen und Tätigkeiten Gottes bis zur Dreieinig2 Siehe zu dieser Thematik das Buch des Verfassers Die Architektonik der Summa Theologiae des Thomas von Aquin – Zur Gesamtsicht des thomasischen Gedankens, Hamburg 1998, sowie die Anthologie Thomas von Aquin – Die »doctrina christiana« als Wissenschaft. Berühmte Traktate und kleinere Schriften, Kommentarteil 436 f.
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J. G. Fichtes Über das Wesen des Gelehrten
keits-Lehre –; auf die Gotteslehre folgt in den quaestiones 44 bis 119 die thomasische Schöpfungslehre. 3 Die quaestiones 50–102 enthalten die eigentliche materiale Schöpfungslehre, d. i. die Lehre von dem, was im Ganzen erschaffen ist: nämlich die Engelwelt, die Körperwelt und schließlich der Mensch, bei dem Geistigkeit und Körperlichkeit eine wesensmäßige innere Einheit bilden. Im Unterschied zur materialen Schöpfungslehre handeln die quaestiones 44–46, 47–49 sowie 103–105 gewissermaßen von der Beziehung Gottes auf seine Schöpfung, 4 nämlich von den göttlichen Akten der Erschaffung (creatio), Unterscheidung (distinctio) und Lenkung (gubernatio) aller Dinge; das Seiende im Ganzen wird von Gott aus dem Nichts erschaffen, in seinem Sosein gegründet und auf das letzte Ziel, das Gott selbst ist, hingelenkt. Diese drei Traktate von der creatio, distinctio und gubernatio bilden die verbindende Klammer zwischen Gottes- und Schöpfungslehre, wobei in der creatio ex nihilo besonders die Macht Gottes, in der distinctio seine Weisheit und in der gubernatio seine Liebe zur Manifestation kommen. Dem letzteren Traktat von der gubernatio mundi, der göttlichen Weltregierung, hat Thomas in den quaestiones 106–119 noch einen weiteren Traktat angefügt, der von der Partizipation der Geschöpfe an der göttlichen Weltregierung handelt; erst mit diesem Traktat beschließt Thomas die Prima Pars. Und genau in diesem Zusammenhang bzw. unter diesem Aspekt – der Teilhabe herausgehobener Geschöpfe an der göttlichen Hinführung alles Geschaffenen zu seinem letzten Ziel – erörtert Thomas mitunter die Bestimmung des magister. An der gubernatio mundi partizipieren, um dies zunächst ganzheitlich in den Blick zu nehmen, zum einen die Engel (qq. 106–114) – wobei Engel erstens auf andere Engel »einwirken« (qq. 106–109), zweitens auf die körperlichen Wesen (q. 110) und drittens auf den Menschen (qq. 111–114). Thomas schließt allerdings bezüglich der Engel aus, dass sie den freien Willen des Menschen innerlich bestimmen könnten; den menschlichen Willen von innen her zu »bewegen« vermag allein Gott als Erstursache, durch den der freie Wille, in sei-
3 Im Folgenden beziehen sich alle Stellenangaben auf die Prima Pars der Summa Theologiae. 4 Die Einschränkung »gewissermaßen« muss gemacht werden, weil es nach Thomas in Gott keine »reale« Beziehung auf die Schöpfung gibt, da dies dem Attribut der göttlichen »Unveränderlichkeit« (immutabilitas) widersprechen würde.
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ner Freiheit selbst, zu seinem Ziel geleitet wird (q. 83,1, ad 3). Zum anderen nehmen die Himmelskörper an der göttlichen Weltregierung teil; verdankt sich doch nach mittelalterlicher Kosmologie und Naturlehre alles Geschehen im sublunaren Bereich letztlich der Wirksamkeit der Himmelskörper. 5 Schließlich eignet es dem Menschen, der seiner allgemeinen Bestimmung nach das geistig-körperliche Zentrum der Schöpfung ist, selbsttätig an Gottes Weltregierung zu partizipieren (qq. 117–119). Zur Teilhabe des Menschen an der göttlichen Lenkung aller Wesen zählt Thomas zum einen die Weitergabe des natürlichen Lebens, das von den Eltern auf deren Kinder übergeht – in diesem Zusammenhang lehrt er, jede menschliche Geistseele werde unmittelbar von Gott erschaffen und dem Mutterleib eingegeben (q. 118,2) –; zum anderen und sogar an erster Stelle handelt Thomas von der Weitergabe des Wissens vom Lehrer an den Schüler, dies unter der grundsätzlichen Fragestellung, »ob ein Mensch einem anderen [Menschen] etwas lehren kann« (q. 117,1). Nach Thomas lässt weder Averroes’ These von der Einheit des Intellekts noch Platons Lehre, Lernen sei Wiedererinnern, ein eigentliches Lehren von Mensch zu Mensch denkbar erscheinen. 6 Gegen die Meinung der Averroisten unterstreicht Thomas, dass jede individuelle Menschen-Seele das Wissen aus einem inneren Wirkgrund heraus (ab interiore principio, q. 117,1) erwerben könne und müsse, der der individuellen Geistseele zukomme. Ohne die Individualität des Verstandes und seines natürlichen Lichtes könnte nach Thomas’ bekannter These gar nicht von diesem Menschen gesagt werden, dass er erkenne. Gegen die platonische Wiedererinnerungslehre hebt Thomas hervor, dass ein Lehrer seine Schüler zu wahrhaft neuem Wissen anleitet, wobei der Lehrer einen Weg, gewissermaßen eine geistige Brücke eröffnet, auf dem der Lernende von dem, was er schon weiß, zu dem gelange, was ihm noch unbekannt ist. Dies kann zum einen da-
5 Siehe zu dieser Thematik Jan Aertsen, Nature and Creature. Thomas Aquinas’s Way of Thought, Leiden/New York/Kobenhavn/Köln 1988 sowie den Artikel des Verfassers »Raum und Zeit bei Thomas von Aquin«, in: J. A. Aertsen / A. Speer (Hrsg.), Miscellanea Mediaevalia, Bd. 25, Berlin/New York 1998, 304–313. 6 Siehe zu dieser Thematik das Buch Thomas von Aquin, Über den Lehrer / De magistro, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Gabriel Jüssen, Gerhard Krieger und Jakob Hans Josef Schneider. Mit einer Einleitung von Heinrich Pauli, Hamburg 2006, insbesondere den Kommentar zum Artikel 117,1 aus der Prima Pars der Summa Theologiae (166–182).
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durch geschehen, dass der Lehrer dem Schüler »Hilfen und Werkzeuge« (auxilia et instrumenta; q. 117,1) vorlege, die dem Verstand beim Wissenserwerb dienstbar sind, wie z. B. weniger umfassende Sätze, die der Schüler bereits mit Hilfe von dem, was er weiß, beurteilen kann, oder anschauliche Beispiele, der Wahrheit ähnliche oder ihr entgegengesetzte, »aus denen der Intellekt des Lernenden [gleichsam] an der Hand geführt wird zur Erkenntnis der [noch] unbekannten Wahrheit« (ex quibus intellectus addiscentis manuducitur in cognitionem veritatis ignotae; q. 117,1). Zweitens vermag der Lehrer den Intellekt des Lernenden zu stärken (confortare), nicht auf dem Wege einer Erleuchtung, die den Schüler zum bloß Empfangenden einer höheren »Gabe« machen würde, »sondern insofern er die Hinordnung der Prinzipien auf die Schlussfolgerungen dem Schüler vorlegt, der vielleicht aus sich selbst heraus nicht eine so große vergleichende [geistige] Kraft hat, dass er aus den Prinzipien die Schlussfolgerungen ableiten könnte« (sed inquantum proponit discipulo ordinem principiorum ad conclusiones, qui forte per seipsum non haberet tantam virtutem collativam, ut ex principiis posset conclusiones deducere; q. 117,1). Thomas beendet seine Überlegungen durch ein Aristoteles-Zitat, nach dem der »Beweis das Schlussverfahren ist, das wissend macht« (demonstratio est syllogismus faciens scire; q. 117,1); denn der schlüssige Beweis lässt sich selbsttätig nachvollziehen, er allein macht den Hörer wissend (auditorem scientem facit; q. 117,1). Die magistri der Theologie an hochmittelalterlichen Universitäten waren wie Bonaventura oder Thomas von Aquin geweihte Ordenspersonen oder, wie Heinrich von Gent, zumindest (Welt-)Priester. Die philosophisch-theologische »Lehre«, die eine Partizipation an der göttlichen Leitung der menschlichen Geistseelen zum Endziel ihrer Glückseligkeit darstellt, hat eine sakrale Weihe und wird von sakramental Geweihten ausgeübt. Vor diesem Hintergrund ist es beachtlich, dass Thomas die Wissensvermittlung ausschließlich als eine »argumentative« charakterisiert, die auf die selbständige Einsicht des Lernenden abzielt. Im Hochmittelalter stellen sakrale Spiritualität und argumentierende Intellektualität keine Gegensätze dar, sondern bilden eine vollkommene Harmonie – so wie die Theologie im Sinne des Thomas keinen Gegensatz zur Philosophie darstellt, sondern dieselbe in sich enthält und von innen her zur höchsten Vollendung zu bringen bestimmt ist, gemäß dem Grundsatz, dass »die Gnade die Natur nicht aufhebe, sondern vervollkommne« (Summa Theologiae, I,1,8, ad 2). So erfüllt auch der magister der Theologie seine »heilige« 181 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Aufgabe argumentierend, weil nicht blinde Gefolgschaft, sondern die eigene Einsicht der Schüler das Ziel seiner Lehre ist. Was der magister der Theologie, der z. B. eine »Summe« der Theologie verfasst, weiterhin erbringt, ist die umfassende Gesamtordnung des Wissens, die jedem Einzelinhalt seiner Lehre eine höhere Intelligibilität einstiftet. 7 Thomas hat zwar oft aus Aristoteles zitiert »Sapientis est ordinare« / »Die Aufgabe des Weisen ist es, zu ordnen« 8; gleichwohl gibt es keine »summentheoretischen« Ausführungen des Thomas; die höchste Ausgestaltung der Theologie als Erster Wissenschaft in Form einer geordneten Gesamtdarstellung des Wissens begegnet uns im Vollzug des thomasischen Schaffens, ohne vollkommen reflexiv von ihm eingeholt zu werden.
Zwischen Hochmittelalter und klassischer Neuzeit Es sollen einige Stationen kurz benannt werden, die zwischen dem hochmittelalterlichen Denken insbesondere des Thomas von Aquin und der Philosophie der klassischen Neuzeit, die paradigmatisch mit den Namen Kant, Fichte und Hegel verbunden ist, liegen. Am spätmittelalterlichen Denken, besonders des William von Ockham, ist immer wieder das Moment des Voluntarismus hervorgehoben worden, 9 das auch als theologischer Absolutismus charakterisiert werden kann. Während nach der Gotteslehre des Thomas von Aquin die Macht Gottes ganzheitlich seiner Weisheit und seiner Güte gemäß ist sowie der gütige und gerechte Wille Gottes auf sein Wissen und dessen Weisheit »folgt«, 10 wird im spätmittelalterlichen Denken die Absolutheit der göttlichen Macht sowie die Unbeschränktheit seines Willens auf neue Weise akzentuiert. 11 Dieser theologische Absolutismus, wie man ihn nennen könnte, ist drei Jahrhunderte früher als der Zu dieser Thematik siehe das o. g. Werk des Verfassers Die Architektonik der Summa Theologiae des Thomas von Aquin, insbesondere 1 f., 16 f. und 118 f. 8 Siehe das allererste Kapitel der Summa contra Gentiles, das von der Aufgabe des Weisen handelt. 9 Siehe zu dieser Thematik insgesamt Heribert Boeder, Topologie der Metaphysik, Freiburg/München 1980, 313 f. 10 Dies geht schon aus der Anordnung der quaestiones der Prima Pars der Summa Theologiae hervor: In der q. 14 handelt Thomas vom Wissen, in der q. 19 vom Willen und in der q. 25 von der Macht Gottes. 11 Siehe Heribert Boeder, Topologie der Metaphysik, 314 f. und 322 f. 7
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J. G. Fichtes Über das Wesen des Gelehrten
von Thomas Hobbes begründete politische Absolutismus; er stellt die im Hochmittelalter gefundene Harmonie von Glaube und Vernunft grundsätzlich in Frage. Die Glaubenslehre Martin Luthers kann in vielen Punkten diesem »Absolutismus« zugeordnet werden, allerdings so, dass Luther den Voluntarismus des Spätmittelalters in die Frohe Botschaft der Reformation wendet. Denn gerade weil unser Heil sich gänzlich und allein der göttlichen Macht und Vorherbestimmung, nicht aber unserem »freien Willen« und seinen guten Werken verdankt, kann der glaubende und auf Gottes Gnade vertrauende Mensch seines Heils absolut gewiss sein, auf dass er, wie Luther eindrücklich formuliert, »tausend Mal darüber stürb«. 12 Die weiteren Implikationen dieser Lutherischen »Wende« sind die Gottunmittelbarkeit aller Glaubenden, die Einklammerung der heilsnotwendigen Kirche als Vermittlerin der Gnade, der Ausschluss der natürlichen Vernunft von der christlichen Glaubensverkündung sowie die Negation des »freien Willens«, der angesichts göttlicher Gnade und Gnadenwahl nichts vermag. 13 Gegenüber dieser Herabsetzung der natürlichen Vernunft kann der Neuanfang der Philosophie im 17. Jahrhundert, wie er insbesondere mit Descartes verbunden ist, als eine Selbstbehauptung der natürlichen Vernunft und ihres untrüglichen Lichtes angesehen werden. Der »übertreibende Zweifelsgrund« der ersten Meditation des Descartes, in der ein genius malignus fingiert wird, der alles Licht der natürlichen Vernunft in eine Finsternis verstrickt, die keine Unterscheidung des Wahren vom Falschen mehr zulässt, stellt das Extrem einer methodischen Selbstnegation der ratio dar; mit der in der zweiten Meditation formulierten Erkenntnis ego cogito, ego existo, die so gewiss ist, dass sie selbst durch den extremsten Zweifelsgrund nicht ins Wanken gebracht werden kann, hat sich die Selbstbehauptung der natürlichen Vernunft der Neuzeit gewissermaßen ereignet. Die dritte Meditation des Descartes zeigt, dass sich die hier hervorSiehe die berühmte These Luthers, die er in der Einleitung zu seiner Übersetzung des Römer-Briefes des Apostels Paulus aufgestellt hat »Glawb ist eyn lebendige, erwegene zuuversicht auff Gottis gnade / so gewiss / das er tausent mal druber sturbe« (Weimarer Luther-Ausgabe, Bd. 7, 2, 10). 13 Siehe zu dieser Thematik den Sammelband Christlichkeit der Neuzeit – Neuzeitlichkeit des Christentums. Zum Verhältnis von freiheitlichem Denken und christlichem Glauben, hrsg. von Wilhelm Metz und Karlheinz Ruhstorfer, Paderborn/München/Wien/Zürich 2008, insbesondere den Abschnitt »Luthers neue Christlichkeit und ihre geschichtliche Macht in der Neuzeit«, 167 f. 12
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getretene ratio als ein Licht vom Licht des wahrhaftigen Gottes selber erkennt. Die von Descartes gedachte ratio ist untrüglich und wahrheitsfähig, weil Gott wahrhaftig und seine »Idee« ihr eingeboren ist. 14 Erst in Kants Philosophie begegnet uns ein absoluter Vernunftbegriff bzw. eine Vernunft, die keiner göttlichen Garantie mehr bedarf, weil sie die Absolutheit in ihr selbst besitzt; diesen absoluten Vernunftbegriff erreicht Kant durch eine Unterscheidung der Vernunft in theoretische und praktische. »Speculative Einschränkung der reinen Vernunft und praktische Erweiterung derselben bringen dieselbe allererst in dasjenige Verhältniß der Gleichheit, worin Vernunft überhaupt zweckmäßig gebraucht werden kann.« 15 Wie es der theoretischen Vernunft nicht möglich ist, das Gebiet des Erfahrungswissens zu überschreiten und eine Wissenschaft von der Seele, vom Weltganzen und von Gott zu begründen, so eignet der Vernunft als praktischer eine absolute Autonomie. Die Vernunft-Ideen Seele, Welt und Gott, die spekulativ fruchtlos sind, sind gleichwohl von einem fruchtbaren praktischen Gebrauche und werden im Horizont der praktischen Philosophie als Freiheit, Gott und Unsterblichkeit bezeichnet. Die Ordnung der Ideen wird von Kant so bestimmt: dass uns, angesichts unserer moralischen Bestimmung, die Freiheit unmittelbar gewiss ist, während Gott und (Seelen-)Unsterblichkeit mittelbar erreicht werden, nämlich als dasjenige, worauf sich ein praktischer Glaube bezieht. Die Absolutheit der Vernunft, die sich im Horizont von Kants praktischer Philosophie erstmals in der Neuzeit manifestiert, ist der Ausgangspunkt der Philosophie Fichtes. Seine ursprüngliche Einsicht besagt, dass die Absolutheit vom gesamten Spektrum der Vernunft gelten muss, denn Vernunft ist gleich Vernunft, Ich = Ich. Die Philosophie der einen Vernunft, die die Selbstunterscheidung der Vernunft in eine theoretische und praktische aus ursprünglichen Handlungen bzw. Setzungen der Vernunft einsichtig zu machen bemüht ist, bezeichnet Fichte als »Wissenschaftslehre«. Weil es in dieser darum zu tun ist, den letzten Grund und den gesamten Bereich unserer »Freiheit« zu erkennen, kommt der Wissenschaftslehre eine Bedeu-
Diese Verhältnisse sind meisterhaft herausgearbeitet worden von Ernst Cassirer in seinem Buch Descartes. Lehre – Persönlichkeit – Wirkung, Hamburg 1995 (Neudruck). 15 Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußische Akademie der Wissenschaften, Bd. 5, Berlin 1913, 141 (Hervorhebung im Original). 14
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J. G. Fichtes Über das Wesen des Gelehrten
tung für die »Geisterwelt« zu; sie ist, mit Kant formuliert, keine Philosophie dem bloßen Schulbegriff, sondern dem Weltbegriff nach. 16 Daraufhin legt Fichte das Wesen des Gelehrten dar, dem eine unvertretbare Aufgabe in der Welt des Geistes zukommt.
Fichtes Lehre vom Wesen des Gelehrten im Kontext seiner Philosophie des Absoluten Die erste und von Fichte allein publizierte Fassung seiner Wissenschaftslehre ist die »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre« aus dem Jahre 1794/95. In ihr erscheint dasjenige, was Kant als »theoretische« und als »praktische Vernunft« bestimmt hat, grundsätzlich miteinander vereinigt, weil sich beide Explikationsphasen der einen Vernunft aus den ursprünglichsten Setzungen des menschlichen Geistes überhaupt – nämlich der Selbstsetzung des Ich, der Entgegensetzung eines Nicht-Ich und der Teilbar- und Zusammen-Setzung von Ich und Nicht-Ich im Bewusstsein – ableiten lassen. So steht an der Spitze des theoretischen Teils der Grundlage der Satz »Das Ich setzt sich selbst als beschränkt durch das Nicht-Ich« 17 und an der Spitze des praktischen Teils der Satz »Das Ich setzt das Nicht-Ich als beschränkt durch das Ich«. 18 Während sich das Ich im Vorstellen nach den Dingen richten muss – auch hier ist die Intelligenz tätig, aber nicht freitätig –, setzt sich das Ich im praktischen Verhältnis als bestimmend das Nicht-Ich. Die Sphäre des theoretischen Teils zeigt die Endlichkeit des Ich, das sich jeweils in einer Sphäre befindet, deren Grenzen es erweitern, aber niemals aufheben kann. Der praktische Teil der »Grundlage« ist dagegen von der Absolutheit des Ich, seiner Forderung nach absoluter Selbstbestimmung prinzipiiert. Denn wenn das Ich vortheoretisch die Dinge bestimmen würde – konkret etwa in der Kultur, die der natürlichen und vorgegebenen Welt den Ausdruck und Widerschein des Geistes verleiht, und zwar sowohl der Natur in uns als auch außer uns –, so wäre das Ich auch im Vorstellen der Diese berühmte Unterscheidung zwischen einer Philosophie dem Schulbegriff und einer Philosophie dem Weltbegriff nach finden wir bei Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 839, B 867, Fußnote. 17 Johann Gottlieb Fichte, Werke 1793–1795, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob unter Mitwirkung von Manfred Zahn (= Gesamtausgabe I, 2), Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, 285. 18 Johann Gottlieb Fichte, Werke 1793–1795, 285. 16
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Wilhelm Metz
Dinge letztlich und mittelbar durch sich selbst bestimmt und auf eine erfüllte Weise frei. In der Beförderung dieser Kultur und Freiheit erblickt der Jenenser Fichte die Aufgabe und das Wesen des Gelehrten. Fichtes Philosophie in ihrer Ganzheit ist eine Philosophie des gegenwärtigen, vollkommen präsenten Absoluten. Die frühe Wissenschaftslehre führt die Synthesis von der Absolutheit und Endlichkeit des Ich aus, das nur als diese Synthesis »ist« und gedacht werden kann. Das absolute Ich ist daher mit dem individuellen und empirischen Ich oder mit der »Person«, wie Fichte auch formuliert, keineswegs gleichzusetzen. Der späte Fichte legt eine Philosophie des Absoluten dar, welches Absolute jedoch im »Wissen« sein Dasein hat. Die untrennbare Synthesis von Absolutheit und Endlichkeit wird somit vom frühen wie späten Fichte, wenn auch unter gewandeltem Aspekt, gedacht und ausgeführt. 19 Die Erlanger Vorlesungen Über das Wesen des Gelehrten und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit heben mit der entschiedenen These an, dass im eigentlichen Sinne die göttliche Idee das Sein und das Leben ist (15), welches Sein und Leben sich jedoch darstellt als äußere Welt und sich auch nicht anders darstellen kann (15). Das selber lebendige und unmittelbare Dasein der göttlichen Idee ist das menschliche Geschlecht, das zur Erkenntnis und Liebe des Absoluten und zu seiner Einbildung in die äußere Welt bestimmt ist. Fichte lehnt, wie auch Hegel, den Begriff einer göttlichen Welt-Schöpfung als Ungedanken ab; die Welt ist Äußerung und Darstellung des Absoluten 20 in untrennbarer Vereinigung. Der von Fichte gedachte »Gelehrte« hat sich zur lebendigen Erkenntnis der göttlichen Idee emporgehoben, diese hat in ihm sich lebendig manifestiert. Der Gelehrte, der sich an die Idee hingegeben hat, hat gewissermaßen sein individuelles Ich überschritten und es in das göttliche Leben eingetaucht, das in ihm, gleichsam als seinem Werkzeuge, tätig ist. Die Aufgabe des Gelehrten ist es, auf andere Geistwesen einzuwirken, in ihnen die Liebe und Erhebung zum AbSiehe zu dieser Thematik den Bd. 16 der Fichte-Studien Zur Einheit der Lehre Fichtes. Die Zeit der Wissenschaftslehre nova methodo, hrsg. von Helmut Girndt und Jorge Navarro-Pérez unter Mitwirkung von Marco Ivaldo und José Villacanas, Amsterdam/Atlanta 1999. 20 Schon Leibniz’ »beste aller möglichen Welten« unterscheidet sich von der »Welt«, wie sie z. B. Thomas von Aquin denkt, da die beste Welt die Weisheit ihres Schöpfers vollkommen und adäquat zur Darstellung bringt. 19
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J. G. Fichtes Über das Wesen des Gelehrten
soluten zu erwecken. Beachtlicherweise handelt Fichte auch vom Regenten, wobei er die an Platon erinnernde Forderung aufstellt, dass der wahre Regent sich zur Erkenntnis der göttlichen Idee erhoben haben muss, will er sein Amt – einen ganzen Staat zu leiten, den Fortschritt der menschlichen Kultur zu befördern sowie zuhöchst die »Erkenntniß der göttlichen Idee unter den Menschen zu erhalten« (69) – angemessen ausführen. Der eigentliche Gelehrte im Sinne Fichtes hat die Erkenntnis der Idee zu erreichen und weiter zu geben; diesen Gelehrten unterteilt Fichte in den mündlichen Gelehrten-Lehrer (vgl. die 9. Vorlesung) und den Schriftsteller (vgl. die 10. Vorlesung). Während der letztere ohne Rücksicht auf das Publikum, allein seiner Sache treu, ein Werk für die Ewigkeit zu verfassen hat – und nur, wenn er sich dessen gewiss ist, die bisherigen Darstellungen zu überbieten, publiziert er überhaupt Schriften; ansonsten bringt ihn seine Redlichkeit dazu, nicht zu schreiben –, muss der mündliche Gelehrten-Lehrer Bezug nehmen auf seine Hörer, um durch seine Mitteilung zu ermöglichen, dass sie sich selber zu Gelehrten bilden. Vom mündlichen Lehrer fordert Fichte eine »große[n] Lebendigkeit, Beweglichkeit, und innere[r] Wendbarkeit und Gewandheit« (84). Während dem Schriftsteller eine Form genügt, muss der mündliche Lehrer »eine Unendlichkeit von Formen besitzen« (85), aus denen er jeweils die passendste aussucht: Es folgt aus dieser von dem akademischen Lehrer zu fordernden Gewandtheit in der Gestaltung der Idee noch eine neue Forderung an ihn – diese, daß seine Mittheilung stets neu sey, und die Spur des frischen und unmittelbar gegenwärtigen Lebens trage. Nur das unmittelbar lebendige Denken belebt fremdes Denken, und greift ein in dasselbe: eine veraltete und todte Gestalt, sey sie auch vorher noch so lebendig gewesen, muß erst durch den andern und seine eigne Kraft wieder in das Leben gerufen werden: die letztere Forderung macht mit Recht der gelehrte Schriftsteller an seinen Leser; der akademische Lehrer aber, der in diesem Geschäfte nicht Schriftsteller ist, würde sie mit Unrecht machen. (85)
Kam dem magister im Sinne des Thomas von Aquin eine Teilhabe an der Weltregierung des Schöpfer-Gottes zu, so ist der Gelehrte im Sinne Fichtes einbezogen in die Selbst-Manifestation des Absoluten, die umgestaltend, stets lebendig und immer neu ist. Die göttliche Idee »ist« das Leben und sie »ist« nur auf lebendige Weise »da«.
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Wie sich der Philosoph bei Descartes und Fichte zu sich selbst verhält Elisabeth Kessler, Paris, Frankreich
Fichte zieht in der siebten Vorlesung von Über das Wesen des Gelehrten eine Trennungslinie zwischen dem angehenden Gelehrten, der noch seine eigene Person verehrt, weil er sich selbst als einen Vermittler zur Idee versteht, und dem vollendeten Gelehrten, in dem »die Idee […] ihr eigentümliches und selbstständiges Leben begonnen« hat (66). Würde Descartes, wenn man ihn mit den Augen von Fichte sähe, eher auf der Seite des angehenden oder des vollendeten Gelehrten stehen? Wir werden sehen, dass Descartes in mancher Hinsicht dem vollendeten Gelehrten entspricht. Dennoch ist nicht klar, ob Descartes tatsächlich die Selbstvernichtung vollzogen hat, die Fichte zu verlangen scheint. Indes leuchtet ein, dass, wenn ein Philosoph von Vollendung spricht, sehr oft nur er allein imstande ist, diese Vollendung zu erreichen oder zu verkörpern. Darum möchte ich zunächst einen Vergleich zwischen zwei verschiedenen Vollendungen vorstellen. Die Bahn aber, die ich beschreiten möchte, wird der dreifachen Bedeutung des Wortes Bestimmung folgen und folgende Fragen behandeln: 1) Wie kann der Philosoph sich als Weiser, d. h. als Wissender, definieren? 2) Wie determiniert sich der Philosoph, d. h. wie nimmt er Bezug auf die Zukunft? 3) Was ist seine Bestimmung als destinatio, wenn er sich einem gewissen Willen fügt und damit zugleich seine ihm eigenste Sendung als eine Art von Schicksal anerkennt?
1. Die Selbstvernichtung per definitionem: ein Paradox Es fällt bei der Lektüre der ersten Zeilen der ersten Vorlesung von Über das Wesen des Gelehrten sofort auf, dass man nach Fichte den Charakter des Gelehrten nur beschreiben kann. Das entspricht voll188 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Wie sich der Philosoph bei Descartes und Fichte zu sich selbst verhält
kommen der Entscheidung von Descartes, sein eigenes Leben zu erzählen und seine Leser immer lieber mit einem vertraulichen Ton anzusprechen, als über sie rational mit den Mitteln der Logik und der Demonstration zu triumphieren. In diesem Sinne erreicht Descartes keine convictio im Sinne einer sophistischen Überredung, sondern eben eine Gewissheit. Daher erzählt er sein Leben, indem er uns erklärt, wie er seine eigenen Vorsätze gefasst hat. Er tut es zweimal, einmal in Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung, das andere Mal in den Meditationen. In den Meditationen mehr noch als in Von der Methode vernimmt man die besondere Stimmung, die sich durch die Exerzitien von Ignatius von Loyola in Europa verbreitet und bis zu Descartes ausgedehnt hat. Es werden zwar die Handlungen des Philosophen jedes Mal genau geschildert. In diesem Sinne ist die aktive Rolle des Philosophen betont. Aber zugleich wird der dramatische Charakter der Unternehmung hervorgehoben und seine leidende Passivität zum Vorschein gebracht. Es ist beide Male davon die Rede, dass Descartes sich von jeder Eitelkeit eines falschen Wissens frei spricht. Besonders in den Meditationen schreitet er bis in die Nacht des völligen Unwissens hinunter. In der völligen Hingabe seiner Person an die Bewegung der Wahrheit, die notwendig ist, wenn die Wahrheit sich selbst kundgeben soll, sehe ich den ersten Schritt der cartesianischen Selbstvernichtung: Schon vor einer Reihe von Jahren habe ich bemerkt, wieviel Falsches ich in meiner Jugend habe gelten lassen und wie zweifelhaft alles ist, was ich hernach darauf aufgebaut, daß ich daher einmal im Leben alles von Grund aus umstoßen und von den ersten Grundlagen an neu beginne müsse, wenn ich jemals für etwas Unerschütterliches und Bleibendes in den Wissenschaften festen Halt schaffen wollte. 1
Man könnte deshalb auch an Sokrates denken, nur dass hier der Prüfer und der Geprüfte miteinander identisch sind. Der moderne Philosoph steht von da an nämlich im Zentrum des ehemals stillen Gesprächs der Seele mit sich selbst, 2 ähnlich dem am Ende seiner
1 René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, I, 1. (Descartes’ Schriften werden, wenn nicht anders angegeben, zitiert nach: René Descartes, Philosophische Schriften in einem Band, mit einer Einführung von Rainer Specht, Hamburg 1996). 2 Platon, Theaetetus, 189c-190a.
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Einweihung einsamen Sokrates. 3 Solches ist die Operation des hyperbolischen Zweifelns, durch welche hindurch Descartes sich auch vom Skeptizismus und seiner selbstgefälligen Duplizität befreien will. Und mit einem Descartes ähnlichen Gestus sieht auch Fichte die Skeptiker von oben herab und beargwöhnt bei ihnen eine subtile Weise, im Grunde nur sich selbst zu genießen. Der Anfang der Philosophie, die ein vollkommenes Wissen – eine sophia – erstrebt, ist eine Anstrengung, die darin besteht, sich unendlich und radikal zu verleugnen und in dem allerletzten Widerstand gegen diese Anstrengung die feste Burg aller Gewissheit zu finden. Deshalb ist die Sprache des Philosophen in diesem Moment im Grunde doch ein Zwiegespräch oder gar ein Dialog zwischen ihm selbst und einer alten Meinung von ihm – vetus opinio 4 – oder einem allmächtigen Gott, der ihn betrügen kann, mit welchem oder eher gegen welchen er laut aussprechen kann, dass er ist und dass er da ist, solange er denkt, und sei es auch nur an falsche Dinge in einem leeren Wahn. 5 Fichte seinerseits setzt in der ersten Vorlesung über das Wesen des Gelehrten zwei »Durchgänge« einander gegenüber (16 f.), den ersten durch die gelehrte Erziehung der Zeit hindurch, der zum Gelehrten nach dem Schein führt. Das ist die Welt der Studien überhaupt und entspricht dem Stand von Descartes, als er die Schule von La Flèche verlässt. Der zweite Durchgang aber, durch die Bildung der Zeit hindurch, definiert oder bestimmt den Gelehrten nach der Wahrheit. Das ist der Zustand von Descartes, als er sich der Prüfung des Zweifels unterzieht, und zwar als er alle seine früheren Meinungen, d. h. die gesamte Erziehung seiner Zeit, in Frage stellt und dadurch an sich bringt. Diese Inbesitznahme vollzieht sich durch seine neue Kunst, die Wahrheit als Methode, d. h. als Leitung und richtigen Ausdruck, darzulegen. Somit kann Descartes als exemplarischer Vertreter dieser Zeit, die noch die unsrige ist, betrachtet werden. Nur insofern der Philosoph sich ganz und ohne Vorbehalt der Prüfung des radikalen Zweifelns ausliefert, kann er sicher sein, einen wahren Grund und Boden für die Wahrheit entdeckt zu haben. Für Descartes besteht der Boden der Wahrheit in der Unterscheidung und 3 Platon, Symposium, 210d-211b. Auch Heidegger nimmt in Sein und Zeit eine ähnliche Position ein (Martin Heidegger, Sein und Zeit, § 9.) 4 René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, II, 16. 5 Vgl. René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, II, 6.
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Wie sich der Philosoph bei Descartes und Fichte zu sich selbst verhält
Absonderung der res cogitans von der res extensa. Der Zweifel kehrt sich in sein Gegenteil, in die Gewissheit um. Dass er umschlägt, ist das Paradox von Descartes, durch das seine Philosophie zwei Seiten hat: einerseits die Suche nach der Weisheit, die für ihn das vollkommene Wissen samt dem Glück und dem höchsten Gut sein soll, und andererseits die mühselige Askese des Gemüts, die davon der Vorgeschmack ist, insofern der Philosoph der Evidenz treu bleiben soll, was selten vorkommt – und vor allem nur für kurze Zeit. 6 Das ist aber das Paradox der »Selbstvernichtung« des wahren Gelehrten, insofern sich diese auch für Fichte nur dann erweist, wenn sie als neuigkeitsträchtig hervortritt 7 und dabei »in die wirkliche Zeit« und nicht in »die leere Zeit« des Zeitvertreibs oder der Neugierde fällt. Fichte und Descartes hegen also eine gemeinsame Sorge: die Sorge nach der Ersprießlichkeit. Auf der letzten Seite der Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters erscheint Fichte diesbezüglich erstaunlich demütig. Er fragt, was diese Lehre in dieser Versammlung, diese Versammlung in dieser Stadt und diese Stadt gegen das gesamte Reich der Kultur sei. Und antwortet: »Ein Tropfen Wasser vielleicht in einem mächtigen Strome.« 8
2. Dasein als determinatio: die Rechtschaffenheit Als Descartes, zu der Gewissheit seiner selbst gelangt, sich fragte, was er sei – er, der da denke –, durchlief er alle älteren Vorstellungen der Seele, zuerst diejenige der gewöhnlichen Psychologie, welche von Aristoteles stammt, nach welcher die Seele der Sitz aller Sinneswahrnehmungen und überhaupt aller Wahrnehmungen sei: »ein Wesen, das zweifelt, einsieht, bejaht, veneint, will, nicht will und das sich auch etwas bildlich vorstellt und empfindet«. 9 Alle diese Dinge gehören, so Descartes weiter, zu mir. Nun kommt die Annahme des allgemeinen Betrugs wieder, aber diesmal, um etwas Grundsätzliches zum Vorschein zu bringen, und zwar die Tatsache, dass, auch wenn alle Wahrnehmungen trügerisch sind, dasjenige, was daraus erfolgt, 6 »Wie lange aber?« (»Quamdiu autem?«), in: René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, II, 6. 7 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, in: ders., Werke 1801–1806, hrsg. von Manfred Schröter (= Gesamtausgabe I, 8), 386. 8 Johann Gottlieb Fichte, Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 396 9 René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, II, 8.
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nämlich der Schein, trotzdem etwas Reelles ist – und zwar als Erscheinung von Etwas – vor und noch vielmehr in mir selbst: Es scheint mir, dass da etwas erscheint. Auch das Gefühl ist ein Denken, wenn es nur bewusst ist, d. h. sich von einem Gedanken begleiten lässt, und in ihm mir aufgeht, so dass es mir erscheint. Auch die Idee Gottes in seinem Geist erscheint ihm als die Spur oder als das vestigium dessen, was Gott selbst ist. Denn genau so, wie die Erfahrung des Zweifelns in sein Gegenteil, nämlich in die Gewissheit, umgeschlagen war, so wird hier der allerkleinste Rest der Wirklichkeit – die bloße Idee des Unendlichen in mir – zur Vorstellung von mir, einem endlichem Wesen. Die Dunkelheit eines Widerspruchs oder die Endlichkeit der Seele wird selbst zur Grundlage dessen, was klar und deutlich ist. Man kann eine ganz ähnliche Verfahrensweise bei Fichte vorfinden, wenn dieser die Rechtschaffenheit für gleichbedeutend mit der Bestimmung des Gelehrten hält (42). Dort handelt es sich um den Widerspruch zwischen einerseits der Lage, in der der Studierende sich befindet und in der er sich in der Notwendigkeit sieht zu studieren, und andererseits seiner eigentlichen Bestimmung: »Er findet sich durch seine Lage, die er als, ohne sein Zuthun bestimmt, für den Gedanken der Gottheit anerkennen muß, in der Nothwendigkeit zu studiren« (50). Das Müssen einer bestimmten und insofern endlichen Lage schlägt in die freiwillige und insofern unendliche Hingabe an ein Sollen um. Wir betreten hier das Spannungsfeld innerhalb des Bestimmungsbegriffs, denn dieser bedeutet sowohl Selbstbestimmung als auch Wesen und Charakter. 10 Deswegen setzt sich Fichte nun mit dem »Unterschied der philosophischen Ansicht von der historischen« auseinander und tut dies gerade in einem Moment, in dem er uns mahnt, dass er uns ab jetzt nicht mehr in dem vertraulichen Ton des Gesprächs anredet, sondern einen ausgearbeiteten und niedergeschriebenen Vortrag darbietet. Das Resultat – oder mit Fichtes Worten: der Erfolg – des hyperbolischen Zweifels bestand darin, den bestimmten Teil der Idee bzw. dessen, was eben dem Gelehrten in diesem Zeitalter zugänglich und erreichbar ist, oder den bestimmten Teil der Idee überhaupt als Teil innerhalb des Ganzen aufzuweisen. Die Idee wird dann gleichbedeutend mit der Gesamtheit und der Teil als Teil in seinem Verhältnis Fichte nimmt deshalb die Erörterung des Wesensbegriffs am Anfang der 5. Vorlesung wieder auf (vgl. 48 ff.).
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Wie sich der Philosoph bei Descartes und Fichte zu sich selbst verhält
zum Ganzen gleichbedeutend mit dem persönlichen, am Anfang dunklen Los des Studierenden. Dieser uns zugängliche Teil der Idee wird klar, wenn ihr Begriff angewendet wird. 11 Das Ich dessen, der die Idee – sei sie nun bestimmt oder sei sie ganz – weiß, ist daher als selbstvernichtet da. Es hält die verschiedenen Zeitalter zusammen. Auf diese Weise wird die Mitteilung zwischen den verschiedenen Epochen erlaubt und ermöglicht. Denn das Ich weiß, dass sich ihm jeweils ein Absolutes mitteilt, und infolgedessen hat es diese Mitteilung durchzuführen und auszudrücken. Bei Descartes ist nun wichtig, dass der Philosoph eben die Regeln der Leitung des Gemüts aufstellt. Die Leitung der Idee Gottes bestehe eben in der richtigen Auffassung der Ursache als efficiens. 12 Sie muss einfach sein, deshalb ist sie keine »erste« Ursache in der Zeit, sondern sie ist in jedem Augenblick der Ursprung. In der Verwirklichung des Einfachen als Werkzeug und Stützpunkt für die Auffassung der Welt schlägt Descartes eine Brücke auch über seinen eigenen Tod hinaus, namentlich über die Grenze des Augenblicks, wobei er niemals weiß, ob er lebendig hinüberkommen wird. Die unmittelbare Zukunft bleibt für Descartes bis zum Ende vollkommen unsicher und wie in Klammern gesetzt. 13 In der Tat hätte Descartes sehr wohl den Weg von Voltaire vorbereiten können, wäre nicht bei ihm eine Rechtschaffenheit vorhanden gewesen, 14 die ihn davor behütete. Jeder kennt den Schlusssatz des Candide: »Il faut cultiver son jardin.« Der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt scheint mir Descartes in diese Richtung zu lesen, 15 wenn er ihn als unverzagt und tapfer darstellt. Denn gegen Vgl. 23: »Die gesammte Welt […] als […] noch dunkle[r] Begriff einer göttlichen Idee [von der Welt kann] […] erst in der Zukunft, vermittelst seiner durchgeführten Anwendung, ganz klar werden.« Man könnte noch das Wort »Plan« mit dem Wort »Idee« gleichsetzen, wie Fichte es selber tut, nur dass dann das Ganze mit »dem menschliche[n ]Leben, wie es seyn soll,« gleichbedeutend wird (28). 12 Vgl. hierzu u. a. René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, III, 14. 13 Wenn Michel Foucault aus dem gleichen Grunde der radikalen Endlichkeit der Zeit eben die Kommunikation zwischen den Epochen ablehnt, erscheint er mir deshalb als ein schlechter Philosoph und der Kritik von Derrida durchaus ausgesetzt. 14 Vgl. 40 f.: »Die Rechtschaffenheit […] ist selbst eine göttliche Idee, und es ist die göttliche Idee in ihrer allgemeinsten Gestalt, in der sie alle Menschen in Anspruch nimmt.« 15 Harry Frankfurt, »Les désordres du rationalisme«, in: Le Discours et sa méthode, hrsg. von Nicolas Grimaldi und Jean-Luc Marion, Paris 1987, 395–411. 11
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die radikale Furcht, die äußere Welt überhaupt nicht und niemals verstehen zu können, wie sie ist, erforscht und befestigt Descartes sein eigenes Vermögen und entschließt sich, eben diesem seinem Vermögen zu vertrauen, da er sowieso über nicht sehr viel mehr verfügt. Harry Frankfurt deutet das Selbstvertrauen von Descartes als so groß, dass er im Grunde sogar vor dem allmächtigen Gott unerschüttert bleibt. Es wäre also eher Spinoza, der am besten die Figur des vollendeten Gelehrten verkörpern würde. Bei diesem findet eine wahre Selbstvernichtung statt, und zwar unter dem Zeichen der intellektuellen Anschauung, insofern als ihn dabei die Idee wirklich ergreift und er selbst nur noch als Werkzeug und wahrhaftiger Vermittler der Idee auftritt. Gerade deshalb habe der Weise nichts weniger nötig, als an den Tod zu denken. Auch wäre es an diesem Punkt möglich, das Gespräch mit Schelling zu eröffnen, und zwar mit seinen Briefen über Dogmatismus und Kritizismus, in denen er die heikle Entwicklung der Selbstvernichtung im Voraus zu sehen scheint. Und später, nämlich in seiner Philosophie der Kunst, wird er schreiben: »Der Künstler muss seine Ideen töten.« Ich glaube allerdings schon bei Descartes eine Art intellektueller Anschauung zu erblicken, die allerdings gar kein Tod ist, geschweige denn eine Selbstvernichtung. Dafür hat sie ihn jedoch in ein kaltes Land geführt. Hier scheint mir das persönliche Leben von Descartes bedeutsam zu sein, was uns zu unserem dritten und letzten Punkt führt.
3. Bedingtheit, Bestimmung, Geschick Am Anfang der zweiten Vorlesung schreibt Fichte: »Ein bestimmter Teil des Inhalts dieser göttlichen Idee ist dem gebildeten Nachdenken zugänglich und begreiflich« (15). Die Bestimmung hier betrifft die Begrenztheit des Wissens in der Zeit. Im folgenden Absatz weist Fichte darauf hin, dass erst in der Zukunft die »durchgeführte Anwendung« dieses Wissens uns in Stand setzen wird, das Ganze der göttlichen Idee »klar« zu sehen. Könnte auch Descartes diese Bestimmung mitsamt ihrer eigenen Begrenztheit schon erblickt haben? Man muss sich nur vergegenwärtigen, wie Descartes die Zeit erlebt. Schon in Von der Methode enthält die erste Regel eine Anweisung zur Langsamkeit. Die natürliche Be194 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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wegung des Geistes soll gehemmt und retardiert werden. 16 Währenddessen soll die natürliche Bewegung des Leibes oder der Natur wieder belebt werden – oder wie Fichte sagen wird: »Sie [die Natur] soll ferner durch das vernünftige Leben in seiner Entwikelung selber belebt werden« (25). Langsam ist aber die vernünftige Entwicklung, um diesen Streit Schritt für Schritt auf dem »Gebiet der bloßen und reinen Empirie oder Erfahrung« (27) wieder gutzumachen. 17 Descartes begegnet dieser Thematik in der Person einer jungen und hochbegabten Prinzessin. Sie lebt mit ihrem Vater im Exil in Holland und leidet unter Schwermut. Darum ersucht sie Descartes, er möge besser die moralischen Folgen seiner Lehre und namentlich die Einheit des Körpers und der Seele erklären: Worin besteht die Kraft des Willens, um die Leidenschaften zu beherrschen? Dies wird Descartes zur Abfassung seines Traktats über die Leidenschaften der Seele führen, dessen ersten der zwei Teile er für die Prinzessin im Winter 1646/1647 verfasst, den er aber erst 1649, diesmal mit einem dritten Teil versehen, zum öffentlichen Abdruck herausgibt, also einige Monate vor seinem eigenem Tode, nachdem er sich zu einer anderen Königin begeben hatte, ohne sein Buch gesehen zu haben. Descartes schenkt 1647 der Prinzessin eine erste Fassung des Werkes, das in zwei Teile gegliedert ist, in eine Physiologie und eine Psychologie im scheinbar herkömmlichen Sinne. Es ist wichtig, zuerst einzusehen, dass alle Leidenschaften zur Seele gehören. Denn die Ursache der Leidenschaften ist zwar eine Bewegung der Lebensgeister, die aber »unserer Seele so nah und innerlich ist, daß es unmöglich ist, daß man sie gleich empfindet, ohne daß sie wahrhaft diejenigen sind, als welche man sie empfindet«. 18 Die Unmittelbarkeit, mit welcher man sie empfindet, entspricht bei Fichte der Unmittelbarkeit der Gefühle überhaupt. Mit einem durchaus cartesianischen Satz erwidert 16 René Descartes, Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung, II, 7: »[…] Übereilung und Vorurteile sorgfältig zu vermeiden […].« Diese Regel hat den gleichen Inhalt wie die Regel der Evidenz, im Satz davor: »niemals eine Sache als wahr anzuerkennen, von der ich nicht evidentermaßen erkenne, daß sie wahr ist«. 17 Fichte warnt uns: »Es bleibt durch den ganzen unendlichen Zeitfluß hindurch in jedem einzelnen Theile desselben am menschlichen Leben etwas übrig, das im Begriffe nicht vollkommen aufgeht […] durch keine Begriffe verfrühet oder ersetzt werden kann, sondern das da unmittelbar gelebt werden muß, wenn es je in das Bewußtseyn kommen soll […]« (26 f.). 18 René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, hrsg. und übersetzt von Klaus Hammacher, Hamburg 1984, Art. 26.
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Fichte gegenüber Rousseau: »[…] das Gefühl irrt nie, aber die Urteilskraft irrt, indem sie das Gefühl unrichtig deutet […].« 19 So wird die Ursache der Leidenschaften, sofern sie in der Bewegung der Lebensgeister liegt, sehr richtig übersetzt als ein Anlass bzw. als eine occasio: Leidenschaften sind »Wahrnehmungen oder Empfindungen oder Emotionen der Seele, die ihr in besonderer Weise zugehören und die durch die Bewegung der Lebensgeister veranlasst [causées], unterstützt 20 und verstärkt werden«. 21 Es wird deutlich, dass das Ziel von Descartes darin besteht, dass die Menschen eine absolute Macht über ihre Leidenschaften erlangen. 22 Die Methode hierfür liefert der Philosoph Descartes, indem er sich des gleichen Wortes bedient wie in der berühmten Rede aus dem Jahre 1637: »leiten«. Er fügt nur das Wort »dressieren« 23 hinzu, weil es sich um das Tierische im Menschen handelt, während er früher, wenn es sich um Städte und Reiche handelte, »erbauen« und »konstruieren« sagte. Fichte spricht hinterher von Aufhebung, wenn es darum geht, das Verhältnis zur Natur zu kennzeichnen: »so hat die Natur ihren Grund freilich auch in Gott […] nur als Mittel und Bedingung eines andern Daseyns, des Lebendigen im Menschen, und als etwas, das durch den steten Fortschritt dieses lebendigen immer mehr aufgehoben werden soll« (25). Und für beide, Descartes und Fichte, liegt der Kern der Sache darin, die zu diesem Zweck nötigen Geschicklichkeiten zu befördern, die man deswegen Bildung nennen muss. Nun können allerdings die Leidenschaften beträchtliche Hindernisse auf diesem Wege darstellen. Deshalb ist es so wichtig, ihre Natur zu kennen. Descartes unterscheidet die Verwunderung von allen anderen Leidenschaften, die dem vom Leben gestifteten Gegensatz zwischen Gut und Böse unterliegen. Denn sie besteht unversehrt oberhalb dieses Gegensatzes, und darum ist sie die Leidenschaft des Verstandes im wissenden Menschen, weil sie vor allem die Urteilskraft in ihren Bann zieht: Johann Gottlieb Fichte, Über die Bestimmung des Gelehrten, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1794–1796, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob (= Gesamtausgabe I, 3), Stuttgart-Bad Canstatt 1966, 61. 20 Man könne »entretenues« auch mit »unterhalten« übersetzen. 21 René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 27. 22 René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art 50: »Es gibt keine Seele, die so schwach ist, dass sie nicht, wenn sie richtig geleitet wird, eine absolute Macht über ihre Leidenschaften erlangen kann.« 23 René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 50, letzte Zeile. 19
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Wie sich der Philosoph bei Descartes und Fichte zu sich selbst verhält
Wenn ein Objekt uns beim ersten Entgegentreten überrascht und wir urteilen, daß es neu ist und sehr verschieden von allem, was wir vorher kannten, oder von dem, was wir vermuteten, das es sein sollte, bewirkt das, daß wir uns über es wundern und erstaunt sind. Da das jedoch auftreten muß, bevor wir überhaupt erkennen, ob dieses Objekt uns geziemt [nous est convenable 24] oder nicht, ergibt sich für mich, daß die Verwunderung die erste aller Leidenschaften ist. So hat sie auch kein Gegenteil, denn wenn das Objekt, das sich uns darbietet, nichts in sich besitzt, was uns überrascht, sind wir darüber keineswegs erregt und betrachten es ohne Leidenschaft. 25
Die Verwunderung ist die Leidenschaft des Neuen, die auch Fichte und das ganze Zeitalter der Moderne kennt, denn sie ist eben Leidenschaft des Anfangs und des Unvermuteten. 26 Die Verwunderung entsteht zudem aus dem, was die Vernunft am meisten gefährdet, nämlich dem Zufall, und kann darum den Verstand zu dem Werkzeug der gemeinen Neugierde degradieren. 27 Descartes bemerkt sofort, dass die Verwunderung das Verhältnis zum Selbst des Gelehrten innig bedroht: Die »hierzu immer auch am meisten geneigt sind […] sind dagegen hauptsächlich diejenigen, die, obgleich sie ziemlich gesunden Menschenverstand haben, dennoch auch nicht eine zu große Meinung von ihren Fähigkeiten haben«. 28 Descartes hat mehrmals offen gestanden, dass er sich selbst in dieser unbequemen Lage befand. Deshalb geht er unverzüglich zu der besonderen Leidenschaft über, die ihm bei der Berechnung helfen kann, inwiefern und bis zu welchem Grad er sich selbst vertrauen und schätzen kann:
Wir verändern die Übersetzung, um die Zweideutigkeit des Wortes »angenehm« zu vermeiden; es handelt sich hier bei Descartes um ein grundsätzliches Verhältnis der Größe und der Würde, überhaupt nicht um das Vergnügen. Convenable hat mitnichten den Sinn von agréable. Es geht nicht um agrément, sondern darum, dass man einen Wert beurteilt. 25 René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 53 26 René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 72: »Ihre Gewalt hängt nun von zweierlei ab, nämlich von der Neuheit und davon, daß die Bewegung, die diese hervorruft, von Anfang an ihre volle Kraft behält.« Und in der achten Vorlesung von Fichtes Über das Wesen des Gelehrten, auch mit dem Hinweis auf die Gefahr des Neuen um des Neuen willen: »Ein göttlicher Wandel […]« (78). 27 René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 76: »[…] kein anderes Hilfsmittel, sich davor zu hüten, sich unmäßig zu verwundern, als die Erkenntnis möglichst vieler Dinge zu erlangen und sich in der Betrachtung alles dessen zu üben, was besonders selten und fremdartig erscheint.« 28 René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 77. 24
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So können wir auch uns selbst hochschätzen oder verachten: Daraus entstehen die Leidenschaften und folglich die Verhaltensweisen: die der Seelengröße und die des Hochmuts und die der Demut oder Niedrigkeit. 29
Der Edelmut macht den Hauptgegenstand des dritten und zusätzlichen Teils aus, den Descartes erst später niederschreiben wird. Ganz merkwürdig ist dabei, dass er den Edelmut als den inneren unmittelbaren Bezug zu anderen Menschen ansieht und als die richtige Regel, um sie einzuschätzen. Der Schlüssel für die Intersubjektivität liegt eben in dem richtigen Verhältnis zu sich selbst, insofern dieses Verhältnis, als Leidenschaft, zunächst und zumeist den Körper mitbestimmt und insofern auch die Beziehung zu den Anderen bedingt. In Artikel 151 heißt es: Daß man sich selbst achten und verachten kann. Diese beiden Leidenschaften können sich grundsätzlich auf alle Arten von Objekten beziehen. Aber sie sind vor allem beachtenswert, wenn wir sie auf uns selbst beziehen, d. h. wenn es unser eigenes Verdienst ist, was wir schätzen bzw. verachten. Und die Bewegung der Lebensgeister, die sie veranlassen, ist so offensichtlich, dass sie bei denen, die von sich selbst eine bessere oder schlechtere Meinung als gewöhnlich haben, sogar die Miene, die Gesten, das gesamte Verhalten in allen Handlungen verändert. 30
Das ganze Verhältnis zu den Anderen scheint bei Descartes vom Körper getragen, d. h. von der Natur. Fichte gibt uns in seiner 5. Vorlesung ebenfalls eine Deutung des Unedels und der Gemeinheit. Am ärgsten ist, »was den Menschen der Achtung für sich selber, des Glaubens an sich selbst, und des Vermögens, zuverläßig auf sich selbst und seine Vorsätze zu rechnen, beraubt« (54). Bei Fichte liegt jedoch der Kern dieses Missbrauchs in der Unmöglichkeit, seinen Vorsatz zu vollführen, obwohl man sich manchmal dazu getrieben sieht. Um noch einmal die Hauptpunkte zu vergegenwärtigen, lässt sich sagen: Obwohl Descartes noch nicht über das Wort »Trieb« verfügt, darf gesagt werden, dass er dessen geheimer Erfinder ist, insofern als bei ihm die Leidenschaft das Gefühl einer Handlung ausdrückt, die man auf die Seele bezieht, die aber unmittelbar von einer René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 54. Der erste Beleg für das Wort »Edelmut« findet sich in dem Titel des Artikels: »Die Achtung und Mißachtung, der Edelmut und der Hochmut, die Demut und die Niedrigkeit.« Das erste Begriffspaar wird in zwei parallele Begriffspaare zerteilt, wobei unter den vielen Exzessen die Tugend die Mitte hält. 30 René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 151. 29
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Wie sich der Philosoph bei Descartes und Fichte zu sich selbst verhält
Bewegung der Lebensgeister verursacht wird, d. h. von einer lebendigen Kraft und Tätigkeit, die sowohl von Descartes als auch von Fichte Natur benannt wird. Man kann sie als eine uns von Geburt gegebene Bedingung für unsere ganze Entwicklung in der Welt auffassen. Die Natur bei Descartes scheint mir dem zweiten göttlichen Gedanken bei Fichte zu entsprechen. Wir finden in der fünften Vorlesung über das Wesen des Gelehrten folgenden Satz: Sollen nun diese vernünftigen Wesen jenen göttlichen Gedanken von der Welt, wie sie werden soll, durch ihre freie That realisiren, so müssen sie vor allem voraus ihn selbst fassen und erkennen. Auch dieses Fassen und Erkennen jenes ersten göttlichen Grundgedankens vermögen sie nicht, ausser zufolge eines zweiten göttlichen Gedankens, daß sie, eben diese, denen es verliehen wird, jenen Gedanken fassen sollen. (49 f.)
Es gibt ein erstes Sollen, das die Welt betrifft, insofern als es ihre Zukunft ist, und dieses Sollen wird von Gott gewusst; dies ist sein erster Grundgedanke. Aber nur die Menschen, die dieses Sollen als ihr innigstes und persönlichstes Sollen anerkennen, d. h. als ihre Pflicht, sind imstande, die Welt, wie sie sein soll, zu bewerkstelligen. Ihre Pflicht besteht nun darin, den göttlichen Gedanken von der Welt zu erkennen. Diese Kenntnis aber ist eine Gabe, besser noch: eine Leihe. Fichte nennt den zweiten göttlichen Gedanken der Welt die natürliche – bzw. die gnädige – Verteilung der Gaben, die den Gelehrten und dessen wirkliche Erkenntnis des göttlichen Gedankens von der Welt ermöglichen. 31 Diese Unterscheidung bei Fichte zwischen Natur und Gnade innerhalb des Begriffes von der Bestimmung scheint mir ein Erbe von Jean-Jacques Rousseau zu sein. 32 Es könnte aber durchaus Descartes sein, der vorher den Weg der beiden Männer vorbereitet hat. Man erinnert sich, dass die Verwunderung eine Leidenschaft ist, die darin besteht, dass man sie erkennen muss, und da sie nur von dem Gefühl des Seltenen und Außerordentlichen verursacht wird, bereitet sie sich uns nur für eine historische Erkenntnis vor, wie es im Artikel 75 geschrieben steht:
»[…] diese, denen es verliehen wird […]« (50). Man kennt das Bonmot von Henri Gouhier in: Les Méditations métaphysiques de Jean-Jacques Rousseau, Paris 1970, 46: »En réalité, on passe du schéma traditionnel au schéma rousseauiste, quand nature prend la place de grâce et histoire prend la place de nature ; ici la nature est à l’histoire, ce que la grâce était à la nature.«
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Elisabeth Kessler
Und so kann man insbesondere von der Verwunderung sagen, daß sie dazu nützlich ist, daß wir Dinge bemerken, die wir bis dahin nicht gewußt haben, und sie im Gedächtnis bewahren. […] Aber wir behalten eine Sache, obgleich sie uns unbekannt war und sich als neu unserem Verstand oder unseren Sinnen darbietet, deswegen noch nicht in unserem Gedächtnis, außer wenn die Idee, die wir davon haben, in unserem Gehirn durch eine Leidenschaft verstärkt wird, – oder aber auch durch Inanspruchnahme unseres Verstandes, der unseren Willen zur Aufmerksamkeit und zu einer besonderen Reflexion bestimmt. 33
Die eigene Leidenschaft des wissenden Menschen ist die Verwunderung, aber sie macht noch nicht den Gelehrten. Es braucht eben eine zweite Leidenschaft, um die erste zu mildern, und das ist der Edelmut. Im Hinblick auf die Erläuterung der Methode und damit der ganzen modernen Philosophie musste Descartes lernen, seine Unruhe auf eine andere Weise zu beschwichtigen als durch Verschlingung oder Überhäufung der Kenntnisse wie z. B. sein Landmann Rabelais oder auch Montaigne. Da man gegen eine Leidenschaft nur mit einer entgegengesetzten ringen kann, musste Descartes zum Edelmut greifen. Am Anfang erscheint diese Leidenschaft zuerst bescheiden und nur unumgänglich da; es ist ohnehin keine »einfache und ursprüngliche Leidenschaft«. Die Hervorhebung des Edelmuts zeigt sich später jedoch als ein eigenartiger dritter Teil. Nur diese letzte Leidenschaft erlaubt Descartes, das Verhältnis zu sich selbst bis zum Ende durchzuhalten und so vom Stande des angehenden Gelehrten zu dem des vollendeten überzugehen. Was Descartes an seiner ersten Fassung stört und zum Schreiben eines dritten Teils veranlasst, ist auch die Tatsache, dass in der früheren Fassung die Demut zu sehr als Mangel und Niedrigkeit erscheint, während in der letzten Fassung die Demut den gleichen Inhalt wie der Edelmut darbietet: So sind die Edelmütigsten gewöhnlich auch die Demütigsten; denn die tugendhafte Demut besteht nur in der Überlegung, die wir über die Unbeständigkeit unserer Natur anstellen und über die Fehler, die wir ehemals begangen haben könnten oder noch fähig sind zu begehen und die nicht geringer sind als diejenigen, die von anderen begangen sein können. Das ist der Grund, daß wir uns gegenüber niemand vorziehen und dass wir bedenken, daß die Anderen so
33
René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 75.
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Wie sich der Philosoph bei Descartes und Fichte zu sich selbst verhält
gut wie wir ihren freien Willen haben und auch so gut wie wir davon Gebrauch machen können. 34
Wir haben gesehen, dass der Körper der erste Vermittler in der Beziehung zu den Anderen ist. Jetzt aber vermittelt die Demut eine unmittelbare Nähe zu den Anderen, die auf diese Weise, wie Fichte später sagen wird, als Verbrüderte in unserer Innerlichkeit selber hervortreten. Das ist selbstverständlich ein Zug, den Rousseau aus der von ihm selbst verkündeten Unschuld heraus tief verkennen wird. Dementsprechend glaube ich, daß der wahre Edelmut, der bewirkt, daß ein Mensch sich in dem höchsten Masse achtet, indem er sich legitimerweise schätzen darf, allein darin besteht, daß er einesteils erkennt, daß er nichts hat, das ihm wahrhaftig angehört außer allein der freien Verfügung über sein Wollen, und er nur gelobt oder getadelt werden darf, je nachdem, ob er sie gut oder schlecht benutzt, – anderenteils darin, daß er in sich selbst einen festen und beständigen Beschluß fühlt, davon einen guten Gebrauch zu machen, das heißt, es niemals am Willen fehlen zu lassen, alle die Dinge zu unternehmen und auszuführen, über die er als das Beste urteilen wird. Das bedeutet, vollkommen der Tugend folgen. 35
Das ist natürlich ein großer Wandel in der Auffassung der Tugend. Denn die Tugend hat nun zwei Bedeutungen, einmal als Erfolg aus der Kenntnis des höchsten Guten, wie in der Vorrede zu den Prinzipien, in denen sie unter dem Namen der Weisheit begriffen wird; das andere Mal aber als Wille, seinen Verstand immer am besten und, soweit es in unserem Vermögen liegt, zu gebrauchen. 36 Das wäre dann unser Teil an der göttlichen Idee, der Teil, den wir in uns zu vollbringen haben, aber mit dem Risiko, glaube ich, dass das Selbst irgendwie geblendet wird, statt vernichtet. Außerdem tragen schon bei Descartes beide Bestandteile der Tugend qua Edelmut einen passiven Charakter, nämlich einerseits als Erkenntnis und andererseits als Gefühl. Was die Erkenntnis betrifft, hatte Descartes uns schon im ersten Teil seines Traktats davor gewarnt, dass eine Erkenntnis immer schon auch eine Wahrnehmung ist, sowohl als evidente als auch als nicht-evidente Kenntnis. 37 Die evidente Kenntnis trägt aber den Charakter der Unmittelbarkeit und unter allen sinnlichen Wahrnehmun-
34 35 36 37
René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 155. René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 153. Vgl. René Descartes, »Lettre-Préface aux Principes de la Philosophie«. René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 28.
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Elisabeth Kessler
gen ist es nur die Leidenschaft der von sich selbst unmittelbar affizierten Seele, die diesen Evidenzcharakter aufweist. 38 Man hat immer mit Recht betont, dass Descartes, der selbst am Ende doch der neue Lehrer der Menschheit werden will, sich selbst nicht als Lehrer betrachtete. Was ist aber der Sinn dieser Passivität auf der höchsten Stufe seiner Leiter zu der Tugend? Worin besteht seine Empfänglichkeit und welches ist ihr Wahrheitsgehalt? Alles scheint darauf hinzudeuten, dass es einen inneren Meister gibt, der aber keinen eigenen Namen führt. Descartes spricht von der Freiheit als einem von Gott erteilten Recht, als ob von diesem Moment an Gott nur noch als eine letztendlich rechtliche Obrigkeit fungierte 39 und als ob der letzte Name der Tugend der Mut wäre. Fichte seinerseits hat diese Schwierigkeit auch erblickt. Deshalb ist er von der Bestimmung zum Wesen des Gelehrten übergegangen, nur dass dieses Wesen oder dieser Charakter bei ihm eben auf eine Quelle hinweist, auf eine Hand, die ihren Charakter in uns gedrückt hat. Hyperions Schicksalslied enthält in der Auseinandersetzung der Himmlischen mit den Sterblichen ein Wort, das uns dem Zeitalter nach Descartes angebracht zu sein scheint: Ins Ungewisse hinab … Wäre das denn unser eigenes Verhältnis zu uns selbst? Eine radikalere Ungewissheit, gründlicher denn alle Gewissheit, wie Kant es im Grunde seiner Postulate dargelegt hat? Oder umgekehrt: Hat uns Hölderlin nicht schon in dem Moment, in dem er die herrschende Stimmung zur Zeit Fichtes ausdrückte, vor dem Gift eines gewissen Idealismus gewarnt, falls wir die Himmlischen vergessen? Erörterung sei unser Wort! Aber welcher Ort, welche Stelle an diesem Ort wird hier vorausgesetzt? Gar keine! Der Ort des Denkens ist eben, als Vermögen des Da, nirgends …
38 Vgl. René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 26: »Dagegen kann man sich nicht traurig fühlen oder von einer anderen Leidenschaft erregt sein, selbst wenn man schläft oder träumt, ohne daß es wahr wäre, daß die Seele eine solche Leidenschaft in sich hat.« 39 René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Art. 152: »[…] der Gebrauch unseres freien Willens […] macht uns in gewisser Weise Gott ähnlich, indem er uns zum Herren über uns selbst macht, vorausgesetzt, daß wir nicht durch Niederträchtigkeit [lâcheté; dieses Wort bedeutet auch »Feigheit«, E. K.] die Rechte verlieren, die er uns gibt.«
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The Ghosts of Kantian Philosophy in Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten Richard Velkley, New Orleans, USA
I. Fichte’s profound early engagement with the writings and teaching of Kant is too well-known to require much discussion here. Yet it is worthwhile to offer reminders of a few major aspects of it, for this will help to place in relief the remarkable combination of distance and kinship that holds between the lectures Über das Wesen des Gelehrten (1805) and the philosophy of Kant. It is necessary to elaborate on a few features of Kant’s philosophy in order to assess the striking transformation of these features in the lectures, for Kant’s presence in these lectures is still very strong, if in a rather strange and distorted way. The first impression one has, on reading the lectures, is that this work of the later Fichte has wholly left behind the realm of Kantian philosophy. From the standpoint of a strict comparison of the fundamental principles of Kant’s critical philosophy and of Fichte’s lectures, this is certainly the case. But on closer consideration one discovers that Fichte’s leading ideas expose possibilities within some central themes of Kant, such that one might say that Fichte has productively transformed the Kantian themes in true Fichtean fashion, according to his own account of the productive-creative mode of the mature scholar’s attainment of knowledge. Indeed, at one point Fichte suggests that his thought may be rescuing from oblivion and giving new life to Kantian philosophy. In the tenth lecture Fichte writes the following: »Much that is excellent has appeared in our age, I shall mention here only the Kantian Philosophy; – but precisely the activity of the literary market has destroyed, perverted and degraded it, so that its spirit has fled, and in place of it only a ghost of it stalks about, which no one can respect« (91). Does Fichte’s philosophy of the scholar intend to breathe new life in the ghost of Kantian philosophy and thereby make it worthy of new respect? I shall discuss how Fichte’s lectures make a productive, and therefore heterodox, usage of three 203 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Kantian ideas: the infinite moral project of realizing the pure idea of the Highest Good in the sensible world, the architectonic concept of philosophy or philosophy according to its Weltbegriff (world concept or cosmopolitan concept), and artistic genius as the capacity to create works that evoke ideas of the supersensible. In every case, however, Fichte radically transforms the letter and the spirit of the Kantian original, and does so by proposing that the ground of both knowledge and action is insight into or Anschauung (intuition) of the supernatural göttliche Idee (divine idea), whose living reality is expressed in the activity of the scholar. Fichte’s Gelehrte (scholar) in the end is a figure for which there is no true parallel in Kant’s philosophy, although it has a form that is partly composed of transfigured members of the critical philosophy. Fichte’s relationship with Kant’s philosophy began with a reading of Kant in 1790 that liberated Fichte from Spinozist determinism. The experience was akin to a conversion. »I am living in a new world since I read the Kritik der praktischen Vernunft. Propositions that I believed were irrefutable have been refuted for me; things that I believed could never be proved have been proved to me.« He called Kant’s account of practical reason »a blessing for an age in which morality has been destroyed down to its foundations.« 1 In his Wissenschaftslehre of only a few years later, Fichte appropriated and transformed Kant’s doctrine of »the primacy of practical reason.« In Fichte’s version, the practical power is the innermost root of the I and freedom itself is a theoretical determining principle of our world. Accordingly, the Wissenschaftslehre as a whole can be described as an effort to demonstrate that reason could not be theoretical if it were not also practical, at the same time, that reason could not be practical if it were not also theoretical. In a decisive respect, Fichte’s argument continues the transcendental approach of Kant, in which reason’s relations to the world are grounded in the structure of self-consciousness, in an ego or I that relates to itself spontaneously in all acts of thinking and knowing. But again, Fichte’s absolute I is not only theoretical but also practical. As theoretical, the I finds itself limited by the experience of a check (Anstoß) on its original activity, in response to which it posits the Not-I and the whole realm of objects, together with the transcendental rules for the cognitive grasp of this realm. 1 Johann Gottlieb Fichte, Briefe 1793–1795, ed. by Reinhard Lauth and Hans Jacob (= Gesamtausgabe III, 2), Stuttgart-Bad Canstatt 1970, 167–68.
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The Ghosts of Kantian Philosophy in Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten
The experience of finitude also sets in motion the practical activity of the I, as seeking to minimize the Not-I, wherein the I strives to abolish the difference between the I and the Not-I so as to uncover an allencompassing I. The I, in other words, seek to replace its theoretical determinations with practical ones, in which what seems to be only given to the I from a theoretical perspective as object of cognition is reinterpreted as the result of a prior willing and doing of the I. The complete reinterpretation of the world, moving from a finite theoretical practical perspective to an infinite practical perspective, is an ideal, an unattainable goal of limitless striving that orients all the activities of reason. 2 Kant in a famous public statement of 1799, writes: »I hereby declare that I regard Fichte’s Wissenschaftslehre as a totally indefensible system« and denies that the spirit of Fichtean philosophy is »genuinely critical philosophy.« 3 Kant claims that Fichte attempted to derive material or metaphysical conclusions from the pure theory of science, which properly concerns itself only with logic, by which Kant means transcendental logic as the necessary presupposition of all theoretical employment of reason. But it would be more accurate to say that Fichte regarded the pure theory of science as having a ground in pure practical reason as constitutive, a position that Kant had to reject, as well. On Kant’s view pure practical reason has a constitutive principle within its own sphere, since the pure moral law is the objective ground of an unconditional determination of the will. It has no constitutive power beyond that, and the postulations reason requires for the sake of conceiving the realization of the highest practical end of reason are not theoretical assertions but subjectively necessary assumptions made by practical agents so as to conceive the possibility of carrying out their duty, and they admit neither theoretical confirmation nor theoretical disproof. In this connection Kant wrote of the »primacy of practical reason,« in the sense that the practical requirements of reason lead to the assertion of positive claims (concerning God, freedom, and continued existence beyond this life) that are not theoretically demonstrable. Practical reason has its own sphere, independent of the theoretical, in which its require-
See Günter Zöller, »German Realism: The Self-Limitation of Idealist Thinking in Fichte, Schelling and Schopenhauer,« in: Karl Ameriks (ed.), The Cambridge Companion to German Idealism, Cambridge, UK 2000, 203–204. 3 Immanuel Kant, Briefe, in: Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, ed. by the Preußische Akademie der Wissenschaften, vol. 12, Berlin 1900, 370–371. 2
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ments are decisive. Fichte was centrally concerned with overstepping the divide between the practical and theoretical spheres. But even so, there is in Kant’s own position a further and crucial aspect of the primacy of the practical, on which Fichte was building his own system, although certainly not in a way that Kant could find acceptable.
II. That further aspect is Kant’s position, until recently mostly ignored by commentators, that the highest practical end of reason has a role in the account of theoretical reason as well as of practical reason, as the organizing and justifying end of all uses of reason. In other words, the practical provides the end in relation to which all uses of reason are oriented. In the Kanon der reinen Vernunft in the first Kritik, Kant writes: »What sort of use can we make of our understanding, even in regard to experience, if we do not set ends before ourselves? The highest ends, however, are those of morality, and only pure reason can grant us cognition of these.« 4 In the same passage Kant states that reason’s unavoidable propensity to go beyond the bounds of cognition by means of mere ideas, whereby it falls into the dialectical errors of speculative reason, cannot be explained solely by the speculative interest in these ideas, which he calls »very small.« It is far outweighed by reason’s practical interest in them. Accordingly, the effort to attain knowledge of these ideas for practical purposes is what sets speculative reason in motion. 5 Kant puts forth his critical strictures, such that speculative knowledge of these ideas is shown to be impossible, but use of them as postulates grounded in knowledge of our moral end is permissible. But beyond this he also claims: the practical use of the ideas, as the outcome of the critical inquiry, is what ultimately justifies that inquiry. More precisely and fully, reason as moral necessarily gives itself a highest object to be realized, the highest good as a moral world in which perfect virtue exists in just proportion with happiness, the striving toward which goal then brings into play the ideas of God, freedom and immortality. More strikingly, in the Kanon Kant introduces the notion which is the germ of the Kritik der Urteilskraft, namely that the ideal goal of realizing the highest good leads to »a 4 5
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A816/B844. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A797–798/B825–826.
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The Ghosts of Kantian Philosophy in Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten
special kind of systematic unity, namely, the moral« which in turn »leads inexorably to the purposive unity of all things that constitute this great whole, in accordance with the universal laws of nature.« 6 In other words, it leads to the idea of a highest unity which »unifies practical with speculative reason. The world must be represented as having arisen out of an idea if it is to be in agreement with that use of reason without which we would hold ourselves unworthy of reason, namely the moral use, which depends throughout on the idea of the highest good. All research into nature is thereby directed toward the form of a system of ends, and becomes, in its fullest extension, physico-theology.« 7 Kant says in the same passage that the moral order encompassing nature is a »unity grounded in the essence of freedom and not contingently founded through external commands.« Kant already has the elements of the program of the third Kritik wherein pure morality grounds the approach to the totality of reason, both theoretical and practical, as reason seeks out signs that the natural order is purposively directed toward the promotion of the end of pure practical reason. Kant certainly denies that the practical interest can justify making constitutive theoretical claims regarding nature’s support of the moral, and thus his statements in the Kanon point toward the view of the purposiveness of nature as a regulative principle, or principle of reflective judging. Even so, the supreme practical interest leads toward a progressive stance toward nature in two respects, which clearly were of immense importance to Fichte. In the first place, human beings must strive to bring about a world in which progress toward moral perfection is realized as much as possible by their own efforts, and therewith they must strive to achieve the condition wherein perfection is confirmed and reflected in nature through the corresponding happiness of the self-perfecting moral agents. This condition must be conceived as an endless project for the striving of the human species as a whole. In the second place, the inquiry into nature is guided by the practical interest in uncovering evidence of natural assistance to the human efforts, not in the sense that hope for the natural satisfactions of happiness motivate the inquiries but, on the contrary, in the sense that the inquiry seeks evidence that the human is amenable to a reform of its character as both sensible and rational, in which the inclinations become more governable by the 6 7
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A807/B835. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A815–816/B843–844.
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pure moral disposition. Kant later regards the capacity for disinterested pleasure in aesthetic judging as one crucial form of evidence of such natural purposiveness in the human character. Kant’s conception of how practical reason provides a unifying conception of all uses of reason falls short from Fichte’s standpoint of treating the practical as constitutive theoretically. Even so, Kant’s conception has a certain proto-Fichtean quality, insofar as the primary practical interest of reason is reason’s relation to the worldwhole as a realm of moral projects. Alternatively one might say that reason’s essence is to be world-transformative, such that the realization of moral projects expresses its deepest need, far outweighing purely theoretical interests. Furthermore, in pursuit of its deepest interest, reason reflects on the world-whole, encompassing both freedom and nature, as originating in an idea as its unifying ground. One must again underline that this idea, or the supersensible substrate as Kant calls it in the third Kritik, is not a possible object of theoretical cognition for Kant, but it serves a necessary regulative function. Kant’s view of reason’s highest interest in purposive unity grounded in freedom relates directly to some of his definitions of philosophy and the philosopher, and these too have echoes in Fichte. Kant writes: »Philosophy is the idea of a complete wisdom, which shows us the final end of reason« and similarly he describes philosophy as »the science of the highest maxims of the use of our reason.« 8 That the final end is determined from a moral standpoint is very clear from an extended passage defining the philosopher in the Kritk der reinen Vernunft. In this context Kant is discussing the Weltbegriff of philosophy, which he distinguishes from the Schulbegriff (scholastic concept), which has no end in view other than the logical perfection of knowledge as a system of cognition 9. Kant refers to the ancient idea of the philosopher as first and foremost a moral philosopher, due to the preeminence which moral philosophy has over other uses of reason, and it is this notion that grounds the Weltbegriff. 10 »From this point of view philosophy is the science of the relation of all cognition to the essential ends of human reason (teleologia rationis humanae), and the philosopher is not an artist of reason but the legislator of 8 Immanuel Kant, Logik, in: Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, vol. IX, Berlin 1923, 24. 9 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A839/B867. 10 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A840/B868.
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The Ghosts of Kantian Philosophy in Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten
human reason.« The statement does not mean that the philosopher produces a legislation which simply expresses his own will arbitrarily, but that the philosopher looks to the essential end that reason itself prescribes, and whose idea »is found in every human reason.« From the standpoint of that highest end (which one can relate to the highest good and its fulfillment through the pursuits that realize the purposive unity it requires) the philosopher evaluates the roles of the various sciences and uses of reason in promoting the essential end—an end which concerns all human beings, and hence philosophy as promoting it is called the Weltbegriff of philosophy. Here Kant makes declarations that certainly are echoed in Fichte’s account of der vollendete Gelehrte (the completed or mature scholar) in the 1805 lectures. »The mathematician, the naturalist, the logician are only artists of reason, however eminent the former may be in rational cognitions and however much progress the latter may have made in philosophical cognitions. There is still a teacher in the ideal who controls all of these and uses them as tools to advance the essential ends of human reason« (»Es gibt noch einen Lehrer im Ideal, der all diese ansetzt, sie als Werkzeug nutzt, um die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft zu befördern.«) 11 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A839/B867. This account of the philosopher as moral philosopher and Lehrer im Ideal discloses a fundamentally pedagogical conception of critical philosophy which emerges not only in the Architektonic der reinen Vernunft in the Methodenlehre of the Kritik (wherein the Kanon is also found) but also it is at least implicit in the »Doctrines of Method« of the two other Kritiken and the Metaphysik der Sitten. G. Felicitas Munzel argues accordingly that »the so-called missing critical, transcendental treatise on education is extant in Kant’s writings, namely in the form of the Doctrines of Method (Methodenlehren, for which a more telling translation would be ›Ways of Instruction‹) with which he concludes each of his major works.« Interpreting these passages Munzel defends the claim that Kant’s philosophy »is concerned with the original sense of paideia (as a complete program of study to cultivate the mind in order to render it capable of achieving a state of wisdom), in ways opposed to the pedagogical encyclopedic project of the French Enlightenment« (G. Felicitas Munzel, Kant’s Conception of Pedagogy: Toward Education for Freedom, Evanston, Il. 2012, xvi, 6). One can also argue that these passages are more crucial for the Kantian inspiration of Fichte’s central pedagogical enterprise than the writing of Kant devoted to the university faculties, Der Streit der Fakultäten (1798). In this work Kant offers a highly ironical and cutting presentation of the state of the existing university, with its division of faculties into »higher« (theology, law, medicine) and »lower« (philosophy), a division made with reference to the government’s need to influence and command the people, rather than with regard to the concern for truth in the learned professions (Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, vol. VII, 18). The higher faculties directly serve this governmental 11
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Before I turn to discussing the 1805 lectures I want to propose a hypothesis concerning the meaning of Fichte’s great conversion experience when he discovered Kant’s philosophy in 1790. His discovery through Kant was not only of certain theoretical and practical principles that empower the demonstration of certain doctrines relating to consciousness, knowledge, morality and freedom. It was at the same time, and in connection with those principles, a discovery of a way to renew the dignity of philosophy itself by relating philosophy to an essential practical mission concerning the condition of human beings universally, or as Fichte wrote, Kant’s philosophy was »a blessing for an age in which morality has been destroyed down to its very foundations.« Throughout Fichte’s career as teacher and writer the extraordinary seriousness of his conception of the philosopher as having a moral and practical vocation is unmistakable. In this regard his moment of conversion recalls one that Kant himself underwent almost thirty years earlier, when he wrote of the effect that Rousseau’s writings had upon him. Rousseau, he wrote, »set me aright« (»hat mich zurecht gebracht«) so that Kant no longer believed the pursuit of knowledge alone constituted the honor of mankind, and now held that the common laborer has intrinsic worth, and that knowledge itself has worth only if it helps »to establish the rights of mankind.« 12
III. The affinities between Kant and the early Fichte of which I have spoken are all the same overshadowed by the imposing divergences one interest by teaching doctrines not based on reason, whereas philosophy »whose function is only to look after the interest of science is called lower because it may hold whatever proposition about science it finds good« (VII, 19). As the higher faculties encourage the tendency of the people »who want to be led, that is (with the language of the demagogues), they want to be duped,« they are »involved in an essential and irreconcilable conflict with the lower faculty« (VII, 31–32). Even so Kant hopes for »constant progress of both ranks of the faculties toward greater perfection,« so that it could someday transpire that »the lower faculty will be the higher—not indeed in authority, but in counseling the authority (the government)« (VII, 35). See also Klas Roth and Chris W. Surprenant (eds.), Kant and Education: Interpretations and Commentary, New York/London 2012. 12 Immanuel Kant, Bemerkungen zu den »Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen«, in: Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, vol. XX, 44.
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The Ghosts of Kantian Philosophy in Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten
experiences when one examines the lectures Über das Wesen der Gelehrten, although there is still the high tone of the lofty moral vocation of the thinker. But how is that vocation conceived? For Kant the highest end the human being can have is grounded on reason as a self-legislative power that conceives for itself the object of its will, as an end it places before itself in order to formulate the course of right conduct. As Kant says, in the absence of all reference to an end no determination of the will can take place, for no such determination can occur without an effect. 13 To think of the most comprehensive end of conduct, is to think of an object that unites within it the formal condition of all such ends as we ought to have (namely, duty as compliance with the moral law) with everything that is conditional upon ends we naturally have, yet in accordance with duty, namely happiness proportioned to observance of duty. But Kant insists that morality as autonomy in conceiving its duty abstracts from all ends, for the moral law binds the will through the mere form of universal lawfulness. The will which determines itself by a material ground ceases to be moral. 14 The human will’s need for the idea of a comprehensive end only reflects the dual character of the human, as needing to realize moral self-determination in the realm of nature where human action must achieve the effects of willing. Human reason has need of a particular point of reference for the unification of all ends, and to conceive it the human who honors the moral law asks himself this question: What sort of world would I create were this in my power, under the guidance of practical reason? 15 Kant says the moral agent arrives at this judgment with complete impartiality, without regard to his own happiness, and in this way he evinces a need of adding to the thought of his duties an ultimate end. Thus morality inevitably leads to religion, the idea of a world that finite moral beings strive to realize but know they cannot bring about wholly through their own power. 16 As one turns to Fichte’s lectures, one finds the account of the vocation of the scholar governed by the ultimate end of striving, which is at the same time the ground of being, namely the Divine Idea (»die göttliche Idee«). This end is not assumed on the basis of an autono-
Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in: Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, vol. VI, 4. 14 Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 3–4. 15 Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 5. 16 Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 5–6. 13
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mous will which determines itself solely according to its formal conception of duty, as in Kant. On the contrary, Fichte speaks disparagingly of the account of freedom that follows from the categorical imperative as »narrow and paltry« (»beengte und dürftige«), asserting that the reliance on the mere form of morality is intended only to make clear what we must not do, as an abstract standard furthering the inculcation of obedience (28 f.). A higher standard is discovered by the »God-inspired human being« (»von Gott begeisterte Mensch«) who has attained knowledge of the Divine Idea (29). This is knowledge of a metaphysical or ontological sort: it is genetic knowledge, disclosing how life produces being. Indeed the highest principle is the self-production of life, which loves itself and in loving itself loves its individual manifestations (19). The scholar knows this ground of his life and is wholly moved by the love of it, as he recognizes that his individual life emerges by necessity from the Idea. The sphere of the human being’s free activity is only an appearance of the profound necessity by which the Idea produces itself. The finite life of the individual as grounded in the infinite life of the Idea exists through a metaphysical division of that Idea, and the project of human life is to overcome that division. Moral and political institutions are instituted to bring human beings closer to original unity. Fichte underlines that progress toward that unity is accompanied by peace and joy (31). The scholar happily sees himself as but an instrument of the Divine Idea, in fact the whole of the human race is but such an instrument and its vocation is to make endless progress toward realizing the Divine Idea by overcoming the hindrances that nature offers to its perfect life (23, 28, 41). Nature, as the objective material world, is the non-living, self-enclosed aspect of the Divine Idea, which that Idea has created as both obstacle to itself and as the realm of its activity. The human pursuits of legislation, science, religion, art and knowledge are the ways that the Divine Idea is realized in the finite existence of humans, who are moved by love of the Idea to come closer to the source of their being (32). Humans thereby assist the Divine Idea in its endless striving to overcome death (24). There could be no way for Kant to regard this system as other than the most extreme enthusiasm, oblivious to the limitations of human speculative reason and at the same time undermining pure morality in a heteronomous grounding of the will in love of a metaphysical principle. Fichte expressly rejects the Kantian notion of reason’s theoretical limit when he speaks of the »groundless medium« that thinkers have placed between the true 212 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
The Ghosts of Kantian Philosophy in Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten
and the apparent world (23). Even more notable is Fichte’s characterization of the scholar’s Trieb des Wissens (drive for knowledge; 34) as genius, and his statement that the scholar with this drive can rightly be called an enthusiast (»Man nennt ihn Schwärmer, und dies ist sein rechter Name«; 35). Genius, Fichte writes, may be either an inborn drive toward a particular aspect of the one, indivisible Idea (philosophy, poetry, natural science, legislation, or the like), or it may be an original universal propensity toward knowledge which becomes determined toward a particular province by the accident of cultivation. In either case, a spiritual culture (geistige Bildung) that emphasizes the need for industry (Fleiß) is essential for the flourishing of genius, for this is the cooperation of the original Idea and of human effort to bring it to fruition. The natural talent, or genius, is nothing other than the drive of the Idea to shape itself (sich zu gestalten), or give itself definite form (34). The Idea is the source of the living soul (lebendige Seele) that organically combines the elements that human industry assembles. The object of the Idea’s active shaping of the elements is to impress itself through the inspiration of the true scholar into the surrounding world. In itself shapeless, without body or substance, the Idea requires this human vehicle for its actualization. »It is to become the highest life-principle, the inmost soul of the world around it« (»Sie soll das höhere Lebensprincip werden, und die innigste Seele der umgebenden Welt«; 35). Fichte stresses that this process is not a blind, uncontrolled one. The scholar requires utmost clarity and freedom in relation to his vision, so that he develops a grasp of the whole and its relation to the complex structure of the area of knowledge he pursues. In the mature scholar the Idea perfectly reveals itself, seen from his particular point of view. The shaping and embodiment of the Idea is completed in him. But this occurs because the scholar passes over into the artist; with the completion of the scholar’s cultivation through untiring industry, the cultivationepoch of the artist begins (»die Bildungs=Epoche des Künstlers anhebe«; 36). This conception of the completed scholar as genius and artist invites many comparisons with Kant’s account of genius as the talent for fine art, and also with some of Kant’s statements linking philosophy to architectonic as an art of forming systems. Before remarking on this, let me note that Fichte’s conception of the scholar as fulfilling the Divine Idea is deeply non-egalitarian, as it asserts that the completed scholar has much higher rank in spiritual life over other human beings, including the scholars who cannot achieve per213 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Richard Velkley
fection but must be content to serve the ends of those who are higher in their realization of the Idea (39). Those who cannot develop the reverence for the Idea that subordinate scholars acquire are in effect »nothing,« Fichte asserts (17). The scholar is not self-regarding, even so, and wholly forgets himself in his devotion to the Idea. As the completed scholar lives as the thought of God, he leaves himself behind and indeed becomes holy (44). All of this language takes one far away from Kant’s views on the universal dignity of the human as capable of autonomy, and as never to be treated as mere means. Also Kant denies that human strivings toward moral perfection ever achieve the level of holiness. Kant would have to find in Fichte’s conception a radical overturning of the moral order, in which certain human beings through cultural attainments involving questionable claims of supersensible knowledge are placed at the pinnacle of the structure of human obligations as its ordering principle. But on the other side, we have seen Kant’s statement that the philosopher uses the other sciences as tools for achieving the essential ends of reason. It is my claim that Fichte read all of the first Kritik with regard for how that work defines a fundamental account of philosophy, and not only, as is the case today and indeed since Neo-Kantianism, as a work in epistemology. Fichte still seems to draw in his late lectures from this systematic and teleological aspect of the Kritik and the other major critical works.
IV. It is quite possible, I would suggest, that Fichte’s account of the scholar as genius and artist relates to Kant’s brief but suggestive discussion of philosophic architectonic as »the art of systems« (Kunst der Systeme) in the same passage of the Kritik where he defines philosophy as the science of the relation of all knowledge to the essential ends of reason. 17 The Kritik passage points, certainly in an understated way, to a kinship between the art of philosophic architectonic and fine art, for both can be understood as products of genius and its animating force, spirit, as Kant expressly says in Anthropologie in
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Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A832/B860.
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The Ghosts of Kantian Philosophy in Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten
pragmatischer Hinsicht. 18 Indeed in the architectonic chapter of the first Kritik one discerns a number of pointers toward the inquiries of the Kritik der Urteilskraft. In particular, the architectonic chapter raises the question of whether philosophical architectonic rests on wholly intelligible grounds, and it is connected by an essential if not obvious thread to the account in the third Kritik of how the communicable structure of fine art as based on »aesthetic ideas« surpasses conceptual determination. 19 Kant defines architectonic as the doctrine of the scientific in our knowledge, but it is not the system of science itself. It is what raises ordinary knowledge to the rank of science by transforming a mere aggregate (Aggregat) of knowledge into a system. 20 Architectonic falls under transcendental doctrine of method, but as an art of methodical transformation of knowledge there are no transcendental rules governing its practice. Architectonic is concerned with uncovering an idea of the unity of reason latent in human reason. »By a system I understand the unity of the manifold modes of knowledge under one idea.« 21 The task of architectonic is to determine »the form of a whole,« which encompasses the scope of the content of a system as well the relative positions of its parts. The idea of that form outlines the various legislations of reason and the relations between them, but it is subordinate to reason’s highest end; all parts of the system are related to that end and to each other through their relation to that end. The whole is thus articulated (gegliedert) like an animal body which develops from an inner principle, and is not composed externally as an aggregate. The idea of a system precedes the working out of the system, and in its first form the schema of the idea is seldom adequate to the idea. Thus »this idea lies hidden in reason like a seed in which the parts are undeveloped and are hardly recognizable even under microscopic observation.« 22 The idea is like a living thing requiring cultivation of which architectonic is the art or culture. The idea cannot appear on the scene fully formed and with its final form already known, and accordingly the founder of a science cannot adequately determine his idea. He and »often even his latest Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, vol. VII, 226–227. 19 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft in: Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, vol. V, 313–319. 20 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A832/B860. 21 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A832/B860. 22 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A834/B862. 18
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successors« are groping about for an idea which they have not succeeded in making clear to themselves. One should not explain and determine the science according to their description, but according to »the idea, which one finds grounded in reason itself out of the natural unity of parts that the founder has brought together.« Kant then makes this remarkable statement: »Systems seem to be formed in the manner of lowly organisms, through a generatio aequivoca from the mere confluence of assembled concepts, at first imperfect then gradually attaining completeness, although they one and all have had their schema as the original seed in the sheer self-development of reason.« 23 A number of features of these remarks seem to point to Fichte’s account of the actualization of the Divine Idea in the scholar’s genial grasp of the whole. There is first an original idea as something living and organic, that strives to realize itself, although it is grasped at the start in an obscure form, and that only careful cultivation involving efforts of generations of humans can bring to clear articulation. Furthermore, the talent required for the uncovering of this articulation is akin to artistic talent. Concerning that kinship, the Anthropologie removes any doubt that Kant sees an affinity between philosophy and the talent for fine art. In the final sections of Book One on the cognitive faculty, he applies the term »genius« to all cognitive originality or inventiveness, although it may seem at first to have only a narrow range. »Now the talent for inventing is called genius, but we confer the name only on an artist, therefore only on someone who knows how to make something, not on someone who is acquainted with and knows many things.« 24 The term »artist« comprehends Newton and Leibniz as well as Leonardo da Vinci, as the genius is a person »of intense greatness, epoch-making in everything he undertakes.« Furthermore Kant adduces »the architectonic mind, which methodically examines the connection of all the sciences and how they support one another,« as a »subordinate type of genius, but still not a common one.« 25 The architectonic genius is a kind of artist, although not a producer of fine art or at least not exclusively such. The links between Kant and the lectures of 1805 are obscure, it must be said, and yet there is a definite Kantian legacy still at work 23 24 25
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A835/B863. Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, 224. Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, 226–27.
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The Ghosts of Kantian Philosophy in Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten
in the later Fichte. Perhaps one can say that Fichte has provided a new home to the ghosts of the Kantian philosophy, wandering about dispirited in the vulgar literary marketplace of the early nineteenth century, and in this home they loom large and proud in new disguises. All the same, these disguises would have something strange if not frightening about them for the original living spirit, which would hardly recognize them as versions of himself.
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Reinhold über die Bildung eines neuen Menschen Ernst-Otto Onnasch, Utrecht, Niederlande
Karl Leonard Reinhold ist der Mann, der zwischen 1786 und 1787 mit seinen Briefen über die Kantische Philosophie im Teutschen Merkur die kritische Philosophie überhaupt erst auf die Agenda der zeitgenössischen philosophischen Debatte gesetzt hat. Der Impakt der Briefe kann in der Tat nicht groß genug veranschlagt werden. Insbesondere die Studenten im Tübinger Stift sind durch sie in die kritische Philosophie eingeführt worden und haben aus ihnen wichtige Inspirationen geschöpft. Auch Fichte war sich über die Bedeutung der Briefe durchaus im Klaren, obwohl er in seinem Werk wenig auf sie eingeht; zitiert werden sie lediglich in der »Creuzer-Rezension« 1. Alessandro Lazzari hat mit überzeugenden Argumenten dargelegt, dass Fichte bereits in der zweiten Auflage seiner Offenbarungsschrift kritisch auf Reinholds Freiheitsauffassung im 1792 erschienen zweiten Band der Briefe über die Kantische Philosophie eingeht. 2 Fichtes Vorwurf geht darauf hinaus, dass Reinholds Freiheitsauffassung auf einen Determinismus hinausläuft. Dennoch hat Reinhold als erster mit Verve dargelegt, dass die praktische Vernunft der zentrale Begriff der kritischen Philosophie sei. Diese Erkenntnis übernimmt Fichte von ihm, indem auch er die praktische Vernunft als letzte und höchste Bedingung seines Systems zur Geltung bringt, insofern diese auch das Fundament der theoretischen Philosophie ausmacht. Hiermit ist 1 Johann Gottlieb Fichte, »Creuzer-Rezension«, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1793–1795, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob (= Gesamtausgabe I, 2), Stuttgart-Bad Cannstatt 1965, 8 ff. – Es ist unwahrscheinlich, dass Fichte die Merkur-Fassung der Briefe gelesen hat. Jedenfalls bemerkt er Ende 1793 gegenüber Jens Baggesen, er sei ohne Reinhold »selbst durch Kant nichts geworden« (Briefwechsel mit Karl Leonard Reinhold und Friedrich Heinrich Jacobi, Bd. 1, Leipzig 1831, 377). Diese Bemerkung ist vielleicht besonders auf die Briefe zu beziehen. 2 Alessandro Lazzari, »Fichtes Entwicklung von der zweiten Auflage der Offenbarungskritik bis zur Rezeption von Schulzes Aenesidemus«, in: Fichte Studien 9 (1997), 181–196.
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Reinhold über die Bildung eines neuen Menschen
freilich auch eine Kritik an Reinhold verbunden, der die Wirklichkeit der praktischen Vernunft als durch eine Bewusstseinstatsache gegeben versteht. Nach Fichte muß das »in einer Thatsache gegebne sittliche Gefühl als Wirkung« der »praktischen Vernunft« gesehen werden. 3 Fichtes Auseinandersetzung mit Reinholds Freiheitsauffassung ist von entscheidender Bedeutung für dessen eigene philosophische Entwicklung bis zur ersten Fassung der Wissenschaftslehre von 1794/95. Auch Fichtes Bildungsbegriff ist in vielerlei Hinsicht Reinholds Briefen verpflichtet, sofern es auch ihm um eine »Bildung des Herzens zur Tugend« 4 geht. Dieses frühe Bildungskonzept ist in vielerlei Hinsicht Reinholds Briefen verpflichtet. In ihnen kommt der Begriff der Bildung zwar nicht besonders prominent zum Tragen, allerdings ist die moralische Bildung der Menschheit ein zentrales Anliegen. Dieses Anliegen wird im Folgenden näher erläutert.
Reinholds Weg zu einem aufgeklärten Verständnis von Bildung Die Biographie Reinholds legt dar, dass er schon früh ein, wie auch immer zu verstehendes Bildungsprogramm verfolgte. Bereits von seinem Vater ist ihm einprägsam vermittelt, dass die eigene Bildung von allergrößter Bedeutung sei. Nicht umsonst tritt er nach seinem Abitur 1772 dem Jesuitenorden bei. Als dieser Orden im Zuge der josephinischen Reformen aufgelöst wurde, tritt er im November 1773 dem Orden der Barnabiten bei, bei dem die wissenschaftlich-philosophische und musische Bildung in hohem Ansehen stand. Nach Abschluss seines Theologiestudiums und der Priesterweihe (27. August 1780) wirkte er, nicht zuletzt wegen seiner hervorragenden pädagogischen Fähigkeiten, im Orden als Lehrer für Logik, Metaphysik, Ethik, geistliche Beredsamkeit, Mathematik und Physik und seit September 1782 auch als Novizenmeister. 5 Die Barnabiten beeinträchtigen den jungen Reinhold übrigens nicht in der Auswahl seiner philosophischen Lektüre. Er liest auch Holbachs Système de la nature, das ihn zeitweise sogar zum Atheisten macht. 3 Johann Gottlieb Fichte, »Gebhard-Rezension«, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1793–1795, 28. 4 Vgl. Immanuel Hermann Fichte, Johann Gottlieb Fichte’s Leben und literarischer Briefwechsel, Bd. 2, Sulzbach 1831, 29. 5 Seine umfassenden philosophischen Kenntnisse werden in einem Zeugnis von 1783 hervorgehoben: Robert Keil, Wiener Freunde 1784–1808, Wien 1883, 4.
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Ernst-Otto Onnasch
Am 30. April 1783 tritt Reinhold der Wiener Freimaurerloge Zur wahren Eintracht bei, die dem Illuminatismus nahe stand. Mit diesem Schritt schließt sich Reinhold einer politichen Bewegung an, die die josephinischen Reformbestrebungen feurig befürwortet. Freilich war ihm die politische und bildungspolitische Agenda der Loge von Anfang an bekannt. Dieser Schritt war nur unter größter Geheimhaltung möglich, denn es war den Ordensbrüdern nicht ohne weiteres erlaubt, weltlichen Organisationen beizutreten. Zwar hatte er einige seiner Freunde im Orden ins Vertrauen genommen, was darauf hindeutet, dass dort ein gewisser Skeptizismus hinsichtlich der kirchlichen Institutionen bestand und offenbar auch hinsichtlich des Zwangs, den sie auf ihre Mitglieder ausübten. Die Loge Zur wahren Eintracht vertritt ein ausgesprochen aufklärerisches Bildungsprogramm. Reinhold fasst dieses in seinem Bewerbungsschreiben so zusammen, sie habe sich zum Ziel gesetzt, »den Menschen in sich selbst auszubilden, und alle seine Fähigkeiten, Leidenschaften, und Kräfte mit dem Zwecke der Menschheit in ein vollkommenes Einverständniß zu bringen«. 6 Hiermit verbindet er auch ein persönliches Anliegen, sofern er sich als Priester als ein »von der Kette der Menschheit abgerissenes Glied« 7 empfindet. Mithin verspricht er sich von seinem Schritt den Wiederanschluss an die Menschheit, insbesondere ihrer sinnlichen Existenz. Das zeigen seine Aufsätze und Rezensionen für die Wiener Realzeitung. In ihnen steht eine vehemente Ablehnung des Wunderglaubens auf dem Vordergrund, egal ob christlicher oder völkischer Provenienz, womit er zugleich ein Programm der Aufklärung verbindet, das er als »wichtigste Wohlthat« versteht, »die man der Menschheit erweisen kann«. 8 Aufklärung ist auch ein Kampf gegen das Mönch- und Pfaffentum, das der Menschheit nicht nur ihre Natur, sondern auch ihre Vernunft geraubt und dafür »Aberglaube und Unterdrückung« 9 an die Stelle Karl Leonard Reinhold, »Brief an Aloys Blumauer vom 16. April 1783«, in: Karl Leonard Reinhold, Korrespondenzausgabe, Bd. 1, hrsg. von Faustino Fabbianelli, Eberhard Heller, Kurt Hiller, Reinhard Lauth †, Ives Radrizzani und Wolfgang H. Schrader † unter Mitwirkung von Christian Kauferstein, Petra Lohmann und Claudius Strube, Stuttgart-Bad Cannstatt 1983 ff., 11. 7 Karl Leonard Reinhold, »Brief an Aloys Blumauer vom 16. April 1783«, 11. 8 Karl Leonard Reinhold, »Mönchthum und Maurerey: Eine Rede, Von Br. R**«, in: Journal für Freymaurer, 4. Quartalheft 1784, 167–88, 174. 9 Karl Leonard Reinhold, »Ueber die kabirischen Mysterien«, in: Journal für Freymaurer, 3. Quartalheft 1785, 5–48, 6 f. 6
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Reinhold über die Bildung eines neuen Menschen
gesetzt hat. Seine Kritik an den Institutionen der römischen Kirche geht für einen Priester tatsächlich sehr weit. So unterstellt er derselben, die Völker vorsätzlich mit Götzen und Wundervorstellungen um den wahren Gott betrogen zu haben. Solche Vorstellungen seien an die Stelle jenes Gottes getreten, der sich als Urheber der Natur ursprünglich und unmittelbar aus seinen Werken ankündigt. Die Furcht, die dieser Gott den Menschen auch einflößte, ist von der Kirche zu abergläubischen Vorstellungen instrumentalisiert worden, um die Menschheit einzuschüchtern und von ihr abhängig zu machen. Die Kirche und der von ihr abhängige Staat haben dem Menschen alles Natürliche genommen und zu Aberglauben, falschen Wahn und letztlich Sünde transformiert. Des Menschen sinnliche Seite wird zum Bösen schlechthin. Die Naturverbundenheit des Menschen spielt in Reinholds frühen Kritiken eine grundlegende Rolle, aber auch nach seiner kantianisierenden Wende bleibt sie fester Bestandteil seines philosophischen Denkens. Dass der Mensch auch ein Naturwesen ist und somit in Verbindung mit der sinnlichen Welt steht, kehrt Reinhold gegen die Kirche und den unaufgeklärten Staat und sucht darin ein positives Potential. Das findet er in der Entwicklung der Menschheit, in der es einen Zustand gegeben haben muss, in dem ihre Bedürfnisse noch unmittelbar durch die Natur legitimiert waren. Dieser ursprüngliche Zustand ist dann durch die Emanzipation der Vernunft jäh zerschlagen. Das führt die Menschheit auf eine neue Stufe, auf der nicht die Natur, sondern die Vernunft bzw. ein instrumentalisierter Vernunftgebrauch die Oberhand erhält. Der Mensch lebt nicht länger als Naturwesen im Einklang mit der Natur und ihrem Schöpfer, sondern ist auf sich selbst gestellt und auf seine eigenen Vermögen angewiesen. Auf dieser zweiten Stufe wird der ganzheitliche Mensch Schritt für Schritt quasi entsinnlicht und denaturalisiert. Dafür steigert sich der Vernunftgebrauch ins Maßlose, d. h. er wird instrumentalisiert. Machterhalt oder -gewinn führt schließlich dazu, dass gewisse Menschen die Vernunft für ihre privaten Zwecke einsetzen und so die Mehrheit der Menschen unterjochen. Es bilden sich gesellschaftliche Klassen, womit zugleich die ursprüngliche, d. h. naturgegebene Gleichheit unter den Menschen aufhört zu bestehen. Diese zweite Phase der Menschheitsentwicklung ist eine der Zerrüttung. Die für Zwecke instrumentalisierte und schließlich nur noch auf einen Selbstzweck reduzierte Vernunft unterdrückt die sinnliche Natur der Menschheit mit der Folge, dass ihre vernünftige und sinnliche Natur 221 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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in einen Widerspruch miteinander geraten, mit verheerenden Folgen für ihr natürliches Selbstgefühl. Nach Reinhold vertritt nun die Aufklärung ein Programm, das dieser Zerrüttung entgegenarbeitet und sie schließlich auch aufheben kann. Das Ziel der Aufklärung ist nämlich die Aufhebung der verlorenen »ursprünglichen brüderlichen Gleichheit« der Menschheit, wodurch sie in den Schoß der Natur zurückgeführt werde. 10 Allerdings muss diese Rückführung unter Leitung der Vernunft stattfinden, womit ein neues Verhältnis entsteht, in dem Vernunft und Natur einander nicht länger ausschließen. Reinhold entwickelt hiermit eine frühe Form der Dialektik der Aufklärung. Kraft der Aufklärung tritt eine dritte Phase der Menschheitsentwicklung ein, die einen Ausgleich von Sinnlichkeit und Vernunft anstrebt. Dieses dreistufige Modell der Menschheitsgeschichte ist illuminatistisches Gedankengut, das in der Loge Zur wahren Eintracht vorherrschte und Reinhold aus den illuminatistischen Gründerschriften Adam Weishaupts kennen musste. Reinhold verbindet dieses Modell allerdings mit seiner ganzheitlichen Auffassung vom Menschen, d. h. der Mensch ist ein Wesen sowohl sinnlicher als auch vernünftiger Natur, wobei keiner der beiden Naturen ein entscheidender Vorzug zukommt. In dieser Auffassung liegt auch das Motiv für Reinholds grundsätzliche Kritik an der katholischen Kirche beschlossen, sofern sie dem Menschen die Ausübung seiner sinnlichen Natur untersagt, z. B. durch Mönchsgelübde und Zölibat. Überhaupt ist die ganze neuzeitliche Auffassung, nach der die Seele von allem Körperlichen freigehalten werden müsse, die Folge einer falschen Mönchsmoral. 11 Durch diese Moral ist der erste durch Jesus Christus gestiftete Keim der Aufklärung erstickt. In seiner Wiener Zeit vertritt Reinhold noch die Ansicht, dass sich die Tugenden des Urchristentums durchaus mit denen der Aufklärung vereinigen lassen. 12 Später, insbesondere in Karl Leonard Reinhold, »Mönchthum und Maurerey«, 184. Bislang ist noch nicht bemerkt worden, dass dieses Zitat den theologischen Reden des Kirchenvaters Gregor von Nazianz stark ähnelt, bei dem die Pointierung freilich eine andere ist (bzw. mit dem Sündenfall zusammenhängt). Vgl. Gregorius Nazianzenus, Orationes theologicae, hrsg. von Josef Sieben (= Fontes Christiani 22), Freiburg i. Br. 1996, 44,4 und 45,12. 11 Vgl. z. B. Karl Leonard Reinholds Rezension in der Wiener Realzeitung, Nr. 7 vom 11. Februar 1783, 99 (Neudruck in: Karl Leonard Reinhold, Schriften zur Religionskritik und Aufklärung, hrsg. von Zwi Batscha, Bremen 1977, 322). 12 Vgl. Karl Leonard Reinholds Rezension in der Wiener Realzeitung, Nr. 21 vom 10
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Reinhold über die Bildung eines neuen Menschen
seinen Briefen, will Reinhold auch im Platonismus und Neuplatonismus die Ursache für die Entfremdung und Zerrüttung der Menschheit erkennen. Dazu unten mehr.
Dialektik der Vernunft Bemerkenswert ist nun der Gedanke, dass die Überführung der Menschheit in ihre dritte und letzte Entwicklungsstufe von genau jener Vernunft geleitet wird, die auf der zweiten Entwicklungsstufe Ursache für die fortschreitende Entfremdung war. Es stellt sich daher die Frage, warum die Vernunft für diese neue Aufgabe überhaupt eine leitende Rolle übernehmen könne. Denn tatsächlich ist es dafür notwendig, dass sich die Vernunft anders beginnt zu verstehen, d. h. einen Charakter bekommt, der die instrumentalisierte Vernunft der zweiten Entwicklungsstufe in ihre Schranken weist und sich über sie hinausschwingt. Reinhold muss somit schon sehr früh bewusst gewesen sein, dass die Vernunftauffassung der bisherigen Philosophie defizitär ist; er muss sich mithin überhaupt Gedanken gemacht haben über eine neue Vernunftauffassung. In den Briefen bringt er sie als praktische Vernunft auf den Begriff. 13 Dieser Begriff ist sicherlich durch Kant geprägt, zumal er in Reinholds vorkantischen Schriften nicht auftritt, obwohl, wenn dort von Vernunft die Rede ist, fast immer eine praktische Vernunft gemeint wird. Allerdings setzt er diesen Begriff auf eine sehr spezifische Weise ein, was ihm möglich war, weil er in der A-Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft einerseits nicht prominent auftritt (Kants Grundlegung hat Reinhold in diesem Zusammenhang nicht beachtet), anderseits vornehmlich mit dem »richtigen Gebrauch der reinen Vernunft« zusammenhängt. 14 Die Stoßrichtung der Briefe ist, das Entweder-Oder von Vernunft und Glauben aufzuheben und die praktische Vernunft als jene Instanz aufzusetzen, die rationale Gründe für Unsterblichkeit und Gottes20. Mai 1783 (Karl Leonard Reinhold, Schriften zur Religionskritik und Aufklärung, 322). 13 Erstmals im zweiten Brief, in: Der Teutsche Merkur, August 1786, 134 f. Über Reinholds Auffassung von praktischer Vernunft in den Briefen vgl. Karianne J. Marx, The Usefulness of the Kantian Philosophy. How Karl Leonard Reinhold’s Commitment to Enlightenment Influenced his Reception of Kant (= Reinholdiana 1), Berlin/ New York 2011, 167 ff. 14 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 797/B 825.
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existenz erbringen kann, indem nämlich die abstrakte Vernunft mit der sinnlichen Welt des Gefühls zusammengebracht wird, welches Anliegen bereits der vorkantische Reinhold verfolgte. Öfters ist bemerkt worden, dass Reinholds drei Menschheitsstadien dem späteren dialektischen Entwicklungsmodel Hegels ähnlich sei. Zu bemerken ist allerdings, dass bei Reinhold nicht die Geschichte, sondern die menschliche Natur vernünftig verfährt. So behauptet bereits der Wiener Reinhold ausdrücklich, die Selbstaufklärung der Vernunft sei der »Natur selbst« zuzuschreiben, die einige Menschen für »die höheren Grade von Aufklärung« empfänglich macht, 15 um die Zerrissenheit der Menschheit aufzulösen, bzw. den ganzheitlichen Menschen wiederherzustellen. Nach seinem letzten vorkantischen Aufsatz »Gedanken über Aufklärung« gehört es zur »physischen Anlage« des Menschen, »einst vernünftig zu werden«. 16 Allerdings ist nicht nur die Vernunftfähigkeit eines Volkes, sondern auch, es zur Vernunft zu bringen, durch die Natur veranlasst. Ein Volk aufklären, heißt nämlich, dass dieses der leidende und der Aufklärer der wirkende Teil der Menschheit ist. Gewirkt wird durch den Aufklärer die Zergliederung und Verdeutlichung solcher Begriffe, die das Volk leidend überhaupt vermag aufzunehmen. 17 Deshalb taugen auch nicht alle Begriffe zur Volksaufklärung, sondern nur solche, die aus der Ganzheit eines Volkes hervorgehen bzw. für sein Selbstverständnis immer schon unterstellt sind. Es geht dabei insbesondere um Begriffe, die die »Communications Brücke zwischen Wissenschaft und Unwissenheit ausmachen«. 18 Die Menschen sind mit solchen Begriffen unmittelbar bekannt, da sie die Verbindungsstücke zwischen seiner vernünftigen und sinnlichen Natur sind. Reinhold nennt sie auch Mittelbegriffe, die einerseits mit den »feinsten Notionen der Philosophen«, d. h. Aufklärern, »als mit den sinnlichsten Ideen des gemeinen
Karl Leonard Reinhold, Reinholds Rezension in der Wiener Realzeitung, Nr. 19 vom 6. Mai 1783 (Karl Leonard Reinhold, Schriften zur Religionskritik und Aufklärung, 290). 16 Karl Leonard Reinhold, »Gedanken über Aufklärung«, in: Der Teutsche Merkur, 3. Bd. vom Juli 1784, 3–22, Fortsetzung 122–133 und Beschluss ebd. im September, 232–245, 123. 17 Karl Leonard Reinhold, »Gedanken über Aufklärung«, 128: »Die Fähigkeit des Pöbels zu deutlichen Begriffen ist mehr leidend als wirkend; die des Philosophen mehr wirkend als leidend; der Philosoph lehrt; der Pöbel lernt; der Philosoph zergliedert den Begriff; der Pöbel fasset den zergliederten auf.« 18 Karl Leonard Reinhold, »Gedanken über Aufklärung«, 130. 15
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Reinhold über die Bildung eines neuen Menschen
Mannes zusammenhängen«. 19 Begriffe, die einerseits die Spekulation in höchste Höhen getrieben haben, anderseits aber immer noch zum festen Bestandteil der menschlichen Natur, d. h. des Herzens gehören. Als Beispiel für einen solchen Mittelbegriff erörtert Reinhold den Begriff der göttlichen Gerechtigkeit, die nichts als »weise ausgetheilte Güte« ist. Der Mönchsglauben hat diesen Gerechtigkeitsbegriff zu Gottes unerbittlicher Strenge umgebildet, womit ihm seine wesentliche Eigenschaft genommen wurde, Liebe zu sein. Kein Mensch kann nämlich lieben, wer unerbittliche Strenge übt. Wird dagegen die Gerechtigkeit mit dem Begriff des Vaters verbunden, entsteht eine ganz neue begriffliche Konstellation. Gott als Vater verstanden, macht einem jeden Menschen klar, dass dieser nicht ungerecht sein kann, sondern mit seinen Kindern stets das Beste vorhat. Hier wird das Verständnis von der Gerechtigkeit Gottes zu einem Begriff umgebildet, der als Vater tief in der sinnlichen Natur eines jeden Menschen verankert liegt. Nach Reinhold gibt es viele solcher Mittelbegriffe. Sie werden »in den bürgerlichen und häuslichen Verhältnissen« angetroffen, kennzeichnen aber auch, wodurch »alle Glieder des Staates aneinander hängen«, d. h. es geht um Begriffe, »über welche sich alle [Menschen, E.-O. O.] vereinigen, weil sie einander verstehen müssen«. 20 Obwohl Reinhold in seinem Aufsatz über Aufklärung diese Begriffe leider nicht näher erläutert, ist klar, dass es sich dabei um Begriffe der Bedingung für die Möglichkeit intermenschlichen Verkehrs und intermenschlicher Kommunikation handelt. Sie sind dem Volke unbewusst geläufig, müssen allerdings von den Philosophen analysiert werden, weil sie diesem sonst »ewig Geheimnisse bleiben«. 21 Es liegt also nicht an der »Dummheit« eines Volkes, sondern an den fehlenden oder nicht ausreichenden Anstrengungen der Volkserzieher oder Volksphilosophen, wenn »die Wahrheit aus der intellektuellen Welt nicht in die wirkliche« heruntersteigt und so zu einem bewussten Gut des Volkes wird bzw. sich in den Institutionen verwirklicht. Fast Hegelisch mutet nun Reinholds Gedanke an, dass die Wahrheiten nicht wie aus der Pistole geschossen dem Geiste der Aufklärer entspringen. Vielmehr muss er die historische Gunst der Stunde abwarten, denn für »jede Wahrheit liegt in der Zeitfolge ein Augenblick, welcher jedem, der sie haben kann und will, preis 19 20 21
Karl Leonard Reinhold, »Gedanken über Aufklärung«, 130. Karl Leonard Reinhold, »Gedanken über Aufklärung«, 131. Karl Leonard Reinhold, »Gedanken über Aufklärung«, 132.
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giebt […]. Diesen Augenblick aber schneller herbeizuführen ist vielleicht nicht weniger das Werk des Aufklärers als des Zufalls.« 22 Der Aufklärer hat zur Aufgabe, die historischen Ereignisse zu interpretieren und dem Volke in einer ihm verständlichen Begrifflichkeit nahezubringen. Das Volk dagegen ist mit einer passiven Vernunftfähigkeit ausgestattet, »weise zu werden, das heißt, um sich über die Gegenstände, die auf seine Glückseligkeit einen beträchtlichen Einfluß haben, eine verhältnißmäßige Menge deutlicher Begriffe zu erwerben« 23. Sofern aber diese Glückseligkeit mit der Natur des Volkes zusammenhängt, bleibt diese Natur immer ein Maßstab, an dem die aufgeklärte Begrifflichkeit gemessen wird. Eine Verbildung des Volkes ist somit letzten Endes durch die herrschende Klasse nicht möglich. Je weiter wir uns »von der Wahrheit entfernen, desto empfindlicher wird unser Elend« 24 und desto größer unser Bedürfnis, von diesem Elend befreit zu werden. Unsere sinnliche Natur wirft einen natürlichen und letztendlich auch unüberwindbaren Damm gegen den falschen Vernunftgebrauch auf. Die schlimmen Folgen, die die Einschränkung und Beschneidung unserer sinnlichen Natur durch die »Bonzen aller Nationen« zur Folge hatten, kehren sich letztendlich gegen die »Verfinsterung des menschlichen Verstandes« und zwingen »die Menschen mit Gewalt zum Nachdenken«. 25 Reinhold beschießt seinen Aufsatz mit den Worten: »Die Natur hat es zum Besten der Menschheit also veranstaltet, daß sich das Reich der Dummheit selbst zerstören, und der Verfinstere der menschlichen Vernunft endlich wider seinen Willen Beförderer der Ausklärung seyn muß.« 26
Reinholds Begegnung mit Kant Diese Worte von Ende 1784 bilden die geistige Ausgangssituation für Reinholds Beschäftigung mit Kant, die im Spätsommer 1785 anfängt, nachdem er die ausführliche Rezension der Prolegomena nebst Schulzes Erläuterungen in der Allgemeinen Literatur-Zeitung ge-
22 23 24 25 26
Karl Leonard Reinhold, »Gedanken über Aufklärung«, 223. Karl Leonard Reinhold, »Gedanken über Aufklärung«, 235. Karl Leonard Reinhold, »Gedanken über Aufklärung«, 241. Karl Leonard Reinhold, »Gedanken über Aufklärung«, 243. Karl Leonard Reinhold, »Gedanken über Aufklärung«, 245.
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lesen hatte. 27 Bereits ein Jahr später erscheinen die ersten beiden Briefe im Teutschen Merkur. Reinhold zeigt sich in den Briefen noch keineswegs als ein durchwachsener Kantianer, vielmehr verbrämt er seine eigenen philosophischen Einsichten mit einigen grundsätzlichen Einsichten der Kritik der reinen Vernunft, die sich übrigens fast ausnahmslos auf das bedeutendste Kant-Buch dieser Zeit von Johann Schultz zurückführen lassen. 28 Dass Reinhold die erste Kritik bis zum Erscheinen seiner Briefe im Herbst 1786, wie er später schreibt, viermal gelesen habe, darf man getrost ins Märchenreich befördern. 29 1790 werden die Briefe in stark erweiterter Form als Buch publiziert. 30 Der zwölfte und letzte Brief entwickelt noch einmal das frühere dreistufige Epochenmodel, nun allerdings orientiert an Kant. 31 Die drei Epochen beginnen bei der Vorherrschaft des Gefühls, wonach eine Epoche der Zerrissenheit einsetzt, in der die Vernunft die Herrschaft hat, um schließlich in die letzte Epoche überzugehen, in der Gefühl und Vernunft vereinigt sind (die Epochen orientieren sich an dem Schema Kind, Jüngling und Mann). Jetzt ist es jedoch die Kantische Philosophie, die in die letzte Epoche überleitet. Mithin ist mit ihr auch noch nicht der Zweck der philosophiegeschichtlichen Entwicklung erreicht, sondern erst der Vorhof. In dem neuen Epochenmodel ist es Reinhold darum zu tun, die moralischen Anlagen mit »den physischen Bedürfnissen der menschlichen Natur« in Übereinstimmung zu bringen. 32 Auch hier sind die physischen Bedürfnisse das Maß, woran die moralische Vernunft geDie Rezension stammt von Christian Gottfried Schütz (in: Allgemeine LiteraturZeitung vom 12. bis zum 30. Juli 1785, Nr. 162, Sp. 41–44; Nr. 164, Sp. 53–56; Nr. 178, Sp. 117–118; Nr. 179, Sp. 121–124 und 125–128; jetzt in: Albert Landau [Hrsg.], Rezensionen zur Kantischen Philosophie 1781–87, Bebra 1991, 147–182). 28 Johann Schultz, Erläuterungen über des Herrn Professor Kant Critik der reinen Vernunft, Königsberg 1784. 29 Vgl. meine »Einleitung« zu Karl Leonard Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, 2 Bde., Hamburg 2010 und 2012, Bd. 1, LVIV f. 30 Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, Leipzig 1790. Vorher waren bereits zwei Raubdrucke der Merkur-Ausgabe der Briefe erschienen. Diese Tatsache belegt den ungemein großen Einfluss, den die Briefe auf die damals beginnende Kant-Rezeption hatten. 31 Zentrale Teile dieses Briefes stammen aus dem 1786 erschienenen Aufsatz »Skizze einer Theogonie des blinden Glaubens« (in: Der Teutsche Merkur, Bd. 32, Juni 1786, 229–242). Dieser Aufsatz ist noch nicht von der Kant-Lektüre beeinflusst. 32 Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 332. 27
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messen wird. Diese Bedürfnisse sind auch Bestimmungsgrund der positiven Gesetze, wären sie das nämlich nicht, tritt, wie in der zweiten Epoche der Zerrissenheit, an deren Stelle die »Laune des willkürlich handelnden Gewalthabers« und werden die Gesetze zu Werkzeugen der Gewalthaber und die Bürger zu ihren Sklaven. 33 Allerdings wird das Primat dieser Bedürfnisse nicht als äußerer Wohlstand, sondern als Bedürfnisse des Herzens entwickelt. Die auf das neue Gesetz des Christentums zurückgehende Herzmetaphorik ist für die Briefe ein tragendes Motiv. Das Herz oder seine Liebe wird nämlich als jener Zwischenbegriff entfaltet, der Sinnlichkeit und Vernunft deshalb miteinander versöhnen kann, weil die moralische Gesinnung im Herzen ihren Ort hat. Die moralische Gesinnung steht am Anfang des Übergangs zur dritten Menschheitsepoche. Sie kommt mit dem Christentum in die Welt, wodurch die politische Kultur von einer moralischen abgelöst wird. 34 Obwohl die von Jesus Christus gestiftete moralische Kultur bald durch einen Priesterdespotismus erstickt worden ist, ist damit nicht ihr Grundgedanke vernichtet, der in der »Veredlung der Menschheit zum Zweck« besteht, wodurch dem einzelnen Menschen in diesem Leben »Zufriedenheit des Herzens, und Erwartung eines besseren zukünftigen, als den Lohn seiner uneigennützigen Rechtschaffenheit« zukommt. 35 Zufriedenheit und die Erwartung eines besseren Lebens hängen allerdings von der eigenen Anstrengung des Menschen ab, das heißt, sie werden nicht von irgendeiner höheren Kraft und schon gar nicht von einem Staat oder von einer Religion gespendet. Die christliche Religion setzt lediglich wichtige Bedingungen, unter denen die Veredelung der Menschheit überhaupt erst stattfinden kann, wie z. B. die radikale Trennung von Politik und Religion oder die Verbindung von Religion und Moralität. Gott ist nicht länger politischer Gesetzgeber, genauso wenig ist er Substanz, vielmehr ist er als der »einzige Vater der gesammten Menschheit« gar nicht von dieser Welt, sondern ihre »moralischgesinnte […] Ursache«. 36 Als dieser der Welt wohlgesonnene Vater wirkt er auf unseren Willen »durch […] mächtigen Einfluß aufs Herz«, das uns
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Vgl. Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 336. Vgl. Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 342. Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 342. Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 343.
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»unaufhörlich das Eine was Noth ist« vorhält, 37 wodurch der instrumentalisierte oder spekulative Vernunftgebrauch zwar nicht aufhört, wir uns allerdings nicht mehr darin verlieren werden. Das heißt, ist erst einmal die moralische Gesinnung in der Welt gestiftet, hat das Herz im Sittengesetz einen unmittelbaren Zugang zum Willen Gottes; das Herz vermag »Gott anzuschauen«, wodurch uns kraft unserer moralischen Gesinnung die »Gesinnung Gottes einleuchtender« gemacht wird. 38 Die Veredelung der Menschheit ist eine fortwährende Heranführung an diese Gesinnung, d. h. dass der Mensch ihrer »würdig werde« 39. Es ist bemerkenswert, dass Reinhold auch in der Buchausgabe der Briefe überhaupt nicht auf Kants deontologische Ethik mit ihrem kategorischen Imperativ eingeht, aber schon ein Jahr vor dem Erscheinen von Kants Theodizee-Aufsatz von 1791 die Entscheidung über das, was gut und was böse ist, auf die Gesinnung zurückführt. Mithin ist es auch nicht Kants ethischer Rigorismus, sondern die Frage nach dem Bösen und seiner Überwindung im Rahmen einer nicht-klassischen, bzw. einer »authentischen« Theodizee, was Reinhold in seinen neuen moralphilosophischen Überlegungen der 1790er Briefe treibt, wofür er jedoch noch nicht auf Kantische Schriften zurückgreifen konnte. Und liest man Reinholds Ausführungen über den Priesterdespotismus, der die moralische Kultur der urchristlichen Tugend letztendlich erstickt hat, so kann man diese Kritik durchaus im Lichte der Grundlagen der »doctrinalen« Theodizee lesen, die im Kantischen Theodizee-Aufsatz Hiobs Freunde gegen seine reine Gesinnung ins Spiel bringen. Mit der Idee hinter der doktrinalen Theodizee sind die Grundwahrheiten der moralischen Religion Jesu Christi bald nach ihrer Offenbarung verfälscht. Dass Reinhold die kritische Philosophie enthusiastisch als das neue »Evangelium« 40 und Kant als den neuen Jesus feiert, ist insofern also durchaus ernst gemeint, nicht etwa weil die kritische Philosophie das Christentum ablöste, sondern weil sie an seine Grundwahrheiten auf eine Weise wieder erinnert, dass sie nie wieder verlorengehen können. Dies ist der Gedanke, womit dann die dritte Menschheitsepoche definitiv eingeleitet wäre. 41 Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 344. Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 344. 39 Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 344. 40 Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 104. 41 Vgl. dazu auch den 5. Brief (Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 155), in dem im Zusammenhang mit der kritischen Philosophie die Rede 37 38
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Dass sich die urchristliche Tugend oder moralische Religion zunächst nicht hat durchsetzen und somit die dritte Menschheitsepoche nicht hat hervorbringen können, ist Reinhold zufolge die Schuld des damals wirkmächtigen Platonismus und Neuplatonismus bzw. ihrer Metaphysik und Hyperphysik. Die Verunstaltung der christlichen Religion durch die platonische Philosophie war im 18. Jh. tatsächlich ein zentrales Topos der protestantisch-lutherischen Theologie. Es hat aber allen Anschein, dass Reinhold es sich erst in seiner Weimarer Zeit zu eigen gemacht hat. Wie jene Strömung in der Theologie wirft auch Reinhold dem Platonismus Dualismus vor. Platon soll die Trennung von Körper und Seele eingeleitet haben, indem er den Körper – übrigens nach einer falschen Übersetzung von φρουρά in Platons Phaidon 62b – zum Kerker der Seele herabstuft. Diese Auffassung soll nun nach Reinhold von den frühen Christen übernommen worden sein, was die eigentliche Wahrheit der christlichen Religion bald verfinsterte. Reinholds Argument gegen den platonischen Körper-Seele-Dualismus ist, dass, wenn man im moralischen Sinne wirklich ernst damit machte, um Glückseligkeit zu bewerkstelligen, lediglich die totale Ausrottung der Menschheit diese Trennung aufheben könne. Doch konnte die Menschheit diesen Schritt nicht tun, die Sinnlichkeit oder der sinnliche Lebenswille bewahrte sie vor diesem Schritt, weshalb der Sinnlichkeit ein höchst vorzüglicher Wert zuzuschreiben ist. Auch die urchristliche Gnadenlehre ist vom Platonismus korrumpiert worden. Weil nämlich die Natur, wie es der durch platonische Denkmotive geleitete Priesterdespotismus möchte glauben lassen, durchaus böse ist, muss die Befriedigung unserer natürlichen Bedürfnisse mit Gnade verbunden werden. Die Gnade wird so zum Stopfmittel, nicht nur unsere sinnliche Natur, sondern alles Endliche zu ertragen und auszuhalten. Historisch wird der Priesterdespotismus erstmals durch die moderne Naturwissenschaft in Frage gestellt; nach Reinhold zeigt sie, dass die totale Inkompatibilität von Gott und Natur nicht gerechtfertigt werden kann. Was die Wissenschaften allerdings aus prinzipiellen Gründen nicht leisten können, ist die Überbrückung der Spannung zwischen sinnlich gewirkten Trieben und reinmoralisch vom »Wiederhersteller des Christenthums« ist; vgl. ferner Kurt Röttgers, Kritik und Praxis. Zur Geschichte des Kritikbegriffs von Kant bis Marx, Berlin/New York 1975, 83.
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gewirktem Willen; das vermag nach Reinhold nur eine Selbsterkenntnis der Vernunft zu leisten. 42 Diese Selbsterkenntnis besteht nun darin, dass der vorstellende Mensch nicht von seiner Sinnlichkeit bzw. von seiner sinnlichen Organisation absehen kann, ohne damit sein Menschsein zu verlieren. Es mag sein, dass es denkende Wesen ohne Körper gibt, einen solchen Menschen gibt es nicht. Eine im Menschen sich selbst erkennende Vernunft kann folglich keine bloß formale Vernunft sein, sondern ist die Vernunft eines körperlichen, mithin auch sinnlichen Wesens. Wäre das nämlich nicht der Fall, kann nicht die Rede von einer selbsterkennenden, sondern lediglich von einer selbstdenkenden Vernunft sein, die Reinhold ja als Platonismus entlarvt hat. Mit der Rede von einer selbsterkennenden Vernunft sind wir freilich wieder bei Kant. Nach Reinhold hat Kant in seiner Philosophie der Menschheit gezeigt, dass und wie die Vernunft sich selbst erkennen könne, womit die kritische Philosophie die platonische Trennung von Körper und Seele als eine falsche Philosophie überführt hat. Hiermit eröffnet sich freilich auch der Blick auf die vorgängige, d. h. vorplatonische Weltanschauung, in der Körper und Seele, Gefühl und Vernunft noch Hand in Hand gingen, was in jener Epoche allerdings eher gefühlt und geahnt werden konnte als erkannt. Zu einer solchen Erkenntnis bedarf es der Vermittlung durch die Vernunft, kraft der dieser vorgängige Menschheitszustand wiederhergestellt wird. Diese Wiederherstellung kann allerdings erst dann geschehen, wenn die Not am höchsten ist. Es geht hierbei um eine gefühlte Not, die entsteht, wenn sich sinnliche und vernünftige Natur des Menschen ganz voneinander losgelöst haben. Es ist also nicht so, dass sich die Vernunft am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen kann; sie kann den Widerspruch in unserer Lebenswelt erkennen, doch nicht tatkräftig dazu ansetzen, diesen Widerspruch zu überwinden. Die Vernunft vermag sich selbst zu erkennen, ein anderes allerdings ist es, das Handeln entsprechend zu motivieren oder anzutreiben. Hierfür ist es notwendig, dass das Denken von einem Gefühl begleitet wird, nämlich das der Not. Zu einer solchen Not kann es allerdings nur dann kommen, wenn es jemals einen Menschheitszustand gegeben hat, in dem sinnliche und vernünftige Natur noch nicht in einem wirklichen Widerspruch miteinander standen. Überhaupt macht eine Trennung von Sinnlichkeit und Vernunft nur dann einen Sinn, wenn es einen vor42
Vgl. Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 364 und 370.
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gängigen Zustand ihrer Einheit gegeben hat, denn was getrennt wird, muss ursprünglich ungetrennt und eins gewesen sein (dies ist ein Gedanke, der bei Reinhold öfters vorkommt). Daher auch die Berufung auf eine Menschheitsepoche, in der Mensch und Gott »vollkommen Eines Sinnes« waren und die »Befriedigung der unschuldigen Triebe« nichts als Erfüllung des Gesetzes. 43 Hier offenbarte Gott »seinen Willen durch die Stimme ihres [d. h. der Menschen, E.-O. O.] ungebildeten aber noch unverdorbenen Herzens«. Die Zerrüttung dieses ursprünglichen Menschheitszustandes kann folglich niemals total sein, er bleibt Bestandteil einer kollektiven Ahnung der Menschheit. Einfach wiederherstellen lässt sich jene vorgängige Menschheitsepoche allerdings nicht, wenn sie einmal aufgegeben ist. In der dritten Menschheitsepoche findet daher auch keine Rückkehr in die Idylle der ersten Epoche statt. Vielmehr wird die Zerrissenheit der zweiten Epoche in einer dritten überwunden, die Reinhold als die der »Selbsterkenntniß der Vernunft« 44 charakterisiert. Der Begriff der Erkenntnis ist hier offenbar kantisch zu verstehen, obwohl nicht in dem Sinne, dass er von Kant übernommen worden wäre. Denn nur an einigen vereinzelten Stellen ist bei Kant die Rede von einer Selbsterkenntnis der Vernunft, wobei es immer darum geht, ihren überschwänglichen Gebrauch einzudämmen. 45 Denn in dem Sinne, wie die kritische Philosophie den Erkenntnisbegriff entwickelt hat, kann von einer Erkenntnis der Vernunft durch die Vernunft keine Rede sein. Denn Erkenntnis setzt ja immer einen Bezug auf Sinnlichkeit voraus, welcher Bezug bei einer Selbsterkenntnis der Vernunft fehlt. Bei Reinhold bedeutet Selbsterkenntnis der Vernunft dagegen, dass Sinnlichkeit und Vernunft schlechthin aufeinander angewiesen sind und die Vernunft für uns ohne diese Angewiesenheit keinen Bestand hätte. Für die Verselbstständigung der Vernunft ist somit ihre vorgängige Einheit mit der Sinnlichkeit vorauszusetzen, die sich in der ersten Menschheitsepoche in der Einheit von sinnlichem Menschen und göttlichem oder reinem Willen, von Herz und Vernunft äußert. Nach dem Verlust dieser ursprünglichen Einheit durch einen falschen, weil Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 365. Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 370. 45 Vgl. z. B. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A366, A735/B763; Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, in: Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußische Akademie der Wissenschaften, Bd. 4, Berlin 1903, 317 und 328. 43 44
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bloß instrumentellen Vernunftgebrauch ist diese ursprüngliche Einheit freilich auch nur durch dieselbe instrumentelle Vernunft wiederherzustellen. Mithin gilt es, die Vernunft auf einen solchen Gebrauch zuzuschneiden, der nicht über die Sinnlichkeit hinausgeht. Diese Interpretation der Selbsterkenntnis ist freilich nicht inkompatibel mit der Kantischen Auffassung, dass die Selbsterkenntnis der Vernunft dem überschwänglichen Vernunftgebrauch einen Riegel vorschiebt. Der Preis allerdings, der für diese Selbstbeschneidung der Vernunft gezahlt werden muss, ist, dass der Zugang zu jedem übersinnlichen Vernunftinhalt abgeschnitten ist, was in der ersten Menschheitsepoche noch nicht der Fall war. Einheit von Sinnlichkeit und Vernunft gibt es in der dritten Menschheitsepoche nur auf der Erkenntnisebene. Ihre höhere Einheit wird dagegen als »reines Ideal der höchsten Vollkommenheit« wiederhergestellt, von dem das »Denken ausgeht, und zu dem ihn sein [d. h. des Menschen, E.-O. O.] Wollen zurück führt«. 46 Was also einst vereinigt vorlag und den Menschen konstituierte, wird für die Erkenntnis in der dritten Menschheitsepoche zu einem bloß regulativen Ideal. Diese Konsequenz wäre für Reinhold in der Tat unbefriedigend, wenn die Selbsterkenntnis der Vernunft nicht auch eine praktische Vernunft mobilisierte, die den aufgeklärten Menschen wirklich dazu anhält, in Übereinstimmung mit seiner Vernunft zu handeln. Die Rückführung in ein Wollen heißt, daß jenes reine Ideal »höchste leitendende Grundregel seiner [d. h. des Menschen, E.-O. O.] Vernunft« wird, »so wie die vornehmste Triebfeder seines Herzens«. So findet der sich neue aufgeklärte Mensch »durch Vernunft und Gefühl die Glückseligkeit veredelt und vervielfältigt wieder«. Kraft einer praktischen Vernunft wird die abstrakt gewordene und um ihre spekulative Gewissheit gebrachte Vernunft wieder mit der sinnlichen Welt des menschlichen Gefühls und Herzens verbunden.
46
Karl Leonard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie, 371.
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Die innerliche Verknüpfung von »objektiver Wissenschaft« und »subjektiver Bildung«. Wilhelm von Humboldts Universitätsidee – mit einem Ausblick auf seine Kritik an Fichtes Überlegungen zum Gelehrten und zur Universität Holger Zaborowski, Erfurt
1. Humboldt und die Frage nach dem Wesen der Universität Auseinandersetzungen mit der prinzipiellen Frage nach dem Wesen oder der Idee der Universität haben in der deutschen Universitätstradition eine zentrale Rolle gespielt. Die Beispiele hierfür sind zahlreich. Berühmt geworden sind Johann Gottlieb Fichtes Deduzierter Plan einer zu Berlin zu errichtenden Lehranstalt (1807), Friedrich Daniel Schleiermachers Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinne (1808), Heinrich Steffens Über die Idee der Universitäten (1809) und Wilhelm von Humboldts Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin (1809/10) als Gründungstexte der Berliner Humboldt-Universität. 1 Daneben stehen viele andere, teils breit rezipierte Texte von Immanuel Kants Streit der Fakultäten, 2 Fichtes populärphilosophischen Vorlesungen Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794), 3 Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erschei1 Vgl. für eine Zusammenstellung dieser Schriften Die Idee der deutschen Universität. Die 5 Grundschriften aus der Zeit ihrer Neubegründung durch klassischen Idealismus und romantischen Realismus, hrsg. von Ernst Anrich, Darmstadt 1956; die Texte von Fichte, Schleiermacher und Humboldt sind zusammen mit Humboldts »Antrag auf Errichtung der Universität Berlin« (1809) und der Quellenedition »Vorläufiges Reglement für die Universität zu Berlin bis nach Publication ihrer Statuen« (1810) unter http://edoc.hu-berlin.de/18452/18543 auch online zugänglich (Stand: 06. Dezember 2018; hrsg. vom Präsidenten der Humboldt-Universität zu Berlin, mit einer editorischen Notiz von Rüdiger vom Bruch, Druckfassung: Berlin 2010). 2 Immanuel Kant, Der Streit der Fakultäten, herausgegeben von Horst D. Brandt und Piero Giordanetti, Hamburg 2005. 3 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Werke 1794–1796, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans
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Die innerliche Verknüpfung von »objektiver Wissenschaft« und »subjektiver Bil-
nungen im Gebiete der Freiheit (1806) 4 und Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811) 5 sowie Friedrich Wilhelm Joseph Schellings Vorlesungen über die Methode des akademischen Studium (1802/3) 6 über zahlreiche Rektoratsreden und Jubiläumsansprachen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bis zu den Überlegungen zur Idee der Universität, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Martin Heidegger – hier ist nicht allein an seine berühmt-berüchtigte Rektoratsrede zu denken, sondern auch an frühere Vorlesungen 7 – oder Karl Jaspers der Öffentlichkeit vorgestellt haben. 8 Auch in den intensiven Diskussionen der 1950er und 1960er Jahre finden sich von Max Horkheimers Gegenwärtige Probleme der Universität 9 über Helmut Schelskys Einsamkeit und Freiheit. Zur sozialen Idee der deutschen Universität 10 bis hin zu Ralf Dahrendorfs Bildung ist Bürgerrecht. Plädoyer für eine aktive Bildungspolitik 11 noch zahlreiche Stellungnahmen, die angesichts notwendiger Reformen und einer
Jacob unter Mitwirkung von Richard Schottky (= Gesamtausgabe I, 3), Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, 23–68. 4 Vgl. den Text dieser Vorlesungen in diesem Band, 11–95. 5 Vgl. Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1810–1812, hrsg. von Reinhard Lauth, Erich Fuchs, Peter K. Schneider und Ives Radrizzani (= Gesamtausgabe II, 12), Stuttgart-Bad Canstatt 1999, 309–363. 6 Vgl. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Vorlesungen über die Methode (Lehrart) des akademischen Studiums, hrsg. von Walter E. Ehrhardt, Hamburg 1990. 7 Erwähnt seien hier die Vorlesung vom Sommersemester 1919 »Über das Wesen der Universität und des akademischen Studium« (jetzt in: Martin Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie [GA 56/57], hrsg. von Bernd Heimbüchel, Frankfurt am Main 1987, 205–214) und die Vorlesung vom Sommersemester 1929 »Einführung in das akademische Studium (jetzt in: Martin Heidegger, Der Deutsche Idealismus [Fichte, Schelling, Hegel] und die philosophische Problemlage der Gegenwart [GA 28], hrsg. von Claudius Strube, Frankfurt am Main 1989, 347–361). Vgl. für eine Interpretation der Rektoratsrede Holger Zaborowski, »Eine Frage von Irre und Schuld«. Martin Heidegger und der Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2010, 260–330. 8 Für die Beiträge von Karl Jaspers vgl. Karl Jaspers, Schriften zur Universitätsidee (= Gesamtausgabe, Abt. 1, Bd. 21), hrsg. von Oliver Immel, Basel 2016. Vgl. hierzu auch Kurt Salamun (Hrsg.), Philosophie, Erziehung, Universität. Zu Karl Jaspers’ Bildungs- und Erziehungsphilosophie, Frankfurt am Main 1995. 9 Vgl. Max Horkheimer, Gegenwärtige Probleme der Universität, Frankfurt am Main 1953. 10 Vgl. Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit. Zur sozialen Idee der deutschen Universität, Reinbek bei Hamburg 1963. 11 Vgl. Ralf Dahrendorf, Bildung ist Bürgerrecht. Plädoyer für eine aktive Bildungspolitik, Hamburg 1965.
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sehr lebhaften Debatte über das Bildungssystem normativ nach dem Wesen oder der Idee von Bildung und Universität fragen. Unter diesen Überlegungen zum Wesen der Universität spielt bis heute Humboldts »Ueber die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin« eine besondere Rolle. 12 Es geht bei aller gerechtfertigten Kritik und notwendigen Einordnung in den geschichtlichen Kontext des frühen 19. Jahrhunderts eine bleibende Begeisterung von seinen Ideen aus. »In den aktualisierenden Rückgriffen auf sie«, so der Erziehungswissenschaftler Clemens Menze, »mischen sich Utopisches, durch das die Sehnsucht nach der wahren Universität beflügelt wird, und Abfälliges, das mit sich entrüstender Überheblichkeit auf von Grund auf Verfehltes und obsolet Gewordenes hinweist.« 13 Rüdiger Bubner kommt aus philosophischer Perspektive zu einer ähnlichen Einschätzung: »Man sieht die Humboldtsche Universität ebensooft verloren, wie man sich an deren Erinnerung klammert. Man verheißt den hoffnungsvollen Aufbruch zu gänzlich neuen Ufern und kehrt dann hilfesuchend wieder zurück.« 14 Erst im April 2017 hat die Zeitschrift Universitas ein Sonderheft zum Thema »Humboldt & Co.« veröffentlicht, in dem Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin«, in: ders., Schriften zur Politik und zum Bildungswesen (= Werke in fünf Bänden, hrsg. von Andreas Flitner und Klaus Giel, Bd. IV), Darmstadt 62002, 255–266; auch in: Wilhelm von Humboldts Gesammelten Schriften, hrsg. von der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. X, hrsg. von Bruno Gebhardt, Berlin 1903, 250–260. Im Folgenden wird dieser Text nach Humboldts Werke in fünf Bänden zitiert. Vgl. für die Diskussion von Humboldts Verständnis von Bildung und dieses Textes in seinem Kontext u. a. Clemens Menze, Die Bildungsreform Wilhelm von Humboldts, Hannover 1975; Dietrich Benner, Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie. Eine problemgeschichtliche Studie zum Begründungszusammenhang neuzeitlicher Bildungsreform, Weinheim/München 1995; István M. Fehér, Schelling – Humboldt. Idealismus und Universität. Mit Ausblicken auf Heidegger und die Hermeneutik, Frankfurt am Main 2007; Heinz-Elmar Tenorth, »Wilhem von Humboldts (1767–1835) Universitätskonzept und die Reform in Berlin – eine Tradition jenseits des Mythos«, in: Zeitschrift für Germanistik 20 (2010), 15– 28; Rüdiger vom Bruch (Hrsg.), Die Berliner Universität im Kontext der deutschen Universitätslandschaft nach 1800, um 1860 und um 1910 (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, Bd. 76), München 2010. 13 Vgl. Clemens Menze, »Wilhelm von Humboldt und die deutsche Universität«, in: Erhard Wicke / Wolfgang Neuser / Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hrsg.), Menschheit und Individualität. Zur Bildungstheorie und Philosophie Wilhelm von Humboldts, Weinheim 1997, 111–129, 111. 14 Rüdiger Bubner, »Humboldts Universität – ein Ideal, das nicht sterben will«, in: ders., Zwischenrufe. Aus den bewegten Jahren, Frankfurt am Main 1993, 88–100, 88. 12
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Die innerliche Verknüpfung von »objektiver Wissenschaft« und »subjektiver Bil-
u. a. der Literaturwissenschaftler Peter J. Brenner die Frage stellte, ob Humboldt ein »Zeitgenosse des 21. Jahrhunderts« sei. 15 Christoph Markschies, evangelischer Theologe und von 2006 bis 2010 Präsident der Berliner Humboldt-Universität, hat seine gesammelten Reden und Aufsätze zu universität- und bildungstheoretischen Fragen unter den Titel Was von Humboldt noch zu lernen ist gestellt. 16 Gesine Schwan verkündet pathetisch: »Humboldt ist aktuell!« 17 Für Dieter Lenzen, den Präsidenten der Universität Hamburg, ist Humboldt eine »Art intellektueller Schutzengel […], der immer dann angerufen wird, wenn etwas bildungspolitisch im Argen liegt«. 18 Und auch ein Buchtitel wie Humboldts falsche Erben. Eine Bilanz der deutschen Hochschulreform verweist auf die anhaltende Bedeutung Humboldts und seines Erbes. 19
2. Der »Mythos« Humboldt und die »Erfindung« der Humboldtschen Universität Die Humboldtsche Universitätsidee ist heute, so scheint es, wohl bekannt. Auch wer diese Idee ablehnt, kennt zumeist ihre wesentlichen Elemente wie u. a. die Einheit von Lehre und Forschung, die Bedeutung von Einsamkeit und Freiheit der Wissenschaftler oder die zentrale Rolle der Bildung der Persönlichkeit. Dies geht nicht zuletzt darauf zurück, dass sich im 20. Jahrhundert ein »Mythos« Humboldt entwickelt hat. Die Historikerin Sylvia Paletschek hat in diesem Zusammenhang von der »Erfindung der Humboldtschen Universität« gesprochen. 20 Das Ausmaß dieser Konstruktion war lange nicht bewusst. Vgl. Peter J. Brenner, »Wilhelm von Humboldt – ein Zeitgenosse des 21. Jahrhunderts?«, in: Universitas 4/72 (2017), 4–28. 16 Vgl. Christoph Markschies, Was von Humboldt noch zu lernen ist, Berlin 2010. 17 Vgl. Gesine Schwan, Bildung: Ware oder öffentliches Gut?, Berlin 2011, 39–43. 18 Dieter Lenzen, Bildung statt Bologna!, Berlin 2014, 42. 19 Vgl. Christine Burtscheidt, Humboldts falsche Erben. Eine Bilanz der deutschen Hochschulreform, Frankfurt/New York 2010. 20 Sylvia Paletschek, »Die Erfindung der Humboldtschen Universität. Die Konstruktion der deutschen Universitätsidee in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts«, in: Historische Anthropologie 10 (2002), 183–205. Vgl. hierzu auch Dieter Langewiesche, »Die ›Humboldtsche Universität‹ als nationaler Mythos. Zum Selbstbild der deutschen Universitäten im Kaiserreich und in der Weimarer Republik«, in: Historische Zeitschrift 290 (2010), 53–91. Es gibt allerdings Ausnahmen von der Regel, die 15
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Dabei hätte bereits der bibliographische Befund dazu führen können, die verbreitete Beschwörung der Humboldtschen Universität mit gewissen Fragezeichen zu versehen. Denn Humboldts Aufsatz »Über die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin« wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts überhaupt vollständig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der erste Teil 21 wurde 1896 von Bruno Gebhardt im ersten Band seines Wilhelm von Humboldt als Staatsmann veröffentlicht. 22 Vollständig erschien der Text – anders übrigens als Paletschek annimmt, nach der die vollständige Erstveröffentlichung im Rahmen der Gesammelten Schriften Humboldts im Jahr 1903 erfolgt sei 23 – im zweiten Band von Adolf von Harnacks Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 24 Auch die Biographie Wilhelm von Humboldts hätte zu Anfragen an den Mythos Humboldt führen können. Die Universität zu Berlin – ab 1828 Friedrich-Wilhelm-Universität und ab 1949 Humboldt-Unidiese bestätigen. Wenn in zahlreichen Schriften von Karl Jaspers zur Reform der Universität der Name Humboldt überhaupt nicht auftaucht, so ist das ein Befund der zunächst erstaunen lässt. Er wird allerdings verständlich, wenn man in Betracht zieht, dass der »Mythos Humboldt«, wenn seine Wurzeln auch im Anfang des Jahrhunderts liegen, sich gerade auch in der zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts noch weiter entwickeln sollte. Auch Heidegger, der durchaus um die Bedeutung Humboldts für die Sprachphilosophie wusste und die deutsche philosophische Tradition sehr gut kannte, erwähnt in seinem umfangreichen Werk nach jetzigem Stand den Namen Humboldts nur an einer einzigen Stelle – und dort sehr kurz – mit Bezug auf dessen Beitrag zur Gründung der Berliner Universität (vgl. Martin Heidegger, Schelling. Vom Wesen der menschlichen Freiheit [1809] [GA 42], hrsg. von Ingrid Schüßler, Frankfurt am Main 1988, 2). In seinen eigenen Vorlesungen zum »akademischen Leben« taucht der Name Humboldts nicht auf. 21 D. h. Wilhelm von Humboldt, »Über die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin«, 255–261, Zeile 25; vgl. hierzu und zur folgenden Darstellung der frühen Editionsgeschichte die Kommentare und Anmerkungen zum Text in: Wilhelm von Humboldt, Kommentare und Anmerkungen zu Band I-V (= Werke in fünf Bänden, hrsg. von Andreas Flitner und Klaus Giel, Bd. V), 2., korrigierte und ergänzte Auflage, Darmstadt 2002, 556–557, 556. 22 Vgl. Bruno Gebhardt, Wilhelm von Humboldt als Staatsmann, Bd. 1: Bis zum Ausgang des Prager Kongresses, Stuttgart 1896, 118 ff. 23 Nach Paletschek sei der Text 1903 vollständig erschienen in dem in Fn. 12 genannten Band der Gesammelten Schriften; vgl. hierzu Sylvia Paletschek, »Die Erfindung der Humboldtschen Universität. Die Konstruktion der deutschen Universitätsidee in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts«, 187. 24 Vgl. Adolf von Harnack, Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 2 Bde., Bd. 2, Berlin 1900, 361 ff.
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versität zu Berlin – war 1809 gegründet worden. Im Oktober 1810 wurde der Lehrbetrieb aufgenommen. Humboldt war im Februar 1809 zum Geheimen Staatsrat und Direktor der »Sektion des Kultus und öffentlichen Unterrichts« ernannt worden und hatte in dieser Aufgabe die Gründung der Universität zu Berlin maßgeblich vorangetrieben. Allerdings hatte er bereits, weil er aufgrund der veränderten Stellung der Geheimen Staatsräte seine Einflussmöglichkeiten und seinen Handlungsspielraum schwinden sah, im April 1810 sein Rücktrittsgesuch eingereicht und war am 14. Juni desselben Jahres – also vor Aufnahme des Lehrbetriebes – aus dem Amt entlassen worden. 25 Auch wenn er sich bis zuletzt intensiv mit der neu gegründeten Universität beschäftigte, war er doch nur ein gutes Jahr im Amt. Einen bedeutenden Einfluss sollte nach seinem Rücktritt der Theologe Friedrich Schleiermacher ausüben, dessen Universitätsideen im Vergleich mit jenen Humboldts, der durchaus auch von Schleiermacher geprägt wurde, weit weniger innovativ waren und der Bildung des Menschen eine geringere Bedeutung zusprachen als etwa der Forschung und dem auf Anwendung bezogenen Wissen. 26 Wie aber wurde der Mythos der Humboldtschen Universität erfunden? Für die Zeit von 1900–1950 unterscheidet Paletschek vier Phasen der Entwicklung dieser »Erfindung«. In einer ersten Phase, die sie von 1900 bis 1910 ansetzt, sei unter preußisch-nationalistischen Vorzeichen die neuhumanistische und neoidealistische Universitätsidee inthronisiert worden. 27 In einer zweiten Phase sei, so Paletschek, diese neuhumanistische Idee in den 1920er Jahren konsolidiert worden – mit dem Zweck, die damalige gesellschaftliche und universitäre Krise zu überwinden. Diese Idee sei in der Zeit des Nationalsozialismus in einer dritten Phase »überwunden« worden, um schließlich in einer vierten Phase nach 1945 mit neuem Leben gefüllt zu werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe der Bezug auf Humboldt – vornehmlich in Gestalt eines Bezuges auf die Diskussion der 1920er Jahre – sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR dazu geVgl. für die näheren Zusammenhänge und Humboldts Tätigkeit als Direktor der »Sektion des Kultus und öffentlichen Unterrichts« Lothar Gall, Wilhelm von Humboldt. Ein Preuße von Welt, Berlin 2011, 138–225. 26 Vgl. hierzu Clemens Menze, »Wilhelm von Humboldt und die deutsche Universität«, 125 f. 27 Vgl. Sylvia Paletschek, »Die Erfindung der Humboldtschen Universität. Die Konstruktion der deutschen Universitätsidee in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts«, 186–191. 25
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dient, gegen das Bildungs- und Universitätsverständnis des Nationalsozialismus die auf die Person bezogene Bildungsaufgabe der Universität neu zu betonen. Insbesondere angesichts dieses historischen Befunds von Sylvia Paletschek sollte man vorsichtig sein und auch in der Gegenwart keiner erneuten Ideologisierung oder Mythologisierung einer bestimmten Idee das Wort reden. Worin also besteht – jenseits des »Mythos« – der »Logos« von Humboldts Ausführungen zur Universität?
3. Humboldts »Ueber die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin« Im Jahr 1809 oder 1810 verfasste Humboldt seinen programmatischen Aufsatz »Ueber die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin«. 28 Wer angesichts heutiger Werke zu vergleichbaren Fragen oder auch anderer zeitgenössischer Stellungnahmen ein umfangreiches und systematisch durcharbeitetes Werk erwartet, wird sich schnell getäuscht sehen. Es handelt sich um einen kurzen Text, der überdies ein Fragment geblieben ist. Überlegungen »Von der Akademie« werden noch angezeigt, dann aber nicht mehr ausgeführt. Viele Gedanken werden von Humboldt nur skizziert; stellenweise liest sich der Text wie eine Ansammlung von Aphorismen; manche Begründungen fehlen, andere wiederum fallen so kurz aus, dass man seinen Gedankengang nur nachvollziehen kann, wenn einem in Ansätzen die zeitgenössische philosophische Diskussion bewusst ist. Vieles verbleibt daher im Thetischen. Und doch zeigt dieser Text zugleich eine denkerische Kraft, die auch heute noch anzuregen vermag. Der Titel von Humboldts Abhandlung legt zwar einen praktisch orientierten Zugang zu seinem Thema nahe. Doch täuscht dieser Eindruck, insofern Humboldt die Frage der inneren und äußeren Organisation einer Universität nur auf der Grundlage von prinzipiellen Überlegungen über das Wesen der WissenDie genaue Datierung ist umstritten. Während Eduard Spranger das Datum spätestens auf Mai 1810 festlegt, ist Harnack der Ansicht, der Text sei erst nach dem Sommer 1810 geschrieben worden; vgl. hierzu Wilhelm von Humboldt, Kommentare und Anmerkungen zu Band I-V, 556 mit Verweis auf Eduard Spranger, Wilhelm von Humboldt und die Reform des Bildungswesens, Berlin 1910, 207, und Adolf von Harnack, Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 2 Bde., Bd. 1, Berlin 1900, 179, Anm. 1.
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schaft und die Natur des Menschen – wie skizzenhaft diese auch ausgefallen sein mögen – beantworten kann. Manche Ideen von Humboldt, so muss zunächst betont werden, sind nur aus dem Kontext der damaligen Zeit heraus zu verstehen und aus heutiger Perspektive von rein historischem Interesse. Es sollte nicht verwundern, dass Frauen in der Wissenschaft Humboldt fremd sind; er bezieht sich nur auf Männer. Auch kann man seine nationale Orientierung – die sich bis zu seiner These steigert, dass der »intellectuelle Nationalcharakter der Deutschen […] von selbst diese Tendenz« zur Wissenschaft habe 29 – aus guten Gründen heute nicht mehr teilen und muss sie in den zeitgeschichtlichen Kontext u. a. der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, der preußischen Niederlage gegen Frankreich in der Schlacht bei Jena und Auerstedt, der französischen Besetzung Preußens und der preußischen (Stein-Hardenbergschen) Reformen einordnen. Auch wenn Humboldt neben der Philosophie auch der Kunst eine besondere Bedeutung zuspricht, da sich in beiden das geistige Streben des Menschen »am meisten und abgesondertsten ausspricht«, 30 so lässt sich dies nur vor dem Hintergrund der romantischen und idealistischen Kunstphilosophie verstehen. Bei aller Hochschätzung von Philosophie und Kunst würde man heute andere Akzente setzen. Doch von diesen zeitgenössischen Momenten abgesehen, entwickelt Humboldt Gedanken, die sich nicht auf einige wenige – allseits bekannte – Schlagworte reduzieren lassen und weiterhin von Bedeutung sein können. Zu Beginn seiner Ausführungen erläutert Humboldt, dass sein »Hauptgesichtspunkt« die Wissenschaft bleibe. 31 Denn die »höheren wissenschaftlichen Anstalten«, so betont er gegen ihre Funktionalisierung, seien ihr gewidmet. Zum einen, so hebt Humboldt hervor, werde sie an den Universitäten und wissenschaftlichen Akademien bearbeitet, zum anderen werde sie als »Stoff der geistigen und sittlichen Bildung zu seiner Benutzung« hingegeben. 32 Dieses Präludium verweist somit bereits auf den zweiten Pol, den Humboldt neben der Wissenschaft in Betracht zieht: den geistig und sittlich zu bildenden Menschen. Es geht ihm nämlich bei der Bestimmung der »höheren 29 30 31 32
Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 258. Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 259. Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 255. Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 255.
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Anstalten« nicht bloß um die Wissenschaft, sondern immer auch um den Menschen, der Wissenschaft treibt und sich dadurch bildet. Humboldt kann von Wissenschaft nicht sprechen, ohne auch vom Menschen und seiner Bildung zu sprechen – und umgekehrt lässt sich seiner Ansicht nach der Mensch nicht verstehen, ohne dass auch die Wissenschaft Berücksichtigung findet. Folglich bestehe das Wesen der »höheren Anstalten« darin, »innerlich die objective Wissenschaft mit der subjectiven Bildung […] zu verknüpfen«. 33 Humboldts Überlegungen zeichnen sich deshalb nicht nur durch einen Fokus auf die Wissenschaft selbst, sondern durch das aus, was man eine anthropologische Grundorientierung nennen kann. Damit soll nicht einfach die manchmal überraschende realistische »Menschlichkeit« seiner Überlegungen bezeichnet werden, wenn er etwa die auf die konservative Eigenlogik menschlicher Institutionen zurückgehende Gefahr in Erinnerung ruft, dass der Freiheit der Wissenschaft nicht allein vom Staat, sondern auch von den »Anstalten selbst« Gefahr drohe, »die, wie sie beginnen, einen gewissen Geist annehmen und gern das Aufkommen eines anderen ersticken«. 34 Humboldt macht darüber hinaus eine Reihe von Voraussetzungen, die sich auf das Wesen des Menschen beziehen und die allererst verstehen lassen, warum es zur Gründung von »höheren Anstalten« kommen konnte – und auch musste – und wie diese beschaffen sein sollten. So unterscheidet Humboldt sehr sorgfältig vor dem Hintergrund der dem jungen Menschen jeweils möglichen Leistungen zwischen Schule und Universität und erhofft sich, dass dieser von der Schule entlassen nicht zum »Müssiggang oder zum praktischen Leben übergehen, sondern eine Sehnsucht in sich tragen wird, sich zur Wissenschaft zu erheben, die ihm bis dahin nur gleichsam von fern gezeigt war«. 35 Diese Sehnsucht ist dem Menschen nicht äußerlich oder aufgezwungen. Sie ist im Gegenteil das Ergebnis seiner ersten schulischen Bildungsphase, die den Menschen für die Wissenschaft derart frei sein lässt, dass alternative Möglichkeiten – wie eben ein müßiggängerisches Nichtstun oder die Hinwendung zum praktischen Leben – unattraktiv erscheinen. Wenn Humboldt daher ausdrücklich vom Staat fordert, er dürfe »seine Universitäten weder als Gymnasien 33 34 35
Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 255. Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 259. Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 261.
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noch als Spezialschulen behandeln« – zwei Tendenzen, mit denen sich Humboldt auseinandersetzen musste –, so ist dies für ihn keine willkürliche Setzung um eines abstrakten Ideals von Wissenschaft willen, sondern ergibt sich aus der Natur des Menschen, der sich nach Wissen um seiner selbst willen sehnt und daher auch bestimmter Anstalten bedarf, die vornehmlich der Wissenschaft selbst gewidmet sind. Diese innere Bewegung des Menschen zur Wissenschaft hin wird noch an einer anderen Stelle deutlich. Schon zu Beginn seiner Überlegungen hatte Humboldt die höheren wissenschaftlichen Anstalten, wenn man sie von »aller Form im Staate« befreie, als »nichts Anderes als das geistige Leben der Menschen, die äußere Musse oder inneres Streben zur Wissenschaft und Forschung hinführt«, bezeichnet. 36 Humboldt erläutert dies mit folgenden Worten näher: »Auch so würde einer für sich grübeln und sammeln, ein anderer sich mit Männern gleichen Alters verbinden, ein Dritter einen Kreis von Jüngern um sich versammeln.« 37 An den höheren wissenschaftlichen Anstalten sind also seitens des Staates natürliche Tendenzen des Menschen in eine Form gebracht: das Forschen des Einzelnen, die Gemeinschaft mit anderen Forschern und die Bildung jüngerer Menschen. Deutlich steht Humboldt hiermit in der platonischen und insbesondere aristotelischen Tradition, die das westliche Bildungsverständnis maßgeblich geprägt hat. Dass alle Menschen von Natur aus nach Wissen streben oder sich danach sehnen, ist die Überzeugung, die Aristoteles an den Anfang seiner Metaphysik gesetzt hat. Wissenschaft entfremdet die Menschen nach dieser Tradition nicht von sich selbst, sondern führt sie im Prozess der geistigen und sittlichen Bildung allererst zu ihrem wahren Selbst. Humboldts viel zitierter Individualismus liegt darin, dass er zunächst den einzelnen Menschen in den Blick nimmt. Denn wenn die Wissenschaft ein freier Vollzug des Menschen ist, muss zunächst jeder Mensch selbst – aus eigenem Ursprung heraus – Wissenschaft treiben. Aus diesem Grund sind »Einsamkeit und Freiheit die in ihrem Kreise vorwaltenden Principien«. 38 Doch sind diese Prinzipien für Humboldt innerlich auf ein – übrigens in der Diskussion von Humboldts Ideen oft übersehenes – »Zusammenwirken« von Menschen hingeordnet. Die Begründung, die Humboldt dafür nennt, zeigt 36 37 38
Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 256. Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 256. Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 255.
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wiederum den Realismus und die Menschlichkeit Humboldts. Denn der gemeinschaftliche Aspekt wissenschaftlicher Tätigkeit ergibt sich seiner Darlegung nach nicht allein daraus, dass ein einzelner Mensch nicht alles alleine leisten könne und daher der Ergänzung und Unterstützung durch andere Menschen bedürfe, sondern »damit die gelingenden Thätigkeit des Einen den Anderen begeistere und Allen die allgemeine, ursprüngliche, in den Einzelnen nur einzeln oder abgeleitet hervorstrahlende Kraft sichtbar werde«. 39 Wechselseitige Begeisterung ist also ein Grund für die Gemeinschaftlichkeit der Wissenschaft; ein anderer Grund liegt darin, dass für Humboldt ein einzelner Mensch immer nur in besonderer Weise Wissenschaft treiben kann. Das Allgemeine der Wissenschaft – ihre »Idee« – kann nur in der Gemeinschaft der Wissenschafter deutlich werden. Das bedeutet auch, dass nie ein einzelner Wissenschaftler den Anspruch erheben kann, »die« Wissenschaft selbst zu ergreifen oder zu verwirklichen. Doch worin besteht diese Idee? Auch Humboldts Wissenschaftsverständnis trägt zeitgenössische Züge – was nicht bedeutet, dass darin nichts bleibend Gültiges zum Ausdruck käme. Deutlich steht er in der Tradition der klassischen Antike, der u. a. von Immanuel Kant an ihn vermittelten Aufklärung, des Idealismus und der Romantik. Deutlich wird dies z. B. in seiner Erläuterung der wissenschaftlichen Methode. In diesem Zusammenhang spricht Humboldt von einem »dreifachen Streben« des Geistes: »einmal Alles aus einem ursprünglichen Princip abzuleiten […]; ferner Alles einem Ideal zuzubilden; endlich jenes Prinzip und dieses Ideal in Eine Idee zu verknüpfen.« 40 Humboldt verweist mit diesen Sätzen auf Grundvollzüge des menschlichen Geistes: Der Mensch kann, wenn er Wissenschaft betreibt, in begründender Absicht deduktiv aus allgemeinen Prinzipien konkrete Phänomene erklären; er kann ferner nach einem idealen Zweck fragen und drittens danach die Frage erörtern, worin letztlich die Welt der Prinzipien und der Ideale einen Einheitspunkt findet. Der Wissenschaft wird somit – in anderen Worten – die Aufgabe zugeschrieben, die Welt der Natur deduktiv zu erklären, die ideale Welt des moralischen Sollens zu erkunden und sodann das Einheitsmoment von Natur und Freiheit oder von Sein und Sollen aufzuzeigen. Damit steht Humboldt insbesondere in der Tradition des Deutschen Idealismus, die von Kants kritischer Philo39 40
Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 255. Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 258.
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sophie her kommend die Frage nach einem System bzw. nach der Einheit des Wissens und der Wirklichkeit – eben der Einheit von Freiheit und Natur oder von Subjekt und Objekt – in ihren Vordergrund stellte. Unverzichtbar bleibt Humboldt – angesichts der damals schon vorhandenen Möglichkeit einer Aufspaltung der Universität in miteinander nur noch äußerlich verbundene Teilbereiche oder Fakultäten – aus diesem Grund das Einheitsmoment der »Einen Idee«. Doch beschränkt sich Humboldt nicht auf die Rezeption eines idealistischen Wissenschaftsverständnisses. Dieses setzte ja voraus, dass es prinzipiell möglich sei, die zunächst offene Suche nach Wissen zu einem absoluten systematischen Abschluss zu bringen. Die Grundlage von Schellings Vorlesungen über die Methode (Lehrart) des akademischen Studiums war ein »absoluter Begriff der Wissenschaft«, 41 der nur von der Philosophie entwickelt werden konnte, da sie mehr als alle anderen Wissenschaften »geeignet« sei, »den Geist von den Beschränktheiten einer einseitigen Bildung zu befreien und in das Reich des Allgemeinen und Absoluten zu erheben«. 42 Fichtes Philosophie war im Kern von seinem Frühwerk bis zu seinen späten Berliner Vorlesungen Wissenschaftslehre als eine Philosophie des Absoluten oder Unbedingten. Und Hegel ist dafür berühmt, dass er in seinem eigenen Denken – dem sog. absoluten Idealismus – den systematischen Schlusspunkt der Geschichte der Philosophie und somit auch der Wissenschaft erblickte. Auch wenn Humboldts Wissenschaftsverständnis deutliche Anklänge an das idealistische Programm eines geschlossenen Systems des Wissens zu zeigen scheint, täuscht dieser Eindruck. Denn er dynamisiert das idealistische Wissenschaftsverständnis in radikaler Weise und bezeugt dadurch den Geist der Romantik, der es weniger um das Erreichen eines Zieles oder einen »absoluten Begriff« des Wissens oder der Wissenschaft, als um eine »unendliche Annäherung« ging. 43 Wissenschaft ist daher für Humboldt ein prinzipiell offenes Geschehen. So schreibt er, es komme darauf an, »das Princip zu erhalten, die Wissenschaft als etwas noch Vgl. hierzu insbesondere die erste Vorlesung »Über den absoluten Begriff der Wissenschaft« in: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Vorlesungen über die Methode (Lehrart) des akademischen Studiums, 5–16. 42 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Vorlesungen über die Methode (Lehrart) des akademischen Studiums, 6. 43 Vgl. für das romantische Ideal einer »unendlichen Annäherung« u. a. Manfred Frank, »Unendliche Annäherung«. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Frankfurt am Main 1997. 41
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nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes zu betrachten, und unablässig sie also solche zu suchen«. 44 Sobald man meint, die Wissenschaft gefunden zu haben, fällt man aus ihr heraus und wird unwissenschaftlich. Von Ferne kann man in diesen Gedanken schon den Geist der Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts erahnen. Denn auch diese – etwa die Theorie des Falsifikationismus Karl R. Poppers – sieht die Wissenschaft als einen unabschließbaren offenen Prozess des menschlichen Geistes. Für Humboldt kann die Wissenschaft sowohl an Akademien als auch an Universitäten beheimatet sein. Er spricht sich nicht gegen Akademien der Wissenschaften aus. Aber er formuliert eine klare Präferenz für das, was man später »Einheit von Lehre und Forschung« nennen sollte. Auch hier ist sein Argument erfahrungsbezogen. Der »Gang der Wissenschaft« sei, so Humboldt, »offenbar auf einer Universität, wo sie immerfort in einer grossen Menge und zwar kräftiger, rüstiger und jugendlicher Köpfe herumgewälzt wird, rascher und lebendiger«. 45 So wichtig für Humboldt die Einsamkeit des Wissenschaftlers ist, so sehr weiß er um die Bedeutung des Gespräches und der Vermittlung von Wissen für die Wissenschaft selbst. Lehre und Forschung sind für ihn daher nicht nur äußerlich miteinander verbunden, sondern stehen in einem inneren Wechselverhältnis. Sein Ideal ist der lehrende Forscher, der immer auch forschend lehrt. Humboldt ist zugleich Praktiker genug, dass sich ihm ausdrücklich auch die Frage nach der Finanzierung der »höheren Anstalten« und nach dem Verhältnis des Staats zur Wissenschaft stellt. Nicht zuletzt ergeben sich diese Überlegungen aus seiner konkreten Aufgabe. Er formuliert dabei zunächst zwei Prinzipien, die das Verhältnis des Staates zu den höheren wissenschaftlichen Anstalten regeln: Der Staat müsse erstens die wissenschaftliche »Thätigkeit immer in der regsten und stärksten Lebendigkeit […] erhalten« und, wie bereits erwähnt wurde, zweitens die klare Differenz zwischen den höheren wissenschaftlichen Anstalten und den allgemein-theoretischen und
Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 257; vgl. auch ebd., 256: »Es ist ferner eine Eigenthümlichkeit der höheren wissenschaftlichen Anstalten, dass sie die Wissenschaft immer als ein noch nicht ganz aufgelöstes Problem behandeln und daher immer im Forschen bleiben […].« 45 Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 262. 44
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den praktischen Schulen bewahren. 46 Aus diesen Prinzipien ergibt sich u. a. auch die Forderung, dass der Staat auch »äussere Formen und Mittel« für die wissenschaftlichen Einrichtungen zur Verfügung stellen müsse. 47 Humboldt achtet jedoch darauf, den staatlichen Einfluss auf das, was unbedingt notwendig ist, zu beschränken. Der Staat habe, so führt er aus, »nur zu sorgen, für Reichthum (Stärke und Mannigfaltigkeit) an geistiger Kraft durch die Wahl der zu versammelnden Männer und für Freiheit in ihrer Wirksamkeit«. 48 So kommt dem Staat neben der Institutionalisierung (»äußere Formen«) und Finanzierung (»Mittel«) auch die Aufgabe zu – anders als bei den wissenschaftlichen Akademien – die Mitglieder der Universitäten zu bestimmen, damit, so der Grund für diese Festlegung, auch die besten und innovativsten Wissenschaftler ausgewählt werden – und nicht jene, die den bereits etablierten »Geist« einer Einrichtung einfach fortsetzen. Humboldt ist sich der Tatsache bewusst, dass der Staat den »höheren Anstalten« nicht völlig interesselos gegenüber steht – und ihnen auch nicht gegenüberstehen kann oder darf. Prinzipiell sieht er auch kein Problem in diesen Interessen. Ihm geht es nicht darum, einen akademischen Elfenbeinturm einzurichten, der in keiner Beziehung zum Staat – oder auch zur Gesellschaft – steht oder stehen darf. Aber ihm ist bewusst, dass manche Zwecke dann am besten erreicht werden, wenn man sie nicht direkt, sondern in einer intentio obliqua anzielt. Gewisse Ziele, so weiß er, werden sogar verfehlt, wenn man sie direkt zu erreichen versucht. Daher dürfe der Staat, so Humboldt, von den Universitäten nichts fordern, was sich unmittelbar und geradezu auf ihn bezieht, sondern die innere Ueberzeugung hegen, dass, wenn sie ihre Endzweck erreichen, sie auch seine Zwecke und zwar von einem viel höheren Gesichtspunkt aus erfüllen, von einem, von dem sich viel mehr zusammenfassen lässt und ganz andere Kräfte und Hebel angebracht werden können, als er in Bewegung zu setzen vermag. 49
Hiermit formuliert Humboldt einen Primat der Wissenschaft und der geistigen und sittlichen Bildung vor der Ausbildung von Funktionsträgern und der Instrumentalisierung von Wissenschaft für außer46 47 48 49
Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 256. Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 257. Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 259. Wilhelm von Humboldt, »Ueber die innere und äussere Organisation«, 260.
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oder unwissenschaftliche Zwecke. Wenn die Universität jenes erreicht, was sie aufgrund ihres Wesens – d. h. aufgrund ihres doppelten Bezuges auf die Wissenschaft und die Bildung des Menschen – erreichen soll, so profitiert auch der Staat in bestmöglicher Weise davon. Auch hier zeigt sich Humboldt als ein kluger Vermittler, der vor Extrempositionen zurückweicht und in der ihm eigenen Mischung von Idealismus und Realismus, von Prinzipiellem und Erfahrungshaften die Aufgaben »höherer Anstalten« formuliert.
4. Humboldts Kritik an Fichtes Überlegungen zur Universität: »unausführbar und überflüssig« Auf einem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Wandgemälde in der Berliner Universität von Arthur Kampf sieht man, wie Fichte in überaus dramatischer Manier unter freiem Himmel die Reden an die deutsche Nation hält – u. a. in der Gegenwart von Wilhelm von Humboldt und Friedrich Schleiermacher. 50 Wilhelm G. Jacobs hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass »[h]istorisch wahr […] wenig an diesem Bild« sei. 51 So wohnten Humboldt und Schleichermacher dem Vortrag der Reden nicht bei. Aber neben der historischen Wahrheit gibt es auch eine künstlerische Wahrheit. So sehr dieses Wandbild einer bestimmten und durchaus nicht unproblematischen Interpretation der Philosophie Fichtes Ausdruck verleiht, so sehr verweist es auf die überragende Bedeutung, die Fichte auch von Humboldt und Schleiermacher zugesprochen wurde. Humboldt kannte Fichtes Werk und hatte Vorlesungen von ihm besucht. Gegenüber dem preussischen König hat er sich für die Berufung Fiches stark gemacht. In seinem Generalbericht an den König vom Mai 1810 schreibt Humboldt, er wage es, dem König »allerunterthänigst vorzuschlagen […] zum ordentlichen Professor der Philosophie den Professor Fichte mit einer Zulage von 1200 Thlrn.« zu berufen. Ausführlich begründet Humboldt diesen alleruntertänigsten Vorschlag: »Er hat jetzt«, so schreibt er dem König, nur 800 Thlr. und man mag auf sein durch Erfahrung erprobtes Talent die Köpfe seiner Zuhörer zu bilden, und sie mit Eifer für alles Wissenschaftliche 50 Vgl. für eine Abbildung dieses Bildes Wilhelm G. Jacobs, Johann Gottlieb Fichte. Eine Biographie, Berlin 2012, 6. 51 Wilhelm G. Jacobs, Johann Gottlieb Fichte. Eine Biographie, 7.
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zu erfüllen, auf seinen wohlbegründeten Ruf in seinem Fach, auf seinen streng moralischen Charakter, oder auf die Anhänglichkeit, mit der er, seit dem Anfange der unglücklichen Ereignisse, immer, und ohne E. K. M. je mit einer Bitte zu behelligen, ausgeharrt hat, sehen, so verdient er gewiss über die Nahrungssorgen hinweg gehoben zu werden, in welche ihn eine schwächliche Gesundheit und Mangel aller andern Hülfsquellen jetzt oft versetzten. 52
Humboldt stellt Fichtes Leistungen und seine Bedeutung in den Vordergrund und geht auf die Aspekte seiner Person und seines Denkens, die den König hinsichtlich seiner Berufung hätten skeptisch oder gar kritisch stimmen könne, nicht ein. 53 Dies entspricht auf der einen Seite dem werbenden Anliegen dieses Generalberichts an den König, lässt aber auch erkennen, wie sehr Humboldt Fichte schätzte. Allerdings stieß diese Hochschätzung in einer bestimmten Hinsicht auf Grenzen. Im April 1810 fanden im Haus von Humboldt Reden »über die Organisation der Berliner Universität« statt. Auch Fichte äußerte sich vor dem Horizont seiner Wissenschaftslehre und seiner populärphilosopischen Vorlesungen über den Gelehrten zu diesem Thema. Konkrete Grundlage von Fichtes Vortrag war die im April 1810 verfasste »Inhaltsanzeige« zu seinem »Deduzierten Plan einer zu Berlin zu errichtenden Lehranstalt«. 54 Allerdings war Humboldt von Fichtes Rede wenig beeindruckt und nannte, so überliefert es Immanuel Hermann Fichte, seine »Anträge […] unausführbar und überflüssig«. 55 Wer sich mit Fichtes Gedanken zum Gelehrten und zur Universität im Allgemeinen oder mit Bezug auf die Berliner »Lehranstalt« beschäftigt, wird sich ähnlich wie Humbold oft fragen, ob das, was Fichte vorschlägt, ausführbar oder überhaupt notwendig sei – ganz abgesehen von der Frage, was die Ausführungen Fichtes über die Universität und den Gelehrten für die universitäre Struktur und Organisation im Konkreten bedeuten.
Wilhelm von Humboldt, Schriften zur Politik und zum Bildungswesen, 293. Vgl. hierzu auch Lothar Gall, Wilhelm von Humboldt. Ein Preuße von Welt, 205. 54 Dabei handelt es sich um die 1810 verfasste »Inhaltsanzeige« zu Fichtes »Deduzierter Plan einer zu Berlin zu errichtenden Lehranstalt«, jetzt in: Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene Schriften 1807–1810, hrsg. von Reinhard Lauth, Hans Gliwitzky, Peter K. Schneider und Erich Fuchs unter Mitwirkung von Ives Radrizzani und AnnaMaria Schurr-Lorusso (= Gesamtausgabe II, 11), Stuttgart-Bad Canstatt 1998, 403 f.; vgl. 401 f. für das »Vorwort« mit näheren Erläuterungen zu diesem Text. 55 Vgl. hierzu Johann Gottlieb Fichte, »Vorwort«, 401; vgl. auch Manfred Kühn, Johann Gottlieb Fichte. Ein deutscher Philosoph, München 2012, 523. 52 53
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Zwar gibt es auch in den in diesem Band abgedruckten Vorlesungen Über das Wesen des Gelehrten, und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit immer wieder Stellen, in denen sich Fichte zu konkreten Fragen und Problem äußert – etwa zur akademischen Freiheit in der sechsten Vorlesung oder zum Müßiggang der Gelehrten (von der »Trunkenheit« und der »Wollust« schweigt Fichte lieber [vgl. 53]), aber Humboldts Eindruck, dass Fichte angesichts der damals sich stellenden Fragen wenig helfen konnte, es sei denn, alle Lehrenden und Studierenden wären zu Fichteanern geworden, lässt sich nicht von der Hand weisen. Dass Fichte mit seinen Überlegungen im Kreise seiner Kollegen auf sehr beschränkte Zustimmung stieß, war ihm selbst bewusst. In einer Bemerkung zu seiner »Inhaltsanzeige« bekennt er in aller Offenheit: »Im ganzen ist Mistrauen gegen mein System. Dem ist nicht abzuhelfen außer durch ein Einlassen auf das System selbst, das nicht zu verlangen ist.« 56 Resigniert schließt Fichte mit den Worten: »Es bleibt drum alles beim alten. Ich muß mir selbst helfen, u. alles auf meine Weise machen.« 57 Fichte denkt nämlich in seinen universitätsphilosophischen Überlegungen streng von der Wissenschaftslehre und damit von Voraussetzungen her, die nicht auf breite Zustimmung stießen. Die Logik des – und d. h.: seines – Systems bedingt seine Ausführungen über den Gelehrten und die Universität als einer »Kunstschule des wißenschaftlichen Verstandesgebrauchs«. 58 Während Fichte einen umfassenden Plan aus den Grundprinzipien seiner Philosophie deduziert, verfährt Humboldt induktiv und wählt einen Weg, der die systematische Reflexion mit konkreten und lebensnahen Antworten auf die praktische Situation verbindet. Bei ihm steht die Idee nicht am Anfang, sondern am Ende. Dem apriorischen, an der göttlichen Idee und dem Wesen oder der Bestimmung des Gelehrten orientierten Zugang Fichtes steht bei Humboldt ein aposteriorischer Zugang entgegen, der von Erfahrungen über den Menschen und die Wissenschaft ausgeht und sich in seinem Interesse an der »Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten« am Organischen und seiner freien Entwicklung oder Entfaltung orientiert. Humboldts Ratschlag gegen Fichtes »Anträge« war daher, so noch einmal das Zeugnis von Imma-
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Johann Gottlieb Fichte, »Inhaltsanzeige«, 404. Johann Gottlieb Fichte, »Inhaltsanzeige«, 404. Johann Gottlieb Fichte, »Inhaltsanzeige«, 403.
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Die innerliche Verknüpfung von »objektiver Wissenschaft« und »subjektiver Bil-
nuel Hermann Fichte: »[…] man beruft eben tüchtige Männer und läßt die neue Universität damit sich allmählich ›ancandiren‹.« 59 Im Vergleich zur Strenge des Fichteschen Idealismus zeigt sich Humboldts Denken als Versuch einer Vermittlung des Idealen mit dem Realen, insofern er in seinen – unter Umständen erst nach den Vorträgen in seinem Haus im April 1810 verfassten – Ausführungen »Ueber die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin« das Gespür für das Praktische mit der theoretischen Grundlegung, die revolutionäre Orientierung an langfristigen Zielen mit dem reformerischen Blick für das unmittelbar Anstehende und nicht zuletzt die Einsicht in das universitär Notwendige mit einer wachen Sensibilität für das konkrete Wesen des Menschen wie auch für das politisch Opportune verbindet. In Anlehnung an Grundprinzipien der Romantik – und auch in der Absetzung von Fichtes Gedanken zu Thema – weist er dem subjektiv zu bildenden Individuum (und nicht wie Fichte dem allein der Idee verpflichteten Gelehrten, dem seine »Person« verschwinden müsse [vgl. hierzu u. a. 71]), dem Dialogischen im Verhältnis der Lehrenden zu den Studierenden (und nicht wie Fichte der Ergriffenheit durch die Idee [vgl. 32 ff.]) und dem nie an ein Ziel kommenden und immer gemeinschaftlichen Streben nach Wahrheit (und nicht wie Fichte dem von einem einzelnen Gelehrten realisierbaren »Endzweck« der »gelehrten Bildung« [vgl. 68 für eine Beschreibung dieses Endzweckes: »sein Leben ist selbst das Leben der die Welt fortschaffenden und von Grund aus neu gestaltenden göttlichen Idee innerhalb der Welt«]) eine besondere Rolle zu. In gewisser Weise steht Humboldt somit zwischen Fichte und dem stärker pragmatisch, an den unmittelbaren Ausbildungsbedürfnissen und dem gewachsenen Charakter der Universitäten orientierten Schleiermacher, von dem Fichte nur zu gut wusste, dass er ihm »im Wege« stand. 60 Gerade in dieser Mittelposition ist Humboldts Denken – bei aller gerechtfertigten Kritik des »Humboldt-Mythos« – von bleibender Bedeutung.
Johann Gottlieb Fichte, »Vorwort«, 401. Vgl. zu dieser »Mittelposition« auch Lothar Gall, Wilhelm von Humboldt. Ein Preuße von Welt, 399. Für den Ansatz von Schleiermacher vgl. auch Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit. Zur sozialen Idee der deutschen Universität, 60–64; vgl. für Fichtes Wissen um Schleiermachers Gegenposition Johann Gottlieb Fichte, »Inhaltsanzeige«, 404. 59 60
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Die Todesangst als die Vermittlung zur absoluten Idee Paul Cobben, Tilburg, Niederlande
1. Einleitung Der Grundgedanke, den Fichte in seinem Über das Wesen des Gelehrten entfaltet, scheint einfach zu sein. Der wahre Gelehrte hat Erkenntnisse von der absoluten Idee, d. h. von der göttlichen Idee. Mit weniger ist Fichte nicht zufrieden: Jede Erkenntnis, die nicht absolut ist, ist des wahren Gelehrten unwürdig. Von Hegels Gesichtspunkt aus betrachtet, ist dieser Appell an die absolute Idee keineswegs bemerkenswert. Bemerkenswert ist jedoch, dass, mehr als bei Hegel, die vermittelnden Schritte, die zur Erreichung des absoluten Standpunktes nötig sind, fehlen. Fichte äußert sich abweisend über Philosophen, die ihre Position aus einer Kritik an anderen Philosophen entwickeln. 1 Der künftige Gelehrte ist erst Gelehrter, wenn er den Endzweck erreicht hat. Solange jedoch dieser Endzweck nicht erreicht ist, bleibt nur die Hoffnung übrig, dass es mal gelingen wird, ein Gelehrter zu werden. Mehr kann man nicht erwarten, wenn der letzte Schritt noch nicht tatsächlich vollzogen worden ist. 2 Bemerkenswert ist auch, dass der Gelehrte bei Fichte nicht nur ein Philosoph sein kann, sondern auch einer, der im praktischen Leben arbeitet (als Politiker, Richter) und deswegen Herrscher 3 ist. Auch der Herrscher handelt aus der Einsicht in die absolute Idee, insofern diese sich in der Domäne, in der er arbeitet, manifestiert. Auch im Fichte bemerkt: »Jene Geneigtheit, nur stets darauf zu merken, was andere denken, und an diese Gedanken, so Gott will, einen eigenen Versuch zum Denken anzuknüpfen, ist ein entschiedenes Zeichen der Unreife, und eines unselbständigen und abhängigen Talentes« (90). 2 »aber es giebt nur Ein entscheidendes Kriterium, daß Talent vorhanden gewesen sey, oder daß keines vorhanden gewesen sey; und dieses Eine entscheidende Kriterium ist erst nach dem vollendeten Erfolge anwendbar« (38). 3 Fichte spricht »vom Regenten« (72 ff.). 1
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Die Todesangst als die Vermittlung zur absoluten Idee
Falle des Herrschers stellt sich heraus, dass Vermittlung kaum möglich zu sein scheint. Sein »Recht-Haben« scheint sich nur in seinem Erfolg als Herrscher zu bestätigen. 4 Moderne Ausgangspunkte wie die Transparenz der Macht oder demokratische Kontrolle scheinen keine Bedeutung zu haben. Es lässt sich jedoch fragen, ob Einsicht und Wahrheit ohne Vermittlung und ohne Dialog zu erreichen sind. 5 Sind sie nicht nötig, um Korruption oder die Verführung durch persönliche Interesssen abzuwehren?
2. Vermittlung Jede Vermittlung und jede Fundierung der absoluten Idee scheint unmöglich. Wenn das Absolute aus dem Nicht-Absoluten abgeleitet werden könnte, wäre es nicht absolut. Jeder Versuch, das Unendliche aus dem Endlichen zu deduzieren, muss scheitern. Deshalb scheint Fichte Recht zu haben, wenn er behauptet, dass die Ausbildung des Gelehrten nicht von vermittelnden Schritten abhängig gemacht werden kann. Dennoch hat Hegel seine Phänomenologie des Geistes als eine Einleitung zum absoluten philosophischen Begriff geschrieben, als den Weg, den das natürliche Bewusstsein gehen muss, um den absoluten Standpunkt der philosophischen Idee zu erreichen. 6 Bedeutet das, dass Fichte Unrecht hat? Lässt das Absolute sich trotzdem vermitteln? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir
»Der Regent, der sein Geschäft als einen göttlichen Beruf erkennt, steht gegen alle diese Bedenklichkeiten, und gegen die Ueberraschung jeder unmännlichen Weichheit fest und unerschüttert. Ist der Krieg gerecht, so ist es Gottes Wille, daß Krieg seyn soll, und Gottes Wille an Ihn, daß er den Krieg beschließe« (76). 5 Zwar bemerkt auch Fichte: »Uns gelte daher von nun an für den ganzen Lauf dieser Vorlesungen nur derjenige für einen Gelehrten, der durch die gelehrte Bildung des Zeitalters hindurch zur Erkenntniß der Idee wirklich gekommen ist, oder wenigstens zu derselben zu kommen lebendig und kräftig strebt.« (16 f.). Es bleibt jedoch unklar, was »die gelehrte Bildung des Zeitalters« genau bedeutet und wie diese sich zur absoluten Idee verhält. 6 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Hauptwerke in sechs Bänden, Bd. 2: Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1999, 55. »Weil nun diese Darstellung nur das erscheinende Wissen zum Gegenstande hat, so erscheint sie selbst nicht die freye, in ihrer eigenthümlichen Gestalt sich bewegende Wissenschafft zu seyn, sondern sie kann von diesem Standpunkt aus, als der Weg des natürlichen Bewußtseyns, das zum wahren Wissen dringt, genommen werden.« 4
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Paul Cobben
zuallererst das Projekt der Phänomenologie des Geistes charakterisieren. 7 Ausgangspunkt der Phänomenologie des Geistes ist die Position der modernen Philosophie, d. h. der Philosophie, die die mittelalterliche Metaphysik verabschiedet hat und die sich der Endlichkeit des menschlichen Bewusstseins bewusst geworden ist. Das Subjekt verhält sich zur sinnlich gegebenen Natur. Das Subjekt ist endlich, weil die Natur, als das sinnlich Gegebene, das Andere des Subjekts ist. Solang das Anders-sein des Anderen nicht aufgehoben werden kann, bleibt das Subjekt vom Anderen abhängig und muss jeden Anspruch, Träger der absoluten Idee zu sein, fahren lassen. So lange Subjekt und Natur getrennt sind, bleibt die absolute Idee außer Sichtweite. Hegels These in der Vorrede der Phänomenologie, nämlich dass die Substanz als Subjekt gedacht werden müsse, 8 lässt sich als ein programmatischer Entwurf verstehen: In der als Subjekt gedachten Substanz ist die Trennung zwischen Subjekt und Natur aufgehoben, so dass ein absoluter Standpunkt möglich ist. Das Subjekt, das die Trennung von der Natur aufgehoben hat, ist der Geist, der sich im Anderen als eines Anderen bei sich weiß. 9 Der Geist hat das Andere absolut durchdrungen. Das Andere hat seine Fremdheit verloren, weil der Geist es absolut erkennt. Er erkennt das Andere in seiner eigenen Art und ist deshalb in seinem Erkennen bei sich. Der Geist identifiziert sich, weil er das Andere in seiner eigenen Art, d. h. als solches, identifiziert. Die Formulierung, die den Geist als ein Subjekt darstellt, das im Anderen als einem Anderen bei sich ist, lässt sich als Versuch verstehen, die Offenheit des menschlichen Geistes zu artikulieren. Der menschliche Geist steht dem, was ihm gegeben ist, absolut offen gegenüber; deshalb kann er das Gegebene in seiner Wahrheit erkennen. Diese absolute Offenheit ist auch in der Logik gemeint, 10 wenn Hegel Siehe Paul Cobben, The Nature of the Self, Berlin 2009, 14 ff. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, 18: »Es kömmt nach meiner Einsicht, welche sich durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subject aufzufassen und auszudrücken.« 9 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, 422: »also in seinem Andersseyn als solchem bey sich ist.« 10 Vgl. Petra Hollak (Hrsg.), Denken als Bestaan. Het denken van Jan Hollak, Budel 2010, 174. »Onzes inziens wordt in Hegels Logik, en daar voor het eerst, een poging gewaagd, op adequate en correcte wijze, de transcendentale openheid van onze eindige, menselijke geest als zodanig tot uitdrukking te brengen.« [»Unseres Erachtens 7 8
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Die Todesangst als die Vermittlung zur absoluten Idee
mit dem Satz anfängt: »Das reine Sein und das reine Nichts ist also dasselbe.« 11 Was »ist«, ist das Andere, deshalb ist es Negation, Bestimmtes. Aber das Andere ist das Andere eines offenen Geistes. Deshalb ist das Anders-Sein des Anderen unmittelbar aufgehoben. Das Andere ist reines Sein, Sein, das nur als Unbestimmtes bestimmt ist, d. h. als »reines Nichts«. Die Offenheit des menschlichen Geistes gilt jedoch nicht unmittelbar dem menschlichen Individuum. Das menschliche Individuum ist ein körperliches Individuum. Die Natur, zu der es sich verhält, ist zuallererst das Andere seines Körpers, d. h. die Natur, auf die es sinnlich und bedürftig bezogen ist. Für ein offenes Verhältnis zur Natur scheint es sich bilden zu müssen. Ist jedoch diese Bildung nicht gerade die Vermittlung zum absoluten Standpunkt, die vorher in Frage gestellt wurde? Die Bildung des natürlichen Bewusstseins bis zum absoluten Standpunkt hat, zumindestens anfänglich, nichts mit der Bildung eines menschlichen Individuums zu tun. Die erste Form des natürlichen Bewusstseins ist vielmehr das Resultat eines Gedankenexperiments. Hegel konstruiert ein Bewusstsein, das durch die Gewissheit charakterisiert ist, dass es sich unmittelbar offen zur Natur verhält. Dieses Bewusstsein ist sozusagen eine tabula rasa, die in ihrer Offenheit imstande ist, die Natur unmittelbar zu erkennen, wie sie in sich selbst ist. 12 Es kann natürlich genannt werden, weil ihre Gewissheit ihre Natur bestimmt: Es ist nicht imstande, über diese Natur zu reflektieren, weil es nur existiert, insofern es seine Natur voraussetzt. Deshalb ist das Bewusstsein als natürliches ein dogmatisches Bewusstsein. Über seine Gewissheit lässt sich nicht diskutieren. Man könnte sagen: Das natürliche Bewusstsein ist immer schon davon überzeugt, auf dem absoluten Standpunkt zu stehen, d. h. Gelehrter zu sein. Die Entwicklung des natürlichen Bewusstseins folgt daraus, diese Überzeugung in Frage zu stellen. Sein Standpunkt ist nicht absolut, wird in Hegels Logik zum ersten Mal der Versuch unternommen, auf adäquate und richtige Weise die transzendentale Offenheit unseres endlichen, menschlichen Geistes als solche zum Ausdruck zu bringen.«] 11 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Hauptwerke in sechs Bänden, Bd. 3: Wissenschaft der Logik I, Hamburg 1999, 69: »Das reine Seyn und das reine Nichts ist also dasselbe.« 12 Paul Cobben, The Paradigm of Recognition. Freedom as Overcoming the Fear of Death, Leiden 2012, 36 ff.
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weil es an implizit gebliebene Voraussetzungen gebunden ist. Die Bildung des natürlichen Bewusstseins ist die systematische Konstruktion neuer Formen des natürlichen Bewusstseins: Die impliziten Voraussetzungen werden Schritt für Schritt Teil der subjektiven Gewissheit dieser neuen Formen. Auf der Ebene des Bewusstseinskapitels bleibt es dem natürlichen Bewusstsein verborgen, dass es sich nur zur Natur verhalten kann, weil es auch körperlich ist. Diese Körperlichkeit scheint jedoch die radikale Offenheit zur Natur zu verhindern: Erkenntnis der Natur wird durch eine sinnliche Beziehung vermittelt. Was erkannt wird, ist also nicht die Natur in sich, sondern die Natur, die in Bezug auf die Sinne relativ bestimmt ist. Diese Kantische Schlussfolgerung wird von Hegel jedoch nicht gezogen. Das Resultat des Bewusstseinskapitels ist vielmehr, dass die Offenheit des Bewusstseins nur sich selbst betrifft. Was das Bewusstsein in sich identifizieren kann, ist nicht die Natur, sondern sich. Diese Selbstbeziehung des Bewussteins formuliert Hegel als das Ich=Ich; 13 es ist sozusagen die auf sich bezogene Offenheit. Einiges ist mit diesem Resultat gewonnen: Der absolute Standpunkt lässt sich nur als Selbstbestimmung, als Subjekt-Struktur, denken. Aber zugleich sind riesige neue Probleme entstanden. Das Ich=Ich ist leer und beinhaltet überhaupt keine inhaltliche Erkenntnis. Zudem bleibt für diese Form des natürlichen Bewusstseins verborgen, dass es neben seiner Körperlichkeit existiert und deshalb von ihr abhängig bleibt. Wiederum lässt der absolute Standpunkt sich nicht adäquat formulieren. Auf der Ebene des Selbstbewusstseinskapitels meint Hegel dieses Problem lösen zu können. Zentral dabei ist die Erfahrung der Todesangst, in der das als reines Selbst verstandene Ich=Ich lernt, dass das reine Selbst die reine Struktur des Lebens als solches zum Ausdruck bringt. Die Natur, zu welcher das Selbstbewusstsein sich verhält, lässt sich als ein Spiel der Kräfte verstehen. Nicht wie bei Kant als ein Spiel der Kräfte, das erst durch die Synthese-Handlung des transzendentalen Subjektes identifiziert werden kann, sondern als ein Spiel der Kräfte, das seine eigene Einheit hat, nämlich als die lebendige Gattung, zu der auch das Selbstbewusstsein gehört, nämlich insofern es körperlich Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, 101: »Ich unterscheide mich von mir selbst, und es ist darin unmittelbar für mich, daß diß unterschiedene nicht unterschieden ist.«
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ist. Das Spiel der Kräfte ist der Prozess, in dem die Gattung sich als Gattung reproduziert. Insofern das Selbstbewusstsein auch körperlich ist, ist es Teil des Gattungsprozesses. Insofern es Teil des Gattungsprozesses ist, steht es nicht auf dem absoluten Standpunkt: Es stirbt und geht deshalb als Selbstbewusstsein zugrunde; nur die Gattung lebt weiter. Aber gerade das Bewusstsein seiner Sterblichkeit macht, dass das Selbstbewusstsein sein reines Selbst mit seiner Körperlichkeit versöhnen kann. Das Spiel der Kräfte, wodurch der Lebensprozess charakterisiert ist, betrifft nicht nur die reproduktive Beziehung der Geschlechter einer Gattung, sondern auch die Reproduktion des Individuums. Der einzelne Organismus verhält sich zu seiner unorganischen Natur, d. h. zur Erde, mit deren Hilfe er seine Bedürfnisse befriedigt. Seine Bedürfnisbefriedigung lässt sich als ein Kräftespiel zwischen Organismus und Erde beschreiben. Am Ende wird der Organismus jedoch dieses Spiel verlieren: Er kann die Trennung zwischen sich und der unorganischen Natur nicht aufrechterhalten und stirbt. Deshalb erscheint die Erde am Ende als der Tod, der »absolute Herr«. 14 In der Erfahrung der Todesangst erfährt der Organismus sich, Hegel zufolge, als die in sich zurückgedrungene Kraft. Das Spiel wird abgebrochen, weil die andere Kraft, der Tod, als absolut erfahren wird. Als in sich zurückgedrungene Kraft wird der Organismus der Möglichkeit beraubt, sich noch länger positiv zu äußern. Er wird sozusagen von all seinen natürlichen Trieben getrennt. Was übrig bleibt ist das formale Bei-sich-Sein der in sich zurückgedrungenen Kraft. D. h. die Todesangst ist die praktische Erfahrung des reinen Selbst. Nur ein Organismus, der auch ein reines Selbst ist, ist imstande, seine Todesangst auf irgendeine Weise zu transzendieren. In der Todesangst kann er sich in seiner Körperlichkeit wiedererkennen. Sein reines Bei-sich-Sein erscheint in der Form der Andersheit, nämlich als formales körperliches Bei-sich-Sein. Deshalb kann der Organismus, der auch ein reines Selbst ist, sich in der Todesangst als der absolute Herr erfahren. In diesem Sinne bedeutet seine Erfahrung der Todesangst die Internalisierung des Todes: Der Tod, der absolute Herr, wird internalisiert und als das reine Selbst verstanden. In der Todesangst wird das reine Selbst mit der lebenden Natur versöhnt, weil es in seiner Körperlichkeit als solches bei sich ist. Die Wiedererkennung des reinen Selbst in der Körperlichkeit hat 14
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, 114.
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zuallererst noch keine begriffliche Form. Die äußere Instanz, die seine Todesangst verursacht, gilt als die Vorstellung seines eigenen HerrSeins: In der Anerkennung des Herrn erkennt das reine Selbst sich als das Wesen. Aber nicht nur der Ausdruck des Herrn hat keine begriffliche Form (er ist ja Vorstellung), sondern auch das Wissen, dass die Vorstellung des Herrn die Vorstellung des Wesens ist, hat noch keine begriffliche Form. Dieses »Wissen« wird nur praktisch zur Erscheinung gebracht im Dienen des Herrn. Der Organismus, der auch reines Selbst ist, bringt seine Anerkennung des Herrn praktisch zum Ausdruck, weil er ihm als Knecht dient. Im Dienen des Knechtes bekommt die Todesangst ihre objektive Gestalt. Der selbstbewusste Organismus, der die Todesangst erfahren hat, verwirklicht sein Gattungsleben in der Form des Dienens als Knecht. Das heißt, dass sein Gattungsleben sich von der natürlichen Reproduktion der Gattung unterscheidet, in der die Individuen der Reproduktion der Gattung dienen, weil sie instinktmäßigen Gesetzen gehorchen. Der Knecht dient dem Herrn, d. h. seinem eigenen Wesen. Die Reproduktion der Gattung hat eine kulturelle Form; der Knecht dient nicht einem natürlichen, sondern einem menschlichen Gesetz. Die Versöhnung zwischen dem reinen Selbst und der lebendigen Natur setzt deshalb voraus, dass das körperliche Selbstbewusstein eine »zweite Natur« geschaffen hat. Die fremde Selbstständigkeit der lebendigen Natur muss in die gesetzte Selbstständigkeit der zweiten Natur transformiert sein. In dieser zweiten Natur kann das reine Selbst seine Autonomie verwirklichen, weil diese zweite Natur gemäß seinem eigenen, menschlichen Gesetz strukturiert ist, nicht gemäß einem fremden, natürlichen Gesetz. Das Herr-Knecht-Verhältnis ist die Metapher, in der Hegel die notwendigen Bedingungen formuliert, unter denen das reine Selbst widerspruchslos mit der lebendigen Natur versöhnt werden kann, und die Möglichkeit des absoluten Standpunkts zum Ausdruck bringt. Anders als bei Fichte ist die Entwicklung dieses absoluten Standpunkts wesentlich durch eine Auseinandersetzung mit alternativen philosophischen Positionen vermittelt, wie z. B. mit dem Empirismus von Berkeley, Locke und Hume, dem Rationalismus von Descartes und Spinoza und vor allem mit der kritischen Philosophie Kants. Zwar wird der absolute Standpunkt nicht aus diesen Positionen deduziert, zumindest zeigt Hegel, dass der absolute Standpunkt immer schon vorausgesetzt werden muss, um die Widersprüchlichkeit dieser Positionen zu überwinden. Außerdem impliziert Hegels 258 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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Erörterung, dass ein konkretes, menschliches Individuum, d. h. ein körperliches Selbstbewusstsein, immer schon eine Bewegung vollzogen haben muss, in der es seine Endlichkeit, jedenfalls im Prinzip, transzendiert hat. Prinzipiell hat jedes Individuum, nicht nur das Talent, Zugang zur absoluten Position. Wir müssen noch untersuchen, ob dies auch faktisch bedeutet, dass Hegels Position weniger elitär ist als die Fichtesche, oder ob nur Talente die prinzipielle menschliche Möglichkeit aktualisieren können. Das wirkliche Selbstbewusstsein hat die Macht der Natur immer schon transzendiert und als Gott vorgestellt. 15 Die Form des Gottes ist von der Form abhängig, in der die absolute Macht sich manifestiert. Anfangs präsentiert die Macht sich als eine auswendige Natur und wird in einem Bild internalisiert, in dem die äußere Natur als absolutes Wesen vorgestellt wird. Aber am Ende kann das wirkliche Selbstbewusstsein das Verhältnis, in dem es bezogen ist, zum Selbstbewusstsein erheben und das reine Selbst als das Wesen der erscheinenden Wirklichkeit verstehen. Dies wird möglich, wenn die äußere Natur sich auch tatsächlich zu einer Welt entwickelt hat, die als Erscheinung des reinen Selbst erscheint. Damit scheint die aktuelle Erhebung zum absoluten Standpunkt, d. h. die Bildung des Gelehrten, von einem historischen Entwicklungsgang abhängig zu sein. Bedeutet dies vielleicht, dass bei Hegel jeder sich zum Gelehrten entwickeln kann, insofern auch die Welt sich genügend entwickelt hat? Zur Beantwortung dieser Frage ist es sinnvoll, die Entwicklung der Welt näher zu betrachten. Das erste Stadium der Gottesvorstellung erörtert Hegel als die Naturreligion, in der Gott mittels Naturgegenständen zur Vorstellung gebracht wird: mittels der Sonne, der Blumen, der Tiere und zuletzt der mumifizierten menschlichen Körper. 16 Diese Naturobjekte bringen einen immer höheren Grad des vorgestellten Selbst zum Ausdruck (das einem gesellschaftlichen Organismus entspricht, der ebenso einen immer höheren Grad des Selbst entwickelt hat). Wir wissen, dass das Selbst im eigentlichen Sinne ein Selbst ist, das die Todesangst durchgemacht hat. Die Ordnung der Vorstellung des Selbst gemäß einem niedrigeren oder höheren Grad lässt sich deshalb an dem Maße messen, in dem in dieser Vorstellung die Todesangst Der Mensch ist der »Knecht«, der sein absolutes Wesen als »Herr«, d. h. als Gott, vorstellt. 16 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, 369 ff. 15
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explizit zum Ausdruck gebracht wird. Das Lichtwesen (der als die Sonne vorgestellte Gott) ist ein Selbst ohne Leben (das Selbst als der Zyklus des Aufgangs und Untergangs der Sonne). Die Blumen sind schon lebendig, aber ihr Tod (ihre Negation) wird erst im Unterschied zu den anderen Blumen ausgedrückt. Die Tiere führen zwar einen Kampf auf Leben und Tod, aber haben ihre Todesangst nicht zum Selbstbewusstsein erhoben. Die Mumie ist der Herr der Gesellschaft, dessen Körper für die Ewigkeit konserviert wird. Deshalb ist die Mumie zum erstenmal eine Vorstellung des Herrn, in der explizit ausgedrückt wird, dass die Vorstellung des Herrn die Überwindung des Todes symbolisiert. Im Akt des Mumifizierens wird der sterbliche Leib unsterblich, der Mensch wird ein Gott. Dadurch drückt die Mumie aus, was auf der Ebene des gesellschaftlichen Organismus geschieht: Durch die Arbeit der Mitglieder des gesellschaftlichen Organismus bekommt die natürliche Reproduktion der Gattung eine institutionelle Form und ist in diesem Sinne unsterblich geworden. Die Überwindung des Todes, d. h. der absolute Standpunkt, scheint auf dieser Ebene nur in der Gesellschaft im Ganzen ausgedrückt zu werden: Die ganze Gesellschaft bemüht sich, ein einzelnes Individuum unsterblich zu machen. Was jedoch noch nicht zum Ausdruck kommt, ist die Einsicht, dass jedes Individuum den Tod überwunden haben muss, d. h. frei sein muss, um an einem gesellschaftlichen Organismus teilnehmen zu können. Im zweiten Stadium der Gottesvorstellung, in der Kunstreligion, 17 wird der Herr in einem Kunstwerk vorgestellt, nämlich als ein idealisierter Mensch, als Götterbild. Im Götterbild ist die Überwindung des Todes, die Freiheit, schon auf allgemeine Weise vorgestellt. Als Kunstwerk ist das Bild das Resultat freier Aktivität, und das Selbst des Bildes ist kein kontingentes, natürliches Individuum, sondern ein idealisierter, d. h. freier Mensch. Die allgemeine Freiheit des Selbst ist jedoch noch nicht adäquat ausgedrückt: Nicht die reine Freiheit selbst, sondern das Resultat der reinen Freiheit, das Kunstwerk, erscheint hier als die Vorstellung des Wesens. Diese Vorstellung bleibt an ihre kontingente Ausdrucksweise gebunden. (Sie ist die Freiheit einer traditionellen Lebenswelt.) In der reinen Freiheit der überwundenen Todesangst ist die vorgefundene Welt, sowohl die natürliche als die traditionelle, als solche aufgehoben. Die Vorstellung der reinen Freiheit lässt sich deshalb 17
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, 376 ff.
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nicht mit einer traditionellen Welt versöhnen; sie gehört vielmehr einer universellen, kosmopolitischen Welt. Nichtsdestoweniger ist die reine Freiheit in der Welt der Kunstreligion auf eine bestimmte Weise vorhanden: nicht als die Vorstellung der wirklichen Welt, sondern als die Vorstellung der Unterwelt, als das so genannte göttliche Gesetz. Das göttliche Gesetz gebietet, ewig an den Schatten der verstorbenen Familienmitglieder zu erinnern. Deshalb lässt sich der Schatten als die Vorstellung der reinen Freiheit verstehen: Der Schatten ist die Vorstellung des reinen Selbst, des Selbst, das die Todesangst erfahren und aufgehoben hat. Erst im dritten Stadium der Gottesvorstellung, dem Stadium der offenbaren Religion, 18 gelingt es, die reine Freiheit in die Vorstellung des Herrn aufzunehmen, wenn der Herr als ein Selbst vorgestellt wird, das sich in und durch das Handeln einer Glaubensgemeinde verwirklicht. Diese Form des Herrn lässt sich jedoch nicht mit der wirklichen Gemeinschaft versöhnen. Wenn die wirklichen Individuen »den Himmel auf die Erde« 19 bringen wollen und ihre reine Freiheit in der wirklichen Gemeinschaft zu realisieren versuchen, verwickeln sie sich in den Terror der Französischen Revolution. Der Gegensatz zwischen dem vorgestellten Selbst und dem wirklichen Selbst (zwischen Herr und Knecht) lässt sich nur auf der Ebene des absoluten Geistes aufheben. Auf dieser Ebene wird verstanden, dass der Herr das reine Selbst ist, das sich durch das Streben, sich im endlosen Prozess der Weltgeschichte zu verwirklichen, auszeichnet. 20 Vielleicht besteht der letzte Schritt darin, zu zeigen, dass Hegel Fichte beipflichtet. Denn die Einsicht in den absoluten Geist ist nur den Philosophen, also den Gelehrten, vorbehalten. Denn die gewöhnlichen Bürger stehen nicht auf dem Standpunkt der Weltgeschichte, sondern sind Mitglieder einer sittlichen Gemeinschaft. Sie versuchen, ihre Freiheit im Rahmen dieser sittlichen Gemeinschaft zu verwirkGeorg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, 400 ff. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, 316. 20 Hegel formuliert die Versöhnung zwischen dem Herrn-Moment und dem KnechtMoment anfangs wie folgt: »Das Wort der Versöhnung ist der daseyende Geist, der das reine Wissen seiner selbst als allgemeinen Wesens in seinem Gegentheile, in dem reinen Wissen seiner selbst als der absolut in sich seyenden Einzelnheit anschaut, – ein gegenseitiges Anerkennen, welches der absolute Geist ist« (Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, 361). Der Mensch (als Knecht) stellt sein absolutes Wesen (seinen Herrn, seinen Gott) anfangs als einzelnes Ding vor. Am Ende wird dieser Gott als der absolute Geist verstanden, der sich in und durch die Weltgeschichte verwirklicht. 18 19
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Paul Cobben
lichen. Insofern sie ihre wirkliche Freiheit von der reinen Freiheit unterscheiden, nehmen sie einen religiösen Standpunkt ein. Der religiöse Standpunkt ist jedoch nicht absolut, weil er von anderen Religionen unterschieden ist. Bei näherer Betrachtung gibt es hier jedoch Probleme. Sogar wenn angenommen wird, dass nicht jeder Philosoph werden kann und man abwarten muss, wer sich tatsächlich als Philosoph qualifiziert, stellt sich dann noch wiederum das Problem der Vermittlung. Wird eine wahre philosophische Position zum Beispiel nicht gewonnen durch Aufhebung nicht-philosophischer Positionen (wie z. B. Religionen)? Setzt die Bildung der adäquaten philosophischen Erkenntnisse keinen institutionalisierten philosophischen Diskurs voraus? Und wie könnte überhaupt ein Machthaber, der an einen partikularen Bereich gebunden ist und nicht in einen Wahrheitsdiskurs involviert ist, den absoluten Standpunkt erreichen? Wichtiger ist jedoch, dass Hegel sich widerspricht, wenn er meint, dass der gewöhnliche Bürger kein reflexives Verhältnis zu seiner sittlichen Welt einnehmen kann. Der moderne Bürger hat die Tradition der Familie überwunden und hat, auf der Ebene der bürgerlichen Gesellschaft, seine subjektive Freiheit entwickelt. Das heißt, dass er, genau wie im Stadium der offenbaren Religion, seine reine Freiheit explizit von der objektiven Welt getrennt hat. In den Grundlinien wird diese Trennung als der Prozess der theoretischen und praktischen Bildung erörtert. Gerade insofern der Arbeiter sich (sozusagen als »Knecht«) theoretisch und praktisch 21 dem Arbeitsprozess unterwirft, ist er imstande, die Arbeit zu transzendieren und seine reine, subjektive Freiheit zu bilden. In dieser Bildung ist die Aufhebung der Todesangst institutionalisiert. In der Systematik der Grundlinien beschränkt die Verwirklichung der subjektiven Freiheit sich jedoch auf die ökonomische Domäne: Konsumtion und die Teilnahme am Arbeitsprozess sind durch subjektive Freiheit vermittelt. Die ökonomische Tätigkeit setzt immer schon eine bestimmte Tradition voraus, nämlich die in den Gesetzen des Staates objektivierte Interpretation des guten Lebens. Es ist Hegel nicht gelungen, den Gegensatz zwischen der subjektiven Freiheit und der Tradition des Staates adäquat zu lösen. Zwar ist die Tradition des Staates eine dynamische Tradition, die durch die Entwicklungen in Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Hauptwerke in sechs Bänden, Bd. 5: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Hamburg 1999, § 197, 173.
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Die Todesangst als die Vermittlung zur absoluten Idee
der bürgerlichen Gesellschaft vermittelt worden ist, aber gerade weil Hegel die subjektive Freiheit auf die Ökonomie beschränkt, sind die Bürger des Staates nicht imstande, sich zur Tradition als solcher zu verhalten, d. h. der absolute Standpunkt ist ihnen verschlossen. Sie werden nur praktisch, mittels der Korporationen, in die Totalität des Staates integriert. Hätte Hegel der im Bildungsprozess erreichten subjektiven Freiheit ihre rechtmäßige Stellung gegeben, dann müsste er jeden Bürger als »Gelehrten« betrachten, d. h. als einen, der den absoluten Standpunkt einnehmen kann. Die Bürger könnten sich zur Tradition als solcher verhalten und wissen, dass die im Staat verwirklichte Tradition nur eine endliche Realisationsform ihrer reinen Freiheit ist. Dann lässt sich ihre Einfügung in den Staat nicht einseitig praktisch denken als eine Teilnahme an den Korporationen, sondern setzt einen politischen Dialog voraus, bei dem die Bürger wissen, dass die Verwirklichung der subjektiven Freiheit nur auf endliche Weise möglich ist und deshalb sich nicht ohne politische Kompromisse denken lässt.
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Fichte and Schelling Michael Vater, Milwaukee, WI, USA
Fichte had lectured on the vocation of the scholar—or more precisely, morality for scholars—in 1794 at the beginning of his career in Jena; he returns to the theme on the occasion of his call to a professorship in Erlangen in 1805 and subsequently publishes them under the title Über das Wesen des Gelehrten und seine Erscheingungen im Gebiete der Freiheit (1806). He warns in a brusque preface that these lectures are published for the convenience of students who have not had the chance to hear them, that they are not presented as literary works, and that he has nothing to say to a reading public with whom he is increasingly disinclined to engage (13). Schelling, nonetheless, seizes upon the published text as the breaking of a long, self-imposed silence on technical (wissenschaftlich) philosophy in a brief review that he uses as a preface to a longer review of this work and the subsequently published Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters and Die Anweisung zum seligen Leben oder auch die Religionslehre. Schelling’s essay, Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre: Eine Erläuterungschrift der ersten (1806), extends the somewhat subdued presentation of his own identity- and nature-philosophies made in Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (1802) into aggressively polemical territory. That both philosophers appeal to »Ideas« or »the Idea of the Absolute« to ground their ideas of the unity of human knowledge and/or the unity of morality indicates the common ground they shared from 1795 to the turn of the century. That Schelling speaks of the unity of knowledge in the multi-disciplinary array of faculties in the university while Fichte speaks of the morality of scholars in the context of the human enterprise (»to come to freedom with reason«) indicates the fundamental difference in their approach to systematizing human cognition as transcendental idealism. It would be difficult to reconstruct what the educated public made 264 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Fichte and Schelling
of all these essays, since it lacked the Ur-text: the Fichte-Schelling Briefwechsel, especially the exchanges of the years 1800–1802. Intimates such as G. W. F. Hegel and Friedrich Schleiermacher were able to figure out Schelling’s side of »the difference«. Fichte had not chosen to publish the texts of the presentations of the Wissenschaftslehre of 1801/02 or the three Berlin lecture series of 1804, so Schelling’s invention of a silence on Fichte’s part about absolute- or firstphilosophy had a certain plausibility—while it enabled Schelling to extend the public clarification of the views he advanced in the 1802 dialogue Bruno and the academic studies lectures about the unity of knowledge, the reach of absolute or objective idealism, and the methodology of the natural sciences. The core contentions of Fichte’s Wesen des Gelehrten lectures and Schelling’s review of them are plain, nonetheless: Fichte’s claim that Schelling prized a dead, mechanical nature over the life of spirit in his »idealism« is met by Schelling’s counter-claim that Fichte had ever and always opted for a narrow idealism of human subjectivity. The presence of these clashing claims in the two sets of lectures on scholars, their calling, and their habitat almost obscures a fundamental commonality: following upon Kant’s Streit der Fakultäten, each seeks to enshrine philosophy as the university’s fundamental discipline, disputing the historical claims of sovereignty advanced by the professional or politically supported domains of law, medicine, and theology, and seeking to block the growing ascendancy of historical and empirical-scientific disciplines. For the sake of simplicity, this essay will pursue a chronological path through four main items of discussion: (1) the difference between Fichte’s and Schelling’s philosophies as reflected in the Correspondence of 1800–1802, (2) Schelling’s remarks on the unity of knowledge and the difference between empirical science and Naturphilosophie in the academic studies lectures, (3) Fichte’s remarks on first-philosophy, nature and morality in the Wesen des Gelehrten lectures, especially the first two, (4) Schelling’s subsequent polemical response. The overarching problematic is not whether human cognition is a system or can be rendered systematic in a philosophical construction—there is substantial agreement on that issue, the one which post-modern thought finds so problematic—but whether the freedom of the moral point of view or the objectivity of nature indicated by established scientific domains will furnish the paradigm for such a construction. 265 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Michael Vater
I. Much of the Correspondence in the early months of 1800 is essentially political, concerned with plans to form a united front for the transcendental idealists and romantic writers living in Jena or Berlin. When Fichte receives Schelling’s System of Transcendental Idealism after the fall book-fair, he comments to its author that he is wrong to oppose consciousness and nature or to provide separate constructions of them within that work. Both writers had spoken of real and ideal activities and although they might contrast nature as real-ideal to consciousness itself as ideal-real, the two activities are united in the I. For transcendental philosophy, argues Fichte, nature can only be something found—finished, perfect, and intelligible to be sure, but shaped not according to its own laws but from the lawfulness borrowed from intelligence. Both nature and consciousness can be philosophically constructed only because philosophy performs a subtle abstraction—presumably from the I—and subsequently constructs transcendental or fictional accounts both of nature and individual consciousness. 1 Schelling cannot accept this account: nature is not just »found« intelligence, but intelligence that is productive and objective. While ordinary consciousness discovers intelligence in nature after the fact as something objective or merely found, transcendental (constructive) idealism finds it to be both productive and objective, a lesser derivative or potency of the transparently active productivity of consciousness. He goes on to sketch two ways transcendental idealism might receive systematic shape, each with the 1794/95 Grundlage der gesamten Wissenschaftlehre as its foundation: (a) philosophy as such, with physics and ethics, both in the broadest Greek sense, and both founded on the above-mentioned abstraction and fictional construction of its concrete domains, or (b) a simpler parallel construction of nature and consciousness, both mirroring an essentially active
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Briefwechsel 1800–1802, hrsg. von Thomas Kisser (= Historisch-kritische Ausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Reihe III: Briefe 2, Teilbd. 1), Stuttgart 2010, 276. English translation: Johann Gottlieb Fichte / Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Correspondence 1800–1802, in: The Philosophical Rupture between Fichte and Schelling: Selected Texts and Correspondence (1800–1802), edited & translated by Michael Vater & David W. Wood, Albany 2012, 42.
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Fichte and Schelling
intelligence, but the latter starting where the former begins. 2 Neither option is attractive to Fichte, for the former essentially concedes Kant’s charge that Wissenschaftslehre is mere logic, empty tautology, while the latter gestures to a domain of reality beyond the reach of activity or the I’s self-positing. Fichte drafts a reply that is slightly paranoid and significantly selfcritical: the subjective [or the domain of the individual I] is indeed a construct and it is imported into philosophy’s object through an act of the imagination. For all that, the I cannot be explained by that [nature] which it has itself explained or deduced. 3
The real reason for Schelling’s apparent lapse into realism and for the muddled Spinozism of the romantic writers is not that objectivity has not received an adequate account in Wissenschaftslehre, but that the original check or limitation of activity implicit in its triad of principles has been left unexplained. An account of the intelligible world is missing, and absent that the check is mere factical, or indeed something surd. Hints in that direction are contained in the third book of the Vocation of Man, but they are mere hints. 4 Fichte’s actual reply is more anodyne: while the principles of Schelling’s philosophy of nature do not follow from the published Wissenschaftslehre, an extension of its principles that locates some basis for intelligibility in nature might be found in an extension of its principles that seems to be demanded by the times. Such an extension would be a »transcendental system of the intelligible world«; it would explain individual consciousness on the basis of a reality or limitation found in a noumenal nature—and so get around Schelling’s difficulty of wanting to explain a phenomenal nature by a phenomenal consciousness and vice versa. 5 Fichte’s conciliatory gesture is not fruitful, for Schelling takes the single word »extension« to imply Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Briefwechsel 1800–1802, 279–281 / Johann Gottlieb Fichte / Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Correspondence 1800–1802, 44–46. 3 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Briefwechsel 1800–1802, 289–290 / Johann Gottlieb Fichte / Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Correspondence 1800–1802, 48. 4 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Briefwechsel 1800–1802, 289–290 / Johann Gottlieb Fichte / Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Correspondence 1800–1802, 48–49. 5 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Briefwechsel 1800–1802, 287–288 / Johann Gottlieb Fichte / Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Correspondence 1800–1802, 49. 2
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Michael Vater
that anything goes, and Fichte’s attempts to produce an account of the intelligible world seem to compromise the Kantian distinction of the transcendent and the transcendental. Indeed, the versions of Wissenschaftslehre penned in 1801/02, 1804, and the popular distillation of those works in the 1805 lectures on the scholar all prominently feature a divided ontology, a first-philosophy or ontology offered on its own merits—seemingly a transcendent metaphysics—and an appended phenomenology. Fichte in fact offers a short version of this two-layer or two-world theory in a letter penned in mid-summer 1801. It declares that philosophy must start from seeing, not from being, if it is transcendental or a matter of Evidenz, as one of Euclid’s postulates would be in geometry. It is not a matter of deploying a web of concepts, for concepts are placeholders or frozen intuitions. A complete philosophy would have to explain absolute consciousness as in one sense a sum of individual consciousnesses, or in another sense, as a ground for all individual consciousnesses. So Fichte calls the absolute or God at once the ideal ground of the identity of all consciousnesses and the real ground for their separation as individuals. While Wissenschaftslehre can explain the universal form of I-hood and its relationship to absolute consciousness (namely as the relation of the determinate to the determinable), its moves are conceptual, while individual consciousness seems to be beyond description or conceptualization—with both its self-presence (or seeing) and the limitation of its individuality that it factically is forever escaping philosophical account. If, as Fichte says, »being is—a seeing that is impenetrable to itself,« then this account embraces two impenetrables, that of God or the Absolute and that of individual consciousness in its limitation to individuality. One can say (metaphysically, after Leibniz) that Wissenschaftslehre presents the universal form of the spirit world and that every individual is a particular point of view upon this system from its own point of view, but the missing point of individuation is available only in and through life, not through philosophy or genetic explanation. 6 While much in the foregoing account is difficult or frankly unintelligible despite its author’s use of arithmetic formulae and the analogy of the geometer’s use of »self-evident« postulates, it is clear that Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Briefwechsel 1800–1802, 365–368 / Johann Gottlieb Fichte / Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Correspondence 1800–1802, 56–58.
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Fichte and Schelling
Fichte objected to Schelling’s Naturphilosophie because it began and ended with being, not seeing, that the activity imported into its account of the levels of dynamic process was imagined or fictive activity, and that life, if ever accessible to philosophy, was forever beyond the reach of this objective and objectifying philosophy. Fichte eschews the labels of subjectivity and objectivity that Schelling comes to prefer after 1801 not because they tilt the game in Schelling’s favor, but because they have nothing to do with transcendental philosophy as he understands it, which is the genesis of an immediate comprehension of I-hood from the inside out, hence the necessary condition of experience. »No consciousness without self-consciousness« is Fichte’s watchword. If a philosophy shifts the ground to what is experienced, as happens in the objective or absolute idealism of Schelling and Hegel, the warrant of the »transcendental« pedigree is lost and philosophy increasingly becomes talk about everything from no particular point of view.
II. Schelling uses the lectures on academic studies he delivered at Jena in the summer of 1802 to explain and defend the »real-idealism« of the 1801 Presentation of My System of Philosophy, to defend his Naturphilosophie and to advance the claim that philosophy is the fundamental and unifying discipline in the contemporary German university. While Presentation of My System of Philosophy was written under the constraints of a promise not to go public on their disagreements and while the 1802 dialogue Bruno made moves both polemical and conciliatory in antique disguise, both the exchange of letters between Fichte and Schelling and the underlying friendship they signified ended early in 1802. Schelling was free to speak his mind, admittedly to a gathering of freshmen assembled in the summer months. Schelling was in fact rather slow in seizing the ground of his new so-called identity-philosophy, since its initial presentations were heavily dependent upon historical models of earlier systems, the Presentation upon a rather literal reading of the first two books of Spinoza’s Ethics, the Bruno upon a Neo-platonically costumed Spinozism in which talk of ineffable substance and its effable modes of mind and matter is replaced by more elegant and spiritual sounding talk of 269 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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eternal ideas seamlessly embracing both the infinite and the finite. The first lecture of the academic studies series adopts this talk of ideas and the Idea of the Absolute, but it is careful to express this idea in the context of the broader concept of knowledge as such: the immediate identity of the ideal and the real. The geometer illustrates this general identity in the clearest possible manner, directly utilizing insight into the axioms and postulates that integrate the nature of points, lines, figures, and surfaces with three-dimensional space to organize the study of empirical lines, figures, and bodies. 7 If knowledge is one, it must be so because it exists as one idea in the Absolute, and because we as human knowers are congruent with this single but all-embracing idea. Lacking a productive relation to this archetypal unity, many of the neuter drones at work in the hive of learning produce but inorganic excretions, by which Schelling means the mass of professional skills and empirical aptitudes taught in the university which lack any orientation to the organic body of knowledge or the ability to reproduce themselves therein. 8 But premature professionalism is not the only impediment to the university’s realization of the totality of knowing; the call to action—heard everywhere in this revolutionary time, but especially in Fichte’s Wissenschaftslehre—is distorting and distracting. Knowing and acting are not hard and fast opposites in the Absolute, nor are empirical alternatives in life, for the Absolute exhibits a double movement: to image its being in its form and resolve its form (or display) back into essence; in just such a way cognition and action mirror and reinforce each other in life. 9 Schelling is clearly critical of the influence of Fichte’s moralism and social activism in the university, but there is no hint of the gloves-off polemic and personal attack that Fichte’s Über das Wesen des Gelehrten will provoke in 1806. The eleventh lecture on the natural sciences defends the idea and fruitfulness of Naturphilosophie as a discipline that is at once above 7 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, 14 Bd., Stuttgart 1856–61, Bd. 5, 215–216 (reproduced in: Schellings Werke, Bd. 3: Schriften zur Identitätsphilosophie, hrsg. von Manfred Schröter, München 1927); English translation: Friedrich Wilhelm Josef Schelling, On University Studies, ed. Norbert Guterman, tr. E. S. Morgan, Athens, OH 1966, 9–10. 8 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 5, 216–217 / Friedrich Wilhelm Josef Schelling, On University Studies, 10–11. 9 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 5, 217–221 / Friedrich Wilhelm Josef Schelling, On University Studies, 12–15.
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and alongside the disparate, particular sciences such as physics or chemistry. Any complete account of cognition as such must start with its function in the Absolute, whereby the productivity of God is manifested as particular worlds or »ideas,« each of them organic and individual at the same time, all of them related because they manifest the singular divine reality. Life, productivity, and internal relatedness are thus the characters of living cognition. Only because the law of the Absolute is to be self-cognizing or its own object are ideas produced that completely manifest the divine essence, and only by resolving empirically disparate things into their idea does a genuine cognition arise. 10 This process of manifestation of the universal in the particular and self-recognition in the resolution of particulars back into the universal is further continued in the mirror relationships that hold between ideas and empirical particulars. Ideas ensoul particulars and govern them either by inorganic forces such as gravity or magnetism, or by internal self-regulation such as is seen in homeostatic systems or organisms, or by the self-cognizant self-regulation which manifests itself as reason in the intelligent being. 11 If cognition is arrayed on a scale that runs from a knowing that makes the object extrinsic to the knower to a cognition that is internal, focused on itself and holistic, two distinct approaches to the study of nature open up: the empirical investigation of the particular which is the business of the particular scientific disciplines in their separations from each other and the philosophical approach which strives to reconfigure the particular in its origination from the ideas, and ultimately from the single Idea of the Absolute. The spirit of modern physics is embodied in the philosophical (or anti-philosophical) moves Descartes makes to separate mind and matter, and to study the inorganic world apart from the organic, adopting the hypothesis of mechanism that change or movement can only originate in a communication of energy from outside. 12 The final product of the dualism inherent in this approach is the image of matter as intrinsically lacking life—just dead extended stuff: imponderable, weightless, unlimited, the ideal subject in a kingdom of death. Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 5, 317 / Friedrich Wilhelm Josef Schelling, On University Studies, 115. 11 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 5, 318 / Friedrich Wilhelm Josef Schelling, On University Studies, 116. 12 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 5, 319–320 / Friedrich Wilhelm Josef Schelling, On University Studies, 117–118. 10
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Naturphilosophie offers a distinct approach to the study of nature. It is not opposed to empiricism as theory is opposed to experiment, for theorizing or hypothesis-formation and the testing of hypothesis by experiment are equally features of empiricism. Philosophy offers the path of construction or construction in intellectual intuition; it represents the presence of the real in the ideal, or of the particular in the idea. Particular forms replicate the universal movement of the imaging of the universal in the particular in the Absolute and the converse resolution of particulars back into the universal. Mind is reconciled to nature only when it can recognize itself therein, or view nature as a living totality that is self-animated and self-produced. The dead matter of modern physics is reconfigured as ideality or life itself in Naturphilosophie. 13 Fichte’s criticisms are not on stage in this discussion, but the contrast between a style of natural science that is grounded in the life of nature and not the dead stuff of mechanistic materialism will be central to Schelling’s 1806 refutation of Fichte’s attack upon Naturphilosophie in Über das Wesen des Gelehrten.
III. In the first lecture of his 1805 series on academic life and conduct, Fichte begins his discussion of morality for scholars by contrasting natural human existence in the sensible world with a life oriented toward a higher, hidden ground—a ground of appearances, simply called the »divine idea.« The scholar is defined by this idea—that is what makes him a scholar—and by unreserved dedication to or love of the idea. Of course the distinction between natural existence and its ideal ground is artificial; at any moment, the idea is mediated by the culture of the era, but however much it is present or obscured by that culture, the scholar is defined by his unreserved love for the idea (17). There is nothing technical or philosophical in the locution: »divine idea.« It simply designates an intellectual as opposed to a sensible field for human endeavor. But unlike other distinctions such as that of the learner as opposed to the accomplished scholar, love of the idea designates both the Was and the Wie of the scholarly calling.
Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 5, 320–325 / Friedrich Wilhelm Josef Schelling, On University Studies, 120–123.
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The second lecture is devoted to a closer definition of this still obscure idea of a ground of appearances. While Fichte excuses himself from the task of an exact or scientific derivation of the Idea’s traits here, he claims that a »feel for the truth« should be adequate to motivate the acceptance of several propositions: • Being is simply and thoroughly characterized by life and activity; there is nothing dead, inactive, or imperfect about it. • The sole living item is the life of God or of the Absolute; it is alive in itself, through itself, by itself. • The divine life is purely in itself, hidden away as it were, self-enclosed, without any alteration or change. • But the divine idea manifests itself, appears, presents itself—its presentation or concretion is the world. God presents godself as it can, while the divine idea remains pure and self-enclosed. • As much as the divine idea is simple, unitary and self-enclosed, its presentation (the entire life of humankind) is necessarily an infinite unfolding or temporal process. When the all-at-once of the idea is translated to the temporal order, life itself is to some extent negated, limited, put within constraints, or mixed with what is dead and lifeless. Forced within limits, life in time manifests itself as a striving to transcend limitation (23 f.). Fichte’s philosophical catechism is quite simple, unadorned by argument. Three contrasts converge: appearance versus reality, life versus death, activity versus constraint or limitation. Fichte proceeds to identify the constraints of the above discussion with the objective, material world or nature. Though nature has its ground in the divine life, its function is to be nothing other than a foil for the existence of another, »divine« life in human endeavor. Nature’s destiny is to be negated, to serve as means for human life. Fichte then turns to sermonizing: Do not be blinded or misled by a philosophy that appropriates the name nature-philosophy and thinks that it has surpassed all previous philosophy by making nature absolute and tries to divinize it. From time immemorial, all theoretical errors and all practical corruptions of human ideals have been grounded in the tendency to steal the names being and existence and apply them to that which neither is nor exists, and which sought life and the joy of life in that which intrinsically harbored death. (25 f.)
Several positive notes remain that need to be voiced, and Fichte exhibits them with great economy: 273 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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• The human being can generally understand from the assumptions articulated above that there is an origin of and a cause for the temporal flow in which she lives, but there is no way to undo it or overleap all limitation, since reality and appearance, or the divine life and its temporal presentation are forever two, not one. • If one could gather all the fragments and pieces of the temporal display of life and reassemble them, one might understand how there can be reality and appearance, or how the display in everlapsing time translates the divine being. But that is counter-intuitive: the human knower and agent is itself part of time. • Recourse to experience is necessary to understand the current state of being, or where one is. Consciousness is oriented toward experience, and experience is embedded in the flow of time. • So thoroughly is the human being immersed in time and circumstances that have taken shape in time that the only way the human has of orienting herself in life is through the moral law. The transcendence of limits and the reacquisition, as it were, of the original life is a moral, not a cognitive imperative. Educated reflection suffices to illuminate only what must be done with our freedom of action (26–28). The academy’s calling, then, is essentially moral; its leading disciplines, besides philosophy which alone can provide some theoretical illumination of the general truths that can be understood, will be jurisprudence and religion or natural hierarchy. When the arts and sciences are added, with their capacities to deal with details as well as the whole, the fundamental disciplines of the learned world will number five (31). Other than to note how brief, intuitive, and unargued the above presentation is, we postpone comment until we consider Schelling’s reaction. Most reviewers of the printed version of the lectures considered this philosophical section of the lectures alone; Fichte’s recommendations of qualities such as application, diligence, and integrity are the standard stuff of academic virtue-ethics.
IV. Schelling’s reception of Fichte’s lectures on the morality of scholars falls into two parts: a brief review that appeared in the Jena Allgemeine Literatur-Zeitung, and a longer, overtly polemical review of 274 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
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all the popular works of 1806, including the Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters and the Anweisung zum seligen Leben. Generally, Schelling takes the first two lectures of the Über das Wesen des Gelehrten as a clue to his discernment of the other works, finding their contents to be clear, unambiguous—and self-contradictory. The review takes the lectures to be Fichte’s »breaking of the multiyear silences he has maintained on his philosophical views,« takes note of the scornful comment addressed to the reading public in its preface, and wonders aloud why Fichte’s promised revisions of the Wissenschaftslehre have never appeared. 14 As far as his theoretical philosophy goes, Schelling isolates three of Fichte’s assertions: • All being is living and self-active; the Absolute or God is life itself; • The divine life is hidden in itself, self-enclosed and self-supporting. • It is all being and no other sort of being is outside it, but wonders what this can mean, since being is usually taken to mean the opposite of activity, or to entail the denial of possibility of activity. 15 Then comes the question of how any sort of particularized being can be added to the self-enclosed divine life: either, as Jacobi paraphrased Spinoza, there can be no stepping-outside the Absolute or there will be some sort of emanation of an inferior sort of being, as the Neoplatonists envisioned. Fichte seems to think that it is selfevident or at least non-problematic that there is some sort of stepping-outside or emanation, but Schelling doubts that Fichte was doing more than mouthing words at this point, since on his own assumptions, a »Heraustreten des Absoluten aus sich selbst« is unthinkable. Is it essential that God manifest godself externally, or not essential? If essential, then the Absolute is conditioned, that is, subject to a law that it must produce this external display. The very idea that besides an absolute and unconditioned God there is necessarily a conditioned external display entails uncountable difficulties. 16 There 14 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 4–5 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, ed. and tr. by Dale Snow, Albany: SUNY Press, 2018, 2. 15 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 6 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 3–4. 16 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 7 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 4–5.
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are difficulties too in Fichte’s stipulation that the Absolute’s Darstellung must take the form of a display that unfolds in endlessly lapsing time: is not the heart of the phenomenology that transcendental idealism teaches the view that time is but a subjective form of presentation, an ens imaginarium? 17 Schelling turns from Fichte’s account of what is to his account of what is not: nature. Since humankind pertains not to nature, but to God in some undefined sense, a negative factor must be introduced to account for it; this is the restriction or limitation that squeezes the fullness of being, as it were, into an elongated or progressive form, time. Since Fichte lacks any idea of a positive connection between being and becoming other than purposiveness and the moral command, the negative idea of restriction (Hemmung) is made to do the work. But a negative account can do no positive work: to say that there must be a restriction so that an endless development can occur is like saying that worms lack eyes so that they can be blind. 18 Fichte pronounces nature dead, ignoring the implication that if nature involves the limitation of divine reality, it must have some element of reality to it. Nature means objective reality, but how can a limitation, a subjective entity, produce something objective? Furthermore, if nature is something dead and a product of a purely negative factor, how are Fichte’s initial assumptions about God, life and reality anything other than transcendent pronouncements, not merely assumptions made in the service of transcendental explanation? Whatever else it can or cannot do, a philosophy that is supposed to explain the possibility of experience cannot start out by denying the validity of experience. 19 Schelling then turns to Fichte’s ethical ideas, starting with »Fichte’s atheistic view of nature.« Since nature is but a restriction on human activity and an obstacle to the manifestation of divine life, the best that can be done with it is to instrumentalize it—turn forests Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 8 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 5. 18 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 9–10 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 6–7. 19 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 13–15 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 9–11. 17
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Fichte and Schelling
into stools and other furniture, employ reason to transform nature’s flora and fauna into human conveniences, and behave as if there is no meaning in green woods rustling in the wind other than to serve as fuel to warm »rational« beings. 20 The artificiality of this purely economical view of nature is matched by the etiolated nature of the morality of duty that Fichte advocates. What sort of people need to have a list of duties endlessly prescribed to it, especially when no guidance is given about how to resolve apparent conflicts of duty? And what kind of morality is produced by the dry prescriptive mode—anything more than the inept conformity to »rules of style« that an author with nothing to say, or with no acquaintance with truth or beauty, can produce? Why not trust, instead, the life of a people, their sentiments, their ways of life, their common conscience? 21 Schelling expands upon most of these criticisms at length, oftentimes with intemperate zeal, in the lengthy second part of his review of Fichte’s trilogy—an inverted Divine Comedy in which the lectures on the present age lead the reader through hell, to the purgatory of the scholarly life, and finally to the ersatz paradise of the »blessed life« essay. 22 We must forego a lengthy treatment and merely state that most of the discussion is an elaboration, or a polemical amplification, of points succinctly made in the Allgemeine Literatur-Zeitung review. Two items are new to Schelling’s critique, however, and deserve some attention: a short list of Fichte’s errors that Schelling uses to begin the longer discussion and Schelling’s own metaphysical reply to the divided ontology of Fichte’s second Wesen des Gelehrten lecture. First, the »syllabus of errors,« which we translate without comment: Our present purpose requires only that we discuss … items that Herr Fichte has taught and asserted – a cognition of the in-itself or the Absolute is forever impossible for humans; Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 18–19 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 14. 21 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 20 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 14–15. 22 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 87 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 78. 20
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Michael Vater
– we can only know about our knowing [Wissen], must start from it and remain within it; – nature is an empty objectivity, merely the sense-world; – it [nature] consists solely in the affections of our I, depends on incomprehensible restrictions within which the I feels enclosed, and is essentially irrational, unholy, and godless; – it is everywhere finite and completely dead; – the basis of all reality, of all cognition is the individual [persönliche] freedom of the human being; – the divine can only be believed, not cognized; – this belief is solely of the moral kind, and if it contains more than what follows from the concept of morality, it is senseless superstition. 23
For the second item, Schelling challenges the most difficult idea of Fichte’s second lecture, the contention that there is being or the divine idea or the divine life, but it is strictly in itself and unto itself, for we in our knowing and acting pertain to a different order where God has presented godself and become existence, external existence, the world —and where the divine life manifests itself as consciousness constrained by the flow of ever-lapsing time (23 f.). Schelling’s challenge is not merely negative; for that it would suffice to note that Fichte has cleverly hidden the chasm between being and phenomena or God’s Darstellung with his claim that we can understand the Daß but not the Wie of the cleft (26). Instead Schelling reaches back to the line of thought initiated in 1802 which conceives God or the Absolute as selfrealizing, the idea that is not just idea, but self-actualized idea. Schelling had changed his terminology slightly in his 1804 lectures on The Entire System of Philosophy, and Nature-Philosophy in Particular, where he views God as essentially self-affirmation, real or existent both as that which affirms and that which is affirmed—and so real and realized both in nature and in human reason. 24 Refining that view, Schelling now says that the divine reality is not only expressive or self-affirming, it is a band or bond (Band) between affirming and affirmed.
Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 21 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 21. 24 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 6, 151–155 / F.W.J. Schelling, System of Philosophy in General, in Idealism and the Endgame of Theory, tr. Thomas Pfau (Albany: State University of New York Press, 1994) 150–152. 23
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Fichte and Schelling
If in general what is is self-expressive and so self-knowing, as it is in the highest case or God, there can be no divide between being (Wesen) and expression (Form), or affirmation and affirmed. Similarly there can be no divide between the one and the many, or between being and knowing, or between philosophy that comprehends being and nature-philosophy—for the one is replicated in the many, being is mirrored in knowing, and God is mirrored in and to that extent present in nature. 25 One who finds nature but an aggregate of lifeless items fails to see the one in the many, or the living unity of the many in the one item viewed—one who, for instance, views bodies as inert masses pushed by incomprehensible external forces, not as a living field (gravity) where singular items (bodies) are relatively and temporarily distinguished. 26 Ultimately there can be but two types of metaphysical theories— those that connect and those that divide. Those that would view nature as a contingent collection of multiple items operate with relative concepts and are unable to transcend the fixed view that one and many are simply different, or that the infinite (God) and the finite (nature) somehow exist outside each other. It is reflection, not reason, that approaches the primal unity of all and thinks it must solve an imagined problem of a cleft or chasm (Spaltung) between orders of things it does not know how to comprehend. 27 Reason sees things in connected fashion, so it conceives of nature as an eternal mirroring of the divine being and form in one another, the eternal birth of things in God and the resolution of all things back into God. Nature is not the absence of God or the opposite of the divine life and to view it as such is to cast it into the abyss of incomprehensibility. 28
Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 54–56 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 49–51. 26 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 57 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 51–52. 27 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 58 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 52. 28 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, Bd. 7, 59 / F. W. J. Schelling, Statement on the True Relationship of the Philosophy of Nature to the Revised Fichtean Doctrine: An Elucidation of the Former, ›Review Essay‹, 53. 25
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Fichtes Über das Wesen des Gelehrten und Heidegger Alfred Denker, Sevilla, Spanien
In diesem Aufsatz werde ich einige Themen aus Fichtes Vorlesungen Über das Wesen des Gelehrten aufgreifen und versuchen, diese mit Heideggers Denken zu konfrontieren. Vorab möchte ich als eine Art Einführung einiges aus einem ziemlich unbekannten Text von Martin Heidegger zitieren: Besinnung ist Erfassen und Ergründen dessen, was ich bin und soll. Das Sollen fordert mein Wollen und mit dem Wollen des Gesollten auch das Wollen der Mittel und Wege, die allein das Gesollte zu verwirklichen imstande sind. Das ist Besinnung. Und nicht ist sie Versinken in die mannigfaltige Fülle der Genüsse, ein hin- und her-geworfen-werden durch Augenblickseinfälle, nicht ist sie ein Beherrschtwerden durch das Leben, sondern ein Beherrschen des Lebens. […] Wir Modernen haben vielfach den Blick für das Einfache verloren, uns reizt das Komplizierte, Fragliche; daher diese scheue Furcht vor Prinzipien, die als solche immer das einfachste sind […]. Wollen wir durch den Sieg in Zukunft nicht besiegt werden, dann müssen wir prinzipiell aus der Prinzipienlosigkeit in den elementarsten Lebensfragen herauskommen. 1
Wir sollen, so Heidegger, aus der Prinzipienlosigkeit in den elementarsten Lebensfragen herauskommen. Fichte würde Heidegger, der sich gerade in seinen jungen Jahren intensiv mit Fichtes Denken befasst hat, hier wohl zustimmen. Zuerst möchte ich im Folgenden Heideggers Auseinandersetzung mit Fichte kurz darstellen, um daran anschließend einige Themen aus Fichtes Vorlesungen Über das Wesen des Gelehrten aufzugreifen. Heidegger verweist in seinem 1916 für das Habilitationsverfahren verfassten Lebenslauf auf sein Fichte-Studium. 2 Nach dem von Heidegger selbst durchgesehenen Verzeichnis seiner Vorlesungen hat er im Wintersemester 1916/17 über »Wahrheit und Wirklichkeit. 1 Martin Heidegger, »Das Kriegs-Triduum in Meßkirch«, in: Heidegger-Jahrbuch 1 (2004), 22–25, 24 f. 2 Martin Heidegger, Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges (GA 16), hrsg. von Hermann Heidegger, Frankfurt am Main 2000, 39.
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Fichtes Über das Wesen des Gelehrten und Heidegger
Über Fichtes Wissenschaftslehre von 1794« gelesen. 3 Marion Heinz hat auf das Interesse der badischen Schule des Neukantianismus mit ihren Vertretern Windelband, Rickert und Lask an der Philosophie Fichtes aufmerksam gemacht. 4 Die publizierten Schriften dieser Autoren zu Fichte hat Heidegger ohne Zweifel gelesen. Dazu kommen die Vorlesungen von Edmund Husserl über Fichtes Menschheitsideal von 1917. 5 Es ist auch wichtig, dass auf Fichte der für den jungen Heidegger äußerst wichtige Terminus Faktizität zurückgeht. 6 Das Wort »faktisch« taucht bei Fichte zum ersten Male 1799 auf. 7 Der Begriff »Faktizität« wird von ihm ab 1801 in der Darstellung der Wissenschaftslehre als philosophischer Terminus verwendet. 8 Es gibt in Heideggers frühen Freiburger Vorlesungen mehrere Stellen zu Fichte, die seinen Einfluss deutlich zeigen, 9 so zum Beispiel in seiner Vorlesung aus dem Jahr 1919 »Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem«. 10 Heidegger pflichtet Husserls Projekt der Philosophie als strenger Wissenschaft bei und entwickelt die Idee der Philosophie als der Urwissenschaft. Heidegger verwendet »Idee« hier William J. Richardson, Heidegger: Through Phenomenology to thought, The Hague 1963, 663. 4 Marion Heinz, »Die Fichte-Rezeption in der südwestdeutschen Schule des Neukantianismus«, in: Fichte-Studien 13 (1997), 109–129. 5 Edmund Husserl, Aufsätze und Vorträge (1911–1921) (= Husserliana XXV), Dordrecht 1987, 267–293. 6 Theodore Kisiel, »Edition und Übersetzung«, in: Dietrich Papenfuss / Otto Pöggeler (Hrsg.), Zur philosophischen Aktualität Heideggers, Bd. 3: Im Spiegel der Welt, Frankfurt am Main 1992, 93. 7 Johann Gottlieb Fichte, Rückerinnerungen, Antworten, Fragen, in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Berlin 1845–46, Bd. 5, 360. 8 Johann Gottlieb Fichte: »Darstellung der Wissenschaftslehre«, in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, Bd. 2, 47 und 55. 9 Siehe Martin Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie (GA 56/57), hrsg. von Bernd Heimbüchel, Frankfurt am Main 1987, 36, 40, 51, 59, 97, 123, 134, 138, 142, 145; Martin Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie (GA 58), hrsg. von Hans-Helmuth Gander, Frankfurt am Main 1992, 8; Martin Heidegger, Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks. Theorie der philosophischen Begriffsbildung (GA 59), hrsg. von Claudius Strube, Frankfurt am Main 1993, 95 f.; Martin Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens (GA 60), hrsg. von Matthias Jung, Thomas Regely und Claudius Strube, Frankfurt am Main 1995, 91; Martin Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung (GA 61), hrsg. von Walter Bröcker und Käte Bröcker-Oltmanns, Frankfurt am Main 1985, 7 und 173. 10 Martin Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie (GA 56/57), 3–117. 3
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Alfred Denker
wie die Neukantianer in der kantischen Bedeutung und nicht im platonischen Sinne. Dies impliziert, dass die Urwissenschaft als Idee der Philosophie nicht konstitutiv für die Philosophie ist; die Idee ist nur regulativ und bezeichnet eine unendliche Aufgabe. Die Phänomenologie ist Heidegger zufolge die Erforschung des Lebens an sich und insofern das Gegenteil einer Weltanschauung. Als Urwissenschaft ist die Philosophie auch die Wissenschaft der Wissenschaften, d. h. sie ist Wissenschaftslehre. Jede Wissenschaft bis auf die Philosophie selbst muss die Gültigkeit und Wahrheit ihrer Prinzipien voraussetzen, weil diese die Bedingungen ihrer Möglichkeit sind und folglich nicht innerhalb der Wissenschaft selbst erwiesen werden können. Die Prinzipien formen den Ursprung und die Grundlage der Wissenschaften. Da sie innerhalb der verschiedenen Wissenschaften prinzipiell unerweisbar sind, soll es eine Wissenschaft geben, die diese Prinzipien zum Gegenstand hat. Diese Wissenschaft ist die Philosophie als Urwissenschaft. Für Heidegger ergibt sich so ein neues Problem. Wenn in der Philosophie die Prinzipien der Wissenschaften erwiesen werden sollen, muss die Philosophie als Urwissenschaft selbst auch ein Prinzip haben, das nicht aus höheren Prinzipien deduzierbar ist und dessen Gültigkeit nicht in einer anderen Wissenschaft erwiesen werden kann. Heidegger übernimmt von Fichte den Gedanken, dass das Prinzip der Philosophie nur vortheoretisch sein kann. Das vortheoretische Prinzip kann aber nicht praktisch sein, weil die theoretische und die praktische Vernunft zwei unterschiedliche Vermögen sind. Praktische Einsicht und theoretische Erkenntnis können daher seiner Ansicht nach nicht aufeinander zurückgeführt werden. Das Prinzip soll daher auch vorpraktisch sein. Heidegger übernimmt in diesem Zusammenhang die Lehre über die phronesis von Aristoteles. Heidegger kann so das Problem der Begründung der Wissenschaften in der Philosophie lösen. Weil in jeder Wissenschaft ein theoretisches Subjekt-ObjektVerhältnis vorausgesetzt wird, muss in der Philosophie nur gezeigt werden, wie das theoretische Verhältnis dem vortheoretischen Verhalten entspringt. In den Wissenschaften wird das Seiende auf unterschiedliche Weisen zum Gegenstand gemacht. In jeder Wissenschaft bleibt jedoch das Subjekt-Objekt-Verhältnis das gleiche theoretische Verhältnis. Das Seiende ist in jeder Wissenschaft Objekt-für-einSubjekt. Die Philosophie ist die Urwissenschaft des Vortheoretischen (der Ur-sprung), aus dem das Theoretische erst entspringt. Heidegger behauptet, dass das Vortheoretische nur faktisch sein 282 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Fichtes Über das Wesen des Gelehrten und Heidegger
könne. Wir können es nicht weiter begründen oder erklären, weil es der Grund ist, aus dem alles andere entspringt. Es ist das Ur-Etwas. 11 Es ist die Wahrheit als das Unverborgene und verweist auf die Dimension des »es gibt«, »es gilt«, »es wertet«, »es weltet«. Das UrEtwas ist die Region des Lebens, in der noch nichts differenziert ist und in der es noch keine Objekte gibt. »Es ist vielmehr der Index für die höchste Potentialität des Lebens.« 12 In seiner ungeschwächten »Lebenschwungkraft« hat es das intentionale Moment des »auf zu«, »[i]n eine (bestimmte) Welt hinein«, d. h. es hat eine Tendenz zur Differenzierung. 13 Das Leben entfaltet sich in einer motivierten Tendenz und tendierenden Motivation. Das Ur-Etwas ist der bodenlose Ab-Grund und die Bedingung der Möglichkeit aller Differenz und damit auch jeder abgeleiteten Dualität. Dieser Ab-Grund ist das mysterium tremendum der Philosophie Heideggers. Das Ur-Etwas hat sich schon immer in Lebenswelten entfaltet, ehe ich da bin. Diese Entfaltung ist genauso transzendental wie Fichtes Tathandlung und die Möglichkeitsbedingung des Daseins von Welt und Ich. Die Grundstruktur des Lebens und Erlebens besteht darin, sich selbst als Ereignis zu erleben. Fichte kann aus der Tathandlung die Entfaltungsweisen des Lebens ableiten, weil er den Zweck der Tathandlung, d. h. die Freiheit, voraussetzt. Heidegger hält dagegen an der Faktizität des Erlebens fest. Wir können nur a posteriori erkennen, welche Tendenzen und Motivationen das Erleben entfaltet hat. Nach dem Sinn des Erlebens können wir nicht fragen, weil das Erleben Sinn und Unsinn erst ermöglicht. Wo wir mit Fichte versuchen können, die Unbegreiflichkeit des Begreifens zu begreifen, aber diese Unbegreiflichkeit als Faktum nur hinnehmen können, bleibt bei Heidegger die Verständlichkeit des Seins das, was wir letztlich nur hinnehmen und nie verstehen können. In seinen Vorlesungen Über das Wesen des Gelehrten geht es Fichte um »eine Beschreibung des Wesens des Gelehrten, und der Erscheinung desselben im Gebiete der Freiheit« (15). Als vollendeter Gelehrter zeigt »[d]erjenige, in welchem die gelehrte Bildung ihren Endzweck – den gebildeten in den Besitz der Ideen zu setzen, wirklich erreicht hat, […] durch die Ansicht und die Verwaltung des übernommenen Gelehrten=Berufes, daß sein Geschäft ihm über alles ehrwür11 12 13
Martin Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie (GA 56/57), 115. Martin Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie (GA 56/57), 115. Martin Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie (GA 56/57), 115.
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Alfred Denker
dig und heilig sey« (72). Der Gelehrten-Beruf geht auf eine Berufung zurück, die auch Heidegger verspürt hat. So schreibt er 1919 in einem Brief an seinen Freund Engelbert Krebs, dass er glaube, »den inneren Beruf zur Philosophie zu haben und durch seine Erfüllung in Forschung und Lehre für die ewige Bestimmung des inneren Menschen – und nur dafür das in seinen Kräften stehenden zu leisten und so sein Dasein und Wirken selbst vor Gott zu rechtfertigen«. 14 Damit ist nicht gesagt, dass Heidegger ein vollendeter Gelehrter ist, aber zumindest möchte er ein wahrer Gelehrter werden. Laut Fichte ist der vollendete Gelehrte im Besitz der göttlichen Idee. Zum Besitz dieser Idee kann ein Mensch nur durch die gelehrte Bildung seiner Zeit kommen. Die göttliche Idee soll Bestandteil seiner Persönlichkeit werden: »In dem wahrhaften Gelehrten hat die Idee ein sinnliches Leben gewonnen, welches sein persönliches Leben völlig vernichtet, und in sich aufgenommen hat« (19). Der wahrhafte Gelehrte kann entweder Wissenschaftslehrer oder Regent sein. Hieraus folgt, dass nicht nur der Philosoph der vollendete Gelehrte sein kann, obwohl der Student nur durch das universitäre Studium zum wahrhaften Gelehrten werden kann. Als Universitätslehrer ist er Mitglied der gelehrten Republik und steht im herrschaftsfreien Gespräch mit seinen Kollegen. Fichte ist radikal. Der Lehrer kann seine Schüler nicht wirklich bilden, da man entweder die göttliche Idee erfasst – oder nicht. Der Lehrer kann auch von seinen Studenten nichts lernen. Für den Studenten ist die Lage auch nicht einfach, da er nicht beurteilen kann, ob sein Lehrer ein vollendeter Gelehrter ist. Bei Heidegger sieht das anders aus. Am 1. Mai 1919 schreibt Heidegger Elisabeth Blochmann einen Brief, in dem die Umrisse seines Lebenswerkes sichtbar werden. »Das neue Leben, das wir wollen, oder das in uns will, hat darauf verzichtet, universal d. h. unecht und flächig (ober-flächlich) zu sein – sein Besitztum ist Ursprünglichkeit – nicht das Erkünstelte-Konstruktive, sondern das Evidente der totalen Intuition.« 15 Das neue Leben, das Heidegger will, ist zugleich die neue Gestalt, in der das Leben sich ausdrückt. Das Leben ist allumfassend. Alle Seienden sind Gestalten und Ausdrücke des Lebens. Hieraus folgt jedoch nicht, dass das Leben sich in der Ganzheit seiner GestalMartin Heideggers Brief an Engelbert Krebs vom 9. Januar 1919, in: HeideggerJahrbuch 1 (2004), 67 f. 15 Martin Heidegger / Elisabeth Blochmann, Briefwechsel 1918–1969, hrsg. von Joachim W. Storck (Marbacher Schriften 33), Marbach am Neckar 1989, 15. 14
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Fichtes Über das Wesen des Gelehrten und Heidegger
ten verliert. Das Leben, so Heidegger, ist ein Strom, hat immer ein Mehr, das es noch werden muss, und transzendiert fortwährend sich selbst. Die Lebensphilosophen versuchen, das Leben vom Joch der universalen Normen und Werte zu befreien; das Leben soll vor allem ursprünglich und erneuernd sein. Die Kultur des 19. Jahrhunderts ist für sie und Heidegger eine Gestalt des Lebens, die alt geworden ist und sich überlebt hat. Jedermann soll seiner eigenen Einmaligkeit im Leben Gestalt geben und diese zum Ausdruck bringen. Für die Philosophie bedeutet dies einen Bruch mit der Neuscholastik, der Wertphilosophie des Neukantianismus und der Tradition des deutschen Idealismus. Alle »Neo-Philosophie« malt ihr Grau in Grau und ist ein Zeichen der Dekadenz. Die Phänomenologie Husserls, das Denken Schelers und die Lebensphilosophie Diltheys und Simmels ermöglichen Heidegger zufolge die Entwicklung einer neuen ursprünglichen und zeitgemäßen Philosophie. Philosophieren kann nach Heidegger nicht länger darin bestehen, universelle Systeme zu entwickeln. Jetzt bedeutet Philosophieren, die faktische Lebenserfahrung, die immer jemeinig ist, zu begreifen. Die entscheidenden Momente des Lebens, welche wir so tief erleben, dass neue Lebenswelten für uns aufgehen, müssen in unseren persönlichen Lebensstrom aufgenommen werden. Diese Momente widerfahren uns und sind Augenblicke, die das Leben uns schenkt. Wir können sie nur dankbar erleben und nicht selbst erzeugen. Auch Gott als erste und höchste Ursache des Seienden ist inzwischen vom Leben verschlungen worden. Eine der Folgen dieses allumfassenden Lebensbegriffs ist das Verschwinden der Subjekt-Objekt-Dichotomie. Im Erleben erlebt das Leben als Subjekt sich selbst als Objekt. In der Nachfolge Husserls spricht Heidegger von der Evidenz der totalen Intuition. Aber während bei Husserl das Bewusstsein konstitutiv für die Erfassung eines jeden Seienden ist, ist bei Heidegger das Bewusstsein schon vom Leben verdrängt worden. Heidegger versucht, als akademischer Lehrer einen Beitrag zur Gestaltung des neuen Lebens zu leisten. Seine Philosophie muss ursprünglich sein, d. h. sie muss von seiner eigenen Lebenswelt und seinem eigenen Erleben aus entfaltet werden. In gemeinsamer Arbeit mit Husserl lernt Heidegger, sich von den alt gewordenen Gestalten der Philosophie zu befreien und zum echten Ursprung vorzudringen, d. h. zum Leben selbst in seinen ursprünglichen Erlebnissen. Heidegger will in seinem Leben und mit seiner Philosophie ermöglichen, dass das geistige Leben wahrhaft wirklich wird: 285 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Alfred Denker
Geistiges Leben kann nur vorgelebt und gestaltet werden, so daß, die daran teilhaben sollen, unmittelbar, in ihrer eigensten Existenz davon ergriffen sind. […] Weil der Geist als Leben allein wirklich ist, kann lebendiges Für-einanderSein solche Wunder wirken. Er stellt aber an das Existente der eigensten Persönlichkeit und ihrer Wertvollendung die große Forderung innerlichster Tatkraft und Gegründetseins in sich selbst. 16
Diese Worte machen deutlich, wie sehr Heidegger existentiell an seiner Arbeit beteiligt war und wie sehr er nach Ursprünglichkeit und Authentizität strebte. Dies gehörte von Anfang an wesentlich zu seinem Unterricht und gab seinem Auftreten eine Unmittelbarkeit und Lebensnähe, die außergewöhnlich waren. Seine Studenten hatten das Gefühl, dass während seiner Vorlesungsstunden wirklich etwas geschah und dass die Philosophie neu belebt wurde. Es war schwer verständlich, aber jeder wusste, dass es Philosophie war. Philosophische Fragen, so zeigte sich, sind keine theoretischen Probleme; sie sind existentielle Krisen, die man durchstehen soll. Dabei steht dann das eigene Leben radikal zur Diskussion. Philosophie ist daher lebenswichtig. Die Aufgabe des Philosophielehrers ist es nach Heidegger, die Studierenden zu »einer Vertiefung des Selbst in seine Ursprünglichkeit« zu bringen. 17 Aber das ist nur möglich, wenn die Philosophie wieder das klopfende Herz der Universität als Zentrum des geistigen Lebens wird. Schon in seinen frühen Briefen an Heinrich Rickert klagt Heidegger öfters über den Verfall der Universität, »wo man sich vorkommt wie an einem Gymnasium«. 18 Für Heidegger und Fichte ist die Universität der Freiraum der geistigen Bildung eines Zeitalters. In Heideggers Sicht begründet die Philosophie die Einheit der Universität. Der Philosoph ist der wahrhafte Gelehrte und soll das Leben eines Philosophen vorleben. Er erzieht seine Studenten durch seine Vorlesungen und Seminare und wirkt in der Öffentlichkeit durch seine Schriften. Es gibt aber bei Heidegger keinen vollendeten Gelehrten, da der Philosoph seine Philo-
Martin Heidegger / Elisabeth Blochmann, Briefwechsel 1918–1969, 7. Martin Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie (GA 58), Frankfurt am Main 1992, 263. 18 Brief vom 19. September 1917, in: Martin Heidegger / Heinrich Rickert, Briefe 1912–1933, hrsg. von Alfred Denker, Frankfurt am Main 2002, 43. Vgl. aber zum Beispiel auch seinen Brief vom 31. Oktober 1915, 23. 16 17
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Fichtes Über das Wesen des Gelehrten und Heidegger
sophie leben soll. Daraus ergibt sich auch, dass das Verhältnis zu den Studenten ein ganz anderes als bei Fichte ist. Heidegger hat immer von seinen Studenten gelernt und war immer mit seinen Studenten auf einer gemeinsamen Suche nach der Wahrheit. Der Unterschied zwischen Heidegger und Fichte zeigt sich faktisch auch darin, dass Heidegger mit seinen Studenten Wanderungen und Skifahrten gemacht hat. Die Idee der Universität, wie sie in der Verfassung der Humboldtschen Universität konkret verwirklicht wurde, wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts und vor allem im frühen 20. Jahrhundert immer mehr bedroht, bis sie in den modernen Universitäten fast unkenntlich geworden war. Der Verfall der Universitäten hatte nach Heidegger – und auch nach Karl Jaspers – mehrere Ursachen. Die immer weiter wachsende Zahl der Studierenden zerstörte die Forschungsgemeinschaft der Lehrer und Schüler. Es war fast nicht mehr möglich, das Ideal der wissenschaftlichen Existenz vorzuleben. 19 Durch den Verlust der Einheit von Lehre und Forschung wurde die Universität immer mehr eine Berufsschule und konnte nicht länger die Verkörperung einer geschlossenen Weltanschauung sein. Das wissenschaftliche Leben war nicht mehr die höchste Existenzweise des Menschen. Damit verlor die Universität auch ihre zentrale Stellung im geistigen Leben der Nation. Das Wesen des menschlichen Wissens, das der Ursprung der Universität war, hatte sich entscheidend geändert. Die naturwissenschaftliche Revolution des 19. Jahrhunderts hatte das Wissen zersplittert. Zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften war ein gähnender Abgrund entstanden. Die verschiedenen Disziplinen zogen sich immer mehr auf ihre eigenen Forschungsgebiete zurück. Damit verstummte auch die wissenschaftliche Kommunikation zwischen den Fakultäten. Heidegger formulierte dies in seiner Vorlesung Einführung in das akademische Studium prägnant: Das Ganze der Wissenschaft, das echte Wissen kommt nicht in den Blick der Studierenden. Die Universität hat immer mehr Warenhauscharakter, in der Kenntnisse wie sonst vorhandene Gegenstände verbreitet werden. Sie ist eine Fachschule geworden. Besonders Jura und Medizin werden so betrieben, daß
19 Martin Heidegger, Einführung in das akademische Studium, in: Martin Heidegger, Der deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die philosophische Problemlage der Gegenwart (GA 28), hrsg von Claudius Strube, Frankfurt am Main 1997, 347. Vgl. dazu auch Martin Heidegger / Elisabeth Blochmann, Briefwechsel 1918–1969, 7.
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Alfred Denker
sie ohne Schaden von der Universität getrennt und als selbständige Fachschulen aufgemacht werden könnten. 20
Heidegger glaubte, dass nur eine Neubelebung der Philosophie den Verfall der Universität aufhalten könnte. Diese philosophische Umwälzung sollte zur Gründung einer aristokratischen Universität führen. Für Heidegger kann das Wesen der Universität keine Idee sein. Universität west nur da, wo Menschen »theoretisch« leben. Dieses theoretische Leben wurde von den griechischen Philosophen verwirklicht. Dieses Leben bedeutete für die Griechen nicht eine betrachtende Einstellung, bei der man dem Leben zuschaut: Θεωρεῖν ist bei Aristoteles eine Grundform des menschlichen Daseins, ein βίος und zwar das höchste. Für die Antike ist der theoretische Mensch der eigentlich Handelnde, es gibt hier keinen Gegensatz zwischen θεωρεῖν und πρᾶξις, θεωρία ist die höchste πρᾶξις. 21
In einer Interpretation von Platons Höhlengleichnis kommt Heidegger zu dem Ergebnis, dass der Mensch die Grundmöglichkeit hat, das Seiende offenbar zu machen, d. h. das Wesen der Unverborgenheit zu ermöglichen. Dieses ist das ἀγαθόν, um dessen willen der Mensch ist. Nur im theoretischen Leben kann der Mensch sein, was er ist, nur hier kommt er zu sich selbst und nur hier hat er sich für sich selbst entschieden: »Es ist die Entscheidung des Daseins zu sich selbst als umwillen dessen das Dasein ist, was es ist. In dieser Entscheidung fällt das Dasein die Entscheidung zur eigenen Freiheit.« 22 Die Unverborgenheit des Seienden ist der Ursprung des Wissens. Dieses Moment soll in jeder Wissenschaft bewahrt bleiben. In dieser Hinsicht ist die Philosophie die Mutter aller Wissenschaften. Für Heidegger bedeutet die Neubelebung der Philosophie, dass der Anfang der abendländischen Philosophie wieder Gegenwart werden soll. Im ursprünglichen Fragen der Griechen wurde nämlich das Wesen der Menschen »erkämpft«. In der zweiten Vorlesung von Über das Wesen des Gelehrten stellt Fichte eine Reihe von Sätzen auf, die seinen Studenten einen Einblick in die Gesamtstruktur der göttlichen Idee ermöglichen sollen. Ich möchte nur die ersten fünf kurz erwähnen: 20 21 22
Martin Heidegger, Einführung in das akademische Studium (GA 28), 347. Martin Heidegger, Einführung in das akademische Studium (GA 28), 350. Martin Heidegger, Einführung in das akademische Studium (GA 28), 361.
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Fichtes Über das Wesen des Gelehrten und Heidegger
1) Das Seyn, durchaus und schlechthin als Seyn, ist lebendig und in sich thätig, und es giebt kein anderes Seyn, als das Leben […]. 2) Das einzige Leben, durchaus von sich, aus sich, durch sich, ist das Leben Gottes: oder des Absoluten […]. 3) Dieses göttliche Leben ist […] – alles Seyn, und ausser ihm ist kein Seyn. Es ist eben darum durchaus ohne Veränderung oder Wandel. 4) Nun äußert sich dieses göttliche Leben, tritt heraus, erscheinet […] und diese seine Darstellung, oder sein Daseyn und äußerliche Existenz ist die Welt. 5) […] In der Darstellung wird [das göttliche Leben] ein ins unendliche sich fortentwikkelndes, und immer höher steigendes Leben in einem Zeitflusse, der kein Ende hat. (23 f.)
Die göttliche Idee ist das Absolute und als das Absolute das Sein. Dieses Sein ist das Leben und durchaus ohne Veränderung und Wandel. Für Heidegger wäre dies nicht unproblematisch. Heidegger ist zeitlebens dem Motto der Phänomenologie treu geblieben: »Zu den Sachen selbst.« Dies bedeutet: das Phänomen sich so zeigen lassen, wie es sich von sich aus zeigt. Nebenbei sei hier bemerkt, dass für Heidegger und Fichte die Universität der Freiraum ist, in dem Lehrer und Schüler sich der »Sache selbst« widmen können. Aus diesem Motto ergibt sich für Heidegger die Notwendigkeit einer Destruktion der philosophischen Begriffe. Fichte verwendet hier allerdings eine Reihe von problematischen Begriffen: »Seyn«, »Leben«, »Daseyn« oder »Veränderung«. Wie kann das Absolute sowohl Leben sein als auch unveränderlich? Fichte appelliert mit seinen Sätzen an das Wahrheitsgefühl seiner Hörer, ohne wirklich die Möglichkeit eines Mitdenkens oder Miterfahrens zu eröffnen. Heidegger versucht immer, seine Hörer eine Denkerfahrung machen zu lassen, die er selbst schon gemacht hat. In dieser Hinsicht geht er tatsächlich Wege im Denken. Er versucht, seine Studenten das sehen zu lassen, was er gesehen hat. Es ist ein gemeinsames Suchen. Der Student soll lernen, das, was er im Denken erfahren hat, selbst zu formulieren. In Heideggers Seminar wurde daher nicht »geheideggert«. Er sagte immer, wie Walter Biemel mir in einem Gespräch erzählte: »Ich möchte wissen, was Sie denken. Was ich denke, weiß ich schon.« Man könnte aber sagen, dass auch für den späten Heidegger das »Seyn« – mit Ypsilon – das Absolute sei. Dieses Seyn ist, wie Fichte sagt, »an und für sich rein in sich selber verborgen« (24). Dennoch ist es ein unleugbares Faktum, dass es eine verständliche Welt gibt. Die Welt ist das Daseyn des Seyns. Dieses Daseyn ist der Ort der mensch289 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .
Alfred Denker
lichen Geschichte. Im Gegensatz zu Fichte ist für Heidegger die Geschichte kein Zeitfluss, der kein Ende hat, sondern die Geschichte der abendländischen Metaphysik. Das Seyn hat bei Heidegger aber auch eine Geschichte, weil die Seinsgeschichte anders völlig unverständlich wäre. Daseyn ist das Da des Seyns und das Da des Daseins. Das Daseyn ist das Da des Seyns, aber nicht das Seyn selbst. Für Fichte ist der höchste Standpunkt das Begreifen der prinzipiellen Unbegreiflichkeit des Begreiflichen, weil das Absolute vorausgesetzt, aber nie begriffen werden kann. Für Heidegger ist der höchste Standpunkt die prinzipielle Unverständlichkeit des Verständlichen. Wir können alles verstehen, aber nur nicht, warum alles verständlich ist.
290 https://doi.org/10.5771/9783495823989 .