Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB): Reform und Gesetzgebung seit 1870 9783110303513, 9783110303520

This volume furnishes the first comprehensive discussion of the history of reform debates and legislation from 1870 to t

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
ERSTER TEIL: GRUNDLAGEN
Erstes Kapitel: Sachliche Grundlegung: Probleme und Methoden
A) Problemstellung
B) Forschungsstand
C) Methoden und Fragestellungen
D) Darstellungsweise
E) Terminologie
Zweites Kapitel: Historische Grundlegung: Deutsches Partikularrecht bis 1871
A) Rezeptionsgeschichte
I. Die ersten Kodifizierungen auf deutschem Gebiet
II. Die Bambergische und die Peinliche Halsgerichtsordnung
III. Die partikularrechtlichen Regelungen seit der Carolina bis 1794
B) Preußisches Strafgesetzbuch (1851) nebst Vorläufern und Entwürfen
I. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794
II. Die Preußische Gesetzesrevision
1. Entwurf von 1828
2. Entwurf von 1830
3. Entwurf von 1833
4. Entwurf von 1836
5. Beratungsprotokolle von 1838–1842
6. Entwurf von 1843 sowie die Revision des Entwurfs von 1843
7. Entwurf von 1845 sowie die Beratungen der Staatsratskommission
8. Entwurf von 1846
9. Entwurf von 1847 sowie der Vereinigte Ständische Ausschuss
10. Entwürfe von 1848 und 1849
11. Entwurf von 1850/1851
III. Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851
C) Außerpreußische Partikularrechte seit 1794: Insbesondere die bayerische und sächsische Strafgesetzgebung
I. Die bayerische Strafgesetzgebung
1. Das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern von 1813
2. Das bayerische Strafgesetzbuch von 1861
II. Die sächsische Strafgesetzgebung
1. Das Criminalgesetzbuch von 1838
2. Das Strafgesetzbuch von 1855
III. Weitere Strafgesetzbücher der außerpreußischen Partikulargesetzgebung bis 1794
D) Zusammenfassung und Fazit
ZWEITER TEIL: ENTWICKLUNG SEIT 1870
Drittes Kapitel: Reichsstrafgesetzbuch
A) Der Entwurf John
B) Der Entwurf Friedberg
C) Reaktionen auf den Entwurf Friedberg
D) Beratungen der Bundesratskommission (I. und II. Entwurf)
E) Reichstagsvorlage (III. Entwurf)
F) Reichstagsberatungen
G) Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund von 1870 sowie das Reichsstrafgesetzbuch von 1871
H) Zusammenfassung und Fazit
Viertes Kapitel: Reformversuche und Gesetzgebung bis zum Beginn der Strafrechtsreform
A) Gesetzgebung
B) Reformversuche: Mittermaier in der „Vergleichenden Darstellung“
C) Reaktionen auf Mittermaiers „Vergleichende Darstellung“
D) Zusammenfassung und Fazit
Fünftes Kapitel: Beginn der Strafrechtsreform
A) Der Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch von 1909
B) Reaktionen auf den Vorentwurf von 1909
I. Kritische Besprechung
II. Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen und der gutachterlichen Äußerungen
III. Weitere Reaktionen
C) Der Gegenentwurf von 1911
D) Der Entwurf der Strafrechtskommission von 1913
I. Erste Lesung (Entwurf 1913 I)
II. Zweite Lesung (Entwurf 1913 II)
III. Dritte Lesung (Gesamtredaktion)
E) Der Entwurf von 1919
F) Denkschrift zum Entwurf von 1919
G) Reaktionen auf den Entwurf von 1919
H) Berichte und Gegenentwurf der Österreichischen Kriminalistischen Vereinigung
I) Zusammenfassung und Fazit
Sechstes Kapitel: Weimarer Republik
A) Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1922 (Entwurf Radbruch)
B) Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1925 (Reichsratsvorlage)
C) Reaktionen auf den Entwurf von 1925
I. Kritische Besprechung
II. Gegen-Entwurf des Kartells für Reform des Sexualstrafrechts
III. Weitere Reaktionen
D) Die Anträge der Länder und die Beratungen in den Reichsratsausschüssen zu dem Entwurf von 1925
E) Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1927 (Reichstagsvorlage)
F) Reaktionen auf den Entwurf von 1927
G) Ausschussberatungen
H) Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1930 (Entwurf Kahl)
I) Zusammenfassung und Fazit
Siebentes Kapitel: Zeit des Nationalsozialismus
A) Entwurf eines Allgemeinen Strafgesetzbuchs von 1951 (Referentenentwurf des Reichsjustizministeriums)
B) Denkschrift des preußischen Justizministers Kerrl von 1933
C) Beratungen der Kommission für den Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs
I. Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission 1933/1934 (Erste Lesung)
II. Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission 1935/1936 (Zweite Lesung)
III. Die Überprüfung der in zweiter Lesung gefassten Beschlüsse
IV. Die endgültige Fassung (Entwurf 1936)
D) Der weitere Verlauf der Strafrechtsreform (1937–1939)
E) Strafrechtsnovellen: Insbesondere die Verordnung von 1938
F) Zusammenfassung und Fazit
Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945
A) Besatzungsrecht
B) Gesetzgebung der Fünfzigerjahre: Insbesondere das 3. StrÄndG
C) Rechtsprechung der Fünfzigerjahre
D) Beratungen der Großen Strafrechtskommission ab 1954
I. Gutachten der Strafrechtslehrer
II. Rechtsvergleichende Gutachten
III. Regelungsvorschläge der III. Unterkommission
IV. Änderungsvorschläge der Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums
V. Erste Lesung und Entwurf 1959 I
1. 87. Sitzung am 18. Juni 1958
a) Beratungen zum § 379 (Blutschande)
b) Beratungen zum § 380 (Beischlaf zwischen Verschwägerten)
2. 90. Sitzung am 21. Juni 1958
3. Entwurf 1959 I
4. Reaktionen auf den Entwurf 1959 I
VI. Zweite Lesung und Entwurf 1959 II
VII. Länderkommission
E) Entwürfe und Reformen der Sechzigerjahre: Insbesondere die Entwürfe von 1960 und 1962 sowie der Alternativ-Entwurf von 1968
I. Entwurf von 1960
II. Entwurf von 1962
III. Reaktionen auf den Entwurf von 1962
1. IX. Internationaler Strafrechtskongress
2. Deutsche Strafrechtslehrertagung 1965
3. 47. Deutscher Juristentag
IV. Der Alternativ-Entwurf von 1968
F) Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1969: Insbesondere der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform sowie die Strafrechtsreformgesetze
I. Erstes Strafrechtsreformgesetz
II. Viertes Strafrechtsreformgesetz
1. Der Regierungsentwurf sowie die Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
a) Regierungsentwurf
b) Stellungnahme des Bundesrats
c) Gegenäußerung der Bundesregierung
d) Hearing des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
e) Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in der 6. und 7. Wahlperiode
2. Umsetzung durch das vierte Strafrechtsreformgesetz
3. Reaktionen auf das vierte Strafrechtsreformgesetz
III. Adoptionsgesetz
IV. Bestrebungen der Achtzigerjahre
G) Rechtsprechung der Neunzigerjahre sowie der Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2008
I. Rechtsprechung der Neunzigerjahre
II. Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2008
H) Zusammenfassung und Fazit
DRITTER TEIL: SCHLUSSBETRACHTUNG
Neuntes Kapitel: Résumé
A) Kontinuität und Diskontinuität sowie wiederkehrende Begründungstendenz
I. Kontinuität: Beischlaf zwischen Aszendenten und Deszendenten sowie zwischen Geschwistern
II. Diskontinuität: Beischlaf zwischen Verschwägerten
III. Wiederkehrende Begründungstendenz
B) Ausblick
ANHANG
Anhang 1: Entwurfs- und Gesetzesfassungen zu den Inzeststraftatbeständen
Anhang 2:Historische Entwicklung der Inzeststraftatbestände seit 1870
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
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 9783110303513, 9783110303520

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Sami Bdeiwi Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB) Reform und Gesetzgebung seit 1870 Juristische Zeitgeschichte Abteilung 3, Band 43

Juristische Zeitgeschichte Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum

Abteilung 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung Materialien zu einem historischen Kommentar Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum Band 43 Redaktion: Anne Gipperich, Katharina Kühne

De Gruyter

Sami Bdeiwi

Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB) Reform und Gesetzgebung seit 1870

De Gruyter

ISBN 978-3-11-030351-3 e-ISBN 978-3-11-030352-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Abhandlung wurde im September 2011 fertiggestellt und im April 2012 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt zuvörderst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum, auf dessen Anregung die vorliegende Abhandlung zurückgeht. Er hat mich stets mit seinem fachlichen Rat bei der Anfertigung dieser Abhandlung unterstützt und mich zur Fertigstellung dieser Abhandlung neben dem Rechtsreferendariat und dem Rechtsanwaltsberuf motiviert. Daneben danke ich Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Günther Bemmann für die Übernahme des Zweitgutachtens. Gedankt sei an dieser Stelle auch meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Juristische Zeitgeschichte. Stellvertretend genannt seien Frau Anne Gipperich und Frau Beate Gogler. Ich danke auch den Mitarbeiten der Bundesarchive in Berlin und Koblenz, die mir die umfangreichen Recherchen durch Ihre Vorarbeiten und Hilfen vor Ort erleichterten. Diese Abhandlung widme ich meinen Eltern, Gudrun Bdeiwi, geb. Rittinghaus und Dipl.-Ing. Mohammad Said Abed Bdeiwi. Sie haben mich auf dem langen Bildungsweg über Abitur, Studium, Rechtsreferendariat und insbesondere bei der Erstellung dieser Arbeit stets unterstützt und immer an mich geglaubt. Ihnen danke ich von ganzem Herzen. Dortmund, im Juni 2013

Sami Bdeiwi

Inhaltsverzeichnis Vorwort.....................................................................................................VII Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XVII ERSTER TEIL: GRUNDLAGEN Erstes Kapitel: Sachliche Grundlegung: Probleme und Methoden............. 3 A)

Problemstellung............................................................................. 3

B)

Forschungsstand ............................................................................ 5

C)

Methoden und Fragestellungen ..................................................... 8

D)

Darstellungsweise.......................................................................... 9

E)

Terminologie ............................................................................... 10

Zweites Kapitel: Historische Grundlegung: Deutsches Partikularrecht bis 1871..................................................... 12 A)

B)

Rezeptionsgeschichte .................................................................. 12 I.

Die ersten Kodifizierungen auf deutschem Gebiet ............ 12

II.

Die Bambergische und die Peinliche Halsgerichtsordnung .......................................... 14

III.

Die partikularrechtlichen Regelungen seit der Carolina bis 1794......................................................... 16

Preußisches Strafgesetzbuch (1851) nebst Vorläufern und Entwürfen .......................................................... 17 I.

Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 ........................................... 17

II.

Die Preußische Gesetzesrevision ....................................... 21 1.

Entwurf von 1828 ....................................................... 23

2.

Entwurf von 1830 ....................................................... 27

3.

Entwurf von 1833 ....................................................... 28

4.

Entwurf von 1836 ....................................................... 32

X

Inhaltsverzeichnis 5.

Beratungsprotokolle von 1838–1842.......................... 32

6.

Entwurf von 1843 sowie die Revision des Entwurfs von 1843 ..................................................... 36

7.

Entwurf von 1845 sowie die Beratungen der Staatsratskommission........................ 42

8.

Entwurf von 1846 ....................................................... 44

9.

Entwurf von 1847 sowie der Vereinigte Ständische Ausschuss ............................... 44

10. Entwürfe von 1848 und 1849 ..................................... 48 11. Entwurf von 1850/1851.............................................. 49 III. C)

Außerpreußische Partikularrechte seit 1794: Insbesondere die bayerische und sächsische Strafgesetzgebung ...................... 52 I.

II.

III. D)

Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 ........................ 50

Die bayerische Strafgesetzgebung ..................................... 53 1.

Das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern von 1813...................................... 53

2.

Das bayerische Strafgesetzbuch von 1861 ................. 54

Die sächsische Strafgesetzgebung ..................................... 58 1.

Das Criminalgesetzbuch von 1838 ............................. 58

2.

Das Strafgesetzbuch von 1855 ................................... 59

Weitere Strafgesetzbücher der außerpreußischen Partikulargesetzgebung bis 1794 ....................................... 61

Zusammenfassung und Fazit ....................................................... 66 ZWEITER TEIL: ENTWICKLUNG SEIT 1870

Drittes Kapitel: Reichsstrafgesetzbuch ..................................................... 71 A)

Der Entwurf John ........................................................................ 72

B)

Der Entwurf Friedberg ................................................................ 73

C)

Reaktionen auf den Entwurf Friedberg ....................................... 74

D)

Beratungen der Bundesratskommission (I. und II. Entwurf)....... 75

Inhaltsverzeichnis

XI

E)

Reichstagsvorlage (III. Entwurf) ................................................. 77

F)

Reichstagsberatungen.................................................................. 78

G)

Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund von 1870 sowie das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 ................................ 80

H)

Zusammenfassung und Fazit ....................................................... 81

Viertes Kapitel: Reformversuche und Gesetzgebung bis zum Beginn der Strafrechtsreform ....................................................... 82 A)

Gesetzgebung .............................................................................. 82

B)

Reformversuche: Mittermaier in der „Vergleichenden Darstellung“ .................................................... 82

C)

Reaktionen auf Mittermaiers „Vergleichende Darstellung“........ 85

D)

Zusammenfassung und Fazit ....................................................... 86

Fünftes Kapitel: Beginn der Strafrechtsreform ......................................... 87 A)

Der Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch von 1909 ......................................... 87

B)

Reaktionen auf den Vorentwurf von 1909 .................................. 90 I.

Kritische Besprechung....................................................... 90

II.

Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen und der gutachterlichen Äußerungen .... 92

III.

Weitere Reaktionen ........................................................... 92

C)

Der Gegenentwurf von 1911 ....................................................... 93

D)

Der Entwurf der Strafrechtskommission von 1913 ..................... 94 I.

Erste Lesung (Entwurf 1913 I) .......................................... 95

II.

Zweite Lesung (Entwurf 1913 II) ...................................... 97

III.

Dritte Lesung (Gesamtredaktion) ...................................... 99

E)

Der Entwurf von 1919............................................................... 100

F)

Denkschrift zum Entwurf von 1919 .......................................... 101

G)

Reaktionen auf den Entwurf von 1919 ...................................... 102

H)

Berichte und Gegenentwurf der Österreichischen Kriminalistischen Vereinigung ..................... 102

XII I)

Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung und Fazit ..................................................... 105

Sechstes Kapitel: Weimarer Republik ..................................................... 106 A)

Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1922 (Entwurf Radbruch) .................................................. 106

B)

Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1925 (Reichsratsvorlage) ....................... 108

C)

Reaktionen auf den Entwurf von 1925 ...................................... 111 I.

Kritische Besprechung..................................................... 111

II.

Gegen-Entwurf des Kartells für Reform des Sexualstrafrechts .......................................... 112

III.

Weitere Reaktionen ......................................................... 114

D)

Die Anträge der Länder und die Beratungen in den Reichsratsausschüssen zu dem Entwurf von 1925.................... 118

E)

Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1927 (Reichstagsvorlage)................................................... 120

F)

Reaktionen auf den Entwurf von 1927 ...................................... 121

G)

Ausschussberatungen ................................................................ 124

H)

Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1930 (Entwurf Kahl).......................................................... 138

I)

Zusammenfassung und Fazit ..................................................... 139

Siebentes Kapitel: Zeit des Nationalsozialismus ..................................... 141 A)

Entwurf eines Allgemeinen Strafgesetzbuchs von 1933 (Referentenentwurf des Reichsjustizministeriums) .................. 141

B)

Denkschrift des preußischen Justizministers Kerrl von 1933.... 142

C)

Beratungen der Kommission für den Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs .............................. 144 I.

Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission 1933/1934 (Erste Lesung)................................................ 144

II.

Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission 1935/1936 (Zweite Lesung)............................................. 148

III.

Die Überprüfung der in zweiter Lesung gefassten Beschlüsse........................................................ 149

Inhaltsverzeichnis

XIII

IV. Die endgültige Fassung (Entwurf 1936) .......................... 151 D)

Der weitere Verlauf der Strafrechtsreform (1937–1939) .......... 152

E)

Strafrechtsnovellen: Insbesondere die Verordnung von 1938... 154

F)

Zusammenfassung und Fazit ..................................................... 155

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945 ........... 158 A)

Besatzungsrecht......................................................................... 158

B)

Gesetzgebung der Fünfzigerjahre: Insbesondere das 3. StrÄndG.................................................... 159

C)

Rechtsprechung der Fünfzigerjahre........................................... 161

D)

Beratungen der Großen Strafrechtskommission ab 1954 .......... 161 I.

Gutachten der Strafrechtslehrer ....................................... 163

II.

Rechtsvergleichende Gutachten....................................... 163

III.

Regelungsvorschläge der III. Unterkommission.............. 166

IV. Änderungsvorschläge der Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums................................................ 174 V.

Erste Lesung und Entwurf 1959 I .................................... 178 1.

87. Sitzung am 18. Juni 1958 ................................... 179 a) Beratungen zum § 379 (Blutschande)................. 179 b) Beratungen zum § 380 (Beischlaf zwischen Verschwägerten) ................ 189

2.

90. Sitzung am 21. Juni 1958 ................................... 191

3.

Entwurf 1959 I.......................................................... 193

4.

Reaktionen auf den Entwurf 1959 I.......................... 193

VI. Zweite Lesung und Entwurf 1959 II................................ 196 VII. Länderkommission .......................................................... 196 E)

Entwürfe und Reformen der Sechzigerjahre: Insbesondere die Entwürfe von 1960 und 1962 sowie der Alternativ-Entwurf von 1968.............................................. 202 I.

Entwurf von 1960 ............................................................ 202

II.

Entwurf von 1962 ............................................................ 205

XIV

Inhaltsverzeichnis III.

Reaktionen auf den Entwurf von 1962 ............................ 207 1.

IX. Internationaler Strafrechtskongress .................... 207

2.

Deutsche Strafrechtslehrertagung 1965.................... 209

3.

47. Deutscher Juristentag.......................................... 211

IV. Der Alternativ-Entwurf von 1968.................................... 213 F)

Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1969: Insbesondere der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform sowie die Strafrechtsreformgesetze .......................................... 216 I.

Erstes Strafrechtsreformgesetz ........................................ 216

II.

Viertes Strafrechtsreformgesetz....................................... 217 1.

Der Regierungsentwurf sowie die Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform ........... 217 a) Regierungsentwurf.............................................. 218 b) Stellungnahme des Bundesrats ........................... 219 c) Gegenäußerung der Bundesregierung................. 220 d) Hearing des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform ................................................ 220 e) Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in der 6. und 7. Wahlperiode.... 225

III.

2.

Umsetzung durch das vierte Strafrechtsreformgesetz .. 236

3.

Reaktionen auf das vierte Strafrechtsreformgesetz .... 238

Adoptionsgesetz............................................................... 240

IV. Bestrebungen der Achtzigerjahre..................................... 241 G)

H)

Rechtsprechung der Neunzigerjahre sowie der Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2008 ......................... 242 I.

Rechtsprechung der Neunzigerjahre................................ 242

II.

Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2008 ...................... 243

Zusammenfassung und Fazit ..................................................... 245

Inhaltsverzeichnis

XV

DRITTER TEIL:

SCHLUSSBETRACHTUNG Neuntes Kapitel: Résumé......................................................................... 253 A)

B)

Kontinuität und Diskontinuität sowie wiederkehrende Begründungstendenz ...................................... 253 I.

Kontinuität: Beischlaf zwischen Aszendenten und Deszendenten sowie zwischen Geschwistern .................. 253

II.

Diskontinuität: Beischlaf zwischen Verschwägerten....... 254

III.

Wiederkehrende Begründungstendenz ............................ 255

Ausblick .................................................................................... 256 ANHANG

Anhang 1: Entwurfs- und Gesetzesfassungen zu den Inzeststraftatbeständen................................................................ 261 Anhang 2:Historische Entwicklung der Inzeststraftatbestände seit 1870......................................................... 286 Quellenverzeichnis .................................................................................. 290 Literaturverzeichnis................................................................................. 303

Abkürzungsverzeichnis ALR AkadZ Amtsbl. AP APR ArchKrim BA BayRechtspflZ BGBl. BGH BGHSt BMJ BRAK BR-Drs. BT BVerfG CCB CCC DJ DJT DJZ DNVP DR DRZ DRiZ DStRZ DV EGMR EMRK GA GE GG GSK JA JGG JR

Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (1794) Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Amtsblatt Ausschussprotokoll Allgemeines Persönlichkeitsrecht Archiv für Kriminologie Bundesarchiv (Nebenstellen in Berlin-Lichterfelde und Koblenz) Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshof in Strafsachen (Amtliche Sammlung) Bundesministerium der Justiz Bundesrechtsanwaltskammer Drucksachen des Deutschen Bundesrats Besonderer Teil / Bundestag Bundesverfassungsgericht Constitutio Criminalis Bambergensis Constitutio Criminalis Carolina Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristen-Zeitung Deutschnationale Volkspartei Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung (1909–1935) Deutsche Richterzeitung (ab 1950) Deutsche Strafrechts-Zeitung Deutsche Volkspartei Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gegenentwurf Grundgesetz Große Strafrechtskommission Juristische Arbeitsblätter Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau

XVIII JuS JZ KE KJ KP KritV LK MüKo Neudr. NJW NK NStZ ÖKV prStGB RG RGBl. RGSt. RJM RStGB SK StA StGB StGB NdB Sten. Ber. StPO StrÄndG StrRG StV VE VO Vorb. VZ WP Z z.B. Ziff. ZIS ZJS ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis Juristische Schulung Juristenzeitung Kommissionsentwurf Kritische Justiz Kommunistische Partei Kritische Vierteljahreszeitschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch. Großkommentar Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch Neudruck Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch Neue Zeitschrift für Strafrecht Österreichische Kriminalistische Vereinigung Preußisches Strafgesetzbuch Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgericht in Strafsachen (Amtliche Sammlung) Reichsjustizministerium Reichsstrafgesetzbuch (1871) Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Staatsanwalt / Staatsanwaltschaft Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund (1870) Stenographische Berichte Strafprozessordnung Strafrechtsänderungsgesetz Strafrechtsreformgesetz Strafverteidiger Vorentwurf Verordnung Vorbemerkung / Vorbemerkungen Vorläufige Zusammenstellung Wahlperiode Deutsche Zentrumspartei zum Beispiel Ziffer Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

ERSTER TEIL: GRUNDLAGEN

Erstes Kapitel: Sachliche Grundlegung: Probleme und Methoden A) Problemstellung Die Inzeststraftatbestände sind im StGB im 12. Abschnitt „Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie“ unter der amtlichen Paragraphenüberschrift „Beischlaf zwischen Verwandten“ im § 173 normiert. Dieser gilt in seiner heutigen Fassung unverändert seit den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts1. Bestraft wird der Beischlaf mit leiblichen Verwandten in absteigender Linie (Absatz 1)2 und in aufsteigender Linie (Absatz 2 Satz 1)3 sowie zwischen leiblichen Geschwistern (Absatz 2 Satz 2)4. Für Abkömmlinge und Geschwister entfällt die Strafe, wenn sie zum Zeitpunkt der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren (Absatz 3)5. Unter der Tatbestandshandlung „Beischlaf vollziehen“ wird nach einheitlicher Auffassung6 nur der Geschlechtsverkehr i.e.S. verstanden, also die Vereinigung der Geschlechtsteile von Mann und Frau und nicht sonstige sexuelle Handlungen von Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts, mögen sie auch beischlafähnlich sein. Nach dem § 173 RStGB, der im 13. Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ ohne Paragraphenüberschrift geregelt war, wurde ebenfalls der Beischlaf mit Verwandten in absteigender Linie und in aufstei-

1 2 3 4 5 6

Im Zuge des Adoptionsgesetzes vom 2. Juli 1976 wurde der § 173 StGB letztmalig neu gefasst; zuvor umfassend geändert durch das 4. StrRG vom 23. November 1973. „(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“. „(2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist“. „Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen“. „(3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren“. Dippel, LK, § 173 Rdnrn. 22 ff.; Fischer, StGB, § 177 Rdnrn. 62 ff.; Frommel, NK, § 173 Rdnr. 14; Horn / Wolters, SK, § 173 Rdnr. 3; Lackner / Kühl, § 173 Rdnr. 3; Lenckner / Bosch, Schönke / Schröder, § 173 Rdnr. 3; Ritscher, MüKo, § 173 Rdnr. 8.

4

Erster Teil: Grundlagen

gender Linie (Absatz 1)7 sowie zwischen Geschwistern (Absatz 2)8 bestraft. Auch blieben Abkömmlinge straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten (Absatz 4)9. Die im § 173 RStGB gewählte Bezeichnung der strafbaren Handlung als „Beischlaf“ wird seit dem StGB NdB verwendet, das damit zum Ausdruck bringen wollte, dass andere unzüchtige Handlungen für die Tatbestandsverwirklichung nicht ausreichend sind10. Die tatbestandlichen Umschreibungen des heutigen § 173 StGB sind – die offensichtliche Entkriminalisierung außer Acht gelassen11 – größtenteils identisch mit denen des § 173 RStGB. Da der Beischlaf in aufsteigender Linie und zwischen Geschwistern in beiden Vorschriften mit einer geringeren Freiheitsstrafe bestraft wird als der Beischlaf in absteigender Linie, stimmen sie auch in dem Verhältnis der einzelnen Tatbestandsvarianten zueinander weitgehend überein. Die Veränderungen seit dem RStGB sind somit augenscheinlich geringen Umfangs. Dies gilt aber keineswegs für das mit den Inzeststraftatbeständen einhergehende Diskussionspotential. „Kaum ein anderes Delikt ist in der Wissenschaft so umstritten“12. Seit jeher wird über den Schutzzweck und über die Legitimation der Inzeststraftatbestände diskutiert, letztere wird nicht selten in Frage gestellt. So schlug Mittermaier bereits Anfang des vergangenen Jahrhunderts vor, „den Tatbestand ganz zu streichen, da er nur Unmoral und keine besondere Gefahr darstellt“13. Aber auch heute noch ist der § 173 StGB Gegenstand reger Erörterung in der Strafrechtsliteratur. Nahezu jede Kommentierung zum StGB stellt den Schutzzweck der Inzeststraftatbestände in Frage14, spricht sich teilweise sogar dafür aus, das Delikt zu streichen15. Eine vergleichbare Tendenz ist im weiteren Schrifttum 7 8 9 10 11

12 13 14 15

„(1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft“. „(2) Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft“. „(4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben“. Hälschner, Das gemeine Deutsche Strafrecht, S. 481; Olshausen, Kommentar, S. 651. Ferner sah der § 173 RStGB im Gegensatz zum heutigen § 173 StGB in Absatz 2 die Sanktionierung des Beischlafs zwischen Verschwägerten und in Absatz 3 neben der Gefängnisstrafe die Möglichkeit des Verlusts der Ehrenrechte vor: „(3) Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden“. Wittmann, Die Blutschande, S. 19. Vergleichende Darstellung, BT, Bd. IV, S. 147. Fischer, StGB, § 173 Rdnrn. 2 ff.; Horn / Wolters, SK, § 173 Rdnr. 2; Lenckner / Bosch, Schönke / Schröder, § 173 Rdnr. 1; Ritscher, MüKo, § 173 Rdnrn. 2 ff. Dippel, LK, § 173 Rdnr. 17; Frommel, NK, § 173 Rdnr. 13.

Erstes Kapitel: Sachl. Grundlegung: Probleme und Methoden

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erkennbar16. Praktische Bestärkung erlangen diese Auffassungen in der Häufigkeit der Verurteilungen wegen § 173 StGB. Die Strafverfolgung von Inzesthandlungen führt im langjährigen Durchschnitt zu unter zehn Verurteilungen pro Jahr17. Die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2010 weist nur 45 Fälle aus18. Der § 173 StGB in seiner heutigen Fassung ist, ungeachtet der offenbar nur geringen Veränderungen seit 1871, gleichwohl das Ergebnis von Reformbemühungen. Zwar soll entsprechend dem Untertitel der Schwerpunkt der nachfolgenden Abhandlung auf der Darstellung der Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 bis zur Gegenwart liegen, jedoch bedarf eine Untersuchung der Entwicklungsgeschichte der Inzeststraftatbestände auch der Einbeziehung der Entwicklung vor der Entstehung des RStGB. Nicht zuletzt soll dadurch das Verständnis über die Inzeststraftatbestände des § 173 StGB in seiner heutigen Fassung gefördert werden, was für eine (kritische) Auseinandersetzung mit der Strafnorm unabdingbar ist.

B) Forschungsstand Obgleich man bei der Recherche zu den Inzeststraftatbeständen auf eine nicht unwesentliche Zahl von Abhandlungen aus medizinischer, insbesondere sexologischer und psychologischer Betrachtungsweise stößt19, sind die Inzeststraftatbestände auch Gegenstand rechtswissenschaftlicher, mehrheitlich kriminologischer20 und verfassungsrechtlicher21 Abhandlungen geworden. Verein16

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Hinterfragung des Schutzzwecks bei: Jung, Zur Strafbarkeit des Inzestes, in: Fschr. Leferenz, S. 316 ff.; Stratenwerth, Inzest und Strafgesetz, in: Fschr. Hinderling, S. 301 ff. (zu Art. 213 des schweizerischen Strafgesetzbuchs); Ders, Zum Begriff des „Rechtsgutes“, in: Fschr. Lenckner, S. 390. Für die Streichung der Vorschrift: Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 457 und S. 466; Karkatsoulis, Inzest und Strafrecht, S. 113. Für verfassungswidrig halten die Vorschrift: Al-Zand / Siebenhüner, KritV 2006, S. 68 (S. 72 ff.); Ellbogen, ZRP 2006, S. 190 ff.; Klöpper, das Verhältnis von § 173 StGB zu Art. 6 Abs. 1 GG, S. 131 f. Albrecht, Stellungnahme zu dem Fragenkatalog des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 392/07 zu § 173 Abs. 2 S. 2 StGB – Beischlaf zwischen Geschwistern vom 19. November 2007, S. 118; Frommel, NK, § 173 Rdnr. 10; Ritscher, MüKo, § 173 Fn. 20; Tischler, Der Geschwisterinzest bei über 18-Jährigen, S. 27. PKS 2010 – IMK-Kurzbericht vom April 2011, S. 49. Langkamp, Zur Kriminalpsychologie der Blutschande; Maisch, Inzest; Marcuse, Vom Inzest, in: Juristisch-psychiatrische Grenzfragen; v. Hentig / Viernstein, Untersuchungen über den Inzest. Eber, Die Blutschande. Eine kriminologische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Tatsituation; Fitzinger, Das Delikt der Blutschande in den Landgerichtsbezirken Wuppertal und Innsbruck unter besonderer Berücksichtigung der verschie-

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Erster Teil: Grundlagen

zelt sind sie bemüht, die Reformdiskussion und Gesetzgebung der Inzeststraftatbestände zu beleuchten. Kaeferlein22 untersuchte 1926 die Inzeststraftatbestände nach dem seinerzeit geltenden Recht und dem amtlichen Entwurf von 1925. Die geschichtlichen Grundlagen der Inzeststraftatbestände werden in einer Einleitung zusammenfassend beschrieben23. Jähnicke24 verfasste 1929 eine vergleichbare Arbeit, in der einführend die Gesetzgebung der Inzeststraftatbestände mittels eines geschichtlichen Überblicks dargestellt sowie die Entwürfe von 1909 bis 1925 zusammenfassend beleuchtet werden25. Schwerpunktmäßig wird, wie schon bei Kaeferlein, jedoch der seinerzeit geltende § 173 RStGB untersucht. Karst26 stellt 2009 in der Einleitung ihrer Abhandlung einen rechtshistorischen Überblick zu den Inzeststraftatbeständen dar, der auch einzelne Entwicklungsetappen, teils unter Einbeziehung der Reformdiskussionen und Gesetzgebung, untersucht27. Vornehmlich beleuchtet sie jedoch den heutigen § 173 StGB, wobei sie eine ausführliche Analyse der (mutmaßlich) geschützten Rechtsgüter vornimmt und die Inzeststraftatbestände in verfassungsrechtlicher Hinsicht überprüft. Mit der Reformdiskussion und Gesetzgebung vertieft befassen sich Wittmann (1953)28, Palmen (1968)29 und Tischler (2009)30. Wittmann und Palmen stellen diese – dem kriminologischen Schwerpunkt ihrer Abhandlungen geschuldet – nur partiell bis zur Zeit des Nationalsozialismus (Wittmann) bzw. bis zum Entwurf von 1962 (Palmen), Tischler erst ab dem Entwurf von 1962, dar. Tischlers Hauptaugenmerk liegt zudem in der Auseinandersetzung mit der Rechtsgutslehre sowie den Rechtsgütern des § 173 StGB. Zwar existieren somit auch für den Zeitraum nach

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denen soziologischen und ökonomischen Gegebenheiten der Bezirke; Karkatsoulis, Inzest und Strafrecht; Palmen, Der Inzest (Eine strafrechtlich-kriminologische Untersuchung); Többen, Über den Inzest; Wittmann, Die Blutschande, Eine rechtsgeschichtliche, rechtsvergleichende und kriminologische Untersuchung, unter Berücksichtigung der Nachkriegskriminalität in der Rheinpfalz. Klöpper, Das Verhältnis von § 173 StGB zu Art. 6 Abs. 1 GG; Karst, Die Entkriminalisierung des § 173 StGB; Tischler, Der Geschwisterinzest bei über 18-Jährigen. Kaeferlein, Der Inzest, Geltendes Recht und Strafrechtsreform. Kaeferlein, a.a.O., S. 62 ff. Jähnicke, Die Blutschande. Jähnicke, a.a.O., S. 12 ff. Karst, Die Entkriminalisierung des § 173 StGB. Karst, a.a.O., S. 13 ff. Wittmann, Die Blutschande, Eine rechtsgeschichtliche, rechtsvergleichende und kriminologische Untersuchung, unter Berücksichtigung der Nachkriegskriminalität in der Rheinpfalz. Palmen, Der Inzest (Eine strafrechtlich-kriminologische Untersuchung). Tischler, Der Geschwisterinzest bei über 18-Jährigen, Die Rechtsgüter des § 173 StGB.

Erstes Kapitel: Sachl. Grundlegung: Probleme und Methoden

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1870 rechtshistorische Untersuchungen, eine Abhandlung, die sich im Kern mit der Reformdiskussion und Gesetzgebung der Inzeststraftatbestände befasst und diese von 1870 bis zur Gegenwart zusammenhängend untersucht, liegt indes nicht vor. Aktuelle Brisanz hat die Diskussion um die Inzeststraftatbestände durch einen Fall von Geschwisterinzest31 und den daraus folgenden Gerichtsverfahren bis zum BVerfG erlangt. Ein Geschwisterpaar war getrennt voneinander aufgewachsen und hatte sich erst kennen gelernt, als der Bruder bereits 23 und die Schwester 16 Jahre alt waren. Zwischen ihnen hatte sich sodann eine enge (Liebes-)Beziehung entwickelt, infolge derer die junge Frau mehrere gemeinsame Kinder zur Welt gebracht hat. Ihr Bruder wurde daher wegen Vergehen nach § 173 Absatz 2 Satz 2 StGB zu mehreren Freiheitsstrafen verurteilt32. Nach Erschöpfung des Instanzenzugs rief er das BVerfG an und rügte die Verfassungswidrigkeit der Strafvorschrift33. Das BVerfG erklärte jedoch den § 173 Absatz 2 Satz 2 StGB – das BVerfG bezog sich in seiner Argumentation auf alle Inzeststraftatbestände des § 173 StGB – für mit dem GG vereinbar und wies die Verfassungsbeschwerde zurück. Der Gesetzgeber habe seinen Entscheidungsspielraum nicht überschritten, indem er die Bewahrung der familiären Ordnung vor schädigenden Wirkungen des Inzests, den Schutz der in einer Inzestbeziehung unterlegenen Partner sowie ergänzend die Vermeidung schwerwiegender genetisch bedingter Erkrankungen bei Abkömmlingen aus Inzestbeziehungen als ausreichend erachtet habe, das in der Gesellschaft 31 32 33

Eine ausführliche Berichterstattung erfolgte bspw. im Dossier Nr. 46 der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ vom 8. November 2007, S. 17 ff. Zum Gang der Verfahren und den Verurteilungen vgl. den Beschluss des Zweiten Senats vom 26. Februar 2008 – 2 BvR 392/07 –, abgedruckt bei BVerfGE 120, S. 224 ff. Die Strafvorschrift verstoße gegen das in Art. 2 Absatz 1 GG i. V. m. Art. 1 Absatz 1 GG verankerte Grundrecht der sexuellen Selbstbestimmung und das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Absatz 3 GG, verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Absatz 1 GG und sei mit ihrer Rechtsfolge – der Verhängung von Kriminalstrafe – in ihrer Verbotswirkung unverhältnismäßig. Die Verurteilung auf Grundlage des § 173 Absatz 2 Satz 2 StGB greife zudem in das Grundrecht aus Art. 6 Absatz 1 GG ein. Die Strafnorm schütze ausschließlich Moralvorstellungen und diene nicht dem Rechtsgüterschutz. Soweit der Gesetzgeber Gegenteiliges mit Blick auf familien- und sozialschädliche sowie genetische Folgen des Inzests vorgebe, seien solche Folgen empirisch nicht belegt. Außerdem sei die Strafnorm aufgrund ihres lückenhaften Charakters – keine Strafbarkeit beischlafähnlicher Handlungen, keine Bestrafung von Adoptiv-, Pflegeund Stiefgeschwistern – zum Schutz der Familie ungeeignet. Die Strafnorm sei hierzu auch nicht erforderlich, soweit sie Verhalten verbiete – etwa den Beischlaf erwachsener Geschwister bei nicht mehr bestehendem Familienband oder den Beischlaf bei Verhütung oder Zeugungsunfähigkeit –, das sich nach dem vorgeblichen Schutzzweck der Norm als nicht strafwürdig darstelle. Vgl. BVerfGE 120, S. 224 (S. 235 f.).

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Erster Teil: Grundlagen

verankerte Inzesttabu weiterhin strafrechtlich zu sanktionieren34. Die angegriffene Strafnorm rechtfertige sich in der Zusammenfassung nachvollziehbarer Strafzwecke vor dem Hintergrund einer kulturhistorisch begründeten, nach wie vor wirkkräftigen gesellschaftlichen Überzeugung von der Strafwürdigkeit des Inzests35. Als Instrument zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, der Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere der Familie erfülle die Strafnorm – auch durch ihre Ausstrahlungswirkungen über den tatbestandlich eng umgrenzten strafbewehrten Bereich hinaus – eine appellative, normstabilisierende und damit generalpräventive Funktion, die die Wertsetzungen des Gesetzgebers verdeutliche und damit zu ihrem Erhalt beitrage36. Auch wenn die Praxis sich an diesem Beschluss zu orientieren hat37, ist er keineswegs ohne Kritik geblieben38.

C) Methoden und Fragestellungen Die Entwicklung des § 173 StGB wird anhand von Reformdiskussionen und Gesetzgebung untersucht. Gewählt wird vorliegend eine streng chronologische Darstellung, die die einzelnen Reformbemühungen samt den dazugehörigen Reformdiskussionen sowie die verschiedenen Gesetzesinitiativen und Gesetzesänderungen vorstellt. Dadurch sollen die maßgeblichen Argumente, Begründungen, Hintergründe und Motive für die (Veränderungen der) Inzeststraftatbestände der jeweiligen Epoche herausgearbeitet werden. Da die Reformdiskussionen und die Gesetzgebung immer zugleich Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung sind, wird, insoweit es geboten erscheint, im betreffenden Abschnitt das einschlägige Schrifttum berücksichtigt. Die Darstellung der Entwicklung des § 173 StGB beginnt im Kern mit der Entstehung des RStGB von 1871. Vorangestellt sind als historische Grundle34 35 36 37 38

BVerfGE 120, S. 224 (S. 243). BVerfGE 120, S. 224 (S. 248 f.). BVerfGE 120, S. 224 (S. 249). Fischer, StGB, § 173 Rdnr. 7. Abweichende Meinung Hassemer, BVerfGE 120, S. 224 (S. 255 ff.); Bottke, Roma locuta causa finita? Abschied vom Gebot des Rechtsgüterschutzes?, in: Fschr. Volk, S. 93 ff.; Cornils, ZJS 2009, S. 85 (S. 87 ff.); Fischer, StGB, § 173 Rdnrn. 2 ff.; Frömling, Ad Legendum 2/2008, S. 99 (S. 102); Greco, ZIS 2008, S. 234 ff.; Hufen / Jahn, JuS 2008, S. 550 ff.; Hörnle, NJW 2008, S. 2085 ff.; Krauß, Rechtsgut und kein Ende, Zur Strafbarkeit des Geschwisterinzests (BVerfGE 12, 224), in: Fschr. Hassemer, S. 423 ff.; Kudlich, JA 2008, S. 549 (S. 552); Kühl, JA 2009, S. 833 (S. 838 f.); Marxen, famos 01/2009, S. 1 ff.; Noltenius, ZJS 2009, S. 15 ff.; Thurn, KJ 2009, S. 74 ff.; Roxin, StV 2009, S. 544 ff.; Schäuble, Forum Recht 2008, S. 98 ff.; Zabel, JR 2008, S. 453 ff.; Zabel, MschrKrim 2009, S. 395 (S. 405 ff.); Ziethen, NStZ 2008, S. 617 f.

Erstes Kapitel: Sachl. Grundlegung: Probleme und Methoden

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gung das Preußische Recht und die außerpreußischen Partikularrechte. Einführend wird, in der dem Kernstück der nachfolgenden Abhandlung geschuldeten Kürze, ein Überblick über die Gesetzgebung der Inzeststraftatbestände auf deutschem Gebiet bis 1794 gegeben. Dieser beginnt mit den ersten deutschen Inzestverboten im 6. Jahrhundert n. Chr. Augenmerk wird auch auf die Bestrafung nach der Bambergensis und der Carolina sowie auf die partikularrechtlichen Regelungen bis 1794 gelegt.

D) Darstellungsweise 1) Die Darstellung erfolgt in historischen Abschnitten entsprechend den einzelnen Kapiteln. In ihnen werden die jeweiligen Entwürfe und Gesetze in direktem Zusammenhang mit ihren Motiven und den um sie geführten parlamentarischen Diskussionen behandelt. Im Vordergrund steht dabei die selbsterklärende Darstellung durch die Wiedergabe der Materialien der Entwicklungsgeschichte. Für die Untersuchung besonders interessant erscheinende Passagen, d.h. Diskussionen und Argumente, werden in den laufenden Text einbezogen. Am Ende des jeweiligen Kapitels werden die einzelnen Abschnitte zusammengefasst und bewertet. 2) Der Wortlaut der untersuchten Vorschriften wird größtenteils in den Fußnoten wiedergegeben. Zur besseren Verständlichkeit und Übersichtlichkeit sind im Anhang die Entwurfs- und Gesetzestexte der untersuchten Strafvorschriften seit 1794 abgedruckt. 3) Mit dem Ziel, die untersuchten Tatbestände, insbesondere die Änderungen an ihnen deutlich herauszuarbeiten, wird zuvörderst auf den vom Tatbestand erfassten Personenkreis, anschließend auf den Strafausspruch eingegangen. Auch steht als Untersuchungskriterium die Begründung der Inzeststrafbarkeit im Fokus der Darstellung. 4) Am Ende der Abhandlung wird ein Résümé aus den zuvor dargestellten Untersuchungen und Zusammenfassungen gezogen. Damit soll eine Gesamtbeurteilung der Entwicklung der Inzeststrafbestände erreicht werden. 5) Als veröffentlichte Quellen dienen Gesetze, Gesetzesentwürfe, Begründungen, Beratungsprotokolle, Sitzungsberichte, Anträge u.a. Die für die Arbeit verwendeten unveröffentlichten Quellen entstammen dem Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde und Koblenz. Sowohl die unveröffentlichten als auch die veröffentlichten Quellen sind im Quellenverzeichnis chronologisch aufgeführt.

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Erster Teil: Grundlagen

E) Terminologie Die Tatbestände des § 173 StGB werden hier als „Inzeststraftatbestände“ und der Beischlaf zwischen Verwandten als „Inzest“39 benannt. Zwar wurde und wird weder in der amtlichen Paragraphenüberschrift40 noch in der Strafnorm selbst das Wort Inzest verwendet, gleichwohl ist es seit jeher allgemein gebräuchlich, zumindest den Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie sowie zwischen Geschwistern als Inzest zu bezeichnen. Die amtliche Paragraphenüberschrift „Beischlaf zwischen Verwandten“ hat sich – auch wenn seit der Streichung des Verschwägerteninzests durch das 4. StrRG (1973) begrifflich zutreffend – als Bezeichnung nicht durchgesetzt. Der Begriff der „Blutschande“ ist jedenfalls seit Änderung der amtlichen Paragraphenüberschrift nicht mehr geläufig; auch wurde bereits vor der Änderung der Begriff des Inzests dem der Blutschande vorgezogen41. Ferner sollen im Interesse der Einheitlichkeit auch diejenigen Tatbestandshandlungen, die in der jeweiligen Epoche mit unter den Begriff der Blutschande bzw. des Inzests subsumiert wurden – bspw. der Beischlaf in Stief- und Schwägerschaftsverhältnissen (teils „unechte Blutschande“ genannt) – als Inzest bezeichnet werden. Die Begriffe „Blutschande“ und „Inzest“ sind mehrfach42 Gegenstand sprachlicher Untersuchungen geworden. Nach Többen43 scheint der Ausdruck „Blutschande“ eine Übersetzung von „sanguinis contumelia“44 in „lex 38, § 1, Dig. ad legem Juliam de adulteriis“45 zu sein. Er ist zwar der Auffassung, dass der Ausdruck sich in den deutschen Gesetzen des 16. Jahrhunderts noch nicht findet46, jedoch wird er schon in den sog. Sächsischen Konstitutionen von 39 40 41 42 43 44 45 46

Der Begriff ist abzugrenzen von der „Inzucht“. Darunter versteht man die bevorzugte Paarung zwischen relativ nahen (Bluts-)Verwandten in der Tier- und Pflanzenzucht. Vgl. Brockhaus Enzyklopädie, Neunter Bd. (IL-KAS), S. 206 f. Diese lautete seit dem Vorentwurf von 1909 stets „Blutschande“ bzw. seit dem 4. StrRG (1973) „Beischlaf zwischen Verwandten“. Kaeferlein, Der Inzest, 1926; Palmen, Der Inzest, 1968; Többen, Über den Inzest, 1925. Dippel, LK, Vor § 169 Fn. 3; Karkatsoulis, Inzest und Strafrecht, S. 24 ff.; Maisch, Inzest, S. 9 ff.; Többen, Über den Inzest, S. V f. (Einl.); Wittmann, Die Blutschande, S. 19 und S. 39. Többen, Über den Inzest, S. V (Einl.). „Sanguis“ ist die lateinische Bezeichnung für Blut, „contumelia“ bezeichnet eine Misshandlung, Beleidigung oder Schändung. Gemeint ist die „lex 38“ der römischen Digesten, die auf Julian (Publius Salvius Iulianus) zurückzuführen ist. Többen, Über den Inzest, S. V (Einl.).

Erstes Kapitel: Sachl. Grundlegung: Probleme und Methoden

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1572 verwendet47. Ebenfalls nachgewiesen ist, dass der Begriff im deutschen Recht seit der Zeit Luthers auftauchte48. Wie bemerkt ist der „emotionell klingende und allmählich veraltende Ausdruck“49 aber von dem Begriff des Inzests verdrängt worden. Zum Ursprung des Begriffs Inzest werden zwei Auffassungen vertreten. Überwiegender Ansicht zu Folge wird das Wort Inzest aus dem Lateinischen „incestare“ (beflecken, verunreinigen, schänden), „castus“ (rein, keusch) und „incestus“ (unrein, unkeusch, unzüchtig) abgeleitet50. Ursprünglich bezeichnete das Wort die den religiösen Ordnungen zuwider laufenden Keuschheitsverletzungen51. Eine andere, mehr symbolisch orientierte Auffassung sucht die ursprüngliche Bedeutung im Lateinischen „cestus“ (Gürtel der Venus, der Liebe erregen soll und in der Ehe als Zeichen weiblicher Treue galt)52. Im Grunde sind die Begriffe „Blutschande“ und „Inzest“ inhaltsgleich53 und bezeichnen seit jeher den Geschlechtsverkehr zwischen nahen Verwandten, wobei der Begriff der Blutschande früher in einem weiteren Sinne verstanden wurde54.

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Ebendort im „Teil IV., Art. XXII. Von Straffe des incestus und Blut-Schande [Hervorhebung durch den Verfasser], wann beyd Personen nicht ehelich seyen“. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, Bd. 2, S. 387. Simson / Geerds, § 23 Inzest, S. 412. Karkatsoulis, Inzest und Strafrecht, S. 24; Maisch, Inzest, S. 9 f.; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 682 Fn. 1; Többen, Über den Inzest, S. V (Einl.). Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 682 Fn. 1. Maisch, Inzest, S. 11. Dippel, LK, § 173 Fn. 1. Karkatsoulis, Inzest und Strafrecht, S. 25; Klöpper, Das Verhältnis von § 173 StGB zu Art. 6 I GG, S. 2; Többen, Über den Inzest, S. V (Einl.).

Zweites Kapitel: Historische Grundlegung: Deutsches Partikularrecht bis 1871 A) Rezeptionsgeschichte Der Überblick über die Gesetzgebung der Inzeststraftatbestände auf deutschem Gebiet bis 1794 lässt sich in einer aus drei Stufen bestehenden Entwicklung nachzeichnen. Die das alte Deutsche Recht1 umfassende erste Stufe beginnt mit den ersten Kodifizierungen im 6. Jahrhundert n. Chr. und dauert bis in das Mittelalter hinein2. Während dieser Epoche lagen keine eigenständigen Inzestverbote vor, sondern sie ließen sich allein aus den Eheverboten ableiten. Die tatbestandlichen Umschreibungen waren überwiegend unbestimmt und der Strafausspruch von großer Härte. Als zweite Stufe ist die Bambergische Halsgerichtsordnung von 1507 und die darauf beruhende Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 auszumachen. In ihnen waren die ersten eigenständigen Inzestverbote vorgesehen. Sie fassten im Gegensatz zu den Eheverboten die Tatbestände enger und versuchten den Strafausspruch in bestimmten Konstellationen zu mildern. Die dritte Stufe hat die partikularrechtlichen Regelungen seit der Carolina bis 1794 zum Inhalt3. In ihr ist ein Rückfall in die Zeit vor der Bambergensis und der Carolina zu verzeichnen, da der von den Tatbeständen erfasste Personenkreis wieder ausgedehnt und der Strafausspruch deutlich erhöht wurde.

I. Die ersten Kodifizierungen auf deutschem Gebiet Aus der Zeit vor dem Übertritt der germanischen Volksstämme zum Christentum liegen über die Gesetzgebung der Inzeststraftatbestände nur wenige Kenntnisse vor4. His vermutet, dass der geschlechtliche Verkehr unter nahen Verwandten in der germanischen Urzeit als todeswürdiges Verbrechen behan-

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Das alte deutsche Recht läßt sich einteilen in die Zeit der Volksrechte (5. bis 8. Jahrhundert) und die Zeit der Rechtsbücher und Stadtrechte (9. bis 15. Jahrhundert). Vgl. Ubl, Inzestverbot und Gesetzgebung, Die Konstruktion eines Verbrechens (300– 1100), 2008. Vgl. Jarzebowski, Inzest, Verwandtschaft und Sexualität im 18. Jahrhundert, 2006. Jähnicke, Die Blutschande, S. 12.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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delt worden ist5. Hingegen ist Wilda der Auffassung, dass lediglich Ehen unter nächsten Blutsverwandten, d.h. Eltern und Kindern sowie Geschwistern, nach germanischer Sitte unzulässig waren6. Gemeinsam ist beiden Ansichten die enge Auslegung des Inzestbegriffs in jener Zeit. Mit dem Eindringen des Christentums in Germanien wurde die dortige Rechtsauffassung beeinflusst und im Laufe der Entwicklung durch die christliche substituiert7. Das Inzestverbot setzte sich i.S.d. kirchlichen Rechts durch und wurde von der weltlichen Gesetzgebung erstmals in einer Verordnung8 König Childeberts II. von Austrasien9 im Jahr 596 n. Chr., „dem ältesten uns bekannten germanisch-christlichen Gesetz [über den Inzest]“10 genannt. Bedroht wurde die Ehe mit der Stiefmutter mit dem Tode, wohingegen gelindere Fälle dem Bischof zur Bestrafung überlassen blieben11. Angenommen wird, dass neben den Eheverboten auch der geschlechtliche Verkehr mit Vorfahren und Geschwistern als todeswürdig galt12. Solche Verbote inzestuöser Verbindungen gehörten überall mit zu den ersten Gesetzen, welche nach Unterwerfung und Bekehrung heidnisch-germanischer Völker von den christlichen Herrschern erlassen wurden13. Welche Verbindungen aber unter diesen (Ehe-) Verboten zu begreifen waren, wurde entweder durch die Kirchengesetze als festbestehend vorausgesetzt, oder der näheren Bestimmung der Geistlichen in einzelnen Fällen überlassen14. Bedingt wurde die Strafbarkeit des Inzests in dieser Epoche durch die Sittenwidrigkeit und die religiösen Gründe15. Auch wenn bei der Inquisition und den Hexenprozessen ab dem 13. Jahrhundert die Bezichtigung inzestuöser Handlungen eine nicht geringe Rolle spiel-

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His, Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, S. 147. Wilda, Das Strafrecht der Germanen, S. 855. Palmen, Der Inzest, S. 46. Decretio Childeberti II. a. 596. C. 2. (Pertz p. 9.), abgedruckt bei Wilda, Das Strafrecht der Germanen, S. 855 f. Austrasien bezeichnete den östlichen Teil des Frankenreichs. Das Gebiet umfasste die fränkischen Gebiete um Rhein, Maas und Mosel und neben Metz die Orte Reims, Köln und Trier sowie die Gebiete der besiegten germanischen Stämme. Wilda, Das Strafrecht der Germanen, S. 855. Wittmann, Die Blutschande, S. 49. His, Geschichte des Deutschen Strafrechts bis zur Karolina, S. 147. Einige Gesetze dieser Epoche sind dargestellt bei Jähnicke, Die Blutschande, S. 12 f. und Wittmann, Die Blutschande, S. 49. Wilda, Das Strafrecht der Germanen, S. 856. Palmen, Der Inzest, S. 46.

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Erster Teil: Grundlagen

te16, ist im deutschen Mittelalter von einer weltlichen Bestrafung des Inzests lange Zeit keine Rede17. Als Grund ist anzuführen, dass die Kirche die Strafverfolgung vollends an sich gezogen hatte18. Gleichfalls dehnte sie die Eheverbote maßlos aus19, zeitweilig, zwischen 732 (Gregor III.) und 1215 (Innonenz III.), bis zum siebten Grad römischer Komputation20. Erst im 15. Jahrhundert finden sich wieder vereinzelt Satzungen, die die Ehe unter Verwandten bedrohten21, wobei der Strafausspruch (Geldbrüchte) für diese Epoche untypisch mild war. Hingegen kam in der Praxis des Spätmittelalters bei geschlechtlichem Verkehr unter nahen Verwandten die Enthauptung vor, die dann unter dem Einfluss der italienischen Juristen auch in die Halsgerichtsordnungen Eingang gefunden hat22.

II. Die Bambergische und die Peinliche Halsgerichtsordnung Eine erste Lösung des Inzestverbots von den Eheverboten und damit einen unabhängigen weltlichen Inzestbegriff erzielte die Bambergische Halsgerichtsordnung (CCB) von 1507 und die weitgehend darauf beruhende Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (CCC) von 1532. Innerhalb der CCB fanden sich die Inzeststraftatbestände in Art. 14223. Bestraft wurde der mit der Stieftochter, Schwiegertochter und Stiefmutter begangene Inzest „dem eebruch gleych“. Nach der Vorschrift über den Ehebruch sollte „[...] nach sage der Keyerlichen recht mit dem schwert zum todt gestrafft werden [...]“24. Waren ferner Personen der allernächsten Blutsverwandtschaft straffällig geworden25, sollte nach Art. 142 „die straff derhalb nach Radt der 16 17 18 19 20 21 22 23

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Maisch, Inzest, S. 18. His, Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, S. 147. Wittmann, Die Blutschande, S. 50. Binding, Lehrbuch, 2. Aufl. 1902, S. 228 und S. 229. Dippel, LK, § 173 Fn. 5. Jähnicke, Die Blutschande, S. 13. His, Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, S. 147. Art. 142 (CXLII) CCB: „Straff der vnkeusch mit nahent gesipten freunden. Jtem so einer vnkeuscht mit seiner stifftochter, mit seines suns eeweyb oder mit seiner stiffmutter, soelche vnkeusch solle dem eebruch gleych, wie an dem hunderten vnd funffundvierzigsten artickel von dem eebruch geschriben steet, gestrafft werden; Aber von neher vnkeusch wirt vmb zucht vnd ergernuss willen zu melden vnterlassen: Wo aber noch nehere vnd boesslichere vnkeusch geuebt wurdt, So sol die straff derhalb nach Radt der verstendigen beschwerdt werden“. Wortlaut nach Kohler / Scheel, Die Bambergische Halsgerichtsordnung, S. 56. Wortlaut des Art. 145 (CXLV) „Straff des Eebruchs“ bei Kohler / Scheel, a.a.O., S. 57. „Wo aber noch nehere vnd bösslichere vnkeusch geuebt wurdt, [...]“.

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verstendigen beschwerdt“26, also die Strafe durch eine qualifizierte Todesstrafe verschärft werden. Da die Redaktoren der CCC die Bestimmungen der CCB im Wesentlichen übernommen hatten27, fanden sich in der CCC die Inzeststraftatbestände unter nahezu derselben Paragraphenüberschrift und mit ähnlichem Inhalt im Art. 11728. Der Tatbestand erfasste alle Personen, zwischen denen nach dem kirchlichen Recht keine gültige Ehe ohne Dispens geschlossen werden konnte, d.h. Blutsverwandte in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis einschließlich zum vierten Grad sowie Verschwägerte29. Was aber unter den „noch nehern sipschaften“ zu verstehen war, ob insbesondere auch Geschwister unter das Verbot fielen war strittig30. Auch eine besondere Strafe war durch die Formulierung „soll die straff wie dauon inn vnsern vorfarn vnnd vnsern Keyserlichen geschriben rechten gesetzt“ nicht ausgesprochen31, sondern allein das ältere Recht bestätigt worden32. Daher hatte dieser Artikel wenig bis gar keinen praktischen Wert33. Wenngleich in der Zeit der CCC und CCB die Praxis i.d.R. hart, oft mit dem Tode, bestrafte34, kam es dazu, dass überall anders entschieden wurde35. Infolge der Ungenauigkeit der Gesetzgebung blieb in den katholischen Län26

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Nach Jähnicke, Die Blutschande, S. 14 ist diese Bestimmung dem Betreiben des Hauptredakteurs der CCB Johann Freiherr von Schwarzenberg (1463–1528) zuzuschreiben, der dadurch der Wissenschaft einen maßgeblichen Einfluss auf die Rechtsprechung einräumen wollte. Radbruch / Kaufmann, Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (Carolina), S. 10 f. Art. 117 (CXVII) CCC: „Straff der vnkeusch mit nahende gesipten freunden. Item so eyner vnkeusch mit seiner stiefftochter, mit seines suns eheweib, oder mit seiner stieffmutter treibt, inn solchen vnd noch nehern sipschafften soll die straff wie dauon inn vnsern vorfarn vnnd vnsern Keyserlichen geschriben rechten gesetzt, gebraucht, vnnd derhalb bei den rechtuerstendigen radts gepflegt werden“. Wortlaut nach Radbruch / Kaufmann, a.a.O., S. 81. v. Frölichsburg, Commentarius in Kayser Carl des Fünften peinliche Hals-GerichtsOrdnung, S. 264. Kaeferlein, Der Inzest, S. 64; Jähnicke, Die Blutschande, S. 15 f.; Többen, Über den Inzest, S. 12; Wittmann, Die Blutschande, S. 57 ff. Weder ein konkreter Strafausspruch noch ein Verweis auf eine andere Vorschrift der CCC ist im Art. 117 vorgesehen. Nach Wittmann, Die Blutschande, S. 57 sollte durch den Verweis auf die kaiserlichen geschriebenen Rechte, insbesondere was die weiteren und nicht genannten Grade betrifft, auf die möglichen Dispensationen und auf den Stand der damaligen Wissenschaft Rücksicht genommen werden. Nach Dippel, LK, § 173 Rdnr. 1 wurden die Unklarheiten des Tatbestandes der Carolina nach mosaischem, römischen und kanonischen Recht ergänzt. Quanter, Die Sittlichkeitsverbrechen, S. 198. Kaeferlein, Der Inzest, S. 64. Quanter, Die Sittlichkeitsverbrechen, S. 198.

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Erster Teil: Grundlagen

dern das Kirchenrecht maßgebend, während in den protestantischen die Grenzen enger gezogen wurden36.

III. Die partikularrechtlichen Regelungen seit der Carolina bis 1794 Die partikularrechtlichen Regelungen in den deutschen Territorialstaaten seit der Carolina bis 1794 sahen, wie zuvor die CCB und die CCC, eine separate, von den Eheverboten losgelöste Bestrafung des Inzests vor. Zwar versuchte man die infolge der verschwommenen Formulierung der Carolina auftretenden Lücken durch eine konkrete Formulierung zu schließen, jedoch fielen die partikularrechtlichen Regelungen vollends in frühmittelalterliche Vorstellungen zurück37. Übereinstimmend wurden die Inzeststraftatbestände ausgedehnt und auf härtere Strafen erkannt38. Die Sächsischen Konstitutionen vom 21. April 1572 verwiesen bei dem vom Tatbestand erfassten Personenkreis ausdrücklich auf mosaisches Recht39 und bedrohten die von Verwandten in gerader Linie begangene Blutschande mit dem Schwert, die von Seitenverwandten begangene mit Staupenschlägen40 und ewiger Landesverweisung. Einzelne Gesetzgebungen gingen bis zur Strafe des Feuertodes, so bspw. das Kurpfälzische Landrecht von 158241. Durch die Autorität des sächsischen Juristen Carpzov42 ging das in den Sächsischen Konstitutionen enthaltene sächsische Recht zum großen Teil in das gemeine Recht über43. Diese Vorstellungen beherrschten ein weiteres Jahrhundert die deutsche Strafrechtspflege44, so dass die Praxis sich bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts erhielt45. In diesem Zusammenhang sind bspw. noch der Codex juris Bavarici vom 7. Oktober 1751 (Feuer, Schwert und Staupbesen)46 und die österreichi36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46

Palmen, Der Inzest, S. 47. Dippel, LK, § 173 Rdnr. 1. Jähnicke, Die Blutschande, S. 16. „Teil IV. Art. XXII.“: „[...] die, so in Mose Lev 18 genannt werden, [...]“. Eine mittelalterliche Strafe, bei der der Verurteilte am Pranger geschlagen wurde. „Teil V, Titel 32, Straff der Blutshand, § 1“: „[...] mit dem Fewer unnachlässlich gestraft“. Benedict Carpzov (1595–1666), Hauptwerk: Practica Nova Imperials Saxonica Rerum Criminalium, 1635. Textauszug bei Vormbaum, Strafrechtsdenker der Neuzeit, S. 26 ff. (mit Literaturhinweisen im Anhang). Jähnicke, Die Blutschande, S. 16 f. Dippel, LK, § 173 Rdnr. 1 Fn. 7. Jähnicke, Die Blutschande, S. 17. Im „Teil I, Capitel VI. Von der Blutschand und Notzucht., §§ 1–6“.

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sche Constitutio Criminalis Theresiana vom 31. Dezember 1768 (Schwert, Staupenschlag und Landesverweisung)47 einzuordnen. Bei den partikularrechtlichen Regelungen dieser Epoche wurde der Beischlaf zwischen Aszendenten und Deszendenten überwiegend mit dem Tode (durch Schwert, Feuer oder Ertränken), der zwischen Geschwistern mit Vermögensentzug, Staupenschlag oder Landesverweisung, also milder bestraft48.

B) Preußisches Strafgesetzbuch (1851) nebst Vorläufern und Entwürfen Das Preußische Strafrecht verdient nicht nur aufgrund seines großflächigen Geltungsbereichs, sondern auch wegen seiner Vorbildfunktion für den „Entwurf Friedberg“, den Grundstein für das spätere RStGB, besondere Beachtung innerhalb der historischen Grundlegung. Ausgangspunkt der Entwicklung zum prStGB ist das ALR.

I. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Der Ursprung der strafrechtlichen Bestimmungen des ALR ist in den strafrechtsphilosophischen Aufklärungsgedanken seiner Zeit zu finden49. Dies gilt umso mehr für die Inzeststraftatbestände und die Kritik an ihnen, da sie in der Epoche der Aufklärung50 mannigfaltig Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion waren. Eine erste kritische Auseinandersetzung mit den Inzeststraftatbeständen fand in den romanischen Ländern statt. Als einer der bedeutendsten französischen Aufklärer, der die Inzeststraftatbestände kritisierte, ist Montesquieu51 zu nennen. Eine vergleichbare Tendenz war in Italien u.a. bei Beccaria52 auszumachen. In Deutschland wurde besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Inzeststrafbarkeit in Zweifel gezogen. Hervorzuheben ist Hommel53, der sich gegen eine weltliche Bestrafung aussprach. Er sah im Inzest 47 48 49 50 51 52 53

Im „Art. 75, § 5“. Weitere Gesetze aus dieser Epoche werden beleuchtet bei Palmen, Der Inzest, S. 48 ff. und Wittmann, Die Blutschande, S. 59 ff. v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 271 ff. Zur Strafrechtslehre der Aufklärung vgl. Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 25 ff. Baron Charles-Louis de Montesquieu (1689–1755), De l’esprit des lois, Vom Geist der Gesetze, Übersetzung von Ernst Forsthoff, 2. Bd., S. 221 ff. Textauszug bei Vormbaum, Strafrechtsdenker der Neuzeit, S. 90 ff. (mit Literaturhinweisen im Anhang). Cesare Beccaria (1738–1794), Dei delitti e delle pene, Von den Verbrechen und von den Strafen (1764), aus dem Italienischen von Thomas Vormbaum, S. 95 ff. Textauszug bei Vormbaum, a.a.O., S. 119 ff. (mit Literaturhinweisen im Anhang). Karl Ferdinand Hommel (1722–1781) war im 18. Jahrhundert im Gefolge seiner aufklärerischen Strafkonzeption insbesondere deswegen für die Straflosigkeit des Inzests eingetreten, weil der Inzest „niemanden beleidigt“, also niemandem Schaden zu-

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lediglich ein unsittliches Verhalten und keine Gefährdung der Familie und wollte den Inzest daher nur mit Kirchenstrafen geahndet wissen. Mit vergleichbaren Forderungen sind die Inzeststraftatbestände bei weiteren Aufklärern Gegenstand ihrer Reformbemühungen gewesen. Der Inzest sollte als bloß unmoralisches und unsittliches Verhalten im weltlichen Recht straflos bleiben, wenn nicht eine Gefährdung der Familie oder des sozial-ökonomischen Umfelds nachgewiesen werden konnte. Zumindest sollte im Vergleich zu den bestehenden Strafgesetzen der vom Tatbestand erfasste Personenkreis begrenzt und die Strafe deutlich reduziert werden54. Als erstes Produkt unter Einfluss der Aufklärungsbewegung wurde das ALR geschaffen, das, nach fast 80 Jahren andauernden Bemühungen55, am 1. Juni 1794 in Preußen in Kraft trat.

Bezeichnend für das ALR als außerordentlich umfangreiches Gesetzbuch56, sind auch die Inzeststraftatbestände in dreizehn57 Vorschriften äußerst ausführlich geregelt. Jedoch haben sie durch die Reformbemühungen der Aufklärung ein gewisses Maß an Humanität erhalten58. Die Bestimmungen zum Inzest waren im ALR im zwanzigsten Titel des zweiten Teils (II 20) vornehmlich unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in den §§ 1039 ff.59 abgefasst. Bestraft wurde die „Unzucht“60 zwischen ehelichen Verwandten auf- und absteigender Linie an den Aszendenten in § 1039 ALR II 2061 mit drei- bis fünfjähriger Festungsstrafe, an den

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füge (Hommel, Des Herrn Marquis von Beccaria unsterbliches Werk von Verbrechen und Strafen, Hommelische Vorrede, S. 2 und S. 14). Er sah im Inzest lediglich eine „Sünde und kein Verbrechen“ und plädierte auf eine Kirchenstrafe unter Ausnahme eines staatlichen Strafanspruchs (Hommel, Philosophische Gedanken über das Strafrecht, § 59, S. 121). Textauszüge zu Hommel bei Vormbaum, a.a.O., S. 142 ff. und S. 151 ff. (mit Literaturhinweisen im Anhang). Vgl. zu den Aufklärern, die sich mit dem Inzestverbot auseinandersetzten, Palmen, Der Inzest, S. 48 ff. und Wittmann, Die Blutschande, S. 71 ff. Bereits im Jahre 1714 hatte Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) der Juristenfakultät in Halle den Auftrag zur Abfassung eines Gesetzbuches gegeben. Doch blieb dieser ohne Erfolg. Es sollte noch über 60 Jahre dauern, bevor das Reformwerk erfolgreich begonnen werden konnte. Vgl. Hattenhauer / Bernert, ALR, S. 11 ff. Allein der strafrechtliche Teil des ALR (2. Teil, 20. Titel) enthält 1577 Paragraphen. §§ 1033 bis 1036 und §§ 1039 bis 1047 ALR II 20. Wittmann, Die Blutschande, S. 79. Die §§ 1039 ff. ALR II 20 sind abgedruckt bei Hattenhauer / Bernert, ALR, S. 707 f. Unter Unzucht verstand man allein den „Beischlaf“. Vgl. Goltdammer, Die Materialien zum Strafgesetzbuche für die Preußischen Staaten, Teil II, S. 287 f. § 1039 ALR II 20: „Aeltern und Großältern, welche ihre eheliche Kinder oder Enkel zur Unzucht mißbrauchen, sollen mit Festungsstrafe, auf drey bis fünf Jahre, belegt werden“.

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Deszendenten in § 1040 ALR II 2062, soweit sie achtzehn Jahre alt waren, mit sechsmonatigem bis einjährigem Zuchthaus. Wenn die Verwandtschaft eine uneheliche war, wurde nach § 1042 ALR II 2063 willkürlich bestraft, d.h. wegen des Verweises auf § 35 ALR II 2064 mit Gefängnis bis zu sechs Wochen oder Geldbuße bis zu 50 Talern. Die Unzucht zwischen mannbaren Geschwistern wurde in § 1041 ALR II 2065 bei ehelicher Verwandtschaft mit ein- bis zweijähriger Festungs- oder Zuchthausstrafe, bei unehelicher mit Gefängnis bis zu sechs Wochen oder Geldbuße bis zu 50 Talern geahndet. Neben den Tatbeständen, die explizit unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ erfasst waren, gab es im ALR II 20 weitere Tatbestände, die den Inzest in seinem, zu dieser Zeit üblichen, weiten Umfang verstanden. Diese waren unter der Paragraphenüberschrift „Verführung“ in den §§ 1033 bis 1036 ALR II 2066 geregelt. Nach § 1033 ALR II 2067 wurden Stiefeltern, die ihre Stiefkinder noch während des Lebens des anderen Ehegatten zur Unzucht verführten, mit Festungs- oder Zuchthausstrafe von zwei bis vier Jahren bestraft; wenn dies erst nach dem Tod des anderen Ehegatten geschah, wurde nach § 1034 ALR II 2068 die Strafe um die Hälfte gekürzt. Ferner wurde in § 1035 ALR II 2069 angenommen, dass i.d.R. die Stiefkinder von ihren Stief62 63 64 65 66 67

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§ 1040 ALR II 20: „In solchem Falle soll gegen die Kinder, welche das achtzehnte Jahr zurückgelegt haben, eine sechsmonathliche bis einjährige Zuchthausstrafe erkannt; jüngere Kinder aber sollen mit der Strafe verschont werden“. § 1042 ALR II 20: „Blutschande unter unehelichen Verwandten dieser Art, (§. 1039– 1041.) soll an demjenigen, welcher die Verwandschaft gewußt hat, willkührlich (§. 35.) bestraft werden“. § 35 ALR II 20: „Wenn die Gesetze eine willkührliche Strafe verordnen: so darf dieselbe nicht über Gefängniß von Sechs Wochen, oder Fünfzig Thaler Geldbuße, ausgedehnt werden“. § 1041 ALR II 20: „Unzucht unter schon mannbaren ehelichen Geschwistern, voller oder halber Geburt, wird mit Festungs- oder Zuchthausstrafe, auf ein bis zwey Jahre geahndet“. Die §§ 1033 bis 1036 ALR II 20 sind abgedruckt bei Hattenhauer / Bernert, ALR, S. 707. § 1033 ALR II 20: „Stiefältern, welche ihre Stiefkinder, noch während des Lebens des andern Ehegatten, zur Unzucht verführen, sollen gleiche Strafe leiden“. (§ 1031 ALR II 20: [...] zu allen öffentlichen Aemtern, Würden und Ehrenstellen für immer unfähig“; § 1032 ALR II 20: „Außerdem haben sie Festungs- und Zuchthausstrafe, auf zwey bis vier Jahre verwirkt“.). § 1034 ALR II 20: „Ist dieses (§. 1033.) nach dem Tode des andern Ehegatten geschehen: so findet nur die Hälfte der §. 1032. bestimmten Strafe statt“. § 1035 ALR II 20: „Wenn Stiefkinder mit Stiefältern Unzucht treiben: so wird in der Regel angenommen, daß erste von letzten dazu verführt wurden; und die Stiefkinder sind sodann mit aller Strafe zu verschonen“.

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Erster Teil: Grundlagen

eltern verführt wurden und eine Strafe in diesem Fall nicht auszusprechen ist. Sofern aber das Stiefkind der verführende Teil war, so sollten nach § 1036 ALR II 2070 beide Teile entsprechend der §§ 1033 und 1034 ALR II 20 gleich bestraft werden. Im ALR nicht bestraft wurde die Unzucht zwischen Verschwägerten. Hervorzuheben sind schließlich die präventiven Bestimmungen, die das ALR in den §§ 1043 ff. II 2071 vorsah. Um Rückfälle nach Möglichkeit auszuschließen wurde in § 1043 ALR II 2072 bestimmt, dass alle Personen, welche Blutschande getrieben haben, gänzlich voneinander getrennt werden. Um aber dergleichen Unheil schon im Voraus zu verhüten, wurde in § 1044 ALR II 2073 den Eltern aufgegeben, mit ihren Kindern verschiedenen Geschlechts, soweit diese zehn Jahre und älter waren, nicht in einem Bett zusammen zu schlafen. Dasselbe galt nach § 1045 ALR II 2074 für Geschwister verschiedenen Geschlechts, von denen der jüngere Teil bereits zehn Jahre alt war. Nach § 1046 ALR II 2075 hatte die Übertretung dieser vorbeugenden Vorschriften, solange noch kein Verbrechen begangen worden war, an den Eltern gerichtlichen Verweis, im Wiederholungsfalle willkürliche Gefängnisstrafe zur Folge. Wenn es zwischen den Geschwistern, durch Nachsicht der Eltern veranlasst, zur Unzucht kam, so war nach § 1047 ALR II 2076 den Eltern die für die Kinder bestimmte Strafe ganz oder zur Hälfte aufzuerlegen. Quanter folgerte aus den präventiven Regelungen, dass das ALR für den damaligen Zeitgeist die besten Bestimmungen enthielt. Man müsse deren Nützlichkeit anerkennen, „denn es 70 71 72 73 74 75 76

§ 1036 ALR II 20: „Ist aber das Gegentheil klar: so sollen sowohl die Stiefältern, als die Stiefkinder, im Falle des §. 1033. mit ein- bis zweyjähriger, im Falle des §. 1034. aber mit sechs- bis zwölfmonathlicher Zuchthausstrafe belegt werden“. Die §§ 1043 ff. ALR II 20 sind abgedruckt bei Hattenhauer / Bernert, ALR, S. 707 f. § 1043 ALR II 20: „In allen vorstehend bestimmten Fällen (§. 1039–1042.) müssen die Personen, welche Blutschande getrieben haben, von einander gänzlich entfernt werden“. § 1044 ALR II 20: „Um aber dergleichen Unheil mit desto mehrerer Sicherheit zu verhüten, sollen Aeltern mit ihren Kindern verschiedenen Geschlechts, die schon zehn Jahr oder darüber alt sind, nicht in Einem Bette schlafen“. § 1045 ALR II 20: „Auch Geschwistern verschiedenen Geschlechts, soll dergleichen Zusammenschlafen, sobald das jüngere das zehnte Jahr vollendet hat, nicht gestattet werden“. § 1046 ALR II 20: „Die Uebertretung dieser Vorschrift ist, so lange noch kein Verbrechen begangen worden, an den Aeltern durch gerichtlichen Verweis, und im Wiederholungsfalle, mit verhaltnißmäßiger willkührlicher Gefängnißstrafe [§ 35] zu ahnden“. § 1047 ALR II 20: „Ist aber zwischen Geschwistern, durch Nachsicht der Aeltern, wirkliche Unzucht veranlaßt worden, so haben letztere, nach Beschaffenheit der Umstände, die den Kindern §. 1040. bestimmte Strafe ganz oder zur Hälfte verwirkt“.

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kann keinem Zweifel unterliegen, dass besonders die Wohn- und Schlafverhältnisse in den großen Städten geradezu Brutstätten des Lasters sind“77. Daher hielt er die Präventivmaßregeln für „vortrefflich“78 und ebenso in der heutigen Zeit (1970) für angebracht79.

II. Die Preußische Gesetzesrevision Der das materielle Strafrecht umfassende 20. Titel des II. Teils des ALR besaß nur für kurze Zeit das Vertrauen und den Zuspruch der Verantwortlichen. Deren Kritik gründete sich u.a. auf die Ansicht, es spiegele wegen der Verschiedenheit und Gelindigkeit 80 der Strafen nicht den „Geist der Nation“ wider . So beschloss man, obwohl fast unmittelbar nach Inkrafttreten des umfangreichen Gesetzeswerks in den Jahren 1794 bis 81 1797 mehrere Patente und Reskripte ergangen waren , bereits zwei Jahre später die totale Revision des 20. Titels des II. Teils. Am 8. Dezember 1799 beauftragte König Friedrich Wilhelm III. den Geheimen Justizrath Klein mit der Erarbeitung eines Entwurfs „einer Criminalordnung und der Revision von Titel 20 des Allgemeinen 82 Landrechts“ . In den darauf folgenden Jahren wurden zahlreiche Entwürfe erarbeitet und vorgelegt, die sich auf die Erneuerung dieses Titels bezogen83, jedoch scheiterte dieses Reformvorhaben an den militärischen und politischen Ereignissen seiner Zeit84. Eine Darstellung der in dieser Zeit erarbeiteten Entwürfe ist entbehrlich, da sie nur 85 unwesentliche Änderungen an den Inzeststraftatbeständen hervorbrachten . Im Fol86 genden wird daher nur die so genannte II. Periode von 1826 bis 1851 Berücksichti77 78 79 80 81 82 83

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Quanter, Die Sittlichkeitsverbrechen, S. 201. Quanter, a.a.O., S. 203. Quanter, a.a.O., S. 201 f. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XVI. Banke, Der erste Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts, 2. Der Vorentwurf zum ersten Deutschen Einheitsstrafrecht, S. 14. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XXIX. Banke, Der erste Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts, 2. Der Vorentwurf zum ersten Deutschen Einheitsstrafrecht, S. 14 ff.: „I. Periode: Die fünf ersten Entwürfe“ (1795–1819). Zu nennen sind E 1800 Klein, E 1801 v. Schlechtendahl, E 1804 Kommission, E 1805 v. Goßler, E 1819 Sack. Vgl. die Quellensammlung von Schubert / Regge, die zwar mit dem Entwurf des Revisors Bode’s von 1827 beginnt, jedoch eine chronologische Gesamtübersicht über die Reformgeschichte des Straf- und Strafprozessrechts in Preußen voranstellt und dort auch die genannte Periode I abhandelt (Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XXIX ff.). v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 314. Wittmann, Die Blutschande, S. 96 Fn. 4. Banke, Der erste Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts, 2. Der Vorentwurf zum ersten Deutschen Einheitsstrafrecht, S. 23 ff.: „II. Periode: Die elf letzten Entwürfe“ (1826–1851). Allerdings sind abweichend von Banke zwölf Entwürfe zu nennen: E 1827 Bode, E 1828 Kommision, E 1830, E 1833, E 1836, E 1843, E 1845, E 1846, E 1847, E 1848, E 1849, E 1850/1851. Vgl. die chronologische Gesamtübersicht über

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gung finden, in der nunmehr im Rahmen der Inzeststraftatbestände wesentliche Neuerungen auftraten. Ferner begann die „eigentliche schöpferische Phase der Preußischen 87 Gesetzesrevision“ im Bereich des Straf- und Strafprozessrechts, die letztlich das prStGB hervorbrachte, mit der Übernahme der Aufgabe zur Revision der Gesetzgebung durch den Justizminister Danckelmann am 11. Juli 1825, als König Friedrich Wilhelm III. den zuvor v. Beyme erteilten Auftrag88 wieder an das Justizministerium zurückgab89. Bereits im Dezember desselben Jahres richtete Danckelmann eine Gesetzrevisions-Kommission ein90, die zu dieser Zeit kaum „prominenter“91 hätte besetzt sein können. Die Kommission verhandelte noch im Dezember 1825 sowie erneut Ende Januar 1826 über die Grundsätze dieser Revision und teilte den zu bearbeitenden Rechtsstoff in 16 Pensen ein, wobei das Pensum I das materielle Strafrecht umfasste und durch Bode, Kamptz, Sack und Fischenich vertreten war92. Im November 1827 legte der Revisor Bode den E 182793 sowie deren Motive94 vor. Jedoch enthielten sowohl Entwurf als auch Motive nur den AT eines StGB, sodass in ihnen der Inzest keine Rolle spielte. Erstes für die Reformdiskussion der Inzeststraftatbestände nennenswertes Ergebnis dieser Kommissi95 on war die Ausarbeitung des Entwurfs von 1828 (E 1828) .

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die Reformgeschichte des Straf- und Strafprozessrechts in Preußen bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XXXIV ff. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XXXIV. Am 5. Februar 1823 beauftragte König Friedrich Wilhelm III. den Staatsminister v. Beyme mit der Ausarbeitung des „Entwurfs zu einem allgemeinen Strafgesetzbuche“. Ziel sollte die Vereinheitlichung des Strafrechts der Rheinprovinzen mit dem übrigen preußischen Landesteile sein. v. Beyme nahm dies jedoch nicht ernsthaft in Angriff. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XVI und XXXIV. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XXXIV. Im selben Monat forderte er die OLG auf, zu dem von ihm umrissenen Projekt der Gesetzrevision Stellung zu nehmen. Sowohl zur Revision des materiellen Strafrechts als auch der des Strafprozessrechts gingen daraufhin zahlreiche Gutachten, Vorschläge und Anmerkungen dieser Gerichte, anderer Behörden, aber auch von Privatpersonen ein. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XXXIV. Der Kommission gehörten neben Danckelmann und Kamptz auch Seth, Reibnitz, Köhler, Eichhorn, Sack, Müller, Savigny, Simon, Fischenich, Scheffer, Scheibler und Bötticher an. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XVII. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XVII. „Entwurf des Criminal-Gesetz-Buches für die Preußischen Staaten, Berlin 1827“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 1 ff. „Motive zu dem, von dem Revisor vorgelegten, ersten Entwurfe des CriminalGesetzbuches für die Preußischen Staaten, 1. Bd., Berlin 1827“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 25 ff. „Entwurf des Straf-Gesetz-Buches für die Preußischen Staaten, Berlin 1828“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. 371 ff.

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1. Entwurf von 1828 Der erste vollständige Entwurf eines StGB seit dem Entwurf Sack (1819) wurde von den Revisoren Bode und Schiller96 erarbeitet. Der E 1828 wurde im Jahr 1828 als Manuskript für die Beratungen der Gesetzrevisions-Kommission gedruckt, und bis 1830 erschienen 5 Einzelbände Motive zu diesem Entwurf97.

Im E 1828 fanden sich die Inzeststraftatbestände im neunten Abschnitt „Verbrechen gegen die Sittlichkeit“ in den §§ 14 bis 1898, angelehnt an die Regelungen der §§ 1033 ff. ALR II 20. Im Vergleich zu den §§ 1033 ff. ALR II 20 erweiterten die §§ 14 bis 18 E 1828 den Tatbestand auf Schwägerschaftsverhältnisse. Diese Fälle wurden im E 1828 aber nicht unter dem 7. Kapitel „Blutschande“ (§§ 16 bis 18), sondern neben denen in Stiefverhältnissen im vorausgehenden 6. Kapitel „Andere Arten verbotener Unzucht“ (§§ 14 f.) abgefasst. In den Motiven begründete der Revisor Bode deren Strafbarkeit mit dem Verweis auf zustimmende Gutachten von diversen OLGen, auf die Ansicht des gemeinen Rechts und speziell auf den Umstand, dass auch das ALR selbst hinsichtlich des Eheverbots die Schwiegereltern und -kinder den Stiefeltern und -kindern völlig gleichgestellt hatte. Es sei „allein ein Redaktionsversehen“ gewesen, dass das ALR die Strafbarkeit des Inzests in Schwägerschaftsverhältnisse nicht vorsah. Zudem würde durch die von ihm vorgeschlagene Ausdehnung des Strafgesetzes auf diese Personen eine „wirkliche, in der Praxis auch mehrmals fühlbar gewordene, Lücke“ ausgefüllt werden99. Eine Begrenzung der Inzestregelungen des ALR II 20 erfolgte insoweit, als die präventiven Bestimmungen der §§ 1043 ff. ALR II 20 im E 1828 nicht übernommen wurden. Bode führte dazu aus, dass § 1043 ALR II 20 „lediglich eine Polizeimaßregel“ darstelle, die, soweit sie überhaupt sich ausführen lasse, von den Polizei- oder Vormundschafts-Behörden von selbst beobachtet werde100. In den §§ 1044 bis 1046 ALR II 20 scheine ihm „der Eifer des Gesetzgebers zu weit gegangen“. Abgesehen davon, dass sich die Befolgung dieser Vorschrift nur äußerst schwer kontrollieren lasse, sei sie auch „bei armen Leuten, denen es an den nötigen Betten fehle, ganz unausführbar, und bei wohlhabenderen wohl ganz unnütz“101. Ferner sah Bode die Vorschrift des § 1047 ALR II 20 als 96 97 98 99 100 101

Schiller war jedoch nur für die Vermögensdelikte zuständig. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XXXV. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. 332 f. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 919. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 921. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 922.

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Erster Teil: Grundlagen

„viel zu streng“ an, da es sich um eine bloße Fahrlässigkeit handele102 und stimmte für die Fortlassung des § 1047 ALR II 20, da der Paragraph zu sehr in das Gebiet der häuslichen Erziehung eingreife, welche das Gesetz durch Strafbefehle nicht regeln dürfe103. Bei den angedrohten Strafen sind eine Erhöhung bei den Verwandten und eine Verminderung bei den Stiefeltern und -kindern zu verzeichnen. Für die Aszendenten sah der E 1828 in § 16104 vier bis acht Jahre Zuchthausstrafe (§ 1039 ALR II 20: drei bis fünf Jahre Festungsstrafe), für die Deszendenten, sofern sie über achtzehn Jahre alt waren, ein bis vier Jahre Arbeitshausstrafe (§ 1040 ALR II 20: sechs bis zwölf Monate Zuchthausstrafe) vor. In den Motiven wandte Bode gegen die §§ 1039 und 1040 ALR II 20 ein, dass ihm in beiden Fällen das Strafmaß „zu gering“ erscheine und es daher in § 16 zu erhöhen gewesen sei105. In § 17106 sah der E 1828 für Geschwister, sofern sie das achtzehnte Jahr schon zurückgelegt hatten, sechs Monate bis zwei Jahre Arbeitshausstrafe vor (§ 1041 ALR II 20: wenn die Geschwister „mannbar“ waren, ein bis zwei Jahre Festungs- oder Zuchthausstrafe). Bode hielt bei dem § 1041 ALR II 20 den Ausdruck „mannbar“ für „zu unbestimmt“ und es für besser, im § 17 ein konkretes Alter anzugeben. Für diejenigen, die das „Alter gerade erst erreicht hätten und zugleich als Verführte erschienen“, sei unterste Strafe der landesrechtlichen Regelung (ein Jahr Zuchthaus) „zu hoch“ gewesen107.

102 Jedenfalls war nach Bode die Beziehung auf § 1040 ALR II 20 unpassend. Es wäre für ihn angemessener gewesen, auf die §§ 1041 und 1042 ALR II 20 zu verweisen, oder „noch besser“, eine besondere Strafe zu bestimmen, welche zugleich und hauptsächlich auch in dem Falle eintreten müsste, wo die mit einander Unzucht treibenden Kinder noch nicht mannbar, oder nicht achtzehn Jahre alt waren. Eine solche Vorschrift konnte nach Bode dahin gefasst werden: „Ist zwischen Geschwistern, durch Fahrlässigkeit der Eltern bei der Aufsicht über derselben, Unzucht veranlaßt worden, so haben die Eltern Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten verwirkt“. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 922. 103 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 922. 104 § 16 E 1828: „Eltern und Großeltern, welche mit ihren ehelichen Kindern oder Enkeln Unzucht treiben, sind mit vier- bis achtjähriger Zuchthausstrafe zu belegen. Gegen die Kinder oder Enkel ist in diesem Falle, jedoch nur dann, wenn sie schon über achtzehn Jahre alt sind, auf ein- bis vierjährige Arbeitshausstrafe zu erkennen“. 105 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 921. 106 § 17 E 1828: „Unzucht zwischen ehelichen Geschwistern voller oder halber Geburt soll, jedoch nur an denjenigen von ihnen, welche das achtzehnte Jahr schon zurückgelegt haben, mit sechsmonatlicher bis zweijähriger Arbeitshausstrafe geahndet werden“. 107 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 921.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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Für Verschwägerte aufsteigender Linie und Stiefeltern sprach der E 1828 in § 14108 sechs Monate bis zwei Jahre Arbeitshausstrafe (§§ 1032 bis 1034, 1036 ALR II 20 hinsichtlich der Stiefeltern: zwei bis vier Jahre Festungs- oder Zuchthausstrafe bzw. wenn die Tat nach dem Tod des Ehegatten geschah nur die Hälfte der bestimmten Strafen; wenn die Stiefeltern verführt wurden, ein bis zwei Jahre Zuchthausstrafe bzw. nach Ableben des Ehegatten sechs bis zwölf Monate Zuchthausstrafe) und für über achtzehn Jahre alte Verschwägerte absteigender Linie und Stiefkinder drei Monate bis ein Jahr Gefängnisoder Arbeitshausstrafe (§§ 1032 bis 1036 ALR II 20 hinsichtlich der Stiefkinder: kein Mindestalter, aber bei Verführung durch Stiefeltern straflos; wenn die Stiefkinder der verführende Teil waren und der Ehegatte noch lebte, ein bis zwei Jahre Zuchthausstrafe, ansonsten sechs bis zwölf Monate Zuchthausstrafe) aus. In den Motiven bemerkte Bode zu § 14, dass die noch im § 1034 des ALR II 20 gemachte Unterscheidung, ob die Tat vor oder nach dem Tod des Ehegatten geschah, entbehrt werden könne, da im Falle des § 1033 ALR II 20 ein Ehebruch vorliege, dessen „Bestrafung ihren eigenen Gang gehen“ müsse. Überdies sei die Strafe „im Minimum zu hoch“ gewesen. Auf die Berücksichtigung des Unterschieds, ob die Stiefeltern die Verführer sind (§§ 1035 und 1036 ALR II 20), könne verzichtet werden, weil sie „der Beurteilung des Richters bei der Strafzumessung zu überlassen“ sei109. Zur Straflosigkeit der Stiefkinder bei Verführung durch die Stiefeltern führte er aus, dass dies ohne Grund von dem Prinzip des analogen Falles der Notzucht im § 1040 ALR II 20 abweiche. Daher sei den über achtzehn Jahre alten Stiefkindern, selbst wenn sie verführt sein sollten, eine Strafe anzudrohen110. Im E 1828 wurde noch ein Unterschied danach gemacht, ob die Verwandtschaft auf einer unehelichen Geburt beruhte. In diesem Fall bestimmte der E 1828 in § 18111 nur die Hälfte der angedrohten Strafen (§ 1042 i.V.m. § 35 ALR II 20: Gefängnisstrafe bis zu sechs Wochen oder Geldbuße bis zu 50 108 § 14 E 1828: „Unzucht zwischen Stief- oder Schwieger-Eltern und Stief- oder Schwieger-Kindern soll an den ersteren mit sechsmonatlicher bis zweijähriger Arbeitshausstrafe, an den Stief- oder Schwieger-Kindern, jedoch nur dann, wenn dieselben schon über achtzehn Jahre alt sind, mit dreimonatlicher bis einjähriger Gefängnis- oder Arbeitshausstrafe geahndet werden. Ist die That zugleich als Ehebruch strafbar, so kommt die Vorschrift des §. 95. Titel I. zur Anwendung“. 109 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 918. 110 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 918 f. 111 § 18 E 1828: „Wenn uneheliche Verwandte der in den §§. 16. und 17. bezeichneten Art miteinander Unzucht treiben, so ist gegen diejenigen von ihnen, welche diese Verwandtschaft gewußt haben, auf die Hälfte der vorstehend den ehelichen Verwandten angedrohten Strafen zu erkennen“.

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Erster Teil: Grundlagen

Taler). Bode erachtete die in § 1042 ALR II 20 angedrohte Strafe ebenfalls als zu gering und verwies dazu auf Rechtsprechung, die diese Ansicht teile. Auch würde bei anderen landesrechtlichen Gesetzgebungen, namentlich der bayerischen (Art. 206) und österreichischeren (§ 114), kein Unterschied zwischen unehelicher und ehelicher Verwandtschaft gemacht. Der Unterschied sei ohnehin „mehr ein juristischer als ein im natürlichen Rechte gegründeter“. So sei schon „auf das Äußerste getrieben“, wenn man die Strafe der Blutschande zwischen unehelichen Verwandten, wie im § 18 vorgeschlagen, auf die Hälfte der den ehelichen angedrohten Strafe beschränke112. Neu eingefügt wurde durch § 15113 im E 1828, dass die Hälfte der für Verschwägerte und Stiefeltern und -kinder bestimmten Strafen eintreten sollte, wenn die Unzucht zwischen dem einen Ehegatten und dem von einem anderen Vater oder einer anderen Mutter vor dieser Ehe erzeugten unehelichen Kinde des anderen Ehegatten stattfinden oder wenn jemand mit dem Ehegatten seines eigenen unehelichen Kindes Unzucht treiben sollte. Dagegen wurde die Bestimmung des § 1034 ALR II 20, wonach Stiefeltern und -kinder nur die Hälfte der angedrohten Freiheitsstrafen erhalten sollten, wenn die Tat nach dem Tode des Ehegatten geschah, fallen gelassen. Zu § 15 des E 1828 sei Bode insbesondere durch die in den Büroakten enthaltenen Allerhöchste Kabinettsorder vom 17. Januar 1803114 und 29. Oktober 1825115 veranlasst worden116. Was die 112 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 921. 113 § 15 E 1828: „Die Hälfte der in dem §. 14. bestimmten Strafen soll eintreten, wenn die Unzucht zwischen dem einen Ehegatten, und dem mit einem andern Vater, oder einer andern Mutter vor dieser Ehe erzeugten unehelichen Kinde des andern Ehegatten statt gefunden, oder wenn Jemand mit dem Ehegatten seines eignen unehelichen Kindes Unzucht getrieben hat. Doch kann in beiden Fällen nur derjenige bestraft werden, welcher bei Verübung der Unzucht das zwischen ihm und dem andern Theile obwaltende, oben bezeichnete Verhältnis gekannt hat“. 114 Der König bestimmte auf den Antrag des Großkanzlers v. Goldbeck und nach dem Vorschlage der Gesetzkommission, „daß für die Zukunft das Eheverbot auch auf die unehelichen halbbürtigen Kinder, und resp. den Ehegatten des Vaters oder der Mutter von solchen Kindern, so daß jedoch in außerordentlichen Fällen die unmittelbare Dispensations vorbehalten bliebe, ausgedehnt, – und die Unzucht zwischen eben diesen Personen willkührlich nach dem §. 35. Tit. XX. des Landrechts bestraft werden solle“. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 920. 115 Auf besondere Anfrage des Justizministeriums vom 23. Oktober 1825 wurde vom König mittelst des zweiten Befehls vom 29. Oktober 1825 bestimmt, dass die Publikation des ergänzenden Strafgesetzes bis zur Beendigung dieser Revision der Kriminalgesetze vorbehalten bleiben solle. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 920. 116 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 920.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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Strafe betreffe, so scheine ihm das in der Kabinettsorder durch Verweis auf § 35 ALR II 20 bestimmte Strafmaß (Gefängnisstrafe bis zu sechs Wochen oder Geldbuße bis zu 50 Taler) „zu gering“. Daher habe er für die unehelichen Stiefeltern die Hälfte der den ehelichen Stiefeltern im § 14 angedrohten Strafe vorgeschlagen117. Die Ausdehnung über die Grenzen der Kabinettsorder, wo jemand mit dem Ehegatten seines unehelichen Kindes Unzucht getrieben hat, sei für ihn „die Konsequenz, wenn nach § 14 auch die Unzucht zwischen ehelichen Schwiegereltern und -kindern bestraft“ werden solle118.

2. Entwurf von 1830 Aufgrund der Beratungen des E 1828 durch das Staatsministerium119 entstand der Entwurf von 1830 (E 1830)120; Motive sind zu dem Entwurf nicht entstanden121.

Der E 1830 sah die Inzeststraftatbestände in den §§ 282 bis 286122, ebenfalls im neunten Abschnitt „Verbrechen gegen die Sittlichkeit“ vor; im sechsten Kapitel „Unzucht unter besondern persönlichen Verhältnissen“ fanden sich die § 282 f. und im siebten Kapitel „Blutschande“ die §§ 284 ff. Obgleich die §§ 282 bis 286 E 1830 im Wesentlichen den Inzeststraftatbeständen der §§ 14 bis 18 E 1828 nachempfunden wurden – die §§ 284123 und 286124 E 1830 sind nahezu inhaltsgleich mit den §§ 16 und 18 E 1828 –, sind 117 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 920. 118 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. 920 f. 119 Der AT des Entwurfs 1828 wurde im Februar 1828 dem Staatsministerium zur Beratung überreicht, das diesen mit seinen Beschlüssen im Juni 1828 zurückreichte. Die Gesetzrevisionskommission erarbeitete sodann aufgrund des in dieser Weise korrigierten AT und nach Maßgabe der eigenen Beschlüsse zum BT den Entwurf 1830. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XXXV f. 120 „Entwurf des Straf-Gesetz-Buches für die Preußischen Staaten, Erster Theil: CriminalStraf-Gesetze, Berlin 1830“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 2, S. 467 ff. 121 Enthalten sind lediglich Aktenbände mit handschriftlichen „Bemerkungen des geheimen Justizraths Dr. u. Prof. Heffter über den Entwurf der Strafgesetze de 1830“, die vorliegend jedoch wegen der allein geringen Änderungen nicht zur Untersuchung herangezogen wurden. 122 Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 2, S. 516 f. 123 § 284 E 1830: „Eltern und Großeltern, welche mit ihren ehelichen Kindern oder Enkeln Unzucht treiben, sind mit vier- bis achtjähriger Zuchthausstrafe zu belegen. Gegen die Kinder oder Enkel ist in diesem Falle, jedoch nur dann, wenn sie schon über achtzehn Jahre alt waren, auf ein- bis vierjährige Arbeitshausstrafe zu erkennen“. 124 § 286 E 1830: „Ist in den Fällen der §§. 284. und 285. das zwischen den mit einander Unzucht treibenden Personen bestehende Verhältnis durch uneheliche Geburt entstanden, so tritt die Hälfte der ebendaselbst bestimmten Strafen ein“.

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Erster Teil: Grundlagen

neben redaktionellen Änderungen auch inhaltliche Unterschiede festzustellen. Schwiegereltern und -kinder sind aus dem vom Tatbestand erfassten Personenkreis wieder herausgefallen. Unter Beibehaltung der angedrohten Strafen im Übrigen wurde im § 282125 E 1830 die Höchststrafe für Stiefeltern aufsteigender Linie auf vier Jahre Arbeitshaus erhöht, die für Stiefkinder auf sechs Monate Gefängnis herabgesetzt. Für die Unzucht mit dem unehelichen Kind des Ehegatten wurde in § 283126 die Gefängnisstrafe auf sechs Monaten begrenzt. Ferner entfiel bei dem Geschwisterinzest in § 285127 das Mindestalter.

3. Entwurf von 1833 Der Tod Danckelmanns Ende 1830 brachte die fortgeschrittenen Revisionsarbeiten zunächst gänzlich zum Erliegen. Sie wurden im Bereich des materiellen Strafrechts erst mit dem Entwurf des Jahres 1833 wieder aufgenommen128. Als eine „überarbeitete Fassung des E 1830“129 entstand im Gesetzrevisionsministerium der Entwurf von 1833 (E 1833)130. Sowohl der Entwurf als auch die Motive131 wurden von Bode – letztere wohl gemeinsam mit Kamptz – redigiert132.

Im E 1833 fanden sich die Inzeststraftatbestände im neunten Abschnitt „Verbrechen der Unzucht“ in den §§ 361 bis 366133 und wurden erstmals unter dem Titel „Blutschande“ zusammengefasst. Die Inzeststraftatbestände wurden abermals auf Schwägerschaftsverhältnisse ausgedehnt. Hinsichtlich der Tatbestandshandlung, die zuvor noch als „Un125 § 282 E 1830: „Unzucht zwischen Stiefeltern und Stiefkindern soll an den ersteren mit Arbeitshausstrafe nicht unter sechs Monaten, an den Stiefkindern aber, jedoch nur dann, wenn sie schon über achtzehn Jahre alt waren, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten, geahndet werden. Ist die That zugleich als Ehebruch strafbar, so kommt die Vorschrift des §. 97. zur Anwendung“. 126 § 283 E 1830: „Unzucht zwischen dem einen Ehegatten, und dem unehelichen Kinde des andern, hat gegen den ersteren, so wie gegen das uneheliche Kind, vorausgesetzt, daß letzteres schon über achtzehn Jahre alt war, Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten zur Folge“. 127 § 285 E 1830: „Unzucht zwischen ehelichen Geschwistern voller oder halber Geburt soll mit sechsmonatlicher bis zweijähriger Arbeitshausstrafe geahndet werden“. 128 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XXXVI. 129 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XXXVII. 130 „Revidirte Entwurf des Strafgesetzbuches für die Königl. Preußischen Staaten, Erster Theil, Kriminal-Strafgesetze, Berlin 1933“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 1 ff. 131 Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 259 ff. 132 Schubert / Regge, Gesetzrevision, Abt. I, Bd. 1, S. XXXVII. 133 Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 67.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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zucht“ bezeichnet war, wurde nunmehr in allen Tatbeständen ausschließlich der Begriff „Beischlaf“ verwendet. In den Motiven zum E 1833 wurden zunächst die „Verbrechen der Unzucht“ insgesamt und deren Hinter- und Strafgründe beleuchtet134; sodann folgten ausführliche Bemerkungen zu den §§ 361 bis 366. Einleitend wurde bemerkt, dass der Entwurf den Bestimmungen der §§ 1039 bis 1047 ALR II 20 wesentlich treu geblieben sei, „da zu einer bedeutenden Veränderung weder praktisch, noch theoretisch ein Grund“ vorliege. Zudem sei das Verbrechen des Inzests seit Publikation des ALR nicht häufiger geworden und die darin bestimmten Strafen hätten sich als ausreichend bewährt135. Zu der abermaligen Einführung der Strafbarkeit des Verschwägerteninzests (in § 364136) stellten die Revisoren fest, dass diese Vorschrift zwar in der bestehenden Gesetzgebung (ALR II 20) nicht enthalten, „da aber die in Ansehung der Stiefeltern und -kindern angeführten Gründe größtenteils auch bei ihnen eintreten, die Vorschrift in den revidierten Entwurf aufzunehmen“ gewesen sei137. Die Strafen der Inzeststraftatbestände des E 1833 wurden im Vergleich zu denen der Inzeststraftatbestände des E 1830 zwar partiell erhöht, jedoch in ihrer Majorität reduziert. Der Strafausspruch für die Aszendenten und die Deszendenten wurde im § 361138 bei ersteren auf drei bis fünf Jahre Zucht-

134 Strenge Strafen seien am unwirksamsten, erreichten nicht nur nicht den Zweck, sondern erweiterten die Bekanntschaft mit diesen Verbrechen und brächten wegen eines unbewachten Augenblicks über ganze Familien Nachteile, welche mit der durch die Strafe beabsichtigten Wirkung außer dem Verhältnis stehen. Es sei von den neueren Gesetzgebungen berücksichtigt, dass Vergehen dieser Art nicht aus Bosheit und anderer verbrecherischer Absicht, sondern aus Leidenschaft und aus Übermaß oder verkehrter Richtung des natürlichen Geschlechtstriebs entstehen, und dass daher diese Gesetze nicht sowohl gegen verworfene und verbrecherische, als vielmehr gegen Personen gerichtet seien, die aus Leidenschaft oder Schwachheit die gesetzlichen Schranken überschreiten, Schranken, welche in Religion, Sittlichkeit und Ehrgefühl weit kräftigeren Schutz finden, als in strengen oder vielfachen Kriminalstrafen. Auch die bestehende Preußische Gesetzgebung sei größtenteils von diesem Gesichtspunkte ausgegangen; sie habe den Kreis der hierher gehörigen Handlungen nicht weiter gezogen, als es Rücksicht auf Religion, Sittlichkeit und Rechte anderer erfordere [Hervorhebung durch den Verfasser]. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 489. 135 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 490. 136 § 364 E 1833: „Der Beischlaf der Stief- oder Schwieger-Eltern mit Stief- oder Schwieger-Kindern soll an den Eltern mit sechsmonatlicher bis zweijähriger Arbeitshausstrafe, an den Kindern aber, jedoch nur, wenn sie bereits volljährig waren, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten geahndet werden“. 137 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 491. 138 § 361 E 1833: „Diejenigen, welche mit ihren ehelichen Abkömmlingen den Beischlaf vollziehen, sind mit drei- bis fünfjähriger Zuchthausstrafe zu belegen; gegen letztere

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Erster Teil: Grundlagen

hausstrafe, bei letzteren, wenn sie bereits volljährig waren, auf dreimonatige bis einjährige Gefängnisstrafe deutlich herabgesetzt. Dazu bemerkten die Revisoren Bode und Kamptz, der revidierte Entwurf habe bei § 361 im Gegensatz zum ALR den Volljährigkeitstermin vorgeschlagen, weil „bis dahin Kinder und besonders Töchter gewöhnlich in Verhältnissen strenger Abhängigkeit von ihren Eltern stehen und von, eines so unsittlichen Verbrechens fähigen, Eltern in der Erziehung vernachlässigt sein dürften und dieses Verbrechen in Rücksicht der Deszendenten mit Zwang verbunden“

sei. Daher habe der revidierte Entwurf auch anstatt der Zuchthausstrafe nur Gefängnisstrafe und ein geringere Mindeststrafe vorgeschlagen139. Bei dem Geschwisterinzest wurde die Strafe insoweit erhöht, als nunmehr ein bis zwei Jahre Arbeitshaus oder Gefängnis vorgesehen war. Zudem wurde wie beim E 1830 weiterhin auf das Mindestalter verzichtet, jedoch in § 362140 eine Auflockerung des Geschwisterinzests durch eine Strafantragsvoraussetzung bei Minderjährigkeit erreicht. Die Revisoren äußerten dazu, dass der revidierte Entwurf sich nicht sehr von dem § 1041 ALR II 20, nach dem der Inzest unter schon mannbaren Geschwistern bestraft werden soll, entferne, wenn er vorschlage, dieses Vergehen, wenn dabei ein Minderjähriger betroffen ist, nur auf den Antrag der Eltern oder des Vormundes zu bestrafen. Der Entwurf sei dabei von dem Grundsatz ausgegangen, dass das amtliche Einschreiten in solche Familienverhältnisse möglichst zu vermeiden sei und auch dem Minderjährigen durch die Untersuchung gegen den Volljährigen erhebliche Nachteile erwachsen würden141. Bei der Erörterung des § 363142, der inhaltsgleich mit dem § 286 E 1830 ist, wurde in den Motiven festgestellt, dass das ALR in § 1042 für diesen Fall eine willkürliche Strafe bestimme. Der Entwurf habe hingegen „aus Gründen, die sich wohl von selbst rechtfertigen dürften, eine bestimmte, nämlich die Hälfte der bei ehelichem Verhältnisse eintretenden Strafe, vorgeschlagen“143.

139 140

141 142 143

findet, jedoch nur, wenn sie bereits volljährig waren, dreimonatliche bis einjährige Gefängnisstrafe statt“. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 490. § 362 E 1833: „Der Beischlaf zwischen ehelichen Geschwistern voller oder halber Geburt, soll mit ein- bis zweijähriger Arbeitshaus- oder Gefängnisstrafe, jedoch wenn beide oder auch nur eins derselben minderjährig waren, nur auf Antrag des Vaters oder des Vormundes bestraft werden“. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 490. § 363 E 1833: „Wenn das, in den §§. 361. und 362. gedachte, VerwandschaftsVerhältniß ein uneheliches ist; so tritt die Hälfte der dort bestimmten Strafen ein“. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 490.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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Im § 364 wurde das Strafmaß für den Inzest zwischen Stief- oder Schwiegereltern mit Stief- oder Schwiegerkindern bei ersten reduziert, indem die Höchststrafe bei zweijähriger Arbeitshausstrafe lag. Die Bestimmung des § 364, die u.a. den Beischlaf in Stiefverhältnissen bedroht, sei zwar nicht (derart) im ALR enthalten, jedoch habe man keinen Anstand genommen, diese Vorschrift in dem revidierten Entwurf aufzunehmen. Für die Gründe der Annahme dieser Bestimmung verwiesen die Revisoren allein auf die Motive von 1828144. Zu § 365145, der inhaltsgleich mit dem § 283 E 1830 ist, wurde ausgeführt, die Vorschrift, die sich nicht im ALR finde, beruhe, wie bereits in den Motiven von 1828 bemerkt, auf den Kabinettsordern vom 17. Januar 1803 und 29. Oktober 1825. Was die Strafe betreffe, so dürfte die in der Kabinettsorder vom 17. Januar 1803 gedachte willkürliche Strafe „zu gering und es daher angemessen sein, dieselbe den übrigen Strafbestimmungen über die Blutschande näher anzureihen“, weshalb eine Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten vorgeschlagen worden sei146. Schließlich wurde versucht, die Inzeststraftatbestände insgesamt dadurch abzumildern, dass gemäß § 366147 derjenige straflos blieb, dem das Verwandtschaftsverhältnis zur Zeit des Beischlafs unbekannt war. Dazu bemerkten die Revisoren, dass die Vorschrift des § 366 E 1833 zwar im § 1042 ALR II 20 nur auf die uneheliche Verwandtschaft, in welcher dieser Fall meistens vorkommen dürfte, beschränkt sei, die „allgemeine Gültigkeit des Grundsatzes aber von selbst“ vorliege148. Ergänzend zu den veröffentlichen Motiven wurden materielle Abweichungen149 ausgearbeitet. In diesen findet sich zu den hier interessierenden Tatbeständen allein eine (materielle) Gegenüberstellung150 zwischen dem E 1833 und den Regelungen der §§ 1031 ff. ALR II 20. Als einzig dort aufgeführtes Motiv ist zu nennen, dass zu den

144 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 491. 145 § 365 E 1833: „Der Beischlaf des einen Ehegatten mit dem unehelichen Kinde des andern hat gegen beide, gegen letzteres jedoch nur, wenn es volljährig war, Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten zur Folge“. 146 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 491. 147 § 366 E 1833: „In allen obgedachten Fällen bleibt jedoch derjenige straflos, welchem das Verwandschafts-Verhältnis zur Zeit des Beischlafs unbekannt war“. 148 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 491. 149 „Materiellen Abweichungen des revidirten Entwurfs des Criminal-Strafgesetzbuchs von dem Allgem. Landrecht und den übrigen gegenwärtigen Criminal-Strafgesetzen, Berlin 1833“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 135 ff. 150 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 183 f.

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Erster Teil: Grundlagen

präventiven Bestimmungen der §§ 1043 bis 1047 ALR II 20 bemerkt wurde, diese seien 151 aus den in den Motiven zum E 1828 angeführten Gründen fortzulassen .

4. Entwurf von 1836 Nach dem E 1833 erschien der Entwurf von 1836 (E 1836)152. Dieser stellt aber nur eine durch Kamptz, den Nachfolger153 Danckelmanns, überarbeitete Fassung des revidierten Entwurfs von 1833 dar154; Motive wurden dem E 1836 nicht beigegeben155.

Im E 1836 waren die Vorschriften über den Inzest im achten Titel „Verbrechen der Unzucht“ unter der Überschrift „Blutschande“ in den §§ 485 bis 490156 vorgesehen und entsprachen wortgetreu den §§ 361 bis 366 E 1833. Eine Betrachtung der Normen ist entbehrlich, da sie als Grundlage für Beratungsprotolle von 1838 bis 1842 dienten und ebendort wiedergegeben werden.

5. Beratungsprotokolle von 1838–1842 Um die weitere Beratung des E 1836 abzukürzen, wurde 1838 eine aus Staatsministern und Mitgliedern des Staatsrats zusammengesetzte Kommission157 gebildet, die die Funktionen des Staatsministeriums, der Staatsratsabteilungen und der Fassungskom158 mission in sich vereinigte . Die Beratungen dieser Kommission dauerten bis Ende 159 1842 an und aus ihr gingen die Beratungsprotokolle von 1838–1842160 hervor.

151 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 184. 152 „Revidirter Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Königlich Preussischen Staaten, Berlin 1836“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 785 ff. 153 Wobei Kamptz nur als Minister für die Gesetzesrevision vorgesehen war. Minister für die Justizverwaltung wurde dagegen Mühler. Somit besaß Preußen wiederum zwei Justizministerien. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XXXVI. 154 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XXXVII. 155 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XXXVII. 156 Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 3, S. 942 f. 157 Dieser Kommission gehörten bei ihrer konstituierenden Sitzung am 6. März 1838 Müffling, Kamptz, Mühler, Rochow, Sethe, Köhler, Eichhorn, Duesberg, Arnim und Jähningen an. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XXXVII. 158 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XXXVII. 159 Die so vorberatenen Abschnitte des Entwurfs wurden dem Beratungsstand entsprechend in Redaktionsfassungen umgearbeitet, die dann ab November 1839 jeweils dem Plenum des Staatsrats zur Beratung vorgelegt wurden, die ebenfalls bis Ende 1842 andauerte. Nach mehreren Schlussredaktionen entstand schließlich der Strafrechtsentwurf von 1843. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XXXVII. 160 „Berathungs-Protokolle der zur Revision des Strafrechts ernannten Kommission des Staatsraths, Berlin 1839 ff.“ Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 1 ff. und 2. Halbbd. S. 657 ff.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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Im Rahmen der hier interessierenden Beratungen161 wurden keine Änderungen an dem vom Tatbestand erfassten Personenkreis, sondern nur an den Strafen der Inzeststraftatbestände diskutiert. Zum § 485162 E 1836 (= § 361 E 1833) wurde ausgeführt, dass der Vorschlag des revidierten Entwurfs, die Strafe dieses Verbrechens gegen alle noch Minderjährigen auszuschließen, „für die öffentliche Sicherheit bedenklich“ erscheine. Für eine Änderung der Vorschrift wurde vorgebracht, dass das ALR die Strafbarkeit schon bei denen eintreten lasse, welche das achtzehnte Jahr vollendet haben (§ 1040 ALR II 20), man aber noch weiter gehen werde und schon das sechzehnte Jahr als das entscheidende hier annehmen müsse, da im § 112 des AT dieses Entwurfs nur bis zu diesem Alter noch eine Milderung der gesetzlichen Strafe wegen der Jugend des Verbrechers gestattet sei163. Dass der revidierte Entwurf im § 486 E 1836164 (= § 362 E 1833) abweichend vom ALR die Bestrafung der Blutschande zwischen Geschwistern, von denen mindestens eins minderjährig ist, von dem Antrag des Vaters oder des Vormundes abhängig mache, sei „nicht zu billigen“ gewesen. Gleichfalls wolle man Wiederholungen vermeiden, da diese Frage erst beim späteren § 516 in Betracht komme165. Zu § 487166 E 1836 (= § 363 E 1833) bemerkte man, dass bei einer unehelichen Verwandtschaft ein Inzest zwischen dem Kind und dem Vater, oder den Aszendenten oder Geschwistern väterlicherseits nicht in gleicher Art, wie zwischen dem Kinde und der Mutter oder den Aszendenten oder Geschwistern mütterlicherseits, sondern „nur dann angenommen werden könne, wenn die Paternität bereits zur Zeit der Tat durch Anerkenntnis oder Urteil festgestellt“ gewesen sei. Und letzteres gehöre zum Tatbestand dieses Verbrechens, sodass der § 487 umso mehr derart zu modifizieren sei, als es sonst dahin kommen 161 35. Sitzung vom 14. November 1840. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 533 ff. 162 § 485 E 1836: „Diejenigen, welche mit ihren ehelichen Abkömmlingen den Beischlaf vollziehen, sind mit drei- bis fünfjähriger Zuchthausstrafe zu belegen; gegen letztere findet, jedoch nur, wenn sie bereits volljährig waren, dreimonatliche bis einjährige Gefängnisstrafe Statt“. 163 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 542. 164 § 486 E 1836: „Der Beischlaf zwischen ehelichen Geschwistern voller oder halber Geburt, soll mit ein- bis zweijähriger Arbeitshaus- oder Gefängnisstrafe, jedoch wenn beide oder auch nur eins derselben minderjährig waren, nur auf Antrag des Vaters oder des Vormundes bestraft werden“. 165 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 542. 166 § 487 E 1836: „Wenn das, in den §§. 361. und 362. gedachte, VerwandschaftsVerhältniß ein uneheliches ist; so tritt die Hälfte der dort bestimmten Strafen ein“.

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Erster Teil: Grundlagen

würde, dass in der Kriminaluntersuchung zur Feststellung der Paternität Ermittlungen veranlasst würden, die namentlich für die Rheinprovinz, wo das französische Civilgesetzbuch gelte, mit Rücksicht auf die Bestimmungen des letzeren ganz unzulässig erschienen167. Die Strafen, welche der § 488168 E 1836 (= § 364 E 1833) auf die Unzucht zwischen Stief- oder Schwiegereltern und Stief- oder Schwiegerkindern androhe, wurden als für „zu gering“ erachtet. So wurde vorgeschlagen, sie rücksichtlich der Stief- und Schwiegereltern auf ein bis drei Jahre Strafarbeit, und rücksichtlich der Stief- und Schwiegerkinder auf Gefängnis von drei Monaten bis zu einem Jahr zu erhöhen169. Zu § 489170 E 1836 (= § 365 E 1833) wurde festgestellt, dass zwar nach Maßgabe der Kabinettsorder vom 17. Januar 1803 und 29. Oktober 1825 der Fall berücksichtigt sei, wenn ein Ehegatte mit dem unehelichen Kinde des andern Ehegatten Unzucht treibe, nicht aber der Fall, wenn jemand mit dem Ehegatten seines eigenen unehelichen Kindes sich fleischlich vermische. Daher sei der § 489 entsprechend zu ergänzen. Zudem müsse die beim § 487 vorgeschlagene Beschränkung auch hier eintreten171. Schließlich sollte der § 490172 E 1836 (= § 366 E 1833) in Folge des § 81 des AT als überflüssig fortfallen173. Auf Grund der vorstehenden Bemerkungen wurde beschlossen, die §§ 485 bis 490 E 1836 entsprechend abzuändern; eine Betrachtung der §§ 485 bis 489a174 des Beratungsbeschlusses ist daher entbehrlich. In der Folgesitzung175 wurde diskutiert, ob man hinsichtlich des Mindestalters beim ALR (achtzehn Jahre) stehen bleiben solle, entschied sich aber dafür, die 167 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 542. 168 § 488 E 1836: „Der Beischlaf der Stief- oder Schwieger-Eltern mit Stief- oder Schwieger-Kindern soll an den Eltern mit sechsmonatlicher bis zweijähriger Arbeitshausstrafe, an den Kindern aber, jedoch nur, wenn sie bereits volljährig waren, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten geahndet werden“. 169 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 542. 170 § 489 E 1836: „Der Beischlaf des einen Ehegatten mit dem unehelichen Kinde des andern hat gegen beide, gegen letzteres jedoch nur, wenn es volljährig war, Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten zur Folge“. 171 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 542 f. 172 § 490 E 1836: „In allen obgedachten Fällen bleibt jedoch derjenige straflos, welchem das Verwandschafts-Verhältnis zur Zeit des Beischlafs unbekannt war“. 173 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 543. 174 Die §§ 485 bis 489a des Beratungsbeschlusses sind abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 543 f.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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vorgeschlagene Fassung (sechzehn Jahre) nicht zu ändern, „da, auch wenn man auf die Machtposition und den daraus folgenden Missbrauch durch die Eltern abstellen wolle, selbst die Altersgrenze von achtzehn Jahren nicht ausreichend“ sei. Zudem könne man voraussetzen, dass den Deszendenten ab sechzehn Jahren die Strafbarkeit der Handlung bekannt sei176. Ferner wurde beraten, statt des Ausdrucks „Beischlaf vollziehen“ den Ausdruck des ALR „Unzucht treiben“ beizubehalten. Dem wurde entgegengehalten, dass zum Tatbestand des vorliegenden Verbrechens wesentlich gehöre, dass der „Beischlaf“ vollzogen werde, „wie in der Praxis verstanden“ würde. Bei allein unzüchtigen Handlungen würden die §§ 507 und 509 zur Anwendung kommen177. Bei den Hauptpunkten der Beratung über den Entwurf des zweiten Teils des StGB im Staatsrat178 wurde unter Punkt 63 die Frage aufgeworfen, ob bei dem Verbrechen der Blutschande die Kinder und Geschwister, mit welchen dasselbe verübt wurde, nur dann, wenn sie noch nicht volle sechzehn Jahre alt sind, in diesem Falle aber völlig mit Strafe zu verschonen seien179. In der „1. Redaktion des Zweiten Theils des Entwurfs des Strafgesetzbuchs“180 wurde ein abweichender Vorschlag gemacht, der gegenüber der vorherigen Beschlussfassung jedoch allein redaktionelle Änderungen vorsah; insoweit kann auf eine Wiedergabe der Inzestvorschiften der §§ 360 bis 365181 der 1. Redaktion verzichtet werden. Die auf die 1. Redaktion folgenden Inzesttatbestände der §§ 360 bis 365182 der „2. Redaktion des Zweiten Theils des Entwurfs des Strafgesetzbuchs“183 entsprechen, abermals abgesehen von kleineren redaktionellen Änderungen, nahezu wortgetreu denen der 1. Redaktion. Die Fassung der Inzestvorschriften der §§ 371 bis 376184 der „3. Redaktion des 175 36. Sitzung vom 21. November 1840. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 544 ff. 176 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 544 f. 177 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 1. Halbbd. S. 545. 178 Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 2. Halbbd. S. 903 ff. 179 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 2. Halbbd. S. 909. 180 Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 2. Halbbd. S. 917 ff. 181 Die §§ 360 bis 365 der 1. Redaktion sind abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 2. Halbbd. S. 954 f. 182 Die §§ 360 bis 365 der 2. Redaktion sind abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 2. Halbbd. S. 1032 ff. 183 Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 2. Halbbd. S. 995 ff. 184 Die §§ 371 bis 376 der 3. Redaktion sind abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 2. Halbbd. S. 1116.

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Erster Teil: Grundlagen

Zweiten Theils des Entwurfs des Strafgesetzbuchs“185, stimmt, die unterschiedlichen Paragraphenbenennung außer Acht gelassen, ebenfalls wortgetreu mit der Fassung der 2. Redaktion überein. Daher ist auch eine Wiedergabe der Inzestvorschriften der 2. und 3. Redaktion entbehrlich.

6. Entwurf von 1843 sowie die Revision des Entwurfs von 1843 Die vorstehenden Beratungen und Redaktionen von 1838–1842 mündeten im Entwurf von 1843 (E 1843)186.

Der E 1843 normierte die Vorschriften zum Inzest im sechzehnten Titel „Verbrechen wider die Sittlichkeit“ unter der Überschrift „Blutschande“ in den §§ 371 bis 376187. Sie übernahmen, abgesehen von einer redaktionellen Ergänzung, wortgetreu die §§ 371 bis 376 der 3. Redaktionsfassung. Bei vergleichender Betrachtung zum letzten Entwurf aus dem Jahr 1836 haben die Inzeststraftatbestände an dem erfassten Personenkreis keine Änderungen erfahren. Dies gilt jedoch nicht in Bezug auf die angedrohten Strafen. Ist in der Gesamtschau der vorherigen Entwürfe – E 1828 bis E 1836 – eine allmähliche Milderung zu verzeichnen, so zeigt der E 1843 – wie die Beratungsprotokolle von 1838 bis 1842 vermuten ließen – im Vergleich zum E 1836 insgesamt eine Verschärfung des Strafrahmens. Unter Beibehaltung des Strafausspruchs für die Aszendenten wurde in § 371188 E 1843 derjenige für die Deszendenten von dreimonatiger bis einjähriger Gefängnisstrafe auf sechs Monate bis zwei Jahre Strafarbeit erhöht. Die Bestimmungen, dass zur Bestrafung minderjähriger Geschwister ein Antrag des gesetzlichen Vertreters notwendig sei, entfielen, wobei in § 372189 mit im Übrigen gleichem Strafmaß an Stelle des Arbeitshauses bzw. Gefängnisses die Strafarbeit ihren Niederschlag fand. Eine Verschärfung trat auch bei dem Inzest in Schwägerschafts- und Stiefverhältnissen ein, indem in § 374190 für den jeweiligen Aszendenten anstelle sechsmonatiger bis 185 Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 4, 2. Halbbd. S. 1075 ff. 186 „Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, nach den Beschlüssen des Königlichen Staatsraths (Berlin 1843)“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 3 ff. 187 Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 63. 188 § 371 E 1843: „Der Beischlaf zwischen ehelichen Verwandten in auf- und absteigender Linie wird 1. an den ersteren mit Zuchthaus von drei bis zu fünf Jahren, und 2. an den letzteren mit Strafarbeit von sechs Monaten bis zu zwei Jahren bestraft“. 189 § 372 E 1843: „Der Beischlaf zwischen voll- und halbbürtigen ehelichen Geschwistern wird mit ein- bis zweijähriger Strafarbeit bestraft“. 190 § 374 E 1843: „Wenn Stief- oder Schwiegereltern mit ihren Stief- oder Schwiegerkindern den Beischlaf vollziehen, so sind

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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zweijähriger Arbeitshausstrafe Strafarbeit von einem bis zu drei Jahren und für den jeweiligen Deszendenten anstelle Gefängnis bis zu sechs Monaten Gefängnis nicht unter drei Monaten eintrat. Der § 375191 erfuhr eine Verschärfung, als die Strafe von bis zu sechs Monaten auf nicht unter einem Monat Gefängnis geändert wurde. Ferner wurde in § 376192 das Mindestalter auf sechzehn Jahre herabgesetzt. Nur § 373193 blieb bei unverändertem Strafmaß. Den E 1843 legte man im Frühjahr 1843 den acht Landtagen zur Prüfung vor und verbreitete ihn über den Buchhandel. Daraufhin gingen umfangreiche Gutachten der Landtage, ein eigener Entwurf mit Motiven des Rheinischen Landtages, sowie 71 teils handschriftlich, teils im Druck erschienene Kritiken u.a. der namhaftesten Theoretiker 194 und Praktiker der Zeit ein . Nachdem Savigny durch Kabinettsorder vom 24. November 1843 aufgetragen worden war, die Revision des Entwurfs für die erneuten Beratungen der Staatsratskommission unter Berücksichtigung der eingegangenen Monita vorzubereiten, beauftragte er den Geheimen Rat Bischoff, den Prof. Heydemann und den Oberappellationsrat Meyer mit der Zusammenstellung und Prüfung des Materials. Das Ergebnis dieser Arbeit, die unter Savignys Oberleitung stand, und die er mit kritischer Kontrolle maßgeblich beeinflusste, sind niedergelegt in einem dreibändigen Werk (Revision)195.

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1. die Ersteren mit Strafarbeit von Einem bis drei Jahren, 2. die Stief- oder Schwiegerkinder aber mit Gefängnis nicht unter drei Monaten zu bestrafen“. § 375 E 1843: „Der Beischlaf des einen Ehegatten mit dem unehelichen Kinde des andern, ingleichen der Beischlaf des Vaters oder der Mutter eines unehelichen Kindes mit dessen Ehegatten hat Gefängnisstrafe nicht unter Einem Monate zur Folge. Diese Strafe findet aber in den Fällen, wenn der Beischlaf von einer Ehefrau seines unehelichen Sohne ihres Ehemannes, oder von dem Vater mit der Ehefrau seines unehelichen Sohnes verübt worden ist, nur dann Anwendung, wenn die uneheliche Verwandtschaft der darüber im §. 373. enthaltenen Bestimmung gemäß festgestellt ist“. § 376 E 1843: „Ist in den Fällen der §§. 371. 373. 374. und 375. das Kind, mit welchem das Verbrechen verübt worden ist, noch nicht volle sechszehn Jahre alt, so bleibt dasselbe mit Strafe verschont“. § 373 E 1843: „Ist das Verwandtschaftsverhältnis unter den in den §§. 371. und 372. bezeichneten Personen ein uneheliches, so wird der Beischlaf zwischen denselben mit der Hälfte der in jenen §§. bestimmten Strafen belegt; eine Bestrafung kann aber, wenn die uneheliche Verwandtschaft von Seiten des Vaters herrührt (§. 74.), nur in sofern eintreten, als diese entweder durch Anerkenntnis des Vaters oder durch rechtskräftiges Erkenntnis bereits festgestellt ist“. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XXXIX. „Revision des Entwurfs des Strafgesetzbuches von 1843, Berlin 1845“. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XXXIX.

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Erster Teil: Grundlagen

Die den Inzest betreffenden Passagen finden sich im zweiten Band196 der Revision. In ihm wurden einleitend die Stellung des die Inzeststraftatbestände behandelnden Titels sowie dessen geschützten Rechtsgüter besprochen197. Im Rahmen der Bemerkungen zu § 371 des E 1843 (Inzest zwischen Aszendenten und Deszendenten) wurde zu Beginn festgestellt, dass eine nicht unbedeutende Zahl von Monenten198 das Verbrechen der Blutschande ganz aus dem Gebiet der Kriminalgesetze in das der Moral und des Gewissens verwiesen habe. Dieser Ansicht könne man jedoch nicht beitreten; die aufgestellten Besorgnisse der Monenten – es könnten durch das Eindringen in Familiengeheimnisse und Entschleierung der verborgenen Verbrechen, also durch die Untersuchung selbst, Nachteile entstehen, sowohl für die betroffenen Familien, als die öffentliche Sittlichkeit, besonders des weiblichen Geschlechts; sobald einmal öffentliches Ärgernis gegeben werde, oder sobald Rechte Dritter verletzt werden, könne die Strafe nicht wegfallen199 – würden „am besten durch eine angemessene Anwendung des Prinzips der Anklage, also durch das Einschreiten des Staatsanwalts, der mit angemessenen Instruktionen zur Verhinderung alles bedenklichen Eindringens in das Innere der Familien versehen werden könne, verhindert werden.“200

196 „Revision des Entwurfs des Strafgesetzbuchs von 1843. Zweiter Bd. (Berlin 1845). Zum zweiten Theil des Entwurfs Tit. 1–16. §§ 141–401“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 493 ff. 197 Es wurde vorgeschlagen, den sechzehnten Titel unmittelbar nach dem Verbrechen, welche sich auf die Religion, den Meineid und Eidesbruch beziehen, und vor den Verletzungen der Ehre zu implementieren. Die Verwandtschaft und nahe Beziehung der in diesem Titel aufgeführten Verbrechen mit den ersteren einerseits, sowie die unpassende Stellung im Entwurf andererseits, welche mehr die materielle als die ideelle Seite der Verbrechen auffasst, rechtfertige jene Anordnung, welche allein als eine würdige und passende erscheinen könne, da hier die wichtigsten geistigen Interessen des Staats betroffen werden, die öffentliche Sitte, die Heiligkeit der Ehe und die Reinheit und Keuschheit der Familienverhältnisse überhaupt, weshalb hierin das öffentliche Interesse vorherrschend sei [Hervorhebung durch den Verfasser]. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 653. 198 Genannt wurden der „Rheinische Ausschuss, Deuster, Duden, Temme und andere“. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 653. 199 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 653. 200 Der Staatsanwalt werde dann nur solche Fälle zur Untersuchung ziehen, welche Ärgernis geben und Rechte Dritter verletzen, welche zur Publizität gelangt sind; er werde nur solche Beweismittel gebrauchen, deren Anwendung nicht noch mehr Gefahr für die öffentliche Sitte bedroht, z.b. junge Mädchen und Kinder nicht als Zeugen aufrufen, um nicht in ihnen durch die gerichtlichen Vernehmungen das Schamgefühl zu verletzen, und zur Kenntnis von vorher nicht geahnten Verbrechen zu führen. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 653.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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Unter Bezugnahme auf Abegg und Schwarze, die das Strafmaß für zu hoch hielten, und verschiedene landesrechtliche Gesetzgebungen201, die zum Teil insgesamt oder zum Teil im Minimum milder straften, wurde von den Revisoren das Minimum von drei Jahren Zuchthaus in § 371 für zu hoch eingestuft. Es sei „kein Grund vorhanden, über zwei Jahre hinaus zu gehen, welche ohnehin das Minimum der Zuchthausstrafe im Allgemeinen bildeten“202. Bezüglich der Strafbarkeit der Deszendenten, schien den Revisoren die ausschließliche Bestimmung von Strafarbeit und das Minimum von sechs Monaten nicht gerechtfertigt. Es sei dabei „zu wenig auf den Einfluss der Autorität und Gewalt der Aszendenten einerseits und andererseits darauf eingegangen, dass hier nicht selten, bei großer Jugend, und besonders im weiblichen Geschlecht, ein Zustand von unvollständiger Kenntnis der Geschlechtsverhältnisse eintreten werde, weshalb Strafarbeit und ein Minimum von sechs Monaten für einzelne Fälle zu hart“

erscheine. Daher dürfte es gerechtfertigt sein, den § 371 dahin zu ändern, dass – wie beim § 160 des revidierten Entwurfs (Entwurf von 1845)203 – eine dreimonatige Gefängnisstrafe das Minimum bilde204. Zu § 372 (Inzest zwischen Geschwistern) wurde bemerkt, Mittermaier wolle den Inzest unter Geschwistern zu Unrecht nicht unter Strafe stellen. Es lägen aber auch hier Gründe vor, Gefängnis nicht auszuschließen und die Strafe nicht höher zu stellen, als in Bezug auf die Deszendenten in § 371 geregelt sei. Es wurde argumentiert, dass zum einen die Gesetzgebungen in Sachsen, in Braunschweig, in Hessen und der Badensche Entwurf noch bedeutend milder seien und man zum anderen „auf den Einfluss der Verführung, ferner der beschränkten Wohnungen der armen Klasse, und des dadurch bedingten Anreizes, sowie auf den Umstand Rücksicht nehmen muss, dass es bei sehr jungen Personen, besonders im weiblichen Geschlecht, leicht an einem deutlichen Bewusstsein von der Natur eines solchen Verbrechens fehlen“

könne. Daher rechtfertige sich die Fassung des § 161 im revidierten Entwurf205.

201 Genannt wurden Braunschweig (§§ 142 ff.), Sachsen (Art. 302), Hessen (Art. 335), Württemberg (Art. 301 ff.) und Hannover (Art. 274). Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 654. 202 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 654. 203 Die §§ 160–165 E 1845 werden sogleich dargestellt. 204 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 654. 205 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 654.

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Erster Teil: Grundlagen

Bei der Besprechung des § 373 (Halbierung der Strafen bei Unehelichkeit) wurde ausgeführt, die Westfälischen und Schlesischen Stände hätten „mit Recht bemerkt, dass wenn die uneheliche Verwandtschaft von der Seite der Mutter herrühre, kein Grund vorliege, andere Bestimmungen als in den §§ 371 und 372 zu treffen, da es in diesem Fall keine Bedenken gegen die Verwandtschaft gebe und daher der Einfluss der ehelichen Geburt unerheblich“ sei. Was dagegen die „uneheliche Verwandtschaft von Seiten des Vaters betreffe, so ist der Zweifel über den Nachweis der Paternität allerdings geeignet, eine mildere Strafbestimmung zu treffen“. Der Nachweis der Paternität durch richterliches Erkenntnis dürfte aber keine Rücksicht finden. Denn sonst würde in der Rheinprovinz eine Abänderung des Civilrechts nötig sein, bzw. ein CivilAnerkenntnis sei überhaupt nicht geeignet, die Stelle des Anerkenntnisses zu vertreten206. Hinsichtlich des Strafmaßes wurde bemerkt, dass die Strafmaße nunmehr bestimmt auszusprechen seien und deswegen die Bestimmungen vorgeschlagen würden, welche § 162 des revidierten Entwurfes vorsehe207. Zu § 374 (Inzest in Stief- und Schwägerschaftsverhältnissen) wurde ausgeführt, dass in angemessener Berücksichtigung der Strafmaße des § 371 und der Tatsache, dass das Verhältnis zu Stief- und Schwiegereltern ein viel entfernteres als das zu leiblichen Eltern sei, die Strafen im Minimum zu ermäßigen gewesen seien. Auf der anderen Seite träten nach der richtigen Bemerkung von Schwarze, Mittermaier und Abegg nicht selten Fälle der Verführung durch die möglicherweise älteren Schwieger- und Stiefkinder ein, weshalb auch gegen diese die Strafarbeit möglich sein müsse. Ein Grund, gegen die Stief- und Schwiegereltern Zuchthaus, gegen die Kinder Strafarbeit ausschließlich zu bestimmen, wie die Westfälischen Stände wollten, sei nicht vorhanden, da der eigentliche Inzest zwischen Aszendenten, Deszendenten und leiblichen Geschwistern weit strenger gehalten werden müsse. Ebenso unbegründet sei die von ihnen beantragte Wiederaufnahme der unpraktischen Bestimmungen der 206 Denn wenn die Feststellung der Paternität nach den Grundsätzen des Landrechts, zumal bei mehreren Konkumbenten, nur unsicher und nur zum Zweck der Alimentation, jedenfalls ohne besondere Gewißheit und hinreichenden Ernst erfolge, da sie sogar in contumaciam geschehe; da ferner das Erkenntnis nur unter den Parteien erlassen werde, und also einem Dritten nicht entgegenstehe, so sei es in keiner Beziehung geraten, auf eine solche civilrechtliche Entscheidung ein Strafurteil zu gründen. Dass übrigens das ALR ein formloses, der code pénal ein formelle Anerkenntnis des Vaters erfordere, könne keinen Grund abgeben, von der unehelichen Verwandtschaft seitens des Vaters zu abstrahieren, da die verschiedene Folge des formlosen Anerkenntnisses in den verschiedenen Provinzen die Anwendung des Gesetzes nicht hindern könne. Temme irre daher, wenn er das Gesetz in der Rheinprovinz nicht für anwendbar hält. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 654 f. 207 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 655.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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§§ 1043 ff. des ALR II 20, da hier weder eine Kontrolle noch die Ausführung möglich sei, ohne in die Familienverhältnisse tief einzudringen und ungerechte Härte zu üben. Da es nun hier nicht nötig sei, die Aszendenten und Deszendenten zu unterscheiden, und da die Strafbestimmung hinreichenden Spielraum für das richterliche Ermessen gebe, so rechtfertige sich die in den § 163 des revidierten Entwurfs aufgenommene Bestimmung208. In konsequenter Anwendung der zu § 372 ausgesprochenen Ansichten und unter zweckmäßiger Auflösung der einzelnen Bestimmungen dieses Paragraphen zur Erreichung größerer Klarheit und Anschaulichkeit habe man anstatt des § 375 (Inzest des Ehegatten mit dem unehelichen Kind des anderen) die Bestimmung des § 164 des revidierten Entwurfs vorgeschlagen209. Dass die Auflösung der Ehe durch Scheidung oder Tod die Strafbarkeit der Verletzung der durch jene Ehe begründeten Affinitäts-Verhältnisse nicht aufhebe, sei eine notwendig auszusprechende gemeinschaftliche Bestimmung für die §§ 374 und 375 E 1843, weil leicht das Bedenken entstehen könnte, dass außerdem Straflosigkeit eintreten solle, welche sich durchaus nicht rechtfertigen lasse, wenngleich die Lösung jenes ehelichen Bandes eine mildere Zumessung der Strafe begründen möge. Daher sei der Zusatz beantragt worden, wie ihn der § 165 des revidierten Entwurfs darstelle210. Zu § 376 (Mindestalter für Deszendenten) wurde bemerkt, dass, sollte es auch bei den im § 112 enthaltenen Bestimmungen über den Beginn der Zurechnungsfähigkeit bewenden, die Vorschrift des § 376 nicht gerechtfertigt scheine. Es sei kein Grund vorhanden, hier eine abweichende Bestimmung von den Strafen anderen Verbrechen aufzustellen, zumal das Minimum ermäßigt worden sei; ferner sei nicht abzusehen, wie auch v. Strampff bemerke, warum die Straflosigkeit des § 376 nicht auch bei dem an sich minder strafbaren Falle des § 372 statt haben sollte, da doch hier nicht solche Unnatürlichkeit und Schändlichkeit der Handlung vorliege wie im Fall des § 371. Eine gänzliche Straflosigkeit scheine sich aber nicht zu rechtfertigen, da wo überhaupt Zurechnungsfähigkeit angenommen werden könne. Anderenfalls würden auch bei anderen Fleischesverbrechen gleiche Rücksichten stattfinden können, welches doch der Entwurf nicht angenommen habe. Es wurde daher beantragt, den

208 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 655. 209 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 655. 210 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 655 f.

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Erster Teil: Grundlagen

§ 376 wegfallen zu lassen, eventuell aber für alle Fälle der §§ 371 bis 375 Gefängnis bis zu einem Monat vorgeschlagen211.

7. Entwurf von 1845 sowie die Beratungen der Staatsratskommission Das Ergebnis212 der vorstehenden im Gesetzrevisionsministerium vorgenommenen 213 internen Überarbeitung des E 1843 war der Entwurf von 1845 (E 1845) .

Im E 1845 waren die Inzeststraftatbestände entsprechend den Änderungsvorschlägen der Revision im achten Titel „Verbrechen wider die Sittlichkeit“ unter der Überschrift „Blutschande“ in den §§ 160 bis 165214 normiert. Wie schon beim E 1843 haben auch die Inzeststraftatbestände des E 1845 keine Änderungen an dem vom Tatbestand erfassten Personenkreis erfahren. Was die Strafen betrifft, so stellt der E 1845 im Vergleich zum E 1843 teils eine Milderung, teils ein Schärfung der Inzeststraftatbestände dar. § 160215 sah für die Aszendenten keine Mindeststrafe mehr vor, diejenige für die Deszendenten wurde auf drei Monate reduziert; implementiert wurde zusätzlich die Gefängnisstrafe. Der Geschwisterinzest wurde in § 161216 insofern abgemildert, als das Mindeststrafmaß auf drei Monate herabgesetzt wurde, wobei jedoch zusätzlich die Gefängnisstrafe vorgesehen war. In § 163217 wurde der Inzest innerhalb von Stief- und Schwägerschaftsverhältnissen sowohl gegenüber den Aszendenten als auch den Deszendenten auf Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder Strafarbeit von zwei Monaten bis zu drei Jahren reduziert.

211 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 5, S. 656. 212 Die dreibändige „Revision des Entwurfs des Strafgesetzbuches von 1843, Berlin 1845“ stellte praktisch die Motive des E 1845 dar und wurde wegen des ausdrücklichen Bezugs auf den E 1843 ebendort dargestellt. 213 „Revidierte Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten. Vorgelegt von dem Ministerium der Gesetz-Revision (Berlin 1845)“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 1. Halbbd., S. 1 ff. 214 Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 1. Halbbd., S. 35 f. 215 § 160 E 1845: „Der Beischlaf zwischen ehelichen Verwandten in aufsteigender und absteigender Linie ist an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängnis oder Strafarbeit nicht unter drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen“. 216 § 161 E 1845: „Der Beischlaf zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen ehelichen Geschwistern soll mit Gefängnis oder Strafarbeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft werden“. 217 § 163 E 1845: „Der Beischlaf unter Stiefeltern und Stiefkindern, so wie der Beischlaf unter Schwiegereltern und Schwiegerkindern soll mit Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder Strafarbeit von zwei Monaten bis zu drei Jahren bestraft werden“.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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Die Berücksichtigung in § 162218, ob das Verwandtschaftsverhältnis ein eheliches oder uneheliches ist, erfuhr keine großen Veränderungen. Dies gilt auch für die weiteren Bestimmungen in § 164219 und § 165220. Allerdings ist das Mindestalter, das der E 1843 noch in § 376 vorsah, wieder entfallen. Der E 1845 wurde ab dem 18. Oktober 1845 in der Staatsratskommission beraten und sodann im Dezember 1846 in überarbeiteter Form dem Plenum des Staatsrats vorgelegt. Im Rahmen dessen kam es zu den Verhandlungen der Kommission des Staatsrats221.

In den hier interessierenden Verhandlungen222 zu den §§ 160 bis 165 E 1845 wurde ausgeführt, dass der § 160 mit der Maßgabe genehmigt worden sei, dass es in der letzten Zeile heißen müsse, „mit Gefängnis nicht unter drei Monaten oder mit Strafarbeit“; dieselbe Fassungsänderung müsse auch im § 161 eintreten223. Der § 162 E 1845 wurde unter Verweis auf die in der Revision angegebenen Gründe dergestalt genehmigt, dass im zweiten Absatz in der dritten Zeile das Wort „unehelichen“ als entbehrlich fortfalle und die Strafe der 218 § 162 E 1845: „Ist das verwandtschaftliche Verhältnis unter den Verwandten in aufsteigender und absteigender Linie oder unter Geschwistern ein uneheliches, und zwar durch die Mutter begründetes, so finden die Strafbestimmungen der vorhergehenden §§. gleichmäßig Anwendung. Ist aber das uneheliche Verwandtschafts-Verhältnis durch den Vater begründet, so ist eine Strafe nur dann anzuwenden, wenn die Verwandtschaft durch Anerkenntnis des unehelichen Vaters festgestellt ist. In diesem Fall sollen die Verwandten der aufsteigenden Linie mit einjähriger bis dreijähriger Zuchthausstrafe und die Verwandten der absteigenden Linie mit Gefängnis oder Strafarbeit von sechs Wochen bis zu Einem Jahre bestraft werden. Die letzte Strafe ist auch auf den Beischlaf unter unehelichen, durch den Vater verwandten Geschwistern anzuwenden, jedoch nur, wenn die Verwandtschaft durch Anerkenntnis des Vaters festgestellt ist“. 219 § 164 E 1845: „Der Beischlaf eines Ehemannes mit der unehelichen Tochter der Frau, so wie der Beischlaf der Mutter einer unehelichen Tochter mit deren Ehegatten, ist mit Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder mit Strafarbeit von zwei Monaten bis zu drei Jahren zu belegen. Der Beischlaf des vom Vater anerkannten unehelichen Sohnes mit der Ehefrau des Vaters, so wie der Beischlaf eines Vaters mit der Ehefrau seines von ihm anerkannten unehelichen Sohnes ist mit Gefängnis von Einem Monat bis zu Einem Jahre zu bestrafen“. 220 § 165 E 1845: „Die Strafe des Beischlafs zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, so wie des Beischlafs zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß die Ehe, wodurch das Verhältnis unter den Angeschuldigten begründet wurde, schon vor der That durch Tod oder Scheidung aufgelöset war“. 221 „Verhandlungen der Kommission des Staatsraths über den revidirten Entwurf des Strafgesetzbuchs (Berlin 1846)“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 1. Halbbd., S. 109 ff. 222 17. Sitzung vom 7. Februar 1846. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 1. Halbbd., S. 193 ff. 223 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 1. Halbbd., S. 195.

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Erster Teil: Grundlagen

Aszendenten auf Zuchthaus bis zu drei Jahren und die Strafe der Deszendenten auf Gefängnis nicht unter sechs Wochen oder Strafbarkeit bis zu einem Jahre festgesetzt werde224. Zum § 163 E 1845 wurde beschlossen, dass anstatt „unter Stiefeltern und Stiefkindern“ und „unter Schwiegereltern und Schwiegerkindern“ „zwischen Stiefeltern und Stiefkindern“ u.s.w. gesagt werde. Bei der Strafbestimmung sei mit Rücksicht auf die Beschlußnahme wegen des Minimums der Strafarbeit hinter dem Wort „Strafarbeit“ die Worte „von zwei Monaten“ zu streichen; dasselbe sei in § 164 im zweiten Absatz zu veranlassen, dieser Paragraph im Übrigen zu genehmigen. Der § 165 solle „als entbehrlich und sich von selbst verstehend fortfallen“; dies wurde mit sieben gegen drei Stimmen beschlossen225.

8. Entwurf von 1846 Die Beratungen der Staatsratskommission führten226 zu dem Entwurf von 1846 227 (E 1846) .

Im E 1846 waren die Tatbestände zum Inzest im neunten Titel „Verbrechen wider die Sittlichkeit“ unter der Überschrift „Blutschande“ in den §§ 159 bis 163228 geregelt. Sie erlangten im Vergleich zu den Inzeststraftatbeständen des E 1845 keine erwähnenswerten Veränderungen und wurden bereits in den vorstehenden Verhandlungen zum E 1845 dargestellt.

9. Entwurf von 1847 sowie der Vereinigte Ständische Ausschuss Bedenken, insbesondere von rheinischen Juristen, der E 1846 sei mit der Gerichtsverfassung der Rheinprovinz und dem Verfahren der Geschworenen nur schwer zu vereinbaren, führten schließlich, unter Zuziehung dieser Juristen, zunächst zu erneuten Verhandlungen der Kommission, dann erst zu Beratungen des Plenums des Staatsrats, die sich in dem darauf erstellten Entwurf von 1847 (E 1847)229 niederschlugen230.

224 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 1. Halbbd., S. 195. 225 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 1. Halbbd., S. 195. 226 Die „Verhandlungen der Kommission des Staatsraths über den revidirten Entwurf des Strafgesetzbuchs (Berlin 1846)“ stellten praktisch die Motive des E 1846 dar. 227 „Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten; von der Königlichen Immediat-Kommission dem Plenum des Staatsrats vorgelegt, Berlin 1846“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 1. Halbbd., S. 349 ff. 228 Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 1. Halbbd., S. 385 f. 229 „Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, nebst dem Entwurf des Gesetzes über die Einführung des Strafgesetzbuchs und dem Entwurf des Gesetzes über die Kompetenz und das Verfahren in dem Bezirke des Appellationsgerichtshofes zu Köln. Zur Vorlegung an die vereinigten ständischen Ausschüsse bestimmt, Berlin

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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Der E 1847 sah die hier interessierenden Vorschriften im neunten Titel „Verbrechen wider die Sittlichkeit“ unter der Überschrift „Blutschande“ in den §§ 162 bis 166231 vor. Die Inzeststraftatbestände des E 1847 entsprachen, abgesehen von redaktionellen Überarbeitungen, wortgetreu denen des E 1846. In den Motiven232 wurde zu den §§ 162 (Inzest zwischen Aszendenten und Deszendenten) und 163 (Inzest zwischen Geschwistern) ausgeführt, dass die Rheinischen Stände das Verbrechen der Blutschande ganz aus dem Gebiet der Kriminalgesetze in das der Moral und des Gewissens verweisen wollten. Sobald jedoch öffentliches Ärgernis gegeben werde oder Rechte Dritter verletzt würden, könne die Strafe nicht wegfallen, wie selbst für den ersten Fall auch die Rheinischen Stände ausdrücklich anerkannt hätten. Die von ihnen ausgesprochenen Besorgnisse würden hingegen „am besten durch eine angemessene Anwendung des Prinzips der Anklage, also durch das Einschreiten des Staatsanwalts, der mit angemessenen Instruktionen zur Verhinderung alles bedenklichen Eindringens in das Innere der Familien versehen werden kann, verhindert werden.“233

Der von den Brandenburgischen und Sächsischen Ständen zu den §§ 162 ff. verlangte Zusatz, wonach die Kenntnis der Verwandtschaft als Bedingung vorausgesetzt werde, sei gemäß § 60 unnötig234. Zu § 164 (Sanktionierung des Inzest bei Unehelichkeit) hätten die Westfälischen Stände mit Recht bemerkt, dass, wenn die uneheliche Verwandtschaft von der Seite der Mutter herrühre, kein Grund vorliege, andere Bestimmungen als in den §§ 162 und 163 zu treffen, da ein Bedenken über die Verwandtschaft nicht statt habe und daher der Einfluss der ehelichen Geburt unerheblich sei235. Was die uneheliche Verwandtschaft von Seiten des Vaters betreffe, so sei der Zweifel über den Nachweis der Paternität allerdings geeignet, eine mildere Strafbestimmung zu treffen. Der Nachweis durch richterliches Erkenntnis sei deshalb gestrichen worden, weil das Erkenntnis nur unter den Parteien erlassen werde, und also einem Dritten nicht entgegenstehe. Nur ein Anerkenntnis der

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1847“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 735 ff. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XLI. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 768. „Motive zu dem Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten und den damit verbundenen Gesetzen vom Jahre 1847 (Berlin 1847)“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 841 ff. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 910. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 910. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 911.

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Erster Teil: Grundlagen

Vaterschaft könne hier entscheiden. Dass das ALR nur ein formloses, der Code pénal ein formelles Anerkenntnis des Vaters erfordere, könne keinen Grund abgeben, von der unehelichen Verwandtschaft seitens des Vaters Abstand zu nehmen, da die verschiedene Folge des formlosen Anerkenntnisses in den verschiedenen Provinzen die Anwendung des Gesetzes nicht hindern könne236. Bei § 165 (Inzest in Stief- und Schwägerschaftsverhältnissen) sei ein Grund, gegen die Stief- und Schwiegereltern Zuchthaus, gegen die Kinder ausschließlich Strafarbeit zu bestimmen, wie die Westfälischen Stände es wollten, nicht vorhanden, „da der eigentliche Inzest zwischen Aszendenten, Deszendenten und leiblichen Geschwistern weit strenger gehalten werden“ müsse. Ebenso unbegründet sei die beantragte Wiederaufnahme der unpraktischen Bestimmungen der präventiven Vorschriften der §§ 1043 ff. ALR II 20, „da weder eine Kontrolle, noch die Ausführung möglich sei, ohne in die Familienverhältnisse tief einzudringen und ungerechte Härte zu üben“237. Der § 166 (Inzest des Ehegatten mit dem unehelichen Kind des anderen) fand in den Motiven zum E 1847 keine Berücksichtigung. Der Entwurf, der nunmehr dem Rheinischen Recht einen stärkeren Einfluss gewährte, wurde, versehen mit 19 Hauptfragen, dem durch königliches Patent vom 3. Februar 1847 gebildeten und am 3. Dezember 1847 einberufenen Vereinigten Ständischen Ausschuss zur Begutachtung überwiesen. Dieser aus 99 Mitgliedern bestehende 238 Ausschuss bildete eine „Vorbereitende Abtheilung“, deren Gutachten den bis zum 6. März 1848 andauernden Beratungen der Plenarversammlung als Grundlage dienten239.

Die zur Vorberatung der §§ 162 bis 166 E 1847 zuständige Abteilung des Vereinigten Ständischen Ausschusses beriet zunächst über die Strafwürdigkeit des Inzests überhaupt240; ein Antrag zur Streichung der §§ 162 bis 166 wurde mit elf gegen drei Stimmen verworfen241. 236 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 911. 237 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 911. 238 „Gutachten der zur Vorberathung ernannten Abtheilungen des Vereinigten ständischen Ausschusses, betreffend den Entwurf eines Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten (Referent: Naumann; Correferent: Freiherr von Mylius)“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 1019 ff. 239 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XLI. 240 Es wurde zunächst diskutiert, ob Handlungen, wie sie der Entwurf erwähne, überhaupt mit Strafen zu belegen seien, und für ihre Straflosigkeit angeführt, dass die Sittlichkeit der Familie nie durch die Strafgewalt des Staats erzwungen werden könne, dass aber auch jeder innere Grund für die Strafe der moralisch verwerflichen Handlung fehle, da Strafe immer nur durch die Verletzung eines fremden Rechts, oder durch einen dem Unmündigen oder Minderjährigen von dem Staate zu gewährenden Schutz motiviert

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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Im Einzelnen wurde zu § 162 E 1847 bemerkt, dass, wie bei allen sog. Fleischesverbrechen, immer nur Handlungen sinnlicher Begierde, keineswegs aber solche vorlägen, welche die infamirende Zuchthausstrafe zu rechtfertigen im Stande seien, weshalb die Streichung dieser Strafgattung beantragt wurde. Die Mehrheit der Abteilung meinte jedoch, dass hier, wegen der durch die Familienbande gebotenen Pflichten, Verletzungen derselben unter aller „Verleugnung des Ehrgefühls“ sehr wohl denkbar seien. Daher wies die Abteilung den Antrag, im § 162 das Wort „Zuchthaus“ in „Strafarbeit“ zu verwandeln, mit elf gegen drei Stimmen zurück242. Die §§ 163 und 164 gaben zu weiterer Diskussion keine Veranlassung243. Erneut wurde die Streichung des § 165 beantragt; der für die Beibehaltung der früheren Paragraphen sprechende Grund liege nicht vor, denn es handele sich hier um keine durch Abstammung gegründete Familienverbindung, sondern um Verhältnisse, welche erst durch den Abschluss der Ehe mit einer dritten Person gegründet würden, was wohl auch der Grund dafür sei, dass dem ALR die Strafbestimmung des Entwurfs fremd geblieben sei. Die Abteilung verwarf jedoch auch den Antrag auf Streichung des § 165 mit zehn gegen vier Stimmen, „weil hier ebenso, wie in den früheren Fällen, es sich um Familienverbindungen handele, die das Gesetz anerkenne und unter seine Garantie stelle, deren Sittlichkeit und Reinheit es daher auch da, wo sie angegriffen und gefährdet, durch seine Strafbestimmungen zu schirmen“

habe244. Schließlich beschloss die Abteilung zu § 166 mit acht gegen sechs Stimmen, „die Streichung dieses Paragraphen in Antrag zu bringen, indem es sich hier allerdings um Fälle handele, die von den früher gedachten wesentlich verschieden seien, da ihnen die formelle, durch das Gesetz oder das Anerkenntnis gewährte Sanktion der früher erwähnten Verhältnisse fehle.“245

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werden dürfe. Die Abteilung zog jedoch in Erwägung, dass die Sittlichkeit innerhalb der Familie dem Staate so heilig und den höchsten Staatszwecken so nahe stehend sei, das Handlungen der vorerwähnten Art, weil sie diese Sittlichkeit auf das freventlichste verletzen, von der Strafgewalt des Staates nicht unbeachtet zu lassen, und dass gerade hier Fälle vorkommen würden, wo, wenn auch nicht gerade Minderjährige, doch solche Personen der Verführung und dem Missbrauche Anderer ausgesetzt seien, welche das Gesetz vorzugsweise unter den Schutz und daher auch unter die Autorität der letzteren gestellt habe [Hervorhebung durch den Verfasser]. Vgl. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 1149. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 1149. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 1151. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 1151. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 1151. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 6, 2. Halbbd., S. 1151.

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Erster Teil: Grundlagen

10. Entwürfe von 1848 und 1849 Die vorstehenden Gutachten gipfelten in dem von der vorbereitenden Abteilung vorgeschlagenen Beschluss, dass das StGB nicht erlassen werden solle, bevor der Vereinigte Landtag über eine neue Strafprozessordnung beraten habe. Trotz dieses Beschlusses und der sich zuspitzenden politischen Verhältnisse setzte Savigny im Gesetzrevisionsministerium die Redaktionsarbeiten an dem Entwurf fort. Noch einen Tag vor seiner erbetenen Entlassung am 19. März 1848 unterzeichnete er eine Denk246 schrift, die die Richtlinien für die Schlussredaktion enthielt . Die Arbeiten im Ministerium führten schließlich zum Entwurf von 1848 (E 1848)247. Er entstand durch Überarbeitung des E 1847 auf der Grundlage der Beschlüsse des Vereinigten Ständischen Ausschusses248. Auf den Beschlüssen einer Kommission des Preußischen Justizministeriums, die im Jahr 1848 zur Beratung des prStGB zusammengetreten war, beruhte anschließend der Entwurf von 1849 (E 1849)249. Als Vorlage haben der E 1847 sowie diejenigen Materialien gedient, die auch der Beratung des E 1848 zugrundelagen250. Daher stimmte der E 1849 inhaltlich in weiten Teilen mit dem E 1848 überein251. Motive und Erläuterungen zu dem E 1848 und E 1849 gab es nicht.

Sowohl im E 1848 als auch im E 1849 fanden die Inzesttatbestände keine Aufnahme mehr. Lediglich unter dem Gesichtspunkt der „Unzucht mit Abhängigen“ wurden im E 1848252 und im E 1849253 den Eltern, die mit ihren Kin246 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XLI. 247 „Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, Berlin 1848“. Abgedruckt bei Banke, Der erste Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts, 2. Der Vorentwurf zum ersten Deutschen Einheitsstrafrecht, S. 40 ff. 248 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XLII. 249 „Entwurf eines allgemeinen deutschen Strafgesetzbuchs, Berlin 1849“. Abgedruckt bei Banke, Der erste Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts, 1. Die Verfasser des Entwurfs 1849, S. 37 ff. 250 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XLII. 251 Banke, Der erste Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts, 3. Der Entwurf 1849 als Bindeglied des Deutschen Strafrechts, S. 1 ff. Wegen der Übereinstimmung bezeichnete Banke, den Entwurf von 1848 als „Vorentwurf zum ersten Deutschen Einheitsstrafrecht“. Vgl. Banke, Der erste Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts, 2. Der Vorentwurf zum ersten Deutschen Einheitsstrafrecht, S. 6. 252 Im achten Titel „Verbrechen gegen die Sittlichkeit“ in § 101: „Mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren, sowie mit zeitiger Untersagung der Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte werden bestraft: I) Eltern, welche mit ihren minderjährigen Kindern, – Vormünder, welche mit ihren Pflegebefohlenen – Lehrer, Geistliche und Erzieher, welche mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen eine unzüchtige Handlung treiben, oder dieselben zur Verübung oder zur Duldung einer unzüchtigen Handlung verleiten; [...]“. Abgedruckt bei Banke, Der erste Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts, 2. Der Vorentwurf zum ersten Deutschen Einheitsstrafrecht, S. 66. 253 Im zehnten Titel „Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“ in Art. 10: „Mit Gefaengnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren, sowie mit zeitiger Untersagung der Ausuebung der staatsbürgerlichen Rechte werden bestraft: I) Eltern, welche mit ihren minderjährigen Kindern, Vormuender, welche mit ihren Pflegebefohlenen, Lehrer,

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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dern unzüchtige Handlungen vornehmen, Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren angedroht. Die ist bemerkenswert, da es in den vorherigen Reformen keine Anhaltspunkte für eine vordringende Auffassung gab, die Inzeststraftatbestände gänzlich zu streichen.

11. Entwurf von 1850/1851 Nach dem Scheitern der Einheitsbestrebungen durch die E 1848 und E 1849 wurden die Preußischen Reformarbeiten erst durch den Entwurf von 1850/1851 (E 1850/1851)254 weitergeführt.

Zwar ist der E 1850/1851 aus einer Überarbeitung des E 1848 hervorgegangen255, jedoch nahm er bezüglich der Inzeststraftatbestände den E 1847 zum Vorbild256. Die in den E 1848 und E 1849 vorgesehene Straflosigkeit des Inzests stellte daher nur ein kurzes Zwischenspiel dar. Im E 1850/1851 waren die Inzeststraftatbestände im Eilften Titel „Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“ in § 130257 erstmalig in einem Paragraphen zusammengefasst und verzichteten ebenso erstmalig auf eine Paragraphenüberschrift. Im Vergleich zu den Inzeststraftatbeständen des E 1847 hat der § 130 des E 1850/1851 beim erfassten Personenkreis, insofern er Aszendenten, Deszendenten, Geschwister sowie Stief- und Schwägerschaftsverhältnisse umfasste, keine Änderungen erfahren. Bei den Strafen wurde im ersten Absatz258 des § 130 das seit dem E 1845 entfallene Mindestalter für die Deszendenten wieder aufgenommen und die zuvor vorgesehene Strafarbeit ausgeklammert. Der Inzest in Schwägerschafts-,

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Geistliche und Erzieher, welche mit ihren minderjährigen Schuelern oder Zoeglingen eine unzuechtige Handlung treiben, oder dieselben zur Veruebung oder zur Duldung einer unzuechtigen Handlung verleiten; [...]“. Abgedruckt bei Banke, Der erste Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts, 1. Die Verfasser des Entwurfs 1849, S. 67 f. „Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten vom 10. Dezember nebst Motiven, Berlin 1851“. Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XLIII. Bericht der Kommission für Prüfung des Entwurfes des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, S. 125, in „Verhandlungen der Ersten und Zweiten Kammer über die Entwürfe des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten und des Gesetzes über die Einführung desselben, vom 10. Dezember 1850. Nebst den Kommissions-Berichten und sonstigen Aktenstücken. Berlin, 1851“. Abgedruckt im Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, S. 32. § 130 Absatz 1 E 1850/1851: „Die Unzucht zwischen leiblichen Eltern und Kindern wird an den Ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den Letzteren, wenn sie das sechzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft“.

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Erster Teil: Grundlagen

Stief- und Geschwisterverhältnissen wurde im zweiten Absatz259 zusammengefasst, die Strafarbeit auch hier nicht mehr vorgesehen und eine einheitliche Mindeststrafe von drei Monaten normiert. Alle übrigen Tatbestände sind entfallen, wobei in Absatz 3260 die Möglichkeit der Untersagung der bürgerlichen Ehrenrechte neu hinzugefügt wurde. In den Motiven zum § 130 E 1850/1851 wurde allein ausgeführt, dass „die über die Blutschande in dem früheren Entwurfe aufgestellten, von den vereinigten Ausschüssen gebilligten Prinzipien im gegenwärtigen Entwurf beibehalten, jedoch dem bei der ständischen Beratung ausgesprochenen Wunsche gemäß versucht worden sei, den Bestimmungen eine größere Einfachheit und Kürze zu geben.“261

III. Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 Der E 1850/1851 wurde am 3. Januar 1851 der Zweiten Kammer zur Verhandlung vorgelegt. Obgleich die Beratungen der Ersten und Zweiten Kammer noch bis zum 12. April 1851 andauerten262, genehmigte der König bereits am 14. April 1851 das neue StGB, sodass am 1. Juli 1851 das prStGB, welches den Strafrechtstitel des ALR ersetzte, in 263 Kraft trat .

Die Inzeststraftatbestände waren im prStGB im zwölften Titel „Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“ in § 141264 abermals in einem Paragraphen sowie ohne Paragraphenüberschrift zusammengefasst und übernahmen wortgetreu den § 130 des E 1850/1851. Es gab allerdings insofern eine Ergänzung, als in einem neu hinzugefügten Absatz 4265 auch die Straflosigkeit der noch nicht sechzehn Jahre alten Stiefkinder ausgesprochen wurde. In den Verhandlungen266 der Ersten und Zweiten Kammer der Kommission wurde – wie auch schon in den Motiven zum E 1850/1851 – bemerkt, dass im 259 § 130 Absatz 2 E 1850/1851: „Die Unzucht zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern wird mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft“. 260 § 130 Absatz 3 E 1850/1851: „Auch kann zugleich auf die zeitige Untersagung der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden“. 261 Motive zu dem Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, S. 42. 262 Schubert / Regge, Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XLIII. 263 Einführungsgesetz vom 14. April 1851, Art. I (Pr. GS., S. 93). 264 Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 3, XI, S. 89. 265 § 141 Absatz 4 prStGB: „Stiefkinder bleiben straflos, wenn sie das sechszehnte Lebensjahr noch nicht zurück gelegt haben“. 266 „Verhandlungen der Ersten und Zweiten Kammer über die Entwürfe des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten und des Gesetzes über die Einführung desselben,

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§ 130 E 1850/1851 die §§ 162 bis 166 E 1847 „zur Vermeidung einer anstößig befundenen Fassung und einer widrigen Kasuistik zusammengefasst“ worden seien. Zwar seien manche Handlungen im rheinischen StGB und im ALR teilweise nicht unter Strafe gestellt (zwischen Schwiegereltern und -kindern, so wie rücksichtlich der Stiefkinder, wenn sie, was i.d.R. der Fall sei, als bloß Verführte anzusehen sind), „die Strafbarkeit aller dieser die Familienrechte gefährdenden Unzuchtsfälle sei jedoch in der Kommission nicht in Zweifel gezogen“ worden267. Die Kommission habe es zudem für angemessen gehalten, dass im § 130 E 1850/1851 kein Unterschied mehr gemacht worden sei, ob das Verwandtschaftsverhältnis- oder Affinitätsverhältnis durch eheliche oder uneheliche Geburt begründet gewesen ist268. Ferner wurde vorgebracht, dass durch die Fassung des ersten Absatzes die Unzucht zwischen Großeltern und Enkeln für ausgeschlossen erachtet werden könnte; so sei angetragen worden, statt „Aeltern und Kindern“ zu sagen „Verwandten in auf- und absteigender Linie“. Die Kommission habe ein Bedürfnis dazu aber nicht anerkannt269. Ein Antrag, auch die Unzucht zwischen Adoptiveltern und -kindern unter Strafe zu stellen, sei von der Kommission abgelehnt worden, „da das Verhältnis zwischen Adoptiveltern und -kindern, auch nach den die Eheverbote betreffenden Bestimmungen des ALR ein anderes sei, als das der Schwieger- und Stiefeltern zu den Schwieger- und Stiefkindern.“270

Hinsichtlich des Lebensjahres, bis zu dessen Zurücklegung Kinder straflos sind, habe sich die Kommission des Vorschlags des Regierungs-Kommissars, statt des achtzehnten das sechzehnte anzunehmen, angeschlossen. Schließlich erscheine es der Kommission notwendig, in dieser Beziehung den leiblichen

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vom 10. Dezember 1850. Nebst den Kommissions-Berichten und sonstigen Aktenstükken. Berlin, 1851“. Bericht der Kommission für Prüfung des Entwurfes des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, S. 125, in „Verhandlungen der Ersten und Zweiten Kammer über die Entwürfe des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten und des Gesetzes über die Einführung desselben, vom 10. Dezember 1850. Nebst den Kommissions-Berichten und sonstigen Aktenstücken. Berlin, 1851“. Bericht der Kommission für Prüfung des Entwurfes des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, S. 126, a.a.O. Bericht der Kommission für Prüfung des Entwurfes des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, S. 126, a.a.O. Bericht der Kommission für Prüfung des Entwurfes des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, S. 126, a.a.O.

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Erster Teil: Grundlagen

Kindern die Stiefkinder gleichzustellen, sodass der § 130 entsprechend abzuändern bzw. um einen vierten Absatz zu ergänzen gewesen sei271. Durch das Änderungsgesetz vom 14. April 1856272 erfuhr das prStGB zwar wesentliche Änderungen, die aber allesamt nicht die Inzeststraftatbestände des § 141 betrafen.

C) Außerpreußische Partikularrechte seit 1794: Insbesondere die bayerische und sächsische Strafgesetzgebung Nach Auflösung des Heiligen Römischen Reichs 1806 und dem Ende der Napoleonischen Herrschaft 1815 traten neben die wenigen bis dahin bestehenden Partikularstrafgesetzgebungen Preußens (ALR), Österreichs (Constitutio criminalis Theresiana von 1768, Josephina von 1787 und Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen von 1803) und Bayerns (codex maximilianeus bavaricus criminalis von 1751) nach und nach Strafgesetzbücher der anderen Staaten273. Sämtliche außerpreußischen Partikularrechte seit 1794 (mit Ausnahme des Code pénal, der westlich des Rheins fortgalt) sahen den Inzest als strafwürdiges Delikt vor. Jedoch waren die Regelungen im Gegensatz zum gemeinen Recht gemildert274. Es wurde versucht, den vom Tatbestand erfassten Personenkreis in Abkehr zur Ausdehnung des gemeinen Rechts einzugrenzen, indem er überwiegend auf die nächsten Verwandten und Verschwägerten beschränkt wurde. Todesstrafen fanden übereinstimmend keinen Niederschlag, wenngleich noch beträchtliche zeitliche Freiheitstrafen ausgesprochen wurden. Ebenfalls sahen nahezu alle Inzeststraftatbestände ein Mindestalter für die Deszendenten vor. Größere Unterschiede sind bei den einzelnen Strafgesetzbüchern dieser Epoche also nicht auszumachen. Gleichwohl wird die bayerische Strafgesetzgebung, da sie als 275 Grundlage für viele weitere Partikularstrafgesetzbücher gedient hat , hervorgehoben. Auch die sächsische Strafgesetzgebung wird besondere Beachtung finden, da die Inzeststraftatbestände in der endgültigen Fassung stark von ihrem ersten Entwurf und dessen Begründung abwichen.

271 Bericht der Kommission für Prüfung des Entwurfes des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, S. 126, a.a.O. Anzumerken ist, dass die Entwurfsvorlage insofern von dem E 1850/1851 abwich, dass dieser als Mindestalter noch achtzehn Jahre vorsah. 272 Entwurf und Motive abgedruckt bei GA 1855 (3), S. 848 ff. Gesetz abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 3, XI, S. 21 ff. 273 Insgesamt sind zu nennen die Strafgesetzbücher aus Oldenburg, Würtemberg, Hannover, Braunschweig, Hessen, Baden, Thüringen, Nassau, Österreich, Preussen, Bayern und Sachsen. 274 Dippel, LK, § 173 Rdnr. 1. 275 Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 44.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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I. Die bayerische Strafgesetzgebung 1. Das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern von 1813 Die Inzeststraftatbestände der bayerischen Strafgesetzgebung von 1813 gehen nahezu wörtlich auf die im zweiten Kapitel „Von Beschädigungen und anderen Mißhandlungen 276 und an der Person“ unter „Durch Verführung zur Unzucht“ geregleten Art. 217 277 278 218 des Feuerbachschen Entwurfs von 1810 zurück.

Im bayerischen StGB vom 6. Mai 1813279 waren die Inzeststraftatbestände unter dem zweiten Kapitel „Von Beschädigungen und anderen Mißhandlungen an der Person“ und unter der Überschrift „Durch Verführung zur Unzucht“ in den Art. 206 und 207280 normiert. Verschwägerte wurden in dem vom Tatbestand erfassten Personenkreis nicht berücksichtigt. Dass der Inzest für die Deszendenten nicht unter Strafe gestellt war, ist besonderer Erwähnung würdig, da abgesehen vom bayerischen StGB von 1813 alle der in dieser Abhandlung untersuchten Regelungen zum Inzest ihn als strafwürdig erachteten. Im Art. 206281 wurde der Beischlaf von Eltern und anderen Blutsverwandten in aufsteigender Linie mit ihren Kindern oder anderen Abkömmlingen mit zwei

276 Art. 217 E Feuerbach: „Aeltern und andere Blutsverwandte in aufsteigender Linie, welche mit ihren Kindern oder anderen Abkömmlingen den Beischlaf vollziehen, oder derselben sonst zur Wollust mißbrauchen, sollen aller älterlichen Rechte verlustig, zur gesetzlichen und testamentarischen Erbfolge in das Vermögen dieser ihrer Kinder schlechterdings unfähig, und überdieses der geschärften Strafe des Arbeitshauses auf ein- bis vier Jahre schuldig seyn“. Abgedruckt im „Entwurf des Gesetzbuchs über Verbrechen und Vergehen für das Königreich Baiern“, S. 88 f. 277 Art. 218 E Feuerbach: „Vormünder, Schullehrer, Erzieher, welche ihre Untergebenen zur Unzucht gebrauchen, sollen, nebst der Unfähigkeit zu allen öffentlichen Aemtern und Würden, sechsmonatliches bis einjähriges geschärftes Gefängniß, und, wenn der Verführte wider die Ordnung der Natur zu fleischlichem Genusse mißbraucht worden, ein- bis vierjähriges geschärftes Arbeitshaus verwirkt haben“. Abgedruckt im „Entwurf des Gesetzbuchs über Verbrechen und Vergehen für das Königreich Baiern“, S. 89. 278 Paul Johann Anselm Feuerbach (1785–1833). Zu den Werken vgl. Vormbaum, Strafrechtsdenker der Neuzeit, S. 308 ff. und S. 327 ff. (mit Literaturhinweisen im Anhang). 279 Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 1, I, S. 13 ff. 280 Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 1, I, S. 84 f. 281 Art. 206 bayerisches StGB 1813: „Eltern und andere Blutsverwandte in aufsteigender Linie, welche mit ihren Kindern oder andern Abkömmlingen den Beischlaf vollziehen, oder dieselben sonst zur Wollust mißbrauchen, sollen aller öffentlichen Aemter und Würden unfähig, aller elterlichen Rechte verlustig, zur gesetzlichen und testamentarischen Erbfolge in das Vermögen dieser ihrer Kinder schlechterdings unfähig, und über dieses der geschärften Strafe des Arbeitshauses auf zwei bis sechs Jahre schuldig sein“.

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Erster Teil: Grundlagen

bis sechs Jahren Arbeitshaus bestraft. Nach Art. 207282 waren sexuelle Handlungen u.a. von Stiefeltern mit ihren „Untergebenen“ sowie zwischen Geschwistern mit ein- bis vierjährigem Arbeitshaus bedroht. Neben den Freiheitsstrafen sahen beide Artikel ferner weitere Sanktionen vor, wie bspw. den Verlust aller öffentlicher Ämter und Würden. Bezeichnend ist, dass stets von einer Verführung der Kinder oder anderer Abkömmlinge durch die Eltern, Stiefeltern oder die anderen Blutsverwandten ausgegangen wurde. In der Gesamtschau ist, auch wenn teilweise die Freiheitsstrafen im Vergleich zum ALR erhöht wurden283, durch die Art. 206 und 207 des bayerischen StGB von 1813 eine Milderung der Inzeststraftatbestände eingetreten, da im Gegensatz zum gemeinen Recht Deszendenten straflos und Verschwägerte aus dem vom Tatbestand erfassten Personenkreis ausgeklammert waren.

2. Das bayerische Strafgesetzbuch von 1861 Feuerbachs StGB von 1813 hat in Bayern, allerdings geändert durch zahlreiche Novellen, fast 50 Jahre gegolten284. Entwürfe von 1822 (v. Gönner)285, 1827 (v. Schmidtlein)286 und 1831 (Stürzer)287 kamen nicht zur Erledigung. Die Reformbemühungen

282 Art. 207 bayerisches StGB 1813: „Leibliche eheliche Geschwister, welche mit einander Unzucht treiben, desgleichen Stief- oder Pflegeeltern, Vormünder, Schullehrer, Erzieher, welche ihre Untergegebenen zur Unzucht mißbrauchen, sollen, nebst der Unfähigkeit zu allen öffentlichen Aemtern und Würden, mit ein- bis vierjährigem Arbeitshaus bestraft werden“. 283 Drei bis fünf Jahre Festungsstrafe für die Aszendenten und Festungs- oder Zuchthausstrafe von ein bis zwei Jahren für die Geschwister im ALR II 20 im Vergleich zu zwei bis sechs Jahre für die Aszendenten und ein bis zwei Jahre für die Geschwister im Bayerischen StGB von 1813. 284 v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 327. 285 Im E 1822 fanden sich die Inzeststraftatbestände im Art. 269 (7. Kapitel: „Verbrechen und Vergehen wider die Rechte der Person“, „Blutschande“): „Aeltern und Blutsverwandte in aufsteigender Linie, welche mit ihren Kindern oder andern Abkömmlingen, leibliche eheliche Geschwister, welche miteinander Unzucht verüben, sollen mit Arbeitshaus bestraft werden, auch die Aeltern, welche dieses Verbrechen begangen haben, aller älterlichen Rechte verlustig, und der Erbfolge in das Vermögen dieser ihrer Kinder unfähig seyn“. Abgedruckt im „Entwurf des Strafgesetzbuchs“, S. 119. 286 Der E 1827 sah die Inzeststraftatbestände im Art. 200 vor (13. Kapitel: „Von groben Verletzungen der Sittlichkeit“, „Blutschande“): „Aeltern und Blutsverwandte in aufsteigender Linie, welche mit ihren Kindern oder andern Abkömmlingen, dann leibliche Geschwister, welche mit einander Unzucht verüben, sollen mit Arbeitshaus bestraft werden. Auch sollen die Aeltern, welche dieses Verbrechen begangen haben, aller älterlichen Rechte verlustig und der Erbfolge in das Vermögen dieser ihrer Kinder unfähig seyn.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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wurden erst ab 1848 wieder vorangetrieben. 1851 legte der Justizminister v. Kleinschrod der Kammer einen Entwurf mit Motiven vor, der jedoch nur den AT umfasste. Auf Grundlage dieses Entwurfs und handschriftlichen Materials zu dem BT ging in der von v. Kleinschrod geleiteten Ministerial-Kommission der vollständige Entwurf eines 288 289 Gesetzbuches über Verbrechen und Vergehen von 1853 hervor . Dieser kam 1855

Kinder und andere Abkömmlinge, welche sich nach zurückgelegtem fünfzehnten Jahre in solcher Art mit ihren Aeltern und Verwandten in aufsteigender Linie vergangen haben, werden mit Gefängniß nicht unter sechs Monate bestraft“. Abgedruckt im „Revidierter Entwurf des Straf-Gesetzbuches, Motive zum revidierten Entwurfe des Strafgesetzbuches“, S. 73 f. In den zum E 1827 veröffentlichten Motiven wurde bemerkt, dass die Deszendenten aber einem gewissen Alter nicht mehr als Verführte gelten könnten und daher eine Strafbarkeit dergleichen unabdingbar sei. 287 Im E 1831 waren die Inzeststraftatbestände im Art. 234 abgefasst (13. Kapitel: „Von Verletzungen der Sittlichkeit“, „Blutschande“): „Aeltern und Blutsverwandte in aufsteigender Linie, welche mit ihren Kindern oder andern Abkömmlingen Unzucht verüben, sollen mit Arbeitshaus bis zu sechs Jahren bestraft werden. – Auch sollen die Aeltern, welche dieses Verbrechen begangen haben, aller älterlichen Rechte verlustig, und der Erbfolge in das Vermögen dieser ihrer Kinder unfähig seyn. Kinder und andere Abkömmlinge, welche sich nach zurückgelegtem vierzehnten Jahre in solcher Art mit ihren Aeltern und Blutsverwandten in aufsteigender Linie vergangen haben, werden mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft. Leibliche, voll- oder halbbürtige eheliche Geschwister, welche mit einander Unzucht treiben, sollen mit Arbeitshaus bis zu vier Jahren, uneheliche mit Gefängniß nicht unter sechs Monaten bestraft werden“. Abgedruckt im „Entwurf des Straf-Gesetzbuches, Motive zum Entwurfe des Strafgesetzbuches“, S. 134. In den zum E 1831 veröffentlichten Motiven lassen sich für die vorliegende Untersuchung keine bedeutenden Anmerkungen ausmachen. 288 Die Inzeststraftatbestände waren im E 1853 in Art. 209 bis 212 geregelt (Zehntes Hauptstück: „Von den Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“, „Blutschande“): Art. 209: „Wenn Eltern oder andere Verwandte in aufsteigender Linie mit ihren leiblichen Abkömmlingen den Beischlaf vollziehen, so sollen erstere mit Gefängniß nicht unter drei Jahren, letztere, soferne sie das sechszehnte Jahr zurückgelegt haben, mit Gefängniß von sechs Monaten bis zu zwei Jahren bestraft werden“. Art. 210: „Voll- oder halbbürtige Geschwister, welche mit einander den Beischlaf vollziehen, sind mit Gefängniß von sechs Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen“. Art. 211: „Wenn das in Artikeln 209 und 210 bezeichnete Verwandtschafts-Verhältniß Ein außereheliches und zwar durch den Vater begründetes ist, so tritt Bestrafung nur unter der Voraussetzung ein, daß die Verwandtschaft durch Anerkenntniß von Seite des unehelichen Vaters festgestellt ist. Auch sind in solchem Falle die Gerichte befugt, die Strafe bis auf die Hälfte des niedrigsten Strafmaßes herabzusetzen“. Art. 212: „Der Beischlaf zwischen Schwieger- oder Stiefeltern und ihren Schwiegeroder Stiefkindern soll, insoferne das Schwägerschaftsverhältniß durch eine (noch bestehende oder bereits aufgelöste) Ehe begründet ist, an den ersteren mit Gefängniß von drei Monaten bis zu zwei Jahren, und an den letzteren, vorausgesetzt daß sie bereits das

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Erster Teil: Grundlagen

unverändert zu erneuter Vorlage, auch zur Beratung, aber wegen Differenzen zwischen Regierung und Kammer nicht zur Erledigung. Erst der auf die Beschlüsse des Aus290 schusses der 2. Kammer revidierte Entwurf von 1860 mit kurzen Motiven führte zum 291 Ziel , wobei der Entwurf von 1853 Grundlage des Entwurf von 1860 und des Gesetzes von 1861 war. Schließlich trat am 1. Juli 1862 das StGB vom 10. November 1861 in Kraft.

Das bayerische StGB von 1861 normierte die Inzeststraftatbestände im 10. Hauptstück „Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“ unter der Überschrift „Blutschande“ in den Art. 208 bis 211292. Bei vergleichender Betrachtung zum bayerischen StGB von 1813 fällt auf, dass die Tatbestände insofern erweitert wurden, als der Beischlaf in Schwägerschaftsverhältnissen erfasst und, was auf den Entwurf von 1827 zurückgeht, die Strafbarkeit des Inzests für die Deszendenten ausgesprochen wurde. Der ursprüngliche Gedanke der Verletzung eines Pflichtverhältnisses durch Verführung war somit

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sechszehnte Jahr zurückgelegt haben, mit Gefängniß von einem Monate bis zu einem Jahre bestraft werden“. Abgedruckt im „Entwurf des Gesetzbuches über Verbrechen und Vergehen. Nebst Motiven, Beiträge zur Begutachtung des Entwurfs des Gesetzbuches über Verbrechen und Vergehen für das Königreich Bayern vom Jahre 1854“, S. 90 f. Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 328 f. Im E 1860 fanden sich sie Inzeststraftatbestände in den Art. 210 bis 213 (10. Hauptstück: „Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“, „Blutschande“): Art. 210: „Wenn Eltern oder andere Verwandte in aufsteigender Linie mit ihren leiblichen Abkömmlingen den Beischlaf vollziehen, so sollen Erstere mit Gefängniß nicht unter drei Jahren, Letztere, soferne sie das sechszehnte Jahr zurückgelegt haben, mit Gefängniß von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft werden“. Art. 211: „Voll- und halbbürtige Geschwister, welche miteinander den Beischlaf vollziehen, sind mit Gefängniß von sechs Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen“. Art. 212: „Wenn das in den Art. 210 und 211 bezeichnete Verwandtschaftsverhältnis ein außereheliches und zwar durch den Vater begründetes ist, so sind die Gerichte befugt, die Strafe bis auf die Hälfte des niedrigsten Strafmaßes herabzusetzen“. Art. 213: „Der Beischlaf zwischen Schwieger- oder Stiefeltern und ihren Schwiegeroder Stiefkindern soll, insoferne das Schwägerschaftsverhältnis durch eine (noch bestehende oder bereits aufgelöste) Ehe begründet ist, an den Erstern mit Gefängniß von drei Monaten bis zu zwei Jahren, und an den Letztern, vorausgesetzt, daß sie bereits das sechszehnte Jahr zurückgelegt haben, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft werden“. Abgedruckt im „Entwurf des Strafgesetzbuches für das Königreich Bayern“, S. 97 f. In den Motiven zum E 1860 wurde nicht zu dem Delikt der Blutschande ausgeführt. v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 327. Abgedruckt bei Weis, Das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern sammt dem Gesetze vom 10. November 1861, Zweiter Bd., S. 8 f.

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größtenteils aufgegeben; sie spielte nur noch insoweit eine Rolle, als eine höhere Bestrafung der Aszendenten vorgesehen war293. Bestraft wurde nach Art. 208294 der Beischlaf zwischen Eltern sowie anderen Verwandten aufsteigender Linie und ihren leiblichen Abkömmlingen mit nicht unter drei Jahren Gefängnis für die Aszendenten und mit Gefängnis bis zu zwei Jahren für die Deszendenten, sofern diese das sechzehnte Lebensjahr erreicht hatten. In Art. 209295 war der Beischlaf zwischen Geschwistern und in Art. 211296 zwischen Schwieger- oder Stiefeltern und ihren Schwieger- oder Stiefkindern mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren bedroht, wobei als Strafe für die Schwieger- oder Stiefkinder Gefängnis bis zu einem Jahr vorgesehen war. Auch hier galt, dass die Deszendenten bereits sechzehn Jahre alt sein mussten. Nach Art. 210297 fand ferner Berücksichtigung, ob das Verwandtschaftsverhältnis in Art. 208 und 209 ein außereheliches war. Als Strafgrund sind in den Motiven zu dem Entwurf von 1853, der Grundlage für den Entwurf von 1860 – in dessen Motiven fanden die Inzeststraftatbestände keine Beachtung – und somit auch für das StGB von 1861 war, die Sittenreinheit und der Frieden der Familie sowie die Verhütung der körperlichen und geistigen Degeneration künftiger Geschlechter aufgeführt298. Damit wurde 293 So auch die Beiträge zur Begutachtung des Entwurfs des Gesetzbuches über Verbrechen und Vergehen für das Königreich Bayern vom Jahre 1854, S. 388. 294 Art. 208 bayerisches StGB 1861: „Wenn Eltern oder andere Verwandte in aufsteigender Linie mit ihren leiblichen Abkömmlingen den Beischlaf vollziehen, so sollen Erstere mit nicht unter drei Jahren, letztere, soferne sie das sechszehnte Jahr zurückgelegt haben, mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft werden. Zugleich ist gegen Erstere der Verlust, der in Art. 28 Ziff. 5 bezeichneten Fähigkeit und, wenn sie als Lehrer oder Erzieher in öffentlichen Diensten stehen, der Verlust des Dienstes als Straffolge auszusprechen“. 295 Art. 209 bayerisches StGB 1861: „Voll- und halbbürtige Geschwister, welche miteinander den Beischlaf vollziehen, sind mit Gefängniß von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen“. 296 Art. 211 bayerisches StGB 1861: „Der Beischlaf zwischen Schwieger- oder Stiefeltern und ihren Schwieger- oder Stiefkindern soll, insoferne das Schwägerschaftsverhältniß durch eine (noch bestehende oder aufgelöste) Ehe begründet ist, an den Erstern mit Gefängniß von drei Monaten bis zu zwei Jahren, und an den letzteren, vorausgesetzt, daß sie bereits das sechszehnte Jahr zurückgelegt haben, mit Gefängniß bis zu einem Jahre bestraft werden“. 297 Art. 210 bayerisches StGB 1861: „Wenn das in den Artikel 208 und 209 bezeichnete Verwandtschaftsverhältniß ein außereheliches und zwar durch den Vater begründetes ist, so sind die Gerichte vorbehaltlich der Bestimmung des Art. 17 befugt, die Strafe bis auf die Hälfte des niedrigsten Strafmaßes herabzusetzen“. 298 Beiträge zur Begutachtung des Entwurfs des Gesetzbuches über Verbrechen und Vergehen für das Königreich Bayern vom Jahre 1854, S. 388.

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neben sittlich-moralischen Motiven und dem Ziel des Schutzes der Beziehungen der Familienmitglieder untereinander erstmals auch die Vorbeugung von Erbkrankheiten zur Legitimation der Strafbarkeit herangezogen, welche in den späteren Gesetzgebungen eine immer größere Rolle spielen sollte.

II. Die sächsische Strafgesetzgebung Sachsen hat sein Strafrecht bis 1870 insgesamt drei Mal erneuert299; zu nennen sind die Strafgesetzbücher von 1838, 1855 und 1868. Vor Inkrafttreten des Criminalgesetzbuchs von 1838 galt in Sachsen das gemeine Strafrecht modifiziert durch das Sächsische Recht, d.h. den Sachsenspiegel, besondere Gewohnheitsrechte oder minder umfassende Landesgesetze300.

1. Das Criminalgesetzbuch von 1838 Im Jahr 1810 erhielten von König Friedrich August I. die Gelehrten Oberhofsgerichtsrat Professor Erhard und Justizrat Tittmann den Auftrag zur Abfassung selbständiger Entwürfe. Aufbauend auf deren Arbeiten ist nach weiteren Entwürfen das StGB von 1838, „das erste neue deutsche Strafgesetz seit dem bayerischen von 1813“301, entstanden302.

Das königlich sächsische Criminalgesetzbuch vom 30. März 1838303 hatte die Inzeststraftatbestände im 16. Kapitel „Von Verletzungen der Sittlichkeit“ unter der Paragraphenüberschrift „Inzect“ im Art. 303304 zusammengefasst. Der strafbedrohte Personenkreis umfasste, vergleichbar mit dem gemeinen Recht, 299 Eine ausführliche Darstellung der sächsischen Strafgesetzgebung erfolgt in dieser Schriftenreihe bei Weber, Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch, Berlin 2009. 300 v. Wächter, Das Königlich Sächsische und das Thüringische Strafrecht, S. 13. 301 v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 328. 302 Zur Strafgesetzgebungsgeschichte des Sächsischen Strafgesetzbuchs wird verwiesen auf Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 92 ff., v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 327 ff. und Krüger, Entwurf Erhard, S. 36 ff. 303 Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 1, III, S. 1 ff. 304 Art. 303 sächsisches Criminalgesetzbuch 1838: „Diejenigen, welche Verwandte in absteigender Linie zum Beischlafe mißbrauchen, sind mit ein- bis dreijähriger Zuchthausstrafe, sowie die Deszendenten, welche sich dazu hingeben, mit ein- bis sechsmonatlicher Gefängnißstrafe zu belegen. Voll- und halbbürtige Geschwister, Schwieger-Eltern und Schwiegerkinder, welche mit einander Unzucht treiben, ingleichen Stiefeltern, welche mit ihren Stiefkindern dieses Verbrechens sich schuldig machen, werden, und zwar, was die Stiefeltern anlangt, insofern nicht die Bestimmung Art. 304. auf sie anzuwenden ist, mit drei bis sechs Monaten Gefängniß bestraft; Stiefkinder aber, welche sich ihren Stief-Eltern zur Unzucht hingeben, sind mit ein- bis sechsmonatlicher Gefängnißstrafe zu belegen“. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 1, III, S. 150.

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die Aszendenten, die Deszendenten, die Geschwister sowie die Stief- und Schwägerschaftsverhältnisse. Strafbar war der Beischlaf – wie im Bayerischen StGB von 1813 unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs – für die Aszendenten mit ein- bis dreijähriger Zuchthausstrafe, für die Deszendenten, jedoch nur, wenn sie sich der Tat hingaben, mit ein- bis sechsmonatiger Gefängnisstrafe. Der Geschwisterinzest und die Unzucht in Schwägerschafts- und Stiefverhältnissen war mit drei bis sechs Monaten Gefängnis bedroht, wobei den Stiefkindern, sofern sie sich der Unzucht hingaben, ein- bis sechsmonatige Gefängnisstrafe angedroht wurde. Ein Mindestalter sah der Art. 303 hingegen nicht vor.

2. Das Strafgesetzbuch von 1855 Bereits ab 1840 ergingen einzelne Gesetze, um das neue Recht auf Grund der damit gemachten Erfahrungen zu verbessern305. Der Erlass kleinerer Änderungsgesetze wurde jedoch alsbald eingestellt und zehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzbuchs von 1838 306 der Beschluss zu einer Komplettrevision gefasst . Daraufhin ergingen die Entwürfe 307 von 1850 (Krug) und 1853 (Krug, Schwarze) , die letztendlich zu dem StGB für das Königreich Sachsen vom 13. August 1855308 führten.

Im StGB von 1855 fanden sich die Inzeststraftatbestände im 17. Kapitel „Von Verletzungen der Sittlichkeit“ in den Art. 349 („Unzucht zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie“), 350 („Unzucht zwischen Seitenverwandten und Verschwägerten“) und 351 („Insonderheit zwischen Stiefeltern und Stiefkindern“)309. Der vom Tatbestand erfasste Personenkreis hat im Vergleich zum Criminalgesetzbuch von 1838 keine Änderungen erfahren. Bestraft wurde in Art. 349310 der Beischlaf für die Aszendenten mit ein- bis vierjährigem Arbeits- oder Zuchthaus, der für die Deszendenten mit Gefängnis bis acht Monaten. Der Inzest in Schwägerschaftsverhältnissen und zwischen 305 v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 328. 306 v. Wächter, Das Königlich Sächsische und das Thüringische Strafrecht, S. 38. 307 Die Entwürfe werden beleuchtet bei Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 304 ff., v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 328 f. und v. Wächter, Das Königlich Sächsische und das Thüringische Strafrecht, S. 39 ff. 308 Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 3, XIII, S. 1 ff. 309 Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 3, XIII, S. 157 f. 310 Art. 349 sächsisches StGB 1855: „Wenn Eltern mit ihren leiblichen Abkömmlingen den Beischlaf ausüben, so haben die Eltern Arbeitshaus- oder Zuchthausstrafe von Einem bis zu vier Jahren, die Abkömmlinge Gefängnißstrafe bis zu acht Monaten verwirkt“.

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Erster Teil: Grundlagen

Geschwistern wurde in Art. 350311 mit Gefängnis von einem Monat bis einem Jahr bedroht. Dieselbe Strafe galt nach Art. 351312 gegenüber Stiefeltern, gegenüber den Stiefkindern jedoch nur Gefängnis bis zu sechs Monaten. Im Gegensatz zum Criminalgesetzbuch von 1838 erfolgte eine nicht unerhebliche Verschärfung der Inzeststraftatbestände. Die angedrohten Strafen sind erhöht und der Grundgedanke des Missbrauchs ist fallen gelassen worden. Dies ist deswegen bemerkenswert, da u.a. der für die Vorarbeiten zum sächsischen StGB zuständige Tittmann, der zwischenzeitlich verstorben war und deswegen nicht an dem StGB von 1855 mitgearbeitet hatte, noch eine Begrenzung der Inzeststrafbarkeit auf den engsten Familienkreis forderte313. Mit dem StGB von 1855 kam es hingegen nicht mehr darauf an, ob diese Personen auch tatsächlich innerhalb des engsten Familienkreises zusammenlebten, sondern nur noch darauf, dass sie in den bestimmten Graden miteinander verwandt oder verschwägert waren. Überdies sah das StGB von 1855 wie zuvor das Criminalgesetzbuch von 1838 kein Mindestalter für die Deszendenten vor. Das Revidirte StGB für das Königreich Sachsen vom 1. Oktober 1868 ist eine bloße Revision des StGB von 1855. Infolgedessen übernahmen im 17. Kapitel „Von Verletzungen der Sittlichkeit“ die Inzeststraftatbestände der Art. 349 („Unzucht zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie“), 350 („Unzucht zwischen Seitenverwandten und Verschwägerten“) und 351 („Insonderheit zwischen Stiefeltern und Stiefkin-

311 Art. 350 sächsisches StGB 1855: „Eltern, welche mit Ehegatten ihrer leiblichen Abkömmlinge den Beischlaf ausüben, sowie diese Ehegatten selbst, ingleichen vollund halbbürtige Geschwister, welche mit einander den Beischlaf ausüben, werden mit Gefängniß von Einem Monate bis zu Einem Jahre bestraft“. 312 Art. 351 sächsisches StGB 1855: „Wenn Stiefeltern mit ihren Stiefkindern oder deren Abkömmlingen den Beischlaf ausüben, so sind die Stiefeltern, dafern nicht die Bestimmungen des nächstfolgenden Artikels auf sie anzuwenden sind, mit Gefängniß von Einem Monate bis zu Einem Jahre, die Stiefkinder und die Abkömmlinge derselben mit Gefängniß bis zu sechs Monaten zu bestrafen“. 313 Tittmann sah den Grund für das Verbot des Beischlafs „in der Absicht, zu verhindern, dass nicht die Personen, welche durch die natürliche Bande in der engsten Vertraulichkeit zu leben bestimmt werden, der Natur vorzugreifen, vor eingetretener Mannbarkeit Unzucht zu treiben, und überhaupt den Geschlechtstrieb zu mißbrauchen Gelegenheit haben sollen. Alles bezieht sich demnach auf das Familienleben und Verhütung der Unzucht in demselben. Der Begriff der Blutschande muss demnach als ein Beischlaf unter solchen Verwandten bestimmt werden, welche zu einer Familie (im strengsten Sinne) gehören“. Vgl. Tittmann, Handbuch der Strafrechtswissenschaft und der Deutschen Strafgesetzkunde, S. 656 f. Damit bejahte Tittmann unter Ablehnung aller übrigen Gesichtspunkte das Inzestverbot ausschließlich zum Schutze des engsten Familienkreises. Entscheidendes Kriterium war folglich nicht die Enge der Verwandtschaftsbeziehungen, sondern die Enge eines sozial-ökonomischen Lebensverbandes.

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dern“)314, abgesehen von einigen redaktionellen Änderungen, die §§ 349 bis 351 des Criminalgesetzbuches von 1855.

III. Weitere Strafgesetzbücher der außerpreußischen Partikulargesetzgebung bis 1794 Die weiteren Strafgesetzbücher315 der außerpreußischen Partikularrechte bis 1794 bedürfen wegen ihrer nur geringen Abweichungen und da sie durch die bayerische 316 nur einer oberflächlichen, die wesentlichen Strafgesetzgebung beeinflusst wurden Merkmale, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeitenden Betrachtung.

Das StGB für das Großherzogtum Oldenburg vom 10. September 1814317 übernahm in Art. 211 und 212318 (2. Kapitel: „Von Beschädigungen und

314 Art. 349 sächsisches StGB 1868: „Wenn Eltern mit ihren leiblichen Abkömmlingen den Beischlaf ausüben, so haben die Eltern Arbeitshaus- oder Zuchthausstrafe von einem bis zu vier Jahren, die Abkömmlinge Gefängnißstrafe bis zu acht Monaten verwirkt“. Art. 350 sächsisches StGB 1868: „Eltern, welche mit Ehegatten ihrer leiblichen Abkömmlinge den Beischlaf ausüben, sowie diese Ehegatten selbst, ingleichen voll- und halbbürtige Geschwister, welche mit einander den Beischlaf ausüben, werden mit Gefängniß von einem Monate bis zu Einem Jahre bestraft“. Art. 351 sächsisches StGB 1868: „Wenn Stiefeltern mit ihren Stiefkindern oder deren Abkömmlingen den Beischlaf ausüben, so sind die Stiefeltern, dafern nicht die Bestimmungen des nächstfolgenden Artikels auf sie anzuwenden sind, mit Gefängniß von einem Monate bis zu einem Jahre, die Stiefkinder und die Abkömmlinge derselben mit Gefängniß bis zu sechs Monaten zu bestrafen“. 315 Zum Gang der Strafgesetzgebungen der einzelnen Territorialstaaten wird verwiesen auf v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 327 ff. und Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 78 ff. 316 Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 44. 317 Dazu Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 320 ff. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 1, II, S. 1 ff. 318 Art. 211 oldenburgisches StGB 1814: „Eltern und andere Blutsverwandte in aufsteigender Linie, welche mit ihren Kindern oder andern Abkömmlingen den Beischlaf vollziehen, oder dieselben sonst zur Wollust missbrauchen, sollen aller öffentlichen Aemter und Würden unfähig, aller elterlichen Rechte verlustig, zur gesetzlichen und testamentarischen Erbfolge in das Vermögen dieser ihrer Kinder schlechterdings unfähig, und über dieses der geschärften Strafe des Arbeitshauses auf zwei bis sechs Jahre unterworfen sein. Die Kinder oder andere Abkömmlinge sollen, wenn sie das sechszehnjährige Alter bereits zurückgelegt haben, mit sechsmonatlichem bis Einjährigem Gefängnis: wenn sie unter sechszehn aber über zwölf Jahre alt sind, sofern sie der Zurechnung fähig, mit körperlicher Züchtigung belegt, und, so wie jüngere, einem angemessenen Unterricht übergeben werden“. Art. 212 oldenburgisches StGB 1814: „Leibliche eheliche Geschwister, welche miteinander Unzucht treiben, desgleichen Stief- oder Pflegeeltern, Vormünder, Schullehrer, Erzieher, welche ihre Untergegebenen zur Unzucht mißbrauchen, sollen, nebst der Un-

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Erster Teil: Grundlagen

anderen Mißhandlungen an der Person“, „Durch Verführung der Unzucht“) wortgetreu die Inzeststraftatbestände des bayerischen StGB von 1813, implementierte aber zusätzlich in Art. 211 die Strafbarkeit der Deszendenten und sah für sie ein Mindestalter von sechzehn Jahren vor. Hingegen kein Mindestalter für die Deszendenten enthielten – wie auch die Inzeststraftatbestände der sächsischen Strafgesetzbücher – die Inzeststraftatbestände der Art. 293 und 294319 (16. Kapitel: „Von Verletzungen der Sittlichkeit“, „Blutschande“) des Muster-Entwurfs für die Thüringischen Staaten vom 14. April 1852320. Wie für das StGB für das Großherzogtum Oldenburg war für das StGB für das Herzogtum Braunschweig vom 10. Juli 1840321 bezeichnend, dass in den §§ 192, 193 und 194322 (6. Kapitel: „Verbrechen wider die Sitten“, „Blut-

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fähigkeit zu allen öffentlichen Aemtern und Würden, mit Ein- bis vierjährigem Arbeitshaus bestraft werden“. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 1, II, S. 90. Art. 293 thüringisches StGB 1852: „Wer mit Verwandten in absteigender Linie den Beischlaf ausübt, ist mit ein- bis dreijähriger Zuchthausstrafe, und der Verwandte in absteigender Linie mit Ein- bis sechsmonatlichem Gefängnisse zu bestrafen“. Art. 294 thüringisches StGB 1852: „Volbürtige und halbbürtige Geschwister, Schwiegereltern und Schwiegerkinder, Stiefeltern und Stiefkinder, welche den Beischlaf mit einander ausüben, sind mit Gefängniß von Einem Monate bis zu sechs Monaten, und wenn die Ehe, durch welche das schwiegerelterliche oder stiefelterliche Verhältniß begründet wurde, nicht mehr besteht, mit Gefängniß bis zu drei Monaten zu belegen“. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 3, X, S. 191. Dazu Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 208 ff. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 3, X, S. 1 ff. Dazu Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 135 ff. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 1, V, S. 1 ff. § 192 braunschweigisches StGB 1840: „Wer Blutsverwandte in absteigender Linie zur Unzucht mißbraucht, ist mit Zwangsarbeit nicht unter Ein Jahr, und Kinder oder Enkel über fünfzehn Jahr, welche sich dazu hingeben, sind mit Gefängniß bis von Einem Jahre zu belegen“. § 193 braunschweigisches StGB 1840: „Stief- oder Schwiegereltern, welche sich dieses Verbrechens mit ihren Stief- oder Schwiegerkindern schuldig machen, sind mit Zwangsarbeit von sechs Monaten bis von Einem Jahre, die Stief- und Schwiegerkinder aber, insofern sie das fünfzehnte Jahr überschritten haben, mit Gefängniß bis von sechs Monaten zu belegen. Besteht die Ehe, durch welche das Stief- oder schwiegerelterliche Verhältnis begründet wurde, nicht mehr, so soll die Strafe der Eltern sechs Monate und die der Kinder zwei Monate Gefängnis nicht übersteigen“. § 194 braunschweigisches StGB 1840: „Vollbürtige oder halbbürtige Geschwister erleiden wegen dieses Verbrechens Gefängniß bis von Einem Jahre. Andere Unzuchtsfälle unter Personen, welche sich wegen Verwandtschaft nicht heirathen dürfen, sind polizeilich mit Gefängniß zu bestrafen“.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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schande“) der Inzest zwischen Verwandten der Seitenlinie bis in weiten Graden, wenn auch mit geringer und polizeilicher Strafe, sanktioniert wurde. Eine ähnliche Tendenz ist bei den Inzeststraftatbeständen der Art. 301, 302 und 303323 (5. Kapitel: „Von Angriffen auf die Sittlichkeit“, „Blutschande“) des StGB für das Königreich Würtemberg vom 1. März 1839324 zu erkennen. Bei den Inzeststraftatbeständen des Art. 274325 (11. Kapitel: „Von dem Verbrechen der Unzucht“, „Blutschande“) des StGB im Königreich Hannover

Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 1, V, S. 100 f. 323 Art. 301 würtembergisches StGB 1839: „Der Beischlaf zwischen Verwandten in aufund absteigender Linie wird 1) an ersteren mit Zuchthaus bis zu sechs Jahren; 2) an letzteren, wenn sie das vierzehnte Jahr zurückgelegt haben, mit Kreisgefängniß, nicht unter Einem Jahre, bestraft“. Art. 302 würtembergisches StGB 1839: „Voll- und halbbürtige Geschwister, welche miteinander Unzucht verüben, sind mit Arbeitshausstrafe, nicht unter zwei Jahren, zu belegen“. Art. 303 würtembergisches StGB 1839: „Unzuchtvergehen zwischen Verschwägerten in auf- und absteigender Linie, nämlich zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, Stiefgroßeltern und Stiefenkeln, Schwieger-Eltern und Schwiegersöhnen oder Schwiegertöchtern, sollen an den Eltern mit Arbeitshaus, nicht unter drei Jahren, an den Kindern mit Kreisgefängniß bis zu einem Jahre, bestraft werden. Doch tritt diese Strafe bei Stiefkindern und Stiefenkeln nur ein, wenn sie das vierzehnte Jahr zurückgelegt haben“. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 1, IV, S. 119. 324 Dazu Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 107 ff. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 1, IV, S. 1 ff. 325 Art. 274 hannoverisches StGB 1840: „I. Eltern oder Großeltern, welche wissentlich mit ihren Kindern oder Enkeln den Beischlaf vollziehen, oder sie sonst zur Unzucht mißbrauchen, sollen mit geschärftem Zuchthause gestraft werden, und der elterlichen Rechte verlustig sein. Stiefeltern oder Schwiegereltern, welche dasselbe Verbrechen an ihren Stief- oder Schwiegerkindern, oder deren Deszendenten verübt haben, sind mit Arbeitshaus, und unter erschwerenden Umständen mit Zuchthaus, wenn sie aber noch nicht mannbare Kinder zur Unzucht mißbraucht haben, mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren zu strafen. Mannbare Kinder oder Enkel aber, welche sich zu dem Verbrechen mit Willen hergeben, sollen mit Arbeitshaus von sechs Monaten bis zu zwei Jahren gestraft werden, wenn sie mit leiblichen Eltern, und mit Gefängniß oder Arbeitshaus bis zu sechs Monaten, wenn sie mit Stief- oder Schwiegereltern Unzucht getrieben haben. (Siehe jedoch Art. 99. 100.) II. Vollbürtige und halbbürtige Geschwister, welche wissentlich den Beischlaf mit einander vollziehen, sind mit ein- bis zweijährigem geschärften Arbeitshause zu strafen“. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 2, VI, S. 144 f.

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Erster Teil: Grundlagen

vom 8. August 1840326 wurden – wie bereits im Bayerischen StGB von 1813 und im Oldenburgischen StGB von 1814 – neben dem „Beischlaf“ auch andere Begriffe für die entsprechenden Tatbestandshandlungen verwendet, worunter aber aus dem Kontext zumindest beischlafähnlicher Handlungen zu verstehen waren. In den Inzeststraftatbeständen der §§ 365, 366 und 367327 (14. Titel: „Von anderen strafbaren Verletzungen der Sittlichkeit“, „Blutschande: 1. zwischen Eltern und Abkömmlingen, 2. zwischen Stiefeltern und Stiefkindern oder Enkeln, 3. zwischen Geschwistern und Verschwägerten in gerader Linie“) des StGB für das Großherzogtum Baden vom 6. März 1845328 waren für den Fall, dass die Ehe nicht mehr bestand, mindere Strafen vorgesehen. Eine vergleich326 Dazu Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 157 ff. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 2, VI, S. 1 ff. 327 § 365 badisches StGB 1845: „Der Beischlaf der Eltern oder Großeltern mit ihren Kindern oder Enkeln wird folgendermaßen bestraft: 1. an den Eltern oder Großeltern, wenn die Handlung nicht in ein schwereres Verbrechen (§. 336. Nr. 2.) übergeht, mit Arbeitshaus nicht unter zwei Jahren oder Zuchthaus bis zu sechs Jahren; 2. an den Kindern oder Enkeln selbst, insofern sie bereits das sechszehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, mit Gefängniß oder Arbeitshaus bis zu drei Jahren“. § 366 badisches StGB 1845: „Der Beischlaf der Stiefeltern oder Stiefgroßeltern mit ihren Stiefkindern oder Stiefenkeln soll folgendermaßen bestraft werden: I. wenn die Ehe mit dem leiblichen Eltern- oder Großelterntheil noch besteht: 1. an den Stiefeltern oder Großeltern, insofern die Handlung nicht in ein schwereres Verbrechen (§. 336. Nr. 2) übergeht, mit Kreisgefängniß nicht unter sechs Monaten oder Arbeitshaus bis zu zwei Jahren; 2. an dem Stiefsohn oder Enkel, insofern er bereits das sechszehnte Lebensjahr zurückgelegt hat, ebenfalls mit Kreisgefängniß nicht unter sechs Monaten oder Arbeitshaus bis zu zwei Jahren; 3. an der Stieftochter oder Enkelin, insofern sie bereits das sechszehnte Lebensjahr zurückgelegt hat, mit Kreisgefängniß; II. wenn die Ehe nicht mehr besteht, an den Stiefeltern und Goßeltern, und ebenso an den Stiefkindern und Enkeln, unter der Voraussetzung des eben erwähnten Alters, mit Gefängniß“. § 367 badisches StGB 1845: „Der Beischlaf zwischen leiblichen, vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern, sowie der Beischlaf zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, so lange die Ehe besteht, welche das Verhältniß begründete, wird mit Kreisgefängniß nicht unter drei Monaten oder Arbeitshaus bis zu zwei Jahren bestraft, und der Beischlaf zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern nach Auflösung der Ehe mit Gefängniß“. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 2, VIII, S. 120 ff. 328 Dazu Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 197 ff. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 2, VIII, S. 1 ff. Vgl. auch Karst, Die Entkriminalisierung des § 173 StGB, S. 28, die die Inzeststraftatbestände der badischen StGB von 1836, 1839 und 1845 – in aller Kürze – beleuchtete.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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bare Regelung fand sich in den Strafgesetzbüchern von Oldenburg, Braunschweig und Thüringen. Über die vorstehend genannten Partikularbücher hinaus waren die Inzeststraftatbestände im StGB für das Großherzogtum Hessen vom 17. September 1841329 in den Art. 335, 336 und 337330 (Titel 39: „Von der Unzucht und Verletzung der Schamhaftigkeit“, „Blutschande“), im StGB für das Herzogtum Nassau vom 14. April 1849331 in den Art. 328, 329 und 330332 (Titel 37: „Von 329 Dazu Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 172 ff. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 2, VII, S. 1 ff. 330 Art. 335 hessisches StGB 1841: „Der Beischlaf zwischen Blutsverwandten in auf- und absteigender Linie wird 1) an ersteren mit Correctionshaus von ein bis drei oder Zuchthaus bis zu fünf Jahren; 2) an letzteren, wenn sie das vierzehnte Jahr zurückgelegt haben, mit Correctionshaus bis zu zwei Jahren bestraft; erscheint aber der Descendent als der Verführer, so ist auf Correctionshaus von Ein bis drei oder Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu erkennen“. Art. 336 hessisches StGB 1841: „Der Beischlaf zwischen Verschwägerten in auf- und absteigender Linie, nämlich zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, Stiefgroßeltern und Stiefenkeln, Schwiegereltern und Schwiegersöhnen oder Schwiegertöchtern, soll 1) an den Ascendenten mit Correctionshaus von sechs Monaten bis zu zwei Jahren; 2) an den Descendenten, sofern sie das vierzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, mit Gefängniß nicht unter Einem Monat oder mit Correctionshaus bis zu sechs Monaten bestraft werden“. Art. 337 hessisches StGB 1841: „Leibliche, voll- oder halbbürtige Geschwister, welche mit einander Unzucht treiben, sind zu Correctionshausstrafe bis zu zwei Jahren zu verurtheilen. Erscheint eines derselben als der Verführer, so sollen die Gerichte den verführten Theil nur zu Gefängnißstrafe, jedoch nicht unter Einem Monat, verurtheilen“. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 2, VII, S. 140 f. 331 Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 2, IX, S. 1 ff. 332 Art. 328 nassisches StGB 1849: „Der Beischlaf zwischen Blutsverwandten in auf- und absteigender Linie wird 1) an ersteren mit Correctionshaus von Ein bis drei oder Zuchthaus bis zu fünf Jahren; 2) an letzteren, wenn sie das vierzehnte Jahr zurückgelegt haben, mit Correctionshaus bis zu zwei Jahren bestraft; erscheint aber der Descendent als der Verführer, so ist auf Correctionshaus von Ein bis drei oder Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu erkennen“. Art. 329 nassisches StGB 1849: „Der Beischlaf zwischen Verschwägerten in auf- und absteigender Linie, nämlich zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, Stiefgroßeltern und Stiefenkeln, Schwiegereltern und Schwiegersöhnen oder Schwiegertöchtern, soll 1) an den Ascendenten mit Correctionshaus von sechs Monaten bis zu zwei Jahren; 2) an den Descendenten, sofern sie das vierzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, mit Gefängniß mit Correctionshaus bis zu sechs Monaten bestraft werden“. Art. 330 nassisches StGB 1849: „Leibliche, voll- oder halbbürtige Geschwister, welche mit einander Unzucht treiben, sind zu Correctionshausstrafe bis zu zwei Jahren zu verurtheilen. Erscheint eines derselben als der Verführer, so sollen die Gerichte den verführten Theil nur zu Gefängnißstrafe verurtheilen“. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 2, IX, S. 119.

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Erster Teil: Grundlagen

der Unzucht und der Verletzung der Schamhaftigkeit“, „Blutschande“) und schließlich im Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen für das Kaisertum Österreich vom 27. Mai 1852333 im § 131334 (14. Hauptstück: „Von der Notzucht, Schändung und anderen schweren Unzuchtsfällen“, „Blutschande“) normiert.

D) Zusammenfassung und Fazit Mit den ersten Kodifizierungen zum Inzest auf deutschen Gebiet ab dem 6. Jahrhundert n. Chr. war der vom Tatbestand erfasste Personenkreis noch stark begrenzt, als Sanktionen hingegen bereits harte Strafen, überwiegend die Todesstrafe vorgesehen. In den darauf folgenden Jahrhunderten bis ins Mittelalter hinein wurde unter dem Einfluss des römischen, kanonischen und mosaischen Rechts der Tatbestand bis in hohe Grade der Verwandtschaft und Schwägerschaft ausgedehnt, gleichfalls der Strafausspruch bis zur qualifizierten Todesstrafe erhöht. In dieser Epoche standen die Inzeststraftatbestände unter dominieren Einfluss der Kirche. Einerseits existierten keine selbständigen Inzeststraftatbestände – die Inzestverbote ließen sich allein aus den Eheverboten ableiten –, andererseits wurden die darunter fallenden Verbindungen sowie das auszusprechende Strafmaß größtenteils durch Kirchengesetze oder die Geistlichen bestimmt. Erst ungefähr eintausend Jahre nach den ersten Kodifizierungen lässt sich mit dem Art. 142 der CCB und dem Art. 117 der CCC eine Trennung von den Eheverboten verzeichnen. Auch versuchten sie die (kirchliche) Ausuferung der Inzeststrafbarkeit einzudämmen, scheiterten jedoch an lückenhaften Regelungen und Verweisen auf das mosaische Recht. Insofern erzielte die darauf folgende Epoche keinen Fortschritt. Ganz im Gegenteil ist mit den deutschen partikularrechtlichen Regelungen seit der CCC bis 1794 ein Rückfall in die Zeit vor der CCB und CCC auszumachen. Zwar wurden die Inzeststraftatbestände präzisiert, jedoch erweiterten sie abermals den strafbedrohten Personenkreis und behielten übereinstimmend die Todesstrafe bei. Innerhalb der Rezeptionsgeschichte wurde die Strafbarkeit des Inzests – sofern dazu überhaupt Stellung bezogen wurde – überwiegend mit der Sittenwidrigkeit und religiösen Anschauungen begründet. 333 Dazu Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland, S. 273 ff. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 3, XII, S. 1 ff. 334 „§. 131. (113. II. u. 114.) österreichisches Strafgesetz 1852: II. Blutschande, welche zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie, ihre Verwandtschaft mag von ehelicher oder unehelicher Geburt herrühren, begangen wird. Die Strafe ist Kerker von sechs Monaten bis zu Einem Jahre“. Abgedruckt bei Stenglein, Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, Bd. 3, XII, S. 73.

Zweites Kapitel: Hist. Grundlegung: Deutsches Partikularrecht

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Unter dem Einfluss der Aufklärungsgedanken (zum Inzest) wurde beginnend mit dem ALR der Tatbestand auf die nächsten Verwandten und Verschwägerten beschränkt und die Todesstrafen in langjährige Freiheitsstrafen umgewandelt. Mit dem abnehmenden Einfluss des kirchlichen Rechts und dem stärkeren Hervortreten eugenischer Gesichtspunkte setzte gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Bewegung zur Entkriminalisierung des Inzests ein. Infolgedessen war der Verschwägerteninzest sowohl in den §§ 1039 ff. ALR II 20 als auch in den Art. 206 und 207 des bayerischen StGB von 1813 sowie in den §§ 282 bis 286 des preußischen E 1830 nicht strafbar. In den preußischen sowie in den außerpreußischen Partikularrechten auf deutschem Gebiet setzte sich die Einheitlichkeit durch, dass nur der Beischlaf unter Verwandten (und Verschwägerten) auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern strafbar war. Für die Deszendenten, deren Vergehen i.d.R. für weniger schwerwiegend gehalten wurde, sah man überwiegend ein Mindestalter vor. Der Inzest in Stief- und Schwägerschaftsverhältnissen – sofern in den Tatbeständen vorgesehen – wurde milder bestraft, als derjenige zwischen Blutsverwandten. Darüber hinaus gehende Forderungen der Rechtswissenschaft, bspw. die Inzeststraftatbestände gänzlich aus dem Gebiet der Kriminalgesetze in das der Moral und des Gewissens zu verweisen, sind, abgesehen von dem kurzen Zwischenspiel des Fortlassens der Inzeststraftatbestände in den E 1848 und 1849, nicht weiterverfolgt worden. Zur der Begründung der Inzeststrafbarkeit wurde auch in dem preußischen und außerpreußischen Recht größtenteils auf die Sittenwidrigkeit inzestuöser Beziehungen, daneben aber auch teilweise auf den Schutz der Beziehungen der Familienmitglieder untereinander abgestellt. Eine Begründungstendenz wie im Bayerischen StGB von 1861, die auch (erstmals) auf die Vorbeugung von Erbkrankheiten zur Legitimation der Strafbarkeit der Inzeststraftatbestände hinwies, ist eine Ausnahme innerhalb der früheren Entwicklungsgeschichte. In der Bewertung der historischen Grundlegung verdienen der § 130 E 1850/ 1851 sowie der § 141 prStGB besondere Erwähnung. Konträr zur Entwicklung bei den außerpreußischen Partikularechten sind die Inzeststraftatbestände im E 1850/1851 und im prStGB deutlich präzisiert worden. Sie wurden erstmals in einem Paragraphen zusammengefasst und deutlich in ihrem Anwendungsbereich reduziert; nach der Begründung sei die Strafbarkeit „nie in Zweifel gezogen“ worden. Die Inzeststraftatbestände haben damit eine Konkretisierung erfahren, die in ihrer langen Entwicklungsgeschichte bis dahin unbekannt war. Diese Entwicklung ist auch deswegen von besonderer Bedeutung, da das prStGB als Vorlage für das RStGB galt, dessen Entstehung Gegenstand des folgenden Kapitels ist.

ZWEITER TEIL: ENTWICKLUNG SEIT 1870

Drittes Kapitel: Reichsstrafgesetzbuch Bestrebungen, eine einheitliche Strafgesetzgebung in Deutschland zu schaffen, gehen bis in das Jahr 1826 zurück. Jedoch ist keiner der in dieser Zeit hervorgebrachten Entwürfe1 zur Erledigung gekommen. Die ersten nennenswerten Erfolge sind erst in 2 den späten Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts zu verzeichnen , als nach den siegreichen Kriegen gegen Dänemark (1864) und Österreich (1866) sich unter der Präsident3 schaft Preußens der Norddeutsche Bund bildete . Der Reichstag des Norddeutschen Bundes folgte am 20. März 1867 dem Antrag Laskers, dem Bund durch Erweiterung des Art. 4 Nr. 13 der Verfassung für den Norddeutschen Bund die gemeinsame Gesetzgebung über das Strafrecht zu übertragen4, und schuf somit die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Vereinheitlichung des Strafrechts5. Am 30. März 1868 stellten sodann die Reichstagsabgeordneten Wagner und Planck unter Berufung auf die Verfassung, speziell den Art. 4 Nr. 13, im Reichstag den Antrag, dieser möge den Bundeskanzler auffordern, u.a. den Entwurf eines StGB vorbereiten und dem Reichstag 6 vorlegen zu lassen . Der Antrag wurde am 18. April 1868 vom Plenum gebilligt und am selben Tag dem Bundesrat mitgeteilt7. Dieser stimmte auf Grund eines Berichts des Justizausschusses vom 25. Mai 1868 dem Antrag am 5. Juni 1868 im Wesentlichen zu und ersuchte den Bundeskanzler, u.a. den Entwurf eines gemeinsamen StGB ausarbei8 ten zu lassen und dem Bundesrat zur weiteren Beschlussfassung vorzulegen . Bereits am 17. Juni 1868 beauftragte der Bundeskanzler v. Bismarck mit einem Schreiben den preußischen Justizminister Leonhardt, einen Entwurf eines StGB für den Norddeutschen Bund ausarbeiten und ihm zugehen zu lassen9. Leonhardt nahm den Auftrag durch Schreiben vom 8. Juli 1868 an und betraute mit der Ausarbeitung den damaligen

1 2

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Vgl. zu den Entwürfen und deren Hintergründe Rubo, Kommentar, S. 1–6. Vgl. zur Entstehungsgeschichte des StGB NdB Rubo, Kommentar, S. 1–77; Rüdorff, Kommentar, S. 18–49; Roth, Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 bis 1918, in: Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Supplement I, S. 1 ff.; Schubert, Verhandlungen, S. 7 ff.; Schubert, GA 1982 (130), S. 191 ff.; Schubert / Vormbaum, Entstehung des StGB, Bd. 1, S. XIII f.; Schubert, Der Ausbau der Rechtseinheit unter dem Norddeutschen Bund, Zur Entstehung des Strafgesetzbuchs von 1870 unter besonderer Berücksichtigung des Strafensystems, in: Fschr. Gmür, S. 149 (S. 154 ff.). Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 85. Rüdorff, Kommentar, S. 18 ff. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XIII. Schubert, GA 1982 (130), S. 191 (S. 194). Rubo, Kommentar, S. 9 f. Schubert, GA 1982 (130), S. 191 (S. 194). Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XV.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

Vortragenden Rat in seinem Ministerium Friedberg10, dem der Kreisrichter Rüdorff und der Gerichtsassessor Rubo beigeordnet wurden11. Unter Hinzuziehung sämtlicher deutscher Strafgesetzbücher und vieler weiteren Materialien wurde bis zum Juli 1869 in 139 Sitzungen ein Entwurf nebst Motiven, der so genannte Entwurf Friedberg, fertiggestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Grundlage für diesen Entwurf war das 12 prStGB, wenngleich es in zahlreichen Einzelheiten abgeändert wurde .

A) Der Entwurf John Während der Zeit, als der Entwurf Friedberg noch in Bearbeitung war, ist im Oktober 1868 der „Entwurf mit Motiven zu einem Strafgesetzbuche für den Norddeutschen Bund“13 vom Kieler Strafrechtslehrer Richard John veröffentlicht worden. Dieser Entwurf hat wie auch der Entwurf Friedberg das prStGB zur Grundlage genommen. Nach Rubo gewährte er dem Entwurf Friedberg eine nicht geringe Unterstützung und würdigte unter vielfacher Verbesserung des prStGB die Fortschritte der Wissenschaft14.

Die Inzeststraftatbestände waren im Entwurf John im zwölften Titel „Verbrechen gegen die Sittlichkeit“ im § 10715, wie bereits im § 130 E 1850/1851 und § 141 prStGB, ohne Paragraphenüberschrift in einem Paragraphen zusammengefasst. Im Vergleich zum § 141 prStGB hat der erfasste Personenkreis im § 107 Entwurf John keine Änderungen erfahren. In Bezug auf den Strafausspruch besteht der Hauptunterschied zu § 141 prStGB, abgesehen von der Herabsetzung des Strafmaßes durch die Imple10

11 12 13 14 15

Heinrich von Friedberg (1813–1895). Vgl. zu den biographischen Angaben zu Friedberg und den Weiteren in diesem Kapitel genannten Reichstagsabgeordneten und Kommissionsmitgliedern Schubert, GA 1982 (130), S. 191 (S. 197 ff.) und Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XX–XXVI und Bd. 2, S. XXII– XXVII. Rubo, Kommentar, S. 13 f. Schubert, GA 1982 (130), S. 191 (S. 194). John, Entwurf mit Motiven zu einem Strafgesetzbuche für den Norddeutschen Bund, 1868. Rubo, Kommentar, S. 23. § 107 Entwurf John: „Die Unzucht zwischen leiblichen Eltern und Kindern wird an den Ersteren mit Gefängniß nicht unter drei Monaten oder mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den Letzteren mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Die Unzucht zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. Es kann zugleich auf Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden“. Abgedruckt bei John, Entwurf mit Motiven zu einem Strafgesetzbuche für den Norddeutschen Bund, S. 397.

Drittes Kapitel: Reichsstrafgesetzbuch

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mentierung der Gefängnisstrafe in Absatz 1 und kleineren redaktionellen Änderungen, darin, dass auf das Mindestalter für die Deszendenten verzichtet worden ist. In den Motiven führte John zur Fortlassung des Mindestalters aus, dass, wenn man argumentiere, die Autorität der Eltern oder Stiefeltern würde den Kindern oder Stiefkindern gegenüber so schwer ins Gewicht fallen, dass letztere, wenn sie von ersteren zur Begehung des Inzests aufgefordert worden wären, schwer Widerstand leisten könnten, man damit in doppelter Beziehung zu viel beweise. Denn das hieße erstens, „dass Kinder unter sechszehn Jahren, die von ihren Eltern bzw. Stiefeltern zur Begehung irgend eines Verbrechens aufgefordert werden, wegen dieser auf sie wirkenden Autorität straflos bleiben müssten.“

Zweitens würde man sagen müssen, „dass, da die Autorität der Eltern auf die Kinder eine Wirkung äußere, auch nachdem dieselben das sechszehnte Lebensjahr vollendet haben, diese Autorität auch in dem späteren Lebensalter der Kinder nicht bloß bei Begehung des Inzests, sondern auch bei der Begehung irgend eines anderen Verbrechens einen Strafmilderungsgrund für die Kinder und Stiefkinder abgeben müsse.“

Um diese Missstände, welche sich aus dem Termin des vollendeten oder nicht vollendeten sechzehnten Lebensjahrs ergeben, zu vermeiden, sei das Mindestalter zu streichen16. Zu der Herabsetzung des Strafmaßes bemerkte John, dass die ausschließliche Zuchthausstrafe für die Aszendenten sich allein für diejenigen Verhältnisse eigne, in denen Eltern und heranwachsende Kinder verschiedene Schlafzimmer haben; mit diesen Verhältnissen habe aber die Strafgesetzgebung weniger zu tun, als mit solchen, in denen diese Voraussetzung nicht zutreffe17.

B) Der Entwurf Friedberg Im Entwurf Friedberg fanden sich die Inzeststraftatbestände im vierzehnten Abschnitt „Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“ in § 15018, ebenfalls in einem Paragraphen sowie ohne Paragraphenüberschrift.

16 17 18

John, a.a.O., S. 403. John, a.a.O., S. 405. § 150 Entwurf Friedberg: „(1) Der Beischlaf zwischen leiblichen Eltern und Kindern, wird an den Ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den Letzteren, wenn sie das sechzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

Der § 150 Entwurf Friedberg hat beim erfassten Personenkreis im Vergleich zum § 141 prStGB und § 130 Entwurf John keine Änderungen erfahren. Neben marginalen redaktionellen Änderungen gegenüber dem § 141 prStGB, das schließlich Vorbild und Grundlage des Entwurfs Friedberg war19, ist anstatt des Begriffs der Unzucht der des Beischlafs verwendet worden und sowohl bei Absatz 1 als auch bei Absatz 2 die Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis entfallen. Im Gegensatz zu seinem Vorläufer, dem § 107 Entwurf John, wurde das Mindestalter der Deszendenten nicht fortgelassen. In den Motiven äußerte Friedberg nur, das Verbrechen der Unzucht sei „schärfer, als das Preußische Gesetzbuch es tue, zu präzisieren, indem der § 150, der Rechtsprechung des höchsten Preußischen Gerichtshofes folgend, dem vieldeutigen Ausdruck Unzucht den konkreteren Beischlaf substituiert.“20

C) Reaktionen auf den Entwurf Friedberg Mit dem Druck und der Veröffentlichung des Entwurfs Friedberg wurde dieser zugleich an „hervorragende Kriminalisten“21 versandt, damit diese Gelegenheit zur Stellungnahme erhielten und zu seiner Verbesserung mitwirken konnten. Daraufhin gingen zahlreiche schriftliche und gedruckte Gutachten beim Justizministerium ein. Auch wurden weitere Kritiken und Beurteilungen verfasst und veröffentlicht, von denen einige aber aufgrund des Zeitablaufs von der Bundesratskommission nicht mehr 22 berücksichtigt werden konnten .

Auf den § 150 Entwurf Friedberg folgten nur wenige Reaktionen. Nach Häberlin verdienten die schärferen und engeren Begriffsbestimmungen und die Milderung der Strafen durch Aufhebung des Minimums „Zustimmung, da dies mit seltener Übereinstimmung von allen Seiten her stets gefordert“ worden sei23. Vergleichbar sah Meyer die Begriffsänderung von Unzucht in Beischlaf

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(2) Der Beischlaf zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Auch kann in allen Fällen auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Stiefkinder bleiben straflos, wenn sie das sechszehnte Lebensjahr noch nicht zurück gelegt haben“. Abgedruckt bei Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 25. Rubo, Kommentar, S. 21. Motive zum Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, 1869, S. 39. Rubo, Kommentar, S. 26. v. Wächter, Norddeutscher Bund, S. 18. Häberlin, Kritische Bemerkungen zu dem Entwurf eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund, S. 60.

Drittes Kapitel: Reichsstrafgesetzbuch

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als „richtig“ an. Er fragte allerdings, ob statt „Eltern“ nicht besser „Verwandte in aufsteigender Linie“ gesagt werden sollte, „da Fälle bekannt seien, bei welchen Großväter und -mütter sich an und mit ihren Enkeln vergingen“24. Nach Held war im Hinblick auf den Druck des Abhängigkeitsverhältnisses „sehr zu billigen, dass bei dem Inzest eine Bestrafung der Deszendenten und Stiefkinder erst eintritt, wenn sie das sechszehnte Lebensjahr zurückgelegt haben“25.

D) Beratungen der Bundesratskommission (I. und II. Entwurf) Bevor der Entwurf Friedberg endgültig fertiggestellt worden war, beschloss der Bundesrat am 3. Juni 1869, den Entwurf durch eine Kommission von sieben Juristen26 revidieren zu lassen27. Zum Vorsitzenden dieser Kommission wurde Leonhardt durch den Bundeskanzler v. Bismarck berufen28. Die Kommission tagte in insgesamt 43 Sitzungen vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 186929. Motive zu diesem Entwurf erschienen nicht; auch war er nicht zur Veröffentlichung bestimmt30.

In der ersten Lesung31 beantragte das preußische Kommissionsmitglied Dorn „im ersten und im zweiten Absatze den Worten: ‘der Beischlaf’ die Worte zu substituieren: ‘die Blutschande’“32. Dieser Antrag wurde mit vier gegen drei Stimmen angenommen33. Ebenso wurde der Antrag des Bremer Kommissionsmitglieds Donandt angenommen34, „anstatt: ‘Kinder’ zu sagen: ‘Blutsverwandte in absteigender Linie’ und anstatt der Worte in Absatz I und IV ‘das

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Meyer, Eine Beurteilung des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund, S. 54. Held, Bemerkungen zu dem Entwurfe eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund, S. 51 f. Mitglieder dieser Kommission waren vier Juristen aus Preußen (Leonhardt, Friedberg, Bürgers, und Dorn) sowie je ein Jurist aus Sachsen (Schwarze), Mecklenburg-Schwerin (Budde) und Bremen (Donandt). Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XVIII. Rubo, Kommentar, S. 29. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XVIII. Rubo, Kommentar, S. 34. 1. Oktober 1869 bis 27. November 1869: XV. Sitzung, verhandelt in Berlin den 28. Oktober 1869. Antrag Nr. 176, Dorn, in: Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 204. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 114. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 114.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

sechszehnte Lebensjahr’ zu setzen: ‘das achtzehnte Lebensjahr’“35. Unter Umsetzung dieser Anträge wurden die Inzeststraftatbestände im Entwurf der ersten Lesung vom November 1869 (I. Entwurf) in § 168 im vierzehnten Abschnitt „Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“ verschoben36, während der angenommene Antrag Dorns im endgültigen Normentext des I. Entwurfs keinen Niederschlag fand. Eine Paragraphenüberschrift wurde nicht verwendet. In der zweiten Lesung37 des Entwurfs wurde zu § 168 des I. Entwurfs beschlossen, „in Absatz II die Worte: ‘vollbürtigen und halbbürtigen’ zu streichen, weil nach der Sprachweise des Entwurfes unter ‘Geschwister’ sowohl vollbürtige, wie auch halbbürtige Geschwister zu verstehen seien.“38

Weiterhin beantragte der Kommissionsvorsitzende Leonhardt in „§ 168 Absatz 2 statt ‘Schwiegereltern’ – ‘Stiefkindern’ – ‘Verschwägerten auf- und absteigender Linie’“ und in „§ 168 Absatz 4 statt ‘leibliche und Stiefverwandte’ – ‘Blutsverwandte und Verschwägerte’“ zu sagen39. Im revidierten Entwurf (II. Entwurf), der am Ende der zweiten Lesung der Bundesratskommission stand40, fanden sich die Inzeststraftatbestände, ebenfalls ohne Paragraphenüberschrift im dreizehnten Abschnitt „Verbrechen und Vergehen die Sittlichkeit“ in

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Antrag Nr. 210, Donandt, in: Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 208. § 168 I. Entwurf: „(1) Der Beischlaf zwischen Blutsverwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Leibliche und Stief-Verwandte absteigender Linie sind straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben“. Abgedruckt bei Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 269. 2. Dezember 1869 bis 31. Dezember 1869: VIII. Sitzung, verhandelt in Berlin den 14. Dezember 1869. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 337. Antrag Nr. 612, Leonhardt, in: Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 399. Die Fassung des Entwurfs vom 31. Dezember 1869 gelangte an den Bundesrat und stimmte, von zwei Änderungen abgesehen, mit der Reichstagsvorlage überein. Vgl. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 425.

Drittes Kapitel: Reichsstrafgesetzbuch

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§ 17141; in Absatz 4 wurde entgegen des Antrags Leonhardts „Verwandte“ anstelle „Blutsverwandte“ gesagt.

E) Reichstagsvorlage (III. Entwurf) Am 1. Januar 1870 wurde der II. Entwurf den Bundesstaaten mit der Bitte übergeben, ihre Bundesratsbevollmächtigten mit Anweisungen zur Abstimmung zu versehen42. Das Königreich Sachsen befasste sich sehr ausführlich mit der Vorlage und sandte seine Stellungnahme vom 24. Januar 1870 nach Berlin. In Preußen verhandelte das Staatsministerium am 31. Januar 1870 über den Entwurf unter Berücksichtigung der sächsisches Vorschläge, die sämtlich zurückgewiesen wurden, und drei Tage später, am 2. Februar 1870, noch der Kronrat43.

Das Plenum des Bundesrats befasste sich erstmals am 4. Februar 1870 mit dem II. Entwurf44. In der zweiten Sitzung vom 4. Februar 1870 wurde allein erklärt, dass die Abschnitte I.–XIII. (§§ 78–182), in denen sich die Inzeststraftatbestände des § 171 wiederfanden, vorläufig angenommen wurden45. Am 7. Februar 1870 erfolgten anschließend die Beratungen im Justizausschuss, dessen Bericht die dort gestellten Anträge und das Beratungsergebnis enthält46. Anträge zu dem Delikt des Inzests wurden nicht gestellt. Die Plenarberatung über die Vorlage fand am 11. Februar 1870 statt47. Auch nach dem Protokoll der fünften Sitzung vom 11. Februar 1870 wurden keine Anträge gestellt, die Inzeststraftatbestände zu ändern. Der noch am selben Tag vom Bundesrat verabschiedete Entwurf (III. Entwurf) wurde dem Reichstag des Norddeutschen Bundes am 14. Februar 1870 vorgelegt. Dem Entwurf waren neu ge-

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§ 171 II. Entwurf: „(1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben“. Abgedruckt bei Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 451. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. XV. Der Kronrat (Conseil) war eine Staatsministerialsitzung im Beisein des Monarchen. Vgl. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. XV f. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. XVI. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 29. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. XVII. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. XVIII.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

fasste Motive48 beigefügt49. In der Reichstagsvorlage waren die Inzeststraftatbestände nach wie vor im dreizehnten Abschnitt „Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“ ohne Paragraphenüberschrift in § 171 vorgesehen und entsprachen wortgetreu50 denen des II. Entwurfs. Wie bereits in den Motiven zum Entwurf Friedberg ist in den Motiven zum Entwurf vom 14. Februar 1870 bemerkt, dass § 171 „den Begriff der Unzucht zwischen Eltern und Kindern, Schwiegereltern und Schwiegerkindern, Stiefeltern und Stiefkindern, sowie zwischen Geschwistern schärfer, als das preußische Gesetzbuch es tut, und in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der deutschen Gesetzbücher, präzisieren, indem er, der preußischen Rechtsprechend folgend, dem vieldeutigen Ausdruck: ‘Unzucht’ den konkreteren: ‘Beischlaf’ substituiert.“51

F) Reichstagsberatungen Der III. Entwurf wurde im Reichstag in erster Lesung am 22. Februar 1870 behandelt. Zum Abschluss der 1. Lesung am 22. Februar 1870 überwies das Plenum nur52 die Abschnitte 8–29 des BT (§§ 145–366) – somit auch die Inzeststraftatbestände des § 171 – einer Kommission von 21 Mitgliedern. Während das Plenum von Ende Februar bis

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Bereits in den Wochen nach Fertigstellung des revidierten Entwurfs hatten Friedberg und Schwarze, gemeinsam mit den Schriftführern der Bundesrats-Kommission Rüdorff und Rubo, die Motive erarbeitet, die von der Kommission jedoch nicht genehmigt wurden und die ebenfalls dem Bundesrat für seine Beschlussfassung noch nicht vorlagen. Vgl. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XVIII. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. XX. § 171 III. Entwurf: „(1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben“. Abgedruckt bei Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 70. Motive zu einem Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund vom 14. Februar 1870, S. 67. Damit der Entwurf in der laufenden Session verabschiedet werden konnte, verzichtete das Plenum, entgegen einem Antrag von Schwarze, darauf, die Vorlage insgesamt einer Kommission zu überweisen. Vgl. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XIX.

Drittes Kapitel: Reichsstrafgesetzbuch

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Anfang April 1870 den AT beriet, hielt die Kommission zwischen dem 27. Februar und 53 54 dem 30. März 1870 zweiundzwanzig Sitzungen ab .

In der neunten Sitzung vom 9. März 1870 wurde § 171 behandelt, aber lediglich erklärt, er sei „unverändert“ angenommen55. Am 20. Mai 1870 befasste sich der Bundesrat mit den Beschlüssen des Reichstags zum StGB-Entwurf. Nachdem von dort aus einige Änderungsvorschläge geäußert wurden56, die allesamt aber nicht den § 171 betrafen57, stimmte am 25. Mai 1870 der Reichstag in der Schlussabstimmung mit großer Mehrheit der vom Bundesrat gewünschten Fassung zu, die in einer Nachsitzung von Vertretern aller Parteien unter Beisein von Friedberg und dessen Hilfsarbeitern entsprechend den in dritter Lesung beschlossen Abänderungen festgestellt worden war58. Die Inzeststraftatbestände waren in der Fassung des Entwurfs nach den Beschlüssen der dritten Lesung im dreizehnten Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ ohne Paragraphenüberschrift nunmehr in § 173 geregelt und entsprachen abermals wortgetreu59 der vorherigen Fassung (§ 171 III. Entwurf).

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Den Vorsitz führte Schwarze, der Sachsen bereits in der Bundesratskommission vertreten hatte. Als Vertreter des Bundesrats nahm Friedberg teil, der spätere Staatssekretär des Reichsjustizamts (von 1879–1889 preußischer Justizminister), von dem der erste Entwurf zum Strafgesetzbuch stammt und der auch maßgeblich an den Beratungen der Bundesratskommission beteiligt gewesen war. Zu mehreren Sitzungen erschien auch der Reichstagspräsident und spätere Präsident des Reichsgerichts Eduard Simson. Vgl. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. XX. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. XX. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 115. Vgl. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 175 ff. In der ersten Zusammenstellung der Beschlüsse der Kommission für Beratung des Strafgesetzbuchs mit der Vorlage der verbündeten Regierungen wurde allein ausgeführt, dass § 171 unverändert übernommen wurde. Vgl. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 178. Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. XXI f. § 173 Beschlüsse der dritten Lesung: „(1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben“. Abgedruckt bei Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 288.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

G) Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund von 1870 sowie das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 Das am 25. Mai 1870 verabschiedete StGB NdB wurde am 31. Mai 1870 verkündet60 und trat am 1. Januar 1871 in Kraft. Der § 173 StGB NdB entsprach61 also dem des Entwurfs nach den Beschlüssen der dritten Lesung, war infolgedessen auch im dreizehnten Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ ohne Paragraphenüberschrift geregelt. Die anschließende Gründung des deutschen Reichs durch den Beitritt der süddeutschen Staaten machte die Umwandlung des norddeutschen in das Reichsstrafgesetzbuch notwendig62. Die Neuredaktion des StGB erfolgte am 15. Mai 187163 als „Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich“, das in den Beitrittsgebieten am 1. Januar 1872 in Kraft trat64. Die wenigen Änderungen betrafen nicht die Regelungen über den Inzest, sodass der § 173, ohne Paragraphenüberschrift geregelt im dreizehnten Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“, wörtlich65 den § 173 StGB NdB übernahm. 60 61

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Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1870, S. 195 ff. § 173 StGB NdB: „(1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben“. Abgedruckt bei Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 288. Vgl. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 345. RGBl. I 1871, S. 127. Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 1, Nr. 1, S. 1 ff. Vgl. zur Entstehungsgeschichte des RStGB Schubert / Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. XXI f. und Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 86. § 173 RStGB: „(1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben“. Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 1, Nr. 1, S. 40.

Drittes Kapitel: Reichsstrafgesetzbuch

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H) Zusammenfassung und Fazit Die vorangegangen Betrachtungen lassen den Schluss zu, dass die Entwicklung der Inzeststraftatbestände durch die preußische Gesetzesrevision, namentlich durch § 130 E 1850/1851 und § 141 prStGB, größtenteils abgeschlossen war. Während der Entstehung des RStGB haben sie keine entscheidenden Änderungen erfahren haben; auch wurden innerhalb dieser Epoche keinerlei Ausführungen zur Begründung der Inzeststrafbarkeit gemacht. Grundlage für § 173 RStGB war § 150 Entwurf Friedberg, der sich seinerseits an § 141 prStGB und an § 107 Entwurf John orientierte. Bei vergleichender Betrachtung des § 150 Entwurf Friedberg mit § 141 prStGB fällt auf, dass die Inzeststraftatbestände abermals konkretisiert wurden, indem anstatt des Begriffs der „Unzucht“ der des „Beischlafs“ gewählt wurde. In Bezug auf die Strafen ließ § 150 Entwurf Friedberg sowohl bei Absatz 1 als auch bei Absatz 2 die Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis entfallen. Den Bestrebungen des Entwurfs John, bei den Inzeststraftatbeständen das Mindestalter für die Deszendenten fortzulassen, hat sich der Entwurf Friedberg hingegen nicht angeschlossen. In der auf § 150 Entwurf Friedberg folgenden Entwicklung bis zum § 173 RStGB haben die Inzeststraftatbestände erneut an Präzision gewonnen, insoweit die Begriffe „Verwandte in auf- und absteigender Linie“ anstelle der Begriffe „Eltern und Kindern“ bzw. „Verschwägerte in auf- und absteigender Linie“ anstelle „Schwiegereltern und Schwiegerkindern“ verwendet wurden, obgleich die Inzeststraftatbestände dadurch eine Erweiterung auf höhere Generationen erlangten. Durch das Fortlassen der Stiefeltern und kinder in Absatz 2 haben die Inzeststraftatbestände eine Begrenzung erfahren, während hingegen durch das Heraufsetzen des Mindestalters auf achtzehn Jahre eine Verschärfung eingetreten ist. Schließlich ist die Unterscheidung zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern entfallen, da diese als obsolet eingestuft wurde. Durch diese Änderungen, die allesamt aufgrund der Beratungen der Bundesratskommission – § 168 I. Entwurf und § 171 II. Entwurf – erfolgten, hat die Entwicklung der Inzeststraftatbestände auf dem Weg zum RStGB einen Stillstand erlitten, da der II. Entwurf, der am Ende der zweiten Lesung der Bundesratskommission stand, den Schlusspunkt darstellte. Sowohl § 171 III. Entwurf (Reichstagsvorlage) samt den Reichstagsberatungen (§ 173 Beschlüsse der dritten Lesung) als auch § 173 des StGB NdB sowie § 173 RStGB brachten keinerlei Änderungen hervor. Inwieweit dieser Stillstand auf dem Weg zum heutigen § 173 StGB überwunden wurde, ist Gegenstand der folgenden Kapitel.

Viertes Kapitel: Reformversuche und Gesetzgebung bis zum Beginn der Strafrechtsreform A) Gesetzgebung Bereits 1876 gab es ein „Gesetz betreffend die Änderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuches und die Ergänzung derselben“1, dem viele weitere Änderungsgesetze und Neubekanntmachungen folgten2; der § 173 RStGB hat durch diese aber keine Berücksichtigung erfahren. Vielmehr waren die Inzeststraftatbestände Gegenstand der wissenschaftlichen Kontroverse, mithin der auf dem RStGB aufbauenden Reformversuche und Reaktionen.

B) Reformversuche: Mittermaier in der „Vergleichenden Darstellung“ Mit Beginn der Achtzigerjahre des neunzehnten Jahrhunderts begann eine große, insbesondere auch auf Erforschung der Ursachen des Verbrechens gerichtete kriminal3 politische Reformbewegung, die seit 1889 zum sog. Schulenstreit um Rechtsgrund und Zweck der Strafe führte. Vor diesem Hintergrund schien jedoch bereits 1900 eine gewisse Annäherung und Klärung insofern erreicht, als an eine gemeinsame gesetzgeberische Arbeit gedacht werden konnte4. In die Wege geleitet wurde sie durch den Staatssekretär im Reichsjustizamt Nieberding, der den „gesunden Kern der Bewegung“5 erkannte. Am 16. Juli 1902 ergriff er die Initiative und schrieb die seiner Ansicht nach zu berufenden Mitglieder eines Komitees an. Bereits am 28. November 1902 trat unter seiner Vermittlung und seinem Vorsitz in Berlin ein freies wissenschaftliches Komitee von acht Professoren zusammen, von denen drei (v. Birkmeyer, 6 Wach und Kahl) die klassische Schule, drei (v. Liszt, v. Lilienthal, Seuffert ) die 1 2 3

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Vom 26. Februar 1876, RGBl. I 1876, S. 25. Vgl. zu den Änderungsgesetzen und Neubekanntmachungen Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 1, Nr. 2 ff., S. 90 ff. und Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 142 ff. Die so genannte moderne Schule (insbesondere v. Liszt) stütze sich vor allem auf die Spezialprävention. Ihr gegenüber stand die so genannte klassische Schule (insbesondere Binding und v. Birkmeyer) unter dem Zeichen des Vergeltungsgedankens. Dazwischen standen vermittelnde Auffassungen. Vgl. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 386 ff. und Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 137 ff. v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 358. Bumke, DJZ 1925, Sp. 21. Seuffert verstarb noch vor der ersten Sitzung; an seine Stelle trat v. Hippel.

Viertes Kapitel: Bis zum Beginn der Strafrechtsreform

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soziologische Schule und zwei (van Calker, Frank) die vermittelnde Richtung vertraten7. Als Ziel der Arbeit wurde in dem Einladungsschreiben genannt, „eine zuverlässige und erschöpfende Übersicht über die strafrechtlichen Grundsätze aller größeren Kulturstaaten zu besitzen und zu diesem Zwecke vergleichende Darstellungen der wichtigeren Materien aus dem strafrechtlichen Gebiete zu beschaffen“8. Unter Heranziehung von etwa 50 Mitarbeitern, fast sämtliche9 Strafrechtslehrer der deutschen Univiversität sowie österreichische und schweizerische Strafrechtslehrer10, lag bereits 1909 die „Vergleichende Darstellung des Deutschen und Ausländischen Strafrechts“ (Verglei11 12 chende Darstellung) in sechzehn Bänden vor .

In der Vergleichenden Darstellung fanden sich die Ausarbeitungen zum § 173 RStGB im IV. Band des Besonderen Teils „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit. Beleidigung. Personenstandsdelikte.“, bearbeitet von den Professoren Mittermaier, Liepmann, v. Lilienthal und Kohlrausch. Der Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit. Entführung. Gewerbsmäßige Unzucht“, in dem der § 173 RStGB behandelt wurde, ist vom Gießener Universitätsprofessor Wolfgang Mittermaier bearbeitet worden. Mittermaier stand dem § 173 RStGB kritisch gegenüber. Er hinterfragte zunächst den Grundgedanken des Delikts und stellte fest, dass dieser kein einheitlicher sei. „Von Gewalt oder Schändung kann keine Rede sein, wohl aber vielfach von Verführung oder Missbrauch eines Treuverhältnisses“13. Jedoch könne dieser Gedanke nicht genügen, die Bestrafung der Deszendenten und Geschwister, ebenso warum nur der Beischlaf bestraft werde, zu erklären. Anschließend beleuchtete Mittermaier die historische Begründung für die Strafbarkeit des Inzests. Überwiegend ziehe man die Gefahr für die Nachkommenschaft14 und für die Sittenreinheit als Rechtfertigung heran. Welcher Grund aber geschichtlich den Ausschlag gab, sei nicht festzustellen. Zudem 7 8 9 10 11

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Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 394. Zitiert nach v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 359. Binding versagte seine Mitarbeit. Bumke, DJZ 1925, Sp. 21 (Sp. 22). Es erschienen sechs Bände AT, neun Bände BT sowie ein Registerband. Zunächst wurde der BT „als das minder schwierige Gebiet“ (v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 359, Fn. 4) bearbeitet. Der zu bearbeitende Stoff wurde entsprechend der Zahl der Kommissionsmitglieder in acht Teile aufgeteilt, von denen jedes Mitglied einen übernahm, mit der Pflicht, ihn durch eigene Arbeit und durch Gewinnung von Mitarbeitern zur Darstellung zu bringen. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 395. Vergleichende Darstellung, BT, Bd. IV, S. 143. Auf die Gefahr für die Nachkommenschaft wurde in der hier untersuchten Epoche eher selten abgestellt; so bspw. v. Liszt, Lehrbuch, 2. Aufl. (1884), S. 533 und Schwarze, Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit (1871), S. 301.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

hätten sich vielfach religiöse Gründe eingemischt15. Im Einzelnen bemerkte Mittermaier zu den vorgenannten Gründen, dass wenn man auf die Sittenreinheit abstelle, auch andere unzüchtige Handlungen erfasst sein müssten. Was den Inzest zwischen Verschwägerten und Stiefverwandten betrifft, egal, ob die verbindende Ehe noch besteht oder nicht, war er der Auffassung, dass eine Gefahr für die Sittenreinheit eines Einzelnen oder der Allgemeinheit nicht bestehe. Vielmehr hielt Mittermaier eine Bestrafung in diesen Konstellationen für „unberechtigt und lediglich einem allgemeinen Moralgefühl sowie überlebten religiösen Ideen entsprechend“, „man straft hier ganz prinziplos eine reine Unmoral“16. Die Gefahr für die Sittenreinheit der Familie rechtfertige allein die Bestrafung des Inzests zwischen nahen Blutsverwandten. Eine Berufung auf die Gefährdung für die Nachkommen bedürfe es nicht, „denn diese Gefährdung ist jedenfalls bei einer nicht systematischen Inzucht sehr gering und nicht größer als die Gefährdung bei Geisteskranken“17. Ferner bezweifelte Mittermaier, ob die Familienreinheit überhaupt zweckmäßig durch Strafen aufrechterhalten werde. Hierzu führte er an, dass bei dem Delikt des Inzests wesentlich die ländliche Bevölkerung beteiligt sei und ein starker Prozentsatz jugendlicher Verbrecher sich wiederfinde. Mittermaier sah die Hauptursache des Inzests in den elenden Wohnungsverhältnissen. Somit erscheine ihm das Delikt stark als ein Produkt roher Auffassung, jugendlicher Charakterlosigkeit und schlechter sozialer Verhältnisse18. In diesem Zusammenhang verwies er auf eine Reihe von Gesetzgebungen, die ebenfalls den Gedanken der Straflosigkeit vertraten. Dazu nannte er Frankreich, Belgien, Portugal, Spanien, Waadt und Holland. Sehr einschränkend sei der Inzeststraftatbestand überdies in Italien, in Neuenburg, in England, in dem nordamerikanischen Common Law, in Schottland, in den Kolonien und in den amerikanischen Statutarrechten geregelt19. Mittermaier nannte ebenfalls den E 1845 der preußischen Gesetzesrevision, der Bedenken gegen die Bestrafung hegte und sie nur bei öffentlichem Ärgernis und Verletzung der Rechte Dritter zuließ. Bei allen übrigen Gesetzgebungen, aber „keineswegs der großen Mehrheit“, finde sich der Tatbestand. Bei diesen könne aber kein einheitlicher Gesichtspunkt als maßgebend genannt werden. Dies sei ein Zeichen dafür, dass „die Gesetzgebung über den Strafgrund hier nicht im Klaren“20 sei. Zu 15 16 17 18 19 20

Vergleichende Darstellung, BT, Bd. IV, S. 144. A.a.O., S. 144. A.a.O., S. 144 f. A.a.O., S. 145. A.a.O., S. 145. A.a.O. S. 145 f.

Viertes Kapitel: Bis zum Beginn der Strafrechtsreform

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beachten sei in der Entwicklung jedenfalls eine immer schärfere Eingrenzung des Delikts in einen engeren Kreis. Mittermaier nannte in diesem Zusammenhang die einzelnen Tatbestandsvarianten und stellte dar, dass der Inzest bei den übrigen Gesetzgebungen ohne große Unterschiede geregelt sei21. Am Ende schlug Mittermaier vor, „in erster Linie den Tatbestand ganz zu streichen, da er nur eine Unmoral und keine besondere Gefahr darstellt, und da die schwereren Fälle in anderen Tatbeständen wiederkehren.“22

Würde man an dem Delikt festhalten wollen, so sei „das Verschwägertenverhältnis wegzulassen und nur im Verwandtschaftskreise zwischen Aszendenten und Deszendenten und zwischen Geschwistern, hier aber auch trotz unehelicher Verwandtschaft zu strafen.“

Festlegen konnte er sich nicht, ob die Tathandlung „Beischlaf“ oder „widernatürliche Unzucht“ sein solle. Der Gedanke, nur bei öffentlichem Ärgernis zu strafen, sei zwar gut, würde in der Praxis aber schon von selber herrschen. Minderjährige unter achtzehn Jahren oder die der Verführung unterliegen, sollten in jedem Falle straffrei bleiben23.

C) Reaktionen auf Mittermaiers „Vergleichende Darstellung“ Reaktionen auf Mittermaiers Untersuchung zum § 173 RStGB waren rar. Nach Hoegel war Mittermaiers Vorschlag, die Strafbarkeit der Blutschande zu beseitigen, nicht beizupflichten, denn „das Interesse des Staates an der Aufrechterhaltung der Familienreinheit steht dem entgegen“24. Zustimmung erteilte er dem Vorschlag, die Strafbarkeit auf den Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie und Geschwistern zu beschränken25. Weniger kritisch äußerte sich v. Liszt. Unter dem Hinweis, dass Mittermaier für die Streichung des Delikts war, sah er den Zweck des Gesetzes in der „Verhinderung der Inzucht“. Allein dies sei der Grundgedanke der Sittlichkeitsdelikte. Denn den Standpunkt, es handele sich um den Missbrauch des 21 22 23 24 25

Vergleichende Darstellung, BT, Bd. IV, S. 146. Vergleichende Darstellung, BT, Bd. IV, S. 147. Eine vergleichbare Tendenz vertrat bereits Berner, Lehrbuch, 18. Aufl. (1898), S. 455. Vergleichende Darstellung, BT, Bd. IV, S. 147. Hoegel, DJZ 1908, Sp. 109 (Sp. 114). Hoegel, DJZ 1908, Sp. 109 (Sp. 114).

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

dem Aszendenten gegenüber dem Abkömmling zustehenden Einflusses, habe das RStGB aufgegeben, indem es einerseits nur den Beischlaf bestrafe und die schwersten sonstigen Unsittlichkeiten ungeahndet ließe, andererseits aber auch den Beischlaf zwischen erwachsenen Geschwistern bedrohe und den achtzehnjährigen Deszendenten bestrafe26.

D) Zusammenfassung und Fazit Die Reformversuche und Gesetzgebungen bis zum Beginn der Strafrechtsreform brachten keine nennenswerten Neuerungen hervor. Gesetzgebungen zum § 173 RStGB hat es nicht gegeben. Die Reformversuche sind im Vergleich zu denen bei der Entstehung des RStGB, umso mehr im Vergleich zu denen innerhalb der preußischen Gesetzesrevision, als marginal zu bezeichnen. Allein Mittermaier setzte sich in der „Vergleichenden Darstellung“ intensiv mit den Inzeststraftatbeständen auseinander und sprach sich vornehmlich für die Streichung des Delikts aus, da die zur Begründung der Inzeststrafbarkeit hervorgebrachten Argumente – Gefahr für die Nachkommenschaft, Sittenreinheit, religiöse Gründe – allesamt die Strafbarkeit nicht zu rechtfertigen vermöchten, der Tatbestand vielmehr nur eine „Unmoral“ und „keine besondere Gefahr“ darstelle. Die Strafbarkeit des Inzests wurde bei den wenigen Stimmen dieser Epoche mit dem „Interesse des Staates an der Aufrechterhaltung der Familienreinheit“ und der „Verhinderung der Inzucht“ begründet. Ernsthafte neue Forderungen wurden nur in Bezug auf das Fortlassen des Verschwägerteninzests gestellt, die sich mit Mittermaiers Minimalforderung deckten. Inwiefern sich diese Reformbemühungen in der weiteren Entwicklung der Inzeststraftatbestände niederschlugen, ist Gegenstand der folgenden Kapitel.

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v. Liszt, Lehrbuch, 16./17. Aufl. (1908), S. 382.

Fünftes Kapitel: Beginn der Strafrechtsreform A) Der Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch von 1909 Nachdem zwei Bände der Vergleichenden Darstellung veröffentlicht waren und der Fortschritt der Arbeit gesichert erschien1, nahm am 1. Mai 1906 eine vom Reichsjustizamt eingesetzte2, aus fünf Juristen bestehende Kommission3 ihre Arbeit auf4. Die Kommission, die einen Vorentwurf zu einem StGB erstellen sollte5, hielt bis zum 22. April 1909 insgesamt 117 Sitzungen ab6. Als Ergebnis entstand der Vorentwurf von 1909 (VE)7 mit einer umfassenden Begründung8. Dem Schulenstreit, unter dessen Einfluss noch die Arbeiten an der Vergleichenden Darstellung standen9, stellte sich der

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v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 359. Nach Bumke ist der Vorentwurf auf Nieberdings Veranlassung entstanden. Vgl. Bumke, DJZ 1925, Sp. 21 (Sp. 22). Mitglieder der Kommission waren ausschließlich Richter und Ministerialbeamte, also im Gegensatz zu der Vergleichenden Darstellung allesamt Praktiker: Lucas (Leiter der strafrechtlichen Abteilung des preußischen Justizministeriums, zugleich Vorsitzender), v. Tischendorf (strafrechtlicher Referent des Reichsjustizamtes), Schulz (Strafrechtsreferent im preußischen Justizministerium), Ditzen (Kammergericht) und Meyer (bayerischer Oberlandesgerichtsrat). Nach dem Ausscheiden von v. Tischendorf, Schulz und Ditzen wurden Joël (Regierungsrat im Reichsjustizamt), Kleine (Kammergerichtsrat) und Oelschläger (Kammergerichtsrat) in die Kommission aufgenommen. Zu Kurzbiographien und Übersichten über die Mitglieder der Kommission für den Vorentwurf von 1909, der Strafrechtskommission 1911–1913 sowie die Autoren des Gegenentwurfs vgl. Schubert, Protokolle, Bd. 1, S. XXXVIII ff. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XIII. Aufgabe der Kommission war „auf Grund der im Reichs-Justizamte vorhandenen Materialien, in Anlehnung an die von dem Komitee für die Strafrechtsreform geleiteten wissenschaftlichen Vorarbeiten, die ersten Grundzüge zu einem neuen Strafgesetzbuch aufzustellen“. Vgl. Schreiben des Reichsjustizamtes an die Komiteemitglieder vom 23. April 1906, zitiert nach v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 359 f. VE, Begründung, AT, S. V. Protokolle zu diesen Sitzungen sind, soweit feststellbar, nicht geführt worden, vgl. Schubert, Protokolle, Bd. 1, S. XIII. „Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 1 ff. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XIII. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 394.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

VE neutral gegenüber10, berücksichtigte Elemente sowohl der klassischen als auch der modernen Strafrechtsschule11.

Im VE von 1909 waren die Inzeststraftatbestände im 20. Abschnitt „Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“ in § 24912, erstmals wieder unter einer amtlichen Paragraphenüberschrift („Blutschande“) normiert. Der § 249 VE hat § 173 RStGB größtenteils übernommen, wobei getreu der allgemeinen Tendenz des Entwurfs, der Kasuistik des RStGB entgegenzuwirken13, die Absätze 1 und 2 des § 173 RStGB in einem Absatz zusammengefasst und der Absatz 3, der die Möglichkeit des Verlustes der Ehrenrechte vorsah, fortgelassen wurden. Ferner wurde bei der vorgesehenen Straflosigkeit der Deszendenten die obligatorische Straflosigkeit in eine fakultative geändert. In der Begründung zum VE wurde zuvörderst zu der Bedeutung des Delikts und dessen Schutzzweck Stellung genommen. Das Delikt bilde „den schwersten Angriff auf das sittliche Wesen der Familie“14. Gegen Mittermaiers Forderung, den Tatbestand in erster Linie zu streichen, wurde vorgebracht, dass „die Gefahr für die Nachkommenschaft und für die sittliche Gesundheit des Familienlebens seine Bestrafung verlange“. Und dieses „staatliche Interesse, das sich mit der Volksauffassung über die Sittenreinheit des Familienlebens decke“, habe in der Rechtsentwicklung zu dieser Strafvorschrift geführt15. Den von Mittermaier dargelegten Zweifeln, die er durch die rechtsvergleichende Untersuchung zum Ausdruck brachte, wurde allein entgegengehalten, dass „ausländische Gesetze für die Gestaltung des Tatbestandes nicht maßgebend“

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v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 360. VE, Begründung, AT, S. IX f. § 249 VE: „Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängnis bis zu zwei Jahren, der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie können straflos gelassen werden, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben“. Die Beratungen erster Lesung sind in der Akte BA Berlin, R 3001/21803/5870 enthalten, wobei die Entwurfsfassung der Inzeststraftatbestände erster Lesung (Bl. 67 der Akte) nur redaktionelle Unterschiede gegenüber der Fassung der Gesamtredaktion aufweist; die hier gewählte Fassung ist der Akte BA Berlin, R 3001/21804/5875, Bl. 50 zu entnehmen, sowie abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 47 f. So wurden gegenüber dem RStGB insgesamt 80 Paragraphen eingespart. Vgl. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 396. VE, Begründung, BT, S. 688. A.a.O., S. 688.

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seien16. Aus diesen Gründen übernehme der VE den § 173 RStGB vollständig und zwar sowohl in seinem Tatbestand wie in der verschiedenen Gestaltung des Strafmaßes für Verwandte auf- und absteigender Linie, vereinige jedoch die bisherigen Absätze 1 und 217. Die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, einschließlich der Stiefeltern und -kinder, wurde in der Begründung „mit Rücksicht auf die Erhaltung der Reinheit des Familienlebens“ gerechtfertigt18. Hierzu wurde ausgeführt, dass, „möge auch der gesetzgeberische Grund einer naturwidrigen Blutsvermischung zurücktreten, derartige Verhältnisse nicht nur das Familienleben zerrütteten, sondern oft die Ursache neuer Verbrechen“

seien19. Dabei solle die Frage, ob die uneheliche Verwandtschaft der ehelichen gleichzustellen sei, „wie bisher, der Rechtsprechung zu überlassen“ sein; von dieser sei die Frage bisher bejahend beantwortet20. Hinsichtlich des Mindestalters der Deszendenten wurde bemerkt, man habe dem Umstand Rechnung getragen, dass Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie, wenn sie das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, der Einwirkung und Verführung älterer Verwandter oder Verschwägerter leichter erliegen und deshalb straflos zu lassen seien. Die Änderung zu fakultativen Straflosigkeit sei erforderlich gewesen, weil vom geltenden Recht der Fall nicht berücksichtigt werde, „wenn z.B. ein nahe an der Vollendung des 18. Lebensjahrs stehender Verschwägerter absteigender Linie der Verführer und besonders strafwürdig“ sei. Dagegen die Straflosigkeit über diese Altersgrenze hinaus zu strecken und besonders auch dann eintreten zu lassen, wenn über 18 Jahre alte, jedoch noch minderjährige Personen der Verführung des Älteren erlegen sind, bestehe um so weniger eine Bedürfnis, als mit Vollendung des 18. Lebensjahrs die volle Strafmündigkeit eintrete21.

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VE, Begründung, BT, S. 688. A.a.O., S. 688. A.a.O., S. 688 f. A.a.O., S. 689. A.a.O., S. 689. A.a.O., S. 689.

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B) Reaktionen auf den Vorentwurf von 1909 Der VE war von Anfang an nicht zur Vorlegung an die gesetzgebenden Körperschaften, sondern nur zur allgemein-öffentlichen Beurteilung bestimmt22, weshalb er samt dazugehörigen Motiven trotz inhaltlicher Bedenken der Referenten des Innen- und Kriegsministeriums unverändert veröffentlicht und im Oktober 1910 an die Bundesregierungen mit der Bitte um Stellungnahme versandt wurde23. Die Stellungnahmen der Bundesregierungen erschienen im Jahr 1911 als „Zusammenstellung der Äußerungen 24 der Bundesregierungen über den Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch“ . In selben Jahr wurde im Reichsjustizamt die „Zusammenstellung der gutachterlichen 25 Äußerungen über den Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch“ gefertigt. Zudem erschienen auf den VE bereits 1910 unter dem Titel „Die Reform des Strafge26 setzbuchs“ eine zweibändige kritische Besprechung, herausgegeben von Aschrott und v. Liszt, sowie einige weitere Reaktionen.

I. Kritische Besprechung Im Sammelband von Aschrott und v. Liszt wurden die Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit, somit der § 249 VE von dem Dresdener Staatsanwalt Dr. Erich Wulffen behandelt. Wulffen äußerste sich zunächst zur ursprünglichen Begründung der Strafbarkeit des Inzests27, ging anschließend auf die dazu – zu seiner Zeit – vertretenen Auffassungen ein28. Er war der 22 23 24 25 26 27

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VE, Begründung, AT, S. V. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XIII. „Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen über den Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch gefertigt im Reichs-Justizamt“, Berlin 1911. „Zusammenstellung der gutachterlichen Äußerungen über den Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch gefertigt im Reichs-Justizamt“, Berlin 1911. In ihr wurden die bis zum 1. Dezember 1910 eingegangenen Äußerungen berücksichtigt. „Die Reform des Reichsstrafgesetzbuchs. Kritische Besprechung des Vorentwurfs zu einem Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich unter vergleichender Berücksichtigung des österreichischen und schweizerischen Vorentwurfs“, Berlin 1910. Man werde annehmen dürfen, daß eine Reihe darzulegender Faktoren in einem ätiologisch kaum mehr auflösbaren, historisch-psychologischen Komplexe, dem auch religiöse Momente beigetreten seien, die heutige Auffassung von der Strafbarkeit des Inzestes begründeten“. Vgl. Wulffen, in: Aschrott / v. Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, S. 140. Einzelne Autoren verträten die Ansicht, die Abneigung gegen den Geschlechtsverkehr mit Blutsverwandten sei nicht eine angeborene, natürliche Empfindung, sondern habe sich erst allmählich aus der Beobachtung der schädlichen Folgen eines solchen Verkehrs in Bezug auf die Nachkommenschaft entwickelt. Andere sprächen von einem physiologischen Ekel, dessen Unterdrückung im Inzest den Volkskörper und das Volksempfinden schädigen. Nach einer weiteren Auffassung liege dem Verbot der Ehe zwischen zu nahen Verwandten, aus dem sich die Strafandrohung gegen den Inzest ableitet, der nationalökonomische und soziale Gedanke zugrunde, dass durch Inzucht eine

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Ansicht, es sei „Tatsache, dass die Abneigung gegen den Geschlechtsverkehr mit nahen Blutsverwandten eine verbreitete Erscheinung“ sei. Die Errichtung der Inzestschranke sei „eine Errungenschaft der Kultur“, „die Sittenreinheit der Familie soll geschützt werden“29. Nachdem Wulffen sich ausführlich mit dem Täterbild30 und seinem (Lebens-) Hintergrund31 auseinandersetzte, untersuchte er die einzelnen Tatbestandsvarianten des § 249 VE. Er stellte fest, dass man sich zwar nicht mit Mittermaier im Hinblick auf die ausländische Gesetzgebung dazu entschließen könne, den ganzen Tatbestand zu streichen32, schlug aber einige Änderungen vor. Für Verwandte aufsteigender Linie seien mildernde Umstände mit Gefängnisstrafen zuzulassen33. Zwar könne der Tatbestand zwischen Verschwägerten aufund absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern in der Form des VE bestehen bleiben, jedoch sah Wulffen die Bestimmung, dass Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie unter 18 Jahren nunmehr straflos bleiben „können“ als eine überflüssige Verschärfung an, die abzulehnen sei. Das RStGB trage den Verhältnissen bereits vollkommen Rechnung. Der Deszendent stehe in solchen Fällen „zu sehr unter dem Einflusse des Aszendenten“.

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zu starke Macht der inzüchtigen Familien erzeugt und diese gewissermaßen zu gefährlichen Verbänden im Staate gestaltet würden. Vgl. Wulffen, in: Aschrott / v. Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, S. 140 f. Wulffen, in: Aschrott / v. Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, S. 141. Da der Widerwillen gegen inzestuösen Verkehr auf einer ethischen Grundlage erworben werde, sei klar, daß erblich Belastete oder sonst sittlich Defekte, vor allem Geisteskranke, zur Blutschande neigen. Vor allem kämen Schwachsinnige und Idioten, Epileptiker, Paranoiker und chronische Alkoholisten in Betracht; überdies auch Hysterische, Hypersexuelle, Neurasthenische und Lungentuberkulöse. Diese Personen stellten ein Hauptkontingent der Blutschänder. Vgl. Wulffen, in: Aschrott / v. Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, S. 141. Ohne besondere individuelle Veranlagung kämen Gelegenheitsursachen aus dem Milieu. Die elenden Wohnungsverhältnisse der unteren Volksschichten, die Schonungsbedürftigkeit der Ehefrau, die Furcht vor weiterer Nachkommenschaft verführten, zumal unter Alkoholeinfluß, manchen Vater in schwacher, geschlechtlich erregter Stunde, seine Pflegetochter oder gar sein leibliches Kind, das mit in einem Raume, manchmal sogar in einem Bette schläft, zu gebrauchen. In Gebirgsgegenden und auch sonst auf dem Lande lebten Väter, besonders Wittwer, manchmal jahrelang mit ihren Töchtern in Blutschande. Vgl. Wulffen, in: Aschrott / v. Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, S. 141. Wulffen, in: Aschrott / v. Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, S. 142. Nach Wulffen gehören Pathologen, Entartete, Alkoholisten, die noch für zurechnungsfähig erachtet werden, nicht ins Zuchthaus; sie gehören seiner Ansicht zur Folge auch nicht ins Gefängnis, sondern in eine Heilanstalt. Auch der weniger feinfühlige Proletarier mit dem Wohnungselend sei häufig mit der Zuchthausstrafe zu verschonen. Vgl. Wulffen, in: Aschrott / v. Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, S. 142.

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Wulffen forderte auch die Straffreiheit für Geschwister unter 18 Jahren, da bei ihnen ebenfalls das Gefühl für die Bedeutung der Inzestschranke nur unvollkommen entwickelt sei34. Abschließend bemerkte er, dass Deutschland mit seinen harten Strafdrohungen „ziemlich isoliert“ dastehe und verwies auf die romanische Gesetzgebung, die den Inzest „meist überhaupt nicht“ strafe, und die Vorentwürfe Österreichs (§ 271) und der Schweiz (Art. 137), die ebenfalls mildere Strafbestimmungen vorsahen35.

II. Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen und der gutachterlichen Äußerungen In der Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen wurde § 249 VE nicht behandelt. Beachtung fand er hingegen in der Zusammenstellung der gutachterlichen Äußerungen. Zum § 249 VE wurde ebendort bemerkt, dass Mittermaier36 und Wulffen37 die ausschließliche Androhung von Zuchthausstrafe gegen Aszendenten, Wulffen ferner die Behandlung von Personen unter achtzehn Jahren beanstandeten38. Im Übrigen wurden Wulffens Ausführungen zusammengefasst und wiedergegeben.

III. Weitere Reaktionen Eine weitere Reaktion auf den § 249 VE findet sich in einem Aufsatz von Glaser39, der die Bestimmung des § 249 VE insgesamt für „nicht nötig“ hielt40. Er kritisierte, dass „von der Strafnorm nicht die Verletzung oder Gefährdung eines Individuums oder das Vorliegen eins Ärgernisses verlangt“ werde, „ihr Wesen einfach in der geschlechtlichen Unsittlichkeit der Handlungen“ liege. „Um deswillen allein aber dürften sie nicht unter Strafe gestellt werden“41. Überdies hielt Glaser – unter Hinweis auf Mittermaiers – die in der Begründung zum VE aufgeführten Argumente für ungenügend, um die Bestrafung dieser „bloßen Unsittlichkeiten“ zu rechtfertigen. Der VE vergesse scheinbar, 34 35 36 37 38 39 40 41

Wulffen, in: Aschrott / v. Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, S. 142. Wulffen, in: Aschrott / v. Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, S. 142. Unter Verweis auf Mittermaier, BayRechtspflZ 1910, S. 146. Unter Verweis auf Wulffen, in: Aschrott / v. Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, S. 142. Gutachterliche Äußerungen, S. 346. Glaser, Die Sittlichkeitsdelikte nach dem Vorentwurfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch, ZStW 1911 (31), S. 379 ff. Glaser, ZStW 1911 (31), S. 379 (S. 381). Glaser, ZStW 1911 (31), S. 379 (S. 394).

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dass „er Eltern bereits in § 247 Ziffer 1 für jede Unzuchtshandlung mit ihren minderjährigen Kindern, selbstverständlich unter Einschluß des Coitus, mit Strafe bedroht“. Dass diese Bestimmung auch auf Groß- und Stiefeltern ausgedehnt werde, habe er, Glaser, bereits befürwortet42. Die Gefahren der übrigen Inzestfälle seien „bei all ihrer Sittenwidrigkeit keineswegs so groß, dass sie einer kriminellen Repression und gar in solcher Schärfe“ bedürften. Gefahr für die Nachkommenschaft sei „wissenschaftlich nicht oder höchstens für systematische Inzucht bewiesen (bei Verschwägerten entfalle sie überhaupt gänzlich)“. Auf alle Fälle aber sei sie weit geringer als die eines straflosen Geschlechtsverkehrs von Personen mit bewusst schwerer, erblicher Belastung. Die „Reinheit des Familienlebens“ aber werde „durch andere straflose Zuchtlosigkeiten geschlechtlicher Art unter Geschwistern wie unter Aszendenten und Deszendenten wohl nicht minder besudelt als durch den Beischlaf“43.

C) Der Gegenentwurf von 1911 Nachdem einige Einzelkritiken zum VE erschienen waren, verfassten nur zwei Jahre nach Veröffentlichung des VE die Professoren Kahl, v. Lilienthal, v. Liszt und Gold44 45 schmidt den Gegenentwurf von 1911 (GE) nebst Begründung . Der GE, der nicht als Antithese zum VE, sondern vielmehr als dessen Ergänzung gedacht war46, sollte nach der Intention seiner Verfasser „die Weiterführung der großen und wichtigen Reformarbeit, und zwar auf der Grundlage des Vorentwurfs, erleichtern und beschleunigen“47 sowie die zahlreichen Kritikpunkte in gesetzlicher Form zusammenfassen48. Die Zusammensetzung der Mitarbeiter des GE entsprach in Bezug auf den Schulenstreit ebenfalls dem vermittelnden Standpunkt49.

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Hierzu äußerte Glaser sich in seinen Ausführungen zu § 247. Vgl. Glaser, ZStW 1911 (31), S. 379 (S. 392). Glaser, ZStW 1911 (31), S. 379 (S. 395). „Gegenentwurf zum Vorentwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 63 ff. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XIV. Schubert, Protokolle, Bd. 1, S. XX. Die Verfasser wählten die Bezeichnung lediglich wegen ihrer Kürze. Vgl. Vorwort zum Gegenentwurf von 1911, S. III. Vorwort zum Gegenentwurf von 1911, S. III. Kahl, DJZ 1911, Sp. 501. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 396.

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Im GE von 1911 fanden sich die Inzeststraftatbestände im fünfzehnten Abschnitt „Verletzung der Sittlichkeit“ in § 24450, ebenfalls unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“. Der § 244 GE schloss sich zwar eng an § 249 VE an, jedoch wurden der Absatz 1 des § 249 VE wieder in zwei Absätze – wie beim § 173 RStGB – aufgeteilt und die Gefängnisstrafe in Absatz 2 ohne eine Angabe der Höhe ausgesprochen. Ferner wurde getreu der Intention des GE, die Kritiken an dem VE zu berücksichtigen und umzusetzen, die fakultative Straflosigkeit der Deszendenten wieder in eine obligatorische Straflosigkeit geändert. In der Begründung wurde ausgeführt, die Aufteilung in zwei Absätze erfolgte, „um die Verschiedenheit der Bestrafung schärfer hervortreten zu lassen“, je nachdem es sich entweder um die Verwandten aufsteigender Linie (Verbrechen) oder aber um die Verwandten absteigender Linie, die Verschwägerten und die Geschwister (Vergehen) handele51. In Bezug auf die Straflosigkeit für die Deszendenten habe der GE „das geltende Recht wiederhergestellt“. Damit befinde sich der GE „im Einklang“ mit Wulffen, der mit „Recht auf das Abhängigkeitsverhältnis“ hingewiesen habe, in dem diese Personen sich den Verwandten und Verschwägerten aufsteigender Linie gegenüber befinden. Es komme die Erwägung hinzu, dass in zahlreichen Fällen der Missbrauch der jugendlichen Personen schon so früh eingesetzt habe, dass sie zunächst die sittliche und rechtliche Verwerflichkeit der Tat voll einzusehen nicht in der Lage seien und später nicht die Kraft fänden, sich dem Verkehr zu entziehen52.

D) Der Entwurf der Strafrechtskommission von 1913 Im gleichen Jahr, in dem der GE veröffentlicht wurde, stellte am 17. Juni Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg beim Kaiser einen Antrag auf Einsetzung einer Kommission, die die Strafrechtsreform unter Einbeziehung des VE sowie der diesbezüglichen Kritik fortführen und einen neuen Entwurf ausarbeiten sollte53. Die Kommission, die aus 50

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§ 244 GE: „Der Beischlaf von Verwandten aufsteigender mit Verwandten absteigender Linie wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Der Beischlaf von Verwandten absteigender mit Verwandten aufsteigender Linie und der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bestraft. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 107. Gegenentwurf, Begründung, S. 237 f. Gegenentwurf, Begründung, S. 237 f. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XV.

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sechszehn ordentlichen und zwei außerordentlichen Mitgliedern bestand54, nahm ihre Arbeit am 4. November 1911 auf und beriet bis zum 27. September 1913 über die 55 Reform des StGB . In dieser Zeit erarbeiteten die Mitglieder der Kommission in insgesamt 282 Sitzungen den Kommissionsentwurf von 1913 (KE), dem zwei Lesungen vorausgingen und eine Gesamtredaktion folgte56.

I. Erste Lesung (Entwurf 1913 I) Die erste Lesung der Kommission umfasste 207 Sitzungen57 und dauerte vom 4. November 1911 bis zum 29. Januar 1913 an58. Bei den Beratungen spielte neben dem VE auch der GE von v. Liszt, Lilienthal, Goldschmidt und Kahl eine große Rolle59. Das Ergebnis der ersten Lesung, ein erster Kommissionsentwurf (Entwurf 1913 I), 60 blieb unveröffentlicht , so dass es keine Möglichkeit zur Stellungnahme gab. Die Kommission behandelte die Inzeststraftatbestände in erster Lesung in der 158. und 193. Sitzung.

In der 158. Sitzung61 setzte sich die Kommission, wie bereits der GE, zuvörderst mit der Aufteilung des Absatzes 1 des § 249 VE in zwei Absätze auseinander. Der entsprechende Antrag62, der nach der Kommission „ausschließlich redaktionelle Bedeutung hatte“, wurde ohne weitere Erörterung angenommen63. Anschließend setzte sich die Kommission mit dem Antrag Kahls auseinander, bei § 249 Absatz 2 VE, wie ebenfalls bereits im GE gefordert, das geltende Recht in Bezug auf die Straflosigkeit der Deszendenten wieder 54

55 56 57 58 59 60 61 62 63

Der Kommission gehörten an für das Reich v. Tischendorf, Joël, Ebermayer (Reichsgerichtsrat, später Oberreichsanwalt); für Preußen Lucas (Kommissionsvorsitzender), Schulz, Cormann, Lindenberg (Kammergerichtsrat), Kleine (Kammergerichtsrat) und Friedmann (Rechtsanwalt); für Bayern Meyer; für Sachsen v. Feilitsch; für Württemberg v. Rupp; für Baden Duffner, für Hessen Rüster; für Elsaß-Lothringen Pfersdorff; für Hamburg Niemeyer. Somit waren alle größeren im Justizausschuss des Bundesrats vertretenen Staaten sowie die Anwaltschaft vertreten. Die Rechtslehre wurde repräsentiert durch die Professoren Kahl, Frank und v. Hippel, allesamt Anhänger der vermittelnden Meinung im Schulenstreit. Nach dem altersbedingten Ausscheiden des ursprünglichen Kommissionsvorsitzenden Lucas wurde der Vorsitz in der 2. Lesung von Kahl übernommen. Vgl. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XV f. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XV f. v. Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 363 Fn. 3. 81 entfielen auf die Beratung des AT und 126 auf die des BT. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XV. Schubert, Protokolle, Bd. 1, S. XX. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XVI. 158. Sitzung vom 23. Juli 1912. Abgedruckt bei Schubert, Protokolle, Bd. 3, S. 147 ff. Nach Schubert, Protokolle, Bd. 3, S. 625 kam der Antrag von Kahl und Meyer. Schubert, Protokolle, Bd. 3, S. 154.

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herzustellen, indem anstelle der fakultativen Straflosigkeit „können straflos gelassen werden“ die obligatorische Straflosigkeit „bleiben straflos“ verwendet werde64. Kahl argumentierte, dass die in der Begründung des VE beschriebenen Fälle, in denen z.B. ein der Altersgrenze von achtzehn Jahren nahestehender Verschwägerter absteigender Linie der Verführer und besonders strafwürdig sei, äußerst selten seien und die Verschärfung gegenüber dem geltenden Recht nicht rechtfertigen könnten. Andererseits sei zu fragen, ob nicht die Grenze für die unbedingte Straflosigkeit mit dem Österreichischen VE (§ 271 Absatz 4) auf sechzehn Jahre herabzusetzen sei, denn es sei für die Regelfälle anzunehmen, dass Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie zwischen sechzehn und achtzehn Jahren nicht nur volle Einsicht in die Verwerflichkeit des blutschänderischen Geschlechtsverkehrs hätten, sondern auch nicht mehr in einem so zwingenden Abhängigkeitsverhältnis ständen, dass man sie unter allen Umständen unverantwortlich lassen müsse. Zudem komme ihnen in jedem Falle noch der besondere Strafmilderungsgrund des jugendlichen Alters zugute65. Die Kommission beschloss jedoch mit fünf gegen vier Stimmen, es bei der Fassung des VE zu belassen. Die Mehrheit war der Ansicht, dass die Straflosigkeit nicht zwingend vorgeschrieben werden dürfte, da man mit solchen Fällen, wie die Begründung zum VE sie erwähne, rechnen müsse. In nicht strafwürdigen Fällen würden die Gerichte sicherlich von Strafe absehen. Überdies würde die Beschränkung der Straflosigkeit auf Personen bis sechzehn Jahren andererseits, auch wenn sie in diesem Umfange zwingend bestimmt würde, eine Verschärfung des VE bedeuten, die zu Härten führen könnte66. Den Antrag von v. Feilitsch, im Absatz 2 des § 249 statt „vollendet hat“ zu sagen „vollendet hatte“ – er wollte damit ausdrücken, dass das Alter zur Zeit der Tat entscheidend sei –, trat die Kommission ohne weitere Erörterung bei67. Schließlich wurde die Strafdrohung des VE, unter dem Hinweis, dass der § 173 Absatz 3 RStGB neben der Gefängnisstrafe auch auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkenne und diese Vorschrift im § 249 VE fehle, sie jedoch nicht ausgeschlossen sei, da nach § 82 des AT, soweit nicht das Gegenteil bestimmt sei, die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte neben Gefängnisstrafe unter gewissen Umständen ganz allgemein zulässig sei, ohne Erörterung einstimmig angenommen68.

64 65 66 67 68

Schubert, Protokolle, Bd. 3, S. 155. Schubert, Protokolle, Bd. 3, S. 155. Schubert, Protokolle, Bd. 3, S. 155. Schubert, Protokolle, Bd. 3, S. 155. Schubert, Protokolle, Bd. 3, S. 155 und S. 626.

Fünftes Kapitel: Beginn der Strafrechtsreform

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In der 193. Sitzung69 hatte die Redaktionskommission zu den §§ 243 ff. VE, damit also auch für die hier interessierende Regelung des § 249 VE, vorgeschlagen, das Wort „Beischlaf“ stets durch „Geschlechtsverkehr“ zu ersetzen. Zu Gunsten dieses Vorschlags wurde auf die früheren sprachlichen Beanstandungen des Wortes „Beischlaf“ verwiesen70. „Geschlechtsverkehr“ treffe sprachlich das Richtige, könne auch infolge der Verwendung neben dem weiteren Begriffe der unzüchtigen Handlung (§ 244) nicht missverstanden werden. Der Vorschlag wurde jedoch nach kurzer Aussprache mit acht gegen sechs Stimmen abgelehnt. Von Seiten der Mehrheit wurde ausgeführt, dass, wenn auch die Gegenüberstellung von Geschlechtsverkehr und unzüchtiger Handlung einen gewissen Hinweis enthalten würde, in welchem Sinne das Gesetz von Geschlechtsverkehr spreche, so doch weder hierdurch noch durch den Sprachgebrauch die enge, dem Beischlafsbegriff entsprechende Auslegung hinreichend sichergestellt sei71. Nach Abschluss der ersten Lesung fanden sich die Inzeststraftatbestände im Entwurf 1913 I unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ im 20. Abschnitt „Verletzung der Sittlichkeit“ nunmehr im § 29772 und stellten, indem die Aufteilung des Absatzes 1 des GE und die fakultative Straflosigkeit des VE übernommen wurden, im Ergebnis eine Mischung aus den Inzeststraftatbeständen des VE und des GE dar.

II. Zweite Lesung (Entwurf 1913 II) Die zweite Lesung der Kommission nahm 69 Sitzungen73 in Anspruch und umfasste den Zeitraum vom 10. Februar bis zum 10. September 191374. Den Kommissionsvorsitz hatte mittlerweile Kahl von Lucas übernommen, der aus Altersgründen aus der Kom69 70 71 72

73 74

193. Sitzung vom 4. Dezember 1912. Abgedruckt bei Schubert, Protokolle, Bd. 3, S. 487 ff. Hier wurde das Protokoll vom 16. und 17. Juli 1912 II c genannt. Vgl. Schubert, Protokolle, Bd. 3, S. 488. Schubert, Protokolle, Bd. 3, S. 488. § 297 E 1913 I: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden bestraft Geschwister sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Gegenüber einem Verwandten oder Verschwägerten absteigender Linie, der zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt war, kann von Strafe abgesehen werden“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 177. 33 entfielen auf die Beratung des AT und 36 auf die des BT. Schubert, Protokolle, Bd. 1, S. XX.

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mission ausgeschieden war75. In der zweiten Lesung beriet die Kommission den Entwurf 1913 I und schloss die Beratungen mit einem zweiten Entwurf (Entwurf 1913 76 II) ab . Die Inzeststraftatbestände wurden von der Kommission in der zweiten Lesung in der 262. Sitzung behandelt.

In der 262. Sitzung77 wurde zunächst festgestellt, dass die beiden ersten Absätze des § 297 Entwurf 1913 I nicht bemängelt wurden. Zum Absatz 3 des § 297 Entwurf 1913 I wurde von Ebermayer und Rüster beantragt, wie im geltenden Recht die Straffreiheit nicht in das Ermessen des Richters zu stellen, sondern, wie beim GE, obligatorisch vorzuschreiben. Die abweichende Gestaltung sei zwar im Entwurf 1913 I noch damit begründet worden, dass unter Umständen auch einmal der jüngere Teil der Verführer sein könne, solche Fälle kämen aber nur selten vor. Regelmäßig sei vielmehr der ältere Teil schuld. Jedenfalls beruhe die Tat „stets auf moralisch zerrütteten Familienverhältnissen, für die der Jugendliche nicht verantwortlich gemacht“ werden könne. Ihm gegenüber sei Fürsorgeerziehung am Platze. Die Regelung der ersten Lesung habe zudem prozessuale Nachteile, denn der Jugendliche werde, wenn er selbst der Möglichkeit einer Bestrafung ausgesetzt sei, sich von dem älteren Mittäter leichter bestimmen lassen, von einer Anzeige abzusehen oder bei der Vernehmung falsche Angaben zu machen78. Gegen diese Argumentation hielten verschiedene Mitglieder der Kommission ihren Standpunkt aufrecht, dass die Bestrafung des Jugendlichen unter Umständen, besonders wenn er nicht weit von der Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs entfernt sei, angebracht sein könne, denn das Fürsorgeverfahren würde hier zu spät kommen. Auf richtige Anwendung der Strafbefreiungsbefugnis durch den Richter könne man vertrauen. Auch prozessuale Risiken dürften nicht ausschlaggebend sein, denn die Straflosigkeit schütze den Jugendlichen nicht vor Beeinflussungen, die der ältere Teil gewöhnlich noch aus anderen und wirksameren Mitteln ausüben könne, als mit Hinweis auf die Möglichkeit einer Bestrafung. Gleichwohl nahm die Kommission den Antrag im Ergebnis mit sieben gegen sechs Stimmen an79. Unter dem Hinweis, dass auch bei der Blutschande zwischen Geschwistern die Handlung eines jugendlichen Beteiligten unter Umständen entschuldbar sein könne, z.B. bei Verführung einer jugendlichen Schwester durch einen weit älteren Bruder, beantragte Cormann, gegenüber einem noch nicht achtzehn Jahre alten Geschwisterteil das Absehen 75 76 77 78 79

Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XVI. Schubert, Protokolle, Bd. 1, S. XX. 262. Sitzung vom 8. Juli 1913. Abgedruckt bei Schubert, Protokolle, Bd. 4, S. 509 ff. Schubert, Protokolle, Bd. 4, S. 510. Schubert, Protokolle, Bd. 4, S. 510.

Fünftes Kapitel: Beginn der Strafrechtsreform

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von Strafe zuzulassen. Der Antrag fand jedoch nur bei einem Mitglied Unterstützung; die Mehrheit war der Meinung, dass insoweit die „gewöhnlichen Milderungsbefugnisse für Jugendliche ausreichen“80. Nach den vorläufigen redigierten Beschlüssen der zweiten Lesung der Strafrechtskommission, dem Entwurf 1913 II, waren die Inzeststraftatbestände im 20. Abschnitt „Verletzung der Sittlichkeit“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 297a81 vorgesehen. Bei vergleichender Betrachtungsweise zum § 297 des Entwurfs 1913 I blieben die Absätze 1 und 2 unverändert, Absatz 3 erhielt wieder die obligatorische Straflosigkeit des GE.

III. Dritte Lesung (Gesamtredaktion) In der dritten Lesung der Kommission, der Gesamtredaktion, wurde der Entwurf 1913 II in sechs Sitzungen vom 22. September bis zum 27. September 1913 erneut überarbeitet82. Am Ende der Beratungen stand der sog. Kommissionentwurf von 1913 (KE)83.

In der dritten Lesung waren die Inzeststraftatbestände nicht Gegenstand der Beratungen, sondern wurden unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 31784 des 20. Abschnitt „Verletzung der Sittlichkeit“ verschoben. Daher entsprach der § 317 KE wortgetreu dem § 297a Entwurf 1913 II. Der am 27. September 1913 verabschiedete KE wurde als Manuskript gedruckt und sollte dann dem Bundesrat als Regierungsvorlage übersandt und gemeinsam mit einer erläuternden Denkschrift veröffentlicht werden85. Wegen des Ausbruchs des Ersten 80 81

82 83 84

85

Schubert, Protokolle, Bd. 4, S. 510. § 297a E 1913 II: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden bestraft Geschwister sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, bleiben straflos“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 252. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XVI. Schubert, Protokolle, Bd. 1, S. XX. § 317 KE 1913: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden bestraft Geschwister sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, bleiben straflos“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 327. Geplant war ursprünglich die Veröffentlichung im Buchhandel für das Jahr 1915, um der Literatur eine Auseinandersetzung zu ermöglichen. Eingeholt werden sollten ferner

100

Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

Weltkriegs dauerte es aber weitere sieben Jahre, bis der KE, zusammen mit einer 86 zwischenzeitlich überarbeiteten Fassung (E 1919), im Jahr 1920 veröffentlicht wurde .

E) Der Entwurf von 1919 Nachdem, bedingt durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, die Strafrechtsreform 87 seit dem KE zunächst nicht weitergeführt worden war , wurden die Reformarbeiten am StGB im April 1918 unter dem Staatssekretär im Reichsjustizamt Krause wieder 88 89 aufgenommen . Eine kleine fünfköpfige Kommission trat zusammen, die den Auftrag zur Überprüfung des KE auf Grund der veränderten Zeitverhältnisse erhielt90. Die Kommission erarbeitete vom 15. April 1918 bis zum 21. November 1919 in insgesamt 101 Sitzungen91 den Entwurf von 1919 (E 1919)92, der jedoch im Wesentlichen auf den Beschlüssen der Strafrechtskommission von 1913 beruhte93. Auch der E 1919 trug noch keinen endgültigen Charakter, sondern stellte, wie der KE, die Überzeugung seiner Verfasser dar. Die Veröffentlichung geschah allein, um ihn der Kritik zu unterbreiten94.

Im E 1919 fanden sich die Inzeststraftatbestände im 22. Abschnitt „Sittlichkeitsverbrechen“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 31995.

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die Stellungnahmen der Reichsressorts und der Länderregierungen. Auf dieser Basis wollte man sodann einen amtlichen Entwurf aufstellen. Vgl. Denkschrift E 1919, S. 6 f. Die Veröffentlichung erfolgte gemeinsam mit dem Entwurf von 1919 unter dem Titel „Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch, veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizministeriums, Berlin 1920“. Vgl. zu den „Veränderungen im Strafrecht in der Zeit von 1914 bis 1918“ Roth, Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 bis 1918, in: Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Supplement I, S. 31 ff. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XVI. Der Kommission gehörten an Joël (Direktor im Reichsjustizamt), Ebermayer (Senatspräsident am Reichsgericht), Cormann (OLG-Präsident), Bumke (Geheimer Oberregierungsrat) und Krause (Staatssekretär des Reichsjustizamts). Weitere Mitarbeiter waren Schäfer und Kiesow (Ministerialräte). v. Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 365. Über die Sitzungen wurden „Berichte“ angefertigt, die allerdings nur die beschlossenen Änderungen festhielten; sie sind enthalten in der Akte des RMJ BA Berlin, R 3001/ 21839/5969, Bl. 1 ff. „Entwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 347 ff. Bumke, DJZ 1921, Sp. 11 (Sp. 16). v. Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 365 f. § 319 E 1919: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden bestraft Geschwister sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

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Der vom Tatbestand umfasste Personenkreis des § 319 E 1919 erfuhr im Vergleich zu den Inzeststraftatbeständen des § 317 KE sowie zu denen der vorherigen Entwürfe ab 1909 keine Änderungen. Im Vergleich zum § 317 KE fällt auf, dass in Absatz 1 das Strafmaß deutlich, und zwar um das zweifache, von fünf auf zehn Jahre Zuchthaus erhöht und anstelle der Nennung eines Alters bei der Straflosigkeit der Deszendenten im Absatz 3 die Umschreibung „jugendlich“ verwendet wurde. Zu einer Beschlussfassung über den E 1919 kam es aufgrund politischer Umstände nicht mehr, da der neue Reichskanzler Josef Wirth am 10. Mai 1921 den bis dahin 96 amtierenden Reichskanzler Fehrenbach ablöste und das Reichskabinett umbildete .

F) Denkschrift zum Entwurf von 1919 Im Rahmen der umfassenden Veröffentlichung des Jahres 1920 wurde zum E 1919 eine Denkschrift97 erarbeitet, in der auch die Überlegungen zum § 319 E 1919 zusammengefasst wurden.

Der § 319 E 1919 habe sich am § 173 RStGB orientiert und diesen Tatbestand „sachlich unverändert übernommen“. Der E 1919 habe es auch dabei gelassen, die obligatorische Straflosigkeit für die Deszendenten, „die nach dem Sprachgebrauch des Entwurfs jugendlich sind“, auszusprechen. Unter Wiedergabe der Argumentation aus der Begründung zum VE, warum die Straflosigkeit eine fakultative sein müsse98, wurde in der Denkschrift ausgeführt, dass derartige Fälle selten vorkämen und in erster Reihe hier das Interesse daran stehe, dass „dem blutschänderischen Treiben ein Ende gemacht“ werde. Darauf werde durch die Straffreiheit des jugendlichen Beteiligten hingewirkt, „denn der Jugendliche, der selbst mit einer Strafe rechnen müsste, würde sich kaum dazu verstehen, sich anderen anzuvertrauen oder der Behörde Anzeige zu erstatten“. Bei milderen Umständen, die das geltende Gesetz dazu nicht kenne, trete nach § 114 gegenüber den Verwandten aufsteigender Linie eine Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein99.

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Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. 401. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. IX f. Entwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Teil 3: Denkschrift zu dem Entwurf von 1919. Hierzu wird auf die Begründung zum VE von 1909 verwiesen. Denkschrift E 1919, S. 264.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

Bemerkungen zu der deutlichen Erhöhung der Strafdrohung in Absatz des § 319 E 1919 blieben aus100.

G) Reaktionen auf den Entwurf von 1919 Auch der E 1919 ist Gegenstand der wissenschaftlichen Kontroverse geworden. Professor Liepmann aus Hamburg verfasste „Kritische Bemerkungen zu dem Strafgesetzentwurf“101, in denen er auch die Inzeststraftatbestände kommentierte. Ihm schien „die der Tradition entsprechende Ausdehnung der Strafbarkeit der Blutschande neben As- und Deszendenten, sowie Geschwistern auf Verschwägerte auf- und absteigender Linie (§ 319) bedenklich“. Diese Straferweiterung fehle wie in den meisten Schweizer Gesetzen (z.B. Bern, Zürich, Luzern), im Schweiz. Entwurf und in Ungarn mit Recht, weil in weiten Volkskreisen der Geschlechtsverkehr mit Verschwägerten nicht als strafbar empfunden werde. Zum mindesten solle man die Strafbarkeit hier auf die Zeit beschränken, während die die Schwägerschaft begründende Ehe besteht (so Norwegen § 208 und Schaffhausen). Schließlich verwies er auf Mittermaier, der in erster Linie mit den romanischen Rechten und England für Streichung des Tatbestandes eintrete, da er nur eine Unmoral und keine besondere Gefahr darstelle, zumal die schweren Fälle (Verführung, Schändung) in anderen Tatbeständen wiederkehrten102.

H) Berichte und Gegenentwurf der Österreichischen Kriminalistischen Vereinigung Der KE sowie der E 1919 wurden auch in Österreich veröffentlicht, wo die Reform des Strafrechts im Wesentlichen den gleichen Zielen zustrebte wie in Deutschland. Die österreichische Rechtswissenschaft prüfte daher den deutschen E 1919 unter dem Gesichtspunkt, ob er nicht auch für Österreich als Grundlage für die weiteren Reformarbeiten geeignet sei103. Die Inzeststraftatbestände waren Gegenstand der Berichte 100 Nach Palmen, Der Inzest, S. 81 Fn. 6 besteht die Möglichkeit, dass sich der E 1919 in dieser Beziehung der schweizerischen Regelung angeschlossen hat, denn seit dem schweizerischen Vorentwurf von 1908 wurde dort das Strafmaß auf 10 Jahre Zuchthaus festgesetzt (Palmen verwies auf Zürcher, Schweizer Strafgesetzbuch, Erläuterungen zum Vorentwurf vom April 1908, Bern 1914, S. 253 f.). 101 Liepmann, Die Reform des deutschen Strafrechts. Kritische Bemerkungen zu dem „Strafgesetzentwurf“, Hamburg 1921. 102 Liepmann, a.a.O., S. 112 f. 103 Der Österreicher Graf Wenzel Gleispach rief 1906 nach dem Vorbild der Deutschen Landesgruppe der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung die Österreichische Kriminalistische Vereinigung (ÖKV) ins Leben, die sich die Rechtsangleichung des

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und Abänderungsvorschläge bei der ersten Tagung der ÖKV vom 13. bis 15. Oktober 1921104. „Sittlichkeitsverbrechen und Verwandtes“ wurden von Dr. Siegfried Türkel besprochen.

In den Berichten und Abänderungsvorschlägen der ÖKV wurden bei der Behandlung der Inzeststraftatbestände zunächst die österreichischen Tatbestände dem § 319 E 1919 gegenübergestellt. So strafe das herrschende österreichische Gesetz Unzucht zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern, mit dem Ehegenossen der Eltern, der Kinder oder Geschwister als Übertretung mit ein bis drei Monaten Arrest, der nach Umständen verschärft werden solle. Nach Türkel war man „in Österreich mit dieser Bestimmung stets ganz gut angekommen und die Bestrafung des Beischlafs zwischen Geschwistern mit Gefängnis bis zu zwei Jahren entspräche nicht dem in Österreich derzeit herrschenden Rechtsempfinden des Volkes.“

Blutschande zwischen Verschwägerten solle nach Anschauung mehrerer Autoren nur strafbar sein, wenn die Tat während der Ehe begangen sei. Andere Autoren wollten die Fälle der strafbaren Blutschande zwischen verschwägerten Personen durch Aufzählung der Grade der Schwägerschaft eingeschränkt wissen. „Endlich“ werde auch die Ansicht vertreten, Blutschande zwischen Verschwägerten solle straflos bleiben. Eine Einschränkung der Bestimmungen des § 319 des deutschen Entwurfs rücksichtlich der „Verschwägerten“ hielt Türkel für „rätlich“105. Bereits 1920 wurde ein „Österreichischer Gegenentwurf zu dem Allgemeinen Teil des Ersten Buches des Deutschen Strafgesetzentwurfes vom Jahre 1919“106 ausgearbeitet, der den deutschen Entwürfen zur Seite gestellt und Mitte 1922 veröffentlicht werden konnte107. Der BT wurde zwar nicht als Entwurfsfassung erstellt108, die Österreichi-

104 105 106 107 108

deutschen und österreichischen Rechts zum Ziel gesetzt hatte. 18 Berichterstatter erörterten den deutschen E 1919 in dreiundzwanzig Vorträgen auf seine Tauglichkeit bezogen auf österreichische Verhältnisse und legten zahlreiche Änderungsvorschläge vor. Die Leitung der Tagungen oblag Ferdinand Kadečka, dem Leiter der Abteilung Strafrecht im Justizministerium. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd 1, S. 117 f. und Gleispach, Der Deutsche Strafgesetz-Entwurf, S. 5 (Vorwort). Die Beiträge der Referenten zum Besonderen Teil wurden von der ÖKV zunächst nur als Tagungsberichte zusammengefasst und in Buchform veröffentlicht. Vgl. Gleispach, Der Deutsche Strafgesetz-Entwurf, Leipzig 1921. Türkel, in: Gleispach, Der Deutsche Strafgesetz-Entwurf, S. 165. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. 115 ff. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XI. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 406.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

schen Gegenvorschläge zum BT samt Begründung109 gleichwohl im Juli 1922 nach Berlin gesandt110.

Der Österreichische Gegenvorschlag zu § 319 des deutschen E 1919 fand sich im 22. Abschnitt „Straftaten gegen die Sittlichkeit“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ im § 322111. Große Unterschiede brachte der Gegenvorschlag nicht hervor. Die Strafe für die Aszendenten unterschied sich allein dadurch, dass der Österreichische Gegenvorschlag strenges Gefängnis anstelle des Zuchthauses vorsah. Der zweite Absatz, der den Inzest für die Deszendenten sowie Geschwister und Verschwägerte inkriminierte, wurde wortgetreu übernommen. Der einzige nennenswerte Unterschied ist im Absatz 3 auszumachen. Dort wurden Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie nur dann für straffrei erklärt, wenn sie zur Tat verführt worden sind. Ein weiterer hier interessierender Tatbestand, der durch die Österreichischen Gegenvorschläge zum BT des deutschen Strafgesetzentwurfs hervorgebracht wurde, ist der § 323112 („Unzucht mit Verwandten absteigender Linie“), der aber explizit die Unzucht und nicht den Beischlaf mit dem Deszendenten bestraft, somit unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs einzuordnen ist. In der Begründung113 wurde zum § 322 ausgeführt, dass die Straflosigkeit der Verwandten und Verschwägerten absteigender Linie nur dann gerechtfertigt erscheine, wenn sie zur Zeit der Tat verführt worden sind. Hierzu wurde auf den OeVE von 1912, § 271 letzter Absatz und SchwVE, Art. 180 Z. 3 verwiesen, die beide die Grenzen der Straflosigkeit enger zögen114. 109 Die Gegenvorschläge sowie deren Begründung zum besonderen Teil des deutschen Strafgesetzentwurfes blieben zwar ungedruckt, finden sich aber in der Akte BA Berlin, R 3001/21822/5915. 110 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XI Fn. 17. 111 § 322 der Gegenvorschläge Österreichs: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit strengem Gefängnis bis zu zehn Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden bestraft, Geschwister, sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind nicht strafbar, wenn sie zur Tat verführt worden sind“. Abgedruckt in der Akte BA Berlin, R 3001/21822/5915, Bl. 10 f. 112 § 323 der Gegenvorschläge Österreichs: „Wer mit einem Blutsverwandten absteigender Linie Unzucht treibt, wird mit strengem Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft“. Abgedruckt in der Akte BA Berlin, R 3001/21822/5915, Bl. 11. 113 Zusätzlich zur Begründung verfasste Kadečkas Bemerkungen, abgedruckt in der Akte BA Berlin, R 3001/21823/5917. Die Bemerkungen zur Begründung zum Strafgesetzentwurf beinhalten jedoch keine Ausführungen zu den Inzeststraftatbeständen. 114 Vgl. die Akte BA Berlin, R 3001/21822/5915, Bl. 25.

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Zu § 323 wurde bemerkt, er möchte die Unzucht mit Blutsverwandten absteigender Linie, weil sie nicht bloß den Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses, sondern auch ein Delikt gegen die Familie darstelle, von den Übrigen im § 319 des deutschen Entwurfes behandelten, minder strafwürdigen Fällen absondern und die letzteren im § 323 einreihen. Hierzu wurde auf den Österreichischen Entwurf von 1912, §§ 272, 273 verwiesen115.

I) Zusammenfassung und Fazit Die Inzeststraftatbestände haben seit Beginn der Strafrechtsreform im Jahr 1906, d.h. vom § 249 VE 1909 bis zum § 319 E 1919, erneut nur unwesentliche Änderungen erfahren. Der vom Tatbestand erfasste Personenkreis, insofern er Aszendenten, Deszendenten, Geschwister und Verschwägerte erfasste, blieb in dieser Epoche unverändert. Anders ist die Entwicklung der ausgesprochenen Strafen zu beurteilen. Schwerpunkt der Reformen war die Straflosigkeit der Deszendenten. Der § 249 VE sah für die Deszendenten nur eine fakultative Straflosigkeit vor. Unter Bezugnahme auf das Abhängigkeitsverhältnis der Deszendenten widersprach der § 244 GE diesen Überlegungen und kehrte zu den Regelungen des § 173 RStGB zurück. Bei den Entwürfen der Strafrechtskommission von 1913 wurde zwar in der ersten Lesung – § 297 Entwurf 1913 I – erneut die Änderung zur fakultativen Straflosigkeit angeregt, konnte sich aber mit Beginn der zweiten Lesung – § 297a Entwurf 1913 II sowie § 317 KE 1913 – bis einschließlich des § 319 E 1919 nicht durchsetzen. Erwähnung verdient, dass die in den Reaktionen auf den § 249 VE geäußerte Forderung nach einer Abmilderung der harten Strafen kein Gehör fand, ganz im Gegenteil der § 319 E 1919 das Strafmaß für die Aszendenten – ohne jede Begründung – auf zehn Jahre Zuchthaus verdoppelte. Ferner schlug Österreich als Reaktion auf § 319 E 1919 vor, für die Deszendenten das Erfordernis des Verführtseins zu implementieren. Begründet wurden die Inzeststraftatbestände in dieser Epoche vornehmlich damit, dass sie einen „Angriff auf das sittliche Wesen der Familie“ bildeten. Ferner verlange die „Gefahr für die Nachkommenschaft“ und für die „sittliche Gesundheit des Familienlebens“ seine Bestrafung. Beim Inzest in Schwägerschaftsverhältnissen sei hingegen die „Erhaltung der Reinheit des Familienlebens“ vordergründig. Inwieweit die vorstehenden Änderungen sowie die Gegenvorschläge Österreichs auf den E 1919 Grundlage und auch Gegenstand der weiteren Reformdiskussion und Gesetzgebung waren, wird im folgenden Kapitel beleuchtet. 115 Vgl. die Akte BA Berlin, R 3001/21822/5915, Bl. 25.

Sechstes Kapitel: Weimarer Republik A) Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1922 (Entwurf Radbruch) Nachdem der DJT im Jahr 1921 die Strafrechtsreform angemahnt und der Strafrechtsprofessor Gustav Radbruch1 in der neuen Regierung des Reichskanzlers Josef Wirth am 26. Oktober 1921 das RMJ übernommen hatte, wurde ab April 1922 die Strafrechtsre2 3 form in der Weimarer Republik erneut vorangetrieben . Radbruch beriet zwischen dem 8. April und 15. Juni 1922 mit seinen Mitarbeitern Bumke, Kiesow und Schäfer auf 4 Grundlage des E 1919 über die Fortentwicklung des StGB . Zudem fanden im Juni 1922 in Berlin Beratungen zwischen Radbruch und dem Staatsreferenten im österreichischen BMJ, Ferdinand Kadečka, über den AT und im August 1922 über den BT statt. Hintergrund war, dass Kadečka im Rahmen der geplanten Rechtsangleichung des deutschen und österreichischen Strafrechts zunächst einen Gegenentwurf zum AT und sodann auch Gegenvorschläge zum BT des E 1919 verfasst und diese schrittweise seit 5 Oktober 1921 nach Berlin übersandt hatte . Das Ergebnis der Beratungen war der 6 später nach Radbruch benannte „Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches“ (Entwurf Radbruch)7, der am 13. September 1922 der Reichsregierung als 1 2 3 4

5 6

7

Gustav Radbruch (1878–1949), Hauptwerk: Rechtsphilosophie (1932). Textauszug bei Vormbaum, Strafrechtsdenker der Neuzeit, S. 543 ff. (mit Literaturhinweisen im Anhang). Vgl. zur Strafrechtsreform der Weimarer Republik Rasehorn, Weimar und die Strafrechtsreform, in: Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Supplement I, S. 38 ff. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. X. Über die Beratungen wurden keine Protokolle angefertigt, sondern lediglich kurze Aufzeichnungen über die jeweiligen „Ergebnisse des Vortags“ (beim Minister), die in der Akte des RMJ (BA Berlin, R 3001/21777/5811, Bl. 106 ff.) enthalten sind. Vgl. zu biographischen Informationen zu den genannten Mitarbeitern des RMJ Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XXIV ff. Zu den Änderungsvorschlägen zum BT wurde keine Entwurfsfassung erarbeitet, infolgedessen sie im Gegensatz zu denen des AT ungedruckt blieben. Sie finden sich aber in der Akte BA Berlin, R 3001/21822/5915 und wurden bereits oben dargestellt. Der Entwurf wurde erst dreißig Jahre später (1952) unter dem Titel „Gustav Radbruchs Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches (1922)“ mit einem Geleitwort vom Bundesjustizminister Dr. Thomas Dehler und einer Einleitung von Professor Dr. Eberhard Schmidt veröffentlicht. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. 145 ff. Vgl. zum Entwurf Radbruch Goltsche, Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch), Berlin 2009 in dieser Schriftenreihe.

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Kabinettsvorlage übersandt wurde8. Die „Bemerkungen“9 zu diesem Entwurf stammen von Radbruch selbst, nehmen jedoch nur knapp zu den jeweiligen Tatbeständen Stellung.

Im Entwurf Radbruch waren die Inzeststraftatbestände im 20. Abschnitt „Unzucht“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 25610 geregelt. Auch wenn der Entwurf Radbruch auf der Grundlage des E 1919 entstand, sind bei vergleichender Betrachtung der Inzeststraftatbestände einige Änderungen auszumachen. In Bezug auf den vom Tatbestand erfassten Personenkreis wurden in Absatz 2 und 3 des § 256 Entwurf Radbruch Verschwägerte fortgelassen. Hinsichtlich des Strafausspruchs ist, entsprechend dem AT des Entwurfs, in Absatz 1 des § 256 die Zuchthausstrafe in strenges Gefängnis geändert worden, wobei die Strafhöhe unverändert blieb. Der Absatz 3 des § 256, der die Straflosigkeit für die Deszendenten vorsah, wurde insoweit ergänzt, als durch das Fortlassen der Worte „in absteigender Linie“ Geschwister erfasst wurden. Damit Straflosigkeit eintrat, mussten die „Jugendlichen“ verführt worden sein, eine Änderung, die auf die Gegenvorschläge Österreichs zurückging. Ebenfalls ging auf die Gegenvorschläge Österreichs – ebendort § 323 – unter der Paragraphenüberschrift „Unzucht mit minderjährigen Abkömmlingen“ der neu eingeführte § 25711 zurück, nach dem die Unzucht mit minderjährigen Deszendenten mit strengem Gefängnis bis zu zehn Jahren sanktioniert wurde. Diese Regelungen sind nicht neu, sondern fanden sich vorher unter dem Paragraphen, der auch die Unzucht der Adoptiveltern, Stiefeltern, Großeltern,

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Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XVIII. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. 188 ff. § 256 Entwurf Radbruch: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit strengem Gefängnis bis zu zehn Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei, wenn sie zu der Tat verführt worden sind“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 42. § 257 Entwurf Radbruch: „Wer, abgesehen von den Fällen des § 256, mit einem minderjährigen Verwandten absteigender Linie Unzucht treibt, wird mit strengem Gefängnis bis zu zehn Jahren bestraft“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 42.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

Pflegeeltern, Vormünder und Pfleger etc. bestrafte. Neu ist allein, dass die Regelung isoliert wurde und auch auf die Inzeststraftatbestände verwies12. Verwunderlich ist, dass die Bemerkungen Radbruchs keine Ausführungen zu den Inzeststraftatbeständen enthielten, infolgedessen auch die in § 256 Entwurf Radbruch übernommene Strafhöhe von zehn Jahren für die Aszendenten abermals unkommentiert blieb. Trotz wiederholten Bemühens schaffte es Radbruch nicht, während seiner ersten Amtszeit seinen Entwurf vom Reichskabinett verabschieden zu lassen13. Vielmehr kamen die Reformbestrebungen fast gänzlich zum Erliegen, als das RMJ am 23. November 1922 von Rudolf Heinze übernommen wurde, und dieser in der Strafrechtsreform keine Initiativen ergriff14. In der Zwischenzeit waren zwar Anträge mehrerer Reichsministerien zum Entwurf Radbruch eingegangen, infolge derer im Mai 1923 die Materien und Tatbestände, bei denen eine Änderung im Reichskabinett zu erwägen war, zusammengestellt wurden15. In Bezug auf die Inzeststraftatbestände ist dort jedoch unter der Nr. 17 allein bemerkt worden, dass „in der Vorschrift gegen Blutschande (§ 256) abweichend von dem Entwurf 1919 (§ 319) der Tatbestand des Beischlafs 16 zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie fortgefallen“ sei .

B) Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1925 (Reichsratsvorlage) Als Radbruch ab dem 13. August 1923, nunmehr im Kabinett Gustav Stresemann, erneut als Reichsjustizminister fungierte, schritten die Reformbemühungen abermals 17 18 voran . Radbruch legte seinen Entwurf mit der Bitte um alsbaldige Verabschiedung 19 dem Kabinett vor und fügte einige Änderungsvorschläge bei. Die Inzeststraftatbestände waren hiervon jedoch nicht betroffen. Um die politische Durchsetzbarkeit seines Entwurfs zu gewährleisten, schlug Radbruch kurz vor Beendigung seines Amtes eine 12

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19

Da die Regelungen insgesamt aber nicht neu und unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauchs einzuordnen sind, soll dieser Tatbestand, der – so sei vorweggenommen – auch in den nächsten Entwürfen bis zum Entwurf von 1939 übernommen wurde, im Folgenden keine Beachtung finden. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XII. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XII. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XII ff. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XIII. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XIV. Radbruch strebte eine rasche Wiederaufnahme der Reformarbeiten an, um zu verhindern, dass Österreich bei weiterer Verzögerung der Strafrechtsreform in die Notwendigkeit versetzt werden würde, zu einer umfassenden Novellengesetzgebung auf dem Gebiete des Strafrechts überzugehen. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XIV. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XIV ff.

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Besprechung mit den Parteien (Kahl, Schiffer, Rosenfeld, Spahn) vor20, die jedoch nicht mehr stattfand. Sowohl das politische als auch das gesetzgeberische Interesse war zu 21 stark auf die brisanten außen- und innenpolitischen Geschehnisse gerichtet, als an eine Umsetzung der strafrechtlichen Reformbemühungen zu denken gewesen wäre22. Schließlich wurde Stresemann am 23. November 1923 durch ein Misstrauensvotum des Reichstages gestürzt, so dass eine Fortführung der Strafrechtsreform vorläufig gescheitert war23. In der Folgezeit übernahm am 30. November 1923 Erich Emminger das RMJ24, der jedoch keinen nennenswerten Einfluss auf die Strafrechtsreform hatte. Erst mit der Übernahme des RMJ durch den Staatssekretär Kurt Joël im April 1924 schritt die Strafrechtsreform wieder ernsthaft voran25. Joël veranlasste die Überarbeitung des Entwurfs Radbruch und leitete ihn am 15. Juli 1924 der Reichsregierung zu26. In einem begleitenden Schreiben wies Joël auf die fortbestehende Notwendigkeit der Reform 27 28 hin und fügte als Anlage eine Umschreibung der grundsätzlichen Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf von 1922 bei. Unter der Nummer 9 war dort aufgeführt, dass „der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie als Blutschande (§ 256) strafbar“ bleibe29. Schließlich verabschiedete das Kabinett die Vorlage am 12. November 1924 ohne nähere Auseinandersetzung, da es davon ausging, „daß die Beratung im Reichsrat noch Gelegenheit geben werde, zu Einzelfragen Stellung zu nehmen“30. Der Entwurf wurde sodann am 17. November 1924 mit amtlicher Begründung, an der auch Kadečka mitgewirkt hatte, übersandt und im Reichsrat 31 32 eingebracht und 1925 durch eine Buchausgabe als Entwurf von 1925 (E 1925) der 33 Öffentlichkeit allgemein zugänglich gemacht .

Im E 1925 fanden sich die Inzeststraftatbestände im 21. Abschnitt „Unzucht“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 26334. Sie erfuhren im 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XVI. Knapp-Putsch 1920, Ruhrkrise, Oberschlesienfrage, Hitler-Putsch in München 1923, Inflation. E 1925, Begründung, S. 3. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XIX. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XVI. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XIX. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XVI. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XX Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XVII f. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XVII. Ebermayer, DJZ 1926, Sp. 1307 (Sp. 1309). Reichstags-Drs. 1924, Nr. 174. „Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. 199 ff. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XVIII. § 263 E 1925: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.

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Vergleich zu denen des Entwurfs Radbruch zwar nur wenige, gleichwohl bedeutsame Änderungen. Hinsichtlich des vom Tatbestand erfassten Personenkreises wurden die Absätze 2 und 3 abermals auf Verschwägerte ausgedehnt und beim Strafausspruch in Absatz 1 die strenge Gefängnisstrafe bei gleichbleibender Strafhöhe wieder durch die Zuchthausstrafe ersetzt. In der Begründung zum E 1925 wurde der § 263 vornehmlich mit § 173 RStGB verglichen. Der Tatbestand sei gegenüber dem geltenden Recht nur insofern verändert worden, als die Frage der Straffreiheit für die jugendlichen Beteiligten anders geregelt sei. Sie komme bisher nur den jugendlichen Verwandten und Verschwägerten absteigender Linie zugute. Diese Beschränkung sei weggefallen und die Straffreiheit damit auch für den Fall der Blutschande zwischen Geschwistern auf den Geschwisterteil, der zur Zeit der Tat jugendlich war, ausgedehnt35. Andererseits solle die Straffreiheit den Verwandten und Verschwägerten, die zur Zeit der Tat jugendlich, also noch nicht achtzehn Jahre alt waren, nur dann gewährt werden, wenn sie zu der Tat verführt worden sind36. Denn bei Verschwägerten und bei Geschwistern könne der Fall so liegen, „dass der Jugendliche selbst der Verführer“ sei und daher als schuldig und strafwürdig erscheine. Bei einer solchen Sachlage liege „kein Grund vor, ihn grundsätzlich straffrei zu lassen“. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass nach dem JGG Kinder unter vierzehn Jahren nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden könnten und dass für Personen, die zur Zeit der Tat über vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt seien, die Vorschriften jenes Gesetzes die nötigen Handhaben böten, um von unangebrachten Strafverfolgungen und Bestrafungen abzusehen37. In Bezug auf die Strafdrohung wurde erstmals zu der seit § 319 E 1919 deutlich erhöhten (Zuchthaus)Strafe für die Aszendenten Stellung genommen. Sie sei „mit Rücksicht auf die besondere Verwerflichkeit der Handlung“ auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren erhöht worden38.

35 36 37 38

Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte und Verschwägerte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei, wenn sie zu der Tat verführt worden sind“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 105. E 1925, Begründung, S. 133. E 1925, Begründung, S. 133. E 1925, Begründung, S. 133 f. E 1925, Begründung, S. 134.

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C) Reaktionen auf den Entwurf von 1925 Die Öffentlichkeit nahm zu dem E 1925 in großem Umfang Stellung. So erschien bspw. im Jahr 1926 die kritische Besprechung des Amtlichen Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs auf Veranlassung der Deutschen Landesgruppe der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (Kritische Besprechung)39 sowie im Jahr 1927 der Gegenentwurf des Kartells für Reform des Sexualstrafrechts nebst Begründung (Gegen-Entwurf)40. Weitere hier interessierende Reaktionen sind die Abhandlung von Kaeferlein41 aus dem Jahr 1926 sowie Aufsätze von Kronecker42 und v. Lilient43 hal aus dem Jahr 1927.

I. Kritische Besprechung In der kritischen Besprechung des E 1925 sprach sich Aschrott für eine Einschränkung der Inzeststraftatbestände aus. Es sei „zu weitgehend, wenn im § 263 als Blutschande auch der Beischlaf unter Verschwägerten auf- und absteigender Linie bestraft“ werde. Abgesehen davon, dass der Ausdruck „Blutschande“ auf diese Fälle nicht passe, da hier von einer naturwidrigen Blutvermischung nicht die Rede sein könne, treffe „der in der Begründung für die Bestrafung angeführte Grund, Schutz der Sittenreinheit und der Familie, jedenfalls dann nicht zu, wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet wurde, bereits gelöst“

sei. Auch liege der für die Strafbarkeit angeführte Grund überhaupt bei Verschwägerten zu fern, um die Bestrafung zu rechtfertigen. Bei der ganzen Bestimmung dürften religiöse Gedanken, die sich auf frühere kirchliche Eheverbote stützen, eine Rolle gespielt haben44. Eine weitere hier interessierende Stimme ist die von Kronecker, der die Abschnitte 21 bis 25, also auch den 21. Abschnitt Unzucht, kommentierte. Die Blutschande hätte in Abschnitt 23 verwiesen werden können, „da hier die Sittlichkeitsverletzung gegen die Gefährdung des Familienlebens zurücktrete“45. Den Neuerungen des § 263 sei zwar grundsätzlich zuzustimmen, dies 39 40 41 42 43 44 45

Hrsg. von Aschrott / Kohlrausch. Hrsg. vom Kartell für Reform des Sexualstrafrechts. Kaeferlein, Der Inzest, Geltendes Recht und Strafrechtsreform. Kronecker, Die Sittlichkeitsverbrechen im Amtlichen Strafgesetzentwurf, ZStW 1927 (47), S. 568 ff. v. Lilienthal, Sexualität und Strafrecht, Zeitschrift für Sexualwissenschaft 1927, S. 49 ff. Aschrott, in: Aschrott / Kohlrausch, Reform des Strafrechts, S. 225. Kronecker, in: Aschrott / Kohlrausch, Reform des Strafrechts, S. 325.

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jedoch mit der Einschränkung, „Verschwägerte straflos zu lassen, wenn die Ehe, auf welcher die Schwägerschaft beruht, nicht mehr besteht“46. Denn der „einzige hier denkbare Strafgrund – die Zerrüttung des Familienlebens – fällt dann weg“. Am Ende verwies Kronecker, jedoch ohne Kommentierung, auf Mittermaiers Vergleichende Darstellung, in der dieser den ganzen Tatbestand zur Streichung empfehle47.

II. Gegen-Entwurf des Kartells für Reform des Sexualstrafrechts In den Jahren 1925 bis 1927 hatte sich das Kartell für Reform des Sexualstrafrechts zur Beratung über den E 1925 zusammengeschlossen, um die mit dem Geschlechtsleben in 48 Zusammenhang stehenden Strafbestimmungen des E 1925 einer Kritik zu unterziehen. Das Kartell, in dem sich sexualreformatorische und humanitäre Vereine verbunden 49 hatten , war zu der Überzeugung gelangt, dass der E 1925 in seinem BT, soweit Sexual- und verwandte Delikte in Frage kamen, nicht den Ansprüchen genüge, die an das künftiges deutsche StGB gestellt werden müssten. Aus diesem Grunde wurde ein Gegen-Entwurf erarbeitet, der nach dem Willen der Verfasser ein innerhalb der damaligen Gesellschaftsordnung auch kurzfristig umsetzbares „Mindestprogramm“ darstellen sollte, um „eine einheitliche, humane und gerechte, die Gesellschaft und das Individuum zugleich schützende Behandlung der Sexualität durch das Strafrecht“ zu gewährleisten50. Ausgangspunkt des Gegen-Entwurfs war die Überzeugung, dass auf dem Gebiete des Geschlechtslebens als Interessen, deren Schutz durch Strafdrohung angestrebt werden soll, nur die freie Selbstbestimmung des Menschen, die Gesundheit des Menschen und der Schutz des Geschlechtsunreifen in Frage kommen könnten51.

In dem Gegen-Entwurf fanden sich die hier interessierenden Tatbestände im 21. Abschnitt „Verbotene geschlechtliche Handlungen“ unter der Paragra46 47 48

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50 51

Kronecker, in: Aschrott / Kohlrausch, Reform des Strafrechts, S. 327. Kronecker, in: Aschrott / Kohlrausch, Reform des Strafrechts, S. 327. „Gegen-Entwurf zu den Strafbestimmungen des Amtlichen Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs über geschlechtliche und mit dem Geschlechtsleben im Zusammenhang stehende Handlungen (Abschnitte 17, 18, 21, 22 und 23) nebst Begründung herausgegeben vom Kartell für Reform des Sexualstrafrechts, Berlin 1927“. Das Kartell setzte sich aus den folgenden Institutionen zusammen: Abteilung für Sexualreform am Institut für Sexualwissenschaft (Berlin), Wissenschaftlich-humanitäres Komitee e.V. (Berlin), Bund für Mutterschutz und Sexualreform e.V. (BerlinNikolassee), Deutsche Liga für Menschenrechte (Berlin), Gesellschaft für Geschlechtskunde (Berlin), Gesellschaft für Sexualreform (Berlin) und Verband Eherechtsreform (Berlin-Königswusterhausen). Vgl. Gegen-Entwurf, Vorwort, S. 6. Gegen-Entwurf, Vorwort, S. 5. Wo neben und außer diesen drei Gruppen rechtsschutzwürdiger Interessen das „Gemeinwohl“, das „Rechtsbewußtsein“, die „sittlichen Grundanschauungen“, das „sittliche Empfinden“, das „sittlichen Gefühl“ „des Volkes“, die „Reinheit des Volkslebens“ als Rechtsgüter angeführt werden, ersetzen diese unklaren Begriffe lediglich das fehlende stichhaltige Argument. Vgl. Gegen-Entwurf, Einl., S. 8.

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phenüberschrift „Beischlaf zwischen Verwandten“ in § 26352 und wiesen gegenüber dem § 263 E 1925 deutliche Unterschiede auf. Aus dem vom Tatbestand erfassten Personenkreis sind Deszendenten und Geschwister sowie Verschwägerte gänzlich herausgefallen53. In Bezug auf die Strafdrohung ist bei dem verbleibenden Inzest zwischen Aszendenten die Strafdrohung auf zweijährige Gefängnisstrafe bzw. sofern der Verwandte das sechzehnte Jahr noch nicht vollendet hatte, auf fünfjährige Zuchthausstrafe deutlich reduziert worden; ferner wurde die Tathandlung auf „beischlafähnliche“ Handlungen erweitert. In der Begründung wurde zuvörderst ausgeführt, dass es dahingestellt bleibe, ob der Inzest an sich strafwürdig sei. Unter Verweis auf Mittermaiers Vergleichende Darstellung wurde bemerkt, dass in Frankreich z.B. lediglich das Attentat der Aszendenten auf ihre minderjährigen Deszendenten strafbar und in Holland ganz ähnlich, in Italien nur bei öffentlichem Skandal, in England und im Nordamerikanischen Common Law nur vor den geistlichen Gerichten strafbar sei54. Auch wurde festgestellt, dass die Folgen der Inzucht experimentell noch nicht genügend erforscht seien. Jedenfalls könne die Inzucht ausschließlich eine Folge inzestuöser Begattung sein, „das Gesetz also eigentlich streng unterscheiden sollte zwischen inzestuöser Begattung und inzestuösen Handlungen ohne möglichen Begattungserfolg oder mit geflissentlich verhindertem Begattungserfolg“. Überhaupt nicht von Inzuchtgefahr könne bei Verschwägerten, auch nicht bei solchen auf- und absteigender Linie, die Rede sein; deswegen müsse die Kategorie der Verschwägerten aus dem § 263 gestrichen werden55. Man habe sich, trotz gewichtigen Gründen, nicht entschließen können, das Delikt des Inzests völlig zu streichen. Dabei sei die Erwägung bestimmend gewesen, dass „kein strafrechtliches Mittel unbenutzt bleiben dürfte, jugendliche Menschen und in gewissen Fällen auch Erwachsene vor dem Mißbrauch zu schützen, den autori52

53 54 55

§ 263 Gegen-Entwurf: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht oder eine beischlafartige Handlung begeht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Hat der Verwandte das sechszehnte Jahr noch nicht vollendet, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünf Jahren“. Abgedruckt bei Gegen-Entwurf, S. 31. Kritisch Schulz, DRZ 1927, S. 422 (S. 423): „Dadurch besteht die Gefahr, dass die sittlichen Grundlagen des Gesamtwesen untergraben und das Eheleben entwertet werden“. Gegen-Entwurf, S. 36. Gegen-Entwurf, S. 36.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870 tative Persönlichkeiten, also vor allem die Eltern, mit ihrer Autorität zu treiben im56 stande sind.“

Aus diesem Grunde habe man außer der Strafe für den Verschwägerteninzest auch diejenige für den Inzest zwischen Geschwistern gestrichen, aber die Strafe für Aszendenten, die sich an ihren Deszendenten schwer vergehen (Beischlaf und beischlafartige Handlungen), aufrecht erhalten. Die Zuchthausstrafe erschien den Verfassern aber unangemessen und sie ersetzten sie durch Gefängnis bis zu zwei Jahren. Lediglich zum Schutze der Jugendlichen unter sechzehn Jahren wurde Zuchthaus (bis zu fünf Jahren) vorgesehen. Die minderschweren geschlechtlichen Handlungen zwischen Aszendenten und Deszendenten glaubte man nicht erfassen zu sollen. Soweit Kinder unter 14 Jahren die Betroffenen seien, sei ihr Schutz durch § 259 (Geschlechtliche Handlungen mit Kindern) des Gegen-Entwurfs hinreichend gewährleistet57. Während der Schlusskorrektur erschien die Reichstagsvorlage (Entwurf von 1927). Die wesentlichen den betreffenden Problemkreis berührenden Korrekturen des Reichsrats wurden in einem Nachtrag zum Gegen-Entwurf behandelt58. Ebendort wurde die durch die Reichstagsvorlage hervorgebrachte Änderung an den Inzeststraftatbeständen (Fortlassen des Verschwägerteninzests59) als „Fortschritt“60 bezeichnet.

III. Weitere Reaktionen Kronecker bemerkte, der Tatbestand der Blutschande sei aus § 173 RStGB unverändert übernommen. Die Gründe für diese schon in früheren Rechten zum Teil auf Grund kirchlicher Anschauungen vorkommenden, in die neueren Gesetzgebungen nicht durchweg übernommener Strafvorschriften seien „verschiedenartig“. Hierzu verwies er auf die Ausführungen von Mittermaier und Wulffen. Insbesondere sollten „Gefahren sowohl für die Sittenreinheit innerhalb der Familie, als auch für die Erzeugung eines gesunden Nachwuchses abgewendet werden“. Kronecker wollte zwar nicht, wie Mittermaier vorschlage, den ganzen Tatbestand streichen, auch nicht mit Dehnow61 die Geschwister fortlassen, wohl aber mit OeVE § 274, SchwVE Art. 180, Hoegel62 und Liepmann63 und dem Eventualvorschlage Mittermaiers die Ver56 57 58 59 60 61 62

Gegen-Entwurf, S. 36 f. Gegen-Entwurf, S. 37. Gegen-Entwurf, S. 82 ff. Dazu sogleich in der Darstellung des Entwurfs von 1927 (Reichstagsvorlage). Gegen-Entwurf, S. 84. Kronecker verwies auf Dehnow, ArchKrim 1923 (77), S. 23 (S. 28). Kronecker verwies auf Hoegel, DJZ 1913, S. 112 (S. 114).

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schwägerten weglassen; denn hier liege keine „Blut“schande vor64. Der einzige wirklich strafwürdige Fall, in welchem eine Gefährdung der Sittenreinheit innerhalb der Familie und gleichzeitig eine Verletzung der Obhutspflicht vorliege (Beischlaf zwischen Stiefeltern und minderjährigen Stiefkindern) sei in § 265 unter Strafe gestellt. Für die Steigerung der Zuchthaus-Höchststrafe von fünf auf zehn Jahre fehle ein „praktisches Bedürfnis“. In Absatz 3 dürften zwar nicht mit Dehnow alle „Nachkömmlinge“, wohl aber müssten mit § 173 Absatz 4 StGB alle jugendlichen Deszendenten ohne die vom AE gemachte Einschränkung für straflos erklärt werden – Kronecker verwies auf Wulffen, wobei mit diesem auch jugendliche Geschwister grundsätzlich straflos zu lassen, nicht ratsam sei; das Jugendgericht müsse hier prüfen, ob das Gefühl für die Inzestschande voll entwickelt sei –, aber auch Deszendenten über 18 Jahre straflos gelassen werden, falls sie verführt worden seien65. Kaeferlein beleuchtete den § 263 E 1925 zuvörderst in formeller Hinsicht und kritisierte die Benennung des 21. Abschnitts mit „Unzucht“. Dieser Begriff sei zwar „konkreter“ als der „sehr dehnbare und unklare“ Begriff des vorherigen 13. Abschnitts „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“, aber er enthalte nach wie vor ein „Werturteil, das in gesetzlichen Tatbeständen zu vermeiden“ sei. Er schlug die Bezeichnung „Verbrechen und Vergehen gegen die geschlechtliche Freiheit und Ordnung“ vor66. Auch bemängelte Kaeferlein die Bezeichnung des Tatbestandes als „Blutschande“, denn „mindestens mit Rücksicht auf die Fälle der Schwägerschaft widerspricht dieses altertümliche Wort unserem Rechtsempfinden“. Das Wort Inzest sei aber „als – obendrein im Volke unbekanntes – Fremdwort aus einem Strafgesetzbuch wegzulassen und man muß sich deshalb mit dem alten Ausdruck begnügen“67. Bezüglich des Strafgrundes schien es ihm zutreffend, „bei Überschreitung der Inzestschranke die sittliche und (teilweise) körperliche Gesundheit und damit den Bestand der Familie als verletzt anzusehen“. Nicht nur deshalb sei der Inzest strafwürdig, weil durch ihn „die allgemeine Sittlichkeit oder das Sittlichkeitsgefühl verletzt werden kann, sondern weil eine typische Gefahr besteht, daß die geschlechtliche Vermischung in-

63 64 65 66 67

Kronecker verwies auf Liepmann, Die Reform des deutschen Strafrechts. Kritische Bemerkungen zu dem „Strafgesetzentwurf“, S. 112. Kronecker, ZStW 1927 (47), S. 568 (S. 577 f.). Kronecker, ZStW 1927 (47), S. 568 (S. 578). Kaeferlein, Der Inzest, Geltendes Recht und Strafrechtsreform, S. 74. Kaeferlein, a.a.O., S. 74 f.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870 nerhalb einer Familie weiter um sich greift und das Familienleben untergraben 68 wird.“

Daher sei „zu fordern, daß der Tatbestand der Blutschande unter die Verbrechen und Vergehen gegen Ehe und Familie eingereiht wird“69. Weiterhin wies Kaeferlein in formeller Hinsicht auf einen „gesetzgeberischen Fehler“ hin70 und schlug daher vor, die Tatbestände dergestalt zu ändern, dass Stiefverhältnisse wieder in den Tatbestand der Blutschande (§ 263 E 1925) integriert werden71. In formeller Hinsicht bemerkte er schließlich, dass „eine klarere Fassung des Tatbestandes ferner dadurch bewirkt [worden sei], daß die Deszendenten aus dem Tatbestand des § 173 I in den Tatbestand des § 173 II verwiesen wurden, was bei dem gleichen Strafmaß für die sonst in § 173 II genannten Subjekte ohne Schaden geschehen konnte, während andererseits die besondere Schwere der Befehlung der Aszendenten zutreffend hervorgehoben wird.“

Der Gesetzgeber betone mit dieser Trennung

68 69 70

71

Kaeferlein, a.a.O., S. 76. Kaeferlein, a.a.O., S. 77. „Unsystematisch“ sei „das Verhältnis von § 263 zu § 264 einerseits, das von § 263 (Stiefeltern) zu § 265 andererseits. Während dann, wenn der Aszendent mit einem minderjährigen Deszendenten den Beischlaf vollzieht, die Strafe aus dem Tatbestande der Blutschande zu entnehmen ist, soll bei der gleichen Handlung zwischen Stiefeltern und minderjährigen Stiefkindern der Gesichtspunkt der Unzucht mit minderjährigen Pflegebefohlenen der vorherrschende sein“. Diese Regelung sei folgewidrig. „Wenn nämlich der Geschlechtsverkehr zwischen Verschwägerten schon als Blutschande angesehen wird und wenn in dem Tatbestand des § 263 I zugleich der Autoritätsmißbrauch bestraft wird, dann müßte auch bei der Bestrafung der Verschwägerten aufsteigender Linie in gleicher Weise vorgegangen werden und diese nur wegen einer Straftat gegen § 263 II schuldig gesprochen werden, wobei natürlich der Strafrahmen ebenso hoch zu bemessen wäre, wie wenn der Gesichtspunkt des § 265 vorherrschend wäre“. Vgl. Kaeferlein, a.a.O., S. 78. „1. § 263 Absatz 1: (wie bisher) Absatz 2: Satz 1: (wie bisher.) Satz 2: Ebenso werden Geschwister, sowie vorbehaltlich der Bestimmung in Abs. 3, Verschwägerte auf- und absteigender Linie bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Abs. 3: Wer mit seinem minderjährigen Stiefkind den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren bestraft. Abs. 4: Jugendliche sind straffrei, wenn sie zu der Tat verführt worden sind. 2. § 264 (Unzucht mit minderjährigen Familienangehörigen). Abs. 1: (wie bisher § 264). Abs. 2: Wer, abgesehen von den Fällen des § 263, mit seinem minderjährigen Stiefkind Unzucht treibt, wird mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren bestraft. 3. § 265: (Das Wort „Stiefeltern“ und „Stiefkind“ ist zu streichen)“. Vgl. Kaeferlein, a.a.O., S. 79.

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„richtig, daß er den Erfolg nicht als etwas von der Individualität der Beteiligten Unabhängiges bestrafen will, sondern jeden Beteiligten, für seine Handlung, seine Tat verantwortlich macht und daß nicht eine Tat der beiden notwendigen Teilneh72 mer der strafrechtlichen Beurteilung zugrundezulegen ist.“

Zur materiellen Beziehung stellte Kaeferlein zunächst heraus, welche Kritiker gegen die Bestrafung des Inzests im StGB waren, befürwortete jedoch eine solche überwiegend mit biologischen Erwägungen. „Daß sich also die unerwünschten Anlagen der Inzestverbrecher in besonderer Häufung auf die Nachkommenschaft vererben, ist vom rassenhygienischen Standpunkt aus recht bedauerlich; die vorgeschlagene Dauerasylierung unverbesserlicher schwerer Verbrecher möchten wir, da diese in mehrfacher Beziehung eine Gefahr für die Gesellschaft bilden, nur befürworten.“

Der Entwurf habe leider den eugenischen Gesichtspunkt übersehen, im Gegensatz zu vielen ausländischen, insbesondere amerikanischen Gesetzen und Entwürfen73. Konsequenterweise sei, „da also durch den Inzest zwischen Verschwägerten eine beachtliche Gefahr für Familie und Sittlichkeit nicht geschaffen wird, eine Streichung der Verschwägertengruppe aus dem Tatbestand der Blutschande zu befürworten.“74

In Bezug auf den Strafausspruch hielt er „die Erhöhung der Strafdrohung gegen Aszendenten von Zuchthaus bis zu 5 Jahren auf Zuchthaus bis zu 10 Jahren für nicht gerechtfertigt“. Man solle bedenken, daß die schweren Fälle in anderen Tatbeständen wiederkehren, wie Notzucht, Kinderschändung, Verführung und daß in solchen Fällen sich meist ein weit höherer Strafrahmen, insbesondere mit Rücksicht darauf ergebe, daß nach dem Entwurf die höchste Strafe bei Idealkonkurrenz vielfach bis um die Hälfte erhöht werden könne. Strenge Strafen seien bei Inzest „nur am Platze, wenn Mißbrauch eines familienrechtlichen Abhängigkeitsverhältnisses gegeben ist.“75. Aus diesen Überlegungen heraus schlug Kaeferlein neue Inzestregelungen vor. Der Tatbestand des Inzests solle sich als erster Paragraph unter dem Abschnitt „Verbrechen und Vergehen gegen die Ehe und Familie“ wiederfinden und folgenden Wortlaut haben: „I. Blutsverwandte auf- und absteigender Linie, sowie voll- oder halbbürtige Geschwister, die miteinander den Beischlaf vollziehen, werden mit Gefängnis bestraft. II. Wer mit einem minderjährigen Verwandten absteigender Linie den

72 73 74 75

Kaeferlein, a.a.O., S. 80. Kaeferlein, a.a.O., S. 82. Kaeferlein, a.a.O., S. 86. Kaeferlein, a.a.O., S. 92.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870 Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. III. Jugendliche sind straffrei, wenn sie zu der Tat verführt worden sind.“

Die §§ 263 und 264 sollten hingegen gestrichen werden. In § 265 Absatz 1 sollte eingefügt werden vor „Adoptiveltern, Stiefeltern“ usw. „Eltern, Großeltern“; ferner vor „Adoptivkind, Stiefkind“ usw. „Kind, Enkelkind“. In § 265 Absatz 1 sollte es statt „Unzucht treiben“ besser „eine geschlechtliche Handlung vornehmen“ heißen76. v. Lilienthal führte aus, „die Heiligkeit des Familienlebens schützt das StGB durch Bestrafung der Blutschande, § 173“. Der VE, der GE, der KE 1913 und der E 1919 hätten nur unwesentliche Änderungen vorgeschlagen. Anders stehe es mit dem E 1925. Dass er bei der eigentlichen Blutschande das Strafmaß stark erhöht hat, habe mit Rücksicht auf die Strafzumessungsgründe keine wirklich praktische Bedeutung. Dass Kinder unter 14 Jahren straflos seien, und Jugendliche bis zu 18 Jahren nach den Jugendgesetzen behandelt werden müssen, sei ebenso selbstverständlich77. v. Lilienthal kritisierte, der E 1925 habe eine sehr wichtige Frage überhaupt nicht aufgeworfen, nämlich die nach dem Verhältnis der Verschwägerten, wenn die Ehe, durch die die Verschwägerung entstand, tatsächlich oder rechtlich nicht mehr besteht. Das werde ein berechtigter Angriffspunkt gegen den E 1925 bilden, umso mehr, als schon § 180 des Schweiz. Entwurfs bei der Blutschande die Verschwägerten überhaupt nicht erwähne78.

D) Die Anträge der Länder und die Beratungen in den Reichsratsausschüssen zu dem Entwurf von 1925 Der E 1925 wurde am 17. Dezember 1924 im Reichsrat eingebracht und den Ausschüssen III (innere Verwaltung), V (Haushalts- und Rechnungswesen) und VII (Rechtspflege) überwiesen79. Beraten wurde er unter dem Vorsitz Bumkes80, damals Ministerialdirektor im RMJ, jedoch erst ab Oktober 1926, nachdem zuvor im RMJ die Änderungsvorschläge der verschiedenen Reichsministerien und Österreichs, vertreten durch Kadečka, diskutiert worden waren81. Grund für die Verzögerung war zum einen, dass die amtliche Begründung zum E 1925 erst Mitte 1925 an die Länder verteilt 76 77 78 79 80 81

Kaeferlein, a.a.O., S. 96. v. Lilienthal, Zeitschrift für Sexualwissenschaft 1927, S. 49 (S. 56 f.). v. Lilienthal, a.a.O., S. 49 (S. 57). Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. XII. Bumke war seit 1920 Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt und von 1929 bis 1945 Präsident des RG. Vgl. zur Bumkes Biographie Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XXV. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. XII.

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werden konnte und zum anderen, dass die Anträge Preußens erst am 1. Juni 1926 dem RMJ zugingen82. Grundlage für die Beratungen in den Reichsratsausschüssen waren also neben dem E 1925 auch die Anträge der Reichsregierung sowie die zahlreichen Anträge der Länder, von denen die wichtigsten nachfolgend referiert werden sollen.

Die Anträge der Reichsregierung und der an den Beratungen beteiligten Länder setzten sich allein mit der Erfassung von Verschwägerten in den Inzeststraftatbeständen des § 263 E 1965 auseinander; übereinstimmend beantragten sie im zweiten Absatz des § 263 E 1925 die Worte „sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie“ und im dritten Absatz die Worte „und Verschwägerte“ zu streichen83. Preußen führte aus, dass „die aus dem § 173 des geltenden Strafgesetzbuchs übernommene Vorschrift, wonach der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie mit Strafe bedroht wird, sich – ebenso wie das entsprechende Ehehindernis aus § 1310 BGB – vielfach als zu weitgehend und hart erwiesen“

habe. Als Beispiel wurde angeführt, dass „wenn z.B. der Stiefvater nach dem Tode seiner Frau sich mit seiner erwachsenen Stieftochter geschlechtlich einlässt (oder sie heiraten will), so wird es im Volke vielfach nicht verstanden, dass hier Strafvorschriften (und ein zwingendes Ehehindernis) entgegenstehen.“

Daher habe man vorgeschlagen, diese Vorschrift zu streichen. Strafrechtlich genüge die Vorschrift des § 265, die die Unzucht des Stiefvaters mit der tochter während der Dauer ihrer Minderjährigkeit mit schwerer Strafe bedroht84. Die Reichsregierung bemerkte dazu, dass die Streichung des Verschwägerteninzests dem Antrag Preußens entspreche, dessen Begründung sie „als zutreffend erachtet“85. Mit ebenso geringer Auseinandersetzung führte Baden aus, dass „den Anträgen der Reichsregierung zu den §§ 263, 264

82 83

84

85

Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. XII. Zusammenstellungen der Anträge des Reichs und der Länder zu dem Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, Zusammenstellung Nr. V vom 10. November 1926 Besonderer Teil (§§ 187–283). Abgedruckt in Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. 203 (S. 228). Zusammenstellungen der Anträge des Reichs und der Länder zu dem Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, Anträge und Bemerkungen Preußens vom 1. Juni 1926 (Begründung). Abgedruckt in Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. 321 (S. 329). Zusammenstellungen der Anträge des Reichs und der Länder zu dem Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, Anträge und Bemerkungen der Reichsregierung vom 10. November 1926 zu dem Besonderen Teil, Abschnitte 14 bis 23, 25, 28 (Begründung). Abgedruckt in Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. 394 (S. 405).

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

zugestimmt“ werde86. Auch Württemberg äußerte sich in dieselbe Richtung, als „den Anträgen Ziff. 50 und 51 zu den §§ 263 und 264 zugestimmt“ werde87. Letztlich wurde in den Reichsratsausschüssen festgestellt, dass der Antrag Hessens auf Wiederherstellung der früheren Fassung abgelehnt wurde88. Infolgedessen erhielt der § 263 durch die Beschlüsse der Reichsratsausschüsse in 1. Lesung die entsprechende Fassung, nach der auf die Strafbarkeit des Verschwägerteninzests verzichtet wurde89.

E) Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1927 (Reichstagsvorlage) Die auf die Beratungen in den Reichsratsausschüssen zum E 1925 folgenden Plenararbeiten des Reichsrats fanden am 5. und 13. April 1927 statt90. Nach entsprechender Umarbeitung der Entwurfsbegründung wurde der neu gefasste Entwurf am 14. Mai 1927 durch den neuen Reichsjustizminister Oskar Hergt als Reichstagsvorlage (E 1927)91 in den Reichstag eingebracht92.

Im E 1927 fanden sich die Inzeststraftatbestände im 21. Abschnitt „Unzucht“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 29093. Sie entsprachen 86

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90 91 92 93

Zusammenstellungen der Anträge des Reichs und der Länder zu dem Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, Anträge und Bemerkungen Badens vom 12. November 1926. Abgedruckt in Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. 418 (S. 424). Zusammenstellungen der Anträge des Reichs und der Länder zu dem Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, Bemerkungen Württembergs vom 16. November 1926 zu den Anträgen der Reichsregierung zum Entwurf. Abgedruckt in Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. 439 (S. 442). Niederschrift über die Beratungen des E 1925 in den Reichsratsausschüssen III, V und VII vom 15. bis 19. November 1926 (1. Lesung, Besonderer Teil, I. Hälfte). Abgedruckt in Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. 18 (S. 46). § 263 Beschlüsse der Reichsratsausschüsse in 1. Lesung: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei, wenn sie zu der Tat verführt worden sind“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. 442. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. XVIII. Reichstags-Drs. 1927, Nr. 3390. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 2, S. XVIII. § 290 E 1927: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.

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wortgetreu dem auf die Beschlüsse der Reichsratsausschüsse in 1. Lesung folgenden § 263, infolgedessen sich die Änderungen gegenüber § 263 E 1925 allein in dem Fortlassen des Verschwägerteninzests erschöpften. In der Begründung zum E 1927 wurde konstatiert, dass der Täterkreis, anders als im geltenden Recht, auf bestimmte Verwandte beschränkt sei. Die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie sei aufgegeben. Die geltende Vorschrift bringe insoweit, insbesondere „in Fällen, in denen die Schwägerschaft begründende Ehe zur Zeit der Tat nicht mehr bestand, unnötige Härten mit sich“. Strafrechtlich genüge in diesem Zusammenhang die den Schutz und der minderjährigen Stiefkinder umfassende Vorschrift des § 292. In Bezug auf die weiteren Änderungen im Vergleich zum geltenden § 173 RStGB wurde wortgetreu die Begründung zum § 263 E 1925 wiederholt94. Auch hinsichtlich der Strafhöhe brachte die Begründung zum § 290 E 1927 keine neuen Gedanken hervor, wiederholte ebenfalls die zum § 263 E 192595.

F) Reaktionen auf den Entwurf von 1927 Auch die Inzeststraftatbestände des E 1927 sind Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung geworden; hier interessierend sind Abhandlungen von Straßberger96 und Lenz97 sowie Aufsätze von Köhler98 und Mittermaier99, jeweils aus dem Jahr 1928.

In seinen „allgemeinen Bemerkungen“ zum Inzestdelikt führte Straßberger zuvörderst die zu den Ursachen des Inzests vertretenen Auffassungen auf und stellte heraus, es werde für den Beweggrund des inzestuösen Handelns „stets der Grad des Sexualtriebs“ entscheidend sein, der „teils durch äußere Anlässe

94 95 96 97 98 99

Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei, wenn sie zu der Tat verführt worden sind“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 177. E 1927, Begründung, S. 144. E 1927, Begründung, S. 144. Straßberger, Die Sittlichkeitsdelikte im Strafgesetzentwurf 1927. Lenz, Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit. Ein kritischer Beitrag zur Strafrechtsreform. Köhler, Die Sittlichkeitsdelikte des Strafgesetzentwurfs von 1927, Der Gerichtssaal 1928, S. 360 ff. Mittermaier, Strafbare Handlungen gegen die geschlechtliche Sittlichkeit im Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzentwurfs, Die Justiz 1927/1928, S. 176 ff.

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und teils solche, die in der Person des Täters liegen, erweckt, angereizt und bis zu größter Stärke gefördert wird“100. In Bezug auf die Kritik an der Legitimation des Inzestdelikts im StGB konterte Straßberger – wohl um der in dieser Zeit vordringlichen Auffassung zu entsprechen: „Wenn auch darüber Klarheit herrscht, daß nicht mehr als gut die Hälfte aller Gesetzgebungen die Blutschande unter Strafe stellt, so wird sich doch im deutschen Reich aus ethischen und rassebiologischen Gründen eine völlige Ausschaltung des Tatbestandes aus dem Strafgesetzbuch niemals mit der Volkspsyche in Einklang bringen lassen.“101

Auf die Argumentation, dass kein Rechtsgut durch den Inzest verletzt werde und die Bestrafung einer bloß sittlich verwerflichen Handlung nicht den Zwecken der Rechtsordnung entspreche, führte er aus, dass diese Meinung nicht anerkannt werde und für eine Strafrechtsreform richtungsgebend sein könne. Es sei „wohl hinsichtlich des Tatbestandes der Blutschande erforderlich, dem Staat nicht nur da das Eingreifen möglich zu machen, wo ein verletztes Rechtsgut festgestellt werden kann, sondern auch da, wo es das Staatsinteresse aus anderen Gründen erfordert.“102

Dem Fortlassen des Verschwägerteninzests stand Straßberger positiv gegenüber und griff Kroneckers Auffassung auf. „Schon aus der wörtlichen Auslegung der Tatbestandsüberschrift tritt die Bedeutung klar zutage. Bei Verschwägerten ist überhaupt keine ‘Blut’-schande im eigentlichen Sinne des Wortes möglich, so daß die Beschränkung des Tatbestandes 103 auf Verwandte mehr eine Richtigstellung als Verbesserung bedeutet.“

Auch äußerte sich Straßberger dazu, wie man nach der Verhängung einer Strafe gegen den Inzesttäter vorgehen solle104. In seinen auf die allgemeinen Bemerkungen folgenden „Ausführungen zum geltenden Strafrecht und zum 100 101 102 103 104

Straßberger, Die Sittlichkeitsdelikte im Strafgesetzentwurf 1927, S. 38. Straßberger, Die Sittlichkeitsdelikte im Strafgesetzentwurf 1927, S. 38 f. Straßberger, Die Sittlichkeitsdelikte im Strafgesetzentwurf 1927, S. 39. Straßberger, Die Sittlichkeitsdelikte im Strafgesetzentwurf 1927, S. 39. „Die Bestrebungen der Reform müssten bei diesem aus dem sozialen Milieu heraus sich entwickelnden Delikt, bei dem schließlich auch biologische Ursachen nicht ganz von der Hand zu weisen seien, eine besondere Richtung einnehmen. Es müsse verhütet werden, daß der Täter nach der Verbüßung seiner Strafe wieder rückfällig werde. Der geisteskranke Blutschänder müsse rechtzeitig einer Heilanstalt zugeführt werden. Die Organe der sozialen Fürsorge müssten hierbei mit Einsetzung aller Kräfte mitwirken. Schließlich werde der erfolgreiche Kampf gegen den Alkoholismus, die ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse, die Wohnungsnot und den sittlichen Verderb der Jugend zur Verhütung des Inzests geeignet sein“. Vgl. Straßberger, Die Sittlichkeitsdelikte im Strafgesetzentwurf 1927, S. 39.

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Entwurf“ kommentierte Straßberger die einzelnen Tatbestände des § 290 E 1927 und verglich sie in materieller Hinsicht mit denen des § 173 RStGB. Stellung nahm er jedoch nur zum Fortlassen des Verschwägerteninzests, womit „eine weittragende und sehr beachtenswerte Änderung gegenüber dem bisherigen Recht und noch gegenüber dem Reichsratsentwurf von 1925 eingetreten“ sei. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass „der § 173 des geltenden Strafgesetzbuchs unerwünschte und vermeidbare Härten ergeben hat, besonders in den Fällen, in denen die die Schwägerschaft begründende Ehe zur Zeit der Tat nicht mehr bestand. Selbst in § 141 prStGB war man nicht so weit gegangen; dort war nur mit Strafe belegt die Unzucht zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Stiefeltern und Stiefkindern.“

Insofern habe der Entwurf eine rückläufige Entwicklung überwunden105. Lenz kommentierte zunächst § 173 RStGB und führte zum „Grundgedanken des Delikts“ aus, es sei „nicht recht erklärlich, ob ein Damm gegen Verführung oder Mißbrauch des Treuverhältnisses geschaffen, oder aber, ob der Gefahr der Nachkommenschaft und Sittenreinheit vorgebeugt werden soll“. Das RG bezeichne in RGSt 57, 140 die körperliche und sittliche Gesundheit der Familie als Gegenstand des Schutzes; „dieser Gedanke dürfte auch der maßgebende sein“106. In Bezug auf § 290 E 1927 bemerkte Lenz mit dem Hinweis, dass schon vielfach der Vorschlag gemacht wurde, den Tatbestand ganz zu streichen, da er eine Unmoral und keine besondere Gefahr darstelle, und da die schwereren Fälle in anderen Tatbeständen wiederkehren, es im Entwurf „zum mindesten zu begrüßen sein“ dürfte, dass „das Schwiegerschaftsverhältnis weggelassen“ sei; „denn hier kommen große Härten dadurch vor, daß nach Aufhebung der die Verhältnisse begründenden Ehe doch Straflosigkeit oder Strafmilderung eintritt. Auch dürfte hier eine Gefahr für die Sittenreinheit des Einzelnen oder der Allgemeinheit nicht gegeben sein.“107

Nach Köhler war der Strafrahmen für Aszendenten „ohne nachweisliches Bedürfnis der Praxis“ auf zehn Jahre Zuchthaus erhöht worden108. Bezüglich des Fortlassens des Verschwägerteninzests seien die Entwürfe der Schweiz, Griechenlands und der Tschechoslowakei vorangegangen; die Literatur sei ebenfalls für die Beseitigung der Strafbarkeit Verschwägerter. Zu der Straflosigkeit der Deszendenten bei Verführung beweise 105 106 107 108

Straßberger, Die Sittlichkeitsdelikte im Strafgesetzentwurf 1927, S. 40 f. Lenz, Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit, S. 42. Lenz, Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit, S. 43 f. Köhler, Der Gerichtssaal 1928, S. 360 (S. 372).

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870 „allein der Umstand, daß ein 14jähriger Junge etwa der aktivere, der verführende Teil war, gar nichts dafür, daß bei ihm eine größere Reife des Verstandes oder eine stärkere Widerstandsfähigkeit vorlag, als bei dem verführten Teil; der letztere kann 109 sehr wohl der geistig reifere gewesen sein.“

Die mutmaßlich mangelnde Reife sei aber der wahre Strafausschließungsgrund des geltenden Rechts, nicht der Zufall, wer der aktivere Teil war. Die gleiche Strafbarkeitsbedingung habe auch der schweiz. Entwurf Art. 180. Der griechische Entwurf Art. 323 sei vorsichtiger und lasse richterliches Absehen von Strafe zu, ohne Rücksicht auf die oft sehr schwer zu entscheidende Frage, wer der Verführer war. Hierzu fragte Köhler: „Entspricht eine solche schwierige Beweisaufnahme aber dem praktischen Bedürfnis, wenn als praktisches Ergebnis für den als Verführer Gestempelten im Gegensatz zum anderen Teil die fakultative Straflosigkeit auf Grund des § 3 JGG übrigbleibt?“ Hierzu sei von Kronecker vorgeschlagen worden, Deszendenten immer straflos zu lassen, wenn sie verführt sind. Bei vollkommen altersreifen Großjährigen wäre das ein „sonderbarer Strafbefreiungsgrund“110. Übereinstimmend mit seinen Minimalforderungen aus der Vergleichenden Darstellung führte Mittermaier aus, „eine kleine Verbesserung ist die Ausmerzung des uneigentlichen Inzests zwischen Verschwägerten in § 290“111. Zur Strafwürdigkeit insgesamt bemerkte er, alle Gründe, die man für die Strafbarkeit der Blutschande anführe, hielten ernster Kritik nicht stand. Allermeist würden die Verteidiger der Strafbarkeit doch an den Autoritätsmissbrauch denken. Wolle man eine „vielleicht schädliche Blutsvermischung“ naher verwandter Menschen verhüten, dann müsste der Tatbestand anders umschrieben werden. Die bisherige Fassung werde dem Gedanken nur sehr unvollkommen gerecht. Und wenn der Staat für die Sittenreinheit in der Familie sorgen wolle, dann müsste man verlangen, dass er damit anders wo anfängt, „vor allem seine Pflicht erkennt, die Wohnungsverhältnisse zu verbessern“112.

G) Ausschussberatungen Der E 1927 wurde nach zweitägiger Plenardebatte am 21. und 22. Juni 1927 einem besonderen Ausschuss, dem neu geschaffenen 32. Strafrechtsausschuss, überwiesen. Unter dem Vorsitz von Wilhelm Kahl konstituierte der Ausschuss sich am 6. Juli 1927 109 Köhler, Der Gerichtssaal 1928, S. 360 (S. 372 f.). Bereits 1903 bemerkte Köhler (Reformfragen des Strafrecht, S. 79), dass die unbedingte Straflosigkeit der Inzeststäter absteigender Linie bis zum 18. Lebensjahr (§ 173 IV StGB) „recht gut fallen könnte“. 110 Köhler, Der Gerichtssaal 1928, S. 373. 111 Mittermaier, Die Justiz 1927/1928, S. 176 (S. 176). 112 Mittermaier, Die Justiz 1927/1928, S. 176 (S. 178).

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mit der Verteilung der Referate und nahm am 21. September 1927 die Detailberatungen auf, die zunächst bis zum 2. März 1928 andauerten113. Die Inzeststraftatbestände waren jedoch nicht Gegenstand der Sitzungen des 32. Strafrechtsausschusses, da sich die Beratungen auf den AT und beim BT auf die Abschnitte 7 (Verletzung der Amtspflicht, Amtsanmaßung und Amtserschleichung), 11 (Meineid und falsche Aussage), 13 (Vorbereitung strafbarer Handlungen, Begünstigung, Strafvereitelung) und 14 (Urkundenfälschung) beschränkten114. Durch das Gesetz zur Fortführung der Strafrechtsreform115 vom 31. März 1928 wurde die Möglichkeit geschaffen, unter Verzicht auf eine Neueinbringung des Entwurfs die bisherigen Beratungsergebnisse in die neue Legislaturperiode zu übertragen. Der neu gewählte Reichstag überwies den E 1927 am 11. Juli 1928 erneut zur Beratung an die Kommission, die nunmehr als 21. Ausschuss ihre Arbeit am 12. Juli 1928 mit Konstituierung des Ausschusses aufnahm116. Die wiederum unter dem Vorsitz Kahls geführten Detailarbeiten begangen am 9. Oktober 1928 und dauerten an bis zum 11. Juli 1930. Ebendort waren die Inzeststraftatbestände des E 1927 Gegenstand der 83. Sitzung vom 11. Oktober 1929, welche die §§ 289–291 E 1927 äußerst ausführlich behandelte.

In seinen in der 83. Sitzung vom 11. Oktober 1929 die Diskussion einleitenden Ausführungen stellte der Berichterstatter Strathmann117 (DNVP) zuvörderst die Unterschiede des § 290 E 1927 zum geltenden § 173 RStGB heraus118. Anschließend nahm er zu Absatz 3 des § 290 E 1927 Stellung, der neben Verwandten und Verschwägerten auch Geschwister erfasste und eine Straflosigkeit nur dann aussprach, sofern die Jugendlichen zu der Tat verführt worden waren. Gegen die Ausdehnung auf alle Jugendlichen konnte man nach 113 Aufgrund der Krise der Regierung Marx (Zentrum) im Februar 1928 sollte der Reichstag zum 31. März 1928 aufgelöst werden. Aus diesem Grund stellte der Strafrechtsausschuss am 2. März 1928 seine unbeendete Arbeit ein. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 1. Teil, S. XIV. 114 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 1. Teil, S. XIV f. 115 RGBl. I 1928, S. 135 ff. Der Antrag dazu war am 18. Februar 1928 u.a. von Kahl gestellt worden, vgl. die Akte BA Berlin, R 3001/21783/5821, Bl. 89. 116 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 1. Teil, S. XV. 117 Vgl. zu den Kurzbiographien der Ausschussmitglieder Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 1. Teil, S. XXXII. 118 Was den Tatbestand des § 290 anbelange, so liege gegenüber dem bisherigen Recht insofern ein Unterschied vor, als die Täterschaft von Verschwägerten fortgefallen und der Strafrahmen für Aszendenten von fünf Jahren auf zehn Jahre Zuchthaus erhöht worden sei. Diese Erhöhung habe in der Literatur zum Teil scharfe Ablehnung erfahren. Ob die Erhöhung notwendig sei, erschiene Strathmann „tatsächlich zweifelhaft“. Auch schweige die Begründung darüber. Überdies sei für die Verwandten absteigender Linie der Strafrahmen unverändert geblieben. Dagegen falle die Nebenstrafe, die in Absatz 3 des § 173 des bisherigen Strafgesetzbuchs vorgesehen sei, fort. Eine Änderung liege schließlich noch in Absatz 3 vor. Bisher seien nur Deszendenten straflos gewesen und nur, wenn sie Jugendliche gewesen seien. Der neue Absatz 3 dehne die Straflosigkeit allgemein auf Verwandte aus, wenn sie Jugendliche, aber nur soweit sie die Verführten seien. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41.

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Strathmann „schwerlich etwas einwenden“. Dagegen seien in der Literatur Bedenken darüber aufgetaucht, ob die Bedingung, dass sie zur Tat verführt worden seien, zweckmäßig sei, weil es oft außerordentlich schwierig sein werde, festzustellen, welcher von den Jugendlichen der Verführer und wer der Verführte sei. Es liege kein Anlass vor, grundsätzlich alle Jugendlichen straflos zu lassen, denn es werde häufig Jugendliche geben, die sich nicht nur ein einziges Mal vergessen hätten, sondern vielleicht bereits dauernd auf verbrecherische Wege geraten seien. Aus diesen Gründen schlage die DNVP vor, dem Gericht die Möglichkeit zu geben, allgemein bei Verwandten, die zur Zeit der Tat Jugendliche gewesen seien, von Strafe abzusehen, und zwar unabhängig davon, ob der einzelne nun als Verführer oder als Verführter bezeichnet werden müsse. Infolgedessen beantragten für die DNVP Strathmann und Dr. Hanemann (Antrag Nr. 312, Ziffer 7) „im § 290 dem Absatz 3 folgende Fassung zu geben: Bei Verwandten, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, kann das Gericht von Strafe absehen“119. Der Mitberichterstatter Dr. Schetter (Z) ergänzte die Ausführungen und äußerte sich zunächst zu den Strafbarkeitsgründen des Inzestdelikts120. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Blutschande nicht nur deshalb bestraft werden solle, „weil sie eine Verletzung dieses persönlichen Über- und Unterordnungsverhältnisses“ sei, „sondern auch deshalb, weil sie als Inzucht ein Verbrechen gegen die Familie und die Rassenhygiene“ darstelle, griff somit wie auch Straßberger das Gedankengut dieser Zeit auf. Diese beiden Gesichtspunkte bestimmten gleichermaßen die Strafwürdigkeit, und sie sprächen dafür, die Blutschande auch an den Deszendenten und Geschwistern zu bestrafen121. Nachdem Schetter kurze Ausführungen zu der Deliktbenennung gemacht

119 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. 120 Der § 290 stehe im Rahmen der Bestimmungen, die von dem Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses handelten, und hier habe er auch seinen richtigen Platz. Man könne allerdings auch der Auffassung sein, dass die Blutschande als ein Verbrechen gegen die Familie und deren Bestand anzusehen sei, so dass der betreffende Paragraph in einen anderen Abschnitt hinübergenommen werden müsse. Aber das überwiegende Argument der Strafbarkeit liege doch darin, dass das nahe verwandtschaftliche Verhältnis und die daraus sich herleitende Überordnung der Eltern über die Kinder den Schutz bedinge, so dass der Paragraph an der im Entwurf vorgesehenen Stelle beizubehalten sei. Allerdings dürfe man nicht so weit gehen, die Abhängigkeit zum alleinigen Grund für die Strafbarkeit zu erklären und überall da, wo dieses Abhängigkeitsverhältnis nicht mehr in Erscheinung trete, Straffreiheit zu gewähren, weil von Blutschande dann nicht mehr gesprochen werden könne. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. 121 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41.

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hatte122, setzte er sich mit dem Fortlassen des Verschwägerteninzests im § 290 E 1927 auseinander. Der Berichterstatter habe darauf hingewiesen, dass die Blutschande zwischen Verschwägerten, so verwerflich sie an sich sei, aus bestimmten Gründen in § 290 nicht aufgenommen worden sei. Diese Gründe seien „zutreffend, und das Zentrum könne nicht für einen aus weltanschaulich nahestehenden Kreisen empfohlenen Vorschlag eintreten, die Blutschande zwischen Verschwägerten entsprechend dem geltenden Recht wieder in § 290 aufzunehmen.“

Diese Streichung sei gegenüber dem geltenden StGB „ein Vorzug“123. Anschließend ging er darauf ein, dass die Strafe für Blutschande an Deszendenten gegenüber der gegenwärtigen Regelung erhöht worden war. Ob diese Maßregel zur Generalprävention notwendig sei, könne man bezweifeln124. Schließlich äußerte sich Schetter zu dem Absatz 3 des § 290 E 1927. Die Verfasser des Entwurfs ständen auf dem Standpunkt, dass man die Jugendlichen nur dann straffrei lassen solle, wenn sie der Verführung zum Opfer gefallen seien. Dieser Standpunkt sei zu billigen, könne aber nicht unbedingt als der richtige angesehen werden. Es werde zur abschreckenden Wirkung wesentlich beitragen, wenn die Jugendlichen grundsätzlich mit in die Strafbarkeit einbezogen würden. Andererseits müsse der Jugendschutz darauf Bedacht nehmen, diese Altersklasse möglichst mit kriminellen Untersuchungen zu verschonen. Bei Annahme der Vorlage sei „weitgehend die Möglichkeit geboten, aus dem Gesichtspunkte der vermuteten Verführung Straffreiheit zu gewähren“125. Im Übrigen könne man den Bestimmungen der Vorlage seine Zustimmung geben126. Der Abgeordnete Maslowski (KP) bezeichnete als „auffallend“, dass die Vorschläge Mittermaiers nicht berücksichtigt worden seien. Mittermaier habe zu § 290 ein Gutachten erstattet (Vergleichende Darstellung) und die Meinung vertreten, dass der Tatbestand des § 290 gestrichen werden müsse, da es sich 122 Die Überschrift des § 290 „Blutschande“ sei in der Literatur bemängelt worden, und man habe stattdessen die Überschrift „Inzucht“ vorgeschlagen, da der lateinische Ausdruck „Inzest“ nicht verwendbar sei. Man sehe in dem Namen „Blutschande“ einen zu scharfen Ausdruck für das, was in § 290 bestraft werden solle. Der Ausdruck „Blutschande“ habe sich aber als volkstümlicher Begriff durchaus eingebürgert und bezeichne auch richtig das, was getroffen werden solle. Es empfehle sich also nicht, wenn man die Gesamtheit der strafbaren Tatbestände umschreiben wolle, einen abschwächenden Ausdruck zu wählen. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. 123 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. 124 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 42. 125 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 42. 126 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 42.

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nur um sog. Unmoral und nicht um eine besondere Gefahr handle, da ferner die schwereren Fälle bereits in anderen Tatbeständen geregelt seien. Bei § 290 zeige sich wieder einmal, dass die sog. Unmoral zum Gegenstande strafrechtlicher Bestimmungen gemacht werden solle. Bereits bei der Revision des prStGB vom Jahr 1845 seien grundsätzliche Bedenken gegen die Aufrechterhaltung des Begriffs der Blutschande erhoben worden. Schon damals habe man vorgeschlagen, dass eine Bestrafung der Blutschande nur dann erfolgen solle, wenn ein öffentliches Ärgernis oder die Verletzung der Rechte eines Dritten vorliege. Heute (im Jahr 1929) sei man demnach auf diesem Gebiete „viel rückständiger als im Jahr 1845“127. Mittermaier habe gegen § 290 mit vollem Recht ausgeführt, dass die wirklich schweren Fälle, also die Fälle, bei denen in ein Rechtsgut Dritter eingegriffen werde, bereits in anderen Tatbeständen enthalten seien. Dazu gehörten die Nötigung, die Unzucht mit Minderjährigen usw. Bei dem Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Verwandten werde nach Auffassung der Kommunisten kein Rechtsgut Dritter verletzt. Man könne wohl moralisch über einen Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Verwandten entrüstet sein, aber die Unmoral dürfte nicht zum Gegenstand des StGB gemacht werden128. Dass nun gesagt werde, die Bestrafung des Geschlechtsverkehrs zwischen erwachsenen Verwandten müsse aus eugenischen Gründen bestraft werden, stelle den besten Beweis dafür dar, dass der § 218 fallen müsse. Der Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Verwandten sei ja „im Wesentlichen eine Folge der großen Wohnungsnot“. Wenn nun Folgen der Blutschande zu erwarten seien, dann müsse man eben unter bestimmten Gründen die Abtreibung zulassen. Es gebe viele Fälle, die zur Evidenz erwiesen, wie notwendig gerade auf diesem Gebiete die Freigabe der Abtreibung

127 In diesem Zusammenhang wies Maslowski darauf hin, dass sowohl in der Sowjetunion als auch in katholischen Ländern die Strafbarkeit der Blutschande gefallen sei. In Italien werde Blutschande nur dann bestraft, wenn ein öffentlicher Skandal vorliege. Dieselbe Regelung bestehe in Frankreich. Man mache sich also in diesen Ländern nicht die Begründung, die der Abgeordnete Schetter vorgetragen habe, zu eigen, dass die Bestrafung der Blutschande notwendig sei, um das Familienleben zu schützen, sondern man sage im Gegenteil, dass eine Bestrafung nicht erfolgen dürfe, damit das Familienleben nicht gestört werde. Maslowski stellte an die Vertreter des Zentrums die Frage, wie wohl das neue päpstliche StGB in diesem Punkte aussehen werde. Das neue päpstliche StGB werde sich von dem bisherigen rechtlichen Bewusstsein des italienischen Volkes nicht entfernen können. Die Vertreter des deutschen Zentrums stellten sich mit ihrer Auffassung in Gegensatz zum Papst, also der ersten moralischen und rechtlichen Autorität der katholischen Kirche, wenn sie verlangten, dass die Blutschande auch unter erwachsenen Verwandten mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bestraft werde. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 42. 128 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 42.

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sei129. Wenn man den Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Verwandten aus eugenischen Gründen bestrafen wolle, dann sei nicht einzusehen, warum man nicht auch den Geschlechtsverkehr zwischen epileptischen oder syphilitischen Eltern usw. verbiete. Die von den bürgerlichen Parteien befolgte Logik sei unverständlich130. Weiter werde behauptet, dass ein Interesse an der Bestrafung der Blutschande mit Rücksicht auf die Erhaltung der Reinheit des Familienlebens vorliege. Hierüber seien die Auffassungen in Frankreich und in Italien ganz anders als in Deutschland. In Frankreich und in Italien erkläre man die Blutschande im Interesse des Familienlebens für straffrei, in Deutschland aus demselben Grunde für strafwürdig. Niemand könne annehmen, dass jemals eine Anklage wegen Blutschande mit Rücksicht auf die Reinheit des Familienlebens erhoben werde, sondern größtenteils erfolgten diese Anklagen aus Rachsucht, Eifersucht, Haß, Klatschbedürfnis usw., also aus asozialen und unsozialen Motiven131. Die Kommunisten träten aus allen diesen Gründen für die Streichung des § 290 ein. Sie forderten die Durchführung einer natürlichen Sexualerziehung, die von dem Gesichtspunkt der sog. Sünde absehe, ferner eine durchgreifende soziale Fürsorge sowie den Kampf gegen den Alkoholismus und die Wohnungsnot. „Eine Gesellschaft, die es dulde, dass erwachsene Verwandte beiderlei Geschlechts in einem Bett schlafen müssen und die über die Blutschande eine Strafe von gegebenenfalls zehn Jahren Zuchthaus verhängt, ist innerlich faul und morsch und hat 132 überhaupt das moralische Recht verloren, sich zu entrüsten.“

Infolgedessen beantragten (Antrag Nr. 314, Ziffer 10) Maslowski, Dr. Alexander und Ewert (Thüringen) „den § 290 zu streichen“133. Der Abgeordnete Dr. Rosenfeld (SPD) begründete in den Ausschussberatungen den Antrag Nr. 310 Ziffer 8, nach welchem die sozialdemokratischen Ausschussmitglieder134 beantragten im § 290 den Absatz 1 wie folgt zu fassen „Wer einen Verwandten absteigender Linie zu geschlechtlichen Handlungen missbraucht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft.“ sowie den

129 Maslowski führte einen Fall aus dem „Ärztlichen Vereinsblatt“ an, bei dem ein siebzehnjähriger Fürsorgezögling seine zwanzigjährige, idiotische Schwester geschwängert hat. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 42. 130 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 42. 131 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 42 f. 132 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 42 f. 133 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. 134 Dr. Rosenfeld, Landsberg, Dittmann, Frau Nemitz, Dr. Moses, Dr. Marum, Frau Pfülf und Girbig.

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Absatz 2 und den Absatz 3 zu streichen135. Die Sozialdemokraten ständen in dieser Frage auf dem Standpunkte, den der Vertreter der kommunistischen Fraktion dargelegt habe. Sie seien „der Überzeugung, dass der wesentliche Grund für die Bestrafung der Blutschande in dem Mißbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses“ liege. Daraus ergebe sich ohne weiteres, dass gegenüber Geschwistern eine Bestrafung nicht am Platze sei. Man führe vielfach als Begründung für solche Bestrafung eugenische Gründe an. Aber die Wissenschaft sei in dieser Hinsicht durchaus nicht einer Meinung, es überwiege sogar die Ansicht derjenigen, die nicht unbedingt in jedem geschlechtlichen Verkehr zwischen Verwandten eine ungünstige Wirkung auf das Kind erblicken136. Die Sozialdemokraten verträten die Überzeugung, dass eine Strafwürdigkeit der Blutschande nur insoweit in Betracht kommen könne, als ein Autoritätsverhältnis missbraucht worden sei. Sie seien darum auch bereit, die zwischen Eltern und Kindern begangene Blutschande unter Strafe zu stellen. Die Verschwägerten seien ohnehin bereits aus § 290 herausgelassen worden, und es frage sich eigentlich jetzt nur noch, ob der Verkehr zwischen Geschwistern strafbar sein müsse. Die Fälle des Geschlechtsverkehrs zwischen Geschwistern seien in hohem Maße Folgen der großen Wohnungsnot. Rosenfeld führte hierfür einen besonders markanten Fall an137. Wenn in der Begründung (des E 1927) gesagt werde, der Staat habe für die Aufrechterhaltung der Sittenreinheit der Familie zu sorgen, so habe schon Maslowski auf den Beitrag von Mittermaier hingewiesen. Mittermaier, der durchaus kein Sozialdemokrat und noch viel weniger ein Kommunist sei, vertrete gleichfalls den Standpunkt, dass der Staat erst einmal die Wohnungsverhältnisse verbessern müsse, wenn er glaube, die Sittenreinheit der Familie durch Bestrafung der Blutschande an Geschwistern schützen zu müssen138. 135 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. 136 Dazu zitierte Rosenfeld aus einem Aufsatz des Hamburger Mediziners Prof. Dr. Toll: Vom biologischen Standpunkte aus sei die Blutschande tatsächlich eine Gefahr; sie bestehe aber nur in dem Falle, wenn wirklich Blutsverwandtschaft, d.h. nach der Bezeichnungsweise der modernen Erblehre oder Genetik, Gemeinsamkeit einer großen Anzahl von Erbstücken oder Genen vorliege. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 43. 137 Ein achtzehnjähriger Arbeiter habe mit seiner vierzehnjährigen Schwester ein Kind erzeugt, und das Gericht habe ihn mit sechs Monaten Gefängnis bei Strafaufschub und fünfjähriger Bewährungsfrist bestraft. Ein solcher Fall gebe doch zu denken. Wenn der Staat solche Handlungen bestrafen wolle, dann müsse er erst für bessere Wohnungsverhältnisse sorgen. Außerdem sei doch auch an das Kind zu denken, dass bei Bestrafung des Geschlechtsverkehrs zwischen nahen Verwandten für immer mit einem Makel behaftet bleibe. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 43. 138 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 43.

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Ministerialdirektor Schäfer (RMJ) gab dem Abgeordneten Maslowski darin recht, dass die Ansichten über die kriminelle Strafwürdigkeit der Blutschande in den verschiedenen Zeiten gewechselt hätten und in den einzelnen Kulturländern auch noch heute unterschiedlich seien139. Wenn der Entwurf an der Bestrafung der Blutschande festhalte, so sei der Grund nicht etwa die Erwägung, dass es sich um eine Sünde, um ein moralisches Unrecht handle, sondern der Grund liege darin, dass der Staat ein Interesse an der Erhaltung der Reinheit des Familienlebens und an der Verhütung der durch die Inzucht eintretenden Nachteile habe. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Eltern und Kindern, wie der Abgeordnete Rosenfeld gemeint habe, sei nicht ausschlaggebend. Wenn die Auffassung des Abgeordneten Rosenfeld zuträfe, dann müssten die Sozialdemokraten in ihrem Antrag die Bestrafung der Blutschande auf die Fälle beschränken, in denen sie an Minderjährigen begangen werde, denn unter Volljährigen bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis. Dann aber sei der ganze Tatbestand überflüssig, denn § 291 enthalte bereits den Tatbestand der Unzucht mit minderjährigen Abkömmlingen140. Schäfer wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der wiederholt angeführte Mittermaier in einem neueren Aufsatz in der Schrift „Zur Reform des Sexualstrafrechts“ sich folgendermaßen ausgesprochen habe: „Ich will mich nicht gegen die Bestrafung der Blutschande i.e.S. wenden, aber ich glaube, dass sie dem Strafrecht nicht viel wird nützen können.“ Gegenüber dem geltenden Recht enthalte der Entwurf eine wesentliche Verengung des Tatbestandes, indem er aus dem Delikt der Blutschande den Verkehr zwischen Verschwägerten völlig ausscheide, und zwar mit vollem Recht, denn in der Praxis seien wiederholt Fälle vorgekommen, in denen die Strafdrohung des geltenden Rechts eine große Härte bedeutet habe. Die Regierung habe auch nach einer anderen Richtung die Konsequenzen gezogen und im Einführungsgesetz die Änderung vorgesehen, dass die Schwägerschaft nicht mehr wie heute ein zwingendes Ehehindernis darstelle141. Er kritisierte, dass der sozialdemokratische Antrag in einem 139 Straffrei sei die Blutschande in dem größten Teil des romanischen Rechtskreises, in Frankreich, in Belgien, in Spanien, ferner in Holland. In Rußland und in Italien sowie im Kanton Neuenburg bestehe eine Strafbarkeit nur bei einem öffentlichen Skandal. In dem angelsächsischen Rechtskreise lägen die Verhältnisse so, dass in England im engeren Sinne sowie in dem größten Teil des nordamerikanischen Rechtsgebiet, in dem Gebiet des Common Law die Blutschande nur durch die geistlichen Gerichte bestraft werden, die bis auf sechs Monate Gefängnis erkennen könnten. In Schottland, in den britischen Kolonien und in den nordamerikanischen Einzelrechten sei Blutschande strafbar, ebenso in den meisten übrigen Ländern. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 43 f. 140 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 44. 141 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 44.

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Punkte eine wesentliche Verschärfung des Entwurfs bringe. Denn nach diesem Antrage würde als strafbare Blutschande jeder Fall behandelt, in dem ein Verwandter absteigender Linie zu geschlechtlichen Handlungen missbraucht werde, also bspw., wenn der Vater bei der erwachsenen Tochter eine unzüchtige Berührung vornehme. Auch in diesem Falle solle schon die Zuchthausstrafe greifen. Das gehe aber weit über den Entwurf und über das geltende Recht hinaus. Man müsse bedenken, dass die schlechten Wohnungsverhältnisse die Gefahr einer solchen im Vergleich zu der Beischlafvollziehung weniger schweren Handlung leicht mit sich brächten. Die Fassung des Entwurfs, die den Begriff der Blutschande grundsätzlich auf die Beischlafvollziehung beschränke, verdiene den Vorzug. Nach einer anderen Richtung bedeute dagegen der sozialdemokratische Antrag eine zu starke Verengung des Tatbestandes. Die Sozialdemokraten wollten die Deszendenten stets straffrei lassen. Man müsse aber bei den heutigen Wohnungsverhältnissen auch an die Möglichkeit denken, dass die erwachsene Tochter den Vater zum Beischlaf verführe. Er sei nicht gerecht, in einem solchen Falle den Vater zu bestrafen und die Tochter straffrei zu lassen. Der sozialdemokratische Antrag sei offenbar eine Folge der unrichtigen Auffassung, dass der Gesichtspunkt des Abhängigkeitsverhältnisses das bestimmende Moment für die Gestaltung des Tatbestandes sei142. Was die Gefahren der geschlechtlichen Inzucht anbelange, so komme es zu einem geschlechtlichen Verkehr zwischen Geschwistern vorzugsweise in degenerierten Familien. Wenn beide Teile degeneriert seien und nun ein Kind erzeugt werde, dann verdoppelten sich erfahrungsmäßig die schädlichen Folgen der Eigenschaften der Eltern. Schäfer bat daher, an dem Entwurf insoweit grundsätzlich festzuhalten143. Die Frage, ob man bei jugendlichen Deszendenten stets die Straffreiheit entsprechend dem geltenden Recht eintreten lassen solle oder nur könne, wenn der Jugendliche verführt worden sei, sei nicht allzu wichtig. Schäfer gab dem Ausschuss die Entscheidung anheim. Allerdings leuchte nicht recht ein, dass etwa eine siebzehnjährige Prostituierte, die nach Hause komme und den Vater verführe, straffrei bleiben und nur der Vater bestraft werden solle, wie es dem geltenden Recht entspreche144. Weiterhin stellte Schäfer fest, dass der Entwurf eine Erhöhung des Strafmaximus von fünf Jahren auf zehn Jahre bringe. Ob es gerechtfertigt erscheine, wieder auf fünf Jahre herabzugehen, möge der Ausschuss entscheiden. Auf der anderen Seite bringe doch der Entwurf auch eine große Milderung des Strafrahmens insofern, als er die Annahme mildender Umstände zulasse und dadurch die 142 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 44. 143 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 44. 144 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 44.

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Möglichkeit gebe, bis auf drei Monate Gefängnis herunterzugehen, während das geltende Recht bei Aszendenten zwingend Zuchthaus vorsehe145. Schetter antwortete zuvörderst auf die Frage Maslowskis, wie sich das neue päpstliche StGB zu dem Vergehen der Blutschande stellen würde146. Der Vertreter der kommunistischen Fraktion habe sodann die Frage des § 290 mit der Frage der Abtreibung (§ 218) verquickt. Über diese Zusammenhänge sei bei § 218 eingehend gesprochen worden, und es erscheine nicht notwendig, darauf zurückzukommen. Obschon der § 290 sich an die Bestimmungen über die Nötigung Abhängiger zur Unzucht anschließe, liege das Kriterium der Strafwürdigkeit nicht so sehr in dem Abhängigkeitsverhältnis als in dem Rechtsgut der Sittenreinheit der Familie und in dem bevölkerungspolitischen Motiv der Verhütung der Inzucht sowie der damit zusammenhängenden allgemein-nachteiligen Folgen für den Volksnachwuchs. Die Zentrumsvertreter könnten es daher nicht billigen, dass die Strafbarkeit lediglich davon abhängig gemacht werde, ob ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Eltern und Kindern zur Begehung dieses Verbrechens missbraucht worden sei. Der stellenweise auch in der Literatur ausgesprochene Gedanke, dass die Inzucht ein besonderes Mittel zur Hochzüchtung der menschlichen Gesellschaft sei, entspreche in keiner Weise den Tatsachen, sondern stelle die Ergebnisse der Forschung auf den Kopf, wonach die Inzucht zu den größten ethischmoralischen und bevölkerungspolitischen Schäden führe; zu deren Verhütung sei kein Mittel, auch nicht das des Strafgesetzes, zu entbehren147. Aus diesen Gründen müsse die Bestrafung der Blutschande unter Geschwistern aufrechterhalten werden. Dass die Bestimmungen über die Blutschande den Delikten angereiht würden, die sich mit dem Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses befassten, sei die Folge eines äußeren und inneren Zusammenhangs, aber nicht ausschlaggebend für die Motivierung der Strafwürdigkeit. Das Hauptmotiv, das die Bestrafung rechtfertige, gelte auch für den Geschlechtsverkehr der Geschwister. Dass diese strafbaren Handlungen durch die Wohnungsverhältnisse usw. gefördert würden, sei so allgemein bekannt, dass man darauf nicht besonders hinzuweisen brauche. Man könne daraus aber nur die Folge145 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 44. 146 Die Zentrumsfraktion wisse nicht, ob beabsichtigt sei, in dem neuen päpstlichen Territorium der Vatikanstadt alsbald ein eigenes StGB einzuführen. Wenn das der Fall sein solle, müsse man es natürlich den dort verantwortlichen Instanzen überlassen, darüber zu befinden, was dort strafbar sein solle und was nicht. Irgendwelche Schlüsse nach der Richtung, dass sich das päpstliche StGB im Rahmen der kommunistischen Wünsche halten werde, könnten wohl kaum gezogen werden. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 44. 147 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 44 f.

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rung ziehen, dass ohne Verzicht auf strafrechtliche Prävention auf dem Gebiete der Behebung der sozialen Missstände das Menschenmögliche getan werden müsse148. Schetter erklärte sich mit der Herabsetzung des Strafhöchstmaßes auf fünf Jahre einverstanden, ferner mit der Behandlung der Jugendlichen entsprechend dem bisherigen Recht. Darüber hinaus trat er jedoch für Beibehaltung der Regierungsvorlage ein149. Strathmann machte erneut darauf aufmerksam, dass nach dem Schlussabsatz des § 173 RStGB die Jugendlichen nicht immer straflos seien, sondern nur dann, wenn es sich um ein zwischen Aszendenten und Deszendenten begangenes Delikt handle. Der Regierungsentwurf dehne die Möglichkeit der Straflosfassung auch auf den Fall aus, in dem es sich um ein Vergehen zwischen Jugendlichen, also etwa zwischen Geschwistern handle, lasse aber dabei nur den Verführten straflos. Dieser Gedanke sei an sich natürlich richtig; aber es werde oft gerade unter den heutigen Wohnungsverhältnisses sehr schwer sein, zu entscheiden, wer der Verführende und wer der Verführte gewesen sei. Daher erscheine es richtiger, dem Gericht die Entscheidung darüber zu überlassen, ob es im gegebenen Falle eine Bestrafung auch bei Jugendlichen für notwendig halte oder nicht150. Schäfer erhob keinen Widerspruch dagegen, dass auch bei Geschwistern, wenn sie noch jugendlich seien, die Straffreiheit schlechtweg vorgesehen werde, also nicht darauf abgestellt werde, wer den anderen verführt habe, weil die Feststellung der Verführung in der Praxis schwierig sei und oft zu mißlichen Weiterungen führe. Er schlug für Absatz 3 des § 290 folgende Fassung vor: „Verwandte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei.“151. Strathmann befürwortete wiederholt im § 290 dem Absatz 3 folgende Fassung zu geben: „Bei Verwandten, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, kann das Gericht von Strafe absehen.“. Es könne Fälle geben, in denen das Absehen von Strafe durchaus nicht angezeigt erscheine, weil der eine oder andere der Beteiligten bereits so verdorben sei, dass mit ernsten Mitteln eingeschritten werden müsse152. Maslowski erklärte, die Frage, ob die Inzucht eine Höherzüchtung oder eine Herabsetzung des Gesundheitsniveaus der Menschheit bedeute, sei immer noch zweifelhaft. Daher sei es für den Ausschuss unbedingt geboten, Sachverständige zu hören, ehe man sich auf eine Zuchthausstrafe festlege. Das Reichs148 149 150 151 152

Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 45. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 45. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 45. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 45. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 45.

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gesundheitsamt werde doch ein sachverständiges Gutachten hierüber abgeben können. Auch andere anerkannte Wissenschaftler müssten gehört werden153. Die Ausführungen Schäfers zu § 290 ständen im Widerspruch zu seinen Darlegungen bei § 289. Dort habe Schäfer erklärt, man könne doch nicht vor Gericht alle diese geschlechtlichen Dinge erörtern. Bei § 290 meine er aber gegenüber dem sozialdemokratischen Antrag, auch die Tochter könne den Vater verführt haben, und deswegen müsse an Gerichtsstelle genau untersucht werden, wer eigentlich der verführende Teil sei. Auf der anderen Seite wolle Schäfer durch § 290 die Reinheit des Familienlebens schützen. Die Reinheit des Familienlebens werde aber nicht geschützt, wenn das Gericht Untersuchungen darüber anstellen müsse, ob etwa die Tochter den Vater verführt habe oder umgekehrt der Vater die Tochter. Dass Schäfer bei § 289 eine ganz andere Logik entwickelt habe als bei § 290 komme daher, dass er Strafen ablehne, wo wirklich Rechtsgüter verletzt würden, während er Fälle streng bestrafen wolle, in denen es sich lediglich um eine sog. Unmoral handele154. Was den sozialdemokratischen Antrag anlange, so habe Rosenfeld sich zwar dem kommunistischen Standpunkt angeschlossen, aber nicht die Konsequenzen daraus gezogen. Die Kommunisten könnten nirgends einer Bestrafung zustimmen, wenn Rechte Dritter nicht verletzt würden. Auch bei dem von Rosenfeld angeführten Falle des Geschlechtsverkehrs zwischen Verwandten absteigender Linie brauchten durchaus nicht immer Rechte Dritter verletzt zu werden. Abgesehen von grundsätzlichen Erwägungen könne die kommunistische Fraktion sich schon deshalb mit einer Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren nicht einverstanden erklären, weil die Zuchthausstrafe in Wirklichkeit in den allermeisten Fällen nur eine Bestrafung für Wohnungsnot sein werde. Kommunisten würden nie wie die Sozialdemokraten für fünf Jahre Zuchthaus für Wohnungsnot stimmen155. Schäfer erwiderte, er habe sich nicht dafür ausgesprochen, dass das Gesetz unterscheiden solle, wer der Verführer, und wer der Verführte sei, sondern er habe gegenüber Rosenfeld nur auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Tochter die Verführerin des Vaters sein könne, und dass es darum nicht richtig sei, die Deszendenten von vornherein straffrei zu lassen. Der Entwurf sehe sowohl für die Aszendenten wie für die Deszendenten eine Strafe vor, ohne Rücksicht darauf, wer der Verführer sei156. Schäfer betonte, gerade um die Erörterung über die Frage der Verführung auszuschließen, habe er sich mit der Streichung der Worte „wenn sie zu der Tat verführt worden 153 154 155 156

Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 45. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 45. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 45. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 45 f.

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sind“ im § 290 Absatz 3 einverstanden erklärt, womit die Straffreiheit bei den Jugendlichen ohne Rücksicht auf die Frage der Verführung gegeben sei157. Der Abgeordnete Dr. Wunderlich (DV) trat gleichfalls für die Streichung der Worte „wenn sie zu der Tat verführt worden sind“ im § 290 Absatz 3 ein und erklärte im Übrigen, dass er dem deutschnationalen Antrage nicht zustimmen könne. Er verlange feste Normen für das Gericht158. Am Ende der 81. Sitzung des 21. Ausschusses zog Rosenfeld den Antrag Nr. 310 Ziffer 8 zugunsten des Antrags Schneider und Fischbeck Nr. 334, wonach im § 290 Absatz 1 an Stelle der Worte „zehn Jahre“ „fünf Jahre“ zu setzen war, zurück159. Damit schloss die Aussprache. In der darauf folgenden Abstimmung160 wurde zunächst § 290, unter Ablehnung des Antrags Alexander und Genossen161, den § 290 zu streichen, mit großer Mehrheit grundsätzlich aufrechterhalten. Zu Absatz 1 fand der Antrag Schneiders und Fischbecks162, im § 290 Absatz 1 an Stelle der Worte „zehn Jahren“ zu setzen „fünf Jahren“, gegen fünf Stimmen Annahme. Absatz 2 wurde unter Ablehnung des Streichungsantrags Rosenfeld und Genossen163 mit vierzehn gegen zehn Stimmen aufrechterhalten; der Antrag Rosenfeld und Genossen164 zur Streichung des Absatzes 3 war erledigt. Gemäß den Anträgen Rosenfeld und Genossen165 und Wunderlich und Leutheusser166 wurden die 157 158 159 160 161 162 163 164 165

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Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 46. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 46. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 46. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 46. Im Antrag Nr. 314 Ziffer 10 beantragten Dr. Alexander, Maslowski und Ewert den § 290 zu streichen. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. Im Antrag Nr. 334 beantragten Scheider (Berlin) und Fischbeck im § 290 Absatz 1 an Stelle der Worte „zehn Jahren“ zu setzen „fünf Jahren“. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. Im Antrag Nr. 310 Ziffer 8 b beantragten Dr. Rosenfeld, Landsberg, Dittmann, Frau Nemitz, Dr. Moses, Dr. Marum, Frau Pfülf und Girbig den Absatz 2 zu streichen. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. Im Antrag Nr. 310 Ziffer 8 c beantragten Dr. Rosenfeld, Landsberg, Dittmann, Frau Nemitz, Dr. Moses, Dr. Marum, Frau Pfülf und Girbig den Absatz 3 zu streichen. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. Im Antrag Nr. 335 beantragten Dr. Rosenfeld, Dr. Marum, Landsberg, Dittmann, Tarnow, Girbig und Dr. Levi im § 290 Absatz 3 die Worte „wenn sie zu der Tat verführt worden sind“ zu streichen. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. Im Antrag Nr. 336 beantragten Dr. Wunderlich und Dr. Leutheußer im § 290 Absatz 3 den letzten Halbsatz „wenn sie zu der Tat verführt worden sind“ zu streichen. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41.

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Worte „wenn sie zu der Tat verführt worden sind“ in Absatz 3 gestrichen. Der Antrag Strathmanns und Hanemanns167, dem Absatz 3 die Fassung zu geben „Bei Verwandten, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, kann das Gericht von Strafe absehen.“ wurde gegen acht Stimmen abgelehnt. In dieser Form168 fand § 290 gegen drei Stimmen die Zustimmung des Ausschusses169.

Die erste Lesung des Strafgesetzbuchentwurfs im 21. Strafrechtsausschuss wurde am 21. Februar 1930 abgeschlossen. Parallel zu diesen Beratungen tagte ein Sonderausschuss des österreichischen Nationalrates, welcher ebenfalls den am 26. Juli 1927 in das österreichische Parlament eingebrachten Entwurf eines StGB erörterte170. Die Beschlüsse dieser beiden Ausschüsse standen anschließend in einer deutschösterreichischen Parlamentarierkommission erneut auf dem Prüfstand. Hintergrund der Konferenz war das gemeinsame Ziel der beiden Länder, ein reformiertes, möglichst einheitliches Strafrecht zu schaffen171. Die deutsch-österreichische parlamentarische Strafrechtskonferenz setzte sich aus sechs Abgeordneten der österreichischen Nationalversammlung und zehn Abgeordneten des Deutschen Reichstags zusammen172. Die Inzeststraftatbestände waren jedoch nicht Gegenstand der Beratungen. Gleichzeitig wurde in den Beratungen der deutsch-österreichischen parlamentarischen Strafrechtskommission vereinbart, die 2. Lesung des Strafrechtsentwurfs in der Zeit zwischen April 1930 und Oktober 1930 durchzuführen und den Entwurf im November 1930 dem Plenum des Reichstags vorzulegen173. Die vorzeitige Auflösung des Deutschen Reichstags am 18. Juli 1930 verhinderte allerdings dieses Vorhaben, so dass die Sitzung 174 des 21. Strafrechtsausschusses am 11. Juli 1930 die letzte war . Bereits in der 128. 167 Im Antrag Nr. 312 Ziffer 7 beantragten Dr. Strathmann und Dr. Hanemann, im § 290 dem Absatz 3 folgende Fassung zu geben „Bei Verwandten, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, kann das Gericht von Strafe absehen“. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 41. 168 § 290 am Ende der 81. Sitzung des 21. Ausschusses: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei“. 169 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 46. 170 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 1. Teil, S. XXXI. 171 Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 407. 172 Für das Deutsche Reich nahmen die Abgeordneten Dr. Alexander, Dr. Bell, Ehlermann, Dr. Emminger, Dr. Hanemann, Dr. Jörissen, Dr. Kahl, Dr. Marum, Pfülf, Dr. Rosenfeld und Dr. Wunderlich als Vertreter der Strafrechtskonferenz teil. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 2. Teil, S. 720. 173 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 2. Teil, S. 718 f. 174 Ursprünglich war beabsichtigt, die Beratungen nach der Sommerpause bereits am 23. September 1930 wieder aufzunehmen; so das Protokoll der 143. Sitzung des 21. Ausschusses vom 11. Juli 1930. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 570.

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Sitzung am 30. April 1930 hatte der Vorsitzende des Strafrechtsausschusses Kahl, angesichts der insgesamt angespannten politischen Lage, vorausschauend vorgeschlagen, erneut ein Gesetz zur Fortführung der Strafrechtsreform für den Fall zu erlassen, dass abermals der Reichstag aufgelöst werden sollte175. Dieses sollte eine Bestimmung enthalten, wonach die einzelnen Gesetze der Strafrechtsreform, über die noch nicht endgültig Beschluss gefasst worden war, in ihrem jeweiligen Zustand der Beschlussfassung der Reichstage der folgenden WP unterliegen, ohne dass sie erneut einzubringen seien176. Die Ausschussmitglieder sprachen sich jedoch mehrheitlich gegen ein derart weitreichendes Überleitungsgesetz aus177. Aber auch ein weiteres, von Kahl am 7. Mai 1930 in den Reichstag eingebrachtes einfaches Überleitungsgesetz178 fand, nachdem es vom Reichstag wiederum an den Strafrechtsausschuss überwiesen worden war, keine Mehrheit179. Aufgrund der kurze Zeit später erfolgten Auflösung des Reichstages konnte auch über eine entsprechende Ausschussempfehlung keine Einigung erzielt werden. Dementsprechend erledigte sich die Strafrechtsreform zunächst mit der Reichstagsauflösung am 18. Juli 1830.

H) Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1930 (Entwurf Kahl) In Zusammenarbeit mit dem RMJ wurde die Strafrechtsreform Ende 1930 erneut von Kahl vorangetrieben. Am 6. Dezember 1930 stellte er im Reichstag den Initiativantrag auf sofortige Wiederaufnahme der Strafrechtsreform180. Dadurch sollte eine vorherige, zeitraubende Beratung im Reichsrat vermieden werden. Der Antrag bestand im Wesentlichen aus dem E 1927, abgeändert durch die Beschlussergebnisse der 1. Lesung des 21. Strafrechtsausschusses. Soweit diese Beschlüsse wiederum auf den deutschösterreichischen parlamentarischen Strafrechtskonferenzen abgeändert wurden, übernahm Kahl diese in seinem Antrag181; der neue Entwurf setzte sich also insgesamt aus den drei vorbenannten Komponenten zusammen und erhielt keine Begründung.

175 Protokoll der 128. Sitzung des 21. Ausschusses vom 8. April 1930. Abgedruckt in Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 446. In der Einleitungsrede äußerte Kahl, er halte es für den ungestörten Fortgang des großen Werkes der Strafrechtsreform für „seine Pflicht als Vorsitzender des Strafrechtsausschusses, einen Vorschlag zur Kenntnis zu bringen, der im Falle einer Reichstagsauflösung die Zerstörung oder auch nur Gefährdung der Strafrechtsreform verhindern solle“. 176 Protokoll der 128. Sitzung des 21. Ausschusses vom 8. April 1930. Abgedruckt in Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 446. 177 Protokoll der 128. Sitzung des 21. Ausschusses vom 8. April 1930. Abgedruckt in Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 448. 178 Inhaltlich ist dieses Gesetz dem „Gesetz zur Fortführung der Strafrechtsreform“ vom 31. März 1928 nachgebildet. 179 Der entsprechende Antrag wurde in der 139. Sitzung am 26. Mai 1930 mit 15 gegen 13 Stimmen abgelehnt. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 3 3. Teil, S. 543. 180 Kahl, DJZ 1931, Sp. 32. 181 Kahl, DJZ 1931, Sp. 32 f.

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Im Entwurf Kahl waren die Inzeststraftatbestände im 21. Abschnitt „Unzucht“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ nach wie vor im § 290182 normiert. Der § 290 des Entwurfs Kahl entsprach wortgetreu den angenommenen Änderungen der 81. Sitzung des 21. Strafrechtsausschusses, infolgedessen die einzigen Unterschiede gegenüber dem § 290 E 1927 die Reduzierung der Strafhöhe in Absatz 1 auf fünf Jahre und das Fortlassen des Erfordernisses des Verführtseins in Absatz 3 waren. Am 10. Dezember 1930 überwies der Reichstag die Vorlage an den 18. Strafrechtsausschuss, der sich bereits einen Tag später konstituierte183. Die Detailberatungen begangen am 20. Januar 1931 – die Inzeststraftatbestände waren nicht Gegenstand dieser Beratungen – und waren am 18. März 1932 (Abschluss der 1. Lesung) vorläufig abgeschlossen, ohne dass die Beratungen vom neuen Reichstag wieder aufgenommen wurden184. Durch den Tod Kahls am 14. Mai 1932 endete die Strafrechtsreform, denn ohne ihn gelang es nicht, die Reformbestrebungen in politisch schweren Zeiten weiter zu verfolgen. Hinzu kam, dass bereits am 4. Juni 1932 der Reichstag erneut aufgelöst wurde, und sich in der folgenden Legislaturperiode niemand mehr fand, der ein derartig umfassendes Werk auch in Krisenzeiten weiter vorantreiben mochte185. Letztlich gab es angesichts der unsicheren politischen und wirtschaftlichen Zukunft der Republik keine nennenswerte konstruktive parlamentarische Arbeit mehr, so dass die Reformbemühungen endgültig als gescheitert anzusehen waren186.

I) Zusammenfassung und Fazit In der Epoche der Weimarer Republik sind bereits mit § 256 Entwurf Radbruch wesentliche Änderungen an dem Delikt des Inzests zu verzeichnen. Verschwägerte wurden aus dem vom Tatbestand erfassten Personenkreis fortgelassen, erstmals die Straflosigkeit der Deszendenten auf Geschwister ausgedehnt und, was auf die Gegenvorschläge Österreichs zurückging, die Verführung der Jugendlichen für deren Straflosigkeit vorausgesetzt. Der darauf folgende § 263 E 1925 dehnte die Inzeststraftatbestände wieder auf Verschwä182 § 290 Entwurf Kahl: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 245. 183 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XXI. 184 Schubert / Regge, Quellen, I. Abt. Bd. 1, S. XXI. 185 Meyer, DJZ 1932, Sp. 969. 186 Meyer, DJZ 1932, Sp. 969 (Sp. 970).

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gerte aus, behielt die Änderungen für die Deszendenten jedoch bei. Die hohe Strafdrohung von zehn Jahren wurde mit der „besonderen Verwerflichkeit“ des Aszendenten-Deszendenten-Inzests (erstmals) begründet. Obgleich § 263 E 1925 bereits vielerorts Gegenstand der wissenschaftlichen Kontroverse war, die sich vornehmlich gegen die Strafbarkeit des Verschwägerteninzests einsetzte, erfolgten ernsthafte Reformversuche erst durch die Anträge der Länder und die Beratungen in den Reichsratsausschüssen, die einen abgeänderten § 263 aufgrund der Beschlüsse der Reichsratsausschüsse in 1. Lesung hervorbrachten, der seinerseits vom § 290 E 1927 wörtlich übernommen wurde. Der § 290 E 1927 ließ abermals die Regelungen über den Verschwägerteninzest fort. Auch mit § 290 E 1927 setzte man sich mannigfaltig, wegen des Fortlassens des Verschwägerteninzests teils positiv auseinander. Nachdem ferner in den Beratungen des 21. Reichsratsausschusses die Inzeststraftatbestände sehr ausführlich und kontrovers diskutiert worden waren, und diese am Ende ihrer 81. Sitzung einen leicht angepassten § 290 hervorbrachten, wurden diese erzielten Änderungen im § 290 E 1930 (Entwurf Kahl) wortgetreu übernommen. Er hielt an der Straffreiheit des Verschwägerteninzests des § 290 E 1927 fest, reduzierte aber das seit § 319 E 1919 für die Aszendenten verwendete Strafhöchstmaß von zehn auf fünf Jahre. Auch wurde das Erfordernis des „verführt sein“, dass mit § 256 Entwurf Radbruch eingeführt worden war, wieder fallen gelassen. Erwähnung verdient, dass das RG im Jahr 1922 neben der sittlichen Gesundheit bereits die körperliche Gesundheit der Familie als Schutzgut des Delikts anerkannt hatte187. Auch stellten innerhalb der hier untersuchten Epoche einzelne Stimmen neben der Sittenreinheit der Familie auf „rassehygienische“ Gründe ab, was dann nicht zuletzt zur vordringlichen Auffassung führte, den Verschwägerteninzest fortzulassen. So zeigt sich, dass die Tradition eines eugenischen Denkens bereits in den 1920er Jahren ihren Weg in die Rechtswissenschaft und zu den hier interessierenden Tatbeständen gefunden hatte. Inwieweit die mit § 290 E 1930 hervorgebrachten Änderungen sowie die eugenische Begründungstendenz in der Zeit des Nationalsozialismus ihren Niederschlag gefunden haben, ist Gegenstand des folgenden Kapitels. 187 RGSt 57, S. 140. Die Entwicklungstendenz der Rechtsprechung des RG zu den Inzeststraftatbeständen wird dargestellt bei Palmen, Der Inzest, S. 85 f.: Er kommt zu dem Ergebnis, dass das RG seine noch zum Ende des 19. Jahrhunderts vertretene Auffassung, Grund für das Inzestverbot seien sittliche, religiöse und politische Motive, mit seiner Rechtsprechung der zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts aufgegeben hat, indem es politische und religiöse Motive gänzlich fallen gelassen und neben den stärken Bezug zu den Sitten insbesondere eugenische Gründe angeführt hat.

Siebentes Kapitel: Zeit des Nationalsozialismus Auch wenn die Strafrechtsreform mit dem Tod Kahls als „gescheitert“1 galt, wurde sie in der Zeit des Nationalsozialismus von der neuen Partei- und Staatsführung – am 30. Januar 1933 wurde die Regierung an die NSDAP und die DNVP übertragen und Adolf Hitler durch den Reichspräsidenten v. Hindenburg zum Reichskanzler ernannt – wieder zeitnah aufgenommen2. Die Reformbemühungen schlossen sich unmittelbar an die Projekte der Weimarer Republik an3, waren zudem von einer hohen personellen Kontinuität4 geprägt, sodass auch inhaltliche Übereinstimmungen bestanden5. Ausgangspunkt der Reformen war der Referentenentwurf von 1933.

A) Entwurf eines Allgemeinen Strafgesetzbuchs von 1933 (Referentenentwurf des Reichsjustizministeriums) Reichsjustizminister Franz Gürtner, der bereits die Strafrechtsreform der Weimarer Republik als bayerischer Justizminister maßgebend mitgestaltet hatte6, erhielt im Jahr 1933 von Hitler den Auftrag zur Bildung einer „amtlichen Kommission zur Bearbeitung der Strafrechtserneuerung“7. Gürtner bemühte sich entschlossen um die Verwirklichung der Reform, was wohl nicht zuletzt seinen Rivalitäten mit dem Leiter der Rechtsabteilung der NSDAP Hans Frank sowie der Absicht, gegenüber dem National1 2

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Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. XIII; vgl. bereits oben. Grundlage war das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, RGBl. I 1933, S. 141), das die Gleichschaltung von Legislative und Exekutive legitimierte und Hitler und somit die Gesetzgebung von der Bindung an die Verfassung sowie von der Kontrolle durch das Parlament freistellte. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. X. In der Weimarer Republik sind die Reformarbeiten, von dem 1929 zum Reichsgerichtspräsidenten ernannten Bumke abgesehen, von den Ministerialjuristen Ernst und Leopold Schäfer, Rietzsch, Hauptvogel, Dürr und Franz Gürtner beeinflusst worden. Alle diese Juristen sind auch in der Strafrechtskommission von 1933 vertreten. Die in diese Kommission einberufenen Rechtswissenschaftler Klee, Kohlrausch, Graf Gleispach, Metzger sowie Dahm und Nagler hatten bereits in der Zeit vor 1933 wiederholt zur Reform des Strafgesetzbuchs Stellung genommen. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. X. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. X. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. XVI. Schreiben Gürtners vom 21. September 1933 an den Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz in den Ländern für die Erneuerung der Rechtsordnung, vgl. die Akte BA Berlin, R 3001/21786/5825/Bl. 437. Eine detaillierte Übersicht über den Gang der amtlichen Strafrechtskommission findet sich in DJ 1936, S. 1699 f. und Gruchmann, Justiz im 3. Reich, S. 753 ff.

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sozialismus die Kontinuität der Strafrechtsreform hervorzuheben, zuzuschreiben ist8. Über die Zusammensetzung der in Aussicht genommenen Strafrechtskommission traf Gürtner zunächst keine Entscheidung, sondern ließ als erstes im Sommer 1933 den E 1927 (Reichstagsvorlage) in seinem Ministerium an die neuen Entwicklungen 9 10 anpassen . Der so entstandene Referentenentwurf von 1933 (E 1933) wurde am 25. 11 September 1933 den Landesjustizverwaltungen übersandt ; eine Begründung erhielt der Entwurf nicht.

Im E 1933 fanden sich die Inzeststraftatbestände im 21. Abschnitt „Unzucht“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ weiterhin in § 29012. § 290 E 1933 stellte im Ergebnis eine Kombination des § 290 E 1927 und des § 290 Entwurf Kahl dar. Er übernahm die Strafhöhe von zehn Jahren für die Aszendenten in Absatz 1 des § 290 E 1927, machte die Reduzierung des Entwurfs Kahl also rückgängig und reihte sich somit nahtlos in die Tradition der Entwürfe von 1919 bis 1927 ein. Ferner verzichtete er wie § 290 Entwurf Kahl auf das Erfordernis des „verführt sein“ in Absatz 3.

B) Denkschrift des preußischen Justizministers Kerrl von 1933 Ebenfalls im September 1933 kam eine „Denkschrift des preußischen Justizministers“ Hanns Kerrl, der später auch Mitglied der Strafrechtskommission unter der Leitung von Gürtner war, unter dem Titel „Nationalsozialistisches Strafrecht“ heraus, die wohl auf 8

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Es wird vermutet, dass Gürtner die von nationalsozialistischer Seite mit Vorrang verfolgte Neuordnung des Strafrechts von Anfang an unter Kontrolle behalten wollte. Vor allem galt es, gegen Frank, Leiter der Rechtsabteilung der NSDAP und Vorsitzender des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, seit März 1933 bayerischer Staatsminister der Justiz, seit April 1933 Reichskommissar „für die Gleichschaltung der Justiz in den Ländern und für die Erneuerung der Rechtsordnung“ und seit Herbst 1933 Leiter der Akademie für Deutsches Recht, die Initiative zu halten. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. XIII. Dem Schreiben des Reichsjustizministers Gürtner an die jeweiligen Landesjustizverwaltungen vom 25. September 1933 ist zu entnehmen, dass dieser Entwurf als eine erste „Diskussionsgrundlage“ für die weiteren Beratungen der einzuberufenden Strafrechtskommission gedacht war. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. 1 Fn. 1. Entwurf eines Allgemeinen Strafgesetzbuchs 1933. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 265 ff. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. XIV. § 290 E 1933: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 320.

Siebentes Kapitel: Zeit des Nationalsozialismus

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Betreiben des neuen Staatssekretärs Roland Freisler innerhalb weniger Wochen von der Strafrechtsabteilung des Ministeriums erarbeitet worden war13. Mit dieser Denkschrift sollten augenscheinlich die innerhalb der Justizverwaltungen Preußens in der Strafrechtspraxis gesammelten Erfahrungen nutzbar gemacht und Vorschläge für die Gestaltung des neuen StGB unterbreitet werden14. Doch in Wirklichkeit beabsichtigten Kerrl und Freisler die Arbeiten an einem neuen StGB von vornherein in eine bestimmte Richtung zu lenken. Denn beide verfolgten offensichtlich das Ziel, die Bestrebungen des RMJ, an die früheren Arbeiten zur Strafrechtsreform anzuknüpfen und die Reichstagsvorlage von 1927 zur Grundlage eines neuen StGB zu machen, zu durch15 kreuzen .

In der Denkschrift wurde der BT in zwei Hauptgruppen aufgeteilt, „Schutz der Volksgemeinschaft“ und „Schutz der Volksgenossen“. Die Inzeststraftatbestände wurden innerhalb der ersten Gruppe im dritten Abschnitt „Der Schutz der Familie“, dort im vierten Kapitel „Angriffe auf die Familie“ im zweiten Titel „Blutsgefährdung (Blutschande)“ behandelt. Freisler äußerte, es müsse „der Zweck der an die Blutschande geknüpften Straffolgen in erster Reihe die Abwehr von Erbgefahren aus Inzucht, daneben aber auch die Abwehr schwerer, als anstößig empfundener geschlechtlicher Verbindungen zwischen Geschwistern und Verwandten auf- und absteigender Linie, d.h. im engsten Blutsverbande, sein.“

Darüber hinaus dürfte ein „völkisches Schutzbedürfnis nicht bestehen“. Daher erübrigten sich für Freisler auch Ausführungen zu dem seit dem E 1927 fortgelassenen Verschwägerteninzest. Eine Straffreierklärung besonders urteilsloser, verführter Jugendlicher werde „entbehrlich sein, da die allgemeinen Bestimmungen über Bestrafung Jugendlicher die erforderlichen Handhaben“ böten. Strafbar mache sich demnach, „wer mit einem Verwandten aufoder absteigender Linie oder mit voll- oder halbbürtigen Geschwistern Geschlechtsverkehr treibt“16. Kurz nach Erscheinen der Denkschrift erstellten verschiedene Mitarbeiter des preußischen Justizministeriums, geleitet von einer historisch-analytischen Sichtweise, unter 17 dem Titel „Merkblätter des preußischen Justizministeriums“ Referentenentwürfe zu

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Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. XIV. Hanns Kerrl, Nationalsozialistische Staatskunft- und Strafrechtserneuerung, in: Denkschrift, S. 3; Klee, GA 1932 (77), S. 321 (S. 323 f.). Buschmann, Das Strafgesetzbuch in der Zeit von 1933 bis 1945, in: Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Supplement I, S. 56. Denkschrift, S. 68. Die „Merkblätter des Preußischen Justizministeriums Ref. Entw. Bes. Teil. Abschnitt 25–36 Strafgesetzbuch“ finden sich in der Akte BA Berlin, R 3001/11454.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

ausgewählten Tatbestandsgruppen, die jedoch nicht die Inzeststraftatbestände behan18 delten .

C) Beratungen der Kommission für den Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs Die amtliche Kommission zur Beratung der Strafrechtserneuerung, deren endgültige Zusammensetzung19 erst Anfang Oktober 1933 festgelegt wurde, trat am 3. November 1933 unter der Leitung Gürtners zusammen und nahm ihre sachlichen Beratungen am 27. November 1933 auf20. Grundlage der Beratungen war der im RMJ erarbeitete E 1933.

I. Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission 1933/1934 (Erste Lesung) Am 12. September 1934 begann die erste Lesung über den BT, die nach sieben Tagungsabschnitten am 29. September 1934 abgeschlossen war; der dort erarbeitete Entwurf wurde dann an die Reichsministerien zur Stellungnahme übersandt21.

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In der Akte finden sich das Merkblatt 1 „Merkblatt betr. Diebstahl, Unterschlagung, Raub (§§ 328 bis 338 E 1933; §§ 242 bis 252, 370 Ziff. 5 StGB)“ von Gerichtsassessor Dr. Schönke, das Merkblatt 3: „Merkblatt über den Mißbrauch von Rauschgiften (§§ 367 bis 369 des Referentenentwurfs)“ von Amts- und Landrichter Dr. Goetze, das Merkblatt 5: „Merkblatt betr. Erpressung § 339 des Referentenentwurfs“ von Gerichtsassessor Ellger sowie das Merkblatt 8: „Rechtsvereitelung §§ 354–355 des Referentenentwurfs 1933“ von Gerichtsassessor Dr. Schlüter. Das Merkblatt 7: „Merkblatt betr. Hehlerei u. Erwerb verdächtiger Sachen“ ist zwar auf dem Aktendeckel erwähnt, findet sich aber nicht in der Akte. Mitglieder der Kommission waren Gürtner als Vorsitzender, Frank als Reichsjustizkommissar, Bayerischer Staatsminister und Leiter der Rechtsabteilung der NSDAP, Kerrl als Preußischer Justizminister, die Staatssekretäre Freisler und Schlegelberger, vier Vertreter der Rechtswissenschaft, Nagler und Kohlrausch als Vertreter der älteren Generation sowie Mezger und Dahm als Vertreter der jüngeren Strafrechtswissenschaft, fünf, später sechs Praktiker aus Preußen (Grau, Klee, Krug und Reimer), Bayern (Leimer) und Sachsen (Lorenz), sowie als Regierungskommissare die zuständigen Abteilungsleiter und Sachbearbeiter des RMJ und des preußischen Justizministeriums und je ein Vertreter des Bayerischen und Sächsischen Justizministeriums. Im Dezember 1933 kam zu der Gruppe der Wissenschaftler noch Professor Graf Gleispach hinzu, der wegen seiner nationalen Haltung in Wien in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden und nach Berlin übergesiedelt war, wo er alsbald einen Strafrechtslehrstuhl an der dortigen Universität erhielt. Vgl. zu Kurzbiographien der Kommissionsmitglieder Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 1. Teil, S. XVIII ff. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. XXVII. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 1. Teil, S. XV.

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Die Inzeststraftatbestände wurden innerhalb der ersten Lesung vornehmlich22 in der 45. Sitzung vom 18. September 193423 beraten. Berichterstatter waren Professor Graf Gleispach (Berlin) und Landgerichtsdirektor Lorenz. Gleispach führte zunächst aus24, die Blutschande werde aus zwei Gründen als strafbar angesehen. Einmal würden die Rücksichten auf die Bewahrung des Erbgutes als Grund für die Bestrafung angeführt; die Verbindung nächster Verwandter werde als nachteilig für das Erbgut angesehen. Es sei dies ein Satz, der heute nicht unbestritten sei und nicht allgemeine Gültigkeit beanspruchen könne. Weiter komme als Grund für die Strafbarkeit die Aufrechterhaltung der Reinheit der Familie hinzu. Gegenüber dem geltenden Recht unterscheide sich der Vorschlag des Referentenentwurfs, dem er sich anschließe, nach zwei Richtungen. Einmal werde der Geschlechtsverkehr zwischen Verschwägerten nicht mehr einbezogen, während dies nach dem geltenden Recht der Fall sei. Ferner sei der letzte Absatz des § 290 des Referentenentwurfs etwas weiter als die entsprechende Bestimmung des geltenden Rechts. Denn das geltende Recht erfasse nur den Fall eines Verkehrs zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie, während der letzte Absatz des Referentenentwurfs auch den Verkehr zwischen den Geschwistern einbeziehe. Der Tatbestand der Blutschande umfasse nur den normalen Geschlechtsverkehr zwischen Verwandten eines bestimmten Grades in der Form des Beischlafs; der Entwurf schlage daneben im § 291 noch vor, auch andere Unzuchtsformen zwischen Verwandten unter Strafe zu stellen, nämlich dann, wenn der Täter ein Erwachsener ist und einen Verwandten absteigender Linie zur Unzucht missbraucht. Bei der Verbreitung, welche die Formen des geschlechtlichen Verkehrs außerhalb des Beischlafs hätten, hielt Gleispach das für richtig. Dies entspreche auch dem Verlangen, das von dem Caritas-Verband und von der Deutschen Evangelischen Kirche erhoben worden sei. Auf der anderen Seite sei diese Erweiterung deswegen angefochten worden, weil hier die eugeni22

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Bereits in der 44. Sitzung vom 17. September 1934 („Angriffe auf Ehe, Familie und Personenstand“) führte Gleispach aus, es sei u.a. ein Schutz gegen die schwersten widernatürlichen Abirrungen des Geschlechtstriebs zu gewähren, wozu er auch die Blutschande rechne. Die Denkschrift behandle die Blutschande als Delikt gegen die Familie, wofür manches spreche, die öffentliche Unsittlichkeit als Zersetzung der moralischen Volkskraft, die Erschleichung des Beischlafs als Ehedelikt. In letzterer Hinsicht schiene ihm aber der betrügerische Angriff auf die Freiheit der Entschließung im Vordergrund zu stehen. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. 477. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. 485 ff. Die Ausführungen Gleispachs in der 45. Sitzung decken sich mit seinen Vorschlägen im Antrag Nr. 74 vom 5. August 1934 zum 21. Abschnitt (§§ 282–305 des Referentenentwurfs), in welchem er beantragte, die Bestimmungen des Entwurfs über die Blutschande anzunehmen. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. 776.

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schen Rücksichten für die Bestrafung der Blutschande fortfielen. Aber der Gesichtspunkt der Reinhaltung der Familie rechtfertige diese Strafdrohung25. Lorenz machte den Vorschlag26, auch den Geschlechtsverkehr zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie wieder mit Strafe zu bedrohen. Wenn man den Zweck der an die Blutschande geknüpften Straffolgen lediglich oder hauptsächlich in der Abwehr von Erbgefahren aus Inzucht sehe, dann wäre die Streichung berechtigt. Nach den Ergebnissen der modernen Vererbungslehre sei aber die Inzucht als solche nicht ohne weiteres eine Gefahr für die Erhaltung der Rasse. Nur so weit weniger gute Erbmassen vorhanden seien, bedeute sie eine größere Wahrscheinlichkeit für erbkranken Nachwuchs. Dagegen sei bei beiderseitigen guten Erbmassen die Wahrscheinlichkeit der Rasseverbesserung, zum mindesten -erhaltung gegeben. Die Gefahr der Inzucht könne also nur mit Einschränkung als Grund für die Strafdrohung angeführt werden. Dagegen sei „im Interesse der Reinhaltung der Familienbeziehungen und der Familienmoral Geschlechtsverkehr zwischen gewissen nahen Verwandten zu verhindern“. Das gelte aber ebenso für den Geschlechtsverkehr zwischen Schwiegereltern und -kindern. Durch den Geschlechtsverkehr zwischen Verschwägerten könnten auch merkwürdige, meist unerfreuliche Verschiebungen in der Generationenfolge eintreten. Aus diesen Erwägungen schlug Lorenz vor, den Beischlaf zwischen Verschwägerten aufund absteigender Linie auch mit Strafe zu bedrohen. Es wäre höchstens zu erwägen, ob man eine solche Strafvorschrift nicht in einen besonderen Paragraphen aufnehmen sollte, da hier nicht Blutschande im technischen Sinne vorliege. Die ausländischen Rechte hätten diese Tatbestände verschieden geregelt. In manchen Strafvorschriften finde sich die Ausdehnung der Strafbarkeit auch auf den Verkehr zwischen Verschwägerten, in manchen auch eine Ausdehnung auf unzüchtige Handlungen schlechthin. Dass die Strafdrohung für die Verwandten aufsteigender Linie erhöht werden solle, erscheine richtig. Bezeichnend sei übrigens, dass das neue italienische Strafrecht (Artikel 564), das die Blutschande als ein Verbrechen gegen die Familiensitte betrachte und nur dann für strafbar erkläre, wenn aus der Art der Begehung ein öffentliches Ärgernis entstehe, auch die zwischen Verschwägerten in gerader Linie bestrafe. Eventuell möge für die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verschwägerten in gerader Linie Voraussetzung sein, dass die sie begründende Ehe zur Zeit 25 26

Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. 485. Die Ausführungen von Lorenz in der 45. Sitzung übernahmen nahezu wortgetreu seine Leitsätze im Antrag Nr. 74 vom 15. August 1934 zum 21. Abschnitt des Besonderen Teils (§§ 282–303 des Referentenentwurfs). Vgl. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. 827.

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der Tat noch besteht. Lorenz schlug vor, den § 290 in der Richtung zu erweitern, dass er dem geltenden Recht entspreche27. Ministerialdirektor Schäfer entgegnete Lorenz, er habe wiederholt in der Gnadenpraxis Fälle erlebt, die sehr tragisch gewesen seien. Diese Fälle hätten das Ministerium veranlasst, die Verschwägerten aus dem Tatbestand der Blutschande herauszulassen28. Auch Reichsjustizminister Gürtner war geneigt, diese Bestimmung nicht auf die Verschwägerten auszudehnen. Er war der Meinung, dass man die Geschwister in Bezug auf das Alter nicht anders behandeln könne als die Verwandten. Widerspruch dagegen habe sich nicht erhoben29. So stand am Ende der ersten Lesung30 eine gegenüber § 290 E 1933 nur leicht geänderte Fassung der Inzeststraftatbestände im fünften Titel „Unzucht“ der ersten Gruppe „Schutz des Volkes“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 8431 – im Entwurf war der BT nach vorne gezogen worden, so dass sich die Nummerierungen völlig geändert hatten –, als eine konkrete Strafhöhe nicht mehr ausgesprochen und anstelle des Begriffs „jugendlich“ wieder ein konkretes Alter (18 Jahre) als Mindestalter gewählt wurde. Das Ergebnis erster Lesung wurde in dem „Bericht über die Arbeit der amtlichen Strafrechtskommission“32 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und entsprechend erläutert. In ihr stellte Gleispach, der das 6. Kapitel „Unzucht“ bzw. in der 2. Auflage das wortgetreue 8. Kapitel „Angriffe auf die Sittlichkeit“ verfasst hatte, fest, am Tatbestand sei gegenüber dem geltenden Recht nur eine Änderung vorgenommen worden. Er erfasse den Verkehr zwischen Verschwägerten nicht mehr. Eugenische Gründe für eine Strafdrohung bestünden hier nicht. Das Familienband sei wesentlich 27 28 29 30

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Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. 486. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. 487. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 2. Teil, S. 827. „Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission, 1. Lesung 1933/1934, zusammengestellt nach den von der Redaktionskommission überarbeiteten Vorschlägen der Unterkommissionen“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. 103 ff. § 84 (bisher § 296) 1933/1934 1. Lesung: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. 113. Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht, Bericht über die Arbeit der amtlichen Strafrechtskommission (1. und 2. Aufl.): Kommentator des Abschnitts „Unzucht“ (1. Aufl.) bzw. „Angriffe auf die Sittlichkeit“ (2. Aufl.) war Gleispach. Die jeweiligen Ausführungen geben den Stand der Beratungen wieder jedoch nicht frei von persönlichen Wertungen des jeweiligen Kommentators.

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schwächer als bei Blutsverwandten, zum Schutz der Jugend genügten die schon besprochenen Tatbestände. Die Straflosigkeit der noch nicht Achtzehnjährigen, vom geltenden Recht auf Verwandte absteigender Reihe beschränkt, solle künftig schlechthin gelten33.

II. Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission 1935/1936 (Zweite Lesung) In zweiter Lesung beriet die Strafrechtskommission vom 22. März 1935 bis zum 17. Januar 1936 in fünf Tagungsabschnitten erneut über die Vorschläge zur Erneuerung des StGB34.

Das in Rede stehende Delikt wurde in zweiter Lesung in der 78. Sitzung vom 26. Juni 193535 behandelt. Berichterstatter waren Oberstaatsanwalt Reimer und Professor Mezger. In der Sitzung, deren Inhalt „Angriffe auf die Wehrkraft“, „Angriffe auf die Reinheit der Amtsführung“ und „Unzucht“ waren, trug Reimer36 gegen die Bestimmung des § 84 Absatz 3 der Fassung der ersten Lesung, der die Blutschande von Personen behandelte, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, insoweit Bedenken, als diese Personen ausnahmslos straffrei bleiben sollten. Angesichts der Vielgestaltigkeit der in Betracht kommenden Fälle empfehle es sich, dem Gericht die Möglichkeit einer Bestrafung offen zu lassen, wenn nach dem besonderen Sachverhalt ein Bedürfnis dafür gegeben erscheine. Bei Geschwistern könne der Fall so liegen, dass die noch nicht 18 Jahre alte sittlich völlig verwahrloste Schwester den um ein Jahr älteren Bruder zur Blutschande verführt, ihre Handlungsweise somit moralisch verwerflicher sei als die des über 18 Jahre alten Bruders37. Jedoch stand am Ende der zweiten Lesung38 im neunten Abschnitt „Angriffe auf die Sittlichkeit“ des zweiten Teils „Angriffe auf die sittliche und seelische 33 34 35 36

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Gleispach, in: Gürtner, Das kommende deutsche Strafrecht, 1. Aufl., S. 124 (2. Aufl., S. 203). Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 1. Teil S. XV f. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 3. Teil, S. 619 ff. Die Ausführungen Reimers decken sich mit seinen Vorschlägen im Antrag zur 2. Lesung Nr. B 57 vom 8. Juni 1935 (§§ 70–97 des Entwurfs 1. Lesung), in dem er unter D. Gruppe III „Widernatürliche Unzucht“ zu § 84 darstellte, im Absatz 3 bestehe kein Anlass, insbesondere Geschwistern, soweit sie unter 18 Jahre sind, für blutschänderischen Verkehr geradezu einen Freibrief auszustellen. Er halte es für richtiger, Absatz 3 wie folgt zu fassen: „Bei Verwandten, die zur Zeit der Tat noch nicht 18 Jahre alt waren, kann von Strafe abgesehen werden“. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 3. Teil, S. 878. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 3. Teil, S. 639. „Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission, 2. Lesung 1934/1935, zusammengestellt nach den bisher vorliegenden Vorschlägen der Unterkommissionen – nach dem Stand vom 15. Juli 1935“ sowie „Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission, 2. Le-

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Haltung des Volkes“ der zweiten Gruppe „Schutz der Volkskraft“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 21539 (Stand 15. Juli 1935) bzw. § 21640 (Stand 1. Februar 1936) als einzige Neuerung, dass in Absatz 3 der Tatbestand auf Verwandte absteigender Linie beschränkt, also Geschwister ausgeklammert wurden. Damit ist eine Rückkehr zum E 1919 auszumachen, der zuletzt den Geschwisterinzest für stets strafwürdig erachtete.

III. Die Überprüfung der in zweiter Lesung gefassten Beschlüsse Obwohl die zweite Lesung bereits am 18. Januar 1936 abgeschlossen war und die Entwurfsfassung vom 1. Februar 1936 als deren vorläufiges Ergebnis zu betrachten ist, tagte von April bis Juni 1936 eine Unterkommission zur Überprüfung der Beschlüsse der zweiten Lesung41. Im Anschluss wurden weitere Entwurfsfassungen veröffentlicht42, die den jeweiligen Stand der Überprüfung der Beschlüsse der zweiten Lesung wiedergaben. So existieren neben der Fassung vom 15. Juli 1935 und vom 1. Februar 1936 noch die vom 1. Mai 193643 und 1. Juli 193644.

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sung 1934/1935, zusammengestellt nach den Vorschlägen der Unterkommissionen – nach dem Stand vom 1. Februar 1936“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. 173 ff. und S. 213 ff. § 215 1935/1936 2. Lesung (Stand 15. Juli 1935): „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. 197. § 216 1935/1936 2. Lesung (Stand 1. Februar 1936): „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. 243. Die Kommissionsmitglieder waren Freisler, Thierack, Niethammer, Kohlrausch, Dahm und Schaffstein. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 1. Teil S. XVI mit Kurzbiographien zu den einzelnen Mitgliedern ab S. XVIII. Die Entwürfe sind abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil. „Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission, 2. Lesung 1934/1935, zusammengestellt nach den Unterkommissionen – nach dem Stand vom 1. Mai 1936“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. 277 ff. „Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission, 2. Lesung 1934/1935, zusammengestellt nach den Unterkommissionen – nach dem Stand vom 1. Juli 1936“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil, S. 341 ff.

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Die Inzeststraftatbestände der Entwurfsfassung vom 1. Mai 1936 fanden sich im neunten Abschnitt „Angriffe auf die Sittlichkeit“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ im § 21645 und entsprachen wortgetreu der Fassung vom 1. Februar 1936. Erwähnung verdient, dass der Verschwägerteninzest in einem zusätzlichen § 216a46 unter der Paragraphenüberschrift „Beischlaf zwischen Verschwägerten“ abermals eingeführt wurde. Auch wenn das untersuchte Material hierzu nicht ergiebig war, drängt sich gleichwohl die Vermutung auf, dass diese Wiedereinführung auf die Bestrebungen Lorenz zurückging, der dies zuletzt in erster Lesung mit Nachdruck forderte. Die Fassung des Entwurfs nach dem Stand vom 1. Juli 1936 hielt an den beiden Paragraphen vom Mai 1936 fest, verschob sie aber im gleichen Abschnitt und unter gleichen Paragraphenüberschriften in die §§ 22147 und 22248.

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§ 216 E 1. Mai 1936: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. 306. § 216 a E 1. Mai 1936: „Wer mit einem Verschwägerten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft. Bestrafung tritt nicht ein, wenn die die Schwägerschaft begründende Ehe zur Zeit der Tat nicht mehr bestand. In besonders leichten Fällen, insbesondere wenn die häusliche Gemeinschaft der die Schwägerschaft vermittelnden Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war, kann von Strafe abgesehen werden. Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. 306. § 221 E 1. Juli 1936: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. 370. § 222 E 1. Juli 1936: „Wer mit einem Verschwägerten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft.

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IV. Die endgültige Fassung (Entwurf 1936) Eine abermalige Kontrolle der Beschlüsse durch eine Gesamtkommission fand vom 26. bis 31. Oktober 1936 statt49. Das Ergebnis dieser Erörterungen ist der mit ausführlicher Begründung versehene Entwurf von Dezember 1936 (E 1936)50.

Im E 1936 fanden sich die Inzeststraftatbestände im 9. Abschnitt „Angriffe auf die Sittlichkeit“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 21351 sowie unter der Paragraphenüberschrift „Beischlaf zwischen Verschwägerten“ in § 21452 und übernahmen nahezu wortgetreu die Regelungen der §§ 221 und 222 der Fassung vom 1. Juli 1936, wobei beim Verschwägerteninzest in Absatz 4 des § 214 nunmehr der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern konnte.

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Bestrafung tritt nicht ein, wenn die die Schwägerschaft begründende Ehe zur Zeit der Tat nicht mehr bestand. In besonders leichten Fällen, insbesondere wenn die häusliche Gemeinschaft der die Schwägerschaft vermittelnden Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war, kann von Strafe abgesehen werden. Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. 370. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 2 1. Teil S. XVII. „Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs (1936)“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 341 ff. § 213 E 1936: „Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 388 und Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. 436. § 214 E 1936: „Wer mit einem Verschwägerten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft. Bestrafung tritt nicht ein, wenn die die Schwägerschaft begründende Ehe zur Zeit der Tat nicht mehr bestand. In besonders leichten Fällen, insbesondere wenn die häusliche Gemeinschaft der die Schwägerschaft vermittelnden Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war, kann der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen. Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 2, S. 388 und Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. 436.

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In der Begründung wurde ausgeführt, „der Gesichtspunkt der kriminellen Bestrafung grober Unsittlichkeit trifft hier mit dem Ziel der Reinhaltung des Familienlebens und der körperlichen Gesunderhaltung der Rasse zusammen“53. Als „Blutschande im wahren Sinn“ stelle sich nur der Beischlaf dar, den nahe Blutsverwandte miteinander vollziehen (§ 213). Nur er „rufe die Gefahr einer Nachkommenschaft hervor, die mit körperlichen Gebrechen oder schweren geistigen Schäden behaftet“ sei54. Die Vorschrift gegen den Beischlaf zwischen Verschwägerten (§ 214) bezwecke „die Reinhaltung des Familienlebens“. Sei die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat aufgelöst, so fehle ein ausreichender Grund für die Bestrafung der geschlechtlichen Vereinigung der Verschwägerten. Der dritte Absatz spreche dies aus, erkläre also, dass die Strafvorschrift bspw. auf den Mann nicht anzuwenden sei, der nach dem Tod seiner Ehefrau der von ihm nicht erzeugten Tochter der Verstorbenen beiwohne. Indes seien auch besonders leichte Fälle denkbar, in denen der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie selbst dann nicht strafwürdig erscheine, wenn er während des Bestandes der verbindenden Ehe vollzogen werde. Dies treffe vornehmlich zu, falls die vermittelnden Ehegatten die häusliche Gemeinschaft zur Zeit der Tat aufgehoben hätten. Für solche Fälle gebe der vierte Absatz des § 214 dem Richter die Möglichkeit, von Strafe abzusehen55.

D) Der weitere Verlauf der Strafrechtsreform (1937–1939) Im weiteren Verlauf der Strafrechtsreform in der Zeit des Nationalsozialismus beabsichtigte der Reichsjustizminister Gürtner den Entwurf vom Dezember 1936 in der Kabinettssitzung am 26. Januar 1937 verabschieden zu lassen56, konnte sich jedoch 57 nicht gegen die übrigen Reichsminister durchsetzen . Gleichwohl wurden im Laufe des Jahres 1937 seitens des RMJ vier weitere Teilentwurfsfassungen zu den Kabinetts-

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Begründung zum Entwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs von 1936, Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 149. Begründung zum Entwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs von 1936, Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 149. Begründung zum Entwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs von 1936, Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 150. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. XVI. Er stieß damit nicht nur bei Frank, sondern auch bei den anderen Reichsministern und bei der Parteikanzlei auf Widerstand. In der Sitzung am 26. Januar 1937 wurde deswegen lediglich beschlossen, den Entwurf auf die Tagesordnung der kommenden Sitzungen zu setzen. Vgl. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. XVI.

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sitzungen vorgelegt58, deren Inzeststraftatbestände aber wortgetreu den §§ 213 und 214 des E 1936 entsprachen59. Die Fassungen der §§ 213 und 21460 des Entwurfs aus dem Jahr 193861 erhielten nur insofern eine Änderung, als bei dem Verschwägerteninzest des § 214 bezüglich der Straflosigkeit in Absatz 2 die Worte „oder dem Täter die Genehmigung zur Eheschließung mit dem Verschwägerten erteilt worden ist“ ergänzt wurden. Als die für Juni 1939 geplante Kabinettssitzung, zu der dieser Entwurf vorbereitet war, ausfiel, ordnete die Reichskanzlei auf Bitten des Reichsjustizministers Gürtner schriftliche Beratung im Umlaufverfahren an62. Die zunächst auf den 31. August 1938 angesetzte Frist wurde bis zum 31. September 1938 verlängert. Kurz vor Ablauf der Frist gingen am 30. September 1938 umfangreiche Stellungnahmen der 63 Parteikanzlei sowie von Frank ein, über die es, trotz einer persönlichen Aussprache der beiden Minister, zu keiner abschließenden Einigung kam64. Im Anschluss an das Umlaufverfahren wurden im April und Juni des Jahres 1939 neue Entwurfsfassungen gedruckt. Die Neufassung vom April 1939 hielt das Ergebnis der Einigung mit den anderen Ressorts fest und ging gleichzeitig auf zahlreiche Wünsche Franks ein65. Die Inzeststraftatbestände wurden in beiden Entwurfsfassungen in die §§ 219 und 220 verschoben und erhielten insofern eine Änderung, als die durch den Entwurf aus dem Jahr 1938 hervorgebrachte Änderung nunmehr in „Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn nach ihrer Begehung Befreiung vom Eheverbot wegen Schwägerschaft erteilt 66 worden ist“ geändert wurde. In der Folgezeit bemühte sich Gürtner um eine endgültige Verabschiedung der Vorlage, indem er besonders auf die Bedeutung des StGB für das geplante Wehrstrafgesetzbuch hinwies. So gelang es ihm, im Dezember 1939 Göring für die weiteren Beratungen im Ministerrat für die Reichsverteidigung zu 58 59

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Zu nennen sind die Entwürfe vom 9. März 1937, 5. Mai 1937, 22. Juni 1937 und Oktober 1937. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil. Der Entwurf vom 9. März 1937 umfasste nur die §§ bis 132. Sowohl im Entwurf vom 5. Mai 1937 (abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 354 f.) als auch im Entwurf vom 22. Juni 1937 (abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 392) und im Entwurf vom Oktober 1937 (abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 430) fanden sich die Inzeststraftatbestände in den §§ 213 und 214. §§ 213 und 214 des Entwurfs vom Juni 1938 sind abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 468. Der Entwurf vom Juni 1938 ist abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 439 ff. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. XVII. Frank überreichte Stellungnahmen allein für die §§ 287–483 des Entwurfs sowie Bemerkungen zu den §§ 215–273 des Entwurfs; infolgedessen fanden die Inzeststraftatbestände keine Berücksichtigung. Vgl. die Akte BA Berlin, R 3001/20855/Bl. 298 ff. (alt R 22/855). Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. XVII. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. XVII. Vgl. die Wiedergabe der Abweichungen des Neudrucks April 1939 gegenüber dem Entwurf vom Juni 1938 und die Wiedergabe der Abweichungen des Neudrucks Juni 1939 gegenüber dem Entwurf vom Dezember 1939. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 505 ff. bzw. S. 513 ff.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

gewinnen67. Als Vorlage für die im Januar 1940 geplanten Beratungen im Ministerrat für die Reichsverteidigung diente der im Dezember 1939 erschiene vorläufig letzte 68 Entwurf . Dieser beließ es bei der bislang gefundenen Fassung der erörterten Tatbestände, verschob sie jedoch in §§ 223 und 22469. Obwohl nach einer Mitteilung der persönlichen Referentin Görings an Gürtner Hitler mit den Vorschlägen der ersteren einverstanden schien, teilte Lammers am 18. Dezember 1939 Gürtner mit, Hitler habe der Auffassung Ausdruck gegeben, dass die Verabschiedung des Deutschen StGB im Wege der ordentlichen Gesetzgebung erfolgen müsse und dass er im Übrigen Zweifel habe, ob der Zeitpunkt des neuen StGB der gegebene sei70. Somit war die von Gürtner mit sehr großem Nachdruck betriebene Strafrechtsreform an der Abneigung Hitlers, während des Krieges neue grundlegende Gesetze zu erlassen, gescheitert71.

E) Strafrechtsnovellen: Insbesondere die Verordnung von 1938 Parallel zu den Arbeiten an der Strafrechtsreform wurde das geltende Strafrecht schrittweise durch eine Vielzahl von Einzelgesetzen ergänzt72, die allesamt aber nicht die Inzeststraftatbestände berücksichtigten. Sie waren jedoch Gegenstand einer Verordnung vom 23. April 193873.

Nach § 4 der Verordnung sollte in den Fällen des § 173 Absatz 2 StGB die Bestrafung nicht eintreten, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat nicht mehr bestand und das Gericht sollte von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Ferner sollte die Tat dann nicht mehr verfolgt werden, wenn Befreiung vom Ehehindernis des § 1310 BGB erteilt war74. Durch diese Änderungen

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Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. XVII. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 517 ff. Abgedruckt bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 545. Gruchmann, Justiz im 3. Reich, S. 821 f. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. XVII. Eine Übersicht über die strafrechtlichen Novellen von 1933 bis 1944 findet sich bei Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 1. Teil S. XVIII f. sowie unter Abdruck der meisten Novellen bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 1, Nr. 33 ff., S. 272 ff. Siehe auch Buschmann, Das Strafgesetzbuch in der Zeit von 1933 bis 1945, in: Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Supplement I, S. 66 ff. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderungen und Ergänzungen familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 23. April 1938. RGBl. I 1938, S. 417 ff. § 4 der VO: „In den Fällen des § 173 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs tritt Bestrafung nicht ein, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat nicht mehr bestand; das Gericht kann von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn

Siebentes Kapitel: Zeit des Nationalsozialismus

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wurden die Gedanken der Weimarer Zeit75 und der Zeit des Nationalsozialismus76 zur Einschränkung des Verschwägerteninzests umgesetzt77.

F) Zusammenfassung und Fazit Auch wenn der am Ende der Reformbewegungen der NS-Zeit stehende E 1936 eine Abkehr vom liberalen RStGB und den Neuerungen in der Weimarer Republik zeigen sollte78, sind die Inzeststraftatbestände in der Zeit des Nationalsozialismus kaum durch diese Ideologie beeinflusst worden. Der E 1933 übernahm in § 290 nahezu wortgetreu die Inzeststraftatbestände des § 290 Entwurf Kahl. Er erhöhte jedoch die Strafe für Aszendenten in Absatz 1 wieder auf zehn Jahre, reihte sich hinsichtlich der Strafhöhe also nahtlos in die Tradition der E 1919 bis 1927 ein. Mit der Denkschrift aus dem Jahr 1933, nach der „der Zweck der an die Blutschande geknüpften Straffolgen in erster Reihe die Abwehr von Erbgefahren aus Inzucht“ war, wurden in der Zeit des Nationalsozialismus eugenische Gesichtspunkte in den Vordergrund der Begründung der Inzeststrafbarkeit gehoben; daneben wurde die „Abwehr schwerer, als anstößig empfundener geschlechtlicher Verbindungen zwischen Geschwistern und Verwandten aufund absteigender Linie“ genannt. Die eugenische Begründungstendenz wurde in der Folgezeit aber nicht einheitlich weiterverfolgt. So wurde bspw. in der ersten Lesung (1933/1934) der Beratungen der amtlichen Kommission zur Strafrechtserneuerung kritisiert, diese Begründung sei „nicht unbestritten“ und könne „nicht allgemeine Gültigkeit“ beanspruchen. Daneben wurden wieder Stimmen laut, „im Interesse der Reinhaltung der Familienbeziehungen und der Familienmoral“ den Verschwägerteninzest abermals zu sanktionieren. Am Ende der ersten Lesung fanden sich die Inzeststraftatbestände gleichwohl an einer an den Regelungen des § 290 E 1933 angelehnten Fassung in § 84. Unter Verzicht auf einen konkreten Strafausspruch wurde der Verschwägerteninzest

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Befreiung vom Ehehindernis des § 1310 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erteilt ist“. Abgedruckt bei RGBl. I 1938, S. 418. Vgl. Entwurf Radbruch, Reaktionen zum E 1925, Anträge der Länder und die Beratungen in den Reichsratsausschüssen zum E 1925, E 1927, die Begründung und Reaktionen zum E 1927 (insbesondere Abhandlungen Straßberger und Lenz), die Ausschussberatungen sowie der E Kahl. Vgl. E 1933, Denkschrift 1933, E 1933/1934 (1. Lesung), E 1935/1936 (2. Lesung, insbesondere ab dem 1. Mai 1936). Schmidt, JR 1950, S. 111 (S. 112). Begründung zum Entwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs von 1936, Schubert / Regge, Quellen, II. Abt. Bd. 1 2. Teil S. 1 ff.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

nach wie vor ausklammert und anstatt des Begriffs „jugendlich“ ein Mindestalter von 18 Jahren implementiert. In der zweiten Lesung (1935/1936) wurde vornehmlich die Straflosigkeit für die noch nicht achtzehnjährigen Geschwister kritisiert, sodass am Ende der 2. Lesung in § 215 (Stand 15. Juli 1935) bzw. § 216 (Stand 1. Februar 1936) eine insoweit abgeänderte Fassung stand. Auch die Überprüfung der in zweiter Lesung gefassten Beschlüsse, namentlich die Inzeststraftatbestände der Entwurfsfassungen vom 1. Mai 1936 (§ 216) und vom 1. Juli 1936 (§ 221) hielten an den vorherigen Fassungen fest, führten jedoch einen zusätzlichen Paragraphen § 216a bzw. § 222 ein, der die Strafbarkeit des Verschwägerteninzests zum Inhalt hatte. Diese Neuerungen gingen wohl auf die Vorschläge von Lorenz in erster Lesung zurück, der diese Ergänzung „im Interesse der Reinhaltung der Familienbeziehungen und -moral“ und zur Verhinderung von „merkwürdigen, meist unerfreulichen Verschiebungen in der Generationenfolge“ forderte. Der E 1936 übernahm in §§ 213 und 214 nahezu wortgetreu die Regelungen der §§ 221 und 222 der Fassungen vom 1. Juli 1936, wobei beim Verschwägerteninzest in Absatz 4 nunmehr der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern konnte. Begründet wurde die Inzeststrafbarkeit damit, dass „der Gesichtspunkt der kriminellen Bestrafung grober Unsittlichkeit mit dem Ziel der Reinhaltung des Familienlebens und der körperlichen Gesunderhaltung der Rasse“ zusammentreffe. Eugenische Gesichtspunkte seien in § 213 maßgebend, wobei § 214 die „Reinhaltung des Familienlebens“ bezwecke. Die im weiteren Verlauf der Strafrechtsreform bis 1939 hervorgebrachten Entwurfsfassungen – vier im Laufe des Jahres 1937 (§§ 213, 214), 1938 (§§ 213, 214), April und Juni 1939 (§§ 219, 220) sowie Dezember 1939 (§§ 223, 224) – hielten unter einer Ergänzung bezüglich der Straflosigkeit beim Verschwägerteninzest durch den Entwurf aus dem Jahr 1938 und einer Änderung dieser Ergänzung durch den Entwurf aus dem April 1939 nahezu wortgetreu an den vorherigen Regelungen fest. In der Zeit des Nationalsozialismus verdient die Verordnung vom 23. April 1938 besondere Erwähnung, die Bestrebungen zur Einschränkung des Verschwägerteninzests aus der Weimarer Zeit und der des Nationalsozialismus umsetzte. Nach ihr wurde die Strafbarkeit des Inzests für den Fall aufgehoben, dass die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruhte, zur Zeit der Tat nicht mehr bestand. Auch konnte das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Diese Änderungen sind, auch wenn die nationalsozialistische Ideologie kaum einen Einfluss auf die Inzeststraftatbestände ausübte, auch darauf zurückzuführen, dass während der hier untersuchten Epoche eugenische Gründe im Vergleich zu den sittlich-moralischen oder gar religiösen Strafmotiven in den Vordergrund rückten.

Siebentes Kapitel: Zeit des Nationalsozialismus

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Inwieweit nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft an der vorbenannten Begründungstendenz sowie an den erzielten Änderungen der Inzeststraftatbestände festgehalten wurde, ist Gegenstand des folgenden Kapitels.

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945 A) Besatzungsrecht Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch die bedingungslose Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 wurde die Regierungsgewalt von den vier Besatzungsmächten und dem am 8. August 1945 gegründeten Alliierten Kontrollrat ausgeübt. Während dieser Besatzungszeit wurde ein erster Einfluss auf die (Straf-)Rechtspflege in 1 Deutschland durch die Kontrollratproklamation Nr. 3 vom 20. Oktober 1945 erzielt; dort heißt es in Absatz 2 Punkt 3 „Kein Gericht darf irgendeine Handlung auf Grund von Analogie oder im Hinblick auf das sogenannte ‘gesunde Volksempfinden’ für strafbar erklären, wie es bisher im deutschen Recht der Fall war“. Die Inzeststraftatbestände des § 173 RStGB sowie der Verordnung von 1938 ließen jedoch keine Auslegung im Hinblick auf das „gesunde Volksempfinden“ zu und konnten daher weiterhin 2 angewendet werden. Ferner wurden gesetzliche Regelungen erlassen mit dem Ziel, die deutsche Rechtsordnung von ihrer nationalsozialistischen Prägung zu befreien3. Von besonderer Bedeutung waren die Kontrollratsgesetze Nr. 11 vom 30. Januar 19464 sowie Nr. 55 vom 20. Juni 19475, die einzelne Bestimmungen des StGB sowie Gesetze und Verordnungen des nationalsozialistischen Gesetzgebers aufhoben, die zur Sicherung des Regimes sowie Vorbereitung und Durchführung des Krieges eingeführt worden waren. Die Inzeststraftatbestände des § 173 RStGB sowie der Verordnung von 1938 waren aber auch hiervon nicht betroffen, so dass der Inzest während der Besat-

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Kontrollproklamation Nr. 3 vom 20. Oktober 1945 „Grundsätze zur Umgestaltung der Rechtspflege“, Amtsbl. des Kontrollrates in Deutschland, S. 22. Vgl. dazu Welp, Die Strafgesetzgebung der Nachkriegszeit (1945 bis 1953), in: Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Supplement I, S. 139 ff. Die inhaltlichen Zielsetzungen der Alliierten wurden in den Politischen Grundsätzen des Potsdamers Abkommens vom Juli / August 1945 festgelegt; unter Punkt 4 heißt es: „Alle nazistischen Gesetze, welche die Grundlagen für das Hitlerregime geliefert haben oder eine Diskriminierung auf Grund der Rasse, Religion oder politischer Überzeugung errichteten, müssen abgeschafft werden. Keine solche Diskriminierung, weder eine rechtliche noch eine administrative oder irgendeiner anderen Art, wird geduldet werden“. Kontrollgesetz Nr. 11 „Aufhebung einzelner Bestimmungen des deutschen Strafrechts“ vom 30. Januar 1946, in Kraft getreten am 4. Februar 1946, Amtsbl. des Kontrollrates in Deutschland, S. 55. Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 1, Nr. 58, S. 369 ff. Kontrollgesetz Nr. 55 „Aufhebung von Vorschriften auf dem Gebiet des Strafrechts“ vom 20. Juni 1947, in Kraft getreten am 25. Juni 1947, Amtsbl. des Kontrollrates in Deutschland, S. 284.

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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zungszeit strafbar blieb und weder durch Kontrollratsgesetze noch für einzelne deutsche 6 Länder aufgehoben wurde .

B) Gesetzgebung der Fünfzigerjahre: Insbesondere das 3. StrÄndG Die „erste Phase der strafrechtlichen Nachkriegsgesetzgebung“7 wurde durch das 1. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 (1. StrÄndG)8 eingeleitet, dem sich 9 am 6. März 1953 das 2. Strafrechtsänderungsgesetz (2. StrÄndG) anschloss. Diese Änderungsgesetze berücksichtigten jedoch nicht die Inzeststraftatbestände. Diese waren 10 erst Gegenstand des 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (3. StrÄndG) , des so genannten „Strafrechtsbereinigungsgesetzes“. Das dem 3. StrÄndG folgende 11 4. Strafrechtsänderungsgesetz vom 11. Juni 1957 (4. StrÄndG) , das nur Vorschriften zum Staatsschutz betraf, sowie alle weiteren Gesetze der Fünfzigerjahre berücksichtigten allesamt nicht die Inzeststraftatbestände.

Durch Art. 1 Nr. 22 des 3. StrÄndG wurde § 4 der Verordnung von 1938 „ohne sachliche Änderung“12 in § 173 StGB eingearbeitet. So erhielt Absatz 2 eine Fassung, die die Strafbarkeit der Verschwägerten nur für den Fall aussprach, dass die die Schwägerschaft begründende Ehe zur Tatzeit bestand13. Zudem wurde ein Absatz 5 hinzugefügt, der beim Verschwägerteninzest Absehen von der Strafe ermöglichte, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war, und von der Verfolgung der Tat absah, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden war14. 6 7 8 9 10 11 12 13

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Schmidt, JR 1950, S. 111 (S. 112). Welp, a.a.O., S. 139 (S. 163). BGBl. I 1951, S. 739. Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 1, Nr. 61, S. 376 ff. BGBl. I 1953, S. 42. Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 1, Nr. 64, S. 398 ff. BGBl. I 1953, S. 735. Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 1, Nr. 65, S. 400 ff. BGBl. I 1957, S. 597. Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 2, Nr. 68, S. 3 ff. Dreher, JZ 1953, S. 421 (S. 423). „(2) Der Beischlaf zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso wird der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie bestraft, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht“. Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 1, Nr. 65, S. 402. „(5) Im Falle des Beischlafes zwischen Verschwägerten kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwäger-

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

Nach der Begründung des Regierungsentwurfs enthielt die Neufassung des § 173 StGB keine sachliche Änderung, sondern übernahm lediglich die Regelung des geltenden § 4 der Verordnung von 1938, die keineswegs nationalsozialistisches Gedankengut enthalte. Es sei seit langem zweifelhaft, ob ein Beischlaf zwischen Verschwägerten, die sog. unechte Blutschande, mit Strafe bedroht sein solle. Der Entwurf Radbruch (§ 256) und der E 1927 (§ 290) hätten nur die echte Blutschande unter Strafe gestellt und sich im Übrigen mit einer allgemeinen, dem geltenden § 174 Nr. 1 (Unzucht mit Abhängigen)15 entsprechenden Vorschrift begnügt. Diesen Vorschlägen sei die Verordnung vom 23. April 1938 nicht gefolgt. Sie habe nur dem Gedanken Rechnung getragen, dass die Pönalisierung der unechten Blutschande, „die der Freihaltung des Familienlebens von groben Unsittlichkeiten dient“, nur solange gerechtfertigt sei, als die zu schützende Ehe überhaupt bestehe. An dem Grundsatz des § 4 müsse deshalb festgehalten werden. Es scheine aber geboten, den Satz 1 des § 4 in etwas geänderter Fassung in den Absatz 2 des § 173 einzufügen. Denn der bisherige Wortlaut „tritt Bestrafung nicht ein“ könnte den Anschein erwecken, es handle sich – wie in § 173 Absatz 4 – nur um einen Strafausschließungsgrund. In Wirklichkeit fehle es aber nach allgemeiner Ansicht an einem Tatbestandsmerkmal, wenn die die Schwägerschaft vermittelnde Ehe nicht mehr bestehe. Die Sätze 2 und 3 des § 4 der Verordnung von 1938 seien mit einer redaktionellen Änderung und unter Anpassung an § 4 des Ehegesetzes vom 28. Februar 1946 als neuer Absatz 5 angefügt16. Der Regierungsentwurf zum 3. StrÄndG wurde dem Bundesrat am 11. Juli 1952 zugeleitet17, der ihn mit einer Vielzahl von Änderungsvorschlägen am 29. September

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schaft erteilt worden ist“. Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 1, Nr. 65, S. 402. Durch Art. 8 („Unzucht unter Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses“) der Verordnung zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und DonauReichsgaue (Strafrechtsangleichungsverordnung) vom 29. Mai 1943 (RGBl. I 1943, S. 339 ff.) erhielt § 174 RStGB, der vormals allein den Missbrauch außerhalb von Verwandtenverhältnissen regelte, eine Fassung, die nunmehr die Aszendenten einbezog, mithin unzüchtige Handlungen für Aszendenten mit ihren minderjährigen Abkömmlingen unter Strafe stellte: „§ 174 Mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten wird bestraft 1. wer einen seiner Erziehung, Ausbildung, Aufsicht oder Betreuung anvertrauten Menschen unter einundzwanzig Jahren oder […]“. Vgl. Schönke, DR 1943, S. 721 (S. 725); Kohlrausch, AkadZ 1943, S. 89 ff.; Vormbaum, Die Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29. Mai 1943, Materialien zur Verordnung und zu den Durchführungsverordnungen, Berlin 2011. BT-Drs. I/3713, Begründung, S. 23. BR-Drs. 287/52.

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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1952 an den Bundestag weiterleitete18. Dieser verwies den Entwurf in erster Lesung an den Rechtsausschuss, nach dessen Beratungen im März und Mai 1953 der Bundestag das Gesetz in zweiter und dritter Lesung am 12. Mai und 10. Juni 1953 beriet, jeweils zahlreiche Änderungen beschloss – die Inzeststraftatbestände erfuhren keine Veränderungen – und schließlich mit großer Mehrheit bei der Schlussabstimmung verabschiedete19. Nachdem der Bundesrat wegen einiger Änderungen den Vermittlungsausschuss angerufen hatte20, stimmten Bundesrat und Bundestag dem Votum des Ausschusses vom 3. Juli 1953 noch am selben Tag zu21. Die Neubekanntmachung des StGB erfolgte am 25. August 195322.

C) Rechtsprechung der Fünfzigerjahre In einer Entscheidung des BGH vom 10. April 195223 wurden, angelehnt an die Rechtsprechung des RG aus dem Jahr 1922, unterschiedliche Gründe für die Strafbarkeit des Inzests zwischen Verwandten und zwischen Verschwägerten angeführt. Bei dem Verbot des Beischlafs zwischen Verwandten sei es „in erster Linie darauf abgesehen, den Gefahren der Inzucht zu begegnen“, während das geschützte Rechtsgut beim Beischlaf zwischen Verschwägerten nur darin bestehe, dass der „engere Kreis der Familie von geschlechtlichen Beziehungen freigehalten werden“ solle; letzterer Grund werde insbesondere durch die Verordnung von 1938 deutlich24. Bestätigt hat der BGH diese Linie mit einer Entscheidung vom 9. Dezember 195225.

D) Beratungen der Großen Strafrechtskommission ab 1954 Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde die Strafrechtsreform auf Initiative des Justizministers Thomas Dehler (FDP) wieder aufgenommen26. Hierfür holte Dehler zunächst die Einschätzungen der Landesjustizminister sowie des deutschen Richterbundes zur Notwendig einer Strafrechtsreform ein27, die jedoch überwie18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

BT-Drs. I/3713. 1. Lesung: Sten. Ber. 1952, S. 10869; Mündlicher Bericht des Rechtsausschusses und Synopse mit Regierungsentwurf: BT-Drs. I/4250; 2. Lesung: Sten. Ber. 1953, S. 12992 ff.; 3. Lesung: Sten. Ber. 1953, S. 13264 ff., 13276. 111. Sitzung des Bundesrates vom 26. Juni 1953. Bundestag: Sten. Ber. 1953, S. 14072 f.; Bundesrat: Sten. Ber. 1953, S. 352. BGBl. 1953 I, S. 1083 (S. 1107). BGH, NJW 1952, S. 671 f. BGH, NJW 1952, S. 671 f. (S. 672). BGHSt 3, S. 342 ff. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XXXI. Schreiben des BMJ vom 21. Juli 1953 an die Länderregierungen und den deutschen Richterbund. Vgl. die Akte BA Koblenz, N 1151, Nr. 131.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

gend eine Gesamtreform des Strafrechts für nicht erforderlich hielten28. Gleichwohl entschloss sich Dehler für die Strafrechtsreform, weshalb das BMJ im Vorfeld führende deutsche Strafrechtslehrer mit der Erstellung von Gutachten zu Grundsatzfragen eines neuen StGB beauftragte29. Daneben ließ Dehler am Institut für ausländisches und internationales Strafrecht rechtsvergleichende Abhandlungen zu allen wesentlichen Teilen des AT und BT anfertigen30. Im Anschluss an diese Vorarbeiten stellte im Frühjahr 1954 der neue Bundesjustizminister Fritz Neumayer (FDP) eine Kommission, bestehend aus Strafrechtslehrern, Richtern, Staatsanwälten, Vertretern der Rechtsanwaltschaft, Mitgliedern des BMJ, der Landesjustizministerien sowie Bundestagsabgeordneten sämtlicher Fraktionen zusammen31, die unter Mitwirkung des BMJ einen 32 neuen Entwurf zu einem StGB ausarbeiten sollte ; diese Kommission nannte sich „Große Strafrechtskommission“ (GSK). Vor der Gründung der GSK gab es vergleichbare Bestrebungen in der BRAK, die bereits am 27. Mai 1947 die „Generalkommission zur Ausarbeitung neuer Entwürfe des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung“ einsetzte. Von dieser Kommission wurden über einen langen Zeitraum einzelne Vorschriften des StGB und der StPO erörtert sowie entsprechende Änderungsvorschläge erarbeitet. Zudem bat im Jahr 1953 der Staatssekretär im BMJ, Strauß, die Anwalt33 schaft offiziell um die Mitarbeit an der bevorstehenden Strafrechtsreform . Infolgedessen wurden einzelne Mitglieder des Strafrechtsausschusses mit der Erstellung von Referaten zu ausgewählten Themen betraut, die wiederum an den nachfolgenden Arbeitstagungen diskutiert wurden. Obgleich in den Tagungen nach 1954 explizit die

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Es wurde für zweckmäßiger erachtet, die Weiterentwicklung einzelner Neuerungen voranzutreiben und von einer Gesamtreform abzusehen, vgl. Abschrift des Schreibens des Niedersächsischen Justizministers vom 12. Februar 1954. Vgl. die Akte BA Koblenz, N 1151, Nr. 131. Vgl. Materialien zur Strafrechtsreform 1. Bd. (Gutachten der Strafrechtslehrer). Zu den Gutachtern gehörten Edmund Mezger, Bernhard Schmidt, Paul Bockelmann, Hans Welzel, Ernst Heinitz, Richard Lange, Thomas Würtenberger, Rudolf Sieverts, Wilhelm Gallas, Werner Niese, Karl Schneidewin, Reinhart Maurach, Hellmuth Mayer, Hellmuth von Weber, Horst Schröder, Eduard Kern (zweimal), Arthur Wegner. Vgl. Materialien zur Strafrechtsreform 2. Bd. (Rechtsvergleichende Arbeiten), in 2 Teilbänden für den AT und BT. Angefertigt durch das Freiburger Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (heute Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht). Abgeordnete des Deutschen Bundestages: Hoogen (CDU/CSU), Rehs (SPD), Schneider (FDP), Czermak (BG/BHE), Merkatz (DP). Strafrechtswissenschaftler: Paul Bockelmann, Wilhelm Gallas, Jescheck, Richard Lange, Edmund Mezger, Eberhard Schmidt, Hans Welzel. Vertreter des Deutschen Richterbundes: Resch. Vertreter der Rechtsanwaltschaft: Dahs. Vertreter des Bundesgerichtshofs und des Oberbundesanwalts beim BGH: Baldus, Wiechmann. Vertreter der Landesjustizverwaltungen: Kant (Hessen), Rösch (Bayern), Krille (Nordrhein-Westfalen). Besonders berufene Einzelmitglieder: Koffka, Niethammer, Richter, Schäfer, Skott. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XXXII. Schreiben vom 26. August 1953 an Prof. Dahs, den Vorsitzenden des Strafrechtsausschusses der Deutschen Anwaltskammern. Vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/17198, Bl. 2 ff.

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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Materialien der GSK einbezogen wurden34, sind – soweit ersichtlich – die hier interessierenden Tatbestände nicht Gegenstand dieser Referate und der von 1947 bis 1975 gehaltenen einhundert Tagungen35 geworden.

I. Gutachten der Strafrechtslehrer Zu bestimmten Kernfragen der Reform sollten Gutachten von Vertretern der Wissenschaft erarbeitet werden, die für diese Fragen als berufen galten; Schwerpunkt lag auf dem AT und der Systematik sowie bei einigen wenigen Fragen des BT36.

Für die hier interessierenden Tatbestände sind die Gutachten von Schneidewin37 und Maurach38 einschlägig, denen neben dem Titel „Die Systematik des Besonderen Teiles eines neuen Strafgesetzbuchs“ auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Inzeststraftatbeständen gemein ist. Nach Schneidewin sollte bei den Straftaten gegen die geschlechtliche Sittlichkeit, was die Reihenfolge der einzelnen Tatbestände betrifft, „wie bisher, wohl mit der Blutschande (§ 173 StGB) zu beginnen sein, da diese am ehesten an den vorangegangenen Abschnitt über Verletzung der sich aus der Familienzusammengehörigkeit ergebenden Delikte anknüpft.“39

Auch Maurach wollte die traditionelle Systematik beibehalten und „an der Spitze der Straftaten auf dem Gebiete der Sexualsphäre die Straftaten gegen die Normalität des Sexualempfindens, und zwar zuerst den Inzest“, wissen40.

II. Rechtsvergleichende Gutachten Die rechtsvergleichenden Gutachten der Vorarbeiten zur GSK beschränkten sich, im Gegensatz zu der fünfzehnbändigen Vergleichenden Darstellung aus den Jahren 1906 bis 1909, auf einige wenige Länder sowie eine kleine Themenauswahl; auch sollten die Verfasser keine eigene kritische Stellungnahme zu den Lösungen des Auslandsrechts erstellen41.

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Strafrechtsausschuss der BRAK, Kurzprotokolle, Register, Einführung, S. 2. Strafrechtsausschuss der BRAK, Kurzprotokolle, Bd. 1 bis Bd. 6. Materialien zur Strafrechtsreform, 1. Bd., Vorwort. Schneidewin, Die Systematik des Besonderen Teiles eines neuen Strafgesetzbuchs. Abgedruckt in Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. 1, S. 173 ff. Maurach, Die Systematik des Besonderen Teiles eines neuen Strafgesetzbuchs. Abgedruckt in Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. 1, S. 231 ff. Schneidewin, a.a.O., S. 173 (S. 201). Maurach, a.a.O., S. 231 (S. 242). Materialien zur Strafrechtsreform, 2. Bd., Vorwort.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

Die Inzeststraftatbestände wurden in dem Gutachten „Angriffe auf die Sittlichkeit“ von Schwarz42 behandelt, der zunächst die neben Deutschland untersuchten Länder und die dort geschützten Rechtsgüter benannte. Das durch die Bestimmungen gegen die Blutschande geschützte Rechtsgut sei in Österreich, in Spanien, in den USA und in England die allgemeine Sittlichkeit. In Frankreich und in Belgien werde daneben auch die Reinheit der Familie erwähnt. In Schweden werde neben der allgemeinen Sittlichkeit auch die Rassehygiene als schutzwürdig erachtet. Jugoslawien, Italien und die Schweiz schützten ausschließlich die Reinheit der Familie vor unzüchtigen geschlechtlichen Beziehungen. In der Tschechoslowakei sei die Menschenwürde als Schutzgut genannt43. Die Stellung der Bestimmung im Gesetz sei in den älteren Gesetzen die traditionelle, nämlich die unter den Sittlichkeitsdelikten. Im Gegensatz dazu würden Italien, die Schweiz, Dänemark und Jugoslawien die Blutschande unter dem Abschnitt der Delikte gegen Ehe und Familie behandeln. In der Tschechoslowakei stehe das Delikt im Abschnitt der Bestimmungen zum Schutz der Menschenwürde44. Die Straftat bestehe in der Ausübung der natürlichen Vereinigung. Zusätzlich würden Frankreich, Belgien und die Schweiz unter dem Tatbestand der Blutschande auch andere strafbare Unzuchtsakte strafen45. Das Delikt sei stets gegeben, wenn der Beischlaf von Verwandten direkter aufsteigender Linie mit Verwandten absteigender Linie ausgeübt werde. In Dänemark, in Frankreich und in Belgien seien nur die Verwandten aufsteigender Linie strafbar. In allen anderen Ländern würden auch die Verwandten absteigender Linie bestraft. Es komme nicht darauf an, ob die Verwandtschaft durch eheliche oder uneheliche Abstammung begründet sei. In Frankreich und in Belgien sei das jedoch sehr umstritten; manche Autoren sprächen sich für den Schutz der legitimen Familie aus. Besonders müssten die Bestimmungen in den USA hervorgehoben werden, wonach die Verwandtschaft auch in den Seitenlinien bis zum vierten Grad in Betracht komme. Die Feststellung des Grades werde wie nach dem BGB vorgenommen46.

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Erstellt am Institut für ausländisches und internationales Strafrecht der Universität Freiburg. Abgedruckt in Materialien zur Strafrechtsreform, 2. Bd., S. 177 ff. Schwarz, a.a.O., S. 182. Schwarz, a.a.O., S. 182. Schwarz, a.a.O., S. 182. Schwarz, a.a.O., S. 182.

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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Der Beischlaf zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern sei in der überwiegenden Mehrzahl der Staaten strafbar. Eine Ausnahme würden Frankreich und Belgien machen. Dort seien Strafbestimmungen für die Geschwister nicht vorgesehen. In Spanien sei nur der Bruder und der Halbbruder strafbar. In Österreich bestehe ein Übertretungstatbestand, wonach auch die Unzucht, die von den Bestimmungen über Blutschande nicht erfasst sei, zwischen Geschwistern und Halbgeschwistern strafbar sei47. Die geschlechtliche Vereinigung von Verschwägerten sei nur in Schweden, in der Schweiz, in Italien, in den USA und in Dänemark strafbar. In Dänemark sei sie als Übertretung mit Haft zu bestrafen, wenn die Ehe zwischen den Partnern verboten sei, und mit Geldstrafe, wenn Ausnahmen bewilligt werden können. In Schweden und in Italien seien nur die Verschwägerten in direkter auf- und absteigender Linie zu bestrafen48. Andere Verwandtschaftsverhältnisse würden durchweg nicht berücksichtigt, ausgenommen die Staaten der USA, die auch Verwandte in der Seitenlinie bis zum vierten Grad bestrafen, und Österreich, wo in das Delikt der Beischlaf zwischen Onkel und Nichte bzw. Tante und Neffe eingeschlossen sei49. In Dänemark sei die Strafe Gefängnis von sechs Monaten bis zu sechs Jahren, so auch für den Täter in Schweden; der Deszendent werde dort mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Jugoslawien und die Tschechoslowakei würden Gefängnis bis zu zwei Jahren androhen, Österreich Kerker von sechs Monaten bis zu einem Jahr, Italien Gefängnis von zwei bis fünf Jahren, Spanien leichtes Gefängnis, Frankreich Zuchthaus und die Schweiz Zuchthaus bis zu drei Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Monat. In Belgien richte sich die Strafe nach den Unzuchtsdelikten, da dort die Blutschande keinen eigenen Tatbestand darstelle, vielmehr die Verwandtschaftsverhältnisse nur erschwerende Merkmale zu den allgemeinen Sittlichkeitsdelikten darstellen50. Ein gesetzlicher Strafausschluss bestehe in der Schweiz, in Schweden, in Dänemark, in England und in Spanien. In England sei das Opfer weiblichen Geschlechts straflos, wenn es der Unzuchtshandlung nicht zugestimmt habe. In Schweden seien alle Personen unter 18 Jahren, in der Schweiz alle unmündigen Personen straflos, wenn sie durch Missbrauch der Familienstellung des Täters verführt worden seien. Das dänische StGB erkläre alle Verwandten 47 48 49 50

Schwarz, a.a.O., S. 182. Schwarz, a.a.O., S. 182. Schwarz, a.a.O., S. 182. Schwarz, a.a.O., S. 182 f.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

absteigender Linie und Geschwister unter 16 Jahren für straffrei. In Spanien seien alle abhängigen Opfer ebenfalls nicht zu bestrafen. Die Strafbestimmungen seien in Belgien und in Frankreich wegen der besonderen Fassung des Tatbestandes generell auf alle Verwandten absteigender Linie nicht anwendbar. Diese beiden Länder bedürften besonderer Erwähnung, da sie die Blutschande nur straften, wenn sie an Minderjährigen, die nicht durch Heirat mündig geworden seien (Frankreich), oder Personen unter 16 Jahren vollzogen werde. In Italien sei die Blutschande nur strafbar, wenn sie öffentliches Ärgernis errege51. Einzelne Strafgesetze würden Bestimmungen über qualifizierte Delikte enthalten. So sei in Dänemark die Strafe Gefängnis von einem bis zu zehn Jahren, wenn der Verwandte absteigender Linie weniger als achtzehn Jahre alt sei. In England werde der Täter mit lebenslänglichem Gefängnis bestraft, wenn das Opfer weiblichen Geschlechts weniger als dreizehn Jahre alt sei, in Schweden mit Zuchthaus von vier bis zehn Jahren, wenn das Opfer weniger als fünfzehn Jahre alt, geisteskrank oder -schwach sei. In diesem Fall seien auch die Stiefeltern strafbar. In der Schweiz werde Zuchthaus bis zu zehn Jahren verhängt, wenn der Verwandte absteigender Linie weniger als sechzehn Jahre alt sei. Italien kenne eine Qualifikation in dem Merkmal des blutschänderischen Verhältnisses, einer länger dauernden, anhaltenden geschlechtlichen Verbindung. In diesem Fall sei die Strafe Gefängnis von zwei bis acht Jahren52. Der Versuch des Delikts sei nur in Spanien und in Italien straffrei53.

III. Regelungsvorschläge der III. Unterkommission Nachdem die GSK am 6. April 1954 zu ihrer konstituierenden Sitzung in Bonn zusammen trat, beschloss sie die Beratungen zum BT in drei selbständigen Unterkommissio54 nen vorbereiten zu lassen . Als Grundlage dieser Beratungen sollte in erster Linie der E 1927 dienen; daneben sollte geprüft werden, inwieweit Abweichungen des E 1936 55 gegenüber dem E 1927 im Einzelfall den Vorzug verdienten . So setzte sich die GSK nicht nur mit den Entwürfen der Weimarer Republik, sondern auch mit denen der NSZeit auseinander. Eine personelle Kontinuität bestand darüber hinaus insoweit, als von den Mitgliedern der Kommission von 1933 an den Arbeiten der GSK von 1954 Mezger, 56 Niethammer und Schäfer teilnahmen . Innerhalb der Unterkommissionen wurden 51 52 53 54 55 56

Schwarz, a.a.O., S. 183. Schwarz, a.a.O., S. 183. Schwarz, a.a.O., S. 183. Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 14, Vorwort, S. 5. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XXXII. Schubert / Regge, Quellen, II. Abt., Bd. 1 1. Teil, S. X.

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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Fassungsvorschläge und Bemerkungen der Referenten in R-Umdrucken festgehalten. Die Fassungsvorschläge der Unterkommissionen wurden dann in V-Umdrucken niedergelegt, die später in einer vorläufigen Zusammenstellung (VZ) zusammengefasst 57 wurden und als Arbeitsgrundlage für die Beratungen der Vollkommission dienten .

Die hier interessierenden Tatbestände fielen in den Arbeitsbereich der III. Unterkommission. Diese beriet anlässlich ihrer zweiten Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 195758 auf Grundlage des Umdrucks R 9859 über das Thema „Unzucht“60. Der Umdruck R 98 war von den Kommissionsmitgliedern Mezger und Baldus gemeinsam erarbeitet, mit Bemerkungen versehen und zur Beratung vorgelegt worden. Im Umdruck R 98 fanden sich die Inzeststraftatbestände in den §§ h61 und i62, die nahezu wortgetreu die §§ 213 und 214 E 1936 übernahmen. Als Unter57 58

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Materialien der Strafrechtsreform, Bd. 5, Anhang B, Vorwort. Anwesende der 2. Arbeitstagung zum Thema „Unzucht“ waren Senatspräsident Dr. Baldus, Bundesgerichtshof (Vorsitzender), Generalstaatsanwalt Dr. Dünnebier (Bremen), Oberstaatsanwalt Fritz (Hessen), Professor Dr. Gallas, Heidelberg, Professor Dr. Jescheck, Freiburg, Professor Dr. Dr. h.c. Mezger, München, Rechtsanwalt Freiherr von Stackelberg, Strafrechtsausschuss der Deutschen Rechtsanwaltskammern, Ministerialrat Neudeck, Bundesverteidigungsministerium und Landgerichtsrat Dr. Sturm, BMJ (Schriftführer). Vgl. Niederschriften über die Sitzungen der Unterkommissionen zur Vorbereitung des Entwurfs des Besonderen Teils eines Strafgesetzbuches, 3. Bd., III. Unterkommission, S. 115. Umdruck R 98, in Niederschriften über die Sitzungen der Unterkommissionen zur Vorbereitung des Entwurfs des Besonderen Teils eines Strafgesetzbuches, 3. Bd., III. Unterkommission, Anlage 1, S. 140–149. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, in Niederschriften über die Sitzungen der Unterkommissionen zur Vorbereitung des Entwurfs des Besonderen Teils eines Strafgesetzbuches, 3. Bd., III. Unterkommission, S. 115–161. „§ h Blutschande (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt im Umdruck R 98, a.a.O., S. 141. „§ i Beischlaf zwischen Verschwägerten (1) Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender oder absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft; Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (2) Das Gericht kann von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. (3) Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn die Verschwägerten die Ehe unter Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft geschlossen haben“.

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schiede sind allein auszumachen, dass die Regelung zur Straflosigkeit des Deszendenteninzests in § h Absatz 3 auf die Einschränkung „absteigender Linie“ verzichtete und in § i Absatz 3, angelehnt an die Verordnung von 1938, der Verschwägerteninzest nicht mehr verfolgt wurde, wenn die Verschwägerten die Ehe unter Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft geschlossen hatten. Da der E 1936 kein konkretes Strafmaß vorsah, orientierte man sich hierbei an den vorherigen Fassungen, insbesondere am § 290 E 1927. In den Bemerkungen zum Umdruck R 98 führten Mezger und Baldus zu § h aus, es bleibe zu prüfen, ob dieser und § i in den Abschnitt über „strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie“ einzustellen seien. Straffreiheit nach § h Absatz 3 solle auch Geschwistern gewährt werden, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren63. Zu § i bemerkten sie, die Vorschrift, auf die nicht verzichtet werden solle, übernehme „der Sache nach das geltende Recht“. Das Verfolgungshindernis dürfe nicht an die Befreiung vom Eheverbot geknüpft werden. Voraussetzung solle die Tatsache der Eheschließung unter Befreiung vom Eheverbot sein. Sonst könnten sich die Beteiligten ohne wirkliche Eheabsicht Straffreiheit sichern64. Im Rahmen der Arbeitstagung erläuterte Mezger die Bestimmung des § h auf der Grundlage der schriftlichen Bemerkungen im Umdruck R 98. In der Aussprache wurde zunächst die Frage erörtert, ob §§ h und i nicht besser in den Abschnitt „Strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie“ eingegliedert werden sollten. Baldus neigte dazu, sie dorthin zu übernehmen, weil die Verstöße gegen diese beiden Vorschriften „sich in erster Linie gegen die Struktur der Familie“ richteten. Dem stimmte die Mehrheit der Unterkommission zu. Lediglich Mezger und Gallas waren für ihre Beibehaltung im vorliegenden Abschnitt, wobei Gallas meinte, Blutschande sei ein Sittlichkeitsdelikt, während der Beischlaf zwischen Verschwägerten mehr einen Angriff gegen Ehe und Familie darstelle. Da man die beiden Vorschriften aber nicht trennen könne, sei er dafür, sie im vorliegenden Abschnitt zu belassen65. Die Frage des Strafrahmens für § h Absatz 1 war bereits im Zusammenhang mit dem Strafrahmens für § a (Notzucht) eingehend behandelt worden66. Von der Kommission wurden daher folgende drei Alternativen beschlossen:

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Abgedruckt im Umdruck R 98, a.a.O., S. 141 f. Umdruck R 98, a.a.O., Bemerkungen, S. 146. Umdruck R 98, a.a.O., Bemerkungen, S. 146. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 123. Nach umfangreicher Diskussion machte Baldus, unterstützt von einer Mehrheit der Unterkommission, den Vorschlag, bei Notzucht und bei Blutschande mit Abkömmlin-

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„1. Gefängnis nicht unter einem Jahr (Baldus und die Mehrheit der Unterkommission); 2. Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahr (Mezger); 3. Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Gefängnis 67 nicht unter einem Jahr (Gallas).“

Baldus erklärte, man müsse, insbesondere wenn man die Blutschande mit Abkömmlingen generell mit Gefängnis bedrohe, nach Qualifikationsmerkmalen suchen, die den Übergang zum Zuchthaus rechtfertigten. Dass es zuchthauswürdige Fälle der Blutschande gebe, wurde einhellig bejaht. Fritz schlug vor, Blutschande an Abkömmlingen unter achtzehn Jahren mit Zuchthaus zu bedrohen. Er fand allgemeine Zustimmung. Ferner wurde angeregt, die Blutschande, begangen mit den Mitteln der Notzucht, als einen qualifizierten Fall anzunehmen. Gallas meinte, man müsse bei Blutschande mit Abkömmlingen auch die Anwendbarkeit des § g (schwere Folgen) prüfen. Eine Anregung, das blutschänderische Dauerverhältnis mit Abkömmlingen mit Zuchthaus zu bedrohen, wurde nicht weiter verfolgt. Eine abschließende Klärung der Frage, welche Fälle qualifizierter Blutschande vorgesehen werden sollen, wurde nicht erreicht68. § h Absatz 2, der dem geltenden Recht (§ 173 Absatz 1 und 2 StGB) entsprach, wurde ohne weitere Aussprache einstimmig gebilligt69. Zu § h Absatz 3 fragte Gallas, ob dieser im Gegensatz zum geltenden Recht auch Blutschande unter Geschwistern unter achtzehn Jahren umfassen solle. Baldus bejahte dies und erklärte, Blutschande unter Geschwistern unter achtzehn Jahren sollte generell straffrei sein, weil diese i.d.R. „eine Folge der Pubertät“ sei. Hierauf wurde die Frage aufgeworfen, ob man in Absatz 3 nicht nur fakultativ Straffreiheit vorsehen sollte. Lackner meinte, es wäre sehr gefährlich, Absatz 3 nur als „Kannvorschrift“ auszugestalten. Damit würden die Entscheidungen je nach der weltanschaulichen Auffassung des einzelnen Richters ausfallen. Mit gleicher oder ähnlicher Begründung sprachen sich auch die übrigen Mitglieder der Unterkommission gegen eine nur fakultative Straffreiheit in Absatz 3 aus70. Wegen der Nebenstrafe für § h, die nur dann in dieser Vorschrift geregelt werden müsse, wenn sie in den Abschnitt „Strafbare Handlungen gegen Ehe

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gen allgemein Gefängnis nicht unter einem Jahr anzudrohen und für beide Tatbestände schwere Fälle zu schaffen, die den Übergang zur Zuchthausstrafe rechtfertigen. Vgl. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 116 ff. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 123. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 123. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 123. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 123.

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und Familie“ komme, wurde auf die Niederschrift zu § x (Nebenstrafen) verwiesen71. Mezger erläuterte die Bestimmung des § i auf der Grundlage der schriftlichen Bemerkungen im Umdruck R 98 und führte aus, die Vorschrift, die der Sache nach das geltende Recht übernehme, müsse beibehalten werden. Die wichtigste Frage sei, welche Ausnahmen von der Strafbarkeit nach Absatz 1 vorzusehen seien. Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt gewesen seien, sollten, wie im geltenden Recht, straffrei sein (Absatz 1 am Ende). Der Absatz 2 schaffe die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben gewesen sei. Der Absatz 3 enthalte ein Verfolgungshindernis, wenn die Verschwägerten unter Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft die Ehe geschlossen hätten. Im Gegensatz zum geltenden Recht werde vorgeschlagen, das Verfolgungshindernis nicht mehr an die Befreiung vom Eheverbot zu knüpfen. Sonst könnten sich die Beteiligten ohne wirkliche Eheabsicht Straffreiheit sichern72. Gallas meinte, die Vorschrift des § i habe wegen der zahlreichen Ausnahmen von der Strafbarkeit keinen Gehalt mehr. Er sei für die Streichung der Bestimmung. Dünnebier, Fritz und Freiherr von Stackelberg sprachen sich ebenfalls für die Streichung aus. Baldus betonte demgegenüber, der § i bezwecke den Schutz der Familie und sei daher notwendig. Jescheck, der sich ebenfalls für die Beibehaltung einsetzte, wies darauf hin, dass es, wenn ein Kind aus einem solchen Verhältnis hervorgehe, die seltsamsten familienrechtlichen Konstellationen gebe. Der Beischlaf zwischen Verschwägerten sei „in höchstem Maße familienzerstörend“. Eine Einigung über die Beibehaltung oder Streichung der Vorschrift war in der Unterkommission nicht zu erzielen. Die Alternativen zu § i fanden sich unter § b des Umdrucks V 2873. Die Ergebnisse der Beratung der III. Unterkommission zum Thema Unzucht wurden in dem 1. Arbeitsentwurf der III. Unterkommission, dem V 2374, zusammengefasst. Die Inzeststraftatbestände waren dort jedoch nicht geregelt,

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Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 124. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 124. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 124. Vorschläge der Unterkommission zum Thema Unzucht, in Niederschriften über die Sitzungen der Unterkommissionen zur Vorbereitung des Entwurfs des Besonderen Teils eines Strafgesetzbuches, 3. Bd., III. Unterkommission, Anlage 3, Umdruck V 23, S. 155–161.

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da beschlossen wurde, sie in den Abschnitt „Strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie“ zu verschieben. Anlässlich ihrer zweiten Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 195775 sowie einer Zwischentagung vom 11. bis 13. März 195776 beriet die III. Unterkommission auf der Grundlage des Umdrucks R 10677 über das Thema „Strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie“78. Auch der Umdruck R 106 war von den Kommissionsmitgliedern Mezger und Baldus gemeinsam erarbeitet, mit Bemerkungen versehen und zur Beratung vorgelegt worden. Ebendort wurde auch über die Inzeststraftatbestände beraten, da diese in den Abschnitt, der ursprünglich vom Umdruck R 106 umfasst wurde, verschoben wurden. Im Rahmen der Arbeitstagung schlug Baldus vor, die Tatbestände der Blutschande und des Beischlafs zwischen Verschwägerten an den Anfang des Abschnitts zu stellen. In der Aussprache herrschte Einigkeit darüber, dass die Blutschande und der Beischlaf zwischen Verschwägerten, falls sie hierher übernommen würden, wie im Art. 213 Schweiz. StGB an die Spitze des Abschnitts gestellt werden sollten79. Während der Zwischentagung wurde festgestellt, bei der 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957 sei teilweise offengeblieben, welche Qualifikationstatbestände bei der Blutschande mit Abkömmlingen (§ a Absatz 1 des Umdrucks V 28) geschaffen werden sollten. Man sei sich lediglich darüber einig geworden, dass Blutschande mit Abkömmlingen unter achtzehn Jahren und Blutschande mit den Mitteln der Notzucht als qualifizierte Fälle gelten sollten. Die weitere Frage, ob Blutschande, begangen unter den Voraussetzungen des § g des Umdrucks R 98 (lebensgefährdende Behandlung des Opfers durch die Tat 75

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Anwesende der 2. Arbeitstagung zum Thema „Strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie“ waren die gleichen Personen, wie zum Thema „Unzucht“, wobei Mezger nicht am 26. Januar 1957 anwesend war. Vgl. Niederschriften über die Sitzungen der Unterkommissionen zur Vorbereitung des Entwurfs des Besonderen Teils eines Strafgesetzbuches, 3. Bd., III. Unterkommission, S. 199. Bei der Zwischentagung waren die gleichen Personen wie zuvor anwesend. Vgl. Niederschriften über die Sitzungen der Unterkommissionen zur Vorbereitung des Entwurfs des Besonderen Teils eines Strafgesetzbuches, 3. Bd., III. Unterkommission, S. 209. Umdruck R 106, in Niederschriften über die Sitzungen der Unterkommissionen zur Vorbereitung des Entwurfs des Besonderen Teils eines Strafgesetzbuches, 3. Bd., III. Unterkommission, Anlage 1, S. 211–215. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, in Niederschriften über die Sitzungen der Unterkommissionen zur Vorbereitung des Entwurfs des Besonderen Teils eines Strafgesetzbuches, 3. Bd., III. Unterkommission, S. 115–161. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 200.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

oder Tod des Opfers als Folge der Tat), ebenfalls zum qualifizierten Fall ausgestaltet werden sollte, sei dagegen nicht mehr entschieden worden80. Baldus erklärte, die Erschwerungsgründe des § g des Umdrucks R 98 würden für die Blutschande mit Abkömmlingen nicht passen. Es sei nicht typisch, dass bei der Blutschande das Leben des Opfers durch die Tat gefährdet werde oder das Opfer an den Folgen der Tat sterbe. Der § g des Umdrucks R 98 könne bei der Blutschande daher keine Anwendung finden. Dem stimmte die Unterkommission einhellig zu81. Was die Qualifikation der Blutschande mit Abkömmlingen durch Anwendung der Mittel der Notzucht betraf, warf Baldus die Frage auf, ob es insoweit nicht richtiger wäre, statt die Blutschande mit den Mitteln der Notzucht die blutschänderische Notzucht zu qualifizieren. Lackner war dafür, die Blutschande mit den Mitteln der Notzucht zum qualifizierten Fall zu erheben. Der Akzent der Tat liege mehr bei der Blutschande als bei der Notzucht; es geschehe alles im Familienverband. Dünnebier und Jescheck waren der gleichen Meinung. Baldus gab schließlich zu erwägen, ob man auf die qualifizierte Blutschande mit den Mitteln der Notzucht nicht verzichten sollte. Es sei doch sehr schwer, in der Praxis einen solchen Tatbestand aufzuklären, da sich alles im Familienverband abspiele. Die Frage, ob die Blutschande mit den Mitteln der Notzucht begangen sei, müsste ohnehin geprüft werden wegen der möglichen Idealkonkurrenz von Blutschande mit Notzucht. Ein echtes Bedürfnis, die Blutschande, begangen mit den Mitteln der Notzucht, zum qualifizierten Fall auszugestalten, bestehe nicht. Die überwiegende Mehrheit der Unterkommission war jedoch dafür, diese Qualifizierung beizubehalten; lediglich Gallas verzichtete von seinem Standpunkt aus auf dieses Qualifikationsmerkmal82. Die endgültigen Vorschläge der Unterkommission zu der Fassung der Blutschande mit Abkömmlingen fanden sich unter § a Absatz 1, 1. bis 3. Alternative des Umdrucks V 28. Die Unterkommission war sich einig, dass die Frage, ob die Blutschande mit den Mitteln der Notzucht oder die blutschänderische Notzucht zu qualifizieren sei, in der Vollkommission noch einmal besonderer Prüfung bedürfe83. Die Ergebnisse und Fassungsalternativen der Beratung der III. Unterkommission zum Thema „Strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie“ wurden in 80 81 82 83

Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 210. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 210. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 210. Niederschrift über die 2. Arbeitstagung vom 21. bis 26. Januar 1957, a.a.O., S. 210.

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dem 1. Arbeitsentwurf der III. Unterkommission, dem V 2884, zusammengefasst. Die hier interessierenden Tatbestände fanden sich in den §§ a85 und b86, 84

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Vorschläge der Unterkommission zum Thema „Strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie“, in Niederschriften über die Sitzungen der Unterkommissionen zur Vorbereitung des Entwurfs des Besonderen Teils eines Strafgesetzbuches, 3. Bd., III. Unterkommission, Anlage 2, Umdruck V 28, S. 216–220. „§ a Blutschande (Eine Minderheit der Unterkommission habe vorgeschlagen, die Vorschrift über Blutschande in den Abschnitt über Unzucht einzufügen.) (1) 1. Alternative (Mehrheitsvorschlag): Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis nicht unter einem Jahr bestraft. Der Versuch ist strafbar. Wird die Tat an einem Verwandten unter achtzehn Jahren oder durch Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren. 2. Alternative (Mezger): Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Jahr bestraft. Wird die Tat an einem Verwandten unter achtzehn Jahren oder durch Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen, so kann auf Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren erkannt werden. 3. Alternative (Gallas): Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis nicht unter einem Jahr bestraft. (Die vorgeschlagene Fassung des Absatzes 1 setze voraus, daß neben den Wertstufen der besonders leichten und besonders schweren Fälle auch minder schwere zugelassen werden. Insoweit bedürften die bisherigen Beschlüsse der Kommission der Überprüfung.) (2) 1. Alternative (Mehrheitsvorschlag): Im Falle des Absatzes 1 Satz 1 und 2 ist die Aberkennung der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und der Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen (§ 47 Abs. 3), zulässig, wenn auf Gefängnisstrafe von mindestens drei (zwei) Jahren erkannt ist. (Die Fassung des Absatzes 2 bedürfe geringfügiger Änderung, wenn die 2. oder 3. Alternative zu Absatz 1 angenommen wird.) 2. Alternative (Gallas): Eine Vorschrift i.S.d. 1. Alternative wird nicht aufgenommen. (3) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (4) Verwandte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Vorschläge der Unterkommission zum Thema „Strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie“, a.a.O., S. 216 f. § b Beischlaf zwischen Verschwägerten 1. Alternative: (Eine Minderheit der Unterkommission habe vorgeschlagen, den § b für den Fall seiner Billigung durch die Kommission in den Abschnitt über Unzucht einzustellen.) (1) Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender oder absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat be-

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die dann wortgetreu unter dem Titel „Straftaten gegen Ehe und Familie“ und den Paragraphenüberschriften „Blutschande“ und „Beischlaf zwischen Verschwägerten“ in den §§ 37987 und 38088 der VZ übernommen wurden.

IV. Änderungsvorschläge der Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums Zur weiteren Vorbereitung der Beratungen erstellten die Sachbearbeiter des BMJ JUmdrucke – hier ist einschlägig der Umdruck J 8189 – mit eigenen Anmerkungen und Änderungsvorschlägen. Grundlage waren Vorabstimmungen über die VZ sowie von den Kommissionsmitgliedern eingereichte Abänderungsanträge90. Daneben wurden als Bearbeitungsgrundlage für die hier interessierenden Tatbestände der § 290 E 1927, die §§ 213, 214 E 1936 und die §§ 379, 380 VZ genannt91. In der Vorabstimmung fanden sich Befürworter zu jeder Alternative der §§ 379 und 380 VZ. Bei § 379 Absatz 1 VZ stimmten für die 1. Alternative vierzehn Mitglieder (Bockelmann, Diemer-Nicolaus, Dünnebier, Fränkel, Fritz, Jescheck, Koffka, Lange, Rösch, Sieverts, Simon, Skott, Voll und Wilkerling). Für die 2. Alternative allein Mezger und für die 3. Alternative Baldus, Gallas und von Stackelberg. Bei Absatz 2 stimmten für die 1. Alternative (Baldus, Dünnebier, Fränkel, Fritz, Rösch, Simon, Skott und Wilkerling), und 2. Alternative (Bockelmann, Diemer-Nicolaus, Gallas, Jescheck, Koffka, Lange, Sieverts, von Stakkelberg) jeweils acht Mitglieder, Mezger und Voll enthielten sich ihrer Stimme. Zu § 380 VZ stimmten für die 1. Alternative fünf Mitglieder (Baldus, Jescheck, Mezger, Simon und Wilkerling), für die 2. Alternative dreizehn (Bockelmann, Diemer-Nicolaus,

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steht, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft; Verschwägerte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (2) Das Gericht kann von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. (3) Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn die Verschwägerten die Ehe unter Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft geschlossen haben. 2. Alternative (Mehrheitsvorschlag): Eine Vorschrift i.S.d. 1. Alternative wird nicht angenommen. Abgedruckt in Vorschläge der Unterkommission zum Thema „Strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie“, a.a.O., S. 217. Abgedruckt in Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 5, Anhang B, S. 307. Abgedruckt in Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 5, Anhang B, S. 308. Abgedruckt in Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Anhang, Nr. 33, S. 619 ff. Von den Kommissionsmitgliedern sind Abänderungsanträge zu den Fassungsvorschlägen der Unterkommission in der Vorläufigen Zusammenstellung für den Entwurf eines Besonderen Teils zum Thema „Straftaten gegen Ehe und Familie“ nicht gestellt worden. Vgl. Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Umdruck J 81, Anhang, Nr. 33, S. 620. Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Umdruck J 81. Anhang, Nr. 33, S. 620.

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Dünnebier, Fränkel, Fritz, Gallas, Koffka, Lange, Rösch, Sieverts, Skott, von Stackel92 berg und Voll) .

Der Umdruck J 81 regelte die Inzeststraftatbestände wie bereits die Formulierungsvorschläge der VZ unter dem Titel „Straftaten gegen Ehe und Familie“ und den Paragraphenüberschriften „Blutschande“ und „Beischlaf zwischen Verschwägerten“ in den § 37993 und § 38094, orientierte sich aber nicht an den Vorabstimmungen, sondern an den Fassungsvorschlägen der VZ. Nach den Bemerkungen schlossen sich die Sachbearbeiter des BMJ dem Vorschlag der Mehrheit der Unterkommission an, die Tatbestände der Blutschande und des Beischlafs zwischen Verschwägerten nicht in den Abschnitt „Unzucht“, sondern in den Abschnitt „Straftaten gegen Ehe und Familie“ einzustellen. Die Einordnung des Beischlafs zwischen Verschwägerten erscheine kaum zweifelhaft. Bei ihm handele es sich nicht um ein Sittlichkeitsdelikt, „sondern um eine Straftat gegen Ehe und Familie“. Die Blutschande sei zwar Sittlichkeitsdelikt, „sie richtet sich aber gleichzeitig, und wohl überwiegend, gegen die sittliche Grundlage der Familie“. Das rechtfertige es, auch sie

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Ergebnis der Vorabstimmung, a.a.O., S. 621. § 379 Umdruck J 81: „(1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (4) Neben Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer im Absatz 1 bezeichneten Tat kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 47 Abs. 3)“. Abgedruckt im Umdruck J 81, Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Anhang, Nr. 33, S. 619. § 380 Umdruck J 81: „(1) Wer mit einem Verwandten aufsteigender oder absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, solange die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, besteht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Strafhaft bestraft. (2) Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (3) Das Gericht kann von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. (4) Die Tat wird nicht verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden ist“. Abgedruckt im Umdruck J 81, a.a.O., S. 619.

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in Anlehnung an Art. 213 Schweiz. StGB in den Abschnitt „Straftaten gegen Ehe und Familie“ einzustellen95. Zu § 379 Absatz 1 wurde bemerkt, er enthalte die Blutschande mit Verwandten absteigender Linie. Die Strafdrohung entspreche, nachdem die Vollkommission die Schaffung minder schwerer Fälle zugelassen habe, im wesentlichen der 3. Alternative zu § 379 Absatz 1 VZ. Die Blutschande mit Abkömmlingen gehöre „wegen ihrer familienzerstörenden Wirkung zur Hochkriminalität“. Zuchthaus als Regelstrafe erscheine daher gerechtfertigt. Es seien jedoch auch Fälle denkbar, in denen Zuchthaus zu hart sein könnte. Für sie sollte die Möglichkeit eröffnet werden, auf Gefängnis zu erkennen. Daher sei vorgeschlagen worden, die Blutschande mit Abkömmlingen mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren zu bedrohen. Es erscheine nicht erforderlich, für besonders benannte Fälle die Annahme eines minder schweren Falles gesetzlich auszuschließen oder die vorgesehene obere Grenze der Zuchthausstrafe zu erhöhen96. Der Absatz 2 enthalte die Blutschande mit Verwandten absteigender Linie und zwischen Geschwistern. Er entspreche wörtlich dem § 379 Absatz 3 VZ97. Der Absatz 3 regele die Straffreiheit von jugendlichen Beteiligten an der Blutschande. Nach geltendem Recht (§ 173 Absatz 4 StGB) seien Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, straffrei. Der Vorschlag der Unterkommission (§ 379 Absatz 4 VZ) dehne die Straffreiheit auf Geschwister, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, aus. Während in § 213 Absatz 3 E 1936 an der Regelung des geltenden Rechts festgehalten werde, seien in § 290 Absatz 3 E 1927 noch nicht achtzehn Jahre alte Geschwister ebenfalls in die Straffreiheit einbezogen. Der § 290 Absatz 3 E 1927 gewähre aber jugendlichen Verwandten Straffreiheit nicht schlechthin, sondern nur dann, wenn sie zu der Tat verführt worden seien. Diese Regelung des E 1927 dürfte sachlich zwar das Richtige treffen, aus praktischen Gründen aber dennoch nicht zu empfehlen sein. Die Feststellung des Merkmals des Verführens würde „oft peinliche Ermittlungen über die familiären Beziehungen der Beteiligten notwendig machen, die vermieden 95 96 97

Umdruck J 81, Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Anhang, Nr. 33, S. 621. Umdruck J 81, Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Anhang, Nr. 33, S. 621. Umdruck J 81, Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Anhang, Nr. 33, S. 622.

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werden sollten“. Die Ausdehnung der absoluten Straffreiheit auf jugendliche Geschwister, wie sie die Unterkommission vorschlage, erscheine ebenfalls nicht unbedenklich. Die von noch nicht achtzehn Jahre alten Geschwistern begangenen Taten könnten so schwer wiegen, dass auf eine strafrechtliche Verfolgung nicht verzichtet werden sollte. Im Übrigen biete das JGG eine solche Fülle von Ahndungsmöglichkeiten, dass die Gefahr einer zu strengen Bestrafung von jugendlichen Geschwistern ausgeschlossen erscheine. Es werde daher vorgeschlagen, die Straffreiheit von jugendlichen Beteiligten, wie im geltenden Recht, auf noch nicht achtzehn Jahre alte Verwandte absteigender Linie zu beschränken98. Der Absatz 4 eröffne die Möglichkeit, dem Täter neben Gefängnisstrafe wegen einer in Absatz 1 bezeichneten Tat die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, abzuerkennen (§ 47 Absatz 3). Im Gegensatz zum Mehrheitsvorschlag der Unterkommission (§ 379 Absatz 2, 1. Alternative) sollten diese Nebenstrafen aber nicht erst neben einer Gefängnisstrafe von mindestens drei oder zwei Jahren, sondern schon neben einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr zulässig sein99. Zu § 380 (Beischlaf zwischen Verschwägerten) wurde bemerkt, die Beibehaltung oder Streichung des Tatbestandes sei umstritten. Die E 1927 und E 1930 hätten auf ihn verzichtet. Im E 1936 sei er dagegen enthalten. Im ausländischen Recht sei die Tat vielfach nicht strafbar. Die Mehrheit der Unterkommission habe sich für die Streichung des Tatbestandes ausgesprochen. Nach Auffassung der Sachbearbeiter sollte der Tatbestand jedoch beibehalten werden. Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie wirke „im hohen Maße familienzerstörend“100. Der Absatz 1 der vorgeschlagenen Fassung entspreche mit geringen Änderungen dem Fassungsvorschlag der Unterkommission. Um klarzustellen, dass das Bestehen der die Schwägerschaft begründenden Ehe Tatbestandsmerkmal und nicht objektive Bedingung der Strafbarkeit sei, sei folgende Fassung vorgeschlagen worden: „Wer mit einem Verschwägerten […] den Beischlaf vollzieht, solange die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, besteht, wird […] 98

Umdruck J 81, Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Anhang, Nr. 33, S. 622. 99 Umdruck J 81, Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Anhang, Nr. 33, S. 622. 100 Umdruck J 81, Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Anhang, Nr. 33, S. 622.

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bestraft“. Neben Gefängnis bis zu zwei Jahren, das die Unterkommission in Anlehnung an das geltende Recht vorgeschlagen habe, sollte auch Strafhaft angedroht werden. Bei dem Beischlaf zwischen Verschwägerten seien Fälle geringer Schuld denkbar, bei denen Strafhaft durchaus angebracht sein könne101. Der Absatz 2 gewähre Verschwägerten absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, einen persönlichen Strafausschließungsgrund. Im Gegensatz zum Vorschlag der Unterkommission, der jugendlichen Verschwägerten generell Straffreiheit gewähre, empfehle es sich, die Straffreiheit auf noch nicht achtzehn Jahre alte Verschwägerte absteigender Linie zu beschränken. Fälle, in denen Verschwägerte aufsteigender Linie noch nicht achtzehn Jahre alt seien, kämen vor. Aus Gründen der Übersichtlichkeit des Tatbestandes erscheine es angebracht, die Straffreiheit der Verschwägerten absteigender Linie in einem besonderen Absatz zu regeln102. Der vorgeschlagene Absatz 3 entspreche wörtlich dem § 380 Absatz 2 VZ103. Im Absatz 4 werde vorgeschlagen, das Verfolgungshindernis, wie im geltenden Recht, an die Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft zu knüpfen. Der Vorschlag der Unterkommission, der erst die Tatsache der Eheschließung unter Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft als Verfolgungshindernis gelten lassen wolle, habe zu verhindern gesucht, dass sich die Beteiligten ohne ernste Eheabsicht Straffreiheit sichern können. Die Gefahr eines solchen Mißbrauchs dürfte jedoch nicht allzu groß sein. Da im Übrigen der Vorschlag der Unterkommission dann zu Härten führen könne, wenn die Beteiligten trotz Befreiung vom Eheverbot schuldlos (zum Beispiel wegen späteren Todes eines Beteiligten) die Ehe nicht schließen könnten, dürfte die Lösung des geltenden Rechts den Vorzug verdienen104.

V. Erste Lesung und Entwurf 1959 I Die GSK begann unter dem Vorsitz Neumayers ihre erste Lesung mit der Arbeitssitzung vom 29. Juni 1954105. Der BT des StGB war vom 8. Dezember 1956 bis zum 23. Oktober 1958 Gegenstand der Beratungen. Neben den Gutachten der Strafrechtslehrer und den rechtsvergleichenden Untersuchungen standen den Mitgliedern die eigens für 101 Umdruck J 81, Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Anhang, Nr. 33, S. 622. 102 A.a.O., S. 622. 103 A.a.O., S. 622. 104 A.a.O.,S. 622 f. 105 Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 1, Vorwort S. 5.

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die GSK neu herausgegebenen E 1925, E 1927 und E 1930 als Diskussionsmaterial zur 106 Verfügung .

1. 87. Sitzung am 18. Juni 1958 Die Inzeststraftatbestände waren in erster Lesung vornehmlich107 und ausführlich Gegenstand der 87. Sitzung vom 18. Juni 1958, in der die GSK über die Titel „Gemein108 schädliches Verhalten“ sowie „Straftaten gegen Ehe und Familie“ beriet . Grundlage für die Beratungen bildeten die Änderungsvorschläge der Sachbearbeiter des BMJ (JUmdrucke).

a) Beratungen zum § 379 (Blutschande) Die Stellungnahme der Strafrechtsabteilung des BMJ erfolgte durch Sturm109, der auf die Vorschläge zum Thema „Straftaten gegen Ehe und Familie“ im Umdruck J 81 verwies; in diesem Zusammenhang wiederholte er wortgetreu die Begründung der Sachbearbeiter des BMJ zur Einordnung der §§ 379 und 380 im Titel „Straftaten gegen Ehe und Familie“110. Bei § 379 Absatz 1 bereite die Strafdrohung für die Blutschande mit Verwandten absteigender Linie einige Schwierigkeiten. Die Unterkommission habe dazu drei Alternativen zur Wahl gestellt. Man müsse sich aber vor Augen halten, dass die Unterkommission die Blutschande behandelt habe, ehe sich die Vollkommission für die Zulassung minder schwerer Fälle ausgesprochen habe. Dieser Beschluss der Vollkommission sei hinsichtlich der Regelstrafdrohung für die Blutschande von Bedeutung. Bei der Blutschande handele es sich dem Unrechtsgehalt nach zumeist um ein „sehr schweres Delikt“. Sie habe, „wie 106 Materialien zur Strafrechtsreform: 3. Bd. = Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung 1925 (Reichsratsvorlage), 4. Bd. = Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1927 mit Begründung und 2 Anlagen (Reichstagsvorlage) und 5. Bd. = Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1930 (Entwurf Kahl). 107 Bereits in der 55. Sitzung vom 29. Oktober 1957 behandelte Jescheck die Inzeststraftatbestände; dies jedoch nur unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit von Zuchthausstrafe neben Gefängnisstrafe. Vgl. Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 5, 55. Sitzung, S. 57 ff. 108 Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 347 ff. 109 An der Diskussion nahmen teil Professor Dr. Bockelmann, Göttingen, Professor Dr. Gallas, Heidelberg, Professor Dr. Jescheck, Freiburg (Breisgau), Generalstaatsanwalt Dr. Dünnebier (Bremen), Oberstaatsanwalt Fritz (Hessen), Ministerialdirigent Dr. Wilkerling (Niedersachsen), Staatssekretär Dr. Krille (Nordrhein-Westfalen), Senatspräsident Dr. Baldus (Bundesgerichtshof), Bundesanwalt Fränkel (Generalbundesanwalt bei dem Bundesgerichtshof), Ministerialrat Dr. Dreher, Ministerialrat Dr. Lackner. 110 Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 357.

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die Erfahrung lehrt, eine sehr hohe familienzerstörende Wirkung“ und schaffe „biologische Gefahren für die im blutschänderischen Verkehr erzeugten Kinder“. Diese seien außerdem „für ihr ganzes späteres Leben sehr häufig mit einem Makel behaftet“. Die Blutschande sei daher ein zuchthauswürdiges Verbrechen. Als Regelstrafe sollte, wie in der 3. Alternative der Unterkommission vorgeschlagen werde, Zuchthaus bis zu zehn Jahren angedroht werden. Das bedeute zwar eine Verdoppelung der Strafdrohung des geltenden Rechts, jedoch dürfte diese Strafdrohung aus Gründen einer organischen Abstufung der Strafdrohungen wohl schwerlich zu umgehen sein. Im Übrigen erscheine sie auch sachlich gerechtfertigt. Wenn z.B. ein Vater mit seiner Tochter jahrelang ein blutschänderisches Verhältnis unterhalte und dadurch das Mädchen sittlich und moralisch völlig zugrunde richte, könne eine Zuchthausstrafe zwischen fünf und zehn Jahren gerechtfertigt sein. Für minder schwere Fälle schlügen sie als Strafdrohung Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren vor, da bei der Blutschande auch leichtere Fälle denkbar seien, in denen eine Zuchthausstrafe nicht angemessen wäre111. Der Absatz 2 des § 379 enthalte gegenüber dem Vorschlag der Unterkommission keine Änderung. Die Strafdrohung – Gefängnis bis zu zwei Jahren –, die dem geltenden Recht entspreche, erscheine sachlich angemessen und dürfte ausreichen, auch schwerer liegende Fälle in genügendem Maße zu ahnden112. Der Absatz 3 regele die Straffreiheit von jugendlichen Beteiligten an der Blutschande. Nach geltendem Recht seien Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, straffrei. Der Vorschlag der Unterkommission dehne die Straffreiheit auf Geschwister, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, aus. Während § 213 Absatz 3 E 1936 an der Regelung des geltenden Rechts festgehalten habe, seien in § 290 Absatz 3 E 1927 noch nicht achtzehn Jahre alte Geschwister ebenfalls in die Straffreiheit einbezogen worden. Der § 290 Absatz 3 E 1927 gewähre aber jugendlichen Verwandten Straffreiheit nur dann, wenn sie zu der Tat verführt worden seien. Diese Regelung des E 1927 dürfte sachlich zwar das Richtige treffen, aus praktischen Gründen aber nicht zu empfehlen sein. Die Feststellung des Merkmales des Verführens würde „oft peinliche Ermittlungen über die familiä111 Hierzu erwähnte Sturm folgende Beispiele: „1. Eine sonst ordentliche Familie lebt in sehr beengten Verhältnissen. Unter dem Einfluss dieser Verhältnisse kommt es eines Tages zum Beischlaf des Vaters mit seiner im gleichen Zimmer schlafenden Tochter. 2. Ein Vater hat eine erheblich mißratene Tochter. Eines Tages nützt diese den angetrunkenen Zustand des Vaters aus und veranlasst ihn, mit ihr zu verkehren“. Vgl. Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 357 f. 112 Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 358.

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ren Beziehungen der Beteiligten notwendig machen, die vermieden werden sollten“. Die Ausdehnung der absoluten Straffreiheit auf jugendliche Geschwister erscheine ebenfalls nicht unbedenklich. Die von noch nicht achtzehn Jahre alten Geschwistern begangenen Taten könnten so schwer wiegen, dass auf eine strafgerichtliche Verfolgung nicht verzichtet werden sollte. Im Übrigen biete das JGG eine solche Fülle von Ahndungsmöglichkeiten, dass die Gefahr einer zu strengen Bestrafung von jugendlichen Geschwistern ausgeschlossen erscheine. Daher schlugen sie vor, die Straffreiheit von jugendlichen Beteiligten wie im gelten Recht auf noch nicht achtzehn Jahre alte Verwandte absteigender Linie zu beschränken und die Geschwister nicht von der Strafbarkeit grundsätzlich auszunehmen113. § 379 Absatz 4 eröffne die Möglichkeit, dem Täter neben Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer im Absatz 1 bezeichneten Tat, also wegen Blutschande mit Verwandten absteigender Linie, die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, abzuerkennen. Sie hielten es nicht für angebracht, die Möglichkeit der Aberkennung dieser Rechte an eine noch höhere Gefängnisstrafe zu knüpfen114. In der folgenden Aussprache bemerkte Baldus zur Strafdrohung, es erscheine ihm sicher, dass die Höchststrafe auf zehn Jahre Zuchthaus erhöht werden müsse. Es sei nicht selten, dass die Gerichte die Blutschande mit Strafen ahndeten, die im oberen Grenzbereich des Strafrahmens lägen. Für nicht unbedenklich hielt er die Möglichkeit, dass der Richter auch dann auf eine Gefängnisstrafe erkennen können solle, wenn der Vater mit seiner noch nicht achtzehnjährigen Tochter den Beischlaf vollzogen habe. Ihnen seien Fälle bekannt geworden, wo das blutschänderische Verhältnis schon seit dem elften Lebensjahr der Tochter bestanden habe. In einem Fall sei das Kind erst acht Jahre alt gewesen, als der Vater mit ihm geschlechtlich verkehrt habe. Um in solchen Fällen die Möglichkeit des Ausweichens in die Gefängnisstrafe auszuschließen, habe die III. Unterkommission in der 1. und 2. Alternative eine besondere Regelung für den Fall vorgeschlagen, dass die Tat an einem Verwandten unter achtzehn Jahren begangen werde. Jedenfalls sollte geprüft werden, ob nicht in den Fällen, wo das Kind noch keine sechzehn Jahre alt ist, die Annahme eines minder schweren Falles auszuschließen sei. Ohne eine solche Regelung erscheine ihm nicht gesichert, dass in derartigen Fällen auf eine angemessene Strafe erkannt werde; denn es sei noch nicht gewährleistet, dass das künftige Revisionsrecht dem BGH eine weitergehende Prüfungsbe113 Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 358. 114 A.a.O, S. 358.

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fugnis bezüglich der Strafzumessung einräumen werde, als dies im geltenden Recht der Fall sei. Bei den Fällen der Blutschande zwischen Geschwistern unter achtzehn Jahren handelte es sich i.d.R. um „Fehlentwicklungen, um Pubertätserscheinungen, wo von einer Schuld nicht gesprochen werden kann“. Sturm habe ausgeführt, es könnten sehr schwerwiegende Fälle der Blutschande zwischen solchen Geschwistern vorkommen. Das möge dem äußeren Erscheinungsbild nach zutreffen, nicht aber dem Schuldgehalt nach. Daher erscheine ein strafrechtliches Eingreifen nicht gerechtfertigt. Wenn wirklich einmal von echter Schuld gesprochen werden könne, schade es nicht, dass der Staat auf eine Bestrafung verzichte. So sollte Beischlaf zwischen Geschwistern unter achtzehn Jahren straflos bleiben115. Lackner äußerte, man dürfte nicht übersehen, dass in diesen Fällen nur das JGG zur Anwendung kommen würde. Dies eröffne aber zahllose Möglichkeiten, um gegen solche Fehlentwicklungen vorzugehen. Eine Jugendstrafe werde fast nie in Frage kommen. Vielmehr werde das Jugendgericht nur zwischen Erziehungsmaßregel und Zuchtmittel sowie der Einstellung des Strafverfahrens i.V.m. vormundschaftsgerichtlichen Maßnahmen wählen. Diese Möglichkeiten seien geeigneter als eine alleinige Behandlung im fürsorgerischen Bereich, die nicht die gleichen erzieherischen Maßnahmen zulasse. Deshalb bestehe keine zwingende Notwendigkeit dafür, Straffreiheit in den Fällen der Blutschande zwischen Geschwistern unter achtzehn Jahren generell vorzusehen. Man würde die Strafbarkeit doch auch nicht in dem Falle verneinen, dass ein Siebzehnjähriger seine fünfzehnjährige Freundin zum Geschlechtsverkehr verführt, obwohl derartige Fälle meist auch als Pubertätsausflüsse anzusehen seien116. Krille schloss sich in diesem Punkt der Ansicht Baldus an. Dem Vormundschaftsgericht ständen in genügendem Umfange Maßnahmen zur Verfügung, und zwar auch sehr eingreifende. Für den Vorschlag von Baldus, die Annahme eines minder schweren Falles auszuschließen, wenn die Tat an einem Verwandten unter sechzehn Jahren begangen werde, habe er zwar Verständnis. Jedoch halte er eine solche Einengung des richterlichen Ermessens nicht für glücklich. Ihrer bedürfe es aber auch nicht, da fest damit zu rechnen sei, dass die Revisionsgerichte in Zukunft die richterliche Strafzumessung in einem erheblich größeren Umfang als bisher nachprüfen könnten117.

115 Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 358 f. 116 A.a.O., S. 359. 117 A.a.O., S. 359.

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Hingegen meinte Fritz, es bedürfe des ausdrücklichen Ausschlusses der minder schweren Fälle unter den von Baldus angegebenen Voraussetzungen. Falls die Zuchthausstrafe im Einzelfall wirklich unangemessen sein sollte, könne im Wege der Gnade geholfen werden. Hinsichtlich des Problems der Blutschande zwischen Geschwistern unter achtzehn Jahren wollte er sich ebenfalls der Ansicht von Baldus anschließen. Wer längere Zeit als Vormundschafts- oder Jugendrichter tätig gewesen sei, wisse, dass „solche Erscheinungen in Wirklichkeit nur Entgleisungen darstellen“118. Fränkel sah nicht ein, warum in Absatz 3 Verwandte absteigender Linie, soweit sie unter achtzehn Jahre alt seien, generell für straffrei erklärt werden, nicht aber auch die noch nicht achtzehnjährigen Geschwister. Wenn man bei diesen daran festhalte, dass gegen sie strafrechtlich vorgegangen werden könne, sei nicht einzusehen, weshalb es bei jenen anders sein solle119. Lackner bemerkte, in den durch Absatz 3 erfassten Fällen werde i.d.R. ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Verwandten absteigender Linie und dem Verwandten aufsteigender Linie bestehen. Daher werde es sich meist nicht um Pubertätsentgleisungen handeln. Aus diesem Grund sei in solchen Fällen oft nicht einmal eine fürsorgerische Behandlung erforderlich. Vielmehr genüge es, wenn gegen den Verwandten aufsteigender Linie vorgegangen werde120. Jescheck äußerte, er könne sich nicht für die Androhung von Zuchthaus als Grundstrafe entschließen, sondern stehe nach wie vor auf dem Standpunkt, den die Mehrheit sowohl der Mitglieder der III. Unterkommission als auch der Vollkommission bei der Vorabstimmung vertreten habe. Die Blutschande, „die doch mehr ein Schwächedelikt ist, gehört nicht zur Hochkriminalität i.S.d. früheren Beschlüsse der Vollkommission“. Wenn der Anwendungsbereich der Zuchthausstrafe auf die Hochkriminalität beschränkt werden solle, komme bei der Blutschande die Zuchthausstrafe nicht als Regelstrafdrohung in Betracht. Er hielt es ferner nicht für richtig, die Blutschande zwischen Geschwistern unter achtzehn Jahren straflos zu lassen. § 379 solle „nicht nur der Zerstörung der Familien vorbeugen, sondern auch ein sexuelles Verbot aufstellen“. Dieses müsse bestehen bleiben, auch wenn die Beteiligten noch keine achtzehn Jahre alt seien. Die aufgezeigten Bedenken halte er nicht für überzeugend, da das Jugendgerichtsverfahren den erzieherischen Erfordernissen angepasst sei und kein so großer Unterschied zwischen ihm und dem vormundschaftsgerichtli118 Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 359. 119 A.a.O., S. 359. 120 A.a.O., S. 359.

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chen Verfahren bestehe. In den Fällen, wo es sich tatsächlich nur um sexuelle Verirrungen handele, könne der Jugendrichter ja genauso Erziehungsmaßregeln anordnen wie der Vormundschaftsrichter. Es gebe aber sicher auch Fälle, wo man mit solchen Maßregeln nicht mehr auskomme, etwa wenn der siebzehnjährige Bruder seine fünfzehnjährige Schwester wiederholt zum Beischlaf veranlasse. Hier könne u.U. ein gleiches Abhängigkeitsverhältnis bestehen wie zwischen Vater und Tochter121. Fränkel wollte ebenfalls an dem bei der Vorabstimmung von der Mehrheit gefassten Beschluss festhalten, und zwar u.a. deshalb, weil bisher nur ein Drittel oder sogar nur ein Viertel aller nach § 173 StGB abgeurteilten Fälle mit einer Zuchthausstrafe geahndet worden sei122. Baldus erwiderte, dass von diesen Ergebnissen der Kriminalstatistik die Beantwortung der Frage nach der richtigen Strafdrohung für § 379 Absatz 1 nicht abhängig gemacht werden könne; denn für die in dieser Bestimmung erfassten Fälle drohe das geltende Recht ohne Ausweichmöglichkeit Zuchthaus an. Dass auf Grund des § 173 StGB mehr Gefängnis- als Zuchthausstrafen verhängt worden seien, habe seinen Grund darin, dass diese Bestimmung alle Fälle der Blutschande decke und die Blutschande zwischen Verschwägerten häufiger sei als die zwischen Verwandten123. Jescheck wies darauf hin, dass sich aus der Statistik ergebe, dass auf Zuchthaus über zwei Jahre nur in einem Drittel der Fälle erkannt worden sei, in denen die Gerichte Zuchthausstrafen verhängt hatten124. Baldus bemerkte hierzu, diese Fälle seien zu milde geahndet worden. Daher befürchte er, dass die Richter künftig in ungerechtfertigtem Maße in die Gefängnisstrafdrohung des minder schweren Falles ausweichen würden125. Wilkerling wollte gegenüber der in der 1. Alternative der Unterkommission vorgeschlagenen Strafdrohung der von den Sachbearbeitern des BMJ empfohlenen den Vorzug geben, weil sie die „elastischere Lösung“ darstelle. Dies sei insofern von Bedeutung, als es sehr schwer sein werde, hier die besonders schweren Fälle zu benennen. Bei der Blutschande seien der Unrechtsgehalt und die Schwere der Schuld von Momenten abhängig, die man schwerlich generell beschreiben könne126. Gallas schloss sich diesen Ausführungen an. In der Unterkommission habe er sich für die Zuchthausstrafe als Grundstrafdro121 122 123 124 125 126

Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 359 f. A.a.O., S. 360. A.a.O., S. 360. A.a.O., S. 360. A.a.O., S. 360. A.a.O., S. 360.

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hung und die Zulassung minder schwerer Fälle mit Gefängnisstrafdrohung ausgesprochen, weil ihm jeder Versuch einer kasuistischen Regelung, sei es auch nur in Form besonders schwerer Fälle, unmöglich erschien. Aus gleichem Grund könne er nicht dem Vorschlag von Baldus zustimmen, die Annahme eines minder schweren Falles dann auszuschließen, wenn die Tat an einem Verwandten unter sechzehn Jahren begangen werde. I.d.R. werde es sich hier zwar um zuchthauswürdige Fälle handeln. Es seien aber auch Fälle denkbar, wo eine Zuchthausstrafe nicht angemessen wäre, etwa wenn die frühreife Tochter ihren betrunkenen Vater verführe. Er glaubte, man müsse darauf vertrauen, dass die Gerichte im Rahmen ihres Ermessens zu der richtigen Strafe kommen werden. Daher befürworte Gallas den Vorschlag der Sachbearbeiter des BMJ. Diesen bejahe er auch insofern, als er keine Straffreiheit für die Geschwister vorsehe. Die von Jescheck zu diesem Problem gemachten Ausführungen seien überzeugend. Die in Absatz 4 von § 379 vorgeschlagene Bestimmung sollte man streichen. Er selbst habe bereits am Vortag dargelegt, dass die Aberkennung der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, nur dort gerechtfertigt erscheine, wo irgendeine besondere Beziehung zwischen dem Typus der Tat und dieser Fähigkeit bestehe. Andernfalls kämen sie wieder zum bisherigen System der Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte, das sie doch beseitigen wollen. Eine solche Beziehung zwischen Blutschande und der Ausübung eines öffentlichen Amtes bestehe jedoch nicht127. Bockelmann bemerkte, die h.M. gehe dahin, dass die Blutschande ein Delikt sei, das vorwiegend in ungünstigen Wohnverhältnissen seinen Grund habe. Wenn dies zutreffe, frage er sich, ob an der Androhung von Zuchthaus bis zu zehn Jahren wirklich festgehalten werden könne. Dass es scheußliche Fälle gebe, wo auf eine empfindliche Zuchthausstrafe nicht verzichtet werden dürfe, verkenne er nicht. Für die Auswahl der Strafart müsste aber doch der Durchschnitt der Fälle entscheidend sein. Die erwähnte Ansicht der kriminologischen Wissenschaft lasse zweifelhaft erscheinen, ob dieser Durchschnitt so sei, dass die Zuchthausstrafe die richtige Grundstrafdrohung wäre. Allerdings werde das Problem der benannten besonders schweren Fälle wieder auftauchen, wenn man die Gefängnisstrafe als Regelstrafe wähle. Dieses Problem bereite besondere Schwierigkeiten. Zwar sehe es so aus, als ob sich gewisse Anknüpfungspunkte von selbst ergäben, etwa die Gewalt und die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen. Sonstige Merkmale, die noch in Betracht

127 Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 360.

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kommen könnten, würden nicht viel sagen. Unter diesen Umständen neige er jetzt dazu, für den Vorschlag des BMJ zu stimmen128. Baldus erinnerte, Jescheck habe davon gesprochen, dass die Blutschande mehr zu den Schwächedelikten zu rechnen sei. Er selbst habe nur ein Mal einen Fall erlebt, wo diese Bewertung zutraf. In den sonstigen Fällen habe aber nicht die Rede davon sein können, dass es sich um Schwächedelikte gehandelt habe. Die blutschänderischen Verhältnisse hätten meist ein, zwei oder sogar drei Jahre lang bestanden. Oft hätten Fälle an Ausübung von Zwang gegenüber den Kindern gegrenzt. Häufig seien die Angeklagten dazu übergegangen, später auch mit ihren jüngeren Töchtern ein solches Verhältnis einzugehen, nachdem diese in das entsprechende Alter gekommen seien. Die schlechten Wohnverhältnisse mochten mit ursächlich dafür gewesen sein, dass es überhaupt zu der geschlechtlichen Annäherung gekommen sei. Sie könnten aber nicht die Tatsache erklären, dass die Verhältnisse jahrelang bestanden und die Angeklagten mehrere ihrer Kinder verführt hätten. Wenn man gesehen habe, in welch fürchterliche Konflikte diese Kinder geraten seien, so werde man kein Bedürfnis für eine Ausweichmöglichkeit in die Gefängnisstrafe dann als gegeben ansehen, wenn die Tat an Kindern unter sechzehn Jahren begangen worden sei. Zu dem Problem der Straffreiheit der Geschwister bemerkte Baldus, es sollte verhütet werden, solche Pubertätsverirrungen der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Der Ausschluss der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung stelle keinen genügenden Schutz dar. Solche Fälle würden trotzdem in die Öffentlichkeit dringen. Da es die Besonderheit der Blutschande sei, dass diese Verirrungen bei zwei zur gleichen Familie gehörenden Menschen aufträten, könne man aus dem von Lackner gebildeten Fall, dass ein Siebzehnjähriger seine fünfzehnjährige Freundin verführe, nichts herleiten. Ein scharfes Eingreifen sei allerdings in den Fällen erforderlich, wo sich der siebzehnjährige Halbstarke an seiner fünfzehnjährigen Schwester vergehe. Ein solcher Fall stelle aber eine Ausnahme dar. Hier bestehe die Möglichkeit, gegen den Jungen die Fürsorgeerziehung anzuordnen129. Dünnebier wollte ebenfalls die Annahme minder schwerer Fälle unter den von Baldus angegebenen Voraussetzungen ausgeschlossen sehen. Da, abgesehen von dieser besonderen Entwicklung, die Gerichte ohnehin dazu neigten, in die mildernden Umstände und in die minder schweren Fälle auszuweichen, müss-

128 A.a.O., S. 360. 129 Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 361.

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ten minder schwere Fälle ausdrücklich ausgeschlossen werden, wenn die Tat an einer Verwandten unter sechzehn Jahren begangen worden sei130. Dreher bat mit Nachdruck darum, die Geschwister unter achtzehn Jahren nicht generell für straffrei zu erklären. Im StGB sollten gewisse Wertetafeln aufgerichtet werden, und die sozialpädagogische Funktion des StGB sei von besonderer Bedeutung, vor allem auch für die heranwachsende Jugend. Für die Strafdrohung folge hieraus, dass man für die Blutschande als Regelstrafe Zuchthaus und nur für ihre minder schweren Fälle Gefängnis vorsehen müsse, wenn man diese Strafen schon beim Raub androhe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass durch die Blutschande das Familienverhältnis in einem ganz erheblichen Maße gestört werde. Es möge sein, dass diese Straftat häufig auf die schlechten Wohnbedingungen zurückzuführen sei. Diese könnten aber das Verhalten des Täters nicht in dem Maße entschuldigen, dass deshalb der Durchschnittsfall der Blutschande nur mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden dürfe. Sonst könnte auch beim Raub als Grundstrafdrohung nur Gefängnis in Betracht kommen; denn dieses Delikt habe seine Ursache im Geldmangel des Täters. Die Zahlenwerte der Kriminalstatistik könnten ihn nicht überzeugen. Vielmehr sei er wie Baldus der Meinung, dass die von den Gerichten gegen Blutschänder bisher erkannten Strafen zu niedrig gewesen seien. Umgekehrt würden die minder schweren Fälle auch in Zukunft häufiger sein als die Durchschnittsfälle. Die Fälle, die in der Praxis unter diesem Durchschnittsbereich lägen, seien zahlreicher als die anderen. Der Ausschluss des minder schweren Falles unter der Voraussetzung, dass das Kind eine bestimmte Altersgrenze noch nicht erreicht habe, sei zu befürworten. Man könne nicht darauf vertrauen, dass die Gerichte von sich aus immer zu diesem Ergebnis kommen würden. Er verspreche sich hier auch nicht allzu viel von der Reform des Revisionsrechts. Im Übrigen hätten sie eine solche Ausschlussregelung schon beim Raub und bei der Notzucht getroffen. Problematisch könne nur sein, wo die Altersgrenze zu ziehen sei. Achtzehn Jahre erscheine ihm zu hoch. Mindestens müsse die Grenze bei vierzehn Jahren liegen. Für die beste Lösung halte er die Grenze von sechzehn Jahren. Wenn Blutschande und Unzucht mit Kindern ideell konkurriere, schlage sicher die Quantität in Qualität um. Hier müsse stets eine Zuchthausstrafe verhängt werden. Der Vorschlag von Gallas, die in Absatz 4 enthaltene Bestimmung zu streichen, resultiere aus seiner grundsätzlichen Haltung zu den Nebenstrafen, die von der Mehrheit der Kommission nicht geteilt werde. Seines Erachtens sollte die Möglichkeit bestehen, einem Blutschänder die genannten Fähigkeiten abzuerkennen, auch 130 A.a.O., S. 361.

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wenn es sich insoweit um Eingriffe in den staatsbürgerlichen Bereich handele. Entschließe man sich grundsätzlich dazu, solche Nebenstrafen zuzulassen, so seien sie auf jeden Fall hier einzuordnen131. Lackner ergänzte, falls man sich zu einem Ausschluss der minder schweren Fälle unter den erwähnten Voraussetzungen entschließe, wäre daran zu denken, diesen Ausschluss auch auf die Fälle auszudehnen, in denen eine Blutschande durch Notzucht begangen werde132. Dreher glaubte, dass in solchen Fällen die Revisionsgerichte in der Lage sein würden, von sich aus zu helfen. Wenn ein Delikt, das grundsätzlich mit Zuchthaus bedroht sei, ideell konkurriert mit einer Straftat, für die als Regelstrafe ebenfalls Zuchthaus angedroht sei, werde das Revisionsgericht sicher sagen, dass das Tatgericht hier keinen minder schweren Fall annehmen dürfe133. Bei der Abstimmung darüber, ob Absatz 1 von § 379 als Grundstrafdrohung Zuchthaus oder Gefängnis vorsehen solle, entschieden sich Baldus, Bockelmann, Dünnebier, Fritz, Gallas, Koffka, Krille, Neumayer, Rösch, Schäfer, Skott, von Stackelberg, Voll, Welzel und Wilkerling für die Androhung von Zuchthaus. Die übrigen Fünf Mitglieder stimmten für die Androhung von Gefängnis. Die vom BMJ für Absatz 1 von § 379 vorgeschlagene Fassung wurde einstimmig angenommen. Für den Vorschlag von Baldus, die Annahme eines minder schweren Falles auszuschließen, wenn die Tat an einem Verwandten absteigender Linie unter sechzehn Jahren begangen wird, stimmten Baldus, Bockelmann, Dünnebier, Fritz, Koffka, Neumayer, Rösch, Schäfer, Skott, Voll, und Wilkerling. Die übrigen neun Mitglieder stimmten gegen eine solche Regelung. Absatz 2 wurde in der vom BMJ empfohlenen Fassung einstimmig angenommen. Für die Streichung der Worte „absteigender Linie“ in Absatz 3 stimmten Baldus, Dünnebier, Fritz, Koffka, Krille, Lange, Neumayer, Schäfer, Skott, von Stackelberg, Voll, und Wilkerling. Die übrigen acht Mitglieder stimmten für die Beibehaltung dieser Worte. Für die Streichung des Absatzes 4 sprachen sich aus Bockelmann, Gallas, Jescheck, Koffka, Lange, Schmidt, Sieverts, von Stackelberg, und Welzel. Die anderen elf Mitglieder stimmten für die Beibehaltung des Absatzes 4134.

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Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 362. Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 362. A.a.O., S. 362. A.a.O., S. 362.

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b) Beratungen zum § 380 (Beischlaf zwischen Verschwägerten) Die Stellungnahme der Strafrechtsabteilung des BMJ zu § 380 erfolgte ebenfalls durch Sturm135. Zunächst sei die Frage zu entscheiden, ob die Bestimmung beibehalten oder etwa ersatzlos gestrichen werden sollte. Die Mehrheit der III. Unterkommission habe sich für die Streichung des Tatbestandes ausgesprochen. Im ausländischen Recht sei der Beischlaf zwischen Verschwägerten größtenteils nicht strafbar. Jedoch sollte auf eine solche Bestimmung nicht verzichtet werden. Zwar spielten biologische Gründe, die für die Bestrafung der Blutschande mit von Bedeutung sein könnten, beim Beischlaf zwischen Verschwägerten keine Rolle. Aufgabe der Strafvorschrift solle es aber sein, „den engeren Kreis der Familie von geschlechtlichen, die Familie zerstörenden Motiven freizuhalten“. Sehe man die Funktion des Tatbestandes in diesem Lichte, so werde man zu dem Ergebnis kommen müssen, dass er nur schwer entbehrlich sei136. Die für Absatz 1 vorgeschlagene Fassung entspreche mit geringen Änderungen dem Fassungsvorschlag der Unterkommission. Um klarzustellen, dass das Bestehen der die Schwägerschaft begründenden Ehe Tatbestandsmerkmal und nicht objektive Bedingung der Strafbarkeit sei, werde folgende Fassung vorgeschlagen: „Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender oder absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, solange die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, besteht, wird bestraft.“137

Der Absatz 2 enthalte für Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, einen persönlichen Strafausschließungsgrund. Im Gegensatz zum Vorschlag der Unterkommission, nach dem jugendlichen Verschwägerten generell Straffreiheit gewährt werden solle, empfählen die Sachbearbeiter des BMJ, die Straffreiheit auf noch nicht achtzehn Jahre alte Verschwägerte absteigender Linie zu beschränken. Dies entspreche der für die Blutschande vorgeschlagenen Regelung. Fälle, in denen Verschwägerte aufsteigender Linie noch nicht achtzehn Jahre alt sind, würden zwar selten sein, kämen aber in der Praxis immerhin vor. Man denke etwa an den Fall, dass ein fünfundvierzigjähriger Mann, der einen zweiundzwanzigjährigen Sohn hat, ein siebzehn Jahre altes Mädel heiratet138.

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An der Diskussion nahmen teil Senatspräsident Dr. Baldus und Oberstaatsanwalt Fritz. Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 363. A.a.O., S. 363. A.a.O., S. 363.

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Der vorgeschlagene Absatz 3 entspreche wörtlich dem § 380 Absatz 2 VZ, der die Regelung des geltenden Rechts übernehme139. Zu Absatz 4 werde vorgeschlagen, als Verfolgungshindernis wie im geltenden Recht die Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft vorzusehen. Der Vorschlag der Unterkommission, der daneben noch die Eheschließung fordere, suche zu verhindern, dass sich die Beteiligten ohne ernste Eheabsichten Straffreiheit sichern können. Die Gefahr eines solchen Missbrauchs dürfte jedoch in der Praxis nicht allzu groß sein. Da im Übrigen der Vorschlag der Unterkommission dann zu Härten führen könne, wenn die Beteiligten trotz Befreiung vom Eheverbot schuldlos – zum Beispiel, wenn einer stirbt – später die Ehe nicht schließen könnten, dürfte die Lösung des geltenden Rechts den Vorzug verdienen140. In der Aussprache sprach sich Fritz für die Streichung der Vorschrift aus. Beim Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie handele es sich nur um einen „qualifizierten Ehebruch“. Er sei daher schon durch den Tatbestand des Ehebruchs gedeckt. Hinzu komme, dass auch der Fall des Beischlafs zwischen Schwager und Schwägerin nicht besonders unter Strafe gestellt werde, obwohl gerade dieser Fall sehr ehezerstörend wirken könne141. Baldus neigte der Ansicht von Fritz zu. § 173 Absatz 2 Satz 2 StGB habe fast nur Anwendung gefunden beim Beischlaf zwischen Stiefvater und -tochter. Dass ein Schwiegervater mit seiner Schwiegertochter geschlechtlich verkehre, komme höchst selten vor. Er habe noch nie einen solchen Fall erlebt. Die ihm bekannt gewordenen Fälle des Beischlafs zwischen Stiefvater und -tochter seien immer so gelagert gewesen, dass zugleich der Tatbestand des § 174 Nr. 1 StGB erfüllt gewesen sei. Da in Zukunft in solchen Fällen der entsprechende § 358 des Entwurfs gegeben sein werde, bestehe kein kriminalpolitisches Bedürfnis für die in § 380 vorgeschlagene Bestimmung142. Für die Streichung des § 380 stimmten alle Kommissionsmitglieder, außer Jescheck, Krille, Schäfer und Welzel, die sich für seine Beibehaltung aussprachen143. Nach der ersten Beratung des Themas in der Vollkommission wurde eine Unterkommission mit der Ausarbeitung von Fassungsvorschlägen beauftragt, die in U-

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A.a.O., S. 363. Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 87. Sitzung, S. 363. A.a.O., S. 363. A.a.O., S. 363. A.a.O., S. 363.

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Umdrucken niedergelegt wurden. Diese Umdrucke wurden dann Grundlage der abschließenden Erörterung und Abstimmung in der Vollkommission.

2. 90. Sitzung am 21. Juni 1958 In der 90. Sitzung vom 21. Juni 1958144 erfolgten Erläuterungen, Verhandlungen und Entschließungen der Kommission zu den Vorschlägen der Unterkommission im 145 Umdruck U 68 , deren Inzeststraftatbestände auf denen des Umdrucks J 81 beruhten und die Abstimmungen und Fassungsvorschläge der 87. Sitzung vom 18. Juni 1958 berücksichtigten.

Der Inzeststraftatbestände des Umdrucks U 68 unterschieden sich insofern von denen des Umdrucks J 81, als die Vorschrift über den Verschwägerteninzest (§ 380) entfiel. Daneben wurde beim § 379 hinzugefügt, der Ausschluss eines minder schweren Falls, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt war, sowie eine Alternative zu Absatz 3, wonach auf das Erfordernis „absteigender Linie“ verzichtet, also Geschwister wieder einbezogen wurden.

144 A.a.O., S. 445 ff. 145 Umdruck U 68 Vorschläge der Unterkommission nach Ergänzung und Einarbeitung der Ergebnisse der 87. Sitzung der Vollkommission (Senatspräsident Dr. Baldus, Professor Dr. Jescheck, Professor Dr. Lange, Ministerialdirektor Dr. Schafheutle, Landgerichtsrat Dr. Sturm). zum Thema Straftaten gegen Ehe und Familie: „§ 379 (§ 379) Blutschande (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren. Ein minder schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt ist. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Alternative: Verwandte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. Alternative: Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (4) Neben Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer im Absatz 1 bezeichneten Tat kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 47 Abs. 3). § 380 Entfällt“ Abgedruckt in Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Umdruck U 68, Anhang Nr. 34, S. 635 f.

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Die Vorschläge der Unterkommission zum Thema „Straftaten gegen Ehe und Familie“ und damit auch zu den hier interessierenden Tatbeständen wurden wieder von Sturm besprochen. Sturm referierte vornehmlich die Beratungen und Abstimmungsergebnisse der 87. Sitzung vom 18. Juni 1958, empfahl gleichwohl, sich bei Absatz 3 für die zweite Alternative zu entscheiden, da die Gesichtspunkte, die für die Straffreiheit der Verwandten absteigender Linie sprächen, nämlich das Abhängigkeitsverhältnis zu den Verwandten aufsteigender Linie sowie die Tatsache, dass häufig eine Verführung vorliege, bei den Geschwistern nur eine geringe Rolle spielten. Sie seien der Auffassung, dass den Geschwistern gegenüber ein strafrechtliches Einschreiten durchaus am Platze sei und dass Gefahren aus einer solchen Strafbarkeit nicht entstehen könnten, zumal das JGG eine Fülle von Ahndungsmöglichkeiten zur Verfügung stelle, die eine gerechte und sachentsprechende Behandlung im Einzelfall immer ermöglichten146. Gegen § 379 Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 sprach sich niemand aus. Gegen Satz 3 stimmten Gallas, Lange, Sieverts, von Stackelberg, Welzel. Gegen Absatz 2 sprach sich niemand aus. Bei Absatz 3 stimmten für die 1. Alternative Baldus, Dünnebier, Fritz, Koffka, Krille, Lange, Neumayer, Skott, Voll, Wilkerling, bei Stimmenthaltung von Schwarzhaupt. Für die 2. Alternative entschieden sich Bockelmann, Fränkel, Gallas, Jescheck, Rösch, Schäfer, Schmidt, Sieverts, von Stackelberg. Gegen Absatz 4 sprachen sich aus Bockelmann, Gallas, Jescheck, Koffka, Schmidt, Sieverts, von Stackelberg, bei Stimmenthaltung von Welzel147. Die Ergebnisse und Fassungsalternativen der Abstimmung der 90. Sitzung vom 21. Juni 1958 sind in dem Umdruck K 68148 niedergelegt; die Inzeststraftatbestände des neuen § 379149 haben gleichwohl keine Änderungen gegenüber denen des § 379 Umdruck U 68 erfahren. 146 Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, 90. Sitzung, S. 455 f. 147 A.a.O., S. 456. 148 Umdruck K 68, abgedruckt in Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Anhang, Nr. 35, S. 637. 149 § 379 des Umdrucks K 68 (Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission zum Thema Straftaten gegen Ehe und Familie): „Blutschande (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren. Ein minder schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt ist. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

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3. Entwurf 1959 I Nach Abschluss der ersten Lesung durch die GSK stellte das BMJ alle Beschlüsse und Vorschläge zusammen und legte den Entwurf von 1959 (E 1959 I)150 vor.

Im E 1959 I fanden sich die Inzeststraftatbestände im zweiten Titel „Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 199151. Abgesehen von redaktionellen Änderungen übernahm der § 199 E 1959 I nahezu wortgetreu die Fassung des § 379 des Umdrucks K 68 und damit des Umdrucks U 68, wobei man sich in Absatz 3 für die 2. Alternative „Verwandte absteigender Linie“ entschied und Absatz 4 nunmehr auf § 48 Absatz 1 anstatt auf § 47 Absatz 3 verwies.

4. Reaktionen auf den Entwurf 1959 I Bundesjustizminister Fritz Schäffer (CSU) forderte in einem Rundschreiben vom 30. Januar 1959 die Länder auf, zum E 1959 I Stellung zu nehmen152. Daraufhin gingen (3) Alternative: Verwandte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. Alternative: Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (4) Neben Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer im Absatz 1 bezeichneten Tat kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 47 Abs. 3)“. Abgedruckt in Niederschriften über die Sitzungen der GSK, Bd. 8, Anhang, Nr. 35, S. 637. 150 Entwurf eines Strafgesetzbuchs (1959 I) nach den Beschlüssen der Großen Strafrechtskommission in erster Lesung zusammengestellt und überarbeitet vom Bundesministerium der Justiz. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 3, S. 1 ff. 151 § 199 E 1959 I: „(1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. Ein minder schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt ist. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (4) Neben einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer in Absatz 1 bezeichneten Straftat kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 48 Abs. 1)“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 3, S. 48. 152 Vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/17264, Bl. 1 f.

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verschiedene, teilweise recht umfangreiche Gutachten ein153; auch seitens verschiedener Behörden sowie einzelner Kommissionen lagen Stellungnahmen vor154.

Bayern hielt es mit der Mehrheit der Kommission für angebracht, in Absatz 3 die Worte „absteigender Linie“ zu streichen. Der Fall, dass ein noch nicht achtzehn Jahre alter „Verwandter aufsteigender Linie“ mit einem Abkömmling den Beischlaf vollziehe, dürfte biologisch nicht möglich sein. Absatz 3 werde deshalb auch ohne ausdrücklichen Ausspruch nur auf Verwandte absteigender Linie Anwendung finden können155. Auch Bremen beantragte, die Worte „absteigender Linie“ zu streichen. Pubertätsverwirrungen zwischen Geschwistern, die zudem in Deutschland sehr selten seien, sollte durch Maßnahmen des Vormundschaftsgerichts begegnet werden; strafrechtliche Ahndung sei nicht gerechtfertigt156. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen sprach sich, unter Hinweis darauf, dass die Landeskommission in NordrheinWestfalen sich dem Vorschlag der Mehrheit der GSK angeschlossen habe, also dafür eingetreten sei, die Blutschande nicht nur bei unter achtzehn Jahre alten Verwandten absteigender Linie, sondern, abweichend vom geltenden Recht, auch bei Geschwistern dieser Altersstufe straflos zu lassen, gegen diesen Vorschlag aus. Der Fall, den die Landeskommission berücksichtigt wissen wolle, sei ein Ausnahmefall, der für die allgemeine Regelung nicht maßgebend sein dürfe. Wenn er vorliege, biete das Jugendstrafrecht genügend Möglichkeiten, seiner Besonderheit gerecht zu werden. Absatz 3 sei aus einer Zeit überkommen, in der es außer der Herabsetzung der Strafrahmen in § 57 RStGB noch kein Sonderstrafrecht für Jugendliche gab. Bei einem blutschänderischen Verkehr zwischen einem Aszendenten und einem Jugendlichen Deszendenten liege zwar i.d.R. die strafrechtliche Schuld in erster Linie bei dem Aszendenten. Unter Umständen könne aber die Schuld des Jugendlichen ein solches Übergewicht erlangen (Verführung des angetrunkenen Vaters durch die liederliche, einen Vorteil erstrebende siebzehnjährige Tochter), dass es auch vom erzieherischen Standpunkt aus ungerechtfertigt wäre, nur den Aszendenten schwer zu bestrafen, den Jugendlichen aber von jeder strafrecht-

153 Das Land Nordrhein-Westfalen berief einen „interministeriellen Ausschuss“ ein, in dem die von dem Entwurf betroffenen Ministerien sowie einige Richter und Staatsanwälte vertreten waren, vgl. Gutachten NRW in der Akte BA Koblenz, B 141/17264, Bl. 2. 154 Die Gutachten sind überwiegend in der Akte BA Koblenz, B 141/90229 enthalten. 155 Bayerische Staatsministerium der Justiz (Staatssekretär Hartinger), München, den 4. August 1959, vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/17264, Bl. 13 f. 156 Der Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht in Bremen, Bremen, den 13. August 1959, vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/17264, Bl. 18.

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lichen Mitverantwortlichkeit freizustellen. Er regte daher an, Absatz 3 zu streichen157. Die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt bemerkte, falls Verwandte unter achtzehn Jahren schlechthin straflos sein sollten, dann wäre auch der Beischlaf zwischen Geschwistern unter achtzehn Jahren straflos. Das könne aber nicht befürwortet werden. Geschwister, die z.Z. der Tat das sechzehnte Lebensjahr vollendet hätten, sollten, wenn sie miteinander den Beischlaf vollziehen, bestraft werden158. Die Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland war der Auffassung, dass nicht alle Fälle des Beischlafes von Verschwägerten straflos bleiben sollten. Als strafwürdig erscheine vor allem der Fall des Beischlafs zwischen Stiefeltern und -kindern – auch wenn sie volljährig seien – bei bestehender Ehe und Führung eines gemeinschaftlichen Haushaltes. Dabei werde nicht nur die Ehe gebrochen, sondern darüber hinaus die Familiengemeinschaft angegriffen und dem Erfordernis zuwider gehandelt, dass die Beziehungen zwischen so nahestehenden Familienmitgliedern von geschlechtlichen Bindungen frei sein müssen. Die Eherechtskommission hielt auch den Beischlaf zwischen Geschwistern für strafwürdig, selbst wenn diese das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hätten. Gegen die Strafbarkeit – 2. Alternative zu § 379 Absatz 3 E 1959 I – wurde allerdings eingewandt, dass Sittlichkeitsprozesse gegen jugendliche Angeklagte fast immer schwerste erzieherische Schäden mit sich brächten und deshalb nach Möglichkeit eingeschränkt werden sollten. Dieser Einwand spreche für die 1. Alternative. Die Mehrheit der Kommission stellte diesen sehr ernsthaft erörterten Einwand zurück hinter dem anderen Gesichtspunkt, dass durch eine Formulierung – wie die der 2. Alternative – der Eindruck erweckt werde, als werde hier ein bisher für strafbar erklärtes Verhalten nunmehr als erlaubt angesehen159.

157 Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, den 31. August 1959, vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/17264, Bl 10 f. 158 Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt vom 2. Juni 1959, vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/90229, Bl. ohne Angabe. 159 Evangelische Kirche in Deutschland vom 4. September 1959, vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/90229, Bl. ohne Angabe.

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VI. Zweite Lesung und Entwurf 1959 II Die zweite Lesung der GSK fand vom 9. März bis zum 19. Juni 1959 statt, berücksichtigte aber nicht die Inzeststraftatbestände160. Die Beratungsergebnisse der zweiten Lesung, die Stellungnahmen der Bundesressorts und Landesjustizverwaltungen sowie Änderungswünsche der Sachbearbeiter des BMJ wurden im Entwurf von 1959 II (E 1959 II)161 zusammengefasst162.

Im E 1959 II wurden die Inzeststraftatbestände in den 2. Titel „Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand“ und unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 192163 verschoben und erfuhren im Vergleich zum § 199 E 1959 I nur insoweit eine Änderung, als im Absatz 4 auf § 47 Absatz 1 anstelle des § 48 Absatz 1 verwiesen wurde.

VII. Länderkommission Auf Wunsch des Bundesjustizministers Schäffer war auch eine von den Länderjustizverwaltungen eingesetzte Kommission um die Reform des Strafrechts bemüht164. 160 Die Kommission hat in zweiter Lesung nur noch solche Vorschriften des E 1959 I überprüft, die „mit Rücksicht auf ihre große praktische Bedeutung einer nochmaligen Beratung bedurften, die lediglich aufgrund schriftlicher Abstimmung oder in einer von den Kommissionsbeschlüssen sachlich abweichenden Fassung in den Entwurf eingestellt worden waren oder bei den sich grundsätzlich Bedenken ergeben hatten“. Vgl. E 1959 II, Vorwort, S. 5. 161 „Entwurf eines Strafgesetzbuchs E 1959 II nach den Beschlüssen der Großen Strafrechtskommission in zweiter Lesung zusammengestellt und überarbeitet vom Bundesministerium der Justiz“. 162 Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XXXII. 163 § 192 E 1959 II: „(1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. Ein minder schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt ist. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (4) Neben einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer in Absatz 1 bezeichneten Straftat kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 47 Abs. 1)“. 164 Schäffer bat um die Mithilfe der Länder im Rahmen einer Besprechung mit den Landesjustizministern am 9. Juli 1959 und äußerte gleichzeitig konkrete Vorstellungen über Umfang, Dauer und Vorsitz in der Länderkommission. Nach Abschluss der Beratungen sollte die Kommission in einen Unterausschuss des Rechtsausschusses des Bundesrates übergehen (vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/17156, Bl. 86 ff.). Die kurze Zeit später gebildete Kommission stand unter dem Vorsitz des Staatssekretärs im nordrheinwestfälischen Justizministerium Dr. Krille und tagte in der Zeit vom 29. September

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Die Inzeststraftatbestände waren Diskussionsgegenstand der 8. Tagung der Länderkommission für die große Strafrechtsreform in Bremen vom 12. bis 16. Dezember 1960165. Wagner führte zu § 192 aus, die Absätze 1 und 2 dieser Vorschrift seien sachlich unverändert aus dem geltenden Recht übernommen worden. Der Entwurf sehe davon ab, den Beischlaf zwischen Verschwägerten in die Strafvorschrift einzubeziehen. Hierin liege aber keine wesentliche Änderung, da schon der § 173 StGB in den Absätzen 2, 3 und 5 die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verschwägerten in starkem Maße einschränke. Er referierte sodann die Vorschläge Bayerns, Bremens und Nordrhein-Westfalens. Er könne den Vorschlag Nordrhein-Westfalens auf Streichung des Absatzes 3 nicht unterstützen. Im Regelfalle erliege der Deszendent bei solchen Taten dem autoritären Einfluß des Aszendenten. Die Lösung des Entwurfs gehe daher den kriminalpolitisch richtigeren Weg. Gegen den Jugendlichen könne das Vormundschaftsgericht notfalls mit erzieherischen Maßnahmen vorgehen. Schwierig sei die Frage der Strafbarkeit des Beischlafs zwischen jugendlichen Geschwistern. Ein Abhängigkeitsverhältnis, das in den Fällen des Absatzes 3 den Verzicht auf die Bestrafung des Jugendlichen rechtfertige, liege im Falle des Beischlafs zwischen Geschwistern regelmäßig nicht vor, obwohl auch hier Ausnahmen denkbar seien. Er zweifelte, ob die Ansicht zutreffe, dass es sich bei dem Beischlaf zwischen jugendlichen Geschwistern immer um Pubertätsverirrungen handele und vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen in diesen Fällen ausreichten. Stelle man den Gedanken der noch nicht abgeschlossenen geschlechtlichen Entwicklung in den Vordergrund, müsste die Straffreiheit wohl zwangsläufig auch auf andere von Jugendlichen auf sexuellem Gebiet begangene Straftaten ausgedehnt werden. Entscheidend gegen die Straffreiheit spreche jedoch die Erwägung, dass bei den jugendlichen Tätern nicht der 1959 bis 12. Januar 1962. Während dieser Zeit hielt die Länderkommission 17 Arbeitstagungen ab (vgl. Niederschriften über die Tagungen der Länderkommission für die große Strafrechtsreform in 17 Bänden). 165 Anwesend waren für Baden-Württemberg Regierungsdirektor Roth, für Bayern Ministerialdirigent Dr. Rösch, für Berlin Kammergerichtsrat Herrmann, für Bremen Generalstaatsanwalt Dr. Dünnebier, für Hamburg Oberregierungsrat Frahm, für Hessen Oberstaatsanwalt Dr. Gauf, für Niedersachsen Ministerialdirigent Dr. Wilkerling, für Nordrhein-Westfalen Staatssekretär Dr. Krille (außer am 13. Dezember) und Ministerialrat Simon, für Rheinland-Pfalz Oberregierungsrat Dr. Wagner, für Saarland Landgerichtsrat Bayer, für Schleswig-Holstein Landgerichtsdirektor Dr. Ostendorff, für das BMJ Ministerialdirektor Dr. Schafheutle, Ministerialrat Dr. Dreher, Ministerialrat Dr. Lackner (nur am 12., 13. und 16. Dezember), Ministerialrat Dr. Schwalm, Oberlandesgerichtsrat Dr. Sturm (vom 13. Dezember an) und Oberlandesgerichtsrat Dr. Tröndle sowie als Protokollführer Landgerichtsrat Dr. Kalthoener.

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Eindruck entstehen dürfe, dass der Staat derartige Taten weniger ernst nehme als etwa einen Diebstahl oder eine Körperverletzung. Vor unangemessener strafrechtlicher Verfolgung jugendlicher Täter biete das JGG ausreichenden Schutz. Er setze sich daher für den Entwurf ein und billige auch den vorgesehenen Strafrahmen, halte insoweit jedoch eine Prüfung für erwägenswert, ob die Erhöhung des Höchstmaßes der Zuchthausstrafe von fünf auf zehn Jahre wirklich zwingend geboten sei166. Wilkerling bemerkte, er halte den vorgesehenen Strafrahmen, der mit dem des § 204 (Notzucht) übereinstimme, für vertretbar. Im Zweifel sei er aber darüber, ob die in dem zweiten Satz des Absatzes 1 für den Ausschluss eines minder schweren Falles bestimmte Altersgrenze von sechzehn Jahren richtig sei. Vielleicht empfehle es sich, bis zu achtzehn Jahren heraufzugehen167. Sturm führte aus, die Erhöhung des Höchstmaßes der Zuchthausstrafe auf zehn Jahre erkläre sich aus der Erwägung, dass Fälle der Blutschande vorkämen, die mit einer fünfjährigen Zuchthausstrafe nicht ausreichend geahndet werden könnten. Man müsse hier die Fälle berücksichtigen, in denen ein Vater jahrelang seine jugendliche Tochter mißbrauche und seelisch zugrunde richte. Was die Straflosigkeit des Beischlafs zwischen jugendlichen Geschwistern betreffe, so habe sich eine Mehrheit der GSK für die Straflosigkeit bei Geschwistern unter achtzehn Jahren ausgesprochen. Das BMJ sei dem Beschluss der GSK deshalb nicht gefolgt, weil nach seiner Ansicht kein ausreichender Grund vorliege, den Beischlaf zwischen jugendlichen Geschwistern straflos zu lassen. Die dem Absatz 3 zugrunde liegenden Erwägungen (Abhängigkeits- und Autoritätsverhältnis) träfen hier nicht zu. Auch könne man nicht davon ausgehen, dass es sich bei solchen Taten stets um Pubertätsverirrungen handle168. Dünnebier erwiderte Wilkerling, er halte die Altersgrenze des § 192 Absatz 1 Satz 2 für zutreffend. Bis zum Alter von sechzehn Jahren bestehe regelmäßig zwischen den Eltern und dem Kind ein unbedingtes Autoritätsverhältnis. Danach setze oft schon bald eine Lösung des Kindes von der Familie ein. Jedenfalls lasse sich von einem Jugendlichen, der diese Altersstufe überschritten habe, nicht in allen Fällen sagen, dass er nur schwer imstande sei, dem unzüchtigen Ansinnen zu wiederstehen. Die Anregung Bremens, die Worte „absteigender Linie“ in Absatz 3 zu streichen, halte er aufrecht. Zwischen jugendlichen Geschwistern komme Blutschande nur sehr selten vor. Die 166 Niederschriften über die Tagungen der Länderkommission für die GSK, Bd. 8: Niederschrift über die 8. Tagung der LK in Bremen vom 12. bis 16. Dezember 1960, S. 60 f. 167 Länderkommission, a.a.O., S. 62. 168 Länderkommission, a.a.O., S. 62.

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Inzestschranken zwischen Geschwistern erwiesen sich auch in der gegenwärtigen Zeit als sehr stark. Wenn in vereinzelten Fällen ungünstige häusliche Verhältnisse zum blutschänderischen Verkehr jugendlicher Geschwister führten, so genüge ein Eingreifen des Vormundschaftsgerichts169. Simon kam auf den von Wagner bereits erwähnten Vorschlag der Landesjustizverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen, den Absatz 3 zu streichen, zurück und führte ergänzend aus, dass die entsprechende Vorschrift in § 173 Absatz 4 StGB aus einer Zeit stamme, die ein Jugendstrafrecht noch nicht gekannt habe. Nach dem Ausbau des Jugendstrafrechts bestehe kein ausreichender Grund mehr, im Falle der Blutschande zwischen Aszendenten und Deszendenten den jugendlichen Deszendenten in allen Fällen straflos zu lassen. Die Streichung des § 192 Absatz 3 würde eine sachgemäße Behandlung des Jugendlichen ermöglichen. Dann könne der jugendliche Deszendent, wenn er von dem Aszendenten unter Missbrauch der Autorität verführt worden sei, nach § 45 JGG unverfolgt bleiben, und, wenn er selbst der aktive Teil gewesen sei, unter Anwendung der besonderen Sanktionsmittel des Jugendstrafrechts verfolgt werden. In dem Falle, dass eine siebzehn Jahre alte Tochter den betrunkenen Vater verführe, um sich Vorteile (etwa Geldgeschenke) zu verschaffen, sei es nicht angemessen, nur den Vater zu bestrafen, die liederliche Tochter aber unverfolgt zu lassen. Es sei auch nicht recht einzusehen, weshalb der Jugendliche in den Fällen des Satzes 1 des § 192 anders behandelt werden sollte als in den Fällen des Satzes 2 dieses Absatzes. Den Beischlaf zwischen jugendlichen Geschwistern straflos zu lassen, halte er nicht für vertretbar170. Gauf führte aus, bei den etwa 35 Fällen, die in letzter Zeit in seinem Amtsbereich vorgekommen seien, habe es sich fast ausschließlich um Fälle gehandelt, in denen ein Vater seine dreizehn, vierzehn oder fünfzehn Jahre alte Tochter verführt habe. Nur in zwei Fällen habe es sich um ein Mutter-Sohn-Verhältnis gehandelt; in beiden Fällen sei die Mutter vermindert zurechnungsfähig gewesen. Mit Ausnahme dieser beiden Fälle sei stets auf eine hohe Zuchthausstrafe erkannt worden. Auf Grund dieser Erfahrungen halte er die Strafdrohungen des § 192 Absatz 1 Satz 1 und auch die in dem Satz bestimmte Altersgrenze von sechzehn Jahren für durchaus angemessen. Er empfehle, die Altersgrenze im Absatz 3 ebenso zu bestimmen, sie also auf sechzehn Jahre herabzusetzen. Fälle der Blutschande zwischen Aszendenten und über sechzehn Jahre alten Deszendenten kämen nur ganz selten vor. In solchen Fällen gewährleiste das JGG eine angemessene Behandlung des jugendlichen Deszendenten. Den 169 Länderkommission, a.a.O., S. 62 f. 170 Länderkommission, a.a.O., S. 63 f.

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Vorschlag Bremens, die Blutschande zwischen jugendlichen Geschwistern für straflos zu erklären, könne er nicht unterstützen. Die für den Beischlaf zwischen Geschwistern vorgesehene Strafdrohung sei zu gering. Sie falle von der des Absatzes 1 allzu sehr ab. Eine Erhöhung des Höchstmaßes auf drei Jahre sei erwägenswert171. Rösch erklärte, er halte den in der schriftlichen Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz enthaltenen Vorschlag, in Absatz 3 die Worte „absteigender Linie“ zu streichen, nicht aufrecht. Von Seiten der Praxis sei vorgeschlagen worden, in Absatz 3 lediglich die Möglichkeit des Absehens von Strafe vorzusehen. Nach seiner Ansicht sei die in dem Entwurf getroffene Regelung sachgemäß. Er wolle daher eine Änderung i.S.d. Vorschlages der Praxis nicht beantragen. Bayer trug vor, die Praxis des Saarlandes habe angeregt, auch den Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie unter Strafe zu stellen. Auch er halte eine solche Tat für strafwürdig. Es handle sich dabei um eine Straftat gegen die Familie. Sturm führte hierzu aus, praktisch bedeutsam sei allein der Fall des Beischlafs des Stiefvaters oder der Stiefmutter mit einem noch nicht 21 Jahre alten Stiefkind. Dieser Fall werde aber von § 211 Absatz 1 erfasst. Andere Fälle über den – meist vorliegenden – Ehebruchtatbestand hinaus zu regeln habe sich nicht als notwendig erwiesen. Im geltenden Recht sei die Vorschrift des § 173 Absatz 2 Satz 2 StGB, die den Beischlaf unter Verschwägerten unter Strafe stelle, von so vielen – kriminalpolitisch berechtigten – Ausnahmen durchbrochen, dass sie fast ohne Bedeutung sei. Auch in ausländischen Rechten sei, soweit ersichtlich, darauf verzichtet worden, den Beischlaf zwischen Verschwägerten als besonderen Straftatbestand zu normieren172. Herrmann wies zu Absatz 3 darauf hin, dass ein gleiches Abhängigkeits- und Autoritätsverhältnis wie zwischen Vater und Tochter auch zwischen dem Bruder und der viel jüngeren Schwester vorliegen könne. Er halte es für zweckmäßig, in dem Absatz 3 die Worte „absteigender Linie“ zu streichen und den Jugendlichen dann straffrei zu lassen, wenn er zu dem Beischlaf verführt worden sei. Mit dieser Änderung seien besondere praktische Schwierigkeiten für die Gerichte nicht verbunden, da die Frage, ob die Verführung von dem Jugendlichen oder dem anderen ausgegangen sei, für die Strafzumessung Bedeutung habe und daher ohnehin geprüft werden müsse. Er stelle den Antrag, § 192 Absatz 3 wie folgt zu fassen: „Verwandte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei, wenn sie zu der Tat verführt 171 Länderkommission, a.a.O., S. 64. 172 Länderkommission, a.a.O., S. 64 f.

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worden sind“173. Sturm erhob gegen die von Herrmann vorgeschlagene Änderung der Fassung des § 192 Absatz 3 Bedenken. Die Feststellung, ob eine Verführung des Jugendlichen vorgelegen habe, erfordere umfangreiche Ermittlungen, die sich für die geistige Entwicklung des Jugendlichen sehr nachteilig auswirken könnten. Dem pflichteten Schafheutle und Ostendorff bei. Dieser erklärte, er halte den Vorschlag Gaufs, die Altersgrenze auf sechzehn Jahre heraufzusetzen, für besser. Wilkerling meinte, die Herabsetzung der Altersgrenze von sechzehn Jahren sei dann vertretbar, wenn davon ausgegangen werden könne, dass sich das Autoritätsverhältnis zwischen Eltern und Kind schon mit Erreichung dieser Altersstufe weitgehend lockere, so dass der Jugendliche in der Lage sei, sich dem unzüchtigen Ansinnen eines Elternteils zu widersetzen. Simon meinte, dass man unbedenklich eine weitgehende Lockerung des Abhängigkeitsverhältnisses nach Erreichung dieser Altersstufe annehmen könne. Im praktischen Ergebnis entspreche der Vorschlag Gaufs der vorher von ihm erläuterten Anregung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen. Fälle der Verführung eines Aszendenten durch einen Deszendenten unter sechzehn Jahren kämen wohl kaum vor. Die von ihm vorgetragenen Bedenken würden daher ausgeräumt, wenn durch die von Gauf vorgeschlagene Änderung der Altersgrenze die Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung der Minderjährigen zwischen sechzehn und achtzehn Jahren eröffnet würde. Gauf wies darauf hin, dass man in § 192 Absatz 1 Satz 2 die Altersgrenze von sechzehn Jahren anscheinend aus ähnlichen Erwägungen gewählt habe, die ihn zu seinem Vorschlage bestimmt hätten. Die Möglichkeit der Annahme eines minder schweren Falles sei bei Taten mit Deszendenten über sechzehn Jahre wohl deshalb nicht ausgeschlossen worden, weil von dieser Altersstufe an Fälle der Verführung durch den Minderjährigen vorkämen. Aus dem gleichen Grunde müsse dann aber auch die Möglichkeit einer Bestrafung der jugendlichen Deszendenten eröffnet werden. Schafheutle erklärte, dass die Altersgrenze in allen früheren Entwürfen immer wieder geprüft und stets auf achtzehn Jahre festgesetzt worden sei. Wilkerling entgegnete darauf, dass das Ergebnis dieser früheren Prüfungen schon deshalb nicht ohne weiteres übernommen werden könne, weil sich die Verhältnisse seitdem wesentlich geändert hätten. Die Jugend habe einen frühen Drang zur Selbständigkeit. Auch Simon meinte, dass das Verhältnis zwischen Eltern und Kind sich in den 30 Jahren, die seit dem E 1930 vergangen seien, gewandelt habe und dass die Jugend jetzt früher selbständig werde. Daher müsse aus den von Gauf vorgetragenen Gründen in Absatz 3 die gleiche Altersgrenze bestimmt werden wie in Absatz 1 Satz 2. Dünnebier wies darauf hin, dass es Fälle gebe, 173 Länderkommission, a.a.O., S. 65.

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in denen das blutschänderische Verhältnis zwischen dem Vater und der im Alter von dreizehn, vierzehn oder fünfzehn Jahren verführten Tochter über das sechzehnte Lebensjahr hinaus bis ins achtzehnte Lebensjahr fortgeführt werde, weil die Tochter sich noch nicht vom Vater gelöst habe oder das Verhältnis aus sonstigen Gründen weiterzuführen sich gezwungen sehe. Gerade im Hinblick auf solche Fälle halte er die im Entwurf vorgesehene Altersgrenze für angemessen. Gauf erwiderte, es sei zuzugeben, dass solche „fortgeführten Fälle“ vorkämen. Auch sie könnten aber nach der von ihm vorgeschlagenen Änderung der Altersgrenze auf Grund des JGG sachgemäß behandelt werden174. Die Kommission nahm den Antrag Gaufs, dem BMJ zu empfehlen, in § 192 Absatz 3 die Altersgrenze auf sechzehn Jahre herabzusetzen, gegen die Stimmen der Länder Bayern, Berlin, Bremen und Rheinland-Pfalz an. Herrmann erklärte, er nehme seinen Antrag im Hinblick auf den Änderungsbeschluss zurück. Die Kommission billigte die Absätze 1 und 2 des § 192 einstimmig175.

E) Entwürfe und Reformen der Sechzigerjahre: Insbesondere die Entwürfe von 1960 und 1962 sowie der Alternativ-Entwurf von 1968 I. Entwurf von 1960 Auf der Grundlage des E 1959 II und der vorläufigen Beratungsergebnisse der Länderkommission wurde im Herbst 1960 – die 8. Tagung der Länderkommission vom Dezember 1960 erfuhr also noch keine Berücksichtigung – im BMJ ein Gesamtentwurf 176 ausgearbeitet und vom Bundesjustizminister mit amtlicher Begründung (E 1960) 177 Schäffer der Bundesregierung zugleitet .

Im E 1960 fanden sich die Inzeststraftatbestände im zweiten Titel „Straftaten gegen Ehe, Familie, und Personenstand“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 192178 und übernahmen, jedoch unter Fortlassung des 174 Länderkommission, a.a.O., S. 65 ff. 175 Länderkommission, a.a.O., S. 67. 176 „Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1960 mit Begründung“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 3, S. 109 ff. 177 Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XXXIII. 178 § 192 E 1960: „(1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. Ein minder schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt ist. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

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Absatzes 4, der den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte normierte, wortgetreu den § 192 E 1959 II. In der Begründung setzte man sich zunächst in der Vorbemerkung zum Titel “Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand“ mit den Inzeststraftatbeständen auseinander. Der Tatbestand der Blutschande stehe im geltenden Recht im Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“. Die Tat richte sich „aber nicht nur gegen die Sittlichkeit in geschlechtlicher Hinsicht, sondern vor allem auch gegen die körperliche und sittliche Gesundheit der Familie“. Das rechtfertige es, die Tat in Anlehnung an das schweiz. Recht (Art. 213 Schweiz. StGB) in den vorliegenden Titel einzustellen. Was den Aufbau des Titels betreffe, stehe die Blutschande als „schwerste Straftat“ am Anfang des Titels. Die Bestrafung des Beischlafs zwischen Verschwägerten sei im Anschluss an den E 1927 und E 1930 aufgegeben. Die geltende Vorschrift sei durch so einschneidende, kriminalpolitisch aber berechtigte Ausnahmen von der Strafbarkeit durchbrochen, dass sie einen echten Gehalt kaum noch besitze. Strafrechtlich genüge es, dass der allein bedeutsame Fall des Beischlafs von Stiefeltern mit ihren noch nicht 21 Jahre alten Stiefkindern von der Vorschrift des § 211 Absatz 1 Nr. 1 (Unzucht mit Schutzbefohlenen) erfasst sei179. Zum § 192 E 1960 wurde im Einzelnen bemerkt, der Tatbestand der Absätze 1 und 2 sei sachlich unverändert dem geltenden Recht entnommen. Auch Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, seien wie bisher straffrei. Die Straffreiheit auch auf jugendliche Geschwister auszudehnen, bestehe kein hinreichender Grund. Insbesondere vermöge der Gedanke, dass die von jugendlichen Geschwistern begangenen Taten zumeist als Entgleisungen im Zusammenhang mit der geschlechtlichen Entwicklung anzusehen seien, die Straffreiheit nicht zu rechtfertigen. Sonst müssten auch andere Taten, die von diesem Täterkreis auf sexuellem Gebiet begangen werden, straffrei bleiben. Der gesetzgeberische Grund für die Straffreiheit der jugendlichen Verwandten absteigender Linie sei, dass diese in einem Abhängigkeitsverhältnis ständen und i.d.R. zu der Tat verführt würden. Dieser Grund gelte für Taten zwischen Geschwistern grundsätzlich nicht. Im Übrigen könnten diese Taten auch so schwer wiegen, dass auf Bestrafung nicht von vornherein verzichtet werden sollte. Bei den jugendlichen Tätern dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass der Staat derartige Taten weniger ernst (3) Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 3, S. 167. 179 E 1960, Begründung, S. 321.

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nehme als etwa Diebstahl oder Körperverletzung. Gegen eine unangemessene strafrechtliche Verfolgung biete das JGG genügenden Schutz180. Die Regelstrafe gegen Verwandte aufsteigender Linie sei Zuchthaus. Die Blutschande gehöre, wenn sie vom Verwandten aufsteigender Linie begangen werde, zu den „schwersten Verbrechen die das Strafrecht kennt“. Sie sei nicht nur „in höchstem Maße familienzerstörend“, sondern führe zumeist auch zu „schwersten sittlichen Schäden“ bei dem an der Tat beteiligten Abkömmling. Nicht selten komme es zu einem blutschänderischen Dauerverhältnis, durch das der zumeist minderjährige Abkömmling „sittlich völlig zugrunde gerichtet“ werde. Der grundsätzlich hohe Unrechtsgehalt der Blutschande, die von Verwandten aufsteigender Linie begangen werde, rechtfertige insoweit die Beibehaltung der Zuchthausstrafe, obwohl der Entwurf die Anwendung dieser Strafart wesentlich einschränke. Mit Rücksicht auf leicht denkbare schwerste Taten sei das Höchstmaß der Zuchthausstrafe, das im geltenden Recht fünf Jahre betrage, auf zehn Jahre erhöht worden. Das entspreche nicht nur § 290 E 1927, sondern auch Artikel 213 Absatz 2 Schweiz. StGB. Während § 173 Absatz 1 StGB bei Verwandten aufsteigender Linie auch in leichteren Fällen Gefängnisstrafe nicht ermögliche, sehe der Entwurf für minder schwere Fälle Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren vor. Gedacht sei insbesondere an einmalige Taten, die ihre Ursache in beengten Wohnungsverhältnissen hätten. Ausdrücklich ausgeschlossen sei jedoch die Annahme eines minder schweren Falles, wenn der beteiligte Abkömmling zur Zeit der Tat noch nicht sechzehn Jahre alt war. Das entspreche dem ausnahmslos hohen Unrechtsgehalt dieser Taten. Die für die Verwandten absteigender Linie und die Geschwister vorgesehene Strafe (Gefängnis bis zu zwei Jahren) sei in ihrem Höchstmaß gegenüber dem geltenden Recht unverändert181. Nachdem die Bundesregierung am 8. September 1960 über den Entwurf beschlossen hatte, wurde dieser am 28. September 1960 an den Bundesrat übersandt, wo der 182 Entwurf in der Sitzung vom 28. Oktober 1960 unverändert angenommen wurde . Der Bundestag, an den der Entwurf am 3. November 1960 überwiesen wurde, konnte sich wegen der zu Ende gehenden Legislaturperiode aber nicht mehr mit dem Entwurf 183 auseinandersetzen . Neben dem Gesetzgebungsverfahren bat am 4. Februar 1961 der Staatssekretär im BMJ Dr. Strauß, den Präsidenten des BGH Dr. Heusinger, eine kleine Kommission zur Beratung von ausgewählten Fragen des Besonderen Teils des E 1960

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E 1960, Begründung, S. 321 f. E 1960, Begründung, S. 322. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XXXIII. Scheffler, Das Reformzeitalter 1953–1975, in: Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Supplement I, S. 174 (S. 180 f.).

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ins Leben zu rufen184. Die Inzeststraftatbestände des § 192 E 1960 gehörten jedoch nicht zu den Vorschriften, für die eine Überprüfung in der Kommission des Bundesgerichtshofs gewünscht wurde185.

II. Entwurf von 1962 Nachdem die Länderkommission Anfang 1962 ihre Arbeit beendet hatte, passte die neue Bundesregierung den E 1960 an und legte im Juli 1962 dem Bundesrat den neuen Entwurf mit amtlicher Begründung (E 1962)186 zur Beratung vor187.

Im E 1962 fanden sich die Inzeststraftatbestände wie im E 1960 im zweiten Titel „Straftaten gegen Ehe, Familie, und Personenstand“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ im § 192188, der fast wortgetreu § 192 E 1960 übernahm. Als einziger Unterschied ist die Herabsetzung des Alters für die Straflosigkeit der Deszendenten auf sechzehn Jahre auszumachen, die auf die – mittlerweile eingearbeitete – Anregung der 8. Länderkommission zurückgeht. Die Begründung des E 1962 übernahm sowohl in Bezug auf die Vorbemerkung zum Titel als auch auf die Inzeststraftatbestände wörtlich189 die des E 1960. In Bezug auf die Herabsetzung des Alters auf sechzehn Jahren in Absatz 3 wurde – entsprechend der Begründung der 8. Länderkommission – 184 Eine Kommission des BGH hatte bereits zuvor auch den Allgemeinen Teil des E 1958 untersucht, vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/17202, Bl. 56 ff. Der kleinen Kommission zum Besonderen Teil gehörten an Senatspräsident Dr. Geier, Senatspräsident Dr. Baldus (als ihr Vorsitzender), Bundesrichter Prof. Dr. Busch, Bundesrichterin Krumme, Bundesrichter Scharpenseel, Bundesrichter Dr. Willms, Bundesrichter Prof. Dr. LangHinrichsen und Bundesrichter Dr. Hengsberger (sämtlicher Vertreter des BGH) sowie Bundesanwalt Fränkel, Oberstaatsanwalt Herzog, Oberstaatsanwalt Berner und Oberstaatsanwalt Schumacher (sämtliche Vertreter der Bundesanwaltschaft) an, vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/17202, Bl. 110. 185 Vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/17202, Bl. 105 f. 186 „Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 mit Begründung – Bundesratsvorlage“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 3, S. 245 ff. 187 Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XXXIV. 188 § 192 E 1962: „(1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. Ein minder schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt ist. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht sechzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt bei Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 3, S. 296. 189 E 1962, Begründung, S. 347 f.

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hinzugefügt, die Ermäßigung der Altersgrenze gegenüber dem geltenden Recht und dem E 1960 beruhe auf der Erfahrung, dass heute ein echtes Abhängigkeitsverhältnis zwischen älteren jugendlichen Abkömmlingen und ihren Eltern vielfach nicht mehr bestehe und der eigentliche Grund für ihre Straffreiheit damit entfallen sei. Außerdem biete das JGG gegen eine unangemessene strafrechtliche Verfolgung der sechzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Täter genügenden Schutz190. Der Bundesrat beschäftigte sich in seiner 248. Sitzung am 12. und 13. Juli 1962 mit dem E 1962191, beanstandete ihn aber nicht192. Gleichwohl wurden Stimmen laut, die sich gegen eine Gesamtreform des Strafrechts aussprachen und eine schrittweise Novellierung für vorzugswürdig hielten193. Trotz dieser Bedenken wurde der Entwurf vom Bundesrat an den Bundestag weitergeleitet, dort in der 70. Sitzung am 28. März 1963 in 1. Lesung verabschiedet194 und anschließend zur weiteren Beratung an den 195 Rechtsausschuss überwiesen Der Rechtsausschuss setzte in seiner 51. Sitzung am 3. Mai 1963 einen Unterausschuss „Strafrecht“ ein, der vom Bundestag in seiner 98. Sitzung am 4. Dezember 1963 unter dem Vorsitz des ehemaligen Generalbundesanwalts Max Güde zu dem Sonderausschuss „Strafrecht“ umgewandelt196 und mit der Aufgabe betraut wurde, den Entwurf eines StGB und die damit zusammenhängenden strafrechtlichen Fragen zu beraten. Aufgrund dieser Formulierung gehörten zur Zuständigkeit des Ausschusses auch Änderungen und Ergänzungen des geltenden Strafrechts. Die anschließenden Beratungen in diesem Sonderausschuss gelangten jedoch nicht bis zu den hier interessierenden Tatbeständen, da sie durch das Ende der Legislaturperiode unterbrochen wurden197. Nach der Bundestagswahl des Jahres 1965 wurde abermals ein sich stark an E 1962 orientierter Entwurf in den Bundestag einge-

190 E 1962, Begründung, S. 348. 191 Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (IN) schlug vor, in § 192 Absatz 3 die Altersgrenze auf 18 Jahre festzusetzen, mit der Begründung auch Sechzehn- und Siebzehnjährige besitzen im allgemeinen noch nicht die genügende Unabhängigkeit vom Verwandten aufsteigender Linie. Der federführende Rechtsausschuss widersprach dieser Empfehlung ausdrücklich, mit der Begründung eine Strafandrohung auch für Sechszehn- bis Achtzehnjährige erscheine erforderlich. Das in diesen Fällen anwendbare JGG gebe die Möglichkeit, in den Fällen, in denen es angebracht sei, von einer Ahndung abzusehen. Vgl. BR-Drs. 200/1/62, S. 26. 192 Jedoch hielten einige Landesregierungen dem Entwurf einige grundsätzliche kritische Anmerkungen entgegen, bevor er an den Bundestag weitergeleitet wurde. Vgl. Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XXXIV ff. 193 Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XXXIV. 194 Die Begründung erfolgte durch den neuen Justizminister Ewald Bücher (FDP). 195 Zwischenzeitlich hatte auch die Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrats Stellung genommen. 196 Der Sonderausschuss war dem Rechtsausschuss des Bundestages angegliedert. 197 Der Sonderausschuss beriet in 1. Lesung in der Zeit vom 3. Mai 1963 bis zum 30. Juni 1965 (56 Sitzungen) lediglich Problembereiche des AT des StGB.

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bracht198, dessen Inzeststraftatbestände aber wortgetreu denen des E 1962 entsprachen199. Die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP bezweckten den zeitintensiveren Weg einer erneuten Gesetzesvorlage durch die Bundesregierung, die vor einer ersten Lesung im Bundestag zunächst einen Beschluss des Kabinetts und eine Stellungnahme des Bundesrates hätte herbeiführen müssen, zu vermeiden200. So fand bereits am 13. Januar 1966 die erste Lesung im Bundestag statt, und der Entwurf wurde dem „Sonderausschuss für die Strafrechtsreform“ überwiesen, der am nächsten Tag seine 201 Arbeit aufnahm .

III. Reaktionen auf den Entwurf von 1962 Der E 1962 war in der Folgezeit, vornehmlich bezogen auf seine Sexualdelikte, heftiger Kritik ausgesetzt202. Aber auch die Inzeststraftatbestände waren mannigfaltig Gegenstand der wissenschaftlichen Kontroverse, so u.a. beim IX. Internationalen Strafrechtskongress, der Strafrechtslehrertagung 1965 und dem 47. DJT.

1. IX. Internationaler Strafrechtskongress Der IX. Internationale Strafrechtskongress fasste in der Plenarsitzung vom 29. August 1964 in Den Haag auf der Grundlage der Vorschläge seiner Sektionen Entschließungen, die am selben Tag durch die Vollversammlung angenommen wurden. Die deutsche Übersetzung ist im Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i. 203 Br., angefertigt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden . Das Thema II dieser Entschließungen behandelte die Straftaten gegen Familie und Sittlichkeit, bei denen sehr deutlich die Tendenz nach einer Beschränkung der Strafbarkeit auf diesem Gebiet hervortrat204. Innerhalb der Entschließung Nr. II fanden auch die Inzeststraftatbestände Berücksichtigung. Daneben waren sie Gegenstand eines Gutachtens zum IX. Internationalen Strafrechtskongress, erstellt von Günter Blau205.

198 Antrag der Abgeordneten Diemer-Nicolaus, Güde, Dehler, Wilhelmi und Genossen. Vgl. BT-Drs. V/32. 199 Abgedruckt bei BT-Drs. V/32. 200 Scheffler, a.a.O., S. 174 (S. 182). 201 Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XXXVI. 202 Kritik am E 1962: Müller-Emmert, DRiZ 1965, S. 45 ff. Kritik am Sexualstrafrecht: Hanack, ZStW 1965 (77), S. 399 ff.; v. Schumann, NJW 1964, S. 1158 ff.; Wahle, Zur Reform des Sexualstrafrechts, Berlin 1969; Bockelmann, Zur Reform des Sexualstrafrechts, Fschr. Maurach, S. 391 ff. (Bockelmann beleuchtete zwar auch die Inzeststraftatbestände, untersuchte aber nur die Fassung des RStGB und arbeitete heraus, warum sie in dieser Zeit überholt sei.). 203 Abgedruckt bei ZStW 1965 (77), S. 680 ff. 204 Sturm, JZ 1974, S. 1. 205 Dr. G. Blau, Die Straftaten gegen die Familie und die Sittlichkeit (Gutachten für den IX. Internationalen Strafrechtskongreß), abgedruckt in der Akte des BA Koblenz, B141/90229, Bl. ohne Angabe.

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Nach dem Gutachten von Blau ist der Inzest nach Meinung der Psychoanalytiker eines der beiden Urverbrechen (neben dem Vatermord). Die Inzestschranke gegenüber sexuellen Verbindungen nächster Angehöriger sei eine empirische Tatsache, deren Wurzeln im ungewissen liegen. Kennzeichnend sei Baders’s Bemerkung206: „Bei genauerem Zusehen stoßen wir auf einen atavistischen Rest kultisch-sakraler Vorstellungen, deren Sinngehalt uns längst verloren gegangen ist, die wir aber ängstlich bewahren, um das Pathos der Rechtsordnung nicht zu gefährden.“

Bei einer derartigen „motivistischen Undurchsichtigkeit der Inzestbestrafung“207 sei es schwer, das durch das Blutschandeverbot geschützte Rechtsgut näher zu bestimmen. Schon das RG (ebenso die amtliche Begründung des E 1962) habe in seiner späteren Judikatur (RGSt 57, 140) die körperliche und sittliche Gesundheit der Familie als Gegenstand des Strafschutzes hervorgehoben. Die Einordung dieses Straftatbestandes unter die gegen die Familie gerichteten Straftaten, die der deutsche Entwurf vorsehe, erscheine daher vertretbar, obwohl eine Zuordnung zu den Sittlichkeitsdelikten vorzuziehen gewesen wäre. Dass von sexuellen Beziehungen zwischen Aszendenten und Deszendenten – in geringerem Maße auch bei Blutschande zwischen Geschwistern – regelmäßig familienzerstörende Wirkungen ausgehen, insbesondere oft verheerende seelische Folgen bei den Opfern zu bemerken seien, sei unbestritten208. Auf einem anderen Blatt stehe, dass die definitive Familienzerstörung im Allgemeinen erst durch die Verurteilung des Vaters zu längerer Zuchthausstrafe hervorgerufen werde und dass die general- und spezialpräventive Wirkung der Strafdrohung wohl bei keinem Delikt so gering ist wie bei der Blutschande; präventiv wirke einzig und allein die in seelischen Tiefen wurzelnde Inzestschranke209. Bei den Beratungen in der GSK seien die Meinungen darüber geteilt gewesen, ob auch blutschänderischer Verkehr von Geschwistern mit Strafe bedroht werden sollte210. Einerseits sei dargelegt worden, dass verhütet werden sollte, solche Pubertätsverwirrungen der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Dem sei aber entgegengehalten worden, dass die sozialpädagogische Funktion des StGB die Pönalisierung auch der Ge206 Blau verwies auf Bader, Zeitschrift für Sexualforschung, Bd. III/IV, S. 215. 207 Blau verwies auf Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, Stuttgart 1957, S. 56. 208 Blau verwies hierzu auf Groffmann, Die psychischen Auswirkungen von Sittlichkeitsverbrechen bei jugendlichen Opfern, in: Blau / Müller-Luckmann, Gerichtliche Psychologie, S. 148 ff. 209 Blau, s. Fn. 208. 210 Blau verwies auf die Sitzungsniederschriften Bd. VIII, S. 361.

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schwisterblutschande verlange. Die Vorstellung eines etwa siebzehnjährigen Heranwachsenden, der mit seiner fünfzehnjährigen Schwester den Beischlaf vollziehe, über die soziale Wertordnung werde verwischt, wenn er z.B. wegen eines Diebstahls von 20 DM angeklagt, wegen blutschänderischen Verhaltens aber nicht verfolgt oder nur vom Vormundschaftsrichter gemaßregelt werde. Eine solche Regelung führe zur Überschätzung der materiellen Güter und Unterschätzung der ideellen Werte. Im Übrigen sei das deutsche Jugendstrafrecht so elastisch, dass auf pubertäre Verirrungen maßvoll und angemessen reagiert werden könne (z.B. durch jugendrichterliche Ermahnung)211. Obwohl bei Wegfall der Strafbestimmungen gegen die Blutschande ein straffreier Raum in der Praxis der Gerichte kaum entstehen würde, da in fast allen Fällen zugleich Unzucht mit Kindern und Abhängigen vorliege212, mochte Blau die Aufrechterhaltung dieser Strafnorm befürworten, da i.d.R. „zumindest eine schwere seelische Gefährdung des jüngeren Partners“ eintrete213. Nach den Entschließungen des IX. Internationalen Strafrechtskongresses sollte in den Ländern, in denen Blutschande strafbar ist, die Strafbarkeit auf sexuelle Beziehungen zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie und zwischen Geschwistern beschränkt, also der Verschwägerteninzest fortgelassen werden. Das Verfahren sollte, insbesondere bei strafbaren Fällen von Blutschande, Untersuchungen über die Person des Angeklagten sowie über seine soziale und familiäre Umgebung einschließen214.

2. Deutsche Strafrechtslehrertagung 1965 Der E 1962 war Gegenstand der deutschen Strafrechtslehrertagungen 1964 in Hamburg215 und 1965 in Freiburg i. Br.216. Befasste man sich 1964 noch überwiegend mit dem AT des E 1962, wurde 1965 der Schwerpunkt auf den BT gelegt. Die dort gehaltenen Referate wurden später teilweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zwar beleuchteten die Referenten und späteren Autoren zum BT schwerpunktmäßig die

211 Blau, s. Fn. 210. 212 Blau verwies zur Phänomenologie der Blutschande in Deutschland auf Schäfer, in: Kriminalistik 1955, S. 48 ff. und S. 103 ff., ferner auf Gerchow, Monatsschrift der Kriminologie 1955, S. 168. 213 Blau, s. Fn. 212. 214 Entschließung Nr. II zum Thema II: Die Straftaten gegen Familie und Sittlichkeit. Abgedruckt bei ZStW 1965 (77), S. 680 (S. 682). 215 Bericht der Tagung der Strafrechtslehrer in Hamburg: Günter, JZ 1965, S. 70 ff. 216 Bericht der Tagung der Strafrechtslehrer in Freiburg i. Br.: Weber, JZ 1965, S. 503 ff.

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Delikte des Sexual- und Sittlichkeitsstrafrechts des E 1962217, jedoch erfuhren auch die Inzeststraftatbestände Beachtung.

Leferenz behandelte in seinem Referat218 sowie in einem späteren Beitrag219 die Inzeststraftatbestände, wobei hier nur auf die ausführlichere Darstellung seines Beitrags eingegangen werden soll. Ein „Sachkenner“ wie Gerchow220 habe sich neuestens wieder gegen die Begründung des Entwurfs gewandt, dass die Blutschande in höchstem Maße familienzerstörend sei, zumeist zu den schwersten sittlichen Schäden führe und im Allgemeinen der minderjährige Abkömmling sittlich völlig zugrunde gerichtet werde. Tatsächlich hätten die Analysen der Inzestsituation vielfach zu dem Ergebnis geführt, dass die VaterTochter-Promiskuität im Allgemeinen „nicht Ursache, sondern Folge einer familiären Destruktion ist“. Ausgangspunkt sei dann irgendeine Disharmonie im Familienleben. Die Verbindung sei der zunächst einseitige, aber sehr häufig gemeinsame Versuch der Überwindung einer familiären Krise. Hieraus erkläre sich das oft weitgehend konfliktfreie Hineingleiten in die Verbindung und der meist spannungsfreie ausgedehnte Bestand. Ferner könne das Strafverfahren die endgültige Zerstörung der Familienstruktur bedeuten. Die Ehescheidung stelle ein zusätzliches Trauma für das missbrauchte Kind dar. Gerchow sei ferner der Meinung, dass sich die missbrauchten Kinder i.d.R. für ein Erhalten bleiben der Ehe ihrer Eltern entscheiden. Schließlich seien Rückfälle nach entdeckter Tat selten. Die möglichen negativen Auswirkungen der VaterTochter-Promiskuität würden hierbei nicht verkannt, insbesondere Überlagerungen des Primärcharakters in Richtung auf Triebhaftigkeit und Verwahrlosung. Bei einer zweiten Gruppe könne das Schulderleben schwere neurotische Störungen bedingen. Insgesamt ergebe sich „unter kriminologischem Aspekt hieraus die Forderung, den biologischen und psychologischen Fakten des Einzelfalles insoweit Rechnung zu tragen, als dies unter Berücksichtigung allgemeiner Prinzipien überhaupt nur möglich ist.“ 217 Einige anstatt vieler: Hanack, Die Straftaten gegen die Sittlichkeit im Entwurf 1962 (§§ 204–231 E 1962), ZStW 1965 (77), S. 398 ff.; Leferenz, Die Sexualdelikte des E 62, ZStW 1965 (77), S. 379 ff.; Peters, Beschränkung der Tatbestände im Besonderen Teil, ZStW 1965 (77), S. 470 ff.; Fiedler, Eindrücke zur Diskussion im Anschluß an die Referate auf der Strafrechtslehrertagung 1965 in Freiburg, ZStW 1965 (77), S. 506 ff. 218 Der hier interessierende Teil ist wiedergebeben bei Weber, JZ 1965, S. 503 (S. 504): „Blutschande (§ 192): Die biologische und psychologische Situation des Einzelfalles ist weitgehend zu berücksichtigen. § 192 I S. 2 zu streichen, die Mindeststrafe herabzusetzen und die Möglichkeit des Absehens von Strafe zu schaffen; auf § 192 III kann dann verzichtet werden“. 219 Leferenz, Die Sexualdelikte des E 62, ZStW 1965 (77), S. 379 ff. 220 Leferenz verwies auf Gerchow, Die Inzestsituation, S. 38 ff.

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Bei Abwägung aller Gesichtspunkte werde man der Forderung von Gerchow nach Abschaffung der Pönalisierung insgesamt nicht zu folgen brauchen; seine Forderung nach elastischer Handhabung des Einzelfalles verdiene jedoch volle Unterstützung. Leferenz machte daher den Vorschlag, § 192 Abs. I Satz 2 zu streichen, da der Inzest auch bei einem Opfer unter sechzehn Jahren nicht unbedingt als zuchthauswürdige Hochkriminalität des Aszendenten zu bewerten sei. Daneben sollte die untere Grenze der Strafandrohung bei minder schweren Fällen bis zur Aussetzungsfähigkeit herabgesetzt werden, um bei geeigneten Fällen eine weitere Elastizität zu erreichen, etwa wenn Interesse an der Aufrechterhaltung der Familie bestehe. Schließlich bestehe bei den Minderjährigen eine ähnliche psychologische und biologische Situation wie bei den minderjährigen Beteiligten an homosexuellen Handlungen, sodass er empfahl, im Rahmen des Geschwisterinzests und der Aszendenz-DeszendenzPromiskuität dem Gericht die Möglichkeit zu eröffnen, bei Minderjährigen von Strafe abzusehen221.

3. 47. Deutscher Juristentag Zwar wurden anlässlich des 47. DJT222 in einem Gutachten223 von Hanack die Inzeststraftatbestände bei der Umgrenzung der Untersuchung ausgeschlossen224, gleichwohl erfuhren sie in der Einleitung des Gutachtens sowie in den Verhandlungen Beachtung.

Hanack führte aus, die Einordnung der Blutschande bei den Straftaten gegen Ehe und Familie sei zwar sachgerecht, doch die Auffassung der Amtlichen Begründung zum E 1962, das Delikt gehöre, wenn es von Verwandten aufsteigender Linie begangen wird, „zu den schwersten Verbrechen, die das Strafrecht kennt“, weil es „nicht nur in höchstem Maße familienzerstörend“ sei, 221 Leferenz, Die Sexualdelikte des E 62, ZStW 1965 (77), S. 379 (S. 387 f.). 222 Der 47. Deutsche Juristentag fand vom 17. bis 20. September 1968 in Anwesenheit des Bundesjustizministers Heinemann, des österreichischen Bundesministers der Justiz Klecatsky und des bayerischen Justizministers Held sowie unter starker Beteiligung inund ausländischer Juristen in Nürnberg statt. Ein Schwerpunkt lag in den Verhandlungen der Strafrechtlichen Abteilung, die sich ausführlich mit dem E 1962 auseinandersetzte. Vgl. die Zusammenfassung in NJW 1968, S. 2045 ff. sowie Gröttrup, JuS 1968, S. 755 ff. und Weber, JZ 1968, S. 755 f. 223 Hanack, Empfiehlt es sich, die Grenzen des Sexualstrafrechts neu zu bestimmten?, in: Gutachten für den 47. Deutschen Juristentag Nürnberg 1968, S. A 1 bis 255. 224 Verstehe man unter dem Begriff Sexualstrafrecht alle pönalisierten Handlungen, die sexuell motiviert sind, würde darunter auch die Blutschande fallen. Im Hinblick auf die laufenden Arbeiten zur Strafrechtsreform setze er aber den Begriff in seinem Gutachten mit den „Straftaten gegen die Sittlichkeit“ gleich, wie sie im E 1962 in den §§ 204–431 konzipiert seien. Wegen dieser Umgrenzung bleibe auch die Blutschande außer Betracht. Vgl. Hanack, a.a.O, S. A 9.

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sondern „zumeist auch zu schwersten sittlichen Schäden bei dem an der Tat beteiligten Abkömmling“ führe, stimme insoweit mit modernen kriminologischen Erkenntnissen wenig überein, als es um die familienzerstörende Wirkung gehe. Die gestörten Familienverhältnisse seien regelmäßig „Ursache, nicht Folge der Blutschande“. Da auch die Frage der sittlichen Schädigungen sehr unterschiedlich sei und nicht selten der (u. U. schon erwachsene) Deszendent die treibende Kraft sei, erscheine die vorgesehene Regelstrafe von mindestens zwei Jahren Zuchthaus im E 1962 bedenklich hoch. Der österreichische Entwurf von 1964 habe in richtiger Einschätzung des Problems die Höchststrafe auf drei Jahre beschränkt. Auch dabei bleibe jedoch fraglich, ob die Blutschande zwischen Erwachsenen überhaupt strafbedürftig sei225. In den Verhandlungen des 47. DJT bemerkte Goydke, während im § 173 StGB bei allen anderen Absätzen dieser Vorschrift die Milderungsmöglichkeit bestehe, sei sie im Absatz 1 nicht vorgesehen. Er sei seit einiger Zeit Mitglied einer Jugendschutzkammer und habe einige Fälle von Blutschande kennengelernt. In derartigen Fällen ergäben sich alleine aus dem Milieu, aus dem die Täter kämen, häufig Milderungsmöglichkeiten. Als Sofortmaßnahme sei daher zu empfehlen, auch in dieser Vorschrift die Möglichkeit mildernder Umstände vorzusehen226. Sarstedt hatte Bedenken, ob man Blutschande als Sexualdelikt bezeichnen könne und ob dieser Antrag überhaupt zu ihrem Thema gehöre. Blutschande sei ein sehr schwieriges und weitschichtiges Thema227. Hanack erwiderte, in seinem Gutachten werde die Blutschande nicht behandelt, weil sie nicht als Sexualdelikt gelte. Der Alternativ-Entwurf – Hanack berücksichtigte bereits den hier interessierenden Alternativ-Entwurf von 1968, der zwischen den Gutachten und den Verhandlungen erstellt wurde –, sehe vor, die Blutschande zwischen Erwachsenen ersatzlos entfallen zu lassen. Er glaube, über die Frage der Milderung der Strafdrohung könnten sie sich ohne große Aussprache einigen. Wenn er als Theoretiker recht sehe, werde doch wohl für einen solchen Antrag ein echtes Bedürfnis bestehen. Sie sollten daher über die Frage des Strafrahmens sprechen228. Die Mehrheit lehnte eine Erörterung jedoch ab229.

225 226 227 228 229

Hanack, a.a.O., S. A 10 f., Rdnr. 5. Verhandlungen des 47. Deutschen Juristentages, Bd. II (Sitzungsberichte), S. K 179. Verhandlungen des 47. Deutschen Juristentages, Bd. II (Sitzungsberichte), S. K 179. Verhandlungen des 47. Deutschen Juristentages, Bd. II (Sitzungsberichte), S. K 179 f. Verhandlungen des 47. Deutschen Juristentages, Bd. II (Sitzungsberichte), S. K 180.

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IV. Der Alternativ-Entwurf von 1968 Bereits während der Arbeiten an der Strafrechtsreform schloss sich im Jahr 1965 ein Kreis von bedeutenden deutschen und schweizerischen Strafrechtswissenschaftlern230 zusammen, der einen Alternativ-Entwurf (AE) eines StGB erarbeitete231. Der AT wurde im Oktober 1966 veröffentlicht232, dem Entwürfe zu ausgewählten Abschnitten des BT folgten233. Die hier interessierenden Tatbestände waren Gegenstand des AE zu den Sexualdelikten u.a.234. Dieser Entwurf basierte auf der Auffassung ihrer Verfasser, dass sich ein StGB mit der „Pönalisierung gravierenden sozialschädlichen Verhaltens“ zu begnügen habe; darüber hinausgehende Strafvorschriften zum „Schutze allgemeinmoralischer Zustände“ oder „bloßer Verletzungen eines allgemeinen Scham- und Sittlichkeitsgefühls“ lehne man ab. Alle Normierungen, die diese Grenzen überschritten, würden in unangemessener Form in den „Intimbereich Erwachsener“ eingreifen und mit ihren Gefahren für eine „moralisierende Bevormundung des Bürgers“ mehr Schaden als Nutzen stiften235.

Im AE von 1968 fanden die Inzeststraftatbestände keine Berücksichtigung i.S. einer eigenen gesetzlichen Regelung, wurden jedoch von den Bearbeitern kommentiert. Während die Amtliche Begründung zum E 1962 die Blutschande durch Verwandte aufsteigender Linie ohne nähere Erläuterung zu den schwersten Verbrechen zähle, die das Strafrecht kenne, werde im Schrifttum seit langem die Frage erörtert, ob die Blutschande überhaupt strafwürdig sei. Tatsächlich müsse diese Frage verneint werden, soweit es nicht um die Aspekte des Jugendschutzes gehe – an dieser Stelle wurde auf §§ B 4 und 5 samt Begründung verwiesen. Der AE stelle daher die Blutschande zwischen Erwachsenen nicht mehr unter Strafe, und zwar insbesondere aus den folgen230 Zu den zunächst 14 „Alternativprofessoren“ gehörten Jürgen Baumann, Anne-Eva Brauneck, Ernst Walter Hanack, Arthur Kaufmann, Ulrich Klug, Ernst-Joachim Lampe, Theodor Lenckner, Werner Maihofer, Peter Noll, Claus Roxin, Rudolf Schmitz, Hans Schultz, Günter Stratenwerth, Walter Stree (wechselnd bei den Alternativ-Entwürfen zum BT). 231 Die Entstehung der AE wird beleuchtet bei Scheffler, a.a.O., S. 174 (S. 192 ff.). 232 Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, S. XXXVII. 233 Bis 1977 wurden Alternativ-Entwürfe zum Politischen Strafrecht (1968), zu den Sexualdelikten (1968), zu den Straftaten gegen die Person einschließlich der Umweltdelikte (1. Halbbd. 1970; 2. Halbbd. 1971) sowie zu den Straftaten gegen die Wirtschaft (1977) vorgelegt. 234 „Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches Besonderer Teil, Sexualdelikte, Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand, Straftaten gegen den religiösen Frieden und die Totenruhe“ vorgelegt von Jürgen Baumann, Anne-Eva Brauneck, Gerald Grünwald, Ernst-Walter Hanack, Armin Kaufmann, Arthur Kaufmann, Ulrich Klug, ErnstJoachim Lampe, Theodor Lenckner, Werner Maihofer, Peter Noll, Claus Roxin, Rudolf Schmitt, Hans Schultz, Günter Stratenwerth, Walter Stree unter Mitarbeit von Stephan Quensel und Eberhard Wahle, Tübingen 1968. 235 Alternativ-Entwurf Sexualdelikte u.a., S. 9.

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den Gründen. Dass die Blutschande, außer vielleicht beim Geschwisterinzest, als solche keine besonderen erbbiologischen Gefahren mit sich bringe, könne heute als „wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis“ gelten. Selbst die mögliche Häufung negativer Erbfaktoren bedeute nur „eine vage Gefahr, die augenscheinlich kaum größer ist als bei vielen anderen Geschlechtsverbindungen“. Auch spiele sich die Blutschande überwiegend zwischen Beteiligten ab, die durch Umwelt oder Persönlichkeitsstruktur bereits geschädigt seien, so dass die abschreckende Wirkung der Strafvorschrift im allgemeinen gering sein dürfte, umgekehrt aber gerade durch das Strafverfahren ein vorhandener Schaden nicht selten vertieft werde. Schon aus diesem Grunde sei es auch fraglich, ob die Gesichtspunkte der Familienzerstörung und der Familienreinheit, mit denen die Vorschrift heute vornehmlich gerechtfertigt werde, wirklich zur Pönalisierung zwingen. Die kriminologische Erfahrung zeige, dass die Störung der Familienverhältnisse durch Persönlichkeit, Abnormität, Sexualnot, Verwahrlosung oder Milieu der Beteiligten eher Ursache als Folge der Inzestbeziehung sei. Da der Tatbestand überdies mit sehr hoher Dunkelziffer behaftet zu sein scheine, ein typisches Schwächedelikt darstelle und als Quelle von Erpressungen, Skandalen, abgenötigten Falschaussagen und peinlichen Ermittlungsverfahren zahlreiche Mißhelligkeiten aufwerfe, sei ihm eine sinnvolle Funktion im Rahmen des Strafrechts nicht zuzusprechen, zumal moralische Abscheu für sich die Strafbarkeit noch nicht rechtfertige und der Tatbestand nach seiner geschichtlichen Entwicklung traditionell auf den Beischlaf beschränkt sei, obwohl die angeblichen Gefahren für Ehe, Familie und Abkömmlinge in weitem Maße auch durch eine ganze Skala nicht erfaßter anderer sexueller Handlungen hervorgerufen werden könnten. Der AE lasse auch den Beischlaf zwischen erwachsenen Geschwistern, der im Ausland vielfach straffrei bleibe oder doch sehr milde geahndet werde, straflos. Die meist tragischen Einzelfälle geschlechtlicher Geschwisterliebe zwischen Erwachsenen würden wegen ihrer Besonderheiten im Zweifel durch Strafdrohungen doch nicht verhindert und hätten im Hinblick auf die familiäre Situation regelmäßig noch weit geringeres Gewicht als der Beischlaf zwischen erwachsenen Verwandten gerader Linie. Etwaige erbbiologische Bedenken im Hinblick auf mögliche Nachkommen könnten, zumal angesichts des heutigen Gebrauchs von empfängnisverhütenden Methoden, die Strafvorschrift nicht rechtfertigen236. Den Beischlaf zwischen Verschwägerten sehe schon der E 1962 236 Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang, dass der BGH in einer Entscheidung vom 26. Juli 1961 seine vorherige Linie und die des RG nur noch am Rande aufgriff, vielmehr feststellte, „denn wo nach den Strafdrohungen des Strafgesetzbuchs die Tatbestandshandlung in der Vollziehung des Beischlafs besteht, dienen sie jedenfalls auch der Verhinderung unerwünschter Zeugung“. Vgl. BGHSt 16, S. 175 (S. 177).

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nicht als strafwürdig an. Ein Rechtsgut, das strafrechtlich geschützt werden müsste, sei nicht ersichtlich237. Der § B4 (Sexueller Mißbrauch von Kindern)238 des AE, geregelt im Abschnitt B. Sexualdelikte, erfasste auch den Beischlaf mit dem (eigenen) Kind. Nach der Begründung kam eine Straferschwerung nach Absatz 3 dabei vor allem dann in Betracht, wenn der Täter mit seinem eigenen Kind den Beischlaf vollziehe, also sowohl die Voraussetzungen der Nr. 1 als auch der Nr. 4 gegeben seien. Damit würden diese Fälle der Blutschande angemessen erfasst, ohne dass es insoweit einer besonderen Vorschrift bedürfe239. Ferner erfasste § B5 (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen)240 des AE, ebenfalls geregelt im Abschnitt B. Sexualdelikte, auch den Missbrauch mit dem (eigenen) Kind). Nach der Begründung wurde der Inzest „mit der Normalstrafdrohung ausreichend erfasst“241.

237 Alternativ-Entwurf Sexualdelikte u.a., S. 59 ff. 238 „§ B4 Sexueller Mißbrauch von Kindern [...] (2) Hat der Täter 1. mit dem Kind den Beischlaf vollzogen, 2. das Kind bei der Tat körperlich schwer mißhandelt, 3. das Kind während längerer Zeit wiederholt mißbraucht oder 4. die Tat mit seinem leiblichen Kind, Adoptivkind oder Stiefkind oder mit einem ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertrauten Kind begangen, ist die Strafe […] [...]“ Abgedruckt bei Alternativ-Entwurf Sexualdelikte u.a., S. 18 und S. 20. 239 Alternativ-Entwurf Sexualdelikte u.a., S. 21. 240 „§ B 5 Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen (1) Wer an 1. einem Minderjährigen zwischen 14 und 16 Jahren, der ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, 2. einem Minderjährigen zwischen 16 und 21 Jahren, der ihm in der genannten Weise anvertraut ist und den er sich unter Mißbauch der Abhängigkeit gefügig macht, oder 3. seinem minderjährigen leiblichen Kind, Adoptivkind oder Stiefkind über 14 Jahren sexuelle Handlungen von einiger Erheblichkeit vornimmt oder solche Handlungen an sich von dem Minderjährigen vornehmen läßt, wird mit … bestraft. Ebenso wird bestraft, wer unmittelbar vor dem Minderjährigen und auf ihn bezogen sexuelle Handlungen von einiger Erheblichkeit vornimmt oder solche Handlungen vor sich von dem Minderjährigen vornehmen läßt. [...] Abgedruckt bei Alternativ-Entwurf Sexualdelikte u.a., S. 22 und S. 24. 241 Alternativ-Entwurf Sexualdelikte u.a., S. 27.

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F) Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1969: Insbesondere der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform sowie die Strafrechtsreformgesetze Dem Sonderausschuss für die Strafrechtsreform lagen neben dem E 1962 auf Initiative der FDP-Fraktion auch die AE „Allgemeiner Teil“ und „Besonderer Teil – Sexualde242 likte u.a.“ vor . Die zu bewältigende Aufgabe des Ausschusses, der unter dem Vorsitz Güdes in enger Verbindung mit Vertretern der Wissenschaft aller Bereiche sowie mit der strafrechtlichen Praxis und der Strafvollzugspraxis auch des Auslandes an der Strafrechtsreform arbeitete, erwies sich jedoch als „so umfangreich, die Fülle des zu verwertenden Stoffes als so groß und das Gewicht und die Tragweite der zu treffenden Entscheidungen als so beträchtlich“, dass an eine Verwirklichung der gesamten Reform 243 in einer einzigen WP nicht gedacht werden konnte . Daher stellte der Sonderausschuss die Neugestaltung des BT des StGB vorerst zurück und schlug vor, mit einem „Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts“ zunächst diejenigen Reformen im AT und BT des StGB zu verwirklichen, die kriminalpolitisch besonders bedeutsam und deshalb vordringlich waren244.

I. Erstes Strafrechtsreformgesetz Mit dem ersten Strafrechtsreformgesetz vom 25. Juni 1969 (1. StrRG)245 wurden der AT des StGB reformiert sowie erste Korrekturen am BT vorgenommen246; nicht zuletzt erfuhren auch die hier interessierenden Tatbestände Berücksichtigung.

Durch Art. 8 (Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte) des 1. StrRG von 1969 traten Vorschriften, soweit sie den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte vorschrieben, außer Kraft, infolgedessen erhielt der § 173 StGB eine um Absatz 3 gekürzte Fassung247. Die Bestrebungen der GSK, insbesondere 242 Der AT des AE wurde von den drei FDP-Abgeordneten Diemer-Nicolaus, Busse und Dorn am 17. September 1967 in den Bundestag eingebracht, vgl. BT-Drs. V/2285; nach dem schriftlichen Bericht der Abgeordneten Müller-Emmert, Schlee und DiemerNicolaus wurde später auch der AE Sexualdelikte u.a. einbezogen, vgl. BT-Drs. V/4094. 243 Hohler, NJW 1969, S. 1225 (S. 1226). 244 Vormbaum / Rentrop, Reform des Strafgesetzbuchs, Bd 1, S. XXXVII. 245 BGBl. 1969 I, S. 645 (Nr. 52). Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 2, Nr. 82, S. 76 ff. 246 Die wichtigsten Änderungen sind dargestellt bei Kunert, NJW 1969, S. 1229 ff.; Hassemer, JuS 1969, S. 496 ff.; Hohler, NJW 1969, S. 1225 ff.; Horstkotte, NJW 1969, S. 1601 ff. (zum AT); Sturm, NJW 1969, S. 1606 ff. (zum BT). 247 § 173 StGB nach der Bekanntmachung der Neufassung des Strafgesetzbuchs vom 1. September 1969: „(1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.

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diejenigen zur Entkriminalisierung des Verschwägerteninzests, wurden also – vorerst – nicht umgesetzt. Nach der Begründung hatte im Sonderausschuss für die Strafrechtsreform von vorherein Übereinstimmung bestanden, dass die bisherige Nebenfolge des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte zu beseitigen sei, wie dies auch der E 1962 und AE vorgeschlagen habe248.

II. Viertes Strafrechtsreformgesetz Die bedeutsamsten Änderungen in der Zeit nach 1945 erfuhren die Inzeststraftatbestände durch das vierte Strafrechtsreformgesetz vom 23. November 1973 (4. StrRG)249, dem eine äußerst umfassende Auseinandersetzung innerhalb des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform vorausging.

1. Der Regierungsentwurf sowie die Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform Der Entwurf eines 4. StrRG wurde im September 1970 von der Bundesregierung beschlossen und lief am 23. Oktober 1970 im ersten Durchgang durch den Bundesrat250. Er wurde am 4. Dezember 1970 dem Bundestag zugeleitet251, der den Entwurf in seiner 105. Sitzung am 5. März 1971 in erster Lesung behandelte und an den Sonderausschuss für die Strafrechtsreform sowie an den Ausschuss für Jugend, Familien und Gesundheit überwies252. Der Sonderausschuss beriet den Entwurf in insgesamt 72 Sitzungen bis zum 2. März 1972 abschließend.

248 249 250 251 252

(2) Der Beischlaf zwischen Geschwistern wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso wird der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie bestraft, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht. (3) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben. (4) Im Falle des Beischlafs zwischen Verschwägerten kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden ist“. Abgedruckt im BGBl. 1969 I, S. 1445 (S. 1477). BT-Drs. V/4094, S. 15 und S. 40. Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) vom 23. November 1973, BGBl. 1973 I, S. 1725 (Nr. 98). Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 2, Nr. 97, S. 332 ff. BR-Drs. 489/70. BT-Drs.VI/1552. BT-Drs. VI/3521, S. 1.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

a) Regierungsentwurf Nach dem Regierungsentwurf253 sollte § 173 StGB in den Zwölften Abschnitt „Straftaten gegen Ehe und Familie“ des Zweiten Teils eingestellt werden und eine Fassung254 erhalten, die auf die Strafbarkeit des Verschwägerteninzests verzichtete. Diese Änderungen gingen auf die Reform der Fünfziger- und Sechzigerjahre zurück. Darüber hinaus gehende Forderungen der jüngeren Reformgeschichte, wie bspw. das hohe Strafmaß von zehn Jahren, die Regelungen über den minder schweren Fall, der Ausschlusstatbestand für den minder schweren Fall in Absatz 1 oder die Reduzierung des Mindestalters auf sechzehn Jahre in Absatz 3 fanden hingegen keinen Niederschlag. In der Begründung wurde bemerkt, der Tatbestand des Beischlafs zwischen Verwandten sei kriminalpolitisch sehr umstritten. Unbestritten sei hingegen, dass der Schutz von Kindern und Schutzbefohlenen strafrechtlich gewährleistet werden müsse. Die Kritiker des § 173 StGB seien der Auffassung, dass dieser Schutz durch die sonstigen Strafvorschriften sichergestellt werden könne (§§ 174 und 176 des Entwurfs). Gegen die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verwandten werde eingewendet, ein geschütztes Rechtsgut sei nicht zu erkennen. Der Entwurf folge dieser Auffassung nicht. Er sehe die Beibehaltung des Tatbestandes vor, allerdings in einer gegenüber dem geltenden Recht eingeschränkten Fassung. Aufgegeben sei die Bestrafung des Beischlafs zwischen Verschwägerten. Diese Vorschrift sei durch einschneidende, kriminalpolitisch berechtigte Ausnahmen von der Strafbarkeit so durchbrochen, dass sie – worauf schon der E 1962 hingewiesen habe – keinen echten Gehalt mehr besitze255. Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie sowie zwischen Geschwistern solle strafbar bleiben; allerdings seien nach Absatz 3 Verwandte absteigender Linie und Geschwister, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, straffrei. Strafgrund für den Inzest sei „der in Artikel 6 GG geforderte Schutz von Ehe und Familie“. Inzestuöse Beziehungen würden 253 Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (4. StrRG). Abgedruckt in der BT-Drs. VI/1552, S. 2 ff., Anlage 1. 254 „§ 173 (1) Wer mit einem Verwandten ab- oder aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (2) Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie und Geschwister, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei“. Abgedruckt in BT-Drs. VI/1522, Anlage 1, S. 2. 255 BT-Drs. VI/1552, Begründung, S. 14.

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i.d.R. eine „schwere Belastung für die Familie“ bedeuten. Sie würden nicht nur familienzerstörend wirken, sondern würden nicht selten zu schweren seelischen Schäden führen, namentlich bei Minderjährigen. Im Gesetzgebungsverfahren werde noch sorgfältig zu prüfen sein, ob diese Gründe, die beim Inzest von Verwandten auf- oder absteigender Linie auf der Hand lägen, in gleich starkem Maße beim Geschwisterinzest gälten. Zusätzlich seien „eugenische Gesichtspunkte“ zu berücksichtigen, die es verständlich machten, dass schon das geltende Recht die Strafbarkeit auf die Fälle des Beischlafs beschränkte und nicht auf sonstige – ebenfalls familiengefährdende – sexuelle Handlungen ausdehne. Bei Kindern, die aus einer inzestuösen Beziehung erwüchsen, könne wegen der erhöhten Möglichkeit der Summierung rezessiver Erbanlagen die Gefahr erheblicher Schädigungen nicht ausgeschlossen werden. Wegen der überwiegend noch bestehenden Tabuisierung des Inzests sei darüber hinaus die Gefahr der Diskriminierung der Inzestkinder gegeben mit erheblichen negativen Folgen für die seelische Entwicklung dieser Kinder256. Das Höchstmaß der angedrohten Freiheitsstrafe beim Deszendenten-Inzest sei gegenüber dem gelten Recht ermäßigt worden. Eine abgestufte Strafdrohung für den Geschwisterinzest erscheine überflüssig. Eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren dürfte selbst in besonderen Fällen ausreichen. Der Entwurf sehe in Abänderung des geltenden Rechts keine Mindeststrafe vor, um auch den Fällen von geringem Schuldgehalt gerecht zu werden257.

b) Stellungnahme des Bundesrats In der Stellungnahme des Bundesrats vom 23. Oktober 1970258 wurde eine abweichende Fassung259 des § 173 vorgeschlagen, die den Inzest zwischen Aszendenten und Deszendenten auf zwei Absätze aufteilte und für die Deszendenten das Strafmaß reduzierte sowie deren Straflosigkeit fortließ. In der Begründung wurde argumentiert, es bestehe kein Bedürfnis, die Strafdrohung für die Verwandten absteigender Linie und Geschwister über das im 256 257 258 259

BT-Drs. VI/1552, Begründung, S. 14. BT-Drs. VI/1552, Begründung, S. 14 f. Abgedruckt in der BT-Drs. VI/1552, S. 40 ff., Anlage 2. „§ 173 (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen“. Abgedruckt in BT-Drs. VI/1552, S. 41, Anlage 2.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

geltenden Recht vorgesehene Höchstmaß hinaus zu erhöhen. Die Streichung des Absatzes 3 sei erforderlich, da es nicht in allen Fällen angebracht sei, Verwandte absteigender Linie und Geschwister, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, von einer Bestrafung wegen Blutschande freizustellen. In den Fällen, in denen ein Absehen von Strafe sachgemäß sei, würden die Möglichkeiten des JGG ausreichen260. Die Stellungnahme des Bundesrates geht wortgetreu auf die Empfehlungen261 des federführenden Rechtsausschusses sowie des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit vom 8. Oktober 1970 für die 357. Sitzung des Bundesrates am 23. Oktober 1970 zurück. Ein Antrag des Landes Hamburg vom 21. Oktober 1970262, § 173 Absatz 2 und Absatz 3 zu streichen, erfuhr hingegen keine Berücksichtigung.

c) Gegenäußerung der Bundesregierung In der Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates führte die Bundesregierung aus, gegen die vorgeschlagenen Strafrahmen beständen keine Bedenken. Es bedürfe aber weiterer Prüfung, ob und ggf. in welchem Umfang auf die im Entwurf vorgesehene Vorschrift, nach der Verwandte absteigender Linie und Geschwister unter achtzehn Jahren straffrei sind, verzichtet werden könne263.

d) Hearing des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform Bevor der Regierungsentwurf im Bundesrat beraten und im Bundestag eingebracht wurde, hatte der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform die Anhörung einer großen Zahl von Sachverständigen aus den Bereichen, die der Entwurf in besonderem Maße berührte, zu einem umfangreichen Fragenkatalog beschlossen264. Die Anhörung von 31

260 BT-Drs. VI/1552, S. 41, Anlage 2. 261 BR-Drs. 489/1/70. 262 In der Begründung führte Hamburg aus, § 173 Absatz 2 sei zu streichen, da kein kriminalpolitisches Bedürfnis vorliege, den Geschwisterinzest unter Strafe zu stellen. Ein zu schützendes Rechtsgut sei nicht zu erkennen. Gesichtspunkte des Familienschutzes würden nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die von jugendlichen Geschwistern begangenen Taten würden meist als Entgleisungen im Zusammenhang mit der geschlechtlichen Entwicklung anzusehen sein. Der Inzest älterer Geschwister werde sich kaum familiengefährdend auswirken. § 173 Absatz 3 sei zu streichen, da sowohl im Jugendrecht als auch im Prozessrecht hinreichende Möglichkeiten gegeben seien, von der Verhängung einer Strafe abzusehen (z.B. § 153 StPO). Einer Regelung im materiellen Recht bedürfe es daher nicht. Vgl. BR-Drs. 489/11/70. 263 BT-Drs. VI/1552, S. 46, Anlage 3. 264 Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 23. Sitzung vom 8. Oktober 1970, S. 757 f. Der Fragenkatalog für die Anhörung von Sachverständigen zum 4. StrRG ist abgedruckt als Anlage 1 (S. 759 f.), ein Fragenkatalog für die Anhö-

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zumeist namhaften Soziologen, Sexualwissenschaftlern, Kriminologen, Kriminalpolizeibeamten, Psychiatern, Psychologen, Pädagogen, Gerichtsmedizinern, Theologen, Philosophen, Verfassungsrechtlern, Rechtsvergleichern, Strafrechtslehrern, Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten war auch auf internationaler Ebene eine Veran265 staltung von einmaligem Rang . Sie fand in der 28. bis 30. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform vom 23. bis 25. November 1970 statt und erstreckte sich auf insgesamt 40 Stunden266.

Es bezog sich zwar keine Frage des Katalogs explizit auf die Inzesttatbestände, jedoch wurden sie in dem Hearing äußerst eingehend erörtert und diskutiert; der Schwerpunkt lag hierbei auf dem Geschwister- und Vater-Tochter-Inzest. In der 28. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform vom 23. November 1970 führte der Sachverständige Prof. Dr. Scheuch (Univ. Köln) aus, ihm scheine eine fortbestehende Pönalisierung des Inzests unabwendbar. Die Familie müsse „von jeglicher sexueller Konkurrenz nach Möglichkeit freigehalten werden“. Seine einzige Kritik richte sich am Gesetzentwurf gegen § 173 Absatz 3, wo der Inzest zwischen Geschwistern von der Pönalisierung freigestellt sei267. Auf den Einwand des Abg. Freiherr Ostmann von der Leye (SPD)268, die sexuelle Konkurrenz in der Familie könne nur verhindert werden, wenn man den Aszendenten- oder den Deszendenten-Inzest, aber nicht den Geschwister-Inzest ins Auge fasse, denn es fehle dort an der ursprünglichen Konkurrenzsituation zwischen einem der Elternteile und den Kindern, stimmte Scheuch insoweit zu, ergänzte aber, je weniger die in einer Familie Befindlichen als Sexualobjekt in Erscheinung träten, um so eher sei dieser Raum zuträglich für sehr enge emotionale Bindungen und für nichtkalkulierte Bindungen an andere Personen269. Der Abg. Dr. de With (SPD) verwies darauf, dass Inzest in Frankreich, in Belgien, in den Niederlanden, in Portugal, in der Türkei, in Brasilien, in Argentinien und auch, wenn dort kein öffentliches Ärgernis erregt wird, in Italien, wo die Familie eine besondere Rolle spiele, nicht bestraft werde. Bislang sei nicht bekannt, dass es in diesen Ländern notwendig gewesen wäre, generell ein zusätzliches Korsett einzuziehen. Wenn Scheuch den Geschwister-Inzest unter achtzehn Jahren bestrafen wolle, dann stoße das ins Leere, weil man im Allgemeinen bei den Vierzehn- bis Acht-

265 266 267 268 269

rung von Sachverständigen zu Einzelproblemen im Laufe der Beratung als Anlage 2 (S. 761) und einer Auflistung der Sachverständigen als Anlage 3 (S. 762). Schroeder, Reform des Sexualstrafrechts, S. 12 f. 28. bis 30. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. Ausschussprotokolle des Sten. Dienstes (Prot.) S. 843–1162. 28. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 882. A.a.O., vgl. AP S. 885. A.a.O., vgl. AP S. 885.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

zehnjährigen sagen könnte, dass es pubertäre Erscheinungen seien270. Scheuch antwortete, in den lateinischen Ländern, wo Religion zum Teil noch eine Rolle spiele, könne eine Pönalisierung von solchen Verhaltensweisen völlig entfallen. Die psychiatrische Literatur behaupte, der Inzest zwischen Geschwistern habe eine Reihe von unerwünschten Konsequenzen, insbesondere im Hinblick auf die spätere Eheführung. Er würde den Geschwisterinzest also nicht als ein ganz harmloses „pubertäres“ Verhalten ansehen – wenn es mehr ist als eine Spielerei, also wenn es sich wirklich zu einer fortgeführten Sexualbeziehung auswächst –, und zwar im Hinblick auf die spätere Familiengründung271. Ebenfalls zum Geschwister-Inzest nahm in der 28. Sitzung die Sachverständige Prof. Dr. Schönfelder (Univ. Hamburg) Stellung. Sofern es sich nicht nur um ein Experimentierverhalten handele, sondern um Liebesbindungen über längere Zeit hinweg, sei er immer in Verhältnissen anzutreffen, wo auch sonst ganz schwere emotionale Schwierigkeiten vorhanden seien. Es sei eine Art Not- und Schutzgemeinschaft den Eltern gegenüber. Im Falle einer Schwangerschaft und überhaupt in dieser ungemein brisanten Problematik zweier sehr junger Menschen sei das schlimmste, was passieren könne, wenn das noch kriminalisiert und mit Strafe bedroht würde. Nach dem geltenden Recht habe man mit vormundschaftsgerichtlichen und jugendwohlfahrtspflegerischen Maßnahmen genügend Möglichkeiten, das zu tun, was in solchen Fällen vorrangig sei – eine Therapie, einen Schutz dieser Kinder einzuleiten, und zwar beider. Man müsse alles tun, um eine zusätzliche Belastung mit Problemen dieser sowieso schon sehr schwer Betroffenen zu vermeiden272. In der 29. Sitzung vom 24. November 1970 bemerkte der Sachverständige Prof. Dr. Lempp (Leiter der Abteilung für Jugendpsychiatrie und -neurologie der Univiversitäts-Nervenklinik Tübingen), beim Vater-Tochter-Inzest entwikkele sich i.d.R. eine echte emotionelle Beziehung in der Vorpubertät, die sexuell fixiert werde, wodurch die Sexualität in diesem Fall einen viel stärkeren und tragenden Bedeutungsgehalt bekomme, wie er bei den üblichen sexuellen Berührungen und vereinzelten sexuellen Handlungen mit zwar bekannten, aber doch nicht nahestehenden Personen i.d.R. nicht entstehe. Dies führe dann zum Konflikt, wenn das Mädchen sich im Zuge der pubertären Entwicklung aus dieser Beziehung lösen möchte, was i.d.R. von dem Vater zu verhindern gesucht werde, wodurch es dann zu einer für das Mädchen unlösbaren Konfliktsituation mit nachhaltiger psychischer Belastung kommen könne. 270 A.a.O., vgl. AP S. 885 f. 271 28. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 886. 272 A.a.O., vgl. AP S. 919.

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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In diesen Fällen sei die sexuelle Handlung jedoch nur ein Symptom einer von vornherein pathologischen Form einer Vater-Tochter-Beziehung273. Auf die Nachfrage der Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP)274, ob der Inzest zwischen Vater und Tochter nicht ein sehr schwerer Fall sei, insbesondere auch deshalb, weil er sich meist über längere Zeit erstrecke, und wie er die Dunkelziffer bei diesem Komplex beurteile, antwortete Lempp, er glaube, dass die Dunkelziffer sehr groß sei. Er schließe das daraus, dass sich mit solchen Dingen eigentlich nur dann befasst werde, wenn es in der Familie Auseinandersetzungen gegeben habe bzw. wenn eine Ehescheidung in Gang komme. Zur zweiten Fragestellung meine er, dass aus einem solchen inzestuösen Verhältnis eine sehr belastende Situation für das Kind entstehe, gerade deswegen, weil es i.d.R. vom Vater aus dieser Beziehung nicht entlassen werde. Es seien ja „nicht die bösen, brutalen, gewaltsamen Väter, die so etwas tun, sondern die labilen, bindungsbedürftigen“. Es entwickele sich daraus sozusagen eine zweite Ehe auf anderem Niveau, und gerade aus dieser Situation möchte das Mädchen, wenn es die psychische Reife erreicht habe, also etwa mit fünfzehn Jahren, herauskommen, weil es sich aus dem Familienmilieu lösen wolle. Das gelinge ihm zunächst nicht, weil der Vater alle möglichen Maßnahmen ergreife, das Mädchen unter psychischen Druck setze, es nicht gehen lassen wolle. In solchen Situationen komme es manchmal zu sehr verzweifelten Reaktionen der Mädchen, die auch psychisch belastend seien275. Auf die Nachfrage von Diemer-Nicolaus, wie Lempp sexuelle Handlungen zwischen Geschwistern beurteile und ob er Anhaltspunkte dafür habe, wie hoch dort die Dunkelziffer sei276, antwortete Lempp, bezüglich sexueller Handlungen zwischen Geschwistern habe er keine großen Erfahrungen. Unter allgemeinen Gesichtspunkten würde er, wenn die Geschwister altersmäßig nicht sehr differieren, also kein echtes Abhängigkeitsverhältnis bestehe, solche sexuellen Kontakte nicht anders bewerten als sexuelle Spielereien zwischen Jugendlichen, nämlich als i.d.R. harmlose Durchgangsphasen, die keine nachhaltige Bedeutung hätten277. In einer Diskussion zwischen dem MinRat Wulf (BMJ), Dr. Wille, dem Sachverständigen Prof. Dr. Hallermann (Kiel), Müller-Emmert und DiemerNicolaus wurde herausgearbeitet, dass das Delikt des Inzests i.d.R. weit vor dem Alter von 21 Jahren der Tochter oder Sohnes stattfinde, wobei auch Fälle 273 274 275 276 277

29. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 929. A.a.O., vgl. AP S. 932. 29. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 932 f. A.a.O., vgl. AP S. 933. A.a.O., vgl. AP S. 933.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

bekannt seien, in denen der Sohn über 21 Jahre alt gewesen sei. Beim Geschwister-Inzest liege das Durchschnittsalter etwa bei 25 Jahren und erfolge immer außerhalb der elterlichen Familie278. Auf Nachfrage von DiemerNicolaus279, wie seine Erfahrungen bezüglich der Häufigkeit von GeschwisterInzest seien und ob er es für notwendig halte, dass das mit krimineller Strafe belegt werde, erklärte Hallermann eine kriminelle Strafe für den GeschwisterInzest sei nicht erforderlich und nur 10% aller Fälle solche Vorgänge280. Die Sachverständige Prof. Dr. Nau (Freie Univ. Berlin) stellte fest, Inzestfälle würden i.d.R. nicht auf krankhaften Störungen der Sexualorganisation basieren281. Auch wisse man, Nachwirkungen könnten unter Umständen zu ganz erheblichen Störungen des gesamten späteren Lebens in Ehe und Familie führen. In ihrem Untersuchungsgut sei das Material verhältnismäßig gering, etwa 10 bis 11 %. Man könne aber sagen, dass die psychischen Wirkungen doch erheblich seien282. Die Sachverständige Kriminaldirektorin Frau Dr. Matthes (Düsseldorf) führte aus, es müsse auch berücksichtigt werden, dass durch Ermittlungs- und Strafverfahren Umstände ausgelöst werden könnten, die sich ihrerseits beeinträchtigend auf Lebenssituation und Entwicklung des Kindes auswirken. In den Fällen der Blutschande sei ohnehin das Verhältnis zu beiden Elternteilen brüchig. Da bestehe meistens kein Vertrauensverhältnis. Durch ein Ermittlungs- und Strafverfahren werde dieser ohnehin brüchigen Beziehung vollends der Boden entzogen283. In der 30. Sitzung vom 25. November 1970 versuchte der Sachverständige Prof. Dr. Badura (Univ. München) den Tatbestand des Inzests unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu rechtfertigen. Nach Art. 6 Absatz 1 GG stünden Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Diese grundrechtliche Grundsatzform umschließe auch die Aufgabe für den Staat, Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen durch Dritte zu bewahren. Der Gesetzgeber werde dadurch in gewissem Umfang auf die überkommenen und sich wandelnden sittlichen Grundlagen von Ehe und Familie verpflichtet. Da aber diese Verpflichtung einen nur allgemeinen und direktiven Inhalt habe, da Ehe und Familie an den gesellschaftlichen und rechtlichen Veränderungen 278 279 280 281 282 283

A.a.O., vgl. AP S. 1002. A.a.O., vgl. AP S. 1003. 29. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1003 f. A.a.O., vgl. AP S. 1004. A.a.O., vgl. AP S. 1007. A.a.O., vgl. AP S. 1024.

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teilnähmen und dadurch das Strafgesetz als Verbot und Sanktion andere grundrechtliche Positionen berührt würden, könne aus ihr nicht die Pflicht oder auch nur das Recht des Gesetzgebers abgeleitet werden, den gegebenen Bestand der sozialen Institution Ehe und Familie und die dieser Institution zugrunde liegenden sittlichen Regeln mit den Mitteln des Strafrechts gegen sämtliche Verhaltensweisen zu verteidigen, die bestehenden Ehen und Familien stören oder zerstören könnten. Daher sei es – wie in der Begründung zum Regierungsentwurf dargelegt – zutreffend, Art. 6 GG als Strafgrund des Inzestes zu betrachten284. Am Ende der 30. Sitzung und des Hearings erklärte der Sachverständige Hanack auf Nachfrage von Diemer-Nicolaus285, ob er den Geschwisterinzest erstens für strafwürdig und zweitens wegen der Häufigkeit der Taten für strafbedürftig erachte, dass ein rationaler Grund dafür, den Inzest zwischen erwachsenen Menschen unter Strafe zu stellen, nicht bestehe. Auch eine familienzerstörende Wirkung sei im Allgemeinen nicht zu erwarten. Es sei eher umgekehrt, dass die Situation der zerstörten Familie den Inzest auslöse. Man wisse aber, dass die Gesamtsituation, die durch die Strafbarkeit des Inzests entstehe, zahlreiche weitere Schwierigkeiten aufwerfe. Man wisse ferner, dass, wenn die Fälle herauskämen, Strafe das Problem der Familienzerstörung vollende. Es bestehe daher überhaupt kein Grund, zwischen erwachsenen Menschen Blutschande strafbar zu halten, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Geschwister oder um Vater und Tochter handele, wenn beide erwachsen seien286.

e) Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in der 6. und 7. Wahlperiode Unmittelbar nach dem Hearing wurde der Regierungsentwurf in der 6. und 7. Legislaturperiode in zahlreichen, durch weitere Anhörungen bereicherten Sitzungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform ausführlich beraten287. Die für die Inzeststraftatbestände des 4. StrRG interessierenden Sitzungen waren vornehmlich die 34. und 36. vom 25. und 30. März 1971.

284 285 286 287

30. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1098. A.a.O., vgl. AP S. 1114 f. A.a.O., vgl. AP S. 1115. Über die Beratungen des Ausschusses in der 6. und 7. Wahlperiode unterrichteten seine Protokolle sowie seine beiden schriftlichen Berichte (BT-Drs. VI/3521 und 7/514), die die wichtigsten Gesetzesmaterialien darstellen und auch über die weiteren Anhörungen orientieren.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

Nachdem innerhalb der 6. WP in der 34. Sitzung vom 25. März 1971 RegDir. Laufhütte (BMJ) ausführlich über die Motive und Entstehungsgeschichte des Inzestverbots referiert hatte288, arbeitete er den Stand der Reform, insbesondere seit dem E 1962 heraus289. Anschließend setzte er sich vertieft mit dem Regierungsentwurf und den innerhalb des Hearings hervorgebrachten Argumenten auseinander. In den Fällen des Beischlafs zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie komme als erster Strafgrund der in Art. 6 GG geforderte Schutz von Ehe und Familie in Frage. Inzestuöse Beziehungen zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie bedeuteten grundsätzlich eine schwere Belastung für die Familie. Sie wirkten i.d.R. ehezerstörend. Darüber hinaus führten sie in sehr vielen Fällen zu schweren seelischen Schäden, und zwar namentlich bei den betroffenen – meist weiblichen – jüngeren Partnern. Maisch290 weise auf die schwerwiegenden Folgen hin, die bei einer Schwängerung junger Mädchen zu erwarten seien. Er weise ferner darauf hin, dass unabhängig von den unmittelbaren psychischen Folgen, die durch die Schwängerung entstehen können, die Spätfolgen von Inzesthandlungen beachtlich seien. Ein Teil der Wissenschaftler sei auf Grund von Einzelfällen der Überzeugung, dass inzestuöse Beziehungen zwischen Eltern und Kindern schon an sich schwere Traumata bedeuteten. Der schweizerische Psychiater Friedemann (1965) berichte von Inzestopfern, bei denen sich Spätfolgen in Form von Frigidität, Verwahrlosung, schweren Lernstörungen und Prostitutionsneigung zeigten. Diese Auffassungen seien auch von Nau und Lempp innerhalb des Hearings bestätigt worden291. Zu den genannten Gründen des Familienschutzes, die für die Beibehaltung der Strafbarkeit des Inzests sprächen, kämen genetische Gründe. Es sei zwar unstreitig, dass allein genetische Gründe die Strafbarkeit des Inzests nicht rechtfertigen könnten, jedoch könnten sie zu einer „Teilmotivierung“ der Gesetzesnorm führen, wenn aus dem Inzest unmittelbare ernstliche Gefahren für das Inzestkind drohten. Das sei in dieser allgemeinen Form zwar nicht der Fall, jedoch bestehe Einigkeit darüber, dass die Möglichkeit der Manifestierung rezessiver Erbanlagen beim Inzest größer sei als sonst292. 288 289 290 291 292

Vgl. 34. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1246. A.a.O., vgl. AP S. 1246 f. Hierzu verwies Laufhütte auf Maisch, Inzest, S. 160 ff. Vgl. 34. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1247. Laufhütte bezog sich hierbei auf eine Untersuchung von Kunter (Rückkreuzung bei Menschen, Anthropologische Untersuchungen an Vater-Tochter-Inzest-Fällen, Disser-

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Als letzter Grund für die Strafbarkeit des Inzests könne angeführt werden, dass der Inzest, unabhängig von der Frage, ob er mit Strafe bedroht sei oder nicht, tabuisiert werde. Das habe erhebliche Auswirkungen auf das Inzestkind, das besonders in ländlichen Verhältnissen, in denen die Familienverhältnisse allgemein bekannt seien, wegen seiner Abstammung diskriminiert werde und dadurch erhebliche seelische Schädigungen erleiden könne293. Zusammenfassend rechtfertigten drei Gründe kumulativ die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie. „Erstens der Schutz der Familie, zweitens genetische Gründe, die es auch verständlich machen, dass nur der Beischlaf und nicht sonstige sexuelle Handlungen pönalisiert sind, und drittens das Erfordernis einer strafrechtlichen Sanktion gegen die Erzeugung von Inzestkindern, weil die Gefahr besteht, dass diese Kinder wegen der Tabuisierung des Inzests diskriminiert werden.“294

Die beiden zuletzt genannten Gründe sprächen auch für die Beibehaltung der Strafbarkeit des Geschwisterinzests. Gründe des Familienschutzes spielten jedoch beim Geschwisterinzest nicht die herausragende Rolle wie beim Inzest von Verwandten auf- und absteigender Linie. Die Taten von jugendlichen Geschwistern hingen meist mit der geschlechtlichen Entwicklung zusammen. Solche Taten müssten deshalb, was Absatz 3 auch vorsehe, straflos gestellt werden. Ältere Geschwister lebten meist nicht mehr im Familienverband. Ihr Inzest werde sich also regelmäßig nicht familienzerstörend auswirken. Wenn dennoch vorgeschlagen werde, auch bei Geschwistern den Inzest weiterhin mit Strafe zu bedrohen, so deshalb, weil die sonst vorgetragenen Gründe so gewichtig seien, dass eine ersatzlose Aufhebung der Vorschrift nicht gerechtfertigt sei295. Der Entwurf sehe die Straflosigkeit für Inzesttäter vor, die zur Zeit der Tat noch nicht 18 Jahre alt waren. Der Bundesrat habe sich zwar gegen diese Privilegierung ausgesprochen, jedoch sei ihm entgegenzuhalten, dass es sachgemäß sei, den unter 18 Jahre alten Täter von der Strafbarkeit auszunehmen. Beim Inzest zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie werde der Jüngere regelmäßig unter dem Autoritätsdruck des Älteren stehen; eine Straftation, Gießen 1969, S. 3). Danach könnten genetische Gründe die Vorschrift des § 173 zwar nicht allein begründen, eine Teilmotivierung ließe sich jedoch daraus herleiten, dass die Täter zum großen Teil aus Familien stammen, bei denen mit rezessiven Erbanlagen zu rechnen sei, die sich durch den Inzest manifestieren können. Vgl. 34. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1247 f. 293 34. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1248. 294 A.a.O., vgl. AP S. 1248. 295 A.a.O., vgl. AP S. 1248.

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drohung gegen den Jüngeren erscheine in diesen Fällen gänzlich unangebracht. Beim Geschwisterinzest werde regelmäßig kein Autoritätsverhältnis vorliegen. Der Inzest jugendlicher Geschwister hänge meist mit der geschlechtlichen Entwicklung der Jugendlichen zusammen. Maßnahmen des Strafrechts in diesem Bereich seien deshalb nicht sinnvoll296. In den anschließenden Beratungen fragte Abg. Dr. Eyrich (CDU/CSU), ob zu dem vom Bundesrat gestellten Antrag auf Streichung des Absatz 3 ein Sachverständiger gehört werden sollte. Angesichts der Tatsache, dass hinsichtlich vieler Bestimmungen für eine Herabsetzung des Schutzalters mit der Begründung eingetreten werde, die Jugendlichen seien heutzutage reifer und mündiger als früher, sei zu erwägen, ob aus dieser größeren Mündigkeit von Jugendlichen bis zu 18 Jahren nicht auch für § 173 Konsequenzen zu ziehen wären. Bei einer Streichung des Absatzes 3 bleibe durchaus die Möglichkeit, mit den Mitteln des Jugendstrafrechts notwendige Korrekturen vorzunehmen297. de With fragte, ob man den § 173 überhaupt brauche, nachdem andere Kulturstaaten, die nicht auf einer niedrigeren Ebene stünden, ohne eine solche Vorschrift auskämen. Man könne jedoch eine Tradition nicht abrupt abbrechen. Außerdem gebe es berechtigte Vorstellungen, dass eine derartige Vorschrift aus Gründen des Schutzes der Familie aufrechterhalten werden müsse. Der Verschwägerteninzest sei bisher als Verurteilungsgrund sehr selten vorgekommen. Bei den Verurteilungen habe es sich vorwiegend um inzestuöse Beziehungen zwischen Vater und Tochter oder Großvater und Enkelkind gehandelt. Er schloss sich dem Vorschlag der Bundesregierung an, den Verschwägerteninzest straffrei zu lassen. Die Straffreiheit sei hier gerechtfertigt; denn zwischen den Verschwägerten bestünden nicht die engen Bande wie zwischen Blutsverwandten. Daher werde hier die Familie weniger tangiert. Absatz 3 müsse im Zusammenhang des ganzen § 173 gesehen werden, der in erster Linie die Familie schützen solle und weniger auf den Schutz Minderjähriger abstelle. Der Schutz Minderjähriger werde in den Vorschriften geregelt, die die sexuellen Beziehungen mit Abhängigen unter Strafe stellten. Im Hinblick auf den Schutzzweck des Absatzes 3 sollte die Altersgrenze für Verwandte absteigender Linie und für Geschwister gleich angesetzt werden. Die Festlegung dieser Altersgrenze sei eine politische Entscheidung. Sachverständige brauche man dazu nicht zu hören298. 296 A.a.O., vgl. AP S. 1248. 297 34. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1249. 298 A.a.O., S. 1249 f.

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Maier trug die Stellungnahme von Verbänden zu diesem Problem vor. Der Strafrechtsausschuss der BRAK299 und der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge stimmten dem Regierungsentwurf zu, während sich der Katholische Arbeitskreis für Strafrecht beim Kommissariat der deutschen Bischöfe für die Beibehaltung einer Strafvorschrift ausspreche, die grundsätzlich auch den Inzest von Geschwistern unter 18 Jahren erfasse, wobei jedoch Ausnahmen möglich sein sollten300. Deshalb solle nach Auffassung dieses Arbeitskreises der § 173 Absatz 3 folgenden Wortlaut erhalten: „Bei Verwandten absteigender Linie und Geschwistern, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, kann von Strafe abgesehen werden“. In der Begründung werde gesagt, dass auch bei Tätern unter 18 Jahren strafwürdige Fälle denkbar seien; man führe jedoch nicht an, was das für Fälle seien. Es sei zu vermuten, dass hier an die Taten gedacht sei, die ohnehin durch andere Vorschriften erfasst würden, etwa die Ausnutzung von Erziehungs- und Betreuungsverhältnissen301. Diemer-Nicolaus bezog sich auf die Ausführungen von Hanack während des Hearings und schloss sich dessen Auffassung an, dass rein rational gesehen kein Grund bestehe, den Inzest zwischen erwachsenen Menschen unter Strafe zu stellen. Man müsse jedoch in Rechnung stellen, dass ein solches Verhalten zwischen einem Vater und Kindern oder Stiefkindern sittlich so verwerflich sei, dass es weiter pönalisiert werden sollte. Eine General- oder Spezialprävention sei aber von einer solchen Vorschrift kaum zu erwarten302. Eyrich war 299 Nach dem Protokoll über die 81. Tagung des Strafrechtsausschusses der BRAK vom 4. bis 6. Dezember 1970 in Kassel-Wilhelmshöhe fand eine Erörterung zu § 173 des Regierungsentwurfes nicht statt. Vgl. Strafrechtsausschuss der BRAK, Kurzprotokolle, Bd. 6, S. 91. 300 Stellungnahme des Katholischen Arbeitskreises für Strafrecht beim Kommissariat der Deutschen Bischöfe zum 4. StrRG vom 23.11.1970: „Es ist zu begrüßen, dass der Entwurf in § 173 die Blutschande in der Form des Beischlafs zwischen Verwandten weiter pönalisieren will. Es besteht Veranlassung darauf hinzuweisen, dass auch der Geschwisterinzest strafwürdig ist. Den Bestrebungen, den Beischlaf zwischen Geschwistern straffrei zu lassen, muss entschieden entgegengetreten werden. Strafgrund ist auch hier der in Artikel 6 GG statuierte Schutz von Ehe und Familie. Inzestuöse Beziehungen bedeuten stets eine schwere Belastung für die Familie. Sie wirken, worauf die Begründung des Entwurfs mit Recht hinweist, fast immer ehe- und familienzerstörend und führen sehr häufig zu schweren seelischen Schäden, namentlich bei den Minderjährigen. Der Fassung des § 173 des Entwurfs wird mit der Maßgabe zugestimmt, dass die obligatorische Straffreiheit in § 173 Absatz 3 in eine fakultative umgewandelt wird, da auch bei Tätern unter 18 Jahren durchaus strafwürdige Fälle denkbar sind“. Abgedruckt bei Schroeder, Reform des Sexualstrafrechts, S. 196 f. 301 34. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1250. 302 A.a.O., S. 1250.

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der Meinung, dass § 173 sowohl eine general- wie eine spezialpräventive Wirkung habe, auch wenn sich irgendwelche Personen immer wieder darüber hinwegsetzen. Man könne aber nicht Strafnormen, bei denen es um etwas völlig anderes gehe, an dem Bedürfnis orientieren, dass man einen Raum haben wolle, innerhalb dessen Jugendliche wegen der damit verbundenen negativen Folgen nicht vor Gericht gebracht werden sollten. Man werde im Rahmen des Prozessrechts versuchen müssen, die verheerenden Folgen zu vermeiden, die ein Strafverfahren für Kinder haben könne. Mit dem materiellen Recht werde sich dieses Ziel kaum erreichen lassen. In der Praxis seien schon bisher alle Fälle straffrei geblieben – wenn auch aus anderen Erwägungen –, die nach § 173 Absatz 3 nicht mehr mit Strafe geahndet werden sollten. Man sollte aber dennoch überlegen, ob man deshalb auf eine Bestimmung verzichten wolle, die generalpräventiven Charakter haben könne303. de With glaubte, dass die general- und spezialpräventive Wirkung des derzeit geltenden § 173 sehr gering sei; wenn die Vorschrift gestrichen würde, würde keine Vermehrung der Fälle eintreten. Wenn es zu derartigen Handlungen komme, sei der Familiensinn sehr stark erlahmt, so dass er keines strafrechtlichen Schutzes bedürfe. Zur Blutschande komme es i.d.R. „in einem Milieu, wo eine Strafdrohung keinen Eindruck“ hinterlasse. Bei einer Vorschrift, die beinahe mystisch beladen sei, könne man jedoch eine bestehende Kontinuität der Tradition nicht einfach abbrechen. Deshalb sei es bedenklich, die Bestimmung ganz zu streichen, zumal nicht ganz geklärt sei, welche Folgen solche Verbindungen haben könnten. Es bestünden jedoch allergrößte Zweifel, ob die angenommene Gefährlichkeit tatsächlich gegeben sei. Wenn man glaube, ohne eine solche Vorschrift nicht auskommen zu können, sollte man aber mindestens die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Abstriche vornehmen304. Laufhütte verwies auf das geltende Recht, wonach beim Inzest von Verwandten und Verschwägerten Personen unter 18 Jahren schon jetzt straffrei blieben. Der Grund für diese Regelung liege darin, dass die unter einem Autoritätsdruck stehenden jüngeren Personen nicht strafbar sein sollten. Bei Geschwistern liege ein solcher Autoritätsdruck zwar i.d.R. nicht vor. Der Inzest jugendlicher Geschwister hänge meist mit der geschlechtlichen Entwicklung zusammen. Darum sei es sachgemäß, die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung anzunehmen305. Der Ausschuss beschloss in einer Grundsatzentscheidung – bei 1 Stimmenthaltung –, dass der Verschwägerteninzest straffrei bleiben sollte. Einstimmig 303 34. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1250. 304 A.a.O., S. 1250. 305 A.a.O., S. 1250.

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wurde beschlossen, dass der Deszendenten-Aszendenten-Inzest weiterhin strafbar sein sollte, „um bei dieser im Strafrecht bestehenden Tradition keinen Bruch herbeizuführen“306. Anschließend erfolgte in dem Sonderausschuss für die Strafrechtsreform eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Geschwisterinzest. Nach DiemerNicolaus konnten die Verhältnisse so gelagert sein, dass eine Strafbarkeit nicht gerechtfertigt sei. Im Hearing sei darauf hingewiesen worden, dass die Inzestscheu bei Geschwistern außerordentlich stark entwickelt sei. In den Fällen, in denen ein Geschwisterinzest vorgekommen sei, seien die Geschwister meist nicht zusammen aufgewachsen307. In diesem Zusammenhang erwähnte Horstkotte einen – dem des Jahres 2008 fast identischen – Fall aus Schweden, in dem ein Verfahren bei zwei Halbgeschwistern durchgeführt worden sei, die sich erst als erwachsene Menschen kennengelernt hatten308. Diemer-Nicolaus konstatierte, dass die Inzestscheu unter Geschwistern der beste Schutz sei, und betonte, dass die Inzestfälle bei Geschwistern restlos anders seien als die sonstigen Familieninzeste – hier fehle z.B. das Abhängigkeitsverhältnis, das zwischen Vater und Kind gegeben sei – und schlug schließlich vor, die Abstimmung über die Frage des Geschwisterinzests zurückzustellen309. Abg. Dr. Pinger (CDU/CSU) schloss sich diesem Vorschlag an und bat die Vertreter des Ministeriums, zu prüfen, ob wegen diesen Unterschieds nicht eine Differenzierung vorgenommen werden sollte, die bei einzelnen Fällen des Geschwisterinzests zur Straflosigkeit führen könne. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung bringe zwar eine gewisse Akzentsetzung hinsichtlich der Strafwürdigkeit, jedoch keinen großen Unterschied beim Strafmaß310. de With regte an zu prüfen, ob es nicht angebracht sei, für den Geschwisterinzest eine KannVorschrift zu schaffen; denn es sei durchaus denkbar – wie sich rund 35 Jahre später bestätigte –, dass sich Fälle wie der aus Schweden angeführte ereigneten311. Horstkotte machte darauf aufmerksam, dass der Inzest in Zukunft kein Verbrechen mehr, sondern nur ein Vergehen sei. Damit werde § 153 StPO anwendbar. In einem Fall wie dem aus Schweden zitierten würde es sicher – was die jüngste Vergangenheit allerdings nicht bestätigte – zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO kommen. Auf den Einwand von de With, dass bei § 153 StPO das öffentliche Interesse eine Rolle spiele, erwiderte 306 307 308 309 310 311

A.a.O., S. 1251. 34. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1251. A.a.O., S. 1251. A.a.O., S. 1251. A.a.O., S. 1251. A.a.O., S. 1252.

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Horstkotte, es sei kaum vorstellbar, dass in einem Fall wie dem schwedischen ein öffentliches Interesse an der Durchführung des Verfahrens bestehe312. Schließlich empfahl de With, die Entscheidung über den Geschwisterinzest noch zurückzustellen, um zu versuchen, bei diesem heiklen Thema zu einer gemeinsamen Auffassung des Bundestages zu kommen, die allein an rationalen Gesichtspunkten anknüpfe313. Der Ausschuss beschloss den § 173 Absatz 1 einstimmig in der Fassung des Regierungsentwurfs, behielt sich aber vor, am Ende der Beratung noch einmal auf die Frage des Strafmaßes zurückzukommen314. In der 36. Sitzung stellte Laufhütte fest, dass noch die Frage der Strafbarkeit des Geschwisterinzests, ebenso die Frage, ob die Straffreiheit nach Absatz 3 des Regierungsentwurfs das Richtige sei, ferner die Frage, ob eine Abstufung der Strafdrohungen am Platze sei, wie dies der Bundesrat vorschlage, zu beraten sei315. Infolgedessen erfolgte abermals eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Geschwisterinzest. Abg. Schlee (CDU/CSU) sprach sich für dessen Strafbarkeit aus, weil der Geschwisterinzest die Familie erheblich gefährde und die Allgemeinheit darin eine kriminelle Handlung erblicke316. Für Freiherr Ostmann von der Leye war es verkehrt, auf das Bewusstsein der Allgemeinheit abzustellen. Auch werde die Familie oder die Ehe durch den Geschwisterinzest nicht gefährdet, weil hier anders als beim Inzest von Verwandten auf- und absteigender Linie kein Konkurrenzverhältnis zu den Ehegatten entstehe. Er schlug vor, wenigstens die Straffreiheit nach Absatz 3 zu postulieren317. Geisendörfer gab zu erwägen, ob die Straffreiheit des Geschwisterinzests auch unter dem Gesichtspunkt zu rechtfertigen sei, dass die Gefahr der Erzeugung eines Kindes bestehe318. de With erwiderte, dass der Geschlechtsverkehr zwischen geistig geschädigten Personen mit der Folge, dass geistig geschädigte Kinder entstünden, häufiger vorkomme als der Geschwisterinzest; es sei daher nicht einzusehen, warum das genetische Problem gerade beim Geschwisterinzest aufgeworfen werden solle319. Müller-Emmert sah drei Möglichkeiten einer Lösung, erstens, die des Regierungsentwurfs mit obligato312 313 314 315 316 317 318 319

A.a.O., S. 1252. 34. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1252. A.a.O., S. 1252. A.a.O., S. 1298. A.a.O., S. 1298. A.a.O., S. 1298. A.a.O., S. 1298. A.a.O., S. 1298.

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rischer Straffreiheit von Geschwistern unter 18 Jahren, zweitens die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung der Streichung des Absatz 3 und der Verweisung auf das Strafprozessrecht bzw. JGG, wonach unter gewissen Umständen von Strafe abgesehen werden könne, drittens die Möglichkeit, den Absatz 3 der Regierungsvorlage in eine Kann-Vorschrift umzugestalten320. Freiherr Ostmann von der Leye war der Ansicht, dass man, wenn nur der Beischlaf in § 173 erfasst werde, das geschützte Rechtsgut nicht die Ehe und Familie sei, sondern die Vorschrift im Grunde eine eugenische Vorschrift sei321. de With sprach sich im Namen der SPD-Fraktion für die Beibehaltung des Absatz 3 in der Fassung der Regierungsvorlage aus322. Freiherr Ostmann von der Leye ergänzte, zum Geschwisterinzest komme es meist auf Grund beengter Wohnverhältnisse oder auch in einsamen Almhütten, weshalb ein Schuldvorwurf schon von der Tatseite her kaum zu erheben sei323. Sturm legte dar, die Altersgrenze von 18 Jahren für Verwandte absteigender Linie entspreche dem geltenden Recht. Die Festlegung dieser Grenze sei auf die Beobachtung zurückzuführen, dass sich die Deszendenten meist in einem Unterordnungsverhältnis zu dem Aszendenten befänden. Hinsichtlich des Geschwisterinzests sei man bei der Erarbeitung des Regierungsentwurfs davon ausgegangen, dass bei den unter Achtzehnjährigen i.d.R. Entwicklungsstörungen im Vordergrund ständen und ein Einschreiten mit Strafe daher nicht angebracht sei324. de With trug zur Begründung der Beibehaltung des Absatz 3 vor, unter rein rationalen Gesichtspunkten bestünden wohl allgemein große Bedenken gegen die Bestrafung des Geschwisterinzests schlechthin, nur sei man sich darüber im klaren, dass man gewissen tabuisierten Vorstellungen gegenüber keine hundertprozentige Kehrtwendung vollziehen könne, sondern dass eine gewisse Kontinuität im Strafrecht gewahrt bleiben müsse. Man sollte aber dann jedenfalls das geltende Recht in dieser Hinsicht nicht noch verschärfen325. Abg. Frau Dr. Timm (SPD) wies auf die in der Anhörung vorgetragenen Bedenken gegen eine Bestrafung des Geschwisterinzests hin, die die manchmal tragischen Verwicklungen nicht gerade zu lösen helfe, vielmehr die Situation noch verschlechtere und die Schwierigkeiten der Entwicklung und der normalen Partnerwahl vergrößere326. Schlee räumte ein, dass die Fassung des Absatz 3 320 321 322 323 324 325 326

36. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1298. A.a.O., S. 1299. A.a.O., S. 1299. A.a.O., S. 1299. A.a.O., S. 1299. A.a.O., S. 1299. A.a.O., S. 1299.

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z.B. das Jugendamt nicht hindere, auch bei Geschwisterinzest unter 18 Jahren einzugreifen, und somit den stärksten Bedenken Rechnung trage327. Schließlich regte Sturm aus redaktionellen Gründen folgende Fassung des Absatz 3 an: „Verwandte absteigender Linie und Geschwister sind straffrei, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht 18 Jahre alt waren“328. Der Ausschuss nahm sodann die Absätze 1 und 2 in der Fassung des Bundesratsvorschlages, Absatz 3 in der von Sturm angeregten Fassung einstimmig an329, was dann zu einer entsprechenden Ausschussfassung in erster Lesung führte330. Die gefundene Fassung stellte im Ergebnis einer Kombination des Regierungsentwurfs und des Vorschlags der Stellungnahme des Bundesrats dar. Die Absätze 1 und 2 entsprachen wortgetreu den Absätzen 1 und 2 der Bundesratsfassung, wobei der Absatz 3 nahezu wörtlich den Absatz 3 des Regierungsentwurfs übernahm. Ferner wurde erstmals die Paragraphenüberschrift „Beischlaf zwischen Verwandten“ eingeführt. Zu einer späteren Sitzung331 wies Schlee darauf hin, dass § 173 die erste Vorschrift sei, bei der die Bundesregierung vorschlage, außer der Freiheitsstrafe auch die Möglichkeit der Geldstrafe vorzusehen und dementsprechend in Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 jeweils nach dem Wort „Jahren“ die Worte „oder mit Geldstrafe“ einzufügen332. Der Ausschuss stimmte diesem Antrag einstimmig zu333. 327 328 329 330

A.a.O., S. 1299. 36. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 1299. A.a.O., S. 1299. „§ 173 Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie und Geschwister sind straffrei, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren“. Abgedruckt in der vergleichenden Übersicht über den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) – BT-Drs. VI/1552 – und die Beschlüsse des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in Anlage 1 der 71. Sitzung vom 1. März 1972, S. 2048. Die Abstimmungsergebnisse waren für die Absätze 1 bis 3 einstimmig jeweils in der 36. Sitzung, wobei in der 34. Sitzung ein Grundsatzbeschluss vorausgegangen war, dass der Verschwägerteninzest künftig straffrei sein sollte; Mehrheit bei Enthaltung Geisendörfer. Vgl. dazu unter F) II. e) in diesem Kapitel. 331 71. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 2030 f. 332 Vorschläge zur Änderung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) im Rahmen der Zweiten Beratung des Sonderausschusses für die

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Diemer-Nicolaus bemerkte, sie hätte es begrüßt, wenn auch der Geschwisterinzest straffrei gelassen worden wäre. Sie bezog sich auf die in der früheren Diskussion eingehend dargelegten Gründe, stellte jedoch keinen diesbezüglichen Antrag334. Der Ausschuss billigt daraufhin § 173 mit der Änderung in Absatz 1 und Absatz 2, im Übrigen in der in erster Lesung beschlossenen Fassung335. Später beschloss der Ausschuss auf Antrag von Freiherr Ostmann von der Leye einstimmig die Fassung: „werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft“ in § 173 Absatz 3336. Die gegenüber der Fassung der ersten Lesung erzielten Änderungen erschöpften sich in der Implementierung der Geldstrafe in Absatz 1 und Absatz 2 sowie dass in Absatz 3 Verwandte absteigender Linie und Geschwister „nicht nach dieser Vorschrift bestraft“ wurden, „wenn sie zur Zeit der Tat achtzehn Jahre alt waren“. Der aufgrund der Beschlüsse des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform geänderte Entwurf konnte in der 6. WP nicht mehr in zweiter und dritter Beratung verabschiedet werden, weil der 6. Bundestag vorzeitig aufgelöst wurde. Die Fraktionen der SPD und FDP brachten die Ausschussbeschlüsse aber unverändert als neuen „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (4. StrRG)“ in den 7. Deutschen 337 Bundestag ein . Zur Begründung wurde auf die Ausführungen des Schriftlichen 338 Berichts verwiesen339. Der Bundestag behandelte diesen Entwurf in seiner 12.

333 334 335 336

337 338 339

Strafrechtsreform vom 28. Februar 1972: „I. Artikel 1 wird wie folgt geändert: 4. In Nummer 11 werden in § 173 Abs. 1 und 2 Satz 1 jeweils nach dem Wort ‘Jahren’ die Worte ‘oder mit Geldstrafe’ eingefügt“. Abgedruckt in Anlage 2 der 71. Sitzung vom 1. März 1972, S. 2102. 71. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, vgl. AP S. 2031. A.a.O., S. 2031. A.a.O., S. 2031. „§ 173 Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren“. Abgedruckt bei BT-Drs. VI/3521, S. 73 (Zusammenstellung); BT-Drs. 7/80, S. 4, 7/514, S. 20 (Bericht II, bei Zusammenstellung). Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, FDP vom 25. Januar 1973, BT-Drs. 7/80. BT-Drs. VI/3521. BT-Drs. 7/80.

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Sitzung am 1. Februar 1973 in erster Lesung und überwies ihn wiederum an den Sonderausschuss für die Strafrechtsreform und an den Ausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit. Nach dem Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform hatten die damals vorgebrachten Argumente und die ihnen zugrunde liegenden Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis nach wie vor Gültigkeit. Auf dieser Grundlage habe der Ausschuss den Entwurf in 5 Sitzungen weitgehend übernehmen können. Dabei habe er davon abgesehen, alle Einzelheiten erneut ausführlich zu erörtern. Er habe vielmehr dort, wo er die im früheren Schriftlichen Bericht für eine Vorschrift angeführten Gesichtspunkte akzeptiert habe, die Vorschrift ohne eingehendere Diskussion unverändert übernommen. Dementsprechend gelten insoweit, als auf eine Begründung 340 verzichtet werde, die Ausführungen des erwähnten schriftlichen Berichts .

Innerhalb der 7. WP wurde in deren 2. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform vom 14. Februar 1973 der § 173 in der im Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD und FDP vorgesehenen Fassung beschlossen341.

2. Umsetzung durch das vierte Strafrechtsreformgesetz Nach der Annahme eines von SPD und FDP in der 7. Legislaturperiode neu eingebrachten Fraktionsentwurfs durch den Bundestag am 7. Juni 1973342 wurde wegen des Widerspruchs des Bundesrats zu wichtigen Einzelregelungen am 6. Juli 1973 die Anrufung des Vermittlungsausschusses (VA) notwendig – Votum vom 25. Oktober 1973 –, die erst nach wiederholten Beratungen zu einem Kompromiss führte. Bei den hier interessierenden Tatbeständen wurde zuvor in einer Sitzung des Unterausschusses des Rechtsausschusses (UA RA) des Bundesrats am 13. und 14. Juni 1973 vom Vertreter von Rheinland-Pfalz für den Fall beantragt, dass der VA aus anderen Gründen angerufen wird, die Anrufung des VA auch mit dem Ziel, § 173 Absatz 3 (Absehen von Strafe) zu streichen. Begründet wurde dies damit, dass in den Fällen, in denen ein Absehen von Strafe sachgemäß sei, die Möglichkeiten des JGG ausreichten343. Der Rechtsausschuss des Bundesrates folgte diesem Vorschlag gegen die Stimmen der Vertreter Bremens, Hessens, Niedersachsens, Nordrhein-Westfalens in der 398. Sitzung vom 20. Juni 1973344. Die entsprechenden Begehren fanden schließlich in den Emp345 fehlungen der Ausschüsse vom 22. Juni 1973 und in der Anrufung des Vermittlungs346 ausschusses am 6. Juli 1973 ihren Niederschlag. In einer Würdigung des BMJ wurde festgestellt, für die Streichung des § 173 Absatz 3 sei eine Mehrheit unwahrscheinlich. Es handele sich um kein Sachproblem, da nach Meinung des Rechtsausschusses das 340 BT-Drs. 7/514, S. 3. 341 Deutscher BT, 7. Wahlperiode Stenographischer Dienst, 2. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Bonn, 14. Februar 1973, S. 7; BT-Drs. 7/514, S. 5. 342 BT-Drs. 7/80; 12. Sitzung (1. Lesung) am 1. Februar 1973 und 39. Sitzung (2. und 3. Lesung) am 7. Juni 1973 des 7. Dt. BT, Sten. Ber. S. 424 ff. und S. 2107 ff. 343 Vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/33558, Bl. 82. 344 A.a.O., Bl. 125. 345 Vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/33559, Bl. 25. BR-Drs. 441/1/73, S. 3. 346 A.a.O, Bl. 65. BR-Drs. 441/73, S. 4. BT-Drs. 7/979.

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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gleiche Ergebnis durch Einstellung nach § 153 StPO erreicht werden solle347. Laut einem Vermerk vom 25. Juli 1973 im BMJ, nachdem Horstkotte am 18. Juli 1973 mit Kunert telefoniert und über mögliche Kompromisslösungen gesprochen hatte, war ein Teil dieses „Kompromißpaketes“ die Streichung des § 173 Absatz 3348. In einem weiteren Vermerk des BMJ vom 7. September 1973, diesmal von Laufhütte, wurde die Streichung für „nicht ratsam“ erachtet349. Zudem habe der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform sowohl in der 6. wie in der 7. Wahlperiode die in § 173 Absatz 3 vorgesehene Straffreiheit einstimmig beschlossen. Die Straffreiheit von Verwandten absteigender Linie unter 18 Jahren entspreche dem geltenden Recht; die Ausdehnung der Straffreiheit auf Geschwister unter 18 Jahren sei sachgemäß. Ein Nachgeben empfehle sich deshalb nicht350. Am 8. November 1973 beschloss der Bundestag die Vermittlungsvorschläge – der Anträge auf Streichung des § 173 Absatz 3 wurde nicht 351 –, und am 9. November 1973 stimmte der Bundesrat zu. Am 23. angenommen November 1973 wurde das Gesetz verkündet352. Mit dem vierten Strafrechtsreformgesetz vom 23. November 1973 (4. StrRG)353 erhielt § 173 die durch den Sonderaus354 schuss für die Strafrechtsreform erarbeitete Fassung .

Durch das 4. StrRG wurden die Inzeststraftatbestände des § 173 StGB vom 13. Abschnitt des StGB („Delikte wider die Sittlichkeit“, heute „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“) in den 12. Abschnitt („Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie“) verschoben. Die neue systematische Einordnung des § 173 StGB sollte die sich aus Art. 6 Absatz 1 GG ergebende staatliche Schutzpflicht manifestieren und die Bedeutung der Familienintegrität als geschütztes Rechtsgut unterstreichen. Daneben wurde das Delikt von 347 348 349 350 351

A.a.O, Bl. 97. Vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/33559, Bl. 107. A.a.O., Bl. 109. A.a.O., Bl. 112 f. Vgl. die Akte BA Koblenz, B 141/33560, Bl. 9. Deutscher BT, 7. Wahlperiode, 64. Sitzung, Sten. Ber., S. 3767. 352 64. Sitzung, Sten. Ber. S. 3767 c. 353 Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) vom 23. November 1973, BGBl. 1973 I, S. 1725 (Nr. 98). Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 2, Nr. 97, S. 332 ff. 354 § 173 nach der Bekanntmachung des Strafgesetzbuches (StGB) vom 2. Januar 1975: „Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wir mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren“. Abgedruckt im BGBl. 1975 I, S. 1 (S. 50) sowie Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 2, Nr. 97, S. 334 ff.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

„Blutschande“ in „Beischlaf zwischen Verwandten“ unbenannt. Zudem wurde der Beischlaf mit Verwandten absteigender Linie durch die Absenkung der Strafandrohung von „einem Jahr bis zu drei Jahren“ auf „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe“ von einem Verbrechen zu einem Vergehen i.S.d. § 12 Absatz 2 StGB herabgestuft (§ 173 Absatz 1 StGB). Die Strafdrohung für den Beischlaf mit Verwandten aufsteigender Linie und zwischen Geschwistern blieb wie bisher Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren; auch daneben wurde wahlweise Geldstrafe angedroht (§ 173 Absatz 2 StGB). Wie nach bisherigem Recht blieben Verwandte absteigender Linie straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben. Künftig sollten auch explizit Geschwister unter achtzehn Jahren straffrei bleiben (§ 173 Absatz 3). Bei dem Absatz 3 handelt es sich um einen persönlichen Strafausschließungsgrund, so dass strafbare Teilnahme an der Tat von Geschwistern möglich ist. Schließlich wurde die Strafbarkeit des Verschwägerteninzests vollständig aufgehoben. Die durch das 4. StrRG erzielten Ergebnisse – Aufhebung des Verschwägerteninzests und Abmilderung des Strafausspruchs – überraschen vor dem Hintergrund der Entwicklung der Inzeststraftatbestände nach 1945 nicht, da nach den Bekundungen des Gesetzgebers355 an den Vorarbeiten u.a. der E 1962, der AE Sexualdelikte u.a., sowie die Verhandlungen des 47. DJT wichtig gewesen sind; gleichwohl verdient Erwähnung, dass, obwohl im Hearing verschiedenste Gruppierungen einbezogen wurden, eine Streichung oder nur eine Neubeurteilung des § 173 StGB nicht erwogen wurde356.

3. Reaktionen auf das vierte Strafrechtsreformgesetz Das 4. StrRG war vielerorts, teilweise auch unter Berücksichtigung der Inzeststraftatbestände357, Gegenstand der wissenschaftlichen Kontroverse358.

Schroeder kritisierte359 – noch zum Entwurf des 4. StrRG – zur Verschiebung der Inzeststraftatbestände in den 12. Abschnitt des StGB, hinter dieser formalen Einordnung stehe „der Versuch, den umstrittenen Tatbestand der Blutschande rechtsgutmäßig zu fundieren“. Es müssten aber auch diese Delikte zum „Sexualstrafrecht“ gerechnet werden. An anderer Stelle360 bemerkte 355 Vgl. RegE (BT-Drucks VI/1552) und Schriftl. Ber. (BT-Drs. VI/3521 und 7/514). 356 Zabel, JR 2008, S. 453 (S. 454). 357 Schroeder, ZRP 1971, S. 14 ff.; Hanack, NJW 1974, S. 1 ff.; Sturm, JZ 1974, S. 1 ff.; Schroeder, Reform des Sexualstrafrechts. 358 Baumann, ZRP 1971, S. 129 ff.; JuS 1974, S. 126 ff.; Dreher, JR 1974, S. 45 ff. 359 Schroeder, Reform des Sexualstrafrechts, S. 6. 360 Schroeder, ZRP 1971, S.14 (S. 21).

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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Schroeder, „die Verschiebung vermag dem Tatbestand jedoch nicht seinen weitgehend irrationalen Charakter zu nehmen“. Die erbbiologischen Gefahren seien umstritten361. Dies würde zwar eine Strafbedürftigkeit nicht ausschließen, doch könnten eugenische Gesichtspunkte im Zeitalter der Antibabypille ein Verbot des Geschlechtsverkehrs nicht mehr rechtfertigen. Als Familie stehe nach Art. 6 GG – abgesehen davon, dass es sich bei der Schädlichkeit der Blutschande für den Familienbestand nur um eine Vermutung handele – jedenfalls nur die Gemeinschaft von Eltern und minderjährigen Kindern, evtl. auch von Großeltern und älteren Geschwistern unter dem Schutz, nicht aber die Großfamilie. Dieser Bereich werde aber größtenteils bereits durch die Unzucht mit Schutzbefohlenen nach § 174 abgedeckt. Sachgemäß wäre daher eine Erweiterung jener Vorschrift auf Großeltern und evtl. auch ältere Geschwister. Ferner führte Schroeder in seiner Kommentierung zum StGB362 zur Lösung des Tatbestands der Blutschande aus dem Komplex der Sexualdelikte und der Einstellung in den 12. Abschnitt aus, die Begründung dafür, die Tradition ordne dem Inzest eine familienzerstörende Wirkung zu, und überhaupt seine Missbilligung durch die Allgemeinheit mit Rückwirkungen auch für Familienangehörige, „lässt diese Entscheidung als mindestens zweifelhaft erscheinen“. Der Versuch, die Gründe für die Bestrafung der Blutschande rational zu beurteilen, den die Begründung des Entwurfs versuche, sei nicht gelungen und könne nicht gelingen. Blutschande sei missbilligtes Sexualverhalten, wenn auch die Begründung dem Volke anrate, sie anders zu bewerten363. Hanack bemerkte hingegen in einem Aufsatz364, die Vorschrift der Blutschande, bisher bei den Sittlichkeitsdelikten eingeordnet, werde „mit Recht und in Übereinstimmung schon mit dem E 1962 vom Gesetzgeber jetzt zu den Delikten gegen Ehe und Familie gerechnet“. Dem Vorschlag des AE, der die Vorschrift aus guten Gründen gestrichen wissen wollte, soweit es nicht um den Missbrauch Minderjähriger gehe, sei bei den Gesetzesberatungen nur ungenügend Rechnung getragen worden. Das neue Recht beseitige – in Übereinstimmung mit einem alten Reformanliegen – lediglich die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verschwägerten. Im Übrigen setze es aber immerhin die Höchststrafen herab und verzichte bei § 173 Absatz 1 auf die bisherige Min-

361 Schroeder verwies auf Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, 1957, S. 63 ff. 362 Schröder, Schönke / Schröder, 17. Aufl. (1974), Vorb. zu §§ 169 ff., Rdnr. 1. 363 S. Fn. 362. 364 Hanack, NJW 1974, S. 1 (S. 2).

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

deststrafe von einem Jahr; die Tat ist also nunmehr auch insoweit Vergehen und damit der Einstellung nach § 153 StPO zugänglich. Nach Dippel365 wiederum war es dem 4. StrRG nicht gelungen, den Strafgrund zweifelsfrei zu bestimmen. Es habe „letztlich vor den Schwierigkeiten kapituliert, die sich daraus ergeben, dass Rechtsgut und Strafwürdigkeit des Beischlafs zwischen Verwandten zu den umstrittensten Themen der Strafrechtsliteratur gehören.“

Das habe „seine Ursache darin, dass sich befriedigende Antworten, wenn überhaupt, nur unter Beachtung der kulturell-ethnologischen Wurzeln der Inzestscheu, der Gründe für die Möglichkeit ebenso ihrer generellen Umwertung, wie des Fehlens oder der Durchbrechung der Inzestschranke im Einzelfall, der Geschichte der Strafbarkeit des Inzests sowie mit Blick auch auf die geltenden Regelungen anderer Kulturna366 tionen finden lassen.“

Das 4. StrRG habe dies außer Acht gelassen. Es begründe die Beibehaltung der Strafbarkeit mit der Notwendigkeit, die engste Familie von sexuellen Beziehungen freizuhalten, weil diese sich in hohem Maße ehe- und familienzerstörend auswirkten, nicht selten zu schwerwiegenden Störungen der psychischen Entwicklung namentlich der minderjährigen Opfer oder Partner, durch die diskriminierende Reaktion der Öffentlichkeit aber auch der Kinder aus solchen Beziehungen, führten, und sie die Nachkommen dazu noch der Gefahr eugenischer und genetischer Schäden aussetzten. Diese Gründe waren aber nach Dippel nicht nur höchst umstritten, sondern teilweise sogar wissenschaftlich widerlegt. Dennoch sei auf eine Klärung insoweit im Gesetzgebungsverfahren verzichtet worden. Auf eine sachgerechtere Behandlung bei einer künftigen Reform bleibe zu hoffen367.

III. Adoptionsgesetz Eine letzte Änderung und damit seine heutige Fassung erfuhr der § 173 StGB mit dem 368 sog. Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976 , durch das das angenommene Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes erlangte. Dies hatte Konsequenzen für das Strafrecht, das in einer Reihe von Tatbeständen – teils strafbegründend, strafschärfend

365 366 367 368

Dippel, NStZ 1994, S. 182 (S. 183). Hierzu verwies Dippel auf seine Kommentierung zu vor § 169 Rdnr. 9 ff. im LK. S. Fn. 366. Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz) vom 2. Juli 1976, BGBl. 1976 I, S. 1749. Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 3, Nr. 108, S. 186 ff.

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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oder strafmildernd – auf Verwandtschafts- und Schwägerschaftsverhältnisse abstellt, 369 infolgedessen Änderungen am StGB notwendig erschienen .

Durch das Adoptionsgesetz wurde § 173 insoweit geändert, als in Absatz 1 der Begriff „leiblicher Abkömmling“ die Worte „Verwandten der absteigenden Linie“ ersetzte. In Absatz 2 Satz 1 wurde das Wort „leiblichen“ vor „Verwandten aufsteigender Linie“ eingefügt und um einen zweiten Halbsatz ergänzt, der lautete „dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist“. In Satz 2 wurde „leibliche Geschwister“ anstelle „Geschwister“ verwandt und in Absatz 3 die Worte „Verwandte absteigender Linie“ durch das Wort „Abkömmlinge“ ersetzt370. Durch diese Änderungen wurde der Tatbestand auf die Fälle der leiblichen Verwandtschaft beschränkt, die angenommene Verwandtschaft also ausgeklammert. In der Begründung zum Gesetzesentwurf wurde ausgeführt, § 173 StGB, der den Beischlaf zwischen „Verwandten“ unter Strafe stelle, würde – bliebe der Tatbestand unverändert – sachlich verändert. Die vorgesehenen Änderungen stellten sicher, dass der bisher geltende Rechtszustand beibehalten werde371.

IV. Bestrebungen der Achtzigerjahre Neben der deutlichen Mehrheit an Bestrebungen zur Einschränkung (oder Abschaffung) der Inzeststrafbarkeit sind stark vereinzelt auch gegenläufige Bestrebungen zur Erweiterung des Tatbestandes zu verzeichnen; so zuletzt in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts.

1987 wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur Änderung des Sexualstrafrechts von Hamburg beantragt – jedoch nicht angenom-

369 BT-Drs. 7/3061, S. 61. 370 „Artikel 6 Änderung des Strafgesetzbuchs 3. § 173 StGB wird wie folgt geändert: a) In Absatz 1 werden die Worte ‘Verwandten absteigender Linie’ durch die Worte ‘leiblichen Abkömmling’ ersetzt; b) Absatz 2 erhält folgende Fassung: ‘(2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen’. c) In Absatz 3 werden die Worte ‘Verwandte absteigender Linie’ durch das Wort ‘Abkömmlinge’ ersetzt“. Abgedruckt bei Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Bd. 3, Nr. 108, S. 186 f. 371 BT-Drs. 7/3061, S. 61.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

men –, den Begriff des Beischlafs auch auf den analen und oralen Geschlechtsverkehr auszudehnen372. Nach der Begründung war die Begrenzung des Beischlafbegriffs auf die vaginale Penetration „unangemessen eng und damit überholt“. Die Erweiterung gewährleiste das Einbeziehen von Handlungen, mit denen „das gleiche Maß an Demütigung und Erniedrigung verbunden“ ist. Auch sollen Männer als Tatopfer mit in den Tatbestand einbezogen werden können. Die Folgen der Erweiterungen seien „sachgerecht und beabsichtigt“373.

G) Rechtsprechung der Neunzigerjahre sowie der Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2008 Die Inzeststraftatbestände sind in den Neunzigerjahren – unter Einbeziehung der Argumente des 4. StrRG – Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung geworden; ferner wurde im Jahr 2008 über die Verfassungsmäßigkeit des § 173 Absatz 2 Satz 2 StGB entschieden.

I. Rechtsprechung der Neunzigerjahre Der BGH führte in einer Entscheidung vom 29. September 1993374 aus, die Schutzgüter des § 173 StGB seien „in erster Linie Ehe und Familie“. Das sei zwar bei den Beratungen des 4. StrRG nicht völlig eindeutig gewesen – seinerzeit seien auch genetische Gründe und der Zweck der Vermeidung von Inzestkindern als Strafgrund genannt worden –, aber der „Standort der Vorschrift“ im 12. Abschnitt („Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie“) ergebe, dass Ehe und Familie in § 173 StGB jedenfalls die „überragenden Rechtsgüter“ seien und geschützt werden sollten375. Kritisch äußerte sich dazu Dippel376, nach dem nicht schon aus dem Standort der Vorschrift folgt, dass Ehe und Familie die maßgeblichen Rechtsgüter des § 173 StGB seien; auch wenn andere Gesichtspunkte, genetische Gründe etwa oder der Zweck, Inzestkinder zu vermeiden, die tragenden Strafgründe seien, könne die Verwirklichung des Tatbestandes als Straftat gegen Ehe und Familie gelten. Dennoch sei nach wie vor zweifelhaft, was eigentlich die Strafvorschrift regele. 372 373 374 375 376

Gesetzesantrag der Freien Hansestadt Hamburg vom 17.12.1987, BR-Drs. 568/87. BR-Drs. 568/87 S. 2. BGHSt 39, S. 326 ff. BGHSt 39, S. 326 (S. 329). Dippel, NStZ 1994, S. 182 (S. 183).

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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Anzumerken ist, dass das Delikt des Inzests gerade erst durch das 4. StrRG in den 12. Abschnitt verschoben wurde und das Rechtsgut der Ehe und Familie jedenfalls vor dem 4. StrRG, sofern überhaupt aufgegriffen, nur als zusätzliches Argument angeführt worden ist.

II. Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2008 Wie im ersten Kapitel dargelegt, erklärte das BVerfG im Jahr 2008 die Strafvorschrift des § 173 Absatz 2 Satz 2 StGB – das BVerfG bezog sich in seiner Argumentation jedoch größtenteils auf alle Inzeststraftatbestände des § 173 StGB – für mit dem Grundgesetz vereinbar und wies die Verfassungsbeschwerde zurück377. Der Kritik an dem Beschluss des BVerfG ist gemeinsam378, dass die verschiedenen Begründungen des BVerfG zur Strafbarkeit des Inzestdelikts (Schutz von Ehe und Familie, Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, eugenische Gesichtspunkte, Zusammenschau der Begründungen/wirkkräftige gesellschaftliche Auffassungen) nicht zu überzeugen vermögen. Im Folgenden soll die Kritik wegen ihrer Fülle379, aber auch, weil in jüngster Zeit drei Abhandlungen380 erschienen sind, die sich schwerpunktmäßig mit dem Beschluss des BVerfG und den durch § 173 StGB (mutmaßlich) geschützten Rechtsgütern befassen, nur Auszugsweise wiedergegeben werden. Stütze man die Begründung der Inzeststrafbarkeit auf den Schutz der Ehe und Familie, dürften konsequenterweise Adoptiv- und Stieffamilien nicht aus dem vom Tatbestand erfassten Personenkreis herausgenommen werden381; auch müssten neben dem Beischlaf sämtliche sexuelle Handlungen, ebenso auch zwischen Gleichgeschlechtlichen, erfasst werden382. Ferner gründen bei Fällen wie jenem, der dem Beschluss des BVerfG zugrunde lag, die Inzesttäter bereits ihre „eigene Familie“383 – die Lösung von ihrer ursprünglichen Familie fand 377 Vgl. zum Beschluss des BVerfG und seinen Argumenten Erstes Kapitel B). 378 Ausnahmen sind Frommel und Tischler, die den Beschluss des BVerfG dem Grunde nach befürworten. Vgl. Frommel, NK, § 173 Rdnrn. 6 und 13; Tischler, Der Geschwisterinzest bei über 18-Jährigen, S. 147. 379 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 38 des ersten Kapitels. 380 Tischler, Der Geschwisterinzest bei über 18-Jährigen, Die Rechtsgüter des § 173 StGB, 2009; Karst, Die Entkriminalisierung des § 173 StGB, 2009; Best, Zur Aktualisierung des Inzestverbots, Eine Erörterung anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, 2010. 381 Vgl. für viele Schäuble, Forum Recht 2008, S. 98 (S. 99). 382 Vgl. für viele Roxin, StV 2009, S. 544 (S. 546). 383 Vgl. für viele Hörnle, NJW 2008, S. 2085 (S. 2086).

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

meist Jahre vorher statt –, deren Zerstörung Folge der Strafbarkeit ist384; überdies sei die Zerrüttung einer Familie, jedenfalls in der Mehrheit der Inzestfälle, vielmehr Ursache als Folge eines Inzests385. Sei das durch die Inzeststraftatbestände geschützte Rechtsgut das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, so stoße es dann an seine Grenzen, wenn die vermeintlichen Täter aus ihrer sexuellen Selbstbestimmung heraus handeln, was jedenfalls anzunehmen sei, wenn der Beischlaf zwischen Verwandten nicht auf den Missbrauch asymmetrischer Machtverhältnisse beruhe, bspw. bei älteren Geschwistern386. Auch wäre in diesem Zusammenhang das Tatbestandsmerkmal „Beischlaf“ als zu eng einzuordnen und es müssten andere sexuelle Handlungen, ebenso auch zwischen Gleichgeschlechtlichen, einbezogen werden387; zudem spreche gegen diese Begründungstendenz, dass das Delikt nicht in den entsprechenden Abschnitt des StGB (13. Abschnitt: „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“) eingefügt – der ohnehin die Inzestfälle ausreichend regele388 –, sondern aus diesem Abschnitt transferiert worden sei389, und selbst der Gesetzgeber das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung nicht angeführt habe390. Ginge es bei dem durch die Inzeststraftatbestände geschütztem Rechtsgut um die Vermeidung von genetischen Schäden, müssten konsequenterweise auch Personen mit Erbschäden die Fortpflanzung untersagt werden, was wiederum nicht mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Absatz 1 i.V.m. Art. 1 Absatz 1 GG zu vereinbaren wäre391 und ebenfalls mit Rücksicht auf die jüngere deutsche Geschichte unvertretbar erscheine392; die Präimplantationsdiagnostik sei unter bestimmten Voraussetzungen sogar unter Strafe gestellt393. Auch gingen nur in seltenen Ausnahmefällen Kinder aus einem Verwandtenbeischlaf hervor und gesicherte Erkenntnisse darüber, dass es zwangsläufig zu 384 Vgl. für viele Krauß, Rechtsgut und kein Ende, Zur Strafbarkeit des Geschwisterinzests (BVerfGE 12, 224), in: Fschr. Hassemer, S. 423 (S. 437). 385 Vgl. für viele Thurn, KJ 2009, S. 74 (S. 76). 386 Vgl. für viele Fischer, StGB, § 173 Rdnr. 3a. 387 Vgl. für viele Marxen, famos 01/2009, S. 1 (S. 2). 388 Vgl. für viele Dippel, LK, § 173 Rdnr. 17. 389 Vgl. für viele Zabel, JR 2008, S. 453 (S. 455). 390 Vgl. für viele Abweichende Meinung Hassemer, BVerfGE, S. 224 (S. 260). 391 Vgl. für viele Hörnle, NJW 2008, S. 2085 (S. 2086). 392 Vgl. für viele Roxin, StV 2009, S. 544 (S. 547). 393 Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz – EschG) vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2746), das durch Artikel 22 des Gesetzes vom 23. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2702) geändert worden ist.

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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Erbschäden komme, gebe es ohnehin nicht394. Ferner müsste dann die Tatbestandshandlung des „Beischlafs“ jene Fälle außer Acht lassen, die wegen der Unfruchtbarkeit oder sicherer Empfängnisverhütung bzw. nach erfolgter Sterilisation nicht zur Zeugung des vermeidlich geschädigten Nachwuchses führen395; hinzu komme, dass der Inzeststraftatbestand gar keine Zeugung voraussetze396. Schließlich lasse sich, wenn es an einem rationalen Rechtsgut fehle, ein solches auch nicht aus einer Gesamtschau nicht rationaler Strafzwecke397 oder aus wirkkräftigen Überzeugungen398 konstruieren. Die Kritik an dem Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2008 vor Augen geführt, bleibt festzuhalten, dass durch den Beschluss eine Befriedung des Streits um die Strafnorm des § 173 StGB nicht bewirkt wurde; ganz im Gegenteil haben die Inzeststraftatbestände erst mit dem Beschluss des BVerfG eine Renaissance in der Strafrechtsliteratur erfahren, die bis heute anhält.

H) Zusammenfassung und Fazit In der Entwicklungsgeschichte der Inzeststraftatbestände nach 1945 wurde der § 173 StGB, insbesondere durch die GSK und den Sonderausschuss für die Strafrechtsreform, in einer bisher noch nicht dagewesenen Intensität diskutiert; die zu erwartenden Änderungen wurden jedoch nicht erzielt. Während der Besatzungszeit wurden die Inzeststraftatbestände des § 173 StGB sowie die Verordnung aus dem Jahr 1938 weder durch Kontrollratsgesetze noch für einzelne deutsche Länder aufgehoben, da sie nicht von der nationalsozialistisches (Strafrechts-)Ideologie geprägt waren. Eine erste gesetzgeberische Änderung erfuhr der § 173 StGB durch das 3. StrÄndG von 1953, das § 4 der Verordnung von 1938 ohne sachliche Änderung einarbeitete. So erhielt Absatz 2 eine Fassung, die die Strafbarkeit der Verschwägerten nur für den Fall aussprach, wenn die die Schwägerschaft begründende Ehe zur Tatzeit bestand. Ein neuer Absatz 5 sah beim Verschwägerteninzest von der Strafe ab, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war; die Tat wurde zudem dann nicht mehr ver394 395 396 397 398

Vgl. für viele Cornils, ZJS 2009, S. 85 (S. 88). Vgl. für viele Frömling, Ad Legendum 2/2008, S. 99 (S. 100). Vgl. für viele Thurn, KJ 2009, S. 74 (S. 78). Vgl. für viele Roxin, StV 2009, S. 544 (S. 548). Vgl. für viele Fischer, StGB, § 173 Rdnr. 7.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

folgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden war. Begründet wurde die Änderung damit, dass die Bestrafung der Blutschande, die der Freihaltung des Familienlebens von groben Unsittlichkeiten diene, in Schwägerschaftsverhältnissen „nur insoweit gerechtfertigt“ sei. Innerhalb der GSK setzte sich erstmals die III. Unterkommission ernsthaft mit den Inzeststraftatbeständen auseinander. Es wurden Fassungsvorschläge erarbeitet, die sich im Umdruck R 98 in den §§ h und i manifestierten und nahezu wortgetreu die §§ 213 und 214 E 1936 übernahmen, wobei die Regelung zur Straflosigkeit des Deszendenteninzests in § h Absatz 3 auf die Einschränkung „absteigender Linie“ verzichtete und in § i Absatz 3, angelehnt an die Verordnung von 1938, der Verschwägerteninzest nicht mehr verfolgt wurde, wenn die Verschwägerten die Ehe unter Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft geschlossen hatten; bzgl. des Strafmaßes orientierte man sich am § 290 E 1927. In den Beratungen der Kommission wurde Einigkeit darüber erzielt, §§ h und i in den Abschnitt „Strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie“ einzugliedern, da die Verstöße gegen sie „sich in erster Linie gegen die Struktur der Familie“ richteten. Auch der Verschwägerteninzest sei „in höchstem Maße familienzerstörend“ und sollte daher beibehalten werden. Die Ergebnisse und alternativen, teils sehr divergierenden Fassungsvorschläge der Beratungen wurden in dem 1. Arbeitsentwurf der III. Unterkommission, dem V 28, zusammengefasst. Die Inzeststraftatbestände fanden sich in den §§ a und b, die in den §§ 379 und 380 VZ übernommen wurden, die ihrerseits wiederum als Arbeitsgrundlage für die Beratungen der Vollkommission dienten. Nachdem sich in einer Vorabstimmung der GSK Befürworter zu jeder Alternative der §§ 379 und 380 VZ fanden, erstellten zur weiteren Vorbereitung der Beratungen die Sachbearbeiter des BMJ J-Umdrucke. Der Umdruck J 81 regelte die Inzeststraftatbestände wie bereits die Formulierungsvorschläge der VZ unter dem Titel „Straftaten gegen Ehe und Familie“ und der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ bzw. „Beischlaf zwischen Verschwägerten“ in den §§ 379 und 380, die sich zwar nicht an den Ergebnissen der Vorabstimmungen, gleichwohl an den alternativen Vorschlägen der VZ orientierten. Die Einordnung wurde damit begründet, dass die Blutschande zwar ein Sittlichkeitsdelikt sei, sich aber überwiegend „gegen die sittliche Grundlage der Familie“ richte. Beim Verschwägerteninzest handele es sich hingegen nicht um ein Sittlichkeitsdelikt, sondern um eine „Straftat gegen Ehe und Familie“. In ihrer ersten Lesung beriet die GSK vornehmlich und umfassend in der 87. Sitzung vom 18. Juni 1958 über die Inzeststraftatbestände, an deren Ende nur noch der, wenn auch kaum veränderte, § 379 des Umdrucks U 68 stand. Hinzugefügt wurde beim § 379 der Ausschluss eines minder schweren Falls,

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt war, sowie eine Alternative zu Absatz 3, wonach auf das Erfordernis „absteigender Linie“ verzichtet, also Geschwistern wieder einbezogen wurden. Bei der Blutschande handele es sich dem Unrechtsgehalt nach zumeist um ein „sehr schweres Delikt“, das eine „sehr hohe familienzerstörende Wirkung“ habe und „biologische Gefahren für die im blutschänderischen Verkehr erzeugten Kinder“ schaffe. Gleichwohl wurden Stimmen laut, nach der die Blutschande „doch mehr ein Schwächedelikt“ sei, das „nicht zur Hochkriminalität i.S.d. früheren Beschlüsse der Vollkommission“ gehöre und seinen Grund „vorwiegend in ungünstigen Wohnverhältnissen“ habe. Für die Streichung des Delikts des § 380 stimmten fast alle Kommissionsmitglieder, u.a. mit der Begründung, es handele sich nur um einen „qualifizierten Ehebruch“. Die Befürworter der Vorschrift plädierten für die Beibehaltung, um „den engeren Kreis der Familie von geschlechtlichen, die Familie zerstörenden Motiven freizuhalten“. In der 90. Sitzung vom 21. Juni 1958 erfolgten Erläuterungen, Verhandlungen und Entschließungen der Kommission zum Umdruck U 68. Die Ergebnisse und Fassungsvorschläge der Abstimmung sind in dem Umdruck K 68 niedergelegt und führten zu einem unveränderten § 379. Nach Abschluss der ersten Lesung stellte das BMJ alle Beschlüsse und Vorschläge zusammen und legte den E 1959 I vor, indem sich die Inzeststraftatbestände im zweiten Titel „Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand“ unter der Paragraphenüberschrift „Blutschande“ in § 199 fanden. Abgesehen von redaktionellen Änderungen übernahm der § 199 E 1959 I nahezu wortgetreu die Fassung des § 379 des Umdrucks K 68 und damit des Umdrucks U 68, wobei man sich in Absatz 3 für die 2. Alternative „Verwandte absteigender Linie“ entschied und Absatz 4 nunmehr auf § 48 Absatz 1 anstatt auf § 47 Absatz 3 verwies. Gegenstand der Reaktionen auf den § 199 E 1959 I war vornehmlich die Einbeziehung von Geschwistern in Absatz 3, die kontrovers diskutiert wurde. In der zweiten Lesung fanden die Inzeststraftatbestände keine Berücksichtigung, wurden im folgenden E 1959 II in § 192 verschoben und erfuhren abermals nur eine redaktionelle Änderung, als im Absatz 4 auf § 47 Absatz 1 anstelle des § 48 Absatz 1 verwiesen wurde. Anschließend waren die Inzeststraftatbestände Gegenstand der 8. Tagung der Länderkommission in Bremen vom 12. bis 16. Dezember 1960. Unter einstimmiger Billigung der Absätze 1 und 2 des § 192 E 1959 II, wurde empfohlen für die Strafbarkeit des Deszendenten in § 192 Absatz 3 die Altersgrenze auf 16 Jahre herabzusetzen, weil darüber hinaus kein echtes Abhängigkeitsverhältnis bestehe.

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

Der auf Grundlage des E 1959 II und der vorläufigen – die 8. Tagung der Länderkommission erfuhr noch keine Berücksichtigung – Beratungsergebnisse der Länderkommission im Herbst 1960 im BMJ ausgearbeitete E 1960 regelte die Inzeststraftatbestände an gleicher Stelle. Bei ansonsten wortgetreuer Übernahme der Fassung des § 192 E 1959 II wurde der Absatz 4, der den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte normierte, fortgelassen. Die Blutschande richte sich „nicht nur gegen die Sittlichkeit in geschlechtlicher Hinsicht, sondern vor allem auch gegen die körperliche und sittliche Gesundheit der Familie“. Wenn sie von Verwandten aufsteigender Linie begangen werde, gehöre sie zu den „schwersten Verbrechen die das Strafrecht kennt“. Sie sei nicht „nur in höchstem Maße familienzerstörend“, sondern führe zumeist auch zu „schwersten sittlichen Schäden“. Nachdem die Länderkommission Anfang 1962 ihre Arbeit beendet hatte, passte die Bundesregierung den E 1960 an und legte den E 1962 vor. Der § 192 E 1962 übernahm nahezu wortgetreu den § 192 E 1960. Als einziger Unterschied ist die Herabsetzung des Alters für die Straflosigkeit der Deszendenten auf 16 Jahre auszumachen, die auf die Anregung der 8. Länderkommission zurückging. Die Begründung der Strafbarkeit entsprach derjenigen des E 1960 bzw. in Bezug auf die Änderung derjenigen der 8. Länderkommission. Der E 1962 und auch die Inzeststraftatbestände erfuhren ein großes Echo in der Öffentlichkeit, so u.a. in den Entschließungen des IX. Internationalen Strafrechtskongresses, während der deutschen Strafrechtslehrertagung 1965 in Freiburg i. Br. und dem 47. DJT. Gemeinsam war ihnen die Bestrebung zur Abmilderung des Delikts. Im AE Sexualdelikte u.a. aus dem Jahre 1968 fanden die Inzeststraftatbestände keine (eigenständige) Berücksichtigung; sie wurden, mit stark beschränktem Anwendungsbereich, innerhalb der Missbrauchstatbestände berücksichtigt. Die Blutschande bringe, außer vielleicht beim Geschwisterinzest, als solche „keine besonderen erbbiologischen Gefahren“ mit sich und eine gestörte Familie sei „vielmehr Ursache als Folge einer Inzestbeziehung“. In den sechziger Jahren erfuhren die Inzeststraftatbestände eine gesetzgeberische Beachtung insofern, als sie durch das 1. StrRG eine um Absatz 3 (Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte) gekürzte Fassung erhielten. Durch das 4. StrRG erfuhren die Inzeststraftatbestände schließlich die umfangreichsten und bedeutendsten Änderungen in der Zeit nach 1945. Nach dem Regierungsentwurf sollte § 173 StGB in den Zwölften Abschnitt (Straftaten gegen Ehe und Familie) des Zweiten Teils eingestellt werden und eine leicht geänderte Fassung erhalten; einzige Neuerung, die auf die Reform der Fünfzi-

Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945

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ger- und Sechzigerjahre zurückging, ist das Fortlassen des Verschwägerteninzests. Strafgrund sei der „in Art. 6 GG geforderte Schutz von Ehe und Familie“. Inzestuöse Beziehungen würden i.d.R. eine „schwere Belastung für die Familie“ bedeuten. Sie würden „nicht nur familienzerstörend wirken“, sondern würden „nicht selten zu schweren seelischen Schäden führen“, namentlich bei Minderjährigen. Zusätzlich seien „eugenische Gesichtspunkte zu berücksichtigen“. Der Bundesrat schlug eine weitergehende Fassung vor, die die Straflosigkeit für die Deszendenten und Geschwister nicht mehr vorsah. In den Fällen, in denen ein Absehen von Strafe sachgemäß sei, würden die Möglichkeiten des JGG ausreichen. Die Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates brachte keine Neuerungen hervor, regte aber die Prüfung an, ob und ggf. in welchem Umfang auf die im Entwurf vorgesehene Vorschrift, nach der Verwandte absteigender Linie und Geschwister unter 18 Jahren straffrei sind, verzichtet werden könne. Bevor der Regierungsentwurf im Bundesrat beraten und im Bundestag eingebracht wurde, erfolgte eine umfangreiche Auseinandersetzung im Sonderausschuss für die Strafrechtsreform mittels eines Hearings von Sachverständigen zu den Bereichen des StGB, die das 4. StrRG tangierte. Dort wurde für das Strafbedürfnis des Inzestdelikts vorgebracht, die Familie müsse „von jeglicher sexueller Konkurrenz nach Möglichkeit freigehalten werden“. Der Geschwister-Inzest wurde überwiegend in Frage gestellt, da vorbenannte Konfliktsituation dort nicht entstehe. Zum Deszendenten-Aszendenten-Inzest wurde festgestellt, dass dieser zu „schwersten seelischen Dauerschäden führen“ könne; zudem wurde der Inzesttatbestand mit Art. 6 GG gerechtfertigt. Innerhalb der Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in der 6. und 7. WP wurden die Inzeststraftatbestände des Regierungsentwurfs in weiteren Sitzungen beraten. Unter Bezugnahme auf das Hearing kam als Rechtsgut der in Art. 6 GG geforderte Schutz von Ehe und Familie in Frage. Inzestuöse Beziehungen zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie bedeuteten grundsätzlich „eine schwere Belastung für die Familie“ und wirkten „ehezerstörend“. Darüber hinaus führten sie in sehr vielen Fällen „zu schweren seelischen Schäden“. Auch kämen zu den genannten Gründen des Familienschutzes genetische Gründe und das Erfordernis einer strafrechtlichen Sanktion gegen die Erzeugung von Inzestkindern, weil die Gefahr bestehe, dass diese Kinder wegen der Tabuisierung des Inzests diskriminiert werden. Die beiden zuletzt genannten Gründe sprächen auch für die Beibehaltung der Strafbarkeit des Geschwisterinzests. Genetische Gründe seien sogar von besonderer Bedeutung. Der Verschwägerteninzest hingegen würde die Familie weniger tangieren. In erster Lesung erhielt § 173 StGB eine Fassung, die im Ergebnis einer Kombination des Regierungsentwurfs und des Vorschlags der Stellungnahme des Bundesrats darstellte. Die Absätze 1 und 2

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Zweiter Teil: Entwicklung seit 1870

entsprachen wortgetreu den Absätzen 1 und 2 der Bundesratsfassung, wobei der Absatz 3 nahezu wörtlich den Absatz 3 des Regierungsentwurfs übernahm. Ferner wurde erstmals die Paragraphenüberschrift „Beischlaf zwischen Verwandten“ eingeführt. Die in zweiter Lesung erzielten Änderungen erschöpften sich in der Implementierung der Geldstrafe in Absatz 1 und Absatz 2 sowie dass in Absatz 3 Verwandte absteigender Linie und Geschwister „nicht nach dieser Vorschrift bestraft“ wurden, „wenn sie zur Zeit der Tat achtzehn Jahre alt waren“. Durch das 4. StrRG erhielt § 173 StGB schließlich die durch den Sonderausschuss für die Strafrechtsreform erarbeitete Fassung. Eine letzte Änderung und damit seine heutige Fassung erfuhr der § 173 StGB durch das Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976, wonach in Absatz 1 der Begriff „leiblicher Abkömmling“ die Worte „Verwandten der absteigenden Linie“ ersetzte. In Absatz 2 Satz 1 wurde das Wort „leiblichen“ vor „Verwandten aufsteigender Linie“ eingefügt und um einen zweiten Halbsatz ergänzt, der lautete „dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist“. In Satz 2 wurde „leibliche Geschwister“ anstelle „Geschwister“ verwandt und in Absatz 3 die Worte „Verwandte absteigender Linie“ durch das Wort „Abkömmlinge“ ersetzt. Durch diese Änderungen wurde der Tatbestand auf die Fälle der leiblichen Verwandtschaft beschränkt, die angenommene Verwandtschaft also ausgeklammert; sie waren erforderlich, weil anderenfalls der Tatbestand sachlich verändert worden wäre. Obgleich die Inzeststraftatbestände noch in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung waren bzw. zuletzt sogar auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüft wurden, haben sie dadurch keinerlei Änderungen, mithin seit den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts einen bis heute anhaltenden Stillstand erfahren.

DRITTER TEIL: SCHLUSSBETRACHTUNG

Neuntes Kapitel: Résumé A) Kontinuität und Diskontinuität sowie wiederkehrende Begründungstendenz Obgleich innerhalb der Entwicklung der Inzeststraftatbestände die Reformbestrebungen teilweise deutlich voneinander divergierten, daneben auch der Schwerpunkt zur Begründung der Strafbarkeit teilweise anders gewichtet wurde, ist bei einem Résumé festzustellen, dass die Inzeststraftatbestände seit Jahrhunderten insgesamt nur geringfügigen Änderungen unterworfen waren. Die Entwicklung der Inzeststraftatbestände führte aber auch dazu, dass eine ihrer Erscheinungsformen – der Beischlaf in Schwägerschaftsverhältnissen – an Bedeutung einbüßte und schließlich straflos gestellt wurde. Ferner ist zu konstatieren, dass zu dem Erfordernis ihrer Strafbarkeit eine Begründungstendenz – Sitte und Moral – stets wiederkehrte.

I. Kontinuität: Beischlaf zwischen Aszendenten und Deszendenten sowie zwischen Geschwistern Der Beischlaf zwischen Aszendenten und Deszendenten sowie zwischen Geschwistern ist seit den ersten Kodifizierungen zum Inzest auf deutschem Gebiet im 6. Jahrhundert n. Chr. durchgängig unter Strafe gestellt worden. Bestrebungen, ihn straflos zu stellen, sind mit wenigen Ausnahmen, wie bspw. in den Entwürfen von 1848 und 1849 der preußischen Gesetzesrevision1 sowie im Alternativ-Entwurf aus dem Jahr 19682, nicht ernsthaft in der Reformdiskussion und damit auch nicht in der Gesetzgebung berücksichtigt worden. Der Strafrahmen des Beischlafs zwischen Aszendenten und Deszendenten und zwischen Geschwistern wurde im Laufe der Entwicklung kontinuierlich in mehreren Schritten, zuletzt deutlich durch das 4. StrRG von 19733, gesenkt. Erhöhungen des Strafrahmens, wie bspw. zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts durch die Entwürfe von 1919 bis 19274 und den Entwurf von 19335, 1 2 3 4

Vgl. Zweites Kapitel B) 10. Vgl. Achtes Kapitel E) IV. Vgl. Achtes Kapitel F) II. Vgl. Fünftes Kapitel E) und Sechstes Kapitel A), B) und E).

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Dritter Teil: Schlussbetrachtung

bildeten die Ausnahmen in der langen Entwicklungsgeschichte der Inzeststraftatbestände. Ferner wurde der Inzest für die Deszendenten und derjenige zwischen Geschwistern stets mit weniger harten Sanktionen bedroht als derjenige für die Aszendenten; auch sah man in der deutlichen Mehrzahl der Entwurfs- und Gesetzesfassungen ein Mindestalter für die Strafbarkeit der Deszendenten vor, das auch größtenteils für den Geschwisterinzest galt.

II. Diskontinuität: Beischlaf zwischen Verschwägerten Bei der Strafbarkeit des Verschwägerteninzests ist hingegen – vornehmlich aufgrund der Entwicklung des zwanzigsten Jahrhunderts – eine vollständige Entkriminalisierung zu verzeichnen. Eine erste Bewegung dazu setzte zwar bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein, infolgedessen der Verschwägerteninzest im ALR6, später im bayerischen StGB von 18137 sowie im preußischen Entwurf von 18308 nicht strafbar war. Dieser Zustand war jedoch nur von kurzer Dauer, sodass sich der Verschwägerteninzest in den späteren Strafgesetzen der Territorialstaaten und Preußens sowie im RStGB9 wiederfand. Mit Beginn der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts und insbesondere während der Zeit des Nationalsozialismus, in der eugenische Gesichtspunkte den vorrangigen Strafgrund des Inzestdelikts bildeten, wurde die Strafbarkeit des Verschwägerteninzests vermehrt in Zweifel gezogen. Infolgedessen wurde er in den Entwürfen von 1927 bis zum Entwurf vom 1. Februar 193610, anschließend aber auch ab der ersten Lesung der Großen Strafrechtskommission vom 18. Juni 195911 fortgelassen. Ferner mündeten diese Bestrebungen in einer Verordnung aus dem Jahr 193812, die den Verschwägerteninzest unter gewissen Umständen wieder abschaffte. Im Jahr 1953 wurde diese Verordnung durch das 3. StrÄndG ohne sachliche Änderungen in

5 6 7 8 9 10 11 12

Vgl. Siebentes Kapitel A). Vgl. Zweites Kapitel B) I. Vgl. Zweites Kapitel C) I. 1. Vgl. Zweites Kapitel B) II. 2. Vgl. Zweites und Drittes Kapitel. Vgl. Sechstes Kapitel E) bis Siebentes Kapitel C) III. Vgl. Achtes Kapitel D) VI. Vgl. Siebentes Kapitel E).

Neuntes Kapitel: Résumé

255

§ 173 StGB eingearbeitet13. Durch das 4. StrRG von 1973 wurde der Straftatbestand des Verschwägerteninzests schließlich in allen Fällen aufgehoben14. Der Strafrahmen des Verschwägerteninzests – sofern in den jeweiligen Entwurfs- und Gesetzesfassungen vorgesehen – orientierte sich zumeist an dem Tatbestand des Geschwisterinzests, wurde also mit einer geringeren Strafe bedroht, als der Inzest zwischen Aszendenten und Deszendenten; ferner galt in den meisten Entwurfs- und Gesetzesfassungen das Mindestalter für die Deszendenten und Geschwister auch für die Verschwägerten absteigender Linie.

III. Wiederkehrende Begründungstendenz Betrachtet man bei der Entwicklung der Inzeststraftatbestände die jeweiligen Begründungen der Strafbarkeit, stellt man fest, dass über die Legitimation der Inzeststraftatbestände teilweise keine oder nur ungefähre, jedenfalls überwiegend wechselnde Vorstellungen gemacht worden sind. Abgesehen von den wenigen Ausnahmen in den Entwürfen von 1848 und 1849 der preußischen Gesetzesrevision15 sowie im Alternativ-Entwurf aus dem Jahr 196816 wurden die Inzeststraftatbestände kaum ernsthaft in Frage gestellt, vielmehr in der jeweiligen Epoche einzelnen Begründungen ausgetauscht oder mit einer anderen Priorität versehen, was dann zu den entsprechenden Änderungen führte. So lässt sich auch nicht mit Sicherheit konstatieren, was die Inzeststraftatbestände des § 173 StGB tatsächlich schützen sollten bzw. sollen. Bei näherer Betrachtung der Begründungstendenzen fällt zudem auf, dass die Argumente der Sittenwidrigkeit und des Moralschutzes kontinuierlich zur Begründung der Inzeststrafbarkeit herangezogen worden sind. Innerhalb der Rezeptionsgeschichte wurde das Delikt noch vornehmlich fast ausschließlich unter diesen Gesichtspunkten gerechtfertigt17. Erst in der späteren Entwicklungsgeschichte sind daneben der Familienschutz und eugenische Gesichtspunkte angeführt worden. Zwar ist in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts die Begründungstendenz unter sittlichen und moralischen Gesichtspunkten deutlich in den Hintergrund getreten, gleichwohl wurden zumindest vereinzelt Sitte und Moral genannt. So wurde bspw. noch in der letzten Reform der Inzeststraftatbestände, d.h. während der Entstehung des 4. StrRG der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts, explizit auf die Tabuisierung von 13 14 15 16 17

Vgl. Achtes Kapitel B). Vgl. Achtes Kapitel F) II. Vgl. Zweites Kapitel B) 10. Vgl. Achtes Kapitel E) IV. Vgl. Zweites Kapitel A).

256

Dritter Teil: Schlussbetrachtung

Inzestkindern abgestellt18. Zuletzt fand der Moralschutz sogar in dem Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2008 seinen Niederschlag, insoweit dort von dem „Hintergrund einer kulturhistorisch begründeten, nach wie vor wirkkräftigen gesellschaftlichen Überzeugung von der Strafwürdigkeit des Inzestes“ gesprochen wurde19. Unbestritten dürfte es sein, dass es sich bei der Strafwürdigkeit des Inzests um konventionelle Moralvorstellungen in der Gesellschaft handelt20. Setzt man nun diesen (gesellschaftlichen) Standpunkt in Bezug auf die immer wiederkehrende Begründungstendenz der Sittenwidrigkeit und insbesondere des Moralschutzes und führt sich die umfassende – und auch überzeugende – Kritik an dem Beschluss des BVerfG vor Augen, die sich dezidiert mit den einzelnen durch § 173 StGB (mutmaßlich) geschützten Rechtsgüter auseinandersetzt21, kann man mit Amelung22 zu dem Ergebnis kommen, dass es sich bei den Inzeststraftatbeständen des § 173 StGB „um eine traditionelle Wiederholung einer uralter Moralnorm“ handelt. Für eine bloße Wiederholung der Strafbarkeit in der langen (Entwicklungs-)Geschichte der Inzeststraftatbestände spricht nicht zuletzt, dass, wie eingangs dargelegt, in nahezu keiner Reformdiskussion oder Gesetzgebung – abgesehen von den erwähnten „Ausreißern“ – die Inzeststraftatbestände grundlegend in Frage gestellt wurden, sondern allein Begründungen ergänzt, ausgetauscht oder mit einer anderen Priorität versehen worden sind.

B) Ausblick Die Kritik an der Strafbarkeit des Inzesttatbestandes – aktuell wegen des Beschlusses des BVerfG aus dem Jahr 2008 – reißt nicht ab23. Gleichwohl ist in der Strafgesetzgebung keine Tendenz zur weiteren Entkriminalisierung des Inzests erkennbar. Ganz im Gegenteil ist zurzeit vielmehr davon auszugehen, dass der Beschluss des BVerfG etwaige Vorhaben des Gesetzgebers bereits in ihren Anfängen zu hindern vermag. Ob dennoch die angemeldete Kritik an der 18 19 20

21 22 23

Vgl. Achtes Kapitel F) II. 1. e). BVerfGE 120, S. 224 (S. 248 f.). Nach dem Schriftl. Ber. des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (4. StrRG), BT-Drs. VI, 3521, S. 18 sei die Vorschrift „in hohem Maße traditionsbeladen“ und werde „von der Allgemeinheit als Ausdruck des Familien- und Ehrschutzgedankens betrachtet“. Vgl. Achtes Kapitel G) II. Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 377. Vgl. zu den kritischen Stimmen die Fn. 14 bis 16 und 38 des ersten Kapitels.

Neuntes Kapitel: Résumé

257

Strafbarkeit des Inzests (irgendwann) Gehör finden wird, und ob und inwieweit dies in einer Änderung oder gar Aufhebung der Strafvorschrift des § 173 StGB mündet, bleibt abzuwarten und kann nicht prognostiziert werden. Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang, dass der Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem BVerfG ebenfalls Beschwerde beim EGMR eingelegt hatte. Daraufhin wurde in der Strafrechtsliteratur u.a. prognostiziert, dass der EGMR, auch wenn viele europäische Länder den Inzest nicht unter Strafe stellen, nicht i.S.d. Beschwerdeführers entscheiden werde, da die EMRK recht großzügig in der Bestimmung der Gründe für eine Einschränkung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens sei und nach Art. 8 Absatz 2 EMRK Eingriffe auch zum Schutz der Moral vorgenommen werden dürfen24. Am 12. April 2012 hat der EGMR einstimmig festgestellt, dass durch die Verurteilung des Beschwerdeführers keine Verletzung von Art. 8 EMRK, der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens beinhaltet, vorlag. Denn die deutschen Behörden hätten einen weiten Beurteilungsspielraum gehabt, da zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats kein Konsens hinsichtlich der Frage bestehe, ob einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Geschwistern eine Straftat darstellen. Dabei berücksichtigt der EGMR insbesondere auch die sorgfältige Prüfung durch das BVerfG, die sich in seiner gründlichen Auseinandersetzung mit den rechtlichen Argumenten des Beschwerdeführers zeige und auch darin, dass seinem Urteil eine detaillierte abweichende Meinung eines Richters beigefügt sei25. Nicht unerwähnt soll schließlich bleiben, dass, auch als Konsequenz aus dem Beschluss des BVerfG, auf der Rechtsfolgenseite der Inzeststrafbarkeit andere Lösungsmöglichkeiten als die der Entkriminalisierung vorgeschlagen werden. Frommel und insbesondere Tischler plädieren dafür – bei minder schweren Fällen von Inzest (keine sozial gelebte Familie, getrenntes Aufwachsen bzw. spätes Kennenlernen, Verhütung bzw. Zeugungsunfähigkeit, tragische Geschwisterliebe und drohende zweite Verurteilung)26 –, u.a eine analoge Anwendung von § 174 Absatz 4 StGB (Strafmilderungsmöglichkeit)27, die 24 25

26 27

Marxen, famos 01/2009, S. 1 (S. 6); a.A. Klöpper, das Verhältnis von § 173 StGB zu Art. 6 Abs. 1 GG, S. 133 ff. und Frömling, Ad Legendum 2008, S. 99 (S. 101). EGMR (V. Sektion), Urt. v. 12.4.2012 – 43547/08 (Stübing / Deutschland); auf der Grundlage einer nichtamtlichen Übersetzung des BMJ bearbeitet von Dr. Jens MeyerLadewig, Wachtberg, und Professor Dr. Herbert Petzold, Straßburg. Abgedruckt in NJW 2013, S. 215 ff. Tischler, Der Geschwisterinzest bei über 18-Jährigen, Die Rechtsgüter des § 173 StGB, S. 179. Frommel, NK, § 173 Rdnr. 3; Tischler, Der Geschwisterinzest bei über 18-Jährigen, Die Rechtsgüter des § 173 StGB, S. 157 ff.

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Dritter Teil: Schlussbetrachtung

Einstellung des Verfahrens gemäß §§ 153, 153a StPO28, § 59 StGB29, die Annahme eines Strafklageverbrauchs (über Art. 103 Absatz 3 GG)30 oder das Gnadengesuch31 in Betracht zu ziehen. Der vom BVerfG entschiedene Fall von erwachsenen Geschwistern, die sich erst im Erwachsenenalter kennengelernt haben und bei dem der Bruder sich mittlerweile hat sterilisieren lassen, dem ferner mehrere Verurteilungen drohten, dürfte als ein minder schwerer Fall nach dem Verständnis von Frommel und Tischler einzustufen sein. Gleichwohl wurde das Verfahren nicht nach §§ 153, 153a StPO eingestellt, das Gnadengesuch an den sächsischen Ministerpräsidenten damals abgelehnt32 und auch etwaige andere Lösungsmöglichkeiten noch nicht einmal in Betracht gezogen. Dies lässt den Schluss zu, dass solche Vorschläge auf der Rechtsfolgenseite, wie von Frommel und Tischler angemeldet, zumindest Zweifel an ihrer Praxisrelevanz rechtfertigen und nicht über eine solch „überständige Strafvorschrift“33 wie die des § 173 StGB hinweghelfen werden. Nach alle dem wäre es also wünschenswert, dass bei einer etwaigen Reform der Inzeststrafbestände des § 173 StGB nicht allein einzelne Begründungstendenzen diskutiert, ggf. neu sortiert und mit einer anderen Priorität versehen werden, sondern, wie es in der langen Entwicklungsgeschichte der Inzestdelikts nur sehr selten, und dann auch zumeist nur rudimentär erfolgte, zuvörderst der § 173 StGB dem Grunde nach in Frage gestellt wird.

28 29 30 31 32 33

Tischler, a.a.O., S. 161 ff. Tischler, a.a.O., S. 164. Tischler, a.a.O., S. 164 ff. Tischler, a.a.O., S. 175 ff. Laut einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 9. Mai 2008 wies der sächsische Justizminister Geert Mackenroth (CDU) das Gnadengesuch am 9. Mai 2008 ab. Roxin, StV 2009, S. 544 (S. 550).

ANHANG

Anhang 1: Entwurfs- und Gesetzesfassungen zu den Inzeststraftatbeständen1 A) Zweites Kapitel: Historische Grundlegung2 I. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Zweyter Theil Zwanzigster Titel Von den Verbrechen und deren Strafen 12. Abschnitt: Von fleischlichen Verbrechen Verführung § 1033 Stiefältern, welche ihre Stiefkinder, noch während des Lebens des andern Ehegatten, zur Unzucht verführen, sollen gleiche Strafe leiden. § 1034 Ist dieses (§. 1033.) nach dem Tode des andern Ehegatten geschehen: so findet nur die Hälfte der §. 1032. bestimmten Strafe statt. § 1035 Wenn Stiefkinder mit Stiefältern Unzucht treiben: so wird in der Regel angenommen, daß erste von letzten dazu verführt wurden; und die Stiefkinder sind sodann mit aller Strafe zu verschonen. § 1036 Ist aber das Gegentheil klar: so sollen sowohl die Stiefältern, als die Stiefkinder, im Falle des §. 1033. mit ein- bis zweyjähriger, im Falle des §. 1034. aber mit sechs- bis zwölfmonathlicher Zuchthausstrafe belegt werden. Blutschande § 1039 Aeltern und Großältern, welche ihre eheliche Kinder oder Enkel zur Unzucht mißbrauchen, sollen mit Festungsstrafe, auf drey bis fünf Jahre, belegt werden.

1

2

In der nachfolgenden Übersicht werden die Entwurfsfassungen gemeinsam mit den Gesetzesfassungen wiedergegeben, da die Entwicklung der Inzeststraftatbestände dadurch deutlicher herausgestellt wird. Sofern keine Änderungen erzielt worden sind, wird auf eine Wiedergabe der entsprechenden Fassung verzichtet. Die Darstellung der historischen Grundlegung beschränkt sich hier auf das prStGB nebst Vorläufern (ALR) und Entwürfen, da die Inzeststraftatbestände der Rezeptionsgeschichte sowie der außerpreußischen Strafgesetzgebung für die Entstehung der Inzeststraftatbestände des RStGB nicht von vergleichbarer Bedeutung waren; auch sind sie bereits größtenteils in den Fn. der Abhandlung wiedergegeben.

262

Anhang

§ 1040 In solchem Falle soll gegen die Kinder, welche das achtzehnte Jahr zurückgelegt haben, eine sechsmonathliche bis einjährige Zuchthausstrafe erkannt; jüngere Kinder aber sollen mit der Strafe verschont werden. § 1041 Unzucht unter schon mannbaren ehelichen Geschwistern, voller oder halber Geburt, wird mit Festungs- oder Zuchthausstrafe, auf ein bis zwey Jahre geahndet. § 1042 Blutschande unter unehelichen Verwandten dieser Art, (§. 1039–1041.) soll an demjenigen, welcher die Verwandschaft gewußt hat, willkührlich (§. 35.) bestraft werden. § 1043 In allen vorstehend bestimmten Fällen (§. 1039–1042.) müssen die Personen, welche Blutschande getrieben haben, von einander gänzlich entfernt werden. § 1044 Um aber dergleichen Unheil mit desto mehrerer Sicherheit zu verhüten, sollen Aeltern mit ihren Kindern verschiedenen Geschlechts, die schon zehn Jahr oder darüber alt sind, nicht in Einem Bette schlafen. § 1045 Auch Geschwistern verschiedenen Geschlechts, soll dergleichen Zusammenschlafen, sobald das jüngere das zehnte Jahr vollendet hat, nicht gestattet werden. § 1046 Die Uebertretung dieser Vorschrift ist, so lange noch kein Verbrechen begangen worden, an den Aeltern durch gerichtlichen Verweis, und im Wiederholungsfalle, mit verhaltnißmäßiger willkührlicher Gefängnißstrafe zu ahnden. § 1047 Ist aber zwischen Geschwistern, durch Nachsicht der Aeltern, wirkliche Unzucht veranlaßt worden: so haben letztere, nach Beschaffenheit der Umstände, die den Kindern §. 1040. bestimmte Strafe ganz oder zur Hälfte verwirkt.

II. Preußische Gesetzesrevision 1. Entwurf von 1828 9. Abschnitt: Verbrechen gegen die Sittlichkeit 6. Andere Arten verbotener Unzucht § 14 Unzucht zwischen Stief- oder Schwieger-Eltern und Stief-oder Schwieger-Kindern soll an den ersteren mit sechsmonatlicher bis zweijähriger Arbeitshausstrafe, an den Stiefoder Schwieger-Kindern, jedoch nur dann, wenn dieselben schon über achtzehn Jahre alt sind, mit dreimonatlicher bis einjähriger Gefängnis- oder Arbeitshausstrafe geahndet werden. Ist die That zugleich als Ehebruch strafbar, so kommt die Vorschrift des §. 95. Titel I. zur Anwendung. § 15 Die Hälfte der in dem §. 14. Bestimmten Strafen soll eintreten, wenn die Unzucht zwischen dem einen Ehegatten, und dem mit einem andern Vater, oder einer andern

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

263

Mutter vor dieser Ehe erzeugten unehelichen Kinde des andern Ehegatten statt gefunden, oder wenn Jemand mit dem Ehegatten seines eignen unehelichen Kindes Unzucht getrieben hat. Doch kann in beiden Fällen nur derjenige bestraft werden, welcher bei Verübung der Unzucht das zwischen ihm und dem andern Theile obwaltende, oben bezeichnete Verhältnis gekannt hat. 7. Blutschande § 16 Eltern und Großeltern, welche mit ihren ehelichen Kindern oder Enkeln Unzucht treiben, sind mit vier- bis achtjähriger Zuchthausstrafe zu belegen. Gegen die Kinder oder Enkel ist in diesem Falle, jedoch nur dann, wenn sie schon über achtzehn Jahre alt sind, auf ein- bis vierjährige Arbeitshausstrafe zu erkennen. § 17 Unzucht zwischen ehelichen Geschwistern voller oder halber Geburt soll, jedoch nur an denjenigen von ihnen, welche das achtzehnte Jahr schon zurückgelegt haben, mit sechsmonatlicher bis zweijähriger Arbeitshausstrafe geahndet werden. § 18 Wenn uneheliche Verwandte der in den §§. 16. und 17. bezeichneten Art miteinander Unzucht treiben, so ist gegen diejenigen von ihnen, welche diese Verwandtschaft gewußt haben, auf die Hälfte der vorstehend den ehelichen Verwandten angedrohten Strafen zu erkennen. 2. Entwurf von 1830 9. Abschnitt: Verbrechen gegen die Sittlichkeit 6) Unzucht unter besondern persönlichen Verhältnissen § 282 Unzucht zwischen Stiefeltern und Stiefkindern soll an den ersteren mit Arbeitshausstrafe nicht unter sechs Monaten, an den Stiefkindern aber, jedoch nur dann, wenn sie schon über achtzehn Jahre alt waren, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten, geahndet werden. Ist die That zugleich als Ehebruch strafbar, so kommt die Vorschrift des §. 97. zur Anwendung. § 283 Unzucht zwischen dem einen Ehegatten, und dem unehelichen Kinde des andern, hat gegen den ersteren, so wie gegen das uneheliche Kind, vorausgesetzt, daß letzteres schon über achtzehn Jahre alt war, Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten zur Folge. 7) Blutschande § 284 Eltern und Großeltern, welche mit ihren ehelichen Kindern oder Enkeln Unzucht treiben, sind mit vier- bis achtjähriger Zuchthausstrafe zu belegen. Gegen die Kinder oder Enkel ist in diesem Falle, jedoch nur dann, wenn sie schon über achtzehn Jahre alt waren, auf ein- bis vierjährige Arbeitshausstrafe zu erkennen. § 285 Unzucht zwischen ehelichen Geschwistern voller oder halber Geburt soll mit sechsmonatlicher bis zweijähriger Arbeitshausstrafe geahndet werden.

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Anhang

§ 286 Ist in den Fällen der §§. 284. und 285. das zwischen den mit einander Unzucht treibenden Personen bestehende Verhältnis durch uneheliche Geburt entstanden, so tritt die Hälfte der ebendaselbst bestimmten Strafen ein. 3. Entwurf von 1833 9. Abschnitt: Verbrechen der Unzucht I. Gattungen derselben: 1. Blutschande § 361 Diejenigen, welche mit ihren ehelichen Abkömmlingen den Beischlaf vollziehen, sind mit drei- bis fünfjähriger Zuchthausstrafe zu belegen; gegen letztere findet, jedoch nur, wenn sie bereits volljährig waren, dreimonatliche bis einjährige Gefängnisstrafe Statt. § 362 Der Beischlaf zwischen ehelichen Geschwistern voller oder halber Geburt, soll mit einbis zweijähriger Arbeitshaus- oder Gefängnisstrafe, jedoch wenn beide oder auch nur eins derselben minderjährig waren, nur auf Antrag des Vaters oder des Vormundes bestraft werden. § 363 Wenn das, in den §§. 361. und 362. gedachte, Verwandschafts-Verhältniß ein uneheliches ist; so tritt die Hälfte der dort bestimmten Strafen ein. § 364 Der Beischlaf der Stief- oder Schwieger-Eltern mit Stief- oder Schwieger-Kindern soll an den Eltern mit sechsmonatlicher bis zweijähriger Arbeitshausstrafe, an den Kindern aber, jedoch nur, wenn sie bereits volljährig waren, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten geahndet werden. § 365 Der Beischlaf des einen Ehegatten mit dem unehelichen Kinde des andern hat gegen beide, gegen letzteres jedoch nur, wenn es volljährig war, Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten zur Folge. § 366 In allen obgedachten Fällen bleibt jedoch derjenige straflos, welchem das Verwandschafts-Verhältnis zur Zeit des Beischlafs unbekannt war. 4. Entwurf von 1836 8. Titel: Verbrechen der Unzucht I. Gattungen derselben: 1. Blutschande § 485 (§ 361)–490 (§ 366) – unverändert – 5. Beratungsprotokolle von 1838–1842 a) Fassung des ersten Beratungsbeschlusses 8. Titel: Verbrechen wider die Sittlichkeit § 485 Der Beischlaf zwischen ehelichen Verwandten in auf- und absteigender Linie wird 1. an den erstern mit Zuchthaus auf drei bis fünf Jahre, und 2. an den letztern mit Strafarbeit auf sechs Monate bis zwei Jahre bestraft.

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

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§ 486 Volle und halbbürtige eheliche Geschwister, welche mit einander Beischlaf treiben, sollen mit ein- bis zweijähriger Strafarbeit belegt werden. § 487 Die Hälfte dieser Strafen (§. 485. und §. 486.) tritt ein bei Verübung des Beischlafs zwischen unehelichen Verwandten, jedoch in dem Falle einer unehelichen Verwandtschaft väterlicherseits nur dann, wenn solche durch Anerkenntnis des Vaters oder durch rechtskräftiges Erkenntnis bereits festgestellt ist. § 488 Wenn Stief- oder Schwiegereltern mit ihren Stief- oder Schwiegerkindern den Beischlaf vollziehen, so sind 1. die erstern mit Strafarbeit auf ein bis drei Jahre, 2. die Stief- oder Schwiegerkinder aber mit Gefängnis nicht unter drei Monaten zu bestrafen. § 489 Der Beischlaf des einen Ehegatten mit den unehelichen Kindern des andern, ingleichen der Beischlaf des Vaters oder der Mutter eines unehelichen Kindes mit dessen Ehegatten hat Gefängnisstrafe nicht unter Einem Monate zur Folge. Diese Strafe findet aber im letzten Falle bei der Verübung des Beischlafs durch den Vater nur dann Anwendung, wenn dessen Vaterschaft zu dem unehelichen Kinde nach Vorschrift des § 487 festgestellt ist. § 489a Ist in den Fällen der §§. 485.487.488. und 489. das Kind, mit welchem das Verbrechen verübt worden ist, noch nicht über 16 Jahre alt, so bleibt dasselbe mit Strafe verschont. Ein Gleiches findet in den Fällen der §§. 486. und 487. in Ansehung desjenigen unter den Geschwistern statt, welches noch nicht das vorstehende Alter erreicht hat. b) Fassung der 1. Redaktion 16. Titel: Verbrechen wider die Sittlichkeit 1. Blutschande §§ 360–365 – abgesehen von redaktionellen Änderungen unverändert – c) Fassung der 2. Redaktion 16. Titel: Verbrechen wider die Sittlichkeit 1. Blutschande §§ 360–365 – abgesehen von redaktionellen Änderungen unverändert – d) Fassung der 3. Redaktion 16. Titel: Verbrechen wider die Sittlichkeit 1. Blutschande § 371 (§ 360)–§ 376 (§ 365) – unverändert –

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Anhang 6. Entwurf von 1843 16. Titel: Verbrechen wider die Sittlichkeit

1. Blutschande § 371 (§ 360)–§ 376 (§ 365) – abgesehen von redaktionellen Änderungen unverändert – 7. Entwurf von 1845 8. Titel: Verbrechen wider die Sittlichkeit Blutschande § 160 (§ 371) Der Beischlaf zwischen ehelichen Verwandten in aufsteigender und absteigender Linie ist an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängnis oder Strafarbeit nicht unter drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen. § 161 (§ 372) Der Beischlaf zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen ehelichen Geschwistern soll mit Gefängnis oder Strafarbeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft werden. § 162 (§ 373) Ist das verwandtschaftliche Verhältnis unter den Verwandten in aufsteigender und absteigender Linie oder unter Geschwistern ein uneheliches, und zwar durch die Mutter begründetes, so finden die Strafbestimmungen der vorhergehenden §§. gleichmäßig Anwendung. Ist aber das uneheliche Verwandtschafts-Verhältnis durch den Vater begründet, so ist eine Strafe nur dann anzuwenden, wenn die Verwandtschaft durch Anerkenntnis des unehelichen Vaters festgestellt ist. In diesem Fall sollen die Verwandten der aufsteigenden Linie mit einjähriger bis dreijähriger Zuchthausstrafe und die Verwandten der absteigenden Linie mit Gefängnis oder Strafarbeit von sechs Wochen bis zu Einem Jahre bestraft werden. Die letzte Strafe ist auch auf den Beischlaf unter unehelichen, durch den Vater verwandten Geschwistern anzuwenden, jedoch nur, wenn die Verwandtschaft durch Anerkenntnis des Vaters festgestellt ist. § 163 (§ 374) Der Beischlaf unter Stiefeltern und Stiefkindern, so wie der Beischlaf unter Schwiegereltern und Schwiegerkindern soll mit Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder Strafarbeit von zwei Monaten bis zu drei Jahren bestraft werden. § 164 (§ 375) Der Beischlaf eines Ehemannes mit der unehelichen Tochter der Frau, so wie der Beischlaf der Mutter einer unehelichen Tochter mit deren Ehegatten, ist mit Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder mit Strafarbeit von zwei Monaten bis zu drei Jahren zu belegen. Der Beischlaf des vom Vater anerkannten unehelichen Sohnes mit der Ehefrau des Vaters, so wie der Beischlaf eines Vaters mit der Ehefrau seines von ihm anerkannten unehelichen Sohnes ist mit Gefängnis von Einem Monat bis zu Einem Jahre zu bestrafen. § 165 Die Strafe des Beischlafs zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, so wie des Beischlafs zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern wird dadurch nicht ausgeschlossen,

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

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daß die Ehe, wodurch das Verhältnis unter den Angeschuldigten begründet wurde, schon vor der That durch Tod oder Scheidung aufgelöset war. 8. Entwurf von 1846 9. Titel: Verbrechen wider die Sittlichkeit Blutschande § 159 (§ 160) Der Beischlaf zwischen ehelichen Verwandten in aufsteigender und absteigender Linie ist an den ersteren mit Zuchthaus zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängnis nicht unter drei Monaten oder mit Strafarbeit bis zu zwei Jahren zu bestrafen. § 160 (§ 161) Der Beischlaf zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen ehelichen Geschwistern soll mit Gefängnis nicht unter drei Monaten oder mit Strafarbeit bis zu zwei Jahren bestraft werden. § 161 (§ 162) Ist das verwandtschaftliche Verhältnis unter den Verwandten in aufsteigender und absteigender Linie oder unter Geschwistern ein uneheliches, und zwar durch die Mutter begründetes, so finden die Strafbestimmungen der vorhergehenden §§. gleichmäßig Anwendung. Ist aber das uneheliche Verwandtschaftsverhältnis durch den Vater begründet, so ist eine Strafe nur dann anzuwenden, wenn die Verwandtschaft durch Anerkenntnis des Vaters festgestellt ist. In diesem Fall sollen die Verwandten der aufsteigenden Linie mit Zuchthaus bis zu drei Jahren und die Verwandten der absteigenden Linie, so wie die Geschwister, mit Gefängnis von sechs Wochen bis zu Einem Jahre oder mit Strafarbeit bis zu Einem Jahre bestraft werden. § 162 (§ 163) Der Beischlaf zwischen Stiefältern und Stiefkindern, so wie der Beischlaf zwischen Schwiegerältern und Schwiegerkindern, soll mit Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder mit Strafarbeit bis zu drei Jahren bestraft werden. § 163 (§ 164) Der Beischlaf eines Ehemannes mit der unehelichen Tochter der Frau, so wie der Beischlaf der Mutter einer unehelichen Tochter mit deren Ehegatten, ist mit Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder mit Strafarbeit bis zu drei Jahren zu bestrafen. Der Beischlaf des vom Vater anerkannten unehelichen Sohnes mit der Ehefrau des Vaters, so wie der Beischlaf eines Vaters mit der Ehefrau seines von ihm anerkannten unehelichen Sohnes, ist mit Gefängnis von Einem Monat bis zu Einem Jahre zu bestrafen. 9. Entwurf von 1847 9. Titel: Verbrechen wider die Sittlichkeit Blutschande §§ 162–166 – abgesehen von redaktionellen Änderungen unverändert –

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Anhang 10. Entwurf von 1848 8. Titel: Verbrechen gegen die Sittlichkeit

§ 101 Mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren, sowie mit zeitiger Untersagung der Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte werden bestraft: I) Eltern, welche mit ihren minderjährigen Kindern, – Vormünder, welche mit ihren Pflegebefohlenen – Lehrer, Geistliche und Erzieher, welche mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen eine unzüchtige Handlung treiben, oder dieselben zur Verübung oder zur Duldung einer unzüchtigen Handlung verleiten; […]: 11. Entwurf von 1849 10. Titel: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit Art. 10 – unverändert – 12. Entwurf von 1850/1851 11. Titel: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit § 130 Die Unzucht zwischen leiblichen Eltern und Kindern wird an den Ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den Letzteren, wenn sie das sechzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft. Die Unzucht zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern wird mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft. Auch kann zugleich auf die zeitige Untersagung der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.

III. Preußisches Strafgesetzbuch von 1851 12. Titel: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit § 141 Die Unzucht zwischen leiblichen Eltern und Kindern wird an den Ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den Letzteren, wenn sie das sechzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft. Die Unzucht zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern wird mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft. Auch kann zugleich auf die zeitige Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Stiefkinder bleiben straflos, wenn sie das sechszehnte Lebensjahr noch nicht zurück gelegt haben.

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

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B) Drittes Kapitel: Reichsstrafgesetzbuch I. Der Entwurf John (Oktober 1868) 12. Titel: Verbrechen gegen die Sittlichkeit § 107 Die Unzucht zwischen leiblichen Eltern und Kindern wird an den Ersteren mit Gefängniß nicht unter drei Monaten oder mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den Letzteren mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Die Unzucht zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. Es kann zugleich auf Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.

II. Der Entwurf Friedberg (Juli 1869) 14. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit § 150 (1) Der Beischlaf zwischen leiblichen Eltern und Kindern, wird an den Ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den Letzteren, wenn sie das sechzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Auch kann in allen Fällen auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Stiefkinder bleiben straflos, wenn sie das sechszehnte Lebensjahr noch nicht zurück gelegt haben.

III. Beratungen der Bundesratskommission (1869 bis 1870) 1. Erste Lesung (I. Entwurf) 14. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit § 168 (1) Der Beischlaf zwischen Blutsverwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Leibliche und Stief-Verwandte absteigender Linie sind straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. 2. Zweite Lesung (II. Entwurf) 13. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit § 171 (1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.

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Anhang

(2) Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben. 3. Reichstagsvorlage (III. Entwurf) 13. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit § 171 – unverändert – 4. Reichstagsberatungen 13. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit § 173 – unverändert –

IV. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund (Mai 1870) 13. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit § 173 – unverändert –

V. Reichsstrafgesetzbuch (Mai 1871) 13. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit § 173 – unverändert –

C) Fünftes Kapitel: Beginn der Strafrechtsreform I. Vorentwurf von 1909 20. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit Blutschande § 249 Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängnis bis zu zwei Jahren, der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie können straflos gelassen werden, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

II. Gegenentwurf von 1911 15. Abschnitt: Verletzung der Sittlichkeit Blutschande § 244 Der Beischlaf von Verwandten aufsteigender mit Verwandten absteigender Linie wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft.

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

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Der Beischlaf von Verwandten absteigender mit Verwandten aufsteigender Linie und der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie sowie zischen Geschwistern wird mit Gefängnis bestraft. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben.

III. Der Entwurf der Strafrechtskommission von 1913 1. Erste Lesung (Entwurf 1913 I) 20. Abschnitt: Verletzung der Sittlichkeit Blutschande § 297 Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden bestraft Geschwister sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Gegenüber einem Verwandten oder Verschwägerten absteigender Linie, der zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt war, kann von Strafe abgesehen werden. 2. Zweite Lesung (Entwurf 1913 II) 20. Abschnitt: Verletzung der Sittlichkeit Blutschande § 297a Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden bestraft Geschwister sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, bleiben straflos. 3. Dritte Lesung (Entwurf 1913 III / Kommissionsentwurf) 20. Abschnitt: Verletzung der Sittlichkeit Blutschande § 317 – unverändert –

IV. Entwurf von 1919 22. Abschnitt: Sittlichkeitsverbrechen Blutschande § 319 Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden bestraft Geschwister sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

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Anhang

Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei.

V. Gegenvorschläge Österreichs zum Entwurf von 1919 22. Abschnitt: Straftaten gegen die Sittlichkeit Blutschande § 322 Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit strengem Gefängnis bis zu zehn Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden bestraft, Geschwister, sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind nicht strafbar, wenn sie zur Tat verführt worden sind.

D) Sechstes Kapitel: Weimarer Republik I. Entwurf von 1922 (Entwurf Radbruch) 20. Abschnitt: Unzucht Blutschande § 256 Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit strengem Gefängnis bis zu zehn Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei, wenn sie zu der Tat verführt worden sind.

II. Entwurf von 1925 21. Abschnitt: Unzucht Blutschande § 263 Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister sowie Verschwägerte auf- und absteigender Linie bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte und Verschwägerte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei, wenn sie zu der Tat verführt worden sind.

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

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III. Gegen-Entwurf des Kartells für Reform des Sexualstrafrechts 21. Abschnitt: Verbotene geschlechtliche Handlungen Beischlaf zwischen Verwandten § 263 Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht oder eine beischlafartige Handlung begeht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Hat der Verwandte das sechszehnte Jahr noch nicht vollendet, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünf Jahren.

IV. Beschlüsse der Reichsratsausschüsse in 1. Lesung 21. Abschnitt: Unzucht Blutschande § 263 Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei, wenn sie zu der Tat verführt worden sind.

V. Entwurf von 1927 (Reichstagsvorlage) 21. Abschnitt: Unzucht Blutschande § 290 – unverändert –

VI. Ausschussberatungen (81. Sitzung des 21. Ausschusses) 21. Abschnitt: Unzucht Blutschande § 290 Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei.

VII. Entwurf von 1930 (Entwurf Kahl) 21. Abschnitt: Unzucht Blutschande § 290 – unverändert –

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Anhang E) Siebentes Kapitel: Zeit des Nationalsozialismus I. Entwurf von 1933 21. Abschnitt: Unzucht

Blutschande § 290 Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch jugendlich waren, sind straffrei.

II. Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission 1933/1934 (1. Lesung) 5. Titel: Unzucht Blutschande § 84 (bisher § 296) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei.

III. Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission 1935/1936 (2. Lesung) 1. Stand 15. Juli 1935 9. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit Blutschande § 215 Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bestraft. Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei.

Blutschande § 216 – unverändert –

2. Stand 1. Februar 1936 9. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

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IV. Die Überprüfung der in zweiter Lesung gefasster Beschlüsse 1. Stand 1. Mai 1936 9. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit Blutschande § 216 – unverändert – Beischlaf zwischen Verschwägerten § 216 a Wer mit einem Verschwägerten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft. Bestrafung tritt nicht ein, wenn die die Schwägerschaft begründende Ehe zur Zeit der Tat nicht mehr bestand. In besonders leichten Fällen, insbesondere wenn die häusliche Gemeinschaft der die Schwägerschaft vermittelnden Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war, kann von Strafe abgesehen werden. Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. 2. Stand 1. Juli 1936 9. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit Blutschande § 221 – unverändert – Beischlaf zwischen Verschwägerten 222 – unverändert –

V. Entwurf von 1936 (Dezember) 9. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit Blutschande § 213 – unverändert – Beischlaf zwischen Verschwägerten § 214 Wer mit einem Verschwägerten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft. Bestrafung tritt nicht ein, wenn die die Schwägerschaft begründende Ehe zur Zeit der Tat nicht mehr bestand. In besonders leichten Fällen, insbesondere wenn die häusliche Gemeinschaft der die Schwägerschaft vermittelnden Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war, kann der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen.

276

Anhang

Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei.

VI. Entwürfe von 1937 bis 1939 1. Stand 5. Mai 1937 9. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit Blutschande § 213 – unverändert – Beischlaf zwischen Verschwägerten § 214 – unverändert – 2. Stand 22. Juni 1937 9. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit Blutschande § 213 – unverändert – Beischlaf zwischen Verschwägerten § 214 – unverändert –

Blutschande § 213 – unverändert –

3. Stand Oktober 1937 9. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit

Beischlaf zwischen Verschwägerten § 214 – unverändert –

Blutschande § 213 – unverändert –

4. Stand Juni 1938 9. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit

Beischlaf zwischen Verschwägerten § 214 Wer mit einem Verschwägerten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft. Bestrafung tritt nicht ein, wenn die die Schwägerschaft begründende Ehe zur Zeit der Tat nicht mehr bestand oder dem Täter die Genehmigung zur Eheschließung mit dem Verschwägerten erteilt worden ist.

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

277

In besonders leichten Fällen, insbesondere wenn die häusliche Gemeinschaft der die Schwägerschaft vermittelnden Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war, kann der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen. Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei.

Blutschande § 219 – unverändert –

5. Stand April 1939 10. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit

Beischlaf zwischen Verschwägerten § 220 Wer mit einem Verschwägerten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft. Bestrafung tritt nicht ein, wenn die die Schwägerschaft begründende Ehe zur Zeit der Tat nicht mehr bestand. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn nach ihrer Begehung Befreiung vom Eheverbot wegen Schwägerschaft erteilt worden ist. In besonders leichten Fällen, insbesondere wenn die häusliche Gemeinschaft der die Schwägerschaft vermittelnden Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war, kann der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen. Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei.

Blutschande § 219 – unverändert –

6. Stand Juni 1939 10. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit

Beischlaf zwischen Verschwägerten § 220 – unverändert – 7. Stand Dezember 1939 10. Abschnitt: Angriffe auf die Sittlichkeit Blutschande § 223 – unverändert – Beischlaf zwischen Verschwägerten § 224 – unverändert –

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Anhang VII. Verordnung vom 23. April 19383

§4 In den Fällen des § 173 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs tritt Bestrafung nicht ein, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat nicht mehr bestand; das Gericht kann von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Ehehindernis des § 1310 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erteilt ist.

F) Achtes Kapitel: Reformdiskussion und Gesetzgebung nach 1945 I. Drittes Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 Art. 1 Änderungen des Strafgesetzbuches Das Strafgesetzbuch wird wie folgt geändert und ergänzt: 22. § 173 StGB wird wie folgt geändert: a) Absatz 2 erhält folgende Fassung: (2) Der Beischlaf zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso wird der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie bestraft, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht. b) Folgender Absatz 5 wird eingefügt: (5) Im Falle des Beischlafs zwischen Verschwägerten kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden ist.

II. Bekanntmachung des Strafgesetzbuchs vom 25. August 1953 13. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit § 173 (1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso wird der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie bestraft, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht. (3) Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben. (5) Im Falle des Beischlafs zwischen Verschwägerten kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben 3

Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderungen und Ergänzungen familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 23. April 1938.

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

279

war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden ist.

III. Beratungen der Großen Strafrechtskommission ab 1954 1. Regelungsvorschläge der III. Unterkommission im Umdruck R 98 (Fassungsvorschläge von Mezger und Baldus) Unzucht § h Blutschande (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. § i Beischlaf zwischen Verschwägerten (1) Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender oder absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft; Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (2) Das Gericht kann von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. (3) Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn die Verschwägerten die Ehe unter Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft geschlossen haben. 2. Arbeitsentwurf der III. Unterkommission (Umdruck V 28) Strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie § a Blutschande (1) 1. Alternative (Mehrheitsvorschlag): Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis nicht unter einem Jahr bestraft. Der Versuch ist strafbar. Wird die Tat an einem Verwandten unter achtzehn Jahren oder durch Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren. 2. Alternative (Mezger): Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Jahr bestraft. Wird die Tat an einem Verwandten unter achtzehn Jahren oder durch Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen, so kann auf Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren erkannt werden. 3. Alternative (Gallas): Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis nicht unter einem Jahr bestraft.

280

Anhang

(2) 1. Alternative (Mehrheitsvorschlag): Im Falle des Absatzes 1 Satz 1 und 2 ist die Aberkennung der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und der Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen (§ 47 Abs. 3), zulässig, wenn auf Gefängnisstrafe von mindestens drei (zwei) Jahren erkannt ist. 2. Alternative (Gallas): Eine Vorschrift i.S.d. 1. Alternative wird nicht aufgenommen. (3) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (4) Verwandte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. § b Beischlaf zwischen Verschwägerten 1. Alternative: (1) Wer mit einem Verschwägerten aufsteigender oder absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft; Verschwägerte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (2) Das Gericht kann von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. (3) Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn die Verschwägerten die Ehe unter Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft geschlossen haben. 2. Alternative (Mehrheitsvorschlag): Eine Vorschrift i.S.d. 1. Alternative wird nicht angenommen. 3. Vorläufige Zusammenstellung Straftaten gegen Ehe und Familie § 379 Blutschande – unverändert – § 380 Beischlaf zwischen Verschwägerten – unverändert – 4. Fassungsvorschläge der Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums im Umdruck J 81 Straftaten gegen Ehe und Familie § 379 Blutschande (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (4) Neben Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer im Absatz 1 bezeichneten Tat kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 47 Abs. 3).

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

281

§ 380 Beischlaf zwischen Verschwägerten (1) Wer mit einem Verwandten aufsteigender oder absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, solange die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, besteht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Strafhaft bestraft. (2) Verschwägerte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (3) Das Gericht kann von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. (4) Die Tat wird nicht verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden ist. 5. Vorschläge der Unterkommission nach Ergänzung und Einarbeitung der Ergebnisse der 87. Sitzung der Vollkommission (Umdruck U 68) Straftaten gegen Ehe und Familie § 379 Blutschande (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren. Ein minder schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt ist. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Alternative: Verwandte, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. Alternative: Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (4) Neben Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer im Absatz 1 bezeichneten Tat kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 47 Abs. 3). 6. Umdruck K 68 Straftaten gegen Ehe und Familie § 379 Blutschande – unverändert – 7. Entwurf von 1959 a) 1. Lesung (Entwurf von 1959 I) 2. Titel: Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand Blutschande § 199 (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. Ein minder schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt ist.

282

Anhang

(2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (4) Neben einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer in Absatz 1 bezeichneten Straftat kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 48 Abs. 1). b) 2. Lesung (Entwurf von 1959 II) 2. Titel: Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand Blutschande § 192 (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. Ein minder schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt ist. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. (4) Neben einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer in Absatz 1 bezeichneten Straftat kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 47 Abs. 1).

IV. Entwurf von 1960 2. Titel: Straftaten gegen Ehe, Familie, und Personenstand Blutschande § 192 (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. Ein minder schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt ist. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei.

V. Entwurf von 1962 2. Titel: Straftaten gegen Ehe, Familie, und Personenstand Blutschande § 192 (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Gefängnis von einem Jahr

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

283

bis zu fünf Jahren bestraft. Ein minder schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn der Verwandte absteigender Linie noch nicht sechzehn Jahre alt ist. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie, die zur Zeit der Tat noch nicht sechzehn Jahre alt waren, sind straffrei.

VI Alternativ-Entwurf von 1968 B. Sexualdelikte § B 4 Sexueller Mißbrauch von Kindern (2) Hat der Täter 1. mit dem Kind den Beischlaf vollzogen, 2. das Kind bei der Tat körperlich schwer mißhandelt, 3. das Kind während längerer Zeit wiederholt mißbraucht oder 4. die Tat mit seinem leiblichen Kind, Adoptivkind oder Stiefkind oder mit einem ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertrauten Kind begangen, ist die Strafe… § B 5 Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen (1) Wer an 1. einem Minderjährigen zwischen 14 und 16 Jahren, der ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, 2. einem Minderjährigen zwischen 16 und 21 Jahren, der ihm in der genannten Weise anvertraut ist und den er sich unter Mißbauch der Abhängigkeit gefügig macht, oder 3. seinem minderjährigen leiblichen Kind, Adoptivkind oder Stiefkind über 14 Jahren sexuelle Handlungen von einiger Erheblichkeit vornimmt oder solche Handlungen an sich von dem Minderjährigen vornehmen läßt, wird mit … bestraft. Ebenso wird bestraft, wer unmittelbar vor dem Minderjährigen und auf ihn bezogen sexuelle Handlungen von einiger Erheblichkeit vornimmt oder solche Handlungen vor sich von dem Minderjährigen vornehmen läßt.

VII. Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 Artikel 8 Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte Soweit Vorschriften den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte vorschreiben oder zulassen, treten sie außer Kraft.

VIII. Bekanntmachung des Strafgesetzbuchs vom 1. September 1969 13. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeiten § 173 StGB (1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.

284

Anhang

(2) Der Beischlaf zwischen Geschwistern wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso wird der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie bestraft, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht. (3) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben. (4) Im Falle des Beischlafs zwischen Verschwägerten kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden ist.

IX. Viertes Strafrechtsreformgesetz vom 23. November 1973 1. Regierungsentwurf 12. Abschnitt: Straftaten gegen Ehe und Familie § 173 (1) Wer mit einem Verwandten ab- oder aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (2) Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie und Geschwister, die zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren, sind straffrei. 2. Stellungnahme des Bundesrats § 173 (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. 3. Ausschussfassung erster Lesung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform § 173 Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie und Geschwister sind straffrei, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren. 4. Ausschussfassung zweiter Lesung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform § 173 Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

Anhang 1:Entwurfs- und Gesetzesfassungen

285

(3) Verwandte absteigender Linie und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.

X. Bekanntmachung des Strafgesetzbuchs vom 2. Januar 1975 12. Abschnitt: Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie § 173 Beischlaf zwischen Verwandten – unverändert –

XI. Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976 Art. 6 Änderung des Strafgesetzbuchs Das Strafgesetzbuch wird wie folgt geändert: 3. § 173 StGB wird wie folgt geändert: a) In Absatz 1 werden die Worte „Verwandten absteigender Linie“ durch die Worte „leiblichen Abkömmling“ ersetzt; b) Absatz 2 erhält folgende Fassung: (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. c) In Absatz 3 werden die Worte „Verwandte absteigender Linie“ durch das Wort „Abkömmlinge“ ersetzt.

XII. Bekanntmachung der Neufassung des Strafgesetzbuchs vom 10. März 1987 12. Abschnitt: Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie § 173 Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.

Anhang 2: Historische Entwicklung der Inzeststraftatbestände seit 18701 A) 15. Mai 1870: RGBl. 1871, S. 127 Gesetz betreffend die Redaktion des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich 13. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit

§ 173 (1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben.

B) 23. April 1938: RGBl. I 1938, S. 417 Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderungen und Ergänzungen familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen

§4 In den Fällen des § 173 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs tritt Bestrafung nicht ein, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat nicht mehr bestand; das Gericht kann von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Ehehindernis des § 1310 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erteilt ist.

C) 4. August 1953: BGBl. 1953 I, S. 735 Drittes Strafrechtsänderungsgesetz (3. StrÄndG)

Art. 1 Änderungen des Strafgesetzbuches Das Strafgesetzbuch wird wie folgt geändert und ergänzt: 22. § 173 StGB wird wie folgt geändert: a) Absatz 2 erhält folgende Fassung: (2) Der Beischlaf zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso wird der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie bestraft, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht.

1

In der nachfolgenden Übersicht werden allein die Gesetzesfassungen, Änderungsgesetze und Neubekanntmachungen der Inzeststraftatbestände seit 1870 wiedergegeben; diejenigen vor 1870 finden sich in den Fn. der Abhandlung bzw. teilweise im Anhang 1.

Anhang 2:Historische Entwicklung seit 1870

287

b) Folgender Absatz 5 wird eingefügt: (5) Im Falle des Beischlafs zwischen Verschwägerten kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden ist.

D) 25. August 1953: BGBl. 1953 I, S. 1083 (Nr. 55) Neubekanntmachung des Strafgesetzbuchs

13. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit § 173 (1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso wird der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie bestraft, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht. (3) Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben. (5) Im Falle des Beischlafs zwischen Verschwägerten kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden ist.

E) 25. Juni 1969: BGBl. 1969 I, S. 645 (Nr. 52) Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. StrRG)

Artikel 8 Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte Soweit Vorschriften den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte vorschreiben oder zulassen, treten sie außer Kraft.

F) 1. September 1969: BGBl. 1969 I, S. 1445 (Nr. 88) Bekanntmachung der Neufassung des Strafgesetzbuches 13. Abschnitt: Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeiten

§ 173 StGB (1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Geschwistern wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso wird der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie bestraft, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht. (3) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben.

288

Anhang

(4) Im Falle des Beischlafs zwischen Verschwägerten kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden ist.

G) 23. November 1973: BGBl. 1973 I, S. 1725 (Nr. 98) Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG)

Artikel 1 Änderung des Strafgesetzbuches Das Strafgesetzbuch wird wie folgt geändert: 15. § 173 wird in den Zwölften Abschnitt des Zweiten Teils eingestellt und erhält folgende Fassung: § 173 Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.

H) 2. Januar 1975: BGBl. 1975 I, S. 1 (Nr. 1) Bekanntmachung des Strafgesetzbuches (StGB)

12. Abschnitt: Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie § 173 Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wir mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.

I) Bl. 1976 I, S. 1749 (Nr. 78) Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz)

Art. 6 Änderung des Strafgesetzbuchs Das Strafgesetzbuch wird wie folgt geändert: 3. § 173 StGB wird wie folgt geändert: a) In Absatz 1 werden die Worte „Verwandten absteigender Linie“ durch die Worte „leiblichen Abkömmling“ ersetzt; b) Absatz 2 erhält folgende Fassung: (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch

Anhang 2:Historische Entwicklung seit 1870

289

dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.“ c) In Absatz 3 werden die Worte „Verwandte absteigender Linie“ durch das Wort „Abkömmlinge“ ersetzt.

J)10. März 1987: BGBl. 1987 I, S. 945 (Nr. 22) Bekanntmachung der Neufassung des Strafgesetzbuches

12. Abschnitt: Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie § 173 Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.

Quellenverzeichnis1 A) Unveröffentlichte Quellen 1 1.1

1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7

1.8

1.9

1

Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde R 3001/20855 (alt R 22/855) Reichsjustizministerium. Generalakte zur Strafrechtsreform. Bd. 4: 1937 bis 1939. Darin: Stellungnahme des Reichsministers Dr. Frank zum amtlichen Entwurf eines deutschen Strafgesetzbuches. R 3001/11454 Merkblätter des Preußischen Justizministeriums Ref. Entw. Bes. Teil. Abschnitt 25–36 Strafgesetzbuch. R 3001/21777/5811 Reichsjustizministerium. Generalakte zur Strafrechtsreform (Bd. 7). September 1921 bis September 1923. R 3001/21783/5821 Reichsjustizministerium. Generalakte zur Strafrechtsreform. Januar 1928 bis November 1928. R 3001/21786/5825 Reichsjustizministerium. Generalakte zur Strafrechtsreform. März 1931 bis September 1933. R 3001/21803/5870 Reichsjustizministerium. Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuches – 1. Lesung der Strafrechtskommission von 1906 bis 1908. R 3001/21804/5875 Reichsjustizministerium. Gesamtredaktion des Entwurfs eines neuen Deutschen Strafgesetzbuches nach den Beschlüssen der Strafrechtskommission in 2. Lesung von 1909. R 3001/21822/5915 Reform des Strafrechts. Österreichische Vorschläge. Dezember 1921 bis Juli 1922. Äußerungen der Landesregierungen, Reichsministerien und Einzelpersonen auf die Rundschreiben vom 17.06.1921, 02.12.1921 und 01.03.1922 zum Entwurf eines Strafgesetzbuches. Oktober 1921 bis Juli 1922. R 3001/21823/5917 Bemerkungen des Hofrats (Wien) Kadečka zur Begründung des Strafgesetzentwurfs, Februar 1925 bis Mai 1925. Stellungnahme des Reichsjustizministeriums zu den Bemerkungen aus Österreich zum deutschen Strafgesetzentwurf. März 1925 bis Juli 1926. Kommission zur Revision des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, Juni 1910 bis Januar 1912. Im nachfolgenden Quellenverzeichnis werden die unveröffentlichten Quellen nach fortlaufenden Aktenzeichen, die veröffentlichten Quellen in historischer Reihenfolge wiedergegeben.

Quellenverzeichnis

291

1.10

R 3001/21839/5969 Kommission zur Aufstellung des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zu einem Deutschen Strafgesetzbuch – Begründung der Beschlüsse. Fortführung der Strafrechtsreform. Berichte April 1918 bis November 1919.

2 2.1

Bundesarchiv Koblenz B 141/17156 Bundesjustizministerium. Strafrechtsreform. Mitarbeit verschiedener Stellen, Materialien, Rechtsvergleichende Gutachten und Stellungnahmen. Mitarbeit der Landesjustizverwaltungen (Länderkommission). – Arbeitstagungen u.a. Bd. 1: 1953 bis 1959. B 141/17198 Bundesjustizministerium. Strafrechtsreform. Mitarbeit verschiedener Stellen, Materialien, Rechtsvergleichende Gutachten und Stellungnahmen. Beteiligung des Strafrechtsausschusses der Deutschen Rechtsanwaltskammer. Bd. 1: 1953 bis 1954. B 141/17202 Bundesjustizministerium. Strafrechtsreform. Mitarbeit verschiedener Stellen, Materialien, Rechtsvergleichende Gutachten und Stellungnahmen. Strafrechtsreform-Kommission beim Bundesgerichtshof. B 141/17264 Bundesjustizministerium. Die Große Strafrechtskommission. Diskussion des Gesamtentwurfs eines Strafgesetzbuches (E 1959). Bd. 5: 1959 bis 1959. Enthält: Stellungnahmen der Landesjustizverwaltungen. B 141/33558 Bundesjustizministerium. Strafrechtsreform. Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 (Reform des Sexualstrafrechts). Entwürfe und Stellungnahmen. Bd. 21. 1973. B 141/33559 Bundesjustizministerium. Strafrechtsreform. Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 (Reform des Sexualstrafrechts). Entwürfe und Stellungnahmen. Bd. 22. 1973. Enthält u.a. Anrufung des Vermittlungsausschusses. B 141/33560 Bundesjustizministerium. Strafrechtsreform. Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 (Reform des Sexualstrafrechts). Entwürfe und Stellungnahmen. Bd. 23. 1973 bis 1976. B 141/90229 Bundesjustizministerium. Strafrechtsreform. Einzelne Straftatbestände. Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand. Blutschande. Beischlaf zwischen Verschwägerten. N 1151/Nachlaß Lüders VI. Juristisches Material, insbesondere Strafrechtsreform. 131: Eingaben zur Strafrechtsreform 1953/1954.

2.2

2.3

2.4

2.5

2.6

2.7

2.8

2.9

292

Anhang B) Veröffentlichte Quellen

1 1.1 1.1.1

1.1.2

1.1.3 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.2.1 1.2.2.2 1.2.2.3

Deutsches Partikularrecht Quellensammlungen Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher, hrsg. von Melchior Stenglein. Erstes Bändlein: Bayern, Oldenburg, Sachsen-Altenburg, Württemberg, Braunschweig. Zweites Bändlein: Hannover, Hessen-Darmstadt und Frankfurt, Baden, Nassau. Drittes Bändlein: Thüringisches Strafgesetzbuch, Preußen, Österreich, Sachsen. München 1858. Gesetzrevision (1825–1848), hrsg. von Werner Schubert und Jürgen Regge: I. Abteilung Straf- und Strafprozeßrecht, Quellen zur preußischen Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts – Bd. 1: Strafrecht (Ministerium Danckelmann; 1827–1830). Liechtenstein 1981. – Bd. 2: Straf- und Strafprozeßrecht (Ministerium Danckelmann; 1828–1830). Liechtenstein 1982. – Bd. 3: Straf- und Strafprozeßrecht (Ministerium Kamptz; 1833–1837). Liechtenstein 1984. – Bd. 4: Protokolle der Kommission des Staatsrats über die Beratungen des Revidierten Entwurfs eines Strafgesetzbuchs von 1836 (Ministerien Kamptz und Savigny; 1838–1842). 1. Halbbd. 2. Halbbd. Liechtenstein 1993. – Bd. 5: Entwurf des Strafgesetzbuchs von 1843, Revision des Entwurfs des Strafgesetzbuchs von 1843 und Revidierter Entwurf der Strafprozeßordnung von 1841 (Ministerium Kamptz und Savigny). Liechtenstein 1994. – Bd. 6: Entwurf eines Strafgesetzbuchs (1845–1848). 1. Halbbd. 2. Halbbd. Liechtenstein 1996. Kodifikationsgeschichte Strafrecht. Hrsg. von Werner Schubert, Jürgen Regge, Werner Schmid und Rainer Schröder (diverse Strafgesetzbücher). Einzelquellen (alphabetisch sortiert nach Region) Großherzogthum Baden Strafgesetzbuch für das Großherzogthum Baden vom 6. Mai 1845, abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 2 Nr. VIII. Königreich Bayern Entwurf des Gesetzbuchs über Verbrechen und Vergehen für das Königreich Baiern, München 1810, abgedruckt in: Kodifikationsgeschichte Strafrecht, Frankfurt a. M. 1988 (s. 1.1.3). Bayerisches Strafgesetzbuch vom 6. Mai 1813, abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 1 Nr. I. Entwurf eines Strafgesetzbuchs, München 1822, abgedruckt in: Kodifikationsgeschichte Strafrecht, Frankfurt a. M. 1988 (s. 1.1.3).

Quellenverzeichnis 1.2.2.4

293

Revidierter Entwurf des Straf-Gesetzbuches, Motive zum revidierten Entwurfe des Straf-Gesetzbuches, München 1827, abgedruckt in: Kodifikationsgeschichte Strafrecht, Frankfurt a. M. 1988 (s. 1.1.3). 1.2.2.5. Entwurf des Straf-Gesetzbuches, Motive zum Entwurfe des StrafGesetzbuches, München 1831, abgedruckt in: Kodifikationsgeschichte Strafrecht, Frankfurt a. M. 1988 (s. 1.1.3). 1.2.2.6. Entwurf des Gesetzbuches über Verbrechen und Vergehen. Nebst Motiven, Beiträge zur Begutachtung des Entwurfs des Gesetzbuches über Verbrechen und Vergehen für das Königreich Bayern vom Jahre 1854, München 1853/1854, abgedruckt in: Kodifikationsgeschichte Strafrecht, Frankfurt a. M. 1989 (s. 1.1.3). 1.2.2.7 Entwurf des Strafgesetzbuches für das Königreich Bayern, München 1860, abgedruckt in: Kodifikationsgeschichte Strafrecht, Frankfurt a. M. 1989 (s. 1.1.3). 1.2.2.8 Das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern sammt dem Gesetze vom 10. November 1861 zur Einführung des Strafgesetzbuchs und des Polizeistrafgesetzbuchs, erläutert von Ludwig Weis, Zweiter Bd., Nördlingen 1865, abgedruckt in: Kodifikationsgeschichte Strafrecht, Frankfurt a. M. 1989 (s. 1.1.3). 1.2.3 Herzogthum Braunschweig Criminalgesetzbuch für das Herzogthum Braunschweig vom 10. Juli 1840 (= Criminalgesetzbuch für das Fürstenthum Lippe-Detmold vom 18. Juli 1843), abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 1 Nr. V. 1.2.4 Königreich Hannover Criminalgesetzbuch für das Königreich Hannover vom 8. August 1840, abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 2 Nr. VI. 1.2.5 Großherzogthum Hessen Strafgesetzbuch für das Großherzogthum Hessen vom 17. September 1841, abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 1 Nr. VII. 1.2.6 Herzogthum Nassau Strafgesetzbuch für das Herzogthum Nassau vom 14. April 1849, abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 2 Nr. IX. 1.2.7 Herzogthum Oldenburg Strafgesetzbuch für die Herzoglich-Oldenburgischen Lande vom 10. September 1814, abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 1 Nr. II. 1.2.8 Kaiserthum Österreich Das Strafgesetzbuch über Verbrechen, Vergehen, und Übertretungen für das Kaiserthum Österreich vom 27. Mai 1852, abgedruckt in Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 3 Nr. XII. 1.2.9 Königreich Preußen 1.2.9.1 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794. Mit einer Einführung von Hans Hattenhauer und einer Bibliographie von Günther Bernert. 2. Aufl. Neuwied / Kriftel / Berlin 1994. 1.2.9.2 Entwurf des Straf-Gesetz-Buches für die Preußischen Staaten. Berlin 1828, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision Bd. 1 (s. 1.1.2).

294 1.2.9.3

1.2.9.4 1.2.9.5 1.2.9.6 1.2.9.7 1.2.9.8

1.2.9.9 1.2.9.10 1.2.9.11 1.2.9.12 1.2.9.13 1.2.9.14 1.2.9.15 1.2.9.16

1.2.9.17

Anhang Motive zu dem, von dem Revisor vorgelegten, Ersten Entwurfe des CriminalGesetzbuches für die Preußischen Staaten. Dritter Bd. Zweite Abtheilung. Berlin 1829. IV, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision Bd. 1 (s. 1.1.2). Entwurf des Straf-Gesetz-Buches für die Preußischen Staaten. Erster Theil. Criminal-Strafgesetze. Berlin 1830, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision Bd. 3 (s. 1.1.2). Revidirter Entwurf des Strafgesetzbuches für die Königl. Preußischen Staaten. Erster Theil. Kriminal-Strafgesetze. Berlin 1833, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision Bd. 3 (s. 1.1.2). Motive zu dem Revidirten Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten. Erster Theil. Kriminal-Strafgesetze. Berlin 1833, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision Bd. 3 (s. 1.1.2). Revidirter Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Königlich-Preußischen Staaten. Berlin 1836, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision Bd. 3 (s. 1.1.2). Berathungs-Protokolle der zur Revision des Strafrechts ernannten Kommission des Staatsraths über den zweiten Theil des Entwurfs des Strafgesetzbuchs. Erste Abtheilung. Betreffend die Titel 1. bis 16. des speziellen Theils. Berlin 1840, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision Bd. 4, 1. Teilbd. (s. 1.1.2). 1. Redaktion des Entwurfs des Strafgesetzbuchs, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision Bd. 4, 2. Teilbd. (s. 1.1.2). 2. Redaktion des Entwurfs des Strafgesetzbuchs, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision Bd. 4, 2. Teilbd. (s. 1.1.2). 3. Redaktion des Entwurfs des Strafgesetzbuchs, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision Bd. 4, 2. Teilbd. (s. 1.1.2). Entwurf für das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, nach den Beschlüssen des Königlichen Staatraths. Berlin 1843, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision Bd. 5 (s. 1.1.2). Revision des Entwurfs des Strafgesetzbuchs von 1843. Zweiter Bd. Zum zweiten Theil des Entwurfs Tit. 1–16. §. 141–401. Berlin 1845, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision, Bd. 5 (s. 1.1.2). Revidirter Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten. Vorgelegt von dem Ministerium der Gesetz-Revision. Berlin, 1845, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision, Bd. 5 (s. 1.1.2.). Verhandlungen der Kommission des Staatraths über den revidierten Entwurf des Strafgesetzbuchs. Berlin 1846, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision, Bd. 6, 1. Teilbd. (s. 1.1.2). Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, von der königlichen Immediat-Kommission dem Plenum des Staatsraths vorgelegt. Berlin 1846, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision, Bd. 6, 1. Teilbd. (s. 1.1.2). Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, nebst dem Entwurf des Gesetzes über die Einführung des Strafgesetzbuches und dem Entwurf des

Quellenverzeichnis

1.2.9.18 1.2.9.19

1.2.9.20 1.2.9.21 1.2.9.22 1.2.9.23

1.2.9.24

1.2.9.25

1.2.9.26 1.2.10 1.2.10.1 1.2.10.2 1.2.10.3

295

Gesetzes über die Kompetenz und das Verfahren in dem Bezirke des Appellationsgerichtshofes zu Köln. Zur Vorlegung an die vereinigten ständischen Ausschüsse bestimmt. Berlin 1847, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision, Bd. 6, 2. Teilbd. (s. 1.1.2). Motive zu dem Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten und den damit verbundenen Gesetzen vom Jahre 1847. Berlin 1847, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision, Bd. 6, 2. Teilbd. (s. 1.1.2). Gutachten der zur Vorberathung ernannten Abtheilungen des Vereinigten ständischen Ausschusses, betreffend den Entwurf eines Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten. Berlin 1847, abgedruckt in: Schubert / Regge, Gesetzrevision, Bd. 6, 2. Teilbd. (s. 1.1.2). Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, Berlin 1848, abgedruckt in Banke, Der erste Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts, 2. Bd. (s. Literaturverzeichnis). Entwurf eines allgemeinen deutschen Strafgesetzbuchs, Berlin 1849, abgedruckt in Banke, Der erste Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts, 1. Bd. (s. Literaturverzeichnis). Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten vom 10. Dezember nebst Motiven, Berlin 1851, abgedruckt in: Kodifikationsgeschichte Strafrecht, Frankfurt a. M. 1991 (s. 1.1.3). Verhandlungen der Ersten und Zweiten Kammer über die Entwürfe des Strafgesetzbuches für die Preußischen Staaten und des Gesetzes über die Einführung derselben, vom 10. Dezember 1850. Nebst den Kommissionsberichten und sonstigen Aktenstücken. Berlin 1851. Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Vom 14. April 1851. Nebst den Abweichungen der Strafgesetzbücher für das Herzogthum Anhalt-Bernburg vom 22. Januar 1852 und das Fürstenthum Waldeck und Pyrmont vom 15. Mai 1855, abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 3 Nr. XI. Die Materialien zum Straf-Gesetzbuche für die Preußischen Staaten, aus dem amtlichen Quellen nach den Paragraphen des Gesetzbuches zusammengestellt und in einem Kommentar erläutert von Theodor Goltdammer, Theil II. Den besonderen Theil enthaltend. Berlin 1852. Entwurf eines Gesetzes nebst Motiven betreffend die Abänderung einiger Bestimmungen des Strafgesetzbuches (Gesetz vom 14. April 1856); abgedruckt in GA 3 (1855), S. 848–861. Königreich Sachsen Criminalgesetzbuch für das Herzogthum Sachsen-Altenburg vom 3. Mai 1841 (gleichzeitig: Königlich-Sächsisches Criminalgesetzbuch vom 30. März 1938), abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 1 Nr. III. Strafgesetzbuch für das Königreich Sachsen vom 11. August 1855, abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 3 Nr. XIII. Das Revidirte Strafgesetzbuch für das Königreich Sachsen vom 1. Oktober 1868 sammt den damit in Verbindung stehenden älteren und gleichzeitigen Gesetzen und Verordnungen und mit Verweisung auf die einschlagenden älte-

296

1.2.11

1.2.12 2 2.1 2.1.1

2.1.2

2.1.3

2.1.4

2.1.5 2.1.5.1

Anhang ren Bestimmungen und auf die Literatur nebst einem ausführlichen Sachregister mit Angabe der Strafmaße. Dresden 1868. Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach, Herzogthum Sachsen-Meiningen, Herzogthum Sachsen-Coburg-Gotha, Herzogthum Anhalt-Dessa und Köthen, und die Fürstenthümer Schwarzburg-Ruduolfstadt, Schwarzburg-Sondershausen und Reuß jüngere Linie (Thüring’sches Strafgesetzbuch von 1850), abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 3 Nr. X. Königreich Württemberg Strafgesetzbuch für das Königreich Württemberg vom 1. März 1839, abgedruckt in: Stenglein (s. 1.1.1), Bd. 1 Nr. IV. Gesetze und Reformmaterialien des Norddeutschen Bundes, des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland Quellensammlungen Entstehung des Strafgesetzbuchs, hrsg. von Werner Schubert und Thomas Vormbaum, Kommissionsprotokolle und Entwürfe – Bd. 1: 1869. Baden-Baden 2002. – Bd. 2: 1870. Baden-Baden 2004. Schubert, Werner (Hrsg.): Kodifikationsgeschichte Strafrecht. Quellen zum Strafgesetzbuch von 1870 – Bd. 1: Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund vom Juli 1969 und Motive zu diesem Entwurf. Frankfurt a. M. 1992. – Bd. 2: Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund. Entwurf vom 14.2.1870 (Reichstagsvorlage). Frankfurt a. M. 1992. – Bd. 3: Verhandlungen des Bundesrats und des Reichstags des Norddeutschen Bundes über den Entwurf eines Strafgesetzbuches. Frankfurt a.M. 1992. Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts. Vorarbeiten zur deutschen Strafrechtsreform. Hrsg. auf Anregung des Reichsjustizamts von Karl Birkmeyer, Fritz v. Calker, Reinhard Frank, Robert v. Hippel, Wilhelm Kahl, Karl v. Lilienthal, Franz v. Liszt, Adolf Wach. 6 Bde. Zum Allgemeinen Teil, 8 Bde. zum Besonderen Teil, Registerbd. Berlin 1905–1909. Protokolle der Kommission zur Reform des Strafgesetzbuches (1911–1913), hrsg. von Werner Schubert. Frankfurt a.M. 1990 – Bd. 1: Allgemeiner Teil des Vorentwurfs in 1. Lesung, Protokolle 1–70. – Bd. 3: Besonderer Teil des Vorentwurfs in 1. Lesung, §§ 212–310 des Vorentwurfs, Protokolle 141–207. – Bd. 4: Zweite Lesung und Schlußredaktion des Entwurfs, Protokolle 208– 282. Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, hrsg. von Werner Schubert, Jürgen Regge, Peter Rieß und Werner Schmid. Berlin / New York. I. Abteilung: Weimarer Republik (1918–1932) – Bd. 1: Entwürfe zu einem Strafgesetzbuch (1919, 1922, 1924/25, 1927), hrsg. und mit einer Einleitung versehen von Werner Schubert und Jürgen Regge, 1995.

Quellenverzeichnis

2.1.5.2

2.1.6

2.1.7 2.1.8

297

– Bd. 2: Beratungen des Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1924/25 im Reichsrat (1926/1927), hrsg. und mit einer Einleitung von Werner Schubert und Jürgen Regge, 1998. – Bd. 3: Protokolle der Strafrechtsausschüsse des Reichstags 1. Teil: Sitzungen vom Juli 1927 bis März 1928, Sitzungen der deutschen und österreichischen parlamentarischen Strafrechtskonferenzen (1927– 1930), hrsg. und mit einer Einleitung versehen von Werner Schubert, 1995. 2. Teil: Sitzungen vom Juli 1928–September 1929, hrsg. von Werner Schubert, 1996. 3. Teil: Sitzungen vom Oktober 1929–Juni 1930 (Abschluß der Beratungen in erster Lesung und der §§ 86 ff. in zweiter Lesung. Gesetzentwurf zum Schutze der Republik und zur Befriedigung des politischen Lebens), hrsg. von Werner Schubert, 1997. 4. Teil: Sitzungen vom Dezember 1930–März 1932, Zusammenstellungen der Beschlüsse, hrsg. von Werner Schubert, 1997. II. Abteilung: NS-Zeit (1933–1939) – Strafgesetzbuch – Bd. 1: Entwürfe eines Strafgesetzbuchs 1. Teil, hrsg. von Jürgen Regge und Werner Schubert, 1988. 2. Teil, hrsg. von Jürgen Regge und Werner Schubert, 1990. – Bd. 2: Protokolle der Strafrechtskommission des Reichsjustizministeriums 1. Teil: 1. Lesung: Allgemeiner Teil. Besonderer Teil (Tötung, Abtreibung, Körperverletzung, Beleidigung, Staatsschutzdelikte), hrsg. von Jürgen Regge und Werner Schubert, 1988. 2. Teil: 1. Lesung: Allgemeiner Teil (Strafrahmen, Unternehmen einer Straftat). Besonderer Teil (Fortsetzung und Abschluß der Beratungen), hrsg. von Jürgen Regge und Werner Schubert, 1989. 3. Teil: 2. Lesung: Allgemeiner Teil. Besonderer Teil (Schutz des Volkes. – Schutz der Volkskraft: Angriffe auf die Lebenskraft des Volkes sowie auf die sittliche und seelische Haltung des Volkes. – Schutz der Volksordnung: Angriffe auf die Reichsregierung und Bewegung, auf die öffentliche Ordnung sowie auf die Rechtsordnung), hrsg. von Jürgen Regge und Werner Schubert, 1990. 4. Teil: 2. Lesung: Besonderer Teil. Schutz des Volkes (Rasse. Erbgut. – Schutz der Bewegung. – Angriffe auf die Wirtschaftskraft.) – Schutz des Volksguts. – Schutz der Volksgenossen. – Überprüfung der 2. Lesung. Gesamtregister, hrsg. von Jürgen Regge und Werner Schubert, 1994. Das Strafgesetzbuch. Sammlung der Änderungsgesetze und Neubekanntmachungen. Hrsg. von Thomas Vormbaum und Jürgen Welp. Baden-Baden – Bd. 1: 1870–1953 (1999). – Bd. 2: 1954–1974 (1999). – Bd. 3: 1975–1992 (2000). – Supplementband I: 130 Jahre Strafgesetzgebung. Eine Bilanz (2004). Verzeichnis wichtigerer Aufsätze über den Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch aus den Jahren 1906–1913. Zusammengestellt von Paul Hübel, abgedruckt in: DStrZ 1914, Sp. 152–160. Verzeichnis wichtigerer Aufsätze zur Reform des Strafrechts aus den Jahren 1914–1925. Zusammengestellt von Paul Hübel, abgedruckt in: ZStW 46 (1925), S. 329–347.

298 2.1.9

2.1.10

2.1.11 2.1.12 2.1.13

2.1.14

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6

2.2.7

Anhang Materialien zur Strafrechtsreform. 15 Bände. Bonn 1954–1962 – Bd. 1: Gutachten der Strafrechtslehrer (1954). – Bd. 2: Rechtsvergleichende Arbeiten Teilbd. II: Besonderer Teil (1955). – Bd. 5: Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1930 – Entwurf Kahl (Nachdruck 1954). Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission 14 Bände und 1 Registerbd. Bonn 1956–1960 – Bd. 1: Grundsatzfragen. 1. bis 13. Sitzung (1956). – Bd. 5: Allgemeine Fragen zum Besonderen Teil. 53. bis 58. Sitzung (1958). – Bd. 8: Besonderer Teil. 76. bis 90. Sitzung (1959). – Bd. 14: Register und Materialübersicht (1960). Niederschrift über die 8. Tagung der Länderkommission für die Große Strafrechtskommission in Bremen vom 12. bis 16. Dezember 1960. Niederschriften über die Sitzungen der Unterkommissionen zur Vorbereitung des Entwurfs des Besonderen Teils eines Strafgesetzbuchs. 3. Bd.: III. Unterkommission. Bonn 1961. Verhandlungen des Siebenundvierzigsten Deutschen Juristentages. Nürnberg 1968. Hrsg. von der ständigen Deputation des Deutschen Juristentages – Bd. I: Gutachten. München 1968. – Bd. II: Sitzungsberichte. München 1969. Reform des Strafgesetzbuchs – Sammlung der Reformentwürfe 1909 bis 1996 (Bd. 1–3). Hrsg. von Thomas Vormbaum und Kathrin Rentrop. Berlin 2008 – Bd. 1: 1909 bis 1919. – Bd. 2: 1922 bis 1939. – Bd. 3: 1959 bis 1996. Einzelquellen (in chronologischer Reihenfolge) Entwurf mit Motiven zu einem Strafgesetzbuche für den Norddeutschen Bund von Richard Eduard John. Berlin 1868. Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund (Entwurf Friedberg, Juli 1869), abgedruckt in: Schubert / Vormbaum, Bd. 1 (s. 2.1.1). Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund. Vom 31. Mai 1870, abgedruckt in: BGBl. NdB 1870, S. 195. Gesetz betreffend die Redaktion des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Vom 15. Mai 1871, abgedruckt in: RGBl. 1871, S. 127 und Vormbaum / Welp, Bd. 1 (s. 2.1.6). Gesetz betreffend die Änderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuches und die Ergänzung derselben. Vom 26. Februar 1876, abgedruckt in: RGBl. 1876, S. 25. Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts. Vorarbeiten zur deutschen Strafrechtsreform. Besonderer Teil. IV. Bd.: Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit. Beleidigung. Personenstandsdelikte, Berlin 1906 (Bearbeiter: Wolfgang Mittermaier). Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Bearbeitet von der hierzu bestellten Sachverständigenkommission. Veröffentlicht auf Anordnung des

Quellenverzeichnis

299

Reichsjustizamts. Berlin 1909. Begründung. 2 Bde. (AT und BT). Berlin 1909, abgedruckt in: Vormbaum / Rentrop, Bd. 1 (s. 2.1.14). 2.2.8 Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen über den Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Gefertigt im ReichsJustizamt. Als Manuskript gedruckt. Berlin (Reichsdruckerei) 1911. 2.2.9 Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen über den Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Gefertigt im Reichsjustizamt. Als Manuskript gedruckt. Berlin (Reichsdruckerei) 1911. 2.2.10 Gegenentwurf zum Vorentwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs. Aufgestellt von W. Kahl, K. v. Lilienthal, F. v. Liszt, J. Goldschmidt. Text mit Vorwort. Berlin 1911. Begründung (mit einer Denkschrift, betreffend die Einarbeitung der Nebengesetze, von N.H. Kriegsmann). Berlin 1911, abgedruckt in: Vormbaum / Rentrop, Bd. 1 (s. 2.1.14). 2.2.11 Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Veröffentlicht auf Anordnung des Reichsjustizministeriums. Berlin 1920. Darin in jeweils eigener Paginierung: 2.2.11.1 Entwurf der Strafrechtskommission (1913). 2.2.11.2 Entwurf von 1919. 2.2.11.3 Denkschrift zu dem Entwurf von 1919. 2.2.12 Österreichische Kriminalistische Vereinigung, Der Deutsche StrafgesetzEntwurf, Berichte und Abänderungsvorschläge, bei der I. Tagung der Ö.K.V. vom 13. Bis 15. Oktober 1921 erstattet im Auftrage des Vorstandes der Ö.K.V. Hrsg. von ihrem Obmann, Prof. W. Gleispach, Leipzig 1921, Nachdr. Goldbach 1997. 2.2.13 Gustav Radbruchs Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches (1922), abgedruckt in: Schubert / Regge, I. Abt., Bd. 1 (s. 2.1.5.1). 2.2.14 Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches nebst Begründung. Veröffentlicht auf Anordnung des Reichsjustizministeriums. Erster Teil: Entwurf. Zweiter Teil: Begründung. Berlin 1925. 2.2.15 Gegen-Entwurf zu den Strafbestimmungen des Amtlichen Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs über geschlechtliche und mit dem Geschlechtsleben im Zusammenhang stehende Handlungen (Abschnitte 17, 18, 21, 22 und 23) nebst Begründung. Hrsg. vom Kartell für die Reform des Sexualstrafrechts. Berlin 1927. 2.2.16 Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches nebst Begründung: Reichstag. III. Wahlperiode 1924/1927, Drucks. Nr. 3390, abgedruckt in Schubert / Regge, I. Abt., Bd. 1 (s. 2.1.5.1). 2.2.17 Gesetz zur Fortführung der Strafrechtsreform. Vom 31. März 1928, in: RGBl. I 1928, S. 135. 2.2.18 Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1930 (Entwurf Kahl). Reichstag. V. Wahlperiode 1930. Drucks. Nr. 395 vom 6. Dezember 1930. Nachdruck als Bd. 5 der Materialien zur Strafrechtsreform. Bonn 1954. 2.2.19 Referentenentwurf eines Allgemeinen Strafgesetzbuchs vom 25. September 1933, abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.1 (s. 2.1.5.2).

300 2.2.20 2.2.21

2.2.22

2.2.23

2.2.24 2.2.25 2.2.26 2.2.27 2.2.28 2.2.29 2.2.30 2.2.31 2.2.32 2.2.33 2.2.34 2.2.35 2.2.36

Anhang Nationalsozialistisches Strafrecht. Denkschrift des Preußischen Justizministeriums. Berlin 1933. Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission, 1. Lesung 1933/1934, zusammengestellt nach den von der Redaktionskommission überarbeiteten Vorschlägen der Unterkommissionen, abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.1 (s. 2.1.5.2). Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission, 2. Lesung 1934/1935, zusammengestellt nach den bisher vorliegenden Vorschlägen der Unterkommissionen – nach dem Stand vom 15. Juli 1935, abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.1 (s. 2.1.5.2). Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission, 2. Lesung 1934/1935, zusammengestellt nach den Vorschlägen der Unterkommissionen – nach dem Stand vom 1. Februar 1936, abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.1 (s. 2.1.5.2). Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission, 2. Lesung 1934/1935, zusammengestellt nach den Unterkommissionen – nach dem Stand vom 1. Mai 1936, abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.1 (s. 2.1.5.2). Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission, 2. Lesung 1934/1935, zusammengestellt nach den Unterkommissionen – nach dem Stand vom 1. Juli 1936, abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.1 (s. 2.1.5.2). Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs (Dezember 1936), abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.1 (s. 2.1.5.2). Begründung zum Entwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs von 1936, abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.2. (s. 2.1.5.2). Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs (zur Kabinettssitzung am 5. Mai 1937), abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.2 (s. 2.1.5.2). Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs (zur Kabinettssitzung am 22. Juni 1937), abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.2 (s. 2.1.5.2). Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs (zur Kabinettssitzung im Oktober 1937), abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.2 (s. 2.1.5.2). Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs (zur Kabinettssitzung im Juni 1938), abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.2 (s. 2.1.5.2). Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs (Neudruck April 1939), abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.2 (s. 2.1.5.2). Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs (Neudruck Juni 1939), abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.2 (s. 2.1.5.2). Deutsches Strafgesetzbuch vom Dezember 1939, abgedruckt in: Schubert / Regge, II. Abt., Bd. 1.2 (s. 2.1.5.2). Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderungen und Ergänzungen familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 23. April 1938, in: RGBl. I 1938, S. 417. Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. Januar 1946. Aufhebung einzelner Bestimmungen des deutschen Strafrechts, in: Amtsbl. des Kontrollrats in Deutschland 1945–1948, S. 55.

Quellenverzeichnis 2.2.37 2.2.38 2.2.39 2.2.40

2.2.41

2.2.42 2.2.43 2.2.44 2.2.45 2.3.46 2.3.47 2.3.48 2.3.49 2.3.50 2.3.51 2.3.52 2.3.53

301

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302 2.3.54 2.3.55 2.3.56

Anhang Drucksachen des Deutschen Bundesrates (zit. nach laufender Nummer, Jahresangabe und Seitenzahl). Deutscher Bundestag, Rechtsausschuss. Stenographische Protokolle (zit. nach Wahlperiode, Protokollnummer, Seitenzahl). Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte (zit. nach Bd., Wahlperiode, Sitzungsnummer, Seitenzahl, Buchstabe).

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Fassung vom 19. November 2007 vorgelegt von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jörg Albrecht und Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Sieber. Direktoren am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (zit.: Bearbeiter, Stellungnahme zu dem Fragenkatalog des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 392/07 zu § 173 Abs. 2 S. 2 StGB – Beischlaf zwischen Geschwistern vom 19. November 2007, S.). MEYER, Hugo: Das Norddeutsche Strafrecht. Eine Beurteilung des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund. Halle 1869 (zit.: Meyer, Eine Beurteilung des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund, S.). MEYER-LADEWIG, Jens / PETZOLD Herbert: Einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Geschwistern als Straftat, in: NJW 2013, S. 215 ff. MEYER, Karl: Nach dem Scheitern der Strafrechtsreform, in: DJZ 1932, Sp. 969–974 (zit.: Meyer, DJZ 1932, Sp.). MITTEILUNG, 47. DEUTSCHER JURISTENTAG IN NÜRNBERG, in: NJW 1968, S. 2045– 2050 (zit.: NJW 1968, S.). MITTERMAIER, Wolfgang: Die Grundsätze des Vorentwurfs zu einem Deutschen Strafgesetzbuche über die Bestimmung der Strafe im Einzelfall, in: BayRechtspflZ 1910, S. 145–149 (zit.: Mittermaier, BayRechtspflZ 1910, S.). MITTERMAIER, Wolfgang: Strafbare Handlungen gegen die geschlechtliche Sittlichkeit im Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, in: Die Justiz 1927/1928, S. 176–182 (zit.: Mittermaier, Die Justiz 1927/1928, S.). MOMMSEN, Theodor: Römisches Strafrecht. Unveränderter photomechanischer Nachdr. der Ausgabe Leipzig 1899. Graz-Austria 1955 (zit.: Mommsen, Römisches Strafrecht, S.). MONTESQUIEU, Baron Charles-Louis de: Vom Geist der Gesetze. In neuer Übertragung eingeleitet und hrsg. von Ernst Forsthoff. Zweiter Bd. Tübingen 1951 (zit.: Baron Charles-Louis de Montesquieu (1689–1755), De l’esprit des lois, Vom Geist der Gesetze, Übersetzung von Ernst Forsthoff, Zweiter Bd., S.). MÜLLER-EMMERT, Adolf: Der Stand der Strafrechtsreform und ihre Aussichten, in: DRiZ 1965, S. 45–49 (zit.: Müller-Emmert, DRiZ 1965, S.). MÜNCHENER KOMMENTAR: Strafgesetzbuch – Bd. 2/2, §§ 80–184f StGB. München 2005 (zit.: Bearbeiter, MüKo, § Rdnr.). NOLTENIUS, Bettina: Grenzenloser Spielraum des Gesetzgebers im Strafrecht? Kritische Bemerkungen zur Inzestentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2008, in: ZJS 2009, S. 15–21 (zit.: Noltenius, ZJS 2009, S.). NOMOS KOMMENTAR: Strafgesetzbuch. Hrsg. von Urs Kindhäuser, Ulfried Neumann, Hans-Ulrich Paefgen. Bd. 2. 3. Aufl. Baden-Baden 2010 (zit.: Bearbeiter, NK, § Rdnr.). OLSHAUSEN, Justus: Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, einschließlich der Strafbestimmungen der Konkursordnung. 7. Aufl. Bd. 1, Berlin 1905 (zit.: Olshausen, Kommentar, S.).

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(zit.: Vormbaum, Die Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29. Mai 1943. Materialien zur Verordnung und zu den Durchfürhungsverordnungen, S.). WAHLE, Eberhard: Zur Reform des Sexualstrafrechts. Ein zusammenfassender Bericht über den Stand der Diskussion. Berlin 1969 (zit.: Wahle, Zur Reform des Sexualstrafrechts, S.). WÄCHTER., Carl Georg von: Beitrag zur Geschichte und Kritik der Entwürfe eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund. Leipzig 1870 (zit.: v. Wächter, Norddeutscher Bund, S.). WÄCHTER, Carl Georg von: Das Königliche Sächsische und das Thüringische Strafrecht. Nachdr. der Ausgabe Stuttgart 1857. Goldbach 1997 (zit.: v. Wächter, Das Königlich Sächsische und das Thüringische Strafrecht, S.). WEBER, Ulrich: (Berichte) Tagung der Strafrechtslehrer in Freiburg i. Br., in: JZ 1965, S. 503–508 (zit.: Weber, JZ 1965, S.). WEBER, Ulrich: Der 47. Deutsche Juristentag. Die Verhandlungen der Strafrechtlichen Abteilung, in: JZ 1968, S. 755–756 (zit.: Weber, JZ 1968, S.). WEBER, Judith: Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch, Berlin 2009 (zit.: Weber, Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch, S.). WELP, Jürgen: Die Strafgesetzgebung der Nachkriegszeit (1945 bis 1953), in: Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Supplement I: 130 Jahre Strafgesetzgebung – Eine Bilanz, S. 140–173 (zit.: Welp, Die Strafgesetzgebung der Nachkriegszeit (1945 bis 1953), in: Vormbaum / Welp, Das Strafgesetzbuch, Supplement I: 130 Jahre Strafgesetzgebung – Eine Bilanz, S.). WILDA, Wilhelm Eduard: Das Strafrecht der Germanen, in: Geschichte des deutschen Strafrechts. Erster Bd. Neudr. der Ausgabe 1842. Aalen 1960 (zit.: Wilda, Das Strafrecht der Germanen, S.). WITTMANN, Wilfried: Die Blutschande. Eine rechtsgeschichtliche, rechtsvergleichende und kriminologische Untersuchung, unter Berücksichtigung der Nachkriegskriminalität in der Rheinpfalz. Mainz 1953. Zugl. Diss. Rechts- u. wirtschaftswiss. F. Mainz v. 24. Juni 1954 (zit.: Wittmann, Die Blutschande, S.). ZABEL, Benno: Die Grenzen des Tabuschutzes im Strafrecht, Zur Vereinbarkeit von § 173 Abs. 2 S. 2 StGB mit dem Grundgesetz – zugleich Besprechung des Beschlusses des BVerfG v. 26.2.2008, in: JR 2008, S. 453–457 (zit.: Zabel, JR 2008, S.). ZIETHEN, Jörg: Anmerkung zu BVerfG, Beschl. v. 26.2.2008 – 2 BvR 392/07, in: NStZ 2008, S. 617–618 (zit.: Ziethen, NStZ 2008, S.). ZÜRCHER, Emil: Schweizerisches Strafgesetzbuch. Erläuterungen zum Vorentwurf vom April 1908. Bern 1914 (zit.: Zürcher, Schweizer Strafgesetzbuch. Erläuterungen zum Vorentwurf vom April 1908, Bern 1914, S.).

Juristische Zeitgeschichte Herausgeber: Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum, FernUniversität in Hagen Abteilung 1: Allgemeine Reihe 1 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse (1997) 2 Heiko Ahlbrecht: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert (1999) 3 Dominik Westerkamp: Pressefreiheit und Zensur im Sachsen des Vormärz (1999) 4 Wolfgang Naucke: Über die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts. Gesammelte Aufsätze zur Strafrechtsgeschichte (2000) 5 Jörg Ernst August Waldow: Der strafrechtliche Ehrenschutz in der NS-Zeit (2000) 6 Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts (2001) 7 Michael Damnitz: Bürgerliches Recht zwischen Staat und Kirche. Mitwirkung der Zentrumspartei am Bürgerlichen Gesetzbuch (2001) 8 Massimo Nobili: Die freie richterliche Überzeugungsbildung. Reformdiskussion und Gesetzgebung in Italien, Frankreich und Deutschland seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts (2001) 9 Diemut Majer: Nationalsozialismus im Lichte der Juristischen Zeitgeschichte (2002) 10 Bianca Vieregge: Die Gerichtsbarkeit einer „Elite“. Nationalsozialistische Rechtsprechung am Beispiel der SS- und Polizeigerichtsbarkeit (2002) 11 Norbert Berthold Wagner: Die deutschen Schutzgebiete (2002) 12 Milosˇ Vec: Die Spur des Täters. Methoden der Identifikation in der Kriminalistik (1879–1933), (2002) 13 Christian Amann: Ordentliche Jugendgerichtsbarkeit und Justizalltag im OLG-Bezirk Hamm von 1939 bis 1945 (2003) 14 Günter Gribbohm: Das Reichskriegsgericht (2004) 15 Martin M. Arnold: Pressefreiheit und Zensur im Baden des Vormärz. Im Spannungsfeld zwischen Bundestreue und Liberalismus (2003) 16 Ettore Dezza: Beiträge zur Geschichte des modernen italienischen Strafrechts (2004) 17 Thomas Vormbaum (Hrsg.): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962 (2005) 18 Kai Cornelius: Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen (2006) 19 Kristina Brümmer-Pauly: Desertion im Recht des Nationalsozialismus (2006) 20 Hanns-Jürgen Wiegand: Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte (2006) 21 Hans-Peter Marutschke (Hrsg.): Beiträge zur modernen japanischen Rechtsgeschichte (2006)

22 Katrin Stoll: Die Herstellung der Wahrheit (2011) 23 Thorsten Kurtz: Das Oberste Rückerstattungsgericht in Herford (2013) 24 Sebastian Schermaul: Die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse an der Universität Leipzig 1819–1848 (2013)

Abteilung 2: Forum Juristische Zeitgeschichte 1 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (1) – Schwerpunktthema: Recht und Nationalsozialismus (1998) 2 Karl-Heinz Keldungs: Das Sondergericht Duisburg 1943–1945 (1998) 3 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (2) – Schwerpunktthema: Recht und Juristen in der Revolution von 1848/49 (1998) 4 Thomas Vormbaum: Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte (1999) 5 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum: Themen juristischer Zeitgeschichte (3), (1999) 6 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (4), (2000) 7 Frank Roeser: Das Sondergericht Essen 1942–1945 (2000) 8 Heinz Müller-Dietz: Recht und Nationalsozialismus – Gesammelte Beiträge (2000) 9 Franz-Josef Düwell (Hrsg.): Licht und Schatten. Der 9. November in der deutschen Geschichte und Rechtsgeschichte – Symposium der Arnold-Freymuth-Gesellschaft, Hamm (2000) 10 Bernd-Rüdiger Kern / Klaus-Peter Schroeder (Hrsg.): Eduard von Simson (1810–1899). „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts (2001) 11 Norbert Haase / Bert Pampel (Hrsg.): Die Waldheimer „Prozesse“ – fünfzig Jahre danach. Dokumentation der Tagung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten am 28. und 29. September in Waldheim (2001) 12 Wolfgang Form (Hrsg.): Literatur- und Urteilsverzeichnis zum politischen NS-Strafrecht (2001) 13 Sabine Hain: Die Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht (2002) 14 Gerhard Pauli / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Justiz und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität. Fachtagung in der Justizakademie des Landes NRW, Recklinghausen, am 19. und 20. November 2001 (2003) 15 Mario Da Passano (Hrsg.): Europäische Strafkolonien im 19. Jahrhundert. Internationaler Kongreß des Dipartimento di Storia der Universität Sassari und des Parco nazionale di Asinara, Porto Torres, 25. Mai 2001 (2006) 16 Sylvia Kesper-Biermann / Petra Overath (Hrsg.): Die Internationalisierung von Strafrechtswissenschaft und Kriminalpolitik (1870–1930). Deutschland im Vergleich (2007) 17 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 16. bis 18. September 2005 (2007) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und (bildende) Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 21. bis 23. September 2007 (2008) 19 Francisco Muñoz Conde / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit (2010)

Abteilung 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung. Materialien zu einem historischen Kommentar 1 Thomas Vormbaum / Jürgen Welp (Hrsg.): Das Strafgesetzbuch seit 1870. Sammlung der Änderungen und Neubekanntmachungen; Vier Textbände (1999–2002) und drei Supplementbände (2005, 2006) 2 Christian Müller: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933. Kriminalpolitik als Rassenpolitik (1998) 3 Maria Meyer-Höger: Der Jugendarrest. Entstehung und Weiterentwicklung einer Sanktion (1998) 4 Kirsten Gieseler: Unterlassene Hilfeleistung – § 323c StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870. (1999) 5 Robert Weber: Die Entwicklung des Nebenstrafrechts 1871–1914 (1999) 6 Frank Nobis: Die Strafprozeßgesetzgebung der späten Weimarer Republik (2000) 7 Karsten Felske: Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB (2002) 8 Ralf Baumgarten: Zweikampf – §§ 201–210 a.F. StGB (2003) 9 Felix Prinz: Diebstahl – §§ 242 ff. StGB (2003) 10 Werner Schubert / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Entstehung des Strafgesetzbuchs. Kommissionsprotokolle und Entwürfe. Band 1: 1869 (2002); Band 2: 1870 (2004) 11 Lars Bernhard: Falsche Verdächtigung (§§ 164, 165 StGB) und Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB), (2003) 12 Frank Korn: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933 (2003) 13 Christian Gröning: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1933 (2004) 14 Sabine Putzke: Die Strafbarkeit der Abtreibung in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit. Eine Analyse der Reformdiskussion und der Straftatbestände in den Reformentwürfen (1908–1931), (2003) 15 Eckard Voßiek: Strafbare Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke (§ 353d Nr. 3 StGB). Gesetzgebung und Rechtsanwendung seit 1851 (2004) 16 Stefan Lindenberg: Brandstiftungsdelikte – §§ 306 ff. StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2004) 17 Ninette Barreneche†: Materialien zu einer Strafrechtsgeschichte der Münchener Räterepublik 1918/1919 (2004) 18 Carsten Thiel: Rechtsbeugung – § 339 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 19 Vera Große-Vehne: Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), „Euthanasie“ und Sterbehilfe. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 20 Thomas Vormbaum / Kathrin Rentrop (Hrsg.): Reform des Strafgesetzbuchs. Sammlung der Reformentwürfe. Band 1: 1909 bis 1919. Band 2: 1922 bis 1939. Band 3: 1959 bis 1996 (2008) 21 Dietmar Prechtel: Urkundendelikte (§§ 267 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 22 Ilya Hartmann: Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006)

23 Ralf Seemann: Strafbare Vereitelung von Gläubigerrechten (§§ 283 ff., 288 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 24 Andrea Hartmann: Majestätsbeleidigung (§§ 94 ff. StGB a.F.) und Verunglimpfung des Staatsoberhauptes (§ 90 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2006) 25 Christina Rampf: Hausfriedensbruch (§ 123 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 26 Christian Schäfer: „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182, a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1945 (2006) 27 Kathrin Rentrop: Untreue und Unterschlagung (§§ 266 und 246 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2007) 28 Martin Asholt: Straßenverkehrsstrafrecht. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts (2007) 29 Katharina Linka: Mord und Totschlag (§§ 211–213 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2008) 30 Juliane Sophia Dettmar: Legalität und Opportunität im Strafprozess. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1877 bis 1933 (2008) 31 Jürgen Durynek: Korruptionsdelikte (§§ 331 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2008) 32 Judith Weber: Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2009) 33 Denis Matthies: Exemplifikationen und Regelbeispiele. Eine Untersuchung zum 100-jährigen Beitrag von Adolf Wach zur „Legislativen Technik“ (2009) 34 Benedikt Rohrßen: Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2009) 35 Friederike Goltsche: Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch) (2010) 36 Tarig Elobied: Die Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens von 1846 bis in die Gegenwart (2010) 37 Christina Müting: Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (§ 177 StGB) (2010) 38 Nadeschda Wilkitzki: Entstehung des Gesetzes über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) (2010) 39 André Brambring: Kindestötung (§ 217 a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2010) 40 Wilhelm Rettler: Der strafrechtliche Schutz des sozialistischen Eigentums in der DDR (2010) 41 Yvonne Hötzel: Debatten um die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 (2010) 42 Dagmar Kolbe: Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2011) 43 Sami Bdeiwi: Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB). Reform und Gesetzgebung seit 1870 (2014)

Abteilung 4: Leben und Werk. Biographien und Werkanalysen 1 Mario A. Cattaneo: Karl Grolmans strafrechtlicher Humanismus (1998) 2 Gerit Thulfaut: Kriminalpolitik und Strafrechtstheorie bei Edmund Mezger (2000) 3 Adolf Laufs: Persönlichkeit und Recht. Gesammelte Aufsätze (2001) 4 Hanno Durth: Der Kampf gegen das Unrecht. Gustav Radbruchs Theorie eines Kulturverfassungsrechts (2001) 5 Volker Tausch: Max Güde (1902–1984). Generalbundesanwalt und Rechtspolitiker (2002) 6 Bernd Schmalhausen: Josef Neuberger (1902–1977). Ein Leben für eine menschliche Justiz (2002) 7 Wolf Christian von Arnswald: Savigny als Strafrechtspraktiker. Ministerium für die Gesetzesrevision (1842–1848), (2003) 8 Thilo Ramm: Ferdinand Lassalle. Der Revolutionär und das Recht (2004) 9 Martin D. Klein: Demokratisches Denken bei Gustav Radbruch (2007) 10 Francisco Muñoz Conde: Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben (2007) 11 Whitney R. Harris: Tyrannen vor Gericht. Das Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg 1945–1946 (2008) 12 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen (2010) 13 Tamara Cipolla: Friedrich Karl von Strombeck. Leben und Werk – Unter besonderer Berücksichtigung des Entwurfes eines Strafgesetzbuches für ein Norddeutsches Staatsgebiet (2010) 14 Karoline Peters: J. D. H. Temme und das preußische Strafverfahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts (2010)

Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive Mitherausgegeben von Gisela Friedrichsen („Der Spiegel“) und RA Prof. Dr. Franz Salditt 1 Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968. 3. Auflage (1999) 2 Jörg Arnold (Hrsg.): Strafrechtliche Auseinandersetzung mit Systemvergangenheit am Beispiel der DDR (2000) 3 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Vichy vor Gericht: Der Papon-Prozeß (2000) 4 Heiko Ahlbrecht / Kai Ambos (Hrsg.): Der Fall Pinochet(s). Auslieferung wegen staatsverstärkter Kriminalität? (1999) 5 Oliver Franz: Ausgehverbot für Jugendliche („Juvenile Curfew“) in den USA. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2000) 6 Gabriele Zwiehoff (Hrsg.): „Großer Lauschangriff“. Die Entstehung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. März 1998 und des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 4. Mai 1998 in der Presseberichterstattung 1997/98 (2000)

7 Mario A. Cattaneo: Strafrechtstotalitarismus. Terrorismus und Willkür (2001) 8 Gisela Friedrichsen / Gerhard Mauz: Er oder sie? Der Strafprozeß Böttcher/ Weimar. Prozeßberichte 1987 bis 1999 (2001) 9 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2000 in der Süddeutschen Zeitung (2001) 10 Helmut Kreicker: Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze (2002) 11 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2001 in der Süddeutschen Zeitung (2002) 12 Henning Floto: Der Rechtsstatus des Johanniterordens. Eine rechtsgeschichtliche und rechtsdogmatische Untersuchung zum Rechtsstatus der Balley Brandenburg des ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem (2003) 13 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2002 in der Süddeutschen Zeitung (2003) 14 Kai Ambos / Jörg Arnold (Hrsg.): Der Irak-Krieg und das Völkerrecht (2004) 15 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2003 in der Süddeutschen Zeitung (2004) 16 Sascha Rolf Lüder: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-keeping“-Missionen der Vereinten Nationen (2004) 17 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2004 in der Süddeutschen Zeitung (2005) 18 Christian Haumann: Die „gewichtende Arbeitsweise“ der Finanzverwaltung. Eine Untersuchung über die Aufgabenerfüllung der Finanzverwaltung bei der Festsetzung der Veranlagungssteuern (2008) 19 Asmerom Ogbamichael: Das neue deutsche Geldwäscherecht (2011) 20 Lars Chr. Barnewitz: Die Entschädigung der Freimaurerlogen nach 1945 und nach 1989 (2011) 21 Ralf Gnüchtel: Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB (2013)

Abteilung 6: Recht in der Kunst Mitherausgegeben von Prof. Dr. Gunter Reiß 1 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein. Gesammelte Aufsätze (1999) 2 Klaus Lüderssen (Hrsg.): »Die wahre Liberalität ist Anerkennung«. Goethe und die Juris prudenz (1999) 3 Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper (1928) / Dreigroschenroman (1934). Mit Kommentaren von Iring Fetscher und Bodo Plachta (2001) 4 Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche (1842) / Die Vergeltung (1841). Mit Kommentaren von Heinz Holzhauer und Winfried Woesler (2000) 5 Theodor Fontane: Unterm Birnbaum (1885). Mit Kommentaren von Hugo Aust und Klaus Lüderssen (2001) 6 Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas (1810). Mit Kommentaren von Wolfgang Naucke und Joachim Linder (2000) 7 Anja Sya: Literatur und juristisches Erkenntnisinteresse. Joachim Maass’ Roman „Der Fall Gouffé“ und sein Verhältnis zu der historischen Vorlage (2001)

8 Heiner Mückenberger: Theodor Storm – Dichter und Richter. Eine rechtsgeschichtliche Lebensbeschreibung (2001) 9 Hermann Weber (Hrsg.): Annäherung an das Thema „Recht und Literatur“. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (1), (2002) 10 Hermann Weber (Hrsg.): Juristen als Dichter. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (2), (2002) 11 Hermann Weber (Hrsg.): Prozesse und Rechtsstreitigkeiten um Recht, Literatur und Kunst. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (3), (2002) 12 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. 2., erweiterte Auflage (2002) 13 Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman (1929). Mit Kommentaren von Theo Rasehorn und Ernst Ribbat (2002) 14 Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius. Roman (1928). Mit Kommentaren von Thomas Vormbaum und Regina Schäfer (2003) 15 Hermann Weber (Hrsg.): Recht, Staat und Politik im Bild der Dichtung. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (4), (2003) 16 Hermann Weber (Hrsg.): Reale und fiktive Kriminalfälle als Gegenstand der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (5), (2003) 17 Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. (1908). Mit Kommentaren von Helmut Arntzen und Heinz Müller-Dietz (2004) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Dichter als Juristen. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (6), (2004) 19 Hermann Weber (Hrsg.): Recht und Juristen im Bild der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (7), (2005) 20 Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel (1811). Mit Kommentaren von Michael Walter und Regina Schäfer (2005) 21 Francisco Muñoz Conde / Marta Muñoz Aunión: „Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissenschaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961), (2006) 22 Fjodor Dostojewski: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Dunja Brötz (2005) 23 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Anton Matthias Sprickmann. Dichter und Jurist. Mit Kommentaren von Walter Gödden, Jörg Löffler und Thomas Vormbaum (2006) 24 Friedrich Schiller: Verbrecher aus Infamie (1786). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Martin Huber (2006) 25 Franz Kafka: Der Proceß. Roman (1925). Mit Kommentaren von Detlef Kremer und Jörg Tenckhoff (2006) 26 Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844. Mit Kommentaren von Winfried Woesler und Thomas Vormbaum (2006) 27 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Recht, Rechtswissenschaft und Juristen im Werk Heinrich Heines (2006) 28 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Spiegelungen (2007) 29 Alexander Puschkin: Pique Dame (1834). Mit Kommentaren von Barbara Aufschnaiter/Dunja Brötz und Friedrich-Christian Schroeder (2007)

30 Georg Büchner: Danton’s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft. Mit Kommentaren von Sven Kramer und Bodo Pieroth (2007) 31 Daniel Halft: Die Szene wird zum Tribunal! Eine Studie zu den Beziehungen von Recht und Literatur am Beispiel des Schauspiels „Cyankali“ von Friedrich Wolf (2007) 32 Erich Wulffen: Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern (1907). Herausgegeben von Jürgen Seul (2007) 33 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen: Recht in Literatur, Theater und Film. Band II (2007) 34 Albert Camus: Der Fall. Roman (1956). Mit Kommentaren von Brigitte Sändig und Sven Grotendiek (2008) 35 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Pest, Folter und Schandsäule. Der Mailänder Prozess wegen „Pestschmierereien“ in Rechtskritik und Literatur. Mit Kommentaren von Ezequiel Malarino und Helmut C. Jacobs (2008) 36 E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi – Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten (1819). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Marion Bönnighausen (2010) 37 Leonardo Sciascia: Der Tag der Eule. Mit Kommentaren von Gisela Schlüter und Daniele Negri (2010) 38 Franz Werfel: Eine blaßblaue Frauenschrift. Novelle (1941). Mit Kommentaren von Matthias Pape und Wilhelm Brauneder (2011) 39 Thomas Mann: Das Gesetz. Novelle (1944). Mit Kommentaren von Volker Ladenthin und Thomas Vormbaum (2013)

Abteilung 7: Beiträge zur Anwaltsgeschichte Mitherausgegeben von Gerhard Jungfer, Dr. Tilmann Krach und Prof. Dr. Hinrich Rüping 1 Babette Tondorf: Strafverteidigung in der Frühphase des reformierten Strafprozesses. Das Hochverratsverfahren gegen die badischen Aufständischen Gustav Struve und Karl Blind (1848/49), (2006) 2 Hinrich Rüping: Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus (2007)

Abteilung 8: Judaica 1 Hannes Ludyga: Philipp Auerbach (1906–1952). „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ (2005) 2 Thomas Vormbaum: Der Judeneid im 19. Jahrhundert, vornehmlich in Preußen. Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte (2006) 3 Hannes Ludyga: Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags (2007) 4 Michele Sarfatti: Die Juden im faschistischen Italien. Geschichte, Identität, Verfolgung (2014)