Bauern gegen Junker und Pastoren: Feudalreste in der mecklenburgischen Landwirtschaft nach 1918 [Reprint 2021 ed.] 9783112582688, 9783112582671


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Bauern gegen Junker und Pastoren: Feudalreste in der mecklenburgischen Landwirtschaft nach 1918 [Reprint 2021 ed.]
 9783112582688, 9783112582671

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JÜRGEN BURKHARDT

Bauern gegen Junker und Pastoren

DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN SCHRIFTEN D E S INSTITUTS F Ü R GESCHICHTE R E I H E II: L A N D E S G E S C H I C H T E BAND 7

JÜRGEN BURKHARDT

Bauern gegen Junker und Pastoren Feudalreste in der mecklenburgischen Landwirtschaft nach 1918

A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N 1963

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger StraBe 3-4 Copyright 1963 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/148/63 Gesamtherstellung: IV/2/14 • V E B Werkdruck Gräfenhainichen • 1919 Bestellnummer: 208S/II/7 • E S 14 E • 5 B 2 • Preis : 1 9 , - DM

VORWORT

Die Untersuchungen für die vorliegende Arbeit erfolgten im wesentlichen in den Jahren 1956 und 1957. Die 1959 nochmals überarbeiteten Schlußbemerkungen über die sozialistische Umgestaltung der mecklenburgischen Landwirtschaft sind durch die Ereignisse des Jahres 1960, durch die vollgenossenschaftliche Entwicklung der Landwirtschaft unserer Republik, längst überholt. Aber daß diese Entwicklung gerade von den nördlichen Bezirken unserer DDR, dem ehemaligen Lande Mecklenburg, ausging, unterstreicht die Richtigkeit der damaligen Feststellungen. Ich hoffe, daß die Arbeit mit ihrem umfangreichen Quellenmaterial mithilft, einen anschaulichen Eindruck von dem Kampf der Bauern um ihre Rechte zu vermitteln, von einem Kampf, der erst nach dem Sturz des Faschismus unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei siegreich beendet wurde. Es ist mir ein Bedürfnis, allen denen herzlich zu danken, die mich bei meiner Arbeit unterstützt haben; mein besonderer Dank gilt dabei Herrn Professor Kuczynski für seine wertvollen Hinweise und den Mitarbeitern des Landeshauptarchivs Schwerin für ihre unermüdliche Hilfe. Leipzig, im April 1962

Jürgen Burkhardt

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

V

Einleitung Kapitel I

XI Feudale Pachtverhältnisse

(Erbpacht und

Kanon)

A. Allgemeines 1. Die Entwicklung der Pachtverhältnisse bis 1918 . . . . 2. Die Merkmale der Erbpacht

1 2 5

B. Die Behandlung der Erbpacht im Landtag nach 1918 . . 1. Die Diskussion über die Aufhebung von Beschränkungen hinsichtlich der Belastung und der Verfügung von Todes wegen (Gesetz vom 5. 6. 1919) 2. Die ergebnislose Diskussion über die Verleihung des Eigentumsrechtes an Hauswirte (1920) 3. Die Diskussion über die Umwandlung bäuerlicher Nutzungsrechte in Erbpacht (Gesetz vom 26. 11. 1923) . 4. Die ergebnislose Diskussion über die Umwandlung des Erbpachtrechtes in freies Eigentum (1924/25) 5. Die Auswirkungen des Reichsaufwertungsgesetzes auf die Kanonzahlungen 6. Die Diskussion über die Abwertung des wertbeständigen Kanons und die allgemeine Ablösbarkeit des Kanons für Erbpachtstellen im Obereigentum des Staates (Gesetz vom 18. 4. 1928) 7. Die ergebnislose Diskussion über die Aufhebung des Obereigentums (1930)

11

C. Die Behandlung der Erbpacht bei den Faschisten 1. Die Diskussion über eine Ablösung der bäuerlichen Lasten (Gesetz vom 6. 4. 1933)

13 18 26 32 38

47 53 60 60

VIII

Inhaltsverzeichnis

2. Das Problem der doppelten Erbpacht 3. Formale „Abschlußgesetze" auf dem Gebiet des bäuerlichen Rechtes (1938) 4. Auswirkungen des Reichserbhofgesetzes auf die mecklenburgischen Pachtverhältnisse D. Die Beseitigung der Erbpacht nach dem Sturz des Faschismus 1. Die Verordnung über die Bodenreform (5. 9. 1945) und das Kontrollratsgesetz Nr. 45 (20. 2. 1947) 2. Die endgültige Beseitigung der Kanonzahlungen (Anordnung v. 31. 8. 1956) E. Das anachronistische Obereigentum der mecklenburgischen Kirche Kapitel II

Feudale dienste)

Dienstleistungen

(Hand-

und

Spann-

74 79 81 84 84 86 92 100

A. Die Erhaltung feudaler Dienstleistungen durch die Landgemeindeordnung (20. 5. 1920)

100

B. Die Beseitigung der feudalen Dienstleistungen nach dem Sturz des Faschismus (21. 11. 1950)

109

Kapitel III

113

Feudale Kirchenabgaben (Observanzen)

A. Allgemeines 1. Die Personalabgabe „Vierzeitenpfennig" 2. Die Realabgabe „Observanz" a) Die anachronistische Rechtsgrundlage der Observanzen b) Die verschiedenen Arten und der Umfang der Observanzen B. Ergebnislose Auseinandersetzungen über die Observanzen (1919 bis 1945) 1. Der Kampf der Bauern gegen die Observanzen bis in die Zeit der Inflation (1919/1924) 2. Der Observanzprozeß von Demen (1928/32) 3. Das Scheitern einer faschistischen „Regelung" der Observanzen (1932/39) . C. Die Beseitigung der Observanzen nach dem Sturz des Faschismus

113 113 114 116 118 136 136 146 149 158

Inhaltsverzeichnis

IX

Schlußbemerkungen

163

Anhang Nr. I. Übersicht über die sich in Mecklenburg—Schwerin befindenden besonderen Beschränkungen des Erbpachtrechtes Nr. II. Die Observanz (Übertragung ins Hochdeutsche von Seite 120 der vorliegenden Arbeit) Nr. I I I . Leistungen und Abgaben aus der Dorfgemeinde Rethwisch an Kirche, Pfarre und Küsterei zu Rethwisch Nr. IV. Verzeichnis der Küsterschulstellen und Naturalleistungen, die den Zeitverhältnissen nicht mehr entsprechen dürften

167 167 171 174 183

Quellen- und Literaturverzeichnis

185

Personenregister

189

Ortsregister

191

EINLEITUNG

In jedem Lande, das den Übergang zum Kapitalismus vollzieht, bleiben noch Überreste der alten, feudalen Verhältnisse bestehen. In welchem Umfang und wie lange sich solche Feudalreste erhalten können, hängt von den konkreten Bedingungen des gegebenen Landes, besonders von der Art und Weise der kapitalistischen Entwicklung ab. „Die Überreste der Fronwirtschaft können sowohl durch Umgestaltung der Gutswirtschaften als auch durch Vernichtung der grundherrlichen Latifundien, d. h. auf dem Wege der Reform oder auf dem Wege der Revolution beseitigt werden." 1 In der ostdeutschen Landwirtschaft ging die kapitalistische Entwicklung auf dem sogenannten preußischen Wege, auf dem Wege von Reformen, vor sich. Hauptinhalt dieser Entwicklung „ist das Hinüberwachsen der Fronherrschaft in Schuldknechtschaft und kapitalistische Ausbeutung auf dem Boden der Feudalherren, der Gutsherren, der Junker". 2 Im Gegensatz zu dem revolutionären, sogenannten amerikanischen Weg wurde dadurch im Osten Deutschlands eine gewisse Konservierung feudaler Überreste begünstigt. Die Reformen „von oben" erzwangen keine völlige Ausrottung feudaler Abhängigkeitsverhältnisse, sondern bedeuteten lediglich einen langsamen Umwandlungsprozeß. Dabei konnte der alte, feudalistische Inhalt unter dem Deckmantel einer äußerlich neuen Form teilweise erhalten werden. Das in ganz Deutschland verbreitete Sprichwort, daß man bei einem Weltuntergang nach Mecklenburg gehen solle, weil Mecklen1

Lenin, W. I., D a s Agrarprogramm der Sozialdemokratie in der

ersten russischen Revolution von 1905-1907, Berlin 1950, S. 28/29. 2

Derselbe, ebenda, S. 29.

XII

Einleitung

bürg in seiner Entwicklung 50 Jahre zurück sei und daher die Welt dort erst 50 Jahre später unterginge, deutet darauf hin, daß die politische, ökonomische und kulturelle Rückständigkeit dieses Landes besonders groß war. In Mecklenburg3 muß es also neben dem allgemein üblichen preußischen Weg noch gewisse Besonderheiten gegeben haben, die seine Ausnahmestellung rechtfertigten. Zwei Gesichtspunkte verdienen dabei Beachtung: 1. Das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin war auch nach der Reichsgründung (1871) ein ziemlich selbständiger, abgeschlossener Bundesstaat, der von der allgemeinen stürmischen kapitalistischen Entwicklung in Deutschland verhältnismäßig unberührt blieb. 2. Mecklenburg war bis 1945 ein typisches Agrarland. 1925 fanden in der Land- und Forstwirtschaft 143165 Menschen Beschäftigung (40,9% der Erwerbstätigen), während in der Industrie nur 69913 (19,4%) tätig waren/' Eine kapitalistische Entwicklung war auch für die mecklenburgische Landwirtschaft objektiv notwendig. Aber im Lande selbst war die Bourgeoisie ökonomisch schwach — sie beutete noch nicht einmal halb soviel Menschen aus wie die Junker —, und 3 Mecklenburg bestand aus zwei selbständigen Ländern, die beide nach 1918 eigene Parlamente hatten: Mecklenburg—Schwerin und Mecklenburg—Strelitz. Für die gesamte Arbeit wurde, um eine übermäßige Vielfalt zu vermeiden, von den Verhältnissen in Mecklenburg—Schwerin ausgegangen. Wenn deshalb Mecklenburg—Strelitz nicht ausdrücklich erwähnt, sondern nur der Begriff „Mecklenburg" verwendet wird, so ist immer Mecklenburg—Schwerin gemeint. Diese Vereinfachung erscheint zulässig, weil Mecklenburg—Strelitz zur Beurteilung der Gesamtheit der mecklenburgischen Verhältnisse relativ unwichtig ist. Während Mecklenburg—Schwerin eine Grundfläche von 13126,9 km 2 mit 674045 Einwohnern hatte (1925), erstreckte sich Mecklenburg— Strelitz über nur 2929,4 km 2 und hatte 110269 Bewohner. Das heißt, daß sich beide Länder flächenmäßig wie 4,5 zu 1 und bevölkerungsmäßig sogar wie 6,1 zu 1 verhielten. (Vgl. Statistisches Handbuch für das Land Mecklenburg—Schwerin, 3. Ausgabe, 1931, S. 1.) * Ebenda, S. 1.

XIII

Einleitung

das Eindringen bürgerlicher Einflüsse von außen wurde durch die Abgeschlossenheit Mecklenburgs erschwert. Dadurch fehlte jene starke gesellschaftliche Kraft, die wenigstens konsequente Reformen hätte erzwingen können. Noch deutlicher als die Verteilung der Arbeitskräfte zeigt die Einteilung Mecklenburgs nach dem Eigentum an dem für dieses Land wichtigsten Produktionsmittel, dem Grund und Boden, die ökonomische Überlegenheit der alten Feudalherren. 1. 2. 3. 4.

Das Domanium (landesherrlicher Besitz) Das ritterschaftliche Gebiet (Adelsbesitz) Die Klostergüter (kirchlicher Besitz) Die Städte (städtischer Besitz)

mit mit mit mit

5604,05 km2 5087,35 km2 450,26 km2 1519,96 km2 6

Der Großherzog und der Adel waren mit je über eine halbe Million ha die mit Abstand größten und mächtigsten Besitzer von Grund und Boden. Freier bäuerlicher Besitz wurde in der Übersicht überhaupt nicht angegeben. Dabei entsprach es den partikularistischen Feudalbestrebungen, wenn für jedes dieser einzelnen Gebiete ein selbständiger Verwaltungsapparat bestand. Es gab also nebeneinander die Domanialämter, die ritterschaftlichen und städtischen Ämter und die Verwaltungseinrichtungen der Kirche. Die Befugnisse des Landesherren im nichtdomanialen Gebiet waren äußerst gering, denn die Stände verteidigten ihre im Laufe der Jahrhunderte erkämpften Privilegien sehr zäh. Nach 1918 hatte auch der mecklenburgische Freistaat als Rechtsnachfolger des Landesherrn große Schwierigkeiten, sich im ritterschaftlichen, städtischen oder kirchlichen Gebiet durchzusetzen. Die reaktionärsten Vertreter der Ritterschaft versuchten sogar, die Legalität dieser Rechtsnachfolge überhaupt anzuzweifeln. So schrieb Freiherr von Maltzan-Woltzow in den „Mecklenburgischen Nachrichten" zur Frage der Aufhebung des Lehnsverbandes unter anderem: „Das Lehnsrecht kennt nur einen Lehnsherrn und einen Lehnsmann. Letzterer hat Ersterem den Lehnseid zu leisten . . . dem Staat hat niemand den Lehnseid geleistet..." Es würden durch die Aufhebung des Lehnsverbandes 5

Großherzoglicher 1905, Teil 2, S. 3.

Mecklenburg-Schwerinscher

Staatskalender

XIV

Einleitung

Gebühren gespart, „. . . von denen es sehr zweifelhaft ist, ob sie dem Staat zustehen, da er nicht Lehnsherr ist . . .". 6 Daß die einzelnen Gebiete praktisch völlig selbständig waren, wirkte sich auch dahin aus, daß die ökonomische Entwicklung der Landwirtschaft in den verschiedenen Gebieten unterschiedlich verlief. Darunter hatten vor allem die ritterschaftlichen Bauern zu leiden. Allein schon die Tatsache, daß im Domanium jeweils einheitliche Erbpachtregelungen getroffen werden konnten, während im ritterschaftlichen Gebiet jeder Gutsherr Verträge nach seinen subjektiven Interessen abschloß, zeigt, daß die Domanialbauern unter weniger ungünstigen Verhältnissen lebten. Da die Junker außerdem für Gerichtsbarkeit und Schulwesen in ihrem Gebiet zuständig waren, ist es erklärlich, daß das ritterschaftliche gleichzeitig das rückständigste Gebiet Mecklenburgs blieb. Eine Untersuchung des juristischen Verhältnisses der mecklenburgischen Bauern zu ihrem wichtigsten Produktionsmittel, dem Grund und Boden, läßt die Abhängigkeit der Bauernschaft in ihrer Gesamtheit von den alten Feudalherren klar erkennen. In den verschiedenen Gebieten gab es folgende Rechtsformen des bäuerlichen Besitzes (Zahlen von 1905) 7 : Rechsformen des landwirtschaftl. Besitzes Güter Pachthöfe Erbpachtstellen Hauswirtsstellen Büdnerstellen Häuslerstellen Besitzungen freier Eigentümer Lehnbauern, -kossaten. -büdner, -hausier

Anzahl in Gebieten: _ Ritter, Domanium schaft Kloster —

136 5461* 23 7568 9996 113 —

1023 —

659 553 140 204 123*«* —



34 216 —

22 42 —

.. ,, Städte —

57 290 43** 280 287 —

48

* In Übersicht getrennt in 112 Erbpachthöfe und 5349 Erbpachtstellen. ** In Übersicht „Hauswirts- und sonstige bäuerliche Stellen". *** In Übersicht „Miteigentümer", also kein freies Eigentum.

Einleitung

XV

Diese Übersicht zeigt, daß es kaum freie Eigentümer bäuerlicher Stellen gab. Bei allen Erbpächtern, Büdnern, Häuslern, Hauswirten usw. war immer der Landesherr, ein Junker, ein Kloster oder eine Stadt Eigentümer oder Obereigentümer des betreffenden Landes. Damit befand sich die bäuerliche Bevölkerung in Abhängigkeit von den verschiedenen feudalen Grundherren. Die ökonomische Macht einiger weniger Großgrundbesitzer über die Vielzahl der Kleinbauern kommt auch in der Aufteilung des Grund und Bodens auf die verschiedenen Betriebsgrößenklassen deutlich zum Ausdruck (Juni 1925) 8 : Betriebsgröße in ha

Anzahl der Betriebe

in %

Anteil an Gesamtfläche

in %

2

76,4

2-

5

8,1

2,9

5-

10

5,4

4,5

10-

0,01-

3,2

20

3,5

6,2

20— 50

4,7

16,7 6,1

5 0 - 100

0,7

100-200

0,2

7,2

über 200

1,0

53,2

In dieser Übersicht werden die krassen sozialen Gegensätze auf dem Lande deutlich. Genau genommen sind diese Gegensätze aber noch schroffer gewesen, als es nach der Tabelle den Anschein hat. Man darf nicht einfach von der Anzahl der Betriebe ausgehen, sondern muß berücksichtigen, daß viele Junker nicht nur Obereigentümer von Bauernstellen, sondern gleichzeitig Besitzer mehrerer Güter waren. So gehörten — um nur einige zu nennen — von Maltzan 16, von Plessen 14 und von Oertzen 13 Güter. Alle Mecklenburgische Nachrichten v. 7. 9. 1923. Großherzoglicher Mecklenburg-Schwerinscher Staatskalender 1905, Teil 2, S. 85, 182, 228. 8 Statistisches Handbuch für das Land Mecklenburg-Schwerin, 3. Ausgabe, 1931, S. 29. 6

7

XVI

Einleitung

diese Güter waren selbständige landwirtschaftliche Betriebe und wurden dementsprechend in der Übersicht einzeln erfaßt.9 Eine Aufstellung, die von der Anzahl der Eigentümer bzw. Nutzeigentümer ausgegangen wäre, hätte noch viel deutlicher gezeigt, wie es die Junker in der Vergangenheit verstanden hatten, mit List und Betrug das Land der Bauern zu rauben. Aber auch die vorliegende Tabelle belegt eindeutig, daß die Junker in Mecklenburg die ökonomische Macht fest in ihren Händen hielten. Mit Ausnahme der Zeit gleich nach der Revolution von 1918 und der Periode des 5. Landtages (1927 bis 1929) stand an der Spitze Mecklenburgs auch eine entsprechend reaktionäre Junkerregierung, die dann 1932 durch die Faschisten in ihrer politischen Herrschaft abgelöst wurde. Zu diesem verhältnismäßig frühen Machtantritt des Faschismus trug die unmarxistische Haltung der SPD zu einigen Grundproblemen der mecklenburgischen Bauernschaft bei. Ihre falsche Auffassung vom Wesen der Erbpacht wird später näher zu untersuchen sein. Die Hauptursache für den starken politischen Einfluß feudaler Kräfte war die unangetastete ökonomische Macht der mecklenburgischen Großgrundbesitzer. Die besonderen Bedingungen in Mecklenburg hatten bis 1918 tiefgreifende Reformen verhindert. Da auch die Novemberrevolution von 1918 keine entscheidende Veränderung der Eigentumsverhältnisse zur Folge hatte, versuchten die Junker schon wenige Jahre später, alle Fortschritte zu annullieren. So finden sich in den Jahrgängen 1925/26 der Zeitschrift „Die Mecklenburgische Heimat" Artikel, die eine Wiedereinführung der feudalen Gesindeordnung propagieren. Von Interesse ist, daß sich dabei in dem Beitrag des Grafen von Bassewitz aus Wesselsdorf bei Tessin in bezeichnender Weise schon 1925 feudalistische und faschistische Gesichtspunkte mischten. In einem Artikel gegen die polnischen Schnitter, die er als eine große Gefahr für das deutsche Volkstum bezeichnete, schrieb er: „Die slawischen Polen sind als Zugehörige der ostischen Rasse unserer nordischen Rasse gegenüber minderwertig . . . Durch ihre größere Anspruchslosigkeit, bedingt durch ihre niedrige Kulturstufe, haben sie unsere heimischen Arbeits9 Angaben der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, Bez.. Stelle Schwerin.

Einleitung

XVII

kräfte unterboten und so zur Entvölkerung der Gutsbezirke beigetragen . . ."10 Und der gräfliche Gutsbesitzer teilt dann mit, daß er alle Arbeiten „allein durch einheimische Arbeitskräfte, und zwar vorwiegend durch die Gutsinsassen" erledigt habe. Sämtliche Frauen der ortsansässigen Deputatisten und auch Jugendliche hätten mitgearbeitet. Er appelliert an seine „Standesgenossen", ihm nachzueifern, da sie dann auch „billiger wirtschaften" könnten.11 Über die Höhe der Löhne befindet sich allerdings nichts in dem Aufsatz. Aber wenn es wörtlich heißt, daß er auf diese Weise „billiger" gewirtschaftet habe, so ermöglichte die Mitarbeit der Frauen und Kinder offensichtlich trotz der „höheren Kulturstufe" ritterschaftlicher Landarbeiterfamilien die Auszahlung niedrigerer Löhne, als sie bei polnischen Schnittern üblich waren.12 Auch die plattdeutschen Ausführungen von Willem (Wilhelm) Kriege muten an, als könnten sie unmöglich im 20. Jahrhundert geschrieben worden sein. In seinen „Poor Würd tau dat Dienstmeiden" (Ein paar Worte zum Leutemieten) macht er Vorschläge, unter welchen Bedingungen man junge Mädchen einstellen sollte. In seinem 8 Punkte umfassenden Programm heißt es unter Punkt 6: „Sie spinnt und webt mit. Dann hat sie abends ihre Arbeit und kann sich nicht rumtreiben. Jeden 2. Sonntag hat sie von 9 bis 5 Uhr frei. Will sie länger wegbleiben, muß sie fragen. Zum Tanz darf sie höchstens sechsmal im Jahr."13 Das Geld (300 Mark im Jahr!) solle ihr nur einmal, nach der Ernte, am 24. Oktober ausgezahlt werden, um einen Abgang vor der Ernte zu verhindern (Punkt 1). Abgehen könne das Mädchen nur aus zwei Gründen: „Tod der Mutter, und wenn sie geschlagen wurde" (Punkt 4). Und im Punkt 8 versichert der Verfasser dann, daß das 10

11

Die Mecklenburgische

Heimat,

Jg. 4, H . 4, April 1925, S. 61.

Ebenda. 12 Es ist hier nicht der Platz, auf die wirklichen Ursachen der Entvölkerung der Gutsbezirke einzugehen. Die Beschäftigung polnischer Schnitter war jedenfalls nicht Ursache, sondern Folge der Ausbeutung und direkten Vertreibung der Landarbeiter durch die Junker. 13 Kriege, [Wilhelm], Poor Würd tau dat Dienstmeiden, in: Die Mecklenburgische

Heimat,

Jg. 5, H . 1, Januar 1926, S. 5f. (Aus d e m

Plattdeutschen übertragen.)

2

Burkhardt

XVIII

Einleitung

Mädel auf solche Weise „an Leib und Seele rein und gesund" bleibe und schließt seine Hinweise mit dem bezeichnenden Satz: „ . . . und für mich als Dienstherrn spricht das auch an". 14 Diese Vorschläge bzw. Vorschriften sind nichts anderes, als der Versuch einer Neuauflage der Leibeigenschaft. Dagegen ist der Artikel des Hauptschriftleiters der „Mecklenburgischen landwirtschaftlichen Zeitung", Dr. Wölfer, über das Thema „Die Arbeiterfrage" schon modern, wenn es dort heißt: „Die Kräfte, die heute im Sport vergeudet werden, im Fußball oder Wettlauf, lassen sie sich nicht beruflich nützen? Kann anstatt des Ballspiels, statt der Meisterschaft in diesem oder jenem brotlosen Spiel nicht um die Kreismeisterschaften im Mähen oder Pflügen gekämpft werden, solange es noch das Handmähen mit der Sense und das Gespannpflügen gibt? Wenn bei jeder Kniebeuge, die von den Sportplätzen auf das Feld verlegt wird, eine Unkrautpflanze mit aufgenommen wird, tut das der Körperschulung keinen Abbruch und schafft Nutzen." 15 Die drei zitierten Aufsätze zeigen die Einstellung der in Mecklenburg herrschenden Feudalklasse und waren dazu angetan, die Rechte der Landarbeiter zu beschneiden, ihre Lage zu verschlechtern und damit gleichzeitig die Macht der Feudalherren weiter zu festigen. Das Interesse der Junker an einer Aufrechterhaltung und Festigung ihres politischen und ökonomischen Einflusses schloß notwendig ein, daß auch die kirchlichen Machtpositionen nicht angetastet werden durften. Das galt sowohl in ideologischer als auch in ökonomischer Beziehung. Die Kirche war für die Ritterschaft eine starke, eng mit ihr verbündete ideologische Macht. Sie unterstützte durch den reaktionären Inhalt ihrer Lehre die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, indem sie zur Untertänigkeit erzog und geduldig ertragenes Leid erstrebenswert machte. Solcher Ideologie mußte notwendig die volle Unterstützung der Junker sicher sein. Auf Grund ihres Bodenbesitzes war die Kirche aber auch eine ökonomische Macht, die, ebenso wie die Junker, in der Zeit des Feudalismus mit einer Reihe von Privilegien ausgestattet worden war. 14

Ebenda.

15

Mecklenburgische

landwirtschaftliche

Zeitung

v.

16.

II.

1929.

Einleitung

XIX

Jeder ernsthafte Eingriff in die Feudalrechte der Kirche hätte entsprechende Forderungen gegenüber dem adligen Großgrundbesitz auslösen können und umgekehrt. Diese gegenseitige Verflechtung der Interessen trat — wie die folgenden Untersuchungen zeigen werden — bei allen Auseinandersetzungen über Feudalreste nach 1918 deutlich zutage. Junker und Kirche waren ökonomisch und ideologisch gezwungen, sich sowohl bei der Frage der feudalen Pachtverhältnisse als auch bei dem Problem der feudalen Dienstleistungen oder der Kirchenabgaben wechselseitig zu unterstützen. Beide standen sie in einer Front gegen Bourgeoisie und Proletariat, wenn es darum ging, feudale Privilegien zu verteidigen. Die antifeudalen Kräfte waren nach 1918 noch zu schwach und vor allem zu uneinig, um die Macht der mecklenburgischen Junker und damit die Rückständigkeit dieses Landes zu beseitigen. Erst der Zusammenbruch des Faschismus machte 1945 auch in Mecklenburg den Weg für eine demokratische, fortschrittliche Entwicklung unter der Führung der Arbeiterklasse frei.

2*

KAPITEL I

Feudale Pachtverhältnisse E R B P A C H T U N D KANON

A. Allgemeines In Mecklenburg vollzog sich erst im 20. Jahrhundert, was in Deutschland in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts längst abgeschlossen worden war: die allmähliche Umwandlung der feudalen in eine kapitalistische Grundrente, anders gesagt, die Auflösung feudaler Abhängigkeitsverhältnisse unter dem Einfluß der Geldrente.1 Eine eingehende Untersuchung der mecklenburgischen Pachtverhältnisse nach 1918 zeigt, wie widerspruchsvoll und kompliziert dieser Prozeß im einzelnen vor sich gegangen ist, zeigt „die endlos verschiedenen Kombinationen, worin sich die verschiedenen Formen der Rente verbinden, verfälschen und verquicken können". 2 In der Einleitung wurde schon auf die Eigentumsverteilung eingegangen, die die Grundlage zum Weiterbestehen der Junkerherrschaft in Mecklenburg gewesen ist. Jetzt kommt es darauf an, den Grad der feudalen Abhängigkeit deutlich zu machen, in dem sich alle jene Bauernstellen befanden, die zwar in Statistiken usw. als selbständige Betriebe erfaßt wurden, tatsächlich aber unter teilweise mittelalterlichen Bestimmungen von einem feudalen Obereigentümer abhängig waren. Schon seit Jahrzehnten forderten die mecklenburgischen Bauern, daß der Grund und Boden, den sie mit ihrer Hände Arbeit bestellen, auch ihr frei verfügbares Eigentum werde. Dieses Streben wurde in der Zeit der Weimarer Republik besonders stark und zwang die einzelnen politischen Parteien im Landtag mehr als einmal zur Stellungnahme. 1 Wenn in der Arbeit von „feudalen" oder „halbfeudalen" Pachtverhältnissen gesprochen wird, so soll damit grundsätzlich immer auf den feudalen Ursprung der Pachtabgaben hingewiesen werden. 2 Marx, Karl, Das Kapital, Bd. 3, Berlin 1953, S. 847.

2

Allgemeines

1. Die Entwicklung der Pachtverhältnisse bis 1918 Ausgangspunkt für die Untersuchung der Änderungsbestrebungen sind die verschiedenen Pachtverhältnisse, die sich bis 1918 entwickelt hatten. Dabei soll von den vielfältigen Besonderheiten abgesehen werden, die sich aus den unterschiedlichen Verhältnissen in den einzelnen Obereigentumsformen (landesherrliches Domanium, Ritterschaft, Städte und Klöster) ergeben hatten. Zu bemerken ist aber, daß auch diese Differenzierung ein Ausdruck feudaler Zersplitterungen war. Welche grundsätzlich verschiedenen Formen hatten sich bis Ende 1918 herausgebildet? Die erste und niedrigste Form war die der sogenannten „unregulierten" Bauern. Das waren jene Bauern, deren Felder noch nicht neu vermessen waren und bei denen die Allmende noch nicht aufgeteilt war. Sie wurden als „Hauswirte" bezeichnet und hatten lediglich das Nutzungsrecht an bestimmten Feldern des Gutsherrn. Die Eigentumslasten trug der Gutsbesitzer. Er hatte also zum Beispiel für Baumaterialien, Reparaturkosten, Feuerungsholz und ähnliches aufzukommen. Diesen unregulierten Bauern gegenüber hatte der Artikel 334 des Landesgrundgesetzlichen Erbvergleichs von 1755 Gültigkeit, wonach der Junker noch nach 1918 die gesetzliche Handhabe zum Bauernlegen hatte. Er war nur verpflichtet, dafür zu sorgen, daß „die verlegten oder niedergelegten Bauern nach eines jeden Gutsherrn convenience auch außer oder ohne Hufen wieder untergebracht werden".3 Die Zahl dieser unregulierten Bauern, die es nur noch im ehemaligen ritterschaftlichen Gebiet gab, war aber bereits verhältnismäßig gering. Sie ist Anfang der zwanziger Jahre im Lande MecklenburgSchwerin mit rund 50 anzunehmen4, während es Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch 274 waren.5 Eine zweite Form, die ebenfalls ohne wesentliche Änderungen aus der Zeit der Leibeigenschaft stammte, war die der Regulativ3 Zit. nach Stade, Heinrich, Die Bestrebungen zur Umgestaltung der agrarischen Besitzverhältnisse in Mecklenburg-Schwerin nach 1918, Göttingen 1928, S. 29 fl. 4 Derselbe, ebenda, S. 38. 5 Derselbe, ebenda, S. 37.

I. Feudale Pachtverhältnisse

3

Bauern, also regulierte Bauern, die es auch nur noch im früheren ritterschaftlichen Gebiet gab. Sie hatten den unregulierten Bauern gegenüber eine größere Garantie für die Fortdauer ihres Nutzungsrechtes. Es bestand die Möglichkeit einer Vererbung, aber für die Erbfolge galten die in dem Hausbrief vorgesehenen Bestimmungen als Gesetz. Danach hatte der Bauer z. B. keine Möglichkeit, das als Nachfolger geeignetste Kind einzusetzen.6 Bei gleichberechtigten Erben stand dem Gutsherrn das Recht zu, den ihm Genehmen auszuwählen.7 Des weiteren durfte der Boden nicht belastet werden und die Bauern blieben, je nach den Wünschen des Gutsherrn, bestimmten Pflichten unterworfen. So mußten sie häufig ihr Korn in einer bestimmten Mühle mahlen lassen. Die Zahl der RegulativBauern ist für das Jahr 1922 mit 264 anzunehmen.8 Diesen beiden ersten Formen, die meist nicht genauer unterschieden werden, ist gemeinsam, daß die Bauern als Zeitpächter nur Nutzungsberechtigte waren. Der Gutsherr hatte alle Eigentumsrechte und mußte gewisse Lasten (Erhaltung der Bauten usw.) selbst tragen. Die Unsicherheit solcher Besitzverhältnisse führte natürlich dazu, daß der Hauswirt an wesentlichen Verbesserungen des Bodens nicht interessiert war, und die Erträge waren entsprechend niedrig. Schon aus der Gesamtzahl der unregulierten und regulierten Hauswirte (mit rund 300 Bauernstellen) ergibt sich, daß sie für das Land Mecklenburg-Schwerin keine besondere ökonomische Bedeutung hatten.9 Aber einerseits mußten nach 1918 gerade ihre Verhältnisse unbedingt neu geregelt werden, und andererseits ist es im Rahmen der vorliegenden Untersuchung notwendig, solche eindeutig feudalen Reste ausführlich zu behandeln. Von weit entscheidenderer Bedeutung, allein schon von der Zahl und damit der ökonomischen Stärke her, waren die soge6 Verhandlungen des Mecklenburg-Schwerinschen Landtages, 1. Landtag, 18. Sitzung v. 23. 11. 1920, Sp. 683. (Landtag im folgenden immer als: Ltg. geführt.) 7 Stade, Heinrich, a. a. O., S. 31. 8 Derselbe, ebenda, S. 38. 9 Die Angaben über die Gesamtzahl der Hauswirte schwanken. Nach Stade sind es etwa 300, nach DietzelHeuschert (Die Erbpacht in Mecklenburg, in: Berichte über Landwirtschaft, Neue Folge, Bd. 7, Berlin 1928) 685 Hauswirte. In jedem Fall ist die Zahl verhältnismäßig niedrig.

4

Allgemeines

nannten „Erbpächter". 10 Vor allem im ehemaligen landesherrlichen Gebiet, dem Domanium, war die Erbpacht das allgemein übliche Pachtverhältnis und trat in den verschiedensten Formen auf. Abhängig von der Größe des bäuerlichen Grundbesitzes wurden die Erbpachtstellen als Erbpachthöfe und -hufen, Btidnereien oder Häuslereien bezeichnet. Diese Einteilung erfolgte nach bonitierten Scheffeln und betrug für Erbpachthöfe Erbpachthufen Büdnereien und Häuslereien

über 350 Scheffel 37V2 bis 350 Scheffel unter 37y 2 Scheffel nur Hof- und Gartenland ohne Acker

(über rd. 60 ha), (rd. 20 bis 60 ha), (rd. 2 bis 20 ha), (unter rd. 2 ha),

Entsprechend dieser Klassifizierung gab es nach einer Denkschrift des Schweriner Staatsministeriums 1927 in den einzelnen Gebieten folgende Erbpachtstellen: Gebiete Domanium

Erbpacht- Erbpacht- Büdnehöfe hufen reien

Kirche Summe:

Insgesamt

8868

12956

27 695

114

5755

3

748

165

215

1131

20

264

332

410

1126

3

43

Ritterschaft Städte

Häuslereien





46 29998"

Aus dieser Aufstellung ergibt sich, daß 92,3% aller Erbpachtstellen im ehemaligen Domanium lagen. Und wenn auch die Zahlen für 1918 natürlich etwas abweichend gewesen sein dürften, so verschiebt sich das Bild höchstens noch zugunsten der Domanialzahlen. Das bedeutet, daß für die Lage der Erbpächter im allgemeinen die Bedingungen der Domanialerbpächter entscheidend waren. Aber die Pachtbestimmungen für die restlichen 7,7% waren immerhin noch für die Existenz von 2303 Erbpächtern 10 Von der besonderen Form der Erbleihebauern kann, da sie 1918 überhaupt nicht mehr nachweisbar sind, Abstand genommen werden. 11 Zit. nach DietzelHeuschert, Die Erbpacht in Mecklenburg, in: Berichte über Landwirtschaft, Neue Folge, Bd. 7, Berlin 1928, S. 10.

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maßgebend und spiegelten - weil es sich hier um Erbpachtverträge mit einzelnen, teilweise sehr rückständigen Obereigentümern handelte — besonders stark den ursprünglich feudalen Charakter der Erbpacht wider. Natürlich dürfen auch die günstigeren Pachtbedingungen im ehemaligen Domanium nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Erbpacht letztlich ein Versuch war, den in den meisten deutschen Ländern bei der Befreiung von der Leibeigenschaft beschrittenen Weg zum freien Eigentum der Bauern an Grund und Boden zu vermeiden und nach Möglichkeit Reste des Feudalismus zu konservieren. Dazu mußten die feudalen Besitzverhältnisse, das Obereigentum des ehemaligen Feudalherrn, erhalten bleiben. Im Gegensatz zu Mecklenburg wurden selbst in dem reaktionären Preußen Anfang des 19. Jahrhunderts den Bauern die von ihnen bis dahin genutzten Stellen im allgemeinen als freies Eigentum übergeben.12 Während es in dem entsprechenden preußischen Gesetz vom 2. 3. 1850 in § 82 heißt, daß der Stellenbesitzer, ohne Entschädigung dafür zu leisten, das Eigentumsrecht und die Hofwehr erhält13, wurde in Mecklenburg schon die allmähliche Einführung der Erbpacht von der Ritterschaft als zu großer und von den Bauern als zu geringer Fortschritt bekämpft. Es würde über den Rahmen dieser Untersuchungen hinausgehen, die verschiedenen Ubernahmebedingungen in den einzelnen Gebieten und Zeiten zu analysieren.14 2. Die Merkmale der Erbpacht In diesem Zusammenhang sind die Vorschriften von Interesse, die sich bis 1918 in den Erbpachtverträgen erhalten hatten und die für die Wirtschaftsführung der Bauern in der Zeit nach 1918 von Bedeutung waren. 12 Vgl. Mager, Friedrich, Geschichte des Bauerntums und der Bodenkultur im Lande Mecklenburg, Berlin 1955, S. 379 ff. 13 Verfassungsgebender (weiterhin geführt als: Vfg.) Ltg., 14. Sitzung v. 10. 4. 1919, Sp. 408. " Vgl. Mager, Friedrich, a. a. O., S. 3 5 9 - 3 6 2 u. 364/365. Vgl. DietzejHeuschert, a. a. O., S. 4ff.

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Allgemeines

Bei diesen Vorschriften muß man zwischen den wesentlichsten, allgemeingültigen Grundsätzen der Vererbpachtung und einer Fülle spezifischer Ge- und Verbote unterscheiden. Folgende Hauptmerkmale kennzeichneten 1920 die mecklenburgischen Erbpachtverträge : 1. die Leistung eines Kanons, 2. die Zahlung einer Konsensgebühr bei Veräußerung an fremde Personen (2%), 3. das Vorkaufsrecht des Staates, 4. die Unteilbarkeit des Besitzes.15 Betrachten wir diese Hauptmerkmale, zunächst den ersten Punkt, etwas näher: Unter Kanon ist eine jährliche Abgabe zu verstehen, die der bäuerliche Nutzungsberechtigte an den feudalen Obereigentümer zu entrichten hatte. Im Durchschnitt betrug diese Rente, die ursprünglich Naturalform hatte, also eine Produktenrente war, einen Scheffel Roggen pro Morgen. Ihre genaue Höhe war im einzelnen von den örtlichen Verhältnissen abhängig. Im Laufe der Entwicklung machte dieser ursprüngliche Naturalkornkanon verschiedene Veränderungen durch, die dazu führten, daß, je nachdem, wann die Pachtverträge abgeschlossen wurden, andere Festlegungen für die Leistungen des Kanons getroffen wurden. Aus dem Naturalkanon entwickelte sich der Naturalwertkanon, daß heißt eine Geldleistung, die entweder nach dem jeweiligen Marktpreis (Martinipreis) oder nach einem mehrjährigen Durchschnitt (im allgemeinen 20 Jahre) festgelegt wurde. Daneben gab es aber auch einen reinen Geldkanon, bei dem eine feste, unveränderliche Geldsumme gezahlt werden mußte. Die modernste und am meisten angewandte Form war die Verzinsung des kapitalisierten Kanons.16 Besonders die Domanialbauern hatten die Möglichkeit, ihre Kanonleistung in ein mit 4% verzinsliches Kanonkapital umzuwandeln.17 In den verschiedenen Kanonformen spiegelt sich der Verfall der alten feudalistischen Produktionsverhältnisse wider. Der Naturalis 1. Ltg., 18. Sitzung v. 23. 11. 1920, Sp. 679£f. 16 Die Kapitalisierung erfolgt zu den 25fachen Betrag des 3 / 4 Martinipreises, d. h. also zum rund 19fachen Betrag des Kanons. 17 Vgl. Stade, Heinrich, a. a. O., S. 110.

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kanon entspricht der Produktenrente. Er basiert auf der Naturalwirtschaft des Mittelalters und war auch im Mecklenburg des 20. Jahrhunderts nicht mehr als eine „aus einer verlebten Produktionsweise herübergeschleppte und als Ruine ihr Dasein fristende Tradition".18 Der Naturalwertkanon ist eine typische Übergangserscheinung zwischen Produkten- und Geldrente. Er macht deutlich, daß die Geldrente im Unterschied zur kapitalistischen Grundrente — die ihrem Wesen nach ein Überschuß über den Durchschnittsprofit ist — nur die sich in eine Geldzahlung verwandelnde Produktenrente ist, ihrem Wesen nach unbezahlte Mehrarbeit des Produzenten bleibt. Der reine Geldkanon und noch mehr der kapitalisierte Kanon, sind Formen der Geldrente. Sie verwandeln „notwendig das traditionelle gewohnheitsrechtliche Verhältnis zwischen den einen Teil des Bodens besitzenden und bearbeitenden Untersassen und dem Grundeigentümer in ein kontraktliches, nach festen Regeln des positiven Gesetzes bestimmtes reines GeldVerhältnis. Der bebauende Besitzer wird daher der Sache nach zum bloßen Pächter."19 Dies waren auch die grundsätzlichen Voraussetzungen, die eine kapitalistische Entwicklung in der mecklenburgischen Landwirtschaft möglich machten. Für den Übergang zur kapitalistischen Produktion bestehen dann zwei Möglichkeiten: „Diese Verwandlung wird einerseits... dazu benutzt, die alten bäuerlichen Besitzer nach und nach zu expropriieren und an ihre Stelle kapitalisierende Pächter zu setzen; andererseits führt sie zum Loskauf des bisherigen Besitzers von seiner Rentpflichtigkeit und zu seiner Verwandlung in einen unabhängigen Bauer, mit vollem Eigentum an dem von ihm bestellten Boden." 20 Auch für Mecklenburg treffen diese Beobachtungen Karl Marx' zu. Einerseits versuchten die Junker, die Bauern von ihrem Hof zu vertreiben, andererseits hatten die Erbpächter im ehemaligen Domanium das Recht, sich durch Kündigung des Kanonkapitals — allerdings dann nur der gesamten Summe — von der Kanonlast zu befreien und Eigentümer des von ihnen bestellten Bodens zu werden. i» Marx, Karl, a. a. O., S. 838. « Derselbe, ebenda, S. 849.

Derselbe, ebenda, S. 849 f.

Allgemeines

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Solch eine Ablösbarkeit des Kanons bestand in den von der Ritterschaft beherrschten Gebieten normalerweise nicht, ja, es gab sogar Verträge, in denen selbst eine Kapitalisierung ausdrücklich verboten wurde. Neben diesem wichtigsten Merkmal der Erbpacht, der Kanonzahlung, steht als zweiter Punkt die Zahlung der Konsensgebühr. Bei einer Veräußerung an fremde Personen mußte grundsätzlich eine solche Gebühr, die sich aus der Monopolstellung des feudalen Obereigentümers ergab, entrichtet werden. Aber es gab auch sehr viele Erbpachtverträge, in denen überhaupt schon die Möglichkeit einer Veräußerung stark eingeschränkt war. Für den Erbpächter und seine Wirtschaftsführung war das dritte wesentliche Merkmal, das Vorkaufsrecht des Staates, nur von geringem Interesse. Dagegen bedeutete aber die Unteilbarkeit des Besitzes, die in der Landtagsdebatte von 1920 als viertes Hauptmerkmal genannt wurde, einen wirksamen Schutz gegen die ökonomisch untragbare Zersplitterung der Bauernstelle. Da gleichzeitig auch die Zusammenlegung bzw. gemeinsame Bewirtschaftung mehrerer Stellen untersagt war, wurde der Fortbestand der Erbpachtstelle in der einmal gegebenen Größe garantiert. Unter Umständen konnte sich diese an sich positive Garantie natürlich auch negativ auswirken, wenn nämlich die ursprüngliche Hektargröße den neuen modernen Produktionsbedingungen nicht mehr entsprach. Besonders erschwerend für die Lage der Erbpächter war, daß es außer diesen Hauptmerkmalen noch eine Fülle verschiedenartigster Ge- und Verbote gab, die die ohnehin geringe Selbständigkeit des Erbpächters beträchtlich einschränkten. Insbesondere im ritterschaftlichen Gebiet enthielten die Erbpachtverträge häufig Bestimmungen, die eine den Errungenschaften des 20. Jahrhunderts entsprechende Bewirtschaftung nahezu ausschlössen und sehr an eine neue Form der Leibeigenschaft erinnerten. Die Großgrundbesitzer versuchten dadurch, jede fortschrittliche Entwicklung zu hemmen. So waren z. B. der Verschuldbarkeit teilweise sehr enge Grenzen gezogen. Die Schuldensumme, die bei den meisten ritterschaftlichen Erbpächtern auf 200 bis 300 Taler festgelegt war21, konnte 21

Stade, Heinrich, a. a. O., S. 34.

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nicht überschritten werden, d. h. es konnte nicht mit den notwendigen Krediten gearbeitet werden, denn die Belastungsfähigkeit der Bauernstelle war eine Vorbedingung für ihre moderne Bewirtschaftung. Aber nicht nur die Schwierigkeiten bei der Aufnahme von Krediten machten eine zeitgemäße Wirtschaftsführung fast unmöglich. Es gab Erbpachtbriefe, in denen direkte Vorschriften über die Schlagverteilung und Fruchtfolge enthalten waren. Daß es sich bei solchen Festlegungen, die vor Jahrzehnten getroffen waren, nicht um neueste agrowissenschaftliche Erkenntnisse handeln konnte, liegt auf der Hand. Professor Gieseke, Verfasser mehrerer Gutachten über Erbpachtfragen für die mecklenburgische Regierung und von 1926 bis 1928 Landtagsabgeordneter der Deutschen Volkspartei, erwähnt bei der Aufzählung von Unzulänglichkeiten bei Erbpachtverträgen 22 auch Verbote, einzelne Erzeugnisse des Betriebes, wie Heu, Stroh, Dung usw, zu verkaufend Auch die Vorschriften, das Korn in einer bestimmten Mühle mahlen zu lassen oder vorgeschriebene Versicherangen bei festgelegten Versicherungsanstalten abzuschließen, schränkten die Entscheidungsfreiheit der Erbpächter ein und bedeuteten zusätzliche Einnahmequellen für den Obereigentümer. Wie sehr diese Anordnungen ins einzelne gehen konnten, mag der § 8 des Grundbriefes der Häuslerei I X zu Bentwisch mit der Rostocker Kämmerei vom 23. 3. 1908 zeigen: „Er (der Häusler J . B.) muß sich in vorkommenden Fällen der für Bentwisch verpflichteten Hebamme bedienen und ihr auch dann, wenn er sie im Bedarfsfalle nicht zuzieht, die herkömmlich bzw. verordnungsgemäße Gebühr entrichten." 23 Den Rövershagener Bauern wurde beispielsweise im Erbpachtvertrag genau vorgeschrieben, wie groß der Altenteil sein mußte. In einem 1925 gedruckten Formular heißt es im § 20: „Als Alten2 2 Landeshauptarchiv Schwerin (weiterhin geführt als: LHA Schwerin), Akten betr. Aufhebung von Beschränkungen des Erbpachtrechtes, Anlage zu Vorgang v. 24. 10. 1933. Vollständige Übersicht im Anhang Nr. I. 23 Stadtarchiv Rostock, Akten der Kämmerei- und Hospitalverwaltung Rostock betr. die Häuslerei Nr. 9 zu Bentwisch, Sign. 111/10, Nr. 9.

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Allgemeines

teil ist dem abtretenden Erbpächter für sich und seinen Ehegatten zu gewähren: 1. freie Wohnung, bestehend aus Stube, Kammer und Küche, 2. an Feuerung 50 Ztr. Briketts oder statt dessen 15 rm Kluftholz frei zur Stelle, 3. 12 Ztr. Kartoffeln frei zur Stelle, 4. 440 qm Gartenland, 5. täglich 2 Liter Vollmilch, wöchentlich 2 Pfd. Butter und 2 Brote ä 7 Pfd., 6. jährlich eine Geldsumme, welche den Rostocker Marktpreisen von 15 Ztr. Roggen im Freihandel entspricht, 7. die üblichen Fuhren, namentlich für Kirche, Prediger und Arzt, 8. jährlich im Dezember oder Januar ein halbes Schwein; das betreffende Schwein muß ein Lebendgewicht von mindestens 150 kg haben, 9. Gelaß für die vorerwähnten Lieferungen." 24 Ähnlich war es mit verschiedenen Bestimmungen ritterschaftlicher Grundbücher, die Gesetzeskraft hatten und bei denen die Vorschriften, die die nächsten Angehörigen der Pächter betrafen, noch weit mehr den mittelalterlichen Charakter dieser ganzen Pachtverhältnisse widerspiegeln. Es heißt darin, daß ,,. . . Kinder, solange sie auf der Hufe bleiben, das Recht des Unterhalts auf der Hufe genießen. Wenn sie von der Hufe abgehen . . ., die Tochter sich verheiratet, dann bekommt die Tochter ein schwarzes Kleid und ein gemästetes Schwein".25 Eine Geldabfindung war nur durch gütliche Verhandlungen möglich. Der Erbpächter konnte sich, wenn er wollte, auf diese gesetzlichen Vorschriften rechtsgültig berufen. Es ist bezeichnend, wenn diese Rechtsgültigkeit in manchen Grundbriefen noch durch den Satz: „Solang dei Hahn kreiht un dei Wind weiht, besteht dat Gesetz" besonders zum Ausdruck gebracht wurde.26 Einige besonders eigenartig anmutende Beschränkungen einzelner Erbpächter seien in diesem Zusammenhang ihrer Kuriosität wegen noch angeführt: 24 Ebenda, betr. die Kanonerlegnisse der Bauerngüter in Rövershagen, Sign. III/67 e , Nr. 1. 25 2. Ltg., 19. Sitzung v. 23. 6. 1921, Sp. 689. 26 Ebenda. Sp. 691.

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1. Der Erbpächter mußte sein bewegliches und unbewegliches Vermögen an die Grundherrschaft für deren Ansprüche verpfänden. 2. Es war ihm verboten, neue Feuerstellen zu errichten, bzw. die vorhandenen zu verlegen. 3. Er war verpflichtet, seine Kühe bei einem Bullen zuzulassen, der von dem Vererbpächter (Obereigentümer) bestimmt wurde. 4. Der Erbpächter mußte dem Gutsbesitzer die Benutzung seiner Wege gestatten. 5. Wenn die Gutsherrschaft sämtlichen Hufeninhabern ein Gastmahl gewährte, mußte er eine entsprechende Abgabe zahlen. 6. Einem Gutsschmied (Erbpachtschmied) war es zum Schutze der Pferde des Gutsbesitzers verboten, Bienen zu halten.27 Diese Beispiele mögen als Charakterisierung der spezifischen Ge- und Verbote mecklenburgischer Erbpachtverträge genügen. Sie sind ein deutlicher und überzeugender Beweis für den feudalen Charakter der Erbpacht, und sie zeigen, wie es vor allem die Junker verstanden haben, feudale Sonderrechte weiter zu konservieren. Zusammenfassend muß man also feststellen, daß sich 2 Hauptformen der Pachtverhältnisse bis 1918 entwickelt hatten: 1. Abgabenbelastete Bauern, die nur Nutznießer, nicht erbliche oder in anderer Form traditionelle Besitzer des Grund und Bodens waren: die unregulierten und regulierten Bauern. 2. Erbliche Besitzer von Grund und Boden, die neben der Geldrente, die sie zu zahlen hatten, oft durch eine Vielzahl und Vielfalt von Verboten und Vorschriften in ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten eingeschränkt waren: die Erbpächter. B. Die Behandlung der Erbpacht im Landtag nach 1918 Es kann unter diesen Umständen nicht verwundern, daß nach 1918 im mecklenburgischen Landtag Bestrebungen zu einer Veränderung dieser Pachtverhältnisse einsetzten. In der Hauptsache 27

LHA Schwerin, Akten betr. Aufhebung von Beschränkungen des Erbpachtrechtes, Anlage zu Vorgang v. 24. 10. 1933. Vollständige Übersicht im Anhang Nr. I.

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1. Der Erbpächter mußte sein bewegliches und unbewegliches Vermögen an die Grundherrschaft für deren Ansprüche verpfänden. 2. Es war ihm verboten, neue Feuerstellen zu errichten, bzw. die vorhandenen zu verlegen. 3. Er war verpflichtet, seine Kühe bei einem Bullen zuzulassen, der von dem Vererbpächter (Obereigentümer) bestimmt wurde. 4. Der Erbpächter mußte dem Gutsbesitzer die Benutzung seiner Wege gestatten. 5. Wenn die Gutsherrschaft sämtlichen Hufeninhabern ein Gastmahl gewährte, mußte er eine entsprechende Abgabe zahlen. 6. Einem Gutsschmied (Erbpachtschmied) war es zum Schutze der Pferde des Gutsbesitzers verboten, Bienen zu halten.27 Diese Beispiele mögen als Charakterisierung der spezifischen Ge- und Verbote mecklenburgischer Erbpachtverträge genügen. Sie sind ein deutlicher und überzeugender Beweis für den feudalen Charakter der Erbpacht, und sie zeigen, wie es vor allem die Junker verstanden haben, feudale Sonderrechte weiter zu konservieren. Zusammenfassend muß man also feststellen, daß sich 2 Hauptformen der Pachtverhältnisse bis 1918 entwickelt hatten: 1. Abgabenbelastete Bauern, die nur Nutznießer, nicht erbliche oder in anderer Form traditionelle Besitzer des Grund und Bodens waren: die unregulierten und regulierten Bauern. 2. Erbliche Besitzer von Grund und Boden, die neben der Geldrente, die sie zu zahlen hatten, oft durch eine Vielzahl und Vielfalt von Verboten und Vorschriften in ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten eingeschränkt waren: die Erbpächter. B. Die Behandlung der Erbpacht im Landtag nach 1918 Es kann unter diesen Umständen nicht verwundern, daß nach 1918 im mecklenburgischen Landtag Bestrebungen zu einer Veränderung dieser Pachtverhältnisse einsetzten. In der Hauptsache 27

LHA Schwerin, Akten betr. Aufhebung von Beschränkungen des Erbpachtrechtes, Anlage zu Vorgang v. 24. 10. 1933. Vollständige Übersicht im Anhang Nr. I.

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Behandlung der Erbpacht im Landtag

gab es vier verschiedene Richtungen, die im einzelnen nicht immer genau voneinander zu trennen sind: 1. Bestrebungen zur Abschaffung aller Pachtformen und ihre Ersetzung durch das freie Eigentum, 2. Bestrebungen zur allgemeinen Einführung der Erbpacht, 3. Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Erbpachtbestimmungen im ganzen Lande Mecklenburg-Schwerin, 4. Bestrebungen, um zu einer einheitlichen Kanonleistung zu kommen (vor allem im Zusammenhang mit der Inflation und der darauf folgenden Aufwertungs-Gesetzgebung). Dabei ist die erste Richtung fraglos die wichtigste, da eine Lösung der Eigentumsfrage alle anderen Probleme von selbst erledigt hätte. Es würde aber ein unrichtiges Bild der Einstellung der einzelnen Parteien zu den Besitzverhältnissen in der mecklenburgischen Landwirtschaft geben, wenn man sich — wie Stade — auf eine Analyse der Landtagsvorlagen beschränkte und es vermeiden würde, auf die Diskussionen zu diesen Fragen einzugehen. Das müßte dazu führen — wie es meines Erachtens gewollt oder ungewollt Stade gegangen ist —, die Haltung der Deutschnationalen zu diesem Problemkreis völlig falsch einzuschätzen. Alle scheinbar positiven Anträge dieser Partei erfolgten lediglich aus agitatorischen Gründen. Sie waren nur darauf gerichtet, als „Wahlspeck" zu dienen, nicht aber darauf, die Lage der Klein- und Mittelbauern tatsächlich zu verbessern. Die Deutschnationalen vertraten konsequent die Interessen der Junker, auch wenn ihre Anträge manchmal bauemfreundlich zu sein schienen. In den Diskussionen zeigte sich immer wieder ihr reaktionärer Klassenstandpunkt, erwies sich die Richtigkeit der Feststellung Lenins: „Gleich Einzelpersonen können auch beliebige Vertreter von Parteien und Klassen irren, wenn sie aber in der öffentlichen Arena, vor der gesamten Bevölkerung auftreten, dann werden einzelne Fehler unvermeidlich durch die entsprechenden Gruppen oder Klassen, die an dem Kampf interessiert sind, korrigiert. Klassen irren nicht: sie umreißen im großen und ganzen ihre Interessen und ihre politischen Aufgaben entsprechend den Bedingungen des Kampfes und den Bedingungen der gesellschaftlichen Entwicklung.''28 » Lenin, W. I., a. a. O., S. 177.

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Weil gerade die Auseinandersetzung im Plenum des Landtages die einzelnen Parteien zu einer präzisen Stellungnahme gegenüber den Problemen der Bauernschaft zwang, darf bei einer exakten Untersuchung die Analyse der Diskussionen nicht fehlen. Grundsätzlich muß man also bei der Betrachtung der historischen Entwicklung nach 1918 zweierlei berücksichtigen: 1. Welche Gesetze wurden in bezug auf den vorliegenden Problemkreis im Landtag eingebracht bzw. beschlossen, 2. welche Diskussionen gab es über die mittelalterlichen Pachtverhältnisse und wie spiegelten diese Debatten die Lage im Lande Mecklenburg und die Haltung der Parteien richtig wider? 1. Die Diskussion über die Aufhebung von Beschränkungen hinsichtlich der Belastung und der Verfügung von Todes wegen (Gesetz vom 5. 6. 1919) Schon im ersten, dem verfassungsgebenden Landtag spielte die Frage der landwirtschaftlichen Besitzverhältnisse eine große Rolle. Durch die Novemberrevolution von 1918 waren jene Institutionen verschwunden, die bis dahin ein Haupthindernis für eine vernünftige Regelung aller bäuerlichen Probleme gebildet hatten: der Ständetag und der mecklenburgische Großherzog. Nun konnten die Bauern endlich nachdrücklich ihr Recht fordern — und viele politische Parteien machten sich zum Sprecher der mecklenburgischen Landbevölkerung. Die wesentlichste und durchaus verständliche Forderung der Bauern war, daß der seit Jahrhunderten von ihnen bearbeitete Boden endlich wieder ihr freies Eigentum würde. Diese ihrem Wesen nach bürgerlich-demokratische Forderung wurde schon in einem der ersten Anträge aufgegriffen, in einem von den Demokraten, der Partei des liberalen Bürgertums, eingebrachten Gesetzentwurf. Darin hieß es: „Der gesamte bäuerliche Besitz . . . wird von den ihm noch anhaftenden privatrechtlichen Schranken befreit und für freies Eigentum in der Hand seines gegenwärtigen, bäuerlichen Besitzers erklärt . . . Diese Befreiung erfolgt unentgeltlich." 29 29

Vfg. Ltg., Drucksache Nr. 4.

3 Burkhardt

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Behandlung der Erbpacht im Landtag

Außerdem forderte dieser Gesetzentwurf die Aufhebung noch bestehender Verschuldbarkeitsgrenzen und verlangte für die Besitzer bäuerlicher Stellen die Einführung bestimmter Titel (über 100 ha Gutsbesitzer, 10 bis 100 ha Hofbesitzer, 1 bis 10 ha Büdner, unter 1 ha Häusler). In der Debatte um diesen Entwurf und einen Antrag der Deutschnationalen, der in seinen Forderungen längst nicht soweit ging, sondern nur eine Vererbpachtung der restlichen Hauswirte und eine unbegrenzte Verschuldbarkeit der Erbpächter vorsah, kam es zu den ersten heftigen Auseinandersetzungen. Dabei wurden auch — da ja zu entscheiden war zwischen Erbpacht und freiem Eigentum — die Gründe, die seinerzeit zur Vererbpachtung in Mecklenburg-Schwerin geführt hatten, sehr kritisch vor der Öffentlichkeit untersucht. Der Vertreter des Dorfbundes, einer Bauernorganisation mit stark großbäuerlichem Einfluß, führte dazu folgendes aus: „Die Regierung hat im Jahre 1869 den Bauern die Vererbpachtung aufgezwungen, aber nicht . . ., um den Bauernstand zu heben und frei und selbständig zu machen, sondern um die landesherrliche Kasse von der drückenden Last der Bauernhülfe zu befreien und um die zerrütteten Landesfinanzen zu beheben, um den Bauernstand weiter in Abhängigkeit und Unterwürfigkeit zu erhalten."30 In gleichem Sinne äußerte sich ein Demokrat, indem er zur Verteidigung des Gesetzentwurfes erklärte: ,,. . . Wir müssen berücksichtigen, daß leider ein wesentlicher treibender Faktor der Regierung bei ihrer Handlungsweise war, den finanziellen Verlegenheiten der Regierung Abhilfe zu schaffen und weniger das Interesse für den Bauernstand . . ."31 Während die Demokraten und der Dorfbund als Interessenvertreter besonders der Großbauern das Erbpachtrecht als völlig überalterte und unzweckmäßige Form ablehnten, waren die Deutschnationalen als Vertreter des Großgrundbesitzes — und damit des privaten Obereigentums — für dessen Beibehaltung. Das Erbpachtrecht wäre vor allem deshalb positiv — so begründeten sie ihren Standpunkt — weil sich dann kein neuer Großgrundbesitz entwickeln könnte! Außerdem wäre, was die Beschränkungen der Erbpächter beträfe, festzustellen, „. . . daß diese Beschränkungen 30

Vfg. Ltg., 14. Sitzung v. 10. 4. 1919, Sp. 407. 31 Ebenda, Sp. 414.

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sich nicht allein auf das Erbpachtrecht beziehen, sondern daß auch der Großgrundbesitz, der Ritterschaftsbesitz und insbesondere der Lehnsbesitz denselben Beschränkungen unterliegen. Insbesondere der Lehnsbesitzer ist nicht freier Eigentümer, sondern wie der Erbpächter Nutzeigentümer. Das Obereigentum hat der Staat . . , " 3 2 Natürlich war das reine Demagogie. Denn wenn auch bei den Lehnsgütern formal noch ein Obereigentum bestand, so handelte es sich doch erstens nicht um den gesamten Großgrundbesitz, und zweitens waren die Besitzer dieser Güter praktisch freie Eigentümer ohne alle jene erwähnten Einschränkungen und Vorschriften, unter denen die Erbpächter zu leiden hatten. 33 Die Reaktion der Demokraten, daß, wenn für die Kleinbauern kein freies Eigentum möglich wäre, dann das Erbpachtrecht auch für den Großgrundbesitz eingeführt werden sollte 34 , war von ihrem bürgerlichen Standpunkt aus nur zu verständlich und berechtigt — allerdings bei den ökonomischen und politischen Machtverhältnissen in Mecklenburg utopisch. Die Deutschnationalen hatten in diesem und allen folgenden Landtagen ein bewährtes Mittel, die ihnen unangenehmen Anträge — auch wenn sie aus agitatorischen Gründen von ihnen selbst eingebracht worden waren — zu Fall zu bringen: Die Flucht in die formale Juristerei. So gelang es ihnen im Verfassungsausschuß, an den der Gesetzentwurf vom Plenum zunächst verwiesen worden war, die Mehrheit davon zu überzeugen, daß ,,. . . durch die Umwandlung in freies Eigentum die Befugnis der Landesgesetzgebung, im Wege eigener Verordnungen die rechtlichen Verhältnisse zu ordnen, in Wegfall kommt . . .'':tf» Das Bürgerliche Gesetzbuch hatte bei der Erbpacht, wie auch in anderen Fällen, von denen noch zu sprechen sein wird, auf die besonderen feudalistischen Bedingungen Mecklenburgs Rücksicht 32 Vfg. Ltg., 21. Sitzung v. 3. 6. 1919, Sp. 665. 33 Darüber hinaus nahm dieser Landtag das „Gesetz über die Einführung der Mecklenburg-Schweriner Verfassung mit Übergangsbestimmungen" an, in der es im Artikel 9 heißt: „Der Lehnsverband ist aufzuheben. . .". (Vgl. Reg. Bl. für MecklenburgSchwerin v. 17. 5. 1920, S. 674). 34 Vfg. Ltg., 21. Sitzung v. 3. 6. 1919, Sp. 678. 35 Ebenda, Sp. 664. 3*

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Behandlung der Erbpacht im Landtag

nehmen müssen und damit natürlich dem Fortbestehen überholter Rechtsnormen freie Bahn gelassen. Der Hinweis auf die juristischen Fragen genügte, um die Umwandlung der Erbpacht in freies Eigen tum im Ausschuß mit 9 zu 3 Stimmen abzulehnen, wenn angeblich auch alle darin einig waren, daß die bestehende Bevormundung des Erbpächters abgeschafft werden müßte. 36 Nachdem sich die reaktionäre Auffassung durchgesetzt hatte, daß den Bauern kein freies Eigentum gegeben werden könnte (später behaupteten die Deutschnationalen, ihrer Meinung nach wären die mecklenburgischen Bauern damals dazu noch nicht reif genug gewesen!), war zu entscheiden, ob alle bisherigen Hauswirte jetzt zwangsweise vererbpachtet werden sollten oder nur auf eigenen Antrag. Wieder bemühten sich die Interessen Vertreter der Ritterschaft, auch den kleinsten Fortschritt zu verhindern. Sie behaupteten, daß „ . . . ein großer Teil der Hauswirte . . . nach wie vor mit großer Zähigkeit am alten Recht . . . " festhielte 37 und Wohltaten sollte man ihnen nicht aufdrängen. „Vielfach", so betonten sie, „sei überdies der Hauswirt gar nicht in der Lage, seine Hufe ohne die Beihilfen des Gutsherrn, die mit der Vererbpachtung in Wegfall kommen, zu bewirtschaften. Eine Vergrößerung seines Besitzes sei aber nur im Rahmen der zu erwartenden Siedlungsgesetzgebung möglich . . , " 3 8 Und als ihnen darauf im Plenum vorgeworfen wurde, daß sie es ja selbst gewesen wären, die den Bauern das Land widerrechtlich fortgenommen und dadurch unselbständige Zwergbetriebe geschaffen hätten, verteidigte der Deutschnationale Dr. Knebusch diesen Diebstahl der Junker damit, daß die Ritterschaft das ja nicht mit Gewalt, sondern gegen Erlaß der Dienste getan hätte. „Wenn der Bauer seine Dienste ablösen wollte, mußte er Acker abgeben." 3 9 Was bedeutet diese Ausrede der Ritterschaft? Im Domanium wurden die Frondienste durch eine Geldzahlung abgelöst. Hatte der Bauer die Ablösungssumme gezahlt, war er besser als vorher in der Lage, seine Bauernstelle ordnungsgemäß zu bewirtschaften. 36 Vfg. Ltg., 37 Vfg. Ltg., 3« Vfg. Ltg., 39 Vfg. Ltg.,

Drucksache Nr. 42. 21. Sitzung v. 3. 6. 1919, Sp. 665. Drucksache Nr. 42. 21. Sitzung v. 3. 6. 1919, Sp. 683.

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Die mecklenburgischen Junker nahmen statt des Geldes den Bauern lieber den besten Boden fort und vergrößerten deren Abhängigkeit — ganz im Gegensatz zu dem eigentlichen Sinn dieser Ablösung — dadurch nur noch mehr. Aber nicht genug damit, daß ein solches Unrecht begangen wurde, jetzt sollte offenbar die reaktionäre Haltung der Deutschnationalen noch juristisch damit begründet werden. Die Haltung der SPD-Fraktion im Landtag von MecklenburgSchwerin entsprach den programmatischen Forderungen dieser Partei. Bezeichnete doch der Berichterstatter für die Agrarpolitik auf dem Parteitag in Kassel (1920) das Reichssiedlungsgesetz deshalb als Fehler, weil dadurch den kleinen Besitzern Grund und Boden zu Eigentum gegeben würde/*0 „Da ist der sozialistische Grundsatz nicht richtig gewahrt. . . Man hätte den Weg der Erbpacht gehen sollen . . ," 41 Es ist kennzeichnend, daß der Parteitag über die „Richtlinie der Agrarpolitik" (Antrag 319) nicht diskutierte und daß sie trotzdem zu den relativ wenigen angenommenen Anträgen zählt. Die SPD war auch in Mecklenburg grundsätzlich dagegen, freies Eigentum zu vergeben. Nach ihrer Meinung sollte der Staat keinerlei Rechte und schon gar nicht solche an Grund und Boden wegschenken. Die Sozialdemokraten glaubten, aus dem feudalen Obereigentum des Staates sozialistische Eigentumsverhältnisse entwickeln zu können. Damit stellte sich die SPD objektiv gegen die unter den gegebenen Bedingungen richtige und fortschrittliche Besitzform, das freie Eigentum. Diese Haltung wirkt um so befremdlicher, als die Richtlinien für Agrarpolitik des Kasseler Parteitages eine gesonderte Behandlung der Verhältnisse in Mecklenburg zugelassen hätten. Es wurde 40 Natürlich stimmt es, daß das Reichssiedlungsgesetz ein Fehler war, aber nicht wegen der Übergabe des Bodens zu Eigentum, sondern weil keine entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes durchgeführt wurde. Näheres über diese Frage bei Wagner, Bruno, Die Bodenreformpolitik der SPD, Berlin 1959. 41 Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, abgehalten in Kassel vom 10. bis 16. Oktober 1920 sowie Bericht über die Frauenkonferenz, abgehalten in Kassel am 9. und 10. Oktober 1920, Berlin 1920, S. 203. (Weiterhin geführt als: Protokoll der SPD Kassel.)

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Behandlung der Erbpacht im Landtag

in keinem Abschnitt die Einführung der Erbpacht gefordert, und der Punkt 20 bestimmte ausdrücklich: „Im Rahmen dieses Aktionsprogramms können für Gebiete mit besonders eigenartig vorherrschenden Betriebs- und Besitzformen in der Land- und Forstwirtschaft ergänzende Forderungen aufgestellt werden." 42 Objektiv half diese sozialdemokratische Agrarpolitik den Junkern. Die berechtigten Forderungen der Bauern, vor allem der werktätigen Bauern, wurden abgelehnt. In Mecklenburg stellte sich die SPD schützend vor das Obereigentum der Junker, der Kirche und der Städte — angeblich, um sozialistisches Staatseigentum zu schaffen. Ihren vorläufigen Abschluß fand diese erste Landtagsdebatte über Fragen der Erbpacht mit dem Gesetz vom 5. Juni 1919 „Über die Aufhebung der noch bestehenden Beschränkungen hinsichtlich der Belastung und der Verfügung von Todes wegen in Ansehung der Landgüter und Bauerngüter". Durch dieses Gesetz wurden alle bisherigen Verschuldungsgrenzen aufgehoben. Es beseitigte bestehende Einschränkungen der Verfügungsmöglichkeit im Todesfalle, und es wurde festgelegt, daß, entsprechend dem Entwurf der Demokraten, für den amtlichen Verkehr die Titel Guts- und Hofbesitzer eingeführt werden mußten. 43 Das Gesetz war ein Schritt vorwärts auf dem Wege zu einem einheitlichen Recht für alle Erbpächter. Ihnen wurde jetzt der Weg zu einem größeren Kredit und damit zu einer besseren Bewirtschaftung frei. Aber das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich in den wesentlichen Grundfragen, in den Eigentumsfragen, der reaktionäre Standpunkt durchgesetzt hatte. 2. Die ergebnislose Diskussion über die Verleihung des Eigentumsrechtes an Hauswirte (1920) Da der verfassungsgebende Landtag den Forderungen der Bauern nach freiem Eigentum nicht entsprochen hatte und auch die Rechtsverhältnisse der ritterschaftlichen Hauswirte nicht 42 Protokoll der SPD Kassel, S. 318. Reg. Bl. für Mecklenburg-Schwerin, Gesetz v. 5. Juni 1919, S. 551/52. 43

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geklärt worden waren, ist es verständlich, daß diese Probleme in den Verhandlungen des 1. und 2. ordentlichen Landtages wieder im Mittelpunkt standen. Eingeleitet wurde die Diskussion 1920 durch einen Antrag der Deutschnationalen, in dem es hieß: „Wir beantragen, der Landtag wolle beschließen: Das Staatsministerium wird ersucht, dem Landtage einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den 1. die Rechtsverhältnisse des Großgrundbesitzes und des kleinen Grundbesitzes tunlichst gleichgestellt werden, 2. den noch nicht vererbpachteten Hauswirten das Recht eingeräumt wird, das Eigentum an dem von ihnen genutzten Grund und Boden, den Gebäuden und der Hofwehr zu erwerben. Hierbei ist darauf Bedacht zu nehmen, daß den bäuerlichen Besitzern ein tunlichst von allen Beschränkungen freies Eigentum an Grund und Boden gegeben wird. Das Vorkaufsrecht des Staates, das Verbot der Zusammenlegung und der Aufteilung ohne staatliche Genehmigung sind aber im Interesse der Erhaltung des bäuerlichen Besitzes aufrechtzuerhalten, und, soweit noch nicht geschehen, auf die großen Güter auszudehnen."44 Ein solcher Antrag der Deutschnationalen muß nach der früheren Stellungnahme dieser Partei zum freien Eigentum zunächst Erstaunen hervorrufen. Die Klasse der Junker, die von den Deutschnationalen vertreten wurde, hätte ja in all den Jahren vor 1918 bei ihrer Machtstellung im Mecklenburgischen Ständetag solch eine Forderung längst durchsetzen können, wenn sie nur ernstlich gewollt hätte. Der Demokrat Dr. Wendorff bemerkte deshalb auch: „Früher, als die politischen Freunde der gegenwärtigen Deutschnationalen Volkspartei die Klinke der Gesetzgebung in Mecklenburg in der Hand hatten, merkte man . . . von dieser Bauernfreundschaft herzlich wenig . . ." 4 5 Wie ist dieser Antrag der Deutschnationalen zu erklären? Dafür gibt es folgende Gesichtspunkte: 1. waren die Junker ihrer ökonomischen und politischen Macht wegen daran interessiert, ihren natürlichen Gegner, den Kleinund Mittelbauern, zu verwirren und — ohne direkt davon zu 1. Ltg., 18. Sitzung v. 23. 11. 1920, Sp. 672. « Ebenda, Sp. 790. 44

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sprechen — eine gewisse „Klassenharmonie" zu predigen. Deshalb befaßte sich auch der erste Teil des Antrages mit den „tunlichst gleichgestellten Rechtsverhältnissen" von Junker und Kleinbauer. Deutlicher wurde das dann noch in der Begründung dieses Antrages vor dem Plenum gesagt: „Durch diese Gleichstellung des Besitzrechtes wird sich eine viel größere Verständigung zwischen dem Groß- und Kleinbesitz herbeiführen lassen . . ," 46 2. wurde kein wirklich freies Eigentum vorgeschlagen, sondern nur ein „tunlichst von aller Beschränkungen freies Eigentum". Wie eigenartig dieses Eigentum aussehen sollte, wurde ebenfalls in der Begründung gesagt. „Nicht das Eigentum des Bürgerlichen Gesetzbuches, sondern ein besonders gestaltetes Eigentum mit bestimmten Vorbehalten, die dem Normaleigentum fremd sind . . ,"47 Damit war einerseits auf jeden Fall ein Hintertürchen offen gelassen und andererseits konnten die Deutschnationalen sicher sein, mit ihrem Antrag sowohl auf den Widerstand der SPD, die soviel Eigentumsrechte nicht wollte, als auch auf den des Dorfbundes und anderer, die mehr Rechte beanspruchten, zu stoßen. 3. wurde in der Begründung ausgeführt, daß zunächst einmal „allgemein gleiche Verhältnisse für die mecklenburgische Bauernschaft geschaffen" werden sollten. Eine Uberführung in „freies Besitztums- und Eigentumsrecht im großen und ganzen" sei dann schon nicht mehr so schwierig.48 Das „tunlichst freie Eigentum" entpuppte sich als reine Agitation. Tatsächlich wurde lediglich Erbpacht für die ritterschaftlichen Hauswirte gefordert, und diese Forderung stand auch ohne den deutschnationalen Antrag auf der Tagesordnung. So ist es nicht verwunderlich, daß bei dieser Gelegenheit wieder ein Loblied auf die Vorteile der Erbpacht gesungen wurde. Das Erbpachtrecht habe „eine dem Eigentum sehr nahe verwandte Bewegungsfreiheit", sowohl in rechtlicher Beziehung (freie Verschuldbarkeit und freie letztwillige Verfügung) als auch « Ebenda, Sp. 674. « Ebenda, Sp. 675. « Ebenda, Sp. 694.

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hinsichtlich des Bestehens einer „vollkommenen wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit'' ,49 Dr. Knebusch zitierte aus einer Schrift der Geheimen Regierungsräte Dr. A. Hanfick und Dr. O. Glass zum Reichssiedlungsgesetz, daß die Erbpacht eine „echt germanische freiwillige Selbstbeschränkung" sei, die das Bauernlegen unmöglich mache und auch heute noch als Recht gelte. „Mit diesen Worten preisen Dr. Hanfick und Dr. Glass denjenigen Rechtszustand, der in Mecklenburg Rechtens war und heute Rechtens ist, auch in der Ritterschaft Rechtens ist. . ," 5 " (Wenn die Erbpacht so wunderschön „echt germanisch" war, muß man sich allerdings fragen, welche ungermanischen Einflüsse die Deutschnationalen veranlaßt hatten, ihren Antrag auf Übertragung von freiem Eigentum zu stellen.) 4. Sollte auch die Umwandlung in Erbpacht nicht generell durchgeführt werden, sondern — Wohltaten soll man dem gesamten Bauernstand nicht aufzwingen — die Hauswirte konnten entsprechende Wünsche äußern, denen die Grundherrschaft „weitgehendst" entgegenkommen sollte.51 5. wurde ja zunächst nur ein Gesetzentwurf der Regierung in dieser Richtung gefordert. Später war dann immer noch die Möglichkeit gegeben, diesen Entwurf aus irgendwelchen Gründen — üblicherweise aus juristischen Erwägungen — zu verwerfen. So sah es also genau genommen mit dem Antrag der Deutschnationalen aus. Daß eine Umwandlung in freies Eigentum unter den gegebenen Verhältnissen schwierig und fast unmöglich war, wurde noch von Justizminister Schmidt unterstrichen. Wenn dieser auch anerkannte, daß die ritterschaftlichen Hauswirte „nicht einmal ein eigentlich dingliches Recht an ihrer Hufe" hätten und deshalb auf andere rechtliche Grundlage gestellt werden müßten 52 , so warnte er als Regierungsvertreter und Jurist doch aus folgenden Erwägungen vor der Übertragung des freien Eigentums. „Zum Teil sind mit den Bauernstellen auch Rechte verbunden, welche die ein19 Ebenda, Ebenda, 51 Ebenda, 52 Ebenda, 50

Sp. 676. Sp. 694. Sp. 675. Sp. 681.

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zelnen Bauern verhältnismäßig günstig stellen. Namentlich da, wo ganze Bauernschaften gelegt sind, und bloß wenig kleine Bauern übriggeblieben sind, hat man diese wenigen Bauern verhältnismäßig gut gestellt. Die Lasten, die ihnen auferlegt sind, sind verhältnismäßig gering. Vielfach hat auch der Gutsherr nicht bloß die gesamte Baulast der bäuerlichen Gebäude zu tragen, sondern muß Feuerung und Brennmaterial liefern. Wenn diese Bauern sofort zu Eigentümern gemacht würden, auch ohne eine Vergütung zahlen zu müssen, so würde in nicht wenigen Fällen ihnen ein Geschenk gemacht werden, über welches sie nicht erfreut sein werden. Sie würden sich in ihrer wirtschaftlichen Lage verschlechtern." Es gab also Bauern, denen es verhältnismäßig nicht so schlecht ging unter ihren ritterschaftlichen Herren, da nämlich, wo diese „wohlmeinenden Ritter" nahezu die gesamte Bauernschaft mit Gewalt ihres Bodens beraubt hatten. — Nach diesem zweifelhaften Lob für die „uneigennützigen" Gutsherren fuhr er dann fort: „ . . . Der Vorschlag . . ., daß die Rittergutsbesitzer einfach unentgeltlich auf alles zu verzichten hätten, womöglich ihrerseits noch mehr Land und Einrichtungen ohne Entschädigung wegzugeben hätten, ist rechtlich nicht gangbar." 53 W i e konnte der Herr Justizminister jetzt plötzlich von den Verzichten der Rittergutsbesitzer sprechen — sie hätten doch glücklich sein müssen, von ihren vielfältigen, ausdrücklich aufgezählten Lasten befreit zu werden! Aber die Belastung war wohl nicht so bedeutend, sonst hätte sich im Interesse der Junker schon längst ein „rechtlich gangbarer" W e g gefunden. Die Demokraten vertraten, entgegen der Auffassung des Justizministers, nachdrücklich die Meinung, „ . . . daß die ritterschaftlichen Hauswirte, denen durch das Unrecht, das in der Vergangenheit an ihnen begangen worden ist, die wirtschaftliche Lebensfähigkeit genommen worden ist, einen gesetzlichen Ansprach darauf erhalten, wieder eine leistungsfähige Größe ihrer Wirtschaft zu bekommen, wie sie ihre Vorfahren oder Vornutznießer gehabt haben, denen sie zweifellos von den Rittern geraubt worden ist". 54 Der Justizminister wurde von dem Deutschnationalen, Justizrat Dr. Knebusch, unterstützt. Natürlich wäre es gut, führte er aus, die Wirtschaften, die augenblicklich nicht das notwendige « Ebenda, Sp. 682.

3/*

Ebenda, Sp. 691.

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Land hätten — er sprach vom „Existenzminimum", ein Begriff der vom Standpunkt der einzelnen Klassen aus recht verschieden aufgefaßt wird — auf Kosten des ritterschaftlichen Besitzes zu vergrößern. Aber „ . . . dazu brauchen wir . . . kein Gesetz, denn wir haben bereits im Reichssiedlungsgesetz, das auch die Anliegersiedlungen vorsieht, die Handhabe, eine Vergrößerung vorzunehmen."55 Damit wurde ein wirksames Landesgesetz, das die besondere Lage in Mecklenburg hätte berücksichtigen können, von vornherein abgelehnt, obwohl doch gerade die Deutschnationalen diese Möglichkeit so sehr gepriesen hatten — als sie sich davon Vorteile für den Großgrundbesitz versprachen. In der Diskussion wurde aber nicht nur über die Rechtsverhältnisse der Hauswirte gesprochen, es gab im Zusammenhang mit dem Antrag auch interessante Stellungnahmen zum freien Eigentum. Die SPD hielt, wie zu erwarten gewesen war, an ihrer Ablehnung des freien Eigentums fest. Der Antrag ginge, selbst mit den vorgesehenen Einschränkungen, einen falschen Weg. Die Rechte des Einzelnen dürften nicht ausgedehnt, im Gegenteil müßte ,, . . . das Recht des Einzelnen im Interesse der Volkswirtschaft noch viel mehr beschränkt werden". Dem Staat dürfte zum Beispiel nicht nur das Vorkaufsrecht vorbehalten sein, er müßte auch die Möglichkeit haben, den Verkauf von Grund und Boden völlig zu verbieten.56 Offensichtlich verkannte die SPD das Wesen des Staates in der Weimarer Republik und hatte eine falsche Vorstellung von den Maßnahmen, die zunächst eingeleitet werden mußten. Gewisse bürgerlich-demokratische Reformen waren notwendig, die den Bauern zu ihrem jahrhundertelang vorenthaltenen Recht verhalfen und damit die ökonomische Macht der Junker, des Feudalismus, brachen. Der Dorfbund kämpfte gegen alle Sonderrechte und -bestimmungen, die „Auflagen gewisser spezieller Natur hier in Mecklenburg waren" und sich auf besondere mecklenburgische Feudalverhältnisse bezogen. „Es dürfen nur noch Auflagen gelten, die auf Ebenda, Sp. 695. 56 Ebenda, Sp. 688. 55

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das allgemeine bürgerliche Recht zurückzuführen sind". Das Vorkaufsrecht des Staates wurde anerkannt, aber alle anderen Einschränkungen (Zusammenlegung und Teilung) abgelehnt.57 Es war der typische Standpunkt der Dorfbourgeoisie, der aus dieser scheinbar für alle Bauern positiven Stellungnahme sprach. Ein kapitalistischer Strukturwandel wurde angestrebt, da unter den gegebenen Eigentumsverhältnissen der Landhunger der Großbauern nur in den wenigsten Fällen zu stillen war. Die wirtschaftlich starken Bauern, die Kapitalisten auf dem Lande, sollten als freie Besitzer die Möglichkeit erhalten, ihren Grund und Boden auf Kosten der Klein- und Mittelbauern zu vergrößern. Die Forderungen des Dorfbundes waren die Forderungen der Großbauern, die auf diese Weise dem junkerlichen Großgrundbesitz gegenüber konkurrenzfähig bleiben wollten. Das schränkt die Richtigkeit der Feststellung nicht ein, daß die Erbpacht und damit das stark beschränkte Eigentum am Boden für die Entwicklung Mecklenburgs nicht förderlich gewesen sind. Tatsächlich waren die Verhältnisse in allen anderen deutschen Staaten weniger feudal, weniger rückschrittlich, als unter den gepriesenen Einschränkungen, die im Lande Mecklenburg bestanden. Es stimmte also, wenn der Sprecher des Dorfbundes sagte: „Man sehe sich einmal die Verteilung zwischen dem Groß- und Kleingrundbesitz an. Nirgends im ganzen großen Reiche ist die Verteilung so ungünstig und unglücklich wie hier in Mecklenburg, und deshalb kann ich mir nicht denken, daß die Verhältnisse, die in den anderen Teilen Deutschlands herrschen und die sich trotz der freien Bauern ergeben haben, hier in Mecklenburg eine andere und schlechtere Wirkung haben könnten." 58 Eine richtige Einschätzung der Lage in der mecklenburgischen Landwirtschaft zeichnete sich 1920 in den Ausführungen der USPD ab. Es entspricht durchaus den grundsätzlichen Wesenszügen unserer demokratischen Bodenreform nach 1945, wenn in Abgrenzung zur Stellungnahme der SPD gesagt wurde: „Wir können nicht einsehen, daß eine Sozialisierung sehr viel schwieriger sein würde, wenn man die Erbpacht aufhebt und das Eigentum Ebenda, Sp. 685. 58 Ebenda, Sp. 685.

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der Erbpachtstellen, der Büdner, Häusler usw. als freies Eigentum den betreffenden Besitzern überantwortet. Wir werden im Falle einer Revolution selbstverständlich die Großgrundbesitzer entschädigungslos enteignen. Wir werden aber einen Teil dieses enteigneten Großgrundbesitzes gerade den kleinen Besitzern überantworten . . ," 5 9 Und gleichzeitig wurde auch die Richtung angegeben, in welcher der Stoß geführt werden mußte, nämlich in erster Linie gegen die feudale Klasse. „Wir werden in der Entwicklung zur sozialistischen Gesellschaftsform vorwärts kommen, wenn wir mit den Vorrechten des Adels aufräumen, wenn wir die Privilegien des Großgrundbesitzes in Mecklenburg aufheben und wenn wir jedem einzelnen Häusler, Büdner und Kleinbauern die Möglichkeit geben, auf seiner Scholle in seinem Interesse zu arbeiten, was nicht ausschließt, daß wir bei einer Revolution auch in der Lage sind, diese Bauern und Büdner für die Interessen der Revolution zu gewinnen . . ." 6 0 Bei aller Verschiedenheit der Auffassungen über das freie Eigentum waren sich alle Parteien darin einig, daß die Rechtsverhältnisse der Hauswirte dringend einer Regelung bedurften. Der Landtag beauftragte deshalb die Regierung, dem Hause möglichst bald einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Dieser Auftrag wurde 1920 erteilt. Es dauerte aber noch bis 1923, ehe der geforderte Entwurf endlich auf der Tagesordnung des Landtages stand! Angesichts dieser langen Verzögerung ist es verständlich, wenn die Abgeordnete Pinkpank vom Wirtschaftsbund im März 1923 feststellte: „Bei uns im Lande Mecklenburg marschiert man immer noch nach der alten Melodie: .Immer langsam voran, immer langsam voran, daß der Ständelandtag nachkommen kann.' Das einzige, was man bei den Verhandlungen erreichte, das ist der Titel Hofbesitzer, Gutsbesitzer usw . . . Den hat man ja in letzter Zeit glücklich errungen. Und was man sonst erreicht hat, das hat Fritz Reuter in seiner .Urgeschichte vom Meckelnborg' so wunderbar beschrieben, wenn er sagt ,§ 1 Allens bliwwt bin Ollen'61, § 2 Keine Veränderung, § 3 Item . . . und § 4 Schluß . . ," 6 2 59 Ebenda, Sp. 686. 6" Ebenda, Sp. 688. 61 Hochdeutsch: „Alles bleibt beim Alten." 6 2 2. Ltg., 76. Sitzung v. 8. 3. 1923, Sp. 3064.

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Die Junker nutzten die Zeit in ihrem Sinne. Es gab Hausbriefe, in denen vertraglich festgelegt war, daß beide Partner, Hauswirt und Rittergutsbesitzer, das Recht hätten, den Vertrag mit Jahresfrist zu kündigen. Noch 1922 wurde auf diese Weise ein ritterschaftlicher Bauer zum 1. Juli kurzerhand gekündigt.63 In nüchternem Deutsch: Die Junker setzten, nachdem sie im Landtag die „rechtliche Gleichstellung des Groß- und Kleingrundbesitzes" gefordert hatten, ihr mittelalterliches Bauernlegen auch noch im 20. Jahrhundert weiter fort. 3. Die Diskussion über die Umwandlung bäuerlicher Nutzungsrechte in Erbpacht (Gesetz v. 26.11.1923) Endlich, über zwei Jahre nach der grundlegenden Diskussion, wurde im Plenum der Gesetzentwurf „betreffend Umwandlung bäuerlichen Nutzrechtes in Erbpacht" beraten. Was sah dieser Entwurf vor? Zunächst bestand der grundlegende Unterschied zu dem Antrag darin, daß überhaupt nicht mehr vom freien Eigentum die Rede war, sondern daß es sich nur noch darum handelte, die Hauswirte in Erbpächter zu verwandeln. Das allerdings sollte ohne Ausnahme erfolgen, weshalb der Entwurf die zwangsweise Vererbpachtung aller Hauswirtsstellen vorsah. Ein entscheidender Fortschritt lag darin, daß die Ritterschaft nicht Obereigentümer der neuen Erbpächter bleiben sollte. Es war vorgesehen, daß im Zuge der Vererbpachtung das Obereigentum an den Staat übergehen sollte. Damit wäre die ökonomische Macht der Junker zwar nicht beseitigt, aber doch in einem gewissen Grade eingeschränkt worden. Natürlich war es dann inkonsequent, festzulegen, daß der Roggenkanon der neuen Erbpächter nicht an den neuen Obereigentümer sondern an den alten Gutsbesitzer gezahlt werden sollte. Warum diese Regelung vorgesehen war, geht aus der Begründung hervor, in der es heißt: „Es erschien zweckmäßig, die Umwandlung der bäuerlichen Rechte allgemein anzuordnen und nicht bloß auf Antrag erfolgen zu lassen. Dabei soll auch das Obereigentum der privaten Grundf» 2. Ltg., 66. Sitzung v. 5. 12. 1922, Sp. 2666.

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herrschaft aufhören und gegen Entschädigung auf den Staat übergehen. Die Aufgabe des Obereigentums bedeutet eine Enteignung und ist daher nach § 153 RV (Reichsverfassung) nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Die Hebung des heimischen Bauernstandes, der als freier Erbpächterstand auf eigener Scholle sitzt, der Fortfall des privaten Obereigentums bedeuten für die Allgemeinheit Vorteile, die eine Enteignung nach § 153 RV rechtfertigen . . . Soweit der Staat dem bisherigen Obereigentümer für die Aufgabe des Obereigentums eine Entschädigung zu leisten hat, kann diese ganz oder teilweise in Form eines Kanons bei der neuen Verteilung dem Erbpächter auferlegt werden..." 6 4 Mit anderen Worten: Der neue Erbpächter sollte den Wechsel im Obereigentum, der ihm im Grunde genommen ziemlich gleichgültig sein konnte, bezahlen. Weiter sah der Entwurf die unentgeltliche Übernahme der Gebäude usw. mit Ausnahme der Hofwehr vor, wobei die Baulichkeiten in ordentlichem Zustande zu übergeben waren. Allein schon die Tatsache, daß dieser „ordentliche Zustand" in einem besonderen Paragraphen gefordert wurde, wirft ein bezeichnendes Licht auf die „treue Sorge", mit der sich die Junker um ihre Verpflichtungen gekümmert haben müssen. In der Diskussion wurden nähere Angaben darüber gemacht. Manche Dächer hätten eine solche Wellenlinienform, daß die Bewohner ständig Regenschirme brauchten, und manche Wohnungen seien so niedrig, als ob sie für Liliputaner berechnet wären. Deshalb hätte die vorgesehene unentgeltliche Übergabe der Gebäude an den zukünftigen Erbpächter nur dann einen realen Wert, wenn die Gutsherren ihren so lange versäumten Pflichten als Träger der Baulast vorher ernsthaft nachkommen würden.65 Über die Frage des Obereigentums wurde die Auseinandersetzung vor allem im Rechtsausschuß geführt, an den der Gesetzentwurf überwiesen worden war. Die Regierung begründete ihren Vorschlag, bei den neuen Erbpächtern das private Obereigentum abzuschaffen, damit, „daß ein Bauer, der vom Staat vererbpachtet ist, freier ist als der, der von privater Hand vererbpachtet ist". Die 64

2. Ltg., Drucksache Nr. 307. f» 2. Ltg., 76. Sitzung v. 8. 3. 1923, Sp. 3064.

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andern noch in Mecklenburg vorhandenen Obereigentümer — Städte und Kirche — könnten bestehen bleiben, weil „bei diesen der Bauer ähnlich gut aufgehoben ist als beim S t a a t . . . Es wäre daher wünschenswert, daß es nur ein einheitliches Obereigentum des Staates bzw. der öffentlich-rechtlichen Körperschaften gäbe, mit Rücksicht darauf, daß schon der größte Teil der Bauern Staatsbauern seien".66 Der Regierungsentwurf entsprach der Einstellung der deutschen Sozialdemokraten zur Erbpacht. 67 Die SPD war für die Erbpacht und gegen das freie Eigentum — deshalb die zwangsweise Umwandlung der Hauswirte in Erbpächter. Sie war für das staatliche und gegen das junkerliche Obereigentum — deshalb die Übertragung des Obereigentums der Junker an den Staat. Sie hatte keine klare Auffassung von der reaktionären Rolle des feudalen Obereigentums in einer bürgerlichen Demokratie und von den wirklichen Forderungen der mecklenburgischen Bauern — deshalb überschätzte sie die Bedeutung des staatlichen Obereigentums. Abgesehen davon spiegelte der Gesetzentwurf auch alle Inkonsequenzen der Sozialdemokraten wider: 1. Anerkennung der Städte und Kirche als Obereigentümer, 2. Weiterzahlung des Kanons an die Junker. Die Deutschnationalen wehrten sich gegen die Übertragung des ritterschaftlichen Obereigentums an den Staat und stellten den Antrag, den entsprechenden Paragraphen (§ 24) zu streichen. Sie kamen damit aber im Ausschuß nicht durch, sondern erreichten nur, daß sich die Sozialdemokraten gegen alle Kanonleistungen an Privatpersonen wandten. 68 06 2. Ltg., 91. Sitzung v. 28. 6. 1923, Sp. 4918. 67 Nach dem Bodenreformvorschlag „Land dem Volke" (Vorwärts v. 17. 5. 1923) soll landwirtschaftlich genutzter Boden soweit er größer als 7 5 0 h a (!) ist, gegen Entschädigung (!) „enteignet" werden. ,, . . . Der enteignete landwirtschaftliche Boden bleibt Eigentum des Reiches und darf zur Nutzung nur in langfristiger Pacht, Erbpacht . . . vergeben werden. Soweit der enteignete Boden bisher in bäuerlichen Stellen oder Parzellen verpachtet war, soll den Pächtern . . . die Benutzung des Bodens in Erbpacht gesichert werden." (Zit. nach Wagner, Bruno, a. a. O., S. 122). es 2. Ltg., 91. Sitzung v. 28. 6. 1923, Sp. 4921.

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Das wichtigste Ergebnis der Ausschußberatung war der Vorschlag, dem Gesetzentwurf einen letzten Paragraphen hinzuzufügen, der den Junkern ein weiteres Bauernlegen unmöglich machen sollte. Dieser Paragraph 31 lautete: „Bis zur Durchführung der Vererbpachtung ist eine Kündigung oder Abmeierung der bäuerlichen Nutzungsberechtigten unzulässig."69 Die Lösung der mit dem Obereigentum im Zusammenhang stehenden Frage des freien Eigentums wurde auf später verschoben.70 Als das Plenum des Landtages es dann ablehnte, das Obereigentum von Privatpersonen an den Staat zu übertragen, kam es zu einem interessanten Antrag der SPD. Die ritterschaftlichen Bauern, die bisherigen Hauswirte, sollten nicht zu Erbpächtern, sondern zu freien Eigentümern umgewandelt werden. Obwohl die Sozialdemokraten nochmals ausdrücklich erklärten, daß sie „das sogenannte Erbpachtrecht für das beste Eigentumsrecht" hielten, wollten sie den ritterschaftlichen Hauswirten freies Eigentum zusprechen, denn es sei für sie „unerträglich, das Obereigentum in Privathänden zu belassen".71 Der Vorschlag der SPD wurde abgelehnt, und schließlich das Gesetz vom 26. 11. 1923 „Über die Umwandlung bäuerlicher Nutzungsrechte in Erbpacht" verabschiedet.72 Dieses Gesetz fand auch die Zustimmung der Fraktion der KPD, weil es ihr bei der ökonomisch starken Stellung der Junker unter den gegebenen Verhältnissen das einzige Vorbeugungsmittel zu sein schien, um weiteres Bauernlegen zu verhüten.73 Was besagte nun dieses neue Gesetz? Zunächst beinhaltete es nicht — wie der Entwurf vorsah — die zwangsweise Vererbpachtung aller Hauswirte, weil solch ein Zwang angeblich den Wünschen der Bauern nicht entsprochen hätte. Zweifellos zeigte sich in dieser Entscheidung, daß jede Vererbpachtung beantragt werden mußte (§ 1), der starke Einfluß, den die Junker im Landtag hatten. Eine zwangsweise Vererbpachtung hätte vielleicht für manche Hauses Ebenda, Sp. 4923. ™ Ebenda, Sp. 4926. 71 Ebenda, Sp. 4935. " Reg. Bl. für Mecklenburg-Schwerin, 1923, S. 885ff. 73 2. Ltg., 76. Sitzung v. 8. 3. 1923, Sp. 3083f. 4

Burkhardt

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wirte keinen großen Nutzen bedeutet, etwa für einige Klosterhauswirte in Dobbertin, die Anspruch auf die Lieferung von 80 cbm Holz hatten. 74 Aber das war für die Masse der ritterschaftlichen Hauswirte nicht der Fall. Die Mehrzahl hätte Vorteile von der Umwandlung gehabt. Trotzdem wurden auch nach dem Erlaß dieses Gesetzes nur sehr zögernd Vererbpachtungen beantragt und vorgenommen — bis Anfang 1927 nur 88 von 585 Hauswirten. 75 Ursache dafür war nicht der Wunsch der Bauern, als Hauswirte weiter in möglichst großer Abhängigkeit von den Junkern zu bleiben. Die realen Machtverhältnisse auf dem Lande verhinderten jede positive Entwicklung. Natürlich hatte jetzt der Hauswirt juristisch die Möglichkeit, seine Vererbpachtung auch gegen den Willen des betreffenden Junkers durchzusetzen. Der neue Erbpächter war jedoch bei der Winzigkeit seiner Wirtschaft mehr oder weniger auf die Hilfe des wirtschaftlich starken Gutsbesitzers angewiesen. E r war - bei aller „juristischen Freiheit" - ökonomisch gezwungen, den Wünschen des Junkers zu entsprechen. Damit sind wir auch bei dem zweiten wesentlichen Grund, der die freiwillige Entwicklung zum Erbpächter hemmte: Die meisten Hauswirtsstellen (nach einer Schätzung der Demokraten 60% 7 6 ) hatten nicht mehr die Größe, die für eine selbständige Wirtschaft notwendig war. Die besten Landstücke waren ihnen fortgenommen worden. Sie bearbeiteten meist schlechten und ungünstig gelegenen Boden und hatten statt ihrer früheren Wiesen nur noch Anspruch auf gutsherrliche Waldweide.77 Wenn jetzt das Gesetz auch bestimmte, daß der Gutsherr den neuen Erbpächtern in Höhe seiner bisherigen Leistungen an Wiesen, Stroh, Streu und Futter entsprechend Land geben sollte (§ 15), so war damit doch nicht, wie das Gesetz vorgab, die Lebensfähigkeit der Bauernstelle gesichert. Zunächst einmal war es sehr die Frage, welches Stück Land dem neuen Erbpächter dafür zugesprochen wurde, wo dieses Land lag " Ebenda, Sp. 3079. Dietze/Heuschert, a. a. O., S. 14. Vgl. dazu auch Anmerkung 9 dieses Kapitels. Aber auch wenn man die Stadesche Zahl (300) zugrunde legt, ist das Tempo der Vererbpachtung langsam. '6 2. Ltg., 76. Sitzung v. 8. 3. 1923, Sp. 3077. "Ebenda, Sp. 3077. 76

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und welche Bodenqualität es hatte. Außerdem bedeutete es doch eine ganz wesentliche Unterschätzung der Profitgier der Junker, wenn hier gewissermaßen unterstellt wurde, daß der damalige Hauswirt für die ihm geraubten Wiesen und Acker ein wirkliches Äquivalent an Leistungen vom Gutsherrn bekommen hätte. Der Junker hätte ihm das entsprechende Landstück gar nicht erst fortgenommen, wenn er sich von diesem Zwangstausch nicht Vorteile versprochen hätte. Selbst also, wenn" eine Landzuteilung im Umfang der jetzt üblichen Leistungen erfolgte, war eine ehemals lebensfähige Hauswirtsstelle durchaus nicht in jedem Falle wieder existenzfähig. Auch das Obereigentum der Gutsherren blieb weiter bestehen (§2), nach Meinung Stades wegen der ,,Schwierigkeiten die der Enteignung und der dafür zu zahlenden Entschädigung aus rechtlichen und finanzpolitischen Gründen entgegenstanden".78 Und tatsächlich halfen in solchen Fällen immer die Juristen, die bestehenden Verhältnisse aufrechtzuerhalten. Die Worte des Abgeordneten Fuchs (USPD) vom 23.11.1920 hatten an Aktualität auch für das Gesetz vom 26. 11. 1923 nichts eingebüßt: „Es ist doch ein gut Ding um die Juristerei. . . Der Herr Justizminister . . . hat uns wieder ausgezeichnet zu Gemüte geführt, in welch hervorragender Weise die juristischen Klauseln und Paragraphen, Sätze und Absätze geeignet sind, jede Neuerung und jede Aufhebung von Privilegien der bevorrechteten Klasse durch edle diese Kniffe zu vereiteln . . ,"7!> Selbstverständlich blieben auch die entscheidenden Kennzeichen einer Erbpachtstelle erhalten: 1. Das Verbot der wirtschaftlichen oder rechtlichen Zusammenlegung, 2. das Verbot der Aufteilung, 3. das staatliche Vorkaufsrecht bei Grundstücken über 25 ha, 4. die Leistung eines Kanons. Es bedeutete gegenüber den vergangenen Jahren einen Rückschritt, wenn das Gesetz wieder die Leistung eines Roggenkanons statt des vorher üblichen Geldkanons vorschrieb und die Umwandlung des Kanons in eine Kapitalschuld verboten wurde. Dieser 78

Stade, Heinrich, a. a. O., S. 92. ™ 1. Ltg., 18. Sitzung v. 23. 11. 1920, Sp. 687. 4*

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Rückschritt ist nur erklärlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das Gesetz unter dem Eindruck der völligen Entwertung des Geldes in dem Inflationsjahr 1923 beschlossen wurde. Der Kanon blieb aber auch jetzt — wie vorher üblich — zum 25fachen Betrag von 3 / 4 des letzten Martinipreises ablösbar. Eine der wesentlichsten Bestimmungen war der nach der Ausschußberatung hinzugefügte und vom Plenum gebilligte § 31, der die Kündigung und Abmeierung bäuerlicher Nutzungsberechtigter verbot. Damit wurde dem seit Jahrhunderten von den Junkern betriebenen Bauernlegen ein Ende bereitet. Die Hauswirte hatten jetzt, ob sie sich nun zur Vererbpachtung entschlossen oder nicht, auf jeden Fall die Sicherheit, daß ihnen der Grund und Boden, den sie in mühevoller Arbeit bestellten, nicht willkürlich fortgenommen werden konnte. Die Eigentumsfrage aber und das Problem des Fortbestehens feudaler Verhältnisse in der Form des Obereigentums des Grundherren, verbunden mit der Leistung eines Kanons durch den Erbpächter, wurden auch durch dieses Gesetz vom 26. 11. 1923 nicht gelöst. 4. Die ergebnislose Diskussion über die Umwandlung des Erbpachtrechtes in freies Eigentum (1924/25) Der 3. Ordentliche Landtag von Mecklenburg-Schwerin war so zusammengesetzt, daß die Rechtsparteien die Mehrheit hatten. Die Regierung wurde im wesentlichen aus den Reihen der Deutschnationalen gebildet. An der Spitze stand Freiherr von Brandenstein. Welche reaktionären Tendenzen diese Regierung vertrat, ging aus der Regierungserklärung hervor, in der es hieß: „Der mecklenburgische Volkswille läßt deutlich erkennen, daß Mecklenburg treu und fest zum Reich steht und an der Wiederaufrichtung seiner alten Herrlichkeit mitarbeiten will, bei Wahrung seines historisch begründeten bundesstaatlichen Eigenlebens . . ." 80 Es ist ein beredtes Zeichen dafür, wie stark der Drang der Bauern zum freien Eigentum war, wenn auch solch eine typische Junkerregierung gezwungen war, dem Landtag einen Gesetz«> 3. Ltg., 2. Sitzung v. 18. 3. 1924, Sp. 28.

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entwurf zur Umwandlung des Erbpachtrechtes in freies Eigentum vorzulegen.81 Mit welch einer inneren Bereitschaft diese Regierungsvorlage eingebracht wurde, macht die dazu abgegebene Erklärung des Deutschnationalen Staatsministers Dr. v. Oertzen deutlich. „Wenn der Landtag diesen Gesetzentwurf verabschiedet, so muß man sich klar darüber sein, daß der verabschiedete Gesetzentwurf ein Brechen mit der bisherigen deutschrechtlichen Überlieferung, ein Übergehen zu den römisch-rechtlichen Begriffen des Eigentums bedeutet. . ," 82 Damit „empfahl" die Regierung ihren eigenen Entwurf, eine Regierung, die sich einige Zeit vorher programmatisch zu „alter deutscher Herrlichkeit" bekannt hatte. Deutlicher konnte sie ihre ablehnende Haltung kaum zum Ausdruck bringen, und es ist nicht verwunderlich, daß das Plenum den Gesetzentwurf ablehnte. Daß die Ablehnung allgemein war, lag allerdings nicht an der Warnung vor dem römischen Recht, sondern vor allem daran, daß der Titel des Entwurfes ein Hohn auf seinen wirklichen Inhalt war. So war zum Beispiel nicht vorgesehen, die mit der Erbpacht verbundene wesentlichste Last, den Kanon, aufzuheben. Der Herr Staatsminister meinte, „ . . . daß in der großen Zahl der Fälle, jedenfalls, soweit der Staat in Frage kommt, die Kanonlast unbedingt nicht so hoch ist, daß man sagen müßte, unter Berücksichtigung der heutigen Umstände sei sie eine untragbare Last. Andererseits ist der Staat nicht in der Lage, zu Gunsten einer zahlenmäßig immer begrenzten Gruppe von Interessenten auf die Gefälle aus dem ihm zustehenden Obereigentum zu verzichten . . Z'83 Und in der Ausschuß-Sitzung über diesen Entwurf wurde die Regierung, die doch angeblich freies Eigentum schaffen wollte, noch deutlicher. Ihr Vertreter wies darauf hin, „ . . . daß es wirklich freies Eigentum überhaupt nicht gäbe. . der Bodenbesitz müsse gebunden bleiben durch verfassungsmäßige, privatrechtliche und soziale Bestimmungen, deren Grundlage das Wort sei .Gemeinnutz geht vor Eigennutz'. . .".84 81

3. Ltg., Drucksache Nr. 74. 82 3. Ltg., 20. Sitzung v. 28. 10. 1924, Sp. 1033. 83 Ebenda, Sp. 1036. 84 3. Ltg., 30. Sitzung v . 4. 2. 1925, Sp. 1638.

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Behandlung der Erbpacht im Landtag

Was war das nun für ein „freies Eigentum", das dieser Gesetzentwurf vorsah? Der Erbpächter wandte sich gegen die Kanonlast — der Kanon blieb erhalten. Der Erbpächter wollte die Anerkennungsgebühr, die er bei einem Verkauf des Hofes in Höhe von 2% des Preises an den Obereigentümer zahlen mußte, nicht weiter entrichten — diese Gebühr blieb ebenfalls bestehen. Das heißt also, daß die materiellen Lasten, die das Erbpachtrecht kennzeichneten, erhalten bleiben sollten, daß nichts geändert werden sollte als der Name. Und selbst diese Namensänderung war nicht ehrlicher Wunsch der Regierungspartei. Dr. Knebusch (Deutschnational) erklärte bei der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs ausdrücklich: „Ich denke . . . gar nicht daran, daraus ein Hehl zu machen, daß ich persönlich auf dem Standpunkt gestanden habe und auch heute noch stehe, daß die Rechtsform der Erbpacht den Vorzug vor dem vollen Eigentum verdient. . . Wenn mir gratis und franko mein Lehngut in Erbpacht umgewandelt würde, ich würde außerordentlich glücklich sein; denn ich bin als Lehnsbesitzer auch nur Untereigentümer, genau wie der Erbpächter, bin aber in meinen Rechten viel mehr beschränkt als dieser. Ich muß bei Veräußerungen 3% vom Kaufpreis abgeben, während der Hofbesitzer nur 2 % abzugeben hat." 85 Natürlich war auch die Anerkennungsgebühr eine Belastung. Aber warum betont der Redner diese Abgabe so sehr? Sie konnte ja doch nur einmal — eben beim Verkauf — eine wichtige Rolle spielen. Und dann blieb für den ehemaligen Gutsbesitzer immer noch eine erheblich größere Summe übrig, als sie der Erbpächter behielt, wenn er seinen Hof veräußerte. Die für die Rechtsform der Erbpacht entscheidende Last war jedoch der Kanon, die jährliche, immer wiederkehrende Abgabe an den Obereigentümer. Und die gab es beim Rittergut, auch beim Lehnsgut, nicht. Dort konnte es auch gar keinen Kanon geben, weil diese Abgabe in Mecklenburg ihrem Ursprung nach praktisch der Preis war, mit dem die Bauern Anfang des 19. Jahrhunderts das Recht hatten erkaufen müssen, den von ihnen seit Generationen bestellten Boden weiter in der Familie benutzen zu können. « Ebenda, Sp. 1646 f.

I. Feudale Pachtverhältnisse

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Die ökonomische und politische Macht der mecklenburgischen Junker hatte schon immer dazu geführt, daß die Bauern für jede Lockerung feudaler Fesseln teuer bezahlen mußten. Der Erlaß der Hand- und Spanndienste kostete sie einen großen Teil ihres Ackers. Und die Bauernbefreiung brachte ihnen nicht, wie in anderen deutschen Ländern, das freie Eigentum, sondern die Erbpacht mit der Zahlung eines Kanons an den feudalen Obereigentümer. Damit wurde faktisch das Fortbestehen eines feudalen Unterstellungsverhältnisses weiter gesichert. Dabei waren die Erbpächter den zahlreichen sogenannten Hauswirten gegenüber noch im Vorteil, weil sie wenigstens einen gewissen Anspruch auf die Fortdauer ihres Nutzungsrechtes an Grund und Boden hatten. Es entsprach dem Klassenstandpunkt der Deutschnationalen, wenn sie den Kanon bagatellisierten und dafür eintraten, daß er auch nach einer Umwandlung der Erbpacht in freies Eigentum weiter gezahlt werden müßte. Es entsprach dem Klassenstandpunkt der bürgerlichen Parteien, wenn sie die feudale Kanonzahlung grundsätzlich ablehnten. Sie vertraten damit die ihnen erstrebenswerte Eigentumsform: das bürgerliche Eigentum. Und es entsprach dem Klassenstandpunkt der KPD, wenn sie sich als einzige Partei konsequent für die Interessen der Kleinbauern, die sowohl von dem Feudaladel als auch von den Kapitalisten in Stadt und Land rücksichtslos ausgebeutet wurden, einsetzte. Die kommunistische Fraktion trat deshalb nicht dafür ein, daß der Kanon schlechthin — also auch für Großbauern (Erbpachthöfe und -Hufen) - abgeschafft würde. Sie war der Meinung, man dürfe „ . . . von der Regierung und von diesem sogenannten Parlament. . . erwarten, daß es unter allen Umständen als seine höchste Pflicht ansieht, diesen kleinen Landwirten die Hypothekenlasten abzunehmen, ihnen jede Steuer zu erlassen, weil sie sie einfach nicht aufbringen können . . ," 86 Daraus geht hervor, daß es der KPD vor allem um die Kanonbefreiung für die Kleinbauern, die den größten Teil der Belasteten ausmachten, zu tun war. Die Forderung Lenins, , , . . . sowohl der Klein- als auch der Mittelbauernschaft" zu garantieren, „daß ihre Grundstücke ihnen nicht nur (als Eigentum — J. B.) erhalten bleiben, sondern