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German Pages 528 Year 2011
Jürgen Suda Florian Rudolf-Miklau (Hrsg.)
Bauen und Naturgefahren Handbuch für konstruktiven Gebäudeschutz
SpringerWienNewYork
DDI Dr. Jürgen Suda Institut für konstruktiven Ingenieurbau, Universität für Bodenkultur, Wien, Österreich und alpinfra consulting + engineering gmbh, Wien, Österreich
DI Dr. Florian Rudolf-Miklau Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Wien, Österreich
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ISBN 978 - 3-7091-0680 - 8 SpringerWienNewYork
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII
1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Bauvorsorge gegen Naturgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Gebäudeschutz als Maßnahme des integralen NaturgefahrenManagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Naturgefahrenprozesse: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Beschreibung von Naturgefahrenprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Grundlagen der Naturgefahrenanalyse (-bewertung) . . . . . . . . . . . 2.3.1. Methoden der Gefahrenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Räumlicher Bezug und Betrachtungsmaßstab . . . . . . . . . . . 2.3.3. Prozessmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4. „Frequenz-Magnituden-Konzept“ der Gefahrenbewertung 2.4. Hydrologische Naturgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1. Klassifikation hydrologischer Naturgefahren . . . . . . . . . . . . 2.4.2. Hochwasser und Sturzfluten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen . . . . 2.4.2.2. Bemessungshochwasser (Abflussbemessung) . . . . 2.4.2.3. Wirkungskriterien und Prozessmodelle . . . . . . . . 2.4.3. Fluviatiler Feststofftransport (Geschiebe) . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen . . . 2.4.3.2. Wirkungskriterien und Prozessmodelle . . . . . . . . 2.4.4. Erosion durch Fließgewässer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5. Wildholztransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6. Muren (Murgänge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen . . . 2.4.6.2. Wirkungskriterien und Prozessmodelle . . . . . . . . 2.4.7. Überflutungen durch oberirdisches Hangwasser . . . . . . . . . 2.4.8. Grundwasseranstieg und Grundwasserhochstand . . . . . . . 2.4.9. Überflutung durch (Rück-) Überstau aus Entwässerungssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Schneegefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1. Klassifizierung von Schneegefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2. Schneelast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3. Schneedruck durch Schneekriechen und -gleiten . . . . . . . . 2.5.4. Lawinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen . . . 2.5.4.2. Wirkungskriterien und Prozessmodelle . . . . . . . . 2.6. Geologische Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1. Klassifizierung geologischer Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2. Erdbeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 9 9 11 11 12 13 14 17 17 18 18 22 24 28 28 29 32 33 34 34 36 38 38
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Inhalt
2.6.2.1. Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2.2. Wirkungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.3. Steinschlag und Felssturz (Bergsturz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.3.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen . . . 2.6.3.2. Wirkungskriterien und Prozessmodelle . . . . . . . . . 2.6.4. Rutschungen und Hangbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.4.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen . . . 2.6.4.2. Wirkungskriterien und Prozessmodelle . . . . . . . . 2.6.5. Erdfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7. Meteorologische Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.1. Klassifizierung meteorologischer Gefahren . . . . . . . . . . . . . . 2.7.2. Sturm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.3. Starkregen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.4. Gewitter (Hagel, Blitzschlag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.4.1. Hagel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.4.2. Blitzschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8. Feuergefahren (Waldbrand, Buschbrand) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Definitionen und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Gefährdungsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Schadensbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Gefährdungsbilder durch hydrologische Gefahren . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Gefährdungsbild Überflutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1. Gefährdungsbild statische Überflutung . . . . . . . . . 3.2.2.2. Gefährdungsbild dynamische Überflutung (einschließlich Feststoffablagerung und Anprall) 3.2.3. Gefährdungsbild fluviatile Erosion (Seiten- und Tiefenerosion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.1. Gefährdungsbild Seiten- und Tiefenerosion . . . . . 3.2.3.2. Gefährdungsbild sackende Rutschung der Uferböschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4. Gefährdungsbild Mure (Murgang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5. Gefährdungsbild Überschwemmung durch oberirdisches Hangwasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6. Gefährdungsbild Grundwasserhochstand . . . . . . . . . . . . . . 3.2.7. Gefährdungsbild Rück- und Überstau aus dem Kanalnetz 3.2.8. Schadensbilder durch hydrologische Gefahren: Zusammenfassung und Schadensdetails . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.8.1. Schadensbild Wasser-/Feststoffeintritt in das Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.8.2. Schadensbild Beeinträchtigung der Standsicherheit des Gebäudes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Gefährdungsbilder durch Schneegefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI
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Inhalt
3.3.2. Gefährdungsbilder Schneelast und Schneedruck . . . . . . . . 3.3.3. Gefährdungsbilder durch Lawinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.1. Gefährdungsbild Lawine umfließt ein Gebäude . . 3.3.3.2. Gefährdungsbild Lawine überfließt ein Gebäude 3.3.3.3. Gefährdungsbild Einwirkung von Staublawinen 3.3.3.4. Schadensbilder durch Lawineneinwirkung: Zusammenfassung und Schadensdetails . . . . . . . . 3.4. Gefährdungsbilder durch geologische Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2. Gefährdungsbild Erdbeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3. Gefährdungsbilder durch Sturzprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.1. Gefährdungsbild Steinschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.2. Gefährdungsbild Felssturz (Bergsturz) . . . . . . . . . . 3.4.3.3. Schadensbilder aus Steinschlag und Felssturz: Zusammenfassung und Schadensdetails . . . . . . . . 3.4.4. Gefährdungsbilder durch Bewegungen im Hang (Untergrund). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4.1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4.2. Gefährdungsbilder durch direkte Einwirkung einer Rutschung (oberhalb des Gebäudes) oder einer Hangmure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4.3. Gefährdungsbilder durch indirekte Einwirkungen aus Rutschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4.4. Gefährdungsbild Erdfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4.5. Schadensbilder durch Bewegungen im Hang (Untergrund): Zusammenfassung und Schadensdetails . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Gefährdungsbilder durch meteorologische Gefahren . . . . . . . . . . . 3.5.1. Gefährdungsbild Sturm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2. Gefährdungsbild Hagel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3. Gefährdungsbild Blitzschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6. Gefährdungsbilder durch Feuergefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einwirkungen auf Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Prozess- und Einwirkungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Klassifizierung der Einwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Einwirkungen aus vorwiegend ruhenden Wasserkörpern . . . . . . . 4.3.1. Prozess- und Einwirkungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Einwirkungen aus Fließprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1. Prozess- und Einwirkungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2. Geschwindigkeitsdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3. Druck auf Gebäudeoberflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3.1. Ermittlung der Druckeinwirkung (Krafteinwirkung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3.2. Kraftbeiwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3.3. Lastverteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3.4. Reibungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93 94 94 96 96 97 99 99 99 101 101 102 103 105 105 105 105 109 109 110 110 112 114 116 119 119 120 121 121 124 124 125 127 127 130 131 132 VII
Inhalt
4.5.
4.6.
4.7.
4.8.
4.9.
VIII
4.4.3.5. Vertikale Umlenkung von Strömungsprozessen . . 4.4.3.6. Lawinenkräfte aus der Literatur/nach Modellen . . Einwirkungen aus Schneelast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1. Prozess- und Einwirkungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1.1. Charakteristische Schneelast . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1.2. Schneelasten auf Dächer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2. Horizontale Einwirkungen aus Schneedecken . . . . . . . . . . . 4.5.3. Einwirkungen aus Schnee infolge Kriechens und Gleitens Einwirkungen aus Stein-, Block- und Eisschlag . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1. Prozess- und Einwirkungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2. Einwirkung aus ungedämpftem Stoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2.1. Energien und Bruchkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2.2. Äquivalente statische Ersatzkräfte . . . . . . . . . . . . . 4.6.3. Einwirkung aus gedämpftem Stoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.4. Direkte Ableitung von Bemessungswerten der Energieeinwirkung aus Steinschlagsimulationen . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.5. Steinschlagkräfte aus der Literatur/nach Modellen . . . . . . . Einwirkungen aus Erddrücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.1. Prozess- und Einwirkungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.2. Anwendung der verschiedenen Erddruckarten . . . . . . . . . . 4.7.3. Erddruckberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.3.1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.3.2. Neigung des Erddruckes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.3.3. Wichte des Bodens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.3.4. Aktiver und passiver Erddruck . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.3.5. Erdruhedruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.3.6. Kriechdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.3.7. Erddruckumlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.3.8. Auflasten auf die Geländeoberfläche . . . . . . . . . . . . Erdbebeneinwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.1. Prozess- und Einwirkungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.2. Erdbebenzonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.3. Bedeutungskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.4. Baugrundklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.5. Antwortspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.6. Bemessungsbodenverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.7. Bemessungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.8. Alternative Darstellung der Erdbebeneinwirkung . . . . . . . Einwirkungen aus Wind (Sturm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9.1. Prozess- und Einwirkungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9.2. Basisgeschwindigkeitsdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9.3. Spitzengeschwindigkeitsdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9.4. Winddruck auf Gebäudeoberflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9.5. Winddruck auf die Wände eines Gebäudes . . . . . . . . . . . . . 4.9.6. Winddruck auf Dächer von geschlossenen Gebäuden . . . . . 4.9.7. Winddruck auf Innenflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
4.9.8. Reibungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9.9. Gesamtwindkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.10. Einwirkungen aus Hagel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.11. Einwirkungen infolge von Eigengewicht und Auflast . . . . . . . . . . 4.11.1. Einwirkungen infolge veränderten Eigengewichts . . . . . . . 4.11.2. Einwirkung infolge Auflast durch Ablagerungen . . . . . . . 4.12. Einwirkungen aus Brand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12.1. Prozess- und Einwirkungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12.2. Nominelle Brandkurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12.3. Parametrische Brandkurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12.3.1. Brandlastdichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12.3.2. Berechnung – Erwärmungsphase . . . . . . . . . . . . . 4.12.3.3. Berechnung – Abkühlphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12.4. Brandsimulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12.5. Netto-Wärmestrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Naturgefahrenkarten und -pläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Prävention durch Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1. Grundsätze und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2. Grundlagenfachplanung und allgemeine Raumplanung . . 5.1.3. Planungskategorien zur Darstellung von Gefahren und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Gefahrenzonenplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2. Gefahrenzonenpläne gemäß § 11 ForstG . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3. Gefahrenzonenpläne der Bundeswasserbauverwaltung . . . 5.2.4. Bemessungsereignis und Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . 5.3. Anwendung in der Bauvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
181 181 181 183
6. Umsetzung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen in der Raumordnung und im Bauwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Gefahrenkarten und Gefahrenzonenpläne in der Raumplanung 6.3. Darstellung von Naturgefahren in der Raumordnung . . . . . . . . . . 6.4. Berücksichtigung von Gefahrendarstellungen im Flächenwidmungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1. Widmungsbeschränkungen und -verbote in Gefahrenbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2. Planungsrechtliche Definitionen von Gefahrenbereichen 6.4.2.1. Allgemeine Benennung von Naturgefahren . . . . . . 6.4.2.2. Anschlagslinien und Überflutungsbereiche . . . . . 6.4.2.3. Inhalte von Gefahrenzonenplänen . . . . . . . . . . . . . 6.4.2.4. Rückhaltebereiche und für Schutzmaßnahmen relevante Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2.5. Restrisikobereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3. Abstufungen hinsichtlich Gefährdungsintensität . . . . . . . . 6.4.4. Ausnahmen in Gefährdungsbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . .
186 189 189 191 193 195 197 199 199 200 200 203 203 205 205 205 206 207 208 209 210 IX
Inhalt
6.4.5. Gefahrenbereiche und kommunale Bestandsaufnahme . . . 6.5. Naturgefahren im Baurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2. Anwendungsbereich der Bauordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.3. Naturgefahren und baurechtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . 6.5.3.1. Bezeichnungen für Gefahrenbereiche im Baurecht 6.5.3.2. Naturgefahrensicherer Bauplatz . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.3.3. Arten von Bauführungen und Verfahren . . . . . . . 6.5.3.4. Baubewilligungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.4. Baurechtliche Auflagen und Bedingungen . . . . . . . . . . . . . .
212 215 215 215 217 218 219 222 222 224
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes . . . . . . . . . . . 7.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Bedeutung eines „normierten“ Gebäudeschutzes . . . . . . . . . . . . . . 7.3. Wirkung und Verbindlichkeit von Rechts- und Techniknormen – „Stand der Technik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4. Rechtsnormen des Gebäudeschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1. Rechtliche Grundlagen und Regelungskompetenz . . . . . . . . 7.4.2. Rechtsgrundlagen im Allgemeinen Baurecht . . . . . . . . . . . . 7.5. Technische Normen und Richtlinien des Gebäudeschutzes . . . . . . 7.5.1. Bautechnische Bemessung von Tragwerken . . . . . . . . . . . . . 7.5.2. Gebäudeschutz gegen Erdbeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.3. Gebäudeschutz gegen Hochwasser und Grundwasserhochstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.4. Entwässerungen und Kanalrückstau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.5. Gebäudeschutz gegen Lawinen, Steinschlag, Rutschungen und Muren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.6. Gebäudeschutz gegen Sturm (Orkan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.7. Gebäudeschutz gegen Schneedruck (-last) . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.8. Gebäudeschutz gegen Blitzschlag und Brand . . . . . . . . . . . .
227 227 228
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1. Entwurfsgrundsätze und Planungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1. Schutzkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2. Auswahlkriterien für Gebäudeschutzmaßnahmen . . . . . . . 8.1.3. Planungsprozess des Gebäudeschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2. Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Überflutung . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1. Anforderungen an den generellen Entwurf . . . . . . . . . . . . . 8.2.2. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen die Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen Wassereintritt in das Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3.1. Erhöhte Bauweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3.2. Wasserdichte Bauweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4. Vorkehrungen gegen Schäden im Innenraum und an der Haustechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.5. Hochwasserangepasste Konstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . X
229 231 231 234 237 238 240 240 241 243 244 245 245 249 249 249 250 251 253 253 255 257 257 259 261 263
Inhalt
8.3.
8.4.
8.5.
8.6. 8.7.
8.8.
8.2.6. Temporäre konstruktive Schutzmaßnahmen (Sofortmaßnahmen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.6.1. Mobile vorgefertigte Systeme („Mobiler Hochwasserschutz“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.6.2. Temporäre konstruktive Maßnahmen . . . . . . . . . . 8.2.7. Maßnahmenübersicht und -kombinationen . . . . . . . . . . . . . Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Muren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1. Anforderungen an den generellen Entwurf . . . . . . . . . . . . . 8.3.2. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen die Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes . . . . . . . . . . . 8.3.2.1. Schutzbauwerke vor dem Gebäude . . . . . . . . . . . . . 8.3.2.2. Schutzmaßnahmen am Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen Eintritt von Murmaterial in das Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4. Temporäre konstruktive Maßnahmen im Ereignisfall. . . . . 8.3.5. Maßnahmenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Schneelast (Schneedruck) . . . 8.4.1. Maßnahmen bei Planung und Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2. Sofortmaßnahmen bei extremen Schneelasten . . . . . . . . . . 8.4.3. Periodische Überprüfung der Dächer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Lawinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.1. Anforderungen an den generellen Entwurf . . . . . . . . . . . . . 8.5.2. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen die Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes . . . . . . . . . . . 8.5.2.1. Schutzbauwerke vor dem Gebäude . . . . . . . . . . . . . 8.5.2.2. Schutzmaßnahmen am Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.3. Permanente Maßnahmen gegen Eintritt von Lawinenschnee in das Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.4. Sofortmaßnahmen im Ereignisfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.5. Maßnahmenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Erdbeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebäudeschutzmaßnahmen bei Steinschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7.1. Anforderungen an den generellen Entwurf . . . . . . . . . . . . . . 8.7.2. Permanente Maßnahmen gegen die Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7.2.1. Schutzbauwerke vor dem Gebäude . . . . . . . . . . . . . 8.7.2.2. Verstärkung der Gebäudehülle und der Tragkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7.3. Maßnahmenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebäudeschutzmaßnahmen bei Rutschungen und Erdfall . . . . . . 8.8.1. Anforderungen an den generellen Entwurf . . . . . . . . . . . . . . 8.8.2. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen die Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes . . . . . . . . . . 8.8.3. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen Eintritt von Rutschmaterial in das Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.8.4. Maßnahmen nach dem Ereignisfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
263 264 268 270 274 274 274 274 275 276 277 278 279 279 279 281 281 281 282 282 284 285 287 287 289 292 292 293 293 295 297 297 297 300 302 302
XI
Inhalt
8.8.5. Maßnahmenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.9. Gebäudeschutzmaßnahmen bei Sturm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.9.1. Maßnahmen bei Planung und Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.9.2. Sofortmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.9.3. Periodische Überprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.10. Gebäudeschutzmaßnahmen bei Hagel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.10.1. Maßnahmen bei Planung und Entwurf. . . . . . . . . . . . . . . . . 8.10.2. Sofortmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11. Gebäudeschutzmaßnahmen bei Blitzschlag und Folgebrand . . 8.11.1. Maßnahmen bei Planung und Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.1.1. Anforderungen an den äußeren Blitzschutz . . . . . 8.11.1.2. Anforderungen an natürliche Bestandteile des Blitzschutzsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.1.3. „Natürliche Bestandteile“ als Fangeinrichtung . . . 8.11.1.4. „Natürliche Bestandteile“ als Ableiteinrichtung . . 8.11.2. Periodische Überprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
303 303 303 306 306 307 307 308 308 308 308
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails 9.1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2. Anforderungen an den Entwurf von Gebäuden in gefährdeten Bereichen: Form und Grundriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3. Verstärkung der Gebäudehüllen und der Tragwerke . . . . . . . . . . . . 9.3.1. Grundlagen für die Verstärkung von Tragwerken . . . . . . . . 9.3.2. Verstärkte Außenwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2.1. Verstärkte Außenwand ohne Dämpfungselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2.2. Verstärkte Außenwand mit Dämpfungselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2.3. Außenwand mit erhöhtem Abrasionswiderstand 9.3.3. Verstärkte Dächer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3.1. Verstärktes Dach ohne Dämpfungselement . . . . . . 9.3.3.2. Verstärktes Dach mit Dämpfungselement . . . . . . . 9.3.3.3. Gegen Hagel verstärktes Dach . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.4. Verstärkungen im Fundamentbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4. Wasserdichte Bauweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1. Wasserdichte Gebäudehülle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1.1. Schwarze Wanne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1.2. Weiße Wanne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1.3. Braune Wanne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.2. Leitungsdurchführungen, Durchdringungen . . . . . . . . . . . 9.4.3. Rückstausicherungen für Hauskanäle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3.1. Rückstauverschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3.2. Abwasserhebeanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3.3. Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5. Schutz von Gebäudeöffnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.1. Wasserdichte Öffnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.1.1. Wasserdichte Lichtschächte (Kellerschächte) . . . . .
313 313
XII
309 310 310 311
313 315 316 319 319 324 326 328 328 330 331 332 333 333 333 333 335 338 339 339 342 343 344 345 345
Inhalt
9.5.1.2. Wasserdichte Fenster und Türen . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.1.3. Wasserdichte Fensterläden und Hochwasserschutztore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2. Gegen Anprall verstärkte Öffnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.1. Generelle Anforderungen an hochbeanspruchte Fenster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.2. Lawinenschutzfenster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.3. Fenster mit erhöhtem Hagelwiderstand . . . . . . . . . 9.5.2.4. Verstärkte Fensterläden oder Schiebelemente . . . . 9.5.2.5. Schutzscheiben aus Glas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.6. Fenstergitter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.7. Schutzscheiben und Vorhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6. Dachbegrünungen als Dämpfungselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6.1. Aufbau und Konstruktion von Dachbegrünungen . . . . . . . 9.6.2. Erhaltung und Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.7. Auswahl der Baumaterialien für naturgefahrenangepasstes Bauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.7.1. Beanspruchungen durch Wasser, Muren, Lawinen und Steinschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.7.2. Beanspruchungen durch Hagel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . 10.1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2. Ebenhöh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1. Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2. Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3. Spaltkeile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1. Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2. Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4. Schutzmauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.1. Anordnung im Gelände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.2. Ermittlung der wirksamen Höhe eines Schutzbauwerkes 10.4.2.1. Lawinen und Muren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.2.2. Steinschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.3. Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.3.1. Mauerquerschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.3.2. Dämpfungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.3.3. Abrasionsschutz von Maueroberflächen . . . . . . . 10.5. Konstruktion von Schutzdämmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6. Steinschlagschutznetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.1. Konstruktion und Bautypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.1.1. Bautype Schutznetz mit bergseitiger Abspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.1.2. Schutznetze ohne bergseitige Abspannung . . . . . 10.6.2. Anordnung und funktionale Bemessung von Steinschlagschutznetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7. Erosionsschutz an Fundamenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
350 352 357 357 357 358 358 360 362 363 363 363 366 366 366 370 373 373 374 374 375 378 379 379 385 387 387 388 388 389 389 391 395 396 398 399 399 400 403 406 XIII
Inhalt
10.8. Begrünung und Bepflanzung von Spaltkeilen, Schutzmauern und -dämmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.1. Begrünung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.2. Pflege begrünter Flächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.3. Bepflanzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9. Behälter in hochwassergefährdeten Gebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
408 408 413 413 414
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1. Grundlagen der Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1. Sicherheitskonzept und Grenzzustände . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1.1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1.2. Bemessungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1.3. Charakteristische Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1.4. Bemessungswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2. Einwirkungskombinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3. Grenzzustände der Tragfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3.1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3.2. Nachweis der geotechnischen Grenzzustände (GEO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3.3. Nachweis des Auftriebsbruches (UPL) . . . . . . . . . . 11.1.3.4. Nachweis der konstruktiven Grenzzustände (STR) 11.1.3.4.1. Allgemeine Bemessung der Bauteile . . 11.1.3.4.2. Bemessung im Brandfall . . . . . . . . . . . . 11.1.3.4.3. Erdbebenbemessung . . . . . . . . . . . . . . . 11.2. Bemessung von Gebäuden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1. Lastfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2. Einwirkungskombinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3. Bemessung im GZT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4. Bemessung im GZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3. Bemessung von Spaltkeilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1. Lastfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2. Einwirkungskombinationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.3. Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4. Bemessung von Ebenhöhen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.1. Lastfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.2. Einwirkungskombinationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.3. Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5. Bemessung von Schutzmauern, -zäunen und -dämmen . . . . . . . . . 11.5.1. Lastfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.2. Einwirkungskombinationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.3. Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6. Bemessung von Steinschlagschutznetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
420 421 421 421 421 422 423 423 428 432 432 433 433 435 436 436 436 437 438 438 438 439 440 440
12. Nutzungskonzepte, Sicherheitsplanung und Notfallmaßnahmen . . . . 12.1. Passive Gebäudeschutzmaßnahmen: Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 12.2. Gefahrenangepasste Nutzungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
443 443 443
XIV
417 417 417 417 417 418 419 419 420 420
Inhalt
12.2.1. Zeitliche Nutzungskonzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.2. Nutzungskonzepte für den Außenraum . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.3. Nutzungskonzepte für den Innenraum . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3. Notfallplanung und Notfallvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4. Maßnahmen bei „Gefahr in Verzug“(Notfallmaßnahmen) . . . . . . 12.4.1. Individuelle Notfallmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.2. Behördliche Notfallmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5. Ab- und Umsiedlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
444 444 444 445 448 448 449 450
13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele . . . 13.1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2. BEISPIEL 1 – Einfamilienhaus/Schutz vor Muren und Lawinen 13.2.1. Beschreibung des Gefährdungsbildes (Gefahrenszenario) 13.2.2. Schutzkonzept und Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2.1. Baubehördliche Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2.2. Entwurfsbeschreibung gemäß Architektenplan 13.2.3. Planung und Bauausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3. BEISPIEL 2 – Einfamilienhaus/Schutz vor Staublawinen . . . . . . . . 13.3.1. Beschreibung des Gefährdungsbildes (Gefahrenszenario) 13.3.2. Schutzkonzept und Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.2.1. Auflagen der Baubehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.2.2. Entwurfsbeschreibung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.2.3. Details Schiebeelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.3. Planung und Bauausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4. BEISPIEL – Neubau der Fachhochschule OÖ Fakultät für Management – FH Steyr / Schutz vor Hochwasser . . . . . . . . . . . . . . 13.4.1. Beschreibung des Gefährdungsbildes (Gefahrenszenario) 13.4.2. Schutzkonzept und Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.2.1. Entwurfsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.2.2. Hochwasserschutzkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.2.2.1. Permanente konstruktive Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.2.2.2. Temporäre konstruktive Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.2.2.3. Organisatorische Schutzmaßnahmen – Schutzzonen . . . . . . . . . . . . 13.4.2.2.4. Aktiver Schutz – Ringleitung, Pumpensumpf und Hebeanlage . . . . . 13.4.3. Planung und Bauausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
453 453 453 453 454 454 455 462 462 462 463 463 464 468 471
Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
481
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
487
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
505
Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
507
471 471 471 471 475 475 475 476 477 479
XV
Vorwort Als ursprünglicher Zweck menschlicher Behausung ist der Schutz vor lebensfeindlichen Umwelteinflüssen wie Kälte, Hitze, Regen, Sturm, Sonneneinstrahlung oder Schnee anzusehen. Bereits urzeitliche Wohngebäude wurden daher stabil und witterungsbeständig errichtet. Auch die übliche Begriffsdefinition für „Gebäude“ beschreibt ein Bauwerk, das Räume umschließt und zum Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen dient. Bemerkenswert ist dabei, dass ein Gebäude nicht zwingend Wände oder einen Keller, jedoch immer ein Dach besitzt (Haus, Althochdeutsch: hûs heißt ursprünglich „das Bedeckende“). Es liegt daher der Schluss nahe, dass der Gebäudeschutz gegen Einwirkungen aus der Natur das älteste und ursprünglichste Kriterium – lange vor architektonischen Kriterien wie Position, Form, Funktion, Baukosten, Schutz der Privatsphäre, Hygiene, Ästhetik und Stil – für die Planung und Konstruktion von Wohngebäuden darstellt. Umso erstaunlicher ist es, dass Gebäudeschutz gegen Naturgefahren weder in der modernen Architektur noch im Bauwesen einen besonderen Stellenwert genießt. Zwar werden normativ festgelegte Einwirkungen durch die Naturgefahren Sturm, Schneelast und Erdbeben regelmäßig bei der Bemessung von Gebäuden berücksichtigt, doch selbst diese Gefahren haben in der Wahrnehmung der Planer eine untergeordnete Bedeutung. Andere Naturgefahren – wie Hochwasser, Lawinen oder Steinschlag – finden im österreichischen Wohnbau in der Regel überhaupt nur dann Berücksichtigung, wenn ein Behördenakt oder Versicherungsvertrag den Bauherren oder Planer zur Einhaltung bestimmter Schutzmaßnahmen verpflichtet. Gebäudeschutzmaßnahmen werden üblicherweise nicht hinsichtlich der Risikoreduktion oder des abgewendeten Schadens (Eigenvorsorge), sondern im Sinne von zusätzlichen Baukosten bewertet und sind daher eher negativ belegt. Es ist der Befund zu ziehen, dass in Österreich keine Planungskultur für den Gebäudeschutz gegen Naturgefahren besteht. Dieser scheinbar geringen Bedeutung des Gebäudeschutzes steht die Realität des faktischen Naturgefahrenrisikos gegenüber. Noch nie waren in Österreich – trotz umfangreicher Schutzmaßnahmen – so viele Gebäude durch Naturgefahren bedroht und das Schadenspotenzial so hoch wie heute. Nach Erhebungen des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitutes waren 2005 242.000 Gebäude durch Hochwasser bedroht. Der Sachschaden durch die Flutkatastrophe 2002 in Österreich betrug € 2,9 Mrd. In den Alpentälern sind umfangreiche Siedlungsgebiete zusätzlich durch Lawinen, Felssturz oder Muren gefährdet, häufig besteht sogar eine multiple Gefährdung durch mehrere Naturprozesse und das Risiko einer Totalzerstörung; trotzdem erfolgen weiterhin Bauführungen in intensiven Gefahrenzonen oder bis in die Permafrostregion. Im Jahr 2011 sind nach Erhebungen der Münchner Rückversicherung alleine bis Jahresmitte weltweit Schäden durch Naturkatastrophen im Ausmaß von € 186 Mrd. aufgetreten. Wenn nur einem Bruchteil dieser Schäden durch effiziente Gebäudeschutzmaßnahmen vorgebeugt werden kann, sind diese Investitionen als hoch wirtschaft lich zu bewerten. Dass Gebäudeschutz gegen Naturgefahren bei Bauherren, Architekten und Planern nur geringe Beachtung gefunden hat und daher bis heute auch keine umXVII
Vorwort
fassende technische Publikation zu diesem Thema erschienen ist, mag primär damit begründet sein, dass es sich bei Naturgefahren um äußerst seltene Ereignisse handelt, die von den Liegenschaftseigentümern nur als untergeordnetes Risiko wahrgenommen werden. Erst nach Eintritt einer Katastrophe steigen die Betroffenheit und das Schutzbedürfnis schlagartig an. Häufig fehlt jedoch den Planern das Wissen (oder sogar das Problembewusstsein) über die Einwirkungen durch Naturgefahren und die Technologie des effizienten Gebäudeschutzes bzw. wird dieses Know-how nur von wenigen Spezialisten angeboten. Das vorliegende Werk schließt diese Lücke und bietet erstmals eine umfassende Darstellung des technischen Gebäudeschutzes für alle in Österreich relevanten Naturgefahren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den hydrologischen Naturgefahren, Schneegefahren und geologischen Gefahren, die bisher noch nie Gegenstand eines technischen Kompendiums waren; anderen Naturgefahren wird ebenfalls angemessener Umfang eingeräumt. Das Handbuch richtet sich an Bauherren, Architekten, Bauunternehmungen und Bauingenieure, darüber hinaus auch an Behörden und politische Entscheidungsträger, die im Zuge eines Bauvorhabens oder bei akut bedrohtem Baubestand mit Fragen der Bauvorsorge konfrontiert sind. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der Planung und praktischen Umsetzung von Gebäudeschutzmaßnahmen und deren konstruktiver Gestaltung an Wohnbauten. Der Aufbau des Buches folgt konsequent dem Planungsprozedere des technischen Gebäudeschutzes: Aufbauend auf der Klassifikation und Beschreibung der Naturgefahrenprozesse (Kapitel 2) und der daraus abgeleiteten Gefährdungsbilder (Kapitel 3) wird ein erschöpfender Überblick über alle naturgefahrenbedingten Einwirkungen auf Bauwerke (Kapitel 4) gegeben. Als wichtigste Planungsgrundlagen werden Gefahren- und Risikokarten (Gefahrenzonenplanungen) (Kapitel 5) und deren Anwendung in der Raumordnung und im Bauwesen dargestellt (Kapitel 6). Rechts- und Techniknormen (Kapitel 7) – dargestellt für österreichische Gesetze und ÖNORMEN – bilden die Grundlage für Schutzkonzepte und Entwurfsregeln des Gebäudeschutzes (Kapitel 8). Systematisch ist bei den technischen Schutzmaßnahmen zwischen jenen vor dem Gebäude (Kapitel 9) und jenen am Gebäude selbst (Kapitel 10) zu unterscheiden; für beide Kategorien werden die Konstruktions- und Hochbaudetails ausführlich dargestellt. Hinweise für die bautechnische Bemessung (Kapitel 11) und Sicherheitskonzepte für die naturgefahrenangepasste Gebäudenutzung (Kapitel 12) runden das Werk ab. Im letzten Abschnitt des Buches (Kapitel 13) werden gelungene Beispiele des Gebäudeschutzes gegen Murgang, Lawinen und Hochwasser dargestellt, welche die Vereinbarkeit von Wohnbau-Architektur und Sicherheitsplanung belegen.
XVIII
1. Einführung
Florian Rudolf-Miklau
1.1. Bauvorsorge gegen Naturgefahren Naturgefahren1 sind durch die zahlreichen Katastrophenereignisse der letzten Jahre ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Sowohl die Vereinten Nationen (UN)2 als auch die Versicherungswirtschaft [150] gehen von einer besorgniserregenden Zunahme des weltweiten Risikos3 durch Naturkatastrophen aus; dieser Befund hat grundsätzlich auch für Österreich Gültigkeit, welches allerdings – gemessen am globalen Schadensrisiko – als relativ sicheres Land gilt. Die weltweit höchsten wirtschaft lichen Verluste infolge von Naturkatastrophen entstehen durch Schäden4 an Bauwerken. Praktisch die gesamte Erdoberfläche ist in irgendeiner Form von Naturgefahren betroffen, schadensverursachende Ereignisse treten allerdings – in Abhängigkeit der spezifischen Gefahrendisposition und des Schadenspotenzials einer Region – mit unterschiedlicher Häufigkeit und Intensität in Erscheinung. Das Risiko eines Bauwerks, durch ein Naturereignis beschädigt oder zerstört zu werden, hängt insbesondere von seiner Lage bezüglich des Gefahrenherds (Exposition) und seiner Schadensanfälligkeit (Vulnerabilität) ab. Einige Regionen der Erde weisen eine überdurchschnittlich hohe Disposition für Naturkatastrophen5 mit hohem Zerstö1
2 3
4
5
Naturgefahren sind Ereignisse in der Natur, die zu einer Bedrohung von Menschen, Umwelt, Sach- und Vermögenswerten führen können. Gefahren im Allgemeinen werden nach der Häufigkeit ihres Auft retens und der Größenordnung (Intensität, Amplitude) ihrer Wirkung (des Naturprozesses) charakterisiert. [185] United Nations Department of Humanitarian Affairs (UN DHA) (1992) Risiko im weiteren Sinne ist die Möglichkeit, dass aus einem Zustand oder Vorgang – im konkreten Fall aus dem der Naturgefahr zugeordneten Ereignis – ein Schaden entstehen kann. Risiko im engeren Sinn ist die Wahrscheinlichkeit und Größenordnung eines möglichen Schadens. Schaden ist die Summe der negativ bewerteten Folgen (Wirkungen) eines Ereignisses (Schadensereignis). Im konkreten Fall ist dies das Naturereignis, das zu Personenschäden (Tote, Verletzte), Sachschäden (insbesondere Bauwerksschäden) und/oder der Umwelt (Umweltschäden) führt. [224] Eine Katastrophe ist ein räumlich und zeitlich konzentriertes Ereignis, im Falle der Naturkatastrophe eine natürlich entstandene Veränderung der Erdoberfläche oder der Atmosphäre, das zu einer schweren Gefährdung der Gesellschaft durch Verluste an Menschenle1
Florian Rudolf-Miklau
Tabelle 1.1. Klassifi kation der Naturgefahrenarten nach Alexander (2002) [3], modifiziert nach Rudolf-Miklau (2009) [224] (Fett hervorgehoben: die in Österreich schadensrelevanten Naturgefahren). Gefahrenklasse
Gefahrenart
Geologische Gefahren
Erdbeben, Vulkanausbruch, Bodenerosion, Rutschung, Erdfälle (Bodensenkung), Stein-, Block- und Eisschlag (Felssturz), Bergsturz, Hangmuren, Lahar (vulkanische Aschenmure)
Meteorologische Gefahren
Tropische Zyklone, Hurrikane, Tornado, Sandsturm, Blizzard (Schneesturm), Blitzschlag, Starkniederschlag, Hagel, Nebel, Dürre, Frost
Hydrologische Gefahren
Hochwasser (Überflutung), Sturzfluten (Wildbach), Feststofftransport (Schwebstoffe, Geschiebe, Schwemmholz), Mure, Gletscherseeausbruch
Schneegefahren
Lawine (Fließlawine, Staublawine), Eissturz (Eislawine), Gletschervorstoß, Schneedruck
Feuergefahren
Buschbrand, Waldbrand
Ozeanische Gefahren
Seesturm, Tsunami, Sturmflut
Biologische Gefahren
Seuchen, tierische und pflanzliche Massenvermehrung
rungspotential für den Bauwerksbestand auf; dazu zählen Gebirgs- und Küstenregionen, Niederungen entlang von Flussläufen, seismisch oder vulkanisch aktive Zonen, Trockengebiete, Permafrostzonen und Gebiete im Einflussbereich tropischer Stürme. In der Regel sind in fast allen Teilen der Erde mehrere Naturgefahrenarten (Tabelle 1.1) bei der Planung und Konstruktion von Bauwerken zu berücksichtigen. Während einige Naturgefahren (z. B. Stürme, Erdbeben, Hochwasser) hinsichtlich der Schadenswirkung von globaler Bedeutung sind und großflächig wirken, sind andere Gefahrenarten (z. B. Muren, Lawinen) auf Regionen mit besonderen naturräumlichen Bedingungen beschränkt und wirken nur lokal (regional), fallweise jedoch mit extrem hoher Intensität. Gemessen am Schadensrisiko zählen in Österreich Hochwasser (Überflutung), Lawinen und Sturm sowie mit regionalen Einschränkungen auch Erdbeben zu den bedeutendsten Naturgefahren.6 Aufgrund der gebirgigen Topographie Österreichs (Alpen, Böhmische Masse) sind nur rund 38 % des Bundesgebiets als Dauersiedlungsraum7 geeignet. Aus diesem Grund sind „alpine“ Naturgefahren (Sturzflut, Muren, Steinschlag, Felssturz, Schneedruck, Gletscherseeausbruch) von besonderer Bedeutung. Den grundlegenden Sicherheitsfaktor für die Besiedelbarkeit der alpinen Täler stellt der Schutzwald dar, der 38 % der Gesamtwaldfläche einnimmt. Eine detaillierte Übersicht über die Exposition Österreichs für Naturgefahren findet sich in [224].
6 7 2
ben und zu materiellen Schäden führt, so dass die lokale gesellschaft liche Struktur versagt und sie alle oder wesentliche Funktionen nicht mehr erfüllen kann (Definition laut United Nations Department of Humanitarian Affairs (UN DHA) (1992)) Aufgrund der geographischen Lage spielen hingegen vulkanische oder ozeanische Gefahren in Österreich keine Rolle. In Tirol werden nur 11,6 % der Landesfläche als Dauersiedlungsraum genutzt.
1. Einführung
Abb. 1.1. Hohe Besiedlungsdichte und Flächenverbrauch in den Alpentälern (© Florian RudolfMiklau)
Als primäre Ursachen für die Zunahme des Risikos durch Naturkatastrophen werden die intensive Nutzung potenziell gefährdeter Gebiete und der Klimawandel angeführt. Die alpine Topographie Österreichs erzwingt eine Konzentration der Besiedelung im Voralpengebiet und in den Talniederungen (Bevölkerungsdichte von 243 Einwohnern pro km²). Naturgemäß ist das Schadenspotenzial in diesen Gebieten besonders hoch. [224] Nach Untersuchungen des Umweltbundesamtes herrscht in Österreich weiterhin eine starke Zunahme des Flächenverbrauchs, die auf verschiedene Faktoren – z. B. steigende Wohnansprüche, demographischer Wandel, Urbanisierung und „Zersiedelung“ des ländlichen Raums, steigende Mobilität, Dezentralisierung der Versorgung, touristische Erschließung, Agrarstrukturwandel – zurückzuführen ist. Da bereits ca. 40 % des Dauersiedlungsraumes in Österreich verbraucht sind, nimmt der Erschließungsdruck auf durch Naturgefahren bedrohte Flächen besonders in den Alpen zu. (Abb. 1.1) Damit steigt auch der Schutz- und Sicherheitsbedarf für Gebäude stetig an. Maßnahmen zur Gefahrenabwehr reichen unter diesen Rahmenbedingungen zum Schutz des Baubestandes nicht mehr aus, es sind vielmehr alternative Strategien zur Risikoreduktion erforderlich. Als Ergebnis der Analyse der Hochwasserkatastrophe 2002 [33] wurden für Österreich neue Präventionsstrategien entwickelt, die auf die maßgeblichen naturräumlichen und sozio-ökonomischen Veränderungen Rücksicht nehmen [224]. Diese Strategien umfassen – neben der Flächenvorsorge8, der Verhaltensvorsorge9 und der Risikovorsorge10 – auch die Bauvorsorge, die das 8
Ziel der Flächenvorsorge ist die aktive Bereitstellung und Bewirtschaftung von Flächen, von denen eine Schutzwirkung ausgeht (z.B. Retentionsflächen, Schutzwald). Die Freihaltung gefährdeter Gebiete stellt die wirksamste Maßnahme zur Begrenzung des Schadensrisikos dar. 9 Vorbedingungen der Verhaltensvorsorge sind Information, Ausbildung und Vorbereitung. Ihre Wirksamkeit besteht in der Entwicklung eines Gefahrenbewusstseins und im Erkennen der eigenen Handlungsmöglichkeiten für Betroffene. 10 Ziel der Risikovorsorge ist es, das Schadenausmaß und die Schadenlast für extreme Katastrophenereignisse, denen mit anderen Schutzmaßnahmen nicht zur Gänze vorgebeugt werden kann, zu begrenzen oder auf alle Betroffenen ausgewogen zu verteilen. Wichtigste Elemente 3
Florian Rudolf-Miklau
Schutzkonzept für die sichere Baulandentwicklung und Ausführung von Bauwerken in durch Naturgefahren bedrohten Gebieten (Gefahrenzonen) darstellt. Bauvorsorge setzt im Wesentlichen auf zwei Strategien: einerseits auf die gefahrenangepasste Gebäudenutzung und Gebäudeausstattung, andererseits auf Maßnahmen zur Abschirmung (direkt am oder unmittelbar vor dem Objekt) oder Abdichtung von Gebäuden gegen die Einwirkung von Naturgefahren (Gebäudeschutz). Maßnahmen der Bauvorsorge sind insbesondere für folgende Naturgefahren möglich: Erdbeben, Rutschung, Steinschlag, Felssturz, Blitzschlag, Hagel, Sturm (Orkan), Hochwasser (Überflutung, Grundwasserhochstand), Mure (Murgang), Lawine, Schneedruck (-last) und Feuer (Waldbrand). [224] 1.2. Gebäudeschutz als Maßnahme des integralen NaturgefahrenManagements Bauvorsorge ist grundsätzlich nicht als isoliertes Schutzkonzept aufzufassen, sondern steht im Gesamtzusammenhang eines integralen Naturgefahren-Managements.11 Die angestrebte Reduktion von Naturgefahrenrisiken auf ein „zumutbares“ Ausmaß wird am besten durch die Kombination von (aktiven und passiven) Schutzmaßnahmen erzielt. Das Grundprinzip des Naturgefahren-Managements wird üblicherweise durch den „Risikokreislauf “ veranschaulicht, der den gesamten Zyklus der Vor- und Nachsorge von Naturkatastrophen (Initialereignis dieses Zyklus) umfasst. (Abb. 1.2) Der Kreislauf gliedert sich in zwei grundlegende Phasen: In der Phase der Vorsorge wird das Ziel einer möglichst umfassenden und optimalen Vorbereitung auf zukünftige Katastrophen verfolgt. Die Phase der Bewältigung dient der Beseitigung der Folgen (Schäden) einer eingetretenen Katastrophe und der Wiederherstellung des Normalzustandes. Am Ende des Kreislaufs wird eine Verbesserung der Vorsorgeleistung bzw. eine Reduktion der Verletzlichkeit der Systeme erzielt. Mit dem Modell des Risikokreislaufs lassen sich alle Schutzmaßnahmen des Naturgefahren-Managements in einen kausalen und zeitlichen Zusammenhang setzen. Zu den wichtigsten Maßnahmen des Schutzkonzeptes „Bauvorsorge“ (Abb. 1.2) zählt der Gebäudeschutz. Gebäudeschutz (Objektschutz12) – im Sinne dieses Handbuches – bezeichnet die Planung, Bemessung und Ausführung von Bauwerken in Gefahrengebieten entsprechend den vorherrschenden Einwirkungen durch Naturprozesse (naturgefahrensicheres Bauen) sowie die Anpassung von bestehenden Bauwerken (Ertüchtigung und Sanierung) an die Gefahrensituation. [224] Bauvorder Risikovorsorge sind Maßnahmen der Sicherheitsplanung, der Vorbereitung auf Ereignisse (Katastrophenmanagement) sowie die finanzielle Vorsorge (Versicherungen). 11 Der Begriff beschreibt die Steuerung aller Schutzmaßnahmen mit dem Ziel, einen angestrebten Grad an Sicherheit zu erreichen und die Sicherheitsplanung für Naturgefahren (Naturkatastrophen) den sich verändernden Bedingungen anzupassen. 12 Der Begriff „Objektschutz“ ist in der Regel weiter gefasst und umfasst fallweise auch den Schutz anderer Gegenstände und Sachwerte (Mobilien, z. B. Fahrzeuge) gegen Naturereignisse. Hingegen ist die Bedeutung von „Objekt“ in der Immobilienbranche auf eine Liegenschaft oder Wohnung beschränkt. Eine begriffliche Abgrenzung ist zur Sicherheitsdienstleistung „Gebäudeschutz“ (Objektschutz) zu ziehen, die die Gewährleistung der Sicherheit von Objekten gegen die Beeinträchtigung der Funktion, die Zerstörung oder die Inbesitznahme eines Objektes durch Störer, Kriminelle oder Feinde durch Bewachung bezeichnet. 4
1. Einführung
Abb. 1.2. „Risikokreislauf“: Modell zur Veranschaulichung des Naturgefahren-Managements
sorge umfasst jedoch nicht nur bauliche (strukturelle) Maßnahmen, sondern im weiteren Sinne auch die Entwicklung von geeignetem Bauland mit den Instrumenten der präventiven Raumplanung, die Sicherheitsplanung für potenzielle Bauplätze einschließlich der grundsätzlichen Eignungsprüfung (Bauplatzeignung) sowie ein gefahrenangepasstes Nutzungskonzept für Gebäude in Gefahrenzonen. Außerdem können auch die Notfallplanung für Gebäude, die Schaff ung gesetzlicher und normativer Vorschriften des Gebäudeschutzes sowie die Absiedlung (Umsiedlung) besonders exponierter Bauwerke zur Bauvorsorge gezählt werden. (Tabelle 1.2) Tabelle 1.2. Übersicht über die Maßnahmen des Naturgefahren-Managements; nach [224] (fett: die der „Bauvorsorge“ zurechenbaren Maßnahmen) Maßnahmen des Naturgefahren-Managements in Österreich Risiko-Vorbeugung Prävention
Rechts- und Bautechniknormen, Naturgefahrenerforschung, Gefahren-Monitoring, präventive Planung, technische Schutzmaßnahmen, Schutzwaldpflege, Gebäudeschutz
Vorsorge
Information (Bewusstseinsbildung), finanzielle Vorsorge (Versicherung), Katastropheneinsatzplanung, Notfallplanung, Prognose, Frühwarnung, Alarm
Vorbereitung
Räumung, Sperre, Evakuierung, künstliche Auslösung (Lawinen, Hagel)
Einsatz
Selbsthilfe, Rettungseinsatz, Bergung
Hilfeleistung
Medizinische und psycho-soziale Notversorgung, humanitäre Hilfe, Notfallmaßnahmen (Sofortmaßnahmen), Aufräumung, Instandsetzung, Ereignisdokumentation
Wiederaufbau (Verbesserung)
Wiederaufbau, Wiederbesiedlung (Absiedlung), finanzielle Kompensation (Entschädigung), Analyse und Reflexion
Risiko-Bewältigung
5
Florian Rudolf-Miklau
Gebäudeschutz ist hinsichtlich der „Zuständigkeit“ Teil der Eigenvorsorge (Obliegenheit des Eigentümers eines Bauwerkes) und somit primär eine private Vorsorgeleistung13, es zählen jedoch auch öffentliche (behördliche) Leistungen zum Gebäudeschutz. (Abb. 1.3.)
Abb. 1.3. Übersicht über die Maßnahmen der Bauvorsorge für Neubauten und Gebäudebestand (einschließlich der Zuständigkeiten)
Traditionell wird im Naturgefahren-Management Sicherheit für Gebäude durch die gefahrenangepasste Bauplatzentwicklung in der Raumplanung und durch bauliche Schutzmaßnahmen erzielt, daher spielten die meisten Maßnahmen der Bauvorsorge bisher eine unterordnete Rolle. Dabei sind Gebäudeschutzmaßnahmen in der Regel mit vertretbarem technischen und wirtschaft lichen Aufwand (Abb. 1.4.) herstellbar und – in Relation zu den potenziellen Schäden – in den meisten Fällen kosteneffizient. Grenzen für den Gebäudeschutz bestehen, wenn die Einwirkung durch den Naturprozess einen Schwellenwert überschreitet, gegen den das Bauwerk mit „zumutbarem“ oder wirtschaft lichem Aufwand nicht mehr geschützt werden kann, oder wenn der primäre Nutzungszweck des Bauwerks durch
Abb. 1.4. Schutz gegen Hochwasser: Effektiver Gebäudeschutz ist wirtschaftlich und ein wichtiger Teil der Eigenvorsorge (© BAFU Bern/Schweiz) 13 In Abgrenzung zur staatlichen Naturgefahrenprävention. 6
1. Einführung
die Schutzmaßnahmen unverhältnismäßig beeinträchtigt wäre. Bestimmte Naturgefahren schließen aufgrund der hohen Prozessenergie und der großen bewegten Massen (z. B. Bergstürze, Gletscherseeausbrüche) Gebäudeschutzmaßnahmen von vornherein aus. Der Schutz von Gebäuden in Gefahrenbereichen sollte im Rahmen der „ortsüblichen“ Bauweise liegen und auch gesundheitlichen, ästhetischen und ökologischen Ansprüchen genügen. Darüber hinaus sind die Maßnahmen so zu planen, dass Schäden Dritter vermieden werden. Gebäudeschutz darf daher keine negativen Auswirkungen für angrenzende Liegenschaften oder Unterlieger haben. In diesen Fällen besteht entweder ein Hinderungsgrund für das Bauvorhaben oder es wird auf alternative Schutzkonzepte zurückgegriffen (z. B. Hochwasserschutz, Lawinenverbauung).
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2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Florian Rudolf-Miklau, Johannes Hübl, Markus Fiebig, Herbert Formayer, Wolfgang Jaritz, Michael Mölk, Karl Kleemayr
2.1. Naturgefahrenprozesse: Einleitung Ein Naturgefahrenereignis1 (kurz: Ereignis) setzt sich aus einer Reihe von Prozessen2 zusammen, die in zeitlicher und räumlicher Abfolge stehen, sich gegenseitig beeinflussen und teilweise einander auslösen, verstärken oder entgegenwirken. Die Naturgefahr korreliert folglich mit einem möglichen, räumlich und zeitlich abgegrenzten, wahrscheinlichen Ereignis in der Zukunft, dessen tatsächlicher Eintritt zu Schäden führen kann. Zur Darstellung der Auswirkungen von Naturgefahrenprozessen (Ereignissen) auf Bauwerke ist es erforderlich, diese zu charakterisieren und anhand von Wirkungskriterien näher zu beschreiben. Zu den wichtigsten Kriterien für die generelle Charakterisierung der Wirkung von Naturereignissen zählen die Ursache, die Vorhersehbarkeit und die Ereignisdauer, die Energie des Prozesses, die räumliche Ausdehnung (Reichweite) und Verteilung sowie die Art des zeitlichen Auftretens (zyklisch oder episodisch). Die Größenordnung eines Ereignisses wird in der Regel durch die Ereignishäufigkeit (Frequenz) und die Ereignisintensität (Magnitude) ausgedrückt. Der folgende Abschnitt gibt einen Überblick über die in diesem Buch behandelten Naturgefahrenarten und stellt die wichtigsten Grundlagen und Kriterien für die Beschreibung (Bewertung) als Einwirkung auf Bauwerke dar. Für detailliertere Informationen wird jeweils auf die einschlägige Literatur verwiesen. 2.2. Beschreibung von Naturgefahrenprozessen Um die konkreten Einwirkungen von Naturgefahrenprozessen auf Bauwerke als Grundlage für Schutzmaßnahmen bewerten zu können, sind zunächst eine Analyse und eine Bewertung der maßgeblichen Naturprozesse erforderlich. Die wichtigsten 1
2
Ein Naturereignis ist jeder zeitlich und räumlich abgrenzbare Vorgang in der Natur unabhängig von seinen Auswirkungen auf den menschlichen Lebensraum. „Gefährlich“ wird ein Ereignis erst dann, wenn es Schaden für Menschen oder Objekte (Bauwerke) verursachen kann. Ein Prozess ist als die Gesamtheit von aufeinander einwirkenden Vorgängen in einem System, durch die Materie, Energie oder auch Information umgeformt, transportiert oder auch gespeichert wird, definiert (DIN 19 226 Teil 1). 9
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.1. Naturgefahrenprozesse: Schematische Darstellung der Auslösung, Verlagerung und Einwirkung auf Gebäude durch Prozessmodelle.
Voraussetzungen dafür sind eine „modellhafte“ Vorstellung (Prozessverständnis) der Eigenschaften (Prozesscharakteristik) des betrachteten Prozesses (Prozessmodell) sowie die Verfügbarkeit grundlegender Daten und Informationen über die Prozessdisposition des Auslösungsgebiets, die Prozessauslösung, den Prozessablauf, das Prozessende und die Prozesswirkung (Einwirkung: Einwirkungsmodell) auf das Gebäude (Abb. 2.1). Die Anwendbarkeit der Ergebnisse einer Naturgefahrenanalyse (-bewertung) auf das technische System „Bauvorsorge“ setzt die Identifikation von physikalischen Kriterien (Parametern) voraus, welche die Prozesseinwirkung auf das Objekt hinreichend genau beschreiben (Intensitätskriterien3). Da der konkrete Eintritt des Prozesses (der Prozesseinwirkung) nicht exakt vorhergesagt werden kann, sind zusätzlich Angaben über die Wahrscheinlichkeit (Häufigkeit) seines Auftretens erforderlich, so dass anstatt eines (mit Unsicherheit behafteten) diskreten Wertes für das Intensitätskriterium (deterministischer Bemessungswert) häufig ein statistischer Erwartungswert einschließlich einer Bandbreite (Streubereich) angegeben werden kann. Daraus ergibt sich ein durch Eintrittswahrscheinlichkeit und Intensität (Frequenz-Magnituden-Konzept, siehe Kapitel 2.3.4) beschriebenes Bemessungsereignis4, welches die Grundlage der Festlegung konkreter Bemessungswerte für die Ausweisung von 3 4
10
Unter dem Begriff „Intensitätskriterien“ werden Größen zusammengefasst, die durch Messung oder Schätzung das Ausmaß eines Prozesses und seiner Wirkung beschreiben. Das Bemessungsereignis ist jenes Ereignis, das bei der Planung von Bauwerken, der Projektierung von Schutzmaßnahmen sowie bei der Gefahrenzonenplanung zugrunde zu legen ist und dem angestrebten Sicherheitsniveau entspricht. Die Festlegung des Bemessungs-
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Gefahrenzonen sowie die Planung, Konstruktion und Dimensionierung von Gebäudeschutzmaßnahmen bildet. Dieser probabilistische Ansatz für die Ermittlung von Bemessungswerten entspricht auch dem in den Eurocodes5 festgelegten Sicherheitskonzept für die Tragwerksplanung. Ziel der Naturgefahrenanalyse ist nach [28] die Ermittlung der relevanten Szenarien und ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit, um eine Prognose über die Art, Ausdehnung und Intensität des maßgeblichen Ereignisses (der Prozesswirkung) erstellen zu können. Da weder die wissenschaft lichen Grundlagen der Naturgefahrenprozesse (Prozessmodelle) vollständig geklärt, noch in der Regel ausreichende Daten über vergangene Ereignisse verfügbar sind, gilt nach [125] als wichtigster Grundsatz der Gefahrenanalyse die Einhaltung einer möglichst hohen Redundanz der eingesetzten Verfahren und Methoden. Aus diesem Grund stellt die umfassende Analyse des gesamten Prozessraumes hinsichtlich ergänzender Informationen, Spuren und Indizien eine weitere wichtige Grundlage der Beschreibung von Naturgefahrenprozessen dar. Aus dem „Ensemble“ verfügbarer Daten, Modellergebnisse und Zusatzinformationen werden in der Folge Ereignisszenarien abgeleitet, welche die möglichen Abläufe eines Naturgefahrenprozesses beschreiben; einem Ereignis werden also nicht nur einzelne, sondern mehrere mögliche Kausalitäten und Abläufe (Wirkungen) des betrachteten Naturgefahrenprozesses zugeordnet.6 Für die konkrete Bemessung wird schließlich ein maßgebliches Gefahrenszenario ausgewählt (Bemessungsereignis). In der Szenarienanalyse werden vor allem drei Fälle betrachtet: der günstigste Fall (Best Case), der realistische (wahrscheinlichste) Fall (Realistic Case) und der schlechteste (extremste) Fall (Worst Case). Für die Aufgaben des Gebäudeschutzes sind insbesondere der wahrscheinlichste und der extremste Fall relevant, weiters das Szenario, das dem angestrebten Sicherheitsniveau für den Schutz des Objektes (Bauwerks) entspricht, da es um die Vermeidung von Schäden mit wirtschaft lich vertretbarem Aufwand geht. 2.3. Grundlagen der Naturgefahrenanalyse (-bewertung) 2.3.1. Methoden der Gefahrenanalyse In der Gefahrenanalyse stehen hinsichtlich der Vorgehensweise grundsätzlich die Erforschung vergangener Ereignisse (rückwärtsgerichtete Indikation) und die Prognose (möglicher) zukünftiger Ereignisse (vorwärtsgerichtete Indikation) zur Auswahl. Diesem Prinzip folgend stehen nach [28] [95] [101] [125] die in Tabelle 2.1 angeführten
5
6
ereignisses ist Aufgabe des Planers, der Bauherren oder der zuständigen Behörde. (ONR 24 800 : 2008) Die Eurocodes sind europaweit vereinheitlichte Bemessungsregeln im Bauwesen. Diese bemessungsregeln basieren auf dem Konzept mit Teilsicherheiten für die Einwirkungs- und Widerstandsseite. Im Zusammenhang mit Naturgefahren sind viele Teilsicherheitsbeiwerte entsprechend der statistischen Streuung der Einwirkung bzw. der Prognosegenauigkeit projektspezifisch festzulegen. Für die Planungspraxis bedeutet dies, dass für die „richtige“ Einschätzung der Wirkungen von Naturgefahren auf Gebäude immer die Gesamtheit aller verfügbaren Informationen zu betrachten ist. Die ausschließliche Anwendung eines einzigen Modells (ohne diese Zusatzinformationen) führt häufig zu gravierenden Fehleinschätzung. 11
Florian Rudolf-Miklau et al.
Tabelle 2.1. Überblick über die Methoden der Naturgefahrenanalyse. Methode
Beschreibung und Anwendungsbereich
Historische Methode
Diese Methode stützt sich auf die Auswertung und statistische Analyse von Berichten, Zeugenaussagen und Chroniken über vergangene Ereignisse. Historische Quellen sind jedoch in der Regel lückenhaft und in der Darstellung häufig subjektiv.
Morphologische Methode
Diese Methode basiert auf der Identifi kation des Naturgefahrenprozesses und der räumlichen Abgrenzung anhand von Spuren vergangener Ereignisse im Gelände oder an der Vegetation („stumme Zeugen“).
Statistische Methode
Diese Methode umfasst die Analyse von Messdaten und Beobachtungsreihen. Die Ableitung gesicherter Trends und Prognosen auf der Grundlage extremwertstatistischer Funktionen erfordert allerdings eine große Anzahl von Daten und eine ausreichend lange Beobachtungsdauer.
Numerisch-mathematische Methode
Diese Methode basiert auf numerischen Prozessmodellen (siehe Kapitel 2.3.3), die in der Regel gute Aussagen über die Intensität von Ereignissen bestimmter Eintrittswahrscheinlichkeit liefern und daher bevorzugt zur Festlegung der Gefahrenszenarien herangezogen werden. Die Modelle bedürfen jedoch stets einer Kalibrierung mit Naturdaten und sollten anhand des Expertenwissens validiert werden.
Physikalische Methode Diese Methode basiert auf der Erfassung des Naturgefahrenprozesses mit Hilfe von direkten oder indirekten Messtechniken. Gemessen werden physikalische Größen wie beispielsweise Länge, Masse, Kraft, Druck oder Temperatur. Wichtige Elemente dieser Methoden sind die Justierung und Kalibrierung der Messtechnik und die Definition des Messbereichs. Empirische Methode
Diese Methode basiert auf der modellhaften Darstellung eines Naturprozesses in einem kleinmaßstäblichen Modellversuch. Empirische Modelle unterliegen physikalischen Modellgesetzen und erfordern eine starke Vereinfachung der natürlichen Prozesseigenschaften.
Pragmatische (heuristi- Diese Methode stützt sich auf die „gutachtliche“ Einschätzung des Gefahsche) Methode renpotenzials durch Experten und ortskundige Personen. Sie wird in der Regel zur Validierung der Ergebnisse der anderen Methoden eingesetzt.
Methoden zur Auswahl, die auf historischen Informationen, Naturbeobachtungen, Messdaten, Modellen und Experteneinschätzung beruhen und zur Sicherstellung des Redundanzprinzips in Kombination anzuwenden sind. Zur Naturgefahrenanalyse werden insbesondere die statistische Methode, die numerisch-mathematische Methode, die historische Methode, die morphologische Methode, die physikalische Methode, die empirische Methode sowie die pragmatische (heuristische) Methode eingesetzt. Letztere kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn mit den anderen Methoden keine ausreichende Gefahrenbewertung möglich ist. 2.3.2. Räumlicher Bezug und Betrachtungsmaßstab Nach [83] ist die Anwendung der Analysemethoden in enger Relation zum Raumbezug und Betrachtungsmaßstab zu sehen, der sich wiederum nach der spezifischen Ausdehnung des Wirkungsbereichs der Ereignisse (Prozesse) richtet. Als Maßstabsebenen der Naturgefahrenanalyse können folgende Bereiche klassifiziert werden: 12
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
• • • •
Lokale Maßstabsebene: < 1 : 10 000 (häufig 1 : 2 000 –1 : 5 000) Regionale Maßstabsebene: 1 :10 000 –1 : 100 000 Supraregionale Maßstabsebene: 1 : 100 000 –1 : 500 000 Supranationale Maßstabsebene: > 1 : 500 000 Qualitative Methoden (historische Methode, morphologische Methode, pragmatische Methode) sind grundsätzlich auf allen Maßstabsebenen anwendbar und generieren Informationen über die Lage und räumliche Verteilung von Naturgefahrenprozessen. Die resultierenden Inventare können in Form von Kartierungen, GIS-basierten Datenbanken oder einfachen Zeitreihen bereitgestellt werden. Quantitative Methoden (statistische Methode, mathematische Methode, physikalische Methode, empirische Methode) können vor allem auf großmaßstäblicher Ebene effizient eingesetzt werden. Für den Gebäudeschutz ist primär die lokale Maßstabsebene von Relevanz. 2.3.3. Prozessmodelle Ein mathematisches Modell basiert auf der analytischen Formulierung eines Systems. Der Vorgang der Erstellung wird als Modellierung 7 bezeichnet. Durch Vergleich der Berechnungsergebnisse mit Beobachtungen in der Natur können die Ergebnisse eines Modells verifiziert werden. Numerisch-mathematische Modelle sind heute für fast alle Naturgefahrenprozesse verfügbar und werden als „Stand der Technik“ der Gefahrenanalyse betrachtet. Je nach Art des topographischen Basismodells handelt es sich ein- (1-d), zwei- (2-d) oder dreidimensionale (3-d) Modelle. Mit zunehmender Komplexität des Modells steigt in der Regel auch die Anzahl der Modellparameter. Die mathematische Beschreibung von Prozessen mit Hilfe von Modellen ist aufgrund der erforderlichen Genauigkeit der Daten – insbesondere des zugrundeliegenden digitalen Geländemodells (DGM) – fast ausschließlich für großmaßstäbliche Gefahrenanalysen (lokale Maßstabsebene) sinnvoll. Der Einsatz von Laserscan-basierten8 DGMs hat in den letzten Jahren die Modellierungsgenauigkeit sprunghaft erhöht. [61] Von besonderer Bedeutung für den Gebäudeschutz (Bemessung der Einwirkung) sind Modelle für gravitative oder hydraulische Verlagerungsprozesse9. Diese Verlagerungsmodelle lassen sich für die potenziellen Wirkungsbereiche Auslösungszone (Anrisszone), Transportzone (Transitzone) und Akkumulationszone (Ablagerungszone) zerlegen (Abb. 2.1). Maßgebliche Parameter zur Beschreibung des Prozessvorganges finden sich in Tabelle 2.4. Eine andere Gruppe von Modellen stellen Dispositionsmodelle dar. Diese Modelle weisen die für die Auslösung eines 7 8
9
Ermittlung durch Einsatz stochastischer, empirisch-physikalischer oder mathematischer Modelle. Laserscanning (auch: Laserabtastung) bezeichnet das zeilen- oder rasterartige Überstreichen von Oberflächen mit einem Laserstrahl, um diese zu vermessen oder zu bearbeiten oder um ein Bild zu erzeugen. Beim Airborne Laserscanning (luftgestützte Laserabtastung der Geländeoberfläche) sind die Sensoren in einem Flugzeug oder Hubschrauber installiert. Dieses Verfahren dient im Allgemeinen zur Erfassung von Geländehöhen und Objekten auf dem Gelände und ersetzt zunehmend die klassische Photogrammmetrie. Z. B. Hochwasser, Sturzfluten, Muren, Lawinen, Steinschlag, Rutschungen. 13
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Ereignisses maßgeblichen Parameterkombinationen für gefährdete Bereiche über Extrapolation aus, geben aber keine Auskunft über die Häufigkeit oder Intensität eines konkreten Ereignisses (Prozesses). Dispositionsmodelle werden vor allem zur Prognose des Grades der Auslösedisposition von geologischen Naturgefahren (Massenbewegungen) und Lawinen eingesetzt. 2.3.4. „Frequenz-Magnituden-Konzept“ der Gefahrenbewertung Die Beschreibung der Wirkung von Naturgefahrenprozessen basiert auf dem Frequenz-Magnituden-Konzept nach Wolman/Miller [258]. Generell wird laut [83] mit der Frequenz eines Prozesses (Ereignisses) eine bestimmte Wiederkehrsperiode (T) bestimmt, die mit der durchschnittlichen Zeitdauer zwischen zwei Ereignissen (Anzahl der Aufzeichnungsjahre n gleicher Magnitude m) berechnet werden kann, s. Gl. (1). (1)
Die Magnitude (Intensität) ist das Maß für die Stärke der Wirkung eines Naturereignisses. Die Magnitude von Naturkatastrophen gliedert sich in die physikalische Prozessstärke und die Schadensintensität. Eine Gefahr bzw. ein potenziell schadensverursachendes Naturereignis ist umso größer einzuschätzen, je stärker die Intensität eines Einzelereignisses ist (je größer die Schäden sind) und je häufiger ein solches Ereignis vorkommt bzw. je wahrscheinlicher sein Eintritt ist. Exakte Angaben über die Frequenz (Wiederkehrintervall) von Naturgefahrenereignissen sind selten verfügbar, dies gilt insbesondere für detaillierte Aussagen über mögliche Szenarien des Prozessverlaufs. Hingegen ist die Beschreibung der Magnitude von Naturprozessen anhand von Magnituden-Skalen (Tabelle 2.3) oder Intensitätskriterien (Tabelle 2.4) in den meisten Fällen durchführbar. Problematisch ist allerdings die Bewertung der den Prozessen zugeordneten Folgen, da Ereignisse gleicher Prozessenergie je nach der Pufferkapazität des Naturraums und der Exposition des Gefahrengebietes völlig unterschiedliche Auswirkungen (Einwirkungen) erzeugen können. Ein weiteres Problem bei der Frequenz-Magnituden-Analyse stellen die laufenden Veränderungen im Untersuchungsgebiet (z.B. klimatische Bedingungen, menschliche Nutzung) dar, so dass Mess- und Beobachtungsreihen inkonsistent sind. Zu berücksichtigen sind schließlich auch „emergente“ Strukturen in natürlichen Systemen. [83] Damit wird das Phänomen beschrieben, dass sich der Prozess bei Überschreitung eines Schwellenwertes grundlegend verändert.10 Daraus resultiert, dass signifikante Prognosen von Naturgefahrenprozessen nur in bestimmten Grenzen möglich sind. Eine Extrapolation einer bekannten Frequenz-Magnituden-Beziehung über diesen Schwellenwert hinaus auf Ereignisse größerer Magnitude und geringerer Frequenz führt jedoch zu systematisch falschen Ergebnissen. Fast alle technischen Bemessungswerte im Naturgefahren-Management – somit auch im Gebäudeschutz – bauen auf Ereignishäufigkeiten auf; eine generelle Einstufung der Häufigkeit von Naturgefahrenereignissen ist Tabelle 2.2 zu entnehmen. 10 Beispiel: Bei Überschreitung eines Schwellenwertes des Abflusses verändert sich der Feststofft ransport von einem fluviatilen Geschiebetrieb zu einem massengesteuerten Murgang. 14
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Tabelle 2.2. Klassifi kation der Häufigkeit von Naturgefahren, aus [223] Häufigkeit
Wiederkehrperiode
Eintrittswahrscheinlichkeit pro Jahr
sehr häufig
1 bis 10 Jahre
1 bis 0,1
häufig
10 bis 30 Jahre
0,1 bis 0,033
selten
30 bis 100 Jahre
0,033 bis 0,01
sehr selten
100 bis 300 Jahre
0,01 bis 0,003
über 300 Jahre
< < 0,003
extrem selten
Die Wiederkehrwahrscheinlichkeit11 (p) von Naturereignissen wird üblicherweise mit Hilfe der Extremwertanalyse auf Basis von Messdaten über einen längeren Beobachtungszeitraum (30 –100 Jahre) und auf Grundlage von Gl. (2) ermittelt. Die Jährlichkeit (Tn) für einen Betrachtungszeitraum n12 ist gleich dem Reziprokwert der Überschreitungswahrscheinlichkeit dieser Messwerte, welche die Größenordnung des Naturereignisses ausdrücken. (2)
Die Extremwertanalyse13 baut auf den statistischen Methoden der Extremwerttheorie auf. Zu den wichtigsten Extremwertfunktionen, die im Bereich der Naturgefahrenanalyse Einsatz finden, zählen die Gumbel-, die Fréchet-, die Weibull-, die Log-Pearson- und die Pareto-Verteilung. Details zu den Grundlagen der Extremwertanalyse finden sich beispielsweise in [18] [45]. Die Extrapolation von seltenen Extremwerten ist naturgemäß mit großen Unsicherheiten behaftet. Nur, wenn im Beobachtungsgebiet repräsentative Daten- oder Messreihen zur Verfügung stehen, können extremwertstatistische Verfahren (Verteilungsfunktionen) zur Anwendung gebracht werden, um Intensitätsparameter bestimmter Wiederkehrwahrscheinlichkeit festzulegen. Die Extrapolation er-
11 Die Wiederkehrwahrscheinlichkeit (Eintrittswahrscheinlichkeit) eines Ereignisses ergibt sich aus der Anzahl der beobachteten Ereignisse im Verhältnis zur Anzahl der möglichen Ereignisse (relative Häufigkeit). Die Wahrscheinlichkeit ist 0, wenn das Ereignis unmöglich ist, und 1, wenn das Eintreten sicher ist. 12 In einer „unendlich“ lang gedachten Reihe von Beobachtungsjahren wird das n-jährliche Naturgefahrenereignis im Durchschnitt alle n Jahre erreicht oder überschritten. 13 Die Extremwertanalyse dient der statistischen Bearbeitung von Extremwerten, wobei nicht nur die absoluten, sondern auch relative Extrema – meist anhand von Schwellenvorgaben definiert, die über- bzw. unterschritten werden – in die Berechnung eingehen. Weitergehend beschäft igt sich die Extremwertstatistik mit der zeitlichen und räumlichen Varianz der Extremwerte und deren Häufigkeitsverteilung (wobei es spezielle theoretische Häufigkeitsverteilungen, genauer Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen der Extremwertstatistik gibt). Daraus lassen sich mittlere Wiederkehrzeiten von Extremwerten für die Zukunft abschätzen. 15
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.2. Beispiel einer Extremwertanalyse: Verteilungsfunktion zur Abschätzung eines Hochwassererwartungswertes, nach [53]
gibt einen statistischen Erwartungswert14, dem ein bestimmter Konfidenzbereich (Vertrauensintervall)15 zugeordnet ist (Abb. 2.2). Wie schon eingangs erwähnt, kann die Magnitude als qualitative oder physikalische Prozessstärke von Naturereignissen oder als Schadensintensität ausTabelle 2.3. Intensitätsklassifi kation von Naturgefahren: Magnituden-Skalen (Beispiele) Naturgefahr Sturm
Prozesstyp
Magnituden-Skala
Allgemein (Wind)
Beaufort-Skala (BS)
Hurrikane
Saffir-Simpson-Skala (SSS)
Tornado
Fujita-Skala (FS), Torro-Skala (TS)
Erdbeben
Allgemein
Modified Mercalli Scale (MMS) European Macroseismic Scale (EMS) Japan Meteorological Agency Scale ( JMAS) Richter-Skala
Lawinen
Allgemein
Europäische Lawinengefahren-Skala (ELS)
Feuer
Waldbrand
„M-68 Modell“ des Deutschen Wetterdienstes (Waldbrand-Gefahrenstufen)
14 Der statistische Erwartungswert ist jener Wert, der aus beobachteten Messwerten unter der Verwendung von statistischen Verfahren als wahrscheinlichster Wert ermittelt wird. 15 Der Konfidenzbereich ist ein reiner statistischer Wert, der angibt, mit wie viel Prozent Wahrscheinlichkeit der tatsächliche Wert im angegebenen Vertrauensbereich liegt. Ein Konfidenzbereich von 80 % besagt beispielsweise, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von je 10 % Ereignisse auch ober- bzw. unterhalb des angegebenen Vertrauensbereiches möglich sind. 16
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Tabelle 2.4. Kriterien für die physikalische Prozessstärke von Naturgefahrenprozessen (Auswahl) Kriterium Prozessenergie
Fließgeschwindigkeit, Verlagerungsgeschwindigkeit
Volumen, Fracht
Einheit kJ
m/s, km/h
m³
Definition Energieinhalt einer Strömung oder eines Massenverlagerungsprozesses, der für ein Volumen V [m³] des strömenden/stürzenden Mediums definiert ist und primär von der Schwerkraft herrührt (potentielle Energie). Geschwindigkeit, mit der sich ein Wasserkörper/eine Masse unter der Wirkung der Schwerkraft in Fließrichtung bewegt. Die Geschwindigkeit nimmt mit der Fließtiefe zu. Die Fließoder Verlagerungsgeschwindigkeit hängt auch vom Gefälle, der turbulenten Reibung und der Oberflächenrauigkeit ab. Wasser-/Feststoff masse, die während der Zeitspanne eines Ereignisses über eine bestimmte Distanz fließt/transportiert/verlagert wird.
Durchfluss, Volumenstrom
m³/s, kg/s
Wasser-/Feststoff masse, die während einer Zeiteinheit durch den gesamten Durchflussquerschnitt transportiert wird (Quotient aus dem Volumen, das einen bestimmten Fließquerschnitt durchfl ießt, und der dazu benötigten Zeit).
Fließtiefe, Ablagerungstiefe
m
Tiefe des Durchflusses oder Volumenstroms/der Ablagerung der verlagerten Masse
Reichweite (Auslauflänge)
m
Horizontale Distanz vom höchsten Punkt der Anrisszone bis zum tiefsten Punkt der Ablagerung, im Situationsplan entlang des Fließweges gemessen. (Die Auslauflänge ist die Distanz vom Prozessbeginn bis zum tiefstgelegenen (entferntesten) Punkt der Ablagerung.)
kPa, kN/m²
Druck in strömenden Medien, der sich aus einem statischen und einem dynamischen Anteil zusammensetzt. Beide Teile hängen von der Dichte ab; während der (hydro-) statische Druck, für Fluide mit konstanter Dichte, linear mit der Höhe der Fluidsäule steigt, wächst der dynamische Anteil quadratisch mit der Strömungsgeschwindigkeit des Fluids.
Strömungsdruck
gedrückt werden. Die qualitative Darstellung erfolgt üblicherweise in Form von spezifischen Magnituden-Skalen (Beispiele siehe Tabelle 2.3). Gebräuchliche Kriterien (Indikatoren) für die physikalische Prozessstärke von Naturereignissen sind beispielsweise die Fließtiefe, die Geschwindigkeit, die Druckwirkung, die Reichweite oder die Prozessenergie (Tabelle 2.4). Diese Kriterien sind maßgeblich für die Festlegung der Einwirkungen auf Bauwerke als Grundlage der Bemessung. Die Schadensintensität wird üblicherweise durch die Zahl der Personenschäden, den bewerteten Sachschaden (in Geldeinheiten) oder die Größe des Schadensgebiets ausgedrückt. 2.4. Hydrologische Naturgefahren 2.4.1. Klassifikation hydrologischer Naturgefahren Der Begriff „hydrologische Gefahren“ fasst Naturereignisse zusammen, bei denen das Wasser als Auslöse- und Transportmedium den maßgeblichen Faktor darstellt. 17
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Die meisten Schadensereignisse stehen im Zusammenhang mit Überflutungen (Überschwemmungen), generell unterscheidet man zwei Haupttypen: • Flussüberschwemmung • Sturzflut Zum grundlegenden Prozessmodell „Hochwasser“ kommt eine Reihe weiterer für den Gebäudeschutz relevanter, hydrologischer Prozessarten – wie fluviatiler Feststofftransport, Erosion, Wildholztransport, Muren (Murgänge), Überflutungen durch oberirdische Hangwässer, Grundwasserhochstand und Überflutung durch Rückstau aus Entwässerungssystemen –, die häufig in Kombination auftreten (sich überlagern) und im Folgenden einzeln dargestellt werden. Darüber hinaus können laut [151] zahlreiche weitere Phänomene wie z. B. Eisgang, Dammbruchwellen, Seespiegelanstieg, Gletscherseeausbrüche, Rückstauüberschwemmungen, Tsunamis oder Sturmfluten16 zu Überschwemmungen führen. Hochwässer und dazugehörige Feststoff verlagerungen sind Teil des Wasserkreislaufes (Abb. 2.3). 2.4.2. Hochwasser und Sturzfluten 2.4.2.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen Hochwasser wird als Zustand in einem oberirdischen Gewässer defi niert, bei dem der Wasserstand oder der Durchfluss einen bestimmten Schwellenwert erreicht oder überschritten hat (DIN 4049 :1994). Hochwasser im Sinne des Art. 2 der Europäischen Hochwasserrichtlinie (HW-RL, [216]) ist die „zeitlich beschränkte Überflutung von Land, das normalerweise nicht mit Wasser bedeckt ist“ (Abb. 2.4). Die Hochwasserdisposition eines Gebietes lässt sich generell durch vier Komponenten beschreiben: • • • •
(Stark-)Regenfälle in der Vergangenheit und deren Dauer, Geomorphologie des überregneten Einzugsgebiets, Ausmaß und die Häufigkeit der Überflutung sowie Verwundbarkeit (Empfindlichkeit) der betroffenen Objekte. Je nach Temperatur fällt Niederschlag als Schnee oder Regen (Hagel) (Kapitel 2.7). Von der Menge des Niederschlages, vom Bewuchs, vom Gelände und von der Art des Bodens bzw.des Untergrundes hängt ab, inwieweit der Niederschlag versickert und dadurch zur Grundwasseranreicherung beiträgt, verdunstet oder oberirdisch in Gerinnen, Bächen und Flüssen abfließt. Hochwasser entsteht, wenn ein Niederschlagsereignis in Dauer und/oder Intensität deutlich über einem „normalen“ Ereignis liegt oder intensive Schneeschmelze eintritt (oder bei Überlagerung beider Vorgänge). Die Niederschlagsintensität übersteigt dabei die Wasseraufnahmekapazität des Untergrundes. Ist der Boden durch natürliche (anstehendes Gestein, Bodengefrornis) oder künstliche (Hartflächen, Überbauung) Versiegelung oder die Interzeptionsleistung durch fehlende Vegetationsbedeckung reduziert, wird der Oberflächenabfluss stark erhöht.
16 Hydrologische Gefahren an Meeresküsten (Ozeanische Gefahren), wie Tsunami oder Meeresspiegelanstieg, spielen in Österreich keine Rolle. 18
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.3. Schematische Darstellung des Wasser- und Feststoffhaushaltes in Gebirgsregionen
Überregional wirksame Hochwässer in großen Flüssen (Einzugsgebiete > 1000 km²) entstehen durch Niederschläge mittlerer Intensität, die über einen längeren Zeitraum andauern. Einen wesentlichen Einfluss üben dabei bestimmte Großwetterlagen (in Österreich z. B. Vb-Wetterlage; siehe Kapitel 2.7.3) und die Stauwirkung von Gebirgszügen aus. Von Bedeutung für die Hochwasserentstehung sind weiters die Form und Geometrie des Einzugsgebiets (Flussgebiets) sowie die Struktur des Gewässernetzes, da sich Hochwasserwellen in Teileinzugsgebieten bei gleicher Laufzeit oder durch den Zug des Niederschlagsgebietes mit der Fließrichtung kulminierend überlagern können. Menschliche Eingriffe ins Fließgewässer (Regulierung, Eindeichung) führen ebenfalls zu einer wesentlichen Beschleunigung und Erhöhung der Hochwasserwelle. 19
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.4. Prozess Hochwasser: Ereignis 2005 an der Aare in der Stadt Bern (Schweiz) mit starker Schwebstoff führung (© BAFU Bern/Schweiz).
Flüsse mit kleinen Einzugsgebieten ( < 1000 km²) und Gebirgsbäche (Wildbäche) reagieren auf räumlich und zeitlich begrenzte Starkniederschläge hoher Intensität mit einem (sehr) schnellen Anstieg des Abflusses. Hochwasserereignisse in diesen „steilen“ Gewässern sind durch eine sehr kurze Konzentrationszeit tc, eine hohe Abflussspitze HQ und eine kurze Dauer t charakterisiert. Die Darstellung des Ablaufes einer Hochwasserwelle über die Zeitachse erfolgt in der Regel als so genannte Ganglinie (Abb. 2.5). Die wichtigste Auswirkung des Hochwassers stellt die Überflutung17 dar. Im Falle von statischer Überflutung fließt das Wasser sehr langsam (unter 0,5 m/s) und der Anstieg des Wassers außerhalb des Gerinnes verläuft meist ebenfalls sehr langsam. Für das Ausmaß der Schäden sind die Anstiegsgeschwindigkeit des Wassers, die Mächtigkeit der Feststoffablagerungen und die Überschwemmungsdauer maßgebend. Der Prozess der dynamischen Überflutung ist laut [256] durch hohe Fließgeschwindigkeiten gekennzeichnet. Er tritt daher entlang von geneigtem Gelände auf. Die Gefährdung erfolgt vor allem durch den Strömungsdruck. Nach Abfluss des Wassers bleiben meist grobkörnige Ablagerungen zurück. Eine lokal bedeutsame Sonderform des Hochwassers stellen Sturzfluten18 (plötzliche Überflutung) dar. Zu Sturzfluten kommt es insbesondere, wenn mehr Wasser 17 Überflutungen sind als vorübergehende Bedeckung von Landflächen außerhalb eines Gewässers mit Wasser und häufig auch mit Feststoffen definiert. [ONR 24 800 : 2008] 18 Eine Sturzflut (engl. „flash flood“) tritt auf, wenn innerhalb von sechs Stunden nach einem starken Regenereignis oder einem Deichbruch bzw. nach dem Durchbruch einer anderen 20
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.5. Hochwasserganglinie: Ablauf der Hochwasserwelle (ausgelöst durch ein Starkregenereignis) über der Zeitachse (© Johannes Hübl)
vorhanden ist, als von dem weiter abwärts gelegenen Gewässersystem oder vom Boden aufgenommen werden kann. Bei gesättigtem Boden oder Niederschlagsintensitäten, welche die Infiltrationsrate übersteigen, tritt Oberflächenabfluss auf (Abb. 2.6) (siehe Kapitel 2.4.7). Am häufigsten treten Sturzfluten nach Starkregen (gerinnelos) in normalerweise trockenen Gegenden auf. Hochwasserabfluss ist – in Anhängigkeit der Abflussintensität – meist mit Feststofftransport19 verbunden. Die Transportkapazität ist abhängig von der Menge des Wassers und der Fließgeschwindigkeit. Während Schwebstoffe20 relativ homogen im Querprofil verteilt sind, wird Geschiebe21 sohlennah verlagert, wobei die auf diese Weise transportierten Korngrößen je nach Fließgewässertyp variieren. Tabelle 2.5 enthält eine Übersicht über alle Hochwasserprozesse in Fluss- und Wildbacheinzugsgebieten und deren Eigenschaften. Für den Prozesstyp „Hochwasser“ sind FestBarriere (Erdrutsch, Eisdamm) plötzlich riesige Wassermassen über ein Gebiet hereinbrechen. 19 Unter Feststoffen wird die Summe der vom Wasser transportierten Stoffe, wie Schweb-, Schwimmstoffe (Wildholz) und Geschiebe verstanden. [ONR 24 800 : 2008] 20 Schwebstoffe (suspendierte Stoffe) sind Feststoffe, die durch das Gleichgewicht der Vertikalkräfte (durch Turbulenz) in Schwebe gehalten werden. (DIN 4049 – 3 :1994). Sie können im fließenden Wasser über längere Zeit suspendiert bleiben, ohne die Sohle zu berühren. 21 Als Geschiebe werden die vom fließenden Wasser auf oder nahe der Gewässersohle gleitend, rollend oder springend, bewegten Gesteinsteile bezeichnet. [ONR 24 800 : 2008] 21
Florian Rudolf-Miklau et al.
Tabelle 2.5. Eigenschaften der in Fluss- und Wildbacheinzugsgebieten auft retenden Prozesse gemäß ONR 24 800: Prozessmodell „Hochwasser“ und „Mure“ (siehe Kapitel 2.4.6) (modifiziert) Verlagerungstyp
Hochwasser
Mure
Verlagerungsart
Fluviatil
murartig
Prozess
Hochwasser
Fluviatiler Fest- Murartiger Feststoffstofft ransport transport
Murgang
Prozesstyp
Reinwasserabfluss
schwach Feststofft ransport stark
Murgang
Fließverhalten
newtonisch
Newtonisch
annähernd newtonisch
nicht newtonisch
Vol. Feststoffkonzentration
Promillebereich 1– 20 %
20 – 40 %
> 40 %
Größtkorn
mm-cm
-dm
-m
-m
Dichte (ca.)
1000 kg/m³
< 1300 kg/m³
1300 –1700 kg/m³
> 1700 kg/m³
Reinwasserabfluss- Ja bestimmung möglich
Eingeschränkt Nein
Nein
Pegelschlüssel erstellbar
Ja
Ja
Nein
Nein
Qgesamt/QHochwasser
1
1–1.4
1.4 – 3.5
> 3.5
Viskosität (ungefähr) 0 001– 0.01 Pas
0.01– 0.2 Pas
0.2 – 2 Pas
> 2 Pas
Scherfestigkeit
Keine
Keine
Vorhanden
Maßgeblich wirkende Turbulenz, Kräfte Schleppspannung
Turbulenz, Schleppspannung
Auft rieb, Turbulenz, Schleppspannung, dispersiver Druck
Auft rieb, dispersiver Druck, viskose und friktionale Kräfte
Verteilung der Fest- Feststoffe stoffe im Querschnitt sohlennah (rollend, gleitend, springend) und Schweb verteilt im Querschnitt
Feststoffe Feststoffe und Schweb sohlennah (rol- verteilt im Querschnitt lend, gleitend, springend) und Schweb verteilt im Querschnitt
Keine
Feststoffe verteilt im Querschnitt
stoffe durch ihre sehr geringe volumetrische Konzentration für die Berechnung des Abflusses von untergeordneter Bedeutung. Die Dichte des Wasser-Feststoffgemisches ist im Vergleich zu „reinem“ Wasser nicht signifikant erhöht und kann mit 1000 kg/m³ angenommen werden. Der Prozess „Fluviatiler Feststofftransport“ wird in Abschnitt 2.4.3 behandelt, „Mure“ in Abschnitt 2.4.6. Informationen zum Prozess „Wildholztransport“ finden sich in Abschnitt 2.4.5. 2.4.2.2. Bemessungshochwasser (Abflussbemessung) Das Bemessungshochwasser (BHQ) ist ein Hochwasserereignis, das zur Dimensionierung (Bemessung) von baulichen Hochwasserschutzmaßnahmen – somit auch 22
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.6. Sturzflut infolge Starkregens: Die plötzlich auft retenden Wassermassen können vom Boden nicht aufgenommen werden und führen zu flächigem Abfluss. (© Freiwillige Feuerwehr Laussa/OÖ)
Maßnahmen des Gebäudeschutzes – verwendet wird und dem angestrebten Sicherheitsniveau entspricht. Laut [41] entspricht es dem größten Hochwasser bestimmter Jährlichkeit n (HQn), das unter Berücksichtigung aller relevanten Einflüsse des Einzugsgebietes mit seinen Niederschlags- und Abflusseigenschaften erwartet werden kann. Gängige Größen sind beispielsweise HQ10, HQ30, HQ100 oder HQ300 für statistisch 10-, 30-, 100- oder 300-jährliches Hochwasser. Für die Bemessung des BHQ kann aus verfügbaren Zeitreihen von Abflussmessungen ein Extremereignis extrapoliert werden. Grundlage sind langjährige, gemessene Abflussreihen an Pegelmessstellen (siehe Kapitel 2.3.4; Abb. 2.2). Durch zeitliche, räumliche und kausale Informationserweiterung können statistisch abgeleitete Kennwerte abgesichert werden. Unter Zuhilfenahme dieser Informationserweiterung (hydrologische Spendendiagramme und Längenschnitte, statistisch basierte Gebietsfaktoren, regionalisierte statistische Parameter, Gruppierungsmethoden u. Ä.) können für ein Flussgebiet abgestimmte und plausible Kennwerte festgelegt werden. Diese können in begründeten Fällen von der einzelnen Pegelstatistik abweichen. [22] In unbeobachteten Einzugsgebieten (ohne Pegelmessstellen) oder aufgrund einer ungenügenden Beobachtungsdauer von Niederschlägen und Abflüssen sind allenfalls weitere hydrologische Methoden zur kausalen Informationserweiterung und -verdichtung notwendig. In der Regel erfolgt die Informationserweiterung oder Substitution der fehlenden Hochwasserstatistik unter Heranziehung von Niederschlags-Abfluss-Modellen (N/A-Modelle)22. Das Spektrum dieser Modelle reicht von empirischen Modellen (einfache Hochwasserformeln) über deterministische Modelle und Laufzeitverfahren bis zu kontinuierlich bilanzierenden Modellen (Wasserhaushaltsmodellen); ein Überblick über marktübliche N/A-Soft ware ist in 22 Ein Niederschlags-Abfluss-Modell ist ein hydrologisches Modell zur Berechnung des Durchflusses in einem Fließgewässer aus einzelnen Niederschlägen (Ereignismodell) unter Berücksichtigung der Gebietseigenschaften. Es besteht aus Teilmodellen der Abflussbildung und der Abflusskonzentration. Die Simulation des Bodenwasserhaushaltes wird in solchen Modellen im Gegensatz zu den Modellen zum Wasserhaushalt nicht durchgeführt. Sie dient der Hochwasserberechnung aus einzelnen Niederschlagsereignissen. 23
Florian Rudolf-Miklau et al.
Tabelle 2.6. Übersicht über marktübliche Niederschlags-Abfluss-Modelle (Auswahl), zusammengestellt nach [158] Modell
Hersteller
Web-Link
HEC-HMS
US Army Corps of Engineers, USA
http://www.hec.usace.army.mil/soft ware/hec-hms/
HEC-RAS
US Army Corps of Engineers, USA
http://www.hec.usace.army.mil/soft ware/hec-ras/hecras-features.html
LARSIM
Universität Freiburg, Deutschland
http://www.hydrology.uni-freiburg.de/ publika/band11.html
MIKE SHE
DHI Water and Environment, Dänemark
www.dhigroup.com
NASIM
Dr. Marinko Nujic, Deutschland
http://www2.hydrotec.de/vertrieb/nasim/
TOPMODEL Universität Lancaster, UK
http://www.es.lancs.ac.uk/hfdg/free ware/hfdg_freeware_top.htm
WaSiM-ETH ETH Zürich, Schweiz
http://www.wasim.ch/
ZEMOKOST Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft, Österreich
auf Anfrage: http://bfw.ac.at/rz/bfwms. web?dok=4314
Tabelle 2.6 enthalten. [159] N/A-Modelle sind nicht ohne weiteres auf beliebige Einzugsgebiete anwendbar. Die Eignung der Modelle hängt vielmehr von der Aufgabenstellung, den Genauigkeitsanforderungen, der Datenlage, der Einzugsgebietsgröße, den maßgeblichen Prozessen (z. B. kleinräumige konvektive Niederschläge, großräumige advektive Niederschläge, Schneeschmelze, Regen auf Schnee), der Topografie, den Bodenverhältnissen und der Vegetation ab. Unerlässliche Voraussetzung für die Anwendung ist eine Modellkalibrierung und -validierung für das Untersuchungsgebiet. [228] Die unmittelbare Verknüpfung von Niederschlägen bestimmter Jährlichkeit zu korrespondierenden Abflüssen ist im Allgemeinen nicht möglich, da fundierte Kenntnisse über die Pufferkapazität des Einzugsgebietes fehlen. Es ist daher anzustreben, dass bei der Anwendung von N/A-Modellen zusätzliche statistische, hydrologisch relevante Informationen berücksichtigt werden, um daraus Kennwerte bestimmter Jährlichkeit festzulegen. [22] In Wildbacheinzugsgebieten spielen weitere Prozesse (instationäre Abflüsse, murartiger Feststofftransport, morphologische Dynamik) eine Rolle, die den Abfluss zusätzlich verändern und kaum mit einer eindeutigen Wiederkehrwahrscheinlichkeit beschrieben werden können. Laut ONR 24 802 [192] können diese Einflüsse mit deterministischen Methoden (Zu- und Abschläge zum Basis-Hochwasserwert) berücksichtigt werden. Eine „harmonisierte“ und prozessabhängige Vorgehensweise für die Festlegung von Bemessungsabflüssen in allen österreichischen Fließgewässern wurde in einem Leitfaden des BMLFUW [41] festgelegt. 2.4.2.3. Wirkungskriterien und Prozessmodelle Die wichtigsten Kriterien zur Darstellung der Hochwasserwirkung sind der Abfluss (Durchfluss) Q und die Fließtiefe h, weiters auch die Fließgeschwindigkeit v. Der 24
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abfluss gibt das Wasservolumen V (Durchflussmenge) an, das in einem Fließgewässer in einer bestimmten Zeit t eine vollständige Querschnittsfläche F passiert, den so genannten Volumenstrom des Wasserkörper durch den Durchflussquerschnitt: (3)
(4) mit: v . . . . . mittlere Fließgeschwindigkeit [m/s] FP . . . . Durchflussfläche [m²] an der Messstelle vt . . . . mittlerer Fließweg h . . . . . Fließtiefe [m]
Mit Fließgeschwindigkeit v wird bei Gewässerläufen die durchschnittliche Geschwindigkeit bezeichnet, mit der sich das Wasser eines Fließgewässers durch sein Bett bewegt. Die Fließgeschwindigkeit eines Gewässers hängt von folgenden Faktoren ab: • Gefälle des Gewässers (I): Je größer das Gefälle, desto größer ist die Fließgeschwindigkeit. • Unstetigkeiten: Neben dem Gefälle des Tales, durch welches das Gewässer fließt, können auch Unstetigkeiten (wie z. B. Wasserfälle, Wehranlagen) Einfluss auf die Fließgeschwindigkeit nehmen. • Strömungswiderstand des Bettes: Hindernisse (wie z. B. Felsen, Engstellen oder Einbauten im Gewässer), die Verwirbelungen erzeugen, wodurch dem Wasser Bewegungsenergie verloren geht. Für die einfache ingenieurpraktische Ermittlung des Hochwasserabflusses werden Fließformeln verwendet. Eine Fließformel gibt das Abflussvermögen (die hydraulische Leistungsfähigkeit) eines Gerinnes mit laminarer oder turbulenter Strömung an. Die üblichen Formeln hängen vom hydraulischen Radius R und vom Fließgefälle I ab. Für breite und flache Gerinne (h > 10-facher Sohlbreite) kann der hydraulische Radius durch die Fließtiefe h ersetzt werden. Die Formeln enthalten darüber hinaus Beiwerte, die vor allem von der Rauigkeit und sonstigen Widerständen oder Verlusten abhängen. Die in der Ingenieurpraxis am häufigsten verwendete Fließformel ist jene nach Gauckler-Manning-Strickler [222]: (5) mit: k st . . . . Abflussbeiwert nach Strickler für die Gerinnerauigkeit [m1/3/s] R . . . . . hydraulischer Radius [m] (entspricht bei breiten flachen Fließquerschnitten der Wassertiefe h) I . . . . . Fließgefälle (Höhe pro Länge) [m/m] U . . . . . Benetzer Umfang des Fließquerschnitts [m]
Der Strickler-Beiwert kst (Rauigkeitsbeiwert) ist in Abhängigkeit von der Oberflächenbeschaffenheit der Sohle (Formrauigkeit), Bewuchs und Querschnittsform zu 25
Florian Rudolf-Miklau et al.
Tabelle 2.7. Charakteristische Werte für kst in naturnahen Fließgewässern nach [220] und [260] Oberfläche Glatter Beton Gerades Fließgewässer
kst [m1/3/s] 100 30 – 40
Wildbäche Grobkiessohle mit Steinen, gerade
20 – 25
Grobkiessohle mit Steinen, gewunden
15 – 20
Steinsohle mit einzelnen Blöcken, gerade
12 –17
Blocksohle, Schnellen-Becken, unregelmäßig
8 –15
Blocksohle, Schnellen-Becken, unregelmäßig, verwachsen
5 –12
Gebirgsflüsse Kies- und Steinsohle, gerade
20 – 33
Steinsohle mit Blöcken, gerade
14 – 25
Blocksohle, gerade
10 –15
wählen und ändert sich grundsätzlich mit der Abflusstiefe h, da sie sich auch auf den hydraulischen Radius R auswirkt. Typische Werte für kst sind in Tabelle 2.7 enthalten. Für steile Gerinne (Wildbäche) kann auch die Fließgleichung nach Rickenmann [217] angewandt werden: (6) mit: g . . . . . Erdbeschleunigung [m/s2] d90 . . . . 90. Perzentile der Sieblinie [m]
Detaillierte Ausführungen zu Abflussermittlung in Fließgewässern (offenen Gerinnen) finden sich beispielsweise in [20] [72] [199] [222]. Bei der Abflussermittlung für Zwecke des Gebäudeschutzes stehen Überflutungsprozesse außerhalb des Gerinnes im Mittelpunkt. Für diesen Zweck ist meist die Betrachtung komplexer Geländestrukturen ohne klar definierte Abflussquerschnitte erforderlich, so dass einfache Fließgleichungen nicht mehr ohne weiteres anwendbar sind. Mit dem Instrument der Fließgewässer-Modellierung können hydrodynamische Prozesse an beliebigen Topographien realitätsnahe nachgebildet werden. Grundlagen der Strömungsmodellierung23 sind hydrologische Kennwerte, die Landnutzung zur Festlegung der Rauigkeiten im Vorland und das digitale 23 Strömungsberechnungen beruhen auf den Erhaltungsgleichungen der Physik, nämlich auf der Massen-, Impuls- und Energieerhaltung. In der allgemeinen Form resultieren aus diesen Gleichungen die Gleichungen von Navier-Stokes, die ein nicht-lineares, partielles Differenzialgleichungssystem darstellen, das im allgemeinen Fall nur durch numerische Methoden näherungsweise gelöst werden kann. Es gibt verschiedene Verfahren, die oft eng mit den verwendeten Rechennetzen gekoppelt sind. 26
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Geländemodell (DGM) zur Abbildung der Erdoberfläche. Bei der Modelleichung werden auch dokumentierte Hochwasserereignisse berücksichtigt. Die Geländeform wird durch das Rechennetz wiedergegeben, welches heute in der Regel aus Laserscanning-Daten und daraus abgeleiteten Geländekanten generiert wird. Um Geländeinformationen im benetzten Bereich zu erhalten, ist allerdings die terrestrische Vermessung der Flussquerprofile und Objekte wie Brücken, Wehranlagen, Sohlstufen etc. unerlässlich. Es besteht eine große Zahl von EDV-basierten Modellen zur Fließgewässermodellierung, die sich grob in vier Gruppen einteilen lassen: • Konzeptive Modelle24 • Numerische 1-d-Modelle25 • Numerische 2-d-Modelle26 • Numerische 3-d-Modelle27 Details über die Grundlagen und Auswahl von Fließgewässermodellen finden sich in [39] [41]. Die für den Gebäudeschutz wesentlichen Anforderungen an die Fließgewässermodellierung ist die Ermittlung der Wassertiefen und Fließgeschwindigkeiten. Die Wassertiefen sind bei Annahme eines horizontalen Wasserspiegels aus den Modellergebnissen je nach Dimensionalität leicht ableitbar. Beim 1-d-Modell ergeben sich diese verteilt im Profi l und beim 2-d-Modell aus den je nach Ansatz verwendeten Resultaten für einzelne Elemente. Die Fließgeschwindigkeiten liegen für das 1-d-Modell meist als Mittelwerte für den Hauptabflussbereich und jeweils für das linke und rechte Vorland vor. Beim 2-d-Modell liefert die Simulation räumlich verteilte Fließgeschwindigkeiten und abgeleitete Größen (Abb. 2.7). Ein Überblick über marktübliche Modelle findet sich in Tabelle 2.8.
24 Konzeptive Modelle beschreiben die in der Natur auft retenden Prozesse meist sehr vereinfacht. Flüsse werden z. B. als eine Kaskade von Teilabschnitten mit bestimmten Eigenschaften (Speichervolumen, Laufzeit, Abflusskoeffizienten) abgebildet. 25 Numerische 1-d-Modelle bilden Gewässer als „Linien in der Landschaft“ ab, wobei in der Regel verzweigte Strukturen („Netze“) möglich sind. Der Vorteil der 1-d-Modelle liegt darin, dass sie die physikalischen Vorgänge besser und direkter abbilden als konzeptive Modelle. Numerische 1-d-Modelle können überall dort mit Erfolg angewandt werden, wo die Fließwege im Vorhinein bekannt sind bzw. wo die Abweichungen von den angenommenen Fließwegen vernachlässigbar sind. 26 Numerische 2-d-Modelle werden in den letzten Jahren verstärkt für die Ermittlung von Überflutungsflächen und für die Analyse von Vorlandüberflutungen verwendet. Der zentrale Vorteil ist, dass die Fließwege vom Modell ohne Zutun des Anwenders erkannt, respektive berechnet werden. 2-d-Modelle sind zu bevorzugen, wenn die Fließwege stark verzweigt und unbekannt sind, verursachen jedoch meist wesentlich größeren Aufwand für Modellerstellung und Modellpflege. 27 3-d-Modelle werden zurzeit wegen der großen Anforderungen bezüglich Modellerstellung und Rechenleistung im Wesentlichen nur für Detailuntersuchungen verwendet. 27
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.7. 2-d-Hochwasserabflussmodellierung für die Gemeinde Veitsch (Steiermark). (© WLV Steiermark)
2.4.3. Fluviatiler Feststofftransport (Geschiebe) 2.4.3.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen Der Hochwasserabfluss erodiert die anstehende Gesteins- und Bodenoberfläche und führt zur Verlagerung von anorganischen und organischen Feststoffen. Somit muss der Wasserhaushalt eines Gebietes immer gemeinsam mit dem Feststoffhaushalt betrachtet werden (Abb. 2.3), ebenso muss die Abflussermittlung unter Berücksichtigung der transportierten Feststoffmenge (-fracht) erfolgen. [41] Schäden durch Feststofftransport entstehen – neben der Erosion (Kapitel 2.4.4) – insbesondere durch Sedimentablagerung, Vermurung (Murgänge) (Kapitel 2.4.6) und den Anprall von Wildholz (Schwemmholz) (Kapitel 2.4.5). Geschiebe setzt sich in Wildbächen und Gebirgsflüssen aus einem breiten Spektrum von groben Korngrößen (Blöcken, Steinen, Schotter, Kies, Sand, Schluff ) zusammen. In Tieflandflüssen dominieren hingegen feine Sedimente (Sand, Schluff ), die überwiegend als Schwebstoff transportiert werden. Feststoffe werden in den Hängen oder in der Gewässersohle selbst mobilisiert, verlagert (zerkleinert) und an anderen Stellen wieder abgelagert (sedimentiert). Sobald Geschiebe in das Gerinne (Wildbach, Fluss) eingetreten ist, wird es laufend abgelagert (Schotterbänke, Sandbänke) und wieder weitertransportiert (Umlagerung). In Wildbächen wird ein wesentlicher Teil des Geschiebes auf dem Schwemmkegel am Talausgang deponiert. 28
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Tabelle 2.8. Übersicht über marktübliche Modelle zur Fließgewässermodellierung (Auswahl), zusammengestellt nach [39] Modell
Typ Hersteller
Web-Link
FLUX/FLORIS
1-d VAW/ETH Zürich, Schweiz
www.scietec.at
HEC-RAS
1-d US Army Corps of Engineers
www.hec.usace.army.mil/soft ware/ hec-ras
BASEMENT
1-d ETH-Zürich/VAW, Schweiz
http://www.basement.ethz.ch/
MIKE 11
1-d DHI Water and Environment, Dänemark
www.dhigroup.com
CCHE2D
2-d National Center for Computatio- www.ncche.olemiss.edu nal Hydroscience and Engineering, USA
FLO-2D River FLO-2D
2-d FLO-2D Soft ware, Inc., USA
www.flo-2 d.com
FLUMEN
2-d Beffa Hydrodynamik, Schweiz
www.fluvial.ch
Hydro_As-2D
2-d Dr. Marinko Nujic, Deutschland www2.hydrotec.de/vertrieb/ hydro_as_2 d
MIKE 21 und MIKE Flood
2-d DHI Water and Environment, Dänemark
www.dhigroup.com
SMS
2-d Scientific Soft ware Group, USA
www.scisoft ware.com/products/ sms_details/sms_details.html
FLOW-3D1)
3-d Flow Science Inc., USA
www.flow3 d.com
SWIFT1)
3-d AVL List GmbH, Österreich
www.avl.com
1) 3-d-Modelle
werden überwiegend für wissenschaft liche Zwecke eingesetzt und bilden auch andere Strömungsvorgänge, z. B. Schneetrift (Flow-3D) oder Lawinen (SWIFT) ab.
Die Charakteristik des Feststofft ransports prägt die Morphologie des Fließgewässers maßgeblich, umgekehrt sind detaillierte Kenntnisse über das Feststofftransportregime des Fließgewässers für eine Gefahrenbewertung erforderlich. In diesen Gewässern ist der fluviatile Feststofft ransport häufig mit einer starken Veränderung der Gewässermorphologie verbunden (Auflandung oder Abtrag). Bei extremen Hochwasserereignissen kann es sogar zur Verlagerung des gesamten Fluss- oder Bachbetts kommen (Abb. 2.8). Eine auf Prozesskriterien basierende, morphologische Klassifi kation von Gebirgsflüssen und Wildbächen zeigt Abb. 2.9. 2.4.3.2. Wirkungskriterien und Prozessmodelle Das Prozessmodell „fluviatiler Feststofftransport“ zeichnet sich durch das Vorhandensein einer bedeutenden Feststoffführung des Gewässers bei Hochwasser aus (Tabelle 2.5). Die dabei transportierten Korngrößen hängen von den zur Verfügung stehenden Korngrößen sowie den hydraulischen Belastungen infolge des Abflussvorganges ab. Die Dichte des Zweiphasen-Gemisches liegt unter 1300 kg/m³. Beim Feststofftransport wird laut [20] je nach Feststoffanteil ein schwacher (bis 20 %) oder starker Feststofftransport (bis 40 %) unterschieden. 29
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.8. Auswirkungen eines Hochwassers mit fluviatilem Feststofft ransport auf die Gewässermorphologie (Strengen, Tirol) (© Johannes Hübl)
Die wichtigsten Kriterien der Wirkung des Feststofftransportes sind die Feststoffmenge (Feststoff fracht) und die Ablagerungstiefe. Zur Berechnung des Feststofftransportes werden in der Praxis quasi-stationäre Verfahren angewendet (gleichförmiges Abflussverhalten, Wasserspiegelgefälle = Sohlgefälle, Rechteckquerschnitt). Eine bestehende Deckschicht kann berücksichtigt werden. Zur Dauerlinie des Abflusses wird eine korrespondierende Dauerlinie des Feststofftransportes ermittelt. Nicht berücksichtigt werden instationäre Vorgänge wie Staueffekte und Sprungwechsel sowie die Änderung der Korngrößenverteilung des Geschiebes innerhalb eines Betrachtungsprofils während eines Ereignisses. [142] Für die Ermittlung der Geschiebetransportrate qg in Flüssen und Gebirgsbächen stehen in der Literatur zahlreiche Modelle zur Verfügung (z. B. Mayer-Peter/Müller [146], Bathurst et al. [16], Parker [196], Smart/Jäggi [237], Palt [198]). Das für Wildbäche und Gebirgsflüsse gebräuchlichste Modell für die Ermittlung der Geschiebetransportrate wurde von Rickenmann [218] entwickelt: (7)
(8)
Gültig für: 2% < I < 20% und mit: ρg . . . . . Dichte des Geschiebes [kg/m³] ρ w . . . . Dichte des Wassers [kg/m³] d90/ d50/ d30 . . . 90., 30., 30. . . . Perzentile der Sieblinie [m] q . . . . . spezifischer Reinwasserabfluss [m3/s. m] qc . . . . . kritische Abflussmenge [m3/s. m] I . . . . .Sohlgefälle [-] g . . . . . Erdbeschleunigung [m/s²]
30
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.9. Klassifi kation von alpinen Fließgewässern (Gebirgsflüsse und Wildbäche) nach morphologischen Kriterien, nach [220]
Weiterführende Informationen über die Modellierung des fluviatilen Geschiebetransports in Fließgewässern finden sich beispielsweise in [20] [117] [198] [257]. Tabelle 2.9 gibt einen Überblick über marktübliche, hydraulisch-sedimentologische Simulationsmodelle. Tabelle 2.9. Übersicht über marktübliche hydraulisch-sedimentologische Simulationsmodelle (Auswahl), zusammengestellt nach [31] Modell
Typ
Hersteller
Transportmodell
Web-Link
MORMO
1-d
VAW/ETH Zürich, Schweiz
Mayer-Peter&Müller, Smart&Jäggi
-
SEC-HY 11
1-d
Sinotech Inc.
Mayer-Peter&Müller, Smart&Jäggi
-
BASEMENT
1-d
VAW/ETH Zürich, Schweiz
andere
http://www.base ment.ethz.ch/
CCHE1D CCHE2D
1-d 2-d
National Center for Computational Hydroscience and Engineering, USA
andere
www.ncche.ole miss.edu
FLO-2D
2-d
FLO-2D Soft ware, Inc., USA
Mayer-Peter&Müller www.flo-2 d.com (Näherungsgleichung)
FLUMEN
2-d
Beffa Hydrodynamik, Schweiz
Mayer-Peter&Müller, Smart&Jäggi
www.fluvial.ch
MIKE 11 MIKE Flood
1-d 2-d
DHI Water and Environment, Dänemark
Mayer-Peter&Müller, Smart&Jäggi
www.dhigroup. com
TomSed
1-d
IAN BOKU, Österreich
Smart&Jäggi Rickenmann
http://bed load. at/
31
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.10. Prozessmodell „Fluviatiler Feststofft ransport“: Ereignis 2005 im Stubenbach (Tirol) mit starker Geschiebeführung (© Land Tirol)
2.4.4. Erosion durch Fließgewässer Erosion28 in Fließgewässern hat für den Gebäudeschutz sowohl direkt als auch indirekt Bedeutung: direkt durch die Freilegung und Destabilisierung von Bauwerksfundamenten, indirekt durch die Destabilisierung von Böschungen (Seitenerosion) und den Abtrag von Feststoffen, die in der Folge zu Vermurung und Verschotterung (Verschlammung) führen (Kapitel 2.4.3. und 2.4.6). Die direkte Erosion (Freilegung) von Gebäudefundamenten hängt im Wesentlichen von der Fließtiefe und der Fließgeschwindigkeit der Überflutung sowie von den Untergrundverhältnissen im Bereich des Bauwerks ab. Besonders anfällig sind gering konsolidierte Anschüttungen. Seitenerosion bezeichnet einen Erosionsprozess entlang der Ufer eines Gewässers, der dem Gewässer die Möglichkeit gibt, sich seitlich zu verlagern. Uferanbrüche entstehen überwiegend im Außenbogen (= Prallufer) der Gewässer. Im Bereich von verzweigten Gerinnen (Furkationsstrecken) entstehen durch die pendelnde Verlagerung des Flusses lokale Kolke und Anbrüche an den Ufern (Abb. 2.11). Abfl ießendes Niederschlagswasser an Hängen kann bei fehlender oder nur unzureichender Bedeckung mit Vegetation zum Abtrag aufgelockerten Untergrundes (Bodens) führen. Bei dieser Flächenerosion oder Bodenerosion kann es zunächst zur flächigen Abspülung von Lockermaterial kommen. In weiterer Folge können aber auch Erosionsrinnen entstehen (Rinnenerosion), die sich schließlich zu Runsen weiterentwickeln. Bei besonders großen Lockergesteinsherden entstehen aus den Runsen schließlich tiefe Schluchten (Gullys) und Erosionskessel. Bodenerosion tritt häufig in landwirtschaft lich genutzten Gebieten mit mächtigen Bodenhorizonten oder bei leicht verwitterbarem Lockergestein auf, ebenso häufig sind flächige und rinnenförmige Abtragsformen im Bereich von Schuttmassen, eiszeitlichen Moränen und in Lößgebieten (z. B. Weinviertel/Niederösterreich) anzutreffen. 28 Erosion umfasst alle Formen des Abtrages von Fest- und Lockergestein an der Erdoberfläche durch die Wirkung von Schwerkraft, Temperatur, Wasser (Eis) und Verwitterung. 32
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.11. Erosion und Auflandung in einer mäandrierenden Gerinnestrecke: (A) Strömung in einer geraden und gekrümmten Fließstrecke; (B) Spiralströmungen im Querschnitt in einer Krümmung; (C) Strömungen im Querschnitt in der geraden Strecke (© Suda)
Die Tiefenerosion von Gerinnen führt zur Eintiefung im Alluvion und Lockergestein. Die für die Entstehung von Wildbächen charakteristische Form der Tiefenerosion ist die rückschreitende Erosion, die auf einer höhenmäßigen Änderung der Erosionsbasis basiert, wodurch sich das Gerinne an dieses veränderte Niveau durch Eintiefung anpasst (Feilenanbruch). Die Folge der rückschreitenden Erosion ist die Destabilisierung der Uferböschungen und Talflanken. Eine unmittelbar mit dem Austritt von Quellwasser verbundene Erosionsform ist der Muschelanbruch. Dieser initiale Anbruch entsteht nach plötzlichem Hangwasseraustritt unter hohem Druck (rückschreitende Erosion). Man bezeichnet solche Quellausbrüche auch als „Hangwasserexplosion“. Muschelanbrüche können Murgänge (Hangmuren) und schnelle Rutschungen (siehe Kapitel 2.6.4) auslösen. Das wichtigste Kriterium für die Wirkung von Erosion auf Bauwerke ist die Erosionstiefe. Weiters sind die Art des Erosionsprozesses und die Erosionsgeschwindigkeit relevant. Ingenieurmäßige Modelle zur Abschätzung der Erosionstiefe an Gebäudefundamenten haben sich der Praxis bisher nicht etabliert, so dass auf Experteneinschätzung zurückgegriffen werden muss. Nähere Informationen über Erosionsprozesse können beispielsweise [117] [154] [249] entnommen werden. 2.4.5. Wildholztransport In alpinen Wildbächen und Flüssen können Hochwasserereignisse auftreten, die das Potential haben, Holz unterschiedlicher Herkunft mit sich zu reißen (Prozessmodell 33
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.12. (A): Schäden durch Wildholz an einem Wohnhaus an der Trisanna beim Hochwasser 2005 (Paznauntal/Tirol) (© WLV Tirol); (B): Große Menge Wildholz im Bramberger Mühlbach bei Hochwasser (Salzburg) (© WLV Salzburg)
„Wildholztansport“29). Wie viel Wildholz anfällt, ist vor allem von folgenden Parametern abhängig: Zustand des Waldes (Bestandesmischung, Gefährdungsgrad einzelner Bäume, Bestandesalter), Bewirtschaftung der Waldflächen, Bodeneigenschaften, Geologie, Wind- und Schneedruck, Exposition, Hangneigung, Tiefenund Seitenerosion (Gewässerdynamik). Schäden durch Wildholz an Bauwerken können direkt oder indirekt entstehen. Gebäude können zum Beispiel durch mitgeschwemmte Stämme oder Holzstücke beschädigt werden (Abb. 2.12.A). An Brücken oder anderen hydraulischen Engstellen kann es zur Verklausung kommen. Diese kann aufgrund des Rückstaus im Oberwasser (Abb. 2.12.B) Überflutung als Folgeschäden haben, wenn im Gewässerbett nicht ausreichend Platz vorhanden ist. [227] Die maßgeblichen Kriterien für die Entwicklung von Gefährdungsbildern für die Einwirkung von Wildholz auf Bauwerke sind die Form und die Größe der Holzfragmente, die Transportform sowie die Transportgeschwindigkeit. Weiters ist die Wildholzmenge (Wildholzfracht) entscheidend. Nähere Informationen über die Entstehung und Wirkung von Wildholz können beispielsweise [100] und [135] entnommen werden. 2.4.6. Muren (Murgänge) 2.4.6.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen Muren sind Massenverlagerungen aus einem Gemisch von Wasser, Feinmaterial und bis zu tonnenschweren Blöcken. Da Gesteinsschutt die Hauptkomponente eines Murgangs ausmacht, sind sowohl Gebiete mit einem geologisch leicht verwitternden Ausgangsgestein als auch Gebiete mit vorhandenem Lockermaterial (z. B. 29 Wildholz ist ein Sammelbegriff für „Totholz“ (also das bereits im Bach liegende Holz) und das bei einem Hochwasserereignis frisch eingetragene Grünholz. Unter dem Begriff „Schwemmholz“ wird im Allgemeinen das während eines Hochwasserereignisses transportierte Holz ohne Berücksichtigung der Herkunft verstanden. 34
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.13. Ablagerungen eines murartigen Feststofftransportes am Beispiel Diasbach (Kappl) vom 12. Juli 2010 (© WLV Tirol)
Moräne, Schotter, Felssturzmaterial etc.) für die Entstehung von Muren prädestiniert. Eine Mure hat deutlich mehr Energie als ein Hochwasser und richtet erheblich höheren Schaden an. Ein mit voller Wucht auftreffender Murgang kann Häuser, Verkehrswege und Brücken zerstören. Muren nehmen in der Klassifikation der Naturprozesse eine Sonderstellung ein, da sie in der Literatur sowohl unter Hochwassergefahren als auch unter den Massenbewegungen subsummiert werden. Gemäß ONR 24 800 : 2008 zählen in Österreich die Prozesse „murartiger Feststofftransport“ und „Murgang“ zu den Muren, die wiederum den hydrologischen Gefahren zugerechnet werden. Sie sind jedoch von den Hochwässern klar abgegrenzt. Der murartige Feststofftransport leitet zu den Murgängen über und wird deshalb in der Fachliteratur auch als hyperkonzentrierter Abfluss [115] [218], unreifer Murgang [11], in historischen Dokumenten zumeist als Mure [109] bezeichnet (Abb. 2.13.). Die Feststoffe sind unabhängig von der Korngröße über den ganzen Abflussquerschnitt verteilt. Auch größere Kornfraktionen (Dezimeter bis Meter) bewegen sich annähernd mit der Geschwindigkeit des Wassers. Die Dichte des Gemisches übersteigt zumeist 1300 kg/m³, wobei eine volumetrische Feststoffkonzentration zwischen 20 und 40 Prozent erreicht wird (Tabelle 2.5). Das Fließverhalten ist noch ähnlich dem des Wassers, kann aber schon viskos sein. Murartiger Feststofftransport tritt in alpinen Einzugsgebieten sehr häufig auf. Als Ablagerungsformen (Vermurung) finden sich unsortierte und korngestützte Geröllbänke und Lappen, das Feinmaterial ist ausgeschwemmt. In kleineren Wildbacheinzugsgebieten mit einer Fläche von zumeist weniger als 15 km² und einer großen Reliefenergie, also einem Längsgefälle von mehr als 15 – 30 %, treten neben den Prozessen Hochwasser und murartiger Feststofftransport auch Murgänge30 auf. Diese entstehen durch die Mobilisierung von Feststoffen 30 Als Murgang (Rüfe, Murstoß) wird ein schnell abfließendes, breiartiges Gemisch von Wasser und Feststoffen bezeichnet, das in mehreren Schüben (Murschub) abgehen kann, einer bereits ausgebildeten Tiefenlinie folgt und charakteristische Ablagerungen aufweist. 35
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.14. Längsschnitt durch einen Murschub (nach [203])
(Geschiebe), welche aus Rutschungen oder aus den Bacheinhängen ins Gerinne eingetragen oder direkt aus der Gerinnesohle entnommen werden. Je schneller so eine Feststoffmobilisierung abläuft und je größer das mobilisierte Volumen ist, umso größer ist die daraus resultierende Abflussmenge, die kurzfristig ein 10- bis 100-Faches des hydrologischen Hochwasserabflusses sein kann (Murschub). Die Masse ist zähflüssig, das Fließverhalten ist abweichend von gewöhnlichen Flüssigkeiten wie Wasser, die Dichte des Gemisches liegt im Durchschnitt bei 2000 kg/m³, wobei eine volumetrische Feststoffkonzentration über 40 % typisch ist. Die mittransportierten Feststoffe können neben Fein- und Grobkorn auch aus Wildholz bestehen und sind unabhängig von der Korngröße über den ganzen Abflussquerschnitt verteilt. Murgänge können Fließgeschwindigkeiten von 15 bis 20 m/s erreichen und lagern sich üblicherweise ab einem Gefälle von rund 10 % ab, wenn eine seitliche Ausbreitung möglich ist. Ein Murgang besteht aus Murkopf (Murfront), Murkörper und Murschwanz. Im Murkopf finden sich vorwiegend grobe Blöcke, die vor dem eigentlichen Murkörper hergeschoben werden (Abb. 2.14). 2.4.6.2. Wirkungskriterien und Prozessmodelle Wie auch beim Hochwasser ist das wichtigste Kriterium für die Bewertung von Muren auf Objekten der Abfluss. Mit steigender Feststoffdisposition erfolgt ein zumeist sprunghafter Übergang in einen anderen Systemzustand, der von murartigen Prozessen (murartiger Feststofftransport, Murgang) geprägt ist. In diesem Systemzustand ist die Größe des Abflusses maßgeblich von der Geschiebemobilisierung abhängig. Für transportlimitierte Fließbedingungen und – mit Einschränkungen – auch bei murartigem Feststofftransport kann der Bemessungsabfluss BHQ wg mit Geschiebe näherungsweise mit Zuschlägen zum Reinwasserabfluss BHQ w nach Gl. (9) ermittelt werden. 36
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
(9) mit: BHQ w IF . . . .
Bemessungsabfluss „Reinwasser“ [m³/s] Intensitätsfaktor (Zuschlagsfaktor) [-]
Der dimensionslose Zuschlagsfaktor IF kann nach ONR 24 802 : 2011 prozessspezifisch – für Hochwasser mit 1,00 bis 1,05, für fluviatilen Feststofftransport mit 1,05 bis 1,40 und für murartigen Feststofftransport mit 1,40 bis 3,50 – angenommen werden. Für Murgänge besteht in der Regel keine signifi kante Korrelation zwischen der Ganglinie des Reinwasserabflusses und der Ganglinie des Feststofftransportes, so dass der Bemessungsabfluss mit anderen rheologischen Modellen ermittelt werden muss. Für Fragen des Gebäudeschutzes sind Modelle erforderlich, welche die Prozesskriterien Reichweite, Ablagerungshöhe und Fließgeschwindigkeit (Fließenergie) ergeben. Die meisten Simulationsmodelle zur Bestimmung der Reichweite oder Vorhersage des Ablagerungsverhaltens von Murgängen beruhen entweder auf empirisch-statistischen Ansätzen (aus beobachteten Murgängen) oder sind physikalisch basiert. [221] Das Ausmaß der Ablagerung wird entweder eindimensional (1-d) über die Reichweite bzw. die Auslauflänge oder zweidimensional (2-d) anhand der Ablagerungsfläche bestimmt. Empirisch-statistische Modelle wurden beispielsweise von Corominas [46], Rickenmann [219] oder Scheidl/Rickenmann [221] vorgeschlagen. Einfache physikalische Modelle behandeln die Mure als einkomponentiges, homogenes Fluid, wobei die Fließgeschwindigkeit über den Querschnitt integriert wird. Mehrphasen-Modelle gewähren auch einen Einblick in die Veränderung des Abflussverhaltens während eines Murganges, sind jedoch für ingenieurmäßige Anwendungen in der Regel zu komplex. Physikalische Modelle liefern primär Fließgeschwindigkeiten und dynamische Drücke auf Abflusshindernisse, darüber hinaus auf Reichweiten und Ablagerungshöhen. Physikalische Murgang-Modelle wurden z. B. von Hungr et al. [104], Takahashi [247] und Brufau et al. [27] entwickelt. Weiterführende Informationen über die Fließeigenschaften und Modellierung von Murgängen finden sich in [115] und [248]. Einen Überblick über marktgängige Murenmodelle gibt Tabelle 2.10.
Tabelle 2.10. Übersicht über marktübliche Murgang-Simulationsmodelle (Auswahl) Modell
Typ
Hersteller
Homepage
FLO-2D
2-d
FLO-2D Soft ware, Inc., USA
www.flo-2 d.com
LAHARZ
2-d
US Geological Survey (Iverson), http://vulcan.wr.usgs.gov/Projects/ USA LAHARZ/framework.html
TopRun-DF TopFlow DF
2-d
IAN-BOKU, Österreich
http://www.debris-flow.at/index.php/ de/toprundf
RAMMS
2-d
WSL-Institut für Schnee und Lawinenforschung SLF
in Entwicklung; http://www.wsl.ch/fe/ lms/projekte/rapid_mass_movements/
MassMov2D
2-d
Beguería, S., Van Asch, T. W. J., Malet, J. P. & Gröndahl S.
http://digital.csic.es/handle/ 10 261/11 804
37
Florian Rudolf-Miklau et al.
2.4.7. Überflutungen durch oberirdisches Hangwasser Überflutungen können bei Starkniederschlägen auch durch Hangwasser31 ausgelöst werden. Oberirdisches Hangwasser tritt in der Natur häufig auf, ist aber oft nur für kurze Zeit während des Niederschlagsereignisses zu beobachten. Die Gefahr durch Hangwasser ist schwer vorhersehbar, da häufig nicht offensichtlich. Gefährdet sind lokale Tiefstellen wie Hangmulden, wenn sich in diesen der Oberflächenabfluss aus dem Einzugsgebiet sammelt. Dieser ist nicht an Gerinne gebunden, folgt aber natürlichen Tiefenlinien. Infolge von intensivem Starkregen und reduzierter Versickerungsfähigkeit des Bodens kann schadbringendes Hangwasser auch in kleinen, unscheinbaren Einzugsgebieten auftreten. Eine Veränderung oder Verstärkung des Auftretens von Hangwasser ist zu erwarten, wenn • die Abflussverhältnisse durch neue Straßen, Wege und Bebauungen hinsichtlich der Wasserwege und der Wassermenge verändert wurden, • die Abflussverhältnisse durch eine geänderte landwirtschaft liche Nutzung verschärft wurden oder • die Versickerungsrate im Einzugsgebiet durch Versiegelung oder Hartflächen, aber auch durch Bodenverdichtung reduziert wird. Überflutungen durch Hangwasser haben in den letzen Jahrzehnten aufgrund der intensiven Landnutzung und des Flächenverbrauchs stark zugenommen und stellen vor allem im urbanen Raum ein maßgebliches Hochwasserrisiko dar. 2.4.8. Grundwasseranstieg und Grundwasserhochstand Grundwasser ist Bodenwasser, das die Bodenhohlräume vollständig sättigt und daher mit der Tiefe einen Wasserdruck aufbaut. Grundwasser bildet sich in den durchlässigeren Schichten über weniger durchlässigen Schichten des Untergrundes. In Kies- und Sand-Kiesschichten kann es als mächtigerer Grundwasserhorizont auftreten, für Gebäudeschäden sind oft aber auch wenig mächtige Schichtwässer über stauenden Schluffen und Tonen verantwortlich. Die Grundwassersituation an einem bestimmten Ort ist von vielen lokalen Einflüssen abhängig, die jeweils lokal zu beurteilen sind. Grundwasseranstieg und Grundwasserhochstand können insbesondere durch folgende Ursachen oder Kombinationen von Ursachen entstehen: • Niederschlag: Längere Niederschlagsperioden oder mehrere überdurchschnittlich feuchte Jahre in Folge können zu verstärkter Versickerung und damit zu Grundwasserhochständen führen, welche in länger dauernden trockenen Perioden nicht auftreten. • Hochwasserführung von Flüssen und Bächen: Das Grundwasser steht häufig in einem lokalen Zusammenhang mit dem Wasserspiegel in den Flüssen und Bächen. Bei einem Anstieg des Wasserspiegels im Gewässer durch Hochwasser steigt auch das Grundwasser an. Ein Hochwasser führt zumindest lokal auch 31 Als Hangwasser wird Hochwasser bezeichnet, das nicht durch Bäche oder Flüsse, sondern in sonst trockenen Einzugsgebieten infolge von Starkregen und Schmelzwasser (Tauflut) entsteht. 38
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.15. Oberflächenabfluss infolge eines Starkregenereignisses (© Maria Patek)
zu Grundwasserhochständen, die üblicherweise wesentlich länger andauern als das Hochwasserereignis selbst. Dies erfolgt auf Grund der Fließwiderstände im Boden meist gedämpft und zeitlich verzögert. • Unterirdisches Hangwasser: Über stauenden geologischen Schichten in Hängen kann sich unterirdisches Hangwasser sammeln. Durch Starkregen und in niederschlagsreichen Wochen oder Monaten entsteht dieses vermehrt. Diese Form von Grundwasser kann durch die Verminderung der Bodenreibung zu Hangrutschungen und Hangmuren führen und damit weitere gravierende Gefährdungen für Gebäude hervorrufen. Weiterführende Informationen über Grundwasserhydraulik und -hochstände finden sich beispielsweise in [72] und [234]. 2.4.9. Überflutung durch (Rück-) Überstau aus Entwässerungssystemen Entwässerungssysteme (Kanäle) führen im urbanen Raum bei Überlastung durch Rückstau oder Überstau immer häufiger zu Überflutungen. Rückstau bildet sich in den Gebäudeableitungen, sobald das Entwässerungssystem außerhalb des Hauses überlastet und der Wasserabfluss in den Gebäudeableitungen behindert ist. Von einem Überstau wird gesprochen, wenn der Rückstau über das Straßenniveau ansteigt. Die Entwässerungssysteme werden aus wirtschaft lichen Gründen nur auf „häufige“ Niederschlagsereignisse ausgelegt. Bei Hochwasser kann der Wasserspiegel im Kanalnetz ansteigen, falls die Kanäle durch Überlastung aufgrund zu großer Regenmengen oder durch den hohen Wasserstand des Vorfluters zurückgestaut werden. Dieser Anstieg des Wasserspiegels im Kanalnetz kann sich durch Abflussleitungen und Hausanschlüsse bis ins Gebäudeinnere fortsetzen. Liegen keine Sicherheitseinrichtungen vor, steigt der Wasserspiegel im Leitungsnetz des Gebäudes bis auf das Wasserspiegelniveau im Kanalnetz (Rückstauebene) an. Dies kann zu Wasseraustritten aus den Abflüssen der Sanitäranlagen o. Ä. führen. In Überschwemmungsgebieten ist der Hochwasserstand für einen eventuellen Rückstau in die Kanalisation entscheidend. Weiterführende Informationen über die hydraulische Bemessung von Kanalisationen und Entwässerungssystemen finden sich beispielsweise in [72] und [88]. 39
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2.5. Schneegefahren 2.5.1. Klassifizierung von Schneegefahren Als Schnee bezeichnet man entweder die aus einzelnen oder zusammenhängenden Kristallen bestehende feste Form von Niederschlag oder deren Ablagerung am Boden. Schnee besteht aus Formen aller drei Aggregatszustände von Wasser: fest (= Schneekristalle), flüssig (= eingelagertes Wasser) und gasförmig (= Luft und Wasserdampf in den Hohlräumen). Je nach Mischungsverhältnis dieser drei Komponenten und je nach Verunreinigungsgrad hat Schnee sehr unterschiedliche physikalische Eigenschaften. Schon während des Schneefalls in verschiedenen Höhenniveaus ändern sich laufend die Temperatur-, Feuchte- und Windverhältnisse, die sich unmittelbar auf Kristallwachstum bzw. -zerstörung auswirken. Die Umwandlung setzt sich dann im Zuge der Schneeablagerung am Boden bis zum endgültigen Abschmelzprozess fort. Wasser in fester Form kann auch als Eis32 Naturgefahren auslösen. Schnee kann durch sein Gewicht oder die Bewegung der Schneedecke an Hängen (Kriechen, Gleiten) zu Schäden an Bauwerken führen. Durch die Metamorphose (Schneeumwandlung) wird die Lawinenentstehung maßgeblich beeinflusst, weil sich dadurch Schwächeschichten in der Schneedecke bilden können. Zu den Schneegefahren zählen nach [3] Schneelast, Schneedruck (Kriech- und Gleitdruck), Lawinen (Fließlawine, Staublawine), Eisstürze (Eislawine) und Gletschervorstöße. Für den Gebäudeschutz in Österreich sind vor allem Schneelast/-druck und Lawinen relevant und werden daher nachfolgend näher behandelt. 2.5.2. Schneelast Schneelast ist die vertikale Kraft wirkung der ruhenden Schneedecke aufgrund des Eigengewichtes. Lang andauernde und starke Schneefälle, hohes spezifisches Gewicht des Schnees, windbedingte Schneeverfrachtungen (Wächtenbildung) sowie starke Wassersättigung der Schneedecke durch Regen führen zu extremen Auflasten auf Gebäuden (Dächern). Die Schneelast gehört zu den klimatisch bedingten veränderlichen Einwirkungen auf Bauwerke. Sie hängt von der geografischen Lage und von der Form des betrachteten Bauwerks ab und wirkt im Allgemeinen als Flächenlast senkrecht zur Grundfläche. Das für die statische Schneelast maßgebliche Gewicht (Dichte) hängt von der Temperatur ab. Richtwerte für die Dichte verschiedener Schneearten sind in Tabelle 4.40 enthalten. Für statische Nachweise wird vereinfachend und auf der sicheren Seite liegend mit nassem Schnee und einer Wichte von 2 kN/m³ gerechnet. In den Normen (Europäische Norm EN 1991–1-3, Nationales Anwendungsdokument: ÖNORM B 1991–1-3 : 2005) werden für Schneelasten ortsabhängige Rechenwerte angegeben. Diese Rechenwerte entsprechen der 98 %-Fraktile der Jahresmaxima und somit einer mittleren Wiederkehrperiode von 50 Jahren. Der maßgebende Einflussfaktor auf die Größe der Schneelasten ist die Lage des Standortes mit der lokalen Klimazone und der topografischen Höhe. Das Schneeklima wird in der ÖNORM B 1991–1-3 durch eine Schneelastzonenkarte (fünf Zonen: A, 32 Eis kristallisiert im hexagonalen Kristallsystem und tritt in der Natur in den verschiedensten Erscheinungsformen – vom Hagelkorn (siehe Kapitel 2.7.4.1) über das Firneis bis zum Gletschereis – auf. 40
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
B, C, C*, D) erfasst, welche die Schneeintensität für verschiedene geographische Regionen unter Berücksichtigung der Seehöhe angibt. Aufgrund wirtschaft licher Überlegungen sind extreme Schneelasten, die nur sehr selten vorkommen, in den Normen nicht erfasst. In Teilen des Alpenraumes hat so z. B. im Winter 2005/2006 die tatsächliche Schneelast die in den Normen jeweils angegebene Lastannahme deutlich überschritten, weshalb die Dächer zur Vermeidung eines Versagens von der Schneelast geräumt werden mussten. Es zeigte sich, dass den Schneelasten auf Dächern oft nicht genug Augenmerk geschenkt wird. Im Gegensatz zur Information über die Lawinenlage findet in Österreich eine qualifizierte Information von Hausbesitzern und Baufachleuten durch die Bauaufsichtsbehörden und Wetterdienste über die aktuellen Schneelasten – selbst bei größeren Überschreitungen der lokalen Normlasten – derzeit kaum statt. 2.5.3. Schneedruck durch Schneekriechen und -gleiten Die maßgebende Belastung durch Schnee für Bauwerke an Hängen ist der statische Schneedruck, der durch ein lokales Abbremsen der Kriech- und Gleitbewegung der Schneedecke entsteht (Abb. 2.16). Die zugrundeliegende Schneedrucktheorie geht auf Haefeli [15] und Bucher [30] zurück. Kern dieser Theorie ist die Ausbildung eines Staubereichs hinter Objekten in der Schneedecke, also eine Zone mit einer beschränkten Länge, innerhalb welcher zusätzliche Druckspannungen und reduzierte Scherspannungen entstehen. Die Staulänge bildet die Grundlage für die eindimensionale Berechnungstheorie des Schneedruckes auf eine Stützwand. McClung [143] entwickelte ein kontinuum-mechanisches Schneedruckmodell, das den Schneedruckprozess im Vergleich zum Modell von Haefeli exakter abbildet. Die Berechnungsformeln der Schweizer Richtlinie für den Lawinenverbau in Anbruchgebieten [141] ergeben etwas „konservativere“ Werte für den Schneedruck im Vergleich zu McClung Die Komponente des Kriechens wird dreiecksförmig nach oben zunehmend angenommen, da in Bodennähe durch die Oberflächenrauigkeit das Kriechen minimiert wird. Der Anteil aus Gleiten wird als konstant über die Höhe verteilt angenommen. Im Einwirkungsmodell werden beide Komponenten gemeinsam als gleichmäßig über die Schneehöhe verteilt angesetzt. Die Verfahren zur Berechnung der Kriech- und Gleitschneedrücke sind in Kapitel 4.5.3 zusammengestellt.
Abb. 2.16. Kriechen und Gleiten in der Schneedecke 41
Florian Rudolf-Miklau et al.
Einwirkungen aus Kriechen und Gleiten der Schneedecke sind für Gebäude an steilen Hängen (insbesondere über 35°) mit geringer Oberflächenrauigkeit relevant. 2.5.4. Lawinen 2.5.4.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen Als Lawinen bezeichnet man mit hoher Geschwindigkeit gleitende, fallende, stürzende Schnee-, Eis-, Gesteins- oder Schlammmassen (schnelle Massenbewegung des Schnees) mit einem Volumen von mehr als 100 m³ und einer Lauflänge von mehr als 50 Metern. Die Lawine umfasst den gesamten Bewegungsvorgang, beginnend mit dem Anbruch des abgelagerten Schnees im Anbruchgebiet (Abb. 2.17). Typischerweise brechen große Lawinen bei Neigungen zwischen 30° und 50° an. An steileren Hängen treten häufigere und daher kleinere Lawinenabgänge auf. Bei geringeren Neigungen treten nur mehr so genannte Boden- oder Gleitschneelawinen auf (siehe Tabelle 2.11). In Abhängigkeit der Sturzbahnform und der Schneeeigenschaften bewegt sich der Schnee in der Sturzbahn mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Fließform talwärts. In der Sturzbahn nimmt die Lawine ab einer gewissen Größe weiteren Schnee auf (Entrainment). Diese Schneeerosion ist umso intensiver, je schneller
Abb. 2.17. Bewegungsformen von Lawinen: (A) Beginn der Bewegung, Abgleiten von Schollen; (B) turbulente Fließbewegung (Fließlawine); (C) gemischte Bewegung mit Fließ- und Staubanteil (Mischlawine); (D) stiebende Bewegung: Entstehung einer reinen Staublawine bei völliger Ablösung der Schneemasse vom Boden; nach [134], 92 42
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Tabelle 2.11. Morphologische Lawinenklassifi kation gemäß Lawinenatlas [250], mod. in ONR 24 805, Tabelle 1)
Sturzbahn
Anbruchgebiet
Zone Kriterium
Alternative Merkmale (kursiv geschrieben): Bezeichnung
Form des Anrisses
Von einem Punkt ausgehend: Von einer Linie anreißend: Lockerschneelawine Schneebrettlawine
Lage der Gleitfläche
Innerhalb der Schneedecke: Oberlawine
Auf der Bodenoberfläche: Bodenlawine
Flüssiges Wasser im Lawinenschnee
Trocken: Trockenschneelawine
Nass: Nassschneelawine
Form der Sturzbahn
Flächig: Flächenlawine
Runsenförmig: Runsenlawine (kanalisiert)
Form der Bewegung
Stiebend, als Schneewolke durch die Luft: Staublawine
Fließend, dem Boden folgend: Fließlawine
Ablagerungsgebiet
gemischte Bewegungsform: Mischlawine Oberflächenrauigkeit der Grob (über 0,3 m): Ablagerung Grobe Ablagerung
Fein (unter 0,3 m): Feine Ablagerung
Flüssiges Wasser in der Ablagerung
Trocken: Trockene Ablagerung
Nass: Nasse Ablagerung
Fremdmaterial in der Ablagerung
Fehlend: Reine Ablagerung
Vorhanden (Steine, Erde, Äste, Bäume): Gemischte Ablagerung
die Lawine und je geringer die Festigkeit der Schneedecke in der Sturzbahn ist. Erst wenn die Sturzbahn auf längere Strecke ausreichend flach ( < 10°) ist, spricht man von der Auslaufstrecke der Lawine. Hier verringert sich die Bewegung bis zum Stillstand und der Lawinenschnee bleibt im Ablagerungsgebiet liegen. Von den verschiedenen Möglichkeiten, die Anbruch- und Fließformen zu klassifizieren, ist die morphologische Lawinenklassifikation am meisten verbreitet (Tabelle 2.11). Schneebrettlawinen (Abb. 2.18 A) sind bruchmechanisch von Gleitschneelawinen zu unterscheiden. Während jene infolge eines Sprödbruchs in der Schneedecke abgehen (ähnlich einem Glasbruch) und so innerhalb von Sekunden große Schneemassen mobilisieren können, stellt die Gleitschneelawine einen duktilen Bruch dar. Die Spannungen bauen sich in mehreren Stunden auf und die Rissfortpflanzung geschieht in mehreren Minuten bis Stunden. Während der Schneebrettanbruch daher die typische Anbruchsform großer Katastrophenlawinen ist, bedingt die Gleitschneelawine kleinere Lawinenformen, die vor allem für Gebäude in Hanglage Probleme verursachen können, wenn die Schneemassen mit hoher Dichte, aber vergleichsweise geringer Geschwindigkeit auf die Objekte „aufgleiten“. Die seit Jahrzehnten gebräuchliche Unterscheidung zwischen Fließlawinen (langsam, hohe Dichte) und Staublawinen (schnell, geringe Dichte) wurde in Tabelle 2.11 um die Mischlawine erweitert. Das Modell einer Mischlawine setzt sich aus einer Fließ-, einer Übergangs- und einer Staubschichte zusammen (Abb. 2.19). 43
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.18. Lawineneinteilung nach der Form des Anrisses: (A) Schneebrettlawine; (B) Lockerschneelawine (Schrägriss und Schnitt durch die Sturzbahn in Falllinie)
Den einzelnen Schichten sind unterschiedliche Dichten und Eigenschaften zugeordnet. Beobachtungen legen nahe, dass die Bewegung der Staubschichte von der permanenten Energie- und Massenzufuhr durch die darunter fließende Fließschichte (-lawine) abhängt. Die Staubschichte wird also von der Fließschichte genährt, so dass sie ebenfalls mit hoher Geschwindigkeit talwärts fließt. Detaillierte Ausführungen über die Charakteristik und Auslösung von Lawinen finden sich beispielsweise in [134] [226] oder [231]. 2.5.4.2. Wirkungskriterien und Prozessmodelle Grundsätzlich lassen sich Lawinen als gravitativer Fließprozess von Schnee beschreiben. Für praktische Zwecke kann die Bewegung einer Lawine durch die Geschwindigkeit v, die Fließhöhe h und die Massendichte ρ des Lawinenschnees charakterisiert werden. Zudem sind die maximale Auslauflänge der Lawine sowie die von ihr ausgeübte Druckwirkung als Kriterien der Lawinenbewegung bei der Gefahrenanalyse relevant. In der Lawinenfront beobachtet man die höchsten Geschwindigkeiten des Fließanteils, der Lawinenkörper ist durch ein typisches Schergeschwindigkeitsprofil charakterisiert, wobei die Geschwindigkeit mit zunehmender Höhe über dem Boden steigt. Typische Lawinengeschwindigkeiten sind in Tabelle 4.3 angegeben. Bei der Bewegung von Lawinen handelt es sich um hochkomplexe Verlagerungsprozesse, die nur mit vereinfachten physikalisch-mathematischen Modellen angenähert werden können. Lawinensimulationsmodelle sind zweifellos das objektivste Werkzeug, um die charakteristischen Kriterien der Lawinenbewegung (Geschwindigkeiten, Fließhöhen, Auslauflängen) für Planungsaufgaben zu bestimmen. Nach [226] können Lawinensimulationsmodelle in • statistisch-topographische Modelle und • physikalisch-dynamische Modelle eingeteilt werden. 44
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.19. Modell einer Mischlawine: Dargestellt sind der Schichtaufbau einer Mischlawine im Einwirkungsmodell, ein beispielhaftes Geschwindigkeits- und Dichteprofi l sowie die Kraft wirkungen
Je nach Lawinentypus gibt es eigene Modelle (z. B. für Fließ- oder Staublawinen). Ein großer Teil der physikalisch-dynamischen Modelle geht auf das Voellmy-FluidStoffgesetz, welches auf einer Kombination des Chezy-Reibungsterms mit der trockenen Reibung von Coulomb beruht, zurück. Beim immer noch gebräuchlichen Voellmy-Salm-Modell wird angenommen, dass die aus dem Anrissgebiet anfallende Durchflussmenge Q entlang der Lawinenbahn – mit Ausnahme des Auslaufgebietes, wo die Bewegung als Massenpunkt angenähert wird – konstant ist. Die Geschwindigkeit v0 berechnet sich im Anrissgebiet nach Gl. (10): (10) mit: d 0 . . . . Anrissmächtigkeit, in [m] ψ 0 . . . . Neigung des Anrissgebietes, in [°] ξ . . . . . Turbulente Reibung, in [m/s²] (zwischen 1000 für gleichmäßige Hänge bis 400 für stark kanalisierte Lawinen und Wald) μ . . . . . Trockene Reibung, in [-] (zwischen 0,155 für Großlawinen/trockene Fließlawinen bis 0,3 für Nassschneelawinen)
Daraus kann die Durchflussmenge Q ermittelt werden: (11) mit: B0 . . . . Anrissbreite, in [m]
45
Florian Rudolf-Miklau et al.
Tabelle 2.12. Übersicht über marktübliche Lawinensimulationsmodelle für Fließ- und Staublawinen (Auswahl), zusammengestellt nach [226] Modell
Typ Lawinenart
Hersteller
Web-Link
α-β-Modell
1-d Fließlawine
Norwegisches Geotechnisches Institut (NGI), für Österreich adaptiert BMLFUW (2009)
Auf Anfrage: http://www.ngi. no/en/
AVAL 1-D
1-d Fließlawine Staublawine
WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF Davos (Schweiz)
http://www.slf.ch/dienstleistungen/soft ware/aval1 d/ index_DE?redir=1
ELBA+
2-d Fließlawine
GeoExpert Research and Planning GmbH Wien (Österreich)
–
SAMOS AT
2-d Fließlawine Staublawine
AVL-List Graz und BMLFUW (Österreich)
–
RAMMS
2-d Fließlawine Staublawine
WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF Davos (Schweiz)
http://ramms.slf.ch/ramms/
Tabelle 2.12 gibt einen Überblick über die marktüblichen Lawinensimulationsmodelle. Detaillierte Grundlagen über die Modellierung fi nden sich beispielsweise in [211], ein umfassender Überblick über Lawinenmodelle ist in [226] enthalten. 2.6. Geologische Gefahren 2.6.1. Klassifizierung geologischer Gefahren Zu den geologisch bedingten Naturgefahren werden vor allem die gravitativen Massenbewegungen – wie Hangmuren, Stein-, Block- und Eisschlag, Fels- und Bergsturz und Erdfälle – gezählt. Weiters zählen dazu auch Hangbewegungsprozesse, die landläufig unter dem Begriff „Rutschungen“ subsumiert werden. Darüber hinaus zählen Erdbeben und Vulkanausbrüche zu den geologischen Naturgefahren. Vulkanausbrüche haben im Alpenraum keine Bedeutung, schwere Erdbeben treten jedoch in Gebirgsregionen – so auch in Österreich – regelmäßig auf. 2.6.2. Erdbeben 2.6.2.1. Charakterisierung Als Erdbeben werden messbare und teilweise auch wahrnehmbare Erschütterungen in der Erdkruste bezeichnet. Erdbeben entstehen durch dynamische Prozesse im Erdinneren. Eine Folge dieser Prozesse ist die Plattentektonik, also die Bewegung der Lithosphärenplatten. Besonders an den Plattengrenzen, wo sich verschiedene Platten auseinander (Spreizungszone), aufeinander zu (Kollisionszone) oder aneinander vorbei (Transformverwerfung) bewegen, bauen sich Spannungen innerhalb des Gesteins auf, wenn sich die Platten in ihrer Bewegung verhaken und verkanten. Wird die Scherfestigkeit der Gesteine überschritten, entladen sich diese Spannungen durch ruckartige Bewegungen der Erdkruste und es kommt zum tektonischen Beben. Auch in vulkanischen Zonen aufsteigendes Magma kann Erdbeben auslö46
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.20. Schema der Entstehung und Ausbreitung eines Erdbebens
sen. Erdbeben entstehen weiter auch beim Einsturz unterirdischer Hohlräume im Bergbau (Gebirgsschlag). Die beiden letzteren Formen erreichen in der Regel nicht die Stärke tektonische Erdbeben. Ein Großteil der durch ein Erdbeben freigesetzten Energie wird als Reibungswärme freigesetzt, nur etwa 1 % der Gesamtenergie wird in seismische Energie umgewandelt, die in Form von wellenförmigen Schwingungen nach allen Richtungen hin abgestrahlt wird. Die Schwingungsenergie hat im Epizentrum (an der Erdoberfläche, über dem Erdbebenherd, dem Hypozentrum) ihre größte Wirkung. Mit zunehmender Entfernung vom Hypozentrum nehmen die Bodenbewegung und die Intensität (Fühlbarkeits- und Schadenswirkung) ab (Abb. 2.20.). Bei den direkten Erdbebengefahren sind neben Schwingungen und Erschütterungen durch die Erdbebenwellen Verstellungen des Untergrunds entlang von definierten Störungen zu nennen. Als indirekte Erdbebengefahren können Bodenverflüssigung, Feuer, Tsunamis sowie Berg- und Felsstürze genannt werden. Letztgenannte Hangbewegungen sind insbesondere für Gebirgsräume in Zusammenhang mit Erdbeben relevant. Gebirgsräume sind typische Erdbebenregionen in der kontinentalen Kruste. Eine gewisse Erdbebentätigkeit gibt es im gesamten Alpenraum (Abb. 2.21). Dabei nimmt die Gefährdung deutlich von Norden nach Süden zu. Im Gebiet der Ostalpen ereignen sich die meisten Beben im Wiener Becken, im Mürztal und im Inntal. Der südliche Teil von Kärnten ist durch stärkere Erschütterungen in Norditalien und Slowenien mit betroffen. Laut ZAMAG33 werden vom Österreichischen Erdbe33 Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik 47
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.21. Karte der Erdbebengefährdung für den Alpenraum. Es zeigt sich ein deutliches, generelles Ansteigen der Erdbebengefährdung von den nördlichen und zentralen Teilen der Alpen zu den südlichen Bereichen und anschließenden Gebirgszügen in Italien, Slowenien und Kroatien. [Zeichnerische Umsetzung der Karte durch Helene Pfalz-Schwingenschlögl (Inst. für Angew. Geol., BOKU Wien) auf der Basis der Karten der seismischen Gefährdungsabschätzung für die D-A-CH Staaten (Deutschland D, Österreich A, Schweiz CH) – publiziert durch das HelmholtzZentrum GFZ in Potsdam (www.gfz-potsdam.de) und die Euromed Hazard Map (www.emsccsem.org)]
bendienst jährlich etwa 600 Erschütterungen mit Herd in Österreich registriert und dazu noch ca. 4000 Beben, die außerhalb aufgetreten sind. Erdbeben, die Gebäudeschäden verursachen, treten in Österreich nur in sehr unregelmäßiger Folge auf. Im 48
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
statistischen Mittel ereignet sich alle drei Jahre ein Erdbeben mit leichten Gebäudeschäden, alle 15 – 30 Jahre mit mittleren Gebäudeschäden und alle 75 –100 Jahre ein Erdbeben, das auch vereinzelt zu schweren Gebäudeschäden führen kann. 2.6.2.2. Wirkungskriterien Um Erdbeben miteinander vergleichen zu können, ist es notwendig, deren Stärke zu ermitteln. Da eine direkte Messung der freigesetzten Energie eines Erdbebens schon Tabelle 2.13. Europäische Makroseismische Skala („EMS-98“) (Intensitätsskala zur Bewertung der Erdbebenwirkung an der Erdoberfläche) EMSIntensität
Definition
Beschreibung der maximalen Wirkung
I
nicht fühlbar
Nicht fühlbar.
II
kaum bemerkbar Nur sehr vereinzelt von ruhenden Personen wahrgenommen.
III
schwach
Von wenigen Personen in Gebäuden wahrgenommen. Ruhende Personen fühlen ein leichtes Schwingen oder Erschütterungen.
IV
deutlich
Im Freien vereinzelt, in Gebäuden von vielen Personen wahrgenommen. Einige Schlafende erwachen. Geschirr und Fenster klirren, Türen klappern.
V
stark
Im Freien von wenigen, in Gebäuden von den meisten Personen wahrgenommen. Viele Schlafende erwachen. Wenige werden verängstigt. Gebäude werden insgesamt erschüttert. Hängende Gegenstände pendeln stark, kleine Gegenstände werden verschoben. Türen und Fenster schlagen auf oder zu.
VI
leichte Viele Personen erschrecken und flüchten ins Freie. Einige GegenGebäudeschäden stände fallen um. An vielen Häusern, vornehmlich in schlechterem Zustand, entstehen leichte Schäden wie feine Mauerrisse und das Abfallen von z. B. kleinen Verputzteilen.
VII
Gebäudeschäden Die meisten Personen erschrecken und flüchten ins Freie. Möbel werden verschoben. Gegenstände fallen in großen Mengen aus Regalen. An vielen Häusern solider Bauart treten mäßige Schäden auf (kleine Mauerrisse, Abfall von Putz, Herabfallen von Schornsteinteilen). Vornehmlich Gebäude in schlechterem Zustand zeigen größere Mauerrisse und Einsturz von Zwischenwänden.
VIII
schwere Viele Personen verlieren das Gleichgewicht. An vielen Gebäuden Gebäudeschäden einfacher Bausubstanz treten schwere Schäden auf; d. h. Giebelteile und Dachgesimse stürzen ein. Einige Gebäude sehr einfacher Bauart stürzen ein.
IX
zerstörend
Allgemeine Panik unter den Betroffenen. Sogar gut gebaute gewöhnliche Bauten zeigen sehr schwere Schäden und teilweise Einsturz tragender Bauteile. Viele schwächere Bauten stürzen ein.
X
sehr zerstörend
Viele gut gebaute Häuser werden zerstört oder erleiden schwere Beschädigungen.
XI
verwüstend
Die meisten Bauwerke, selbst einige mit gutem erdbebengerechtem Konstruktionsentwurf und -ausführung, werden zerstört.
XII
vollständig verwüstend
Nahezu alle Konstruktionen werden zerstört.
49
Florian Rudolf-Miklau et al.
allein auf Grund der Tiefenlage des Herdprozesses nicht möglich ist, wurden in der Seismologie verschiedene Erdbebenskalen entwickelt. Die Erdbebenauswirkungen an der Erdoberfläche werden mit Hilfe der so genannten Intensitätsskala bewertet. In den meisten Ländern, einschließlich Österreichs, wird eine 12-stufige Intensitätsskala verwendet, die auf Mercalli-Sieberg basiert und heute als Europäische Makroseismische Skala („EMS“) bezeichnet wird (Tabelle 2.13). Die Magnitude stellt ein logarithmisches Maß für die am Erdbebenherd freigesetzte Schwingungsenergie dar, die aus den Seismogrammen berechnet wird. Seit Beginn des Jahrhunderts werden Erdbeben auch instrumentell erfasst (Seismometer). Aus der Magnitude und der Herdtiefe eines Erdbebens können Seismologen die Auswirkungen des Erdbebens an der Erdoberfläche, d. h. die Intensität, abschätzen. Die unter Wissenschaft lern gebräuchlichste Magnituden-Skala ist heute die Momenten-Magnituden-Skala (auch: Richterskala). Unter Erdbebengefährdung versteht man die Wahrscheinlichkeit, mit der an einem bestimmten Standort eine gewisse Bodenbeschleunigung innerhalb eines definierten Zeitraums erreicht oder überschritten wird. Laut Eurocode 8 ist diese Überschreitungswahrscheinlichkeit mit 10 % in 50 Jahren festgelegt. Weiterführende Informationen über Erdbeben und deren Schadenwirkung auf Bauwerke finden sich beispielsweise in [14] [145] [205] [232]. 2.6.3. Steinschlag und Felssturz (Bergsturz) 2.6.3.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen Stürze sind Massenbewegungen im Fels, dazu zählen die Prozesse Stein-/Blockschlag, Felssturz und Bergsturz. Die Abgrenzung von Steinschlag und Felssturz ergibt sich aus der Anzahl der Sturzblöcke, die bei einem Ereignis zum Absturz gelangen. Die einzelnen Sturzprozesse werden laut Kienholz [126] wie folgt unterschieden: • Steinschlag/Blockschlag (Eisschlag34): Darunter versteht man das Fallen, Springen und Rollen von einzelnen, isolierten Steinen (ø < 0,5 m) und Blöcken (ø > 0,5 m). • Felssturz: Dies ist der Sturz einer Felsmasse, die während des Sturzes bzw. beim Aufprall in Blöcke und Steine fraktioniert wird, wobei die Interaktion zwischen den Komponenten keinen maßgeblichen Einfluss auf die Dynamik des Prozesses hat. • Bergsturz: Dies ist der Absturz sehr großer, im ursprünglichen Verband mehr oder weniger kohärenter Felsmassen unter Erreichung hoher Geschwindigkeiten, wobei der Transportmechanismus durch eine starke Wechselwirkung zwischen den Komponenten („Sturzstrom“) gekennzeichnet ist (Abb. 2.22.). Aufgrund der hohen bewegten Massen sind Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Fels- und Bergsturz weitgehend wirkungslos; die weiteren Ausführungen beziehen sich daher primär auf den Prozess Steinschlag. 34 Eisschlag folgt den gleichen Gesetzmäßigkeiten, die Sturzkomponenten bestehen jedoch aus gefrorenem Wasser. 50
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.22. Bergsturzereignis vom 18. April 1991 in Randa (Wallis) (© BAFU, Schweiz)
Am Beginn eines Steinschlagereignisses (Abb. 2.23 a) steht die Mobilisierung von Einzelblöcken aus anstehenden Felsbereichen oder aus dem Hangschutt. Für die Freisetzung von Steinen aus anstehenden Felsbereichen ist das Versagen des Felsgefüges erforderlich. Hierbei können die Versagensmechanismen Fallen, Kippen oder Gleiten auftreten (Abb. 2.23 b). Welcher dieser Mechanismen zum Versagen führt, hängt in erster Linie von der räumlichen Orientierung von Trennflächen im Festgestein (Bankungsfugen, Schieferungsflächen, Klüfte, Störungen) und deren Beziehung zur Hangoberfläche ab. Generell tragen verschiedene geologische und meteorologische Rahmenbedingungen dazu bei, dass die Auslösung von Steinschlag- und Felssturzereignissen begünstigt wird. Dazu zählen Frost-/Tauwechsel, Niederschlag, Starkwind, Erdbeben, Geologie-Lithologie (Gesteinsarten), geologische Trennflächen und deren Orientierung sowie fortschreitende Verwitterung der Gesteine und Zerlegung an Trennflächen. Die Neigung einer Felsböschung zur Entstehung von Steinschlagereignissen (Disposition) ist qualitativ über die Bestimmung von Verbandsfestigkeiten und Auflockerungsgrad sowie bei der Feststellung von aktiven Bewegungen (z. B. gespannte Wurzeln, bruchhaftes Versagen an Widerlagern) möglich, eine exakte Vorhersage von Ablösezeitpunkten ist laut [129] nur in sehr seltenen Fällen unter Heranziehung von meist aufwändigen Mess- und Überwachungseinrichtungen möglich. Häufig spielt auch der Wald eine entscheidende Rolle bei der Auslösung von Steinschlag. Wurzeln Bäume auf Fels, so dringen ihre Wurzeln in offene Klüfte und Spalten im Gestein ein und weiten diese sukzessive durch ihr Dickenwachstum auf. Bei Wind wird der gesamte Baum bewegt und die Wurzeln weiten durch die ständigen Hebelbewegungen des Baumes die Klüfte auf, was in weiterer Folge zu einer Auflockerung des Gesteins führt. Andererseits übt der Wald eine bedeutende Bremswirkung auf Steinschläge aus (Kollision der Steine mit Stämmen). Weiterführende Informationen über Sturzprozesse finden sich in [259], allgemeine Grundlagen der Ingenieurgeologie in [77] und [209].
51
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.23. Steinschlag: (a) Ablauf eines Steinschlagereignisses; (b) mögliche Ablösetypen von Steinschlagkomponenten; (c) Bewegungstypen; (d) Aufpralltypen
2.6.3.2. Wirkungskriterien und Prozessmodelle Der Prozess des Steinschlages und Felssturzes (Bergsturzes) wird maßgeblich von der Gravitation bestimmt. Nach erfolgter Ablösung der Gesteinskörper bewegt sich der Gesteinsblock rollend, springend oder gleitend talwärts (Abb. 2.23 c). Die folgenden Parameter sind für die verschiedenen Bewegungsarten bestimmend: • Rauigkeit des Untergrundes • Rollwiderstand beim Rollen • Tangentiale Dämpfung (beeinflusst den Austrittswinkel nach dem Bodenkontakt) und normale Dämpfung (bestimmt die Rückprallhöhe nach dem Bodenkontakt) beim Springen • Gleitreibungswinkel des Blockes auf dem Untergrund beim Gleiten In Abhängigkeit vom spezifischen Gewicht des Ausgangsgesteins und seiner Geschwindigkeit an einem definierten Punkt der Sturzbahn ergibt sich die Sturzenergie des Steinschlages aus der allgemeinen Gleichung der kinetischen Energie: (12) mit: m . . . . Masse der Sturzkomponente [kg] V . . . . . Volumen der Sturzkomponente [m³] ρ . . . . . mittlere Dichte der Sturzkomponente [kg/m³] v. . . . . .Geschwindigkeit [m/s]
52
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Die Dichte ρ von Festgesteinen kann laut [212] Werte von 1000 kg/m³ > ρ < 3200 kg/ m³ aufweisen. Typische Werte liegen im Bereich von 2600 kg/m³. Typische Geschwindigkeiten v eines Sturzblockes an Hängen mit mittleren Neigungen liegen im Bereich 20 – 30 m/s. Im Zuge des Sturzprozesses kommt es bei jedem Bodenkontakt zu einer Interaktion des Blockes mit dem Untergrund. Durch die Dämpfungseigenschaften des Untergrundes kommt es zur Umwandlung von kinetischer Energie in Verformungsenergie, dem Sturzblock wird sukzessive Geschwindigkeit und damit Energie entzogen (Abb. 2.23 d). Ist die Wirkung der gravitativen Beschleunigung geringer als die der Dämpfung, wird der Sturzblock über seinen Sturzverlauf langsamer und bleibt am Hang liegen. Hierbei spielt auch die Beziehung zwischen der Blockgröße und der Rauigkeit des Untergrundes eine große Rolle. Die Rauigkeit des Untergrundes zeigt dann die größte Wirkung, wenn sie mit der Blockgröße korrespondiert (Eierkartoneffekt). Für eine grobe Abschätzung von maximalen Reichweiten von Steinschlagereignissen kann ein Pauschalgefälleansatz herangezogen werden. Hierbei wird der Winkel aus der Horizontalen vom obersten Ende der Schutthalde aus nach unten gemessen (Abb. 2.24.). Laut [260] befinden sich Bereiche, die innerhalb des „Schattenwinkels“ von ca. 26° liegen, potentiell im Gefährdungsbereich von Steinschlagprozessen. Reichweiten von Bergstürzen können wesentlich flachere Pauschalgefälle annehmen und dementsprechend größere Reichweiten haben (vgl. dazu [24]). Es stehen heute zahlreiche physikalische Modelle zur Verfügung, mit welchen Sturzprozesse simuliert und die für die Einwirkung auf Bauwerke entscheidenden Kriterien (Geschwindigkeit, Energie, Flughöhe) bestimmt werden können. Entscheidend für die Qualität der Sturzberechnungen ist neben einem adäquaten Modellierungsansatz auch die richtige Erfassung der maßgeblichen Faktoren. Die Methodik der dafür erforderlichen Felderhebungen wird in der ONR 24 810 [194] normativ geregelt werden.
Abb. 2.24. Geometrisches Gefälle (α) und Schattenwinkel (β), nach [144].
53
Florian Rudolf-Miklau et al.
Tabelle 2.14. Übersicht über marktübliche Steinschlagsimulationsprogramme (Auswahl) Modell
Typ Hersteller
Web-Link
RockFall 7.1
1-d Dr. Spang, Ingenieurgesellschaft für http://www.dr-spang.de/rockfall/ Bauwesen, Geologie und Umwelt- rockfall.html technik, Witten (D)
RockyFor
3-d Dorren und Berger (2005)
http://www.ecorisq.org/de/products_ de.html
Stone
3-d Guzzetti et al. (2002)
http://damocles.irpi.cnr.it/deliverables/ stone/stone.htm
Mit detaillierten Geländeuntersuchungen und hoch entwickelten Modellen können heute qualitativ befriedigende Bestimmungen der Energien (Translations- und Rotationsenergie) und der Flughöhen erreicht werden. Diese unterliegen jedoch einer Streubreite bedingt durch örtlich stark wechselnde Aufprallbedingungen. 2-d-Simulationsprogramme generieren deshalb eine größere Anzahl von möglichen Flugbahnen, womit statistische Häufigkeitsverteilungen von Flughöhen und Energien ermittelt werden können. Neuerdings stehen auch 3-d-Modelle, mit welchen Trajektorien in einer Geländetopographie räumlich generiert werden können, zur Verfügung. Pauschalgefälleansätze, wie sie teilweise noch für Gefahrenhinweiskarten angewendet werden, sind für die Festlegung von Einwirkungen auf Bauwerke ungenügend. Tabelle 2.14 gibt einen Überblick über marktübliche Simulationsprogramme. Die in Abb. 2.25 dargestellten Energie- und Sprunghöhenverteilungen werden auf Basis des Bemessungsblockes erstellt. Der Bemessungsblock besitzt eine repräsentative Blockgröße. Laut ONR 24 810 [194] ist die charakteristische Bemessungsblockgröße VBB als Fraktilwert aus der Blockgrößenverteilung in Abhängigkeit von der Ereignisfrequenzklasse laut Tabelle 2.15 zu entnehmen. Die Blockgrößenverteilung wird gutachterlich festgelegt. Die Vorgehensweise kann der ONR 24 810 entnommen werden. Aus der Energieverteilung am Bauwerk (= Einwirkungs-Energieverteilung) wird der charakteristische Wert der Energieeinwirkung EE,k als 99 %-Fraktil entnommen. Aus der Sprunghöhenverteilung wird der charakteristische Wert der Sprunghöhe bis zur Oberkante des Bemessungsblockes hE,k als 95 %-Fraktil entnommen. Weiterführende Informationen über die Modellierung von Sturzprozessen finden sich beispielsweise in [62]. Tabelle 2.15. Ereignisfrequenzklasse und zugeordnete Ereignishäufigkeiten und Fraktilwerte der Bemessungsblockgrößenverteilung; aus ONR 24 810 [194] Ereignisfrequenz- zugeordnete Ereignishäufigkeit n klasse [1/a] EF 1
zugeordnetes Fraktil der Bemessungsblockgrößenverteilung
n < 0,03 ( < 1 Ereignis/30 a)
V95
EF 2
0,03 ≤ n < 1 (1 Ereignis/1 bis 30 a)
V96
EF 3
1 ≤ n < 10 (1 bis 10 Ereignisse/a)
V97
EF 4
n ≥ 10 (≥ 10 Ereignisse/Jahr)
V98
54
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.25. Simulation von Steinschlägen (1 d) mit dem Modell RockFall, generiert eine Häufigkeitsverteilung von Sturzenergien und Sprunghöhen (© Michael Mölk).
2.6.4. Rutschungen und Hangbewegungen 2.6.4.1. Charakterisierung und Auslösemechanismen Wie alle anderen geologisch bedingten Massenbewegungen sind auch Rutschungen i. w. S. bruchhafte und/oder bruchlose, unter der Wirkung der Schwerkraft hangabwärts gerichtete Verlagerungen von Festgestein (= Fels) und/oder Lockergestein (= Tone, Sande, Kiese etc. sowie deren Gemische). Bei der Gefahreneinstufung und Gefahrenbeurteilung von Rutschungen i. w. S und den sich daraus ergebenden raumplanerischen und in Hinblick auf den Gebäudeschutz abzuleitenden Maßnahmen ist nach [6] zwischen kontinuierlichen (permanenten)35 und spontanen36 Rutschprozessen zu unterscheiden. Basierend auf Kriterien wie Bewegungsmechanismen, Materialzusammensetzung, Geschwindigkeit der Prozesse oder Auslösemechanismen bestehen zahlreiche Modelle zur Klassifikation. Rutschungen i. w. S. umfassen ein breites Spektrum von Rutschtypen und -mechanismen, einschließlich Kombinationen davon: • Rutschungen i. e. S. (= Gleitungen) • Hangmuren • Kriechende Hangbewegungsprozesse (Erd-/Schuttströme, Talzuschub, Sackungen) 35 Permanente Rutschungen (kontinuierliche Rutschungen) sind Rutschungen, die sich über einen langen Zeitraum hinweg gleichmäßig hangabwärts bewegen. Die Bewegungen erfolgen entweder längs mehr oder weniger deutlich ausgebildeter, bestehender Gleitflächen oder längs bestehender Zonen verstärkter Scherdeformation. Hangkriechen wird zur Gruppe der permanenten Rutschungen gezählt, wobei über lange Zeiträume eine anhaltende, langsame Verformung im Lockergestein oder Fels erfolgt. 36 Bei spontanen Rutschungen gleiten Locker- und oder Festgesteine infolge einer plötzlichen Auslösung und unter Ausbildung einer Bruchfläche (=Gleitfläche) relativ schnell ab. Bei spontanen Rutschungen bildet sich stets eine neue Gleitfläche, was bei permanenten Rutschungen nicht der Fall ist. Hangmuren gehören in die Kategorie der spontanen Rutschungen. 55
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.26. Darstellung der morphologischen Merkmale von Rutschungen: (A) Rotationsrutschung; (B) Translationsrutschung (nach [43])
Rutschungen i. e. S. weisen eine Vielfalt von Erscheinungsformen auf. Unter diesem Begriff werden hangabwärts gerichtete Bewegungen von Hangteilen (Fels- und/ oder Lockergesteinsmassen) an Böschungen überwiegend an Gleitflächen oder verhältnismäßig geringmächtigen Zonen intensiver Scherverformungen verstanden. Nach der Geometrie der Gleitflächen kann man folgende Typen unterscheiden: • Rotationsrutschungen: Nach [131] versteht man darunter eine Bewegung von Fels- und/oder Lockermassen auf einer oder mehreren erst im Augenblick des Bruches entstehenden, konkav gekrümmten37 Gleitflächen. Rotationsrutschungen bilden sich hauptsächlich in homogenen, tonigen und schluffigen Lockergesteinen aus (Abb. 2.26.A). • Translationsrutschungen sind durch Bewegungen entlang mehr oder weniger ebener oder schwach gewellter Flächen gekennzeichnet. In Translationsrutschungen gleiten Fels- und/oder Lockermassen auf einer bestehenden Schwächezone (= präformierten Gleitfläche38) ab (Abb. 2.26.B). 37 Die Rutschmasse rotiert dabei um eine hangparallele Achse. 38 Als präformierte Gleitfläche kann jede Heterogenitäts- oder Diskontinuitätsfläche im Hang in Frage kommen (Schichtflächen, Kluft flächen, Störungsflächen, Wechsel in der Zusam56
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.27. Auft reten von Hangmuren infolge Starkregens (© WLV)
Kriechprozesse (z. B. Hangkriechen) sind über lange Zeiträume anhaltende, langsame Verformungen im Lockergestein oder Fels. Dabei finden bruchlose, kontinuierliche Verformungen und/oder ein diskontinuierliches Kriechen mit Gleitvorgängen auf zahlreichen Kleinsttrennflächen statt. Phänomene wie Talzuschub und Bergzerreißung sind Formen von tiefgründigen Kriechbewegungen, die oft eiszeitlich angelegt wurden, heute jedoch zumeist inaktiv und abgeklungen sind. Erd-/Schuttströme sind nach [64] „plastische bis dünnbreiige Massen, die sich in Hangeinschnitten oder Hangmulden unmerklich langsam bis mäßig schnell abwärts bewegen“. Je nachdem, ob die Kies- bis Steinfraktion in der Masse zurücktritt oder überwiegt, spricht man von einem Erd- oder einem Schuttstrom. Die Bewegungsgeschwindigkeit derartiger Hangbewegungen hängt nach [29] von der Neigung des Einzugsgebietes, von der Materialbeschaffenheit (Ton-, Sand- oder Kalkgehalt), von der Form des Querschnittes und vor allem vom Grad der Durchfeuchtung ab. Im Unterschied zu Murgängen, die sich in einem definierten Gerinne talwärts bewegen, treten Hangmuren in Hängen und Böschungen auf (Abb. 2.27). Bei Hangmuren handelt es sich nach [136] um rasch ablaufende, spontane Hangbewegungen, die aus einem abfließenden Gemisch aus Lockergestein (oft nur Boden und Vegetationsbedeckung) und Wasser bestehen. Deren Auslösung wird durch eine äußerst starke Durchnässung hervorgerufen. Wasser spielt als treibende Kraft eine entscheidende Rolle (z. B. Porenwasserüberdrücke, Sickerströmungen, innere Erosion). Hangmuren treten bevorzugt an steilen Hängen auf, deren Untergrund von mäßig durchlässigen Lockergesteinen (z. B. Moränenmaterial, Feinkorn dominierte Hangumlagerungsdecken) aufgebaut wird. Quellaustritte und Vernässung begünstigen das mögliche Auftreten von Hangmuren. Rutschungen i. w. S. sind in ihrer Entstehung sehr komplex; ihre Auslösung beruht selten auf nur einer Ursache. Sie treten auf, wenn das Kräftegleichgewicht im mensetzung der Bodenschichten, Zonen unterschiedlicher Scherfestigkeiten in Schichtgesteinen oder an der Grenze Fels/Deckschichten). 57
Florian Rudolf-Miklau et al.
Hang von rückhaltenden und treibenden Kräften infolge physikalischer Prozesse ungünstig verändert wird. Derartige Prozesse können langfristig wirksame Verwitterungsvorgänge, Schwankungen des Grundwasser- oder Bergwasserspiegels oder veränderte Porenwasserdrücke sein. Ein Hang kann auch kurzfristig destabilisiert werden, zum Beispiel infolge der Erosion des Hangfußes durch ein Fließgewässer, starke Niederschläge oder durch ein Erdbeben. Nicht selten werden Hanginstabilitäten durch anthropogene Einflüsse begünstigt (Hanganschnitte, Erhöhung des Hangwasserspiegels, Entwaldung etc.). Weiterführende Informationen über Rutschungen und Hangbewegungen finden sich in beispielsweise [48], [82] und [229]. 2.6.4.2. Wirkungskriterien und Prozessmodelle Die Bewegungsraten von (aktiven permanenten) Rutschungen i. w. S. sind meist stärkeren Schwankungen unterworfen. Phasen scheinbarer Ruhe wechseln mit Phasen stärkerer Bewegung ab. Dies gilt im besonderen Maß für Erd- und Schuttströme, wo der Kriechprozess (Bewegungsraten von cm–dm /Jahr) in ein Fließen mit Bewegungsraten von dm–m/Tag übergehen kann. Im Extremfall kann eine schnelle Beschleunigungsphase einen spontanen Prozesswechsel bewirken. So kann aus einer aktiven Rutschung plötzlich eine Hangmure ausbrechen. Geschwindigkeitsänderungen39 sind somit ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung des Gefahrenpotentials von Rutschungen.
Abb. 2.28. Schematische Darstellung des räumlich-zeitlichen Bewegungsverhaltens von Rutschungen (Beispiele); nach [29] 39 Die Geschwindigkeitsänderung kann im Extremfall von Null auf einige Zentimeter bis Meter pro Jahr anwachsen. Zu den schnellsten in Österreich überwachten Rutschungen zählen die „Rutschung Rindberg“ (1999) (Abb. 2.29) und die „Rutschung Doren“ (2007) mit bis zu 5 Metern pro Tag. 58
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.29. Die nach mehreren Jahrhunderten Ruhe im Jahr 1999 wieder aktiv gewordene Großhangbewegung Rindberg (© WLV Vorarlberg)
Rutschungen werden gemäß Vorschlag der Abteilung Gefahrenprävention des Schweizer Bundesamtes für Umwelt (BAFU) nach Aktivität klassifiziert [29]. Dies ermöglicht eine bessere Gefahrenbeurteilung von derzeit aktiven Rutschungen: • Substabil, sehr langsam: 0 – 2 cm/Jahr Bewegungsrate • Wenig aktiv, langsam: 2 –10 cm/Jahr Bewegungsrate • Aktiv: > 10 cm / Jahr Bewegungsrate In Abb. 2.28 werden die räumlich und zeitlich variablen Bewegungsmuster dargestellt. Die Bewegungen können sowohl vertikal als auch lateral graduell oder sprunghaft variieren. Entsprechend den sich verändernden Aktivitätsphasen von permanenten Rutschungen werden folgende zeitliche Einstufungen unterschieden: • Als aktiv wird eine Rutschung i. w. S. eingestuft, wenn sie sich gegenwärtig in Bewegung befindet. Die Verschiebungsraten können dabei sehr klein sein (wenige mm/Jahr). • Rutschungen, die sich mehrere Jahre nicht bewegen, sind inaktiv. • Wechselt eine Rutschung von einer inaktiven in eine aktive Phase, so spricht man von einer reaktivierten Rutschung. Normalerweise bewegen sich reaktivierte Rutschungen entlang einer bereits existierenden Gleitfläche. Nach der Tiefenlage der Gleitfläche werden nach [29] folgende Rutschungstypen unterschieden: • oberflächlich (0 – 2 m) • mitteltief (2 –10 m) • tief (10 – 30 m) • sehr tief ( > 30 m) Weiterführende Informationen über die Modellierung von Rutschungsprozessen finden sich in [112] und [230]. 2.6.5. Erdfälle Eine Sonderform der geologisch bedingten gravitativen Massenbewegungen stellen Erdfälle dar (Abb. 2.30). Es handelt sich dabei um Einbruchsenken der Erdoberflä59
Florian Rudolf-Miklau et al.
Abb. 2.30. Schematische Darstellung von Erdfällen; nach Kirsch et. al. [126]
che. Erdfälle können länglich oder rundlich sein, wobei die Erstreckung von wenigen Metern bis zu mehreren Kilometern (im Karst) auftreten kann. Für die Entstehung von geologisch bedingten Erdfällen können zwei Ursachen verantwortlich sein, wobei in beiden Fällen dem Wasser im Untergrund als Bergoder Grundwasser40 besondere Bedeutung zukommt: • Erdfälle in Folge von Auslaugung von wasserlöslichen Gesteinen41 • Erdfälle in Folge von Ausspülung von Lockergesteinen (= Suff usion) • Eine durch menschliche Aktivitäten ausgelöste Form von Erdfällen und Bodensenkungen ist auf Einsturz von künstlich geschaffenen Hohlräumen im Untergrund (Bergwerksanlagen etc.) zurückzuführen (z. B. Oberösterreichisches Kohlerevier, Grubenunglück Lassing/Steiermark).
40 Berg- und Grundwasser spielt bei Lösungs- und Erosionsvorgängen im Untergrund eine dominierende Rolle. Die Beschaffenheit des Wassers (Säureanteil) sowie die Zusammensetzung des Materials bestimmen Größe, Form und Ausdehnung der Hohlräume. 41 Stark wasserlösliche Gesteine sind zum Beispiel Salz und Gips sowie (untergeordnet in unseren Breiten) Kreide. Kalkstein ist ebenfalls wasserlöslich, was zu den bekannten Karstphänomenen – wie Dolinen, Uvalas oder Poljen – führen kann. 60
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
2.7. Meteorologische Gefahren 2.7.1. Klassifizierung meteorologischer Gefahren Zu den für Bauwerke relevanten meteorologischen Gefahren zählen Sturm, Starkniederschlag, Hagel und Blitzschlag. Es besteht eine enge Wechselwirkung zwischen Gebirgsräumen und diesen extremen meteorologischen Prozessen. Generell wirken Gebirge verstärkend auf meteorologische Phänomene und führen zu einer stärkeren räumlichen Differenzierung. Gebirge stellen für Luftströmungen ein Hindernis dar. Luftmassen werden dadurch gezwungen, die Gebirgszüge zu umströmen oder durch Hebungsvorgänge zu überströmen. Ersteres führt zu bekannten Windsystemen an den Rändern der Gebirge wie etwa den Mistral oder die Bora, bei einer Überströmung kommt es ebenfalls zu typischen Windsystemen wie dem Föhn. Windgeschwindigkeiten können durch Kanalisierungs- und turbulente Prozesse höhere Spitzen erreichen, Luv-/Lee-Effekte modifizieren massiv die Niederschlagsverteilung im Gebirge. Noch wichtiger ist jedoch die Auswirkung auf den Starkniederschlag. Die Hebung der feuchten Luft führt zu Starkregen an der Luvseite der Gebirge (Staulagen). Zusätzlich treten in Gebirgsräumen gehäuft und verstärkt Gewitter auf, welche kleinräumig zu extrem hohen Niederschlägen (Starkniederschlägen), Blitzschlag, Hagel und lokal hohen Windgeschwindigkeiten (Sturm) führen können. Nachfolgend werden die für den Gebäudeschutz in Österreich relevanten Naturgefahren Sturm, Starkniederschlag (Starkregen, Hagel) und Gewitter (Blitzschlag) behandelt. 2.7.2. Sturm Als Sturm werden Winde mit Geschwindigkeiten von mindestens 20,8 m/s (74,9 km/h) oder 9 Beaufort (Beaufortskala: Tabelle 2.16) bezeichnet. Ein Sturm mit einer Windgeschwindigkeit von mindestens 32,7 m/s (117,7 km/h) oder 12 Beaufort wird als Orkan bezeichnet. Erreicht der Wind nur kurzzeitig (für wenige Sekunden) Sturmstärke, so spricht man von einer Sturmböe. Je nachdem, was ein Sturm aufwirbelt bzw. womit er zusammen auftritt, werden Schneestürme, Hagelstürme, Sandstürme (Buran) oder Staubstürme unterschieden. In Gebirgen entstehen Föhnstürme als Trockenwindereignis. Auch bei den Stürmen muss man weiters zwischen großräumigen Stürmen, welche durch großräumige Tiefdruckgebiete erzeugt werden und kleinräumigen Starkwinden in Zusammenhang von Gewittern unterscheiden. Das für Europa wichtigste Entstehungsgebiet von großflächigen Stürmen ist der Atlantik. Nach Mitteleuropa dringen diese Stürme nur im Winter, und da meist schon abgeschwächt, vor. Dennoch haben atlantische Stürme ein hohes Schadenspotenzial, da sie riesige Gebiete betreffen können. Gebirge spielen bei atlantischen Stürmen eine untergeordnete Rolle, lokal können aber Kanalisierungseffekte eine gewisse Rolle spielen. So erreichen atlantische Stürme in Österreich meist ihre höchsten Windgeschwindigkeiten im Donautal, da hier eine Kanalisierung durch die Alpen und die Böhmische Masse (Bayerischer und Böhmerwald) erfolgt. Im Alpenraum kann der Föhn extreme Windgeschwindigkeiten verursachen. Am Alpenhauptkamm können bei Föhn Windgeschwindigkeiten über 200 km/h erreicht werden und selbst im Inntal werden häufig Werte über 120 km/h gemessen. 61
Florian Rudolf-Miklau et al.
Tabelle 2.16. Beaufortskala zur Abschätzung der Windstärke anhand der Auswirkungen. Beaufort- Bezeichnung Grad
1)
Mittlere Windgeschwindigkeit1)
Beispiele für die Auswirkungen des Windes im Binnenland
m/s
km/h
0
Windstille
0 – 0,2
25
leichte Schäden an Pflanzen, Getreide
H2 – TORRO2
spürbarer Schaden
10 bis 20
> 125
deutliche Schäden an Früchten, Getreide und Bodenpflanzen
H3 – TORRO3
ernste Schäden
20 bis 30
> 275
Schäden an Glas- und Plastikkörpern, Risse an Holz und Anstrichen
H4 – TORRO4
schwere Schäden
25 bis 40
> 450
verbreitete Glasschäden und Schäden an Kfz-Karosserien
H5 – TORRO5
zerstörend
30 bis 50
> 650
Ausgedehnte Glasbrüche, Schäden an Ziegeldächern, hohe Verletzungsgefahr
H6 – TORRO6
zerstörend
40 bis 60
Flugzeughüllen werden zerbeult, Ziegelmauern abgeschlagen
H7 – TORRO7
vernichtend
50 bis 75
schwere Dachschäden, Gefahr schwerer Körperverletzungen
H8 – TORRO8
vernichtend
60 bis 90
schwerste Schäden auch bei Flugzeugen
H9 – TORRO9
außergewöhnlicher Schadenshagel
75 bis 100
schwerste Bauwerks- und Konstruktionsschäden, schwere Verletzungen bei Aufenthalt im Freien
> 100
schwerste Bauwerks- und Konstruktionsschäden, schwere Verletzungen bei Aufenthalt im Freien
H10 – TORRO10 extrem außergewöhnlicher Schadenshagel
Durchmes- Geschätzte Schadensausmaß ser Hagelkinetische korn [mm] Energie [J/m²] kein Schaden
witterwolken bzw. innerhalb einer Gewitterzelle durch unterkühltes Wasser, das an Kristallisationskernen zu Eis gefriert. Die in der Gewitterwolke erzeugten, starken Aufwinde (20 bis 30 m/s) sind ein weiterer wichtiger Faktor für die Hagelbildung, denn die Gefrierungsprozesse haben eine stetige Massenzunahme der Partikel zur Folge. Die Meteorologen in Österreich verwenden zur Klassifizierung von Hagelkorngrößen die Torro-Hagelskala42. Da diese Skala jedoch überschneidende Bereiche aufweist, die für eine Normierung nicht verwendbar sind, unterscheidet in der Schweiz der VKF43 in der Hagelwiderstand-Skala (HW-Skala) fünf Intensitätsklassen, die von 42 http://www.torro. org.uk/site/hscale.php 43 Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen 65
Florian Rudolf-Miklau et al.
Tabelle 2.18. Hagelwiderstands-Skala, aus [245] Hagelwiderstand
Durchmesser Hagelkorn [mm]
Masse [g]
Geschwindigkeit [m/s]
Klassengrenze der kinetischen Energie [J/m²]
HW 1
10
0,5
13,8
0,04
HW 2
20
3,6
19,5
0,7
HW 3
30
12,3
23,9
3,5
HW 4
40
29,2
27,5
11,1
HW 5
50
56,9
30,8
27,0
kleinem Hagel unter 5 mm Durchmesser bis zu großem Hagel von 50 mm Durchmesser reichen (Tabelle 2.18). Die HW-Skala wird neben der Schadensbeschreibung für die Klassifizierung des Widerstandes von Bauteilen gegen Hagel verwendet. Das Gewicht der Körner variiert entsprechend zwischen 0,1 g und mehr als 0,5 kg. Zu Schäden an Autos, Glasscheiben und Zelten kommt es ab einem Durchmesser von etwa 2 cm, was Fallgeschwindigkeiten von etwa 70 km/h entspricht. Kleiner Hagel fällt langsamer (ca. 35 km/h), außergewöhnlich großer Hagel kann dagegen Geschwindigkeiten von über 150 km/h erreichen. Da Hagel nur in Kombination mit Gewittern vorkommt, kann die Blitzdichtekarte (siehe Abb. 2.33) auch als Indikator für Hagelgebiete verwendet werden. Ähnlich wie beim Tornado sind jedoch auch beim Hagel besonders intensive Gewitter notwendig, welche verstärkt im Alpenvorland und in den alpinen Becken anzutreffen sind. Im Jahr 2007 wurde auf Basis der Unwetterchronik der ZAMG eine Hagel-
Abb. 2.32. Hagelrisikokarte Österreich für den Zeitraum 1985 bis 2009. Dargestellt sind 292 Hagelschläge in 162 PLZ-Gemeinden. Hell hervorgehoben sind jene Gemeinden, in denen Ereignisse mit einer Intensität von H4 und höher aufgetreten sind (insgesamt 164 Ereignisse) (© ZAMG, BMLFUW, VVO) 66
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Abb. 2.33. Mittlere Blitzdichte in Mitteleuropa für den Zeitraum 2000 bis 2007. (© EUCLID; www.euclid.org)
risikokarte für Österreich erstellt (Abb. 2.32). Hagelschläge, die größeren Schaden an Industrieobjekten44 verursacht haben, wurden nach der Hagelschadensskala eigestuft und grafisch dargestellt. Weiterführende Informationen über Gewitter und Hagel finden sich beispielsweise in [130]. 2.7.4.2. Blitzschlag Ein Blitz ist in der Natur eine Funkenentladung oder ein kurzzeitiger Lichtbogen zwischen Wolken oder zwischen Wolken und der Erde. Blitze treten während eines Gewitters infolge einer elektrostatischen Aufladung der wolkenbildenden Wassertröpfchen oder Regentropfen auf. Grundvoraussetzung für die Entstehung von elektrischer Ladung sind kräftige Aufwinde innerhalb einer nach oben wachsenden Cumuluswolke, die bis zu 150 km/h erreichen können. Blitze können auch – je nach Polarität der elektrostatischen Aufladung – von der Erde ausgehen. Ein Blitz ist ein Potenzialausgleich innerhalb der Wolke (Wolkenblitz) oder zwischen dem Erdboden und dem unteren Teil der Wolke (Erdblitz). Für Blitze zwischen der Wolke und der Erde muss der Potentialunterschied (die Spannung) einige 10 Millionen Volt betragen. Im Durchschnitt bilden vier bis fünf Hauptentladungen einen Blitz. Die Stromstärke einer Hauptentladung kann bis zu 200 000 Ampere betragen45. An der Stelle, wo der Blitz in den Boden geht (oder aus ihm heraus), bildet sich ein starkes Spannungsfeld (hohes Potential), das von der Stelle des Einschlags nach außen hin trichterförmig abnimmt und sich in das Erdreich kegelförmig spitz fortsetzt. Fläche, Tiefe und Potential des Kegels sind z. B. abhängig von der Stärke des Blitzes, der Bodenbeschaffenheit und Feuchtigkeit. 44 Unter Industrieschäden werden Hagelschäden an Fenstern, Glashäusern, Kraftfahrzeugen sowie Immobilien mit Schäden an Dächern und Fassaden verstanden. 45 Der Durchschnitt liegt meist zwischen 30 000 und 50 000 Ampere. 67
Florian Rudolf-Miklau et al.
Um die Blitzhäufigkeit (Anzahl der Blitzereignisse) vergleichbar zu erfassen und die Blitzgefahr abzuschätzen, ermittelt man die Blitzdichte in Ereignissen (Flashes) je Quadratkilometer (Abb. 2.33.). Seit Entwicklung der elektromagnetischen Blitzortung ist die Blitzdichte heute exakt messbar. Die Ergebnisse sind auf diversen Internetseiten als Blitzkarten erhältlich, wie sie zum Beispiel BLIDS von der Siemens AG (Deutschland) oder das österreichische System ALDIS und andere Mitglieder von EUCLID (European Cooperation for Lightning Detection) bieten. Blitze können zu direkten Schäden an Gebäuden führen oder Brände auslösen. Weiters sind Personen – insbesondere im freien Gelände und in der Nähe von metallischen Konstruktionen – duch Blitzschlag gefährdet. Im österreichischen Bundesgebiet kann man von einer mittleren bis teilweise erhöhten Blitzgefährdung ausgehen, die sämtliche installierte Anlagen risikotechnisch betreffen. Laut der Brandschadenstatistik von Oberösterreich [193] sind jährlich zwischen 10 % und 20 % aller entstandenen Brandschäden auf das Risiko Blitzschlag zurückzuführen. Hier ist zu erwähnen, dass die Brandschadenstatistik nur jene Schäden auflistet, welche auch wirklich einen Brand zur Folge hatten. Blitzschläge führen jedoch nur im Ausnahmefall zu einem Brand. Jedoch fast jeder Blitzeinschlag führt zu Schäden oder Fehlern in elektrischen Anlagen. Dies belegt auch die zuletzt im Jahr 2006 veröffentliche Schadensstatistik des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) [78] im Haushaltsversicherungsbereich. Weiterführende Informationen über Blitzschlag finden sich beispielsweise in [130] und [213]. 2.8. Feuergefahren (Waldbrand, Buschbrand) Neben dem Blitzschlag treten vor allem Wald- und Buschbrände als Feuergefahren für Bauwerke in Erscheinung. Ein Waldbrand ist als Brand in bewaldetem Gebiet definiert. Wenn keine geeignete Brandbekämpfung erfolgt, entwickeln sich Waldbrände schnell zu Flächenbränden. Waldbrände entstehen meist während Trockenperioden und stellen wegen ihrer hohen Ausbreitungsgeschwindigkeit eine große Gefahr für menschliche Siedlungen dar. Weltweit lassen sich nur etwa 4 Prozent aller Waldbrände auf natürliche Ursachen (Blitzschlag, Selbstentzündung) zurückführen. Der Rest entfällt auf vorsätzliche Brandstiftung (Brandrodung, Brandstiftung, etwa um Bauland in einem Naturschutzgebiet zu gewinnen) oder Fahrlässigkeit (Unachtsamkeit, beispielsweise durch „wilde“ Lagerfeuer, weggeworfene Zigaretten oder Streichhölzer). Ein Waldbrand durchläuft in der Regel drei Phasen. Er beginnt als Lauffeuer am Boden, das sich noch leicht bekämpfen lässt. Dieses Lauffeuer kann, besonders bei Nadelgehölzen, auf die Baumwipfel überspringen, was zu dem so genannten Wipfelfeuer und zur schnellen Brandausbreitung führt. Wipfelfeuer lassen sich deutlich schwerer bekämpfen als Bodenfeuer und wachsen sich leicht zur dritten Stufe, dem Totalbrand, aus, welcher so gut wie nicht gelöscht werden kann. Die Gefahr durch Waldbrand kann in Waldbrandgefahrenindizes oder Waldbrandgefahrenklassen ermittelt werden und wird teilweise als Waldbrandwarnstufe veröffentlicht. Nach der internationalen Gefährdungseinteilung gibt es fünf 68
2. Naturgefahrenprozesse und -szenarien
Stufen, wobei Stufe 5 die höchste Gefährdung anzeigt. Der Waldbrandgefahrenindex „M-68“ des Deutschen Wetterdienstes berücksichtigt als meteorologische Eingangsgrößen den Mittagswert der Lufttemperatur, der relativen Luftfeuchte und der Windgeschwindigkeit sowie die 24-stündige Niederschlagssumme und die morgendliche Schneehöhe (nur im Frühjahr). Als Ergebnis werden örtlich bezogene Gefährdungsstufen 1 bis 5 berechnet: 1 (sehr geringe Gefahr), 2 (geringe Gefahr), 3 (mittlere Gefahr), 4 (hohe Gefahr), 5 (sehr hohe Gefahr). Waldbrände können schwere Schäden und Zerstörung an Gebäuden verursachen, wenn sie in der Nähe von Wohngebieten eintreten. Gebäudebrände entstehen durch das direkte Übergreifen der Flammen oder durch Funkenflug bei starkem Wind (Folgebrände). Weiterführende Informationen zu Waldbränden finden sich beispielsweise in [128].
69
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Jürgen Suda, Markus Holub, Johannes Hübl, Wolfgang Jaritz, Hans Starl, Florian Rudolf-Miklau
3.1. Definitionen und Anwendungsbereich 3.1.1. Gefährdungsbilder Gebäude sind – je nach deren Lage – unterschiedlichen Naturgefahren ausgesetzt (siehe Kapitel 2). Um die Summe der Gefahren für ein bestimmtes Gebäude abzuschätzen, werden Gefährdungsbilder erstellt. Laut Schneider/Schlatter [231] beschreiben Gefährdungsbilder das räumliche und zeitliche Zusammenwirken unterschiedlicher Gefahren. Ein Gefährdungsbild enthält die Art der Gefahren, deren Wirkungsweise sowie deren Auswirkungen (z. B. Schäden) auf das Gebäude. Eine ganzheitliche Betrachtung ist erforderlich, da durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Gefahren Situationen entstehen, deren kumulative Wirkung erheblich gefährlicher ist als beim isolierten Auftreten jeder einzelnen Naturgefahr. Tabelle 3.1. Matrix zur Ermittlung eines Gefährdungsbildes für Gebäude (basierend auf Schneider/Schlatter [233])
71
Jürgen Suda et al.
In [233] wird vorgeschlagen, Gefährdungsbilder auf Basis einer Matrix (z. B. Tabelle 3.1) zu erstellen. In dieser Matrix sind als Spalten die möglichen Gefahren und als Zeilen Zustände des Gebäudes während dessen Lebenszyklus dargestellt. Anhand dieser Matrix können für jede Lebensphase die maßgeblichen Gefährdungsbilder überlegt werden. Bei der Erstellung ist die Wertigkeit jeder einzelnen Gefahr in Bezug auf die anderen zu berücksichtigen. In der Regel gibt es eine Leitgefahr und mehrere Begleit-/Folgegefahren. Das Gefährdungsbild wird nach der Leitgefahr benannt. In Tabelle 3.1 ist beispielhaft die Leitgefahr Schnee dargestellt. Diese kann gleichzeitig mit Begleitgefahren aus Nutzung und Wind auft reten. Gefährdungsbilder bilden die Grundlage der Planung von Gebäudeschutzmaßnahmen und der Bemessung des Tragwerkes. Aus ihnen werden die konstruktiven Schutzmaßnahmen sowie die Einwirkungskombinationen und Bemessungssituationen für die Bemessung des Tragwerkes abgeleitet. In Tabelle 3.2 sind Gefährdungsbilder für die wichtigsten Leitgefahren infolge gefährlicher Naturprozesse zusammengestellt. Die zugrundeliegenden Naturgefahrenprozesse sind in Kapitel 2 beschrieben. 3.1.2. Schadensbilder Treffen Naturgefahrenprozesse im Abflussgebiet, in ihrer Wirkungszone, in der Sturzbahn oder im Auslaufbereich auf Objekte (Bauwerke) und sind diese nicht ausreichend gegen die Einwirkung des Prozesses dimensioniert, treten Schäden auf, welche von einer Beeinträchtigung der Nutzbarkeit (Gebrauchstauglichkeit) bis zum Verlust der Standsicherheit oder der totalen Zerstörung des Objekts reichen können. Art und Umfang der Schäden sind völlig unterschiedlich und hängen von der Art des einwirkenden Prozesses, der Lage und der Art des Objektes und vom Inventar ab. Von besonderer Bedeutung ist vor allem die Schadensempfindlichkeit1 (Vulnerabilität) des Objektes. Der gesamte Sachschaden aus einem Naturereignis an einem Gebäude setzt sich aus vielen Einzelschäden am Bauwerk selbst, am Inventar, an der Infrastruktur oder an sonstigen Mobilien/Baulichkeiten auf der Liegenschaft zusammen. In Analogie zum Gefährdungsbild wird daher in diesem Abschnitt für die behandelten Naturgefahrenprozesse jeweils ein zugeordnetes Schadensbild definiert, welches die wahrscheinlichste Kombination von Schäden eines Ereignisses bestimmter Größenordnung darstellt. Während das maximale Schadenspotenzial näherungsweise bestimmt werden kann, ist die Prognose des tatsächlichen Schadens an einem Gebäude nicht vorhersehbar. 3.2. Gefährdungsbilder durch hydrologische Gefahren 3.2.1. Allgemeines Hydrologische Gefahren treten überall dort auf, wo sich Gebäude am Ufer oder im Überschwemmungsgebiet eines Fließgewässers oder im Abfluss- und Rückstaubereich sonstiger hydrologischer Prozesse befinden. Für die jeweilige Leitgefährdung ist wichtig, ob sich das betrachtete Gebäude im Einflussbereich der Fließ-, Ero1
72
Die Schadensempfindlichkeit ist der Erwartungswert eines Schadens an einem Objekt als Folge eines bestimmten Ereignisses.
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Tabelle 3.2. Relevante Gefährdungsbilder für Gebäude in Gebirgsregionen und deren Zuordnung zu einer Gefahrenklasse laut Tabelle 1.1 bzw. gemäß der in Kapitel 2 beschriebenen Naturgefahrenprozesse Gefahrenklasse
Nr.
Bezeichnung des Gefährdungsbildes
Hydrologische Gefahren (siehe Kapitel 2.4)
1a
statische Überflutung
Schneegefahren (siehe Kapitel 2.5)
Geologische Gefahren (siehe Kapitel 2.6)
Meteorologische Gefahren (siehe Kapitel 2.7)
Feuergefahren (siehe Kapitel 2.8)
1b
dynamische Überflutung
2
Feststoffablagerung (Sedimentation)
3
Anprall von großen Objekten: Wildholz, Blöcke, Kfz
4a
Seiten- und Tiefenerosion (direkte Wirkung fluviatiler Erosionen)
4b
Sackende Rutschung an Uferböschungen (indirekte Wirkung fluviatiler Erosionen): (1) flachgründig, (2) mittelund tiefgründig
5
Einwirkung durch Mure (Murgang)
6
Überschwemmung durch oberirdisches Hangwasser
7
Grundwasserhochstand
8
Rück- und Überstau aus dem Kanalnetz
9a
Vertikale Auflast aus Schneeablagerungen (Schneelast)
9b
Hangparelleler Schneedruck aus kriechenden/gleitenden Schneeablagerungen
10a
Lawine umfl ießt Gebäude
10b
Lawine überfl ießt Gebäude
10c
Druck- und Sogwirkung durch Staublawinen
11
Erdbeben
12a
Anprall durch Steinschlag – stürzend, springend
12b
Anprall durch Steinschlag – rollend, springend
12c
Felssturz, Bergsturz
13
Rutschung oberhalb des Gebäudes
14a
Gebäude auf/über seichtgründiger Rutschung
14b
Gebäude auf/über mittelgründiger Rutschung
14c
Gebäude auf/über tiefgründiger Rutschung
15
Anprall durch Hangmuren
16
Erdfall
17
Sturm
18
Hagel
19
Blitzschlag
20
Wald- und Buschbrände
73
Jürgen Suda et al.
sions-, Verlagerungs- oder Ablagerungsprozesse befindet. Bei der Festlegung der Gefährdungsbilder sind folgende Kriterien zu berücksichtigen: • Eigenschaften des maßgeblichen Verlagerungsprozesses (Dichte des WasserFeststoff-Gemisches) • Abflusshöhe (Überflutungshöhe) • Fließgeschwindigkeit • Mächtigkeit der Feststoffablagerungen oder Erosionstiefe Die für hydrologische Gefahren maßgeblichen Gefährdungsbilder sind in Abb. 3.1 dargestellt. Die meisten von ihnen sind direkt oder indirekt durch Hochwasser geprägt. Hochwässer gefährden Gebäude durch Seitenerosion (Ufererosionen), Tiefenerosion (Sohlabsenkung, Kolkerosion) und Überflutung. Die Art und Menge der mitgeführten Feststoffe (Schwebstoffe, Geschiebe, Wildholz) und die Art des Verlagerungsprozesses haben großen Einfluss auf die Einwirkung des Abflusses. Durch Feststofftransport erhöht sich die Beanspruchung der angeströmten Bauteile und Uferbereiche. Dies ist durch die höhere Dichte des Transportgemisches, durch mitgeführte größere Einzelkomponenten (z.B. Baumstämme) und einen erhöhten mechanischen Abrieb (Abrasion) der Oberflächen begründet. Weiters erhöht sich mit zunehmendem Feststoffanteil die Wahrscheinlichkeit der Feststoffablagerung im Überflutungsgebiet und der Verklausung von Engstellen im Abflussprofil. 3.2.2. Gefährdungsbild Überflutung In diesem Gefährdungsbild ist ein hochwasserführendes Gewässer (Fluss, Wildbach, See) über die Ufer getreten. Der Wasserabfluss fi ndet über der Geländeoberfläche und außerhalb des natürlichen Gewässerbettes statt. Der Boden ist vollständig wassergesättigt (Extremfall), in manchen Fällen reicht der Grundwasserspiegel bis oder über die Geländekante. Die Ausdehnung und Art der Überflutung ist von der Topografie und der Art des Ausbruchs aus dem Gerinne abhängig. In Abhängigkeit der Fließgeschwindigkeit, der Fließtiefe und der Erosionsleistung des Abflusses im Überschwemmungsgebiet werden zwei Intensitätsstufen unterschieden: • Statische Überflutung: Fließgeschwindigkeiten unter 0,5 m/s (Abb. 3.2 a). • Dynamische Überflutung: mit Fließgeschwindigkeiten zwischen 1 und 5 m/s (fallweise auch höher) (Abb. 3.2 b). 3.2.2.1. Gefährdungsbild statische Überflutung Die statische Überflutung (Gefährdungsbild 1 a; Tabelle 3.2) ist durch keine bis geringe Fließgeschwindigkeit (v < 0,5 m/s) gekennzeichnet (Abb. 3.3). Der Anstieg der Wassertiefe des übergetretenen Wassers ist meist relativ langsam. Statische Überflutungen treten überwiegend in flachen Gebieten und entlang von Seen auf. Bei dieser Intensitätsstufe werden kaum Feststoffe transportiert, die Erosionsleistung ist vernachlässigbar gering. Nach Rückzug des Hochwassers bleiben Senken und Gebäudekeller überflutet, sofern sie keine natürliche Abflussmöglichkeit aufweisen, und fallen erst nach Verdunstung oder Versickerung trocken. Das maßgebende Schadenskriterium ist die maximal erreichte Überflutungstiefe.
74
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.1. Gefährdungsbilder mit hydrologischen Gefahren
75
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.2. Überflutungen: (a) Statische Überflutung einer Tiefgarage (© WLV); (b) dynamische Überflutung (© BMLFUW)
Bei diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: • statischer Wasserdruck auf die Gebäudehülle • Sohlwasserdruck (Auftrieb) auf die Fundamente • Auflasten auf Geschossdecken durch Überstau Weiters können aus diesem Gefährdungsbild folgende Schadensbilder resultieren: • Eindringen von Wasser in das Gebäude • Schäden durch Vernässung und Verschmutzung (Ablagerung von Schwebstoffen) • Schäden an der Gebäudehülle und am Tragwerk durch Wasserdrücke • Verlust der äußeren Standsicherheit 3.2.2.2. Gefährdungsbild dynamische Überflutung (einschließlich Feststoffablagerung und Anprall) Die dynamische Überflutung (Gefährdungsbild 1 b; Tabelle 3.2) ist gekennzeichnet durch mittlere bis hohe Fließgeschwindigkeiten (v > 1 m/s). In 5 –10 % geneigtem Gelände kann nach [56] die Fließgeschwindigkeit einen Bereich von 3 bis 5 m/s erreichen, wenn die Überschwemmungshöhe 0,5 m übersteigt. So hohe Geschwindigkeiten treten außerdem entlang kanalisierter Abflussbereiche auf (z. B. Straßenzüge). In flacherem Gelände ( < 2 %) reduziert sich die Geschwindigkeit allgemein unter 2 m/s. Nach Rückzug des Hochwassers bleiben Senken und Gebäudekeller geflutet, sofern sie keine natürliche Abflussmöglichkeit aufweisen, und fallen erst nach Verdunstung oder Versickerung trocken Dynamische Überflutungen treten bei konkaver oder steiler Topografie sowie im Bereich von Engstellen auf. Dies ist auch nach Dammbrüchen im Nahbereich der Dammbreschen der Fall. Die maßgebenden Schadenskriterien sind die Überschwemmungstiefe und die Fließgeschwindigkeit (Abb. 3.4). Durch die zusätzliche dynamische Komponente des Abflusses ist die Beanspruchung der Gebäude deutlich höher. Bei dieser Intensitätsstufe kann es ab einer Fließgeschwindigkeit v > 2 m/s zusätzlich zu Erosion und Feststoffablagerungen (Sedimentation) (Gefährdungsbild 2; Tabelle 3.2) im Gebäudebereich kommen. Dadurch erhöhen sich die Angriffsflächen der hydrodynamischen Kräfte und es 76
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.3. Gefährdungsbild 1 a: statische Überflutung
entstehen Auflasten durch Ablagerungen auf Gebäudeteilen (z. B. Geschossdecken). Die direkt angeströmten Gebäudeteile können zusätzlich durch den Anprall von großen Feststoffkomponenten wie Baumstämmen, Wurzelstöcken oder mitgeschwemmten Kfz (Gefährdungsbild 3; Tabelle 3.2) beansprucht werden. Wirbelbildung an Gebäudekanten führt zu lokal verstärkter Erosionsleistung (Abb. 3.5). Erosionen im Fundamentbereich können bei ufernahen Gebäuden direkt durch Ufererosion (Gefährdungsbild 4 a; Tabelle 3.2) oder indirekt durch sackende Rutschungen (Gefährdungsbild 4 b; Tabelle 3.2) entstehen. Bei dynamischen Überflutungen und infolge von oberflächlich abfließendem Hangwasser kommt es durch Wirbelbildung zu Erosionen im Bereich von Gebäuden (Abb. 3.6). An Stützen entstehen durch Wirbelbildung lokale Kolke (Abb. 10.37 A). An Gebäuden kommt es laut [56] durch Hufeisenwirbel zu flächigen Erosionen an den Wandfüßen (Abb. 10.37 B). An den Gebäudeecken bilden sich durch die senkrechten Wirbel lokale Kolke, die sich rasch in die Tiefe ausbreiten. Bei diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: • statischer Wasserdruck auf die Gebäudehülle (+ Wasserauflast) • dynamischer Wasserdruck auf die angeströmten Flächen 77
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.4. Gefährdungsbild 1 b und 2: dynamische Überflutung (mit lokaler Erosion) und Ablagerung von Feststoffen
Abb. 3.5. Erosionen: (A) Erosionen im Bereich von Gebäuden; (B) lokaler Kolk an Stützen 78
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.6. Erosion im Fundamentbereich führte zur Zerstörung der Kellerwände und zur Unterspülung des Gebäudes (© WLV)
• Sohlwasserdruck (Auftrieb) auf die Fundamente • Anprall von großen Objekten (Baumstämme, Wurzelstöcke, Felsblöcke, mitgeschwemmte Kfz) • Auflasten durch abgelagerte Feststoffmassen • Zwangsbeanspruchungen des Tragwerkes durch Setzungen, Verkantungen, Verformungen infolge unterspülter Fundamente Aus diesem Gefährdungsbild können folgende Schadensbilder resultieren: • Schäden an der Gebäudehülle durch Wasserdrücke und Anprall • Schäden am Tragwerk durch Anprall (Gefährdung der Standsicherheit) • Schäden am Tragwerk durch Zwangsbeanspruchung (Gefährdung der Standsicherheit) • Verlust der äußeren Standsicherheit • Schäden an den Geschossdecken durch Feststoffablagerungen • Eindringen von Wasser in das Gebäude • Schäden durch Vernässung und Verschmutzung 3.2.3. Gefährdungsbild fluviatile Erosion (Seiten- und Tiefenerosion) Fluviatile Erosionen (Gerinneerosion) können Instabilitäten an den Uferböschungen von Fließgewässern hervorrufen. Eine Erosion des Ufers und die lokale Kolkbildung können Gebäude durch direkten Strömungsangriff und durch das Auslösen von sackenden Rutschungen (Uferrutschungen) gefährden. Für die Gefährdung der Gebäude sind deren Fundierungstiefe und die Tiefe einer sackenden Rutschung entscheidend. 3.2.3.1. Gefährdungsbild Seiten- und Tiefenerosion Die Seiten- und Tiefenerosion von Fließgewässern (Gefährdungsbild 4 a; Tabelle 3.2) werden die Fundamente bzw. das Kellergeschoss von ufernahen Gebäuden durch Seitenerosion eines Gerinnes zumindest teilweise freigelegt (Abb. 3.7). Bei diesem Prozess führt die Schleppspannung des fließenden Wassers zur stetigen 79
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.7. Gefährdungsbild 4 a: Seiten- und Tiefenerosion – Gerinneverlagerung infolge Seitenerosion
Erosion des Ufers und der Sohle, bis die Kellerwand oder das Fundament frei liegt und direkt angeströmt wird. Eine Wirbelbildung an den Gebäudekanten führt an diesen Stellen zu verstärkter Erosionsleistung. Die direkt angeströmten Gebäudeteile können zusätzlich durch den Anprall von großen Feststoffkomponenten – wie Baumstämmen, Wurzelstöcken oder Pkws (Gefährdungsbild 3; Tabelle 3.2) – beansprucht werden. Neben dem oberflächlichen Abtrag des Ufers können sich auch Erosionskavernen im Boden des ufernahen Bereiches ausbilden. Diese Hohlräume können Setzungen und Grundbruch verursachen. In diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: • statischer Wasserdruck auf die Gebäudehülle • dynamischer Wasserdruck an den angeströmten Flächen • Sohlwasserdruck (Auftrieb) auf die Fundamente • Anprall von großen Objekten (Baumstämme, Wurzelstöcke, Felsblöcke, mitgeschwemmte Kfz) • Zwangsbeanspruchungen des Tragwerkes durch Setzungen, Verkantungen, Verformungen infolge unterspülter Fundamente 80
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.8. (a) Gerinneverlagerung durch Ufererosion und Anprall von mitgeführten Feststoffen zerstören die Gebäudehülle (© WLV); (b) Gerinneverlagerung durch Seitenerosion der Ufer: durch Unterspülung der Fundamente kommt es zum Versagen der Standsicherheit des Gebäudes (© WLV)
Aus diesem Gefährdungsbild können folgende Schadensbilder resultieren: • Schäden an der Gebäudehülle durch Wasserdrücke und Anprall • Schäden am Tragwerk durch Anprall (Gefährdung der Standsicherheit) • Schäden am Tragwerk durch Zwangsbeanspruchung (Gefährdung der Standsicherheit) • Verlust der äußeren Standsicherheit • Eindringen von Wasser in das Gebäude • Schäden durch Vernässung und Verschmutzung 3.2.3.2. Gefährdungsbild sackende Rutschung der Uferböschung Sackende Rutschungen (Gefährdungsbild 4 b; Tabelle 3.2), die durch Seitenerosion eines Gerinnes verursacht werden, stellen die Form der indirekten Bedrohung von Gebäuden durch fluviatile Erosionen dar (Abb. 3.10 a). Während des Ablaufes eines Hochwasserereignisses können beträchtliche Uferanbrüche und nachfolgend sackende Rutschungen auftreten, die durch stetige Entlastung des Hangfußes infolge Gerinneerosion verursacht werden. Dadurch können die Fundamente des Gebäudes freigelegt und destabilisiert werden. Da die Auswirkungen sackender Rutschungen auf die Gebäude je nach Tiefenlage der Gleitfläche unterschiedlich sind, werden die Gefährdungsbilder 4 b (Abb. 3.9,1) „flachgründig“ sowie 4 b (Abb. 3.9, 2) „mittelund tiefgründig“ unterschieden. Besonders anfällig für sackende Rutschungen sind gering konsolidierte Anschüttungen im Uferbereich. In diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: • Gefährdungsbild 4 b (2): Zwangsbeanspruchungen des Tragwerkes durch Setzungen, Verkantungen, Verformungen infolge unterspülter Fundamente Aus diesem Gefährdungsbild können folgende Schadensbilder resultieren: • Gefährdungsbild 4 b (1): Böschungsbruch
81
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.9. Gefährdungsbilder durch sackende Rutschungen: (a) 4 b (1) – flachgründig; (b) 4 b (2) – mittel- bis tiefgründig
• Gefährdungsbild 4 b (2): Schäden am Tragwerk durch Zwangsbeanspruchung. Aus den Verformungen resultieren Setzungsrisse (im Extremfall Verlust der inneren Standsicherheit) • Die äußere Standsicherheit des Gebäudes ist nur dann nicht gefährdet, wenn ein im Verhältnis zur Gesamtstandfläche relativ geringer Teil der Fundamente freigelegt wurde. • Setzungen, Verformungen und Brüche in erdverlegten Leitungen
Abb. 3.10. (a) sackende Rutschung nach Böschungsunterschneidung (© Tropeano); (b) Ufererosion infolge Seitenerosion (© BMLFUW) 82
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
3.2.4. Gefährdungsbild Mure (Murgang) Gefahren dieser Gruppe resultieren aus Muren (Murgängen) (Gefährdungsbild 5; Tabelle 3.2), die in einem Gerinne entstehen, oder aus Hangmuren (Gefährdungsbild 15; Tabelle 3.2; Abb. 3.1, Abb. 2.27). Muren können auch aus Gerinnen ausbrechen und weiter über einen Hang abfließen. Wenn eine Mure auf ein Gebäude stößt, resultieren ein flächiger dynamischer Staudruck und zusätzlich Einzelstöße durch den Anprall mitgeführter großer Blöcke oder Baumstämme (Abb. 3.11). Durch den Fließwiderstand staut sich die Mure hinter dem Gebäude auf. Im weiteren Verlauf wird das Gebäude von der Mure umflossen. Daraus resultieren Reibungskräfte auf die Gebäudehülle. Eine Mure kann aus mehreren zeitlich versetzten Murschüben bestehen. Die Intensität der Einwirkung ist von der Dichte und Fließhöhe der Mure und vom Energielevel der Anprallstöße sowie der Intensität der Erosions- und Ablagerungsvorgänge in unmittelbarer Gebäudenähe abhängig. In diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: • statischer Murdruck (Erddruck): Nach dem Ereignis erzeugt abgelagertes Murmaterial Erddruck auf Wände. • dynamischer Murdruck (Stoßdruck): An allen direkt angeströmten Bereichen eines Gebäudes wirkt der dynamische Murdruck (Strömungsdruck).
Abb. 3.11. Gefährdungsbild 5: Mure (Murgang)
83
Jürgen Suda et al.
• punktueller Anprall von mitgeführten Objekten: Im Murmaterial werden größere Komponenten (Felsblöcke, Baumstämme) mitgeführt. Aus ihnen entstehen punktuelle Anprallstöße auf die Gebäudehülle in den angeströmten Bereichen. • dynamischer Wasserdruck: Häufig fließt nach einer Mure Wasser im Bett der Mure ab. Dieses kann zu ähnlichen Schäden wie eine dynamische Überflutung (Gefähdungsbild 1 b; Tabelle 3.2) führen. • Eindringen von Murmaterial in das Gebäudeinnere: Murmaterial kann durch Öffnungen und zerstörte Außenwände in das Gebäude eindringen (Abb. 3.12 a). Daraus resultieren Schäden im Innenraum und flächige Auflasten auf die Geschossdecken. • Reibung des Murmaterials an der Gebäudehülle: Dadurch kommt es zur Abrasion an den beanspruchten Teilen der Gebäudehülle.
Abb. 3.12. Schäden durch Muren: (a) Mure umfließt Gebäude (© WLV); (b) durch Feststofftransport rund geschliffene Ziegelmauer (© Markus Holub)
Abb. 3.13. Schäden durch Hangmuren: (a) hangseitig zerstörtes Gebäude (© BMLFUW); (b) von Mure umflossenes Gebäude, abgelagertes Murmaterial (© BMLFUW)
84
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Aus diesem Gefährdungsbild können folgende Schadensbilder resultieren: • Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes: – Schäden an der Gebäudehülle und am Tragwerk durch dynamischen Murdruck und Anprall mitgeführter Feststoffe (Abb. 3.13 a). Im Extremfall Verlust der inneren Standsicherheit. – Schäden durch Feststoffablagerungen: Überlastung von Geschossdecken und erdbedeckten Gebäudeteilen (Tiefgarage, Keller) (Abb. 3.13 b) – Schäden der Gebäudehülle durch Abrasion (Abb. 3.12 b) • Eintritt von Murmaterial in das Gebäude: – Schäden am Innenausbau und der Einrichtung durch mechanische Zerstörung durch Anprall und durch Auflasten – Schäden durch Verschmutzung und Geruchsbelästigung – Durch den Wasseranteil in der Mure entstehen auch Schäden durch Vernässung. 3.2.5. Gefährdungsbild Überschwemmung durch oberirdisches Hangwasser Das Gefährdungsbild Überschwemmung durch oberirdisches Hangwasser (Gefährdungsbild 6; Tabelle 3.2) wird durch größere Mengen von Niederschlagswasser (infolge eines Starkregenereignisses) ausgelöst, das in abschüssigem Gelände oberirdisch abfließt (Abb. 2.6). Der Abfluss folgt den Tiefenlinien des Geländes und
Abb. 3.14. Gefährdungsbild 6: Überschwemmung durch oberirdisches Hangwasser
85
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.15. Oberflächenabfluss: (A) Wasser sammelt sich in Senken; (B) Zum Haus hin abfallendes Gelände bei gleichzeitiger Anordnung von Fenstern führt zu Wasser- und Schlammeintritt in das Gebäude (© WLV)
sammelt sich in künstlichen und natürlichen Senken (Abb. 2.15 und Abb. 3.15). Besonders gefährdet sind Gebäude in Hang- und Muldenlagen. In diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: • statischer Wasserdruck auf die Gebäudehülle • dynamischer Wasserdruck an den angeströmten Flächen Aus diesem Gefährdungsbild können folgende Schadensbilder resultieren: • Eindringen von Wasser in das Gebäude – durch die undichte Gebäudehülle – durch Öffnungen • Schäden durch Vernässung und Verschmutzung • Erosion im unmittelbaren Gebäudebereich 3.2.6. Gefährdungsbild Grundwasserhochstand Beim Gefährdungsbild Grundwasserhochstand (Gefährdungsbild 7; Tabelle 3.2) befindet sich der Wasserspiegel über der Kellersohle, aber unterhalb der Geländeoberkante (Abb. 3.16). Steigt das Grundwasser über das Niveau der Gründungssohle, entstehen Wasserdruck und Auftriebskräfte am Gebäude. Dieses Gefährdungsbild tritt im Nahbereich von fließenden und stehenden Gewässern auf, kann aber auch in anderen Gebieten vorkommen. In diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: • statischer Wasserdruck auf die Kellerwände • Sohlwasserdruck (Auftrieb) auf die Fundamente Aus diesem Gefährdungsbild können folgende Schadensbilder resultieren: • Eindringen von Wasser in das Gebäude – durch die undichte Gebäudehülle (z. B. Kellerwände) – durch undichte Fugen, Risse und Leitungsdurchführungen – durch Öffnungen (Kellerfenster oder -türen, besonders kritisch sind die Anschlussfugen der Lichtschächte an die Kellerwände) – durch Rück- und Überstau im Kanalsystem 86
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.16. Gefährdungsbild 7: Grundwasserhochstand
• Schäden an der Gebäudehülle und am Tragwerk durch Wasserdrücke • Verlust der äußeren Standsicherheit: Wird die Auftriebskraft größer als die Summe aller Gebäudelasten, schwimmt das Gebäude auf. 3.2.7. Gefährdungsbild Rück- und Überstau aus dem Kanalnetz Das Gefährdungsbild Rückstau aus dem öffentlichen Kanalsystem (Gefährdungsbild 8; Tabelle 3.2) resultiert laut [206] aus einem durch Starkregen oder Überflutung überlasteten Kanalnetz durch die Umkehrung des Potentialgefälles. Bei undichten Kanalleitungen kann aber auch ein Grundwasserhochstand zu einem Rückstau führen (Abb. 3.16). Verstopfungen im Kanalnetz, Betriebsausfälle in Pumpwerken oder ein Rückstau aus einem Hochwasser führenden Vorfluter in das Kanalnetz können ebenfalls ein Rückstauereignis auslösen. Durch Starkregen oder Überflutungen kann der Wasserspiegel über den Kanal hinaus bis zur Rückstauebene ansteigen. Liegen keine Sicherheitseinrichtungen für das gefährdete Gebäude vor, füllen sich die Leitungen des Hauskanals vom Sammelkanal her mit Wasser. Durch den Rückstau kommt es zu einem Wasseraustritt an ungesicherten Ablaufstellen im Gebäude (z.B. Toiletten, Bodenabläufe, Abläufe von Waschbecken, ungesicherte Putzstückdeckel etc.), die unterhalb der Rückstauebene liegen. Die Rückstauebene (bzw. Druckhöhe Δh) ist dabei jene Höhe, bis zu der sich das Kanalsystem und alle verbundenen Objekte im Falle eines Rückstaus oder einer 87
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.17. Gefährdungsbild 8: Rückstau aus dem Kanalnetz
Verstopfung mit Wasser füllen können, bevor dieses über die Kanalabdeckungen auf der Straße austritt, plus eines Zuschlags aufgrund örtlicher Gegebenheiten. Bei ebenen Straßen liegt sie auf Niveau der Gehsteigoberkante an der Einmündungsstelle bzw. auf Straßenniveau plus 10 cm (Abb. 3.17). In hügeligem Gelände ist das Niveau des im Straßenkanal gegen die Fließrichtung gesehen nächsten Einlaufschachtes vor dem Objekt als Rückstauebene heranzuziehen. In Überschwemmungsgebieten ist der Hochwasserstand für einen eventuellen Rückstau in die Kanalisation entscheidend. Aus diesem Gefährdungsbild können folgende Schadensbilder resultieren: • Schäden durch eingedrungenes Wasser – Durchfeuchtung der Bausubstanz – Schimmelbefall und Geruchsentwicklung – Schäden an der Inneneinrichtung und Sachgütern • Schäden durch Ablagerung von Schlamm und Fäkalien im Gebäude 3.2.8. Schadensbilder durch hydrologische Gefahren: Zusammenfassung und Schadensdetails In Abhängigkeit der Gefährdungsbilder (Schädigungsmechanismen) aus Kapitel 3.2.2 bis 3.2.7 können zusammenfassend folgende Schadensbilder für hydrologische Gefahren definiert werden. Entweder wird • durch Wasser- und Feststoffeintritt ins Gebäude die Nutzbarkeit beeinträchtigt und Inventar (Mobilien) und Infrastruktur beschädigt (Beeinträchtigung oder Verlust der Gebrauchstauglichkeit) oder 88
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
• die Einwirkung des Prozesses führt zum Verlust der äußeren oder inneren Standsicherheit. 3.2.8.1. Schadensbild Wasser-/Feststoffeintritt in das Gebäude Wassereintritt (einschließlich mitgeführter Feststoffe, z. B. Schlamm, Geröll) in das Gebäude führt im Allgemeinen nicht zu einer Gefährdung der Standsicherheit, jedoch zu nachhaltigen Schäden am Gebäude und an der Inneneinrichtung (Inventar). Wassereintritt bewirkt somit den Verlust der Gebrauchstauglichkeit des Gebäudes. Bei Wassereintritt kommt es hauptsächlich zu Schäden durch Vernässung und Verschmutzung. Besonders betroffen sind elektrische Anlagen und saug- und quellfähige Materialien. Das Schadensbild kann im Detail folgende Schäden umfassen: • Beschädigung der Gebäudehülle und des Innenausbaus durch Vernässung – Schäden an saug- und quellfähigen Materialen (z. B. Boden-, Wand- und Deckenverkleidungen, Gipskartonplatten) – Schäden an Leichtbauwänden durch Wasseraufnahme: Die Wasseraufnahme verursacht ein Zusammensacken des Dämmmaterials innerhalb der Wände. Die isolierende Wirkung wird dadurch drastisch reduziert, die Austrocknung erfolgt nur sehr langsam. Mit Schimmelbildung innerhalb der Wände und Decken sowie erhöhten Heizkosten wegen des Verlusts der Wärmedämmwirkung muss gerechnet werden. • Beschädigung von Lager- und Stapelgütern durch Vernässung – Vernässung und Aufschwimmen von Brennholz – Quellen von Pellets für Biomasseheizungen: Durch ihr enormes Quellvermögen können Pellets die Wände von engen Lagerräumen sprengen. – chemische Reaktion von gelagerten Chemikalien und Problemstoffen • Beschädigung der Inneneinrichtung und der Haustechnik – Aufschwimmen von Möbeln: Besonders Möbel aus Spanplatten quellen leicht auf (Abb. 3.18 b). – Kurzschlüsse von Elektroinstallationen
Abb. 3.18. (a) Durch Wassereintritt und Geschiebeablagerung beschädigte Heizanlage (© Markus Holub); (b) Durch Wassereintritt zerstörte Inneneinrichtungsgegenstände (© Gemeinde Schnann, Tirol)
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Jürgen Suda et al.
Abb. 3.19. (a) Durch Wasser- und Schlammeintritt verschmutzte Innenräume (© BMLFUW); (b) Durch Wasser- und Schlammeintritt verschmutzte Gebrauchsgegenstände (© NÖLFV)
– Betriebsstörungen bei mechanischen Maschinenteilen durch Feinstoffe (Schluff, Sand) – Korrosion von Leitungen und Maschinen – Aufschwimmen von nicht verankerten Öltanks: Aufschwimmende Tanks können mit ihren Einfüllstutzen darüber liegende Zimmerdecken durchstoßen. • Umweltbelastung, Verschmutzung und Geruchsbelästigung – Austritt von Heizöl aus gebrochenen Tanks und Leitungen: Die Folge sind erhebliche Umweltbelastung und im Gebäude nicht behebbare Geruchsbelästigung (Abb. 3.18 a). – Nachhaltige Verschmutzung von saugfähigen, porösen Materialien (z. B. Holz, Verputz, Gips, Fliesenkleber, Textilien, Papier) durch ausgetretenes Öl, Fäkalien und andere Geruchsstoffe (Abb. 3.19) 3.2.8.2. Schadensbild Beeinträchtigung der Standsicherheit des Gebäudes Bei diesem Schadensbild kommt es zu Schäden am Tragwerk bzw. an einzelnen Bauteilen durch Überlastung aufgrund der gefahrenbedingten Einwirkungen. Dabei können im Detail folgende Schäden umfasst sein: • Schäden an der Gebäudehülle und am Tragwerk durch statischen und dynamischen Wasserdruck und Anprall mitgeführter Grobkomponenten (z. B. Baumstämme, Wurzelstöcke, Felsblöcke, mitgeschwemmte Kfz) (Abb. 3.20 a): Im Extremfall Verlust der inneren Standsicherheit. • Schäden durch Sohlwasserdrücke: Verlust der äußeren Standsicherheit durch Auftriebsbruch. • Schäden durch frei gelegte und unterspülte Fundamente: – Rissbildung im Gebäude durch Zwangsbeanspruchungen – Einsturz des Gebäudes durch Setzungen, Verkantungen, Verformungen oder Verschiebungen (Abb. 3.21) • Schäden durch Feststoffablagerungen: Überlastung von Geschossdecken und erdbedeckten Gebäudeteilen (Tiefgarage, Keller) (Abb. 3.22 a) • Aufschwimmen (Abtransport) frei gespülter, unverankerter Erdtanks (Abb. 3.22 b) 90
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.20. (a) Kippen des Gebäudes mitsamt der Fundamentplatte nach Unterspülung der Fundamente durch Gerinneverlagerung; Anprall von Wildholz an die exponierten Hauswände (© NÖLFV); (b) Geschiebeeintritt durch die Fenster in das Gebäude sprengt die Türstöcke aus der Wand (© Markus Holub)
Abb. 3.21. (a) Setzung des Gebäudes durch Unterspülung der Fundamente nach Gerinneverlagerung (© WLV); (b) Teilweiser Einsturz des in (a) abgebildeten Gebäudes nach weiterer Fundamentsetzung (© WLV)
Abb. 3.22. (a) Auf Grund von Durchfeuchtung und bereits entfernten Geschiebeablagerungen durchhängende Geschossdecke einer Tischlerei (© Markus Holub); (b) Durch Erosion freigelegter Erdtank (© Johannes Hübl)
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Jürgen Suda et al.
3.3. Gefährdungsbilder durch Schneegefahren 3.3.1. Allgemeines Zu den wichtigsten in diesem Abschnitt behandelten Gefährdungsbildern zählen die Schneelast (vertikaler Schneedruck), der hangparallele Schneedruck (durch das Kriechen und Gleiten der Schneedecke) (Gefährdungsbild 9 a,b; Tabelle 3.2) sowie die Fließ- und Staublawine (auch Mischlawine) (Gefährdungsbild 10 a,b,c; Tabelle 3.2).
Abb. 3.23. Gefährdungsbilder, die aus Schneeablagerungen und Lawinen resultieren 92
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
3.3.2. Gefährdungsbilder Schneelast und Schneedruck Aus Schneeablagerungen resultieren senkrechte Schneedrücke (Schneelast) auf darunterliegende Gebäudeteile (Gefährdungsbild 9 a; Tabelle 3.2). Bei Gebäuden ist dies vor allem für die Standsicherheit von Dächern relevant. Übermäßige Schneeablagerungen können durch die zusätzliche Beanspruchung des Daches und durch abgehende Dachlawinen zu Gefährdungen führen. Die Höhe der Einwirkung hängt von der Schneedichte (Wasserwert) und der Mächtigkeit der Schneeablagerung ab. Gebäude, die an steilen Hängen stehen, können durch Schneedruck (parallel zum Hang) infolge Gleitens und Kriechens der Schneedecke gefährdet sein (Gefährdungsbild 9 b; Tabelle 3.2). Die Höhe dieser Einwirkung ist im Wesentlichen von der Schneedichte, dem Aufbau der Schneedecke, der Mächtigkeit der Schneeablagerung, der Hangneigung, der Exposition und der Rauigkeit der Bodenoberfläche abhängig. Gebäude können auch indirekt durch unter der Schneelast umgestürzte Bäumen oder abbrechende Äste beansprucht werden. In diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude (Abb. 3.24): • Auflasten auf Dächer, Balkone, Terrassen, oberste Geschossdecke von Tiefgaragen usw. infolge Schneeablagerungen • Schneedrücke auf Außenwände infolge Schneekriechens und -gleitens Daraus können folgende Schadensbilder am Gebäude resultieren: • Verformungen und Brüche im Tragwerk (Abb. 3.25): Extreme Schneelasten können zum Einsturz des Tragwerks (Gebäudes) führen.
Abb. 3.24. Gefährdungsbild 9 a,b: Schneedrücke aus Schneeablagerungen 93
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.25. (a) Verformungen des Tragwerkes infolge Schneedrucks an einem landwirtschaftlichen Nebengebäude; (B) Auflast auf Dächer durch extreme Schneeablagerungen (© Jürgen Suda)
• Bruch von einzelnen Bauteilen (Dachdeckung, Dachlattung, Sparren) durch Überbeanspruchung • Beschädigung von tiefer liegenden Dächern durch abrutschenden Schnee 3.3.3. Gefährdungsbilder durch Lawinen Die Gefährdung von Lawinen geht durch den hochenergetischen Verlagerungsprozess des Schnees aus, wobei Fließlawinen, Staublawinen oder Mischlawinen auftreten können. Gebäude werden durch die Fließschicht einer Lawine je nach Topografie und Gestalt des Gebäudes durch Umfließen, Überfließen oder durch Anprall beansprucht (Gefährdungsbilder 10 a,b; Tabelle 3.2). Die Höhe der Beanspruchung ist von der Dichte der Lawine, den mittransportierten Einzelkomponenten (Blöcke, Wildholz) und der Abflusshöhe abhängig. Die durch die Staubschicht einer Lawine erzeugten Gefahren resultieren aus dem Staudruck und Sog des Aerosols (Gefährdungsbild 10 c; Tabelle 3.2). Dieser ist mit Sturmböen vergleichbar. Er erzeugt an Gebäuden im Luv Druck- und im Lee Sogkräfte an Wänden, Dächern und Gebäudevorsprüngen. Die Beanspruchungen durch Staublawinen sind von der Dichte und der Geschwindigkeit des Aerosols abhängig. 3.3.3.1. Gefährdungsbild Lawine umfließt ein Gebäude In den meisten Fällen werden Gebäude durch eine Fließ- oder Mischlawine umflossen (Gefährdungsbild 10 a; Tabelle 3.2). Die Höhe der Fließschicht liegt deutlich unter der Traufenhöhe des Daches (Abb. 3.26). Nach Anprall der Lawine auf die Gebäudefront findet innerhalb von Millisekunden eine plastische Verdichtung des Schnees statt. Gleichzeitig staut sich der Lawi94
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.26. Gefährdungsbilder 10 a und c: Lawine prallt auf das Gebäude und umfließt dieses in weiterer Folge. Die Staubschicht erzeugt eine Druck- bzw. Sogwirkung am Gebäude, insbesondere im Bereich des Daches (siehe Kapitel 3.3.3.3)
nenschnee durch das Strömungshindernis des Gebäudes auf. Durch den Aufprall entsteht ein flächiger Staudruck (ähnlich einer Mure). Mitgeführte Einzelkomponenten (z. B. Felsblöcke, Baumstämme) erzeugen punktförmige Anprallkräfte. Durch das Aufschieben der Schneemassen nach oben entstehen Kräfte auf eventuell vorhandene Dachvorsprünge. Es kommt zu Schneeablagerungen an der Prallwand. Lawinenschnee kann durch Gebäudeöffnungen oder Durchbruchsstellen im Baukörper auch in das Innere des Gebäudes eindringen. Die restlichen Schneemassen umfließen das Gebäude oder werden abgelagert. Die Seitenwände und alle schräg angeströmten Wände werden durch einen reduzierten Druck und Reibung beansprucht. Die Beanspruchung durch den Staubanteil erfolgt wie in Gefährdungsbild 10 c dargestellt (siehe Kapitel 3.3.3.3).
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Jürgen Suda et al.
Bei diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude (Abb. 3.26): • Fließschicht: – dynamischer Fließlawinendruck durch Anprall der Lawinenfront – Anprall von Feststoffen – Reibung des Lawinenschnees an der Gebäudehülle durch Umfließen des Gebäudes – Eindringen von Schnee in das Gebäudeinnere • Staubschicht: – Druck- und Sogbeanspruchung durch die Staubschicht – Reibung an den überströmten Flächen • Auflasten durch abgelagerten Lawinenschnee 3.3.3.2. Gefährdungsbild Lawine überfließt ein Gebäude Niedrige Gebäude können durch eine Fließ- oder Mischlawine auch überflossen werden (Gefährdungsbild 10 b; Tabelle 3.2). Die Fließhöhe der Fließschicht liegt deutlich über der Traufenhöhe des Daches. Wenn eine Fließlawine auf ein Gebäude prallt und es überfließt, sind nur die Kräfte aus der Fließlawine für die Beanspruchung des Gebäudes relevant (Abb. 3.27). Der Ablauf ist analog Kapitel 3.3.3.1. Die Einwirkungen und daraus resultierenden Schäden in diesem Gefährdungsbild entsprechen jenen aus Kapitel 3.3.3.1. Zusätzlich entstehen – Reibungskräfte auf der Dachhaut durch das Überfließen. 3.3.3.3. Gefährdungsbild Einwirkung von Staublawinen Im Wirkungsbereich von Staublawinen kann der frei stehende Baukörper von Druck- und Sogkräften des Aerosols beansprucht werden (Gefährdungsbild 10 c; Tabelle 3.2) (Abb. 3.26). Während in den am häufigsten verwendeten Lawinenmodellen für Mischlawinen eine Zweiphasenströmung (Fließschicht, Staubschicht) angenommen wird, existieren laut [111] auch experimentelle Hinweise, dass sich zwischen Fließ- und Staublawine eine fluidisierte Übergangsschicht2 befindet. Diese fluidisierte Schicht kann sich in steilem Gelände aus einer sich schnell bewegenden Fließschicht bilden und bewegt sich meist mit hohen Geschwindigkeiten an der Spitze der Lawine. Bei der Abschätzung der Staublawinenwirkung und der Wirkung der Saltationsschicht ist zu berücksichtigen, dass diese beiden Schichten der Lawine zwar eine bedeutend geringere Dichte aufweisen, auf der anderen Seite aber eine höhere Geschwindigkeit haben und somit dem Fließanteil vorauseilen. Die Druckverteilung in der Längs- und Querrichtung einer Staublawine kann folglich sehr unregelmäßig sein. Allein turbulenzbedingte Druckunterschiede können turbulente Spitzendrücke verursachen, welche bis um einen Faktor 2 über den Mittelwerten liegen können. Durch das Über- und Umströmen der Staublawine entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: 2
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Fallweise wird diese Übergangsschicht – auch als Saltationsschicht bezeichnet – als die unterste Schicht des Staubanteiles angesehen und eine exakte Trennung der Schichten ist nicht möglich.
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.27. Gefahrenbild 10 b: Lawine prallt auf das Gebäude und überfließt dieses in der Folge
• Statischer Überdruck während des Überströmens (typische Werte zwischen 0,5 und 2 kPa) • Staudruck auf gegen die Strömungsrichtung orientierte Gebäudeteile • Dynamischer Unterdruck (Sog) an Seitenwänden und Dächern sowie im Gebäudeinneren 3.3.3.4. Schadensbilder durch Lawineneinwirkung: Zusammenfassung und Schadensdetails In Abhängigkeit der für Fließ- und Staublawinen (Mischlawinen) typischen Gefährdungsbilder (siehe Kapitel 3.3.3.1 bis 3.3.3.3) können folgende Schadensbilder durch Lawineneinwirkung unterschieden werden: • Verlust der Standsicherheit durch Fließ- und Mischlawinen: – Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes: Die Standsicherheit ist durch die hohen dynamischen Kräfte aus einer Lawine gefährdet. Bei extremen Belastungen droht die Zerstörung des Gebäudes. – Schäden an der Gebäudehülle und am Tragwerk durch Anprall der Fließschicht, mitgeführter Feststoffe und der Staubschicht sowie durch Reibungskräfte (im Extremfall Verlust der Standsicherheit). Besonders gefährdet sind Dachvorsprünge und auskragende Teile aus der Gebäudehülle (z. B. Balkone) (Abb. 3.28, Abb. 3.30). 97
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.28. (a) Verlust der Standsicherheit (© BMLFUW); (b) beschädigtes Tragwerk und Dach durch Staubanteil (© BMLFUW)
Abb. 3.29. (a) Durch eine Mischlawine zerstörte Gebäude (© BMLFUW); (b) Gebäude wird von einer Fließlawine umflossen: Die verfärbten Schneemassen deuten auf die Aufnahme von Erdmaterial hin (© WLV)
– Schäden an Außenwänden, Dächern und Geschossdecken durch die Auflasten der Schneeablagerungen • Verlust der Standsicherheit durch Staublawinen: – Schäden an auskragenden Bauteilen (z.B. Dachvorsprünge) durch Sog (Abb. 3.28 b) – gebrochene Fensterscheiben im Bereich des gesamten Gebäudes – Schäden am Dach insbesondere durch vertikal nach oben gerichtete Kräfte – bei Zerstörung des Bauwerks: weit verstreute Einzelteile von Gebäuden, insbesondere von Holzteilen bei Holzhäusern, abgedeckte und abtransportierte Dächer oder Dachteile • Schäden infolge Eintritts von Lawinenschnee in das Gebäude: – Schäden am Innenausbau und an der Einrichtung durch mechanische Zerstörung durch Anprall und durch Auflasten (Abb. 3.30 b) – Spuren von „innerer“ Explosion von Gebäuden durch eingedrungene Staublawinenteile – Schäden am Innenausbau und an der Einrichtung durch Schmelzwasser
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3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.30. (a) Ablagerungen von Lawinenschnee zwischen den Gebäuden (© BMLFUW); (b) Fensterstock, der durch den Lawinendruck aus seiner Verankerung gerissen und in den Innenraum gedrückt wurde
3.4. Gefährdungsbilder durch geologische Gefahren 3.4.1. Allgemeines Gefährdungsbilder durch geologische Gefahren sind je nach Einwirkungsprozess völlig unterschiedlich charakterisiert. Während Sturz- und Fließprozesse (Hangmuren, schnelle Rutschungen), die auf das Gebäude auftreffen, in ihrer Einwirkung Lawinen (siehe Kapitel 3.3.3) ähnlich sind (Gefährdungsbilder 12 a,b, 13, 15; Tabelle 3.2), ziehen Bewegungen im Untergrund (Gefährdungsbilder 14 a-c, 16; Tabelle 3.2) und die Erschütterung durch Erdbeben (Gefährdungsbilder 11; Tabelle 3.2) völlig andersartige Gefährdungsbilder nach sich. Die einzelnen Bewegungsarten werden daher nachfolgend getrennt nach Gefährdungsbild behandelt. 3.4.2. Gefährdungsbild Erdbeben Die von Erdbeben hervorgerufene Schwingungsamplitude ist abhängig von der Lage des Epizentrums und den Eigenschaften der Erdkruste. Die Erdbebenwellen übertragen sich auf das Gebäude, welches in der Folge ebenfalls zu schwingen beginnt (Gefährdungsbild 11; Tabelle 3.2). (Abb. 3.31). Der Umfang und die Intensität der Schäden durch Erdbeben sind abhängig von: • Baugrund • Art und Steifigkeit des Tragwerkes und des Baumaterials • Tiefe und Entfernung des Epizentrums und Dauer des Bebens (Intensität) • Besiedlungsdichte und Topografie 99
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.31. Gefährdungsbild 11: Erdbeben
In diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: • Horizontale Kraft durch die Bodenbeschleunigung • Vertikale abhebende Kraft • Beanspruchung des Tragwerkes durch Schwingung • Zwangsbeanspruchungen durch das Öffnen von Rissen im Baugrund
Abb. 3.32. Schäden infolge Erdbebens bei Gebäuden aus Mauerwerk: (a) Risse im Mauerwerk; (b) Verlust der Standsicherheit von Gebäuden (© Roman Wendner)
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3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.33. Schäden infolge Erdbebens bei Stahlbetonskelettbauten: (a) Versagen in den Knoten, eingestürzte Geschossdecken; (b) durch Horizontalkräfte schwer beschädigte Stütze (© Florian Rudolf-Miklau)
Daraus können folgende Schadensbilder an Bauwerken resultieren: • Direkte Schadwirkung: – Beschädigung der Inneneinrichtung und des Innenausbaues – Verformungen (Risse) am Tragwerk (Abb. 3.32 a; Abb. 3.33b) – Verlust der Standsicherheit des Tragwerkes (Abb. 3.32 b; Abb. 3.33a) • Indirekte Schadwirkung durch Auslösung von Rutschungen, Muren oder Bodenrissen 3.4.3. Gefährdungsbilder durch Sturzprozesse 3.4.3.1. Gefährdungsbild Steinschlag Die Gefahr von Steinschlägen auf Gebäude entsteht durch den Anprall der stürzenden Komponenten. Da das Zerstörungspotential der Steinschläge von der Steingröße, der Hanglänge und -neigung und den aus diesen Bedingungen resultierenden Energien abhängt, streut es in großem Maße. Selbst durch sehr kleine Komponenten kommt es häufig zu zerschlagenen Glasscheiben. Im Freien besteht in steinschlaggefährdeten Bereichen ein hohes Risiko für Personenschäden. Bei großen Blöcken bzw. hohen Energien sind Personen auch innerhalb von Gebäuden gefährdet. Hinsichtlich der Intensität sind stürzend-springende (Gefährdungsbild 12 a; Tabelle 3.2) und rollendspringende Steinschläge (Gefährdungsbild 12 b; Tabelle 3.2) zu unterscheiden. Für Steinschlag relevante Gefährdungsbilder sind in Abb. 3.34 dargestellt. Beim Gefährdungsbild Steinschlag prallen Sturzkomponenten in unterschiedlichen Höhen und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf das Gebäude (Abb. 3.35). Für die Gefährdung ist somit die Höhe des Einschlages und dessen Energie relevant. Im Gefährdungsbild 12 a fallen oder springen die Blöcke von oben auf das Gebäude. Hier sind besonders das Dach und die oberste Geschossdecke gefährdet. In weniger steilem Gelände (Gefährdungsbild 12 b) herrschen 101
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.34. Gefahrenbilder, die aus Steinschlag resultieren
rollende, springende und gleitende Bewegungsformen des Steinschlags vor. Die Bewegung erfolgt eher bodennahe. Hier sind die exponierten Gebäudewände gefährdet. Beim Gefährdungsbild Steinschlag entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude (Abb. 3.35): • Anprall von Steinen und Blöcken an die Gebäudehülle oder das Tragwerk • Anprall von Steinen und Blöcken auf innen liegende Geschossdecken und Wände 3.4.3.2. Gefährdungsbild Felssturz (Bergsturz) Felsstürze (Bergstürze) (Gefahrenbild 12 c; Tabelle 3.2) führen in der Regel zur Totalzerstörung von Gebäuden und liegen daher aufgrund der großen bewegten Felsmassen über den für Gebäude technisch beherrschbaren Einwirkungsgrenzen. Felssturzzonen stellen daher absolute Bauverbotszonen dar. Für Personen besteht sowohl innerhalb als auch außerhalb von Gebäuden höchste Lebensgefahr.
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3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.35. Gefährdungsbild 12: Steinschlag (12 a – Anprall von oben, 12 b – Anprall von der Seite)
3.4.3.3. Schadensbilder aus Steinschlag und Felssturz: Zusammenfassung und Schadensdetails Aus der Einwirkung von Steinschlag auf ein Gebäude können folgende Schadensbilder resultieren: • punktuelle Schäden in der Gebäudehülle in Abhängigkeit der Höhe des Anpralles (Außenwände, Geschossdecken und Innenwände sowie der Dachkonstruktion) (Abb. 3.37 und Abb. 3.38) • Schäden am Tragwerk durch direkte Treffer: im Extremfall Verlust der inneren Standsicherheit (Abb. 3.38 b) • Totalzerstörung des Gebäudes durch Felssturzmassen (Bergsturzmassen) Beim Auftreten von Schäden durch Steinschlag können laut [215] drei Intensitätsstufen unterschieden werden: • Starke Intensität: Der Aufprall von Steinen und Blöcken führt zu großen Rissen in tragenden Gebäudeteilen und Löchern im Mauerwerk oder Dach. Diese Schäden können einen teilweisen oder totalen Einsturz zur Folge haben. Bei Einsturz besteht Lebensgefahr, Reparaturen sind nur mit großem Aufwand zu realisieren. Oft sind die strukturellen Schäden so groß, dass eine Evakuierung und der Abtrag des Gebäudes nicht zu vermeiden sind. • Mittlere Intensität: Je nach Konstruktion der Wände treten größere Schäden auf, ohne jedoch die Gebäudestabilität zu beeinträchtigen (wenn Gebäude dafür 103
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.36. Bergsturz von Randa im Mattertal (Wallis, Schweiz) (© Markus Stoffel)
Abb. 3.37. Schäden aus Steinschlag durch fallende Komponenten: (a) Schäden am Hallendach und am Tragwerk; (b) Abgestürzter Block im Inneren der Halle (© BMLFUW)
Abb. 3.38. Schäden aus Steinschlag durch rollende Komponenten: (a) Block durchschlägt eine Hausmauer (© WLV); (b) beschädigte Hausmauer durch niedrig springenden oder gleitenden Stein (© BMLFUW)
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3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
konzipiert und entsprechend geprüft wurden). Türen werden stark beschädigt oder zerstört. Menschen und Tiere sind innerhalb von Gebäuden kaum gefährdet, außerhalb jedoch erheblich. Reparaturen sind mit verhältnismäßigem Aufwand realisierbar. • Schwache Intensität: Einwirkungen führen zu Löchern im Mauerwerk. Menschen und Tiere innerhalb von Gebäuden sind nicht gefährdet (rechnerischer Nachweis erforderlich), außerhalb von Gebäuden schon. • Zusätzlich kann von bei Einwirkung von Fels- und Bergstürzen von einer extremen Intensität gesprochen werden, welche in der Regel mit Totalzerstörung des Objektes gleichzusetzen ist. 3.4.4. Gefährdungsbilder durch Bewegungen im Hang (Untergrund) 3.4.4.1. Allgemeines Hang- und Untergrundbewegung lösen auf unterschiedliche Weise Gefahrenszenarien aus (Abb. 3.39). Hänge können durch Ausbildung von Gleitflächen oder durch Bodenverflüssigung instabil werden. Auf diese Weise mobilisierte und verlagerte Feststoffmassen können je nach relativer Lage der Hangbewegung zum Gebäude direkt auf den Baukörper einwirken (Gefährdungsbilder 13, 15; Tabelle 3.2) oder Zwänge (indirekte Einwirkung) infolge ungleichförimger Untergrundbewegungen induzieren (Gefährdungsbilder 14 a,b,c und 16; Tabelle 3.2). 3.4.4.2. Gefährdungsbilder durch direkte Einwirkung einer Rutschung (oberhalb des Gebäudes) oder einer Hangmure Gefährdungsbilder durch direkte Einwirkungen (Gefährdungsbilder 13 und 15; Tabelle 3.2) entstehen durch schnelle Rutschungen (Spontanrutschungen) oder Hangmuren, die sich vom Hang oberhalb auf ein Gebäude zubewegen. Die Auswirkungen auf das Gebäude sind primär von der Geschwindigkeit der Massenbewegung abhängig. Die Rutschmassen bewegen sich dabei auf das Gebäude zu, prallen auf dieses und dringen in dieses ein (Abb. 3.40). Flachgründige Rutschungen, die sich relativ langsam auf einen Baukörper zubewegen (gleiten, kriechen), erzeugen erhöhte Erddrücke (Kriecherddruck) an den beanspruchten Flächen (Gefährdungsbild 11; Tabelle 3.2). Hangmuren und Spontanrutschungen sind in der Wirkung ähnlich dem Gefährdungsbild Mure im Kapitel 3.2.4. 3.4.4.3. Gefährdungsbilder durch indirekte Einwirkungen aus Rutschungen Gefahren durch indirekte Einwirkungen entstehen durch Bewegungen oder Setzungen im Untergrund (Gefährdungsbilder 14 a-c; Tabelle 3.2). Für diese Gefährdungsbilder sind primär die Tiefe der Gleitfläche und die Geschwindigkeit der Verlagerung entscheidend, bei Permanentrutschungen zusätzlich die durchschnittliche Bewegungsrate. Rutschungen gefährden neben der Standsicherheit des Gebäudes auch jene von erdverlegten Leitungen. In Abhängigkeit der Tiefenlage der Gleitfläche werden drei Intensitätsstufen – flachgründige, mittelgründige und tiefgründige Rutschungen – unterschieden (Abb. 3.9, Abb. 3.41). Flachgründige Rutschungen (Gefährdungsbild 14 a; Tabelle 3.2) weisen eine Tiefe der Gleitfläche bis zu 2 m auf; die Gleitfläche liegt jedenfalls nicht unterhalb der 105
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.39. Gefahrenbilder, die aus Rutschungen und Oberflächenerosion resultieren
Fundamentunterkante. Durch flachgründige Rutschungen kommt es in der Regel zu keiner Verringerung der äußeren Standsicherheit des Gebäudes, allerdings entstehen durch die Rutschbewegung Schäden in der Umgebung von Gebäuden. Das Gefährdungsbild entspricht jenem der flachgründigen sackenden Rutschung durch fluviatile Erosion (Gefährdungsbild 4 b; Abb. 3.9 a). Mittelgründige Rutschungen (Gefährdungsbild 14 b; Tabelle 3.2) weisen eine Tiefe der Gleitfläche von 2 bis 10 m auf. Sie liegen jedenfalls überwiegend unter der Sohle der Gründung (Abb. 3.41 a, Abb. 3.42 b). Die Rutschmassen bewegen sich dabei vom 106
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.40. Spontanrutschung: (a) Spontanrutschung auf ein Gebäude (© BMLFUW); (b) in ein Gebäude eingedrungene Rutschmassen (© WLV)
Gebäude weg und können dabei die Fundamente freilegen. Sie verursachen somit lokale Bewegungen des Tragwerkes (Setzungen, Hebungen, Verdrehungen) und je nach Boden-Bauwerkswechselwirkung Zwänge in der Konstruktion, die zu Rissen und Brüchen im Tragwerk führen können (Abb. 3.43 a). Tiefgründige Rutschungen (Gefährdungsbild 14 c; Tabelle 3.2) haben eine Tiefe der Gleitfläche von über 10 m (Abb. 3.41 b). Gebäude werden bei solchen Rutschun-
Abb. 3.41. Gefährdungsbilder Rutschungen: (a) 14 b – mittelgründige Rutschung erfasst Teile des Gebäudes und führt zu Setzungen und Verschiebungen; (b) 14 c – tiefgründige Rutschung erfasst das Gebäude und führt zu dessen Setzung, Verkantung und Verschiebung
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Jürgen Suda et al.
Abb. 3.42. Mittelgründige Rutschungen: Rutschung bewegt sich vom Gebäude weg: (a) es kommt zu Schäden an Fundament und Außenwänden eines Rohbaus oder (b) zu Schäden an Versorgungs- und Abwasserleitungen (© WLV Oberösterreich)
Abb. 3.43. Mittel- und tiefgründige Rutschungen: (a) Setzungsriss; (b) zerstörtes Gebäude (© WLV Vorarlberg)
gen vollständig von der Bewegung erfasst. Die Größe und die Verteilung der Bewegungsgeschwindigkeit über den Rutschkörper beeinflussen das Maß der auftretenden Schäden. Bei einer tiefgründigen Rutschung mit gleichförmiger geringer Geschwindigkeit ist die Bewegungsrate gering und die Geschwindigkeitsvektoren sind im Bereich der Einbindetiefe von gleichem Betrag und gleicher Richtung. Hier entstehen keine Differenzen in der Horizontal- und Vertikalbewegung. Schäden entstehen an Scherrändern der Rutschung oder im Bereich von Mulden und Kuppen. Bei einer tiefgründigen Rutschung mit ungleichförmiger hoher Geschwindigkeit ist die „Bewegungsrate hoch und die Geschwindigkeitsvektoren im Bereich der Einbindetiefe sind von unterschiedlichem Betrag und unterschiedlicher Richtung. Dadurch kommt es zu ausgeprägten Differenzen in der Horizontal- und Vertikalbewegung der Gebäude.“ ([56], 67) Die innere und äußere Standsicherheit (Kippen) sowie die Gebrauchstauglichkeit des Gebäudes sind stark gefährdet. Je nach Art der Gründung, des Tragwerkes und der Boden-Bauwerkswechselwirkung stellt sich das Maß und die Art der Verformungen (Setzungen/Hebungen, Verdrehungen, Rissbildung) am Bauwerk ein (Abb. 3.41 b, Abb. 3.43). 108
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
3.4.4.4. Gefährdungsbild Erdfall Neben den eigentlichen Rutschungen können auch Gefahrenszenarien durch Einsturz- und Absenkungsphänomene auftreten (Gefährdungsbild 16; Tabelle 3.2) (Abb. 3.39). Das Gefährdungsausmaß von Einstürzen hängt von der Einsturztiefe und -fläche ab. In [56] werden zwei Intensitäten unterschieden. Die äußere Standsicherheit des Hauses ist bei einem kleinflächigen Einsturz noch gegeben. Je nach Art der Gründung und des Tragwerks ist die Tragsicherheit dieses Teils des Gebäudes reduziert. Bei einem großflächigen Einsturz ist ein wesentlicher Teil der Gebäudegründung betroffen. Die äußere Standsicherheit ist nicht mehr gegeben. Je nach Art der Gründung und des Tragwerkes kippt oder zerbricht das Gebäude. 3.4.4.5. Schadensbilder durch Bewegungen im Hang (Untergrund): Zusammenfassung und Schadensdetails Als Folge der Gefährdungsbilder durch Rutschungen (Hangmuren) und Hangbewegungen (einschließlich Erdfall) treten die folgenden Schadensbilder für Gebäude auf: • Schäden des gesamten Gebäudes durch Setzung, Verkantung, Verschiebung und Verformung (Verlust der Gebrauchstauglichkeit des Gebäudes) • Reduktion der äußeren Standsicherheit durch verringerte geotechnische Widerstände: Dadurch kann es zu einem Versagen durch Grundbruch (Kippen) und Gleiten kommen. • Schäden am Tragwerk durch Zwangsbeanspruchung: Aus den Verformungen resultieren Setzungsrisse, im Extremfall Verlust der inneren Standsicherheit. • Setzungen, Verformungen und Brüche in erdverlegten Leitungen: Austritt von gefährlichen Stoffen (z. B. Öl, Gas) aus gebrochenen Leitungen. Beim Auftreten von Schäden durch Rutschungen und Hangbewegungen können laut [215] drei Intensitätsstufen unterschieden werden: • Starke Intensität: Durch starke Terrainveränderungen kommt es zu erheblichen differentiellen Bewegungen des Untergrundes und zu einer substantiellen Veränderung der Gebäudestabilität. Risse in statisch tragenden Gebäudeteilen treten auf. Durch Absenkungen und Kippungen ist ein partieller oder totaler Einsturz möglich. Türen und Fenster verkeilen sich und sind nicht mehr benutzbar. Menschen und Tiere sind in Gebäuden gefährdet. Bei Einsturz besteht Lebensgefahr. Reparaturen sind nur mit großem Aufwand realisierbar. Meist sind die strukturellen Schäden so groß, dass eine Evakuierung und ein Abtrag des Gebäudes unvermeidbar sind. Leitungsbrüche und Zerstörung von Straßen sind möglich. • Mittlere Intensität: Es treten Risse in Mauern, nicht jedoch an tragenden Bauteilen auf. Die Dichtigkeit von Fugen und die Verbindungen zwischen verschiedenen Bauteilen sind beeinträchtigt. Fenster und Türen verkeilen sich. Reparaturen sind mit verhältnismäßigem Aufwand realisierbar. Deformation von Straßen sowie von ober- und unterirdischen Leitungen treten auf. Drainagen können verstopfen.
109
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.44. Von Rutschung erfasstes und durch unterschiedliche Bewegungsgeschwindigkeiten und -richtungen zerstörtes Gebäude (© WLV)
• Schwache Intensität: Es treten nur leichte Schäden (z. B. kleine Risse, Schäden am Verputz) auf, größere steife Bauten sind in der Regel nicht gefährdet. Geringfügige Schäden an Straßen sind möglich. 3.5. Gefährdungsbilder durch meteorologische Gefahren Meteorologische Gefahren stehen mit atmosphärischen Naturprozessen in Zusammenhang und wirken direkt auf das Gebäude ein. Sie sind in ihrem Auftreten nicht an den Gebirgsraum gebunden. Nachfolgend wird ein kurzer Überblick über die Gefährdungsbilder und Schadenbilder im Zusammenhang mit Sturm, Hagel und Blitzschlag gegeben (Gefährdungsbild 17, 18, 19; Tabelle 3.2). 3.5.1. Gefährdungsbild Sturm Das Gefährdungsbild Sturm (Gefährdungsbild 17; Tabelle 3.2) resultiert aus extremen Windgeschwindigkeiten infolge von Winter-, Gewitter- oder Föhnstürmen sowie Tornados. Die Beanspruchung eines Gebäudes ist von dessen Höhe, Form (aerodynamische Eigenschaften) und der Lage im Gelände (Senke, Kuppe, Abschattungen) abhängig. Generell sind alle luvseitigen Gebäudeteile auf Druck und alle leeseitigen Teile auf Sog beansprucht. Je nach Lage der Öffnungen entstehen in Innenräumen Über- oder Unterdrücke. Bei frei stehenden Dächern kommt es aufgrund des Auftriebes zu einer abhebenden Kraft (Abb. 3.46). In diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: • Einwirkungen aus dem Wind (luvseitiger Staudruck, leeseitiger Sog, Überdruck im Innenraum, Auftrieb) • Dynamische Einzelbelastungen durch Einschlag (Anprallstoß) von verwehten Komponenten (z. B. Fassaden- und Dachplatten, Dachziegel, Gartenmöbel), umgestürzten Bäumen oder großen Ästen • Ablagerungen auf Dächern und Geschossdecken (windverfrachtete Komponenten)
110
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.45. Gefährdungsbild 17: Sturm
Daraus können folgende Schadensbilder am Gebäude resultieren: • Schäden an der Gebäudehülle – gelockerte oder abgerissene Fassadenelemente – gelockerte oder abgetragene Dachdeckungen (Abb. 3.46; Abb. 3.47 a) – lokal zerstörte Dächer durch Sog- oder Druckbeanspruchung, Auflast von umgefallenen Bäumen, abgerissenen Kaminaufmauerungen, Kaminabdeckungen und abgerissenen Dachständern (Satellitenanlagen, Stromzuleitungen, Hausantennen) (Abb. 3.47b) – Anprallschäden an Dach und Fassade durch Einschlag von verwehten Komponenten und anderen losen Gegenständen (z. B. diverse Garteneinrichtungen etc.) – eingedrückte Fenster, Türen und Tore: Ein Aufreißen von Fenstern, Türen und Toren an der windzugewandten Seite führt zu einer signifikanten Erhöhung des Innendruckes. • Versagen der Standsicherheit des gesamten Bauwerkes oder von Teilen davon – zerstörte Gebäude – abgetragene Dachkonstruktionen (Abb. 3.46; Abb. 3.47 a) – abgetragene Markisen, Rollläden, Jalousien und Energiegewinnungsanlagen (vor allem bei aufgeständerter Ausführung). 111
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.46. Schäden an der Gebäudehülle: Typische Windschäden im First- und Ortgangbereich von kleinformatigen Eindeckungen. bzw. großflächig abgerissene Faserzement-Welldachplatten (© OOEV)
Abb. 3.47. Versagen der Standsicherheit: teilweise zerstörter Dachstuhl, durch Windkräfte abgetragener Kamin (© OOEV)
– Entwurzelte Bäume3 mit der Fallrichtung vom Gebäude abgewandt können bei geringem Abstand mit dem Wurzelteller Teile des Fundamentes zerstören. – Auch bei geringeren Windgeschwindigkeiten kann es zu Vorschädigungen kommen, besonders in der Bauphase, wenn noch nicht alle Windverbände und Aussteifungselemente montiert sind. • Abheben des Gebäudes oder von Teilen davon durch Auftrieb (besonders bei Leichtbauweisen) 3.5.2. Gefährdungsbild Hagel Das Gefährdungsbild Hagel (Gefährdungsbild 18; Tabelle 3.2) tritt vorwiegend im Zusammenhang mit Gewittern auf (Abb. 3.48). Die Intensität eines Hagelereignisses auf ein Gebäude wird durch die Größe der Hagelkörner, die Topografie, die Windverhältnisse sowie die Lage, Höhe und Form des Gebäudes bestimmt. 3
112
Aus den Untersuchungen in [107] geht hervor, dass 30 % der Gebäude ein hohes Risiko durch gebäudenahe Bäume aufweisen.
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.48. Gefährdungsbild 18: Hagel
Tritt Hagel in Verbindung mit Sturm auf, ist das Gefährdungsbild Hagel mit dem Gefährdungsbild Sturm (siehe Kapitel 3.5.1; Abb. 3.46) zu kombinieren. Tritt neben dem Hagel zusätzlich Starkregen auf, ist das Gefährdungsbild Hagel mit dem Gefährdungsbild Überflutung durch oberirdisches Hangwasser (siehe Kapitel 3.2.5: Gefährdungsbild 6) zu kombinieren. In Verbindung mit Hagel können sich die Entwässerungssysteme rascher verstopfen, in diesem Fall kann zusätzlich Überflutung infolge Rückstau aus Kanalisationen (siehe Kapitel 3.2.7, Gefährdungsbild 8) auftreten. In diesem Gefährdungsbild entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: • Einwirkungen aus dem Hagelschlag während des Ereignisses • Aufprall von zerbrochenen Teilen der Gebäudehülle auf tieferliegende Gebäudeteile • Auflasten durch Ablagerungen während und nach dem Ereignis • Einschlag von abgebrochenen Ästen Daraus können folgende Schadensbilder am Gebäude resultieren: • Schäden an der Gebäudehülle 113
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.49. Schäden an der Gebäudehülle: (links) Durchschlagene Faserzement-Wellplatten, Hagelkorngröße zwischen 4 und 6 cm. (© OOEV); (rechts) Durchschlagener Tonziegel mit einem Golfball als Vergleichsobjekt (© Hans Starl)
• • • • • •
– zerstörte (durchschlagene) Fensterscheiben – beschädigte Rollbalken, Fassaden und Dächer (Abb. 3.49) Eindringen von Niederschlagswasser durch die zerstörten Öffnungen Verstopfte Entwässerungseinrichtungen und Kanäle (Kanalrückstau) Durchfeuchtung von Bauteilen Überlastungen von Decken durch Auflasten infolge Ablagerungen Schäden durch Sickerwasser im Innenraum beim Schmelzvorgang Eine Vorschädigung der Fassade durch Hagel fördert Windschäden auch bei geringer Windintensität.
3.5.3. Gefährdungsbild Blitzschlag Auch Blitzschlag (Gefährdungsbild 19; Tabelle 3.2) tritt im Zusammenhang mit Gewittern in Erscheinung. Hinsichtlich der Einwirkung auf ein Gebäude wird direkter und indirekter Blitzschlag unterschieden. Ein direkter Blitzeinschlag beschädigt das Gebäude unmittelbar (Abb. 3.50). Ein indirekter Blitzeinschlag erfolgt in das Leitungsnetz oder einen gebäudenahen Baum und führt mittelbar zu Schäden an Gebäuden und elektronischen Einrichtungen. Im Gefährdungsbild Blitzschlag entstehen folgende Einwirkungen auf das Gebäude: • indirekter Blitzschlag (Potentialunterschiede elektrischer Anlagen oder des Bodens, elektromagnetische Induktion in längeren Leitungsstrecken) • direkter Blitzeinschlag in das Gebäude • Aufgrund von Blitzeinschlag in Bäume brechen diese oder Teile davon ab und verursachen so dynamische Einzelbelastungen auf die Gebäudehülle (Anprallstoß). Daraus können folgende Schadensbilder am Gebäude resultieren: • thermische Wirkungen/Brandentstehung – Durch die atmosphärische Entladung können im direkten Blitzeinschlagbereich in Folge des Lichtbogens Temperaturen von mehreren 1000 K auftreten. 114
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.50. Gefährdungsbild 19: Blitzschlag
Diese thermischen Wirkungen können an brennbaren Materialien zu einer Brandentstehung führen. – Durch lokale im Einschlagbereich auftretende Schmelzwirkungen können in Folge abfallender glühender Metallteilchen wie auch durch Verdampfen von Metall brandverursachende Wirkungen auftreten (Abb. 3.51). • mechanische Beschädigungen und daraus resultierende Gefährdung – Mechanische Beschädigung der Gebäudehülle oder des Tragwerkes durch Blitzeinschlag in das Gebäude: In Folge der offenen Lichtbogenwirkung mit den folgenden Stromwirkungen eines Blitzkanals kann es zu massiven mechanischen Schäden an Bauteilen kommen, welche durch das örtliche Verdampfen von Feuchtigkeit oder Metall zu einer entsprechenden Volumenvergrößerung führen, die dann mit einer direkten Druckbelastung einhergeht. Derartige Druckbelastungen können zu gefährlichen Versagensmomenten bei konstruktiven Bauteilen führen, wodurch auch Gefahren für Personen auftreten können (Abb. 3.52). – Einschlag von abgebrochenen Bäumen und Ästen • elektrischer Schlag Werden atmosphärische Entladungen in ein Gebäude eingeleitet, können durch unkontrollierte Blitzstromeinkopplungen in die elektrischen Systeme oder metallische Konstruktionselemente, welche nicht in ein gesamtheitliches Erdungs- und 115
Jürgen Suda et al.
Abb. 3.51. Schmelzwirkungen infolge einer Blitzstromeinkopplung bei einer Kupferregenrinne. Am Nachbarrohr sind deutlich die Schmelzperlen zu sehen (Brandgefahr) (© OÖ Blitzschutzgesellschaft)
Abb. 3.52. Blitzspuren in einem Objekt ohne Blitzschutzsystem mit nachhaltigen Schäden an der Baustruktur und Folgen für die Statik. Bei diesem Fall wurden zwei Personen durch Mauerbruchstücke schwer verletzt (© OÖ Blitzschutzgesellschaft)
Potenzialausgleichssystem eingebunden sind, unzulässig hohe Spannungsdifferenzen auftreten, die zu einer erhöhten Personengefährdung führen können. 3.6. Gefährdungsbilder durch Feuergefahren Feuer gefährdet Gebäude durch Brand (Gefährdungsbild 20; Tabelle 3.2). Definitionsgemäß ist der Brand ein mit einer Lichterscheinung (Feuer, Flamme, Glut, Glimmen, Funken) verbundener Verbrennungs-, Seng- oder Schmelzvorgang, der ohne einen bestimmungsgemäßen Herd entstanden ist oder ihn unkontrolliert verlassen hat und sich aus eigener Kraft auszubreiten vermag. Als natürliche Brandursachen kommen Blitzschlag und Waldbrand (Buschbrand) in Frage (Folgebrand, Abb. 3.53), die weitaus größte Zahl von Gebäudebränden entsteht durch menschliche Handlungen oder Unterlassungen.
116
3. Gefährdungs- und Schadensbilder für Gebäude
Abb. 3.53. Folgebrand nach einem Blitzschlag (© OÖ Blitzschutzgesellschaft)
Durch das Gefährdungsbild Brand entstehen folgende Einwirkungen auf Gebäude (3 Brandphasen): • Initial- oder Schwelbrand • Lokaler Brand • Vollbrand (nach schlagartiger Brandausbreitung, „flash-over“) Daraus können folgende Schadensbilder am Gebäude resultieren: • Direkter Brandschaden am Gebäude (Abb. 3.53) • Brandschaden am Inventar und an Mobilien • Umweltschäden (z. B. giftige Rauchgase) • Löschwasserschäden
117
4. Einwirkungen auf Gebäude
Jürgen Suda, Dietmar Bobacz, Robert Hofmann, Thomas Zimmermann
4.1. Prozess- und Einwirkungsmodelle Einwirkungen auf Gebäude resultieren aus der menschlichen Nutzung, aus dem Baugrund und aus Naturprozessen (Kapitel 2). Eine Einwirkung wird in der Bemessung durch ein Einwirkungsmodell beschrieben. Ein Teil der Einwirkungen auf Gebäude ist mit den Normen der EN 1991-Reihe abgedeckt (Kapitel 7). Einwirkungsmodelle für die meisten hydrologischen, geologischen1, meteorologischen2 Naturgefahren sowie Schneegefahren3 sind in diesen Baunormen nicht enthalten. Daher werden diese Einwirkungen für ein bestimmtes Gebäude in der Praxis durch Experten festgelegt. Bei dieser Festlegung werden das Prozess- und das Einwirkungsmodell für das Gebäude (Tragwerk) unterschieden. Die beiden Modelle sind über eine Schnittstelle miteinander verbunden (Abb. 4.1).
Abb. 4.1. Einwirkungen auf Gebäude: Prozessmodell, Einwirkungsmodell und Schnittstelle 1 2 3
mit Ausnahme von Erdbeben: EN 1998-1 mit Ausnahme von Sturm: EN 1991-1-1 mit Ausnahme von Schneelast: EN 1991-1-1 119
Jürgen Suda et al.
Das Prozessmodell (siehe Kapitel 2) bildet das Verhalten des Naturprozesses aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften ab. Das Ziel ist es, die für die Einwirkung relevanten Grundparameter (z. B. Drücke, Energie, Dichte des Mediums, Fließhöhen) an der Schnittstelle zu ermitteln. Das Einwirkungsmodell bildet die Interaktion des Naturprozesses mit dem Gebäude ab. Ein Einwirkungsmodell für ein Tragwerk besteht aus der repräsentativen quantifizierten Einwirkung (z. B. Flächenlast, Einzellast, Druck) und der zugehörigen Verteilung (Lastfigur). Aus dem Einwirkungsmodell resultieren die Beanspruchungen des Tragwerkes. An der Schnittstelle werden maßgebliche Parameter des Prozessmodells an das Einwirkungsmodell weitergegeben. Diese liegt je nach Art des Prozesses und der Form des Gebäudes in einiger Entfernung zum Gebäude oder direkt auf dessen Oberfläche (Abb. 4.1). 4.2. Klassifizierung der Einwirkungen Einwirkungen auf Tragwerke besitzen – je nach ihrem Ursprung – unterschiedliche Eigenschaften. Für eine standardisierte Berücksichtigung der Einwirkungen in den Bemessungsmodellen müssen diese nach unterschiedlichen Gesichtspunkten klassifiziert werden. Die wichtigste Klassifizierung ist jene nach der zeitlichen Veränderlichkeit, da bei der Bemessung (Kapitel 11) den Einwirkungsarten aufgrund dieser Klassifizierung unterschiedliche Teilsicherheitsbeiwerte zugeordnet werden. Hier werden folgende Kategorien unterschieden: • Ständige Einwirkungen (G) sind über die geplante Nutzungsdauer des Gebäudes ständig vorhanden. • Veränderliche Einwirkungen (Q) treten über die geplante Nutzungsdauer nur in bestimmten Zeitintervallen auf oder schwanken in der Höhe der Einwirkung stark. • Außergewöhnliche Einwirkungen (A) treten innerhalb der Lebensdauer sehr selten und nur für kurze Perioden auf. Nach dem Ursprung werden folgende Kategorien unterschieden: • Direkte Einwirkungen werden von allen Einwirkungen gebildet, die von außen auf das Bauwerk wirken. • Indirekte Einwirkungen können aus aufgezwungenen Verformungen oder aus behinderten Verformungen entstehen. Nach der räumlichen Verteilung werden folgende Kategorien unterschieden: • Ortsfeste Einwirkungen verändern in einer bestimmten Bemessungssituation nicht ihre Lage. • Freie Einwirkungen können überall auf das Tragwerk wirken und müssen an der ungünstigsten Stelle angesetzt werden. Nach der Natur der Einwirkungen werden folgende Kategorien unterschieden: • Statische Einwirkungen stammen aus vorwiegend ruhenden Prozessen. • Dynamische Einwirkungen resultieren aus Prozessen mit einer ausgeprägten Geschwindigkeitskomponente (z. B. Fließ-, Sturzprozesse). 120
4. Einwirkungen auf Gebäude
Tabelle 4.1. Klassifizierung der Einwirkungsarten
Eigengewicht
•
•
•
•
Erddrücke
•
•
•
•
spontane Rutschung
•
•
• •
Wasserdruck im Boden
•
(•)
•
statischer Wasserdruck aus Überflutung
•
(•)
•
•
•
•
dynamisch
Natur
statisch
frei
räumliche Verteilung
ortsfest
indirekt
direkt
Ursprung
außergewöhnlich
veränderlich
zeitliche Veränderung
ständig
Einwirkungsart
• • •
dynamischer Wasser-, Murenoder Lawinendruck
(•)
Nutzlasten
•
•
•
Wind
•
•
•
•4
•
•
•4
Hagel abgelagerter Schnee
•
• •5
•
•
•4
•
•
•
•
Steinschlag, Felssturz
•
•
•
•4
Erdbeben
•
•
•
•
eingeprägte Verformungen (Zwänge) Temperatureinwirkungen
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Brandlasten zeitabhängiges Materialverhalten (Kriechen, Schwinden)
• •
•
• •
•
• •
In Tabelle 4.1 sind die wichtigsten Einwirkungen auf Gebäude nach den zuvor genannten Kategorien klassifiziert. 4.3. Einwirkungen aus vorwiegend ruhenden Wasserkörpern 4.3.1. Prozess- und Einwirkungsmodell In 5vorwiegend ruhenden Wasserkörpern wirkt der statische Wasserdruck auf eingetauchte Druckflächen. Der Druck ist an jeder beliebigen Stelle in allen Richtungen gleich groß. Sind zwei Wasserkörper mit unterschiedlichen Druckhöhen über einen wassergesättigten durchlässigen Bodenkörper miteinander verbunden („kommu4
4 5
wird in der Bemessung oft als äquivalente statische Ersatzlast berücksichtigt nur in Bereichen mit Permafrost 121
Jürgen Suda et al.
Abb. 4.2. Einwirkungen aus vorwiegend ruhenden Wasserkörpern
nizierende Gefäße“), bildet sich im Boden durch das Potentialgefälle eine Strömung aus, aus der ein Strömungsdruck im Boden resultiert. Ein Potentialgefälle kann aber auch aus topografischen Gegebenheiten resultieren (z. B. Hangwasser). Um bei der Berechnung der Einwirkungen alle diese Faktoren berücksichtigen zu können, muss an jeder Seite des Gebäudes eine Schnittstelle definiert werden (Abb. 4.2). Für das Prozessmodell werden folgende Parameter benötigt: • Höhe des Wasserstandes auf beiden Seiten des Gebäudes (hw1 und hw2) oder Potentialliniennetz • Höhe der Geländeoberfläche auf beiden Seiten des Gebäudes (hE1 und hE2) • Bodenschichtung • Dichte des Wassers (ρw; Reinwasser: ρw = 1000 kg/m³) Die Wasserdrücke aus der Potentialberechnung sind auf die Außenflächen des Gebäudes und die Gleitflächen bei geotechnischen Berechnungen anzusetzen. Bei statischen Überflutungen (Gefährdungsbild 1 a; Tabelle 3.2) und Grundwasserhochständen (Gefährdungsbild 7; Tabelle 3.2) in ebenem Gelände gilt meist hw1 = hw2 und hE1 = hE2 . In diesem Fall bilden sich keine Strömungsdrücke im Boden aus oder sind vernachlässigbar gering. Aus vorwiegend ruhenden Wasserkörpern resultieren im Einwirkungsmodell folgende Einwirkungen (Abb. 4.2): 122
4. Einwirkungen auf Gebäude
• • • •
Wasserdruck auf Wände Sohlwasserdruck auf Fundamente Auflasten auf überstaute Geschossdecken Strömungsdruck bei Potentialgefälle im Boden Der statische Wasserdruck pw ist abhängig von der Dichte des Wassers (und der Druckhöhe hw (Gl. (1)). Er nimmt linear mit der Tiefe z zu. (1)
Die Dichte von Wasser im Boden ist mit 1000 kg/m³ anzunehmen. Ein Wasserdruck wirkt immer normal auf die eingetauchte Druckfläche. Die resultierende Kraft Fw greift im Druckpunkt, dem Schwerpunkt der Belastungsfigur, an. Bei einer dreiecksförmigen Lastfigur ist dies der Drittelpunkt (Abb. 4.2). Bei einem Potentialgefälle bildet sich durch die Strömung im Boden ein Strömungsdruck fs aus. Dieser Druck verändert die Größe des Wasser- und Erddruckes. Die näherungsweise Berechnung des Strömungsdruckes kann über das Potentialgefälle erfolgen. Bei dieser Annahme ist er vom hydraulischen Gradienten i abhängig und berechnet sich nach Gl. (2). (2)
Die Strömungskraft S errechnet sich über das durchströmte Volumen V: (3)
Der hydraulische Gradient i errechnet sich aus dem Potentialgefälle Δhi und der Länge des Stromfadens Δli. (4)
Bei einer Strömung werden eine Oberwasser- und eine Unterwasserseite unterschieden. Basierend auf Abb. 4.2 errechnet sich der Wasserdruck an der Oberwasserseite nach Gl. (5). Der Wasserdruck auf der Oberwasserseite wird in diesem Fall kleiner als der hydrostatische Wasserdruck, bei gleichzeitiger Erhöhung der Erddruckspannungen. (5)
An der Unterwasserseite vergrößert sich der Wasserdruck und es kommt zu einer Verringerung der Erddruckspannungen. Der Wasserdruck an der Unterwasserseite errechnet sich nach Gl. (6). (6)
Eine exakte Berechnung von Wasser- und Strömungsdrücken im Boden erfolgt über das Potentialliniennetz. Ruhende Wasserkörper und eine Strömungskraft ha123
Jürgen Suda et al.
ben auch Auswirkungen auf den Erddruck. Diese sind in Kapitel 4.7.3.3 beschrieben. Weiterführende Informationen finden sich in der DIN 4085 : 2007-10 und ÖNORM B 4434. 4.4. Einwirkungen aus Fließprozessen 4.4.1. Prozess- und Einwirkungsmodell Einwirkungen aus Fließprozessen resultieren aus den dynamischen Verlagerungsprozessen von Wasser (Gefährdungsbild 1 b; Tabelle 3.2), fluviatilen und murartigen Transportprozessen (Gefährdungsbild 2), Murgängen (Gefährdungsbild 5), Überschwemmung aus oberirdischen Hangwässern (Gefährdungsbild 6) und Lawinen (Gefährdungsbild 10 a, b). Obwohl sich deren Prozessmodelle physikalisch unterscheiden, kann deren dynamische Komponente auf ein gemeinsames Einwirkungsmodell zurückgeführt werden. Die Prozesse unterscheiden sich hauptsächlich hinsichtlich der Zähigkeit und Dichte des Abflusses. In Fließprozessen werden auch größere Einzelkomponenten – wie beispielsweise Steine, Eisblöcke und Baumstämme – mitgeführt. Diese prallen zeitgleich mit der Front des Prozesses und mit der gleichen Geschwindigkeit auf das Gebäude (Gefährdungsmodell 3; Tabelle 3.2). Die Schnittstelle liegt hier vor der prozesszugewandten Seite des Gebäudes (Abb. 4.3). Aus dem zum jeweiligen Gefährdungsbild gehörigen Prozessmodell werden folgende Parameter benötigt: • Art des Prozesses • Anströmwinkel (α) • Breite des Abflusses (bFl, bei Muren und Lawinen) • Fließhöhe (hFl) • Fließgeschwindigkeit (v) • Dichte des Fließprozesses (ρ) • Alternativ zu hFl, v, ρ kann die Geschwindigkeitsdruckverteilung q p(z) an der Schnittstelle angegeben werden. • Weist der Prozess mehrere Schichten mit unterschiedlichen Stoffeigenschaften auf (z. B. Mischlawine), werden obige Parameter für jede Schichte benötigt. • Einzelkomponente: – Masse (m) – Geschwindigkeit (v) – Blockgröße (Komponentengröße) Aus dynamischen Fließprozessen resultieren im Einwirkungsmodell folgende Einwirkungen (Abb. 4.3): • dynamischer Druck an den direkt angeströmten Bereichen • Anprall der Einzelkomponente (Punktlast) • reduzierter dynamischer Druck an schräg angeströmten Bereichen • Reibung an parallel und schräg angeströmten Bereichen • Auflasten auf überströmte oder überstaute Geschossdecken • statischer Druck an direkt, schräg und parallel angeströmten Bereichen 124
4. Einwirkungen auf Gebäude
Abb. 4.3. Einwirkungen aus dynamischen Fließprozessen (© Jürgen Suda)
Bei den im Folgenden zusammengestellten Modellen wurde der Schwerpunkt auf einfache Bemessungsansätze gelegt, um die Problematik übersichtlicher darzustellen. Gerade im Bereich der Einwirkungen aus Lawinen stehen genauere, aber deutlich komplexere Modelle zur Verfügung. Diese Modelle sind im Detail in [226] wiedergegeben. Detailliertere Betrachtungen zu Einwirkungen aus Muren finden sich in [210] [246]. Die Wahl des Einwirkungsmodells soll immer mit der Genauigkeit des Prozessmodells korrelieren. 4.4.2. Geschwindigkeitsdruck Allgemein ergibt sich der Geschwindigkeitsdruck q p eines strömenden Mediums nach Gl. (7). ρ ist die Dichte des strömenden Mediums (in [kg/m³]) und v die Geschwindigkeit (in [m/s]).
125
Jürgen Suda et al.
(7)
Besteht der Fließprozess aus mehreren Schichten (z. B. Mischlawine) mit unterschiedlichen Stoffeigenschaften, ist ein Geschwindigkeitsdruckprofil q p(z) zu erstellen. Dabei wird q p in Abhängigkeit der Höhe z berechnet. In Tabelle 4.2 bis Tabelle 4.4 sind grobe Richtwerte für Dichten und Fließgeschwindigkeiten von unterschiedlichen Arten von Fließprozessen zusammengestellt. Die höhenabhängigen Geschwindigkeitsdrücke von Wind q p(z) sind nach Kapitel 4.9 zu ermitteln.6789 Tabelle 4.2. Richtwerte für Dichten (ρ) von Strömungsprozessen Strömungsprozess
Dichte ρ
Quelle
[kg/m³] Wind (Sturm) Lawinen
mittlere Dichte der Luft
1,25
[168], 4.5(1)
Staublawine
Staubschichte
5 –101)
[133], [12]
Übergangsschichte
10 – 501)
[133]
Nassschneelawine
300 – 500
[12] und [133]
450
[9], 20
Trockenschneelawine
50 – 3001)
[133], [12] [9], 20
Hochwasser
1000
[185]
fluviatiler Feststofft ransport
1000 –1300
[185]
murartiger Feststofft ransport
1300 –1700
[185]
Murgang
1700 – 2500
[185]
Fließlawine
Wasserbezogene Verlagerungsprozesse
1)
in [188] empfohlene Werte zur Berechnung der Druckkräfte aus Lawinen
Tabelle 4.3. Richtwerte für mittlere Geschwindigkeiten v von Strömungsprozessen Strömungsprozess
Geschwindigkeit v
Quelle
[m/s]
[km/h]
2 –766 (157)
7– 25 (54)
[56]
Nassschneelawine
10 – 208
36 –72
[133], [190]
Trockenschneelawine
20 – 40
72 –144
[133]
20 – 509
72 –180
[190]
Staublawine und Mischlawine
30 –70
144 – 252
[133]
Wind9
17– 50
60 –180
[179]
Muren Fließlawine
6 7 8 9 126
in flacherem Gelände in steilem Gelände in [190] empfohlener Wert zur Berechnung der Druckkräfte aus Lawinen mit der ÖNORM 1991-1-4 [179] abgedeckter Geschwindigkeitsbereich
4. Einwirkungen auf Gebäude
Tabelle 4.4. Richtwerte für mittlere Geschwindigkeiten v von Hochwasserabflüssen, aus [185], Tabelle 2 Charakteristik der Gerinnestrecke flach
Sohlgefälle J
mittlere Fließgeschwindigkeit v
[%]
[m/s]
E0 > > Ea. Damit sich der aktive Erddruck aufbauen kann, sind jedoch Verformungen der Konstruktion notwendig. Bei einer Stützmauer muss eine Kopfverschiebung von rund 0,1 bis 1 % der Wandhöhe erfolgen, damit der volle aktive Erddruck entstehen kann. Demgegenüber muss die 10- bis 30-fache Verformung erfolgen, also ungefähr 5 bis 30 %, damit der volle passive Erddruck aktiviert werden kann. Wenn die zu erwartenden Wandbewegungen kleiner sind als jene Bewegungen, die zur Erreichung von Ea bzw. Ep erforderlich wären, treten Zwischenwerte des Erddrucks auf (Sondererddrücke). Einen Überblick über mögliche Erddrücke gibt Abb. 4.16. Wenn sich die Wand nicht bewegt, d. h. in „Ruhe“ bleibt, ist der Erdruhedruck E0 anzusetzen. Nach [163] bedeutet „in Ruhe“ ein κ ≤ 0,005 %. Der erhöhte Erddruck Ea’ ist zu verwenden, wenn die Wandbewegung nicht ausreicht, um den aktiven Erddruck zu mobilisieren (κ < κa), oder die Konstruktion abgestützt wird. Das Gleiche gilt für den verminderten passiven Erddruck Ep’ (κ < κp). Detaillierte Angaben finden sich z. B. in der ÖNORM B 1997-1-4 oder in der DIN 4085 : 2007-10. Der Verdichtungserddruck Ev ist bei einer Verspannung der Hinterfüllung infolge starker Verdichtung anzusetzen. 150
4. Einwirkungen auf Gebäude
Abb. 4.16. Erddruckarten in Abhängigkeit der Nachgiebigkeit der Konstruktion, der Möglichkeit der Gleitflächenbildung und der modellgemäßen Änderung des Spannungszustandes im Boden. (Der passive Erddruck ist nicht dargestellt)
4.7.3. Erddruckberechnung 4.7.3.1. Allgemeines Das älteste, noch gebräuchliche kinematische Verfahren zur Berechnung von Erddrücken stellt die Theorie nach Coulomb dar. Bei der Coulomb’schen Erddrucktheorie ergibt sich der resultierende Erddruck aus einer Extremwertaufgabe. Dabei erfolgt eine Variation der Neigung einer ebenen Gleitfläche so lange, bis die maximale Erddruckkraft erreicht wird. Nach dieser Theorie wird jene Gleitfläche gesucht, für die sich die geringste Sicherheit ergibt. In der Natur stellt sich jener Bruchmechanismus ein, der zur kleinsten Sicherheit führt. Weitere Grundlagen zur Erddrucktheorie finden sich beispielsweise in [1] oder [239]. Bei der Berechnung des aktiven Erddruckes kann von ebenen Gleitflächen ausgegangen werden. Beim passiven Erddruck müssen jedoch gekrümmte oder zusammengesetzte Gleitflächen verwendet werden. Bei der Berechnung des Erddruckes aus Eigenlast des Bodens wird im ersten Schritt von einer linearen Zunahme des Druckes über die Tiefe ausgegangen. Unter bestimmten Umständen ist diese Verteilung anschließend entsprechend der Konstruktion und der möglichen Bewegung umzuverteilen (siehe Kapitel 4.7.3.7). Dies betrifft zum Beispiel Kellerwände von Gebäuden und bewegungsarme Bauwerke. Der gesamte horizontale Erddruck (eah bzw. eph) in einem homogenen Boden darf näherungsweise aus der Summe der verschiedenen Anteile aus Bodeneigengewicht, dem Erddruck aus der Geländeauflast q und aus der Kohäsion c gebildet werden (Gl. (36)). (36)
151
Jürgen Suda et al.
Ist der Anteil der Kohäsion größer als der Anteil aus dem Bodeneigengewicht, so ergeben sich rechnerisch Zugspannungen. In diesem Fall ist der Ansatz des Mindesterddruckes zu berücksichtigen. 4.7.3.2. Neigung des Erddruckes Der Neigungswinkel des Erddruckes, bezogen auf eine Normale auf die Stützwand, ergibt sich unter Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen Boden und Bauwerk. Der Wandreibungswinkel ist vom Spannungszustand im Baugrund, der Relativbewegung zwischen Boden und Bauwerk, der Scherfestigkeit und der Wandreibung abhängig. Es wird zwischen einem aktiven δa und einem passiven Wandreibungswinkel δp sowie jenem des Ruhedruckes δ0 unterschieden (Abb. 4.17). Bewegt sich ein Bauwerk vom Boden weg, gleitet ein Erdkörper an der Rückseite des Bauwerkes nach unten. Daraus resultiert ein positiver aktiver Neigungswinkel +δa. Bereits bei der Verdichtung der Hinterfüllung entsteht eine nach unten gerichtete Schubkraft. Eine nach oben gerichtete Schubkraft (negativer Reibungswinkel -δa) kann auf der aktiven Seite nur eintreten, wenn sich die Rückseite des Stützbauwerkes im Verhältnis zum Boden nach unten bewegt. Auf der passiven Seite, bei der Bewegung eines Bauwerkes zum Boden hin, gleitet ein Erdkörper bei behinderter Vertikalbewegung des Stützbauwerkes an diesem nach oben. Daraus resultiert ein negativer passiver Neigungswinkel -δp. Für den Ruhedruck wird ein Neigungswinkel δ0 = 0 angenommen. Der Wandreibungswinkel wird meistens nicht experimentell bestimmt, sondern in Abhängigkeit der Wandbeschaffenheit und der angenommenen Gleitfläche gemäß Tabelle 4.25 angesetzt. Bei der Festlegung des Wandreibungswinkels ist zu beachten, dass bei Vergrößerung von δ der aktive Erddruck kleiner bzw.der passive Erddruck größer wird. Neben den oben genannten Grundwerten ist δ auch vom Neigungswinkel der Mauerrückwand α und von der Geländeneigung β abhängig (Abb. 4.17).
Abb. 4.17. Schnitt durch eine Stützmauer: Richtungssinn des Wandneigungswinkels (α), des Wandreibungswinkels (δ) und der Geländeneigung (β) 152
4. Einwirkungen auf Gebäude
Tabelle 4.25. Wandreibungswinkel δ für ebene Gleitflächen (φ ≤ 35°) gem. ÖNORM B 4434 [163] Wandbeschaffenheit
Wandreibungswinkel δ22
Beispiele
verzahnt
Wandrückseite gegen das Erdreich betoniert Pfahlwände aus Ortbeton Spundwände Hochdruck-Bodenvermörtelung
rau
unbehandelte Oberflächen von Stahl, Holz normal geschalte Wandrückseite bei Beton
weniger rau
Abdeckungen aus verwitterungsfesten, plastisch nicht verformbaren Kunststoff platten Glatt geschalte Wandrückseite aus sehr dichtem Beton (gehobelte und geölte Holzschaltafeln, glatte Stahltafeln, glatte Kunststoff platten)
glatt
stark schmierige Hinterfüllung plastische Dichtungsschicht auf der Wandrückseite, die keine Schubkräfte übertragen kann (bituminöse Dichtungsbahn)
δ=0
4.7.3.3. Wichte des Bodens22 Die Wichte γ (in [kN/m³]) hängt von der Bodenart ab. Werden die Erddruckspannungen unter Wasser ermittelt, so ist mit der Wichte unter Auftrieb zu rechnen. Die Wichten der Bodenschichten können entweder auf Grund der Erfahrung genügend genau abgeschätzt oder an ungestörten Bodenproben mit Ausstechzylindern direkt im Labor ermittelt werden. Bei ruhendem Grundwasser bleiben die Formeln zur Ermittlung des Erddruckes unverändert. Bei strömenden Grundwasserverhältnissen verändert sich der Wasserdruck (gegenüber dem ruhenden Wasserdruck) auf das Bauwerk infolge des Potenzialabbaus und des Strömungsdrucks (siehe Abb. 4.2 und Kapitel 4.3). Bei strömendem Grundwasser sind aus dem Strömungsnetz die Wasserdrücke zu berechnen (in der Praxis mittels Finite Element Programmen) und diese Drücke sind am Erdkeil (nach Coulomb) anzusetzen. Im nächsten Schritt wird der Neigungswinkel des Gleitkeiles so lange variiert, bis sich ein Extremwert ergibt. Näherungsweise ist für Baugrubensicherungen unter Vernachlässigung der Konstruktionsbreite des Stützbauwerkes, bei überwiegend vertikaler Strömung, im homogenen Baugrund der Einfluss des Strömungsdruckes über die Veränderung der Wichten zulässig. Der Erddruck auf der aktiven Seite wird infolge der im Erdkörper wirkenden Strömungskraft größer. (37)
22 Im Regelfall ist beim aktiven Erddruck δ = δα ≥ 0 und beim passiven Erddruck δ = δρ ≤ 0 153
Jürgen Suda et al.
An der passiven Seite reduziert sich die Wichte für die Erdwiderstandsberechnung infolge der aufwärts gerichteten Strömung und ergibt sich aus Gl. (38). (38)
Die zu diesen Gleichungen korrespondierenden Wasserdrücke sind in Gl.(5) und Gl. (6) angegeben. 4.7.3.4. Aktiver und passiver Erddruck Im Folgenden wird auf die Erddruckberechnung mit Erddruckbeiwerten eingegangen, wobei die angegebenen Formeln für den allgemeinen Fall eines schiefwinkligen Erdkeils mit α ≠ 0, β ≠ 0, δa bzw. δp ≠ 0 für den aktiven (obere Indizes und Vorzeichen) und passiven Fall (untere Indizes und Vorzeichen) mit der Vorzeichendefinition gemäß Abb. 4.17 gelten. Darin stellen eah bzw. eph die horizontalen Komponenten der Erddruckspannungen und Kah bzw. Kph die horizontalen Komponenten der Erddruckbeiwerte dar; die Wichte des Bodens wird mit γ und die Höhe des Geländesprungs mit hE (in [m]) bezeichnet. (39)
(40)
(41)
Die Erdruckbeiwerte zur Ermittlung der Erddruckanteile infolge Bodeneigenlast, Kohäsion c und unbegrenzter Flächenlast p errechnen sich wie folgt:
(42)
(43)
(44)
154
4. Einwirkungen auf Gebäude
Für den Sonderfall α = β = δa = 0 vereinfacht sich der Erddruckbeiwert wie folgt: (45)
Damit lässt sich die resultierende Erddruck- bzw. Erdwiderstandskraft für einen kohäsiven Boden unter Annahme einer dreiecksförmigen Erddruckverteilung berechnen: (46)
Die auf der Erddrucktheorie basierenden Gleichungen zur Berechnung des Erddruckbeiwertes Ka und des Gleitflächenwinkels δa dürfen nach DIN 4085 : 2007-10 nur dann verwendet werden, wenn die Wandneigung α und die Geländeneigung β die in DIN 4085 : 2007-10 angegebenen Bedingungen erfüllen. Bei davon abweichenden Bedingungen liefert die Erddrucktheorie unsichere Ergebnisse: δa ≥ 0°: –20° ≤ α < 10° bei –10° ≤ α < αmax bei
0≤β≤φ –φ ≤ β ≤ φ
4.7.3.5. Erdruhedruck Der Erdruhedruck ist jene „In-situ-Spannung“, die infolge des Eigengewichtes des Bodens und vorhandener Auflasten auf den Boden pv auf der Rückseite eines starren und unbeweglichen Stützbauwerkes wirkt. Der Erdruhedruck e0 berechnet sich über den Ruhedruckbeiwert K0 über Gl. (47). (47)
Der Erdruhedruck e0 wirkt dabei immer normal auf eine vertikale Schnittfläche. Der Ruhedruckbeiwert K0 errechnet sich für den Sonderfall α = β = δ0 = 0 aus Gl. (48). (48)
Bei geneigtem Gelände ist der Ruhedruckbeiwert K0 nach [87] laut Gl. (49) zu berechnen. (49)
4.7.3.6. Kriechdruck Wenn ein Bauwerk einer kriechenden Masse Widerstand leistet, wirkt auf dieses ein Kriechdruck. Befindet sich ein Erdkörper in einer Kriechbewegung, kann sich nach [25] an einem Gebäude ein erhöhter Kriechdruck aufbauen, der den Erdruhedruck deutlich übersteigt. 155
Jürgen Suda et al.
Die Kriechdruckkraft berechnet sich auf Basis der Verhältniszahlen km nach Gl. (50). Diese Gleichung ist laut [25] eine aus dem zweiten Rankine´schen Sonderfall für kohäsionslosen Boden abgeleitete Beziehung. Baustellenmessungen haben jedoch gezeigt, dass man diese Formel mit ausreichender Genauigkeit auch in der Praxis verwenden kann, vor allem, wenn sich die Böschung im Grenzgleichgewicht des Kriechens befindet. (50)
Die Kraft Ecrgh ist stets größer als die aktive Erddruckkraft. Dieser Unterschied wird mit zunehmender Hangneigung größer. Bei horizontalem Gelände geht der Kriechdruck in den aktiven Erddruck über. Ferner spielt bei steilen Hängen der Winkel δcr, eine größere Rolle. In Tabelle 4.26 sind Verhältniszahlen km nach Haefeli [94] für verschiedene Hangneigungen (Böschungswinkel) angegeben. Von Brandl [25] wurde für die Verhältniszahl km(φ) Abb. 4.18 angefertigt. In ihr sind semi-empirische Zusammenhänge in Abhängigkeit der Bauwerkssteifigkeit abgebildet, um zu berücksichtigen, dass eine flexible Konstruktion der Ausbildung der oberen Kriechgleitfläche entgegenwirkt. Das Diagramm gilt für den Bereich des Grenzgleichgewichtes φ = β. Pregl [208] empfiehlt für Berechnungen immer den größeren Faktor für starre Konstruktionen zu verwenden, da der Kriechdruck im Laufe der Jahre auf den oberen Grenzwert für starre Konstruktionen ansteigt, wenn sich die Verformbarkeit des flexiblen Bauwerks allmählich erschöpft und der Hang (z. B. durch vorgespannte Anker) nicht örtlich beruhigt wird. Je nach Untergrundverhältnissen, Geländeneigungen usw. stellt sich laut [25] in einem Zeitraum von 10 bis 20 Jahren ein stationärer Zustand ein. Dieser Zustand liegt unterhalb des Grenzwertes für den passiven Erddruck. 4.7.3.7. Erddruckumlagerung Bei der Berechnung des Erddrucks aus Bodeneigengewicht wird in erster Näherung von einer dreieckförmigen Verteilung über die Tiefe ausgegangen. Im Fall des aktiven Erddruckes trifft dies aber nur bei einer Drehung des Bauwerkes um den Fußpunkt zu. Diese Drehung tritt bei Bauwerken (z. B. Kellerwänden) im Allgemeinen nicht zu. Um von dieser Näherung eine wirklichkeitsnahe Druckverteilung berücksichtigen zu können, sind Umlagerungen des Erddruckes erforderlich. Diese Anpassungen erfordern eine Änderung von dreiecksförmigen Lastfiguren zu Tabelle 4.26. Verhältniszahlen km zur Berechnung des Kriechdruckes Ecrg aus dem aktiven Erddruck Ea; nach [94] Böschungswinkel φ = β
20°
25°
30°
35°
40°
45°
Verhältnis km(0)
1,13
1,22
1,33
1,49
1,70
2,00
Verhältnis km (φ/2)
1,21
1,36
1,57
1,91
2,46
3,42
Verhältnis km (φ)
1,30
1,55
2,00
2,92
5,75
∞
156
4. Einwirkungen auf Gebäude
Abb. 4.18. Verhältniszahl km(φ) = km(β) zur Berechnung des Kriechdruckes aus einem Boden; nach [25]: Die gestrichelten Kurven repräsentieren theoretische Extremwerte. Man erkennt, dass der Kriechdruck mit zunehmender Hangneigung stark über den aktiven Grenzwert ansteigt und von der Verformbarkeit des Bauwerkes abhängt. Der grau angelegte Bereich hat sich in der Bemessungspraxis bewährt und ist durch zahlreiche Bauwerksmessungen belegt.
Rechteckformen und zu einer Vergrößerung des errechneten aktiven Erddruckes (ÖNORM B 1997-1-4). In der Praxis hat sich für den rechnerischen Erddruck eine Kombination aus aktivem Erddruck und Erdruhedruck bewährt. Bei annähernd unnachgiebigen Kellerwänden wird eine Kombination aus 50 % aktivem Erddruck und 50 % Erdruhedruck angesetzt (erhöhter aktiver Erddruck). Die Erddrücke auf die Seitenflächen der Kellerwände werden entsprechend ÖNORM B 4434 angesetzt und auf Basis der charakteristischen Scherparameter berechnet. Bei geneigtem Gelände und infolge von Verdichtung können deutlich höhere Erddrücke auftreten (siehe ÖNORM B 4434). Ein stützender Erddruck vor dem Fundament ist nur dann zulässig, wenn sichergestellt ist, dass der Boden ausreichend dicht gelagert ist und weder dauernd noch vorübergehend gestört oder entfernt wird. Auf der passiven Seite wird auf die volle Tiefe der Erdruhedruck angesetzt. Bei tief einbindenden Fundamenten können hier Bettungswiderstände berücksichtigt werden. 4.7.3.8. Auflasten auf die Geländeoberfläche Auflasten q an der Geländeoberfläche führen zu einer Erhöhung des Erddruckes. Die Art der Erhöhung ist von der Lage der Gleitflächen im Boden und der Verteilung der Oberflächenlast abhängig. Hinweise dazu finden sich in der ÖNORM B 4434 [163]. Oberflächenlasten werden in der allgemeinen Erddruckgleichung (Gl. (33)) berücksichtigt. 4.8. Erdbebeneinwirkungen 4.8.1. Prozess- und Einwirkungsmodell Erdbebenlasten sind Trägheitskräfte, die an den Massepunkten angreifen und aus dem Produkt Masse und Beschleunigung entstehen. Die Belastung wirkt somit nicht von außen auf das Tragwerk ein, sondern wird durch Bodenbewegungen im Tragwerk selbst erzeugt. Die Erdbebenbelastung hängt damit neben den standortspezifischen Gegebenheiten direkt vom Tragwerk ab. 157
Jürgen Suda et al.
Erdbeben wirken als horizontale und vertikale Kraft auf Gebäude ein (Kapitel 2.6.2). Einwirkungen aus Erdbeben (Gefährdungsbild 11; Tabelle 3.2) auf Objekte werden in der EN 1998 geregelt. Teil 1 behandelt dabei die Grundlagen, Erdbebeneinwirkungen und die Auslegung von Hochbauten in Erdbebengebieten. Die Regelungen behandeln den Entwurf durch Anforderungen an die Gestaltung, die Bemessung durch den Nachweis der Tragfähigkeit und die Konstruktion durch Anforderungen an die konstruktive Durchbildung. Weitere Teile der EN 1998 enthalten Vorschriften für Brücken (Teil 2), bestehende Hochbauten (Teil 3), Silos, Tankbauwerke und Rohrleitungen (Teil 4), Gründungen und Stützbauwerke (Teil 5) sowie Türme, Masten und Schornsteine (Teil 6). Die jeweilige Bauartnorm (EN 1992 bis 1995) bildet die Grundlage für die Bemessung und der EC 8 ist als Ergänzung zu betrachten. 4.8.2. Erdbebenzonen In Abhängigkeit des Gefährdungsgrades ist Österreich in Erdbebenzonen von 0 bis 4 eingeteilt (Abb. 4.19), innerhalb derer die Gefährdung als konstant angenommen wird. Die Erdbebengefährdung wird dabei durch einen einzigen Parameter, die Referenz-Spitzenbodenbeschleunigung agR für die Baugrundklasse A, beschrieben. In Österreich liegt dieser Wert zwischen 0,18 und 1,34 m/s². Die Referenz-Spitzenbodenbeschleunigung ist mit dem Bedeutungsbeiwert γI nach Tabelle 4.27 zu multiplizieren und ergibt damit die Bemessungsbodenbeschleunigung ag. (51)
Die Referenz-Spitzenbodenbeschleunigung bei einem Bedeutungsbeiwert von γI = 1,0 entspricht einer Referenz-Überschreitungswahrscheinlichkeit von PNCR = 10 % in 50 Jahren bzw. einer Referenz-Wiederkehrperiode von TNCR = 475 Jahren.
Abb. 4.19. Zoneneinteilung nach ÖNORM B 1998 –1 [176] 158
4. Einwirkungen auf Gebäude
Neben den gegebenen seismo-tektonischen Gegebenheiten entsprechend der Referenzbodenbeschleunigungen sind geringe und sehr geringe Seismizität zu unterscheiden. Geringe Seismizität liegt vor, wenn gilt: (52)
Sehr geringe Seismizität liegt vor, wenn gilt: (53) mit S = Bodenparameter und g = Erdbeschleunigung [m/s²].
Im ersten Fall dürfen reduzierte oder vereinfachte Erdbebennachweisverfahren für bestimmte Bauwerkstypen verwendet werden und im zweiten Fall müssen die Vorschriften der EN 1998 nicht berücksichtigt werden. 4.8.3. Bedeutungskategorien Die Auswirkungen des Versagens eines Bauwerks auf menschliches Leben, öffentliche Sicherheit, soziale und wirtschaftliche Folgen etc. werden durch die Bedeutungskategorien bzw.den zugeordneten Bedeutungsbeiwert γI nach Tabelle 4.27 definiert. Bei Hochbauten entsprechen Bauwerke von geringer Bedeutung für die öffentliche Sicherheit der Kategorie I (z. B. landwirtschaft liche Gebäude), gewöhnliche Bauwerke der Kategorie II, Bauwerke mit größeren Menschenansammlungen der Kategorie III (z. B. Schulen) und Bauwerke von höchster Wichtigkeit der Kategorie IV (z. B. Krankenhäuser). 4.8.4. Baugrundklassen Der Baugrund beeinflusst maßgeblich die Erdbebenbeanspruchung des Gebäudes. Dieser wird daher gemäß EC 8 in Baugrundklassen A – E, S1 und S2 eingeteilt (Tabelle 4.28). Die Zuordnung des örtlichen Baugrundes zur jeweiligen Klasse sollte anhand der Scherwellengeschwindigkeit, vs30 erfolgen, sofern dieser Wert bekannt ist, sonst erfolgt die Zuordnung nach der Schlagzahl des Standard-Penetration Tests, NSPT. Zusätzliche Baugrunduntersuchungen, welche über die statisch erforderlichen Untersuchungen hinausgehen, sind vorgeschrieben, wenn der örtliche Baugrund der Klasse S1 oder S2 entspricht oder in Erdbebenzonen der Gruppen 3 und 4 liegt, sowie bei Bauwerken der Bedeutungskategorie III und IV. Tabelle 4.27. Bedeutungsbeiwerte γ I für Hochbauten laut ÖNORM B 1998 –1 [176] Bedeutungskategorie Zone
I
II
III
IV
0
0,8
1,0
1,0
1,0
1
0,8
1,0
1,0
1,0
2
0,8
1,0
1,1
1,2
3
0,8
1,0
1,4
1,4
4
0,8
1,0
1,4
1,4
159
Jürgen Suda et al.
Tabelle 4.28. Baugrundklassen nach EN 1998 –1 [169] Klasse
Beschreibung
vs30 (m/s)
NSPT
A
Fels und felsähnliche Formationen
> 800
-
B
dichte, feste Ablagerungen
360 – 800
> 50
C
tiefe, dichte oder mitteldichte Ablagerungen oder steifer Ton
180 – 360
15 – 50
D
lockere bis mitteldichte kohäsionslose Böden oder weiche bis steife kohäsive Böden
< 180
< 15
–
–
E
oberflächliche Alluvialschicht mit vs-Werten nach C oder D über steiferem Bodenmaterial mit vs > 800 m/s
S1
Ablagerungen mit dicken Schichten weicher Tone und Schluffe
< 100
–
S2
Ablagerungen von verflüssigbarem Boden oder Böden die in obigen Klassen nicht enthalten sind
–
–
4.8.5. Antwortspektrum Die dynamische Wirkung eines Erdbebens auf ein Bauwerk wird in der Regel durch ein horizontal-elastisches Antwortspektrum ausgedrückt. Bei einem Antwortspektrum ist auf der Abszisse die Eigenschwingzeit T aufgetragen und auf der Ordinate die maximale Amplitude der Antwortbeschleunigung eines ebenen Einmassenschwingers, welcher die gleiche Eigenschwingzeit über die gesamte Dauer eines Erdbebens hat. Das Antwortspektrum ist zeitlich entkoppelt und stellt einen geglätteten, umhüllenden Verlauf vieler Erdbeben dar. Die horizontale Erdbebeneinwirkung wird durch zwei orthogonale Komponenten beschrieben, die als voneinander unabhängig angesehen werden und durch das gleiche Antwortspektrum charakterisiert sind. Die horizontale Komponente des elastischen Antwortspektrums, Se(T), (in [m/ s2]) ist bei 5 % viskoser Dämpfung durch die folgenden vier Bereiche definiert:
(54)
(55)
160
4. Einwirkungen auf Gebäude
Dabei sind: ag = Bemessungsbodenbeschleunigung (in [m/s2]) nach Gl. (51); T = Einschwingzeit (in [s]); S = Bodenparameter; TB, TC, TD = Schwingungsdauern (in [s]); η = Dämpfungs-Korrekturbeiwert für einer von 5 % abweichenden Dämpfung und ξ = viskoses Dämpfungsverhältnis des Bauwerks (η = 1 für 5 % viskose Dämpfung).
Generell wird zwischen zwei Spektralformen, Typ 1 und Typ 2, unterschieden. Typ 1 wird für größere Oberflächenwellenmagnituden, MS > 5,5, und Typ 2 für kleinere Magnituden, MS ≤ 5,5, empfohlen, wobei in Österreich grundsätzlich nur Spektren vom Typ 1 anzuwenden sind. In Tabelle 4.29 sind die Parameter des horizontal-elastischen Antwortspektrums für beide Typen angeführt. Tabelle 4.29. Parameter zur Beschreibung des horizontal-elastischen Antwortspektrums vom Typ 1 (Typ 2) nach EN 1998 –1 [169] Baugrundklasse
S
TB
TC
TD
A
1,00 (1,00)
0,15 (0,05)
0,40 (0,25)
2,00 (1,20)
B
1,20 (1,35)
0,15 (0,05)
0,50 (0,25)
2,00 (1,20)
C
1,15 (1,50)
0,20 (0,10)
0,60 (0,25)
2,00 (1,20)
D
1,35 (1,80)
0,20 (0,10)
0,80 (0,30)
2,00 (1,20)
E
1,40 (1,60)
0,15 (0,05)
0,50 (0,25)
2,00 (1,20)
In Abb. 4.20 ist der Verlauf des Antwortspektrums vom Typ 1 für die unterschiedlichen Baugrundklassen dargestellt.
Abb. 4.20. Elastische Antwortspektren vom Typ 1 für die Baugrundklassen A–E mit 5 % Dämpfung nach EN 1998 -1
161
Jürgen Suda et al.
Das elastische Beschleunigungsantwortspektrum Se(T) in Abhängigkeit der Einschwingzeit T kann durch direkte Transformation in ein elastisches Verschiebungsantwortspektrum SDe(T) mit folgender Beziehung übergeführt werden: (56)
Der Zusammenhang zwischen spektraler Beschleunigung und Verschiebung für einen Einmassenschwinger mit vorgegebener Eigenperiode wird durch das ADR-Spektrum (Acceleration Displacement Response) ausgedrückt, indem man als Abszissenwert die Verschiebungsantwort SDe(T) und als Ordinate die Beschleunigungsantwort Se(T) aufträgt. Für Perioden größer als 4,0 s darf das elastische Beschleunigungsantwortspektrum vom Typ 1 aus dem elastischen Verschiebungsantwortspektrum durch Invertierung der Gl. (56) gewonnen werden, vgl. EN 1998-1, Anhang A. 4.8.6. Bemessungsbodenverschiebung Der zur Bemessungsbodenbeschleunigung entsprechende Bemessungswert der Bodenverschiebung dg darf wie folgt ermittelt werden. (57)
4.8.7. Bemessungsspektrum Beobachtungen der Erdbebenwirkung haben gezeigt, dass Tragwerke die Fähigkeit besitzen, seismische Einwirkungen durch nicht-lineare Reaktionen zu reduzieren. Damit trotzdem die Vorteile einer linearen Berechnung genutzt werden können, wird dieser Energiedissipation dadurch Rechnung getragen, dass ein abgemindertes Antwortspektrum (= Bemessungsspektrum) verwendet wird. Das Verhältnis der erwarteten größeren zur tatsächlich auftretenden kleineren Beanspruchung wird durch den Verhaltensbeiwert q ausgedrückt. Dieser ist ein Näherungswert des Verhältnisses jener Erdbebenkräfte, die das Tragwerk beanspruchen würden, wenn die Antwort bei 5 % viskoser Dämpfung vollkommen elastisch wäre, zu jenen Kräften, die zur Bemessung mit einem linearen Modell verwendet werden dürfen, um eine gerade noch zufriedenstellende Antwort des Tragwerks sicherzustellen. Tabelle 4.30 gibt einen Überblick der Verhaltensbeiwerte q.
Tabelle 4.30. Verhaltensbeiwerte q nach EN 1998 –1 [169] Baustoff Beton
Bereich 1,50 – 5,85
Anmerkung EN 1998 -1 Tabelle 5.1
Stahl
≤ 1,50 – 6,50
EN 1998 -1 Tabelle 6.1 bzw. Tabelle 6.2
Verbund aus Stahl und Beton
≤ 1,50 – 6,50
EN 1998 -1 Tabelle 6.2 bzw. Tabelle 7.2
Holz
1,50 – 5,00
EN 1998 -1 Tabelle 8.1
Mauerwerk
1,50 – 3,00
EN 1998 -1 Tabelle 9.1
162
4. Einwirkungen auf Gebäude
Die vier Bereiche des horizontalen Bemessungsspektrums, Sd(T), (in [m/s2]), sind wie folgt definiert:
(58)
Wird in Gl. (58) anstelle der Bemessungsbodenbeschleunigung ag, die Vertikalkomponente avg (in [m/s2]) und S = 1 eingesetzt, werden damit die vier Bereiche des vertikalen Bemessungsspektrums definiert. Der Verhaltensbeiwert sollte für die vertikale Komponente nicht größer als 1,5 gesetzt werden. 4.8.8. Alternative Darstellung der Erdbebeneinwirkung Alternativ darf die Erdbebeneinwirkung auch mittels natürlicher oder künstlich generierter Beschleunigungszeitverläufe dargestellt werden. Bei räumlichen Modellen des Tragwerks müssen drei gleichzeitig wirkende Beschleunigungszeitverläufe angesetzt werden, wobei ein und derselbe Verlauf nicht gleichzeitig entlang beider Horizontalrichtungen angesetzt werden darf. Künstliche Beschleunigungszeitverläufe müssen so generiert werden, dass ihre Antwortspektren dem elastischen Antwortspektrum in Kapitel 4.8.5 für 5 % viskoser Dämpfung entsprechen. Die Dauer der Beschleunigungszeitverläufe muss zu den Merkmalen des Erdbebens, welche der Festlegung von ag dienten, und zur Magnitude des Erdbebens konsistent sein. Wenn keine standortspezifischen Angaben vorhanden sind, sollte die Mindestdauer des stationären Teils des Beschleunigungszeitverlaufes 10 s sein. Es sind zumindest drei Beschleunigungszeitverläufe zu verwenden, deren Mittelwert für die Nullperiode mindestens einen Wert von ag. S für den betrachteten Standort ergibt. Weiters sollte kein Ordinalwert im Bereich von 0,2.T1 bis 2,0.T1 kleiner als 90 % des zugehörigen Wertes des Bemessungsspektrums sein. Hierbei bedeutet T1 = Eigenperiode des Tragwerks in der entsprechenden Nachweisrichtung. 4.9. Einwirkungen aus Wind (Sturm) 4.9.1. Prozess- und Einwirkungsmodell Wind (Sturm; Gefährdungsbild 17; Tabelle 3.2) wirkt in Form von Druck auf die Außenflächen umschlossener Baukörper und infolge der Durchlässigkeit der Ge163
Jürgen Suda et al.
Abb. 4.21. Einwirkungen aus Wind
bäudehülle auch auf die Innenflächen ein. Winddruck (-sog) wirkt immer normal zur beanspruchten Oberfläche. Wenn Wind an größeren Flächen vorbeistreicht, sind Reibungskräfte parallel zur Oberfläche zu berücksichtigen. Die Schnittstelle zum Prozessmodell wird vor dem Gebäude definiert (Abb. 4.21). Aus dem Prozessmodell werden folgende Parameter benötigt: • Basisgeschwindigkeitsdruck qb (alternativ Windgeschwindigkeit v und Dichte der Luft ρ) und Geländekategorie • Alternativ: Böengeschwindigkeitsdruckverteilung q p(z) In Österreich erfolgt die Berechnung von Windeinwirkungen auf Basis der EN 1991-1-4 [168], unter Berücksichtigung der nationalen Festlegungen und Ergänzungen in der ÖNORM B 1991-1-4 [179]. 4.9.2. Basisgeschwindigkeitsdruck Der Basisgeschwindigkeitsdruck ergibt sich über die mittlere Dichte der Luft (ρa = 1,25 kg/m³) und die Basiswindgeschwindigkeit vb,0 (in [m/s]) aus Gl. (59). Diese Gleichung ist analog Gl. (7). (59)
Die Basiswindgeschwindigkeiten werden aus gemessenen Zeitreihen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) errechnet. Sie sind ortsabhängig und werden für Österreich dem Ortsverzeichnis im Anhang A der ÖNORM B 1991-1-4 [179] entnommen. Diese Basiswerte sind charakteristische Größen mit einer jährlichen Überschreitungswahrscheinlichkeit von 2 % die einer mittleren 164
4. Einwirkungen auf Gebäude
Tabelle 4.31. Basiswindgeschwindigkeiten (v b,0) und Basisgeschwindigkeitsdrücke (qb,0); Auszug aus ÖNORM B 1991-1-4 [179], Tabelle A.1 Ort
Seehöhe
vb,0
qb,0
[m ü. NN]
[m/s]
[kN/m²]
Klagenfurt
448
17,6
0,19
Graz
269
20,4
0,26
Eisenstadt
196
24,6
0,38
Salzburg Stadt
436
25,1
0,39
Wien
151– 542
25,1– 27
0,39 – 0,46
Bregenz
398
25,5
0,41
St Pölten
265
25,8
0,42
Innsbruck
573
27,1
0,46
Linz
260
27,4
0,47
Wiederkehrperiode von 50 Jahren entsprechen. Der Grundwert der Basiswindgeschwindigkeit ist der charakteristische Wert der 10-Minuten-Windgeschwindigkeit. Sie ist unabhängig von Windrichtung und Jahreszeit und ist bezogen auf 10 m Höhe über dem Boden in ebenem, offenem Gelände mit niedriger Vegetation. Beispiele sind in Tabelle 4.31 zusammengestellt. Für nicht tabellierte Orte sind die nächstgelegenen Orte zu verwenden. Wenn sich die Seehöhe um mehr als 250 m vom nächstgelegenen tabellierten Ort unterscheidet, ist der Spitzengeschwindigkeitsdruck q p aus Tabelle 4.33 zu verwenden oder es sind Windgutachten (z. B. ZAMG) zu erstellen. 4.9.3. Spitzengeschwindigkeitsdruck Der Spitzengeschwindigkeitsdruck (Böengeschwindigkeitsdruck) q p hängt vom Windklima, der Geländerauigkeit, der Topografie und der Bezugshöhe z ab. Er berücksichtigt neben dem Basisgeschwindigkeitsdruck qb,0 einen Beitrag aus fluktuierenden Druckanteilen und wird mittels eines Geländefaktors ce(z) über Gl. (60) ermittelt. Der Spitzengeschwindigkeitsdruck q p(z) nimmt mit zunehmendem Abstand zum Boden hin zu (Abb. 4.21). (60)
Die dazugehörige Spitzenwindgeschwindigkeit vp(z) errechnet sich analog über Gl. (61). (61)
Der Geländefaktor ce(z) ist abhängig von der Geländekategorie und der Höhe z und wird Tabelle 4.32 entnommen (zur Höhe z siehe auch Abb. 4.22 a).
165
Jürgen Suda et al.
Tabelle 4.32. Geländekategorien nach [166], Tab. 4.1 und Geländeparameter nach [179], Tab. 1 Geländekategorie23
zmin [m]24
ce(z)
II
Gebiete mit niedriger Vegetation wie Gras und einzelnen Hindernissen (Bäume, Gebäude) mit Abständen von mind. 20-facher Hindernishöhe
5
III
Gebiete mit gleichmäßiger Vegetation oder Bebauung oder mit einzelnen Objekten mit Abständen von weniger als der 20-fachen Hindernishöhe (z. B. Dörfer, vorstädtische Bebauung, Waldgebiete)
10
IV
Gebiete, in denen mindestens 15 % der Oberfläche mit Gebäuden mit einer mittleren Höhe größer als 15 m bebaut sind.
15
Tabelle 4.33. Grundwerte für Spitzengeschwindigkeitsdrücke qp in [kN/m²] für windexponierte Lagen; Auszug aus [179], Tabelle A.2 Höhe über Erdboden [m] Seehöhe bis 800 m 15
Seehöhe 800 –1800 m
Seehöhe 1800 – 3000 m
0,98
1,60
0,54
10
0,47
6
0,49
4.9.4. Winddruck auf Gebäudeoberflächen2324 Die Berechnung des Winddruckes auf Gebäudeoberflächen (wi) erfolgt auf Basis des Böengeschwindigkeitsdruckes q p(z). Dieser wird mit aerodynamischen Beiwerten (ci) für Außen- und Innenwinddrücke getrennt berechnet. Weiters gibt es unterschiedliche aerodynamische Beiwerte für Wände und Dächer. Allgemeines zu den Widerstandsbeiwerten siehe Kapitel 4.4. In der Regel erzeugt Wind auf der angeströmten Außenseite des Bauwerkes einen Überdruck und auf der abgewandten Seite einen Unterdruck (Sog). Je nachdem ob die Öffnungen in der Hülle auf der Druck- oder Sogseite liegen, entsteht im Innenraum ein positiver oder negativer Innendruck (Abb. 4.21). Die Nettodruckbelastung infolge Winddrucks auf eine Wand, ein Dach oder einen Bauteil ist die Resultierende von Außen- und Innendruck. An Gebäuden sind zumindest zwei orthogonale Anströmrichtungen des Windes zu untersuchen, bei einfachen Gebäuden (Einfamilienhäusern) meist normal und parallel zur Firstrichtung. 4.9.5. Winddruck auf die Wände eines Gebäudes Der Winddruck auf Außenflächen we errechnet sich nach Gl. (62) über den aerodynamischen Beiwert für Außenflächen cpe. (62) 23 Kategorie 0 und I sind im Alpenraum in der Regel nicht relevant 24 minimale Höhe, bis zu der das jeweilige Profil gilt; darunter ist der Wert für z = zmin zu nehmen 166
4. Einwirkungen auf Gebäude
Abb. 4.22. Vertikale Wände von prismatischen Baukörpern: (a) Bezugshöhe ze in Abhängigkeit von h und der Winddruckverteilung; (b) Einteilung der Wandflächen bei vertikalen Wänden; nach [168]
Beim Beiwert für Außenflächen wird zwischen den cpe,10 und den cpe,1 -Werten unterschieden. cpe,10 -Werte beziehen sich auf eine Lastverteilungsfläche von 10 m² und sind zum Nachweis des gesamten Tragwerkes zu verwenden. Für lokale Nachweise sind die auf eine Lastverteilungsfläche von 1 m² bezogenen cpe,1 -Werte25 zu verwenden. Für Wände und Baukörper mit rechteckigem Grundriss werden die Außendrücke über die Baukörperhöhe gestaffelt nach Abb. 4.22 a angenommen. Die Gebäudehülle ist in die Wandbereiche A bis E eingeteilt (Abb. 4.22 b), denen unterschiedliche cpe-Beiwerte zugeordnet sind (Tabelle 4.34).2627 Tabelle 4.34. Außendruckbeiwerte cpe,10 vertikale Wände für prismatische Baukörper; aus [179], Tab. 2 und 3 d/b26 ≤ 0,2 h/b26
A 27
B
C
0,7 D
E
A
B
1,0
C
D
E
A
B
C
D
E
≤ 0,5 –1,00 –0,70 –0,40 0,8 –0,25 –1,00 –0,70 –0,40 0,8 –0,35 –1,00 –0,70 –0,40 0,8 –0,30 2 –1,20 –0,80
–
0,8 –0,35 –1,20 –0,90
–
0,8 –0,45 –1,20 –0,80 –0,45 0,8 –0,35
5 –1,35 –1,00
–
0,8 –0,50 –1,45 –1,10
–
0,8 –0,75 –1,30 –0,90 –0,50 0,8 –0,55
10 –1,50 –1,20
–
0,8 –0,75 –1,65 –1,30
–
0,8 –1,10 –1,40 –1,00 –0,60 0,8 –0,85
20 –1,65 –1,40
–
0,8 –1,00 –1,80 –1,50
–
0,8 –1,35 –1,50 –1,15 –0,70 0,8 –1,10
≥ 50 –1,75 –1,50
–
0,8 –1,20 –1,90 –1,70
–
0,8 –1,60 –1,60 –1,35 –0,85 0,8 –1,30
25 cpe,1 = 1,25 ∙ cpe, 10 26 Die Abmessungen b, d, h ergeben sich aus Abb. 4.25 27 zur Einteilung der Wandflächen siehe Abb. 4.22b 167
Jürgen Suda et al.
d/b27 2 h/b26
A 27
B
C
5 D
E
A
B
C
≥ 10 D
E
A
B
C
D
E
≤ 0,5 –1,00 –0,70 –0,40 0,8 –0,15 –1,00 –0,70 –0,40 0,8 –0,15 –1,00 –0,70 –0,40 0,8 –0,15 2 –1,10 –0,75 –0,40 0,8 –0,20 –1,10 –0,70 –0,40 0,8 –0,15 –1,10 –0,70 –0,40 0,8 –0,15 5 –1,25 –0,85 –0,45 0,8 –0,30 –1,20 –0,75 –0,40 0,8 –0,15 –1,20 –0,70 –0,40 0,8 –0,15 10 –1,35 –0,90 –0,50 0,8 –0,50 –1,30 –0,80 –0,45 0,8 –0,20 –1,30 –0,70 –0,40 0,8 –0,15 20 –1,45 –0,95 –0,55 0,8 –0,65 –1,35 –0,85 –0,50 0,8 –0,20 –1,35 –0,75 –0,40 0,8 –0,15 ≥ 50 –1,50 –1,00 –0,60 0,8 –0,85 –1,40 –0,90 –0,50 0,8 –0,20 –1,40 –0,75 –0,40 0,8 –0,15
4.9.6. Winddruck auf Dächer von geschlossenen Gebäuden Die Außendruckbeiwerte für Dächer sind von der Dachform abhängig. Quellen für Beiwerte in Abhängigkeit der Dachform können Tabelle 4.35 entnommen werden. In Tabelle 4.36 sind als Beispiel Formbeiwerte für Satteldächer angegeben. Bei Dachüberständen wird für den Unterseitendruck (-sog) der Wert der anschließenden Wandfläche angenommen. An der Oberseite des Vorsprunges ist der Druck (Sog) der angrenzenden Dachfläche anzusetzen (Abb. 4.21). Die zugehörige Einteilung der Dachflächen ist in Abb. 4.23 dargestellt. Tabelle 4.35. Übersicht über Dachformen für die definierte Außendruckbeiwerte cpe zur Berechnung von Windlasten zur Verfügung stehen (die Bezugsquelle ist in der Spalte rechts angegeben) Dachform
Skizze
Beschreibung Außendruckbeiwerte
Flachdächer
[168], 7.2.3
[168], Tab. 7.2
Pultdächer
[168], 7.2.4
[168], Tab. 7.3 a,b
Sattel- und Trogdächer
[168], 7.2.5
[168], Tab. 7.4 a,b
Walmdächer
[168], 7.2.6
[168], Tab. 7.5
Sheddächer
[168], 7.2.7
[168], Bild. 7.10
zylindrische Dächer
[168], 7.2.8
[179], Tab. 5
Kuppeln mit kreisrunder Basis
[168], 7.2.8
[179], Tab. 6
168
4. Einwirkungen auf Gebäude
Tabelle 4.36. Außendruckbeiwerte cpe,10 für Satteldächer in Abhängigkeit der Dachbereiche und der Anströmrichtung θ; aus [168], Tab. 7.4 a und b Dachbereiche F
G
H
I
Neigungswinkel α[°]
θ=0°
θ=90°
θ=0°
θ=90°
θ=0°
θ=90°
0
–1,8
–
–1,2
–
–0,7
–
5 15 30 45
–1,7 0,0 –0,9 0,2 –0,5 0,7 0,0 0,7
–1,6 –1,3 –1,1 –1,1
–1,2 0,0 –0,8 0,2 –0,5 0,7 0,0 0,7
–1,3 –1,3 –1,4 –1,4
–0,6 0,0 –0,3 0,2 –0,2 0,4 0,0 0,6
–0,7 –0,6 –0,8 -0,9
60
0,7
–1,1
0,7
–1,2
0,7
–0,8
75
0,8
–1,1
0,8
–1,2
0,8
–0,8
θ=0° 0,2 –0,2 –0,6 –0,4 0,0 –0,4 0,0 0,2 0,0 –0,2
J θ=90° – –0,6 –0,5 –0,5 –0,5 –0,5 –0,5
θ=0° 0,2 –0,2 0,2 –0,6 –1,0 0,0 –0,5 0,0 –0,3 0,0 –0,3
Abb. 4.23. Einteilung der Dachflächen bei Satteldächern: (a) für Anströmrichtung θ = 0° (parallel zum First); (b) für Anströmrichtung θ = 90° (normal zum First); nach [168], Bild 7.8
4.9.7. Winddruck auf Innenflächen In Räumen mit Öffnungen (Fenster, Türen) in den Außenwänden ist zusätzlich zum Außen- ein Innendruck (-sog) zu berücksichtigen, wenn er ungünstig wirkt. Der Innendruck wirkt auf alle Innenflächen des Raumes gleichzeitig und mit gleichem Vorzeichen (Abb. 4.21). Er errechnet sich über den aerodynamischen Beiwert für Innenflächen cpi nach Gl. (63). (63)
169
Jürgen Suda et al.
Abb. 4.24. Innendruckbeiwerte cpi bei gleichförmig verteilten Öff nungen. Bei 0,25 < h/d≤1 darf linear interpoliert werden; nach [168], Bild 7.13
Der Innendruckbeiwert cpi ist von der Größe und der Verteilung der Öffnungen in der Gebäudehülle abhängig. Wenn ein Gebäude bezüglich der Öffnungen keine dominante Seite aufweist, wird der Innendruckbeiwert aus Abb. 4.24 entnommen. Der cpi -Wert ist abhängig von der Höhe h und der Tiefe d des Gebäudes (Abb. 4.22 B) sowie vom Flächenparameter μ für jede Anströmrichtung. μ errechnet sich aus dem Verhältnis der Gesamtfläche der Öffnungen in den leeseitigen und windparallelen Flächen mit cpe ≤ 0 (Aö,lee) und der Gesamtfläche aller Öffnungen (Aö,ges) nach Gl. (64). (64)
Lässt sich kein sinnvoller Flächenparameter ermitteln oder ist die Berechnung nicht möglich, ist als cpi -Wert der ungünstigere Wert aus 0,2 und -0,3 anzunehmen. Nach [179], 4.6.4 darf bei geschlossenen Wohn- und Bürogebäuden mit Türen, Toren und Fenstern generell mit 0,2 und -0,3 gerechnet werden. 4.9.8. Reibungskräfte An Wänden, die vom Wind parallel angeströmt werden, entstehen Reibungskräfte wfr. Sie berechnen sich nach Gl. (65) und sind abhängig von der Rauigkeit der Oberfläche. Die Rauigkeit wird mit dem Reibungsbeiwert cfr nach Tabelle 4.37 berücksichtigt. (65)
Tabelle 4.37. Reibungsbeiwerte für Wände, Brüstungen und Dachflächen; aus [168], Tab. 7.10 Oberfläche
Reibungsbeiwert cfr
Beispiele
glatt
0,01
Stahl, glatter Beton
rau
0,02
rauer Beton, geteerte Flächen
sehr rau
0,04
gewellt, gerippt, gefaltet
170
4. Einwirkungen auf Gebäude
Abb. 4.25. Bezugsflächen für Reibung
Reibungskräfte sind auf die maßgeblichen Bezugsflächen Afr anzusetzen (Abb. 4.25). Die Bezugsflächen haben den Abstand lfr von der jeweiligen luvseitigen Vorderkante. 4.9.9. Gesamtwindkraft Die Gesamtwindkraft Fw ist die Resultierende aller Druck-, Sog- und Reibungskräfte eines Gebäudes in Windrichtung. Für einfache, prismatische Baukörper mit einer Höhe unter 15 m kann die Gesamtwindbelastung über den Kraftbeiwert Cf mit Gl. (66) berechnet werden. (66)
Aref ist die projizierende Fläche des Gebäudes normal auf die betrachtete Windrichtung (Abb. 4.25). In Tabelle 4.38 sind Kraftbeiwerte für prismatische Baukörper in Abhängigkeit der Schlankheit angegeben. Die Abmessungen b, d, h ergeben sich aus Abb. 4.25. Tabelle 4.38. Kraftbeiwerte (Gesamtlastbeiwerte) Cf für prismatische Baukörper; aus [179], Tab. 4 d/b h/b
≤ 0,2
0,7
1,0
2,0
5,0
10,0
≤ 0,5
1,05
1,15
1,10
0,95
0,95
0,95
2
1,15
1,25
1,15
1,00
0,95
0,95
5
1,30
1,55
1,35
1,10
0,95
0,95
10
1,55
1,90
1,65
1,30
1,00
0,95
20
1,80
2,15
1,90
1,45
1,00
0,95
≥ 50
2,00
2,40
2,10
1,65
1,00
0,95
171
Jürgen Suda et al.
4.10. Einwirkungen aus Hagel In Österreich existieren keine normativen Regelungen für Einwirkungen aus Hagel (Gefährdungsbild 18; Tabelle 3.2). Für die Schweiz ist in der SIA 161/1 [240] ist ein Bemessungsmodell zur Quantifizierung von Hageleinwirkungen enthalten. In diesem Zusammenhang ist die Bemessung durch Versuche von hoher Bedeutung. Diese wird in der Regel durch die Hersteller von Baumaterialien (z. B. Fassadenelemente, Dachdeckungen) durchgeführt. Dabei ist die Dauerhaftigkeit (Hagelbeständigkeit mit zunehmendem Alter) der Baustoffe besonders wichtig. Hagel ist in der Bemessung als außergewöhnliche Einwirkung zu behandeln. Bei der Bemessung ist auch den örtlichen Verhältnissen, dem Entwässerungssystem und der Möglichkeit einer lokalen Anhäufung der Eiskörner Rechnung zu tragen. Die Einwirkungen infolge Hagel errechnen sich über die kinetische Energie der Hagelkörner analog Kapitel 4.6. Eine äquivalente statische Ersatzlast kann über Tabelle 4.21 ermittelt werden. In der Regel ist jedoch nicht die Beanspruchung des Tragwerkes, sondern der Widerstand des Materials der Gebäudehülle entscheidend (siehe Kapitel 9.7.2). Die Höhe der Einwirkung infolge eines Hagels hängt von der Fallgeschwindigkeit der Körner, der Kornverteilung und der Intensität der Gefährdung ab. Die Kornverteilung und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens der einzelnen Korndurchmesser können Tabelle 4.39 entnommen werden. Beispielsweise wird in der Schweiz der Größtkorndurchmesser von 40 mm jährlich bei 3 bis 10 Ereignissen überschritten. Der Durchmesser lässt sich auch aus der maßgeblichen HW-Klasse laut Tabelle 2.18 entnehmen. Die vertikale Fallgeschwindigkeit v kann nach SIA 261/1, 6.3.3 über Gl. (67) berechnet werden. (67) Dabei ist ρ die Dichte des Hagelkorns (in [kg/m³]) (siehe Tabelle 4.40), d der Korndurchmesser (in [m]), ρa die Dichte der Luft (siehe Kapitel 4.9.2) und cw der Strömungswiderstand eines Korns (0,46).
Die horizontale Geschwindigkeit eines Hagelkornes ist mit dem größeren Wert, der sich aus einem Drittel der vertikalen Fallgeschwindigkeit des Hagelkornes oder
Tabelle 4.39. Korndurchmesser von Hagel und Häufigkeit; aus [240], Tabelle 6 d [mm]
172
Wahrscheinlichkeit [%]
Kumulierte Häufigkeit [%]
5–9
65
65
9 –13
23
88
13 –17
8
96
17– 21
2
98
21– 25
1
99
25 – 40
0,004 und qt,d < 75 und b < 1160 muss die Zeitfaktorfunktion Γlim mit dem Faktor k multipliziert werden, definiert in Gleichung (83). (83)
4.12.3.3. Berechnung – Abkühlphase Die Abkühlphase wird durch die Gleichungen (84) bis (86) beschrieben. (84) (85) (86)
t*max ist für die Abkühlphase durch Gleichung (87) definiert, x durch (88) und (89). (87) (88) (89)
4.12.4. Brandsimulationen Für Sonderfälle, beispielsweise Bauwerke großer flächiger Ausdehnung mit Höhen, welche die Standardraumhöhen überschreiten (z. B. Lagerhallen o. ä.), kann es von Vorteil sein, genauere Analysen mittels Brandsimulationen zu führen. Im Zuge die179
Jürgen Suda et al.
ser Simulationen lassen sich lokale Temperaturen entweder in horizontalen Zonen (Zonenmodelle) oder in konkretisierten Feldern (Feldmodelle bzw. CFD-Modelle) bestimmen. Der dafür notwendige Aufwand dieser Berechnungen liegt naturgemäß weit über jenem bei Verwendung von definierten Zeit-Temperaturkurven mit globalen Temperaturwerten. 4.12.5. Netto-Wärmestrom Für die Berechnung von Bauteiltemperaturen kann es erforderlich sein, den NettoWärmestrom zu kennen. Dieser lässt sich aus den Zeit-Temperaturkurven als konvektiver und Strahlungsanteil ermitteln. (90) [W/m2]
..
Nettowärmestrom
..
Nettowärmestrom [W/m2]
..
Nettowärmestrom [W/m2]
(91) αc . . . . . Tg . . . . . Tm . . . .
Wärmeübergangskoeffi zient für Konvektion [W/m2 ∙ K] Gastemperatur in der Umgebung des Bauteils [°C] Oberflächentemperatur des Bauteils [°C]
Empfohlene Werte: αc = 25 W/m2 ∙ K αc = 50 W/m2 ∙ K αc = 35 W/m2 ∙ K
Wärmeübergangskoeffi zient für ETK, Außen- und parametrische Brandkurven Wärmeübergangskoeffi zient für HC-Kurve Wärmeübergangskoeffi zient für einfache Brandmodelle
(92) Φ. . . . . εm. . . . . εf . . . . . σ ..... Tγ . . . . . Tm . . . .
Konfigurationsfaktor Emissivität der Bauteiloberfläche Emissivität des Feuers Stephan-Boltzmann-Konstante = 5,67 ∙ 10 -8 W/m2 ∙ K4 wirksame Strahlungstemperatur des Brandes [°C] Oberflächentemperatur des Bauteils [°C]
Empfohlene Werte: εm = 0,8 εf = 1,0 Φ = 1,0 (keine Abschattungseffekte berücksichtigt)
Die wirksame Strahlungstemperatur des Brandes Tr darf mit der Gastemperatur in der Umgebung des Bauteils Tg gleichgesetzt werden.
180
5. Naturgefahrenkarten und -pläne
Florian Rudolf-Miklau
5.1. Prävention durch Planung 5.1.1. Grundsätze und Funktion Der Prävention durch Planung wird heute von allen Maßnahmen des Naturgefahrenmanagements der größte Stellenwert beigemessen. Planung im Zusammenhang mit Naturgefahren kann sowohl eine aktive als auch eine passive Schutzwirkung entfalten. Dabei geht es nicht nur um die kartographische Darstellung von Gefahren (Gefahrenkarte1, Gefahrenzonenplan2) oder Risiken (Risikokarten), sondern auch um die Möglichkeit, Gefahren (Risiken) durch planerische Maßnahmen zu verringern oder drohenden Schäden vorzubeugen. [17] [224] Prävention durch Planung ist daher die Basis der „Flächenvorsorge“ [224] (siehe Kapitel 1.1). Aus Sicht des Gebäudeschutzes dient die Prävention durch Planung primär der Feststellung der Bauplatzeignung hinsichtlich der Sicherheit vor Naturgefahren (Abb. 8.2). Die Planung soll einerseits die Baulandentwicklung, weg von drohenden Gefahren, hin zu risikoärmeren Flächen lenken, andererseits das Ausmaß der Gefahr, auf welches Gebäudeschutzmaßnahmen auszulegen sind, festlegen. [58] Grundsätzlich gilt, dass in Abhängigkeit der Intensität und Häufigkeit von Naturereignissen (siehe Kapitel 2.3.4) insbesondere im Gebirge nicht jede Fläche für eine Bebauung geeignet ist. Für das Bauen in Gefahrenzonen legt die präventive Planung folglich sowohl die technischen als auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und Grenzen fest. Die kartographische Darstellung von Naturgefahren stellt aber auch eine wichtige Grundlage für die Bewertung der Sicherheit des Baubestandes in Gefahrenzonen dar. [55] Naturgemäß liegt der Schwerpunkt der Planungsinstrumente mit Präventionswirkung im Sektor der räumlich abgrenzbaren Naturgefahren3 (z. B. Hochwasser, Lawinen, Steinschlag), während sich Planungen betreffend nicht abgrenzbarer Ge1
2 3
Karte, die nach wissenschaft lichen Kriterien erstellt wird und innerhalb eines Untersuchungsperimeters detaillierte Aussagen über die Gefahrenart, die Gefahrenstufe und die räumliche Ausdehnung der gefährlichen Prozesse macht. Für den Grundeigentümer verbindliches Planungsinstrument, das auf einer umfassenden Gefahrenanalyse basiert und von den zuständigen politischen Instanzen genehmigt wurde. Aufgrund der Charakteristik der Prozesswirkung und der Genauigkeit der Modelle ist eine „exakte“ Abgrenzung der Gefahrengebiete in der Maßstabsgenauigkeit des Grundstückskatasters möglich. 181
Florian Rudolf-Miklau
fahren4 (z. B. Erdbeben, Sturm, Waldbrand, Schneelasten) auf generelle Gefahrendarstellungen beschränken. [224] Insbesondere die in ihrer Wirkung räumlich abgrenzbaren Gefahren spielen für die Raumentwicklung eine entscheidende Rolle. Die zunehmende Nutzung und Bebauung potenziell gefährdeter Gebiete macht es erforderlich, dass der Staat ordnend in diese Entwicklung eingreift (Raumordnung5). Das oberste Ziel der Raumordnung im Zusammenhang mit Naturgefahren ist, die bedrohten Gebiete von Besiedelung freizuhalten (passive Schutzwirkung). [121] [140] Ihre präventive Wirkung ermöglicht aber fallweise auch eine angepasste Nutzung gefährdeter Bereiche, wodurch langfristig das Risiko gesenkt werden kann. [121] Präventive Planungen sind ein Teil der (allgemeinen und speziellen) Raumplanung6. [242] Der der Raumplanung zugrunde liegenden Planungshierarchie folgend, können die präventiven Planungen betreffend Naturgefahren in folgende Kategorien gegliedert werden [224]: • Präventive Fachplanungen – Grundlagenfachplanung (relevant für das Naturgefahrenmanagement) – Gefahren- und Risikoplanung (flächenhafte Darstellung von Gefahren/Risiken): – Gefahren(hinweis)karten: generelle („grobmaßstäbliche“) Lagedarstellung gefährdeter Gebiete – Gefahrenzonenplanung: detaillierte („parzellenscharfe“7) Darstellung der Gefährdung – Flächen- oder objektbezogene Risikokarten • Planungsinstrumente der allgemeinen (überörtlichen und örtlichen) Raumordnung: Entwicklungs- und Sachprogramme, Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan) • Maßnahmenbezogene Fachplanung: Grundlage für aktive Schutzmaßnahmen, z. B. Regionalstudien, Regionalprogramme, Hochwasserrisiko-Managementpläne Die kartographische Darstellung von Gefahren und Risiken wird in diesem Kapitel als Teil der Systems raumbezogener Planungen dargestellt und folgt damit der Planungssystematik des Bauwesens auf regionaler und kommunaler Ebene. Der Fokus der Darstellung liegt insbesondere auf der Anwendung der Planungsinstrumente. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die österreichischen Rechts-
4 5
6
7
182
Eine Abgrenzung des Gefahrengebietes ist nur grobmaßstäblich (diff us) oder gar nicht möglich. Unter Raumordnung ist die planmäßige Ordnung, Entwicklung und Sicherung von größeren Gebietseinheiten (Regionen, Länder, Bundesgebiet) zur Gewährleistung der bestmöglichen Nutzung des Lebensraumes zu verstehen. Unter diesem Begriff werden definitionsgemäß alle planerischen Vorgänge subsumiert, um ein bestimmtes Verwaltungsgebiet als geographischen Raum nach seinen naturräumlichen, wirtschaft lichen und sozialen Möglichkeiten zu ordnen und gezielt zu nutzen. Die Darstellung der Gefahrenzonen erfolgt auf der Grundlage und im Maßstab des Grundstückskatasters.
5. Naturgefahrenkarten und -pläne
und Planungsnormen.8 Die Berücksichtigung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen im österreichischen Bau- und Raumordnungsrecht wird im Kapitel 6 behandelt. 5.1.2. Grundlagenfachplanung und allgemeine Raumplanung Die raumbezogene Planung hat – entsprechend der o. a. Definition – die Aufgabe, bestimmte Gebiete (Räume) durch zusammenfassende, fachübergreifende Pläne und durch die Koordinierung raumbedeutsamer Vorhaben und Maßnahmen zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern. Dabei sind die unterschiedlichen Anforderungen (öffentliche und private Nutzungsansprüche) an Räume, Flächen und Standorte aufeinander abzustimmen und die auf der jeweiligen Planungsebene auftretenden Konflikte auszugleichen. Darüber hinaus ist Vorsorge für einzelne Raumfunktionen und Raumnutzungen zu treffen. [242] Der Detaillierungsgrad der raumbezogenen Planungen orientiert sich an den Genauigkeitsanforderungen der maßgeblichen Planungsebene (Europäische Ebene, Bundesebene, Landesebene, Gemeindeebene) (Tabelle 5.1). Der Überblick über die präventiven Planungsinstrumente in den verschiedenen Planungsebenen in Österreich zeigt, dass der Grad der Verbindlichkeit indirekt proportional zur Größe des Bezug nehmenden Planungsraums zunimmt. Planungsinstrumente mit direkter Rechtsverbindlichkeit für das Bauwesen, insbesondere für den Gebäudeschutz, existieren praktisch fast ausschließlich auf der lokalen Ebene. Auf Ebene der Europäischen Union (EU) liegen nur wenige, meist unverbindliche Richtlinien der Raumordnung mit direktem Naturgefahrenbezug vor. Die Territoriale Agenda9 der EU enthält beispielsweise Ziele für die Entwicklung transnationaler Strategien zum Schutz vor Naturgefahren (Erdbeben, Dürre) und die Risikosteuerung in intensiv von Naturgefahren betroffenen Großräumen (Küstengebiete, Flussgebiete, Gebirgsregionen). [224]
Tabelle 5.1. Überblick über die relevanten Ebenen der raumbezogenen Planungen für Österreich. Planungsebene
Zuständigkeit
Maßstab
Europäische Ebene Europäische Leitlinien
EU-Kommission
1:10 000 000
Gesamtstaatliche Ebene
Bundesfachplanungen (Koordinationsfunktion)
Bund
1: 500 000 – 1:1 000 000
Regionale Ebene
Überörtliche Raumplanung Länder 1: 25 000 – 1:100 000 Landesfachplanungen (Regionen, polit. Bezirke)
Lokale Ebene
Örtliche Raumplanung
8 9
Planungskategorie
Städte Gemeinden
1: 2 000 – 1:10 000
Naturgemäß bestehen gegenüber der rechtspolitischen Situation damit Unterschiede zu ähnlich strukturierten Ländern (z. B. Schweiz, Deutschland, Frankreich). „Territorial Agenda of the European Union“, Vereinbarung anlässlich des informellen Ministertreffens für Stadtentwicklung und territorialen Zusammenhalt, 24. und 25. Mai 2007, Leipzig. 183
Florian Rudolf-Miklau
Eine Ausnahme bilden die Leitlinien für die Naturgefahr „Hochwasser“. Das im Europäischen Raumentwicklungskonzept (EUREK)10 und in den CEMAT-Leitlinien11 definierte, generelle Ziel des integrierten und nachhaltigen Managements im vorbeugenden Hochwasserschutz in grenzüberschreitenden Flussgebieten wurde in der Europäischen Hochwasserrichtlinie (HW-RL)12 umgesetzt, die zukünftig den Rechtsrahmen für Fachplanungen zur Vermeidung von Wassergefahren in Europa darstellen soll. Die HW-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Ausweisung der Überflutungsflächen von Hochwasser hoher (unter 100-jährlich), mittlerer (100-jährlich) und niedriger (Extremereignisse) Eintrittswahrscheinlichkeit in Hochwassergefahrenkarten auf Ebene der Flussgebiete.13 Darauf aufbauend sind Hochwasserrisikokarten zur Darstellung der potenziell hochwasserbedingten nachteiligen Auswirkungen zu erstellen, die sich u. a. auf die Anzahl der potenziell betroffenen Bewohner und die Art der wirtschaftlichen Tätigkeit beziehen. Die Erstellung der Karten hat bis 22. 12. 2013 zu erfolgen. [224] Die Umsetzung der HW-RL im nationalen österreichischen Recht erfolgte mit der Novelle 2011 zum WRG 195914. Allgemeine Ziele für die „präventive“ Raumordnung enthält auch das Übereinkommen zum Schutz der Alpen (Alpenkonvention)15 sowie das zugehörige Raumplanungs-Protokoll16, welches die Vertragsstaaten zur Festlegung von Gebieten im ländlichen Raum und Siedlungsraum verpflichtet, in denen aufgrund von Naturgefahren die Errichtung von Bauten und Anlagen so weit wie möglich auszuschließen ist. Die Protokolle der Alpenkonvention haben den Rang von Staatsverträgen und gelten daher als nationales Recht. [224] Einschränkend ist festzustellen, dass aus keiner der genannten europäischen Rechtsnormen und Leitlinien unmittelbare Regelungen für die Bauvorsorge ableitbar sind, allerdings besteht eine mittelbare Relevanz durch die Einwirkung auf die Raumordnung und das Bauwesen der Mitgliedstaaten. Trotz der umfassenden Einflussmöglichkeiten auf die Raumentwicklung hat der Bund in Österreich auf der gesamtstaatlichen Ebene entsprechend den Bestimmungen des Verfassungsgesetzes17 keine allgemeine Raumordnungskompetenz, daher existiert auch kein Bundesraumordnungsgesetz. Das von der Österreichischen Raumordnungskonferenz (ÖROK)18 ausgearbeitete Österreichische Raum10 Angenommen beim Informellen Rat der für Raumordnung zuständigen Minister in Potsdam, Mai 1999. 11 „Leitlinien für eine nachhaltige räumliche Entwicklung auf dem europäischen Kontinent“, verabschiedet auf der 12. Europäischen Raumordnungsministerkonferenz, 7./8. September 2000 in Hannover. 12 RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken, 2007/60/EG vom 23. Oktober 2007, ABl L 288/27 (HW-RL). 13 In Österreich werden zukünft ig Gefahrenkarten für 30-, 100- und 300-jährliche Hochwasserereignisse erstellt werden. 14 BGBl. I Nr. 14/2011 vom 30. März 2011. 15 BGBl Nr. 477/1995 i. d. g. F. 16 BGBl III Nr 232/2002 i. d. g. F. (Raumplanungs-Protokoll). 17 BGBl Nr 1/1930 i. d. g. F. (BV-G). 18 Österreichische, von Bund, Ländern und Gemeinden getragene Einrichtung zur Koordination der Raumordnung auf gesamtstaatlicher Ebene mit ausschließlich empfehlender Funktion. 184
5. Naturgefahrenkarten und -pläne
entwicklungskonzept 2001 (ÖREK)19 [155] berücksichtigt den Einfluss von Naturgefahren auf die Raumnutzung und legt Leitlinien für deren Berücksichtigung in der Raumplanung fest. Auf der Grundlage des ÖREK 2001 wurden in der Folge spezifische Empfehlungen Nr. 52 zum präventiven Umgang mit Naturgefahren in der Raumordnung [157] ausgearbeitet, welche das Ziel der gemeinsamen Ausarbeitung von Präventions- und Risikoreduktionsstrategien verfolgen. Die Leitlinien wurden vereinzelt in den Raumordnungsgesetzen der Länder20 umgesetzt. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Eigenschaft der Raumordnung als „Querschnittsmaterie“21 [74] [214] besteht keine Einheitlichkeit in den Zielsetzungen der Gebietskörperschaften. Mangels verbindlicher, gesamtstaatlicher Vorgaben ist eine starke Differenzierung der naturgefahrenrelevanten Ziele der „Allgemeinen Raumordnung“ auf landesgesetzlicher Ebene festzustellen. Bundeseinheitliche Ziele existieren nur in jenen Rechtsgebieten, in denen eine sektorale Raumordnungszuständigkeit des Bundes besteht (u. a. Forstrecht, Wasserrecht, Wildbach- und Lawinenverbauung, Verkehrsrecht, Eisenbahnwesen). [74] [253] Ein besonderes Merkmal der Raumplanung ist die Hierarchie der Planungen der Gebietskörperschaften, wodurch die Gemeinden in der örtlichen Raumplanung an Planungen des Bundes und des Landes gebunden sind. Hingegen stehen sich Planungen des Bundes und der Länder gleichrangig gegenüber und haben sich gegenseitig zu berücksichtigen. [253] Im Bereich der überörtlichen Planung haben die Länder in Österreich die Planungskompetenz. Dazu werden Landesentwicklungsprogramme, Sachprogramme und Regionale Entwicklungsprogramme erstellt, die für die Gemeinde verbindlich sind. Die Gemeinden besitzen die Kompetenz für die örtliche Raumplanung.22 Sie können Entscheidungen für den eigenen Wirkungsbereich treffen, wobei diese zum Teil – je
Tabelle 5.2. Hierarchie der Raum- und Bauplanung in Österreich Planungsebene
Überörtliche Raumplanung
Kategorie
Raumbezogene Fachplanung
Allgemeine Raumplanung
Träger
Bund Länder
Länder
Örtliche Raumplanung Flächenwidmung
Planung des Bauvorhabens
Bebauungs- Entwurfs- Ausfühplanung planung rungsplanung
Gemeinden
Bauherr (Planer)
Instrumente Überörtliche Entwicklungs- Örtl. Entwick- Bebauungs- Einreich- DetailFachplanun- programme, lungskonzept, plan planung entwurf gen SachproFlächenwidgramme mungsplan
19 Das ÖREK stellt ein gemeinsames Leitbild und strategisches Steuerungsinstrument mit Empfehlungscharakter für die gesamtstaatliche Raumordnung und Raumentwicklung dar. Eine Neufassung wird für das Jahr 2011 angestrebt (ÖREK 2011) und lag zum Zeitpunkt der Drucklegung als unveröffentlichter Entwurf vor. 20 Oö ROG 1993, LGBl Nr 2007/1. 21 Die „Allgemeine Raumordnung“ ist gemäß Art. 15 Abs. 1 B-VG Landeskompetenz. 22 Art 118 Abs 3 B-VG. 185
Florian Rudolf-Miklau
Abb. 5.1. Klassifi kation der naturgefahrenbezogenen Planungen entsprechend der Hierarchie der Planungen der Gebietskörperschaften: Die Gliederung erfolgt entsprechend der Funktion der Planung und der Zuordnung zur Naturgefahrenart, nach [224].
nach Bundesland und Planungsinstrument – von der zugehörigen Landesregierung genehmigt werden müssen. In den meisten Ländern stehen folgende Instrumente auf Gemeindeebene zur Verfügung: Örtliches Entwicklungskonzept, Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan. [121] [214] [224] Näheres dazu siehe Kapitel 6.3 und 6.4. Auf der Ebene der Planung des konkreten Bauvorhabens ist der Bauherr Planungsträger. Im Rahmen der verbindlichen Leitlinien der örtlichen Raumplanung ist für konkrete Bauvorhaben die Bewilligung der Baubehörde erforderlich (siehe Kapitel 6.5). 5.1.3. Planungskategorien zur Darstellung von Gefahren und Risiken Die planliche Gefahrendarstellung umfasst nach [125] die Erarbeitung der wissenschaft lich-technischen Grundlagen und deren kartographische Darstellung in Gefahrenzonenplänen oder Gefahren(hinweis)karten. Auf dieser Grundlage erfolgt die Übertragung in die rechtsverbindlichen Planungsinstrumente der allgemeinen oder örtlichen Raumplanung. [124] Folgende Kategorien der planlichen Darstellung von Gefahren und Risiken werden grundsätzlich unterschieden: Gefahren(hinweis)karten geben Auskunft über das räumliche Auftreten einer Gefahr. Sie bieten einen groben Überblick, in welchen Gebieten mit Naturgefahren zu rechnen ist. Die Karten enthalten somit flächenhafte Informationen (Hinweise) über Gefahren, ohne jedoch direkt auf gesetzlich definierte Flächeneinheiten (z. B. Grundparzellen) Bezug zu nehmen oder einen formellen Akt der Anerkennung (Genehmigung) durch eine staatliche Instanz zu durchlaufen. Gefahren(hinweis) 186
5. Naturgefahrenkarten und -pläne
karten haben also eine rein demonstrative (indikative) Funktion, sagen jedoch nichts über das konkrete Ausmaß und die Häufigkeit der Gefahr an einem bestimmten Ort innerhalb des Gefahrengebiets aus. Die Darstellung potenziell gefährdeter Gebiete in Gefahren(hinweis)karten erfolgt in der Regel grobmaßstäblich (z. B. 1: 25 000). Je nach Abgrenzbarkeit und Vorhersagemöglichkeit erfolgt die flächenhafte Gefahrendarstellung zeitunabhängig von einer aktuellen Gefahrensituation (Hochwasser, Lawinen, Steinschlag, Erdbeben) oder als situationsbezogene Gefahrendarstellung im Sinne einer Prognose oder Frühwarnung (Unwetter, Hagel). Die Erstellung von Risikokarten beruht auf der planlichen Darstellung der Risikopotenziale innerhalb eines Gefahrengebiets (ohne Risikobewertung) oder auf Basis einer abgestuften, qualitativen/quantitativen Bewertung der Auswirkung von Gefahren nach Intensitätsstufen sowie einer Zuordnung von potenziellen Schäden (Schadensintensität) (Risikostufen: z. B. geringes Risiko – mittleres Risiko – hohes Risiko). Gefahren(hinweis)- und Risikokarten sind ein wichtiges Element des Naturgefahrenmanagements in Österreich (Tabelle 5.3), dennoch stehen diese Planungen Tabelle 5.3. Gefahren(hinweis)karten (Risikokarten) in Österreich (Beispiele), nach [224] Gefahren-/ Risikokarte
Naturgefahr
Verfügbarkeit Quelle
Inhalt
HORA (HochwasserRisikoflächen Austria)
Hochwasser Auch: Erdbeben, Sturm, Hagel, Schneelast
bundesweit BMLFUW (WEB: http:// www.hora.gv.at/)
Überflutungsflächen von Hochwasser mit 30-, 100- und 200-jährlicher Eintrittswahrscheinlichkeit, ermittelt mit einem grobmaßstäblichen numerischen Abflussmodell, grobe Österreichkarten für andere Naturgefahren
Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten gemäß Art. 6 HW-RL bzw. § 55 k Abs 2 WRG
Hochwasser
In Gebieten mit signifi kantem Hochwasserrisiko Bund (BMLFUW) Länder
Gebiete, die nach folgenden Szenarien überflutet werden könnten: a) Hochwasser mit niedriger Wahrscheinlichkeit oder Szenarien für Extremereignisse (Ö: HQ-300); b) Hochwasser mit mittlerer Wahrscheinlichkeit (voraussichtliches Wiederkehrintervall ≥ 100 Jahre) (Ö: HQ-100); c) gegebenenfalls Hochwasser mit hoher Wahrscheinlichkeit (Ö: HQ-30).
Erdbebenrisikokarte
Erdbeben
bundesweit ZAMG
Darstellung der Erdbebengefährdung in Österreich nach EN 1998: Erdbebenzonenkarte (analog verfügbar)
Wetterwarnungen
Hagel Sturm Unwetter
bundesweit ZAMG private Dienste
WEB-Portale für die Wetterwarnung betreffend Wind, Regen, Schnee, Glatteis und Gewitter
Lawinengefahrenstufen
Lawinen
bundesweit Lawinenwarndienste
WEB-Portal der Lawinenwarndienste zur flächenhaften Darstellung der aktuellen Lawinengefahr
Geologische Gefahrenkarten
Steinschlag Rutschung
regional Geologische Bundesanstalt (GBA) Länder
Darstellung geologischer Gefahren und Risiken (bisher keine einheitliche Darstellungsform in Österreich: z. B. „Naturgefahren Kärnten“/KAGIS)
187
Florian Rudolf-Miklau
Abb. 5.2. Planungsinstrumente für den Hochwasserschutz auf den Planungsebenen der Raumordnung (Stand der Umsetzung europäische HW-RL: Juli 2011). (WRG: Wasserrechtsgesetz; ForstG: Forstgesetz; GZP-V: Gefahrenzonenplanverordnung; ROG: Raumordnungsgesetz; BauG: Baugesetze; APSFR: Gebiete mit hohem oder sehr hohem Hochwasserrisiko) 188
5. Naturgefahrenkarten und -pläne
– im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – bisher nur vereinzelt zur Verfügung. Gesetzliche Grundlagen oder einheitliche Richtlinien für die Erstellung von Gefahren- und Risikokarten betreffend die Naturgefahr Hochwasser werden mit der Umsetzung der HW-RL im nationalen österreichischen Recht (Novelle zum WRG 201123) geschaffen. [224] (siehe Abb. 5. 2). 5.2. Gefahrenzonenplanungen 5.2.1. Allgemeines Im Gegensatz zu den Gefahrenhinweiskarten basieren Gefahrenzonenplanungen in der Regel auf konkreten Rechtsgrundlagen sowie detaillierten technischen Normen und durchlaufen die Anerkennung oder Genehmigung durch eine staatliche Instanz. Es handelt sich dabei dem Charakter nach um flächenhafte Gutachten zur detaillierten räumlichen Darstellung von Naturgefahren. Der Gefahrenzonenplan stellt die Häufigkeit und Intensität von Naturgefahren auf Basis des Grenzkatasters im Maßstab 1: 2 000 bis 1: 5 000 dar und dient damit der Beurteilung der Sicherheit einzelner Liegenschaften. [73] [124] In Österreich werden Gefahrenzonenpläne für die Gefahrenarten Hochwasser (Abb. 5.2), Muren und Lawinen ausgearbeitet. Die konkreten Gefahrenzonenpläne werden in Österreich von den fachlich zuständigen Institutionen Wildbach- und Lawinenverbauung24 bzw. Bundeswasserbauverwaltung25 erstellt. Das Instrument Gefahrenzonenplan diente ursprünglich diesen Institutionen als Grundlage für die Ausarbeitung von Schutzprojekten (Hochwasser- und Lawinenschutz), für deren Dringlichkeitsreihung und öffentliche Subventionierung (Förderung), erst in zweiter Linie sollte es für die Raumplanung, das Bau- und Sicherheitswesen Anwendung finden. Aufgrund der hohen öffentlichen Akzeptanz dieses Planungsinstrumentes und seiner effizienten Wirkung für die Naturgefahrenprävention hat sich der Schwerpunkt der Bedeutung des Gefahrenzonenplans in den Bereich der Raumplanung und das Bauwesen verschoben. [98] [140] Der Gefahrenzonenplan ist damit heute das primäre Planungsinstrument der Flächen- und Bauvorsorge. Dem rechtlichen Charakter nach ist der Gefahrenzonenplan eine „Art von Gutachten mit Prognosecharakter“26, wobei eine besondere Qualifikation des Gutachtens durch die spezielle Ausgestaltung des Verfahrens erreicht wird. Gefahrenzonenpläne stellen daher keine unmittelbar verbindliche Rechtsnorm dar, ziehen also keine unmittelbaren Verbote oder Gebote für den Bürger nach sich. So entsteht beispielsweise durch die Zuordnung einer Grundparzelle zur Roten Gefahrenzone aus formaler Sicht noch kein Bauverbot. Eine normative Außenwirkung entsteht erst, wenn die Inhalte des Gefahrenzonenplans in Gesetzen oder Verordnungen Berücksichtigung finden, also beispielsweise in den Raumordnungs- und Baugesetzen der Länder. [98] [124] Diese „mittelbare“ Bindewirkung verleiht dem Gefahrenzonen23 BGBl. I Nr. 14/2011 vom 30. März 2011. 24 Dienststellen gemäß § 102 Abs 1 ForstG 1975 und BGBl 1978/72 i. d. g. F. (WLV-DienststellenV). 25 Aufgabe gemäß Richtlinie für die Gefahrenzonenplanung der Bundeswasserbauverwaltung [35], übertragen an den Landeshauptmann gemäß BGBl Nr. 280/1969 (ÜV-BWV). 26 VwGH 27. 3. 1995, 91/10/0090. 189
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Tabelle 5.4. Gefahrenzonenplanungen in Österreich, nach [224] Gefahrenzonenplanung Gefahrenzonenplan gemäß § 11 ForstG (für Wildbäche und Lawinen)
Naturgefahr Hochwasser Muren Lawinen (Hinweise: Steinschlag, Rutschungen, Erosion)
Gefahrenzonenplan Hochwasser gemäß Richtlinien der Bundeswasserbauverwaltung, Fassung 2006 bzw. § 42 a Abs. 2 und 3 WRG 1959 i. d. g. F.27
Verfügbarkeit Erstellung
Inhalt
bundesweit Wildbach- und Lawinenverbauung (Dienststellen gem. § 102 ForstG)
Rote und gelbe Gefahrenzonen für ein ca. 150-jährliches Bemessungsereignis; braune Hinweisbereiche (Steinschlag, Rutschung); Violette und Blaue Vorbehaltsbereiche (schutzwirksame Flächen, Maßnahmen)
In Gebieten mit signifi kantem Hochwasserrisiko Bund und Länder (Bundeswasserbauverwaltung)
Für ein 100-jährliches Bemessungsereignis: HQ30-Zone (Zone wasserrechtlicher Bewilligungspfl icht); Rote Zone (Bauverbotszone); Rot-Gelbe Zone (Retentions-, Abfluss- und wasserwirtschaft liche Vorrangzone); Gelbe Zone (Gebots- und Vorsorgezone); Blaue Zone (Wasserwirtschaft liche Bedarfszone); Gefahrenbereich bis HQ300 (Hinweisbereich)
plan nichtsdestotrotz eine bedeutende Lenkungswirkung auf Ebene der örtlichen Raumordnung (Darstellung der Gefahrenzonen im Flächenwidmungsplan).27 Dem Inhalt nach stellt der Gefahrenzonenplan den Ist-Zustand der Gefährdung durch Überflutung, Vermurung oder Lawinenwirkung dar. [236] Die Gefahrensituation kann sich durch Veränderungen im Einzugsgebiet, Schutzmaßnahmen oder menschliche Eingriffe erhöhen oder verringern, aus diesem Grund sind Gefahrenzonenpläne regelmäßig einer Überarbeitung (Revision) zu unterziehen. Als wichtiger Planungsgrundsatz gilt, dass die Beurteilung der Gefahrenzonen auf einem guten und dem wasserrechtlichen Konsens entsprechenden Erhaltungszustand28 der Schutzbauwerke aufbaut, d. h. ein Versagenszenario für funktionsfähige Schutzanlagen ist nicht zu unterstellen. [236] Der Gefahrenzonenplan ist in Österreich (Tabelle 5.4) in der Praxis das wichtigste Instrument der Naturgefahrenprävention auf der Ebene der örtlichen Raumplanung und im Bauwesen. Er ist darüber hinaus auch im Sicherheitswesen und Katastrophenschutz anwendbar. Das Ausmaß der Gefahr wird in der Regel durch Rote und Gelbe Gefahrenzonen dargestellt. Für den Gebäudeschutz sind fast ausschließlich „parzellenscharfe“ Gefahrenzonenpläne relevant, die nichtsdestotrotz im Bauvorhaben einer Präzisierung durch einen fachkundigen Experten bedürfen. [224] Für die Naturgefahr Hochwasser werden in Österreich29 auch detaillierte Hochwasserabflusskarten (Abflussuntersuchungen) erstellt, welche die überfluteten Flächen mit Jährlichkeit 30 bzw. 100 (Hochwasseranschlaglinien) sowie die Fließgeschwindigkeiten und Abflusstiefen zeigen. [36] Dem Charakter nach handelt es sich um 27 BGBl. I Nr. 14/2011 vom 30. März 2011. 28 ONR 24 803 (Wildbachschutzbauwerke); ONR 24 807 (Lawinenschutzbauwerke); ONR 24 810 (Steinschlagschutzbauwerke). 29 Vor allem in den östlichen Bundesländern Niederösterreich, Burgenland und Steiermark. 190
5. Naturgefahrenkarten und -pläne
detaillierte Gefahrenkarten bzw. physikalische Prozesskarten auf der Grundlage mathematischer Modelle. Mit der Novelle 2011 zum WRG 1959 wurden30 – analog zu den Gefahrenzonenplänen gemäß § 11 ForstG – Bestimmungen über Gefahrenzonenplanungen für Hochwasserrisiken geschaffen. 5.2.2. Gefahrenzonenpläne gemäß § 11 ForstG Die Gefahrenzonenpläne der Wildbach- und Lawinenverbauung sind nach den Verfahrensbestimmungen des § 11 ForstG31 und den technischen und formalen Regelungen der Gefahrenzonenplanverordnung32 auszuarbeiten. Für die Erstellung der Gefahrenzonenpläne ist der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft unter Heranziehung von Dienststellen des Forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung33 zuständig. Das Plangebiet eines Gefahrenzonenplans erstreckt sich in der Regel auf das Gebiet einer Gemeinde und umfasst alle davon berührten Wildbach34 und Lawineneinzugsgebiete35. Der Gefahrenzonenplanung wird ein Bemessungsereignis (Wildbachereig-
Abb. 5.3. Beispiel eines Gefahrenzonenplans gemäß § 11 ForstG (Wildbach- und Lawinenverbauung) 30 31 32 33 34
§ 42 a Abs. 2 und 3 WRG 1959 (BGBl. I Nr. 14/2011 vom 30. März 2011). BGBl. Nr. 440/1975 idgF (ForstG). BGBl Nr. 1976/436 (GZP-V). Dienststellen nach § 102 Abs. 1 ForstG. § 99 Abs 3 ForstG: „Das Einzugsgebiet eines Wildbaches umfasst definitionsgemäß die Fläche des von diesem und seinen Zuflüssen entwässerten Niederschlagsgebietes sowie den Ablagerungsbereich des Wildbaches.“ 35 § 99 Abs. 4 ForstG: „Das Einzugsgebiet einer Lawine ist deren Nähr-, Abbruch- und Ablagerungsbereich sowie die Lawinenbahn.“. 191
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Tabelle 5.5. Kategorien der Zonen in Gefahrenzonenplänen gemäß § 11 ForstG. Kategorie
Beschreibung
Rote Zone
Die ständige Benützung der Fläche für Siedlungs- und Verkehrszwecke ist wegen der voraussichtlichen Schadenswirkungen des Bemessungsereignisses für Wildbäche und Lawinen oder wegen der Häufigkeit der Gefährdung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich.36
Gelbe Zone
Alle übrigen durch Wildbäche und Lawinen gefährdete Flächen, deren ständige Benützung für Siedlungs- oder Verkehrszwecke infolge dieser Gefährdung beeinträchtigt ist. 37
Blauer Vorbehaltsbereich
Bereiche, die für die Durchführung und Aufrechterhaltung von technischen oder forstlich-biologischen Maßnahmen benötigt werden, sowie Bereiche, die zur Sicherstellung einer Schutzfunktion oder eines Verbauungserfolges einer besonderen Art der Bewirtschaft ung bedürfen.
Violetter Vorbehaltsbereich
Bereiche, deren Schutzfunktion von der Erhaltung der Beschaffenheit des Bodens oder des Geländes abhängt.
Brauner Hinweisbereich
Jene Bereiche, die vermutlich anderen als von Wildbächen und Lawinen hervorgerufenen Naturgefahren (Steinschlag oder Rutschungen, die nicht im Zusammenhang mit Wildbächen und Lawinen stehen) ausgesetzt sind.
nis, Lawinenereignis) mit einer Wiederkehrwahrscheinlichkeit von ca. 150 Jahren zugrunde gelegt. [98] [124] [224]3637 Der Gefahrenzonenplan besteht aus einem kartographischen Teil, der die Gefahrenkarten und Gefahrenzonenkarten enthält, und einem textlichen Teil, in dem die Bewertung der erhobenen Gefahren beschrieben und die Gefahrenzonenabgrenzung begründet ist. Gefahrenkarten enthalten allgemeine Hinweise über die Lage der Gefahrenherde im Planungsgebiet. Die Gefahrenzonenpläne werden in der Regel auf Basis des Grenzkatasters im Maßstab 1: 2 000 bis 1: 5 000 erstellt und enthalten eine nach Gefährdungsgrad abgestufte Gefahrendarstellung in Form Roter und Gelber Gefahrenzonen. [224] Die Darstellung erfolgt nach naturwissenschaft lichen und technischen Kriterien gemäß den „Richtlinien für die Gefahrenzonenabgrenzung“38. § 11 ForstG regelt das Verfahren. Der Gefahrenzonenplan ist nach Erstellung eines Entwurfs dem Bürgermeister der betroffenen Gemeinde zu übermitteln und von diesem vier Wochen zur allgemeinen Einsicht aufzulegen. Die Auflage ist öffentlich kundzutun (Ediktalverfahren). Jedermann, der ein begründetes Interesse glaubhaft machen kann, ist berechtigt, innerhalb dieser Frist zum Entwurf eine schrift liche Stellungnahme einzubringen (Publizitätsgebot).39 Der Entwurf wird danach von einer Kommission40 – bestehend aus je einem Vertreter des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, des Bun36 § 6 lit a GZP-V. 37 § 6 lit b GZP-V 38 Vorläufige Fassung 2011, Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW). 39 § 11 Abs. 4 ForstG. 40 § 11 Abs. 6 ForstG. 192
5. Naturgefahrenkarten und -pläne
deslandes, der Gemeinde und der Sektionsleitung des Forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung – auf seine fachliche Richtigkeit überprüft, wobei die schrift lichen Stellungnahmen zu berücksichtigen sind.41 Die Genehmigung des geprüften Entwurfs des Gefahrenzonenplans erfolgt durch den zuständigen Bundesminister42. Ändern sich die Grundlagen des Gefahrenzonenplans oder dessen Bewertung, ist dieser den geänderten Verhältnissen anzupassen (Revision). [123] [224] Die von Wildbächen und Lawinen betroffenen Flächen werden in Form von Gefahrenzonen (Rot, Gelb) dargestellt. Weiters werden Vorbehaltsbereiche und Hinweisbereiche dargestellt. Tabelle 5.5 gibt einen Überblick über die Kategorien der Gefahrenzonen und Hinweis-/Vorbehaltsbereiche in den Gefahrenzonenplänen gemäß ForstG. 5.2.3. Gefahrenzonenpläne der Bundeswasserbauverwaltung Gefahrenzonenpläne der Bundeswasserbauverwaltung sind fachliche Unterlagen gemäß § 2 Z 3 WasserbautenförderungsG43 über die durch Überflutungen, Vermurungen und Rutschungen gefährdeten Gebiete sowie über jene Bereiche, die für Schutzmaßnahmen freizuhalten sind oder für die eine besondere Art der Bewirtschaftung erforderlich ist, und dienen als Grundlage für Alarmpläne sowie für Planungen, Projektierungen und Gutachten. Die technischen und formellen Grundlagen sind in der Richtlinie für den Gefahrenzonenplan der Bundeswasserbauverwaltung [35] festgelegt. Die Gefahrenzonenpläne werden richtliniengemäß für alle Gebiete, die nicht Einzugsgebiet von Wildbächen oder Lawinen sind und in der Verordnung des Landeshauptmannes über die Einzugsgebiete44 erfasst sind, erstellt. Mit der Novelle 2011 zum WRG 1959 wurde – in Analogie zu den Bestimmungen des § 11 ForstG – erstmals in Österreich eine Rechtsgrundlage für die Erstellung von Gefahrenzonenplanungen für Hochwasserrisiken geschaffen. § 42 a Abs. 2 regelt, dass insbesondere für Gebiete mit potenziellem signifi kantem Hochwasserrisiko – sofern nicht bereits ausreichender Hochwasserschutz besteht oder Planungen vorliegen, die den nachstehenden Planungen gleichwertig sind – Gefahrenzonenplanungen zu erstellen sind. Für die Erstellung der Gefahrenzonenplanungen und deren Anpassung an den jeweiligen Stand der Entwicklung ist gemäß § 42 a Abs. 3 der „ . . . Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft in Zusammenarbeit mit den Ländern zuständig. Die aus diesen Planungen resultierenden Gefahrenzonen und Funktionsbereiche sind im Wasserbuch in geeigneter Weise ersichtlich zu machen. Der Entwurf der Gefahrenzonenplanungen ist dem Bürgermeister zu übermitteln und von diesem durch vier Wochen in der Gemeinde zur allgemeinen Einsicht aufzulegen. Die Auflegung ist öffentlich kundzumachen. Jedermann, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen kann, ist berechtigt, innerhalb der Auflegungsfrist zum Entwurf des Gefahrenzonenplans schrift lich Stellung zu nehmen. [. . .] Die Stellungnahmen sind bei der Ausarbeitung und vor der Ersichtlichmachung der Gefahrenzonenplanungen zu berücksichtigen. 41 42 43 44
§ 11 Abs. 5 ForstG. Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. BGBl Nr. 148/1985 i. d. g. F (WBFG). Gemäß § 99 Abs. 5 ForstG. 193
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Tabelle 5.6. Kategorien der Zonen in Gefahrenzonenplänen gemäß Bundeswasserbauverwaltung Kategorie
Beschreibung
Rote Zone
Jene Flächen, die zur ständigen Benutzung für Siedlungs- und Verkehrszwecke nicht geeignet sind. Das sind Abflussbereiche und Uferzonen, in denen Zerstörung oder schwere Beschädigung von Bauobjekten, Verkehrsanlagen sowie von beweglichen und unbeweglichen Gütern möglich und v. a. das Leben von Personen bedroht ist.
Rot-Gelbe Zone
Jene Flächen, die für den HW-Abfluss notwendig sind oder auf Grund der zu erwartenden Auswirkungen auf das Gefahrenpotential und das Abflussverhalten des Gewässers bei abflussbeeinträchtigenden Maßnahmen eine wesentliche Funktion für den HW-Rückhalt aufweisen.
Gelbe Zone
Verbleibende Abflussbereiche von Gewässern, in denen unterschiedliche Gefahren geringeren Ausmaßes auft reten können. Beschädigungen von Bauobjekten und Verkehrsanlagen sowie die Behinderung des Verkehrs sind möglich.
Blaue Zone
Jene Flächen, die für wasserwirtschaft liche Maßnahmen oder für die Aufrechterhaltung von deren Funktion benötigt werden und deshalb einer besonderen Art der Bewirtschaft ung bedürfen.
Restrisikogebiete
Das beim Bemessungsereignis eines HQ100gegebene Restrisiko für den Fall des Versagens bestehender Schutz- und Regulierungsbauten ist im fi ktiven Abflussraum des HQ100rot schraffiert auszuweisen. Auf das verbleibende Restrisiko bei Überschreiten des HQ100ist verbal hinzuweisen.
In den Gefahrenzonenplanungen gemäß Abs. 2 Z 1 sind die Gebiete, die nach den Szenarien gemäß § 55 k Abs. 2 WRG überflutet werden können, darzustellen. Unter Verwendung geeigneter Methoden sind Gefahrenzonen auf Basis des Bemessungsereignisses (Hochwasser mittlerer Wahrscheinlichkeit gemäß § 55 k Abs. 2 Z 2 WRG: Hochwasser mit einer 100-jährlichen Eintrittswahrscheinlichkeit/HQ-100) und Funktionsbereiche auf der Grundlage der relevanten Szenarien abzuleiten, in denen eine Freihaltung dieser Gebiete a) wegen der voraussichtlichen Schadenswirkung oder Gefährdung, b) zur Verhinderung eines Zuwachses des Schadenspotenzials, c) zur Reduktion der Hochwassergefahren, d) für Zwecke späterer schutzwasserwirtschaft licher Maßnahmen erforderlich ist oder die Voraussetzungen zur Reduktion bestehender Risiken zu schaffen sind.“45 Der Gefahrenzonenplan der Bundeswasserbauverwaltung stellt die Art und das Ausmaß der Gefährdung ebenfalls in Roten und Gelben Gefahrenzonen dar, darüber hinaus noch in rot-gelben und blauen Zonen. Auch ist der Gefahrenbereich bei Überschreiten des Bemessungsereignisses bis HQ-300 einschließlich des dadurch ausgelösten Versagens schutzwasserbaulicher Anlagen darzustellen („Restrisikogebiet“). [35] Tabelle 5.6 gibt einen Überblick über die Bedeutung der Gefahrenzonen.
45 Nähere Vorschriften über den Inhalt sowie die Form und Ausgestaltung der Gefahrenzonenplanungen hat der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft durch Verordnung zu erlassen. Eine diesbezügliche Verordnung lag zum Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht vor. 194
5. Naturgefahrenkarten und -pläne
5.2.4. Bemessungsereignis und Abgrenzungskriterien Es gilt der Grundsatz, dass Maßnahmen zum Schutz vor Naturgefahren so zu planen sind, dass die Auswirkungen des Bemessungsereignisses auf ein akzeptables (zumutbares) Ausmaß herabgesetzt werden. In Österreich basieren Schutzziele auf der Wirkung von Extremereignissen, die gesetzlich oder durch Normen festgelegt sind und der Sicherheitseinschätzung durch Experten entsprechen. Dies gilt insbesondere für die Gefahrenzonenplanung. Das Bemessungsereignis der Gefahrenzonenplanung wird nach dem Konzept der Intensität der Prozesswirkung und der Häufigkeit des Prozesseintritts determiniert (siehe Kapitel 2.3.4). Die Intensität eines schadensbringenden Naturprozesses wird in der Gefahrenzonenplanung durch physikalische Intensitätskriterien – wie Fließtiefe, Fließgeschwindigkeit, deponierte Masse, Fließenergie oder Druckwirkung – ausgedrückt. Für die Abgrenzung der Gefahrenzonen sind in den einschlägigen Richtlinien physikalische Kriterien festgelegt, die im Sinne der Legaldefi nition für die Rote und Gelbe Gefahrenzone die technische Abgrenzung der Bauplatzeignung determinieren. Tabelle 5.7 zeigt die in Österreich richtliniengemäß für Wildbäche und Lawinen anzuwendenden Abgrenzungskriterien, in Tabelle 5.8 sind zum Vergleich die in der Schweiz gemäß SIA 261/1 anzuwendenden Kriterien zusammengestellt. Tabelle 5.7. Abgrenzungskriterien für die Gefahrenzonenpläne gemäß § 11 ForstG entsprechend den geltenden Richtlinien für die Gefahrenzonenplanung der Wildbach- und Lawinenverbauung Gefahrenzone
Rot
Gelb
Wiederkehrintervall
150 Jahre
1–10 Jahre
150 Jahre
1–10 Jahre
Stehendes Wasser
h ≥ 1,5 m
h ≥ 0,2 – 0,5 m
h < 1,5 m
h < 0,2 – 0,5 m
Fließendes Wasser
hE ≥ 1,5 m
hE ≥ 0,25 m
hE < 1,5 m
hE < 0,25 m
Erosionsrinnen
h ≥ 1,5 m
Erosionsrinne möglich
h < 1,5 m
keine Erosionsrinne
Geschiebeab lagerung
h ≥ 0,7 m
Geschiebeablagerung möglich
h < 0,7 m
keine Geschiebeablagerung
Nachböschung infolge Tiefen-/ Seitenschurf
Oberkante des Nachböschungsbereichs
–
Mur- und Erdströme
Rand der ausgepräg ten Murablagerung
–
Lawine
p > 10 kN/m² h > 1,5 m
Sicherheitsstreifen –
–
–
p > 1–10 kN/m² h > 0,2 –1,5 m
195
Florian Rudolf-Miklau
Tabelle 5.8. Intensitätsstufen in Abhängigkeit des Gefahrenprozesses; nach SIA 261/1, Tabelle 3, 5 [240] und Egli [56] Prozess
schwache Intensität mittlere Intensität
starke Intensität
Lawinen
qk < 3 kN/m²
3 kN/m² ≤ qk < 30 kN/m² qk ≥ 30 kN/m²
Hochwasser
hf < 0,5 m oder vf (hf < 0,5 m²/s
0,5 m ≤ hf < 2 m oder 0,5 ≤ vf ∙hf < 2 m²/s
hf ≥ 2 m oder vf ∙hf vf ∙hf ≥ 2 m²/s
Ufererosion
hu < 0,5m
0,5 m ≤ hu < 2 m
hu ≥ 2 m
Murgänge und Hangmuren
nicht vorkommend
hf < 1 m oder vf < 1 m/s
hf ≥ 1 m und vf ≥ 1 m/s
Stein- und Blockschlag
E < 30 kJ
30 kJ ≤ E < 300 kJ
E ≥ 300 kJ
Rutschung / Absenkung permanent
vf < 0,02 m/Jahr
0,02 m/Jahr ≤ vf < 0,1 m/ vf ≥ 0,1 m/Jahr46 oder Jahr starke differentielle Bewegungen
Rutschung spontan/Uferrutschung
hr < 0,5 m
0,5 m ≤ hr < 2 m
Einsturz
kommt nicht vor
hs < 0,5 m und AE < 1 Are hs > 0,5 m oder AE > 1 Are
hr > 2 m
E = kinetische Energie (Translations- + Rotationsenergie); qk = Druck; hf = Fließhöhe; hr = Tiefe der Gleitfläche; h s = Setzungstiefe bei Einsturz; vf = Geschwindigkeit; A E = Fläche von Einsturztrichtern; hu = Tiefe der Ufererosion
Abb. 5.4. Abgrenzungskriterien für die Gefahrenzonen bei Hochwasser (ohne Geschiebe) nach den Gefahrenzonenplanrichtlinien der Wildbach- und Lawinenverbauung bzw.der Bundeswasserbauverwaltung 46
46 Im Fall von starken differentiellen Bewegungen sind auch Intensitäten vf < 0,1 m/Jahr als „stark“ einzustufen. 196
5. Naturgefahrenkarten und -pläne
5.3. Anwendung in der Bauvorsorge Die Analyse der Naturgefahren im Rahmen der Erstellung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen liefert Intensitätsparameter für den Entwurf und die Bemessung von Gebäudeschutzmaßnahmen. Aus Gefahrenkarten sind die maßgeblichen Parameter „exakt“ nur an der Grenze der Gefahrenzonen festgelegt, in den anderen Flächen muss die maßgebliche Einwirkung auf ein Objekt durch einen Sachverständigen festgelegt werden. Tabelle 5.9 gibt einen Überblick über die für Bemessungsfragen im Gebäudeschutz erforderlichen bzw. in den Gefahrenzonenplänen verfügbaren Parameter. [59] Es zeigt sich, dass nur ein Teil der erforderlichen Einwirkungsparameter aus Gefahrenkarten/-zonenplänen abgeleitet werden kann. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Gefahrenkarten und Gefahrenzonenpläne ein wichtiges Instrument zur grundsätzlichen Bewertung der Bauplatzeignung sind. Auch sind sie geeignet, einen Lenkungseffekt für die Siedlungsentwicklung „weg von der Gefahr“ auszuüben. Hingegen ist eine unmittelbare Anwendbarkeit des Gefahrenzonenplans auf das konkrete Bauvorhaben nicht ohne weiteres gegeben, vielmehr ist die Festlegung des erforderlichen Sicherheitsniveaus, der Einwirkungen für die Bemessung von Bauwerken im Gefahrenbereich sowie der konstruktiven Schutzvorkehrungen durch einen Sachverständigen für die maßgebliche Naturgefahr erforderlich. Der Gefahrenzonenplan bietet eine Abgrenzung der Gebiete, in welchen ein solches Gutachten durch die zuständige Baubehörde einzuholen ist, und bildet gleichzeitig die wichtigste Grundlage und Informationsquelle für diese Einzelgutachten. Tabelle 5.9. Gegenüberstellung der erforderlichen Informationen für die Bemessung von Gebäudeschutzmaßnahmen in Relation zu der in Gefahrenzonenplänen enthaltenen Information, nach [59] (modifiziert) Gefahrenart
Erforderliche Intensitätsparameter für den Gebäudeschutz (Bedarf )
Verfügbare Intensitätsparameter in Gefahrenzonenplänen
Hochwasser
Fließtiefe, Fließgeschwindigkeit, Fließrichtung, Block/Holzgröße
Fließtiefe, Fließgeschwindigkeit, Erosionstiefe
Murgänge
Fließtiefe, Fließgeschwindigkeit, Blockgröße, Dichte, Fließrichtung
Ablagerungshöhe, Erosionstiefe
Lawinen
Lawinengeschwindigkeit, Fließtiefe, Dichte, Fließrichtung, Block/Holzgröße
Fließtiefe, Lawinendruck
Steinschlag
Bewegungsform, Geschwindigkeit, Sprunghöhe, Sturzbahn
(keine Gefahrenzonenpläne verfügbar)
197
6. Umsetzung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen in der Raumordnung und im Bauwesen
Arthur Kanonier
6.1. Einleitung1 Schutz vor Naturgefahren allgemein und Gebäudeschutz im Speziellen zählen zu wesentlichen Anliegen der Raumplanung und des Bauwesens, wobei zunächst präventive Maßnahmen als wirkungsvoll angesehen werden, durch die erreicht werden soll, dass potentielle Gefahrenbereiche möglichst von Bauführungen und schadenssensiblen Nutzungen freigehalten werden [121] [156]. Zu den Aufgaben der Raumplanung gehören die Festlegung geeigneter Baugebiete sowie – umgekehrt – das Freihalten von Bereichen, die aufgrund ihres Gefährdungspotentials für eine Bebauung nicht geeignet sind. Kann bei der Standortfindung den Gefahrenbereichen nicht ausgewichen werden, sollen einerseits durch bauliche, planerische und biologische Maßnahmen gefährliche Naturprozesse abgewendet oder reduziert werden und andererseits soll durch baurechtliche Maßnahmen ein verbesserter Gebäudeschutz in Gefahrenbereichen erzielt werden. Raumordnung und Bauwesen – beide Materien fallen gemäß Art. 15 Abs. 1 B-VG (mit Ausnahmen) in die Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz der Länder – regeln in unterschiedlicher Weise den Umgang mit Naturgefahren. Alle Raumordnungsgesetze2 (ROG)3 der Länder enthalten Grundsätze und Ziele, durch welche 1
2
3
Das nachfolgende Kapitel hat als fachliche Grundlagen mehrere Studien, die vom Autor für die ÖROK (Naturgefahren im österreichischen Raumordnungsrecht, 2005), für das Lebensministerium (Naturgefahren im österreichischen Baurecht, 2005) und insbesondere für die NÖ Landesregierung (Rechtlicher Umgang mit gefährdetem Bau- und Widmungsbestand aus Sicht des Raumordnungsrechts im Rahmen von FloodRisk II, 2008) erstellt wurden. Burgenländisches Raumplanungsgesetz (Bgld RplG) idF LGBl für Bgld Nr. 23/07; Kärntner Raumordnungsgesetz (Ktn ROG) idF LGBl für Ktn Nr. 136/01; Kärntner Gemeindeplanungsgesetz (Ktn GplG) idF 88/05; NÖ Raumordnungsgesetz (NÖ ROG) idF LGBl für NÖ 8000 – 23 (17. Novelle); Oberösterreichisches Raumordnungsgesetz (Oö ROG) idF LGBl für Oö Nr. 1/07; Salzburger Raumordnungsgesetz 2009 (Slbg ROG) LGBl für Slbg Nr. 30/09; Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 1974 (Stmk ROG) idF LGBl für die Stmk Nr. 49/10; Tiroler Raumordnungsgesetz (TROG) idF LGBl für Tirol Nr. 27/06; Vorarlberger Raumplanungsgesetz (Vlbg RplG) idF LGBl für Vlbg Nr. 28/11; Wiener Stadtentwicklungs-, Stadtplanungs- und Baugesetzbuch (Bauordnung) (WBO) idF LGBl für Wien Nr. 25/09. Unter dem Begriff „ROG“ werden neben den Raumordnungsgesetzen auch die Raumplanungsgesetze sowie das Ktn GplG und die WBO (1. Abschnitt) verstanden. 199
Arthur Kanonier
die zentralen Anliegen der Raumordnung bestimmt werden. Die Grundsätze und Ziele enthalten u. a. die Gefahrenabwehr als wesentliche Raumordnungsaufgabe. [120] Zur jeweiligen Umsetzung bestimmen die ROG ein hierarchisches Planungsinstrumentarium, das unterschiedliche Raumpläne auf überörtlicher Ebene (Landesentwicklungsprogramme, regionale oder sektorale Raumordnungsprogramme oder -konzepte) umfasst, deren Festlegungen das örtliche Raumordnungskonzept, den Flächenwidmungsplan (Flwp) und den Bebauungsplan binden. Die konkrete Anwendung der planerischen Festlegungen erfolgt in der Regel durch die in den Bauordnungen geregelte Bauplatzerklärung bzw. Baubewilligung. Wenn in der Folge vor allem Möglichkeiten und Grenzen raumplanungs- und baurechtlicher Regelungen für Gefahrenbereiche behandelt werden, ist zu beachten, dass diese durch weitere Möglichkeiten (anderer Rechtsmaterien) der Vorbeugung, Bewältigung und Regeneration ergänzt werden. [224] Wichtige Voraussetzungen für raumplanungs- und baurechtliche Maßnahmen zur wirkungsvollen Gefahrenabwehr stellen aktuelle Informationen über die räumliche Abgrenzung und die Gefährdungsintensität von Gefahrenbereichen dar. 6.2. Gefahrenkarten und Gefahrenzonenpläne in der Raumplanung Im Raumordnungsrecht wird kaum zwischen Gefahrenkarten und -zonenplänen (siehe Kapitel 5.1.1) unterschieden. Die ROG verwenden zwar unterschiedliche Begriffe für Gefahrenbereiche4 (Tab. 6.1), eine Differenzierung zwischen gefahrendarstellenden Karten und gefahrenbewertenden Plänen erfolgt nicht. Eine Abstufung, wie sie etwa die HW-RL kennt – Planunterlagen zur Beschreibung der Hochwassergefahr (insbesondere Hochwassergefahren- und -risikokarten) sowie verbindliche Inhalte in Hochwasserrisikomanagementplänen –, beinhalten die ROG (bislang) ebenfalls nicht. Eine Definitionsklärung sowie eine Abgrenzung des räumlichen Geltungsbereichs der Gefahrenbereiche sind bei Widmungsfestlegungen unabdingbar, zumal unterschiedliche Beurteilungen – je nachdem, ob künftige Baulandwidmungen geplant oder bestehende Widmungen vorliegen – erforderlich sind: • Sind Flächen in planungsrelevanten Gefahrenbereichen situiert, sind künftige Baulandwidmungen erschwert oder unzulässig. • Liegen bestehende Widmungen bzw. Baulichkeiten in rechtsrelevanten Gefahrenbereichen, gelten sie als gefährdete Widmungen bzw. Baulichkeiten, an die spezifische Rechtsfolgen anschließen können. 6.3. Darstellung von Naturgefahren in der Raumordnung Raumplanungsinstrumente können neben planerischen Widmungsfestlegungen zusätzliche raumbezogene Informationen anderer Planungsträger oder Kennzeichnungen mit bloßem Informationscharakter enthalten (Kenntlich- oder Ersichtlichmachungen). Gefahrenbereiche werden vor allem in der örtlichen Raumplanung – und 4
200
Vor allem im Zusammenhang mit Ersichtlichmachungen sowie Widmungskriterien in der Flächenwidmungsplanung werden Gefahren berücksichtigt.
6. Umsetzung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen
Tabelle 6.1. Gefährdungsbereiche in den Raumordnungsgesetzen Land
Kenntlichmachungen
Widmungsverbote für Bauland
Burgenland Schutzgebiete nach dem Wasserrechtsge- Gebiete, die sich wegen . . . der Hochwassetz, Überschwemmungsgebiete sergefahr nicht für die Bebauung eignen (§ 13 Abs. 3 lit b Bgld RplG) (§ 14 Abs. 1 Bgld RplG) Kärnten
Wasserrechtlich besonders geschützte Gebiete im Gefährdungsbereich von Gebiete und wasserwirtschaft liche PlaHochwasser, Steinschlag, Lawinen, Muren nungsgebiete, Hochwasserabflussgebiete, u. ä. (§ 3 Abs. 1 lit. b Ktn GplG) Gefahrenzonen nach dem ForstG (§ 12 Abs. 1 Z 2 Ktn GplG)
Niederösterreich
Überflutungsgebiete sowie Gefahrenzonen (§ 15 Abs. 2 Z 2 NÖ ROG)
Flächen, die bei 100-jährlichen Hochwässern überflutet werden; rutsch-, bruch-, steinschlag-, wildbach- oder lawinengefährdete Flächen (§ 15 Abs. 3 NÖ ROG)
Oberösterreich
Gefahrenzonenpläne gemäß ForstG sowie festgelegte Hochwasserabflussgebiete (§ 18 Abs. 7 Oö ROG)
Flächen, die sich wegen der natürlichen Gegebenheiten (Grundwasserstand, Hochwassergefahr, Steinschlag, Bodenbeschaffenheit, Lawinengefahr) für eine Bebauung nicht eignen (§ 21 Abs. 1 Oö ROG); Flächen im 30- sowie 100-jährlichen (mit Ausnahmen) Hochwasserabflussbereich (§ 21 Abs. 1 a OÖ ROG)
Salzburg
Gefahrenzonen der forstlichen Raumplanung, Hochwasserabflussgebiete nach wasserrechtlichen Bestimmungen, für den Hochwasserabfluss und -rückhalt wesentliche Flächen (§ 43 Abs. 1 Z Slbg ROG)
Flächen, die im Gefährdungsbereich von Hochwasser, Lawinen, Murgängen, Steinschlag u. dgl. gelegen oder als wesentliche Hochwasserabfluss- oder Hochwasserrückhalteräume zu erhalten sind (§ 28 Abs. 3 Z 2 Slbg ROG)
Steiermark
Gefahrenzonen, Vorbehalt- und Hinweisbereiche nach den forstrechtlichen Gefahrenzonenplänen; Flächen, die durch Hochwasser, hohen Grundwasserstand, Vermurung, Steinschlag, Erdrutsch oder Lawinen u. dgl. gefährdet sind (§ 26 Abs. 7 Z 3 und 5 Stmk ROG)
Flächen, die auf Grund der natürlichen Voraussetzungen (Hochwassergefahr, Klima, Steinschlag, Lawinengefahr u. dgl.) von einer Verbauung ausgeschlossen sind (§ 28 Stmk Abs. 2 Z. 1 Stmk ROG)
Tirol
Gebiete, die durch Lawinen, Hochwasser, Wildbäche, Steinschlag, Erdrutsch und andere Naturgefahren gefährdet sind (§ 28 Abs. 2 TROG) Überschwemmungsgebiete (§ 28 Abs. 3 lit C TROG)
Grundflächen, soweit sie insbesondere unter Bedachtnahme auf Gefahrenzonenpläne wegen einer Gefährdung durch Lawinen, Hochwasser, Wildbäche, Steinschlag, Erdrutsch oder andere Naturgefahren für eine widmungsgemäße Bebauung nicht geeignet sind (§ 37 Abs. 1 lit a TROG)
Vorarlberg
Durch Naturgefahren besonders gefährdete Gebiete (§ 12 Abs 5 Vlbg RplG)
Flächen, die sich wegen der natürlichen Verhältnisse (Grundwasserstand, Bodenbeschaffenheit, Lawinen-, Hochwasser-, Vermurungs-, Steinschlag-, Rutschgefahr u. dgl.) für eine zweckmäßige Bebauung nicht eignen (§ 13 Abs. 2 lit a Vlbg RplG)
Wien
–
–
201
Arthur Kanonier
hier insb. im Flächenwidmungsplan – kenntlich gemacht. In anderen Instrumenten der überörtlichen und örtlichen Raumplanung (örtliches Entwicklungskonzept, Bebauungsplan) sind Informationen über Gefahrenbereiche als planerische Inhalte nicht ausgeschlossen, aber nicht gesetzlich vorgeschrieben. Im Flächenwidmungsplan sind unterschiedliche Arten von Kenntlichmachungen zu unterscheiden. So fällt zwar die örtliche Raumplanung grundsätzlich in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden, es können aber auch Bund und Länder verbindliche Nutzungsbestimmungen festlegen [91], die im Flächenwidmungsplan ersichtlich zu machen sind. Der Flächenwidmungsplan liefert somit wichtige Informationen über Nutzungsbeschränkungen überkommunaler Planungsträger für Bereiche, die nicht in die Planungskompetenz der Gemeinden fallen. Zusätzlich sehen die ROG Kenntlichmachungen (insb. von Gefahrenzonen) vor, denen lediglich eine Informationsfunktion zukommt. Im Flächenwidmungsplan (oder anderen Raumplänen) kenntlich gemachte Gefahrenbereiche informieren in der Regel5 nicht über Geltungsbereiche anderer Rechtsmaterien, sondern stellen fachliche Gefährdungseinschätzungen und -bewertungen räumlich dar. Fast alle ROG – Ausnahmen sind (bislang) Vorarlberg6 und Wien – verpflichten die Gemeinden, in ihren Flächenwidmungsplänen Gefahrenbereiche kenntlich zu machen, wobei unterschiedlich geregelt ist, welche Bereiche davon betroffen sind (vgl. Tabelle 3.1) [120], 57. Kenntlichmachungen im Flächenwidmungsplan haben keine eigenständige normative Bedeutung [202], 64, sondern lediglich deklarativen Charakter [255], 364. Allein eine Kenntlichmachung einer (roten) Gefahrenzone oder eines Überflutungsgebietes begründet in der Regel kein unmittelbares Widmungs- oder Bauverbot. So hat auch der VwGH mehrfach ausgesprochen, dass eine Kenntlichmachung keine bindende Wirkung, sondern nur informativen Charakter entfaltet,7 was bewirkt, dass Kenntlichmachungen bei Planungsentscheidungen zwar zu berücksichtigen, aber nicht bindend sind [90], 77. Kenntlichmachungen ersetzen nicht den eigentlichen Widmungsakt mit Grundlagenforschung und Interessenabwägung. Auch wenn durch Gefahrenbereiche wichtige Entscheidungsgrundlagen 5
6
7
202
Bei Naturgefahren gilt der kompetenzfremde Informationsgehalt für Hochwasserabflussgebiete (HQ30-Bereiche), innerhalb derer wasserrechtliche Bewilligungen gemäß § 38 WRG erforderlich sind. § 12 Abs. 5 Vlbg RplG legte lediglich fest, dass im Flächenwidmungsplan die für die Raumplanung bedeutsamen Gebiete ersichtlich zu machen sind, ohne jedoch Gefahrenbereiche ausdrücklich zu nennen. Somit war nach dem Vlbg RplG eine Kenntlichmachung von Gefahrenzonen nicht ausgeschlossen, explizit vorgesehen war eine solche freilich nicht (was zur Folge hat, dass in den Flächenwidmungsplänen Gefahrenzonen tendenziell – bislang – nicht ausgewiesen werden). Mit der RplG-Novelle 2011 (LGBl. Nr. 28/2011) wurde dieses Defizit behoben und nunmehr sind im Flächenwidmungsplan „durch Naturgefahren besonders gefährdete Gebiete ersichtlich zu machen“. VwGH 86/06/0047 (zum Stmk ROG), VwGH 98/05/0147 (zum NÖ ROG). In VwGH 91/10/0090 stellt der VwGH freilich hinsichtlich der Auffassung, Gefahrenzonenplänen komme keine unmittelbare rechtsverbindliche Wirkung in einem konkreten Baubewilligungsverfahren zu, fest, dass eine andere Wertung dann vorzunehmen ist, wenn Gesetz oder Verordnung an einen Gefahrenzonenplan in einer Weise anknüpfen, dass dessen verwiesener Inhalt zum Inhalt der normativen Anordnung würde.
6. Umsetzung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen
vorliegen, bedeutet eine Kenntlichmachung nicht automatisch, dass Widmungen ausgeschlossen oder geboten sind. So bestimmt § 18 Abs. 7 Oö ROG, dass auch für Flächen, auf denen überörtliche Planungen ersichtlich zu machen sind, Widmungen festzulegen sind. § 12 Abs. 3 Ktn GplG legt fest, dass Ersichtlichmachungen im Flächenwidmungsplan keine verbindliche Wirkung zukommt. Auch wenn diese Rechtswirkung in den anderen Ländern nicht in der gleichen Deutlichkeit geregelt wird, ergibt sich aus der Planungssystematik, insbesondere der Trennung der Flächenwidmungsplan-Inhalte in (deklarative) Kenntlichmachungen und (normative) Widmungen, eine vergleichbare Rechtswirkung. Kenntlich gemachten Gefahrenzonen kann in den Bauplatz- bzw. Baubewilligungsverfahren durchaus Relevanz zukommen, zumal die baurechtlichen Bewilligungskriterien im Zusammenhang mit der Eignung von Bauplätzen überwiegend an eine gefährdungsfreie Situierung der Bauplätze anknüpfen. Nach Ansicht des VwGH ist es zulässig, dass in hochwassergefährdeten Gebieten trotz Baulandwidmung die Baubewilligung wegen Hochwassergefahren versagt wird.8 Maßnahmen gegen bzw. Informationen über Naturgefahren werden kaum explizit als Inhalte von überörtlichen Raumplanungsinstrumenten in den ROG angeführt. Auch wenn daraus nicht abgeleitet werden kann, dass Festlegungen in überörtlichen Raumplänen ausgeschlossen sind, so zählen gefahrenbezogene Festlegungen nicht zu den Kerninhalten überörtlicher Raumpläne [121], 134. Dies gilt weder für planerische Festlegungen, beispielsweise in Form von überörtlichen Beschränkungen für Bauland, noch für die Kenntlichmachung von Gefahrenzonen. Unabhängig von der eingeschränkten planungsrechtlichen Bedeutung von kenntlich gemachten Gefahrenbereichen ist die Publizitätswirkung zu beachten, zumal Überlagerungen von Gefahrenbereichen und Bauland auf raumplanerische Zielkonflikte hinweisen. Für Planungsträger und Grundeigentümer sind Informationen über Gefahrenbereiche wesentliche Hinweise über die Liegenschaftseignung sowie Grundlage für allfällige Schutzmaßnahmen. Dazu kommt eine erhöhte Eigenverantwortung der Planbetroffenen bei einem entsprechenden Informationsstand. Maßnahmen des Gebäudeschutzes werden verstärkt umgesetzt bzw. akzeptiert, wenn eine Gefährdung erkennbar und fachlich nachgewiesen ist. 6.4. Berücksichtigung von Gefahrendarstellungen im Flächenwidmungsplan 6.4.1. Widmungsbeschränkungen und -verbote in Gefahrenbereichen Der Flächenwidmungsplan kann durch Widmungsbeschränkungen und -verbote dazu beitragen, dass in Gefahrengebieten nicht bzw. eingeschränkt gebaut wird. Durch sorgsame Baulandausweisungen bzw. Planungsrevisionen kann somit ein wichtiger Beitrag zum Gebäudeschutz erfolgen, wenn gefährdete Gebiete nicht als Bauland gewidmet und dadurch schadenssensible Bauführungen verhindert werden. Neben den raumordnungsgesetzlichen Grundsätzen und Zielen, die sich gegen bauliche Nutzungen in Gefahrenbereichen aussprechen, enthalten die ROG Be8
VwGH 87/06/0139 (zum Stmk BauG). 203
Arthur Kanonier
schränkungen und Verbote für Bauland (vgl. Tabelle 3.1). Verbote und Beschränkungen werden für Flächen bestimmt, die infolge der natürlichen Gegebenheiten keine oder nur beschränkte Eignung für Bebauungen aufweisen [202], 132. Die ROG bestimmen bezüglich Naturgefahren vor allem für die Widmungskategorie „Bauland“ Widmungsverbote. Für „Verkehrsflächen“ und „Grünland“ sehen die ROG weniger Einschränkungen vor, auch wenn diese teilweise Bauführungen zulassen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Widmungskriterien, die generell für Bauland gelten, sowohl für Neuwidmungen als auch (im Zuge von Flächenwidmungsplanrevisionen) für bestehende Widmungen Gültigkeit haben – es sei denn, die ROG sehen diesbezüglich Sonderregelungen oder Ausnahmen vor.9 Im Zusammenhang mit den Beschränkungen und Verboten für Bauland ist zwischen Neuausweisungen von Bauland und bereits gewidmetem Bauland zu unterscheiden [120], 59. Während bei unbebautem Bauland in Gefahrenbereichen das Maßnahmenspektrum größer ist, sind die planungsrechtlichen Möglichkeiten bei bebautem Bauland deutlich geringer. Aus planungsfachlicher Sicht ergeben sich für Bauland in Gefahrenbereichen vereinfacht zwei Maßnahmenschwerpunkte: • Für bebautes Bauland in Gefahrenbereichen werden vor allem Maßnahmen zu setzen sein, die auf eine Reduktion des Gefahrenpotentials hinwirken. Durch Sicherungsmaßnahmen kann eine Gefährdung beseitigt und die bestehende Bausubstanz geschützt werden – die Maßnahmen fallen freilich nicht in den raumplanungsrechtlichen Aufgabenbereich. Bis zu einer Beseitigung der Gefährdung kann durch raumplanerische Einschränkungen eine temporäre Bauverbotswirkung und damit die Vermeidung einer Erhöhung des Schadenspotentials bewirkt werden. • Bei unbebautem Bauland in Gefahrenbereichen werden nicht (nur) Sicherungsmaßnahmen, sondern vor allem Planänderungen anzuwenden sein, welche gewährleisten, dass das Schadenspotential nicht erhöht wird. So können bestehende Nutzungsmöglichkeiten zurückgenommen und in der Folge künftige Bebauungen in Gefahrenbereichen verhindert werden. Bauland in Gefahrenbereichen bildet einen Widerspruch zu den Raumordnungszielen und Widmungskriterien. Die ROG verpflichten den kommunalen Planungsträger nur teilweise zur Planänderung, wobei zwischen speziellen Regelungen, die sich ausdrücklich mit der Planänderung in Gefahrenbereichen beschäftigen, und allgemeinen Änderungsbestimmungen [120], 62, zu unterscheiden ist. Besondere Änderungsbestimmungen für Bauland in Gefahrenbereichen gelten gemäß § 15 und § 20 Ktn GplG und § 22 Abs. 2 NÖ ROG, wobei eine Erhöhung des Schadenspotentials durch Umwidmungen von Bauland in Grünland (Rückwidmungen) verhindert werden soll. In beiden Ländern werden für Rückwidmungen besondere Rahmbedingungen sowie Ausnahmen gesetzlich bestimmt. Erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern ergeben sich bezüglich der Definition und räumlichen Abgrenzung von planungsrechtlich relevanten Gefahrenbereichen. Weniger Differenzierungen sehen die ROG hinsichtlich der Intensität der 9
204
So beziehen sich etwa einzelne Planungsrichtlinien für die Erstellung von Flächenwidmungsplänen gemäß § 14 Abs. 2 NÖ ROG ausdrücklich auf die „Neuwidmung von Bauland“ (vgl. § 14 Abs. 2 Z 5 und 7), was somit bestehendes Bauland nicht tangiert.
6. Umsetzung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen
Widmungsbeschränkungen vor. Grundsätzlich gilt in bestimmten Gefahrenbereichen ein Widmungsverbot für Bauland – freilich mit Ausnahmen. 6.4.2. Planungsrechtliche Definitionen von Gefahrenbereichen Die ROG unterscheiden bei der Definition für Gefahrenbereiche mehrere Methoden- und Begriffstypen, die teilweise in Kombination angewandt werden (z. B. in NÖ, OÖ, Stmk). Für die räumliche Abgrenzung der planungsrechtlich relevanten Gefahrenbereiche liegen raumordnungsgesetzliche Definitionen vor, deren Abgrenzung nicht immer den Vorgaben im Wasser- oder Forstrecht folgt. 6.4.2.1. Allgemeine Benennung von Naturgefahren Definitionen für Baulandverbote in Gefahrenzonen sind in den ROG vielfach allgemein bestimmt. Beispielhaft kann § 13 Abs. 2 lit a Vlbg RplG angeführt werden, wonach ein Baulandverbot für Flächen gilt, die sich wegen der natürlichen Verhältnisse (Grundwasserstand, Bodenbeschaffenheit, Lawinen-, Hochwasser-, Vermurungs-, Steinschlag-, Rutschgefahr u. dgl.) für eine Bebauung nicht eignen. Die Bemessungsereignisse für die konkreten Einstufungen als Gefahrenbereiche sind in den ROG bei dieser Regelungssystematik nicht näher ausgeführt. Welche Umstände somit gegeben sein müssen, dass die „natürlichen Verhältnisse“ eine Baulandwidmung ausschließen, ist durch die Planungsträger zu klären, wobei sich die Abgrenzung der Gefahrenbereiche aus dem Ausmaß und der Häufigkeit der Gefährdung ergeben wird.10 In einzelfallbezogenen Ermittlungsverfahren ist die konkrete Gefährdung zu bestimmen und durch fachliche Gutachten zu begründen. In der Planungspraxis werden auch in den Ländern, deren ROG Naturgefahren lediglich allgemein benennen, auf standardisierte Bemessungsereignisse, insbesondere HQ30- oder HQ100-Bereiche sowie (rote und gelbe) Gefahrenzonen, als Widmungskriterien zurückgegriffen [121], 103. 6.4.2.2. Anschlagslinien und Überflutungsbereiche Als erstes Bundesland hat Niederösterreich 1999 die Widmungskriterien in Gefahrenbereichen näher definiert. So dürfen – zunächst allgemein – gemäß § 15 Abs. 3 Z 1– 3 NÖ ROG Flächen, die auf Grund der Gegebenheiten ihres Standortes zur Bebauung ungeeignet sind, nicht als Bauland gewidmet werden. Dieses generelle Verbot für Bauland, das sich ähnlich auch in anderen ROG fi ndet, wird für Hochwasserschutz dahingehend präzisiert, als ausdrücklich Flächen, die bei 100-jährlichen Hochwässern überflutet werden, nicht als Bauland gewidmet werden dürfen. Seit 2005 sind auch in der Steiermark durch das „Programm zur hochwassersicheren Entwicklung der Siedlungsräume“ ähnliche Verbote festgelegt. So sind gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 des Programms HQ100-Bereiche von Baugebieten und Sondernutzungen im Freiland – mit Ausnahmen – freizuhalten. Ebenfalls seit 2005 bestimmt das OÖ ROG, dass gemäß § 21 Abs. 1 a Flächen im 30-jährlichen11 sowie 10 Vgl. VwSlg 9237A/1977. 11 Erläuterungen zur Oö ROG-Novelle, Verfassungsdienst: Verf-1– 089 001/349 2005, zu Art. I Z 6 (§ 21 Abs. 1 a): „Die aus der Hochwasserkatastrophe des Jahres 2002 gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse haben dabei gezeigt, dass Flächen, die sich im 30-jährlichen Hochwasserabflussbereich befinden, sich für eine Widmung als Bauland generell als unge205
Arthur Kanonier
im 100-jährlichen Hochwasserabflussbereich (mit Ausnahmen) nicht als Bauland gewidmet werden dürfen. Falls es unklar ist, ob eine Fläche im 30- bzw. 100-jährlichen Hochwasserabflussbereich liegt, wird diese Frage durch ein von der Gemeinde einzuholendes hydrologisches Gutachten zu klären sein12. 6.4.2.3. Inhalte von Gefahrenzonenplänen Gefahrenzonenpläne – sowohl des Forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung (WLV) als auch der Bundeswasserbauverwaltung (BWV) – sind fachliche Gutachten, in denen die jeweiligen Gefahrenbereiche und deren Gefährdungsgrad dargestellt werden (siehe Kapitel 5.2). Bei Vorliegen dieser flächigen Gutachten reduziert sich in der Regel der Aufwand für Einzelgutachten deutlich12. Grundsätzlich kommt den Gefahrenzonenplänen der WLV sowie der BWV keine normative Außenwirkung zu [152], 141. Der Gefahrenzonenplan wird nicht als unmittelbar verbindliche Norm eingestuft, sondern als „Gutachten mit Prognosecharakter“ [90], 74; [113], 73. Allein eine (rote) Gefahrenzone begründet in der Regel kein unmittelbares Verbot für Baulandwidmungen.13 Der forstrechtliche Gefahrenzonenplan vermag zwar die Gemeinde bei Planerlassungen nicht unmittelbar zu binden, der Verordnungsgeber ist berechtigt, die im Gefahrenzonenplan zum Ausdruck kommenden Gefährdungen durch Lawinen oder Wildbäche als Grundlage für die Entscheidung über die Frage der Eignung als Bauland heranzuziehen.14 So hält der VwGH fest, dass nicht schon jedes Grundstück, „das nicht unter allen Umständen absolut lawinensicher ist“, als „Gefährdungsbereich“ angesehen werden kann. Hierzu bedarf es entsprechender Sachverhaltsdarstellungen (über Lawinenabgänge usw.).15 Die Planungsbehörde wird deshalb verpflichtet sein, im einzelnen Widmungsfall die Häufigkeit und das Ausmaß einer Gefährdung zu prüfen. Weiters stellt der VwGH16 fest, Gefahrenzonenplänen komme zwar keine unmittelbare rechtsverbindliche Wirkung zu, eine andere Wertung sei aber dann vorzunehmen, wenn Gesetz oder Verordnung an einen Gefahrenzonenplan in einer Weise anknüpfen, dass dessen verwiesener Inhalt zum Inhalt der normativen Anordnung würde. So kann ein Bauverbot aus anderen Rechtsvorschriften resultieren, „wenn diese derart an einen GZP anknüpfen, dass dessen verwiesener Inhalt zum Inhalt der normativen Anordnung wird“ [114], 182. Unmittelbar auf Inhalte von Gefahrenzonenplänen wird im Raumordnungsrecht vergleichsweise selten Bezug genommen. Eine Ausnahme bildet § 37 Abs. 1 TROG, wonach von der Widmung als Bauland insbesondere Grundflächen, soweit sie unter Bedachtnahme auf Gefahrenzonenpläne wegen einer Naturgefährdung
12 13
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eignet erweisen, sodass bezüglich derartiger Flächen ein absolutes Verbot normiert wird, diese als Bauland zu widmen.“ Erläuterungen zur Oö ROG-Novelle: Verf-1– 089 001/349 2005, zu § 21 Abs. 1a Aus diesem Grund wurde vom zuständigen Ministerium das Instrumentarium der sog. Hinderungsgründe geschaffen, wonach die Nichtbeachtung der Gefahrenzonenplane die Zuteilung von staatlichen Fördermitteln für Schutzmaßnahmen gegen Wildbach- und Lawinengefahren, die an sich eine freiwillige Leistung des Bundes darstellen, verhindern kann. [244], 23. Vgl. VfSlg. 15 136/1998, 16 286/2001, weiters VfSlg 16 286/2001 (zum Slbg ROG). VwGH 3064/78, 22. 5. 1980, zit. in [91], 386. VwGH 91/10/0090 vom 27. 03. 1995 (zum ForstG).
6. Umsetzung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen
für eine widmungsgemäße Bebauung nicht geeignet sind, ausgeschlossen sind.17 Das steiermärkische „Programm zur hochwassersicheren Entwicklung der Siedlungsräume“ bezieht sich ebenfalls auf Gefahrenzonenpläne, wonach gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 (nur) rote Gefahrenzonen nach den forstrechtlichen Gefahrenzonenplänen von Baugebieten freizuhalten sind. In der Steiermark wird somit festgelegt, dass an ausgewählte Inhalte der forstlichen Gefahrenzonenpläne unmittelbar die Rechtswirkung eines Bauverbots für Bauland anschließt. Eine raumplanerische Interessenabwägung durch den Planungsträger entfällt für diese Bereiche. 6.4.2.4. Rückhaltebereiche und für Schutzmaßnahmen relevante Bereiche Eine begriffliche Erweiterung stellen die durch das Hochwasserschutz-Maßnahmengesetz 2004 in § 14 Abs. 1 lit b Slbg BGG eingefügten wesentlichen Hochwasserabfluss- oder -rückhalteräume dar, die aus kompetenzrechtlicher Sicht nicht unproblematisch sind18, zumal Bundeskompetenzen berührt werden.19 Um eine sukzessive Aufschüttung und Verbauung von Hochwasserrückhalteräumen zu vermeiden, was eine Beschleunigung der Hochwasserwelle und eine Erhöhung der Hochwasserspitze flussabwärts bewirkt [132], 6, wurden diese über Gefahrenzonen im engeren Sinn hinausgehenden Bereiche als Widmungskriterium im Slbg ROG aufgenommen. Laut Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum ROG 1998 sollen sich die wesentlichen Abflussräume aus schutzwasserwirtschaft lichen Planungen ergeben, wobei als Grundlage dafür u. a. schutzwasserwirtschaft liche Grundsatzkonzepte, Gefahrenzonenpläne der WLV und der BWV dienen sollen.20 Vergleichbar mit den Salzburger Bestimmungen sind die Widmungsverbote für Bauland gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 des steiermärkischen „Programms zur hochwassersicheren Entwicklung der Siedlungsräume“, wonach Flächen, die sich für Hochwasserschutzmaßnahmen besonders eignen, sowie blaue Vorbehaltsbereiche nach den forstrechtlichen Gefahrenzonen von Bauland und Sondernutzungen im Freiland freizuhalten sind. Hochwasserabflussbereiche oder -rückhalteräume finden auch im TROG als Widmungskriterium für Bauland Berücksichtigung. Nach § 37 Abs. 2 TROG dürfen gefährdete Grundflächen u. a. nur dann als Bauland gewidmet werden, wenn 17 Da das NÖ ROG sowie die NÖ BO keinen unmittelbaren Bezug zu Gefahrenzonenplänen herstellen, kann nach Ansicht des VwGH, 98/05/0147, einer Gefährdung gemäß § 20 Abs. 2 Z 3 BO nicht allein auf die Festlegung einer roten Zone in einem nicht näher genannten Gefahrenzonenplan gestützt werden, sondern es sind Erhebungen darüber erforderlich, ob die vorgenommenen Bauführungen tatsächlich durch Hochwasser gefährdet sein können. 18 Vgl. die umfangreiche verfassungsrechtliche Auseinandersetzung des Begriffs „wesentlichen Hochwasserabfluss- oder -rückhalteräume“ im Slbg ROG nach [263], 57. 19 So wurde auch vom Land Salzburg vorgeschlagen, dass durch eine Ergänzung im Wasserrechtsgesetz der Landeshauptmann ermächtigt werden soll, „die für den Hochwasserabfluss- und Hochwasserrückhalt wesentlichen Flächen durch Verordnungen auszuweisen“, [131], 8. 20 Punkt 6, zu Z 2 der Erläuterungen zit. in [263], 54. Auf den Vorwurf der begrifflichen Unbestimmtheit des Begriffes „wesentlichen Hochwasserabfluss- oder -rückhalteräume“ wird in den Erläuterungen entgegnet, dass die Frage der Festlegungen dieser Räume bzw. Flächen in gleicher Weise wie die Gefährdungsbereiche von Lawinen, Murgängen und dgl. erfolgt, nämlich durch eine vorangehende gutachterliche Beurteilung. 207
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nach lit c im Fall einer Gefährdung durch Hochwasser wesentliche Hochwasserabflussbereiche oder -rückhalteräume nicht beeinträchtigt werden. Im NÖ ROG wurde mit der 8. ROG-Novelle 1999 die Widmungskategorie Freihalteflächen mit der Begründung eingeführt, dass im NÖ ROG bisher eine Widmung fehlte, mit der jene Flächen freigehalten werden können, die unter anderem zur Sicherung natürlicher Retentionsräume unbebaut bleiben sollen. 6.4.2.5. Restrisikobereiche Restrisikobereiche stellen aus raumplanerischer Sicht eine besondere Herausforderung dar, zumal erhebliche Teile von Gemeindegebieten umfasst sein können, in denen vielfach Bauland und Baulichkeiten situiert sind. Als Restrisikobereiche werden im Zusammenhang mit Hochwasser Gebiete bezeichnet, die bei einem größeren Hochwasserereignis als das Bemessungsereignis (z. B. über HQ100) oder bei Versagen der Schutzbauten (z. B. Dammbruch) überflutet werden [5], 12. Treten Hochwässer auf, die das Bemessungsereignis übersteigen (bis HQ300), muss auch in geschützten Bereichen – hinter Hochwasserschutzdämmen und flussabwärts der Notentlastungen von Rückhaltebecken – mit Überflutungen gerechnet werden. Mit Restrisikobereichen wird berücksichtigt, dass auch bei Schutzbauten für die geschützten Bereiche weiterhin ein Restrisiko im Fall von die Planungsgrundlagen übersteigenden Ereignissen oder im Versagensfall besteht.21 Die ROG beinhalten bislang weder bei Kenntlichmachungen Hinweise auf Restrisikobereiche, noch wird bei Raumordnungszielen oder Widmungskriterien auf das Restrisiko eingegangen. Dass die ROG bislang ein Restrisiko insbesondere als Widmungskriterium nicht berücksichtigen, ist planungsfachlich damit zu begründen, dass Restrisikobereiche aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Eintrittswahrscheinlichkeit bei gleichzeitig erheblicher Ausdehnung nur beschränkt als verbindliche Widmungskriterien in Betracht kommen. Das planungsrechtliche Freihalten von großflächigen Bereichen und die damit verbundenen erheblichen Einschränkungen von subjektiven Rechten erfordern nachvollziehbare Planungskriterien und verhältnismäßige Maßnahmen, was bei Gefahrenzonen mit hoher Gefährdungsintensität zu rechtfertigen ist. Allein der Verweis auf Restrisikobereiche, deren Abgrenzungen mit Unsicherheiten behaftet sind, würde kein generelles Widmungsverbot rechtfertigen. Allgemein ist aus rechtlicher Sicht im Umgang mit Prognoseentscheidungen zu beachten, dass ein Spannungsverhältnis zum Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 18 Abs 1 B-VG besteht, welches gebietet, dass Verhaltensnomen präzise formuliert und Sanktionen klar angeordnet werden [90], 17. Der rechtliche Umgang mit Naturgefahren ist in hohem Maße prognoseabhängig: Die Formulierung von rechtlichen Voraussetzungen bei Naturgefahren kann auf Erfahrungen aufbauen, jedoch die Unwägbarkeiten der Naturgewalten können nur prognostisch eingefangen werden [254], 174. „Da jeder Rechtsordnung – schon aus Gründen der Rechtssicherheit – eine gewisse Starrheit eigen ist, bedeutet es in einer rechtsstaatlich gesicherten Normenordnung geradezu eine ‚Quadratur des Kreises‘, wenn man rechtsstaatlich be21 In diesem Sinne definiert Rudolf-Miklau Restrisiko als jenes Risiko, „das nach Realisierung von Schutzmaßnahmen verbleibt“. [224], 4. 208
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grenzte Handlungspflichten mit der häufig notwendigen Flexibilität des Handelns vereinbaren will.“ [254], 175. Der Umgang mit naturgefahrenbedingtem Restrisiko stellt diesbezüglich besondere Herausforderungen dar, da die Tatbestände, an die planungsrechtlichen Einschränkungen angeknüpft werden, mit erheblichen Unsicherheiten belastet sind. Insbesondere im Naturgefahrenrecht wird das verfassungsrechtliche Legalitätsprinzip nicht zu überstrapazieren sein, „da es sich aber in vielen Fällen um eingriffsnahe Gesetze handelt, sind einer Flexibilisierung des Rechts des Naturgefahrenmanagements klare verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt“ [254], 175. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund erscheinen generelle Verbote für Bauland in Restrisikobereichen unrealistisch. Die raumordnungsrechtliche Systematik bietet allerdings durchaus Möglichkeiten, Restrisiko in planerischen Abwägungen zu berücksichtigen. In den ROG könnte etwa die Verpflichtung aufgenommen werden, Restrisikobereiche in den Flächenwidmungsplänen kenntlich zu machen. Mit der Kenntlichmachung könnte die verbleibende Gefährdung aufgezeigt werden, was eine verstärkte Eigenvorsorge für Schutzmaßnahmen bewirken kann. Bei einer Kenntlichmachung von Restrisikobereichen wären allerdings umfangreiche Informationen über die fachliche und rechtliche Bedeutung dieser Flächen erforderlich, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Zu beachten ist bezüglich Kenntlichmachungen Art. 6 HW-RL, der die Erarbeitung verschiedener Planunterlagen zur Beschreibung der Hochwassergefahr vorsieht, wo insbesondere auch Restrisikobereiche darzustellen sind.22 6.4.3. Abstufungen hinsichtlich Gefährdungsintensität Bei allen Unterschieden in den Definitionen ist den raumordnungsrechtlichen Regelungen gemeinsam, dass sie kaum Abstufungen hinsichtlich unterschiedlicher Gefährdungsgrade kennen. Die in Gefahrenzonenplänen der WLV und der BWV enthaltenen, nach Gefahrenintensitäten abgestuften Zonen werden in den ROG kaum und in der Regel nicht in ihrer Differenziertheit herangezogen. Die ROG enthalten weitgehend keine abgestuften Widmungskriterien, wonach etwa in bestimmten Gefahrenzonen spezifische Baulandnutzungen eingeschränkt werden, die in anderen Gefahrenbereichen zulässig wären. Der Verzicht auf abgestufte Widmungskriterien sowie gesetzliche Formulierungen, dass Baulandverbote grundsätzlich in Gefahrenbereichen gelten, führen zur Schlussfolgerung, dass die Gesetzgeber Baulandwidmungen generell in Gefahrenbereichen – unabhängig von unterschiedlichen Gefährdungsintensitäten – ausschließen möchten. Inwieweit die differenzierten Inhalte der Gefahrenzonenpläne im raumordnungsrechtlichen Widmungsprozess zu berücksichtigen sind, ist in der Planungsumsetzung von großem Interesse, zumal vielfach in der Praxis nicht alle Gefahrenbereiche für Bauland ausgeschlossen werden. Aufgrund welcher Sachverhalte in der Praxis allerdings Baulandwidmungen in Zonen mit geringerer Gefährdungsintensität gerechtfertigt werden, ist raumordnungsrechtlich in der Regel nicht näher 22 Nach Art. 6 Abs. 3 HW-RL erfassen Hochwassergefahrenkarten die Gebiete, die nach folgenden Szenarien überflutet werden könnten: a) Hochwasser mit niedriger Wahrscheinlichkeit oder Szenarien für Extremereignisse; b) Hochwasser mit mittlerer Wahrscheinlichkeit (voraussichtliches Wiederkehrintervall ≥ 100 Jahre); c) gegebenenfalls Hochwasser mit hoher Wahrscheinlichkeit. 209
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geregelt und zu hinterfragen, zumal ROG vielfach bestimmen, dass Gefahrenbereiche generell von Bauland freizuhalten sind. Dass ein allgemeines Widmungsverbot in Gefahrenbereichen in Zonen mit einem geringeren Gefährdungspotential nicht angewandt wird, ist nur zu argumentieren, wenn diese Bereiche aus raumplanungsrechtlicher Sicht keine relevanten Gefährdungen aufweisen. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass auch in gelben Gefahrenzonen offensichtlich eine Gefährdung vorliegt, was freilich in der raumplanerischen Praxis vielfach nicht zur Folge hat, dass diese Flächen von Bauland freigehalten werden. Die Vorgabe von eindeutigen planungsrechtlichen Widmungskriterien durch die ROG (etwa HQ30- oder HQ100-Bereiche, rote Gefahrenzonen) hat zur Folge, dass in der kommunalen Widmungspraxis das Planungsermessen deutlich reduziert wird. Die Definition einer einheitlichen Bemessungsgrundlage ist zu begrüßen, da dadurch Fehlauslegungen durch die Gemeinden verhindert werden. Einheitliche Bemessungsereignisse bzw. Gefahrenzonen für ein gesamtes Bundesland, die ein Baulandverbot bewirken, vereinfachen die Rechtsanwendung, erweisen sich allerdings in konkreten Anlassfällen teilweise als zu unspezifisch. Auf lokale Besonderheiten oder spezifische Bauführungen kann vielfach lediglich durch entsprechende Ausnahmebestimmungen eingegangen werden. Je weitreichender die landesweit gültigen generellen Widmungsverbote sind (etwa HQ100-Bereiche oder gelbe Gefahrenzonen), desto mehr Ausnahmen werden erforderlich sein, um auf örtliche Besonderheiten reagieren zu können. Baulandwidmungen in Gefahrenbereichen sollten jedenfalls durch gutachterliche Stellungnahmen der fachlichen Dienststellen der WLV bzw. BWV abgesichert und nicht allein von kommunalen Planungsträgern entschieden werden. In diesem Sinne bestimmt § 37 Abs. lit c TROG sinnvollerweise, dass zur Frage der Eignung der betreffenden Grundflächen als Bauland sowie der dazu notwendigen Anordnung oder baulichen Beschaffenheit von Gebäuden facheinschlägige Gutachten einzuholen sind. Soweit aktuelle Gefahrenzonenpläne vorliegen, sind diese in die Beurteilung mit einzubeziehen. In den anderen Bundesländern, die keine vergleichbaren gesetzlichen Bestimmungen vorsehen, folgt die Planungspraxis vielfach der im TROG normierten gutachterlichen Einbindung von Fachleuten. Bei Widmungsverfahren in Gefahrenbereichen werden die betreffenden Fachdienststellen in der Regel in den Entscheidungsprozess einbezogen und deren gutachterliche Stellungnahmen als wesentliche Entscheidungsgrundlage herangezogen. 6.4.4. Ausnahmen in Gefährdungsbereichen Die konsequente Anwendung der Widmungsverbote innerhalb der Gefahrenbereiche hätte zur Folge, dass umfangreiche Bereiche nicht für Bauland herangezogen werden könnten [120], 61. Die ROG schränken freilich die Widmungsverbote ein und bestimmen Ausnahmen in Gefahrenbereichen, um „sachgerechte Lösungen“23 ermöglichen zu können. Offensichtlich können öffentliche Interessen vorliegen, welche die Möglichkeiten für Bauland in Gefahrenbereichen höher gewichten als potentielle Gefährdungen durch Naturgewalten. So sind in einigen Ländern Baulandwidmungen in gefährdeten Bereichen raumordnungsrechtlich unter gewissen 23 Erl. zur RV 92/05, 16 zur Änderung des TROG und der Tiroler BO. 210
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Voraussetzungen durchaus zulässig, wobei die vielfältigen Motive und Ausnahmetatbestände auffallend sind, die das raumordnungsrechtliche Baulandverbot in Gefahrenbereichen aufheben. Planungssystematisch ist bei den Ausnahmen für Bauland in Gefahrenbereichen zu unterschieden zwischen Regelungen, die • sich auf bestimmte Baulichkeiten beziehen (z. B. standortgebundene Bauvorhaben): Die funktionsbezogene Nutzungsform einer Baulichkeit ermöglicht – in der Regel unabhängig vom Standort – Ausnahmen. Ausgenommen vom Baulandwidmungsverbot in Gefahrenbereichen sind z. B. nach § 15 Abs. 4 NÖ ROG Flächen für Bauwerke, die aufgrund ihrer Funktion an bestimmten Standorten ungeachtet der potentiellen Gefährdung errichtet werden müssen. Ähnlich sind die Ausnahmereglungen in OÖ ROG, wonach gemäß § 21 Abs. 1 a von den Verboten für Bauland Flächen für Bauwerke ausgenommen sind, die auf Grund ihrer Funktion ungeachtet einer Hochwassergefährdung an bestimmten Standorten errichtet werden müssen. Beispielhaft wird in diesem Zusammenhang vom oberösterreichischen Gesetzgeber auf Schiff fahrtsanlagen verwiesen, während in Niederösterreich grundsätzlich alle standortgebundenen Baulichkeiten ausgenommen werden. • sich auf bestimmte Gebiete in Gefahrenbereiche beziehen (z. B. innerhalb geschlossener Ortsgebiete): Einzelne ROG sehen Ausnahmen vor, wenn bestehende Ortsgebiete oder Teile von diesen in Gefahrenbereichen liegen.24 Zweck dieser Ausnahme ist, bauliche Entwicklungen auch in solchen Gemeindeteilen – in eingeschränktem Ausmaß – zu ermöglichen, zumal es sich in (alpinen) Regionen mit einem eingeschränkten Dauersiedlungsraum als nahezu unmöglich erwiesen hat, die Verbauung gefährdeter Gebiete gänzlich zu vermeiden [91], 385. Solche Ausnahmen sind nicht unproblematisch, da dadurch – wie auch bei anderen Ausnahmen – das Schadenspotential erhöht werden kann, was zentralen Zielen des Naturgefahrenmanagements widerspricht. Offensichtlich wird den öffentlichen Interessen an Entwicklungsmöglichkeiten für Ortsgebiete mehr Bedeutung beigemessen als der Erhöhung des Schadenspotentials durch zusätzliche Bauten. • von den projekt- und standortbezogenen Gefährdungen abhängen (z. B. keine Verschärfung der Gefahrensituation): Einzelne ROG erlauben Bauland in Gefahrenbereichen, wenn durch die Widmung keine (wesentliche) Erhöhung des Gefahrenpotentials erfolgt. In diesen Fällen wird eine gewisse Gefährdung bei der Neuausweisung von Bauland planungsrechtlich akzeptiert. § 21 Abs. 1 a Oö ROG und § 37 Abs. 2 TROG erlauben in Gefahrenbereichen Umwidmungen, wenn Bauland dadurch nicht um Bereiche „mit erheblich höherem Gefahrenpotential“ erweitert wird. „Dort, wo Siedlungen bereits bestehen, soll daher eine weitere Siedlungsentwicklung zumin24 Gemäß § 15 Abs. 4 NÖ ROG sind Flächen innerhalb eines geschlossenen Ortsgebietes vom Baulandwidmungsverbot ausgenommen. § 37 Abs 2 TROG bestimmt, dass „Grundflächen . . . nur dann als Bauland gewidmet werden dürfen, wenn sie innerhalb eines bestehenden zusammenhängenden Siedlungsbereiches oder unmittelbar im Anschluss daran gelegen sind.“ 211
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dest nicht gänzlich ausgeschlossen werden.“ [91], 385. Der Beurteilungsmaßstab ist ein relativer und hat die bestehende Gefährdung als Grundlage. • von der Erhaltung der Abfluss- und Retentionsbereiche abhängen (z. B. Ausgleich für verloren gehende Retentionsräume): Einzelne Ausnahmetatbestände zielen auf die Erhaltung der für Hochwasser bedeutsamen Bereiche ab. So bestimmt etwa § 37 Abs. 2 lit c TROG, dass Baulandwidmungen in Gefahrenbereichen zulässig sind, wenn wesentliche Hochwasserabflussbereiche oder -rückhalteräume nicht beeinträchtigt werden.25 • Einzelbewilligungen für spezielle Vorhaben vorsehen: Einen Sonderfall stellen in einigen Ländern die Einzelbewilligungen dar, durch welche die Wirkung eines Widmungs- oder Bauverbots im Flächenwidmungsplan für Einzelvorhaben aufgehoben wird. So kann etwa gem. § 46 Abs. 1 Slbg ROG die Gemeindevertretung die Wirkungen des Flächenwidmungsplans durch Bescheid ausschließen und ein genau bezeichnetes Vorhaben raumordnungsrechtlich bewilligen. Einzelbewilligungen sind innerhalb von Gefahrenbereichen nicht ausgeschlossen, da lediglich bestimmte Nutzungsformen (z. B. Zweitwohnsitze, Beherbergungsgroßbetriebe) für Einzelbewilligung nicht in Betracht kommen, jedoch Standortkriterien nicht als Ausschlusskriterien angeführt werden. Sonderregelungen für Bauland in Gefahrenbereichen gelten jeweils nur für einzelne Länder. Die Planungspraxis zeigt freilich, dass auch in jenen Ländern, die keine gesetzlichen Sonderregelungen vorsehen, die Ausnahmen als Begründungen für Bauland in Gefahrenbereichen dienen, insbesondere in gelben Gefahrenzonen und in HQ100-Bereichen. Im Unterschied zu den Raumordnungszielen, die je nach Interessenabwägung und -gewichtung verschiedene Planungsmaßnahmen rechtfertigen können, sind gesetzliche Widmungskriterien allerdings nur eingeschränkt einer Interessenabwägung zugänglich [21], 74. Fehlende Ausnahmetatbestände in den ROG, die das Baulandverbot in Gefahrenbereichen aufheben, ermöglichen grundsätzlich keine gemeindespezifischen Auslegungen [137], 114. 6.4.5. Gefahrenbereiche und kommunale Bestandsaufnahme Eine wesentliche planungsrechtliche Voraussetzung für Widmungen ist eine fachlich nachvollziehbare Begründung der jeweiligen Festlegungen. Für rechtmäßige Planungen ist es erforderlich, dass die Behörde die räumlichen Gegebenheiten sachgerecht und vollständig erhebt. Das Planungsverfahren und der Entscheidungsprozess müssen Gewähr dafür bieten, dass die Planungsbehörde von ihrer Gestaltungsfreiheit rechtskonform Gebrauch gemacht und die gesetzliche Vorgangsweise zur Gewinnung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage einge25 Ausnahmen vom Widmungsverbot für Bauland gelten gemäß § 21 Abs. 1 a Oö ROG für Flächen im 100-jährlichen Hochwasserabflussbereich, wenn die Hochwasserabfluss- und Rückhalteräume dadurch nicht maßgeblich beeinträchtigt werden und ein Ausgleich für verloren gehende Retentionsräume nachgewiesen wird. Erfolgt somit durch ein Bauvorhaben keine „maßgebliche“ Beeinträchtigung der für Hochwasser relevanten Bereiche und werden die Eingriffe kompensiert, sind in HQ100-Bereichen Baulandwidmungen grundsätzlich zulässig. 212
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halten hat [202], 84. Der VfGH betont bei final determinierten Planungsnormen, dass streng zu prüfen ist, „ob die Entscheidungsgrundlagen des Verordnungsgebers in ausreichendem Maße erkennbar sind“.26 Werden die Planungsgrundlagen von der Behörde nicht sorgfältig erhoben und wird „etwa auf der Basis bloßer Mutmaßungen entschieden, belasten sie den Plan mit Rechtswidrigkeit“ [90], 17. Neben generellen und laufenden Raumforschungen und Bestandsaufnahmen werden bei konkreten Planungsmaßnahmen zusätzliche Datenerhebungen in höherer Detailliertheit erforderlich sein, zumal „die laufenden Datenerhebungen auf möglichst umfassende Informationen ohne Weichenstellung“ abzielen. Für die Flächenwidmungspläne kommt der Erfassung der natürlichen Nutzungseignung der vom Plan erfassten Grundstücke besondere Bedeutung zu [69], 81. Informationen über Gefahrenbereiche zählen zu den wesentlichen Grundlagen für die Beurteilung von Widmungsvorhaben, zumal sich nicht nur die Raumordnungsziele gegen Bauland in Gefahrenbereichen aussprechen, sondern auch gesetzliche Baulandverbote für Gefahrenbereiche bestimmt werden. Kenntnisse über räumliche Abgrenzungen von Gefahrenbereichen sind somit unabdingbare Voraussetzungen für die Wahrnehmung des kommunalen Planungsauftrags. Nach § 28 Abs. 2 TROG hat die Bestandsaufnahme jedenfalls die Gebiete und Grundflächen, die durch Lawinen, Hochwasser, Wildbäche, Steinschlag, Erdrutsch und andere Naturgefahren gefährdet sind, sowie das Ausmaß der Gefährdung zu umfassen. Die Beurteilung der Gefahrensituation hat so weit wie möglich aufgrund bestehender Gefahrenzonenpläne zu erfolgen. Es ist somit Aufgabe der Gemeinden, im Rahmen der raumplanerischen Bestandsaufnahme Gefahrenbereiche räumlich und in ihrer Intensität zu erfassen. In anderen Bundesländern ist nicht in gleicher Deutlichkeit geregelt, in welcher Weise Gefahrenbereiche zu erfassen sind. Auch wenn nicht alle Länder die Bestandserhebung regeln, lässt sich die Pflicht zur Grundlagenerhebung aus den Legaldefinitionen der Raumordnung, aus den gesetzlichen Zielen sowie den Regelungen zum Flächenwidmungsplan ableiten [202], 85. Bezüglich Informationen über Gefahrenbereiche sind die fachlichen Grundlagen der verschiedenen – überörtlichen – Behörden, Dienststellen und Institutionen beachtlich, die aufgrund unterschiedlicher Rechtsbestimmungen Erhebungen und (teilweise) Bewertungen durchführen. Für die Erstellung der fachlichen Grundlagen bestehen mit der WLV und der BWV zwei unterschiedliche Organisationsstrukturen, welche erst im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft zusammenlaufen.27 Gemeinden greifen auf Gefahrenzonenpläne und Hochwasserabflussuntersuchungen zurück und berücksichtigen diese Fachgutachten in ihren Flächenwidmungsplänen. Die Gemeinden sind aufgrund der ROG in der Regel nicht verpflichtet, Gefahrenzonenpläne selbst zu erstellen. Vielfach wären Gemeinden überfordert, wenn sie selbst eine umfassende 26 VfSlg 8280/1978 (zum NÖ ROG). Jedenfalls sind nach Ansicht des VfGH Verordnungen gesetzwidrig, bei denen die erkennbaren Entscheidungsgrundlagen so mangelhaft sind, dass eine Aussage darüber, ob die Verordnung den vom Gesetz vorgegebenen Zielen entspricht, nicht möglich ist. Vgl. auch VfSlg 10 711/1985 (zum TROG). 27 Zopp, [263], 39, weist bezüglich dieser Aufgabenteilung auf die internationale Sonderstellung hin. 213
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Erhebung der Gefahrenbereiche durchführen müssten. Gemeinden verwenden in der Regel von anderen Verwaltungseinheiten und Dienststellen erarbeitete Unterlagen und führen eigenständige Erhebungen zur Gewinnung von „Primärdaten“ in geringem Umfang durch, zumal eine umfangreiche örtliche Raumforschung die Grenzen der kommunalen Verwaltungskraft erreicht [69], 83. Freilich liegen die Informationen der Bundes- und Landesdienststellen nicht (immer) vollständig vor bzw. sind die Unterschiede im Bearbeitungsstand und -alter und Informationsgehalt bei gefahrenzonenrelevanten Plandokumenten beträchtlich. Da die ROG zum Teil eigene Bemessungsereignisse für Gefahrenbereiche definieren, fehlen auf kommunaler Ebene teilweise die erforderlichen Informationen. Liegen keine, unvollständige oder überalterte Informationen über Gefahrenbereiche vor, sind raumplanerische Maßnahmen mit Unsicherheiten behaftet, zumal die Entscheidungsgrundlagen nicht aktuell sind. Falls Naturgefahren nicht räumlich ausgeschlossen werden können, sind für Widmungen in potentiellen Gefahrenbereichen spezifische Untersuchungen und Grundlagenerhebungen durch die Gemeinden vorzunehmen bzw. zu veranlassen. Allein das Fehlen von Informationen über Gefahrenbereiche ermächtigt die Gemeinden jedenfalls nicht zu Baulandwidmungen in Bereichen, für die eine Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann. Sinnvollerweise bestimmt auch § 4 Abs. 4 des steiermärkischen „Programms zur hochwassersicheren Entwicklung der Siedlungsräume“ zunächst, dass bei Gewässern, deren Hochwasserabflussgebiet des HQ100 noch nicht festgelegt wurde, für die Ausweisung von Baugebieten aufgrund von Ereignissen festgelegte Hochwasseranschlaglinien heranzuziehen sind. Wenn solche Grundlagen nicht vorliegen, ist eine Stellungnahme der hierfür zuständigen Dienststelle über die mögliche Lage innerhalb der Abflussgebiete eines HQ100 zwingend erforderlich. Wenn für eine Gemeinde noch kein Gefahrenzonenplan gemäß ForstG besteht, ist für die Baugebietsausweisung eine Stellungnahme der zuständigen Gebietsbauleitung der Wildbach- und Lawinenverbauung zwingend erforderlich. In den Ländern, die keine gesetzlichen Bestimmungen über die Informationsgewinnung für Gefahrenzonen enthalten, wird der Systematik der Steiermark weitgehend zu folgen sein, wonach durch Gutachten eine Einschätzung der Gefahrensituation vorgenommen wird. Würde Bauland in potentiellen Gefahrenbereichen ohne Gutachten festgelegt, wären die Grundlagenerhebung und die Interessenabwägung unvollständig. Grundsätzlich muss das erhobene Datenmaterial so umfangreich sein, dass eine Abwägung zwischen verschiedenen Planungszielen möglich ist [202], 86. Auch in Grenzbereichen von Gefahrenzonen empfiehlt sich die Absicherung von Widmungsmaßnahmen durch entsprechende Gutachten, um nicht später zu aufwändigen Plankorrekturen gezwungen zu werden. Insgesamt stellen Informationen über Gefahrenbereiche wichtige Entscheidungsgrundlagen dar, die freilich den kommunalen Planungsträger nicht immer von der Verpflichtung entbinden, eigenständige Überlegungen und Beurteilungen vorzunehmen. Inwieweit von den Gemeinden eigenständige Überlegungen und Interessenabwägungen erforderlich sind oder aufgrund fachspezifischer Informationen solche Abwägungen nicht notwendig sind, ergibt sich aus den Widmungskriterien und den jeweiligen Verweisen und Anknüpfungen an Gefahrenbereiche. Bestimmt der Gesetzgeber etwa im ROG Widmungsverbote für HQ30- oder 214
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HQ100-Bereiche, kann auf allfällige wasserrechtliche Planungen zurückgegriffen werden. Liegen aktuelle HQ30- bzw. HQ100-Anschlaglinien vor, werden von den Gemeinden für diese Bereiche in der Regel keine eigenständigen planerischen Beurteilungen erforderlich sein. Gilt – wie etwa in der Steiermark – ein Widmungsverbot für Bauland in roten Gefahrenzonen, so ist bei vorliegenden Gefahrenzonenplänen der Ermessenspielraum hinsichtlich Baulandwidmungen für rote Zonen beseitigt. 6.5. Naturgefahren im Baurecht 6.5.1. Allgemeines Das Baurecht der Länder28 enthält durchwegs Bestimmungen, die auf eine Vermeidung oder Verminderung von Schäden durch Umwelteinflüsse an Baulichkeiten abzielen. Grundsätzlich wird durch das Baurecht unter anderem geregelt, wo und wie konkrete Bauvorhaben errichtet werden dürfen, wobei die Sicherheit zunächst des Standortes und in der Folge des Bauwerkes ein wesentliches Prüfk riterium im Bauplatz- bzw. Baugenehmigungsverfahren darstellt. Neben den Festlegungen der (örtlichen) Raumpläne enthalten auch die Bauordnungen (im Folgenden: BO) Einschränkungen und Bauverbote insbesondere in Gefahrenbereichen. So müssen (teilweise) Bauplätze, jedenfalls aber bewilligungs- oder anzeigepflichtige Bauführungen im Bauverfahren hinsichtlich einer Gefährdung überprüft werden, wobei Gebäude in Gefahrenbereichen nicht oder nur eingeschränkt baurechtlich bewilligungsfähig sind. Besondere Genehmigungstatbestände bzw. -auflagen sowie bautechnische Anforderungen zielen darauf ab, „in Gefährdungsgrenzbereichen (z. B. gelben Gefahrenzonen, Randbereichen im HQ100) erforderlichenfalls ‚hochwasserangepasste‘ Bauweisen sicherzustellen, um Bauwerke im Hochwasserfall vor eindringendem Oberflächen-, Grund- oder Kanalisationswasser zu schützen“. [80], 2. Baurechtliche Einschränkungen in Gefahrenbereichen kommen freilich nur zur Anwendung, wenn die Bauvorhaben einerseits dem Geltungsbereich der BO unterliegen und andererseits baurechtlich relevante Gefahrenbereiche vorliegen, wobei beide Kriterien in der Praxis Auslegungsprobleme verursachen können. 6.5.2. Anwendungsbereich der Bauordnungen Die Bestimmungen der BO gelten nicht für alle Bauvorhaben. Bauführungen in Gefahrenbereichen sind aus baurechtlicher Sicht u. a. deshalb nicht ausgeschlossen, weil für bestimmte Bauvorhaben die baurechtlichen Vorschriften nicht anzuwen28 Wiener Stadtentwicklungs-, Stadtplanungs- und Baugesetzbuch (Bauordnung) (WBO), LGBl. für Wien Nr. 11/30, idF. 25/2009; Niederösterreichische Bauordnung (NÖ BO), LGBl. für NÖ idF. 8200 –16 (10. Novelle, 2009); Burgenländisches Baugesetz (Bgld BauG), LGBl. für Bgld Nr. 10/1998 idF. 7/2010; Oberösterreichische Bauordnung (OÖ BO), LGBl. für OÖ Nr. 66/1994 idF. 36/2008, Oberösterreichisches Bautechnikgesetz 1994 (OÖ BauTG), LGBl. für OÖ Nr. 67/1994 idF. 30/2010; Salzburger Baupolizeigesetz 1997 (Slbg BauPolG), LGBl. für Slbg Nr. 40/1997 idF. 20/2010; Salzburger Bebauungsgrundlagengesetz (Slbg BGG), LGBl. für Slbg Nr. 69/1968 idF. 118/2009; Salzburger Bautechnikgesetz 1996 (Slbg BauTG), LGBl. für Slbg Nr. 75/1976 idF. 31/2009; Steiermärkisches Baugesetz (Stmk BauG), LGBl. für die Stmk Nr. 59/1995 idF. 49/2010; Kärntner Bauordnung 1996 (Ktn BO), LGBl. für Ktn Nr. 62/1996, idF. 16/2009; Tiroler Bauordnung 2001 (TBO), LGBl. für Tirol Nr. 94/2001 idF. 40/2009; Vorarlberger Baugesetz (Vlbg BauG), LGBl. für Vlbg Nr. 52/2001 idF. 32/2009. 215
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den sind und somit Einschränkungen des Bau- und in der Regel auch des Raumordnungsrechts nicht zur Anwendung kommen. Aus baurechtlicher Sicht können Bauvorhaben, die nicht den BO unterworfen sind, durchaus in Gefahrenbereichen errichtet werden, wobei die Anwendungsbereiche der BO erhebliche Unterschiede aufweisen. Bauvorhaben können vom Geltungsbereich der BO ausgenommen sein, weil • sie kompetenzrechtlich anderen Verwaltungsmaterien zufallen. So sind nach einigen BO aus kompetenzrechtlichen Gründen Eisenbahnen, Flugplätze, Bergbauanlagen oder Straßenbauwerke nicht baurechtlich bewilligungs- oder anzeigepflichtig.29 Ausnahmen für solche Vorhaben gelten nur im kompetenzmäßig gebotenen Ausmaß. So werden nur Bauten, die unmittelbar der Abwicklung oder Sicherung des Eisenbahnbetriebs, der Schiff fahrt, der Luftfahrt oder des Bergbaus dienen, nicht der Baurechtskompetenz der Länder unterstellt. Die BO sind somit nicht auf Bauvorhaben anzuwenden, die wegen ihres „unlöslichen Zusammenhangs“ mit einer speziellen Verwaltungsmaterie einem Kompetenztatbestand zuzuordnen sind. Bei solchen Bauvorhaben erfolgt die Überprüfung der Gefährdung durch Naturgefahren nach den Regelungen der betreffenden Verwaltungsmaterie und nicht im baurechtlichen Verfahren. Da für diese Bauvorhaben auch nicht die Bestimmungen der Raumordnungsgesetze anzuwenden sind, haben die Gemeinden in der Regel keine rechtlichen Möglichkeiten, deren Situierung durch planungs- oder baurechtliche Maßnahmen und Einschränkungen zu beeinflussen. • die Länder mit Hinweis auf andere Materien auf ihre Kompetenz verzichten. Nach einigen BO unterliegen bestimmte Bauvorhaben dann nicht der BO, wenn in anderen Rechtsvorschriften die öffentlichen Interessen ausreichend berücksichtigt werden. So haben einige Länder auf ihre Baurechtskompetenz verzichtet, da es in der Vollzugspraxis als wenig zielführend angesehen wird, wenn zahlreiche geringfügige Bauvorhaben, die nach anderen Gesetzen eine Bewilligung erfordern, auch baubewilligungspflichtig sind. Erfordern somit Bauvorhaben Bewilligungen anderer Verwaltungsmaterien, werden sie teilweise von der baurechtlichen Anzeige- oder Bewilligungspflicht ausgenommen. Bezüglich Naturgefahren sind insbesondere Bauvorhaben von Interesse, für die aufgrund wasser- oder forstrechtlicher Bewilligungen baurechtliche Bestimmungen nicht anzuwenden sind. Die TBO gilt etwa gemäß § 1 Abs. 3 lit q nicht für errichtete Verbauungen zum Schutz vor Naturgefahren, wie Steinschlagdämme, Schneebrücken, Schneerechen, Quer- und Längswerke. Vielfach sind in Hochwasserabflussgebieten die baurechtlichen Vorschriften für Bauvorhaben nicht anzuwenden, da nach § 38 Abs. 1 WRG innerhalb der Hochwasserabflussgebiete für bestimmte Anlagen eine wasserrechtliche Bewilligung 29 So gilt gemäß § 2 Abs. 2 Ktn BO dieses Gesetz u. a. nicht für: bauliche Anlagen im Zuge von öffentlichen Straßen; bauliche Anlagen zum Betrieb von Eisenbahnen, Flugplätzen oder eines Bergbaues; bauliche Anlagen für militärische Übungen oder Befestigungen; elektrische Leitungsanlagen; Fernmeldeanlagen, ausgenommen ihre hochbaulichen Teile sowie bauliche Anlagen, die nach wasserrechtlichen Vorschriften einer Bewilligung bedürfen, ausgenommen Gebäude, die nicht unmittelbar der Wassernutzung dienen. 216
6. Umsetzung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen
erforderlich ist. Die Länder nehmen vor allem Anlagen vom Geltungsbereich der BO aus, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Nutzung des Wassers bzw. dem Schutz vor Hochwässern stehen. Freilich fallen Gebäude in Gefahrenbereichen nicht unter die Ausnahmen und sind auch baurechtlich zu prüfen. Die BO nehmen Bauvorhaben vom Geltungsbereich der BO aus, wenn diese forstrechtlichen Vorschriften unterliegen bzw. für die forstwirtschaft liche Bewirtschaftung erforderlich sind. Im Vergleich mit den wasserrechtlichen Bestimmungen kommt diesen Ausnahmen geringere Bedeutung zu. Da in forstrechtlichen Gefahrenzonen keine spezielle forstrechtliche Bewilligung vorgesehen ist, sind forstrechtliche Gefahrenbereiche grundsätzlich keine Ausnahmebereiche für baurechtliche Verfahren. In forstlichen Gefahrenzonen sind deshalb in der Regel die baurechtlichen Bestimmungen anzuwenden. • Bagatellanlagen ausgenommen werden. Die BO nehmen eine Vielzahl von Bauvorhaben von der baurechtlichen Bewilligungs- und Anzeigepflicht aus, da diese aufgrund ihrer Größe bzw. ihrer Auswirkungen offensichtlich keine öffentlichen Interessen des Bau- oder Planungsrechts berühren. Ohne an dieser Stelle auf die umfangreichen Listen von anzeige- und bewilligungsfreien Bauvorhaben einzugehen, handelt es sich in der Regel um kleinere Bauführungen mit geringen Auswirkungen,30 wobei in der Praxis den jeweiligen Definitionen in der BO und den praktischen Auslegungen erhebliche Relevanz zukommt. Freie Bauvorhaben dürfen grundsätzlich ohne vorangehendes Verwaltungsverfahren realisiert werden. Demzufolge können Bauführungen geringen Umfangs in Gefahrenbereichen errichtet werden, da diese durch die baurechtlichen Bestimmungen nicht erfasst werden. Nach einigen BO sind grundsätzlich Kleingebäude von der Bewilligungspflicht ausgenommen, wobei für diese Bauführungen eine Anzeige- bzw. Mitteilungspflicht bestehen kann. So ist nach § 7 Abs. 1 lit a Ktn BO die Errichtung von Gebäuden ohne Abwasseranlagen und ohne Feuerungsanlagen bis zu 16 m² Grundfläche und 3,50 m Höhe bewilligungsfrei. Allerdings müssen diese Vorhaben den Anforderungen der Ktn BO, den Kärntner Bauvorschriften sowie dem Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan entsprechen, was zur Folge hat, dass solche Vorhaben in Gefahrenbereichen kaum möglich sind. 6.5.3. Naturgefahren und baurechtliche Verfahren Die baurechtliche Beurteilung von Bauplätzen und Bauvorhaben kann in verschiedenen mehrstufigen Verfahren erfolgen, bei denen unterschiedliche Beurteilungskriterien anzuwenden sind. Aus systematisch-inhaltlicher Sicht sind Verfahren zu unterscheiden, die sich beziehen • auf den Bauplatz und dessen Eignung für eine Bebauung (insb. Bauplatzerklärung); • auf konkrete Bauvorhaben (insb. Bau- und Anzeigeverfahren). 30 Z. B nach § 1 Abs. 3 OÖ BO: Telefonzellen, Warenautomaten und ähnliche Einrichtungen, Zelte, bewegliche Stände, Schaubuden und ähnliche Einrichtungen auf Märkten und Ausstellungen, Ausstellungsgegenstände, Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen aller Art, soweit es sich nicht um Gebäude oder um sonstige Bauten im Sinn des § 24 Abs. 1 Z 2 handelt. 217
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In den letzten Jahren haben die Unterschiede der Verfahrensformen in den BO zugenommen. So ist die Abgrenzung zwischen den einzelnen Verfahrensteilen teilweise aufwändig, da vereinfachte Baubewilligungsverfahren eingeführt, Anzeigeverfahren umgewandelt oder mündliche Verhandlungen nicht mehr zwingend vorgeschrieben werden. Für Bauvorhaben in Gefahrenbereichen hat dies zur Folge, dass teilweise nur mit erheblichem Aufwand feststellbar ist, welche Verfahrensschritte anzuwenden sind. Bezüglich Naturgefahren können sowohl im Rahmen der Bauplatzerklärung als auch im Baubewilligungsverfahren – mit Einschränkungen auch im Anzeigeverfahren – infolge der Situierung eines Grundstücks bzw. Bauvorhabens in Gefahrenbereichen Beschränkungen oder Versagungen der Bewilligungen die Folge sein, wobei die Definition der baurechtsrelevanten Gefahrenbereiche unterschiedlich geregelt ist. 6.5.3.1. Bezeichnungen für Gefahrenbereiche im Baurecht Detaillierte Bezeichnungen für Gefahrenbereiche oder Elementarereignisse im Sinne von Legaldefinitionen kennen die BO nicht. In fast allen BO werden im Zusammenhang mit Eignungskriterien für Bauplätze bzw. Grundstücke, die bebaut werden sollen, Gefährdungsarten und Elementarereignisse aufgelistet. Dabei wird in der Regel die Art der Gefährdung angeführt, ohne weitere Definitionen oder Abstufungen. In den BO, die in der Regel die Gefährdungen demonstrativ auflisten, werden als Naturgefahren angeführt: • Lawinen, • Hochwasser, Grundwasser, • Steinschlag, • Rutschungen. Beachtlich bei der Benennung von potentiellen Naturgefahren sind die jeweiligen Regelungszusammenhänge, wobei nicht nur Eignungskriterien für Grundstücke oder Bauvorhaben die wesentlichen Bestimmungen bilden, sondern auch im Zusammenhang mit Auflagen naturgefahrenbezogene Begriffe verwendet werden. Unmittelbare Anknüpfungen an andere Rechtsmaterien, insbesondere an das Forstoder Wasserrecht, enthalten die BO nur teilweise, was die unmittelbare Umsetzung von Inhalten von Gefahrenzonen relativiert. So kommt nach Ansicht des VwGH für die Beurteilung eines Bauplatzansuchens gemäß § 14 Abs. 1 lit b Slbg BGG der Einreihung des betreffenden Grundstücks in die rote Zone eines Gefahrenzonenplans aufgrund des ForstG alleine keine maßgebliche Bedeutung zu, sondern es ist auch in diesem Fall auf die konkrete Möglichkeit einer Gefährdung abzustellen.31 § 3 TBO verweist auf die Inhalte der Gefahrenzonenpläne, auf die bei der Beurteilung der Gefahrensituation Bedacht zu nehmen ist. Nach § 18 Abs. 3 Ktn BO bilden rote Gefahrenzonen eines Gefahrenzonenplanes den Anwendungsbereich 31 VwGH 22. 5. 1980, 3064/78; 18. 12. 1997, 95/06/0237. Zur NÖ BO führt der VwGH aus, dass das Vorliegen einer Gefährdung nicht allein auf Festlegungen im Gefahrenzonenplan nach dem ForstG gestützt werden kann, sondern weitere Erhebungen darüber erforderlich sind, ob die Bauführungen tatsächlich gefährdet sein können (VwGH 19. 12. 2000, 98/05/0147). 218
6. Umsetzung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen
für besondere baurechtliche Auflagen. Gemäß § 4 Abs 2 3 a sind einem Antrag auf Bauplatzbewilligung oder nach § 28 Abs. 2 1 a OÖ BO einem Antrag auf Baubewilligung – soweit vorhanden – ein nach dem ForstG oder den Richtlinien der BWV erstellter Plan, der für den betreffenden Bereich die Gefahrenzonen darstellt, anzuschließen. In den BO werden die Gefahrenbereiche in der Regel ohne Differenzierung der Rechtswirkung bestimmt. So wird nicht zwischen Naturgefahren, die eine Gefährdung für Leib und Leben darstellen (z. B. lawinengefährdete Bereiche) und sonstigen Gefahren unterschieden. Allerdings erfolgt teilweise eine Differenzierung der Rechtswirkung hinsichtlich möglicher Schutzmaßnahmen. Sind beispielsweise Sicherungsmaßnahmen finanziell und technisch möglich, so gelten die Bauverbotsbestimmungen nur eingeschränkt, wobei diese Ausnahmen für alle Naturgefahren ohne Differenzierung gelten. 6.5.3.2. Naturgefahrensicherer Bauplatz Ein wichtiger (indirekter)32 Beitrag zum baurechtlichen Objektschutz ergibt sich aus der Regelungssystematik, dass die Errichtung von Bauvorhaben die tatsächliche Eignung der Grundflächen zur Bebauung erfordert [80], 6. Einige Länder regeln in ihren BO (vor bzw. gemeinsam mit dem Bauverfahren) ein spezielles Verfahren, in dem Grundflächen, auf welchen ein Bauvorhaben geplant ist, bezüglich der Eignung für eine Bebauung geprüft werden. Je nach Regelungssystematik sind als bauplatzrelevante Verfahren die Bekanntgabe der Bebauungsgrundlagen oder Bauplatzerklärungen zu unterscheiden. In Ergänzung zu den kommunalen Raumplänen der Gemeinden sehen einzelne BO die Bekanntgabe der Baugrundlagen in Bescheidform vor. So sind etwa in der Steiermark die Festlegung der Bebauungsgrundlagen im Bauland für Einzelfälle, in Vorarlberg die Baugrundlagenbestimmungen und in Wien die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen geregelt. Im Zuge der Bekanntgabe der Bebauungsgrundlagen wird von der Baubehörde für ein noch nicht ausgearbeitetes Projekt ein bestimmter Rahmen vorgegeben. In der Regel bezieht sich dieses Prüfverfahren auf Grundflächen, auf denen eine Baulichkeit errichtet werden soll, und noch nicht auf konkrete Bauführungen. Durch die Verfahren soll (frühzeitig) erreicht werden, dass nur solche Grundflächen einer Bebauung zugeführt werden, die den öffentlichen Interessen entsprechen, wobei die Ergebnisse verbindlich für das Bauverfahren sind. Da in diesen Verfahren vor allem die Eignung eines konkreten Grundstückes beurteilt wird, kommt den Ergebnissen für Bauführungen in Gefahrenbereichen wesentliche Bedeutung zu. So werden mit der Erklärung eines Grundstücks zum Bauplatz (auch) über die Eignung der Liegenschaft und damit über allfällige Gefährdungspotentiale durch Elementarereignisse Aussagen getroffen. Naturgefahren als Beurteilungskriterium sind dabei vor allem für die Bauplatzerklärung von
32 Einen direkten Bezug zum Objektschutz stellt § 5 Abs. 3 a OÖ BauO iVm § 27 a OÖ BauTG her, wonach eine Bauführung auf Grundflächen im 100-jährlichen Hochwasserabflussbereich ausdrücklich nur unter der (in der Bauplatzerklärung vorzuschreibenden) Bedingung zulässig ist, als die zu errichtenden Gebäude hochwassergeschützt ausgeführt werden. 219
Arthur Kanonier
Bedeutung, während bei der Bekanntgabe der Bebauungsgrundlagen Gefährdungen durch Naturgefahren nicht als Versagungstatbestände genannt werden.33 Wo in einer Gemeinde gebaut werden darf und welches Grundstück (im Bauland) als Bauplatz geeignet ist, ist in Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg in einem eigenen bauplatzbezogenen Verfahren gesetzlich geregelt, wobei unter Bauplatz eine Grundfläche verstanden wird, die für die Errichtung eines Gebäudes grundsätzlich geeignet ist. Durch die Bauplatzerklärung werden einerseits die raumordnungsrechtlichen Vorgaben im Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan für Grundstücke konkretisiert. Andererseits ergibt sich durch die Bekanntgabe eine gewisse Rechtssicherheit für den Bauwerber, da durch die Bauplatzerklärung die grundsätzliche Bebaubarkeit einer Liegenschaft in Bescheidform bestätigt wird und die Baubehörde an die Feststellung im Bauverfahren gebunden ist. Für die rechtliche Eignung einer Liegenschaft als Bauplatz sind insbesondere seine Lage, seine Gestalt (Form und Mindestgröße des Grundstücks) und seine Erschließbarkeit maßgeblich. Versagungstatbestände für Bauplatzerklärungen sind offensichtliche Widersprüche zum Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan. In den BO sind spezielle naturgefahrenrelevante Kriterien für die Beurteilung einer Bauplatzeignung angeführt. So dürfen Bauplätze nicht an Standorten genehmigt werden, die durch Naturgefahren gefährdet sind, wobei in den BO nahezu gleichlautende Begriffe wie bei den Widmungsverboten der ROG Verwendung finden. Grundsätzlich dürfen Grundflächen keine Gefährdungen durch Naturgefahren aufweisen, wobei das Eignungsdefizit durch geeignete (vgl. § 3 Abs. 2 TBO) bzw. wirtschaft lich vertretbare Maßnahmen (vgl. § 14 Abs. 1 lit b Slbg BGG) beseitigt werden kann. Geeignete Maßnahmen können die Situierung, die bauliche Beschaffenheit sowie sonstige bauliche Vorkehrungen im (Außen-) Bereich von Gebäuden betreffen. Die wirtschaft liche Vertretbarkeit erfordert die Verhältnismäßigkeit des erforderlichen finanziellen Aufwands zum angestrebten Erfolg der Schutzmaßnahme [80], 6. Die BO enthalten überwiegend Einschränkungen für Grundstücke, die bebaut werden sollen und die in Gefahrenbereichen liegen. Allerdings sind die Regelungen nur zum Teil im Zusammenhang mit Bauplatzerklärungen vorgesehen. Nach einigen BO erfolgt die Beurteilung nicht (nur) im Verfahren zur Bauplatzerklärung, sondern in einem Vorprüfungs- bzw. erst im Baubewilligungsverfahren. Wenn die Baubehörde ein Genehmigungshindernis feststellt, ist der Antrag (auf Bauplatzerklärung) nicht genehmigungsfähig. Soweit der Antrag nicht zurück- oder abzuweisen ist, hat die Baubehörde festzustellen, dass keine erheblichen Gründe dem (Bauplatz-)Ansuchen entgegenstehen. Diese Feststellung erfolgt per Bescheid, der zeitlich befristet gültig ist. Die Baubehörde ist im eigentlichen Baubewilligungsverfahren grundsätzlich an die Feststellungen im Bauplatzverfahren gebunden, soweit keine Änderungen der rechtlichen oder projektbezogenen Grundlagen eintreten. Nachbarn haben bei dieser Feststellung keine Parteistellung; sie können ihre Einwendungen (erst) im Bauverfahren einbringen. 33 Auch wenn in den Bauordnungen Naturgefahren nicht ausdrücklich als Ausschlusskriterien für die Bekanntgabe von Bebauungsgrundlagen angeführt werden, so ist aufgrund der planungs- und baurechtlichen Systematik darauf zu schließen, dass für Grundstücke in Gefahrenbereichen tendenziell keine bescheidmäßigen Festlegungen getroffen werden. 220
6. Umsetzung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen
Tabelle 6.2. Naturgefahrenrelevante Bestimmungen im Zusammenhang mit Bauplätzen Regelungen
Eignungskriterien für Grundstücke/Bauplätze
Verfahren
§ 3 Bgld BauG
Bauvorhaben sind nur auf . . . geeigneten Grundstücken zulässig, wenn sie nach Maßgabe des Verwendungszweckes dem Stand der Technik, insbesondere bezüglich Festigkeit und Standsicherheit, . . . Feuchtigkeitsschutz, Gesundheit und Hygiene entsprechen.
Bauverfahren
§ 3 Ktn BauV
Gebäude . . . dürfen nicht auf Grundstücken errichtet werden, die sich im Hinblick auf die Bodenbeschaffenheit, die Grundwasserverhältnisse oder wegen einer Gefährdung durch Hochwässer, Lawinen, Steinschlag oder wegen ähnlicher Gefahren für eine Bebauung nicht eignen.
Vorprüfung
§ 11 Abs. 2 NÖ BO
Auf Antrag des Eigentümers ist ein Grundstück im Bauland mit Bescheid zum Bauplatz zu erklären, wenn es . . . aufgrund seiner Gestalt, Beschaffenheit und Größe . . . bebaut werden darf.
Bauplatzerklärung
§ 5 Abs. 3 OÖ BO
Grundflächen, die sich wegen der natürlichen Gegebenheiten (wie Grundwasserstand, Hochwassergefahr, Steinschlag, Bodenbeschaffenheit, Lawinengefahr) für eine zweckmäßige Bebauung nicht eignen . . ., dürfen nicht als Bauplätze bewilligt werden.
Bauplatzbewilligung
§ 14 Abs. 1 Slbg BGG
Die Bauplatzerklärung ist zu versagen, wenn die Grundfläche für die Bebauung ungeeignet erscheint. Dies ist der Fall, wenn die Grundfläche infolge ihrer Bodenbeschaffenheit oder weil sie im Gefährdungsbereich von Hochwasser, Lawinen, Murgängen, Steinschlag u. dgl. gelegen oder als wesentlicher Hochwasserabfluss- oder -rückhalteraum zu erhalten ist, eine Bebauung nicht zulässt.
Bauplatzerklärung
§ 5 Abs. 1 Stmk BauG
Eine Grundstücksfläche ist als Bauplatz für die vorgesehene Bebauung geeignet, wenn . . . Gefährdungen durch Lawinen, Hochwasser, Grundwasser, Vermurungen, Steinschlag, Rutschungen u. dgl. nicht zu erwarten sind.
Bauplatzeignung
§ 3 Abs. 2 TBO
Auf Grundstücken, die einer Gefährdung durch Lawinen, Hochwasser, Wildbäche, Steinschlag, Erdrutsch oder andere Naturgefahren ausgesetzt sind, sind der Neu-, Zu- und Umbau von Gebäuden . . . nur unter der Voraussetzung zulässig, dass durch die Anordnung oder die bauliche Beschaffenheit des Gebäudes . . . ein im Hinblick auf den vorgesehenen Verwendungszweck ausreichender Schutz vor Naturgefahren gewährleistet ist. Soweit Gefahrenzonenpläne vorhanden sind, ist bei der Beurteilung der Gefahrensituation darauf Bedacht zu nehmen.
Bauverfahren
§ 4 Abs. 3 Vlbg BauG
Ein Baugrundstück darf nur so bebaut werden, dass weder das Bauwerk selbst noch Nachbargrundstücke durch Lawinen, Wasser, Vermurungen, Steinschlag, Rutschungen u. dgl. gefährdet werden.
Vorprüfung
WBO
–
–
221
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6.5.3.3. Arten von Bauführungen und Verfahren Die BO unterscheiden – vereinfacht – drei Arten von Bauführungen: anzeigepflichtige, bewilligungspflichtige und freie Bauführungen. Bei den Arten von Bauführungen zeigen sich in den Länder erhebliche Unterschiede bei der Zuordnung einzelner Vorhaben zur Bewilligungs- oder Anzeigepflicht bzw. zu freien Bauvorhaben. So können bestimmte Bauführungen – auch in Gefahrenbereichen – in einzelnen Ländern bewilligungspflichtig sein, während die BO anderer Länder lediglich eine Anzeigepflicht bestimmen. Grundsätzlich darf der Bauwerber mit einem bewilligungspflichtigen Bau erst dann beginnen, wenn der erforderliche Baubewilligungsbescheid rechtskräftig geworden ist. Bei anzeigepflichtigen Bauführungen darf mit dem Bau erst begonnen werden, wenn die Anzeige von der Baubehörde entweder zur Kenntnis genommen wurde oder wenn die in der BO zur Untersagung festgesetzte Frist verstrichen ist. Ist eine Bauführung weder bewilligungs- noch anzeigepflichtig, so darf der Bauwerber grundsätzlich jederzeit mit der Bauführung beginnen – wenn nicht Rechtsvorschriften anderer Verwaltungsmaterien des Bundes oder des jeweiligen Landes ihrerseits Bewilligungstatbestände bestimmen. Ein Vergleich der Verfahren(-sschritte) in den BO zeigt ein facettenreiches Bild von Verfahrenselementen. Seit den Reformbestrebungen im Baurecht in den letzten Jahrzehnten sind Bewilligungs- und Anzeigeverfahren nicht mehr eindeutig abgrenzbar, da in den BO verstärkt „Mischverfahren“ geregelt werden, die Elemente des Bewilligungs- bzw. Anzeigeverfahrens enthalten. Mit diesen Verfahren können teilweise auch größere Bauvorhaben in einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren abgewickelt werden. So können durchaus auch in Gefahrenbereichen die Bestimmungen für anzeigepflichtige Bauvorhaben anzuwenden sein, für die im Vergleich zu den bewilligungspflichtigen Bauvorhaben erleichterte (Verfahrens-) Regelungen gelten. Die Situierung des Bauvorhabens in Gefahrenbereichen hat in der Regel keinen Einfluss auf die anzuwendenden Verfahren. So ist nicht geregelt, dass etwa anzeigepflichtige oder freie Bauvorhaben in Gefahrenbereichen bewilligungspflichtig sind oder dass bei bewilligungspflichtigen Bauvorhaben in Gefahrenbereichen eine Bauverhandlung zwingend erforderlich ist. 6.5.3.4. Baubewilligungsverfahren Für Bauvorhaben, die nach den BO bewilligungspflichtig sind, bildet das Baubewilligungsverfahren den zentralen Verfahrensabschnitt, wobei die vorgelagerten baurechtlichen Verfahren wesentlichen Einfluss haben. Die einzelnen Verfahrensschritte bauen insofern aufeinander auf, als ein positiver Verfahrensabschluss (eine) Voraussetzung für die nächste Verfahrensstufe bildet. Allerdings enthebt eine positive Beurteilung in der Vorprüfung die Baubehörde in der Regel nicht von der Verpflichtung, im weiteren Baubewilligungsverfahren die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit den in den BO geregelten Eignungsvoraussetzungen zu prüfen. Grundsätzlich begründen die Inhalte von Gefahrenzonenplänen keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte auf Verweigerung der Baubewilligung34 für ein 34 Nach § 26 Abs. 1 lit a Vlbg BauG hat der Nachbar ausdrücklich ein Mitspracherecht dahingehend, dass weder durch das Bauwerk selbst (als Endprodukt) noch durch den Vorgang der Bauausführung für sein Grundstück Gefahren durch Lawinen, Wasser, Vermurung, Stein222
6. Umsetzung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen
Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück.35 Auch Einwendungen von Nachbarn, die sich auf das Wasserrechtsgesetz stützen, sind im Baubewilligungsverfahren unbeachtlich.36 So bilden auch Einwendungen betreffend Hochwassergefahren keine im Bauverfahren zu berücksichtigenden subjektiv-öffentlichen Rechte.37 Eine Baubewilligung ist zu erteilen, wenn das Bauvorhaben den bau- und raumplanerischen Vorschriften entspricht und auch sonstige öffentliche Interessen – etwa solche der Sicherheit oder Gesundheit – nicht entgegenstehen. Da in den BO dem Baugenehmigungsverfahren Bauplatzerklärungen oder Vorprüfungsverfahren vorgelagert sind, wird über offensichtlich rechtswidrige Bauvorhaben keine Bauverhandlung abgeführt, da diese zu einer solchen gar nicht zugelassen werden. Wesentliche Voraussetzung für die Erteilung einer Baubewilligung ist – neben der Einhaltung der bautechnischen Bestimmungen – zunächst die Übereinstimmung mit dem Flächenwidmungsplan sowie dem Bebauungsplan. Die Widmungsund Nutzungskonformität eines Bauvorhabens ist ein zentrales Prüfk riterium, wobei teilweise auch schon in Vorverfahren eine entsprechende Übereinstimmung geprüft wird. Eine Baubewilligung darf grundsätzlich nicht für Bauvorhaben erteilt werden, die dem Flächenwidmungsplan oder Bebauungsplan widersprechen. Allerdings sehen einzelne BO Ausnahmen von den Nutzungsbeschränkungen des Flächenwidmungsplans vor. So dürfen beispielsweise gemäß § 27 a OÖ BO „widmungsneutrale Bauten“ ungeachtet des geltenden Flächenwidmungsplans oder Bebauungsplanes errichtet werden (sofern in diesen Plänen die Errichtung nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird). Als „widmungsneutrale Bauten“ gelten bauliche Anlagen geringer Größe, die im überwiegenden öffentlichen Interesse der infrastrukturellen Versorgung oder Erschließung eines bestimmten Gebietes dienen und die, um ihre Funktion zu erfüllen, an bestimmten Standorten errichtet werden müssen. Für solche standortgebundene Bauten gelten somit nicht die Nutzungsbeschränkungen des Flächenwidmungsplans (oder Bebauungsplans). Einzelne BO enthalten bei der Beurteilung eines Antrags auf Baubewilligung – neben den allgemeinen Voraussetzungen – besondere Bestimmungen, denen insbesondere hinsichtlich Gefahrenbereichen Bedeutung zukommen kann. Zum Unterschied von Bauten im Bauland gelten für Bauwerke im Grünland erhebliche Einschränkungen in der NÖ BO. So darf nach § 55 Abs. 2 NÖ BO ein Bauwerk im Grünland nicht errichtet werden, wenn der Bestand oder die dem Verwendungszweck entsprechende Benützbarkeit durch Hochwasser, Steinschlag, Rutschungen, Grundwasser, ungenügende Tragfähigkeit des Untergrundes oder Lawinen gefährdet ist. Nach § 2 Abs. 12 TBO bedürfen Bauplätze einer einheitlichen Widmung, was nach § 26 Abs. 4 lit c TBO ein wesentliches Prüfk riterium bei der Beurteilung eines Bauansuchens bildet. Diese Einschränkung kann bei größeren Parzellen, die an Gefahrenbereiche angrenzen, problematisch sein, da Teile des Grundstückes im Gefahrenbereich liegen können (was getrennte Widmungen erfordern würde). In schlag, Rutschungen u. dgl. entstehen. Allerdings gilt auch in Vorarlberg, dass die Bestimmung nur soweit dem Schutz des Nachbarn dient, als Einwirkungen auf seinem Grundstück (nicht aber auf das Baugrundstück) vermieden werden sollen. 35 VwGH 30. 10. 1980, 3424/78. 36 VwGH 24. 10. 1985, 85/06/0100. 37 VwGH 14. 11. 1978, 241 und 1080/78. 223
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der Regel wird in diesen Fällen die Widmung zugelassen, es werden jedoch über den Bebauungsplan entsprechende Nutzungsbeschränkungen festgelegt. Einzelne Länder bestimmen bauliche Vorkehrungen als Möglichkeit bzw. Voraussetzung für Bauführungen in Gefahrenbereichen. Vom Grundsatz, dass durch Naturgewalten gefährdete Grundstücke nicht bebaut werden dürfen, wird in einigen BO unter bestimmten Rahmenbedingungen abgewichen. Während einerseits allgemein auf die wirtschaft liche und technische Machbarkeit von Schutzmaßnahmen als Ausnahmen abgestellt wird, ergeben sich andererseits aufgrund baulicher Maßnahmen oder der Anordnung der Gebäude Ausnahmemöglichkeiten. So sind etwa nach § 3 Abs. 2 TBO der Neu-, Zu- und Umbau von Gebäuden in Gefahrenbereichen unter der Voraussetzung zulässig, dass durch die Anordnung oder die bauliche Beschaffenheit des Gebäudes oder durch sonstige bauliche Vorkehrungen ein ausreichender Schutz vor Naturgefahren gewährleistet ist. Soweit Gefahrenzonenpläne vorhanden sind, ist bei der Beurteilung der Gefahrensituation darauf Bedacht zu nehmen. Einzelne BO regeln, unter welchen besonderen Voraussetzungen die Wiedererrichtung von durch Elementarereignisse zerstörten Gebäuden oder baulichen Anlagen zulässig ist. Für bauliche Anlagen, die in Gefahrenbereichen errichtet und (teilweise) durch Elementarereignisse zerstört wurden, sind in einzelnen BO erleichterte Vorschriften normiert. So dürfen nach § 14 Abs. 2 Ktn BO Gebäude und bauliche Anlagen nach ihrer Zerstörung auch entgegen den Bestimmungen des Flächenwidmungsplans errichtet werden – unter der Voraussetzung der Baulandeignung des Baugrundstücks gemäß § 3 Abs. 1 Ktn GplG. Der Wiederaufbau von Gebäuden im Freiland wird in Tirol durch § 42 Abs. 5 TROG geregelt. So darf im Falle der Zerstörung eines im Freiland nach baurechtlichen Vorschriften rechtmäßig bestehenden Gebäudes stattdessen ein Neubau errichtet werden, sofern die Baubewilligung innerhalb von fünf Jahren nach Zerstörung des Gebäudes erteilt wird. Der Wiederaufbau darf auch in unmittelbarer Nähe des zerstörten Gebäudes erfolgen. 6.5.4. Baurechtliche Auflagen und Bedingungen Entspricht ein Bauvorhaben nicht den baurechtlichen Bestimmungen, ist die Baubehörde nicht automatisch verpflichtet, den Antrag auf Baubewilligung abzuweisen. Nach den meisten BO ist eine Baubewilligung erst dann zu versagen, wenn die baurechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind und diese durch Auflagen bzw. Bedingungen nicht hergestellt werden können. Die Baubehörde hat somit die Möglichkeit bzw. die Verpflichtung, auf ein Bauvorhaben Einfluss zu nehmen und die Baubewilligung unter Auflagen oder Bedingungen zu erteilen, soweit dies zur Wahrung der nach raumordnungs- und baurechtlichen Vorschriften geschützten Interessen erforderlich ist.38 Unter Auflagen werden Nebenbestimmungen (Verpflichtungen) zu einer Baubewilligung verstanden [79], 337, die erfüllt werden müssen, wenn von der Baubewilligung Gebrauch gemacht wird. Die Bedingung ist ebenfalls eine Nebenbestim38 In den Erläuterungen zu BO wird (vereinzelt) darauf hingewiesen, dass es bei der Festlegung von Auflagen zweckmäßig ist, das Einvernehmen mit anderen Bewilligungsbehörden herzustellen, insbesondere bei Bauten im Hochwasserabflussbereich mit der Wasserrechtsbehörde. 224
6. Umsetzung von Gefahrenkarten und Gefahrenzonenplänen
mung zu einer Baubewilligung, die den Rechtsbestand des Bescheides aufschiebt oder aufhebt [197], 233. Auflagen sind als so genannte bedingte Polizeibefehle anzusehen: Bedingt deswegen, weil die Wirksamkeit von Auflagen davon abhängt, ob von der Baubewilligung Gebrauch gemacht wird, und Polizeibefehl (Auftrag der Baubehörde) deswegen, weil durch die Auflagen Verpflichtungen für den Bauwerber bestimmt werden, deren Einhaltung zwingend ist und erforderlichenfalls mit Zwangsmitteln vollstreckt werden kann. Allerdings ist die Baubehörde nur dann berechtigt, Auflagen vorzuschreiben, wenn solche Maßnahmen nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens gerechtfertigt sind. Insbesondere Auflagen werden häufig bei Bauvorhaben in Gefahrenbereichen vorgeschrieben, um das Maß der Gefährdung zu reduzieren. Gebäudeschutzmaßnahmen sind regelmäßig Inhalt von Auflagen für Bauführungen in Gefahrenzonen. Die Bestimmungen in den BO bezüglich Auflagen haben nur teilweise einen speziellen Bezug auf Naturgefahren. Die Baubehörden haben im jeweiligen Bauverfahren anlässlich des konkreten Bauvorhabens und allfälliger Gefährdungen zu entscheiden, welche Auflagen und Bedingungen dem Bauwerber vorgeschrieben werden. In der Praxis wird in Gefahrenbereichen eine Vielzahl unterschiedlicher Auflagen von den Baubehörden vorgeschrieben, die sowohl Handlungsanweisungen als auch Unterlassungen sein können. So kann etwa durch Auflagen ausgeschlossen werden, dass in Gefahrenbereichen Wohn- oder Aufenthaltsräume vorgesehen sind, dass im gefährdeten Bereich eines Gebäudes keine oder nur bestimmte Fenster und Türen eingebaut oder dass durch Stützmauern oder bestimmte Mauerstärken die erforderlichen Absicherungen getroffen werden. Auflagen können sich in der Regel auf das Bauvorhaben selbst, auf die Ausführung des Bauvorhabens oder auf den Bauplatz beziehen. Je nach Gefährdungsgrad, Bauvorhaben und Nutzungsabsicht können die von der Baubehörde vorgeschriebenen Auflagen einzelfallbezogen variieren. Die BO bestimmen bezüglich Auflagen unterschiedliche Ermächtigungen und Verpflichtungen der Baubehörden, die neben grundsätzlichen Voraussetzungen für das Vorschreiben von Auflagen sich teilweise unmittelbar auf Gefahrenbereiche beziehen. In der Praxis kommt Auflagen eine zentrale Bedeutung im Bauverfahren zu, zumal nach Ansicht des VwGH ein Bauvorhaben dann nicht versagt werden darf, wenn durch Auflagen die fehlenden Voraussetzungen für eine Baubewilligung hergestellt werden können.39 Eine Versagung der Baubewilligung kommt nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen auch unter Vorschreibung von Auflagen nicht erfüllt werden können. Auflagen und Bedingungen kommt somit die Aufgabe zu, nicht genehmigungsfähige Anträge so zu ergänzen, dass Baubewilligungen erteilt werden können. Dabei ergibt sich zwischen Gefahrenbereichen und Auflagen ein Spannungsverhältnis bezüglich der Abgrenzung zwischen Auflagen, die einen Antrag (noch) zulässig machen, und der Intensität der Gefährdung, die auch durch Auflagen nicht mehr baurechtlich sanierbar erscheint. Die BO lassen der Baubehörde bei der Grenzziehung zwischen nicht zulässigen Bauvorhaben (trotz Auflagen) und noch zulässigen Bauvorhaben (durch Auflagen) einen beträchtlichen Ermessenspielraum.
39 VwGH 15. 12. 1988, 85/06/0068. 225
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes
Florian Rudolf-Miklau, Jürgen Suda, Karim Giese
7.1. Einleitung Der Gebäudeschutz – insbesondere für die Naturgefahren Hochwasser, Lawine, Steinschlag und Rutschung – unterscheidet sich von anderen Sektoren des Bauwesens durch den geringen Grad der rechtlichen und technischen Normierung. Lediglich die Naturgefahren Erdbeben, Sturm und Schneelast finden im Eurocode und der darauf aufbauenden nationalen Normung in Österreich Berücksichtigung. Rechtsnormen für konkrete technische Gebäudeschutzmaßnahmen sind hingegen fast ausschließlich für die Naturgefahr Hochwasser erlassen. Diese auf den ersten Blick nicht nachvollziehbare Lücke hat mehrere Ursachen: Zunächst ist festzustellen, dass Naturgefahrenprävention und Katastrophenbewältigung in der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung Österreichs den Charakter einer „Querschnittsmaterie“ haben, also über verschiedene Rechtsgebiete verteilt sind. Das bedeutet, dass die für den technischen Gebäudeschutz relevanten Rechtsnormen in zahlreichen sektoralen Materiengesetzen „aufgesplittert“ sind [224], 58. Außerdem entsprechen die Einwirkungen von Naturprozessen auf Objekte (Gebäude) in der Regel komplexen Gefahrenlagen, so dass in der Praxis der Bau- und Raumordnungsverfahrens im Allgemeinen auf eine einzelfallspezifische Begutachtung abgestellt wird, selbst wenn Gefahrenzonenpläne oder Gefahrenkarten (siehe Kapitel 5) verfügbar sind. Ziel dieses Kapitels ist die Schaff ung eines kompakten Überblicks über die für den Gebäudeschutz relevanten Baurechts- und Bautechniknormen in Österreich sowie deren Wirkung und Verbindlichkeit. Eingangs wird ein kurzer Abriss der Einordnung und Funktion dieser Normen im Naturgefahren-Management gegeben und die Verfügbarkeit eines allgemein gültigen „Standes der Technik“ für die einzelnen in diesem Buch behandelten Naturgefahren geprüft.
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Florian Rudolf-Miklau et al.
7.2. Bedeutung eines „normierten“ Gebäudeschutzes Maßnahmen zum Schutz vor Naturgefahren sind aufgrund der großen Bedeutung für die menschliche Gesundheit, die wirtschaft lichen Tätigkeiten und das kulturelle Erbe Teil der Daseinsvorsorge1 und öffentlichen Sicherheit2, somit im öffentlichen Interesse gelegen. Das „öffentliche Interesse“ ist ein Rechtsbegriff, der sich auf die Belange des Gemeinwohls bezieht und sie von den Individualinteressen (privaten Interessen) abgrenzt [153], 540 f. Ein solches ist jedoch nur für bestimmte Rechtsgebiete oder Naturgefahrenarten explizit festgelegt, beispielsweise im Wasserrechtsgesetz3 (öffentliches Interesse am Hochwasserschutz4). Der Staat setzt daher in Österreich Maßnahmen zum Schutz bestehender Anlagen (Bauwerke) und regelt (beschränkt) die Bauführung (Neubau) in durch Naturgefahren bedrohten Gebieten durch Gebote und Verbote. Außerdem ist in einigen Bereichen ein allgemein gültiger „ Stand der Technik“ festgelegt und dessen Verbindlichkeitsgrad normiert, der einen generellen Sicherheits- und Qualitätsstandard für Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Naturgefahren festlegt. Diesen Maßnahmen und Regelungen liegen im Allgemeinen spezifische Schutzziele5 zugrunde, die auf die Art und den Umfang der maßgeblichen Naturgefahr Rücksicht nehmen. Es fällt in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Staates, in welchem Umfang er die Aufgabe der Normierung des Naturgefahrenschutzes wahrnimmt und welche Teile er der Verantwortung des Einzelnen überlässt (Eigenvorsorge). Eigenvorsorge setzt dort ein, wo entweder die Voraussetzungen für eine „öffentliche“ Schutzleistung nicht mehr erfüllt sind oder der Staat die Leistungen der Naturgefahrenprävention nicht mehr erbringt bzw. erbringen kann [224], 45. Es liegt – zumindest in der Theorie – in der Sphäre der Betroffenen, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der eigenen Liegenschaften und Gebäude – entweder allein oder in Gemeinschaft mit anderen – herzustellen. Da das Gefahrenbewusstsein und die Bereitschaft zur individuellen Risikovorsoge in Österreich nur schwach ausgeprägt sind, basieren private Gebäudeschutzmaßnahmen eher auf gesetzlichen Regelungen oder behördlichen Auflagen denn auf Initiative oder freier Willensbildung der Betroffenen (Bauherren). Häufig bestehen zudem Zielkonflikte zwischen den privaten und den in den Gesetzen definierten öffentlichen Interessen6 und Nor1
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Die Daseinsvorsorge umfasste alle staatlichen Aufgaben zur Bereitstellung der für ein sinnvolles menschliches Dasein notwendigen Güter und Leistungen (sogenannte Grundversorgung: z. B. Wasserversorgung, Bildung, öffentlicher Verkehr) und wird überwiegend auf kommunaler Ebene wahrgenommen. Die öffentliche Sicherheit umfasst die Unversehrtheit der gesamten materiellen Rechtsordnung, von Rechten und Rechtsgütern des Einzelnen und von Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates. BGBl Nr. 215/1959 idgF (WRG). § 105 Abs. 1 lit b WRG. Das Schutzziel für konkrete Schutzmaßnahmen ist jenes Maß an Sicherheit, das mit geplanten Schutzmaßnahmen erreicht werden kann bzw. soll. Im Interesse des Gemeinwohls ist die Behörde im Verwaltungsverfahren zur Abwägung der normierten öffentlichen Interessen verpflichtet und zu deren Schutz berechtigt. Die Ermittlung und Bewertung (Abwägung) hat im Einzelfall zu erfolgen, wobei die jeweils in Betracht kommenden Schutzmöglichkeiten in Form von Bedingungen, Auflagen und Nebenbestim-
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes
men, welche die Ausübung privater Rechte maßgeblich einschränken können. Eine reale „Planungskultur“ der Bauvorsorge hat sich daher bis heute in Österreich – trotz zahlreicher Schadensereignisse – nicht etabliert. 7.3. Wirkung und Verbindlichkeit von Rechts- und Techniknormen – „Stand der Technik“ In der Regel setzt der Staat der freien Bauführung in den von Naturgefahren gefährdeten Gebieten durch Rechts- und Techniknormen enge Grenzen. Grundsätzlich kann geregelt sein, wo (bzw. wo nicht), wie oder unter welchen Voraussetzungen (Bedingungen, Auflagen) im Einwirkungsbereich von Naturgefahren gebaut werden kann (siehe Kapitel 6.5). Je nach Abgrenzbarkeit der Naturgefahren ist daher die Kenntnis der Lage (siehe Kapitel 5), Häufigkeit und Intensität der Einwirkung (Kapitel 2) Voraussetzung für die Umsetzung von normativen Regelungen im Gebäudeschutz. Die in Österreich für den Gebäudeschutz relevanten Rechtsnormen zielen überwiegend auf die Festlegung geeigneter Baugebiete oder das Freihalten von Bereichen ab, die aufgrund ihres Gefährdungspotenzials für eine Bebauung nicht geeignet sind. Damit wird das Prinzip verwirklicht, in Gefahrenzonen der Entstehung neuer Schadenspotenziale generell entgegenzuwirken. Konsequenterweise sieht der Gesetzgeber das Bauen in Gefahrenzonen als Ausnahmefall (in unumgänglichen Fällen, z. B. bei bestehenden Siedlungsgebieten, saisonaler Gefährdung oder relativ geringem Risiko) an. Entsprechend gering ist die Zahl der konkreten Bestimmungen in den Bautechnikgesetzen und -verordnungen (siehe Tabelle 7.2), die sich auf Gebäudeschutzmaßnahmen beziehen. Dies widerspricht jedoch der realen Situation der Baulandentwicklung, insbesondere in den alpinen Gebieten, wo aufgrund der beschränkten Verfügbarkeit „sicherer“ Flächen die Widmung von neuem Bauland in mäßig gefährdeten oder durch technische Maßnahmen7 permanent gesicherten Gebieten (entspricht: Gelbe Gefahrenzone) regelmäßig erfolgt. Die „bedingte“ Eignung dieser Bauplätze wird durch Gebäudeschutzmaßnahmen (Auflagen und Bedingungen im Baurechtsverfahren, siehe Kapitel 6.5.4) substituiert. Ungeachtet der prinzipiellen Vorbehalte gegen das Bauen in Gefahrenzonen entsteht folglich – aufgrund der stark zunehmenden Zahl dieser Maßnahmen – ein hoher Bedarf an der Festlegung eines „Standes der Technik“ für Gebäudeschutzmaßnahmen. Grundsätzlich gilt, dass jedes Bauwerk mit all seinen Teilen entsprechend den „Regeln der Technik“8 und den bautechnischen Vorschriften so zu planen und auszuführen ist, dass es dem Verwendungszweck und den örtlichen Verhältnissen ent-
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mungen zu prüfen sind. Die Wahrnehmung öffentlicher Interessen obliegt alleine der Behörde und ist von Amts wegen durchzuführen. Technische Hochwasserschutz, Wildbach- und Lawinenverbauung, Technischer Steinschlagschutz, Sicherung labiler Hänge. Im Bauwesen genügt im Allgemeinen die Einhaltung der „Regeln der Technik“, d. h. aller anerkannten Techniken und Konstruktionen, die sich durch ausreichende Erprobung in der praktischen Umsetzung bewährt haben und der überwiegenden Mehrheit der repräsentativen Fachleute als richtig und wirtschaft lich bekannt sind, um den maßgeblichen Qualitätsund Sicherheitsanforderungen zu entsprechen. 229
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sprechend genutzt werden kann [76], 80. Aus Sicht des Gebäudeschutzes sind dabei insbesondere die Kriterien der Standsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit des Bauwerks gegen Naturgefahreneinwirkungen, des Brand- und Blitzschutzes, der Nutzungssicherheit und der Gesundheit der Bewohner (Nutzer) von Bedeutung. Mangelt es an allgemein gültigen, bautechnischen Vorschriften (Rechtsnormen, Bautechniknormen), so kann im Einzelfall nur durch die Festlegung von Gebäudeschutzmaßnahmen in Form konkreter Auflagen im behördlichen Baubewilligungsbescheid auf Basis einer Einzelbegutachtung durch einen Naturgefahrenexperten die erforderliche Sicherheit für das Bauwerk hergestellt werden. Durch den Verweis (in Gesetzen, Erlässen oder Bescheiden) auf den „Stand der Technik“ oder die „anerkannten Regeln der Technik“ gewinnen insbesondere technische Normen und Richtlinien Bedeutung, sofern diese verfügbar sind. Die Anforderungen eines gesetzlich determinierten „Standes der Technik“9 liegen in der Regel deutlich höher als jene der „allgemeinen Regeln der Technik“; welche Sicherheits- und Qualitätsanforderungen für ein konkretes Bauvorhaben anzuwenden sind, unterliegt zunächst der Entscheidung des Bauherren und wird von Wirtschaft lichkeitsüberlegungen bzw.der Begutachtung durch sachverständige Experten bestimmt. Gebäudeschutzmaßnahmen werden allerdings unter außergewöhnlichen Gefahrenbedingungen gesetzt und dienen dem unmittelbaren Schutz der menschlichen Gesundheit und von Sachwerten. Es werden daher im Regelfall die höchstmöglichen (höchsten wirtschaft lich und technisch vertretbaren) Sicherheits- und Qualitätsmaßstäbe entsprechend dem „Stand der Technik“ anzuwenden sein. Technische Normen und Richtlinien stellen in der Regel einen allgemeinen Standard dar, von dem nur in begründeten Fällen abgewichen werden darf. Insbesondere im Schadensfall führt eine Nichteinhaltung des „Standes der Technik“ zu bedeutenden Rechtsfolgen für den Schädiger (Verursacher). Eine unmittelbare rechtliche Bindewirkung für Techniknormen besteht jedoch nur dann, wenn sie kraft eines Gesetzes (einer Verordnung) als verbindlich erklärt werden oder direkt in einem Gesetz oder einer Verordnung enthalten sind. Ein diesbezügliches Beispiel stellt die Elektrotechnikverordnung10 dar, welche bestimmte ÖVE11-Richtlinien – somit auch die Richtlinien für den Blitzschutz12 – für verbindlich erklärt. Alternativ 9
Beispiel Wasserrechtsgesetz, BGBl Nr. 215/1959 idgF (WRG): Die Legaldefi nition gemäß § 12 a Abs. 1 WRG lautet: „Der Stand der Technik im Sinne dieses Bundesgesetzes ist der auf den einschlägigen wissenschaft lichen Erkenntnissen beruhende Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, deren Funktionstüchtigkeit erprobt und erwiesen ist. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere jene vergleichbaren Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, welche am wirksamsten zur Erreichung eines allgemeinen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt sind. Bei der Festlegung des Standes der Technik sind unter Beachtung der sich aus einer bestimmten Maßnahme ergebenden Kosten und ihres Nutzens und des Grundsatzes der Vorsorge und der Vorbeugung im Allgemeinen wie auch im Einzelfall die Kriterien des Anhangs G des WRG zu berücksichtigen.“ 10 BGBl Nr. 222/2002 idF BGBl Nr. 33/2006 (ETV) 11 Österreichischer Verein für Elektrotechnik. 12 Z.B. ÖNORM B 5436 : 2002, Elektroinstallationen – Bauliche Vorkehrungen für Blitzschutzanlagen. ÖNORM E 2980 :1987, Blitzschutzanlagen; Anordnung von Bauteilen und 230
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes
dazu können konkrete Technikregeln direkt in den Bautechnikgesetzen festgelegt sein13 (Kapitel 7.4). Im Allgemeinen bestehen jedoch für den Gebäudeschutz derartige, unmittelbar wirksame Rechtsnormen nur in Ausnahmefällen. Das wichtigste Kriterium für die Festlegung der maßgeblichen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen für Gebäudeschutzmaßnahmen (gegen Naturgefahren) ist das bautechnische Bemessungsereignis14. In Österreich bestehen nur für wenige Naturgefahrenarten (Erdbeben15, Sturm16, Schneelast17) unmittelbare, gesetzliche oder normative Festlegungen der Größenordnung des Schutzes (Intensität der Einwirkung), der mit technischen Maßnahmen erreicht werden soll (normiertes Bemessungsereignis). Eine mittelbare Festlegung erfolgt für die Gefahrenarten Hochwasser, Lawine und Murgang durch die Abgrenzung von Gefahrenzonen oder des Wirkungsbereichs von Ereignissen (z. B. Hochwasseranschlaglinien) aufgrund normierter Jährlichkeit und korrespondierender, prozess-physikalischer Intensitätskriterien (Fließgeschwindigkeit, Fließhöhe, Energie oder Druckwirkung) (siehe Kapitel 2). Maßnahmen des Gebäudeschutzes sind auf diese Einwirkungen zu bemessen. Bestehen keine derartigen Festlegungen über ein bestimmtes Bemessungsereignis, ist es weitgehend dem Ermessen der Bauherren oder der Behörde überlassen, welcher Sicherheitsgrad mit technischen Maßnahmen erreicht werden soll. Ein allgemein gültiges Sicherheitsniveau für Einwirkungen durch Naturgefahren auf Gebäude – etwa in Abhängigkeit der Nutzungskategorie – ist in Österreich bisher nicht festgelegt. 7.4. Rechtsnormen des Gebäudeschutzes 7.4.1. Rechtliche Grundlagen und Regelungskompetenz Regelungen betreffend die Berücksichtigung von Naturgefahren im Bauwesen sind in den Baugesetzen (Bauordnungen) und Bautechnikverordnungen der Bundesländer enthalten (Allgemeines Bauwesen).18 Bei weitem nicht alle baulichen Anlagen sind jedoch von den Baurechtsnormen der Länder erfasst, einige Bauwerksarten
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Montagemaße: Ausführungsbeispiele. ÖVE/ÖNORM E 8049-1: 2001, Blitzschutz baulicher Anlagen – Teil 1: Allgemeine Grundsätze. Insbesondere für Maßnahmen des Gebäudeschutzes gegen Hochwasser. Das Bemessungsereignis ist jenes Ereignis festgelegter Häufigkeit (Wiederkehrwahrscheinlichkeit), das bei der Planung von Bauwerken, der Projektierung von Schutzmaßnahmen sowie bei der Gefahrenzonenplanung zugrunde zu legen ist. (siehe Kapitel 2.3.4) ÖNORM B 1998-1: 2006; Eurocode 8: Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben – Teil 1: Grundlagen, Erdbebeneinwirkungen und Regeln für Hochbauten – Nationale Festlegungen zu ÖNORM EN 1998-1 und nationale Erläuterungen (ersetzt 2008 ÖNORM B 4015) ÖNORM B 1991-1-4: 2006, Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 1– 4: Allgemeine Einwirkungen – Windlasten – Nationale Festlegungen zu ÖNORM EN 1991-1-4 und nationale Ergänzungen. ÖNORM B 1991-1-3: 2006, Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 1– 3: Allgemeine Einwirkungen – Schneelasten – Nationale Festlegungen zur ÖNORM EN 1991-1-3, nationale Erläuterungen und nationale Ergänzungen (13 Seiten + Karte). Daneben existiert eine Reihe baurechtlicher Spezialgesetze und Durchführungsverordnungen (Bauprodukte, Kanalisation, Aufzüge, Ölfeuerungsanlagen) mit untergeordneter Bedeutung für den Schutz vor Naturgefahren. 231
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Tabelle 7.1. Materiell-rechtliche Grundlagen des technischen Gebäudeschutzes (Hochbauten, andere bauliche Anlagen) vor Naturgefahren: Überblick über die relevanten Rechtsnormen des Bundes und der Länder Rechtsgebiet
Gesetzgeber
Allgemeines Bauwesen
Stadt Wien
Wiener Bauordnung, LGBl Nr. 11/1930 idgF (Wr BauO) Wiener Bautechnikverordnung, LGBl 31/2008 idgF (Wr BauTV)
Land Niederösterreich
Nö Bauordnung, LGBl Nr. 129/1996 idgF (Nö BauO) Nö Bautechnikverordnung, LGBl Nr. 108/1998 idgF (Nö BauTV)
Land Burgenland
Bgld Baugesetz, LGBl Nr. 10/1998 idgF (Bgld BauG) Bgld Bauverordnung, LGBl Nr. 63/1998 idgF (Bgld BauV)
Land Oberösterreich
Oö Bauordnung, LGBl Nr. 66/1994 idgF (Oö BauO) Oö Bautechnikgesetz, LGBl Nr. 67/1994 idgF (Oö BauTG) Oö Bautechnikverordnung, LGBl Nr. 106/1994 idgF (Oö BauTV)
Land Salzburg
Slbg Bebauungsgrundlagengesetz, LGBl Nr. 69/1968 idgF (Slbg BGG) Slbg Baupolizeigesetz, LGBl Nr 39/1997 idgF (Slbg BauPolG) Slbg Bautechnikgesetz, LGBl Nr. 75/1976 (Slbg BTG)
Land Steiermark
Stmk Baugesetz, LGBl Nr. 59/1995 idgF (Stmk BauG) Stmk BauTV, LGBl 38/2011 idgF (Stmk BauTV)
Land Kärnten
Ktn Bauordnung, LGBl Nr. 62/1996 idgF (Ktn BauO) Ktn Bauvorschriften, LGBl Nr. 56/1985 idgF (Ktn BauV)
Land Tirol
Tir Bauordnung, LGBl Nr. 57/2011 idgF (Tir BauO) Tir Technische Bauvorschriften, LGBl Nr. 93/2007 idgF (Tir TBauV)
Land Vorarlberg
Vlbg Baugesetz, LGBl Nr. 52/2001 idgF (Vlbg BauG) Vlbg Bautechnikverordnung, LGBl Nr. 83/2007 idgF (Vlbg BauTV)
Wasserbauten
Bund
Wasserrechtsgesetz, BGBl Nr. 215/1959 idgF (WRG)
Forstliche Anlagen
Bund
Forstgesetz, BGBl. Nr. 440/1975 idgF (ForstG)
Straßen
Bund, Länder
Bundesstraßengesetz, BGBl Nr. 286/1971 idgF (BStG) Nö Straßengesetz, LGBl Nr. 90/1999 idgF (Nö StG) Bgld Straßengesetz, LGBl Nr. 79/2005 idgF (Bgld StG) Oö Straßengesetz, LGBl Nr. 84/1991 idgF (Oö StG) Slbg Landesstraßengesetz, LGBl Nr. 119/1972 idgF (Slbg LStG) Stmk Landesstraßen-Verwaltungsgesetz, LGBl Nr. 154/1964 idgF (Stmk LStVG) Ktn Straßengesetz, LGBl Nr. 72/1991 idgF (Ktn StG) Tir Straßengesetz, LGBl Nr. 13/1989 idgF (Tir StG) Vlbg Straßengesetz, LGBl Nr. 8/1969 idgF (Vlbg StG)
Eisenbahnen
Bund
Eisenbahngesetz, BGBl Nr. 60/1957 idgF (EisbG)
Seilbahnen
Bund
Seilbahngesetz, BGBl I Nr. 103/2003 idgF (SeilbG)
232
Rechtsnorm
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes
Güter- und Seilwege
Länder
Nö Güter- und Seilwege-Landesgesetz, LGBl Nr. 80/1973 idgF Oö Bringungsrechtegesetz, LGBl Nr. 39/1998 idgF Slbg Güter- und Seilwegegesetz, LGBl Nr. 41/1970 idgF Stmk Güter- und Seilwege-Landesgesetz, LGBl Nr. 21/1970 idgF Ktn Güter- und Seilwege-Landesgesetz, LGBl Nr. 4/1998 idgF Tir Güter- und Seilwege-Landesgesetz, LGBl Nr. 40/1970 idgF Vlbg Güter- und Seilwege-Landesgesetz, LGBl Nr. 25/1963 idgF
Rohrleitungen
Bund
Rohrleitungsgesetz, BGBl Nr. 411/1975 idgF
Energieleitung
Bund, Länder
Starkstromwegegesetz, BGBl Nr. 70/1968 idgF Elektrische Leitungsanlagengesetz, BGBl Nr. 71/1968 idgF Wr Starkstromwegegesetz, LGBl Nr. 20/1970 idgF Nö Starkstromwegegesetz, LGBl Nr. 77/1979 idgF Bgld Starkstromwegegesetz, LGBl Nr. 10/1971 idgF Oö Starkstromwegegesetz, LGBl Nr. 1/1971 idgF Slbg Landeselektrizitätsgesetz, LGBl Nr. 75/1999 idgF Stmk Starkstromwegegesetz, LGBl Nr. 14/1971 idgF Ktn Elektrizitätsgesetz, LGBl Nr. 47/1969 idgF Tir Starkstromwegegesetz, LGBl Nr. 11/1970 idgF Vlbg Gesetz über die Errichtung und den Betrieb elektrischer Leitungsanlagen, LGBl Nr. 22/1978 idgF
Gasleitungen
Bund
Gaswirtschaftsgesetz, BGBl I Nr. 121/2000 idgF
Telekommunika- Bund tionsanlagen
Telekommunikationsgesetz, BGBl I Nr. 70/2003 idgF
Gewerbe- und Bund Industrieanlagen
Gewerbeordnung, BGBl. 194/1994 idgF (GewO)
Militärische Anlagen
Bund
Wehrgesetz, BGBl I Nr. 146/2001 idgF (WG)
Bergbauanlagen
Bund
Mineralrohstoffgesetz, BGBl I Nr. 38/1999 idgF
werden sogar von deren Anwendungsbereich ausdrücklich ausgeschlossen. Dazu zählen beispielsweise Eisenbahnanlagen, spezifische militärische Bauwerke, öffentliche Straßen, Güter- und Forstwege, Leitungen (Wasser, Strom, Gas, Erdöl), Wasserversorgungs- und -entsorgungsanlagen, bauliche Anlagen im Hochwasserabflussbereich (§ 38 WRG), Schutz- und Regulierungswasserbauten (§ 41 WRG), ortsfeste Behälter für flüssigen Brenn- und Treibstoff, Zelte und Wohnwagen auf Campingplätzen und Bergbauanlagen. Die diesbezüglichen Rechtsgrundlagen sind in anderen Materiengesetzen („Sonderbaurecht“) des Bundes19 und der Länder geregelt (siehe Kapitel 6.5). Tabelle 7.1 gibt einen Überblick über die für den Gebäudeschutz relevanten Baurechtsnormen.
19 Der überwiegende Teil der hier unter dem Begriff „Sonderbaurecht“ zusammengefassten Materiengesetze fällt in die legistische Kompetenz des Bundes. Die wichtigsten Kompetenzen des Bundes im Rahmen des Naturgefahrenmanagements liegen im Bereich des Wasserrechts, des Forstrechts, des Wasserstraßenrechts, des Verkehrsrechts und des Elektrizitätswesens, des Fernmeldewesens und in militärischen Angelegenheiten. 233
Florian Rudolf-Miklau et al.
7.4.2. Rechtsgrundlagen im Allgemeinen Baurecht Bau(technik)gesetze und Bautechnikverordnungen der Länder enthalten vereinzelt spezifische bautechnische Vorschriften für den Gebäudeschutz in von Naturgefahren bedrohten Gebieten. In den Nebengesetzen des öffentlichen Baurechts betreffend bestimmte bauliche Anlagen (Kanalisation, Aufzüge, Ölfeuerungsanlagen, feuerpolizeiliche Vorschriften) sind in einigen Fällen konkrete Vorschriften bezüglich des Schutzes vor Naturgefahren enthalten. Spezielle baurechtliche Genehmigungsbedingungen und -auflagen, Bebauungsgrundlagen sowie bautechnische Anforderungen (z. B. betreffend mechanische Festigkeit und Standsicherheit, Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz) sollen insbesondere in Gefährdungsgrenzbereichen (z. B. Gelben Gefahrenzonen, HQ-100-Bereichen) „naturgefahrenangepasste“ Bauweisen sicherstellen, also beispielsweise bauliche Anlagen im Hochwasserfall vor eindringendem Oberflächen-, Grund- oder Kanalisationswasser schützen. Ein umfassender Überblick über die bewilligungspflichtigen Maßnahmen zum (nachträglichen) Schutz von Bauwerken in hochwassergefährdeten Zonen findet sich in Giese [79][80][81]20. Bauliche Anlagen sind grundsätzlich so zu planen und auszuführen, dass sie den dem „Stand der Technik“ entsprechenden Anforderungen u. a. an die mechanische Festigkeit und Standsicherheit, den Brandschutz sowie der Nutzungssicherheit genügen. Es handelt sich bei diesem allgemeinen bautechnischen Grundsatz um eine subsidiär (unmittelbar) anwendbare Rechtsnorm21, soweit die BauO, BauTG und BauTV nicht mittels besonderer Bestimmungen oder referenzierter technischer Regelwerke (z. B. ÖNORMEN, OIB-Richtlinien) bautechnische Erfordernisse konkretisieren. Konkrete bautechnische Vorschriften für den Gebäudeschutz wurden bisher fast ausschließlich für die Naturgefahr Hochwasser erlassen. Als Beispiele solcher Maßnahmen können angeführt werden: • Höhenlage des Bauwerks (bzw des Geländes) • Lage der Fußbodenoberkante von Wohn- bzw Aufenthaltsräumen über einem bestimmten Hochwasserniveau (30-50 cm) • Auftriebssicherungen für Öltanks Für andere Naturgefahrenarten sind praktisch keine unmittelbar anwendbaren technischen Regeln des Gebäudeschutzes in den österreichischen Bautechnikgesetzen zu finden. Bei diesen Gefahren muss regelmäßig auf verfügbare technische Normen und Richtlinien zurückgegriffen werden oder eine Einzelfallbegutachtung durch einen Sachverständigen (Auflagen im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens, siehe Kapitel 6.5.4) veranlasst werden. Die Anforderungen an eine „hochwassergeschützte“ Gestaltung baulicher Anlagen werden derzeit nur im Anwendungsbereich des Oö BauTG22 aus der allge20 Die Ausführungen dieses Abschnitts beziehen überwiegend auf diese Quelle. Zu deren aktualisierter Fassung (Stand: August 2011) vgl nunmehr auch Giese, Baurechtliche Maßnahmen zum Schutz des Baubestandes vor Hochwassergefahren, bbl 5/2011, 203 ff. 21 § 88 Abs. 2 Wr BauO; § 3 Z 3 Bgld BauG; § 26 Ktn BauO; § 43 Nö BauO; § 3 Oö BauTG; § 1 Slbg BauTG; § 43 Abs. 2 Stmk BauG; § 17 Abs. 1 Tir BauO; § 2 Abs. 1 Vlbg BauTV. 22 seit der Oö BauTGNov 2006, LGBl 2006/97. 234
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes
meinen Systematik des Bautechnikrechts herausgelöst und sozusagen „sachverhaltsbezogen“ in einer einzigen Bestimmung zusammengefasst und konkretisiert. Danach müssen im 100-jährlichen Hochwasserabflussbereich alle Neu-, Zu- und Umbauten von Gebäuden bis zum (Höhen-) Niveau des Hochwasserabflussbereichs hochwassergeschützt ausgeführt werden.23 Eine „hochwassergeschützte“ Gestaltung24 erfordert insbesondere, dass der Baukörper gegenüber dem Untergrund abgedichtet oder eine aufgeständerte Bauweise gewählt wird, zu Gebäudeöffnungen Abdichtungs- und Schutzmaßnahmen gegen einen Wassereintritt in das Gebäude vorgesehen und die dazu erforderlichen technischen Einrichtungen funktionsfähig bereitgehalten werden, das Gebäude aus wasserbeständigen Baustoffen und auftriebssicher ausgeführt wird, die Fußbodenoberkante von Wohnräumen, Stallungen und Räumen mit wichtigen betrieblichen Einrichtungen mindestens 20 cm über dem Niveau des Hochwasserabflussbereichs liegt und Räume, die zur Lagerung wassergefährdender Stoffe bestimmt sind, so ausgeführt werden, dass ein Austritt der gelagerten Stoffe verhindert wird. In allen übrigen Bauordnungen (Bautechnikgesetzen) können sich vergleichbare Anforderungen im Zusammenspiel zwischen besonderen und allgemeinen bautechnischen Erfordernissen ergeben. In den neueren BauTV der Bundesländer Burgenland, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien, die zum Zweck der Vereinheitlichung des Bautechnikrechts seit 2007 erlassen worden sind, werden diese zum Teil relativ allgemein gehaltenen Erfordernisse nunmehr durch Verweise auf die einschlägigen (und damit idR unmittelbar anwendbaren) OIB-Richtlinien 1 [161] und 3 [162] weiter konkretisiert. Danach haben bei der Standfestigkeit von Bauten auch „außergewöhnliche“ Ereignisse Berücksichtigung zu finden. Bei der Abdichtung gegen Feuchtigkeit bzw beim Fußbodenniveau (gegenüber dem Außengelände) ist auf vorhersehbare Hochwasserereignisse Bedacht zu nehmen. Es besteht eine Verpflichtung, Anlagen zur Sammlung und Entsorgung von Abwässern ua so zu planen und auszuführen, dass die Gesundheit von Menschen nicht beeinträchtigt werden kann. Dies erfordert für den möglichen Fall eines Kanalrückstaus (zB. bei Starkniederschlag, bei Hochwasserereignissen) geeignete bautechnische Maßnahmen zur Verhinderung des Eindringens des Rückstaus in die Baulichkeiten. Nur vereinzelt finden sich Ermächtigungen der Baubehörden, auch Hochwasserschutzanlagen im Außenbereich der Bauten vorzuschreiben. Tabelle 7.2 gibt einen Überblick über die aus den Bau(technik)gesetzen und Bautechnikverordnungen ableitbaren Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Hochwasser.
23 § 5 Abs. 3 a Oö BauO 1994. 24 § 27 a Abs. 3 Oö BauTG. 235
Florian Rudolf-Miklau et al.
Tabelle 7.2. Überblick über die aus den BTG und BTV ableitbaren Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Hochwasser, nach Giese [79] (modifiziert) Maßnahme
Beschreibung
Rechtsquellen (beispielhaft)
Standsicherheit
Standsichere Bauweise
§ 7 Slbg BauTG, § 10 Abs. 1 Oö BauTG, §§ 3, 4 Vlbg BauTV
Sicherheit gegen Einsturz oder son- § 43 Abs. 1 Z 1 Nö BauO, § 8 Stmk BauG iVm stige erhebliche Beschädigung § 1 Abs 1 Stmk Bau TV Abdichtung
Höhenniveau
Auft riebssichere Bauweise
§ 27 a Oö BauTG
gegen aufsteigende und seitlich eindringende Feuchtigkeit
§ 4 Slbg BauTG, § 12 Abs. 3 Ktn BauTV
gegen Grundwasser
§ 9 Bgld BauTV, §§ 3 Abs. 1 und 44 Abs. 1 Nö BauTV, § 15 Abs. 1 Tir TBauV, § 18 Abs. 1 Vlbg BauTV, § 102 Abs. 1 Wr BauO, § 61 stmk BauG idF 13/20111
gegen vorhersehbare Hochwasserereignisse
§ 15 Abs.. 1 Bgld BauV, § 15 Abs. 1 Tir TBauV 2008, § 18 Abs. 1 Vlbg BauTV 2007, § 102 Abs. 2 Wr BauO, § 61 stmk BauG idF 13/201 125
der Wohn- und Aufenthaltsräume (Fußboden)26 (gegenüber dem Außengelände), erhöht über Hochwasserspiegel27
Allgemeine Regeln: § 21 Abs. 1 Bgld BauV, § 21 Abs. 1 Tir TBauV, § 24 Abs. 1 Vlbg BauTV, § 107 Abs. 1 Wr BauO. Spezifische Regeln: Die Fußböden müssen gem. § 19 Abs. 4 Slbg BauTG mindestens 15 cm, gem. § 27 a Abs. 3 Oö BauTG mindestens 20 cm, gem. §§ 37 Abs. 1 und 105 Abs. 1 Z 3 Nö BauTV mindestens 30 cm über der 100-jährlichen Hochwasserkote bzw. mindestens 50 cm über dem höchsten örtlichen Grundwasserspiegel liegen (§ 105 Abs. 1 Nö BauO, § 20 Oö BauTG, § 69 Abs. 2 Stmk BauG).
Niveaulage des Kellergeschosses § 27 Abs. 3 a Oö BauO (gegenüber dem Außengelände), „Herausbauen“ oder „Aufständern“ Erhaltung oder Veränderung der Geländeoberfläche
§ 29 Abs. 2 Vlbg BauG
252627
25 Der neue § 61 stmk BauG lautet idF 13/2011 lautet: § 61 (11) Schutz vor Feuchtigkeit (1) Bauwerke müssen entsprechend ihrem Verwendungszweck gegen das Aufsteigen von Feuchtigkeit und gegen das Eindringen von Wasser dauerhaft gesichert werden. Dabei ist sowohl auf das Grundwasser als auch auf das vorhersehbare Oberflächenwasser (z. B. Hangwasser und Hochwasserereignisse) Bedacht zu nehmen. (2) Dacheindeckungen, Außenwände, Außenfenster und türen sowie sonstige Außenbauteile müssen Schutz gegen Niederschlagswässer bieten. (3) Bauwerke müssen in allen ihren Teilen entsprechend ihrem Verwendungszweck so ausgeführt sein, dass eine schädigende Feuchtigkeitsansammlung durch Wasserdampfkondensation in Bauteilen und auf Oberflächen von Bauteilen vermieden wird. 26 Dabei ist z.T. ausdrücklich auch auf vorhersehbare Hochwasserereignisse Bedacht zu nehmen. 27 OIB-Richtlinie 3 (Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz – Ausgabe: April 2007), Pkt. 6 („Schutz vor Feuchtigkeit“): Als spezielle Vorsorgemaßnahme vor Überflutungen ist vorgesehen, dass das Fußbodenniveau von Aufenthaltsräumen über dem Niveau des 100-jähr236
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes
Lagerbehälter Lagerung in Räumen, die besonde- § 25 Abs. 5 Slbg BauTG für flüssige ren Anforderungen der HochwasBrennstoffe sersicherheit entsprechen (allgemeine Regel) Sicherung der Lagerräume gegen eindringendes und drückendes Wasser oder des Behälters gegen Aufschwimmen, Außendruck und Wassereintritt
§ 201 Nö BauO, § 202 Abs. 5 Ktn BauV, § 27 a Abs. 3 Oö BauTG iVm § 35 Oö Heizungsanlagen- und Brennstoff V
Verschließbarkeit von Gebäudeöff nungen
Abdichtungs- und Schutzmaßnah- § 27 a Abs. 3 Oö BauTG men gegen einen Wassereintritt in das Gebäude vorgesehen und Bereithaltung der dazu erforderlichen technischen Einrichtungen in funktionsfähigem Zustand (im Bereich HQ-100)
Hochwasserschutzanlagen im Außenbereich
Ermächtigungen zur § 5 Abs. 2 Oö BauO, § 9 Abs. 2 Slbg BauPolG, Vorschreibung von Hochwasser§ 18 Abs. 3 Ktn BauO, § 27 Abs. 7 Tir BauO schutzanlagen (z. B. in Form von massiven Einfriedungen, sonstigen Mauern, Erddämmen u. Ä.) im Außenbereich von Gebäuden (im Rahmen der Bau(platz)bewilligung
Kanalanlagen
Sicherung der Trockenheit von Bauwerken, Verhinderung des Eindringens von Kanalrückstau (zB bei bei großem Niederschlag, Hochwasserereignissen)
§ 11 Abs. 3 Bgld BauV, § 11 Abs. 2 lit c Tir BauV, § 14 Abs. 2 Vlbg BauTV, § 99 Abs. 3 Wr BauO
7.5. Technische Normen und Richtlinien des Gebäudeschutzes Technische Normen des Gebäudeschutzes sind in Österreich nur für die Gefahrenarten Blitzschlag, Sturm (Wind), Erdbeben und Schneelasten verfügbar. Für die Gefahren Hochwasser, Steinschlag, Muren und Lawinen sind nur unverbindliche Richtlinien (Leitlinien) verfügbar. In den Normen und Richtlinien gibt es Vorschriften und Empfehlungen zu folgenden Punkten: • Einwirkungen aus Naturprozessen • Bautechnische Bemessung von Tragwerken • Konstruktive Vorschriften zur Vermeidung von ungünstigen Tragwerken und Detailausbildungen. In den folgenden Kapiteln sind die vorhandenen Richtlinien und Normen mit Schwerpunkt Österreich zusammengestellt. Detailliertere Informationen zu den Schutzmaßnahmen finden sich in Kapitel 8 bis 10, zu den Einwirkungen in Kapitel 4 und zur bautechnischen Bemessung in Kapitel 11. Diese Kapitel sind mit lichen Hochwasserereignisses liegen oder zumindest ein gleichwertiger Schutz gegen Überflutung getroffen werden muss. 237
Florian Rudolf-Miklau et al.
den angegebenen Normen und Richtlinien abgestimmt. Die Angaben beziehen sich überwiegend auf österreichische (ÖNORM), ergänzend auch auf Deutsche (DIN) und Schweizer (SIA) Normen. 7.5.1. Bautechnische Bemessung von Tragwerken Die bautechnische Bemessung von Gebäuden und Schutzmaßnahmen an Gebäuden findet auf Basis der Eurocode-Bemessungsnormen statt. Diese europäisch harmonisierte Normengeneration stellt ab 2010 den „Stand der Technik“ bei der Bemessung von Tragwerken in den CEN-Mitgliedstaaten (CEN = Comité Européen de Normalisation – Europäisches Komitee für Normung) dar. Das gesamte Normenwerk des Eurocode (EC) gliedert sich in 10 Bereiche (Normenreihen). Jede Reihe ist mit einer vierstelligen Nummer – von 1990 bis 1999 – bezeichnet. In der EC 0 (EN 1990) Reihe sind die Grundlagen der Tragwerksplanung geregelt. Die EC 1 (EN 1991) Reihe normiert die Einwirkungen auf Tragwerke. Danach folgen die einzelnen Bauartnormen: EC 2 (EN 1992) – Beton und Stahlbetonbau, EC 3 (EN 1993) – Stahlbau, EC 4 (EN 1994) – Verbundbau, EC 5 (EN 1995) – Holzbau und EC 6 (EN 1996) – Mauerwerksbau. Die geotechnischen Bemessungen sind im EC 7 (EN 1997) geregelt. Im anschließenden EC 8 (EN 1998) sind die Erdbebennachweise enthalten. Generell besteht eine Eurocode-Norm aus einem europäisch einheitlichen Basisdokument, welches mit „EN“ bezeichnet wird (z. B.: EN 1992-1-1), und einem nationalen Anwendungsdokument (NAD), in dem jeder Staat zu bestimmten Punkten im Basisdokument nationale Festlegungen28 treffen darf. In Österreich werden diese nationalen Dokumente mit „B“ bezeichnet (z. B. ÖNORM B 1992-1-1). Die für die Bemessung relevanten Normen sind je nach Einsatzgebiet in Tabelle 7.3 zusammengestellt. In dieser Tabelle sind auch die jeweiligen nationalen Anwendungsdokumente (Österreich, Schweiz, Deutschland) angegeben.
28 In Deutschland wird der Bezeichnung ein „NA“ nachgestellt (z. B. DIN EN 1992 -1-2/NA). In der Schweiz werden Bauten gemäß den Tragwerksnormen des SIA projektiert. Die SIA Tragwerksnormen basieren in weiten Teilen auf der Grundlage der Eurocode Normen. 238
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes
Tabelle 7.3. Normenwerke zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden und Schutzmaßnahmen auf Grundlage des EUROCODES Fachgebiet
Europäisches Basisdokument
Nationale Anhänge und andere nationale Umsetzungsnormen Österreich
Schweiz
Deutschland
Beton und Stahlbeton Allgemeine Regeln und Anwendung im Hochbau
EN 1992-1-1
ÖNORM B 1992-1-1
SA EN 1992-1-1; SIA 262 001
Stützbauwerke
EN 1992-3
ÖNORM B 1992-3
SA EN 1992-3; SIA 262 004
Allgemeine Regeln
EN 1993-1-1
ÖNORM B 1993-1-1
SA EN 1993-1-1; SIA 263 001
DIN EN 1993-1-1/NA
Anschlüsse
EN 1993-1-8
ÖNORM B 1993-1-8
SA EN 1993-1-8; SIA 263 008
DIN EN 1993-1-8/NA
Stahlzugglieder
EN 1993-1-11
ÖNORM B 1993-1-11
SA EN 1993-1-11; SIA 263 011
DIN EN 1993-1-11/NA
EN 1995-1-1
ÖNORM B 1995-1-1
SA EN 1995-1-1; SIA 265 001
DIN EN 1995-1-1/NA
EN 1997-1
ÖNORM B 1997-1-1
SA EN 1997-1; SIA 267 001
DIN EN 1997-1/NA
ÖNORM B 1997-1-2
–
DIN 4017
Pfahlgründungen
ÖNORM B 1997-1-3
–
DIN 4014
Erddruckberechnung und Stützbauwerke
ÖNORM B 1997-1-4
–
DIN 4085
Geländebruch
ÖNORM B 1997-1-5
–
DIN 4084
Messungen und Bauwerksbeobachtungen
ÖNORM B 1997-1-6
–
DIN EN 1992-1-2/NA –
Stahltragwerke
Holztragwerke Allgemeine Regeln und Anwendung im Hochbau Geotechnik Allgemeine Regeln Flächengründungen
Baugrunderkundungen
EN 1997- 2
ÖNORM B 1997- 2
SA EN 1997- 2; SIA 267 002
–
DIN 4020
239
Florian Rudolf-Miklau et al.
7.5.2. Gebäudeschutz gegen Erdbeben Regeln der Technik für das erdbebensichere Bauen sind in der EN 1998 – Reihe enthalten (Tabelle 7.4). Die Basis für die erdbebenbezogene Standortbeurteilung stellt eine Landkarte dar, welche die Erdbebenzonen (Zone 0–4) ausweist. Erdbebensicheres Bauen basiert auf den Grundsätzen des erdbebengerechten Entwurfes und der konstruktiven Durchbildung von Tragwerken und nichttragenden Bauteilen. Die wichtigste Maßnahme des Gebäudeschutzes gegen Erdbeben ist der statische Nachweis der Standsicherheit bei Erdbebeneinwirkung. Tabelle 7.4. Normenwerke zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden gegen Erdbeben Fachgebiet
Europäisches Basisdokument
Nationale Anhänge und andere nationale Umsetzungsnormen Österreich
Schweiz
Deutschland
Erdbeben Grundlagen und Anwendung im Hochbau
EN 1998-1
Ertüchtigung von EN 1998-3 Gebäuden Gründungen, Stützbauwerke, Geotechnik
EN 1998-5
ÖNORM B 1998-1
– ÖNORM B 1998-5
SA EN 1998-1; SIA 260 801 SN EN 1998-3; SIA 260 803 SN EN 1998-5 SIA 260 805
DIN EN 1998-1/NA
– DIN EN 1998-5/NA
7.5.3. Gebäudeschutz gegen Hochwasser und Grundwasserhochstand Für den Gebäudeschutz gegen Hochwasser sind in Österreich – mit Ausnahme vereinzelter Bestimmungen in den BTG und BTV (siehe Kapitel 7.4.2) – keine technischen Normen verfügbar. Die Planung von Maßnahmen und die Festlegung von baubehördlichen Auflagen stützen sich daher auf Erfahrungswerte und Empfehlungen (Richtlinien, Leitlinien, Wegleitungen). Ein Beispiel dafür ist die Schweizer Wegleitung „Objektschutz gegen gravitative Naturgefahren“ [56]. Allgemeine Informationen über den Gebäudeschutz vor Hochwassergefahren sind auch den einschlägigen Informationsbroschüren des österreichischen Lebensministeriums „Die Kraft des Wassers“ [38], „Eigenvorsorge und Objektschutz“ [32] und „Leben mit Naturgefahren“ [40] zu entnehmen. Weitere Informationen über Schutzmaßnahmen können auch [5] [42] [147] [148] entnommen werden. Tabelle 7.5. Normenwerke und Richtlinien zum Thema schutzwasserbauliche Grundlagen Bezeichnung 1
Bezeichnung 2
ÖNORM B 2400 (2004)
Hydrologie – Hydrographische Fachausdrücke und Zeichen – Ergänzende Bestimmungen zur ÖNORM EN ISO 772 und ÖNORM EN ISO 772/A1
ÖNORM B 2580 (1972)
Landwirtschaft licher Wasserbau; Begriffsbestimmungen
ÖNORM B 2581 (1978)
Landwirtschaft licher Wasserbau; Dränung
240
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes
Tabelle 7.6. Normenwerke und Richtlinien zum Thema Abdichtung von Gebäuden gegen Feuchtigkeit und zur wasserdichten Bauweise Bezeichnung 1
Bezeichnung 2
ÖNORM B 2202 (2007)
Arbeiten gegen aufsteigende Feuchtigkeit bei Trockenlegung von feuchtem Mauerwerk – Werkvertragsnorm
ÖNORM B 2209 (2002)
Abdichtungsarbeiten – Werkvertragsnorm – Teil 1: Bauwerke
ÖNORM B 3664 (2009)
Abdichtungsbahnen – Kunststoffbahnen für die Bauwerksabdichtung gegen Bodenfeuchte und Wasser – Nationale Umsetzung der ÖNORM EN 13 967
ÖNORM B 3665 (2009)
Abdichtungsbahnen – Bitumenbahnen für die Bauwerksabdichtung gegen Bodenfeuchte und Wasser – Nationale Umsetzung der ÖNORM EN 13 969
ÖNORM C 2119 (2007)
Oberirdische Lagerung von Flüssigkeiten – Standortgefertigte prismatische Behälter aus Stahl in durch Hochwasser gefährdeten Bereichen – Auslegung, Herstellung und Aufstellung
ÖNORM EN 13 050 (2006)
Vorhangfassaden – Schlagregendichtheit – Laborprüfung mit wechselndem Luftdruck und Besprühen mit Wasser – Entwurf
ÖNORM EN 13 967 (2007)
Abdichtungsbahnen – Kunststoff- und Elastomerbahnen für die Bauwerksabdichtung gegen Bodenfeuchte und Wasser – Definition und Eigenschaften
ÖNORM EN 13 967/A2 (2008)
Abdichtungsbahnen – Kunststoff- und Elastomerbahnen für die Bauwerksabdichtung gegen Bodenfeuchte und Wasser – Definitionen und Eigenschaften (Änderung)
ÖNORM EN 13 969 (2007)
Abdichtungsbahnen – Bitumenbahnen für die Bauwerksabdichtung gegen Bodenfeuchte und Wasser – Definitionen und Eigenschaften
ÖNORM EN 12 425 (2000)
Tore – Widerstand gegen eindringendes Wasser – Klassifizierung
ÖNORM EN 12 489 (2000)
Tore – Widerstand gegen eindringendes Wasser – Prüfverfahren
ÖVBB29 Richtlinie 194 (2009)
Wasserundurchlässige Betonbauwerke – Weiße Wannen
ÖVBB30 Merkblatt 216 (2010)
Bentonitgeschützte Betonbauwerke – Braune Wannen
OIB-Richtlinie 3 (2007)
Österreichisches Institut für Bautechnik: Richtlinie 3 – Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz – Ausgabe: April 2007
7.5.4. Entwässerungen und Kanalrückstau Die Normen und Richtlinien zum Thema Entwässerungen beschäftigen sich mit der Entsorgung des im Haushalt anfallenden Abwassers und der Oberflächenwässer aus Niederschlag vom Dach und aus unmittelbarer Gebäudenähe. Normen für Entwässerungs- und Kanalanlagen berücksichtigen auch die Überflutung infolge Überlastung oder Verstopfung der Kanalleitungen.2930 29 Österreichische Vereinigung für Beton und Bautechnik 30 Österreichische Vereinigung für Beton und Bautechnik 241
Florian Rudolf-Miklau et al.
Tabelle 7.7. Normenwerke zum Thema Gebäudeentwässerung Bezeichnung 1
Bezeichnung 2
ÖNORM B 2501 (2009)
Entwässerungsanlagen für Gebäude – Planung, Ausführung und Prüfung – Ergänzende Richtlinien zu ÖNORM EN 12 050 und ÖNORM EN 12 056
ÖNORM B 2503 (2009)
Kanalanlagen – Ergänzende Bestimmungen für die Planung, Ausführung und Prüfung
ÖNORM B 2504 (2005)
Schächte und Schachtbauwerke für Schwerkraft-Entwässerungsanlagen
ÖN EN 1671 (12 1997)
Druckentwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden
ÖNORM EN 12 050-2 (2002) Abwasserhebeanlagen für die Gebäude und Grundstücksentwässerung – Bau und Prüfgrundsätze – Teil 2: Abwasserhebeanlagen für fäkalienfreies Abwasser ÖNORM 12 056-1 (2000)
Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Teil 1: Allgemeine und Ausführungsanforderungen
ÖNORM EN 12 050-4 (2001) Abwasserhebeanlagen für die Gebäude und Grundstücksentwässerung – Bau und Prüfgrundsätze – Teil 4: Rückflussverhinderer für fäkalienfreies und fäkalienhältiges Abwasser ÖNORM 12 056-2 (2000)
Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Teil 2: Schmutzwasseranlagen, Planung und Berechnung
ÖNORM 12 056-3 (2000)
Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Teil 3: Dachentwässerung, Planung und Bemessung
ÖNORM 12 056-5 (2000)
Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Teil 5: Installation und Prüfung, Anleitung für Betrieb, Wartung und Gebrauch
Tabelle 7.8. Normenwerke zum Thema Rückstau Bezeichnung 1
Bezeichnung 2
ÖNORM B 2501 (2009)
Entwässerungsanlagen für Gebäude – Planung, Ausführung und Prüfung – Ergänzende Richtlinien zu ÖNORM EN 12 050 und ÖNORM EN 12 056
ÖNORM B 2503 (2009)
Kanalanlagen – Ergänzende Bestimmungen für die Planung, Ausführung und Prüfung
ÖNORM EN 752
Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden
ÖNORM EN 12 050-1 (2001) Abwasserhebeanlagen für die Gebäude und Grundstücksentwässerung – Bau und Prüfgrundsätze – Teil 1: Fäkalienhebeanlagen ÖNORM EN 12 050-3 (2001) Abwasserhebeanlagen für die Gebäude und Grundstücksentwässerung – Bau und Prüfgrundsätze – Teil 3: Fäkalienhebeanlagen zur begrenzten Verwendung ÖNORM EN 12 050-4 (2001) Abwasserhebeanlagen für die Gebäude und Grundstücksentwässerung – Bau und Prüfgrundsätze – Teil 4: Rückflussverhinderer für fäkalienfreies und fäkalienhältiges Abwasser ÖNORM 12 056-1 (2000)
242
Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Teil 1: Allgemeine und Ausführungsanforderungen
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes
Bezeichnung 1
Bezeichnung 2
ÖNORM 12 056-4 (2000)
Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Teil 4: Abwasserhebeanlagen – Planung und Bemessung
ÖNORM EN 13 564-1 (2002) Rückstauverschlüsse für Gebäude – Teil 1: Anforderungen ÖNORM EN 13 564-2 (2003) Rückstauverschlüsse für Gebäude – Teil 2: Prüfverfahren ÖNORM EN 13 564-3 (2004) Rückstauverschlüsse für Gebäude – Teil 3: Güteüberwachung
7.5.5. Gebäudeschutz gegen Lawinen, Steinschlag, Rutschungen und Muren Für den Gebäudeschutz gegen gravitative Naturgefahren (Lawinen, Steinschlag, Rutschungen, Muren) sind in Österreich fast keine verbindlichen Gesetzesvorschriften oder technischen Normen verfügbar. Eine Ausnahme bildet die ÖNORM B 5301 über lawinenschutzsichere Fenster und Türen. Die Planung von Gebäudeschutzmaßnahmen stützt sich derzeit in der Regel auf die Schweizer „Wegleitung: Objektschutz gegen gravitative Naturgefahren“. [56] Dynamische Schneelasten (Lawineneinwirkungen) werden durch die Schneelastnorm (Kapitel 7.5.7) nicht erfasst. Hier muss auf die Angaben in der ONR 24 805 [190] zurückgegriffen werden. Einwirkungsmodelle für Auflasten auf Tragwerke und Umlenkkräfte an Geländesprüngen von Lawinen finden sich in der Schweizer Richtlinie ASTRA 12 007 [9]. Tabelle 7.9. Normenwerke und Richtlinien zum Thema Gebäudeschutz gegen Lawinen, Steinschlag, Rutschungen und Muren Bezeichnung 1
Bezeichnung 2
ÖNORM B 5301 (2003)
Lawinenschutzfenster und -türen – Allgemeine Festlegungen, Anforderungen und Klassifizierung
ÖNORM B 5302 (2003)
Lawinenschutzfenster und -türen – Prüfverfahren
Wegleitung Objektschutz
Richtlinie Objektschutz gegen Naturgefahren (Thomas Egli). Hrsg.: Gebäudeversicherung Kanton Zürich, Baudirektion Kanton Zürich, AWEL Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft
ONR 24 805
Permanenter technischer Lawinenschutz – Benennungen und Definitionen sowie statische und dynamische Lastannahmen
ONR 24 806
Permanenter technischer Lawinenschutz – Bemessung und konstruktive Ausgestaltung
ONR 24 807
Permanenter technischer Lawinenschutz – Überwachung und Instandhaltung
ONR 24810
technischer Steinschlagschutz – Begriffe, Einwirkungen, Bemessung und konstruktive Durchbildung, Überwachung und Instandhaltung
ASTRA 12 007
Einwirkungen infolge Lawinen auf Schutzgalerien, Bundesamt f. Strassen (ASTRA), Eidgenössisches Department für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) in Zusammenarbeit mit SBB AG Infrastruktur Ingenieurbau.
243
Florian Rudolf-Miklau et al.
Bezeichnung 1
Bezeichnung 2
ASTRA 12 006
Einwirkungen infolge Steinschlags auf Schutzgalerien, Bundesamt f. Strassen (ASTRA), Eidgenössisches Department für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) in Zusammenarbeit mit SBB AG Infrastruktur Ingenieurbau.
BAFU-WSL-SLF- Richtli- Lawinenverbau im Anbruchgebiet. Hrsg.: Bundesamt für Umwelt nie „Permanenter TechBAFU/WSL Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenfornischer Lawinenverbau“ schung SLF Davos SLF-Richtlinie „Temporärer Lawinenverbau“
Bauanleitung Gleitschneeschutz und temporärer Stützverbau (Franz Leuenberger). Hrsg.: SLF Davos.
WSL-BUWAL-Richtlinie Richtlinie über die Typenprüfung von Schutznetzen gegen Steinschlag. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), Eidgenössische Forschungsanstalt, WSL. Bern. WSL-BUWAL-Richtlinie Richtlinie über die Typenprüfung von Schutznetzen gegen Steinschlag – Ergänzungen 2006. ETAG 27
Guideline for European technical approval of Falling rock protection Kkds, Hrsg.: EOTA.
7.5.6. Gebäudeschutz gegen Sturm (Orkan) Die Bauvorsorge gegen Wind (Sturm, Orkan) ist in der EN 1991-1-4 geregelt. In Österreich gibt es dazu zwei Anwendungsdokumente: ÖNORM B 1991-1-4 und ÖNORM B 1991-1-4 – Beiblatt 1 (Berechnungsbeispiele). Deren Anwendung soll in erster Linie Fehlern entgegenwirken, die bei der Baustoffauswahl, der statischen Nachweisführung, der Bauausführung oder bei einer unzureichenden Wartung des Gebäudes begangen werden. Die ÖNORM B 1991-1-4 definiert eine Basiswindgeschwindigkeit mit 50-jährlicher Eintrittswahrscheinlichkeit. Mit diesem Wert erfolgt unter BerückTabelle 7.10. Normenwerke zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden gegen Sturm Themengebiet
Windlasten
Europäisches Basisdokument EN 1991-1-4
Nationale Anhänge und andere nationale Umsetzungsnormen Österreich
Schweiz
Deutschland
ÖNORM B 1991-1-4
SA EN 1991-1-4; SIA 260 801
DIN EN 1991-1-4/NA
Tabelle 7.11. Normenwerke und Richtlinien mit Bezug zum Thema Sturm Bezeichnung 1
Bezeichnung 2
ÖNORM B 4119 (2010)
Planung und Ausführung von Unterdächern und Unterspannungen
ÖNORM B 3419 (2011)
Planung und Ausführung von Dacheindeckungen und Wandverkleidungen
ÖNORM B 2219 (2011)
Dachdeckerarbeiten – Werkvertragsnorm
ÖNORM B 7219 (2000)
Dachdeckerarbeiten – Verfahrensnorm
244
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes
sichtigung verschiedener Faktoren die Ermittlung des Spitzenwindgeschwindigkeitsdrucks zur Bemessung der Windwirkung auf Gebäude und Gebäudeteile. 7.5.7. Gebäudeschutz gegen Schneedruck (-last) Der Gebäudeschutz gegen Schneelasten ist in der EN 1991-1-3 geregelt. Regelungsgegenstand der Normen ist die Bemessung von Schnee- und Eislasten auf Dächer und andere Bauteile. Tabelle 7.12. Normenwerke zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden gegen Schneelast Themengebiet
Europäisches Basisdokument
Schneelasten
EN 1991-1-3
Nationale Anhänge und andere nationale Umsetzungsnormen Österreich
Schweiz
Deutschland
ÖNORM B 1991-1-3
SA EN 1991-1-3; SIA 260 801
DIN EN 1991-1-3/ NA
Einwirkungen aus kriechenden Schneedecken können der BAFU-WSL-SLFRichtlinie „Lawinenverbau im Anbruchgebiet“ [141] entnommen werden. Schutzbauwerke zur Stabilisierung von Schneedecken vor einem Gebäude können über die in Tabelle 7.9 angegebenen Richtlinien bemessen werden. 7.5.8. Gebäudeschutz gegen Blitzschlag und Brand Maßnahmen des Gebäudeschutzes gegen Blitzschlag sind in der Normenreihe ÖVE/ÖNORM EN 62 305 Teil 1 bis Teil 4 und ÖVE/ÖNORM E8049-1: 2001 geregelt und dienen sowohl dem Brandschutz (Folgebrand bei Blitzschlag) als auch dem Schutz elektronischer Anlagen. Gesetzliche Grundlagen und gültige Regeln der Technik sehen vor, dass in Österreich bei Objekten gemäß OIB RL 4 der Klasse 3 und 4 Blitzschutzsysteme zu errichten sind. Objekte der Klasse R1 bzw. R2 sind aus gesetzlicher Sicht nicht zwingend mit Blitzschutzanlagen auszustatten. Bei Gebäuden dieser Risikoklasse handelt es sich bevorzugt um Einfamilienhäuser und Doppelhäuser. Unabhängig von gesetzlichen Vorschriften ist ein Schutz gegen die Wirkungen von atmosphärischen Entladungen nur durch die Errichtung eines Blitzschutzsystems zu erreichen. Die Anforderungen für die Integration eines Blitzschutzsystems unter Betrachtung des Blitzeinschlagrisikos sind in der ÖVE/ÖNORM E 8049-1 und der Normenreihe ÖVE/ÖNORM EN 62 305 Teil 1 bis Teil 4 enthalten. Aus diesem Grund sind in den einschlägigen Elektrotechniknormen (ÖVE) zahlreiche weitere Bestimmungen zur Absicherung elektronischer Anlagen und Sonderbauwerke (Sendeanlagen, Masten, Antennen, Leitungen) gegen Blitzschlag enthalten. Maßgeblich ist auch die Elektrotechnikverordnung (ETV), welche die normungstechnischen Grundlagen (SNT-Vorschriften) für verbindlich erklärt. Blitzschutzanlagen müssen daher nach den ÖVE-Vorschriften errichtet und instandgehalten werden. Die ÖVE-Vorschriften auf dem Gebiet des Blitzschutzes besitzen somit „Gesetzeskraft“ (siehe Kapitel 7.3).
245
Florian Rudolf-Miklau et al.
Tabelle 7.13. Normenwerke für Blitzschutz und zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden gegen Brand Themengebiet
Bezeichnung
Blitzschutz Blitzschutz – Teil 1: Allgemeine Grundsätze
ÖVE/ÖNORM EN 62 305-1
Blitzschutz – Teil 3: Schutz von baulichen Anlagen und Personen
ÖVE/ÖNORM EN 62 305-3
Blitzschutz – Teil 4 Elektrische und elektronische Systeme in baulichen Anlagen
ÖVE/ÖNORM EN 62 305-4
Blitzschutz baulicher Anlagen – allgemeine Grundsätze
ÖVE/ÖNORM E 8049-1
Errichtung von elektrischen Anlagen mit Nennspannungen bis ~ 1 000 V und 1 500 V – Teil 1 Begriffe und Schutz gegen elektrischen Schlag
ÖVE/ÖNORM E 8001-1
Errichtung von elektrischen Anlagen mit Nennspannungen bis ~ 1 000 V und 1 500 V – Teil 1 Begriffe und Schutz gegen elektrischen Schlag
ÖVE/ÖNORM E 8001-1/A1
Errichtung von elektrischen Anlagen mit Nennspannungen bis ~ 1 000 V und 1 500 V – Teil 1 Begriffe und Schutz gegen elektrischen Schlag
ÖVE/ÖNORM E 8001-1 A2
Prüfbericht Stoßspannungs- und Blitzstromuntersuchungen an einer Glaskonstruktion
Universität der Bundeswehr München Fakultät für Elektrotechnik
Blitzschutzbauteile Teil 1: Anforderungen an Verbindungsbauteile
EN 50 164-1
Blitzschutzbauteile Teil 2: Anforderungen an Leitungen und Erder
EN 50 164-2
Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit
OIB RL 4 (2007)
Blitzschutz baulicher Anlagen – Teil 1: Allgemeine Grundsätze
ÖVE/ÖNORM E 8049-1
Blitzschutzanlagen; Anordnung von Bauteilen und Montagemaße; ÖNORM E 2980 Ausführungsbeispiele Elektroinstallationen – Bauliche Vorkehrungen für Blitzschutzan- ÖNORM B 5436 lagen Brandschutz Vorhangfassaden Produktnorm
DIN EN 13 830
Gebäude mit besonderen brandschutztechnischen Anforderungen ONR 22 000 (Hochhäuser) Technische Richtlinien für den vorbeugenden Brandschutz
TRVB E 154
Brandeinwirkungen auf Tragwerke
EN 1991-1-2 ÖNORM B 1991-1-2
Tragwerke aus Stahlbeton – Tragwerksbemessung für den Brandfall
EN 1992-1-2 ÖNORM B 1992-1-2
Tragwerke aus Stahl – Tragwerksbemessung für den Brandfall
EN 1993-1-2 ÖNORM B 1993-1-2
Tragwerke aus Holz – Tragwerksbemessung für den Brandfall
EN 1995-1-2 ÖNORM B 1995-1-2
246
7. Rechtliche und technische Normen des Gebäudeschutzes
Die an Gebäude gestellten Anforderungen für die Sicherheit gegen Brand können in die Bereiche „Baulicher Brandschutz“, „Betriebstechnischer Brandschutz“ und „Betrieblicher Brandschutz“ unterteilt werden. Die maximal zulässige Brandabschnittsfläche ist in den Baugesetzen unterschiedlich geregelt. Grundsätze zum bautechnischen Brandschutz, Brandmeldeanlagen sowie zur Gestaltung von Flucht- und Rettungswegen sind in der OIB Richtlinie 2 „Brandschutz“ festgelegt. Die ONR 22 000 enthält diesbezügliche Bestimmungen über den Brandschutz in Hochhäusern. Die bautechnische Bemessung von Bauwerken für den Brandfall ist in folgenden Normen geregelt: EN 1992-1-2, ÖNORM B 1992-1-2 (Stahlbeton); EN 1993-1-2, ÖNORM B 1993-1-2 (Stahl); EN 1995-1-2, ÖNORM B 1995-1-2 (Holz).
247
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Jürgen Suda, Markus Holub, Wolfgang Jaritz, Johannes Hübl, Ulla Ertl-Balga, Florian Rudolf-Miklau, Hans Starl, Thomas Zimmermann
8.1. Entwurfsgrundsätze und Planungsprozess 8.1.1. Schutzkonzepte Wenn die Ziele der Bauvorsorge nicht durch eine sichere Baulandentwicklung (siehe Kapitel 6.5) allein erreicht werden können, sind Schutzmaßnahmen zu planen und auszuführen, die dazu beitragen, die Robustheit von Gebäuden gegenüber Einwirkungen durch Naturgefahren zu erhöhen und deren Schadensanfälligkeit zu reduzieren. Für das einzelne Bauvorhaben bedeutet dies, dass eine Gefährdung des Bauplatzes (Bauwerksstandortes) durch Naturgefahren besteht, welche durch Gebäudeschutzmaßnahmen mit technisch und wirtschaft lich vertretbarem Aufwand – einschließlich ergänzender organisatorischer Schutzmaßnahmen – auf ein akzeptables (zumutbares) Ausmaß gesenkt werden kann. Die höchste Priorität hat dabei das Ziel der Sicherheit von Personen innerhalb des Gebäudes. Grundsätzlich stehen folgende Konzepte zum Schutz von Bauwerken in gefährdeten Bereichen zur Auswahl: • Schutzbauwerke, die der Auslösung oder Wirkung der Naturgefahrenprozesse entgegenwirken (z. B. technischer Hochwasserschutz, Lawinenverbauung)1 • Schutzmaßnahmen am Gebäude (Kapitel 9) • Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude (Kapitel 10) • Gefahrenangepasste Nutzungskonzepte (Kapitel 12.2) • Sicherheits- und Notfallplanung für den Ereignisfall (Kapitel 12.3) • Sofortmaßnahmen für den Ereignisfall (Kapitel 12.4) In der Regel wird eine Kombination (siehe Kapitel 1.2) der o. a. Maßnahmen eingesetzt; die Kombination von planerischen Maßnahmen zur Herstellung der Bauplatzsicherheit, technischen Gebäudeschutzmaßnahmen sowie gefahrenangepassten Nutzungskonzepten (einschließlich Notfallplanung) stellt sicherlich das effizienteste Schutzkonzept der Bauvorsorge dar.
1
Diese Maßnahmen sind nicht Gegenstand dieses Handbuches, es wird daher auf die jeweils einschlägige Fachliteratur verwiesen z.B. [20] [226]. 249
Jürgen Suda et al.
8.1.2. Auswahlkriterien für Gebäudeschutzmaßnahmen Der Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen setzt voraus, den Anwendungsbereich, die Wirkung, die Zulässigkeit und die Grenzen der einzelnen Maßnahmen beschreiben zu können. Folgende Kriterien sind dafür maßgeblich: • Gefährdungs- und Einwirkungsprozess (Ursache, Häufigkeit, Intensität, Art und Dauer der Einwirkung) • Vorhersehbarkeit und Vorwarnzeit • Nutzung des Bauwerks • Status des Bauwerks: Neubau oder Bestand • Verletzlichkeit des Bauwerks, bauwerksspezifische Sicherheitsanforderungen • Konstruktion, Bauweise und verwendete Baumaterialien • Art und Dauer der Wirkung (permanent, temporär) der gewählten Schutzmaßnahme • Lage der konstruktiven Maßnahme (direkt am oder vor dem Gebäude) • Vereinbarkeit der Schutzmaßnahme mit dem Planungsziel des Bauherren, mit den architektonischen und konstruktiven Konzepten (Anforderungen), mit der ortsüblichen Bauweise und mit der Landschaftsbezogenheit • Wirtschaft lichkeit und rechtliche Zulässigkeit der Maßnahme • Möglichkeit der Anpassung des Nutzungskonzeptes und Sicherheitsplanung (Notfallplanung) Naturgefahrenprozesse unterteilen sich grundsätzlich in jene mit vermeidbarer und solche mit unvermeidbarer Schadenswirkung, analog dazu ist zwischen Einwirkungen auf Gebäude zu unterscheiden, gegen die Gebäudeschutzmaßnahmen (mit technisch und wirtschaft lich verhältnismäßigem Aufwand) möglich bzw. unmöglich sind. Die Anwendungsmöglichkeit von Gebäudeschutzmaßnahmen hängt maßgeblich von Häufigkeit, Intensität und Dauer der Prozesseinwirkung (siehe Kapitel 2) ab, allgemeine Grenzwerte für einzelne Prozesse oder Maßnahmen können jedoch nur teilweise angegeben werden. Im Einzelfall hängt die Auswahl der Maßnahmen – neben den physikalischen Kriterien – auch von den baurechtlichen Rahmenbedingungen (Kapitel 6.5 und 7) und den Wirtschafts- und Sicherheitszielen der Bauherren ab. Ein weiteres maßgebliches Kriterium für die Auswahl von Gebäudeschutzmaßnahmen ist die Vorhersehbarkeit 2 von Naturgefahrenereignissen. Diese hängt von der Vorwarnzeit, also der Zeit zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem Eintritt des Ereignisses, ab. Schnell ablaufende Prozesse haben in der Regel auch kurze Vorwarnzeiten, einige der in Österreich auftretenden Naturgefahren treten praktisch ohne Vorwarnzeit ein (z. B. Erdbeben, Muren, Steinschlag) (Abb. 8.1). Bei kurzen Vorwarnzeiten können nur permanente, fest installierte Gebäudeschutzmaßnahmen eingesetzt werden. Temporäre Schutzsysteme (z. B. mobiler Hochwasserschutz) und Sofortmaßnahmen sind nur bei Naturgefahren mit längerer Vorwarnzeit einsetzbar, da diese Maßnahmen bei drohenden Ereignissen erst auf2
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Die Vorhersehbarkeit ist die Wahrscheinlichkeit, mit der der Eintritt eines Naturereignisses (bzw. einer Katastrophe) vorausgesagt werden kann.
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.1. Vorhersehbarkeit und Vorwarnzeit von Naturgefahren; nach [224]
gebaut werden müssen. Für deren Einsatz sind ein funktionierendes Warnsystem (z. B. Hochwasserwarnung) sowie ein Alarmplan und Einsatzkräfte, die über die erforderlichen Organisationsstrukturen, Geräte und Kommunikationeinrichtungen verfügen, Voraussetzung. 8.1.3. Planungsprozess des Gebäudeschutzes Die Planung von Gebäudeschutzmaßnahmen ist ein wesentlicher Bestandteil der Grundlagen- und Entwurfsplanung von Bauwerken. Bei hohem Gefahrenpotential kann das Schutzkonzept entscheidend für die Umsetzbarkeit und Wirtschaft lichkeit eines Bauprojektes sein. Die grundlegende Klärung der Bauplatzeignung und Bauplatzsicherheit (siehe Kapitel 6.5.3.2) zählt daher zu den ersten Planungsschritten des Bauherren und des mit der Planung beauftragten Architekten oder Ingenieurkonsulenten. Es gilt der Grundsatz: Der Entwurf und die Konstruktion des Gebäudes haben sich am Ausmaß der Gefährdung und an den in Frage kommenden Gebäudeschutzmaßnahmen zu orientieren, wobei auf eine höchstmögliche Vereinbarkeit des Schutzkonzepts mit dem allgemeinen Nutzungszweck des Bauwerkes abzustellen ist. Eine nachträgliche Adaption eines abgeschlossenen Bauentwurfes für Gebäudeschutzmaßnahmen ist hingegen nur bei geringer Bedrohung durch Naturgefahren zweckmäßig. Nichtsdestotrotz werden in der Baupraxis Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit Naturgefahren häufig erst in einer späten Phase des Planungsprozesses berücksichtigt, was in der Regel zu erheblichen Mehrkosten für den Bauherren führt, da bestehende Konzepte geändert werden müssen. Es ist daher zweckmäßig und wirtschaft lich, den Aspekt des Gebäudeschutzes bereits von Anfang an in den Planungsprozess zu integrieren. In Abb. 8.2 ist dargestellt, in welchen Phasen des Planungsprozess Gebäudeschutzmaßnahmen berücksichtigt werden können. Am Beginn dieser Sicherheitsplanung steht die grundsätzliche Prüfung der Umsetzbarkeit des Bauprojektes gemessen am Gefahrenpotenzial sowie der Wirt251
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Abb. 8.2. Genereller Planungsprozess eines Gebäudeschutzes (© Jürgen Suda/Florian RudolfMiklau)
schaft lichkeit von Gebäudeschutzmaßnahmen. Diese Prüfung erfolgt bei Neubauten schon in der Entwurfsplanung, in der Praxis meist jedoch im Rahmen des Raumordnungs- oder Bauverfahrens (siehe Kapitel 6.5) unter Einbindung eines 252
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Sachverständigen für Naturgefahren. Für den Baubestand und bewilligungsfreie Bauwerke liegt diese Prüfung in der autonomen Veranlassung des Bauherrn. Der Naturgefahrenexperte erstattet ein Gutachten über die Bauplatz-/Bauwerks-spezifischen Gefahrenszenarien und Gefahrenbilder in der Regel auf Grundlage der Gefahrenzonenkarten und -pläne (siehe Kapitel 5). Weiters schlägt er in Abstimmung mit dem Bauherrn oder Architekten ein Schutzkonzept vor und legt (als Grundlage der Bemessung) die Art, Größenordnung, Dauer und Verteilung der Lasteinwirkungen auf das Bauwerk sowie die maßgeblichen Einwirkungskombinationen fest. Diese Festlegungen sollten schon in der Phase des Vorentwurfes erfolgen, um eine Vorbemessung des Bauwerks durchführen zu können. Diese Vorgehensweise bildet sich auch im baurechtlichen Verfahren (siehe Kapitel 6.5.3) ab, welches nach dem Grundsatz der Minimierung der Gefährdung für die menschliche Gesundheit, von Sachwerten und kulturellen Gütern gestaltet ist. Primär ist es aber im eigenen Interesse der Bauherren gelegen, die Sicherheit eines Bauprojektes vor Naturgefahren zu optimieren und die Grundsätze des Gebäudeschutzes in den Planungsprozess zu integrieren (Ablaufschema siehe Abb. 8.2). 8.2. Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Überflutung Maßnahmen bei Überflutung (Gefährdungsbild 1 a,b; Tabelle 3.2) müssen die Standsicherheit der Gebäude gegen hydrostatische (-dynamische) Kräfte, den Anprall von Feststoffen (Gefährdungsbild 3; Tabelle 3.2), den Auftriebsbruch und den Erosionsbruch (Gefährdungsbild 4 a,b; Tabelle 3.2) sicherstellen sowie das Eindringen von Wasser in das Gebäudeinnere verhindern. Falls dies nicht möglich ist, soll das Schadenspotential durch eindringendes Wasser und Feststoffe durch Maßnahmen im Innenraum so gering wie möglich gehalten werden. 8.2.1. Anforderungen an den generellen Entwurf Überflutungen treten flächig auf und sind stark von der Geländestruktur abhängig. Ziel ist daher primär die möglichst schadlose Ab- und Vorbeileitung des Hochwassers am Gebäude, ohne dadurch nachteilige Folgen für Unterlieger zu bewirken. Bei der Erstellung von Bebauungsplänen sind für diesen Zweck die günstigen topographischen Gegebenheiten des Grundstückes bei der Standortwahl und Festlegung der Baufluchtlinien zu berücksichtigen. Folgende Kriterien sind bei der Gestaltung des Bauplatzes zu beachten, um einen direkten Wasserzutritt (Anströmung) zum Baukörper weitgehend zu vermeiden: • Geländegestaltung in einer Form, dass ein möglichst ungehinderter Hochwasserabfluss sichergestellt und Rückstau (stehende Überflutung, abflusslose Senken) vermieden wird; Vermeidung von Bauplätzen in Geländesenken oder entlang alter Abflussrinnen, Freihaltung der Abflussflächen und -korridore von abflusshemmenden Bauwerken (Einfriedungen, Nebengebäude, Mauern) und Bepflanzungen (Hecken, Bäume) • Wahl trockener Bauplätze: Vermeidung von Zonen mit Grundwasserhochstand, Entwässerung vernässter Flächen (Hänge), Oberflächenentwässerung • Geländeneigung vom Gebäude abfallend, insbesondere im Bereich von Türen, Kelleröffnungen, Garagentoren und Einfahrten in Tiefgaragen 253
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• Einhaltung von Sicherheitsabständen zu Fließgewässern und Freihaltung von Betreuungsstreifen • Bauplatzwahl oberhalb der Hochwassermarke stehender Gewässer • Versickerungsfördernde Flächengestaltung: Vermeidung von Flächenversiegelung (Hartflächen), wasserdurchlässige Oberflächen (z. B. Gittersteine, Kiesflächen, Grünflächen), Kompensationsmaßnahmen (Sickerschächte, Kleinretentionen) • Überflutungssichere Gartengestaltung Wenn der direkte Hochwasserzutritt zum Gebäude nicht verhindert werden kann, sind Schutzmaßnahmen vor oder am Gebäude zu ergreifen, welche die Einwirkungen auf den Baukörper und deren Folgen möglichst gering halten: • Auftriebssichere Bauweise • Verstärkung des Gebäudes gegen den Anprall von festen Komponenten und die Auflast von Feststoffablagerungen • Anordnung von Nebengebäuden und untergeordneten Bauwerksteilen an der gefahrenzugewandten Seite (Pufferwirkung) • Wahl einer strömungstechnisch günstigen Bauform, möglichst geringe Angriffsfläche in Anströmrichtung • Freihaltung der erforderlichen Flächen für Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude (siehe Kapitel 10) Ebenso können Maßnahmen direkt am Gebäude ergriffen werden, die den Eintritt von Wasser und Feststoffen in das Gebäudeinnere verhindern: • Lage der Fußbodenoberkante von Wohnräumen und Gebäudeöffnungen (Türen, Fenster) über einem bestimmte Hochwasserniveau (siehe Kapitel 7.4.2); Anordnung von Türen und Tiefgarageneinfahren an der strömungsabgewandten Gebäudeseite (im Strömungsschatten); • Ausführung einer wasserdichten Kellerwanne; • Einführung der Trink-, Schmutz- und Regenwasserleitung in das Gebäude gemäß ÖN B 2209 mit Abdichtungen gegen drückendes und/oder nicht drückendes Wasser; Vermeidung von Wasserrückstau aus dem Kanalnetz Wenn der Eintritt von Hochwasser und Feststoffen in das Gebäudeinnere trotzdem nicht ausgeschlossen werden kann, sind folgende Vorkehrung zu treffen, um den Schaden durch Gebäudeüberflutung möglichst gering zu halten: • Anordnung ausschließlich untergeordneter Räume im Kellergeschoss (keine Heiz- und Lagerräume, keine sonstigen Räume mit hochwertiger Einrichtung, keine Maschinenräume) • Installation von Heizungsanlagen im Obergeschoss (über Hochwasserniveau), nicht in überflutungsgefährdeten Kellerräumen • Sicherung von Öltanks gegen Aufschwimmen, Vermeidung der Lagerung von Pellets in überflutungsgefährdeten Kellerräumen • Anordnung von Hausanschlüssen und elektrischen Verteilerkästen über Hochwasserniveau, überflutungssichere Ausbildung von Elektroleitungen unter Hochwasserniveau 254
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
• Verwendung wasserbeständiger oder -unempfindlicher Baustoffe • Ausreichend dimensionierte Zugänge zu Lager- und Kellerräumen, um eine rasche Räumung bei drohender Überflutung zu gewährleisten 8.2.2. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen die Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes Gefahren für die Standsicherheit des Gebäudes resultieren in erster Linie aus dem Auftrieb auf die Bodenplatte. Bei strömendem Hochwasserabfluss kommen der Anprall von schwimmenden Komponenten, Erosion im Fundamentbereich und Feststoffablagerungen vor dem Haus oder im Gebäude hinzu. Auftrieb kann zu einem Auftriebsbruch des Gebäudes führen. Für Gebäude im Überflutungsbereich muss eine ausreichende Auftriebssicherheit (UPL-Grenzzustand) laut Kapitel 11 nachgewiesen werden. Niedrige Häuser mit wasserundurchlässiger Hülle erfüllen diese Anforderung oft nicht. In diesem Fall muss das Eigengewicht des Gebäudes konstruktiv entsprechend erhöht werden. Stabilisierend wirken dick ausgeführte (mit hohem Eigengewicht) oder verankerte Bodenplatten (Abb. 8.3). Öltanks und Tiefgaragen, aber auch Gebäudefundamente können mittels Bodenanker im Baugrund rückverankert werden. Bei der Berechnung von Verankerungsdimensionen muss vom ungünstigsten Fall ausgegangen werden (leerer Tank). Weiters kann durch Überschüttung von Bauteilen eine höhere Auftriebssicherheit erzielt werden. Eine Sonderschutzmaßnahme ist die Anordnung einer Wasserhaltung. Hier wird zusätzlich zur Kellerwanne eine umlaufende Dichtung (Spund- oder Schlitzwand) hergestellt, die den Grundwasserzustrom bremst. Durch Abpumpen von Wasser wird die Auftriebskraft reduziert.
Abb. 8.3. Konstruktive Maßnahmen gegen den Verlust der Standsicherheit 255
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Der Anprall von groben Komponenten kann Außenwände beschädigen. Gegen die Beschädigung bzw. Zerstörung können die folgenden Maßnahmen ergriffen werden (siehe Abb. 8.3): • Verstärkte Ausführung der Außenwände, vor allem der Prallwand (siehe Kapitel 9.3): Bestehende Außenwände können durch Vorsatzschalen aus Stahlbeton verstärkt werden. • Vorbau von Schutz- und Abweismauern • Verstärkte Ausführung von freistehenden Stützen von Dachkonstruktionen oder Balkonen (entweder zur Gänze oder zumindest im unteren Bereich in Stahlbeton) (Abb. 8.4 A) • Verstärkung von direkt beanspruchten Leitungen mittels Vormauerung oder widerstandsfähiger Rohre (Abb. 8.4 B) Durch Erosion kann die Tragfähigkeit der Fundamente reduziert werden. Zum Schutz vor Freilegung und Unterspülung der Fundamente können folgende Maßnahmen ergriffen werden: • Ausführung von Platten- oder Trägerrostfundamenten (diese können eine teilweise Unterspülungen durch Kräfteumlagerung besser kompensieren als Streifen- und Punktfundamente) • Bei ufernahen Gebäuden: Ausführung der Fundierung mindestens 1,0 m tiefer als die zu erwartende lokale Erosionsbasis; Sicherung der Uferböschung vor dem Gebäude mittels Ufermauer oder Grobsteinschlichtung
Abb. 8.4. Teilweise verstärkte Einbauten: (A) Im unteren Bereich in Stahlbeton ausgeführte Dachstütze (© BOKU); (B) im unteren Bereich mit einem Rohr verstärkte Dachrinne und erhöhter Eingangsbereich (© WLV)
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8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
• Erhöhung des Erosionswiderstandes in kritischen Bereichen (siehe Kapitel 10.7) Durch Feststoffablagerungen auf Geschossdecken (im Gebäude) oder auf Dächern können die Deckenkonstruktionen überlastet werden. Dies ist auch für Tiefgaragen und nicht überbaute Keller relevant. Dieser Gefahr kann nur durch eine Bemessung der Decken auf das Gewicht dieser Ablagerungen begegnet werden. Die Tragfähigkeit von Deckensystemen kann generell durch folgende Maßnahmen erhöht werden: • Ausführung der Geschossdecken aus Stahlbeton oder Stahlkonstruktionen • Verringerung der Spannweiten der Deckenelemente durch Unterzüge, Mauern oder Stützen (Flachdecke) • Berücksichtigung von entsprechenden Lastfällen bei der Bemessung der Decken 8.2.3. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen Wassereintritt in das Gebäude Wassereintritt lässt sich grundsätzlich durch Ausweichen aus dem Überschwemmungsbereich, eine erhöhten Bauweise oder eine wasserdichte Gebäudehülle vermeiden (Abb. 8.5). Alle drei Schutzkonzepte unterstellen, dass der Baukörper bis zum Hochwasserniveau gegen Wassereintritt in das Gebäudeinnere gesichert ist. Das Konzept des Ausweichens aus dem Überschwemmungsbereich ist eine planerische Maßnahme und wird in der Regel bereits im Raumordnungsverfahren (siehe Kapitel 6.4.1) oder bei der Festlegung der Bauplatzsicherheit (siehe Kapitel 6.5.3.2) behandelt.
Abb. 8.5. Konzepte zur Vermeidung von Wassereintritt: (A) wasserdichte Gebäudehülle (wasserdichter Keller oder Verzicht auf Keller); (B) erhöhte Bauweisen; (C) Ausweichen (© Jürgen Suda)
8.2.3.1. Erhöhte Bauweise Bei der erhöhten Bauweise werden das gesamte Gebäude oder zumindest die wichtigen Räume über dem Hochwasserniveau errichtet. Dabei sind die jeweiligen Bebauungsbestimmungen (z. B. Traufenhöhen) zu beachten.
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Abb. 8.6. Erhöhte Bauweise: (A) flutbares Erdgeschoss oder flutbarer Keller; (B) aufgeständerte Bauweise; (C) Anschüttung; (D) erhöhter Sockel
Zur Herstellung einer erhöhten Bauweise bestehen folgende Alternativen: • Plangemäß flutbare Überschwemmungsgeschosse (Abb. 8.6 A) • Anheben des gesamten Baukörpers – Sockelbauweise: Anhebung der Fußbodenoberkante des untersten Geschosses über die Hochwassermarke und Verzicht auf das Kellergeschoss (Abb. 8.6 D) – Aufgeständerte Bauweise: Hochwasser kann ungehindert unter dem Bauwerk durchfließen (Abb. 8.6 B) – Errichtung des Gebäudes auf einer Anschüttung (Abb. 8.6 C und Abb. 8.7)
Abb. 8.7. Beispiel erhöhte Bauweise: Gebäude, das durch Geländeanschüttung aus dem Hochwassereinflussbereich gehoben wurde (© WLV)
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8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.8. Beispiel erhöhte Bauweise: Gebäude, das durch Aufständerung aus dem Hochwassereinflussbereich gehoben wurde (© Jürgen Suda)
8.2.3.2. Wasserdichte Bauweise Bei einer wasserdichten Bauweise werden der Keller und die Gebäudehülle wasserdicht ausgeführt. Die wasserdichte Bauweise muss bis über die Hochwassermarke (zuzüglich eines Freibordes von mind. 0,5 m) beibehalten werden. Eine Verdrängung von Wasservolumen durch bauliche Einrichtungen in Gebieten mit Grundwasserhochstand oder Überflutungsgefahr darf allerdings nur punktuell vorgenommen werden. Konkret wird eine wasserdichte Bauweise durch folgende Maßnahmen erzielt (Abb. 8.9): • Ausführung von Kellergeschossen als wasserdichte Wanne: Die Abdichtung der restlichen Gebäudehülle kann mittels einer vorgesetzten Bitumenschicht erfolgen. • Wasserdichte Ausbildung der Bauwerksfugen (z. B. Anschluss Fundamentplatte/ aufgehendes Mauerwerk) • Einbau von ausreichend dimensionierten Entwässerungseinrichtungen in die Bodenplatte (zur Aufnahme von Sicker- oder Leckwasser): Als Entwässerungseinrichtung eignen sich Bodenabläufe oder Pumpensümpfe. In Maschinenräumen ist ein Pumpensumpf einzuplanen, um das abzupumpende Wasser über die Druckebene heben zu können. • Herstellung des Kellerbodens mit ausreichendem Gefälle (ca. 2 %) zu den Entwässerungseinrichtungen • Ausstattung von Bodenabläufen und Kanalleitungen mit Rückstausicherungen (Vermeidung des Eindringens von Abwasser aus dem öffentlichen Kanalsystem) (Abb. 8.9 A) (siehe dazu Kapitel 9.4.3) • Verwendung geeigneter Baumaterialien (siehe dazu Kapitel 9.7). Gebäudeöffnungen – z. B. Kellerfenster, Lüftungsschächte oder Kellereingänge –, die unter der Geländeoberfläche liegen, sind besonders gefährdet. Prinzipiell müssen alle Öffnungen bis zur Höhe des Bemessungshochwasserabflusses (zuzüglich
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Abb. 8.9. Wasserdichte Bauweise: (A) Schnitt durch Gebäude mit wasserdichtem Keller und abgedichteten Öff nungen; (B) Abdichtung von Zugängen unter Niveau mittels Erhöhung der Treppe; (C) Abdichtung von Zugängen unter Niveau mittels Hochwassertors
eines Freibordes von mind. 0,5 m) wasserdicht ausgeführt werden. Dafür stehen folgende Möglichkeiten zur Auswahl: • Wasserdichte Ausführung der Kellerlichtschächte (siehe Kapitel 9.5.1.1). • Einbau von wasserdichten Fenstern (siehe Kapitel 9.5.1.2). • Einbau von wasserdichten Türen oder zusätzlichen Hochwasserschutztoren (siehe Kapitel 9.5.1.2). • Verlängerung der Entlüftungsleitungen aus dem Keller über die Höhe des Bemessungshochwasserabflusses (Abb. 8.11 A). • Wasserdichte Ausführung von Leitungsdurchführungen (siehe dazu Kapitel 9.4.2): Sicherungen gegen Wassereintritt durch Rückstau aus dem Kanalnetz (siehe Kapitel 9.4.3) • Schutz der Kellerabgänge gegen Wassereintritt mittels vorgebauten Stufenpodests (Abb. 8.9 B und Abb. 8.11 B) • Schutz der Einfahrten zu Tiefgaragen gegen Wassereintritt mittels schwenkbaren Hochwasserschutztoren (Abb. 8.9 C und Abb. 8.10) 260
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.10. Beispiel wasserdichte Bauweise: Hochwasserschutztor (© WLV)
Abb. 8.11. Wasserdichte Bauweise: (A) Über die Fließhöhe des Hochwassers gezogenes Entlüftungsrohr; (B) Stufenpodest bei Kellerabgang (© IAN)
8.2.4. Vorkehrungen gegen Schäden im Innenraum und an der Haustechnik In planmäßig flutbaren Geschossen oder in Geschossen, deren Überflutung trotz Schutzmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden kann, sind im Innenraum und an der Haustechnik Vorkehrungen zu treffen, die das Schadausmaß bei Wassereintritt deutlich reduzieren. Die wichtigste Maßnahme stellt die Verwendung wasserbeständiger oder -unempfindlicher Baustoffe dar; wasserlösliche und quellfähige Materialien sind beim Innenausbau generell zu vermeiden. Im Detail ist Folgendes zu beachten: • Vermeidung schwimmend verlegter Estriche (Trockenestrich) (wegen Gefahr des Aufschwimmens) • Verwendung von Betonestrich: Fließestriche neigen auf Grund ihres hohen Gipsanteiles zum Quellen. • Verwendung von wasserbeständigen Dämmmaterialien (z. B. Hartschaumstoff, XPS) • Vermeidung von wasserlöslichen Klebern zwischen Rohboden und Bodenbelag • Wasserunempfindlicher Innenausbau mit Fliesen und mineralischem Putz
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• Vermeidung von Leichtbauwänden • Bevorzugter Einbau von Fenstern aus Aluminium oder Kunststoff: Die Verwendung von Holzfenstern ist ebenfalls möglich, für gute Austrocknung mit ausreichender Belüftung muss jedoch gesorgt sein. Heizungsanlagen und Öltanks sind, wenn möglich, außerhalb der Überschwemmungszone anzuordnen. Wenn dies nicht möglich ist, sind die folgenden Maßnahmen zu setzen: • Gas- oder Holzheizung statt Ölheizung: Im Falle einer Leckage werden weniger Schäden durch Verschmutzung (Geruchsbelästigung) der Innenräume und weniger Umweltschäden verursacht. • Auftriebssichere Verankerung von Tanks: Sicherung von Erdtanks durch Überschüttung, mittels einer abdeckenden Betonplatte oder durch Verankerung mit Stahlbändern in einer Betonfundamentplatte. Öltanks in geschlossenen Räumen können mittels Verankerung im Boden oder Abstützung zur Decke (unter Berücksichtigung einer Drehbewegung) gegen Auftrieb und Kippen gesichert werden. • Absperrbare Zuflussleitung zum Brenner: Anordnung eines Ventils bzw. Absperrhahns • Führung von Entlüftungsleitungen und -schächten über Hochwasserniveau (Abb. 8.11 A) (Verankerung auf gesamter Länge) • Verschließbare Ausführung von Befüllanschlüssen von Öl- oder Pellet-Tanks Um die Schäden an der Elektroinstallation zu reduzieren, stehen folgende Möglichkeiten zur Auswahl: • Anordnung von Hauptschalter, Mess-, Verteil- und Regeleinrichtungen oberhalb des Hochwasserniveaus • Getrennte Leitungsführung zur Versorgung von Gebäudeteilen innerhalb bzw. außerhalb der Überschwemmungszone: Elektroinstallationen in überflutbaren Räumen sind mit einem Notschalter von der übrigen Installation zu trennen. Diese sollen über einen eigenen Fehlerstromschutzschalter (FI) verfügen. (Es ist auch möglich, eine automatische Netzabtrennung von Verteilungsleitungen im Überflutungsbereich zu installieren, welche sich aktiviert, sobald sich Wasser am Boden dieser Räume ansammelt.) • Installation von Steckdosen und Schaltern über Hochwasserniveau • Einrichtung einer netzunabhängigen Notstrombeleuchtung [56]: Maßnahme in großen (öffentlichen) Gebäudekomplexen, aus welchen im Katastrophenfall zahlreiche Personen oder Sachgüter evakuiert werden müssen. Die aufgezählten Maßnahmen gelten analog für die Gasversorgung eines Gebäudes. Die Einführung der Trinkwasser-, Schmutz- und Regenwasserleitung in das Gebäude muss gemäß ÖN B 2209 mit Abdichtungen gegen drückendes und/oder nicht drückendes Wasser ausgeführt werden (siehe Kapitel 9.4.2). Zur Vermeidung von Wasserrückstau aus dem Kanalnetz sind Rückstauverschlüsse anzuordnen (siehe Kapitel 9.4.3). Zur Aufrechterhaltung der Trinkwasserversorgung sind nach [56] 262
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Filter in der Hauptwasserleitung über Hochwasserniveau anzuordnen. Dadurch wird eine dauerhafte Zugänglichkeit zur Beseitigung allfälliger Funktionsstörungen gewährleistet. 8.2.5. Hochwasserangepasste Konstruktionen Nach [75] gelten für die Auswahl der Konstruktion – je nach Bauweise (Massivoder Holzbauweise) – unterschiedliche Kriterien. Für Gebäude in Massivbauweise ist Folgendes zu beachten: • Hohlraumfreie Ausführung von tragenden Konstruktionen (um ein rasches Austrocknen nach einem Hochwasserereignis zu gewährleisten) • Vermeidung hinterläufiger Wärmedämmung (Vermeidung von Druck- bzw. Stauwasser) • Kellergeschosse in Massivbauweise: Ausführung als „schwarze“, „weiße“ oder „braune Wanne“ (siehe Kapitel 9.4.1.3) • Stoßfeste Ausführung der äußeren Gebäudeoberfläche (gegen mechanische Beschädigung), zumindest unter Hochwasserniveau Generell wird empfohlen, Massivholz- und Holzleichtbauweisen in hochwassergefährdeten Gebieten, wenn möglich, zu vermeiden. Sofern trotzdem eine Ausführung in Holzbauweise erfolgen soll, sind folgende Vorkehrungen erforderlich, die ein rasches Austrocknen nach Überflutung gewährleisten: • Anordnung von Fußpfetten auf einem Betonsockel über der Fußbodenkonstruktion • Einbau einer wasserbeständigen Wärmedämmung zwischen der tragenden Holzständerkonstruktion • Horizontale Schalung der äußeren Gebäudeoberfläche (um nach Überflutung einen teilweisen Austausch des unteren Verschalungsteils zu ermöglichen) Bei Leichtbauweisen gilt generell, dass in hochwassergefährdeten Gebieten nur Bauweisen zum Einsatz kommen sollten, die ein rasches und unkompliziertes Zerlegen der Baukonstruktion ermöglichen. 8.2.6. Temporäre konstruktive Schutzmaßnahmen (Sofortmaßnahmen) Die im vorangegangenen Abschnitt dargestellten, permanenten konstruktiven Maßnahmen werden oft mit temporären konstruktiven Schutzmaßnahmen kombiniert. Diese können in den meisten Fällen auch bei bestehenden Gebäuden nachgerüstet werden, um das Schadensausmaß zu reduzieren. Die Wirksamkeit von temporären Maßnahmen soll nur während der Dauer des Ereignisses bestehen und ist daher von der Vorhersehbarkeit und Länge der Vorwarnzeit abhängig (siehe Kapitel 8.1.2), da diese Systeme erst aufgebaut werden müssen. Prinzipiell unterscheidet man zwischen den mobilen vorgefertigten Systemen und den behelfsmäßigen Sofortmaßnahmen.
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Abb. 8.12. Übersicht über die temporären konstruktiven Schutzmaßnahmen für den Ereignisfall
8.2.6.1. Mobile vorgefertigte Systeme („Mobiler Hochwasserschutz“) Mobile (vorgefertigte) Systeme mit permanent installierten Elementen haben eine gute Wirkung gegen Wasser- und Schlammeintritt, für starken Geschiebetransport und den Anprall mitgeführter Feststoffe sind der Belastbarkeit jedoch Grenzen gesetzt. Folgende Systeme stehen zur Auswahl: • Dammbalkensysteme (Abb. 8.13): Bei diesen Systemen sind Führungsschienen fest am Gebäude montiert. Im Ereignisfall werden Dammbalken – meist aus Aluminium – eingesetzt. Mit marktüblichen Systemen können Stauhöhen bis 3 m und Öffnungen bis zu 6,5 m Breite abgesichert werden. Es werden auch bis zu mehrere hundert Meter lange Dammbalkenwände zum Schutz ganzer Siedlungen errichtet. Um die Montagezeit kurz zu halten, sollte das Einsetzen der Dammbalken regelmäßig geübt werden. Weiters ist es sinnvoll, die Dammbalken in unmittelbarer Nähe zum Einsatzort zu lagern. Es werden auch elektrisch oder hydraulisch betriebene Systeme angeboten (Abb. 8.13 A, B). • Hochwasserschutztore (Abb. 8.16): Dies sind fest installierte wasserdichte Tore, die im Hochwasserfall geschlossen werden. Die Oberkante eines solchen Tores soll dem Hochwasserniveau zuzüglich eines Freibords von mindestens 0,5 m entsprechen. Es werden auch elektrisch oder hydraulisch betriebene Systeme angeboten (z. B. Abb. 8.16 B). Konstruktive Details zu Hochwasserschutztoren finden sich in Kapitel 9.5.1.2. • Vorgesetzte Dichtfenster oder Fensterschotts: Vorgesetzte Dichtfenster werden vor dem Ereignis in die bestehenden Fensterrahmen eingesetzt. Mittels Hebeln wird die Dichtung in den Fensterrahmen gepresst. Der Vorteil dieser Fenster ist, dass weiterhin Licht in den Raum gelangen kann und keine separaten Führungsschienen notwendig sind (Abb. 8.17 A). Fensterschotts aus Aluminium oder Edelstahlprofilen werden in Führungsschienen eingesetzt (Abb. 8.17 B). Ihr 264
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.13. Dammbalkensysteme: (A) hydraulisch klappbarer Dammbalken vor einer Einfahrt; (B) absenkbarer Dammbalken vor einer Einfahrt; (C) Dammbalken vor Türen und Fenstern; (D) frei stehende Wand aus Dammbalken
Abb. 8.14. Beispiel Dammbalken zum Schutz eines Geschäftslokales (© Maria Patek)
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Abb. 8.15. Dammbalkensysteme: Seitliche Schienen bei einer Garageneinfahrt, in welche die Dammbalken eingehängt werden (© Friedrich Mühling)
Einsatz ist somit unabhängig von der Bauart des Fensters möglich. Sie sind lichtundurchlässig, weisen jedoch einen höheren Widerstand gegen Feststoffanprall auf. • Behältersysteme (Abb. 8.18): Etwas zeitaufwändiger ist die Montage von Behältersystemen, die mit Wasser gefüllt werden und so ihre Standfestigkeit erreichen. Durch flexible Außenwände passt sich das System sehr gut an alle Begebenheiten an und erreicht eine gute Dichtheit an Wänden und Mauern. Zum Schutz
Abb. 8.16. Hochwassertore: (A) Hochwassertor bei einem Hauseingang; (B) hydraulisch klappbares Hochwassertor bei einer Einfahrt
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8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.17. Dichtfenster und Fensterschotts: (A) Dichtfenster werden in den Rahmen von bestehenden Fenstern eingesetzt; (B) Fensterschotts werden auf fest montierten Schienen angebracht
vor mitgeführten Feststoffen kann ein Prallschutz mit Aluminium-Armierung an der Außenseite der Behälter befestigt werden. Bei der Errichtung längerer Wände werden die einzelnen Behälter mit Eisenstangen zu einer zusammenhängenden Kette verbunden. • Teleskop-Rahmen: Dieses System bietet ausschließlich Schutz für Öffnungen gegen Wassereintritt. Es besteht aus einem Stahlrohrrahmen, der teleskopisch in der Breite verstellbar ist und nach unten angepresst werden kann. Der Stahlrohrrahmen ist mit einer flexiblen Kunststoffmembran bespannt, welche das Wasser zurückhält. Dauerhafte Befestigungen (Seiten- oder Bodenschienen) sind nicht erforderlich.
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Abb. 8.18. Behältersystem vor einer Einfahrt: (A) teilweise gefüllte Kunststoffhülle des Behälters; (B) vollständig gefüllter Behälter
8.2.6.2. Temporäre konstruktive Maßnahmen Die Charakteristik von temporären konstruktiven Maßnahmen ist, dass sie ohne besondere technische Detailkenntnisse und mit geringem materiellem Aufwand hergestellt werden können. Es handelt sich um typische Maßnahmen, die von Einsatzkräften oder Privatpersonen im Ereignisfall spontan ergriffen werden. Diese einfachen Schutzmaßnahmen benötigen jedoch eine deutlich höhere Vorbereitungszeit als vorgefertigte mobile Systeme. Sie bieten Schutz durch Rückhalt von Wasser und Schlamm, nicht jedoch gegen grobe Feststoffkomponenten (Geschiebe, Holz). Folgende Sofortmaßnahmen stehen zur Auswahl: • Sandsacksysteme: Mit Sandsäcken lassen sich Öffnungen verschließen und kleine Dämme errichten (Abb. 8.19 und Abb. 8.20). Die Breite eines reinen Sandsackdammes sollte mindestens dreimal so groß wie dessen Höhe sein, um eine möglichst gute Abdichtung3 und Stabilität zu erzielen. In jedem Fall sind der Wellenschlag und der Staudruck mit einzukalkulieren. • Temporäre Mauerwerke: Es ist auch möglich, Öffnungen mit Ziegeln (z. B: Hochloch) temporär zuzumauern (Abb. 8.21). Die Wirkung solcher Mauerwerke ist jedoch erst nach Abbinden des Mörtels gegeben. Zusätzlich können Kunststofffolien außen auf das Mauerwerk aufgebracht und mit Sandsäcken beschwert werden.
3
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Zusätzlich können vor den abzudeckenden Fensteröff nungen, Lichtschächten, Türen und Toren Schaltafeln oder ähnlich stabile Bretter aufgestellt und mit einer wasserdichten Folie abgedeckt werden (Abb. 8.19 B). Zur Sicherung dieser Konstruktion werden dann Sandsäcke davor aufgestapelt. Weiters können Schaltafeln bzw. Bretter mit Dichtungsprofi len und Dichtungsmassen in abzudeckende Öff nungen eingepasst werden.
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.19. Behelfsmäßige Sofortmaßnahmen mit Sandsäcken: (A) Sandsackdamm; (B) mit Sandsäcken gesicherter Hauseingang
• Abdichten des Abwassersystems: In den Innenräumen liegende Kanalisationsdeckel können mittels Folien oder Dichtmassen abgedichtet und mit Kanthölzern gegen die Raumdecke abgestemmt bzw. mit Sandsäcken beschwert werden. Für innen liegende Bodenabläufe können aufblasbare Absperrvorrichtungen eingebracht werden. Mit Ausgüssen und Abläufen von Bade- und Duschwannen sowie WC-Schüsseln kann ähnlich verfahren werden, indem diese mit Lappen und Sandsäcken abgedichtet werden. • Sicherung von Öltanks: Heizöltanks können gegen Auftrieb und Kippen mit Kanthölzern und/oder hydraulischen Pressen (z. B. Wagenheber) an der Decke bzw. den Wänden verstrebt werden.
Abb. 8.20 Abdichtung von Kellerfenstern mittels Sandsäcken (© Maria Patek)
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Jürgen Suda et al.
Abb. 8.21 Abdichtung von größeren Öff nungen mittels temporären Mauerwerks (© Maria Patek)
• Planmäßige Flutung und Entleerung von Kellerräumen: Da auf geflutete Räume fallweise noch Wasserdruck von außen (Grund- und Außenwasserstand) wirkt (Einsturzgefahr), sind diese nicht frühzeitig bzw. vor Prüfung durch einen Bausachverständigen leer zu pumpen. In besonderen Fällen kann auch die planmäßige Flutung des Kellers mit Frischwasser gegen Eindringen von verschmutztem Hochwasser oder zur Herstellung des Innendrucks zweckmäßig sein. 8.2.7. Maßnahmenübersicht und -kombinationen In der Tabelle 8.1 sind die konstruktiven Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Überflutung aufgelistet und nach ihrer Eignung für Neubau und Nachrüstung von bestehenden Gebäuden geordnet. Bei der Konzeption von konstruktiven Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Überflutung sind dem Planer keine gestalterischen Grenzen gesetzt. Optimaler Schutz wird dann erreicht, wenn mehrere Maßnahmen kombiniert werden. Für Siedlungen in Überschwemmungsgebieten empfiehlt sich die Erstellung eines Schutzkonzeptes für die gesamte Siedlung anstelle der Betrachtung jedes einzelnen Gebäudes. Bei neu geplanten Siedlungsteilen ist der Bebauungsplan auf Basis dieses Schutzkonzeptes zu erstellen. Abb. 8.22 und Abb. 8.23 zeigen das Fallbeispiel einer Siedlung, für die ein solches Gesamtkonzept entwickelt wurde. Augenscheinlich sind dabei folgende Punkte relevant: • Durch eine aufgelockerte Bauweise können Abflussbereiche innerhalb der Siedlung erhalten und somit ein geregelter Abfluss erzielt werden. • An den Siedlungsrändern bzw. an ausgewählten Gebäuden werden Ablenkdämme geschüttet bzw. Ablenkmauern errichtet, um den Abfluss von den Gebäuden fern zu halten. • Erhöhte Anordnung von Hauseingängen, Kellerlichtschächten, Garagenentlüftungen und Stromverteilerkästen. • Gebäudeöffnungen wie Garageneinfahrten und Hauseingänge werden im „Strömungsschatten“ positioniert, um Wassereintritte nicht zu fördern.
270
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Tabelle 8.1. Eignung der Maßnahmen für Neubau und Nachrüstung bestehender Gebäude; aus [96] (+ „technisch gut realisierbar“, +/– „bedingt realisierbar“, – „nicht realisierbar“) Leitschad- Schutzkonzept wirkung
Schutzmaßnahme
Wassereintritt in das Gebäude
Gartengestaltung ohne abflusshemmende Elemente
+
+
Schaff ung von Abflussbereichen
+
+/–
Versickerung von Oberflächenwässern
+
+
unterbrochene Einfriedungen mit Ablenk– und Leitwirkung
+
+/–
Geländegestaltung vom Gebäude weg fallend
+
–
Gestaltung und Form des Gebäudes (Grundriss)
+
–
Erhöhte Bauweise
Erhöhte Bauweise
+
–
Wasserdichte Bauweise
Rückstauhemmende Einbauten in Abwasserleitungen
+
+
Schadlose Ableitung des Hochwassers
Neubau Bestand
Wasserundurchlässige Gebäudehülle
+
–
Lage der Öff nungen abgewandt von der Anströmrichtung
+
+/–
Kellerlichtschächte über Hochwasserniveau gezogen
+
+
Kellerlichtschächte mit Glasbausteinen abgedichtet
+
+
Kellerlichtschächte mit Stahldeckeln abgedichtet
+
+
Lüft ungsschächte über Hochwasserniveau gezogen
+
+
Außenliegende Kellerabgänge mit Stufenpodest
+
+
Fenster und Türen von außen angeschlagen
+
+/–
Fensterstock in Stahlrahmen auf Mauer aufgelegt
+
+/–
Maßnahmen gegen Schäden an quellfähigen Materialien
Verstärkte Fenster aus Aluminium oder Kunststoff
+
+/–
Wasserunempfindliche Baustoffe im Innenausbau
+
+/–
Heizungsanlage und Öltanks
Verankerung des Öltanks gegen Auft rieb und Kippen
+
+
Maßnahmen gegen Schäden an Inneneinrichtung und Haustechnik
Haustechnik im Obergeschoss
+
+/–
Leitungsdurchführungen abgedichtet
+
+
Abdichtung von Gebäudeöff nungen
271
Jürgen Suda et al.
Leitschad- Schutzkonzept wirkung
Schutzmaßnahme
Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes
Statische Verstärkung der Prallwände
+
–
Stahlbetonsockel für Dach- oder Balkonstützen
+
+/–
Maßnahmen gegen Frei- ausreichend tiefe Fundierung legen bzw. Unterspülen Plattenfundament der Fundamente Kolkschutz an Gebäudefundamenten
+
–
+
–
+
–
Maßnahmen bei Feststoffablagerungen auf Geschossdecken und erdbedeckten Gebäudeteilen (Tiefgarage, Keller)
verstärkende Elemente aus Stahlbeton
+
–
geringere Spannweiten der Deckenelemente
+
–
Geschossdecken durch Säulen gestützt
+
+
Nutzungskonzept der Innen- und Außenräume
+
+
Generell
Maßnahmen gegen Beschädigung bzw. Zerstörung der Außenwände
Neubau Bestand
Maßnahmenkombination
+
+
Mobile Hochwasserschutzsysteme vormontiert
+
+
Notfallsysteme (Sandsäcke, Bretter, Dichtmasse)
+
+
Abb. 8.22. Gesamtkonzept einer Siedlung mit kombinierten Gebäudeschutzmaßnahmen (Bilder zu Lageplan in Abb. 8.23): (A) Erhöhte Anordnung der Hauseingänge; hochgezogene Kellerlichtschächte, Entlüftungen und Verteilerkästen; (B) Ein Ablenkdamm schützt Gebäude vor direkter Anströmung; Mauern lenken den Hochwasserabfluss entlang der öffentlichen Straßen; (C) Die offene Bauweise ermöglicht Abflussbereiche für einen geregelten Hochwasserabfluss innerhalb der Siedlung. (© WLV)
272
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.23. Lageplan zu Abb. 8.22: Bedeutung der Nummerierung: 1.) Erhöhte Anordnung der Hauseingänge; 2.) Ablenkdamm schützt Gebäude vor direkter Anströmung; 3.) Abflussbereiche innerhalb der Siedlung, Gelände vom Gebäude abfallend; 4.) Mauern lenken den Hochwasserabfluss entlang der öffentlichen Straßen; 5.) Hochgezogene Kellerlichtschächte, Entlüftungen und Verteilerkästen (Pfeile symbolisieren die Abflussrichtung des Hochwassers, graue dicke Linien markieren Ablenkdämme und -mauern) (© WLV)
273
Jürgen Suda et al.
8.3. Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Muren Maßnahmen gegen Muren (Gefährdungsbild 5, 15; Tabelle 3.2) müssen die Standsicherheit der Gebäude gegen dynamische Kräfte, den Anprall von Feststoffen, die Abrasionswirkung, die Auflast von abgelagertem Murmaterial und den Erosionsbruch sicherstellen sowie das Eindringen von Wasser und Feststoffen in das Gebäudeinnere verhindern. Einwirkungen aus Murgang können die Belastungsgrenzen üblicher Bauweisen überschreiten und zur Zerstörung von Gebäudeteilen (ganzen Bauwerken) führen. 8.3.1. Anforderungen an den generellen Entwurf Wegen des hohen Zerstörungspotenzials und Personenrisikos ist der Wahl eines sicheren Bauplatzes (Standortes) gegenüber den konstruktiven Gebäudeschutzmaßnahmen generell der Vorzug einzuräumen. Bei mäßiger (mit vertretbarem konstruktivem Aufwand beherrschbarer) Einwirkung aus Muren sind beim Entwurf eines Gebäudes folgende Punkte zu beachten: • Verbesserung der Robustheit des Tragwerkes gegen Einwirkung aus Muren sowie Verringerung der Verletzlichkeit (Kapitel 9.3) • Optimierung der Lage und Form des Gebäudes (Kapitel 9.2) • Gefahrenangepasste Nutzungskonzepte (Kapitel 12.2) • Keine Leitungen, Dachrinnen oder Außendämmungen an den exponierten Außenwänden 8.3.2. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen die Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes Der Anprall von Murgängen und groben Feststoffkomponenten (Blöcke, Baumstämme) auf die Außenhülle des Gebäudes kann entweder von einem Schutzbauwerk vor dem Gebäude oder durch Verstärkungsmaßnahmen am Gebäude aufgenommen werden. 8.3.2.1. Schutzbauwerke vor dem Gebäude Folgende Schutzbauwerke vor dem Gebäude stehen zur Auswahl: • Auffangdamm (Abb. 8.24 A und E): Auf Grund des Platzbedarfs für einen Auffangdamm mit entsprechendem Retentionsraum ist diese Maßnahme nur für kleine Muren geeignet (siehe Kapitel 10.5). • Prallwand (Abb. 8.24 B und F): Es handelt sich um eine vor dem Gebäude errichtete Wand, welche den Anprall der Mure aufnimmt. Eine Prallwand soll das Gebäude auf seiner gesamten Breite und Höhe abdecken (siehe Kapitel 10.4). • Ablenkdamm bzw. Ablenkmauer (Abb. 8.24 C, E, F und Abb. 8.27 A): Hinweise zur weiteren Konstruktion finden sich in Kapitel 10.4 und 10.5. • Spaltkeil für Gebäude und Masten (Abb. 8.24 D, G und H): Hinweise zur Konstruktion von Spaltkeilen finden sich in Kapitel 10.3.
274
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.24. Schutzbauwerke vor einem Gebäude bei Anprall von Muren (oder Lawinen, siehe Kapitel 8.5): (A) Auffangdamm oder -wand; (B) Prallwand; (C) Ablenkdamm oder -wand; (D) Spaltkeil; (E) Schnitt durch einen Damm; (F) Schnitt durch eine Wand; (G) Schnitt durch an Gebäude angeschlossenen Spaltkeil; (H) Schnitt durch freistehenden Spaltkeil
8.3.2.2. Schutzmaßnahmen am Gebäude Bei der Ausführung von Verstärkungsmaßnahmen am Gebäude sind folgende Kriterien zu beachten: • Verstärkung der Außenmauern von Neubauten (verstärkte Bewehrung bei Stahlbetonwänden): eventuell Anordnung eines Dämpfungselementes, analog jenem von Schutzmauern (siehe Kapitel 9.3.2.2). Hierbei ist wichtig, dass die gesamte Tragstruktur des Hauses in der Lage ist, die Kräfte aus dem Anprall aufzunehmen und in den Baugrund zu übertragen (siehe Kapitel 9.3). • Verstärkung bestehender Bauten durch Zusatzbewehrung in Vorsatzschale aus Stahlbeton oder durch Klebebewehrung • Verstärkte Ausführung freistehender Stützen von Dachkonstruktionen oder Balkonen (entweder zur Gänze oder zumindest im unteren Bereich) in Stahlbeton (Abb. 8.4 A): Die Ausführungen in Kapitel 10.7 gelten analog.
275
Jürgen Suda et al.
Abb. 8.25. Konstruktive Verstärkungsmaßnahmen am Gebäude bei Anprall von Muren
• Berücksichtigung entsprechender Lastfälle bei der Bemessung dieser Bauteile (siehe Kapitel 11). Außenwände, die direkt durch Muren beansprucht werden, müssen einen entsprechenden Abrasionswiderstand aufweisen (siehe Kapitel 9.3.2.3). Daher sollte auf Fassadenverkleidungen am Gebäudesockel verzichtet werden. Schindeln und Dämmmaterial werden durch die Reibungskraft der Mure großflächig abgetragen. Besteht die Möglichkeit des Eindringens von Muren in das Gebäudeinnere, müssen die Geschossdecken auf diese Einwirkung bemessen und verstärkt ausgeführt werden. 8.3.3. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen Eintritt von Murmaterial in das Gebäude Der Eintritt von Murmaterial und Wasser in das Gebäudeinnere führt zu ähnlichen Schadensfolgen wie bei Überflutung. Die Ausführungen in Kapitel 8.2.3 und 8.2.4 gelten – unter Berücksichtigung der höheren Einwirkungskräfte – sinngemäß. Der Eintritt von Murmaterial in das Gebäude kann speziell durch folgende Maßnahmen verhindert werden (Abb. 8.26): • Keine Öffnungen an der Prallwand: Fenster und Türen auf abgewandten Gebäudeseiten bzw. in ausreichender Höhe über dem Bodenniveau situieren. • Abdeckung der Gebäudeöffnungen (Anprallschutz) durch Stahlgitter, verstärkte Fensterläden oder Schiebeelemente (Abb. 9.49) und Schutzscheiben bei Eingängen (z. B. Vorhäuser) oder Terrassen: Fensterläden und Schiebeelemente müssen bei drohender Gefahr vorsorglich geschlossen werden.
276
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.26. Konstruktive Schutzmaßnahmen bei Anprall von Muren
8.3.4. Temporäre konstruktive Maßnahmen im Ereignisfall Als temporäre Maßnahmen für den Ereignisfall sind ausschließlich Konstruktionen zur Ablenkung von Muren im Vorfeld des Gebäudes und zur Abdichtung von Gebäudeöffnungen geeignet, die in der kurzen Vorwarnzeit eines Murganges errichtet werden können. Folgende Maßnahmen kommen grundsätzlich in Frage: • Dammbalkensysteme für Gebäudeöffnungen (Abb. 8.13) • Behelfsmäßige Sofortmaßnahmen (siehe Kapitel 8.2.6.2)
Abb. 8.27. Ablenkwände: (A) Stahlbetonwand (© BMLFUW); (B) Betonleitwände als mobile Ablenkwand (© IAN)
277
Jürgen Suda et al.
• Betonleitwände als mobile Ablenkwand: Ableitung des Murgangs auf ungefährdete Flächen (Abb. 8.27 B) • Mobile Schutzsysteme (nur mit Einschränkungen): Diese Systeme erfordern eine ausreichende Vorwarnzeit zur Montage, die bei Murgängen selten verfügbar ist. Weiters muss beim Hersteller erhoben werden, ob diese Systeme den hohen dynamischen Belastungen von Muren standhalten können. 8.3.5. Maßnahmenübersicht In der Tabelle 8.2 sind die Maßnahmen zum Schutz vor Muren aufgelistet und nach ihrer Eignung für Neubau und Ertüchtigung von bestehenden Gebäuden geordnet. Tabelle 8.2. Eignung der Maßnahmen für Neubau und Nachrüstung bestehender Gebäude; aus [96] (+ „technisch gut realisierbar“, +/- „bedingt realisierbar“, – „nicht realisierbar“) Leitschadwirkung
Einzelschäden
Schutzmaßnahme
Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes
Schäden generell
Erhöhte Anordnung
+
–
Keilförmige Bauweise (Grundriss)
+
–
Auffangdamm
+
+
Ablenkdamm bzw. Ablenkmauer
+
+
Spaltkeil für Gebäude und Masten
+
+
Verstärkung der Außenmauern (Stahlbeton)
+
–
Schäden an den Außenwänden
Eintritt von Murmaterial
Generell
278
Neubau
Bestand
Vorsatzschale aus Stahlbeton
+
+
Freistehende Säulen aus Stahlbeton
+
+/–
Schäden der Geschossdecken
Verstärkung der Geschossdecken
+
–
Schäden durch mechanische Zerstörung und Verschmutzung
Fenster in der Prallwand vermeiden
+
+/–
Fenster klein und hoch über Bodenniveau
+
+/–
Öff nungen in der Prallwand abdecken
+
+
Nutzungskonzept der Innenund Außenräume
+
+
Maßnahmenkombination
+
+
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
8.4. Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Schneelast (Schneedruck) Maßnahmen gegen Schneelast und gegen Schneedruck aus Kriechen und Gleiten der Schneedecke (Gefährdungsbild 9 a,b; Tabelle 3.2) wirken als statische Einwirkungen und treten bei großen Schneehöhen und windbedingter Schneeverfrachtung auf. Gebäudeschutz kann vor allem durch Bemessung des Tragwerkes auf Schneelast und durch Sofortmaßnahmen (Räumung) erzielt werden, in zweiter Linie auch durch konstruktive Maßnahmen. 8.4.1. Maßnahmen bei Planung und Entwurf Gegen vertikalen Schneedruck infolge Schneeablagerungen auf Dächern können folgende Maßnahmen ergriffen werden: • Bemessung auf Schneedruck gemäß EN 1991-1-5 (siehe Kapitel 4.5) • Dachform und -neigung: Flache Dächer begünstigen die Ablagerung von Schnee. • Anordnung von Schneenasen und -rechen gegen abrutschenden Schnee (zur Sicherheit von Gehsteigen, Hauseingängen oder tiefer liegenden Dächern) • Bei einer Umdeckung ist auf die veränderten Materialeigenschaften Rücksicht zu nehmen (Eigengewicht variiert, Abrutschverhalten wird verändert). • Beachtung des veränderten Abgleitverhaltens bei nachträglicher Montage von Schneefangeinrichtungen und ggf. Anpassung des Tragwerks gemäß den veränderten Lastverhältnissen • Einbau von Sicherungshaken am Dach (für das Anschlagen von Sicherungen bei der Räumung des Daches von Schneelast): Die Sicherungseinrichtung kann mit einer Blitzschutzanlage verbunden werden. Sicherheitseinrichtungen auf Dächern sind in der ÖNORM B 3417 [189] geregelt. • Unterdächer vorsehen: Diese bieten Schutz vor Eisrückstau und bei zerbrochenen Dachsteinen und Dachdeckungen. Da bei Sturm- und Hagelschäden meist ohnehin das gesamte Dach erneuert werden muss, sollten gleich Unterdächer eingebaut werden. Gegen Schneedruck aus gleitenden und kriechenden Schneedecken sind folgende baulichen Maßnahmen möglich: • Anordnung von Schutzbauwerken vor dem Gebäude (z. B. Schutzwand, Spaltkeil) • Sicherung des Hanges mittels technischen Gleitschneeschutzes oder durch Erhöhung der Bodenrauigkeit: Verpfählung, Gleitschneeböcke, Bermen (Abb. 8.30) • Aufforstung des Gleitschneehanges • Bemessung der beanspruchten Wand auf den resultierenden Schneedruck (siehe Kapitel 4.5.3) 8.4.2. Sofortmaßnahmen bei extremen Schneelasten Bei extremen Schneelasten ist die wichtigste Sofortmaßnahme die unverzügliche Räumung der Dächer (Abb. 8.28). Im Detail können folgende Maßnahmen gesetzt werden: 279
Jürgen Suda et al.
Abb. 8.28. Räumung von überlasteten Dächern zur Reduktion der Schneelast (© Hans Starl)
• Abschaufeln von Dachflächen: – Rechtzeitige Durchführung der Räumung vor Erreichen der kritischen Schneehöhe, Beachtung der Wetterprognose – Durchführung der Arbeiten entsprechend den maßgeblichen Arbeitnehmerschutzbestimmungen (Absturzsicherung, Abb. 8.29) – Vermeidung asymmetrischer Lastwirkung durch einseitiges Abschaufeln – Belassen der festgefrorenen Schneelagen auf dem Dach (Gefahr der Beschädigung der Dachhaut) • Verstärkung der durch Schneelast gefährdeten Dachkonstruktion durch Unterstellungen (Tragwerksplaner oder Baumeister beiziehen) • Sperre der durch abrutschenden Schnee gefährdeten Bereiche • Vereisungen, die eine Gefahr für Personen darstellen, abschlagen • Vereisungen, die den geregelten Wasserablauf verhindern, gegebenenfalls entfernen
Abb. 8.29. Fest installierte Absturzsicherung für Personen, die auf Dächern arbeiten (© OÖ Blitzschutzgesellschaft)
280
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
8.4.3. Periodische Überprüfung der Dächer Eine weitere Sicherheitsmaßnahme in Gebieten mit erhöhtem Schneelastrisiko ist die regelmäßige Überprüfung der Dachkonstruktion. Konkret sind folgende Prüfungen durchzuführen: • Periodische Inspektion der Dachdeckung (evtl. Nachbefestigung gefährdeter Bereiche, z. B. mittels Sturmklammern) • Periodische Inspektion der Dachkonstruktion (z. B. Vermorschungen, lockere Befestigungen, starke Verformung) • Gegebenenfalls rechtzeitige Verstärkung und Nachbesserung infolge Änderung der Bemessungswerte des Schneedruckes in den Normen oder aufgrund höherer Beanspruchung durch zusätzliche Aufbauten (z. B. Solaranlagen) 8.5. Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Lawinen Maßnahmen gegen Fließ-, Misch- und Staublawinen müssen die Standsicherheit der Gebäude gegen den Staudruck an der Außenwand, den Anprall von groben Feststoffkomponenten (Baustämme, Wurzelstöcke, Felsblöcke), die Auflast von abgelagertem Lawinenschnee erhöhen und das Eindringen von Schnee in das Gebäudeinnere verhindern. Außerdem wirken Druck- und Sogkräfte des Aerosols des Staubanteils – ähnlich einer Windeinwirkung (Druck auf der angeströmten und Zug an der abgewandten Seite) – auf die Außenwand, die Dachkonstruktion, Fenster und Türen ein. Einwirkungen aus Lawinen können die Belastungsgrenzen üblicher Bauweisen weit überschreiten und zur Zerstörung von Gebäudeteilen (ganzen Bauwerken) führen. 8.5.1. Anforderungen an den generellen Entwurf Aufgrund der extremen Einwirkung durch Fließ- und Staublawinen kommt der Planung des Standortes, der Anordnung im Gelände und dem Nutzungskonzept (Raumaufteilung) für Gebäude in Gefahrenzonen hohe Bedeutung zu. Die Anordnung und Form des Gebäudes (besonders die Form der Prallwand) hat Auswirkungen auf die Höhe der resultierenden Beanspruchung. Folgende Kriterien sind beim Entwurf von Gebäuden zu beachten: • Optimierung der Lage des Gebäudes im Gelände: Abstand zum Hangfuß, erhöhte Lage über dem Lawinenstrich • Optimierung der Form des Gebäudes (siehe Kapitel 9.2): Minimierung der Angriffsfläche • Anordnung von Nebengebäuden oder untergeordneten Gebäudeteilen an der Anprallseite (Pufferwirkung) • Nutzung der Ablenkwirkung von natürlichen Geländeerhebungen • Freihaltung des Bereichs vor dem Gebäude für Schutzmaßnahmen • Festlegung gefahrenangepasster Nutzungskonzepte (siehe Kapitel 12.2) • Vermeidung der Anordnung von Leitungen an den exponierten Außenwänden • Anordnung von Schutzräumen (z. B. Lawinenkeller) 281
Jürgen Suda et al.
8.5.2. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen die Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes 8.5.2.1. Schutzbauwerke vor dem Gebäude Lawinenabgänge werden in erster Linie durch Primärsicherungen kontrolliert, die der Auslösung im Anbruchgebiet entgegenwirken (Anbruchverbauungen). Detaillierte Hinweise zu Konstruktion und Bemessung dieser Schutzbauwerke finden sich in [226]. Gegen kleinere Schneerutsche, die an Hängen unmittelbar vor einem Gebäude abbrechen, können Gleitschneeschutzmaßnahmen (Verpfählung, Gleitschneeböcke, Bermen, niedrige Schneebrücken, Schneenetze) eingesetzt werden (Abb. 8.30). Mit Schutzbauwerken unmittelbar vor dem Gebäude können gleitende und kriechende Schneedecken stabilisiert und Fließlawinen aufgefangen oder abgelenkt werden. Dem Schutzkonzept nach wirken Auffang- und Ablenkmaßnahmen gegen Lawinen analog zu jenen gegen Muren (siehe Kapitel 8.3.2, Abb. 8.24). Die Bauwerke sind jedoch auf die Einwirkungen und Fließhöhen der Lawine auszulegen. Folgende Maßnahmen stehen zur Auswahl: • Auffangdamm (Abb. 8.24 A und E): Auf Grund des Platzbedarfs für einen Auffangdamm mit entsprechendem Retentionsraum nur für Schneerutsche und Kleinlawinen geeignet (Abb. 8.24 A und E). Als Schutz gegen größere Lawinen im Auslaufbereich wird dieses Bauwerk meistens in Kombination mit Bremsverbauungen (z. B. Bremshöcker) eingesetzt. Staublawinendrücke können nur bis zur Dammhöhe aufgefangen werden (siehe Kapitel 10.4), Druckwellen in größeren Höhen gehen ungebremst über den Damm. • Prallwand (Abb. 8.24 B und F): Es handelt sich um eine vor dem Gebäude errichtete Wand, welche den Anprall der Lawine aufnimmt. Eine Prallwand soll das Gebäude auf seiner gesamten Breite und Höhe abdecken (siehe Kapitel 10.4). • Ablenkdamm und Ablenkmauer (Abb. 8.24 C, E und F): Hinweise zur weiteren Konstruktion finden sich in Kapitel 10.4 und 10.5. Ablenkdämme/-mauern können Staublawinendrücke nur bis zur Dammhöhe auffangen, Druckwellen in größeren Höhen gehen ungebremst über den Damm. Als Gebäudeschutzmaß-
Abb. 8.30. Verpfählung gegen Schneegleiten: Nur wirksam für kleinflächige Schneerutsche (© IAN) 282
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.31. Schutzbauwerke vor dem Gebäude: Vorbau von Gebäuden mit geringerem Wert, auf Lawinendruckwirkung bemessen, zum Schutz des Hauptgebäudes (© Florian RudolfMiklau)
Abb. 8.32. Schutzbauwerke vor dem Gebäude: (A) Spaltkeil aus Mauerwerk (© Florian RudolfMiklau); (B) Spaltkeil aus Schüttmaterial (© WLV)
Abb. 8.33. Schutzbauwerke vor dem Gebäude: (A) Auffangdamm aus Mauerwerk („Lawinenmauer“) (© Florian Rudolf-Miklau); (B) Ablenkdamm zum Schutz eines Hotels (©WLV)
nahme kommen Ablenkmauern oder -dämme vor allem am Rande von Siedlungen zum Einsatz. • Spaltkeil für Gebäude und Masten (Abb. 8.24 D, G und H): Hinweise zur weiteren Konstruktion finden sich in Kapitel 10.3.
283
Jürgen Suda et al.
• Vorbauen von schützenden Gebäuden mit untergeordneter Bedeutung (Nebengebäude), ggf. auf Lawineneinwirkung bemessen (Abb. 8.31). 8.5.2.2. Schutzmaßnahmen am Gebäude Die aus Lawinen resultierenden Kräfte können bis zu einer gewissen Höhe auch durch Verstärkung der Tragkonstruktion und der Gebäudehülle aufgenommen werden. Die Verstärkungen der Gebäudehülle müssen bis zur Fließhöhe der Lawine vorgenommen werden. Dafür ist es notwendig, die Weiterleitung der Kräfte im Tragwerk zu untersuchen und dieses gegebenenfalls auch zu verstärken. Gegen die Prallwirkung von Fließlawinen (Staudruck, Reibungskräfte) sind folgende Maßnahmen wirksam: • Dimensionierung der Außenmauern von Neubauten (besonders Prallwände) auf Lawinendruckwirkung: Ausführung in Stahlbeton (siehe Kapitel 9.3) • Verstärkung der Gebäudehülle bestehender Bauwerke durch Vorsatzschalen: Ausführung in Stahlbeton; Stahlbetonwände und teilweise Mauerwerk können auch durch Klebebewehrung verstärkt werden. • Anordnung eines Dämpfungselementes vor der Prallwand: Anschüttung von Prallwänden mit Erde (siehe Kapitel 9.3.2.2). • Verstärkung freistehender Säulen von Dachkonstruktionen oder Balkonen (entweder zur Gänze oder zumindest im unteren Bereich) in Stahlbeton (Abb. 8.4). Staublawinen erzeugen auf das Gebäude wirkende Druck- und Sogkräfte. Diese wirken besonders auf überstehende (auskragende) Bauteile. Besonderes Augenmerk ist auf Sogbelastungen von Dächern zu legen. Folgende Maßnahmen wirken der Staublawineneinwirkung entgegen (Abb. 8.35): • Bemessung der Dachkonstruktion auf Druck- und Sogeinwirkung: Um Tragwerke gegen Sog zu sichern, müssen alle Holzverbindungen und die Auflager zugfest (z. B. verschraubte Stahlbleche oder Nagelbleche) ausgebildet werden. • Vermeidung von Dachvorsprüngen an der Anströmseite; an den übrigen Gebäudeseiten: Dachvorsprünge kurz halten oder Verschalung der Traufe. • Dachformen mit geringer Angriffsfläche: Prinzipiell sind Pult- und Flachdächer günstiger als Giebeldächer. • Fixierung der Dachhaut gegen Sogeinwirkung (Abhebesicherung): Es sind möglichst schwere Dachziegel oder Befestigungsarten zu verwenden, welche dem Sog standhalten. Beispielsweise können die einzelnen Dachziegel mittels Metallstreifen bzw. Nagelung auf Vollschalung gesichert werden. Weiters gibt es Systeme (z. B. Metallschindeln), die eine höhere mechanische Beanspruchung ermöglichen und auch gegen die Sogbelastung gesichert sind. Bei (teilweise) von Lawinen überflossenen Gebäuden wird hauptsächlich die Dachkonstruktion durch Auflast und Reibung beansprucht. Abgelagerter Lawinenschnee oder Fließlawinen, die über ein Dach abfließen, erzeugen Auflasten aufgrund ihres Eigengewichtes. Für diesen Lastfall muss die Dachkonstruktion verstärkt ausgeführt werden. Um die Reibungskräfte der Lawine möglichst gering zu halten, empfiehlt sich die Verwendung von möglichst glatten Dachdeckungen (z. B. Blechdeckungen). Zur Konstruktion solcher Dächer siehe Kapitel 10.2. 284
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.34. Schutzmaßnahmen am Gebäude: Verstärkt ausgeführte Prallwand ohne Öff nungen und mit entfernten Dachvorsprüngen (© IAN)
8.5.3. Permanente Maßnahmen gegen Eintritt von Lawinenschnee in das Gebäude Ein auf Lawinendruckwirkung dimensioniertes Tragwerk ist nur sinnvoll, wenn gleichzeitig keine Schäden durch Eintritt von Lawinenschnee in das Gebäude entstehen können. Öffnungen stellen die Schwachstellen in der Gebäudehülle dar. Bei der Planung der Öffnungen sollten daher folgende Kriterien bedacht werden (siehe auch Abb. 8.35): • Keine Öffnungen an der von der Lawine angeströmten Seite des Gebäudes (Prallwand): Fenster sollten nach Möglichkeit nie direkt von der Lawine angeströmt werden, sondern immer in einem schiefen Winkel dazu positioniert sein (Abb. 8.36 B). Sind Öffnungen in stark beanspruchten Prallwänden unumgänglich, so sind diese so klein wie möglich auszuführen und entsprechend zu schützen. • Absicherung von Eingangsbereichen durch Schutzscheiben, Vorhäuser oder externe Stiegenhäuser (Abb. 8.36 A) Die Stabilität der Fenster und Türen gegen Lawinendruck kann durch folgende Maßnahmen erhöht werden: • Einbau von Lawinenfenstern gemäß ÖNORM B 5301 und ÖNORM B 5302 (siehe Kapitel 9.5.2.2) • Anprallschutz für Fenster mittels verstärkter Fensterläden oder Schiebeelemente (Abb. 8.37 A,C): Trotz der hohen Belastbarkeit von Lawinenschutzfenstern empfiehlt sich ein Anprallschutz gegen mitgeführte Feststoffe. Diese Maßnahme erfordert das rechtzeitige Schließen der Fensterläden bei Lawinengefahr (siehe Kapitel 9.5.2.4). • Anprallschutz für Fenster mittels fest montierter Scheiben aus Panzerglas (Abb. 8.37 B und Kapitel 9.5.2.5). • Beachtung der Hinweise für verstärkte Fenster in Kapitel 9.5.2.1
285
Jürgen Suda et al.
Abb. 8.35. Schutzmaßnahmen gegen Eindringen von Lawinenschnee
Abb. 8.36. Schutzmaßnahmen am Gebäude: (A) Vorhaus zum Schutz der exponierten Eingangstür; (B) Der Lawinenstoßrichtung abgewandte Balkontüren. Die restlichen Fenster sind klein gehalten und mit Fensterläden versehen (© IAN) 286
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.37. Schutzmaßnahmen für Öff nungen im Gebäude: (A) Schiebeelement (© IAN); (B) fest montierte Elemente aus Panzerglas (© Jürgen Suda); (C) Stahlrahmen von verstärkten Fensterläden (© WLV)
8.5.4. Sofortmaßnahmen im Ereignisfall Die Möglichkeiten bei Lawinengefahr Sofortmaßnahmen zu ergreifen sind aufgrund der kurzen Vorwarnzeit äußerst gering. Grundlage bilden die Lawinenwarnung und die Anweisungen der örtlichen Lawinenkommission (Sperre, Evakuierung). Gebäudeöffnungen (Türen und Fenster) können bei Lawinengefahr mittels Dammbalkensystemen oder (behelfsmäßig) mittels Schaltafeln und Brettern abgedeckt werden, die Schutzwirkung solcher Maßnahmen ist aufgrund der hohen Druckkräfte als sehr beschränkt einzustufen. Bei Lawinenwarnung ist es zielführend, sich in geschützten Räumen innerhalb des Gebäudes aufzuhalten (z. B. Lawinenkeller). Akut lawinengefährdete Gebäude sind zu evakuieren. 8.5.5. Maßnahmenübersicht In der Tabelle 8.3 sind die zuvor beschriebenen Maßnahmen gegen Lawinengefahren aufgelistet und nach ihrer Eignung für Neubau und Ertüchtigung von bestehenden Gebäuden geordnet. 287
Jürgen Suda et al.
Tabelle 8.3. Eignung der Maßnahmen für Neubau und Ertüchtigung bestehender Gebäude (Bestand); aus [96] (+ „technisch gut realisierbar“, +/- „bedingt realisierbar“, – „nicht realisierbar“) Leitschadwirkung
Schutzziel
Gefährdung Vermeidung von der StandSchäden generell sicherheit des Gebäudes
Schutzmaßnahme reihenförmige Anordnung von Gebäuden
+
–
Integration des Gebäudes in die Geländeoberfläche
+
–
Gebäudehöhe niedrig halten
+
–
Keilförmige Bauweise (Grundriss)
+
–
+
+
+
+/–
+
+/–
Vermeidung von Gleitschneeschutzmaßnahmen (z. B. VerpfähSchäden der Außen- lung) wände Auffangdamm Ablenkdamm oder Ablenkmauer Vorbau von schützenden Gebäuden
+
+/–
Spaltkeil für Gebäude und Masten
+
+/–
Anschüttung von Prallwänden
+
+/–
Verstärkung der Außenmauern (Stahlbeton)
+
–
Vorsatzschale aus Stahlbeton
+
+
Vermeidung von Verstärkung der Dachkonstruktion Schäden des Daches Freistehende Säulen aus Stahlbeton
Eintritt von Schnee
Generell
288
Neu- Bebau stand
+
+/–
+
+/–
Dachvorsprünge kurz halten bzw. Dach fi xieren (Sogwirkung)
+
+/–
Vermeidung von Schäden der Geschossdecken
Verstärkung der Geschossdecken
+
–
Vermeidung von Schäden durch mechanische Zerstörung
Öff nungen in der Prallwand vermeiden
+
+/–
Eingangsbereich durch Vorhaus absichern
+
+/–
Fenster klein halten
+
+/–
Fenster von der Lawinenstoßrichtung abwenden
+
–
Fensterstöcke auf Metallrahmen montieren
+
+/–
Lawinenschutzfenster mit stabilen Beschlägen
+
+
Fenster und Türen von außen anschlagen
+
+/–
Anprallschutz für Fenster (Fensterläden)
+
+
Fensterläden auf Mauerwerk fi xieren
+
+
Fensterläden abschersicher in Außenwand versenken
+
+/–
Nutzungskonzept der Innen- und Außenräume
+
+
Maßnahmenkombination
+
+
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
8.6. Gebäudeschutzmaßnahmen gegen Erdbeben Maßnahmen gegen Erdbeben (Gefährdungsbild 11; Tabelle 3.2) müssen die Standsicherheit des Tragwerks eines Gebäudes gewährleisten, welches durch Horizontalkräfte der Bodenbeschleunigung, vertikale abhebende Kräfte, Schwingungen und Zwang infolge von Rissen und Setzungen im Baugrund beansprucht wird. Einwirkungen aus Erdbeben können die Belastungsgrenzen üblicher Bauweisen bei weitem überschreiten und zur Zerstörung von Gebäudeteilen und ganzen Bauwerken führen. Die wichtigste Maßnahme zum Schutz gegen Erdbebenwirkung stellt die erdbebengerechte Bemessung des Bauwerks dar. In Österreich erfolgt die Bemessung von Hochbauten nach ÖNORM B 1998 –1 (siehe Kapitel 4.8 und Kapitel 11.1.3.4.3). In erdbebengefährdeten Regionen muss der Aspekt der Erdbebengefährdung bereits im Entwurfsstadium eines Tragwerks berücksichtigt werden, damit die Anforderungen an die Standsicherheit und zur Schadensbegrenzung mit vertretbaren Kosten erfüllt werden können (vgl. EC 8 Abschnitt 2.1, [13], [14]). Durch eine sinnvolle Verteilung der Massen und von Aussteifungselementen kann das Verhalten eines Bauwerks bei Erdbeben bereits bei der Planung entscheidend beeinflusst werden. Folgende Entwurfskriterien erhöhen die Sicherheit von Gebäuden in Erdbebengebieten (Auswahl): • Planung eines möglichst einfachen, gedrungenen Gebäudegrundrisses: Bei Gebäuden mit stark aufgelösten Grundrissen, wie z. B. bei L-, T-, H- oder U-förmigen Grundrissen, kann das unterschiedliche Verformungsverhalten der einzelnen Gebäudeabschnitte in Längs- und Querrichtung zu großen Beanspruchungen in den Anschlussbereichen führen (Abb. 8.38 A). Durch simple Entwürfe ist auch eher eine klare und direkte Weiterleitung der horizontalen Kräfte gewährleistet, Unsicherheiten in der Modellabbildung werden verringert und die Sicherheit wird erhöht. • Anordnung von Fugen, die über die gesamte Höhe des Gebäudes durchlaufen und das Gebäude in einzelne Baukörper mit gedrungenen Grundrissen unterteilen (Abb. 8.38 A). • Anordnung von Aussteifungselementen an den Gebäudeenden, die zu einer gleichmäßigeren Auslenkung des ganzen Baukörpers führen. • Wände zur Aufnahme von Horizontallasten (Aussteifungselemente) sind so anzuordnen, dass der Massen- und der Steifigkeitsmittelpunkt möglichst nahe beieinander liegen (Abb. 8.38 B). • Gestaltung eines Bauwerks über die Höhe: gleichmäßige, kontinuierlich nach oben abnehmende Steifigkeit des Baukörpers. Sprunghafte Veränderungen der Bauwerkssteifigkeit oder der Lage der Steifigkeitsachse sind zu vermeiden. • Um eine ungleichmäßige Beanspruchung tragender Bauteile durch torsionale Beanspruchung zu vermeiden, ist sicherzustellen, dass sich die Steifigkeit möglichst gleichmäßig über den Gebäudeumfang verteilt und damit eine ausreichende Torsionssteifigkeit vorhanden ist. • Alle horizontal wirkenden Aussteifungssysteme müssen ohne Unterbrechung von der Gründung bis zur Oberkante des Gebäudes durchlaufen bzw. bei Rücksprüngen bis zur Höhe der entsprechenden Teile des Gebäudes reichen. 289
Jürgen Suda et al.
Abb. 8.38. Gestaltung von Grundrissen von Einfamilienhäusern für Erdbebenbeanspruchung: (A) günstige und ungünstige Grundrissformen; (B) günstige und ungünstige Anordnung von Wandscheiben im Grundriss (Zeichnungen in Anlehnung an ÖNORM B 4015)
• Die horizontale Steifigkeit und die Masse der einzelnen Geschosse müssen über die Höhe konstant sein oder gleichmäßig von unten nach oben abnehmen. • Zwischen benachbarten Geschossen sollte bei Rahmentragwerken das Verhältnis der tatsächlichen Beanspruchbarkeit zu der laut Berechnung erforderlichen Beanspruchbarkeit nicht zu stark variieren. Bei der Konstruktion von Bauwerken in Erdbebengebieten bieten sich zwei grundsätzliche Strategien an: • entweder wird das Gebäude so konstruiert, dass möglichst viel Energie der Erdbebenwirkung direkt im Baukörper dissipiert wird, • oder man wählt einen so hohen Tragwiderstand, dass die wesentlichen Tragglieder im Erdbebenfall im elastischen Bereich verbleiben. Die dissipative Bemessung führt in der Regel zu wirtschaft licheren Ergebnissen, kann jedoch bei Erdbebenwirkung größere Sekundärschäden verursachen. Generell sind robuste Konstruktionen zu wählen, die lokale Überbeanspruchungen ohne Einsturzrisiko tolerieren. Als weitere Konstruktionskriterien zur Erhöhung der Erdbebensicherheit sind u. a. zu nennen: 290
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
• Mischung von redundanten Traggliedern und Verwendung duktiler Materialien und/oder Verbindungsmittel: Wichtig ist auch, dass den wechselnden Wirkungsrichtungen eines Erdbebens durch zug- und druckfeste Ausbildung aller betroffenen Verbindungen Rechnung getragen wird. • Gründung des Baukörpers auf gleichartigen Gründungselementen, auf gleichartigem Baugrund und in einheitlicher Tiefe • Neben den konstruktiven Aspekten ist auch eine ausreichende Gründung und Verbindung zum Überbau erforderlich, damit das gesamte Tragwerk einer gleichförmigen seismischen Beanspruchung ausgesetzt wird und die auftretenden Lasten sicher in den Untergrund abgetragen werden können. Bauwerke mit tragenden Wänden unterschiedlicher Länge und Steifigkeit sollten eine kastenoder zellenförmige Gründung haben. Bei Gebäuden mit einzelnen Gründungsteilen sollten diese mit einer Bodenplatte oder einem Zerrbalken verbunden sein. • Ausbildung des Untergeschosses eines Bauwerks als „steifer Kasten“: Dieser bewirkt, dass sich der Baukörper bei Erdbebenbeanspruchung kompakt bewegen kann. • Vermeidung von Gründungen in stark geneigten und labilen Hängen sowie einer Teilunterkellerung des Bauwerks. • Konstruktion von Geschossdecken, die zur Übertragung großer Kräfte in ihrer Ebene ohne nennenswerte Verformung geeignet sind (z. B. monolithische Stahlbetondecken). In Gebäuden kommt den Geschossdecken eine wesentliche Bedeutung zu. In der Deckenebene werden die Trägheitskräfte gesammelt und auf die vertikalen Bauteile verteilt. Dazu ist es notwendig, dass sich die Decken wie horizontale Scheiben verhalten und in ihrer Ebene eine ausreichende Steifigkeit besitzen (Abb. 8.39 B). Besonders bei Mischsystemen, großen Deckenöffnungen und Steifigkeitsänderungen sind die Scheibenwirkung und die Interaktion zwischen horizontalen und vertikalen Bauteilen sicherzustellen. • Mauerwerk: Verstärkung mittels bewehrten oder mit Stahlbetongurten eingefassten Mauerwerks, Anordnung von Mauerwerksscheiben • Holzkonstruktionen: sorgfältige Durchbildung der Holzverbindungen • Dachkonstruktionen: Aussteifung gegen horizontale Lasten (diagonale Zugglieder, Stahlbänder), zug- und druckfeste Ausbildung von Stößen, Verbindungen und Anschlüssen in hölzernen Dachkonstruktionen • Dachhaut: Vorkehrungen gegen das Herabfallen von Dachziegeln bei steilen Giebeldächern (Sturmklammern, zugfeste Verbindung mit der Dachlattung) Je nach Bauweise, Konstruktion und Nutzungsart des Gebäudes steht eine große Zahl weiterer konstruktiver Maßnahmen zur Verbesserung der Erdbebensicherheit zur Auswahl. Für weiterführende Informationen über den erdbebengerechten Entwurf von Hochbauten wird auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen: [14] [145] [205].
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Jürgen Suda et al.
Abb. 8.39. Gestaltung von Aufrissen von Einfamilienhäusern für Erdbebenbeanspruchung: (A) günstige und ungünstige Formen in der Ansicht; (B) günstige und ungünstige Anordnung von Geschossdecken und größeren Massen im Schnitt (Zeichnungen in Anlehnung an ÖNORM B 4015)
8.7. Gebäudeschutzmaßnahmen bei Steinschlag Maßnahmen gegen Steinschlag (Gefährdungsbild 12 a,b,c; Tabelle 3.2) müssen die Robustheit und Standsicherheit des Gebäudes gegen den Anprall stürzender Felsfragmente mit unterschiedlicher Sprunghöhe und Energie gewährleisten. Besonders verletzlich sind Dachkonstruktionen, Fenster und Türen. Einwirkungen aus Felssturz können die Belastungsgrenzen üblicher Bauweisen bei weitem überschreiten und zur Zerstörung von Gebäudeteilen (ganzen Bauwerken) führen. Sofortmaßnahmen gegen Steinschlag sind wegen der fehlenden Vorwarnzeit praktisch nicht einsetzbar. 8.7.1. Anforderungen an den generellen Entwurf Gebäude sind generell durch Maßnahmen direkt am Baukörper schwer gegen Steinschlag zu schützen, da aus den dynamischen Belastungen eines Stoßes punktuell hohe Kräfte auf die Bauteile eines Hauses resultieren. Andererseits ist die elastische Verformungskapazität der üblichen Baustoffe des Hochbaus relativ gering. Durch folgende Entwurfsregeln kann die Schadanfälligkeit durch Steinschlag trotzdem reduziert werden: 292
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
• Vermeidung von Bauplätzen (Gebäudestandorten) am unmittelbaren Hangfuß: Freihaltung eines Sicherheitsabstandes (Schutzzone) • Freihaltung der Fläche für Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude: Prallwände, Steinschlagnetze, Auffangdämme (Fallböden) • Optimierung der Lage und der Form des Gebäudes: Bevorzugte Auswahl von Bauplätzen in der Deckung von Geländeerhebungen. Gleiches kann durch Ausbildung eines Ebenhöhs und eventueller Erdüberdeckung erreicht werden (siehe Kapitel 10.2). • Optimierung der Form des Gebäudes: Minimierung der Anprallfläche des Gebäudes (siehe Kapitel 9.2). • Vermeidung von Leitungen und Dachrinnen an der Prallwand • Angepasstes Nutzungskonzept (siehe Kapitel 12.2) 8.7.2. Permanente Maßnahmen gegen die Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes Eine wichtige Maßnahme bei Steinschlag sind Primärsicherungen in den Ablösungsgebieten (Felssicherung). Das Ablösen von Steinen kann durch eine Stabilisierung des Steinschlagherdes, beispielsweise mittels Vernetzung, Abflachung der Böschungsneigung, Felsankerung, Drainagen und regelmäßige Felsräumungen verhindert werden. Nähere Hinweise zur Ausführung von Felssicherungen finden sich z. B. in der ONR 24 810 [194]. Die weiteren Maßnahmen sind abhängig von der zu erwartenden Sprunghöhe und Energie beim Einschlag der Blöcke. Höhere Energien (≥ 100 kJ) können nur durch Schutzbauwerke vor dem Gebäude aufgenommen werden. 8.7.2.1. Schutzbauwerke vor dem Gebäude Schutzbauwerke vor dem Gebäude werden als Steinschlagverbauung bezeichnet. Die technischen Grundlagen sind der ONR 24 810 [194] zu entnehmen. Steinschläge können mittels Steinschlagnetzen (Abb. 8.40 A, G), Auffangdämmen oder -mauern (Abb. 8.40 B) sowie Prallwänden aufgefangen werden. Steinschlagnetze, wie sie zur Verbauung der Sturzbahn eingesetzt werden, sind in der Lage, Energieeinträge bis zu 5000 kJ aufzunehmen (Abb. 8.41 A). Die Konstruktion von Steinschlagnetzen ist in Kapitel 10.6 dargestellt. Bei Auffangdämmen und -mauern ist bei Steinschlag die Anordnung eines Dämpfungselementes sehr wichtig. Die Konstruktion von Schutzmauern ist in Kapitel 10.4, jene von Dämmen in Kapitel 10.5 dargestellt. Das Vorbauen von schützenden Gebäuden geringeren Wertes (Nebengebäude) vor das Hauptgebäude ist ebenfalls möglich (Abb. 8.31). Es ist auch möglich, die Steine mit schräg zur Prozessrichtung angeordneten Ablenkdämmen und -mauern (Abb. 8.40 C) oder Spaltkeilen (Abb. 8.40 D) vom Gebäude abzulenken. Die Konstruktion von Spaltkeilen findet sich in Kapitel 10.3 Dabei ist zu beachten, dass durch die abgelenkten Steine keine Gefährdung von anderen Gebäuden entsteht.
293
Jürgen Suda et al.
Abb. 8.40. Schutzbauwerke vor einem Gebäude bei Steinschlag: (A) Auffangdamm, -wand oder Steinschlagnetz; (B) Prallwand; (C) Ablenkdamm oder -wand; (D) Spaltkeil; (E) Schnitt durch einen Damm; (F) Schnitt durch eine Wand mit Dämpfungselement; (G) Schnitt durch ein Steinschlagnetz; (H) Schnitt durch an Gebäude angeschlossenen Spaltkeil; (I) Schnitt durch freistehenden Spaltkeil
Abb. 8.41. Schutzbauwerke vor dem Gebäude: (A) Steinschlagnetze (© Jürgen Suda); (B) Block eines vergangenen Felssturzes dient jetzt als Schutz für dahinter stehendes Gebäude (© IAN)
294
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
8.7.2.2. Verstärkung der Gebäudehülle und der Tragkonstruktion Energien bis zu einer gewissen Höhe können auch durch Verstärkung der Tragkonstruktion und der Gebäudehülle aufgenommen werden. Bei der Verstärkung müssen die maximale Sprunghöhe der Steine und die dadurch beaufschlagten Gebäudeteile berücksichtigt werden. Treffen die Steine eine seitliche Wand, ist auch diese entsprechend zu verstärken. Wenn Steine höher springen oder von oben herabfallen und das Dach treffen, ist dieses ebenfalls zu verstärken. Folgende Maßnahmen direkt am Gebäude stehen zur Auswahl (Abb. 8.42): • Dimensionierung der Außenmauern von Neubauten auf Steinschlag (Ausführung in der Regel aus Stahlbeton): Hinweise zu verstärkten Außenwänden finden sich in Kapitel 9.3. • Bei bestehenden Bauten: zusätzliche Bewehrung in Vorsatzschale aus Stahlbeton oder durch Klebebewehrung • Anordnung von Dämpfungselementen: Diese bewirken eine Reduktion der freien Wandfläche und des resultierenden Stoßdruckes im Bereich der Anschüttung (Abb. 9.19). Zur Konstruktion siehe Kapitel 9.3.2.2. Bei Verstärkungen der Gebäudehülle ist es wichtig, die Weiterleitung der Kräfte im Tragwerk zu untersuchen und dieses gegebenenfalls zu verstärken. Bei Steinschlag auf dünnen Gebäudehüllen (z. B. Dächer, Glasfronten) besteht auch die Möglichkeit, die Innenwände oder/und Geschossdecken zu verstärken. Die Gebäudehülle wird in diesem Fall durchschlagen oder zerstört, der Stein jedoch von der verstärkten Wand oder Decke aufgefangen (Abb. 8.42 C).
Abb. 8.42. Konstruktive Verstärkungsmaßnahmen an einem Gebäude bei Steinschlag: (A) Prallwand mit Dämpfungselement; (B) verstärktes Dach mit Dämpfungselement; (C) verstärkte obere Geschossdecke; (D) Gebäude mit Dämpfungselement
295
Jürgen Suda et al.
Bei Dachkonstruktionen sind folgende Punkte zur Erhöhung der Steinschlagsicherheit zu beachten: • Verstärkung des Daches oder der obersten Geschossdecke (Abb. 8.42 B, C): Eine Verstärkung des Daches kann durch einen besonders massiven Dachstuhl aus Holz, Stahlträgern oder Stahlbeton erfolgen. Eine Verstärkung der obersten Geschossdecke anstelle des gesamten Dachstuhles ist nur sinnvoll, wenn der Dachstuhl nicht als Wohnraum genutzt wird. • Erdüberschüttung von Flachdächern (Abb. 8.42 B und Abb. 9.22) zur Dämpfung des Aufpralls. • Vermeidung von Dachflächenfenstern Bei der Planung der Öffnungen sollten folgende Kriterien bedacht werden (Abb. 8.43): • Anordnung von Öffnungen (Fenster und Türen) an der von der Sturzbahn abgewandten Gebäudefront (Abb. 8.44 B): Generelle Vermeidung von Fenstern und Türen in der Prallwand (Abb. 8.44 A), wenn unbedingt erforderlich, Öffnungen in der Prallwand (Fenster und Türen) klein halten und möglichst hoch über dem Bodenniveau einbauen. • Abdeckung von Öffnungen durch fest installierte Stahlgitter: Schiebeelemente und Fensterläden sind nur wirksam, wenn sie permanent geschlossen sind, da
Abb. 8.43. Zusätzliche Schutzmaßnahmen am Gebäude: (A) generelle Schutzmaßnahmen; (B) Schutzscheibe vor Eingängen und Gitter vor Fenstern
296
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.44. Schutzmaßnahmen am Gebäude: (A) Schutz der Terrasse durch eine Stahlbetonscheibe; keine Fenster an der Prallwand; (B) Fenster der Prallwand sind der Gefahr abgewandt und durch Scheiben zusätzlich geschützt (hier Schutzmaßnahme gegen Lawinendrücke) (© IAN)
Steinschläge keine Vorwarnzeit haben (Abb. 8.43 B). Zur Konstruktion von Stahlgittern siehe Kapitel 9.5.2.6. • Schutz von Fenstern, Türen und Terrassen durch Schutzscheiben und vorgesetzte Mauern (z. B. Vorhaus bei Eingängen) (Abb. 8.43 B, Abb. 8.44 A). 8.7.3. Maßnahmenübersicht In der Tabelle 8.4 sind die zuvor genannten Maßnahmen aufgelistet und nach ihrer Eignung für Neubau und Ertüchtigung von bestehenden Gebäuden geordnet. 8.8. Gebäudeschutzmaßnahmen bei Rutschungen und Erdfall Maßnahmen gegen Rutschungen (Gefährdungsbild 13, 14 a,b,c; Tabelle 3.2) müssen – je nach Lage der Rutschung bezüglich des Bauwerks und der Rutschtiefe – geeignet sein, der direkten Lasteinwirkung der Rutschmasse auf den Baukörper oder Zwängen infolge von Untergrundbewegungen (Setzung, Verformung) entgegenzuwirken. Bei Risiko durch spontane Einstürze (Erdfall) (Gefährdungsbild 16; Tabelle 3.2) und Setzungen der Böschung ist die äußere und innere Standsicherheit des Bauwerks für die daraus resultierenden Einwirkungen nachzuweisen. 8.8.1. Anforderungen an den generellen Entwurf Im Entwurfsstadium sind hinsichtlich des Gebäudeschutzes vor allem präventive Maßnahmen sinnvoll. Eine Bebauung von labilen oder in langsamer kriechender Bewegung befindlichen Hängen ist nur in Ausnahmefällen zulässig. Durch Begutachtung und Beurteilung durch eine(n) Geologen/Geologin im Entwurfsstadium können gefährdete Bauplätze vermieden werden oder das Risiko für Schäden durch konstruktive Maßnahmen vermindert werden. Hänge mit einer Bewegungsrate von > 3 cm/Jahr oder Hänge, an denen stark unterschiedliche Bewegungsgeschwindigkeiten erwartet werden oder spontane Rutschungen möglich sind, sollten grundsätzlich von Bebauungen freigehalten werden. 297
Jürgen Suda et al.
Tabelle 8.4. Eignung der Maßnahmen für Neubau und Ertüchtigung bestehender Gebäude (Bestand); aus [96] (+ „technisch gut realisierbar“, +/– „bedingt realisierbar“, – nicht realisierbar“) Leitschadwirkung
Schutzmaßnahme
Gefährdung Schäden generell der Standsicherheit des Gebäudes
Bauten am unmittelbaren Hangfuß vermeiden
+
–
Integration des Gebäudes in die natürliche Geländeoberfläche
+
–
Ausbildung des Gebäudes mit Ebenhöh
+
–
Angriffsfläche der Prallwand gering halten (Grundriss)
+
–
keine Leitungen an der Prallwand montieren
+
+/–
geschützte Lage der Außenräume (Terrasse, Spielplatz)
+
+/–
Schäden der Außenwände
298
Neu- Bebau stand
Stabilisierung des Steinschlagherdes
+
+
regelmäßige Felsräumungen
+
+
Steinschlagnetze in der Sturzbahn
+
+
Auffangdamm bzw. -mauer
+
+
Vorbauen von schützenden Gebäuden geringeren Wertes
+
+
Verstärkung der Außenmauern (Stahlbeton)
+
–
Vorsatzschale aus Stahlbeton
+
+
energieabsorbierende Vorsatzschale (z. B. Rundhölzer)
+
+
Anschüttung der Prallwand mit Erde
+
+
Fenster in der Prallwand vermeiden
+
+/–
Fenster klein und hoch über Bodenniveau
+
+/–
Öff nungen in der Prallwand abdecken
+
+
Öff nungen der Sturzbahn abgewandt einbauen
+
–
Schäden der Geschossdecken
Verstärkung der Geschossdecken
+
–
Schäden der Dachkonstruktion
Verstärkung des Daches
+
+/–
Erdüberschüttung von Flachdächern
+
+
Dachfenster vermeiden
+
+/–
Nutzungskonzept der Innen- und Außenräume
+
+
Maßnahmenkombination
+
+
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Bei labilen oder in langsamer kriechender Bewegung befindlichen Hängen sind an den generellen Entwurf folgende Anforderungen zu stellen, wobei grundsätzlich zwei Maßnahmenkategorien in Frage kommen: • Maßnahmen außerhalb des Gebäudes und/oder außerhalb des Grundstückes • Maßnahmen in der Planungsphase Maßnahmen außerhalb des Gebäudes und/oder außerhalb des Grundstückes zur Stabilisierung oder Sanierung von instabilen Hängen sind in der Regel mit umfangreichen baulichen Tätigkeiten verbunden und übersteigen üblicherweise die finanziellen Möglichkeiten von Privatpersonen. Diese zumeist im Spezialtiefbau angesiedelten Maßnahmen sind nicht Inhalt des vorliegenden Buches und werden nachfolgend nur stichwortartig angeführt, um einen Überblick über die Möglichkeiten der Hangstabilisierung aufzuzeigen: • Stabilisierung von Rutschungen durch eingebrachte Stützelemente und Vegetation (Abb. 8.45) • Einbau von Boden- und Felsanker, Dübel oder Pfähle zur Stabilisierung labiler Hänge • Tiefenentwässerung von Hängen durch Brunnen, Vakuumbrunnen, Tiefendrainagen • Abflachung von übersteilten Hängen und Ausräumen von instabilen Bodenschichten • Gezielte Aufforstung und Umsetzen von flächenwirtschaft lichen Projekten Kleinräumige Maßnahmen können auf dem Projektgrundstück selbst gesetzt werden, um die Hangstabilität zu erhöhen. Zu diesen Vorkehrungen zählen u. a.: • Gezielte Ableitung von Oberflächenwässern: Beispielsweise sollte der Abfluss von Regenrinnen nicht punktuell in den Boden eingeleitet werden. Dies kann zu Wasseraustritten am Hangfuß führen und Hangbewegungen initiieren. • Drainage von vernässten Hängen • Fassen und Ausleiten von Quellen und Vernässungszonen Beim Entwurf des Bauwerkes, d. h. in der Planungsphase, sollte bei labilen oder in langsamer kriechender Bewegung befindlichen Hängen Folgendes beachtet werden: • Überlegte Standortwahl, um das Risiko von Bauschäden zu minimieren • Planung einer dem Gelände angepassten Baukörpergröße, die keine großen oder tiefen Böschungsanschnitte erforderlich macht, sondern durch eine getreppte Bauweise tiefe Böschungseinschnitte verhindert. • Planung einfacher Baukörpergeometrien, die eine gleichmäßige Lastverteilung ermöglichen und hohe Punktlasten vermeiden • Überlegte Leitungsführung zum Gebäude, um auch im Fall stärkerer Bewegungen oder im langfristigen Bestand die Zugangsmöglichkeiten oder die Behebung von Schäden (z. B. Rohrbruch) zu ermöglichen • Ausführung einer dem Untergrund angepassten und wirksamen Baugrubensicherung durch Abböschen entsprechend den vorherrschenden Bodenparame299
Jürgen Suda et al.
Abb. 8.45. Hangsicherungen für die Sanierung von Rutschungen nach einem schweren Erdbeben (Präfektur Niigata 2006, Japan; (© Rudolf-Miklau)
tern (Reibungswinkel und Kohäsion) oder Einplanung schonender konstruktiver Baugrubensicherungsmaßnahmen (Bodenvernagelung etc.) • Abschnittsweise Bauweise und abschnittweiser Baugrubenaushub, um die Stabilitätsverhältnisse des Hanges nicht zu stören • Vermeidung von zusätzlichen Lasten durch Anschüttungen oder große Baukörper • Nutzungskonzept für die Innenräume (siehe Kapitel 12.2) 8.8.2. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen die Gefährdung der Standsicherheit des Gebäudes Wie im Kapitel 3.4.4 ausgeführt, ist bei der Gefahreneinstufung von Rutschungen und den daraus abzuleitenden Maßnahmen für den Gebäudeschutz zwischen indirekten und direkten Rutschprozessen zu unterscheiden. Bei indirekten Einwirkungen, mit zumeist langsamen Bewegungen sind mögliche Änderungen der Bewegungsgeschwindigkeit in Raum und Zeit und die Lage von Gleitfläche im Boden (Tiefe und Position) für die zu setzenden Gebäudeschutzmaßnahmen maßgeblich. Die möglichen Schadensbilder bei indirekten Einwirkungen sind Setzungen, Verdrehungen und Verschiebungen von Bauteilen oder gesamten Gebäuden. Laut Egli [56] (zum Teil ergänzt und erweitert) können in diesem Fall folgende Maßnahmen gesetzt werden: 300
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Abb. 8.46. Konstruktive Maßnahmen bei Rutschungen im Untergrund: (A) bauliche Trennung der Geschosse; (B) bauliche Trennung von Nebengebäuden (Setzungsfugen); (C) monolithischer Keller als steifes Element; (D) Tiefgründung
• Die Gründung des Gebäudes sollte mittels Bodenplatte und kraftschlüssig verbundenen Kellergeschosses (Wände und Geschossdecke) aus Stahlbeton erfolgen. Zur optimalen Aussteifung des Kellergeschosses empfiehlt es sich, die Zwischenwände tragend auszuführen (Abb. 8.46 C). Eine steife Ausführung des Kellergeschosses erhöht die Steifigkeit des Gebäudes derart, dass geringfügige differentielle Bewegungen unter dem Gebäude durch dieses aufgenommen werden und das Gebäude, einer starren Schachtel gleich, mit der Rutschung „mitschwimmt“. • Durch eine einfache Baukörpergeometrie mit einer gleichmäßigen Lastverteilung und der Vermeidung von hohen Punktlasten und ungünstigen Kragteilen kann das Setzungsverhalten bei langsamen Kriechbewegungen minimiert werden. • Stockwerke statisch voneinander trennen: Werden die einzelnen Etagen statisch voneinander getrennt, so ist eine Neuausrichtung der oberen Stockwerke durch
301
Jürgen Suda et al.
• •
•
•
• •
hydraulische Pressen möglich (Aussparungen zum Ansetzen der Pressen bedenken) (Abb. 8.46 A). Anbauten statisch voneinander trennen (Abb. 8.46 B). Bei flachgründigen Rutschungen kann der Lastabtrag in den unbewegten Untergrund unterhalb des Rutschkörpers mittels Tiefgründung (Abb. 8.46 D) erfolgen. Bei flachgründigen Rutschungen mit geringer Bewegungstendenz wird das Gebäude auf eine massive Fundamentplatte gesetzt. Mittels Scheiben oder Pfählen erfolgt die Lastableitung der Bewegung in den unter dem Rutschkörper unbewegten Grundkörper. Durchgehende Bewehrung vom Fundament bis in die Wände: Sollen Gebäude nach dem Kippen durch Pressen oder Kunstharzinjektionen gehoben werden, so muss das Objekt eine hohe Steifigkeit aufweisen, die durch eine entsprechende Bewehrung gegeben ist. Leichte Konstruktionen aus Holz: Leichte Bauwerke aus elastischen Materialien sind bei Bewegungen des Untergrundes stärker belastbar. Optimale Beweglichkeit weist die alpine Bauweise von Holzhäusern in „gestrickter“ Art auf. Dabei werden Rundhölzer oder Bohlen ineinander verschränkt. Versorgungsleitungen an kritischen Stellen (Scherränder des Rutschkörpers) mit Kontroll- und Serviceschächten versehen. Flexible Anschlüsse und Durchführungen für die Versorgungsleitungen (Wasser, Strom, Kanäle . . .) einplanen. Ebenso kann durch eine flexible Materialwahl von Rohrleitungen die Lebensdauer der Rohre und Kanäle verlängert werden (z. B. Gusseisen statt Steinzeug, PLT-Schläuche statt Stahl . . .).
Bei direkten Einwirkungen, insbesondere bei Hangmuren, wo Gebäude im möglichen Transit- oder Ablagerungsbereich der Rutschmassen liegen, sind vergleichbare Maßnahmen wie bei Murereignissen (siehe Kapitel 8.3) zu ergreifen. 8.8.3. Permanente konstruktive Maßnahmen gegen Eintritt von Rutschmaterial in das Gebäude Diese Maßnahmen sind analog jenen gegen Muren (siehe Kapitel 8.3). 8.8.4. Maßnahmen nach dem Ereignisfall Wenn das Tragwerk nach einem Rutschungsereignis noch eine ausreichende innere Standsicherheit aufweist, können laut [56] folgende Maßnahmen gesetzt werden: • Kunstharzinjektionen unter dem Fundament: Gekippte Bauten können bei ausreichender Steifigkeit durch unter das Fundament injizierte Kunstharze neu ausgerichtet werden. Dabei macht man sich das Quellvermögen der Kunstharze zunutze. • Wurden die einzelnen Stockwerke des Gebäudes statisch voneinander getrennt bzw. ruht das Gebäude auf mehreren Einzelfundamenten, so können gekippte Etagen durch den Druck hydraulischer Pressen wieder ins Lot gebracht werden. Voraussetzung dafür sind allerdings eine ausreichende Steifigkeit der Gebäude sowie die beim Bau der Objekte eingeplanten Aussparungen zum Ansetzen der hydraulischen Pressen. 302
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
8.8.5. Maßnahmenübersicht In der Tabelle 8.5 sind die zuvor genannten Maßnahmen aufgelistet und nach ihrer Eignung für Neubau und Ertüchtigung von bestehenden Gebäuden geordnet. Tabelle 8.5. Eignung der Maßnahmen für Neubau und Ertüchtigung bestehender Gebäude (Bestand); aus [96] (+ bedeutet „technisch gut realisierbar“, +/– „bedingt realisierbar“, – „nicht realisierbar“) Leitschadwirkung
Einzelschäden
Gefährdung Schäden generell der Standsicherheit des Gebäudes Schäden der Außenwände
Eintritt von Rutschungsmaterial Generell
Schutzmaßnahme Rutschkörper stabilisieren (Stützelemente, Vegetation)
Neu- Bebau stand +
+
Rutschkörper entwässern
+
+
Verstärkung der Außenmauern (Stahlbeton)
+
–
Vorsatzschale aus Stahlbeton
+
+
Schäden der Geschossdecken
Verstärkung der Geschossdecken
+
–
Setzungen, Verdrehungen, Verschiebungen
Stockwerke statisch voneinander trennen
+
–
Schäden durch mechanische Zerstörung und Verschmutzung
Anbauten statisch voneinander trennen
+
–
verstärktes Plattenfundament mit Stahlbetonkeller
+
–
Lastableitung in den unbewegten Untergrund
+
–
durchgehende Bewehrung vom Fundament bis in die Wände
+
–
Leichte Konstruktionen aus Holz
+
–
Fenster in der Prallwand vermeiden
+
+/–
Fenster klein und hoch über Bodenniveau
+
+/–
Öff nungen in der Prallwand abdecken
+
+
Nutzungskonzept der Innenräume
+
+
Maßnahmenkombination
+
+
8.9. Gebäudeschutzmaßnahmen bei Sturm 8.9.1. Maßnahmen bei Planung und Entwurf Laut [107] sind beim Entwurf von Gebäuden folgende Punkte zu berücksichtigen um den Widerstand gegen Beanspruchungen durch Wind (Sturm) (Gefährdungsbild 17; Tabelle 3.2) zu erhöhen: • Die Standortwahl bildet die Grundlage für die Risiken, die aus Sturm entstehen können. Exponierte Lagen, wie beispielsweise Kuppen oder freies ebenes Gelände, besitzen ein erhöhtes Risikopotential. 303
Jürgen Suda et al.
• Hauptwindrichtung am Gebäudestandort berücksichtigen: Im Idealfall sollte die Luv-Seite des Firstes im rechten Winkel zur Hauptwindrichtung stehen. • Die Wahl der Dachform bestimmt maßgebend die Dachaerodynamik: Laut Studien in [107] bietet ein Walmdach mit kurzem First im Vergleich zu einem Satteldach weniger Angriffsfläche, da der Wind öfter gebrochen wird, mehr Möglichkeiten hat, rechtwinkelig auf eine Dachfläche zu wirken, und dadurch nur begrenzte Sogfelder aufbauen kann. • Geringere Gebäudehöhen verkleinern die Windangriffsfläche und somit die Beanspruchungen des Tragwerkes. • Bemessung des Gebäudes entsprechend der gültigen Windnorm (EN 1991-1-4) und den im jeweiligen nationalen Anhang (Kapitel 7.5.6) definierten Windlasten. • Die Dachkonstruktion ist gegen Windsog entsprechend den Vorgaben in den Eurocode-Normen zu dimensionieren (siehe Kapitel 4.9) und zu befestigen. Auf folgende Punkte ist besonders zu achten: – Auf Zug bemessene Verbindung von Dachauflager und Tragwerk, sofern die Sogkräfte das Eigengewicht des Daches überschreiten (Verbindung Mauerbank – Fußpfette) – Verschraubungen der Sparren (Verbindung Fußpfette-Sparren) – Verbindung von Unterdach und Sparren auf Zugkräfte nachweisen – Verbindung Lattung-Dacheindeckung auf Zugkräfte bemessen • Kurze Dachvorsprünge reduzieren die abhebenden Kräfte in diesem Bereich: Wenn dies nicht möglich ist, Verschalung der Traufenbereiche. • Lange Dachvorsprünge bieten große Angriffsflächen: Unabhängig von der Länge sollten die Untersichten von frei stehenden Dächern verschalt werden, um direkten Druck auf die Dacheindeckung von unten zu vermeiden. • Im First-, Grat-, Ichsen-, Dachvorsprungs- und Ortgangbereich die dort auft retenden erhöhten Windbeanspruchungen berücksichtigen. • Bei der Verlegung der Dachhaut sind die jeweiligen Ausführungsnormen sowie die Herstellerangaben der einzelnen Produkte zu beachten. Dabei sind besonders die Ausführungen in der ÖNORM B 3419, ÖNORM B 2219 und der Werkvertragsnorm ÖNORM B 7219 zu beachten. • Unterdächer anordnen: Unterdächer sind laut ÖNORM B 4119 zu planen und auszuführen. Ein Unterdach ist ein begehbares, regensicheres Dachelement auf der Sparrenoberseite vor Anbringen einer Konterlattung. Unterdächer bieten Schutz vor eindringendem Regenwasser, wenn die Primärdachhaut beschädigt oder zerstört wurde, und erleichtern das Wiederherstellen des Daches, sofern ein Unterdach gemäß Norm ausgeführt ist. • Zusätzlicher Schutz vor dem Anprall von verwehten Komponenten durch den Einbau von sturmresistenten Fensterläden, Rollläden oder Panzerjalousien. Verstärkte Fensterläden oder Schiebeelemente zum Schutz vor Lawinen und Murdrücken sind auch in der Lage, Druckbelastungen bei Stürmen aufzunehmen. Werden solche Elemente nur für Sturmbeanspruchung ausgelegt, müssen sie deutlich geringer dimensioniert werden. 304
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
• Elektronisch bedienbare Beschattungen verwenden: Diese können mit einem Windwächter ausgestattet werden. Die Windwächterüberwachung kann zusätzlich mit Wetterwarndiensten verbunden werden, um ein rechtzeitiges Einfahren bei nicht sturmresistenten Abschattungen zu gewährleisten. • Verankerung von Antennen, Stromzuleitungen im Hinblick auf dynamische Lasten bemessen und befestigen. Weiters sind Kamine und deren Abdeckungen entsprechend zu bemessen und gegen Sogkräfte zu sichern. • Am Dach Verankerungsmöglichkeiten zur Personensicherung für Instandsetzungsarbeiten vorsehen. • Zusätzliche Befestigungen bei den Dacheindeckungen vorsehen (besonders wichtig bei Dachsäumen, Ichsen und Graten). • Bekiesung oder Gründachaufbauten auf Flachdächern erhöhen das Eigengewicht der Konstruktion und somit den Widerstand gegen Sturmbeanspruchungen.
Abb. 8.47. nachgerüstete Zuganker an der Dachtraufe (© Hans Starl)
Abb. 8.48. Zugstäbe aus Flachstahl zur Aufnahme der Zugkräfte zwischen den einzelnen Tragelementen (© Hans Starl)
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• Bewuchs in einem Abstand zum Gebäude, wo er durch direkte Einwirkung das Gebäude nicht gefährden kann, reduziert die Windbeanspruchung deutlich. • Bei Bestandsbauten kann durch das nachträgliche Anordnen von entsprechend bemessenen Windverbänden und Zugankern die Stabilität der Dächer erhöht werden. 8.9.2. Sofortmaßnahmen • Vor dem Ereignis: – Die wichtigste Vorsorgemaßnahme ist die Wartung und Instandhaltung laut Kapitel 8.9.3) – Die Rettungskette für den Ernstfall planen. Sicherungsmaßnahmen am Dach dürfen nur durch geschulte Personen durchgeführt werden (Feuerwehr, Baumeister, Dachdecker, Zimmermeister). – Abdeckplanen und Befestigungsmaterial bevorraten – Leichte Gegenstände in der Umgebung des Gebäudes entfernen oder sichern (z. B. Gartenmöbel, Spielsachen) – Fenster, Türen und Tore schließen bzw. verriegeln – Vorhandene Fensterläden, Panzerjalousien und Rollläden schließen – Fahrzeuge in geschützte Bereiche bringen (z. B. Garage) – Markisen, Sonnensegel, leichte Jalousien einziehen bzw. aufrollen, sofern nicht elektronisch überwacht – Während des Sturmereignisses geschützte Bereiche nicht verlassen (Lebensgefahr) • Nach dem Ereignis – Erst nach Abklingen des Sturms die schützenden Bereiche verlassen, dabei ist auf herabstürzende Bauteile zu achten. – Zerstörte Fenster, Dachdeckungen oder Fassaden provisorisch abdichten 8.9.3. Periodische Überprüfungen • Periodische Inspektion der Dachdeckung (evtl. Nachbefestigung gefährdeter Bereiche, z. B. mittels Sturmklammern) • Periodische Inspektion der Dachkonstruktion (Vermorschungen, lockere Befestigungen, starke Verformungen, . . .) • Eventuelle rechtzeitige Verstärkung und Nachbesserung infolge Änderung der Bemessungswerte des Winddruckes in den Normen oder aufgrund höherer Beanspruchung durch zusätzliche Aufbauten (z. B. Solaranlagen) • Rechtzeitige Erneuerung von beschädigten oder erneuerungsbedürftigen Bauteilen • Periodische Inspektion der Saum- und Dachrinnen auf Verschmutzungen und Leckstellen. • Periodische Inspektion von gebäudenahen Bäumen. Entfernen von abgestorbenen Teilen, eventuell Rückschnitt
306
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
8.10. Gebäudeschutzmaßnahmen bei Hagel 8.10.1. Maßnahmen bei Planung und Entwurf Laut [106] sind beim Entwurf von Gebäuden folgende Punkte zu berücksichtigen, um den Widerstand gegen Hagelbeanspruchungen (Gefährdungsbild 18; Tabelle 3.2) zu erhöhen: • Bei der Materialwahl die Hagelresistenz der Bauteile beachten (geprüfte Produkte verwenden). Laut den Studien in [107] sind Dacheindeckungen auf dem österreichischen Markt bis zur HW-Klasse 4 oder 5 (Tabelle 2.18) resistent. Ein Flachdach mit Bekiesung, ein Blechdach und Bitumenschindeln auf tragfähiger vollflächiger Unterlage können Einwirkungen bis zur HW-Klasse 5 widerstehen. • Unterdächer bieten weitgehend Schutz vor Eindringen von Niederschlägen bei beschädigter Dachdeckung. Folgeschäden an durchfeuchteten Decken und Wandelementen (Schimmel, Vermorschung, ...) können so großenteils verhindert werden. • Notüberläufe bei Flachdächern, Loggien und Terrassen ermöglichen ein kontrolliertes Ablaufen von Niederschlagswasser und verhindern so Schäden durch rückstauendes bzw. unkontrolliert ablaufendes Wasser an Fassaden oder Dachelementen. • Bekiesungen und/oder Dachbegrünungen mit ausreichender Dicke, um eine dämpfende Wirkung zu erreichen, schützen die Abdichtung von Flachdächern gegen mechanische Beschädigungen. • Hochzüge von Flachdachabdichtungen müssen gegen mechanisch-dynamische Belastungen durch Hagelkörner oder Ähnliches geschützt werden. • Lichtkuppeln oder andere Fensterelemente aus Sicherheitsglas sind bezogen auf ihre Lebensdauer resistenter als jene aus Kunststoff (der Hagelwiderstand von Kunststoffelementen nimmt mit dem Alter deutlich ab). • Rollläden: Aluminiumpanzer sind widerstandsfähiger als Kunststoff panzer • Koppeln der elektronischen Ein-/Ausfahrsteuerungen an Unwetterwarndienste • Fensterläden, die Fenster und Rahmen bedecken, verhindern den direkten Aufprall und sind leichter zu ersetzen als beschädigte Fenster(rahmen) • Aluminium-Vorsatzschalen verhindern Schäden am Rahmen von Holzfenstern und Holztüren. Dies reduziert die Schadenskosten und den Zeitaufwand bei einer Reparatur. • Auf Hagelresistenz geprüfte Wärmedämmverbundsysteme verwenden. • Verblechungen: Dickere und härtere Bleche sind widerstandsfähiger als dünne und weiche Bleche. • Größere Vordächer bieten Fassaden höheren Schutz gegen Hagel (ohne Wind). • Im Zweifelsfall Prüfungen zum Hagelwiderstand von Bauteilen durchführen lassen.
307
Jürgen Suda et al.
8.10.2. Sofortmaßnahmen • Vor und während dem Ereignis: – Die wichtigste Vorsorgemaßnahme ist die Wartung und Instandhaltung laut Kapitel 8.9.3) – Die Rettungskette für den Ernstfall planen. Sicherungsmaßnahmen am Dach dürfen nur durch geschulte Personen durchgeführt werden (Feuerwehr, Baumeister, Dachdecker, Zimmermeister). – Abdeckplanen und Befestigungsmaterial bevorraten – Auffangmöglichkeiten für eindringendes Wasser bereitstellen (z. B. Kübel, Decken) – Bei Hagelwarnung sofort Sonnenschutz, Lamellen und Rollläden hochziehen, Fenster und Tore sowie Fensterläden schließen – Während des Hagelereignisses geschützte Bereiche nicht verlassen (Lebensgefahr) • Nach dem Ereignis – Verstopfte Entwässerungen freilegen – Zerstörte Fenster, Dachdeckungen oder Fassaden provisorisch abdichten (mittels Holzbrettern, Schaltafeln, Abdeckplanen, . . .) – Eingedrungenes Niederschlagswasser abpumpen und aufwischen, um Folgeschäden zu minimieren. – Dacheindeckungen überprüfen 8.11. Gebäudeschutzmaßnahmen bei Blitzschlag und Folgebrand 8.11.1. Maßnahmen bei Planung und Entwurf 8.11.1.1. Anforderungen an den äußeren Blitzschutz Maßnahmen zum Blitzschutz (Gefährdungsbild 19; Tabelle 3.2) sind auf Basis der Normen und Richtlinien laut Kapitel 7.5.8 zu planen und auszuführen. Auf Ba-
Abb. 8.49. Bestimmung der Blitzeinschlagpunkte: Blitzkugel-, Schutzwinkel- oder Maschenverfahren, aus [49] 308
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
sis der gültigen Blitzschutzvorschriften ÖVE/ÖNORM E 8049-1 wie auch ÖVE/ ÖNORM EN 62 305 (Reihe) sind Fangeinrichtungen und Ableitvorrichtungen überall dort zu errichten, wo mit direktem Blitzeinschlag zu rechnen ist. Die Blitzeinschlagpunkte können unter Anwendung des Blitzkugel-, Schutzwinkel- oder Maschenverfahrens oder durch eine Kombination einzelner Methoden bestimmt werden (Abb. 8.49). Überall dort, wo die Blitzkugel das Gebäude berührt, sind nach ÖVE/ÖNORM EN 62 305 Teil 1 bis Teil 4 Fangeinrichtungen erforderlich. Die Fangeinrichtungen sind für die zuverlässige Entwicklung von Fangentladungen und das Einfangen des Leitblitzes vorgesehen, ohne dass Schäden an der Gebäudestruktur entstehen. Die Ableiteinrichtungen müssen die Blitzströme schadfrei zum Erdungssystem ableiten. 8.11.1.2. Anforderungen an natürliche Bestandteile4 des Blitzschutzsystems Vielfach gibt es auf Grund der Gebäudestruktur Möglichkeiten, natürliche Bestandteile (z. B. Metallkonstruktionen, Fassaden usw.) in die Blitzschutzmaßnahmen zu integrieren. Welche besonderen Anforderungen für diese Konstruktionen zu berücksichtigen sind, wird in Kapitel 8.11.1.3 und 8.11.1.4 erläutert. Damit den Anforderungen von Fangeinrichtungen bei Blitzschutzsystemen entsprochen wird, muss der Nachweis vorliegen, dass Blitzströme rückwirkungsfrei in die Ableiteinrichtung eingeleitet werden. Das heißt, es muss eine blitzstromtragfähige Verbindung zwischen Außen- und Innenkonstruktion bestehen, damit keine statischen Versagensmomente an Teilen der Gesamtkonstruktion auftreten können. Kompromisse im Bereich der Erdung oder des Potentialausgleichs können durch alleinige Überspannungsschutzbeschaltungen nicht kompensiert werden. In diesen Fällen sind Schäden an elektrischen Betriebseinrichtungen in Folge direkter Blitzstromeinkopplungen möglich. Erfüllt die Konstruktion diese Anforderungen nicht, sind geeignete Fangeinrichtungen vorzusehen. Bei einer nachträglich installierten Blitzschutzanlage entstehen oft hohe Kosten. Weiters müssen oft architektonisch nicht gewünschte zusätzliche Maßnahmen getroffen werden. Werden die Blitzschutzmaßnahmen zeitgerecht in die Planung des Objektes einbezogen, besteht fast immer die Möglichkeit, durch Adaptierungsmaßnahmen in der Konstruktion den Anforderungen an Fang- und Ableiteinrichtungen des Blitzschutzsystems zu entsprechen. Vielfach können komplexe „natürliche Bestandteile“ (z. B. Fassadenkonstruktionen) auf Basis der in Kapitel 8.11.1.3 und 8.11.1.4 genannten Punkte nicht automatisch als geeignete Fangeinrichtung eingestuft werden, da die Fassade nicht für den Blitzschutz entwickelt wurde. Die blitzschutztechnische Eignung der Konstruktion als Fangeinrichtung ist dann mittels Eignungsnachweises (Prüfnachweis oder Prüfgutachten) zu belegen oder durch Maßnahmen des äußeren Blitzschutzes unter Beiziehung eines Blitzschutzplaners schadensfrei in das Blitzschutzsystem zu integrieren.
4
Hinweis: „Natürliche Bestandteile“ ist ein Begriff aus ÖNORM E 62305. 309
Jürgen Suda et al.
8.11.1.3. „Natürliche Bestandteile“ als Fangeinrichtung Bauteile oder Verkleidungen (z. B. Blechabdeckungen), die aus elektrisch leitfähigem Material bestehen, können als Teil einer Fangeinrichtung verwendet werden. Als Fangeinrichtungen sind jene natürlichen Bestandteile (Bauteile) geeignet, welche durchgehend zuverlässige elektrische Verbindungen (z. B. durch Hartlöten, Schweißen, Pressen, Schrauben oder Nieten) aufweisen und die auftretenden Blitzströme in das Ableitungs- und Erdungssystem einleiten. Für Fangeinrichtungen und Ableitungen müssen gemäß ÖVE/ÖNORM EN 50 164- 2 die Mindestquerschnitte für Leitungen laut Tabelle 8.6 eingehalten werden. Tabelle 8.6. Mindestquerschnitte für Leitungen innerhalb einer Fangeinrichtung, laut ÖVE/ ÖNORM EN 50 164 - 2 Werkstoff
Geometrie
Mindestquerschnitt
Anmerkung
Kupfer
Band Rund
50 mm² 50 mm²
Mindestdicke 2 mm Durchmesser 8 mm
Aluminium
Band Rund
50 mm² 50 mm²
Mindestdicke 3 mm Durchmesser 8 mm
Verzinkter Stahl
Band Rund
50 mm² 50 mm²
Mindestdicke 2,5 mm Durchmesser 8 mm
Edelstahl
Band Rund
50 mm² 50 mm²
Mindestdicke 2 mm Durchmesser 8 mm
Bei großflächigen Metallblechen können die Materialstärken in Tabelle 8.7 ausreichen, sofern eine Entzündung von brennbaren Bestandteilen in Folge des Durchschmelzens der Bleche im Einschlagspunkt ausgeschlossen werden kann. Tabelle 8.7. Mindestwerte für Materialstärken von Metallblechen innerhalb einer Fangeinrichtung, laut ÖVE/ÖNORM E 8049 -1, ÖVE/ÖNORM EN 50 164 - 2 Werkstoff
Mindeststärke
Mindestquerschnitt
Kupfer
> 0,3 mm
> 50 mm²
Aluminium
> 0,7 mm ÖVE/ÖNORM E 8049 -1 > 0,65 mm ÖVE/ÖNORM EN 62 305
> 50 mm²
Verzinkter Stahl
> 0,5 mm
> 50 mm²
Edelstahl
> 0,4 mm
> 50 mm²
8.11.1.4. „Natürliche Bestandteile“ als Ableiteinrichtung Metallfassaden dürfen als Ableiteinrichtungen verwendet werden, wenn sie elektrisch leitend durchverbunden sind, d. h., dass die einzelnen Fassadenfelder untereinander durch Schrauben, Nieten, Schweißen oder Klemmen zuverlässig elektrisch leitfähig verbunden sind und mindestens im Abstand der erforderlichen Ableiteinrichtungen in das Erdungssystem eingebunden sind.
310
8. Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen
Ein dauerhafter stromtragfähiger Anschluss an die Fangeinrichtung und an die Erdungsanlage muss sichergestellt sein. Für die Anforderungen an die Querschnitte gilt Kapitel 8.11.1.3. Für die zuverlässige Ableitung der Blitzströme ist auch die Fassadenunterkonstruktion geeignet, sofern die zuvor angeführten Anforderungen erfüllt werden. 8.11.2. Periodische Überprüfungen Blitzschutzsysteme sind periodisch zu prüfen, wobei sich die Prüfintervalle laut Tabelle 8.8 in der Praxis etabliert haben und sich aus den gesetzlichen Grundlagen wie Elektrotechnikgesetz und Elektroschutzverordnung ableiten. Tabelle 8.8. Überwachungsintervalle für Blitzschutzanlagen Art des Gebäudes Anlagen mit explosionsgefährdeten Atmosphären
Überwachungsintervall jährlich
Gewerblich genutzte Objekte, Arbeitsstätten, Hochhäuser und Objekte mit Personenansammlungen
alle 3 Jahre
Mietobjekte für Wohnungszwecke mit mehr als 2 Wohnungseinheiten, bzw. landwirtschaft liche Objekte
5 Jahre
Kleinhausbauten (EFH, Doppelhaus)
10 Jahre
311
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Martin Treberspurg, Ulla Ertl-Balga, Florin Florineth, Jürgen Suda, Richard Pollinger, Friedrich Mühling
9.1. Allgemeines Schutzmaßnahmen am Gebäude sind physisch mit dem Baukörper verbunden oder direkt in dessen Konstruktion integriert. Vorteilhaft ist, dass die Maßnahmen Teil des eigentlichen Bauwerks sind und keine eigenen Schutzkonstruktionen errichtet werden müssen; somit muss auch kein zusätzlicher Grund vor dem Gebäude in Anspruch genommen werden. Der größte Nachteil dieser Maßnahmen ist, dass ein direktes Einwirken des Gefahrenprozesses auf das Gebäude in Kauf genommen wird. Folglich besteht in der Regel Sicherheit für Personen nur innerhalb des Gebäudes, während der Außenraum um das Gebäude in vollem Umfang (teilweise) gefährdet bleibt. Die Wirkung der Schutzmaßnahmen besteht primär in der Erhöhung der Robustheit des Baukörpers gegen Einwirkung von Naturgefahrenprozessen und in der Dichtung der Gebäudehülle gegen den Eintritt von Wasser, Feststoffen und Schnee. In diesem Abschnitt werden die Konstruktionsfragen und Hochbaudetails der Schutzmaßnahmen am Gebäude unter Berücksichtigung der bautechnischen Standards des Wohnbaus (Niedrigenergiehaus-Standard) behandelt. 9.2. Anforderungen an den Entwurf von Gebäuden in gefährdeten Bereichen: Form und Grundriss Anordnung und Form des Gebäudes (besonders die Form der Prallwand) haben unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der resultierenden Beanspruchungen aus Fließprozessen (dynamisches Hochwasser, Lawinen und Muren). Ziel ist es, die Angriffsfläche für die Prozesseinwirkung zu minimieren. Folgende Aspekte sind beim Entwurf zu beachten: • Reihenförmige Anordnung von Gebäuden in Stoßrichtung des Prozesses (Abb. 9.1 A): Eine Anordnung von Gebäuden in Zeilen führt zu einer hohen Gefährdung der Gebäude der ersten Reihe, während die nachfolgenden im Schutz der vorgebauten Gebäudezeile stehen. Die Gebäude der ersten Reihe sind durch Gebäudeschutzmaßnahmen entsprechend zu schützen. • Bauform (Grundriss): Keilförmige Bauweisen wirken wie ein Spaltkeil und reduzieren die Druckbelastungen auf die Außenwände (Abb. 9.1 C). Vorsprünge
313
Martin Treberspurg et al.
Abb. 9.1. (A) Reihenförmige Anordnung der Gebäude; (B) Integration in das Gelände durch ein Ebenhöh; (C) günstige Form des Grundrisses (© Jürgen Suda)
in der Gebäudehülle – wie Erker und Balkone und Rücksprünge – erzeugen ungünstige Druckverteilungen und erhöhen die Beanspruchung, da sie der Lawine oder Mure eine zusätzliche Angriffsfläche bieten. Eine weitgehende Integration des Gebäudes in das Gelände trägt dazu bei, die direkt beanspruchten Außenflächen möglichst gering zu halten. Zwei Möglichkeiten der Integration bestehen: • Ausnutzen von natürlichen Geländeerhebungen: Integration des Gebäudes in die Geländeoberfläche bzw. das Gebäude generell niedrig halten (Abb. 9.2 und Abb. 9.4) • Künstliche Integration mittels Ebenhöh (Abb. 9.3): Das Dach schließt dabei bündig an den Oberhang an. Derartige Bauten weisen keinerlei Anprallfläche an ihrer Stirnseite auf. Der Prozess (Lawine, Mure) fließt über das Dach ab. Dieses ist entsprechend der Auflast des Prozesses zu bemessen und zu konstruieren. Die oberste Geschossdecke (Dach) wird in der Regel als Stahlbetonplatte konzipiert. Um den Widerstand der Stahlbetonoberfläche zu erhöhen und das Gebäude auch optisch optimal in das Gelände einzupassen, werden die Dachflächen oft als Gründach ausgeführt. Dabei ist auf einen geeigneten Dachaufbau und eine geeignete Pflanzenwahl zu achten (siehe dazu Kapitel 9.6). Die Attikabereiche müssen so ausgeführt werden, dass sie möglichst wenig Angriffsfläche für den Fließprozess bieten. Rauchfänge und Entlüftungsstutzen müssen entsprechend dimensioniert, abnehmbar oder leicht austauschbar konstruiert werden. Beispielsweise sollten die Lüftungsstutzen in Abb. 9.4 leicht erneuerbar sein. 314
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.2. Integration des Gebäudes ins Gelände: Das Gebäude wurde unterhalb eines Geländesprunges errichtet und die Prallwand angeschüttet (© Markus Holub)
Abb. 9.3. Integration des Gebäudes in das Gelände: Das Gebäude wurde in den Hang versenkt und die Prallwand mittels Ebenhöh an das Gelände angeschlossen (© IAN)
Abb. 9.4. Integration des Gebäudes in das Gelände: Das Gebäude wurde in den Hang versenkt und das Dach als Ebenhöh ausgeführt (© IAN)
9.3. Verstärkung der Gebäudehüllen und der Tragwerke Außenwände, die direkt durch einen Fließ- oder Sturzprozess beansprucht werden, müssen bei Neubauten verstärkt ausgeführt oder bei Bestandsbauten nachträglich verstärkt werden. Diese Maßnahme dient nicht nur der Robustheit der beaufschlagten Wand selbst, sondern der Standsicherheit des gesamten Bauwerks. Das Prinzip gilt sinngemäß auch für Dachkonstruktionen und Geschossdecken, auf die Naturgefahrenprozesse einwirken. 315
Martin Treberspurg et al.
9.3.1. Grundlagen für die Verstärkung von Tragwerken Der Widerstand von Tragwerken gegen Naturgefahreneinwirkungen ist (neben dem Prozess) vor allem von der Konstruktionsweise abhängig. Wie aus Tabelle 9.1 ersichtlich, halten Bauweisen in Holz oder Ziegel (Mauerung) maximal Flächenlasten von bis 30 kN/m² stand, und dies auch nur bei entsprechender konstruktiver Durchbildung. Druckwirkungen von mehr als 30 kN/m² können nur von Stahlbetonbauten aufgenommen werden. Daher sollte zumindest die einer Lawine oder Mure bzw. punktuellen Stoßkräften zugewandte Seite eines Gebäudes in Stahlbeton ausgeführt werden (Abb. 9.5) und auf diese Einwirkungen bemessen werden. Dies kann auch noch für die Seitenwände eines Gebäudes gelten, wenn die Anströmrichtung der Lawine nicht genau definiert ist und variiert. Tabelle 9.1. Schäden an Konstruktionen durch Lawinen, nach [56] Lawinendruck
Schäden an Konstruktionen
bis 1 kN/m²
Fenster werden eingedrückt
bis 5 kN/m²
Türen werden eingedrückt
bis 30 kN/m²
Holzgebäude und gemauerte Gebäude werden eingedrückt
bis 100 kN/m²
Bäume werden entwurzelt
bis 1 000 kN/m²
Betonkonstruktionen werden beschädigt oder zerstört
Abb. 9.5. Verstärkte Gebäudehülle und Tragwerke (Beispiel): (A) Verstärkung der Prallwand mit Scheiben, die die Kräfte in die Deckenplatte und die darunterliegenden Wände übertragen; (B) Alternative mit innenliegenden Rippen (© Jürgen Suda)
316
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Je nach Art der Struktur eines Tragwerks (Massivbau, Skelettbau) ist dieses gegen die Druckwirkung des Prozesses auszusteifen. Im Massivbau geschieht dies durch die Anordnung von Wandscheiben in den Gebäudeaußen- und innenwänden (Abb. 9.6 C). Die Scheiben sind annähernd parallel zur Hauptbeanspruchungsrichtung anzuordnen und kraftschlüssig mit den Geschossdecken und dem Keller zu verbinden (Abb. 9.5, Abb. 9.6). Skelettbauten werden ebenfalls mit Scheiben oder mit Fachwerkverbänden ausgesteift (Abb. 9.6 D). Bei Verstärkungsmaßnahmen an der Gebäudehülle muss sichergestellt werden, dass die Einwirkungen aus den Prozessen über das Tragwerk des Gebäudes in die Fundamente und den Untergrund abgeleitet werden können (Abb. 9.6 A). Als Stahlbetonplatten ausgeführte Geschossdecken dienen der horizontalen Aussteifung des Gebäudes (z. B. gegen Drücke von Fließprozessen). Diese müssen kraftschlüssig mit den verstärkten Stahlbetonwänden und den aussteifenden Stahlbetonscheiben verbunden werden (Abb. 9.7). Bei Ziegelwänden sind an der Oberseite der Wände umlaufende Roste aus Stahlbeton herzustellen, die biegesteif mit den Geschossdecken (Stahlbetonplatten) verbunden sind (Abb. 9.8). Die erforderliche Einspannbewehrung der Platte hängt von der Torsionssteifigkeit des Randbalkens ab, sie soll aber mindestens 25 % der erforderlichen Feldbewehrung betragen.
Abb. 9.6. Kraft flüsse in Tragwerken (Beispiele): (A) Übertragung von Sogkräften (E) auf das Dach über Knoten auf das Tragwerk des Gebäudes und ins Fundament; (B) Übertragung von horizontalen Kräften über die Geschossdecken (horizontale liegende Aussteifung); (C) Übertragung von horizontalen Kräften über Wandscheiben ins Fundament (horizontale stehende Aussteifung); (D) horizontale stehende Aussteifung über Fachwerke (© Jürgen Suda)
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Martin Treberspurg et al.
Falls die Dachkonstruktion des Gebäudes ebenfalls beansprucht wird (z. B. bei Staublawinen), ist sie ebenso entsprechend zu bemessen und zu verstärken (siehe dazu Kapitel 9.3.3).
Abb. 9.7. Verbindungen Geschossdecke und Stahlbetonwand (Beispiele): (A) Detail D in Abb. 9.5; (B) Detail E in Abb. 9.5 (© Jürgen Suda)
Abb. 9.8. Kraftschlüssige Verbindung Geschossdecke und Randbalken (Rost) auf einer Ziegelwand: (A) Detail C in Abb. 9.5; (B) Variante bei breitem Randbalken (© Jürgen Suda)
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9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.9. Ausführung der Prallwand in Stahlbeton, sie wird durch Wandscheiben aus Stahlbeton verstärkt (© IAN)
9.3.2. Verstärkte Außenwände Außenwände von Gebäuden, die direkt durch einen Fließ- oder Sturzprozess beansprucht werden, sind verstärkt auszuführen. Verstärkte Außenwände sind für folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3.2) relevant: • Dynamische Überflutung, Feststoffablagerungen, Anprall von Objekten (1 b, 2, 3) • Einwirkungen durch Mure (5, 15) • Hangparalleler Schneedruck (9 b) • Lawinen (10 a, 10 b, 10 c) • Steinschlag (12 a, 12 b) Prinzipiell können verstärkte Außenwände mit und ohne Dämpfungselement ausgeführt werden. Bei beiden Varianten ist hinsichtlich der Bauweise zwischen der Verstärkung von bestehenden Wänden und einer verstärkten Ausführung bei Neubauten zu unterscheiden. Bei Prozessen, die punktuell hohe Kräfte erzeugen (z. B. Steinschlag), empfiehlt sich der Bautyp mit Dämpfungselement (siehe Kapitel 9.3.2.2), bei Außenwänden, die hohen Reibungskräften ausgesetzt sind, empfiehlt sich zusätzlich ein Abrasionsschutz (siehe Kapitel 9.3.2.3). 9.3.2.1. Verstärkte Außenwand ohne Dämpfungselement Die verstärkten Wände von Neubauten werden in den meisten Fällen aus Stahlbeton ausgeführt. Der Vorteil von Stahlbeton liegt darin, dass die Höhe des Widerstandes durch die Bewehrungsmenge gesteuert werden kann. Weiters weisen sinnvoll konstruierte Stahlbetonbauteile in einem Überlastungsszenario ein duktiles Bruchverhalten auf. Laut Egli [58] ist die wirtschaft lichste Lösung eine entsprechende Erhöhung der Bewehrungsmenge bei Beibehaltung der üblichen Wandstärken im Hochbau. Prinzipiell ist auch eine Erhöhung der Wandstärken möglich, allerdings steigt das Energieaufnahmevermögen unterproportional im Vergleich zu den zusätzlichen Materialkosten. Prallwände aus Stahlbeton können auch durch innen- oder außenliegende Rippen oder Scheiben verstärkt werden (Abb. 9.10 und Abb. 9.11). Die Rippen müssen kraftschlüssig mit der Stahlbetonwand verbunden werden (Abb. 9.12 B).
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Martin Treberspurg et al.
Abb. 9.10. Die gegen Lawinendrücke verstärkte Prallwand einer Liftstation: Anordnung von außenliegenden Rippen (© Siegfried Sauermoser)
Abb. 9.11. Eine gegen Lawinendrücke verstärkte Prallwand mit Verstärkung durch Rippen, außenliegend (© Siegfried Sauermoser)
Um die Kräfte auf die Prallwand in das restliche aussteifende Tragwerk zu übertragen, sollten die Außenwände und eventuelle tragende Zwischenwände analog einem Rahmeneck konstruktiv verbunden werden (Abb. 9.12 A). Selbst wenn die Auflagerkräfte einer Prallwand durch das Mauerwerk aufnehmbar sind, sollten die Enden nach Abb. 9.12 C ausgebildet werden. Diese Ausführung erhöht wesentlich die Robustheit der Konstruktion. Außenwände bestehender Gebäude können durch Vorsatzschalen aus Stahlbeton verstärkt werden. In Abb. 9.13 ist eine Verstärkung durch eine Vorsatzschale aus Stahlbeton dargestellt. Die Vorsatzschale ist mittels Bewehrungsstäbe oder Schubbügel durch die Wärmedämmung mit dem eigentlich tragenden Wandteil verbunden. Bei Prozessen mit hohem Wasseranteil sind die Fugen entsprechend abzudichten. Die Schale ist an der Unterseite auf ein Fundament zu gründen. Sie kann frei aufliegen oder mittels Steckeisen im Fundament verankert sein (Abb. 9.15). Diese Bauweise empfiehlt sich auch für Neubauten, um die bauphysikalisch erforderliche Wärmedämmung vor der Beanspruchung durch den Naturgefahrenprozess zu schützen. In den Bereich zwischen der inneren und der äußeren Mauer können auch Leitungen geführt werden.
320
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.12. Verstärkte Wände aus Stahlbeton (Prallwände): (A) Konstruktive Durchbildung einer Außenecke (Detail A in Abb. 9.5); (B) Konstruktive Durchbildung von Verstärkungsrippen (Detail B in Abb. 9.5); (C) Endausbildung von Prallwänden aus Stahlbeton
Bei Punktlasten (z. B. Steinschläge) muss die Wand lokal auf Durchstanzen bemessen werden. Die rechnerisch ermittelte Summe der Durchstanzbewehrung entlang des kritischen Rundschnittes ASw ist im Falle einer Bemessung für Steinschlag über die gesamte vom Steinschlag potentiell gefährdete Wand, Decke oder Dachfläche anzuordnen, da Steinschlag eine freie Einwirkung ist. In diesem Fall ist die Verwendung einer Bügelbewehrung sinnvoll. Der Abstand der Bügelstäbe darf in beide orthogonale Richtungen der Platte maximal 0,75 d betragen. Bei der konstruktiven Durchbildung sind die Konstruktionsregeln für Platten und Wände nach EN 1992-1-1 zu berücksichtigen. Prinzipiell ist das Einbauen von Bügeln in eine Platte konstruktiv schwierig und arbeitsaufwändig. Es sollte daher zuerst versucht werden, durch eine Erhöhung der Biegebewehrung und der Plattenstärke den Widerstand zu erhöhen. Beispiele für eine Bewehrungsführung ist in Abb. 9.14 dargestellt. Bei bestehenden Stahlbetonwänden ist auch eine Verstärkung durch oberflächlich aufgeklebte Stahl- oder Kohlenstofflamellen möglich. „Stahllamellen weisen einen großen Fließbereich und dementsprechend ein großes plastisches Energieaufnahmevermögen auf. Sie werden üblicherweise vertikal angeordnet (von Boden bis Decke). Vorteilhaft sind dünne Lamellen. In der Regel sind mechanische Endverankerungen (Schub-, Zuganker) auf volle Lamellen-Zugkraft erforderlich. Die minimal erforderliche Haftzugfestigkeit in Beton beträgt 2,0 N/mm2. Bei Stein- und 321
Martin Treberspurg et al.
Abb. 9.13. Durch Stahlbeton-Vorsatzschale verstärkte Außenwand mit erhöhtem Abrasionsschutz (© Jürgen Suda)
Blockschlageinwirkung sind zur Verhinderung des Durchstanzens entsprechend kleine Lamellenabstände erforderlich. Bei beiden Verstärkungsarten hat das gute Aufrauen der Betonoberfläche wesentliche Bedeutung.“ ([56], 99) Möglichkeiten der Verstärkung mittels Kohlenstoff faserlamellen sind beispielsweise in [19] dargestellt.
322
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.14. Gleichmäßig verteilte Durchstanzbewehrung bei Prallwänden oder Geschossdecken, die durch Steinschlag beansprucht werden (Beispiel) (© Jürgen Suda)
Abb. 9.15. Eine mittels Vorsatzschale verstärkte Außenmauer (mit erhöhtem Abrasionswiderstand gegen fluviatile Abflüsse), Ausführung in Stahlbeton (© Johannes Hübl)
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Martin Treberspurg et al.
9.3.2.2. Verstärkte Außenwand mit Dämpfungselement Durch Dämpfungselemente werden punktuell hohe Kräfte reduziert. Das Dämpfungselement verformt sich und dissipiert dadurch Bewegungsenergie. Somit verringert sich die Beanspruchung der eigentlichen tragenden Außenwand. Die Wirksamkeit eines Dämpfungselementes ist von der Duktilität des Materials abhängig. Besonders wichtig sind Dämpfungselemente zum Schutz vor Steinschlag (Abb. 9.17). Sie sind auch wirksam gegen Fließlawinen und Hangmuren (Abb. 9.18). Folgende Bautypen von Dämpfungselementen stehen zur Auswahl: • Dämpfungselemente aus Holz • Erdkeil • Erdkeil aus bewehrter Erde (bepflanzt, unbepflanzt) • Erdkeil mit Holzkasten (bepflanzt, unbepflanzt) • Erdkeil mit Grobsteinschlichtung (bepflanzt, unbepflanzt; siehe Abb. 9.19) • Gabionenwände Dämpfungselemente aus Holz werden in der Regel als mehrlagige Konstruktionen aus Rund- oder Kanthölzern ausgeführt (Abb. 9.16). Diese einzelnen Stäbe sind ähnlich einer Krainerwand ohne Füllung aufgebaut. Die Längshölzer werden durch Querhölzer, die an Stehern montiert sind, gehalten. Die Halterung kann auch aus Stahlprofilen ausgeführt sein. An der Rückseite ist die Konstruktion an der Gebäudewand befestigt. Die Befestigung sollte als Sollbruchstelle konzipiert werden. Einschlagende Komponenten zerstören punktuell die Holzkonstruktion, welche so die Bewegungsenergie dissipiert und die tragende Gebäudewand schützt. In Tabelle 9.2 sind Richtwerte für Verformungsenergien von Rundhölzern aus Nadelholz
Abb. 9.16. Dämpfungselement aus Holzstäben (Prinzipskizze): (A) Anordnung am Gebäude; (B) Detail aus A – Ansicht und Schnitt (© Jürgen Suda) 324
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Tabelle 9.2. Elastische Verformungsenergie von Rundhölzern im Grenzzustand der Tragfähigkeit in [kJ] Durchmesser [cm]
Länge des Trägers [m]
Verformungsenergie für Nadelholz1 in [kJ]
Verformungsenergie für Laubholz2 in [kJ]
10
1,5
4
11
15
1,5
9
25
20
1,5
17
45
25
1,5
26
70
30
1,5
38
100
und Laubholz (für die Verformung im Grenzzustand der Tragfähigkeit) aufgetragen. Die Verformungsenergien wurden für einen 1,5 m langen gelenkig gelagerten Einfeldträger mit mittiger Beanspruchung durch eine Kraft berechnet.12 Erdkeile und Gabionen als Dämpfungselemente sind analog Kapitel 10.4.3.2 auszuführen. Sie werden gegen die Prallwand geschüttet. Die Prallwand sollte aus Stahlbeton hergestellt werden und ist auf den zusätzlich wirkenden Erddruck zu bemessen. Außenseitig sind eine zweilagige Abdichtung und eine Wärmedämmung (XPS) anzubringen. Der generelle Wandaufbau ist in Abb. 9.19 anhand eines Erdkeiles dargestellt. Werden andere Dämpfungselemente laut Kapitel 10.4.3.2 eingesetzt, bleibt der Wandaufbau gleich. Zur Begrünung von Erdkeilen siehe Kapitel 10.8. In Abb. 9.17 und Abb. 9.18 sind ausgeführte Beispiele dargestellt.
Abb. 9.17. Dämpfungselemente an Prallwänden: Der Fuß der Prallwand wurde mit Erde angeschüttet („Fallboden“); kleine Fenster sind hoch über dem Bodenniveau angeordnet (© IAN)
1
2
Die Berechnung erfolgte für ein Nadelholz der Festigkeitsklasse C14 unter Berücksichtigung eines Teilsicherheitsbeiwertes von 1,3 und eines Modifi kationsfaktors von 0,9 (E-Modul = 11.000 N/mm²) Die Berechnung erfolgte für ein Laubholz der Festigkeitsklasse D30 unter Berücksichtigung ei-nes Teilsicherheitsbeiwertes von 1,3 und eines Modifi kationsfaktors von 0,9 (E-Modul = 19.000 N/mm²) 325
Martin Treberspurg et al.
Abb. 9.18. Anschüttung der Prallwand mittels Erde – die Prallfläche wird reduziert (© IAN)
9.3.2.3. Außenwand mit erhöhtem Abrasionswiderstand Wirken zusätzlich hohe Reibungskräfte auf die Außenwand, ist die Oberfläche zusätzlich gegen Abrasion zu verstärken; dies ist für folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3.2) relevant: • Dynamische Überflutung, Feststoffablagerungen, Anprall von Objekten (1 b, 2, 3) • Einwirkungen durch Mure (5) • Lawinen (10 a, 10 b, 10 c) • Anprall durch Hangmuren (15) Starke Abrasionsbeanspruchungen entstehen an Oberflächen, die Abflüssen mit hohem Feststoffanteil ausgesetzt sind. Die Feststoffe schleifen und schlagen dabei die Oberfläche ab. Generell gibt es zwei Schutzstrategien: • Anordnung von Verschleißschichten (z. B. erhöhte Betondeckung) • Anordnung einer Schichte mit erhöhtem Abrasionswiderstand. Dafür bestehen folgende Alternativen: – Zweischalige Stahlbetonmauer schützt die innenliegende Wärmedämmung (Wandaufbau siehe Abb. 9.13) – Verkleidung mit Stahlblechen – Zweischaliges Mauerwerk mit außenliegendem Natursteinmauerwerk: Der Wandaufbau ist analog Abb. 9.13, anstelle der Vorsatzschale aus Stahlbeton wird eine Natursteinmauer errichtet. Die Verbindungselemente werden in die Fugen der Natursteinmauer eingelegt. Weiters gelten die Ausführungen in Kapitel 10.4.3.3 sinngemäß.
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9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.19. Außenwand mit Erdkeil und Grobsteinschlichtung (bepflanzt) als Dämpfungselement für Einfamilienhäuser in Niedrigenergiehaus-Standard (© Treberspurg, Ertl-Balga, Mühling, Kodatsch).
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9.3.3. Verstärkte Dächer Wenn Naturgefahrenprozesse auf Gebäudedächer einwirken, ist auch eine Verstärkung der Dachhaut und Dachkonstruktion erforderlich. Verstärkte Dächer sind für folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3.2) relevant: • Vertikale Auflast aus Schneeablagerungen (Schneelast) (9 a) • Lawinen (10 a, 10 b, 10 c) • Steinschlag (12 a, 12 b) • Sturm (17) • Hagel (18) Die Dachkonstruktion muss entsprechend der Prozesseinwirkung konstruktiv verstärkt und auf die maßgeblichen Beanspruchungen bemessen werden. Beim Auftreten von hohen lokalen Kräften (z. B. Anprall eines Steines) empfiehlt sich die Anordnung eines Dämpfungselementes, welches einen Teil der kinetischen Energie beim Anprall dissipiert. 9.3.3.1. Verstärktes Dach ohne Dämpfungselement Verstärkte Dächer sind vorzusehen, wenn diese durch Staublawinendrücke beansprucht sind oder durch Fließlawinen (oder Muren) überflossen werden. Bedingt eignen sich verstärkte Dächer auch bei Steinschlägen. Dächer, die von Lawinen oder Muren überflossen werden (Ebenhöh), sind auf die maßgeblichen Auflasten zu bemessen. In diesen Fällen ist eine möglichst glatte Dachhaut vorzusehen, um die Reibungskräfte zu minimieren. Für die Herstellung von Verstärkungen ist dem Pultdach der Vorzug zu geben. Das Dachtragwerk kann aus einer Holzkonstruktion, Stahl-Holzkonstruktion oder einer Stahlbetonplatte hergestellt werden. Bei Gebäuden mit anderen Dachformen (z. B. Giebeldächern, Sattel- und Walmdächer) sind Verstärkungsmaßnahmen deutlich aufwändiger herzustellen. Bei Neubauten ist zuerst durch die Wahl einer optimalen Dachform bzw. Einbindung in das Gelände die Beanspruchung zu reduzieren (siehe Kapitel 9.2). In diesen Fällen werden die Dächer hauptsächlich aufgrund der Beanspruchung durch Staublawinendrücke verstärkt. In vielen Fällen ist es nur möglich, die Dachkonstruktion aus entsprechend bewehrtem Stahlbeton zu errichten (Abb. 9.20). Diese Bauweise kann auch Schutz vor Steinschlägen bieten.
Abb. 9.20. Verstärktes Dach ohne Dämpfungselement eingesetzt gegen Lawinendrücke: Ausführung in Stahlbeton (© WLV) 328
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.21. Verstärktes Dach ohne Dämpfungselement: „Sargdeckelkonstruktion“ aus Stahlbeton. (© Treberspurg, Ertl-Balga, Mühling, Kodatsch)
Bei Sogbelastung, verursacht durch Lawinen, sind Dachvorsprünge prinzipiell zu vermeiden. Lediglich bei Seitenmauern können Dachvorsprünge vorgesehen werden, wenn diese genügend geschützt sind. Dabei ist auf eine ausreichende Verankerung der Konstruktion im Mauerwerk zu achten. Generell ist die Dachkonstruktion kraftschlüssig mit dem restlichen Tragwerk zu verbinden (Abb. 9.6 A). Besonders wichtig ist die Verankerung der Dachsparren und -pfetten gegen die Sogbeanspruchung durch Staublawinen. Vor allem an der gefahrenzugewandten Gebäudeseite ist die Dachkonstruktion in das Außenmauerwerk zu versenken. [56] Für die Dachdeckung sind hier möglichst schwere Dachziegel zu wählen oder Befestigungen für die Ziegel, die der Prozesseinwirkung standhalten. Abb. 9.21 zeigt einen Schnitt durch ein verstärktes Dach ohne Dämpfungselement ausgeführt als „Sargdeckelkonstruktion“ in Stahlbeton. Zu beachten ist, dass kein Dachvorsprung vorhanden ist.
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9.3.3.2. Verstärktes Dach mit Dämpfungselement Bei Prozessen, die punktuell hohe Kräfte erzeugen (z. B. Steinschlag), empfiehlt sich zusätzlich zu einer entsprechenden Dimensionierung der tragenden Dachkonstruktion die Anordnung eines Dämpfungselementes auf dem Dach. Die Wirkung von Dämpfungselementen ist in Kapitel 9.3.2.2 beschrieben. Im häufigsten Fall bestehen Dämpfungselemente am Dach aus einer Kies- oder Erdschüttung. Zur Anordnung von Dämpfungselementen eignen sich hauptsächlich Flachdächer oder flache Pultdächer (Abb. 9.22). Bei Steinschlag empfiehlt sich eine Höhe des Dämpfungselementes von mindestens 60 cm. Die Bemessung und Konstruktion kann analog zu den Dächern von Schutzgalerien erfolgen. Die ASTRA- Richtlinie [8] empfiehlt, bei der Konstruktion folgende Punkte einzuhalten: • Exponierte, dem Steinschlag direkt ausgesetzte Bauteile mit Tragfunktion sind zu vermeiden. • Den Veränderungen der Eigenschaften des Eindeckungsmaterials infolge alterungsbedingter Einflüsse (Verdichtung, Konsolidation) ist Rechnung zu tragen. Für die Eindeckung des Daches ist kohäsionsarmes Material zu verwenden. • Eine monolithische Bauweise und duktiles Verhalten des Bauwerks im Bruchzustand sind anzustreben. Insbesondere erhöht eine Schubbewehrung die Duktilität der Stahlbetondecke. Um Flachdächer besser in die Landschaft zu integrieren und die kleinklimatischen Bedingungen zu verbessern, sollten die Dämpfungselemente mit einer Dachbegrünung versehen werden (Abb. 9.23). Hinweise dazu finden sich in Kapitel 9.6.
Abb. 9.22. Verstärktes Dach mit Dämpfungselement: Das Dach der Garage wurde mit Erde überschüttet und als Gründach ausgeführt, um den Widerstand gegen Steinschläge zu erhöhen (© IAN)
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9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.23. Flachdach mit intensiver Dachbegrünung als Dämpfungselement für Einfamilienhäuser in Niedrigenergiehaus-Standard (© Treberspurg, Ertl-Balga, Mühling, Kodatsch)
9.3.3.3. Gegen Hagel verstärktes Dach Bei Dächern, die durch Hagel beansprucht werden, ist besonders auf eine entsprechend widerstandsfähige Dachhaut zu achten. Geeignete Dachdeckungen sind beim Hersteller3 zu erfragen, Hinweise finden sich in Kapitel 9.7.2. Ein nach Stand der Technik bemessenes Dachtragwerk ist in der Regel in der Lage, die Kräfte durch den Hagelanprall aufzunehmen. Sind aufgrund der Dachgeometrie größere Ansammlungen von Hagelkörnern in bestimmten Bereichen möglich, sind diese Lasten gesondert zu berücksichtigen. Besonders hoch beansprucht sind alle horizontalen Flächen und die Oberflächen von Flachdächern. Der beste Schutz ist hier eine Bekiesung oder ein Gründach nach Kapitel 9.6.1. Ist diese Ausführung nicht möglich, müssen die frei liegenden 3
Auf www.hagelregister.at sind geprüfte Materialien aufgelistet. 331
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Abdichtungsbahnen für Hagelschlag geeignet sein. Hinweise zu geeigneten Materialien finden sich in Kapitel 9.7.2. In [60] werden folgende konstruktive Schutzmaßnahmen empfohlen: • Horizontale Flächen wie beispielsweise an einer Attika sind mit einer ausreichend gegen Sog bfestigten Blechabdeckung zu schützen. An Gebäuden mit untergeordneten Nutzungen ohne außenliegende Wärmedämmung ist eine einlagige Kunststoffabdichtungsbahn mit mind. 1,5 mm Materialstärke ausreichend. Diese muss hohlraumfrei und auf ebener Unterlage vollflächig verklebt ausgeführt sein. • Vertikale Abdichtungen, die sich im Spritzwasserbereich von Flachdächern befinden, sind mit einem mechanischen Schutz (z. B. Blechabdeckung) zu versehen. Das Ablösen der vertikalen Elemente ist durch geeignete Randbefestigungen zu verhindern. • Schräge Abschlüsse, die nicht mit einem mechanischen Schutz versehen werden, sind mit geeigneten Maßnahmen gegen Abschälerscheinungen und Hohlraumbildungen zu schützen. Sie sind mit einem mind. 1,5 mm starkem frei bewitterbaren Material auszuführen. 9.3.4. Verstärkungen im Fundamentbereich Verstärkungen im Fundamentbereich sind erforderlich, wenn sich durch einwirkende Prozesse die Einwirkungen über das übliche Maß hinaus erhöhen oder Widerstände im Boden reduziert werden oder ganz entfallen. Konkret tritt dies für folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3.2) auf: • dynamische Überflutung, Feststoffablagerungen, Anprall von Objekten (1 b, 2, 3) • Seiten- und Tiefenerosion (direkte Wirkung fluviatiler Erosionen) (4 a) • sackende Rutschungen in Uferböschungen (4 b) • Rutschungen (14 a, 14 b, 14 c) • Erdfall (16) Diesen Gefährdungsbildern kann nur durch die Wahl einer entsprechenden Bemessungssituation und die Bemessung des Fundamentes darauf begegnet werden. Generell sind folgende Punkte zu berücksichtigen: • Platten- und Trägerrostfundamente können Teilunterspülungen durch Kräfteumlagerungen besser kompensieren als Streifen- und Punktfundamente. Ungeachtet der Baugrundverhältnisse ist eine tragende Bodenplatte (Plattenfundament) einem Streifenfundament vorzuziehen, so dass Teilunterspülungen nicht unmittelbar zu Setzungsschäden führen. • Fundierung mindestens 1,0 m unter die maßgebende lokale Erosionsbasis • Zusätzlich sind die Ausführungen in Kapitel 10.7 zu berücksichtigen.
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9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
9.4. Wasserdichte Bauweise Wasserdichte Bauweisen werden gegen den Eintritt von Wasser und mitgeführten Schwemmstoffen in das Gebäudeinnere eingesetzt. Diese Maßnahme ist für folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3.2) relevant: • Überflutung (1 a und 1 b) • Überschwemmung durch oberirdisches Hangwasser (6) • Grundwasserhochstand (7) • Rück- und Überstau aus dem Kanalnetz (8) • Hagel (18) Wasserdichte Bauweisen für überflutungsgefährdete Bereiche und Gebiete mit hohem Grundwasserstand sind zum Teil in österreichischen Bautechnikgesetzen und -verordnungen geregelt. Näheres dazu findet sich in Kapitel 7.4. 9.4.1. Wasserdichte Gebäudehülle Liegen erdberührte Außenbauteile eines Gebäudes im Grundwasser oder im Bereich des örtlich, maximal zu erwartenden Grundwasserspiegels, sind diese dementsprechend zu bemessen und in wasserdichter Bauweise auszuführen. Dabei sind mehrere Abdichtungsarten (Schwarze Wanne, Weiße Wanne, Braune Wanne) möglich, die nachfolgend beschrieben werden. Detaillierte Beschreibungen zur wasserdichten Bauweise finden sich auch in [75]. 9.4.1.1. Schwarze Wanne Bei schwarzen Wannen wird eine zusätzliche wasserseitig liegende Abdichtungshaut allseitig um die erdberührten Außenbauteile eines Gebäudes gelegt. Wesentlichste Kriterien gemäß ÖNORM B 2209-1 [164] sind die wannenförmige Ausbildung und die Einbautiefe. Als Abdichtungsmaterial sind Bitumen- oder Kunststoff-Abdichtungsbahnen vorzusehen, die vollflächig mit dem Untergrund verklebt oder lose verlegt (hoher Aufwand und hohe Genauigkeit in der Ausführung) werden. Abhängig von der Einbautiefe (bis bzw. über 4 m) wird zwischen Anzahl und Dicke der Abdichtungsbahnen unterschieden. Die zweilagige Abdichtung ist allseitig bis mindestens 50 cm über den Bemessungsgrundwasserstand (meist HQ100) zu ziehen. Darüber liegend wird die Abdichtung einlagig bis mindestens 30 cm über Geländeoberkante gezogen. Besondere Sorgfalt ist bei dem Anschluss Sohle- zu Wandabdichtung sowie beim Abschluss des oberen Abdichtungsendes erforderlich (Abb. 9.24). 9.4.1.2. Weiße Wanne Bei weißen Wannen übernimmt die erdberührte Gebäudehülle aus wasserundurchlässigem Beton sowohl die Funktion des Tragens als auch die der Abdichtung. Die Anforderungen an die Dichtheit des Bauwerks sind von der Wasserbeanspruchung und der Objektnutzung abhängig. Details dazu sind in der Richtlinie „Wasserundurchlässige Betonbauwerke – Weiße Wanne“ der Österreichischen Vereinigung für Beton- und Bautechnik zu finden [158]. Darin werden abhängig von äußeren Einflussfaktoren (z. B. Wasserdruck) und der Nutzungsart des Gebäudes, Konstruktionsklassen (z. B. Rissbreitenbeschränkung), Anforderungsklassen (z. B. 333
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Abb. 9.24. Wasserdichter Keller (unbeheizt) ausgeführt als schwarze Wanne für Einfamilienhäuser in Niedrigenergiehaus-Standard. Anmerkung: HGW = Höchster Grundwasserstand (© Treberspurg, Ertl-Balga, Mühling, Kodatsch)
trocken bis nass) und Expositionsklassen für die Dichtigkeit des Betongefüges für weiße Wannen definiert. Wasserundurchlässig hergestellter Beton ist nicht absolut wasserdicht. Das Prinzip beruht darauf, dass die durch Kapillarität oder hydrostatischen Druck in den Wandbauteil gelangten Feuchtigkeitsmengen vor der inneren Wandoberfläche in 334
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
den dampfförmigen Zustand übergehen und als Dampf an den Innenraum abgegeben werden. Für den Betrachter erscheint die Wandinnenoberfläche trocken, obwohl der Wandquerschnitt, abhängig vom Wasserandrang, mehr oder weniger stark durchfeuchtet ist. (Schnitt durch Kellerwand, siehe Abb. 9.25) Zur Vermeidung schädlicher Risse in weißen Wannen sind besondere Anforderungen an die Betonzusammensetzung (z. B. gute Verarbeitbarkeit, dichtes Gefüge, geringe Wasserabsonderung), an konstruktive Maßnahmen (z. B. rissbreitenbegrenzende Bewehrung), an bautechnische Vorkehrungen (z. B. Betonierarbeiten – Einbringung und Verdichtung, Ausschalzeitpunkt und Nachbehandlung) und an die Bauwerksfugen (z. B. Material und Lage) zu erfüllen (Abb. 9.25). Alle Arbeitsfugen und Bauwerksfugen sind mittels geeigneter Fugenbänder wasserdicht auszuführen. Nach [201] ergeben sich folgende Vor- und Nachteile bei Weißen Wannen. • Vorteile: – Einfache Konstruktion – Funktion Tragen und Abdichten in einem – Vereinfachte statische und konstruktive Gestaltung des Baukörpers – Herstellung bedingt witterungsabhängig – Kürzere Bauzeit, da keine Neben- und Abdichtungsarbeiten notwendig – Vorhandene Undichtheiten einfacher zu lokalisieren und zu beheben • Nachteile: – Auslegen der Konstruktion auf Rissfreiheit, dies erhöht den Bewehrungsgehalt – Abdichtung von Arbeitsfugen – Aufwändigere Fugenabdichtung bei Bauwerksfugen – Durch Dichtbeton allein wird der Feuchtigkeitstransport durch die Wand nicht verhindert – eventuell zusätzliche Abdichtungen notwendig – Zusätzliche Maßnahmen bei aggressiven Grundwässern erforderlich 9.4.1.3. Braune Wanne Die braune Wanne besteht aus wasserundurchlässigen, tragenden Stahlbeton und wasserseitig angebrachten geotextilen Dichtmatten mit Bentonitfüllung.4 Durch die hohe Wasseraufnahmekapazität und Quellfähigkeit bildet der aufquellende Bentonit eine abdichtende Hülle um die erdberührten Außenbauteile des Gebäudes. Im Falle der Planung einer braunen Wanne sind folgende Randbedingungen vorab zu beachten: • Braune Wannen sind nicht absolut wasserdicht, sondern gelten als wasserundurchlässig. Es ist daher abzuklären, ob während der Betriebsphase durch Abdichtung und Stahlbetonkonstruktion gelangende Feuchtigkeitsdiff usion im Gebäude abgeführt werden kann. • Da die Quellfähigkeit des Bentonit durch Salzkonzentrationen im Grundwasser beeinflusst wird, sind im Vorfeld Untersuchungen des Grundwassers vorzunehmen. Wesentliche Vorteile sind der einfache und witterungsunabhängige Einbau sowie der Selbstheilungseffekt der Abdichtung. Zudem werden geringere Anforderungen an die Rissbreitenbeschränkung und die Arbeitsfugen des Stahlbetonteiles im Vergleich zur weißen Wanne gestellt (Abb. 9.26). 4
Auf Grund der braunen Färbung des Bentonits entstand die Bezeichnung „braune Wanne“. 335
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Abb. 9.25. Wasserdichter Keller (unbeheizt) ausgeführt als weiße Wanne für Einfamilienhäuser in Niedrigenergiehaus-Standard. Anmerkung: HGW = Höchster Grundwasserstand (© Treberspurg, Ertl-Balga, Mühling, Kodatsch)
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9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.26. Wasserdichter Keller (unbeheizt) ausgeführt als braune Wanne für Einfamilienhäuser in Niedrigenergiehaus-Standard. Anmerkung: HGW = Höchster Grundwasserstand (© Treberspurg, Ertl-Balga, Müling, Kodatsch)
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9.4.2. Leitungsdurchführungen, Durchdringungen Generell sollten Durchdringungen in wasserundurchlässigen Bauteilen vermieden werden. Notwendige Durchdringungen müssen dauerhaft wasserdicht hergestellt werden. Die Abdichtungssysteme müssen für die jeweiligen Materialien geeignet sein und thermisch verursachte Rohrbewegungen im Durchdringungsbereich sowie Setzungen des Bauwerkes ausgleichen können. In der Regel funktioniert die Abdichtung über eine bzw. zwei Dichtungsmanschetten, die den Spalt zwischen Rohr und Wandöffnung abdichten (Abb. 9.27 A). Die zweite Möglichkeit sind Flanschrohre, wo der Flansch wasserdicht mit der Dichtung der Wand verbunden wird (Abb. 9.27 C). In beiden Fällen sind Dichtungssysteme für horizontale und vertikale Rohrdurchführungen (z. B. Gully) am Markt erhältlich. Üblicherweise ist jeweils eine Dichtung innen und außen angeordnet. Muss die Rohrdurchführung in der Lage sein, Setzungen aufzunehmen, werden die beiden Dichtungen einseitig angeordnet. Dadurch sind Verdrehungen in einem bestimmten Ausmaß möglich (Abb. 9.27 B). Laut ÖNORM B 2209 sind Anschlüsse an Durchdringungen mittels LosflanschFestflansch-Konstruktion an die Abdichtung der Gebäudehülle anzuschließen. Im Falle von drückendem Wasser müssen die durchzuführenden Rohre und Leitungen zum Schutz doppelt abgedichtet werden. Die Öffnungen für nachträglich einge-
Abb. 9.27. Prinzipzeichnungen von Durchdringungen und Rohrdurchführungen: (A) doppelte Dichtung bei Rohrdurchführung gegen drückendes Wasser ohne zu erwartende Setzungsunterschiede; (B) mit zu erwartenden Setzungsunterschieden; (C) Fest- und Losflanschkonstruktion
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9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
baute Leitungsdurchführungen müssen mittels Kernbohrung hergestellt werden, nachträgliches Stemmen ist aufgrund der Rissgefahr unzulässig. Im Neubau können durch das Einbetonieren von Futterrohren (Leerrohre) Öffnungen für spätere Rohrdurchführungen freigehalten werden. 9.4.3. Rückstausicherungen für Hauskanäle Generell sind alle Abwasseranschlüsse, die unterhalb der Rückstauebene des Kanals liegen, mit einer Rückstausicherung auszustatten. Die Rückstausicherung befindet sich zwischen dem öffentlichen Kanal und den Entwässerungsgegenständen. Bei den Rückstausicherungen wird zwischen passiv wirkenden Rückstauverschlüssen gemäß Abb. 9.28 und aktiv pumpenden Hebeanlagen für fäkalienhaltige oder fäkalienfreie Wässer gemäß Abb. 9.30 unterschieden. Bei Rückstauverschlüssen ist zu beachten, dass sie nur unter bestimmten Voraussetzungen zum Einsatz kommen dürfen, da sie sonst ein Risiko darstellen. Eine detaillierte Beschreibung der Konstruktion und Bemessung findet sich beispielsweise in [206]. 9.4.3.1. Rückstauverschlüsse Bei der Entwässerung eines rückstaugefährdeten Gebäudes im freien Gefälle kann nach dem letzten Entwässerungsgegenstand unterhalb der Rückstauebene ein Rückstauverschluss eingebaut werden. Dabei ist zu beachten, dass der Anschluss
Abb. 9.28. Rückstausicherung mit Rückstauverschluss
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von Fallleitungen und anderen Entwässerungsobjekten oberhalb der Rückstauebene nur nach dem Rückstauverschluss erfolgen darf (ON EN 12 056 -1, 2000). Im Falle eines Rückstauereignisses würde es andernfalls zu einer Überflutung der Räume unterhalb der Rückstauebene durch hauseigene Abwässer kommen, da der Rückstauverschluss zu diesem Zeitpunkt die Gebäudeentwässerung über den Hauskanal komplett unterbindet. Wird der Rückstauverschluss aktiviert, darf kein Abwasser aus den Entwässerungsobjekten unterhalb der Rückstauebene mehr eingeleitet werden, da es nicht abgeführt werden kann. Rückstauverschlüsse dürfen nur für Abwässer aus untergeordneten Räumen, die unterhalb der maßgeblichen Rückstauebene liegen, verwendet werden. Bei Neubauten dürfen sie nicht in der Sammel- oder Grundleitung eingebaut werden, wenn davor Fallleitungen angeschlossen wurden. Folgende Voraussetzungen müssen laut ON EN 12 056-4 (2000) und ON B2501 (2009) erfüllt sein: • Abwasseranfall durch selten benützte Entwässerungsgegenstände unterhalb der Rückstauebene • Räume mit untergeordneter Nutzung (keine wesentlichen Sach- oder Gesundheitsschäden im Falle einer Überflutung) • Kleiner Benutzerkreis, dem oberhalb der Rückstauebene eine Toilette zur Verfügung steht • Benützungsverzicht bei Rückstau möglich • Freies Gefälle zum Kanal In der Sammel- oder Grundleitung dürfen laut ÖNORM B 2501 Rückstauverschlüsse nur als Notlösung bei der Ertüchtigung von Bestandsbauten, in Kombination mit einer Hebeanlage, die eine Entwässerung auch im Rückstaufall gewährleisten kann, verwendet werden, wenn davor Fallleitungen angeschlossen wurden. Folgende Anforderungen müssen dabei erfüllt sein: • Anordnung eines automatischen Schiebers (Typ 3) • Anordnung einer Hebeanlage oberhalb des Verschlusses • Schacht mit offenem Gerinne, oberhalb des Verschlusses mit Überlauf zur Hebeanlage, möglichst außerhalb des Gebäudes • Optische oder akustische Warnanlage für Pumpenausfall mit Notstromversorgung • Vollständige Freigabe des Kanalquerschnitts im Normalbetrieb • Zwei redundante Pumpen bei Gebäuden mit mehr als einer Wohneinheit Die ÖNORM EN 13 564 -1 unterscheidet folgende Typen von Rückstauverschlüssen (Abb. 9.29): • Für horizontale Leitungen – Typ 0: ein selbsttätiger Verschluss – Typ 1: ein selbsttätiger Verschluss + ein Notverschluss – Typ 2: zwei selbsttätige Verschlüsse + ein Notverschluss – Typ 3: ein durch Fremdenergie betriebener, selbsttätiger Verschluss + ein Notverschluss (unabhängig vom selbsttätigen Verschluss)
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9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.29. Typen von Rückstauverschlüssen (Prinzipzeichnungen) für horizontale Leitungen: (A) Typ 0; (B) Typ 1; (C) Typ 2; (D) Typ 3
• Für Bodenabläufe und Ablaufgarnituren – Typ 4: ein selbsttätiger Verschluss + ein Notverschluss – Typ 5: zwei selbsttätige Verschlüsse + ein Notverschluss Für die Typen 1,2,4 und 5 gilt, dass der Notverschluss in den selbsttätigen Verschluss integriert sein darf. In Österreich dürfen für fäkalienhaltige Abwässer nur die Typen 2 und 3 verwendet werden. Die regelmäßige Wartung der Verschlüsse ist sehr wichtig, da sie im Ereignisfall einwandfrei funktionieren müssen. Sind die Klappen durch Ablagerungen verstopft, können sie nicht ordnungsgemäß schließen. Folgende Wartungsarbeiten sind durchzuführen: • 2 x/jährlich durch einen Sachkundigen bzw. Typ 3 durch einen Fachkundigen • Empfohlen: 1 x/Monat augenscheinliche Kontrolle und Betätigen des Notverschlusses durch den Eigentümer.
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9.4.3.2. Abwasserhebeanlagen Abwasserhebeanlagen sind technisch aufwändiger, sie fördern jedoch auch im Rückstaufall Abwasser in den öffentlichen Straßenkanal und halten somit die Gebäudeentwässerung aufrecht. Sie bieten im Gegensatz zu Rückstauverschlüssen ein hohes Maß an Sicherheit und der Sammelbehälter ermöglicht, selbst im Falle eines Pumpendefekts noch eine gewisse hauseigene Abwassermenge zu puffern und somit eine Überflutung im Gebäude zu verhindern. Abwasserhebeanlagen sind nach ÖNORM EN 12 056- 4, der ÖNORM EN 12 050 Reihe und ÖNORM B 2501: 2009 zu planen und zu bemessen. In folgenden Fällen ist eine Hebeanlage anzuordnen: • Abwasseranfall unterhalb der Rückstauebene • Anfallendes Oberflächenwasser außerhalb des Gebäudes unterhalb der Rückstauebene (Einleitung in Kanal getrennt von häuslichem Abwasser) • Abwasseranfall oberhalb der Rückstauebene nur in Ausnahmefällen (z. B. Sanierung) • Abwasserförderung vorbei an Rückstauverschlüssen als Notlösung für Bestandsbauten Die Anordnung einer Abwasserhebeanlage in Abhängigkeit der Höhenlage des Sammelkanals ist in Abb. 9.30 dargestellt. Wichtig ist dabei, dass die Abwässer
Abb. 9.30. Rückstausicherung mit Hebeanlage 342
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
über die maßgebliche Rückstauebene gehoben werden. Entscheidend ist die Sohle der Rückstauschleife. Um die Sicherheit zusätzlich zu erhöhen, wird empfohlen die Sohle der Rückstauschleife ein paar Zentimeter (sog. Stauhöhe „hS“) über der maßgeblichen Rückstauebene zu führen. Einen Sonderfall stellen Fäkalienhebeanlagen zur begrenzten Verwendung dar. Diese sind in der ÖNORM EN 12 050-3 behandelt. Sie verfügen über keinen Sammelbehälter im engeren Sinn und bieten kaum Pufferwirkung. Folgende Anforderungen müssen erfüllt sein: • Abwasseranfall unterhalb der Rückstauebene • Entsorgung einer unmittelbar angeschlossenen Einzeltoilette nach EN 33 oder EN 37 • Kleiner Benutzerkreis, dem oberhalb der Rückstauebene eine Toilette zur Verfügung steht • Zusätzlich zur Toilette dürfen nicht mehr als ein Handwaschbecken, eine Dusche und ein Bidet angeschlossen werden, die sich zudem allesamt mit dem WC im gleichen Raum befinden müssen. Bei Hebeanlagen werden unterschieden: • Anlagen für Regenwasser • Anlagen für fäkalienfreies und fäkalienhaltiges Abwasser • Anlagen für fäkalienhaltiges Abwasser zur begrenzten Verwendung • Anlagen mit (nur in Sonderfällen) und ohne Fäkalienzerteilung • Anlagenanordnung außerhalb oder innerhalb des Gebäudes Eine regelmäßige Wartung der Hebeanlagen ist sehr wichtig, da die meisten Anlagen ständig im Betrieb sind: • 4 x/jährlich durch einen Fachkundigen bei gewerblichen Betrieben • 2 x/jährlich durch einen Fachkundigen bei Mehrfamilienhäusern • 1 x/jährlich durch einen Fachkundigen bei Einfamilienhäusern • Empfohlen: 1 x/Monat augenscheinliche Kontrolle durch den Eigentümer 9.4.3.3. Bemessung Das hydraulische Leistungsvermögen von Entwässerungssystemen ist generell nach ÖNORM EN 752, ÖNORM B 2501 und ÖNORM B 2503 festzulegen. Die Rückstauebene gibt den durch Rückstau höchstens auftretenden Wasserspiegel im Entwässerungssystem an (Druckhöhe Δh). Dies ist jene Höhe, bis zu der sich der Kanal mit Wasser füllen kann, bevor er über die Kanalabdeckungen auf der Straße austritt, plus eines Zuschlags aufgrund örtlicher Gegebenheiten. Generell soll die Festlegung der maßgeblichen Rückstauebene durch die Behörde oder den Planer erfolgen. Fehlen diese Angaben, so ist unter Berücksichtigung örtlicher Rahmenbedingungen die maßgebliche Rückstauebene wie folgt festzulegen: • Bei ebenen Straßen liegt sie auf Niveau der Gehsteigoberkante an der Einmündungsstelle bzw. auf Straßenniveau plus 10 cm. • Bei Straßen mit Gefälle kann für die maßgebliche Rückstauebene ein deutlich höherer Punkt im Kanalnetz maßgeblich sein (Abb. 9.31). In der Regel ist dies 343
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Abb. 9.31. Beispiel zur Festlegung der maßgeblichen Rückstauebene bei Straßen mit Gefälle; (A) Grundriss; (B) Längsschnitt durch die Straße
die nächstgelegene Einlaufstelle (Kanaldeckel) gegen die Fließrichtung des Kanals. • In Überschwemmungsgebieten ist der Hochwasserstand (BHQ) für einen eventuellen Rückstau in die Kanalisation zu betrachten (Abb. 3.3). 9.5. Schutz von Gebäudeöffnungen Gebäudeöffnungen müssen je nach Naturgefahr gegen Wassereintritt, Eintritt von Murmaterial, Steinen oder Lawinenschnee geschützt werden. Bei Fließ- und Sturzprozessen, bei denen hohe Drücke und/oder punktuell hohe Lasten entstehen, bieten handelsübliche Fenster und Türen in der Regel zu wenig Schutz. Gegen diese Einwirkungen müssen die Öffnungen durch fest installierte oder bewegliche Elemente vor dem Fenster geschützt werden. Die Wahl der geeigneten Schutzelemente ist vom Gefährdungsbild (gemäß Tabelle 3.2) abhängig: • Überschwemmung durch oberirdisches Hangwasser (6), Überflutung (1 a und 1 b), Grundwasserhochstand (7), Muren (5) und Anprall von Hangmuren (15): – Wasserdichte Fenster + Schutzelemente gegen Anprall von Feststoffen – Handelsübliche Fenster + Wasserdichte Elemente vor dem Fenster (Dammbalken, wasserdichte Fensterläden) – Handelsübliche Türen + Wasserdichte Hochwasserschutztore • Lawinen (10 a, 10 b, 10 c) und Schneeablagerungen (9 a und 9 b): – Lawinenschutzfenster + Schutzelemente gegen Anprall von Feststoffen – Handelsübliche Fenster + Schutzelemente gegen Lawinendrücke (verstärkte Fensterläden oder Schutzscheiben aus Glas) – Handelsübliche Türen + Schutzscheiben oder Vorhäuser gegen Lawinendrücke 344
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
• Steinschlag (12 a und 12 b) – Handelsübliche Fenster + Fenstergitter – Handelsübliche Türen + Schutzscheiben oder Vorhäuser gegen Steinschlaganprall 9.5.1. Wasserdichte Öffnungen Liegen Öffnungen an Gebäudeseiten und in Gebäudehöhen, bei denen mit drückendem Wasser, Grundwasserhochstand, Überflutung oder Vermurung zu rechnen ist, sind diese entsprechend zu bemessen und in wasserdichter Bauweise auszuführen. Nachfolgend werden einige Arten von wasserdichten Gebäudeöffnungen mit möglichen Detailausbildungen beschrieben. 9.5.1.1. Wasserdichte Lichtschächte (Kellerschächte) Zur natürlichen Belichtung und Belüft ung von Kellerräumen, die unter Terrain liegen, müssen Fenster vorgesehen werden, denen ein Lichtschacht vorgesetzt ist. In Gebieten, in denen mit drückendem Wasser und Grundwasserhochständen zu rechnen ist, ist hauptsächlich der Wassereintritt durch die Fuge Kellerlichtschacht/Kellerwand zu unterbinden. Hierfür sind laut [201] folgende Punkte zu beachten: • Die wasserdichte Hülle muss auch die Lichtschächte umfassen. • Die Abdichtung muss vollflächig um die Lichtschächte herum geführt werden. Oft wird das Grundwasser durch die Anschlussfuge Lichtschacht/Mauerwerk in den Schacht gedrückt. • Die Abdichtung der Lichtschachtuntersicht ist oft nur erschwert möglich, daher ist der Anbindung des Lichtschachtes an die auskragende Fundamentplatte der Vorzug einzuräumen. • Unterschiedliche Ausführungsarten sind möglich (Abb. 9.34 und Abb. 9.35). Von Mischkonstruktionen wie z. B. Keller als schwarze Wanne und Lichtschächte aus wasserdichtem Beton ist abzuraten. • Berücksichtigung des Auftriebes auf den Lichtschacht bei Grundwasserhochständen. • Wenn mit dem Eintrag von größeren Mengen an Regenwasser zu rechnen ist, ist eine Abdeckung bzw. Überdachung der Lichtschächte (Abb. 9.34) und/oder eine Entwässerung über eine Kanalanbindung notwendig. Dabei sind die Folgen für das Kanalsystem (z. B. Rückstau, Fremdwasserzutritt) zu beachten. Die Entwässerungen der Lichtschächte müssen so ausgeführt werden, dass kein Rückstau von Wasser in der Kanalisation zur Überflutung der Lichtschächte führt (siehe Kapitel 9.4.3). Wenn mit Hochwasserabflüssen und Oberflächenwasser zu rechnen ist, muss der Wassereintritt in den Lichtschacht von oben her unterbunden werden. Dafür bestehen folgende Möglichkeiten: • Druckwasserdicht mit der Außenwand verbundene, nach unten geschlossene Kellerfensterlichtschächte aus Stahlbeton, die mind. 0,5 m über das Hochwasserniveau hochgezogen werden (Abb. 9.32). 345
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Abb. 9.32. Wasserdichte Bauweise: (A) hochgezogene Kellerlichtschächte und erhöhter Hauseingang (B) hochgezogener Kellerlichtschacht (Bild A: © BMLFUW; Bild B: © IAN)
• Kellerlichtschächte mit beweglichen Stahlabdeckungen mit Gummidichtungen verschließen. Bei drohender Hochwassergefahr können diese vorsorglich geschlossen werden, im Alltag wird eine natürliche Beleuchtung und Belüftung der Kellerräume zugelassen (Abb. 9.33 B). • Kellerlichtschächte mit Glasbausteinen verschließen (Abb. 9.33 A). Kellerräume ohne die Notwendigkeit von Luftzirkulation können so gegen Oberflächenabflüsse weitgehend dicht gemacht werden. • Bei dynamischem Hochwasser mit Erosion und Feststofftransport müssen die Lichtschächte aus Stahlbeton errichtet werden (Abb. 9.32), da Kunststofflichtschächte, wenn sie durch Erosion freigelegt werden, dem Anprall von Festkörpern nicht standhalten.
Abb. 9.33. Wasserdichte Bauweise: (A) mittels Glasbausteinen abgedichtete Kellerlichtschächte; (B) wasserdichte Klappen an Kellerlichtschächten (© IAN)
346
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.34. Überdachter Lichtschacht zu unbeheiztem Keller bei drückendem Grundwasser und Hochwasser, ausgeführt als schwarze Wanne für Einfamilienhäuser in NiedrigenergiehausStandard. Der Kellerlichtschacht ist über die Hochwassermarke gezogen und mit einem Glasdach abgedeckt. Anmerkung: HGW = Höchster Grundwasserstand; BHQ = Bemessungshochwasser (© Treberspurg, Ertl-Balga, Mühling, Kodatsch)
347
Martin Treberspurg et al.
Abb. 9.35. Lichtschacht aus glasfaserverstärktem Kunststoff sowie Zargenfenster mit umlaufendem Dichtflansch zu unbeheiztem Keller bei drückendem Grundwasser und Hochwasser, ausgeführt als weiße Wanne für Einfamilienhäuser in Niedrigenergiehaus-Standard. Anmerkung: HGW = Höchster Grundwasserstand; BHQ = Bemessungshochwasser (© Treberspurg, Ertl-Balga, Mühling, Kodatsch)
Um die Anzahl an Bauwerksfugen bei Kellerlichtschächten aus wasserundurchlässigem Beton zu minimieren, zeigt nachfolgende Abbildung eine günstige Ausführung durch Zusammenfassung der einzelnen Lichtschächte (Abb. 9.36).
348
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.36. Ausführung von Kellerlichtschächten mit WU-Beton bei drückendem Grundwasser. (© Treberspurg, Ertl-Balga, Mühling, Kodtsch; modifiziert nach Lohmeyer [138]) 349
Martin Treberspurg et al.
9.5.1.2. Wasserdichte Fenster und Türen Befinden sich Fenster und Türen in Geschossen, bei denen mit erhöhtem Grundwasserspiegel oder Hochwasser zu rechnen ist, muss hier besonders auf die Wahl von wasser- und druckdichten Konstruktionen, Mauerwerksanschlüssen und geeigneten Abschottungen geachtet werden. Folgende Aspekte sind zu beachten: • Wasserdichte, verstärkte Fenster und Türen von außen anschlagen, also nach außen öffnend. Der Anpressdruck des anstehenden Wassers drückt das Fensterblatt auf den Rahmen bzw. die Dichtung und sorgt somit für zusätzliche Abdichtung. • Wassereinbruch an der Verbindung Fensterstock-Mauerwerk verhindern. Eine stabile Verbindung zwischen Fenster- und Türstöcken und dem umgebenden Mauerwerk leitet die auftretenden Kräfte optimal in die Mauer ab. Das übliche Fixieren von Rahmen mittels Montageschaum ist nicht empfehlenswert. Vielmehr ist ein stabiler Stahlrahmen in das Mauerwerk zu integrieren, auf den von außen der Fensterrahmen aufgelegt, fi xiert und abgedichtet wird. • Bei Türstöcken Metallzargen bevorzugt einsetzen. Als Türblatt bewähren sich verzinkte Stahl-, Aluminium- oder Edelstahltüren. Derartige Türen gibt es in speziellen Ausführungen als doppelwandige Hochwassertüren. Da diese im Wohnbereich jedoch unansehnlich sind, können hier auch massive Holztürblätter verwendet werden, die im Hochwasserfall vorsorglich ausgehängt werden. Auch die Verwendung von massiven Holzzargen ist grundsätzlich möglich, während solche aus Spanplatten auf Grund ihrer Quellfähigkeit zu vermeiden sind. • Verstärkte Dichtungen bei Fenstern verwenden. Dadurch verzögert sich das Eindringen von Wasser durch die Fugen im Fenster. Derzeit gibt es keine normativen Regelungen für hochwassersichere Fenster und Türen. Sie können in Anlehnung an Normen, die für den Schiffsbau5 gelten und die Bezug auf Dichtheit der Rahmen und Belastbarkeit der Beschläge gegen drückendes Wasser nehmen, konstruiert werden. Nachfolgende Abbildungen zeigen Detailausbildungen eines Fensteranschlusses bei statischer Überflutung (Abb. 9.37) und eines Türanschlusses bei dynamischer Überflutung (Abb. 9.38 und Abb. 9.39). Bei statischer Überflutung können wasserdichte Fenster gut eingesetzt werden. Bei der Verwendung von Isolierglas sollte die äußere Scheibe entsprechend Tabelle 9.3 gewählt werden, mit einer inneren Scheibe von mindestens 8 mm Stärke. Bei Neubauten kann eine architektonisch befriedigende Lösung gesucht werden, indem solche Schutzschilde direkt unter den Öffnungen in die Fassade integriert werden. Im Ereignisfall können diese nach oben gefahren werden. Bei höheren Beanspruchungen müssen wichte Fensterläden oder Dammbalkensysteme verwendet werden. 5
350
Dazu gehören unter anderen: ISO 3903 :1993 – Shipbuilding and marine structures -Ships’ ordinary rectangular windows, ISO 1751:1993 – Shipbuilding and marine structures – Ships’ side scuttles und ISO 614 :1989 – Shipbuilding and marine structures – Toughened safety glass panes for rectangular windows and side scuttles – Punch method of non-destructive strength testing.
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.37. Fenster mit vorgesetztem Dammbalkensystem für Einfamilienhäuser in Niedrigenergiehaus-Standard, zum Einsatz gegen Oberflächenabflüsse und statische oder dynamische Überflutung (© Treberspurg, Ertl-Balga, Mühling, Kodatsch)
351
Martin Treberspurg et al.
Tabelle 9.3. Empfohlene Stärken von Glasscheiben in Abhängigkeit der Wasserdruckhöhe; aus [58] Einfachglas (Abmessung der Scheibe h x b)
Druckhöhe Wasser Druckhöhe Wasser Druckhöhe Wasser ab Unterkante Scheibe ab Unterkante Scheibe ab Unterkante Scheibe 1,0m 1,5m 2,0m
100 × 100 cm
15 mm Float/ VSG aus 2 × 8 mm Float
19 mm Float/ VSG aus 2 × 12 mm Float
VSG aus 2 × 19 mm Float
100 × 200 cm
VSG aus 2 × 12 mm Float
Glasscheiben ungeeignet
Glasscheiben ungeeignet
9.5.1.3. Wasserdichte Fensterläden und Hochwasserschutztore Handelsübliche nicht wasserdichte Fenster und Türen können mittels wasserdichten Fensterläden oder Hochwasserschutztoren abgedichtet werden. Dabei werden vom Fenster oder der Tür unabhängige Konstruktionen an der Außenseite der Wand befestigt. Solche Konstruktionen bestehen aus einem kraftschlüssig und wasserdicht mit der Wand verbundenen Stahlrahmen, an dem die Fensterläden mittels Scharnieren befestigt sind. Die wasserdichten Fensterläden werden geschlossen und über geeignete Konstruktionen in den Stahlrahmen und die darin angebrachten umlaufenden Dichtungen gepresst. Dadurch wird die Öffnung abgedichtet. Die Fensterläden sind aus Stahl, Edelstahl oder Holz gefertigt. Solche Konstruktionen bieten auch einen höheren Schutz gegen Anprall von Feststoffen als wasserdichte Fenster. In Abb. 9.38 ist ein Schnitt durch ein Hochwasserschutztor für eine Terrassentür dargestellt. Das eigentliche Tor ist aus einem Rahmen aus Stahlhohlprofilen mit angeschweißtem Stahlblech und umlaufenden Dichtungsbändern gefertigt. Das Tor wird über Kippbeschläge und Schrauben gegen das Außenmauerwerk gepresst, um wasserdicht zu werden. In Abb. 9.38 ist zusätzlich eine wasserdichte Vorsatzschale aus Dichtbeton und einer dazwischen liegenden Wärmedämmung als Nachrüstung von Bestandsbauten dargestellt.
352
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.38. Terrassentür mit vorgesetztem Hochwassertor und zweischaligem Außenmauerwerk für Einfamilienhäuser in Niedrigenergiehaus-Standard, bei dynamischer Überflutung (© Treberspurg, Ertl-Balga, Mühling, Kodatsch)
353
Martin Treberspurg et al.
Abb. 9.39. Terrassentür mit vorgesetztem Hochwassertor und zweischaligem Außenmauerwerk (© Johannes Hübl)
Abb. 9.40. Wasserdichte Fensterläden: Fensterläden lassen sich optimal an den historischen Bestand angleichen oder in diesen einpassen (© Friedrich Mühling)
354
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.41. Wasserdichte Fensterläden: Fensterläden lassen sich optimal an den historischen Bestand angleichen oder in diesen einpassen (© Friedrich Mühling)
Abb. 9.42. Wasserdichte Fensterläden: Fensterläden lassen sich optimal an den historischen Bestand angleichen oder in diesen einpassen (© Friedrich Mühling)
Abb. 9.43. Wasserdichte Fensterläden: Die Fensterläden aus Stahlprofi len und Blechen halten auch Anprallstößen stand (© Friedrich Mühling)
355
Martin Treberspurg et al.
Abb. 9.44. Wasserdichte Fensterläden – Detail aus Abb. 9.43: Die Dichtungen der Fensterläden werden mittels einer drehbaren Stahlschnecke in den Stahlrahmen gepresst (© Friedrich Mühling)
Abb. 9.45. Wasserdichte Fensterläden zur Abdichtung von Geschäftseingängen (© Friedrich Mühling)
Abb. 9.46. Wasserdichte Fensterläden zur Abdichtung von Geschäftseingängen (© Friedrich Mühling)
356
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
9.5.2. Gegen Anprall verstärkte Öffnungen Wenn Gebäudeöffnungen erhöhten Druck- und Stoßkräften durch dynamische Prozesse (z. B. Murgang, Lawinen, Hangmuren, Anprall von Feststoffkomponenten) ausgesetzt sind, sind diese entsprechend zu bemessen und konstruktiv zu verstärken. Nachfolgend werden einige Maßnahmen zur Verstärkung und Absicherung von Türen und Fenstern gegen Anprall mit möglichen Detailausbildungen beschrieben. 9.5.2.1. Generelle Anforderungen an hochbeanspruchte Fenster Die Stabilität der Fenster und Türen kann durch folgende Maßnahmen erhöht werden: • Fensterstöcke auf Metallrahmen montieren: Fensterstöcke, die mittels PUSchaum nur in das Mauerwerk eingeschäumt wurden, sind nicht in der Lage, die Druckbelastungen einer Lawine oder Mure in das umgebende Mauerwerk abzuleiten. Oft bleiben die Glasscheiben unversehrt. Es wird jedoch der gesamte Fensterstock aus der Öffnung in das Innere des Gebäudes gedrückt. Daher sollten Fenster von außen auf einen fi x montierten Metallrahmen aufgelegt werden. Druck von außen erhöht somit lediglich den Anpressdruck des Fensters auf seinen Rahmen. • Stabile Fensterbeschläge und Fenster einbauen: Häufig sind bei Fenstern die Beschläge bzw. die Verriegelung des Fensters in seinem Rahmen zu schwach dimensioniert. Es wurden Lawinenschutzfenster nach einem speziellen Prüfverfahren entwickelt (ÖNORM B5301/5302), die den gängigen Anforderungen standhalten können und optisch von herkömmlichen Fenstern kaum zu unterscheiden sind. Dabei können Scheibe, Rahmen und Beschläge Druckbelastungen bis zu 20 kN/m² aufnehmen. • Fenster und Türen von außen anschlagen: Werden Fenster und Türen von außen angeschlagen, also nach außen öffnend montiert, so wird im Fall der Druckbelastung von außen der Anpressdruck des Tür- oder Fensterblattes auf den Rahmen erhöht und ein Versagen der Beschläge verhindert. 9.5.2.2. Lawinenschutzfenster Lawinenschutzfenster können für folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3.2) eingesetzt werden: • Schneeablagerungen (9 a und 9 b) • Lawinen (10 a, 10 b, 10 c) In Österreich werden Lawinenschutzfenster und -türen nach ÖNORM B 5301 bzw. ÖNORM B 5302 angeboten, welche für Fenster, Fenstertüren und Außentüren zum Schutz gegen Lawinen anzuwenden sind. Die Norm gilt für ein- und mehrflügelige Elemente in allen Öffnungsarten sowie für nicht bewegliche Bauteile (Fixverglasungen). Im Rahmen der ÖNORM B 5301 wurden vier Belastungsklassen definiert (Tabelle 9.4). Dabei erfolgt die Auswahl der jeweiligen Belastungsklasse aufgrund eines Gutachtens des Sachverständigen für Lawinenschutz, der die Belastungen auf Basis der zu erwartenden Lawineneinwirkungen für das jeweilige Objekt im Rahmen 357
Martin Treberspurg et al.
Tabelle 9.4. Lawinengefahrenzone: Belastungsklasse nach ÖNORM B 5301 Lawinengefahrenzone6 Rote Zone Gelbe Zone
Belastungsklasse
Belastung kN/m²
LS 5
5
LS 10
10
LS 15
15
LS 20
20
des Bauverfahrens definiert, bzw. durch den Antragsteller. Die Anforderungen der Prüfung beziehen sich auf die jeweilige Belastung vom Glas bis zum Anschluss des Lawinenschutzelementes an das Bauwerk.6 9.5.2.3. Fenster mit erhöhtem Hagelwiderstand Bei Fenstern mit erhöhtem Widerstand gegen Hagel sollte die äußere Scheibe aus Einscheibensicherheitsglas (ESG) und die innere aus Verbundsicherheitsglas (VSG) hergestellt werden. Die Ausführung der äußeren Scheibe in ESG hat sich bewährt. In [60] wird vorgeschlagen, die äußere Scheibe von Dachflächenfenstern oder Vordächern auf die maßgeblichen Schnee- und Windeinwirkungen laut EN 1991–1 zu bemessen. Als Biegefestigkeit für ESG Scheiben aus Floatglas sind 15 N/mm² anzusetzen. Beim Entwurf ist darauf zu achten, dass Glasscheiben relativ einfach ausgetauscht werden können. Vordächer aus Glas sollten bei Rahmenlagerung aus VSG und bei Punktlagerung aus teilvorgespanntem Glas (TVG) hergestellt werden. 9.5.2.4. Verstärkte Fensterläden oder Schiebelemente Gegen Lawinen- oder Mureneinwirkung können auf diese Druckwirkung ausgelegte, verstärkte Fensterläden (Abb. 8.37 A, Abb. 9.47, Abb. 9.48) oder Schiebeelemente (Abb. 9.49) eingesetzt werden. Die Fensterläden sind auf separat an der Wand montierten Stahlrahmen mittels Scharnieren befestigt und werden im Gefahrenfall geschlossen. Die Fensterläden sind aus Holz oder Stahl gefertigt. Sollen Fensterläden zusätzlich wasserdicht sein, sind die Anforderungen aus Kapitel 9.5.1.2 zu beachten. Die wasserdichte Ausführung von Schiebeelementen ist recht aufwändig. Folgende Punkte sind bei der Konstruktion zu beachten: • Die Anordnung von Fensterläden, die von außen angeschlagen sind, verhindert die direkte Einwirkung auf die Fenster und beugt effizient Schäden am Fenster bzw. Fensterrahmen vor. • Fensterläden sind kraftschlüssig mit dem tragenden Wandaufbau zu verbinden. Die Befestigung soll direkt in der Wand oder mittels eines stabilen Stahlrahmens (Abb. 8.37 C) erfolgen. Die Fensterläden sollen nicht auf den Fensterstock montiert werden. • Die Fensterläden müssen im geschlossenen Zustand mittels Haken, Schnappoder Schraubverschlüssen gegen Sogkräfte von außen gesichert sein. 6 358
Kategorie der Gefahrenzonen gemäß ForstG 1975, siehe Kapitel 5.2.2 und 5.2.4.
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
• Im geschlossenen Zustand sollten die Fensterläden bündig mit der Außenwandfläche abschließen. Dies reduziert deutlich die Schubkräfte (Abb. 8.37 C).
Abb. 9.47. Verstärkte Fensterläden aus Holz gegen Lawinendrücke (© Siegfried Sauermoser)
Abb. 9.48. Verstärkte Fensterläden aus Holz gegen Lawinendrücke zum Schutz von Dachgaupen (© Siegfried Sauermoser)
Abb. 9.49. Schiebeelemente aus Stahl als Schutz gegen Murdrücke: Öff nungen in der Prallwand sind klein oder verschließbar (© WLV)
359
Martin Treberspurg et al.
9.5.2.5. Schutzscheiben aus Glas Fenster in Prallwänden können auch mittels fest montierter Schutzscheiben aus Glas gesichert werden. Solche Scheiben eignen sich für geringe Staub- und Fließlawinenbeanspruchungen und Beanspruchungen durch dynamische Überflutungen in Verbindung mit wasserdichten Fenstern. Die Hauptrichtung des Prozesses sollte annähernd normal auf die Schutzscheiben liegen. Für Beanspruchungen durch Muren und Steinschlag sowie starke Stau- und Fließlawinenwirkung sind die Widerstände der Glasscheiben zu gering. Dabei werden vor den Fenstern auf die maßgeblichen Beanspruchungen bemessene Glasscheiben in einem Abstand von 8 bis 15 cm zur Wand montiert. Durch den Abstand ist ein ungestörter Lufteintritt in den Innenraum bei geöffnetem Fenster möglich. Weiters behindert die Glasscheibe die Aussicht und den Lichteinfall nur unwesentlich. Ein Vorteil dieser Scheiben ist, dass übliche Fenster verwendet und damit auch Bestandsbauten nachgerüstet werden können. Bei besonders hohen Beanspruchungen empfiehlt sich die Verwendung von Schutzscheiben und Lawinenschutzfenstern. Die Scheiben können auf einem Stahlrahmen aufliegend (Abb. 9.50 A) oder direkt mittels Punkthalters (Abb. 9.50 B) in der Wand montiert werden. Laut [56] können Schutzscheiben aus Glas bei schwachem Druck aus Staublawinen eingesetzt werden. Bei mittleren und höheren Drücken aus Fließlawinen sind Scheiben und Öffnungen möglichst klein zu halten oder die Schutzscheiben zusätzlich mit Stahlsprossen zu verstärken. In Tabelle 9.5 und Tabelle 9.6 sind in Abhängigkeit der Beanspruchungen empfohlene Dicken von Glasscheiben enthalten.
Abb. 9.50. Schutzscheiben aus Glas: (A) Befestigung mittels Stahlrahmen; (B) Befestigung mittels Punktglashalter (© Jürgen Suda)
360
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Tabelle 9.5. Mindeststärken von vierseitig gelagerten Schutzscheiben aus Glas in Abhängigkeit von Staublawinendrücken; aus [56], 32 Abmessungen [cm]
Staublawinendruck 3 kN/m²
Staublawinendruck 5 kN/m²
100 × 100
VSG7 aus 2 × 5 mm TVG8
VSG aus 2 × 5 mm TVG
120 × 100
VSG aus 2 × 5 mm TVG
VSG aus 2 × 6 mm TVG
150 × 100
VSG aus 2 × 6 mm TVG
VSG aus 2 × 8 mm TVG
150 × 60
VSG aus 2 × 4 mm TVG
VSG aus 2 × 5 mm TVG
Tabelle 9.6. Mindeststärken von vierseitig gelagerten Schutzscheiben aus Glas in Abhängigkeit von Fließlawinendrücken; aus [56], 32 Abmessungen [cm]
Staublawinendruck 3 kN/m²
Staublawinendruck 5 kN/m²
30 × 30
VSG aus 2 × 4 mm Float9
VSG aus 2 × 6 mm Float
30 × 30
VSG aus 2 × 4 mm TVG
VSG aus 2 × 5 mm TVG
60 × 60
VSG aus 2 × 6 mm Float
VSG aus 2 × 12 mm Float
60 × 60
VSG aus 2 × 5 mm TVG
VSG aus 2 × 8 mm TVG
Abb. 9.51. Beispiele für Schutzscheiben aus Glas: (A) mittels Punktglashalter befestigte Glasscheiben; (B) Detail eines Punktglashalters (© Jürgen Suda)
789
7 8 9
VSG: Verbundsicherheitsglas nach EN 12543-2. TVG: Teilvorgespanntes Glas nach prEN 1863. Float: Spiegelglas nach EN 572-2. 361
Martin Treberspurg et al.
9.5.2.6. Fenstergitter Fenstergitter bieten sowohl Schutz gegen den Anprall fester Komponenten in Fließund Lawinenprozessen sowie Steinschlag (Gefährdungsbilder 3, 10 a,b,c, 12 a,b; gemäß Tabelle 3.2) als auch gegen Einwirkung aus Hagel (Gefährdungsbild 18). Wasserdichte Fenster können mittels entsprechend bemessener Fenstergitter vor Anprall von im Abfluss mitgeführten Feststoffen geschützt werden. Der Vorteil gegenüber Dammbalken besteht darin, dass sie fest montiert sind und bei drohenden Ereignissen nicht erst eingesetzt werden müssen. Fenstergitter behindern auch kaum den Lichteinfall in den Innenraum, können jedoch einen ästhetischen Nachteil darstellen. Ein weiterer Vorteil ist, dass Fenstergitter auch als Schutz gegen Einbruch wirksam sind. Mittels Fenstergitter können Fenster auch vor Steinschlägen geschützt werden. Der Abstand zwischen den einzelnen Sprossen des Gitters muss kleiner als der kleinste zu erwartende Steindurchmesser sein. Eine Kombination aus Sprossen und dazwischenliegendem hochfestem Drahtgitter ist ebenfalls denkbar. Für beide Einsatzbereiche gilt, dass der Abstand zwischen Sprossen und Fenster so groß gewählt wird, dass ein ausreichender Deformationsweg zur Verfügung steht. Fenstergitter mit kleineren Maschenweiten (≤ 1 cm) können zum Schutz von Fenstern gegen Hagelschlag eingesetzt werden. Schutzgitter, die oberhalb von horizontalen Fenstern oder Lichteinlassflächen angeordnet werden, sind entsprechend den Dachfenstermaterialien bzw.den Hagelkorngrößen und Auftreffenergien zu dimensionieren. Horizontal angeordnete Gitter und Netze müssen so bemessen sein, dass sie die maximal zu erwartende Flächenlast aus den abgelagerten Hagelkörnern tragen können, ohne durch die Verformung auf die darunterliegende Glasscheibe
Abb. 9.52. Beispiel für ein nachgerüstetes Schutzgitter an einer Lichtkuppel (© Firma TIXIT Bernd Lauffer GmbH & Co. KG) 362
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
zu drücken. Die Maschenweite der Netze wird maßgebend von der Resistenz der darunterliegenden Materialien beeinflusst. Lichtkuppeln und Dachflächenfenster können jederzeit mit Schutzgittern nachgerüstet werden. Hier gibt es fertige Systeme am Markt (Abb. 9.52). Verstärkungen nach Kapitel 9.5.2.4 sind ebenfalls Möglichkeiten, um Fenster zu schützen. Die Dimensionierung kann jedoch erheblich geringer ausfallen. 9.5.2.7. Schutzscheiben und Vorhäuser Durch Schutzscheiben können Öffnungen, die sich in annähernd parallel zur Prozessrichtung situierten Wänden befinden, geschützt werden (Abb. 8.26, Abb. 8.43). Die Schutzscheibe übernimmt die Funktion einer Prallwand. Schutzscheiben werden aus Stahlbeton errichtet und sind kraftschlüssig mit dem Tragwerk des Gebäudes zu verbinden. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Kräfte aus der Scheibe über das Tragwerk schadlos in die Fundamente abgeleitet werden. Durch die Scheiben entsteht unmittelbar hinter ihnen ein geschützter Bereich. Sind Prozesse auch von oben zu erwarten (z. B. Steinschlag) oder bei Staublawinendrücken, so muss die Öff nung auch nach oben geschützt werden. An Eingängen können Schutzhäuser (Vorhäuser) angeordnet werden (Abb. 8.35, Abb. 8.36). Besteht neben Druckbeanspruchungen der Scheibe auch die Gefahr eines punktuellen Anpralls, sind vor der Scheibe Dämpfungselemente anzuordnen. Gleiches gilt für die Dächer der Vorhäuser. 9.6. Dachbegrünungen als Dämpfungselement Die Schaff ung von Siedlungsbiotopen durch Dachbegrünung kann sinnvoll mit der Funktion der Dämpfung von Steinschlag- und Lawineneinwirkungen kombiniert werden. Für die Funktion eines Gründaches als Dämpfungselement eignet sich am besten eine intensive Dachbegrünung. Intensive Gründächer sind auch ein wirksamer Schutz bei Hagelbeanspruchung. Bei lawinenbeanspruchten Pultdächern sind auch extensive Varianten möglich. Diese erhöhen jedoch nur die Integration des Daches in die Landschaft, besitzen aber keine Dämpfungseigenschaften. 9.6.1. Aufbau und Konstruktion von Dachbegrünungen Bei Dachbegrünungen wird je nach Stärke der Substratschichte und der Planzengesellschaft die extensive (Abb. 9.53 und Abb. 9.54) und die intensive Dachbegrünung
Abb. 9.53. Aufbau einer einschichtigen extensiven Dachbegrünung (© Florin Florineth) 363
Martin Treberspurg et al.
Abb. 9.54. Aufbau einer mehrschichtigen extensiven Dachbegrünung (© Florin Florineth)
unterschieden. Beispiele für extensive Begrünungen sind in Abb. 9.56 und Abb. 9.57 dargestellt. Unter einer intensiven Dachbegrünung versteht man einen mehrschichtigen Aufbau zwischen 20 und 150 cm Höhe. Das Gesamtgewicht liegt je nach Aufbau bei 150 – 900 kg/m2. Bei einem gewünschten Aufbau als Dämpfungselement von mindestens 60 cm Höhe ist mit einem Gesamtgewicht von 500 – 600 kg/m2 zu rechnen, je nach Art des verwendeten Substrats. Der Aufbau einer intensiven Dachbegrünung ist in Abb. 9.55 dargestellt. Über der tragenden Dachkonstruktion, Wärmedämmung und der Dachabdichtung (z. B. Schwarzdecke) wird ein Vlies verlegt, darüber die wurzel- und wasserfeste Folie (meist eine PVC- oder PE-Folie), die mit einem weiteren Schutzvlies überdeckt wird. Statt eines leichtgewichtigen Drainelements wird in diesem Fall eine Drainschicht mit gut entwässerndem Schottermaterial empfohlen (Körnung 2/16 – 2/20, Wasserdurchlässigkeit im Labor 10 mm Absenkung unter 1,5 Minuten, Schütthöhe 10 cm). Darüber wird ein Vlies verlegt, um das Einschlämmen von Feinmaterialien
Abb. 9.55. Aufbau einer mehrschichtigen intensiven Dachbegrünung (als Dämpfungselement geeignet) (© Florin Florineth) 364
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Abb. 9.56. Beispiel extensive Dachbegrünung: GräserSedum-Gesellschaft; (B) Trockenrasengesellschaft (© Florin Florineth)
Abb. 9.57. Beispiel extensive Dachbegrünung: Trockenrasengesellschaft (© Florin Florineth)
in die Drainschicht zu verhindern. Als Letztes erfolgt die Auflage der Vegetationstragschicht in einer Stärke von mindestens 50 cm als Dämpfungselement. Das Substrat soll gut wasserdurchlässig sein (im Labor 10 mm Absenkung in 3 – 8 Minuten, im eingebauten Zustand 40 mm Absenkung im Doppelring-Inklinometer unter 1 Stunde). Als Bodenart bietet sich ein anlehmiger oder lehmiger Sand an, eine Durchmischung mit Ziegelbruch bringt eine höhere Wasserspeicherfähigkeit und eine Gewichtsverminderung. Als Vegetation einer intensiven Dachbegrünung wird ein vielfältiger Gräser/ Kräuter-Bestand empfohlen, der sowohl gegen Steinschlag als auch gegen Lawinenschurf resistent ist (Abb. 9.58). Je nach Höhenlage, Exposition, Standort und Nutzung kann eine höher wachsende Wiesenmischung oder eine niedrig bleibende Böschungsmischung angesät werden. Die Ansaatmenge beträgt 10 –15 g/m2 , als Ansaatmethode genügt die einfache Trockensaat von Hand, als Dünger kann ein organisches Düngemittel dazugestreut werden. Ideale Ansaatzeiträume sind Frühjahr, Frühsommer und Frühherbst. Genauere Angaben zu Saatgutmischungen und Ansaatmethoden finden sich in [66].
365
Martin Treberspurg et al.
Abb. 9.58. Beispiel intensive Dachbegrünung mit GräserKräuter-Gesellschaft (© Florin Florineth)
9.6.2. Erhaltung und Pflege Gräser/Kräuter-Bestände mit genügendem Kleeanteil erhalten sich ohne weitere Düngung selbst, es sei denn, die Dachbegrünung wird als Fettwiese genutzt. Die wichtigste Pflegemaßnahme ist die Mahd, die je nach Standort 2 bis 3 Mal im Jahr erfolgt. Zur Erhaltung eines vielfältigen und bunt blühenden Pflanzenbestandes darf das frisch gemähte und reife Gras nicht gleich abtransportiert werden, sondern muss zum Trocknen ausgebreitet, nach der bäuerlichen Wirtschaftsweise gewendet und danach erst geerntet werden. Damit fallen viele Samen aus, die später keimen und eine vielfältig blühende Wiese oder einen niedrigen, blühenden bunten Blumenrasen ergeben. An von Lawinen überflossenen Dächern sollte das Aufkommen von Gehölzen verhindert werden. Erodierte Bereiche sollten möglichst rasch mit Substrat neu verfüllt und angesät werden. Einschlagkrater von Steinschlägen sollten regelmäßig neu verfüllt und die eingeschlagenen Komponenten entfernt werden. 9.7. Auswahl der Baumaterialien für naturgefahrenangepasstes Bauen 9.7.1. Beanspruchungen durch Wasser, Muren, Lawinen und Steinschlag Je nach relevantem Gefährdungsbild (gemäß Kapitel 3) und den daraus resultierenden Beanspruchungen müssen die für das Bauen in gefährdeten Bereichen verwendeten Baumaterialien bestimmte Eigenschaften erfüllen. In den nachfolgenden Tabellen sind die wichtigsten Baumaterialien (Tabelle 9.7), Wandaufbauten (Tabelle 9.8) und Ausbauteile (Tabelle 9.9) hinsichtlich deren Eignung in Abhängigkeit der jeweiligen Naturgefahr zusammengestellt und bewertet. Für wasserbeständige Materialien ist besonders die Saugfähigkeit entscheidend. Weiters ist bei der Baustoff wahl entscheidend, ob der Baustoff dauerhaft oder nur temporär mit Wasser in Berührung kommt. Besonderes Augenmerk ist bei allen hydrologischen Gefahren auf die Wasserbeständigkeit der Dämmstoffe zu legen. Feuchte Dämmschichten verringern in der Regel entscheidend ihre Wärmedämmwirkung. Obwohl durch technische Trocknungsverfahren die Funktion der Dämmschicht beinahe vollständig wiederhergestellt werden kann, ist dies nur als Notlösung anzusehen. Die Beständigkeit von 366
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Tabelle 9.7. Eignung von Baustoffen in Abhängigkeit der Naturgefahr (Zahlen bedeuten: 1 = gut geeignet, 2 = bedingt geeignet; 3 = ungeeignet) Widerstandsfähigkeit gegen Lawinen Baustoffe
1
Schüttmaterial – Erde
•
2
Muren
3
1
2
Steinschlag 3
1
2
•
Wasser
3
1
•
•
•
•
Mauerwerk
•
•
•
•
•
Stahlbeton
•
Holz
•
•
•
•
•
Stein Stahl
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
3
•
Steinmauerwerk Beton
2
•
•
•
•
Tabelle 9.8. Eignung von Wandaufbauten in Abhängigkeit der Naturgefahr (Zahlen bedeuten: 1 = gut geeignet, 2 = bedingt geeignet; 3 = ungeeignet) Widerstandsfähigkeit gegen Lawinen Wandaufbau
1
2
3
Muren 1
2
Steinschlag 3
1
2
Wasser
3
1
•
•
2
3
Tragender Wandteil Kalksandstein
•
Gebrannte Vollziegel
•
•
•
Hochlochziegel
•
•
•
Klinker
•
•
•
Beton
•
•
Glasbeton
•
Holz Holz-Blockbauweise
•
• •
• •
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Holzfachwerke – FT-Häuser
•
•
•
•
•
•
•
Stahlbetonelemente – FT-Häuser
•
•
•
•
Glasbausteine
•
•
•
•
Wandoberfläche außen Mineralische Putze (Zement, hydr. Kalk)
•
Verblendmauerwerk mit Luftschicht Steinzeugfliesen
• •
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Wasserabweisende Dämmung
•
Kunststoffsockel Faserzementplatten
•
• •
•
367
Martin Treberspurg et al.
Widerstandsfähigkeit gegen Lawinen Wandaufbau
1
2
Muren
3
Faserdämmstoffe
1
2
3
•
Natursteinmauerwerk
Steinschlag 1
2
3
•
•
Wasser 1
2
•
•
3 •
•
•
Wandoberfläche innen10 Mineralischer Zementputz
•
Kalkputz (hydraulische Kalke)
•
Gipsputze
•
Lehm (je nach Einwirkzeit)
•
Spezialputze (hydrophobiert)
•
Kunstharzputze
•
Dispersionsanstrich
•
Fliesen
•
•
Holz
•
Gipskartonplatten
•
10
Tabelle 9.9. Eignung von Ausbauteilen in Abhängigkeit der Naturgefahr (Zahlen bedeuten: 1 = gut geeignet, 2 = bedingt geeignet; 3 = ungeeignet) Widerstandsfähigkeit gegen Lawinen Ausbauteil
1
2
3
Muren 1
2
Steinschlag 3
1
2
3
Wasser 1
2
3
Fenster Holz
•
Kunststoff
• •
• •
•
• •
Aluminium
•
•
•
•
verzinkter Stahl
•
•
•
•
•
Fensterbänke Marmor
•
•
•
sonstiger Naturstein
•
•
•
Holz
•
•
•
beschichtetes Aluminium und Metall
•
Sandstein
•
•
•
Schiefer
•
•
•
•
•
•
•
• • • • • •
Türen Holzzargen / Stöcke
•
•
10 Beschichtung der Wand an der Innenseite für Gefahren Lawinen, Muren und Steinschlag nicht relevant. 368
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Metallzargen
•
•
•
•
Holztüren
•
•
•
Edelstahltüren
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Treppen Beton Vollholz
•
•
•
verzinkte Stahlkonstruktion
•
•
•
•
•
Massivtreppen aus Naturstein
•
•
•
•
Dämmstoffen gegenüber Feuchtigkeit wird in der ÖNORM B 2207 geregelt. Dort werden vier Feuchtewiderstandsklassen definiert (Tabelle 9.10). Weiters regelt diese Norm Mindeststandards bei der Ausführung der Abdichtungssysteme. Nach [75] ist in allen Bereichen des Gebäudes, in das Wasser in geringem Maße eindringen kann, die Dämmung gemäß Beanspruchungsgruppe W4 auszuführen.11 Um den erforderlichen Wärmeschutz zu erfüllen, müssen daher wasserbeständige Dämmmaterialien verwendet werden. Dazu zählen geschlossenzellige Polystyrole (XPS) sowie Schaumglas. Diese müssen nach den Richtlinien der Hersteller hohlraumfrei, vollflächig aufgeklebt oder in die Schalung mit eingelegt werden. Der Einbau solcher Dämmplatten sollte mindestens 50 cm über dem zu erwartenden Hochwasserhöchststand vorgesehen werden. Mineralwolle, Zellulose- und Schaf-
Tabelle 9.10. Feuchtigkeitswiderstandsklassen lt. ÖNORM B 2207; aus [75], 21 Beanspruchungsgruppe
W1
W2
W3
W411
Art der Belastung
Dauer und Höhe der Belastung (Intensität)
Luft feuchtigkeit
erhöht, kein Tauwasser
kurzzeitig hoch, evtl. Tauwasser
kurzzeitig hoch, Tauwasser
länger erhöht, Tauwasser
Reinigungswasser
Periodisch feuchtes Wischen
Feuchtes Wischen, periodische Nassreinigung
Periodische Nassreinigung
Tägliche Intensivreinigung
Spritzwasser
keines
kurzzeitig gering bis mittel
kurzzeitig, stark
länger anhaltend, mittel bis stark
Beispiele
Wohnbereich: WC, Flure, Stiegenhäuser
Wohnbereich: Küche, WC-Anlagen
Wohnbereich: Spritzwasserbereich, in Duschen und Badezimmern
Betriebsbereich: Küchen, Duschanlagen
11 Druckwasserbeanspruchte Fliesenbeläge, z.B. in Schwimmbecken und Wasserbehältern, unterliegen Sonderregelungen. 369
Martin Treberspurg et al.
wolldämmungen sind für hochwassergefährdete Gebiete generell ungeeignet, da diese nur sehr schwer zu trocknen sind. 9.7.2. Beanspruchungen durch Hagel Die Eignung eines Materials für eine Hagelbeanspruchung definiert sich über das Aussehen und die Gebrauchstauglichkeit des Materials nach einem Hagelereignis. Die wichtigste Gebrauchstauglichkeit ist die Wasserdichtigkeit der Materialien im beanspruchten Zustand. In der Schweiz wurden umfangreiche Untersuchungen durchgeführt, die im Elementarschutzregister Hagel (Stucki/Egli [245]) mündeten. Das Elementarschutzregister Hagel unterscheidet fünf Hagelwiderstandsklassen (HW, Tabelle 2.18). Die Klasseneinstufung erfolgt auf Basis von Prüfungen im Bezug auf die Schadenfreiheit. Die Hagelwiderstandsklasse definiert somit die Energie, bei der das Bauteil noch schadenfrei bleibt. Die erforderlichen Prüfungen und Versuchsaufbauten sowie die Definition der Schäden findet sich in [245]. Ab Mitte 2011 werden auch in Österreich im IGS (Tochter der Brandverhütungsstelle) Hagelbeschüsse durchgeführt und Bauprodukte zertifiziert12. Tabelle 9.11. Zuordnung unterschiedlicher Materialien zu den Hagelwiderstandsklassen (HW); nach [245] Bauteilkategorie
Produkt
Tonziegel
Biberschwanz ohne Falz Flachziegel mit Falz
Rollläden aus Metallprofi len
Hohlprofi l
Verglasung
Einsatz
Funktion
Dach
Wasserdichtheit Aussehen
4
0,45
Fassade
Aussehen
1
Hohlprofi l – geschäumt
0,25
Fassade
Aussehen
1
Volles Profi l (Ganzmetall)
0,9
Fassade
Aussehen
2
HW 4
Floatglas
4,0
Dach
Wasserdichtheit
5
Drahtglas
7,0
Dach
Wasserdichtheit
3
Einscheibensicherheitsglas (ESG)
6,0
Dach
Wasserdichtheit
5
8,0
Dach
Wasserdichtheit
5
Fassade
Wasserdichtheit
5
Verbundsicherheitsglas (VSG) Isolierglas Blechabdeckungen
Dicke [mm]
Abdeckblech Chromstahl verzinkt Kupfer-Titan-Zink
24,0 0,6 0,5 0,7
Dach
Aussehen
1
Fassade
Aussehen
2
Dach
Aussehen
2
Fassade
Aussehen
2
Wellblech
Stahl verzinkt
0,7
Fassade
Aussehen
2
Trapezblech
Aluminium
0,7
Fassade
Aussehen
1
12 Aktuelle Listen mit zertifizierten Produkten sind auf der Webseite www.hageregister.at abrufbar. 370
9. Schutzmaßnahmen am Gebäude – Konstruktion und Hochbaudetails
Faserzementplatten
Gewellt unbeschichtet
5,5
Dach
Flach lasierende Beschichtung
6,0
Fassade
Wasserdichtheit
4
Aussehen
4
Wasserdichtheit
5
Aussehen
5
Putz auf Außenwärmedämmung
Kunststoff putz auf EPS Silikatputz auf Mineralwolle
Fassade
Wasserdichtheit
3
Aussehen
3
Kunststoff putz auf Mineralwolle
Fassade
Wasserdichtheit
4
Aussehen
4
Holzbretter Fichte und Lärche
unbeschichtet gehobelt
25,0
Fassade
Aussehen
2
unbeschichtet sägerau
25,0
Fassade
Aussehen
2
beschichtet gehobelt
25,0
Fassade
Aussehen
213
beschichtet sägerau
25,0
Fassade
Aussehen
2
131415
Tabelle 9.12. Zuordnung unterschiedlicher Materialien zu den Hagelwiderstandsklassen (HW) aufgrund der Funktion Wasserdichtheit; nach [245] Bauteilkategorie
Produkt
Dichtungsbahnen
Polyvinylchlorid, weichgemacht (PVC – P) Thermoplastische Polyolefine (TPO)14
starr flexibel
Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk (EPDM)
starr
Polymerbitumenbahn SBS beschiefert Polymerbitumenbahn SBS besandet
starr flexibel
Polymethylmethacrylat (PMMA)
normal, Platte
Polycarbonat (PC)
Kunststoffplatten
Glasfaserverstärkter Kunststoff (GFK-UP)
Dicke [mm]
Einsatz
HW
1,5
Dach
5
1,5
Dach
5
1,5
Dach
5
flexibel
1,5
Dach
4
starr
5,2
Dach
5
flexibel
5,2
Dach
4
3,7
Dach
5
3,7
Dach
4
4
Dach
415
Platte
4
Dach
515
S3P
16
Dach
515
Welle
1,4
Dach
315
Fassade
315
5,0
Fassade
515
3,0/2,0
Dach
215
3,0/2,0
Dach
515
Flachplatte Licht-Kuppel Polymethylmethacrylat (PMMA), Außen- und Innenschale Polycarbonat (PC) Außen-, PMMA Innenschale
13 bei Lärche. 14 Dicke: 1,6 mm. 15 Diese Klassierung trifft nur für neuwertige Baustoffe zu. Der Hagelwiderstand nimmt infolge der natürlichen Bewitterung und der damit verbundenen Materialalterung innerhalb weniger Jahre stark ab. 371
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Jürgen Suda, Florin Florineth, Markus Holub
10.1. Allgemein Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude sind eigenständige Bauwerke, die an der Einwirkungsseite des Prozesses unmittelbar vor dem Gebäude errichtet werden. Entscheidend für die begriffliche Abgrenzung ist – neben der räumlichen Nähe – auch der Wirkungsbezug, somit die unmittelbare Schutzwirkung für ein einzelnes Gebäude oder eine Gebäudegruppe (Objektschutz). Schutzbauwerke, die in der weiteren Umgebung errichtet werden und eine großräumige Schutzwirkung ausüben (Schutzwasserbau, Wildbachverbauung, Lawinenanbruchverbauungen), werden in diesem Kapitel nicht behandelt. Informationen dazu finden sich beispielsweise in [200], [20] und [226]. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude sollen Prozesse aufhalten oder diese ablenken (siehe Tabelle 10.1). Das Ziel ist in allen Fällen, die Einwirkungen aus dem Prozess auf das Gebäude zu minimieren.1
Tabelle 10.1. Geeignete Bautypen von Schutzbauwerken vor dem Gebäude, als Schutz gegen die angeführten Gefährdungsbilder laut Tabelle 3 . 2 (Kapitel 3) Gefährdungsbilder Bautype des Schutzbauwerkes
1b
4a
5, 15
Ebenhöh
•
Spaltkeil
•
9a
10a
10b
12a
• •
•
12b
131
• •
•
Auffangmauern und Prallwände – ohne Dämpfungselement
•
•
•
– mit Dämpfungselement
•
•
•
•
•
Auffangdamm
•
•
•
•
•
Ablenkmauer Ablenkdamm
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Steinschlagnetz
1
•
•
•
Spontanrutschungen, die sich auf das Gebäude zubewegen. 373
Jürgen Suda et al.
10.2. Ebenhöh Ebenhöhe sind Konstruktionen, die den Prozess über das Gebäude hinweg leiten. Diese Maßnahme bietet Schutz gegen folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3 .2): • Einwirkung durch Mure (5) oder Anprall durch Hangmure (15) • Lawine überfließt Gebäude (10 b) • Steinschlag – rollend, springend (12 b) 10.2.1. Wirkungsweise Das eigentliche Ebenhöh besteht aus einer flachen Anschüttung, die bergseitig des zu schützenden Objektes angeordnet wird (Abb. 10.1). Sie soll das Dach nahtlos in das Gelände einbinden. Der Erdkörper reicht zumindest bis in Dachhöhe und bildet mit der Dachfläche eine durchgehende Ebene. Ein Ebenhöh bietet somit nur in Kombination mit einer ausreichend dimensionierten Dachkonstruktion wirksam Schutz für das Gebäude. Da das Ebenhöh den Prozess nicht spaltet (wie ein Spaltkeil) und meist nur so breit wie das Gebäude ist, bleiben die seitlichen Hauseingänge gefährdet. Ebenhöhe werden meist zum Schutz von untergeordneten Bauten (z. B. landwirtschaft liche Gebäude) mit saisonaler Nutzung angewendet.
Abb. 10.1. Bautype Ebenhöh (Prinzipdarstellung)
374
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
10.2.2. Konstruktion Beim Entwurf der Konstruktion sind Dachfläche und Ebenhöh immer gemeinsam zu betrachten. Durch die entsprechende Wahl der Neigungen des Ebenhöhs und des Gebäudedaches soll ein möglichst geringer Fließwiderstand für den Prozess resultieren, d. h. Geländesprünge sollten so gering wie möglich gehalten werden. Bei Lawinen wird das Dach im Idealfall als kleine Schanze ausgeführt (Abb. 9.4). Mit dem Ebenhöh wird der Anschluss an das bestehende Gelände hergestellt. Ebenhöhe werden in den meisten Fällen aus Erde geschüttet. Sie sind mindestens in der Breite des Gebäudes (Breite der Prallwand) auszuführen. Bei beengten Platzverhältnissen kann der Erdkörper seitlich durch Stützmauern begrenzt werden. In den meisten Fällen wird er als Böschung ausgeführt. Diese integriert sich besser in die Landschaft. Bei besonders erosiven Prozessen wird die Oberfläche des Ebenhöhs mit einer begrünten Grobsteinschlichtung gesichert.
Abb. 10.2. Ebenhöh: (A) Grundriss; (B) Schnitt A-A bei Variante für Steinschlag und Lawinen; (B) Schnitt A-A bei Variante für Lawinen; (D) talseitige Ansicht (© Jürgen Suda) 375
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.3. Details eines überschütteten Pultdaches aus Abb. 10.2 C: (A, oben) Detail A – Anschluss an die Stützmauer des Ebenhöhs oder eines Spaltkeiles; (B, unten): Traufendetail (© Treberspurg, Ertl-Balga, Mühling, Kodatsch)
376
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Ebenhöhe sind kraftschlüssig mit dem Gebäude verbunden (Abb. 10.2). Die bergseitige Wand des Gebäudes muss somit als Stützwand ausgeführt und entsprechend bemessen werden (Abb. 9.3). Bei Bestandsbauten muss die Rückwand verstärkt werden, am besten durch eine separat gegründete Vorsatzschale aus Stahlbeton. Die Rückwand muss die Erddrücke, die aus der Auflast der Prozesse resultierenden Zusatzerddrücke, die Auflast des Prozesses und die Horizontalkräfte aus dem Dach aufnehmen können. Das Dach muss auf die Auflast der Lawine oder Mure und die Reibungskomponente des jeweiligen Fließprozesses bemessen werden. Zur Aufnahme der aus der Reibung resultierenden Horizontalkräfte an den Auflagern des Daches sind diese in der verstärkten Rückwand des Gebäudes zu verankern. Bei Lawinen sind zur Berücksichtigung der Sogwirkung Dachvorsprünge und Vordächer knapp zu halten oder (besser) zu vermeiden. Bei Steinschlägen gelten die Ausführungen zu Dachkonstruktionen mit Dämpfungselement (Kapitel 9.3.3.2). Bei Lawinen sollte außerdem die Dachhaut möglichst glatt ausgeführt werden (z. B. Blechdach, Abb. 10.2 D). Bei Steinschlägen ist unbedingt ein Dach mit Dämpfungselement laut Kapitel 9.3.3.2 auszuführen (Abb. 10.2 C).
Abb. 10.4. Anschluss der Sparren eines Pultdaches mit Sparren an die Stützmauer des Ebenhöhs oder eines Spaltkeiles – Detail C in Abb. 10.2 (© Jürgen Suda)
377
Jürgen Suda et al.
Für Kamine und Entlüftungsstutzen, die über Dach geführt werden müssen, muss eine spezielle Lösung gefunden werden, da diese bei einem Ereignis meist zerstört werden. Eine Möglichkeit ist die Ausführung des Teiles über dem Dach durch eine leicht ersetzbare Konstruktion (z. B. überstehender Teil als eingestecktes Rohr). Bei Lüftungsstutzen wird es mit dieser Konstruktion keine Probleme geben. Bei Rauchfängen sind in der Regel regionale Bauvorschriften zu beachten. Falls von Behörden Zäune oder Absturzsicherungen vorgeschrieben werden, müssen diese so konstruiert werden, dass sie dem Fließprozess möglichst geringen Widerstand entgegensetzen. Hier empfehlen sich leichte Holzkonstruktionen, die auch relativ günstig wieder ersetzt werden können. 10.3. Spaltkeile Spaltkeile werden bergseitig (an der Einwirkungsseite) angeordnet und teilen den Gefahrenprozess, in dem sie ihn links und rechts des Gebäudes vorbeileiten. Die Maßnahme kann für folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3.2) eingesetzt werden: • Einwirkung durch Mure (5) oder Anprall durch Hangmure (15) • Schneeablagerungen seitlich (9 b) • Lawine (10 a) • Steinschlag – rollend, springend (12 b) • Rutschung oberhalb des Gebäudes (13)
Abb. 10.5. Bautype Spaltkeil (Prinzipdarstellung) (© Jürgen Suda)
378
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
10.3.1. Wirkungsweise Spaltkeile sind geeignet, einzelne Gebäude oder Masten zu schützen, indem sie den Prozess spalten und seitlich am Objekt vorbeileiten. Bei der Konzeption ist zu berücksichtigen, dass die abgelenkten Komponenten oder Fließprozesse in anderen Bereichen zu einer Erhöhung der Gefahr führen können. Angrenzende Liegenschaften oder Gebäude dürfen durch die Wirkung von Spaltkeilen nicht beeinträchtigt (stärker gefährdet) werden. 10.3.2. Konstruktion Ein Spaltkeil wird direkt am Gebäude oder unmittelbar davor angeordnet (frei stehender Spaltkeil). Bei der Konstruktion der Spaltkeile unterscheidet man massive Keile und Spaltkeile aus Mauern oder Stahl-Ablenkwänden. Folgende Bautypen sind möglich: • Massive Bautypen: – Steinschlichtung (ältere Bauweise, für landwirtschaft liche Nebengebäude, siehe Abb. 10.14, Abb. 10.15 B) – Gabionenbauwerk – Erdbauwerk (unbewehrt oder bewehrt, siehe Abb. 10.9) – Stahlbetonvollquerschnitt (bei kleineren Spaltkeilen, z. B. Abb. 10.15 A) • Mauern oder Ablenkwände: – Mauern aus Stahlbeton (ohne und mit oberflächlichem Mauerwerk, siehe Abb. 10.12) – Mauern aus Zementmörtelmauerwerk – Ablenkwände aus Stahl – Ablenkwände aus Stahl-Holz (nur für sehr geringe Beanspruchungen) Erdbauwerke werden gegebenenfalls an der Oberfläche mit einem Abrasionsschutz ausgestattet (Abb. 10.5). Hier wird in der Regel eine Grobsteinschlichtung verwendet. Bei beengten Platzverhältnissen kann der Spaltkeil auch mit einer Sockelmauer in Mauerwerk oder Stahlbeton ausgeführt werden. Die Verwendung von bewehrter Erde erlaubt ebenfalls steilere Böschungswinkel und eine kleinere Grundrissfläche. Für alle Bautypen gilt, dass der maximale Öffnungswinkel des Spaltkeiles 60° nicht übersteigt bzw. darf der Ablenkwinkel für den Prozess nicht größer als 30° werden (Abb. 10.6). Der Keil muss bergseitig so hoch ausgebildet werden, dass er nicht umflossen werden kann. Generell ergibt sich die erforderliche Höhe des Bauwerkes nach Kapitel 10.4.2. Bei Steinschlag entspricht HK1,d dem Bemessungswert der wirksamen Höhe HK,d nach Gl. (7). Bei Muren ergibt sich die bergseitige Höhe des Spaltkeiles (HK1,d) aus der Fließhöhe (hFl) und der Stauhöhe (hStau) inklusive einer additiven Sicherheitshöhe von 0,5 m nach Gl. (1). (1)
Bei Lawinen ist zusätzlich die Höhe der abgelagerten Schneedecke (hA) zu addieren. (2)
379
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.6. Empfohlene Abmessungen für Spaltkeile: (A) Grundriss; (B) Seitenansicht; (C) Talseitige Ansicht von Spaltkeilen für Muren, Fließlawinen und Steinschläge (HK1,d (HK2,d); (D) Talseitige Ansicht von Spaltkeilen für Lawinen mit Staubschichte (HK1,d < HK2,d) (© Jürgen Suda)
Die hausseitige Höhe (HK2,d) muss mindestens HK1,d entsprechen. Bei Staublawinen ergibt sich HK2,d aus der Firsthöhe des Gebäudes plus einer additiven Sicherheit von 0,5 m. Im Idealfall wird der Keil durch Flügelmauern seitlich des Objektes verlängert (Abb. 10.10). Dadurch entfallen die Reibungskräfte auf die Seitenwände und die Hauseingänge sind besser geschützt. Die Flügelmauer soll mindestens 1,5 m über jede Seite des Gebäudes hinausragen. Weiters soll ein Winkel zwischen Vorderkante des Hauses und äußerstem Punkt der Flügelmauer in Prozessrichtung von mindestens 20° eingehalten werden. Die hangseitige Spitze des Spaltkeiles ist hoch beansprucht und muss konstruktiv gesichert werden. Dies geschieht je nach Bautype mittels Grobsteinschlichtung, Stahlbetonwand oder Stahlblech. Die optimale Bauweise eines Spaltkeiles ist die einer Erdschüttung, welche gebäudeseitig direkt an das Gebäude geschüttet wird (Abb. 10.7) oder davor gegen eine Stützmauer (Abb. 10.10). Diese Konstruktionen fügen sich am besten in das Landschaftsbild ein. Bei Beanspruchung durch Steinschläge absorbiert die Erdschüttung die Energien des Stoßes. Näheres zur Begrünung von Spaltkeilen findet sich in Kapitel 10.8. Die weitere Konstruktion des Gebäudes sollte kraftschlüssig mit der bergseitigen Wand verbunden sein. Dadurch wird eine optimale Aussteifung dieser Wand 380
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Abb. 10.7. Bautype massiver Spaltkeil, ans Gebäude angeschlossen: (A) Grundriss; (B) Schnitt A-A; (C) talseitige Ansicht (© Jürgen Suda)
erreicht. Die hangseitige Wand wird wie eine Kellerwand ausgeführt. Sie muss gedämmt und abgedichtet werden (Abb. 10.8). Eine hangseitige Drainage ist ebenfalls erforderlich. Die Dachpfetten werden mittels Stahlkonsolen oder Stahlbetonkonsolen an die Wand angeschlossen. Dabei sind je nach Dachart (Kaltdach, Warmdach) Wärmebrücken zu vermeiden. In Abb. 10.8 ist ein häufig verwendeter Warmdachaufbau dargestellt. Frei stehende Stützmauern können aus Stahlbeton oder Zementmörtelmauerwerk errichtet werden (Abb. 10.10). Auf eine ausreichende hangseitige Drainage ist zu achten. Die Mauerquerschnitte von Spaltkeilen laut Abb. 10.11 entsprechen jenen der Schutzmauern. Zum Schutz vor Lawinen sind Querschnitte nach Abb. 10.20 A,B,C gebräuchlich. Für Spaltkeile mit geringeren Bauhöhen und Beanspruchungen können auch Querschnitte nach Abb. 10.20 D, E verwendet werden. Ausgeführte Beispiele mit Natursteinmauern sind in Abb. 10.12 dargestellt. Die Konstruktion von Spaltkeilen aus Stahl-Ablenkwänden (Abb. 10.13) ist analog Abb. 10.21 auszuführen. Bei dieser Konstruktion ist es wichtig, die bergseitige Ecke des Keils mittels angeschweißter Stahlplatten gegen Abrasion zu schützen.
381
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.8. Anschluss eines Giebeldaches an die Stützmauer eines Spaltkeiles – Detail D in Abb. 10.7 (© Jürgen Suda)
Abb. 10.9. Beispiele für Spaltkeile – Erdbauwerke als Spaltkeile: (A) in das Gelände integriertes Gebäude, wurde zusätzlich mit Spaltkeil gesichert; (B) Spaltkeil mit integrierter Stahlbetonmauer (siehe rechtes Gebäude). Die Flügel überragen die Objektbreite, so dass die seitlichen Hausmauern durch die Lawine unbeeinflusst bleiben (A, B: © WLV) 382
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Abb. 10.10. Bautype massiver Spaltkeil, frei stehend: (A) Grundriss; (B) Schnitt A-A; (C) talseitige Ansicht (© Jürgen Suda)
Abb. 10.11. Bautype massiver Spaltkeil, frei stehend, aus Stahlbeton oder Mauerwerk: (A) Grundriss; (B) Ansicht von der Seite; (C) talseitige Ansicht (© Jürgen Suda) 383
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.12. Beispiele für Spaltkeile – Mauern als Spaltkeile: (A) Gebäude direkt angeschlossen; (B), (C) ein frei stehender Spaltkeil schützt das ganze Gehöft (A, B, C: © Florian Rudolf-Miklau)
Abb. 10.13. Frei stehender Spaltkeil aus Stahl-Ablenkwänden: (A) Grundriss; (B) Schnitt A-A; (C) talseitige Ansicht (© Jürgen Suda)
384
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Abb. 10.14. Beispiel für Spaltkeile: Spaltkeile aus Steinschlichtungen: (A) Zusätzlich zum Spaltkeil wurde das Gebäude gut in die Geländeoberfläche integriert; (B) bergseitige Ansicht (A: © Rudolf-Miklau; B: © IAN)
Abb. 10.15. Beispiele von Spaltkeilen: (A) Spaltkeil zum Schutz eines Strommastes; der Mast ist im Sockelbereich zusätzlich aus Stahlbeton gefertigt; (b) Spaltkeil aus geschlichteten Steinen an einem landwirtschaft lichen Nebengebäude (© IAN)
10.4. Schutzmauern Schutzmauern werden als Auffang- und Ablenkbauwerke verwendet. Diese Maßnahme ist für folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3.2) relevant: • Oberflächenwasser (2) • Einwirkung durch Mure (5) oder Anprall durch Hangmure (15) • Schneeablagerungen seitlich (8 a) • Lawine (9 a) • Steinschlag – rollend, springend (10 b) • Rutschung oberhalb des Gebäudes (11) Sie können Objekte vor Anprall von mitgeführten Festkörpern in Hochwasserabflüssen schützen. Weiters können sie zum Auffangen oder Ablenken von Steinschlägen, Muren und kleinen Fließlawinen verwendet werden. Sind die Mauern mindestens so hoch wie das Gebäude, wirken sie auch gegen Staublawinendrücke. Bei Steinschlägen wirken sie gegen rollende und springende Steine. Bei höheren 385
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.16. Beispiel Ablenkmauer (© WLV)
Abb. 10.17. (A) Frei stehende Prallwand Öff nungen (© IAN)
Abb. 10.18. Ablenkmauer aus Mauerwerk: (A) Zum Schutz eines Einfamilienhauses; (B) Schutz einer Terrasse (© WLV
Energien ist flexiblen Steinschlagnetzen (siehe Kapitel 10.6) der Vorzug zu geben. Schutzmauern werden bis zu wirksamen Höhen von 10 m ausgeführt. In den meisten Fällen bewegen sich die Höhen zwischen 2 und 6 m.
386
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
10.4.1. Anordnung im Gelände Die Anordnung einer Schutzmauer (oder Schutzdammes) richtet sich nach der Funktion (Ablenk- oder Auffangbauwerk) und dem einwirkenden Prozess. Als Gebäudeschutzmaßnahme werden Schutzmauern in der Regel direkt vor dem zu schützenden Gebäude angeordnet (Abb. 10.19). Auffangmauern (-dämme) sind im Grundriss annähernd normal auf die Hauptprozessrichtung anzuordnen. Ein Auffangbauwerk soll einen Prozess vollständig zum Stillstand bringen. Bei dieser Funktion ist die Ausbildung eines ausreichend dimensionierten Ablagerungsraumes vor dem Bauwerk wichtig (Abb. 10.19). Das Speichervolumen richtet sich nach dem Prozess und den zu retendierenden Volumen. Bei Steinschlägen werden in der Regel ca. 3 m breite Fallböden angeordnet. Kann ein Ablagerungsraum aufgrund der topografischen Gegebenheiten nicht ausgebildet werden, müssen anstelle von Retentionsmaßnahmen Ablenkbauwerke verwendet werden. Der Ablagerungsraum muss erschlossen und befahrbar sein, da er nach einem Ereignis geräumt werden muss. Schutzmauern mit gefülltem Ablagerungsraum haben keine Wirkung mehr. Ablenkmauern (-dämme) sind im Grundriss unter einem Ablenkwinkel auf die Hauptprozessrichtung angeordnet. Eine Ablenkung vom Gebäude im Ausmaß von etwa 20 – 30° ist möglich. Größere Ablenkungen bedingen wegen der primären Stauung des Lawinen- oder Murmaterials sehr große Bauhöhen. Bei Ablenkungen ist zu beachten, dass keine zusätzliche Gefährdung von anderen Gebäuden bzw.des Nachbarn entsteht.
Abb. 10.19. Anordnung von Schutzmauern: Beispiel Steinschlag (© Jürgen Suda)
10.4.2. Ermittlung der wirksamen Höhe eines Schutzbauwerkes Die Ermittlung der wirksamen Höhe ist abhängig von der Funktion (Auffang- oder Ablenkbauwerk) und dem Prozess. Durch die schräge Beanspruchung von Ablenkbauwerken müssen diese in der Regel weniger hoch ausgeführt werden als Auffangbauwerke.
387
Jürgen Suda et al.
10.4.2.1. Lawinen und Muren Näherungsweise kann die wirksame Höhe (= erforderliche Bauhöhe) für Auffangund Ablenkbauwerke wie folgt ermittelt werden. Generell ergibt sich die erforderliche Höhe Hk,d über die Summe der Fließhöhe (hFl), Energiehöhe und der Stauhöhe (hStau) am Bauwerk. Bei Lawinen ist zusätzlich die Höhe einer allenfalls abgelagerten Schneedecke (hA) zu addieren. Als Sicherheitsreserve sollte laut ONR 24 806 ein Freibord hFb von 10 % der Bauwerkshöhe HK,d, aber mindestens 1 m addiert werden. (3)
Die Stauhöhe hStau ergibt sich für Auffangbauwerke nach Gl. (4) und für Ablenkbauwerke (z. B. Spaltkeile) um den Ablenkwinkel (erweitert nach Gl. (5). Der Beiwert k2 ergibt sich nach Tabelle 4.8. (4)
(5)
Im Bereich der Einwirkungen aus Lawinen stehen auch genauere, aber deutlich komplexere Modelle zur Verfügung. Diese Modelle sind im Detail in [226] wiedergegeben. 10.4.2.2. Steinschlag Für Steinschläge gibt es keinen Unterschied zwischen Ablenk- und Auffangbauwerken. Die erforderliche wirksame Höhe bei Steinschlägen ist abhängig von der zu erwartenden Sprunghöhe der Steine. In der ONR 24 810 [194] sind Empfehlungen zur Ermittlung des charakteristischen Wertes der Sprunghöhe und des Bemessungsblockes enthalten. Als Nachweiskriterium muss der Bemessungswert der Sprunghöhe hE,d kleiner als der Bemessungswert der wirksamen Bauwerkshöhe (Netzhöhe) HK,d sein (Gl. (6)). (6)
Der charakteristische Wert der Sprunghöhe hE,k resultiert aus Steinschlagsimulationen. Er ist als 95 %-Fraktilwert der Sprunghöhenverteilung (Oberkante des Bemessungsblockes) an der simulierten Schutzwandfläche zu bestimmen. Die Vorgehensweise bei der Ermittlung des Bemessungsblockes ist in der ONR 24 810 [194] angegeben. Der Bemessungswert der Sprunghöhe ergibt sich über einen Vergrößerungsfaktor nach Gl. (7). (7)
Der Vergrößerungsfaktor ergibt sich aus Tabelle 10.2. Für Gebäudeschutzmaßnahmen wird empfohlen, zumindest von Schadensfolgeklasse CC2 auszugehen. Der Bemessungswert der wirksamen Höhe HK,d ergibt sich über einen Reduktionsfaktor aus Tabelle 10.3 nach Gl. (8). 388
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Tabelle 10.2. Vergrößerungsfaktor auf die geometrische Größe der Sprunghöhe in Abhängigkeit der Schadensfolgeklasse; aus ONR 24 810 [194]
α1
CC1
CC2
CC3
1,05
1,10
1,30
(8)
Tabelle 10.3. Reduktionsfaktor auf die charakteristische Bauwerkshöhe in Abhängigkeit der Schadensfolgeklasse; aus ONR 24 810 [194]
α2
CC1
CC2
CC32
1,00
1,05
1,10
Bei zertifizierten Steinschlagnetzen ist die wirksame Höhe HK,k den Herstellerangaben (Produktkatalog, Produktzulassung) zu entnehmen. Größenordnungen sind in Tabelle 10.4 und Tabelle 10.5 angegeben. Bei Ablenkwänden und -mauern ist HK,k gleichzusetzen mit der Konstruktionshöhe.2 10.4.3. Konstruktion 10.4.3.1. Mauerquerschnitte Die Mauerkörper von Schutzmauern können aus Stahlbeton, Zementmörtelmauerwerk, Trockenmauerwerk, Holzkästen oder Gabionen hergestellt werden. In Abb. 10.20 sind Querschnitte der möglichen Bautypen von Mauern dargestellt. Je schlanker die Mauer, desto wichtiger ist die Anordnung eines Dämpfungselementes. Bei dichten Mauerkörpern ist auf ausreichende Drainierung zu achten. Generell sind die Mauerkörper wie Stützmauern zu bemessen und konstruktiv durchzubilden. Eine zur Prozessrichtung geneigte Sohlfläche erhöht den Widerstand des Bauwerks gegen horizontale Einwirkungen. Eine Sonderstellung nehmen Bauwerke aus Gabionen ein (Abb. 10.20 E). Durch ihre flexible Struktur sind Drahtschotterbehälter in der Lage, auch ohne zusätzliches Dämpfungselement Einschläge durch Verformung aufzunehmen. Um diese Baukörper besser in die Landschaft einzubinden, empfiehlt sich jedoch eine Beschüttung und Begrünung der schrägen Seite. Gabionenwände werden auf der prozesszugewandten Seite schräg und auf der abgewandten Seite annähernd vertikal gebaut. Drahtschotterbehälter gibt es in unterschiedlichen Abmessungen: mit Längen von 1 bis 3 m, mit Breiten von 0,5, 0,8, 0,1 und 1,5 m sowie Höhen von 0,5, 0,8 und 1,0 m.
2
Schadensfolgeklasse laut EN 1990. 389
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.20. Bautypen von Schutzmauern: (A) Mauerwerk, (B) Mischmauerwerk; (C) Stahlbeton; (D) doppelter Holzkasten; (C) Gabionenmauer (© Jürgen Suda)
Neben den massiven Bautypen in Abb. 10.20 gibt es auch aufgelöste Bautypen aus Stahlprofi len sowie Stahl/Holz-Konstruktionen. In Abb. 10.21 ist ein Beispiel einer Stahlkonstruktion dargestellt. Solche Konstruktionen können bei Steinschlag und Murgängen und Fließlawinen eingesetzt werden. Die massiven Mauertypen in Abb. 10.20 können auf der prozesszugewandten Seite mit einem Dämpfungselement laut Kapitel 10.4.3.2 ausgestattet werden. Es sind auch Mischformen möglich. Bei Beanspruchung durch Hangmuren und Fließlawinen empfiehlt sich generell die Anordnung einer Steinschlichtung auf der prozesszugewandten Seite. Zur Dämpfung von Steinschlägen sind Erdkörper besonders wichtig. Hier sind unbewehrte oder bewehrte Erdkörper optimal. Unter Benützung von Dämpfungselementen (z. B. bergseitige Anschüttung, Polster) können Schutzwände auch für größere Auftreffenergien konstruiert werden. Bei Schutzwänden vor Staublawinen oder Fließlawinen ohne Einzelkomponenten ist kein Dämpfungselement erforderlich, sofern die Oberfläche einen entsprechenden Abrasionswiderstand aufweist. Schutzwände, die durch Hochwasser oder Hangwasser beansprucht werden, benötigen kein Dämpfungselement. Dieses kann in diesem Fall sogar kontraproduktiv sein, da es durch das fließende Wasser erodiert wird. Falls doch ein Dämpfungselement erforderlich ist, sollten die Bautypen Abb. 10.22 A, C und D verwendet werden. 390
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Abb. 10.21. Ablenkwand aus Stahl: (A) Ansicht; (B) Schnitt: mit Strebe und Druck- und Zuganker
10.4.3.2. Dämpfungselemente Unterschiedliche Formen von Dämpfungselementen sind in Abb. 10.22 dargestellt. Da Schutzmauern bei beengten Platzverhältnissen eingesetzt werden, muss der dämpfende Erdkörper möglichst platzsparend ausgeführt werden. Dadurch entstehen hohe Böschungsneigungen. Diese Neigungen können nur stabil gehalten werden, wenn der Erdkörper als bewehrte Erde ausgeführt, die Oberfläche mittels einer Grobsteinschlichtung vor Erosion geschützt oder ingenieurbiologische Maßnahmen zur Stabilisierung eingesetzt werden. Die Dämpfungskörper müssen bis in Höhe der Mauerkrone gebaut werden. Bei Grobsteinschlichtungen (Abb. 10.22 A und Abb. 10.23) werden Steine mit Durchmessern zwischen 0,5 und 1 m verwendet. Der Durchmesser richtet sich nach der Schleppspannung bzw. Erosionsleistung des einwirkenden Prozesses. Bei Beanspruchungen durch Murgänge mit hoher Fließenergie müssen Blöcke mit ca. 2000 kg/Block verwendet werden. Solche Grobsteinschlichtungen werden zur Herstellung einer Verbundwirkung häufig in Beton oder auf eine bewehrte Betonbettung verlegt (Übergangsform zur Zyklopenmauerung). Grobsteinschlichtungen ohne Betonbettung können gut mit Gräsern und Kräutern begrünt oder mit Steckhölzern bepflanzt werden. Übersteile Böschungen und Dämme können auch als Bewehrte Erde ausgeführt werden (Abb. 10.22 E, Abb. 10.24 und Abb. 10.25). Dabei werden 50 cm hohe Bodenschichten in Kunststoffmatten (Vliesen, Geogittern usw.) eingebettet und mit Walzen verdichtet. Ein am äußeren Rand eingelegtes Baustahlgitter gibt die Form vor. Nach der Fertigstellung wird die Außenseite mit Hydrosaat und einer GräserKräutermischung begrünt. Der Vorteil dieser Konstruktion liegt in der Möglichkeit, sehr steile Dämme (60 –70°) zu schütten und jedes verdichtbare und vor Ort 391
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.22. Bautypen von Dämpfungselementen an Schutzmauern: (A) Grobsteinschlichtung mit Steckhölzern, (B) unbewehrte Erdschüttung; (C) Drahtschotterkörbe; (D) Buschlagen mit Geotextilpackungen; (E) bewehrte Erde (© Jürgen Suda)
Abb. 10.23. Grobsteinschlichtung (© Florin Florineth)
392
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Abb. 10.24. Bewehrte Erde, bepflanzt mit Steckhölzern und Containerpflanzen; nach [66]
verfügbare Bodenmaterial verwenden zu können. Nachteilig ist die kurze Lebensdauer (bis das Baustahlgitter verrostet) und die nachgewiesene, nur 10 –15 cm flache Bewurzelung des Gräser-Kräuter-Bewuchses (bedingt durch die starke Verdichtung des Bodenmaterials). Das Verpflanzen von Weidensteckhölzern und bewurzelten Laubhölzern (ein langgestreckter Wurzeltopf aus einem gelöcherten Vlies hat sich am besten bewährt) kann die Lebensdauer um einiges erhöhen und passt die ansonsten glatte Oberfläche besser in das Landschaftsbild (Abb. 10.24) ein. Eine ingenieurbiologische Baumethode, die eine übersteile Schüttung von Böschungen und Dämmen ermöglicht, ist der Lagenbau („lebend bewehrte Erde“), verstärkt mit Geotextilpackungen (Abb. 10.22 D und Abb. 10.26). Dazu werden ca. 50 cm hohe Materialschüttungen in eine Kokosnetzpackung (Kokosnetz mit 700 bzw. 900 g Eigengewicht/m2) gehüllt und auf jede Lage bewurzelte Laubhölzer und Weidenäste aufgelegt, bis die Schütthöhe erreicht ist. Durch diese lebende Bewehrung wird der Damm gut und tiefgründig durchwurzelt (es können Weidenäste bis zu 5 m Länge verwendet werden mit einem Durchmesser bis zu 12 cm) und laut Schuppener [235] auch nachweislich statisch gesichert. Die Verwendung von starken Weidenästen und dünneren bewurzelten und sprosswurzelfähigen Laubhölzern hat sich laut [67] bewährt. Die stabilisierende Wirkung des Lagenbaus liegt in der Tragfähigkeit der Pflanzen, die sich durch die Druckfestigkeit der starken Steckhölzer bzw. die Zugfestigkeit der bewurzelten Laubgehölze und die Verbundfestigkeit (Scherfestigkeit) zwischen Pflanze und Boden ergibt. Die Bodenentwässerung durch Transpiration erhöht die Kohäsion und damit zusätzlich die Scherfestigkeit. Bei einer Bepflanzung ist darauf zu achten, dass die Böschung nicht zu steil ausgeführt wird (max. 4 :1), da sich die einzelnen Pflanzen sonst gegenseitig beschat393
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.25. Bewehrte Erde: gebogene Elemente aus Baustahlgitter mit Geotextileinlage (© Florin Florineth)
ten und die Begrünung nicht dauerhaft ist. Weiters ist auf eine standortgerechte Pflanzenwahl zu achten. Im Sommer können diese Erdkörper besonders durch die zusätzliche Erwärmung durch den Mauerkörper sehr trockene Bedingungen aufweisen. Bei der Begrünung mit Gehölzen sollte der Erdkörper mindestens 2 m dick sein, da die Gehölze sonst zu wenig Substrat zum Wurzeln vorfinden. Um die Konstruktionen möglichst dauerhaft zu gestalten, sollten sie möglichst frostfrei gegründet werden. Die Bautype einer Schutzmauer mit einer unbewehrten Böschung (Abb. 10.22 B) bildet den Übergang zu den Schutzdämmen (siehe Kapitel 10.5).
Abb. 10.26. Lagenbau mit Kokosnetzen und bewurzelten Pflanzen; nach [66] 394
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
10.4.3.3. Abrasionsschutz von Maueroberflächen Bei abrasiven Prozessen wie fluviatilem Feststofftransport (Gefährdungsbild 1 b und 4 a; gemäß Tabelle 3.2) und Murgängen (Gefährdungsbild 5, 15) ist es erforderlich, Betonoberflächen vor Abrasion zu schützen. Dafür gibt es folgende Möglichkeiten: • Erhöhte Betondeckung und Beton mit erhöhtem Verschleißwiderstand (Betondeckung mit Verschleißschicht) • Panzerung der Oberfläche mit Naturstein (Mischmauerwerk laut Abb. 10.20 B) • Panzerung der Oberfläche mit Stahlblechen (Abb. 10.27) • Dämpfungselement als Verschleißschichte (Abb. 10.22) Eine erhöhte Betondeckung bietet den geringsten Schutz gegen Abrasion. Sie verzögert jedoch das Freilegen der Bewehrung durch abrasive Medien. Bei der Festlegung der Betondeckung sollte von der höchsten Expositionsklasse laut ÖNORM B 4710-1 [182] für Verschleiß XM3 ausgegangen werden. Für diese Expositionsklasse ist die Mindestbetondeckung cmin, die für andere relevante Expositionsklassen festgelegt wurde (z. B. XC Klassen), um 15 mm zu erhöhen. Dies ergibt nominelle Beton-
Abb. 10.27. Schutzwand mit oberflächlichem Abrasionschutz aus Stahlblech (© Jürgen Suda) 395
Jürgen Suda et al.
deckungen im Bereich von 50 mm. Die exakte Festlegung der Betondeckung erfolgt nach ÖNORM B 1992-1-1, 4.4, sinngemäß sind auch die Bestimmungen über die Betondeckung von Wildbachschutzbauwerken gemäß ONR 24 802, 18.1.3 zu beachten. Die erforderlichen Eigenschaften des Betons für die Verschleißklasse XM3 sind in der ÖNORM B 4710-1 definiert. Natursteinschichten sind regelmäßig mit Stahlbügeln, die in die Mörtelfugen gelegt werden, im tragenden Stahlbetonquerschnitt zu verankern. In der Regel sind 4 Bügel mit Stabdurchmesser 8 oder 10 mm pro m² ausreichend. Dies ist umso wichtiger, je dünner die Schutzschicht aus Natursteinen ist. Oberflächlich aufgeklebte Steinplatten haben einen zu geringen Abrasionswiderstand. Als Natursteine eignen sich am besten Hartgesteine wie Granit, Syenit, Basalt, Gneis, Marmor und harte Kalksteine. Je nach Standort des Gebäudes und architektonischem Entwurf sollte möglichst auf regional vorhandene Gesteinsarten zurückgegriffen werden. Zur Panzerung mit Stahlblechen werden Grobbleche mit Stärken zwischen 0,8 und 20 mm verwendet. Die Bleche sind mittels angeschweißter Kopfbolzen im Betonquerschnitt verankert. Die Bolzen sind in einem Raster von 25 – 30 cm angeordnet und 15 bis 20 cm lang. Üblicherweise wird normaler Baustahl verwendet (ev. Abrostungszuschlag). Für chemisch exponierte Lagen oder architektonisch anspruchsvolle Lösungen können auch Bleche aus Edelstahl verwendet werden. Die Anordnung von Dämpfungselementen als Verschleißschichte ist analog Kapitel 10.4.3.2. Prinzipiell sind alle Bautypen geeignet. Den höchsten Widerstand weisen Grobsteinschlichtungen (Abb. 10.22. A) auf, besonders wenn sie in Beton verlegt werden. Wichtig ist auch der Erosionsschutz im Bereich der Fundamente an der prozesszugewandten Seite. Dieser erfolgt häufig mittels Grobsteinschlichtung. Bei besonders erosiven Prozessen (z. B. starke Murintensitäten) sind große Blöcke (ca. 2000 kg/Block) zu verwenden oder/und die Blöcke sind in Beton zu verlegen. 10.5. Konstruktion von Schutzdämmen Schutzdämme werden analog zu den Schutzmauern (siehe Kapitel 10.4) als Auffangund Ablenkbauwerke verwendet. Die Maßnahme ist für folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3.2) relevant: • Überschwemmung durch oberirdisches Hangwasser (6) • Einwirkung durch Mure (5) oder Anprall durch Hangmure (15) • Schneeablagerungen seitlich (9 b) • Lawine (10 a) • Steinschlag – rollend, springend (12 b) • Rutschung oberhalb des Gebäudes (13) Dämme zum Schutz vor Lawinen erfordern eine größere Bauwerkshöhe und haben daher einen sehr hohen Platzbedarf. Daher sind solche Dämme nur zum Schutz von Gebäudegruppen oder Siedlungen wirtschaft lich. Dämme zum Schutz von Oberflächenabflüssen benötigen meist keine große Dammhöhe. Daher sind solche Dämme auch zum Schutz von einzelnen Gebäuden geeignet. Gleiches gilt für Steinschlagdämme. 396
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Abb. 10.28. Beispiel für einen Lawinenschutzdamm (© Florian Rudolf-Miklau)
Dämme werden bewehrt und unbewehrt ausgeführt. Bewehrte Querschnitte haben aufgrund der steileren Böschungen einen geringeren Platzbedarf. Ihre Querschnitte sind analog jenen der Dämpfungselemente in Abb. 10.22 auszuführen. Hinweise zu Konstruktionsarten von Dämmen finden sich in Kapitel 10.4.3.2. Die erforderliche Dammhöhe für Lawinenschutzdämme ergibt sich analog Kapitel 10.4.2.1. Die prozesszugewandte Seite wird meist durch eine Steinschlichtung gegen Erosion geschützt. Details zur Konstruktion und Bemessung von Lawinenschutzdämmen finden sich in [226]. Die erforderliche Dammhöhe von Steinschlagdämmen ergibt sich analog Kapitel 10.4.2.2. Die weitere Konstruktion folgt Kapitel 10.4.1. Dämme zum Schutz vor Wasserabflüssen müssen auf die Fließhöhe inklusive einer Stauhöhe des Abflusses (+ Freibord) bemessen werden (Kapitel 10.4.2.1). Länger angeströmte Dämme sollten mittels Grobsteinschlichtung vor Erosion geschützt werden. Um die Einbindung der Dämme in die Landschaft zu gewährleisten und um die Oberflächen von Erosion zu schützen, werden sie in der Regel begrünt (siehe dazu
Abb. 10.29. Beispiel für einen Lawinenschutzdamm mit Grobsteinschlichtung (© Florian Rudolf-Miklau) 397
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.30. Beispiele für Steinschlagschutzdämme: (A) Ablenkdamm; (B) Auffangdamm für ein Einzelobjekt (© WLV)
Abb. 10.31. Beispiel für einen Steinschlagschutzdamm: Auffangdamm, der im Hintergrund durch eine Reihe mit Steinschlagschutznetzen fortgesetzt wird (© Florian Rudolf-Miklau)
Kapitel 10.8). Bei der Bepflanzung von Dämmen ist zu beachten, dass der tragende Dammkörper nicht durchwurzelt werden darf. 10.6. Steinschlagschutznetze Steinschlagschutznetze sind in der Lage, die hohe Sturzenergie von rollenden, springenden und fallendenden Steinschlägen durch die elastische Verformung des Netzes und zusätzliche Bremselemente aufzunehmen. Diese Bautype wird ausschließlich für das Gefährdungsbild (gemäß Tabelle 3.2) • Steinschlag (12 a, 12 b) eingesetzt. Steinschlagschutznetze bestehen aus im Boden verankerten Stützen, zwischen denen horizontale Seile gespannt sind, welche als Träger für das eigentliche Netz dienen. Die Sturzkomponenten werden durch die Netze aufgefangen. Diese leiten die Kräfte in die horizontalen Tragseile und diese übertragen sie in die Stützen, welche sie über die Fundierung in den Untergrund ableiten. Man unterscheidet Konstruk398
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
tionen mit und ohne Rückhalteseile (zur Sicherung der Stützen) (Abb. 10.32 und Abb. 10.34). Zur Aufnahme der hohen Energien aus dem Aufprall sind die Tragseile mit Bremselementen ausgestattet. Dadurch wird ein Teil der kinetischen Energie in Verformungsenergie (innere Arbeit) umgewandelt. Die Bremselemente müssen nach Beanspruchung ausgetauscht werden. Als Steinschlagschutznetze werden zurzeit ausschließlich Produkte mit Einzelzulassungen nach ETAG 027 verwendet. Als Kriterium für die Auswahl eines bestimmten Netzes dient die mögliche Energieaufnahme. Diese ist in den Katalogen der einzelnen Hersteller angegeben. Ein nach ETAG 027 zertifiziertes Steinschlagnetz muss nach einem Treffer durch einen Block immer noch eine Restnutzhöhe von 85 % der wirksamen Bauhöhe Hk im unbelasteten Zustand aufweisen. 10.6.1. Konstruktion und Bautypen 10.6.1.1. Bautype Schutznetz mit bergseitiger Abspannung Schutznetze mit bergseitiger Abspannung bestehen aus dem Schutznetz, Pendelstützen aus Stahlprofilen, Tragseilen und Abspannungen (Abb. 10.32). Die Netze sind an den Tragseilen und den Randstützen befestigt. Die Tragseile sind über Seilführungen an den Stützen montiert. Diese Führungen sind so konstruiert, dass die Tragseile durchrutschen können. Die Anzahl der Tragseile ist abhängig von der Energieklasse (Tabelle 10.4). Es sind jedoch immer mindestens zwei (unteres und oberes Tragseil) angeordnet. Die Tragseile sind seitlich abgespannt. Zusätzlich werden die Randstützen seitlich abgespannt. Alle Stützen sind am Stützenkopf mit Rückhalteseilen bergseitig verankert. In den Tragseilen und den Rückhalteseilen sind Dämpfungselemente angeordnet. Die Stützen sind am Fußpunkt gelenkig gelagert und übertragen die Kräfte auf eine Grundplatte aus Stahl. Diese Grundplatten werden je nach Energieklasse mit einem oder zwei Ankern im Untergrund befestigt (Abb. 10.33). Diese Systeme sind in der Regel so konzipiert, dass sich die Kräfte, die ein Steinschlag in einem Netzfeld erzeugt, auf die Nachbarnetzfelder aufteilen. Solche Netze werden ab einer Baulänge von 10 m erstellt. Die Länge eines Feldes beträgt in der
Abb. 10.32. Bautype Steinschlagschutznetz (Prinzipdarstellung) mit bergseitiger Abspannung 399
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.33. Bautype Steinschlagschutznetz mit bergseitiger Abspannung: (A) Schnitt, (B) alternative Ausbildung der Stützenfundierung (gelenkig-schwimmender Stützenfuß)
Regel 6 bis 12 m. Eine Werkreihe kann beliebig lange sein. Bei längeren Werkreihen werden jeweils nach 40 bis 50 m Zwischenabspannungen angeordnet. Beispiele für am Markt übliche Produkte sind in Tabelle 10.4 zusammengestellt. Die Konstruktionen der Netze sind bei allen Bautypen im Prinzip gleich. Mit zunehmender Energieklasse erhöht sich die Anzahl der mittleren Tragseile, der bergseitigen Abspannungen und der Bremselemente. Bei Systemen für niedrigere Energieklassen sind oft mehrere Tragseile an einem Befestigungspunkt im Baugrund verankert. Bei hohen Energieklassen ist jedes Abspannseil auf einem eigenen Zugpfahl verankert. 10.6.1.2. Schutznetze ohne bergseitige Abspannung Schutznetze ohne bergseitige Abspannung werden im freien Gelände auf Punktfundamenten aus Beton oder auf Mauerkronen von Stützmauern montiert (Abb. 10.34). Letztere Bauweise ist auf Stützmauern bergseitig von Gebäuden oder neben Straßen gebräuchlich. Schutznetze ohne bergseitige Abspannung eignen sich besonders zur 400
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Tabelle 10.4. Größenordnungen für Eigenschaften von Steinschlagschutznetzen mit bergseitiger Abspannung (für eine Bemessung sind ausschließlich die produktspezifischen Herstellerangaben relevant) Energie- Energie H K,k klasse3 (MEL 4) [m] 1
be,k [m]
Stützendimension von bis
Stützenabstand [m]
max. Ankerlast seitlich [kN]
6 –12
140
max. Ankerlast bergseits [kN]
250
2–4
4
HE 100 –140 B
50
2
500
2 – 4,5
5
HE 120 –140 B
6 –12
170
70
3
1000
3–6
5
HE 140 – 200 B
6 –12
230
140
5
2000
4 –7,5
7
HE 160 – 220 B
6 –12
230
250
6
3000
5 –7,5
7
HE 200 – 240 B
8 –12
300
330
8
5000
5–9
8
HE 240 – 300 B
8 –12
260
260
Erhöhung von Schutzdämmen oder -mauern. Sie ersetzen auch mehr und mehr Schwellenzäune und Auffangmauern entlang von Straßen und Bahnlinien.34 Da es bei dieser Bautype keine bergseitige Abspannung gibt, muss der Stützenfuß in der Lage sein, Biegemomente aufzunehmen. Die Stütze und die Grundplatte aus Grobblech sind biegesteif miteinander verschweißt. Um die Steifigkeit zu erhöhen, ist der Stützenfuß zusätzlich mittels einer Steife aus Grobblech oder einem Zugstab aus I-Profi l oder Bandstahl verstärkt (Abb. 10.35). Die Grundplatte ist mit zwei, drei oder vier Verankerungen im Stahlbetonfundament befestigt. Die Verankerung kann als Stahleinlegeteil oder mittels nachträglich eingemörtelten Gewindestäben erfolgen. Der Spalt zwischen Stahlplatte und Betonoberfläche wird mittels hochfesten Mörtels verpresst. Dies dient als Korrosionsschutz in der Fuge und der optimalen Übertragung der Druckkräfte in das Fundament.
Abb. 10.34. Bautype Steinschlagschutznetz (Prinzipdarstellung) ohne bergseitige Abspannung 3 4
Bezeichnung laut Richtlinie ETAG 027. Maximum Energie Level (Bezeichnung laut Richtlinie ETAG 027). 401
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.35. Bautype Steinschlagschutznetz ohne bergseitige Abspannung: (A) Variante mit Betonfundament und Stützenfußaussteifung mit Grobblech; (B) Variante mit Stützmauer und Stützenfußaussteifung mit I-Träger; (C) Variante mit Stützmauer, Stützenfußaussteifung mittels Zugstreben aus Bandstahl und Dämpfungselemente zwischen Netz und Stütze
Bei Neubauten von Stützmauern können die Stützen auch direkt oder über ein Köcherfundament in den Mauerkörper einbetoniert werden. In diesem Fall ist eine ausreichend dimensionierte Spaltzugbewehrung anzuordnen. Auf tragfähigem Fels können die Ankerstäbe direkt in den Fels geklebt werden. Diese Bautypen werden nur in Zaunebene seitlich abgespannt. Je nach erforderlicher Tragfähigkeit werden die Reihen mit und ohne Zwischenabspannung ausgeführt. In der Regel werden die Tragseile nach jeweils 60 m seitlich abgespannt. Bei beengten Platzverhältnissen können die Randstützen auch mittels eines schrägen Druckstabes ausgesteift werden. Diese Aussteifung ist wichtig, da Steinschläge Zug in den Tragseilen verursachen. Diese Zugkräfte werden entweder über die seitlichen Abspannungen oder eine entsprechend ausgesteifte Randstütze in den Untergrund übertragen.
402
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Tabelle 10.5. Größenordnungen für Eigenschaften von Steinschlagschutznetzen ohne bergseitiger Abspannung (für eine Bemessung sind ausschließlich die produktspezifischen Herstellerangaben relevant) Energie- Energie klasse5 (MEL 6)
H H,k [m]
be,k [m]
Stützendimension von bis
Stützenabstand [m]
max. Ankerlast seitlich [kN]
max. Ankerlast bergseits [kN]
0
100
2–3
2
HE 140 B – HE 160 B
6 –12
120
–
1
300
2–4
4
HE 160 B
6 –12
140
–
2
500
2 – 4,5
4–5
HE 200 B
6 –12
170
–
3
1000
3–6
5–6
HE 240 B
6 –12
230
–
5
2000
4 –7,5
7
HE 280 B
6 –12
230
–
Bei den meisten Bautypen sind die Dämpfungselemente in den Tragseilen und in den seitlichen Abspannseilen angeordnet. Es gibt jedoch auch Bautypen, wo diese zusätzlich zwischen Netzebene und Stützen angeordnet sind. Die Stützen werden senkrecht oder leicht talwärts geneigt (bis 5°) eingebaut. 56 Beispiele für am Markt übliche Produkte sind in Tabelle 10.5 zusammengestellt. 10.6.2. Anordnung und funktionale Bemessung von Steinschlagschutznetzen Steinschlagschutznetze werden in den Ablagerungszonen von Steinschlaggebieten angeordnet. Um Steinschlagnetze optimal einsetzen zu können, muss genügend Raum für die Verzögerung der Steine zur Verfügung stehen. Wenn Steinschläge häufig sind, wächst der Aufwand für lokale Instandsetzungen und für die Entfernung des aufgefangenen Materials. Beim Entwurf von Auffangmaßnahmen für Steinschläge sollten die fallenden Steine primär von zertifizierten (geprüften) Steinschlagnetzen zurückgehalten werden. Schutzmauern (Kapitel 10.4) sollten nur als zusätzlicher Schutz – z. B. direkt neben einer Straße – zu Steinschlagnetzen oder Vernetzungen angeordnet werden (Abb. 10.36 A,D,E). In diesen Fällen verhindern sie, dass rollende Steine auf die Straße gelangen. Die größte Wirkung erreichen Schutzwände in Verbindung mit einem bergseitigen Fangraum (Fallboden). In Abb. 10.36 sind häufige Fälle für die Verwendung von Schutznetzen und -zäunen dargestellt. Steinschlagschutzzäune und -netze werden möglichst normal auf die zu erwartende Sturzrichtung der Steine angeordnet. Ist eine Netzreihe nicht ausreichend, werden mehrere annähernd parallele Reihen angeordnet. Beim Schutz von Siedlungen muss der gesamte Gefährdungsbereich durch eine oder mehrere Werkreihen abgedeckt sein (Abb. 10.39 B). Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit werden immer möglichst lange Werksreihen angeordnet: Steinschlagnetze werden üblicherweise bis zu Längen von 80 bis 100 m ausgeführt. Um 5 6
Bezeichnung laut Richtlinie ETAG 027. Maximum Energie Level (Bezeichnung laut Richtlinie ETAG 027). 403
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.36. Anordnung von Steinschlagschutznetzen: (A) Schutznetze bei frei fallenden Steinen; (B) Schutznetze und Schutzwände bei springenden und rollenden Steinen; (C) Schutzwände bei rollenden Steinen; (D) Schutznetze bei springenden Steinen
Abb. 10.37. Beispiel zur Anordnung von Steinschlagschutznetzen zum Schutz einer Siedlung (© IAN)
404
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Abb. 10.38. Anordnung von Steinschlagschutznetzen zum Schutz einer Siedlung: (A) Schutznetze sind bergseits der Siedlung in einem Abstand angeordnet; (B) Schutznetze mit Stützen und bergseitiger Seilabspannung (© Florian Rudolf-Miklau)
die Begehbarkeit zu gewährleisten oder um einen eventuellen Wildwechsel nicht zu behindern, werden die Reihen unterbrochen. Die Randwerke von unterbrochenen Reihen müssen versetzt und überlappend angeordnet werden. Die Überlappung verhindert direkte Treffer der Randstütze der unteren Werkreihe und das Umrollen der unterbrochenen Werkreihe. Die Überlappung ist nach Abb. 10.39 B auszuführen. Die Randstützen der Werkreihen von Steinschlagnetzen müssen außerhalb des Gefahrenbereiches angeordnet werden. Soll nur ein Gebäude geschützt werden, wird die Verbauung meist unmittelbar im Gebäudebereich angeordnet (Abb. 10.39 A). Die Werkreihe ist dabei so lange auszuführen, dass ein Stein, der die Verbauung seitlich umgeht, nicht das Gebäude trifft. Der Abstand zwischen den Reihen von Steinschlagnetzen und zum Gebäude muss mindestens Ls,d entsprechen (Abb. 10.39). Ls,d errechnet sich aus der maximalen Auslenkung be,k der Netze und einem Teilsicherheitsfaktor nach Gl. (9). Bei zertifizierten Steinschlagnetzen resultiert die Auslenkung be,k (in [m]) aus dem MELZulassungsversuch laut ETAG 027 und ist den Herstellerangaben zu entnehmen. Größenordnungen sind in Tabelle 10.4 und Tabelle 10.5 angegeben. (9)
Bei abgespannten Systemen dürfen die bergseitigen Seile die Schutzwandfläche der nächsthöheren Reihe nicht durchstoßen. Schutznetze werden in der Regel 1 bis 3 m gegeneinander versetzt. Schutzzäune mit biegesteifer Schutzwandfläche und Schutzmauern haben einen Bremsweg be,k = 0. Die erforderliche wirksame Höhe ist abhängig von der zu erwartenden Sprunghöhe der Steine und ergibt sich aus Kapitel 10.4.2.2. 405
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.39. Anordnung von Steinschlagschutznetzen oder -wänden: (A) Schutz von einzelnen Gebäuden; (B) Schutz einer Siedlung, bei mehreren Werksreihen: Überlappung bei versetzten Werkreihen
10.7. Erosionsschutz an Fundamenten In Überflutungsgebieten sind Bauwerke durch Erosion in der Standsicherheit gefährdet, so dass die Anordnung von Elementen zum Erosionsschutz im Fundamentbereich erforderlich sein kann. Diese Maßnahme ist für folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3.2) relevant: • Überschwemmung durch oberirdisches Hangwasser (6) • dynamische Überflutung, Erosion, Feststoffablagerungen (1 b, 2) • Gerinneverlagerung infolge Seitenerosion (4 a) • sackende Rutschungen (4 b) Gegen Ufererosionen und dadurch entstehende sackende Rutschungen können als bauliche Maßnahmen Uferschutzbauwerke wie Ufermauern, Steinschlichtungen aus Wasserbausteinen oder ingenieurbiologische Verbauungen eingesetzt werden. Erosionen infolge von Überflutungen kann im Bereich der Wandfüße durch oberflächlichen Erosionsschutz begegnet werden. Dazu eignen sich Grobsteinschlichtungen, schwere Pflasterungen oder Geotextilmatten. Die Geotextilmatten müssen im horizontalen Bereich mittels Erdreich oder Pflasterungen beschwert werden und an der gebäudeabgewandten Seite in den Untergrund eingegraben und vernagelt werden (Abb. 10.40 A). In [56] wird empfohlen, das Geotextil unter einem Winkel von 30° in den Boden einzubauen. Werden Pflasterungen ohne Geotextilunterlage ausgeführt, muss die äußerste Reihe der Pflastersteine auf ein tiefreichendes Fundament ( > 1 m) verlegt werden, um genügend Widerstand gegen die erhöhte Erosionsleistung an diesem Rauigkeitssprung der Oberfläche aufzuweisen (Abb. 10.42). 406
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Abb. 10.40. Erosionsschutz im Fundamentbereich von Gebäuden: (A) Erosionsschutz mittels Geotextil; (B) Steinschlichtung (vor allem an Gebäudeecken)
Besonders bei Gefährdungsbild 1 b, 2 und 4 a sind die Gebäudeecken zusätzlich mit tiefreichenden Steinschlichtungen (Blocksteinwurf ) zu sichern (Abb. 10.40 B). Mit Steinschlichtungen können auch Lichtschächte geschützt werden. Die Blöcke müssen so geschlichtet werden, dass sie auch im freigelegten Zustand standsicher sind. Stützen können mittels Steinschüttung oder Fußsicherung gegen Auskolken gesichert werden (Abb. 10.40). Laut [199] kann die erforderliche Mindestkorngröße der Steine dmin nach Gl. (10) abgeschätzt werden. v ist dabei die mittlere Geschwindigkeit des Abflusses über den Querschnitt [in m/s]. (10)
Abb. 10.41. Erosionsschutz im Fundamentbereich: (A) Pfeiler mit Steinschüttung; (B) Pfeiler mit Fußsicherung.
407
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.42. Tiefer fundierter Randstreifen eines Radweges in einem Überschwemmungsgebiet: Durch die höhere Rauigkeit des Randstreifens reduziert sich zusätzlich der Rauigkeitssprung zwischen der glatten Fahrbahn und der sehr rauen Wiese (© Jürgen Suda)
Alternativ dazu können Tiefgründungen (z. B. Pfähle) ausgeführt werden. Dadurch wird die Erosion an der Oberfläche jedoch nicht behindert. Die Standsicherheit der Gründung wird allerdings deutlich erhöht. 10.8. Begrünung und Bepflanzung von Spaltkeilen, Schutzmauern und -dämmen 10.8.1. Begrünung Zur Stabilisierung (Erosionsschutz) und zu einer besseren Einbindung in die Landschaft werden Erdbauwerke begrünt. Da Dämme und Spaltkeile aufgrund ihrer Funktion und aus Platzgründen sehr steil gebaut werden, kommen nur wenige Ansaatmethoden dafür in Frage. An Standorten mit milderem Klima (N-NW-NO-Exposition) oder für die Begrünung der Zwischenräume bei Grobsteinschlichtungen eignet sich die Nass-Saat sehr gut. Dazu werden Samen, Dünger, Mulchstoffe und Klebemittel mit Wasser in einem speziellen Spritzfass vermischt und auf die zu begrünende Fläche aufgespritzt (Abb. 10.43). Es werden ca. 2 l/m2 aufgebracht. Der Materialaufwand ist in Tabelle 10.6 zusammengestellt. Tabelle 10.6. Materialaufwand für eine Nass-Saat Menge 25 g/m2 100 g/m2 80 g/m2
Inhaltsstoff Saatgut organischer Dünger Zellulose oder
120 g/m2
Grasfaser
100 g/m2
Algenprodukt als Klebemittel oder
20 – 30 g/m2
408
andere organische Kleber
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Tabelle 10.7. Materialaufwand für eine einfache Mulchsaat Menge
Inhaltsstoff
700 g/m2
langes Stroh oder
500 g/m2
Heu
25 g/m2
Saatgut
100 g/m2
organischer Dünger
700 g/m2
instabile Bitumenemulsion oder
20 –100 g/m2
farblose, organische Kleber
An Standorten mit extremem Klima (Hitze, Trockenheit, Kälte, S-Exposition) soll über der Nass-Saat eine 3 bis 4 cm hohe Stroh- oder Heudecke ausgebreitet werden, die mit einer reinen Klebemittelbrühe noch einmal abgespritzt und so gegen Abrutschen und Verwehung gesichert wird (Abb. 10.43 B). Wenn die Bodenoberfläche rau gestaltet ist, kann auch eine einfache Mulchsaat mit Klebemitteln ausgebracht werden. Dabei werden Saatgut und Dünger von Hand ausgesät und darüber eine 3 bis 4 cm hohe Stroh- oder Heuschicht aufgelegt (Abb. 10.44), die entweder mit einer instabilen Bitumenemulsion (30 % wässrige Lösung) oder mit einem organischen Klebemittel verklebt wird. Die Strohschicht wirkt neben dem mechanischen Schutz gegen Oberflächenerosion wachstumsfördernd wie ein Glashaus, da die schwarze Bitumenemulsion Wärme absorbiert. Daher soll sie besonders an Steilhängen in Hochlagen ausgebracht werden. Die farblosen organischen Kleber bestehen aus Algenprodukten, Samenmehl, Pflanzenwachsen u. a. m. Es werden dieselben Kleber wie für die Nass-Saat verwendet (siehe [67]). Eine schnell wirksame Begrünungsmethode ist die Verwendung von Rasenziegeln oder größeren Vegetationsstücken (Abb. 10.45). Bevor die Spaltkeile und Dämme gebaut und geschüttet werden, wird die Vegetationsdecke mit einem Bagger 15 – 20 cm tief abgehoben, an einem schattigen Ort zwischengelagert (nicht
Abb. 10.43. Aufbringen einer Bitumen-StrohDecksaat (© Florin Florineth) 409
Jürgen Suda et al.
Abb. 10.44. einfache Mulchsaat mit Strohschicht abgedeckt (© Florin Florineth)
übereinander stapeln!) und nach der Fertigstellung der Bauwerke von unten nach oben auf die steilen Böschungen aufgelegt und leicht angedrückt. Da die Menge der Rasenziegel oder größeren Vegetationsstücke nicht ausreicht, um die gesamte Böschungsoberfläche abzudecken, werden die Zwischenräume der gruppen- oder streifenweise aufgelegten Rasenziegel am besten mit einer Nass-Saat oder Mulchsaat begrünt. Als Saatgut sollen artenreiche Gräser-Kräutermischungen verwendet werden, die je nach Steilheit, Klima und Bodenbeschaffenheit auszuwählen und zu verändern sind. Beispiele für Saatgutmischungen in Abhängigkeit der Standortbedingungen sind in Tabelle 10.8 bis Tabelle 10.10 angeführt.
Abb. 10.45. Begrünung von Böschungen mittels Rasenziegel; nach Florineth [66] 410
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Tabelle 10.8. Wiesenmischung Nr. 2 – für frische, saure bis neutrale, niedere Lagen; aus [66] Botanische Bezeichnung
Anteil
Deutsche Bezeichnung
Gräser Agrostis capillaris (tenuis)
2,00 %
Rotes Straußgras
Alopecurus pratensis
1,00 %
Wiesenfuchsschwanz
Anthoxantum odoratum
0,50 %
Ruchgras
10,00 %
Glatthafer
Arrhenatherum elatius Dactylis glomerata
5,00 %
Knäuelgras spät
Festuca pratensis
24,00 %
Wiesenschwingel
Festuca rubra rubra
14,00 %
Ausläuferbildender Rotschwingel
Lolium perenne
3,00 %
Englisches Raygras
Phleum pratense
3,00 %
Lieschgras
Poa pratensis Trisetum flavescens
12,00 % 2,00 %
Wiesenrispe Goldhafer
Kräuter Achillea millefolium
1,00 %
Schafgarbe
Anthriscus silvestris
0,20 %
Wiesenkerbel
Carum carvi
2,00 %
Kümmel
Leucanthemum vulgare
0,30 %
Margerite
Daucus carota
1,00 %
Wilde Möhre
Lathyrus pratensis
1,00 %
Wiesenplatterbse
Lotus corniculatus
4,00 %
Hornschotenklee
Medicago lupulina
2,00 %
Gelbklee
Onobrychis viciifolia
1,00 %
Esparsette
Sanguisorba minor
2,00 %
Wiesenknopf
Trifolium hybridum
2,00 %
Schwedenklee
Trifolium pratense 2 n
1,00 %
Rotklee
Trifolium pratense 4 n
1,00 %
Rotklee
Trifolium repens
2,00 %
Weißklee
Trifolium repens
3,00 %
Weißklee
Tabelle 10.9. Böschungsmischung Nr. 16 (Kurzbleibende Flußböschungsmischung) für alkalische Böden; aus [66] Botanische Bezeichnung
Anteil
Deutsche Bezeichnung
Gräser Festuca duriuscula
10,00 %
Hartschwingel
Festuca ovina
20,00 %
Schafschwingel
Festuca rubra rubra
15,00 %
Ausläuferbildender Rotschwingel
411
Jürgen Suda et al.
Botanische Bezeichnung Festuca rubra commutata
Anteil 20,00 %
Deutsche Bezeichnung Horstbildender Rotschwingel
Festuca tenuifolia
5,00 %
Feinschwingel
Poa compressa
2,00 %
Platthalmrispe
Poa pratensis
8,00 %
Wiesenrispe
Achillea millefolium
1,00 %
Schafgarbe
Anthyllis vulneraria
2,00 %
Wundklee
Coronilla varia
3,00 %
Kronwicke
Kräuter
Lathyrus pratensis
1,00 %
Wiesenplatterbse
Leucanthemum vulgare
0,20 %
Margerite
Lotus corniculatus
6,00 %
Hornschotenklee
Medicago lupulina
1,00 %
Hopfenklee
Papaver rhoeas
0,10 %
Wilder Mohn
Phacelia tanacetifolia
0,10 %
Phacelie
Plantago lanceolata
0,50 %
Spitzwegerich
Salvia pratensis
0,10 %
Wiesensalbei
Sanguisorba minor
1,00 %
Wiesenknopf
Trifolium repens
4,00 %
Weißklee
Tabelle 10.10. Böschungsmischung Nr. 18 – für steile und alkalische Lagen (mit anschließender Bepflanzung)¸ aus [66] Botanische Bezeichnung
Anteil
Deutsche Bezeichnung
Gräser Dactylis glomerata
3,00 %
Festuca duriuscula
10,00 %
Knäuelgras Hartschwingel
Festuca ovina
18,00 %
Schafschwingel
Festuca rubra commutata
20,00 %
Horstbildender Rotschwingel
Festuca rubra rubra
12,00 %
Ausläuferbildender Rotschwingel
Lolium perenne
4,00 %
Englisches Raygras
Phleum pratense
2,00 %
Lieschgras
Poa pratensis
5,00 %
Wiesenrispe
Achillea millefolium
2,00 %
Schafgarbe
Anthyllis vulneraria
1,00 %
Wundklee
Kräuter
Lathyrus pratensis
1,00 %
Wiesenplatterbse
Lotus corniculatus
6,00 %
Hornschotenklee
Lupinus perennis
1,00 %
Dauerlupinie
412
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
Medicago lupulina
2,00 %
Gelbklee
Onobrychis viciifolia
2,00 %
Esparsette
Sanguisorba minor
2,00 %
Wiesenknopf
Trifolium pratense
2,00 %
Rotklee
Trifolium repens
7,00 %
Weißklee
10.8.2. Pflege begrünter Flächen Gräser-Kräuterbestände mit ausreichendem Kleeanteil brauchen nicht gedüngt zu werden. Auf trockenen Böden ist eine Anfangsbewässerung notwendig, um ein schnelles Aufgehen der Vegetation zu ermöglichen. Die laufende Pflege besteht in 2- bis 3-maliger Mahd nach der bäuerlichen Wirtschaftsweise, die bereits in Kapitel 9.6.2 näher beschrieben ist. 10.8.3. Bepflanzung Zur besseren Durchwurzelung der begrünten Böschungen können diese noch zusätzlich mit bewurzelten Laubgehölzen bepflanzt werden und zwar dort, wo keine seitlichen Scherkräfte auftreten – wie z. B. bei Lawinenspaltkeilen oder -ablenkdämmen. Bei senkrecht auftreffenden Schneemassen oder generell bei Steinschlag wirken elastische Gehölze abfedernd und schützend auf die geschütteten Böschungen. Die Laubgehölze werden am besten mit einer Lochpflanzung gesetzt, für steile Böschungen in einer Dichte von 1 Stück pro m2. Topfpflanzen können fast zu jeder Jahreszeit außer im Winter und Juli/August ausgebracht werden. Wurzelnackte Laubgehölze sind nur im unbelaubten Zustand im zeitigen Frühjahr zum Auspflanzen geeignet. Sofern die Begrünung der Dämme oder Spaltkeile mittels Nass-Saat und dem Algenkleber erfolgt, können die Laubgehölze auch vor der Begrünung ausgepflanzt
Abb. 10.46. Bepflanzung von Böschungen mit Gehölzen: (A) Wurzelnackt oder Ballenpflanzen; (B) Topfpflanzen; nach Florineth [66] 413
Jürgen Suda et al.
werden. Die Gießmulde ist allerdings vor dem Abspritzen mit einem Rindenmulch oder anderen Mulchmaterialien abzudecken, damit um die jungen Gehölze herum keine Gräser-Kräuter wachsen und diese unterdrücken. Einfacher ist die nachfolgende Bepflanzung mit Laubgehölzen, wenn die Grasnarbe bereits gut entwickelt ist und bei der Lochpflanzung keine größeren Schäden an den Böschungen entstehen. Die Auswahl der Gehölze hängt vom Standort ab, jedoch dürfen an mechanisch höher beanspruchten Stellen nur stockausschlagfähige und elastische Sträucher gepflanzt werden, die nach Schäden bei Lawinenabgängen oder bei Steinschlag oder Erreichen eines Stammdurchmessers über 4 cm auf den Stock gesetzt und damit verjüngt werden. Auf der Rückseite von Steinschlagschutzdämmen können auch niedrig bleibende Bäume gepflanzt werden. Zwischen Grobsteinschlichtungen eignet sich eine Bepflanzung mit Steckhölzern am besten. Dazu sind vor allem Strauchweiden sehr gut geeignet. In der Vegetationsruhe werden Steckhölzer in einer Länge von 50 –100 cm und einer Stärke von 3 – 8 cm Durchmesser geschnitten, mit einer Eisenstange ein Loch vorgefertigt und die Steckhölzer normal zur Böschungsneigung eingeschlagen. Aus dem Boden dürfen nur 5 – 8 cm Steckholzlänge herausragen, der Rest wird abgeschnitten. Von den Strauchweiden eignet sich am besten die Purpurweide, die wegen ihrer breiten ökologischen Amplitude fast überall verwendet werden kann. Nähere Details zu den genannten Begrünungs-, Bepflanzungs- und Sicherungsarbeiten sind in [66] zu finden. 10.9. Behälter in hochwassergefährdeten Gebieten Behälter (z. B. Wassertanks, Öltanks, Flüssiggastanks) in hochwassergefährdeten Gebieten müssen gegen Auftrieb und Abschwemmung durch den Abfluss gesichert werden. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass der Behälter im Hochwasserfall leer ist. Somit wirkt auf ihn die volle Auftriebskraft. Die Maßnahme ist für folgende Gefährdungsbilder (gemäß Tabelle 3.2) relevant: • Grundwasserhochstand (7) • statische Überflutung (1 a) • dynamische Überflutung, Erosion, Feststoffablagerungen (1 b) Der beste Schutz ist das Anordnen von Öltanks und der zugehörigen Haustechnik oberhalb der Fließhöhe des Bemessungshochwassers. Dadurch ist der Betrieb auch während und nach einer Überschwemmung möglich, sofern die Stromversorgung nicht unterbrochen ist. Ist eine erhöhte Anordnung nicht möglich, so beschränken sich die Maßnahmen auf eine wasserdichte Lagerung des Öls und die folgenden Schutzmaßnahmen. Für die Auslegung, Herstellung und Aufstellung von standortgefertigten prismatischen Behältern aus Stahl in durch Hochwasser gefährdeten Bereichen zur oberirdischen Lagerung von Flüssigkeiten gelten die Ausführungen der ÖNORM C 2119 : 2007. Diese ÖNORM ist anzuwenden für die Herstellung und Aufstellung von einwandigen Ein- oder Mehrkammerbehältern aus Stahl mit prismatischer Grundform und mit Nenninhalten ab 1,0 m³, die zur oberirdischen drucklosen Lagerung von wassergefährdenden brennbaren Flüssigkeiten der Gefahrenklasse 414
10. Schutzmaßnahmen vor dem Gebäude – Konstruktion
A III gemäß VbF und von wassergefährdenden nichtbrennbaren Flüssigkeiten mit Lagerguttemperaturen zwischen –10 °C und +50 °C mit einer Dichte ρ ≤ 1,0 kg/dm³ bestimmt sind und die am Aufstellungsort zusammengebaut werden. Die Hülle der Behälter muss ausreichend stabil gegen Wasserdrücke aus dem Abfluss und Stoßdrücke durch Feststoffe sein. Weiters sind Behälter gegen Auftrieb zu sichern. Dies kann durch folgende konstruktive Maßnahmen geschehen: • Montage der Behälter auf eine ausreichend schwere Bodenplatte • Verankerung der Behälter mittels Mikropfählen • Unterirdische Anordnung der Behälter Unterirdisch angeordnete Behälter müssen bei dynamischen Überschwemmungen zusätzlich gegen Erosion gesichert werden. Dies kann mittels Abdeckplatten aus Stahlbeton oder mittels Steinschüttungen erfolgen. Neben den vorigen Maßnahmen muss auch die zugehörige Haustechnik entsprechend gesichert werden. Zu- und Abflussleitungen sind entsprechend zu fi xieren. Das Ende des Tankentlüftungsrohres muss über Fließhöhe des Bemessungshochwassers geführt werden. Die Zuflussleitung zum Ölbrenner ist mit einem Ventil zu versehen, welches bei Wasseransammlung auf dem Boden des Heizungsraumes automatisch schließt.
415
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
Jürgen Suda, Dietmar Bobacz, Thomas Zimmermann
11.1. Grundlagen der Bemessung Tragwerke von neu errichteten Gebäuden, von Verstärkungsmaßnahmen an bestehenden Gebäuden oder von Schutzmaßnahmen am Grundstück müssen bemessen werden, um einen ausreichenden Widerstand gegen die einwirkenden Prozesse zu bieten. Eine Bemessung wird immer von konstruktiven Vorschriften bei der Detailausbildung begleitet. Konstruktive Vorschriften finden sich in den einzelnen Bauartnormen und in Kapitel 9 und 10. Eine bautechnische Bemessung muss auf Grundlage der gültigen nationalen und europäischen Normenwerke erfolgen. Derzeit bilden die Eurocodes den Stand der Technik in Europa. Ein Überblick über die erforderlichen Normenwerke findet sich in Kapitel 7.5.1. Der nachfolgende Abschnitt bietet einen Überblick über die Grundlagen zur bautechnischen Bemessung von Gebäudeschutzmaßnahmen gegen die in diesem Handbuch behandelten Naturgefahren vor dem und am Bauwerk. 11.1.1. Sicherheitskonzept und Grenzzustände 11.1.1.1. Allgemeines Den Eurocodes liegt das Bemessungskonzept mit Teilsicherheitsbeiwerten zu Grunde (semiprobabilistisches Sicherheitskonzept). Bei der Bemessung ist nachzuweisen, dass das Eintreten von definierten Grenzzuständen mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. In den Eurocodes werden die Grenzzustände der Tragfähigkeit (GZT) und der Gebrauchstauglichkeit (GZG) unterschieden (Tabelle 11.1). 11.1.1.2. Bemessungssituationen Ein Gebäude ist im Laufe seiner Nutzungsdauer unterschiedlichen Situationen ausgesetzt. Dabei kann sich einerseits das Tragwerk selbst (Bauzustände, Beschädigung) und andererseits die Art und Höhe der Einwirkungen ändern. Eine Bemessungssituation beschreibt für einen bestimmten Zeitraum den Zustand des Gebäudes (Widerstandsmodell) und der Einwirkungen (Einwirkungsmodell). Das Einwirkungsmodell wird über eine zugehörige Einwirkungskombination nach Kapitel 11.1.2 beschrieben. In der EN 1990 werden folgende Bemessungssituationen unterschieden:
417
Jürgen Suda et al.
• • • •
ständige Bemessungssituation – BS 1 vorübergehende Bemessungssituation – BS 2 außergewöhnliche Bemessungssituation – BS 3 Situationen bei Erdbeben – BS 3
11.1.1.3. Charakteristische Werte12 Die Parameter der Bemessung (z. B. Werte von Einwirkungen, Material- oder Bodenkennwerte) werden auf Basis von charakteristischen Werten (Fk) festgelegt. Diese werden aus Statistiken ermittelt oder als Nennwert festgelegt. Einwirkungsmodelle zur Quantifizierung der charakteristischen Einwirkungen sind in Kapitel 4 zusammengestellt. Charakteristische Werte von ständigen Einwirkungen3 (Gk) dürfen bei kleinen Streuungen als Mittelwert festgelegt werden. Bei großen Streuungen ist ein oberer (Gk,sup) und ein unterer (Gk,inf ) Wert festzulegen. Charakteristische Werte von veränderlichen Einwirkungen (Qk) werden so festgelegt, dass der Wert für einen bestimmten Bezugszeitraum mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Der charakteristische Wert einer klimatischen Einwirkung (z. B. Wind, Schnee) beruht auf der 98 %-Überschreitungsfraktile der Extremwertverteilung der wesentlichen zeitveränderlichen Basisvariablen für einen Bezugszeitraum von einem Jahr. Dies entspricht einer mittleren Widerkehrperiode dieser Basisvariablen von 50 Jahren. Tabelle 11.1. Grenzzustände für die Bemessung von Tragwerken, Bezeichnung und Definition der Grenzzustände laut ÖNORM EN 1990 [166] Gruppe
Bez.
Beschreibung
Grenzzustände der Tragfähigkeit (GZT) ULS (Ultimate Limit State)
EQU1
Verlust der Lagesicherheit (Gleichgewichtsverlust)
STR 2
Konstruktive Grenzzustände Versagen oder übermäßige Verformung des Tragwerks oder eines seiner Teile
GEO1
Geotechnische Grenzzustände Versagen oder übermäßige Verformung des Baugrundes
UPL1
Gleichgewichtsverlust des Bauwerks infolge Auft rieb durch Wasserdruck
GZG
Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit im Untergrund (Verformungen im Untergrund, Setzungen)
Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit (GZG) SLS (Serviceability Limit State)
1 2 3
418
Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit im Tragwerk (Verformungen, Spannungen, Rissbreiten)
Beinhalten Nachweise der „äußeren Standsicherheit“ von Bauwerken. Beinhalten Nachweise der „inneren Standsicherheit“ von Bauwerken. Ständige Einwirkungen sind während der Lebensdauer des Tragwerkes ständig vorhanden. Zu den ständigen Einwirkungen gehören die Eigenlasten der tragenden Bauteile sowie der nicht tragenden Bauteile.
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
Außergewöhnliche Einwirkungen werden meist direkt als Bemessungswert Ad festgelegt. Bei Einwirkungen aus hydrologischen und geologischen Naturgefahren wird hier meist der charakteristische Wert aus dem Prozessmodell verwendet. 11.1.1.4. Bemessungswerte Die eigentliche Bemessung wird anhand von Bemessungswerten durchgeführt. Es werden Bemessungswerte für Einwirkungen und Widerstände unterschieden. Im Konzept mit Teilsicherheitsbeiwerten ist die Gesamtsicherheit auf einen Teilsicherheitsbeiwert für den Widerstand (γR) und einen für die Einwirkung (γE) aufgeteilt. Generell erfolgt die Berechnung der Bemessungswerte nach ÖNORM EN 1990 [164] und für geotechnische Belange nach ÖNORM EN 1997-1 [173]. Der Bemessungswert einer Einwirkung (Beanspruchung) errechnet sich aus dem zugehörigen Teilsicherheitsbeiwert der Einwirkung (γE) und einem Kombinationsbeiwert (ψi), nach Gl. (1). (1)
Die Höhe von Teilsicherheitsbeiwerten ist vom betrachteten Grenzzustand (GZT oder GZG) und von der Bemessungssituation (BS) abhängig. Für die GZG sind alle Teilsicherheitsbeiwerte formal auf 1,0 gesetzt. Die Kombinationsbeiwerte und Teilsicherheitsbeiwerte sind der EN 1990 und der EN 1991-Serie zu entnehmen. Kombinationsbeiwerte berücksichtigen auch die Art der Konstruktion und gelten daher nur für die angegebenen Tragwerkstypen. Für Hochbauten sind ψ-Beiwerte in der EN 1990 [164], Tabelle A.1.1 und der EN 1991-Reihe angegeben. Für geotechnische Einwirkungen (inkl. Wasserdruck) sind die Kombinationsbeiwerte generell auf 1,0 gesetzt. Zu den Kombinationsbeiwerten für Bemessungssituationen mit Erdbebenbeanspruchung siehe EN 1998 -1. Die Bemessungswerte der Widerstände errechnen sich direkt aus dem charakteristischen Wert. Ein Bemessungswert eines Bauteilwiderstandes, Werkstoff widerstandes (Rd) oder einer geotechnischen Kenngröße (Xd) ergibt sich nach Gl. (3). (3)
Widerstände können aus den Festigkeitseigenschaften des Werkstoffes, der Form des Bauwerkes und aus Erdwiderständen resultieren. Die Höhe der Teilsicherheitsbeiwerte der Werkstoffe (z. B. Beton, Stahl, Holz) hängt von der Größe der Streuungen der jeweiligen Werkstoffeigenschaften ab. Die Teilsicherheitsbeiwerte sind den einzelnen Bauartnormen EN 1992 bis EN 1998 zu entnehmen. 11.1.2. Einwirkungskombinationen Wirken mehrere Einwirkungen gleichzeitig auf ein Tragwerk, wird aus ihnen eine Einwirkungskombination (EK) gebildet. Die Einwirkungskombinationen bestimmen, welche Einwirkungen (ständig, veränderlich, außergewöhnlich) miteinander zu kombinieren sind. Dabei sind grundsätzlich die Festlegungen aus der EN 1990, 6.4.3 und 6.5.3, zu beachten. In der EN 1990 sind drei Einwirkungskombinationen für Grenzzustände der Tragfähigkeit (GZT) und drei für Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit (GZG) angegeben: 419
Jürgen Suda et al.
• GZT – ständige und vorübergehende Einwirkungskombination – außergewöhnliche Kombination – Situation infolge Erdbeben • GZG – quasi-ständige Kombination – häufige Kombination – charakteristische Kombination (selten) Einwirkungen, die nach Kapitel 4 ermittelt wurden, sind als charakteristischer Wert aufzufassen. In der Bemessung werden sie entsprechend ihrer zeitlichen Veränderlichkeit nach Tabelle 4.1 weiter berücksichtigt. Gemäß EN 1991-1-2 sind für den Brandfall jene Einwirkungen zu berücksichtigen, die auch unter normalen Temperaturen auftreten, außer sie sind für den Brandfall klar auszuschließen. 11.1.3. Grenzzustände der Tragfähigkeit 11.1.3.1. Allgemeines Die Bemessung in den GZT soll die Tragfähigkeit des Tragwerkes über die geplante Nutzungsdauer hinweg sicherstellen. Eine ausreichende Sicherheit gegen einen Grenzzustand der Tragfähigkeit ist gegeben, wenn der Bemessungswert der Einwirkung (Ed) kleiner als der Bemessungswert des Widerstandes (Rd) ist. Bei der Bemessung ist dabei das Bemessungskriterium (Grenzzustandsbedingung) nach Gl. (5) einzuhalten. In Gl. (6) ist dieses als Ausnutzungsgrad μ angeschrieben. bzw.
(5)
(6)
In früheren Konzepten wurden die Nachweise der äußeren und inneren Standsicherheit unterschieden (siehe auch Tabelle 11.1). Zur äußeren Standsicherheit zählen der Nachweis der Kippsicherheit, die GEO-Nachweise und der UPL-Nachweis. Zur inneren Standsicherheit zählen die STR-Nachweise. 11.1.3.2. Nachweis der geotechnischen Grenzzustände (GEO) Der Nachweis der geotechnischen Grenzzustände erfolgt generell nach EN 1997-1. Da zurzeit noch nicht alle nationalen Anwendungsdokumente zur Nachweisführung zur Verfügung stehen, wird teilweise noch auf Normen der ÖNORM B 44xxReihe zurückgegriffen. Die Kippsicherheit ist basierend auf ÖNORM B 1997-1-1: 2010, Abschnitt 4.11, nach ÖNORM B 4435-2 :1999, Abschnitt 9, zu führen. Hier werden alle Kräfte auf charakteristischem Lastniveau berücksichtigt. An den Gründungen der Gebäude und von Stützbauwerken ist ein ausreichender Grundbruchswiderstand nachzuweisen. In den meisten Fällen hat man es mit Flächengründungen zu tun. Dieser Nachweis erfolgt generell nach EN 1997-1, Abschnitt 6.5.3, und ÖNORM B 1997-1-1: 2010, Abschnitt 4.4. Bei Stützbauwerken gelten zusätzlich die Anmerkungen nach ÖNORM EN 1997, Abschnitt 9.7.3. Das Bemessungsmodell ist in ÖNORM B 4435-2 :1999, Abschnitt 6, enthalten. 420
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
Wenn die Richtung der Resultierenden der Einwirkungen von der Vertikalen abweicht, ist ein Gleitsicherheitsnachweis zu führen. Der Nachweis erfolgt für Flächengründungen nach EN 1997-1: 2009, Abschnitt 6.5.3, und ÖNORM B 1997-1-1: 2010, Abschnitt 4.4. Bei Stützbauwerken sind zusätzlich die Anmerkungen in EN 1997-1, Abschnitt 9.7.3, zu beachten. Bei Gebäuden, die an Geländekanten stehen, und bei Stützbauwerken muss die Gesamtstandsicherheit (Geländebruch) nachgewiesen werden. Beim Geländebruch ist der Nachweis für eine maßgebliche Gleitfläche im Baugrund außerhalb des Bauwerkes nachzuweisen (Gesamtstandsicherheit). Im Unterschied zum Nachweis gegen Gleiten und Grundbruch ist gemäß ÖNORM B 1997-1-1: 2010, Abschnitt 4.8, hier das Nachweisverfahren 3 gemäß ÖNORM EN 1997-1: 2009, Abschnitt 2.4.7.3.4.4(1) P, anzuwenden. Bei diesem Verfahren werden die Teilsicherheitsbeiwerte auf die Einwirkungen und die Bodenkennwerte angesetzt. Die erforderlichen Nachweise erfolgen nach ÖNORM B 4433 unter Berücksichtigung der Einschränkungen und der Teilsicherheitsbeiwerte aus der ÖNORM B 1997-1-1: 2010, Abschnitt 4.8. 11.1.3.3. Nachweis des Auftriebsbruches (UPL) Wenn in der Gründungssohle oder am gesamten Bauwerk hydrostatische Auftriebskräfte oder eine nach oben gerichtete Strömung angreifen, ist eine ausreichende Sicherheit gegen Aufschwimmen (Auftriebsbruch) nachzuweisen. Generell ist der Nachweis gemäß ÖNORM EN 1997-1, Abschnitt 2.4.7.4, mit den Anmerkungen aus ÖNORM B 1997-1-1: 2010, Abschnitt 4.9, zu führen. 11.1.3.4. Nachweis der konstruktiven Grenzzustände (STR) Konstruktive Nachweise sind zu führen, um ein inneres Versagen der Bauwerke auszuschließen. Die Nachweisführung ist abhängig vom verwendeten Werkstoff und generell in den Baustoffnormen geregelt (siehe Kapitel 7.5). Allgemein sind Spannungsnachweise und Stabilitätsnachweise (bei Beanspruchung durch eine Druckkraft) zu führen. 11.1.3.4.1. Allgemeine Bemessung der Bauteile Die Bemessung von Stahlbetonteilen erfolgt nach EN 1992-1-1 [186] und dem zugehörigen NAD. Ausführliche Beschreibungen der Bemessungen finden sich beispielsweise in [71] [251] [261]. Die Bemessung von Bauteilen aus Holz erfolgt nach EN 1995-1-1 und dem zugehörigen NAD. Ausführliche Beschreibungen der Bemessungen finden sich beispielsweise in [243]. Die Bemessung von Bauteilen aus Stahl erfolgt nach EN 1993-1-1 und dem zugehörigen NAD. Weiterführende Hinweise zur Bemessung sind beispielsweise in [139] enthalten. Die Bemessung von Mauerwerk erfolgt nach EN 1996-1 und dem zugehörigen NAD. 11.1.3.4.2. Bemessung im Brandfall Neben dem Nachweis der Tragfähigkeit unter üblichen Bedingungen muss im Hochbau die Tragfähigkeit bei Brandbeanspruchung (z. B. infolge Gefährdungsbild 19 und 20; siehe Tabelle 3.2) nachgewiesen werden. Maßgebend für die Bemes421
Jürgen Suda et al.
sung von Bauteilen bzw. Bauwerken ist die geforderte Feuerwiderstandsdauer (REIKlassifizierung). Für tragende Bauteile ist naturgemäß vorwiegend die Feuerwiderstandsdauer (in Minuten) der Tragfähigkeit R maßgebend (z. B. R30, R60, R90). Der Widerstand wird über die Gebäudeklasse (GK) laut [160] geregelt. Für Ein- und Mehrfamilienwohnhäuser sind die GK1 und GK2 relevant. Die Bemessung für den Brandfall kann über Tabellenwerte, vereinfachte Rechenverfahren oder genauere Rechenverfahren erfolgen. Es ist zu beachten, dass die Tabellenwerte für eine Brandbeanspruchung entsprechend der Einheitstemperaturkurve (ETK) ausgelegt sind. Die Brandbemessung von Betonbauteilen erfolgt nach EN 1992-1-2 [181] und dem zugehörigen NAD. Die Brandbemessung von Bauteilen aus Stahl erfolgt nach EN 1993-1-2 [180] und dem zugehörigen NAD. Bei Stahlbauteilen werden die Festigkeiten und Steifigkeiten in Abhängigkeit der Temperatur abgemindert. Die Bemessung von Holzbauteilen bei Brandbeanspruchung erfolgt nach EN 1995-1-2 [178]. Es sind mehrere Verfahren (siehe dazu z. B. [23]) zur Berechnung der Tragfähigkeiten von Holzquerschnitten zulässig. Zu den vereinfachten Verfahren zählen die Methode mit reduziertem Querschnitt und die Methode mit reduzierten Eigenschaften (Festigkeiten und Steifigkeiten). ÖNORM B 1995-1-2 [184] schreibt vor, die Methode mit reduziertem Querschnitt anzuwenden. Die Bemessung von Mauerwerk bei Brandbeanspruchung erfolgt nach EN 1996-1-2 [171] und ÖNORM B 1996-1-2 [175]. 11.1.3.4.3. Erdbebenbemessung Die Erdbebenbemessung erfolgt nach EN 1998-1 und der ÖNORM B 1998-1 [176]. Zu Zwecken der Erdbebenauslegung wird zwischen regelmäßigen und unregelmäßigen Bauwerken unterschieden. Dies hat Auswirkungen auf das Berechnungsmodell, die Berechnungsmethode und den Verhaltensbeiwert. Vereinfachend gilt als regelmäßig, wenn tragende Bauteile von der Gründung bis zur Gebäudeoberkante ohne Unterbrechung durchlaufen und wenn sich die Biegelinien der Aussteifungssysteme unter horizontaler Belastung nicht wesentlich unterscheiden. Näherungsformeln für die Berechnung finden sich in der ÖNORM B 1998-1 [176] im Anhang B. Die Modellbildung muss gewährleisten, dass die Verteilung der Massen und Steifigkeiten wiedergegeben wird, sowie zusätzlich die Festigkeitsverteilung bei nichtlinearen Berechnungen. Im Bauwerksmodell sollte auch der Beitrag der Anschlussbereiche zur Verformbarkeit des Bauwerks berücksichtigt werden, z. B. Endbereiche von Balken und Stützen. Bei Beton-, Stahlbeton-, Verbund- und Mauerwerksbauten sollte die Steifigkeit der tragenden Bauteile unter Berücksichtigung der Rissbildung ermittelt werden. Wenn keine genauere rechnerische Untersuchung der gerissenen Bauteile vorliegt, darf näherungsweise die Hälfte der Steifigkeit der ungerissenen Bauteile angenommen werden. Ausfachungen aus Mauerwerk, welche einen wesentlichen Beitrag zur horizontalen Steifigkeit beitragen, sollten berücksichtigt werden. Die Verformbarkeit der Gründung muss berücksichtigt werden, wenn sie sich ungünstig auswirkt, und darf berücksichtigt werden, wenn sie sich günstig auswirkt.
422
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
11.2. Bemessung von Gebäuden 11.2.1. Lastfälle Basierend auf den Gefährdungsbildern aus Kapitel 3 (siehe Tabelle 3.2), werden für die Quantifizierung der Einwirkungen einzelne Lastfälle (LF) festgelegt. Ein Lastfall berücksichtigt die Auswirkungen einer Einwirkungsart. Um den Einwirkungen bei der Kombination die entsprechenden Teilsicherheitsbeiwerte zuordnen zu können, müssen für ständige, veränderliche und außergewöhnliche Einwirkungen getrennte Lastfälle gebildet werden. Die charakteristischen Lasten in den Lastfällen berechnen sich mit den Lastmodellen aus Kapitel 4. Die wichtigsten Lastfälle zur Berechnung von Einfamilienhäusern sind in Tabelle 11.2 zusammengestellt. Bei einigen Einwirkungen ist es – je nach Geometrie des Gebäudes – erforderlich, mehrere unterschiedliche Laststellungen zu untersuchen. Tabelle 11.2. Lastfälle zur Bemessung von Einfamilienhäusern und Zuordnung zur jeweiligen Gefahrenklasse nach Tabelle 1.1 (kursiv: Standardlastfälle zur Bemessung von Gebäuden) Nummer
Bezeichnung des Lastfalles und Gefahrenklasse
LF 1
Eigengewicht, Erddrücke
LF 2
Nutzlasten
Lastfälle ohne Naturgefahren
LF 3
Brand Lastfälle aus hydrologischen Gefahren
LF 4a
Grundwasserhochstand und dichter Keller
LF 4b
Grundwasserhochstand und flutbarer bzw. gefluteter Keller
LF 5a
Überflutung und dichte Gebäudehülle
LF 5b
Überflutung und undichte Gebäudehülle
LF 6
Anprall von Muren Lastfälle aus Schneegefahren
LF 7
Anprall von Lawinen
LF 8
Schneelasten auf Dächern
LF 9
Kriech- und Gleiteinwirkungen Lastfälle aus geologischen Gefahren
LF 10
Anprall eines Steines
LF 11
Erdbeben
LF 12
Rutschungen – fehlender Widerstand
LF 13
Rutschungen – bewegter Baugrund Lastfälle aus meteorologischen Gefahren
LF 14 LF 15
Wind Hagel Lastfälle mit Materialablagerungen aus Naturgefahren
LF 16
Ablagerungen aus Fließprozessen
LF 17
Ablagerung von Steinen
423
Jürgen Suda et al.
Die Lastfälle aus Tabelle 11.2 sind in Abb. 11.1 bis Abb. 11.10 grafisch dargestellt. Es handelt sich dabei lediglich um Symbolbilder. Die tatsächliche Höhe und Verteilung der Einwirkungen ergibt sich aus den Modellen in Kapitel 4 und den Gefährdungsbildern in Kapitel 3. Freie Einwirkungen (z. B. Steinschlag) sind so anzusetzen, dass sie für das Tragwerk die höchste Beanspruchung erzeugen. Ist diese maßgebliche Laststellung nicht sofort ersichtlich, müssen mehrere wahrscheinliche untersucht werden. Ortsfeste Einwirkungen (z. B. Erddrücke) können nur an bestimmten Orten mit einer bestimmten Verteilung wirken. Im LF 1 sind die Eigengewichte und andere ständige Einwirkungen (z. B. Erddrücke) zusammengefasst. Die Eigengewichte sind von der Geometrie des Hauses abhängig und berechnen sich nach Kapitel 4.8. Die Erddrücke ergeben sich aus der Schichtung des Bodens, deren Bodenkennwerten und der Höhe des Geländes (Kapitel 4.7.3). LF 2 hängt ausschließlich von der Raumnutzung ab.
Abb. 11.1. Bemessung von Gebäuden: Lastfälle 1 und 2
Bei Bedarf sind im LF 3 Brandeinwirkungen zu untersuchen. Brandeinwirkungen sind nicht vergleichbar mit den übrigen Einwirkungen, da sie in der Bemessung in der Regel als reduzierte Bauteilwiderstände berücksichtigt werden. Grundlagen dazu finden sich in Kapitel 4.10 und 11.1.3.4.2.
Abb. 11.2. Bemessung von Gebäuden: Lastfall 3
424
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
LF 4 beinhaltet die Einwirkungen aus Grundwasserhochständen. Die Wasserdrücke ergeben sich laut Kapitel 4.3. Ist der Keller wasserdicht (z. B. weiße Wanne), ist LF 4 a maßgeblich. Kann ein Keller im Hochwasserfall geflutet werden, ist LF 4 b relevant. Durch diese Maßnahme reduzieren sich der Auftrieb auf die Sohlplatte und der resultierende Wasserdruck auf die Außenwände.
Abb. 11.3. Bemessung von Gebäuden: Lastfälle 4 a und 4b
LF 5 ist analog LF 4 und berücksichtigt Überflutungen. Die Art der Wasserdrücke (statisch, dynamisch) ist von der Fließgeschwindigkeit des Wassers abhängig. Die Angriffsfläche der dynamischen Wasserdrücke ergibt sich aus der Fließhöhe des Wassers und den frei gelegten Wandbereichen im Keller. Die dynamischen Wasserdrücke ergeben sich aus Kapitel 4.4. Bei maßgeblichem Feststofftransport und Ablagerungen ist zusätzlich LF 16 zu untersuchen.
Abb. 11.4. Bemessung von Gebäuden: Lastfälle 5 a und 5b
LF 6 berücksichtigt den Anprall von Muren und Fließlawinen. Bei Mischlawinen (Fließ- und Staubschichte) ist LF 7 zu untersuchen. Neben den Drücken aus dem Fließanteil wirken positive und negative Drücke auf die restliche Gebäudehülle. Die in LF 6 und 7 wirkenden Drücke errechnen sich auf Basis der Ausführungen in Kapitel 4.4. Zusätzlich ist LF 16 zu untersuchen. 425
Jürgen Suda et al.
Abb. 11.5. Bemessung von Gebäuden: Lastfälle 6 und 7
LF 8 berücksichtigt Schneeablagerungen auf Dächern und Geschossdecken. Die Schneelasten berechnen sich nach Kapitel 4.5.1.2. Je nach Dachform sind mehrere Laststellungen zu untersuchen. Im LF 9 sind Lasten aus dem Kriechen und Gleiten von Schneedecken enthalten. Diese berechnen sich nach Kapitel 4.5.3.
Abb. 11.6. Bemessung von Gebäuden: Lastfälle 8 und 9
LF 10 berücksichtigt den Anprall von Steinen. Die Einwirkungen ergeben sich laut Kapitel 4.6. Ist ein Erdbeben relevant, ist LF 11 zu untersuchen. Die Erdbebeneinwirkung errechnet sich nach Kapitel 4.8.
Abb. 11.7. Bemessung von Gebäuden: Lastfälle 10 und 11
426
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
Bei seicht- und mittelgründigen Rutschungen ist in der Regel LF 12 maßgeblich. Die Beanspruchung für das Gebäude ergibt sich aus dem hangseitigen Erddruck und dem fehlenden Widerstand unter der Fundamentsohle (Zwangsbeanspruchung). Bei tiefgründigen Rutschungen kann LF 13 maßgeblich sein. Der seitliche Erddruck (z. B. e2) kann je nach Größe der Relativbewegung Bauwerk-Baugrund bis zur Höhe des Kriecherddruckes ansteigen. Wenn sich der Baugrund unter dem Fundament unterschiedlich rasch bewegt, entsteht zusätzlich zum seitlichen Erddruck eine Beanspruchung der Fundamentsohle. Bei Erddrücken unterscheidet man je nach Art der Bewegung und nach Art des Nachweises Einwirkungen und Widerstände. Hinweise dazu finden sich in Kapitel 4.7.
Abb. 11.8. Bemessung von Gebäuden: Lastfälle 12 und 13
Die Windeinwirkungen in LF 14 hängen von der äußeren Form des Gebäudes und der Anordnung der Öffnungen ab und sind nach Kapitel 4.9 zu berechnen. In der Regel sind zwei orthogonal aufeinander stehende Windrichtungen zu untersuchen. LF 15 berücksichtigt Einwirkungen durch Hagelschlag.
Abb. 11.9. Bemessung von Gebäuden: Lastfälle 14 und 15
427
Jürgen Suda et al.
LF 16 bildet die verbliebenen Ablagerungen nach Fließprozessen ab. Diese Ablagerungen können aus Muren, Lawinen oder fluviatilen und murartigem Feststofftransport resultieren. LF 17 berücksichtigt Steine, die sich planmäßig auf der Gebäudehülle ablagern oder nach der Zerstörung der Gebäudehülle auf Geschossdecken liegen bleiben. Die Einwirkungen aus Ablagerungen berechnen sich infolge des Eigengewichtes analog Kapitel 4.8.
Abb. 11.10. Bemessung von Gebäuden: Lastfälle 16 und 17
11.2.2. Einwirkungskombinationen Das jeweilige Gefährdungsbild (siehe Tabelle 3.2) definiert, welche Lastfälle gleichzeitig auftreten können. Diese werden zu einer Einwirkungskombination (EK) zusammengefasst. Dabei gelten je nach Nachweis, Grenzzustand und Bemessungssituation die Kombinationsregeln aus Kapitel 11.1.2. Pro Bemessungssituation sind meist mehrere Einwirkungskombinationen zu untersuchen. Das Ziel der systematischen Untersuchung ist es, jene EK zu ermitteln, welche die höchsten Beanspruchungen im Tragwerk verursacht. Für unterschiedliche Bauteile können jedoch unterschiedliche Kombinationen maßgeblich sein. Im Folgenden sind die mindestens zu untersuchenden Einwirkungskombinationen in Abhängigkeit des Gefährdungsbildes zusammengestellt. Die Standardkombinationen in Tabelle 11.3 sind immer zu untersuchen. Falls es von vornherein ersichtlich ist, dass eine Kombination nicht maßgeblich ist, muss diese nicht untersucht werden. Kombinationen in Tabelle 11.3 bis Tabelle 11.14 mit Lastfällen, die in Klammern gesetzt sind, sind einmal mit und ohne diesen Lastfall zu untersuchen. Die einzelnen Einwirkungskombinationen in Tabelle 11.3 bis Tabelle 11.14 werden je nach Wahrscheinlichkeit des Auftretens und Dauer des Einwirkens auf das Gebäude den Bemessungssituationen nach Kapitel 11.1.1.2 zugeordnet. Mit der Zuordnung zu einer Bemessungssituation lässt sich auch das Ausmaß der Folgeschäden nach einem Ereignis steuern, da die Höhe der Teilsicherheitsbeiwerte und somit der Widerstand des Gebäudes von BS3 zu BS1 deutlich steigt.
428
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
Tabelle 11.3. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Standardkombinationen Bemessungssituation
EK
miteinander kombinierte Einwirkungen
BS1
EK 1
LF 1 +
(LF 2)
–
EK 2
LF 1 +
(LF 2) + LF 14
–
EK 3
LF 1 +
(LF 2) + LF 8
–
ständige E.
veränderliche E.
außergewöhnliche E.
BS2
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 6
BS3
EK 4
LF 1 +
LF 2
+LF 3
EK 5
LF 1 +
LF 2
+LF 11
Tabelle 11.4. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Gefährdungsbild 6 – Überschwemmung durch oberirdisches Hangwasser Bemessungssituation
EK
miteinander kombinierte Einwirkungen
BS1
wie Tabelle 11.3
BS2
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 6
BS3
EK 6
ständige E.
LF 1 +
veränderliche E.
außergewöhnliche E.
(LF 2) + LF 5a
–
Tabelle 11.5. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Gefährdungsbild 7 – Grundwasserhochstand Bemessungssituation
EK
miteinander kombinierte Einwirkungen
BS1
wie Tabelle 11.3
BS2
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 8
ständige E.
veränderliche E.
außergew. E.
EK 7
LF 1 +
LF 4 a + (LF 2)
–
EK 8
LF 1 +
LF 4 a + (LF 2) + LF 14
–
EK
94
EK 10 4
LF 1 +
LF 4 b + (LF 2)
–
LF 1 +
LF 4 b + (LF 2) + LF 14
–
4
4
wenn Keller planmäßig flutbar. 429
Jürgen Suda et al.
Tabelle 11.6. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Gefährdungsbild 1 a – statische Überflutung und 1 b – dynamische Überflutung Bemessungssituation
EK
BS1
wie Tabelle 11.3
BS2
miteinander kombinierte Einwirkungen ständige E.
veränderliche E.
außergew. E.
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 8 EK 11
LF 1 +
LF 5 a + (LF 2)
–
EK 12
LF 1 +
LF 5 a + (LF 2) + LF 14
–
EK 135
LF 1 +
LF 5 b + (LF 2)
–
145
LF 1 +
LF 5 b + (LF 2) + LF 14
–
EK
1) wenn Keller planmäßig flutbar 5
Tabelle 11.7. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Gefährdungsbild 4 a – Gerinneverlagerung infolge Seitenerosion Bemessungssituation
EK
miteinander kombinierte Einwirkungen
BS1
wie Tabelle 11.3
BS2
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 8
BS3
EK 15
LF 1 +
EK 16
LF 1 +
(LF 2) + LF 14 +
LF12 + LF 5a
EK 17
LF 1 +
LF 2 +
LF12 + LF 5a
ständige E.
veränderliche E.
–
außergew. E.
LF12 + LF 5a
Tabelle 11.8. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Gefährdungsbild 14 a – flachgründige sackende Rutschung, 14 b – mittelgründige sackende Rutschung Bemessungssituation
EK
BS1
wie Tabelle 11.3
BS2
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 8
BS3
EK 18
LF 1 +
(LF 2) +
LF12
EK 19
LF 1 +
(LF 2) + LF 14 +
LF12
5 430
miteinander kombinierte Einwirkungen ständige E.
wenn Gebäudehülle undicht.
veränderliche E.
außergew. E.
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
Tabelle 11.9. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Gefährdungsbild 5 – Mure Bemessungssituation
EK
miteinander kombinierte Einwirkungen
BS1
wie Tabelle 11.3
BS2
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 8
BS3
EK 20
LF 1 +
(LF 2) +
LF7
EK 21
LF 1 +
(LF 2) +
LF16
ständige E.
veränderliche E.
außergew. E.
Tabelle 11.10. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Gefährdungsbild 9 b – kriechende und gleitende Schneedecke Bemessungssituation
EK
miteinander kombinierte Einwirkungen
BS1
wie Tabelle 11.3
BS2
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 8
ständige E.
veränderliche E.
außergew. E.
EK 22
LF 1 +
(LF2) + LF 9
–
EK 23
LF 1 +
(LF 2) + LF 8 + LF 9
–
Tabelle 11.11. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Gefährdungsbild 10 a – Lawine umfließt Gebäude Bemessungssituation
EK
miteinander kombinierte Einwirkungen
BS1
wie Tabelle 11.3
BS2
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 8
BS3
EK 24
LF 1 +
(LF 2) +
LF7
EK 25
LF 1 +
(LF 2) +
LF16
ständige E.
veränderliche E.
außergew. E.
67
Tabelle 11.12. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Gefährdungsbild 12 a und b – Steinschlag Bemessungssituation
EK
BS1
wie Tabelle 11.3
BS2
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 8
ständige E.
EK 266 BS3
6 7
miteinander kombinierte Einwirkungen
LF 1 +
veränderliche E.
LF 17 + LF 2
außergew. E.
–
EK 27
LF 1 +
–
LF 10
EK 287
LF 1 +
LF 2 +
LF 17
Plangemäße Ablagerung von Steinen, z.B. auf verstärkten Dächern. Unplangemäße Ablagerung von Steinen. 431
Jürgen Suda et al.
Tabelle 11.13. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Gefährdungsbild 14 a – flachgründige Rutschung, 14 b – mittelgründige Rutschung und 13 – Erdfall Bemessungssituation
EK
BS1
wie Tabelle 11.3
BS2
miteinander kombinierte Einwirkungen ständige E.
veränderliche E.
außergew. E.
EK 29
LF 1 + LF12
(LF 2)
–
EK 30
LF 1 + LF12
(LF 2) + LF 14
–
EK 31
LF 1 + LF12
(LF 2) + LF 8
–
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 8
Tabelle 11.14. Einwirkungskombinationen (EK) für Hochbauten, Gefährdungsbild 14 c – tiefgründige Rutschung Bemessungssituation
EK
BS1
wie Tabelle 11.3
BS2
miteinander kombinierte Einwirkungen ständige E.
veränderliche E.
außergew. E.
EK 32
LF 1 + LF13
(LF 2)
–
EK 33
LF 1 + LF13
(LF 2) + LF 14
–
EK 34
LF 1 + LF13
(LF 2) + LF 8
–
bei Bedarf Bauzustände analog EK 1 bis EK 8
11.2.3. Bemessung im GZT Durch die Bemessung von Gebäuden ist deren äußere und innere Standsicherheit sicherzustellen. Bei der äußeren Standsicherheit sind vor allem die GEO- und UPLGrenzzustände (siehe Tabelle 11.1) zu berücksichtigen. Die innere Standsicherheit beinhaltet die Bemessung des Tragwerkes und der einzelnen Bauteile und ist durch die STR-Grenzzustände abgedeckt. In Tabelle 11.15 sind die wichtigsten Nachweise zusammengestellt. Generell erfolgt die Bemessung nach den in Tabelle 7.3 zusammengestellten Normenwerken und auf Basis der Einwirkungskombinationen. 11.2.4. Bemessung im GZG Für Hochbauwerke sind zur Sicherstellung einer ausreichenden Gebrauchstauglichkeit die Verformungen der einzelnen Bauteile und des gesamten Tragwerkes zu begrenzen. Dies dient einerseits der Sicherstellung der vorgesehenen Nutzung und andererseits der Vermeidung von Schäden an angrenzenden Ausbauteilen (z. B. nicht tragende Trennwände). Die Verformungen sind auf Basis einer GZGEinwirkungskombination zu berechnen. In den meisten Fällen dürfen elastische Verfahren zur Ermittlung der Verformungen verwendet werden. Die prinzipielle Vorgehensweise ist der EN 1990 [166] zu entnehmen.
432
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
Tabelle 11.15. Nachweise in den jeweiligen Grenzzuständen zur Bemessung von Gebäuden Grenzzustand
Nachweise
Verweis
Anmerkung
GEO
Kippen
Kapitel 11.1.3.2
bei Beanspruchung durch horizontale Einwirkungen
Gleiten
Kapitel 11.1.3.2
bei Beanspruchung durch horizontale Einwirkungen
Grundbruch
Kapitel 11.1.3.2
Gesamtstandsicherheit
Kapitel 11.1.3.2
Gebäude an Geländesprüngen oder wenn Gebäude Erdkörper stützt bei Auft riebsbeanspruchungen
UPL
Auft riebssicherheit
Kapitel 11.1.3.3
STR
Bemessung auf Biegung
Kapitel 11.1.3.4
Bemessung auf Querkraft
Kapitel 11.1.3.4
Bemessung auf Torsion Bemessung auf Normalkraft
– Kapitel 11.1.3.4
Stabilitätsnachweise
–
Detailbemessung
–
–
– – – – bei druckbeanspruchten Bauteilen –
Bemessung im Brandfall
Kapitel 11.1.3.4.2
–
Bemessung im Erdbebenfall
Kapitel 11.1.3.4.3
–
11.3. Bemessung von Spaltkeilen Bei der Anordnung von frei stehenden Spaltkeilen vor dem Gebäude wird ein überwiegender Teil der Einwirkungen vom Spaltkeil aufgenommen. Dies ist bei der Bemessung des Gebäudes zu berücksichtigen. 11.3.1. Lastfälle Die Lastfälle LF 18 bis LF 21 werden bei frei stehenden Spaltkeilen für die Bemessung der Stützmauer des Spaltkeiles verwendet. Wenn der Erdkörper des Spaltkeiles direkt gegen die Rückwand (Prallwand) des Gebäudes geschüttet ist, werden die Einwirkungen an das Gebäude weitergegeben. Die LF 19 bis 21 setzen voraus, dass der Spaltkeil funktional richtig konzipiert wurde. LF 18 berücksichtigt das Eigengewicht und die ständigen Einwirkungen. Durch den Spaltkeil und die daraus resultierenden Auflasten auf die Geländeoberfläche resultiert ein erhöhter Erddruck auf das Gebäude (Abb. 11.11). Hinweise zur Berechnung der Erddrücke finden sich in Kapitel 4.7. Die Einwirkungen von Muren und Fließlawinen im LF 19 wirken nur auf den Spaltkeil, wenn dieser ausreichend dimensionierte Flügelmauern besitzt. Die in LF 19 wirkenden Drücke errechnen sich auf Basis der Ausführungen in Kapitel 4.4.
433
Jürgen Suda et al.
Abb. 11.11. Bemessung von Spaltkeilen vor dem Gebäude: Lastfälle 18 und 19
Der Fließanteil von Mischlawinen im LF 20 wirkt nur auf den Spaltkeil. Aus der Staubschicht resultieren positive und negative Drücke auf das Gebäude. Die Drücke aus der Staubschicht werden nur auf jene Flächen der Gebäudehülle angesetzt, die sich nicht im Windschatten des Spaltkeiles befinden. Sonst werden sie analog LF 7 angesetzt.
Abb. 11.12. Bemessung von Gebäuden mit Spaltkeil: Lastfälle 20 und 21
434
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
LF 21 berücksichtigt den Anprall von Steinen. Die Einwirkungen ergeben sich laut Kapitel 4.5. 11.3.2. Einwirkungskombinationen Bei der Bildung der Einwirkungskombinationen ist zwischen der Bemessung eines an das Gebäude angeschlossenen Spaltkeiles und eines frei stehenden Spaltkeils zu unterscheiden. Wirkt ein Spaltkeil gegen mehrere Gefahren, ist die Einwirkung aus jeder Gefahr separat nachzuweisen, sie müssen nicht miteinander kombiniert werden. Bei an das Gebäude angeschlossenen Spaltkeilen sind Spaltkeil und Gebäude gemeinsam zu bemessen. Die Einwirkungskombinationen sind in Tabelle 11.16 zusammengestellt. Sollten noch andere Gefährdungsbilder zu berücksichtigen sein, sind diese gemäß Kapitel 11.2 anzusetzen. Die Einwirkungskombinationen für einen frei stehenden Spaltkeil sind in Tabelle 11.17 zusammengestellt. Hier werden Spaltkeil und Gebäude separat bemessen. Bei der Bemessung des Gebäudes sind die günstigen und ungünstigen Auswirkungen des Spaltkeiles zu berücksichtigen. Dies erfolgt gemäß Kapitel 11.2.8910 Tabelle 11.16. Einwirkungskombinationen (EK) für Gebäude mit angeschlossenem Spaltkeil Bemessungssituation BS1
EK
miteinander kombinierte Einwirkungen ständige E.
veränderliche E.
außergew. E.
EK 35
LF 1 + LF 18 +
(LF 2)
–
EK 36
LF 1 + LF 18 +
(LF 2) + LF 14
–
EK 37
LF 1 + LF 18 +
(LF 2) + LF 8
–
BS2
bei Bedarf Bauzustände
BS3
EK 38
LF 1 + LF 18 +
LF 2 +
LF 3
EK 39
LF 1 + LF 18 +
LF 2 +
LF 13
EK
408
LF 1 + LF 18 +
(LF 2) +
LF 19
EK
419
LF 1 + LF 18 +
(LF 2) +
LF 20
LF 1 + LF 18 +
(LF 2) +
LF 21
EK 4210
8 für Gefährdungsbild 5 – Mure. 9 für Gefährdungsbild 10a – Lawine. 10 für Gefährdungsbild 12b – Steinschlag. 435
Jürgen Suda et al.
Tabelle 11.17. Einwirkungskombinationen (EK) für einen frei stehenden Spaltkeil. Die Bemessung des Gebäudes erfolgt gemäß Kapitel 11.2 Bemessungssituation BS1
BS2
EK
miteinander kombinierte Einwirkungen ständige E.
veränderliche E.
außergew. E.
EK 43
LF 18
–
–
EK 4411
LF 18 +
LF 19
–
EK
4512
LF 18 +
LF 20
–
EK
4613
LF 18 +
LF 21
–
bei Bedarf Bauzustände analog EK 43 bis EK 47
11.3.3. Nachweise Die Nachweise am Gebäude mit einem angeschlossenen Spaltkeil sind analog Kapitel 11.2. Der Nachweis der Gesamtstandsicherheit (Geländebruch) ist in jedem Fall zu führen. Das Stützbauwerk eines frei stehenden Spaltkeiles ist in den GEOGrenzzuständen auf Kippen, Gleiten, Grundbruch und Geländebruch zu untersuchen. Weiters ist das Stützbauwerk in den STR-Grenzzuständen auf Biegung und Querkraft zu bemessen. Der Erdkörper des Spaltkeiles wird in der Regel nicht bemessen. Bei der Konstruktion sind die Angaben von Kapitel 10.3 zu beachten.111213 11.4. Bemessung von Ebenhöhen Ebenhöhe sind immer kraftschlüssig mit dem Bauwerk verbunden. Einwirkungen auf das Ebenhöh werden somit über den Erdkörper an das Gebäude weitergegeben. Es reduziert sich jedoch die direkte Beanspruchung der Prallwand. 11.4.1. Lastfälle LF 22 berücksichtigt die Eigengewichte des Ebenhöhs und den durch das Ebenhöh entstehenden Erddruck an der Rückseite des Gebäudes.
Abb. 11.13. Bemessung von Gebäuden mit Ebenhöh: Lastfall 22 11 für Gefährdungsbild 5 – Mure. 12 für Gefährdungsbild 10a – Lawine. 13 für Gefährdungsbild 12b – Steinschlag. 436
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
Abb. 11.14. Bemessung von Gebäuden mit Ebenhöh: Lastfälle 23 und 24
LF 23 berücksichtigt ein Überfließen des Ebenhöhs und des Gebäudes durch Lawinen oder Muren. Diese Einwirkungen ergeben sich nach Kapitel 4.4.3.5. Im LF 24 sind die Beanspruchungen durch abgelagerten Lawinenschnee oder Murmaterial enthalten. Diese berechnen sich aufgrund des Eigengewichtes nach Kapitel 4.8. Auflasten auf die Geländeoberfläche haben Auswirkungen auf die Erddruckverteilung. Die daraus resultierenden Zusatzerddrücke e(sA, sU) bzw. e(sA ) sind entsprechend zu berücksichtigen. Hinweise dazu finden sich in Kapitel 4.7. Wenn das Gebäude nicht seitlich nahtlos an das umgebende Gelände angeschlossen ist, sind an den Seitenwänden zusätzlich Reibungskräfte zu berücksichtigen. 11.4.2. Einwirkungskombinationen Die Einwirkungskombinationen für das Gebäude sind in Tabelle 11.18 zusammengestellt. Wirkt ein Ebenhöh gegen mehrere Gefahren ist die Einwirkung aus jeder Gefahr separat nachzuweisen, sie müssen nicht miteinander kombiniert werden. Entscheidend bei der Bemessung sind das Dach und die Rückwand des Gebäudes. Die Rückwand muss auf folgende Einwirkungen bemessen werden: • Erddrücke • Zusatzerddrücke durch die Auflast aus den Prozessen • Auflast aus dem Prozess • Horizontalkräfte aus dem Dach Das Dach ist auf folgende Einwirkungen zu bemessen: • Auflast aus dem Prozess • Reibungskräfte bei Lawinen und Muren • Anprallstoß bei Steinschlägen
437
Jürgen Suda et al.
Tabelle 11.18. Einwirkungskombinationen (EK) für Gebäude mit Ebenhöh, für Gefährdungsbild 5 – Mure oder 10 b – Lawine Bemessungssituation BS1
EK
miteinander kombinierte Einwirkungen ständige E.
veränderliche E.
außergew. E.
EK 47
LF 1 + LF 22 +
(LF 2)
–
EK 48
LF 1 + LF 22 +
(LF 2) + LF 14
–
EK 49
LF 1 + LF 22 +
(LF 2) + LF 8
–
BS2
bei Bedarf Bauzustände analog EK 47 bis EK 49
BS3
EK 50
LF 1 + LF 22 +
LF 2 +
LF 3
EK 51
LF 1 + LF 22 +
LF 2 +
LF 13
EK 52
LF 1 + LF 22 +
(LF 2) +
LF 23
EK 53
LF 1 + LF 22 +
(LF 2) +
LF 24
11.4.3. Nachweise Die Nachweise an einem Gebäude mit Ebenhöh sind analog Kapitel 11.2. Der Nachweis der Gesamtstandsicherheit (Geländebruch) ist in jedem Fall zu führen. Abgesehen davon wird der Erdkörper des Ebenhöhs in der Regel nicht bemessen. Bei der Konstruktion sind die Angaben von Kapitel 10.2 zu beachten. 11.5. Bemessung von Schutzmauern, -zäunen und -dämmen Bei der Anordnung von Schutzmauern, -zäunen oder -dämmen vor dem Gebäude wird die gesamte oder ein Teil der Einwirkungen von diesen aufgenommen. Dadurch reduzieren sich die Einwirkungen auf das Gebäude. Die Bemessung von Schutzmauern und -zäunen richtet sich nach dem Werkstoff und dem Funktionstyp. Mauern werden als Stützmauer, frei stehende Prallwand, Ablenk- und Auffangmauer eingesetzt. Dämme und Zäune eigenen sich nur zur Ablenkung und Retention. Die folgenden Ausführungen werden anhand einer Schutzmauer gezeigt, sie gelten analog für Zäune und Dämme. 11.5.1. Lastfälle LF 25 berücksichtigt das Eigengewicht und die ständigen Einwirkungen. Die Erdund Wasserdrücke auf die Schutzwand ergeben sich je nach Höhe der Hinterfüllung und der Wasserstände nach Kapitel 4.7 und 4.3. Durch die Mauer und die daraus resultierenden Auflasten auf die Geländeoberfläche resultiert ein erhöhter Erddruck auf das Gebäude. Die Einwirkungen von Muren und Fließlawinen im LF 26 wirken nur auf die Mauer. Die wirkenden Drücke errechnen sich auf Basis der Ausführungen in Kapitel 4.4. Ist die Mauer im Grundriss schräg zur Prozessrichtung gestellt, wird der Prozess abgelenkt. Dadurch reduziert sich der Druck, aber es wirkt zusätzlich eine Reibungskraft auf der Oberfläche der Mauer. LF 27 berücksichtigt die Einwirkung durch kriechende und gleitende Schneedecken. Diese Einwirkungen errechnen sich nach Kapitel 4.5.3. 438
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
Abb. 11.15. Bemessung von Schutzmauern und -zäunen: Lastfälle 25 und 26
Abb. 11.16. Bemessung von Schutzmauern und -zäunen: Lastfälle 27 und 28
LF 28 beinhaltet den Anprall von Steinen. Die Einwirkungen ergeben sich laut Kapitel 4.5. Die LF 26 bis 28 setzen voraus, dass die Mauer, der Damm oder der Zaun funktional richtig konzipiert wurde. 11.5.2. Einwirkungskombinationen Schutzmauern – wie sie hier verstanden werden – stehen immer frei vor dem Gebäude. Somit werden Schutzmauer (-zaun oder -damm) und Gebäude separat bemessen. Bei der Bemessung des Gebäudes sind die günstigen und ungünstigen Auswirkungen des Schutzbauwerkes zu berücksichtigen. Sie erfolgt gemäß Kapitel 11.2. Die Einwirkungskombinationen für eine frei stehende Schutzwand sind in Tabelle 11.19 zusammengestellt. Wirkt das Schutzbauwerk gegen mehrere Gefahren, 439
Jürgen Suda et al.
Tabelle 11.19. Einwirkungskombinationen (EK) für eine frei stehende Stützwand. Die Bemessung des Gebäudes erfolgt gemäß Kapitel 11.2 Bemessungssituation
EK
BS1
EK 5414
BS2 BS3
miteinander kombinierte Einwirkungen ständige E. LF 25
veränderliche E. –
außergew. E. –
bei Bedarf Bauzustände EK 5515
LF 25 +
LF 27
5616
LF 25 +
–
LF 26
EK 5717
LF 25 +
–
LF 28
EK
ist die Einwirkung aus jeder Gefahr separat nachzuweisen, sie müssen nicht miteinander kombiniert werden.14151617 11.5.3. Nachweise Schutzmauern oder -zäune sind in den GEO-Grenzzuständen auf Kippen, Gleiten, Grundbruch und Geländebruch zu untersuchen. Weiters ist das Tragwerk in den STR-Grenzzuständen auf Biegung und Querkraft zu bemessen. Zur Bemessung von Dämmen sind Nachweise in den GEO-Grenzzuständen zu führen. Sind Stützbauwerke (z. B. Fußmauer) integriert, sind diese zusätzlich auf die STR-Grenzzustände zu bemessen. Die Nachweise am Gebäude sind analog Kapitel 11.2. 11.6. Bemessung von Steinschlagschutznetzen Steinschlagschutznetze werden auf den LF 28 bemessen. Die Bemessung erfolgt generell nach ONR 24 810. [194] Im Unterschied zu Zäunen und Mauern weisen Schutznetze biegeweiche Schutzwandflächen auf. Die innere Verformungsarbeit dieser Netze ist viel höher als jene von starren Bauwerken. Bei der Bemessung wird die aufnehmbare Energie des Netzes (Widerstand) der Energieeinwirkung gegenübergestellt. Die aufnehmbare Energie von Steinschlagschutznetzen wird experimentell bestimmt. Steinschlagschutznetze sind somit als Bauprodukt aufzufassen. Für die Festlegung der aufnehmbaren Energien gibt es Prüfvorschriften, die den Versuchsaufbau, die Art der Belastung und die Anzahl der Versuche genau regeln. In Europa wird hier nach der EOTA-Richtline geprüft. Es sind auch EOTA-kompatible Schweizer Richtlinien in Verwendung (siehe Kapitel 7.5.5). Für die Bemessung müssen die maßgebliche Sprunghöhe der Steine und die zu erwartende Energie bekannt sein. Die Bemessung der erforderlichen Netzhöhe
14 Für ein Stützbauwerk (Stützmauer) ist nur dieser Lastfall nachzuweisen Gefährdungsbild 6, 11 und 12a,b. 15 Für Gefährdungsbild 9b – gleitende und kriechende Schneedecken 16 Für Gefährdungsbild 5 – Mure 17 Für Gefährdungsbild 12b – Steinschlag 440
11. Hinweise zur bautechnischen Bemessung von Gebäuden mit Schutzmaßnahmen
erfolgt laut Kapitel 10.4.2.2. Bei der Energiebemessung muss folgendes Kriterium erfüllt sein: (7)
Der Bemessungswert der einwirkenden Energie EE,d ergibt sich laut Kapitel 4.6. Die aufnehmbaren charakteristischen Energien R E,k sind in den Produktzulassungen angegeben. Größenordnungen finden sich in Tabelle 10.4 und Tabelle 10.5. Der Bemessungswert des Widerstandes R E,d berechnet sich wie folgt: (8)
Dabei ist Rk,MEL der MEL-Nennwert (MEL = Maximum Energy Level) der Energieklasse gemäß ETAG 027. γE,R ist der Teilsicherheitsbeiwert des Energiewiderstandes für Steinschlagschutznetze nach Tabelle 11.20. Tabelle 11.20. Teilsicherheitsbeiwerte für den Energiewiderstand von Steinschlagschutznetzen in Abhängigkeit der Schadensfolgeklasse laut EN 1990, aus [192]
γE,kin
CC1
CC2
CC3
1,0
1,05
1,15
Die Verankerungen der Abspannseile sind mit den Kräften in den Abspannseilen laut Herstellerangabe zu bemessen. Dabei sind die gemessenen Kräfte aus dem MEL-Zulassungsversuchs zu verwenden. Die Verankerung sollte so bemessen werden, dass vor der eigentlichen Verankerung das Seil versagt. Dadurch kann das neue Netz auf den bestehenden Verankerungen montiert werden. Das Stützenfundament wird ebenfalls auf die Kräfte laut Herstellerangaben dimensioniert. Bei den Pendelstützen muss eine Druckkraft und bei den eingespannten Stützen ein Biegemoment aufgenommen werden. Die Vorgehensweise bei der Bemessung von Ankern und Stützenfundierungen findet sich in der ONR 24 806 [und 24 810 [194]] und z. B. in [226].
441
12. Nutzungskonzepte, Sicherheitsplanung und Notfallmaßnahmen
Florian Rudolf-Miklau
12.1. Passive Gebäudeschutzmaßnahmen: Allgemeines Die in diesem Handbuch behandelten, technischen Gebäudeschutzmaßnahmen üben durchwegs eine präventive, aktive Schutzwirkung aus, beugen also potenziellen Schäden durch Naturereignisse (Personenschäden, Schäden am Baukörper, Inventarschäden, Schäden an Ver- und Entsorgungsleitungen) vor, indem sie die Prozesseinwirkung abwehren oder reduzieren bzw. die Robustheit des Gebäudes gegen Schadenwirkung erhöhen. Im weiteren Sinne zum Gebäudeschutz zählen aber auch passive Schutzkonzepte, welche bei Eintritt eines Ereignisses die Schadenswirkung für den Baubestand reduzieren oder die Personen im Gebäude und dessen Nutzung so weit wie möglich an die drohenden Gefahren anpassen. Im Idealfall wirken aktive und passive Gebäudeschutzmaßnahmen im Sinne einer integralen Bauvorsorge komplementär. Folgende passive Gebäudeschutzmaßnahmen sind zu berücksichtigen: • Gefahrenangepasste Nutzungskonzepte (Kapitel 12.2) • Notfallplanung und individuelle Notfallvorsorge (Kapitel 12.3) • Maßnahmen bei „Gefahr in Verzug“: individuelle und behördliche Notfallmaßnahmen (Räumung, Sperre, Evakuierung) (Kapitel 12.4) • Ab- oder Umsiedlung (Kapitel 12.5) 12.2. Gefahrenangepasste Nutzungskonzepte Bereits in der Planungsphase ist für Gebäude mit Schadensrisiko durch Naturgefahren ein gefahrenangepasstes Nutzungskonzept zu erstellen. Darunter versteht man die Festlegung zeitlicher und räumlicher (Außenraum, Innenraum) Nutzungsbeschränkungen in Abhängigkeit von Art, Dauer, Häufigkeit und Intensität der Prozesseinwirkung, entweder permanent oder für den Zeitraum einer erhöhten Gefahrenstufe. Grundsätzlich gehen die Baugesetze (-ordnungen) in Österreich von einer „absoluten“ Bauplatzsicherheit aus (siehe Kapitel 6.5), die eine Nutzung von dauerhaft gefährdeten Objekten von vorneherein ausschließt. Durch die zahlreichen Sonder- und Ausnahmebestimmungen für konkrete Bauvorhaben in Gefahrenzonen (siehe Kapitel 6.5 und 7.4.2) können Nutzungskonzepte für bestimmte Naturgefahrenarten oder Gebäudetypen sinnvolle und effiziente Ergänzungen zum 443
Florian Rudolf-Miklau
technischen Gebäudeschutz darstellen. Einschränkend ist anzumerken, dass es in Österreich zurzeit keine Rechtsgrundlage für die verpflichtende Festlegung solcher Nutzungs- und Sicherheitsplanungen für private Wohngebäude gibt. 12.2.1. Zeitliche Nutzungskonzepte Zeitliche Nutzungskonzepte zielen auf eine Nutzungsbeschränkung während Phasen erhöhter oder akuter Gefährdung ab. Dabei liegt der Fokus auf dem Schutz von Personen und Mobilien, während eine Beeinträchtigung oder Beschädigung des Gebäudes durch ein Gefahrenereignis (in gewissen Grenzen) in Kauf genommen wird. Anwendbar ist dieses Konzept auf Gebäude mit vorübergehender (z. B. Baustellenunterkünfte, Superädifikate) oder saisonaler (z. B. alpine Schutzhütten, Seilbahnanlagen) Nutzung, Bauwerke auf Zwangsstandorten in Gefahrengebieten (z. B. energiewirtschaft liche Bauwerke, Bergbauanlagen) und untergeordnete Gebäude mit land- und forstwirtschaft lichem Nutzungszweck (z. B. Almhütten, Ställe, Jagdhütten). Für diese Gebäude ist festzulegen, in welcher Zeit (zeitlichen Befristung) sie genutzt werden dürfen und welche Notfallmaßnahmen (siehe Kapitel 12.4) bei erhöhter Gefahrenstufe zu ergreifen sind. Saisonale Nutzungen kommen vor allem für Gebäude in Frage, die durch Lawinen oder Schneelast gefährdet sind. Zeitliche Nutzungskonzepte scheiden für dauerhaft bewohnte oder genutzte Gebäude und generell für den Siedlungsraum, öffentliche Gebäude, Wirtschaftsbetriebe, Kulturgüter oder Fremdenverkehrseinrichtungen aus. Außerdem sind sie nicht anwendbar, wenn ein hohes Personenrisiko besteht oder wenn die Effekte der zeitlich befristeten Nutzung in einem wirtschaft lichen Missverhältnis zu den Beeinträchtigungen oder Schäden am Gebäude durch Prozesseinwirkung stehen. 12.2.2. Nutzungskonzepte für den Außenraum Nutzungskonzepte für den Außenraum sind vor allem dann von Bedeutung, wenn außerhalb, jedoch nicht innerhalb von Gebäuden (Gebäudeteilen) ein Personenrisiko durch Naturgefahren besteht. Die Nutzung soll grundsätzlich so erfolgen, dass bei Gefahr eine erhöhte Präsenzwahrscheinlichkeit von Personen nur in relativ sicheren (gesicherten) Außenzonen besteht und eine sichere Erreichbarkeit von Schutzräumen oder Fluchtwegen im Notfall gewährleistet ist. Ein Nutzungskonzept für den Außenraum muss daher so entworfen werden, dass Flächen mit einer hohen Aufenthaltsdauer von Personen – z. B. Terrassen, Balkone, Kinderspielplätze, Schwimmbecken – in den durch das Gebäude und andere Schutzmaßnahmen geschützten Bereichen liegen. Zugänge zum Gebäude und Garagenzufahrten sollten ebenfalls möglichst geschützt, also vorzugsweise an der gefahrenabgewandten Seite angelegt werden. Derartige Nutzungskonzepte sind grundsätzlich nur in Gebieten mit geringer (mäßiger) Gefahrenintensität sinnvoll. 12.2.3. Nutzungskonzepte für den Innenraum Gefahrenangepasste Nutzungskonzepte für den Innenraum beruhen auf der Annahme, dass trotz technischer Gebäudeschutzmaßnahmen das Personenrisiko im Gebäudeinneren durch Beeinträchtigungen der Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit infolge Prozesseinwirkung nicht vollständig ausgeschlossen werden kann. Durch angepasste Nutzungskonzepte und Raumorganisation können Personenschäden vermieden und Sachschäden reduziert werden. Die hier vorgestellten 444
12. Nutzungskonzepte, Sicherheitsplanung und Notfallmaßnahmen
Planungsgrundsätze gelten prinzipiell für alle Naturgefahren, wobei ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Nutzungskonzepten für Gefahren mit feststehender Wirkungsrichtung (z. B. Muren, Steinschlag, Lawinen) und Gefahren ohne eindeutige Wirkungsrichtung (z. B. Erdbeben, Sturm, Waldbrand) besteht. Befindet sich ein Gebäude in einer Gefahrenzone, sind der Gebäudegrundriss und das Nutzungskonzept an die lokalen Gegebenheiten anzupassen. Die Anordnung der Innenräume hinsichtlich ihrer Nutzung ist abhängig von der Exposition des Raumes gegenüber der Gefahrenquelle bzw. von der Zahl und Aufenthaltsdauer von Personen sowie vom Schadenspotenzial im jeweiligen Raum. Daher sollten Räume mit langer Aufenthaltsdauer von Personen – wie z. B. Wohn- und Schlafräume – in Gefahren abgewandten Bereichen angeordnet werden (Abb. 12.1). Der Grundsatz dabei ist, die Räume mit der höchsten Aufenthaltswahrscheinlichkeit und -dauer von Personen möglichst weit weg vom gefährdeten Bereich des Gebäudes oder der Einwirkungsseite von Gefahrenprozessen anzuordnen. Teure Haustechnik sollte prinzipiell nur in gut geschützten Bereichen des Hauses angeordnet werden.1 Folgende Kriterien sind weiters für ein gefahrenangepasstes Nutzungskonzept zu beachten: • Nebenräume (Räume mit geringer Aufenthaltsdauer von Personen) in Prozessrichtung vor Räumen mit hoher Aufenthaltsdauer (z. B. Wohnraum, Schlafzimmer) anordnen („Puffereffekt“). Bei Hochwassergefährdungen sind Nebenräume im Erdgeschoss anzuordnen. (siehe Kapitel 8.2.1) • Ausstiegsmöglichkeit auf das Dach vorsehen: Generell sollte immer an eine Möglichkeit zur Evakuierung aus der Luft gedacht werden. • Schutzräume vorsehen, insbesondere bei hohem Risiko für die Standsicherheit von Gebäuden oder die Gefahr des Eindringens von Wasser, Schnee oder Feststoffen in das Gebäudeinnere. • Vermeidung von Kellergeschossen bei Gebäuden in Überflutungsgebieten: Weisen hochwassergefährdete Gebäude Kellergeschosse auf, sollten diese nutzungsgerecht verwendet werden; das bedeutet, dass Lagerungen von wasserempfindlichen Gegenständen und die Nutzung als Gäste- oder Hobbyraum, Waschküche, Trockenraum zu vermeiden sind. 12.3. Notfallplanung und Notfallvorsorge Zur Sicherheitsplanung für Gebäude in Gefahrenzonen zählt weiters die Notfallplanung. Darunter sind die Vorbereitungen für die Bewältigung von Notfallsituationen und das Angebot für Gegenmaßnahmen zur sofortigen Durchführung bei einem drohenden Gefahrenereignis zu verstehen. Dem Prinzip nach entspricht die private Notfallplanung für einzelne Gebäude der Katastrophenschutzplanung auf behördlicher Ebene. Von besonderer Bedeutung ist die Notfallplanung für akute Gefahrensituationen insbesondere für Gebäude, in denen sich bei erhöhter Gefahrenstufe eine größere 1
Dies sind beispielsweise bei Hochwassergefahr alle Räume über der Hochwassermarke. 445
Florian Rudolf-Miklau
Abb. 12.1. Gebäudegrundriss: Raumanordnung bzw. -nutzung gegenüber der Gefahrenrichtung, unterschieden nach Räumen mit kurzer und langer Aufenthaltsdauer (Treberspurg, ErtlBalga, Mühling, Kodatsch)
446
12. Nutzungskonzepte, Sicherheitsplanung und Notfallmaßnahmen
Zahl von Menschen aufhält (z. B. Schulen, Bürogebäude, Fabriken und Werkstätten, Spitäler, Heilanstalten, Altersheime, Flughäfen, Bahnhöfe, Seilbahnstationen, Hotels, Regierungsgebäude und Ämter, Kirchen) oder außergewöhnliche Sachwerte befinden (z. B. Banken, Museen, Kultureinrichtungen). Für diese Einrichtungen ist die Erstellung von konkreten Notfallplänen, welche die Maßnahmen, Abläufe und Zuständigkeiten im Akutfall regeln, unbedingt zu empfehlen. Eine Festlegung der Organisationsfragen muss jedenfalls vor dem Eintritt eines Katastrophenereignisses geklärt sein, weiters müssen sämtliche erforderlichen Ressourcen (Geräte, Hilfsmittel, Betriebsmittel, Versorgungsgüter) in ausreichender Menge vorgehalten werden (Bevorratung). Überdies sind Verzeichnisse der Adressen und Telefonnummern aller Beteiligten sowie eine Darstellung der Führungsstrukturen (Besetzung der Stellen, Weisungsbefugnisse) erforderlich. Eine Abstimmung mit dem behördlichen Katastrophenschutzplan und den zuständigen Behörden und Einsatzorganisationen ist essentiell. Für Privatgebäude und Wohngebäude in Gefahrenzonen wird die Erstellung von gebäudespezifischen Notfallplänen nur in besonderen Fällen in Frage kommen. Essentiell ist jedoch die individuelle oder betriebliche Notfallvorsorge. Darunter versteht man einfache Maßnahmen (Vorkehrungen), die im Sinne der Selbsthilfe im Akutfall individuell und rasch durchgeführt werden können, um im Katastrophenfall die Phase bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte zu überbrücken.2 Nachfolgend sind beispielhaft einige Maßnahmen der Notfallvorsorge angeführt: • Allgemeine Vorkehrungen, insbesondere für Wohngebäude: – Gebäudeöffnungen an der Anströmseite bei einem drohenden Ereignis geschlossen halten und abdämmen – Vorkehrungen gegen Stromausfall: netzunabhängige Lichtquellen und Radio (Informationen und Alarmierung) – Notgepäck und wichtigste Dokumente für den Fall der Notevakuierung bereithalten – Verbringen von Erste-Hilfe-Ausrüstung, Trinkwasser, Wertgegenständen, Dokumenten, Lebensmitteln, Kommunikations- und Elektrogeräten, Wäsche etc. in höher gelegene Stockwerke oder sichere Räume – Hauptschalter für Wasser, Strom, Heizung, Gas und Öl im Akutfall abdrehen – Gefährliche Stoffe an sichere Orte bringen (Brand-, Explosions-, Vergiftungsgefahr) • Vorkehrungen für Gewerbe- und Industriebetriebe: – Laufende Prozesse abschalten, entflammbare oder brennbare Flüssigkeiten aus offenen Tanks entfernen – Ober- und unterirdische Tanks gegen Auf- und Wegschwimmen sichern, leere Tanks mit Wasser füllen, Lüftungsleitungen über die Überschwemmungskote verlängern 2
Die individuelle Notfallvorsorge setzt eine ausreichende Gefahrenkenntnis voraus und umfasst Maßnahmen zur individuellen Vermeidung von Gefahrensituationen, das richtige Verhalten bei Unfällen und Katastrophen, die Fähigkeit zur Verständigung der Einsatzkräfte und zur Selbsthilfe unmittelbar nach dem Ereignis sowie Kenntnisse für die ErsteHilfe-Leistung bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte. 447
Florian Rudolf-Miklau
– Alle Leitungen für brennbare Flüssigkeiten und Gase entleeren, um den Austritt größerer Flüssigkeits- und Gasmengen aus beschädigten Leitungen zu verhindern – Bremsen an fahrbaren Kränen und Brücken überprüfen und gemäß Herstelleranweisung für Ruhezeiten arretieren – Fahrzeuge und hochwertige Anlagen in relativ sichere Gebiete oder gefahrenabgewandte Gebäudeteile verlagern Weiterführende Auskünfte und Beratung über individuelle Notfallplanung erteilt in Österreich beispielsweise der Österreichische Zivilschutz Verband (ÖZSV)3 oder die Sicherheitsinformationszentren (SIZ)4 in den Bundesländern und Gemeinden. 12.4. Maßnahmen bei „Gefahr in Verzug“ (Notfallmaßnahmen) Akut drohende Naturereignisse werden durch den rechtlich und technisch relevanten Begriff „Gefahr in Verzug“ bezeichnet. Charakteristisch für diesen Zustand ist, dass eine „gegenwärtige Gefahr“ herrscht, also eine Gefahr, bei der das schädigende Ereignis bereits begonnen hat oder mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit in allernächster Zeit bevorsteht.5 ([153], 618 f ) In diesem Zustand sind unverzüglich Notfallmaßnahmen zu setzen, die der akuten Gefahr für Personen und Sachwerte entgegenwirken. Diese umfassen sowohl individuelle als auch behördliche Notfallmaßnahmen. 12.4.1. Individuelle Notfallmaßnahmen Individuelle Notfallmaßnahmen setzen die Fähigkeit zur Selbsthilfe, Leistung von Erster Hilfe für andere und generell das erforderliche Wissen über das richtige Verhalten in Gefahrensituationen voraus. Eine ausreichende Ausbildung der betroffenen Bevölkerung und regelmäßige Übung für den Akutfall sind daher wichtige Beiträge zur Notfallvorsorge. Nachfolgend werden einige Beispiele für individuelle Notfallmaßnahmen bei drohenden Naturgefahren angeführt: • Verhalten bei Hochwasser und Muren: Verlassen von Unter- und Erdgeschossen, bei Überflutung Ausstieg auf das Dach des Gebäudes. Fahrzeuge rechtzeitig auf überschwemmungsfreies Gelände fahren. • Verhalten bei Lawinen: Aufsuchen von Unter- und Erdgeschossen bzw. der gefahrenabgewandten Gebäudeseite. Verlassen von Gebäuden nur nach behördlicher Anordnung. Bereithalten von Schaufel, Pickel, Brecheisen und anderen Werkzeugen (Selbstbefreiung bei Verschüttung) sowie einer Notbeleuchtung.
3 4 5
448
http://www.zivilschutzverband.at/ http://www.siz.cc/ „Gefahr in Verzug“ ist im Sinne des WRG 1959 defi niert als „eine erhebliche und konkrete Gefahr für die in diesem Gesetz geschützten Rechtsgüter und Interessen“, insbesondere das Leben und die Gesundheit von Menschen, den Schutz von Grundstücken, Gebäuden und Rechten sowie die Abwehr von volkswirtschaft lichen Schäden, die ein sofortiges behördliches Einschreiten erfordert.
12. Nutzungskonzepte, Sicherheitsplanung und Notfallmaßnahmen
• Verhalten bei Erdbeben: Aufsuchen eines sicheren Ortes. Aufzüge nicht benutzen. Nicht ins Freie laufen. Im Freien: Sicherheitsabstand zum Gebäude und zu elektrischen Freileitungen einhalten, um nicht durch herabfallende Teile gefährdet zu werden (Sicherheitsabstand = halbe Gebäudehöhe). • Verhalten bei Sturm: Aufenthalt im Freien vermeiden. Befestigung von beweglichen Gegenständen. Schließen von Türen und Fenstern. Aufenthalt in tiefer liegenden Stockwerken. 12.4.2. Behördliche Notfallmaßnahmen Der Eintritt einer Naturkatastrophe überfordert in der Regel die Selbsthilfefähigkeit einzelner Personen oder Einsatzorganisationen. Das österreichische Katastrophenmanagement beruht daher auf der Zusammenarbeit von staatlichen und freiwilligen (privaten) Einsatzorganisationen. Im Katastrophenfall werden Letztere der weisungsberechtigten Leitung der zuständigen Katastrophenschutzbehörde unterstellt und als Katastrophenhilfsdienste aktiv. Sind Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erforderlich, kann die Behörde eine einstweilige Verfügung erlassen, um die unmittelbar drohende Gefahr abzuwenden. Ein weiteres behördliches Instrument ist der „Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt“, der es der Behörde ermöglicht, bei drohenden Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Menschen die zur Beseitigung der Gefährdung notwendigen Maßnahmen – nötigenfalls auch gegen den Willen des Eigentümers bedrohter Gebäude – unmittelbar anzuordnen und gegen Ersatz der Kosten nötigenfalls unverzüglich durch den Verpflichteten durchführen zu lassen. Alle diese Verfügungen können ohne Wahrung des Parteiengehörs und ohne schrift lichen Bescheid erlassen werden, wenn das Einschreiten der Behörde durch eine unmittelbar drohende Gefahr notwendig wird. Aus Sicht des Gebäudeschutzes sind insbesondere die behördlichen Maßnahmen Freihaltung, Evakuierung, Räumung, Betretungsverfügung, Sperre und (ggf.) Gebäudeabbruch von Relevanz. In den Katastrophenhilfegesetzen der Länder sind Bestimmungen über die Freihaltung und Räumung des Einsatzbereichs und die Sperre des Katastrophengebiets (Gefahrenbereichs)6 enthalten. Darin wird u. a. die Anordnungsbefugnis der Bezirksverwaltungsbehörde hinsichtlich des Aufenthalts von Personen im Katastrophengebiet oder Teilen desselben geregelt. Insbesondere kann unbefugten Personen der Zutritt oder das Verlassen eines solchen Gebiets verwehrt werden (Betretungsverfügung). Eine Evakuierung ist notwendig, wenn eine Bedrohung für einzelne Häuser, Weiler oder Ortsteile durch Naturgefahren auftritt. Voraussetzung ist die Gefährdung des Lebens und der Gesundheit von Menschen. Bei „Gefahr in Verzug“ können besondere notstandspolizeiliche Maßnahmen erforderlich sein, wenn eine Nutzung eines Gebäudes ohne Gefahr für Leben und Gesundheit der Bewohner (Nutzer) nicht mehr möglich ist, also beispielsweise bei Einsturzgefahr oder Überflutung. Für diesen Fall sind auch baubehördliche Verfügungen vorgesehen, die den Grundeigentümer zu bestimmten Handlungen im Sinne der eigenen Sicherheit
6
§ 17 Wr KKG; § 24 Abs 1 Bgld KHG; § 19 Oö KSG; § 6 Stmk KSG; § 5 Ktn KHG; § 16 Tir KMG; § 17 Vlbg KHG. 449
Florian Rudolf-Miklau
veranlassen. Folgende baupolizeiliche Maßnahmen stehen gemäß den einzelnen Baugesetzen7 zur Verfügung: • Betretungsverfügung (-verbot) für Gebäude und Grundstücke • Räumung von Gebäuden • Beseitigung (Abbruch) von Gebäuden 12.5. Ab- und Umsiedlung Wird ein Gebäude (eine Siedlung) wiederholt durch ein Naturereignis (eine Katastrophe) schwer beeinträchtigt, beschädigt oder zerstört, stellt sich gewöhnlich die Frage nach der Zulässigkeit der Wiedererrichtung. Aus dem Blickwinkel der öffentlichen Sicherheit wäre eine restriktive gesetzliche Regelung unter Beachtung der Zerstörungsursache und der Beurteilung der zukünftigen Nutzbarkeit zu erwarten, nichtsdestotrotz enthalten in Österreich einzelne Baugesetze8 vereinfachte Verfahrensbestimmungen sowie Ausnahmen von der Geltung des Flächenwidmungsplans (siehe Kapitel 6.4), wenn der Antrag auf Wiedererrichtung innerhalb von fünf Jahren nach der Zerstörung des Bauwerks eingebracht wird. [80] Im Allgemeinen ist jedoch davon auszugehen, dass die totale Zerstörung eines Gebäudes durch eine Naturkatastrophe die Wiedererrichtung desselben in gleicher Form oder Lage ausschließen sollte und in diesem Fall die Möglichkeit der Umsiedlung zu prüfen ist. Die Umsiedlung (Absiedlung) von Gebäuden und Siedlungsteilen, die in besonderem Maße durch Naturgefahren bedroht sind, ist eine Maßnahme zur dauerhaften Verringerung des Schadenspotenzials und hat daher präventive Wirkung. Durch das Instrument der Umsiedlung könnten theoretisch Fehlentwicklungen in der Raumordnung „rückgängig“ gemacht und z. B. zusätzliche Überflutungsflächen (Polder) geschaffen werden. Aus gesellschaftspolitischen Gründen ist trotzdem eine planmäßige Umsiedlung von als stark gefährdet eingestuften Gebäuden gegenüber den Betroffenen nur schwer durchsetzbar. Sämtliche bisher in Österreich durchgeführten Umsiedlungsprojekte9 standen im unmittelbaren Zusammenhang mit schweren Schäden nach Hochwasserkatastrophen. Wichtigste Auslöser für derartige Projekte können extreme Gefahrenlagen oder die fehlende Wirtschaftlichkeit von technischen Schutzmaßnahmen sein. Aus diesem Grund liegt die Initiative im Allgemeinen bei den zuständigen Behörden und Fachdiensten. Die bisher in Österreich durchgeführten Umsiedlungsprojekte erfolgten durchwegs auf freiwilliger Basis als Ergebnis erfolgreicher Überzeugungsarbeit oder im Eindruck katastrophaler Ereignisse. Den Betroffenen wurden in der Regel der Zeitwert des Liegenschaft (Gebäude und Grundstück) sowie die geschätzten Abbruch- und Entsorgungskosten zum überwiegenden Teil aus öffentlichen Subventionen ersetzt, teilweise war ein Eigenanteil zu leisten. Die zur Umsiedlung freigegebenen 7 8 9
450
§ 129 Wr BauO; § 36 Nö BauO; § 28 Abs 5 Bgld BauG; § 48 Abs 6 Oö BauO; § 20 Abs 8 Slbg BauPolG; § 42 Stmk BauG; §§ 45 Ktn BauO; § 39 Abs 1 Tir BauO; § 48 Abs 1 Vlbg BauG. § 14 Abs 2 Ktn BauO; § 42 Abs 5 Tir ROG. Z. B. 1970: Gde. Ardagger (Niederösterreich), 2002 (Donauhochwasser): Gde. Ardagger, Strengberg und Wallsee (Machland, Niederösterreich), 1995 (Ill-Hochwasser): Gde. Göfis (Schildried, Vorarlberg).
12. Nutzungskonzepte, Sicherheitsplanung und Notfallmaßnahmen
Gebäude wurden ersatzlos abgebrochen. Weiters wurden die Betroffenen bei der Beschaff ung von Ersatzgrundstücken (-wohnungen) unterstützt, wobei die neuen Bauplätze außerhalb des Gefährdungsbereichs liegen mussten.
451
13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele
Jürgen Suda, Susanne Mehlhorn, Florian Rudolf-Miklau
13.1. Allgemeines In diesem Handbuch wurden für die Planung und Errichtung von Wohngebäuden maßgebliche Schutzkonzepte und -maßnahmen umfassend dargestellt. Die größte Herausforderung für den Planer und Architekten ist jedoch die funktionale und ästhetische Einbindung der Gebäudeschutzmaßnahmen in das Gesamtkonzept eines Wohnbaus. Der nachfolgende Abschnitt zeigt anhand von gelungenen Beispielen der Wohnbau-Architektur, wie Lebensqualität, Design und Sicherheit harmonisch in einem architektonischen Gesamtkonzept in Einklang gebracht werden können. Bei den nachfolgenden Beispielen handelt es sich um aktuelle Bauprojekte mit Modellcharakter, die von den Eigentümern bzw.den planenden Architekturbüros ausdrücklich für die Darstellung in diesem Werk freigegeben wurden. 13.2. BEISPIEL 1 – Einfamilienhaus/Schutz vor Muren und Lawinen 13.2.1. Beschreibung des Gefährdungsbildes (Gefahrenszenario) Das Gebäude ist durch Muren, Fließlawinen und Staublawinen (Gefährdungsbilder 5, 10 a–c; gemäß Tabelle 3.2) gefährdet. Die Hauptwirkungsrichtung der Prozesse ist von Nord-Osten (Abb. 13.1). Das Grundstück befindet sich am Schwemmkegel des Hüttbaches (Gemeinde Rauris/Salzburg) und ist vom Bachlauf etwa 50 m entfernt (Rote Gefahrenzone). Im genehmigten Gefahrenzonenplan aus dem Jahre 1990 wurden im Hüttbach zunächst nur Wildbachgefahrenzonen ausgewiesen. Verbesserte Methoden der Gefahrenanalyse zeigten jedoch, dass nach extremen Schneefällen durch das Tal des Hüttbachs auch Lawinen abgehen können, deren Wirkungsbereiche bis zur gegenständlichen Parzelle heranreichen.
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Abb. 13.1. Lageplan: Gebäude, Wirkungsrichtung der Naturgefahrenprozesse, Maßnahmenübersicht
13.2.2. Schutzkonzept und Entwurf 13.2.2.1. Baubehördliche Auflagen Aufgrund der Lage des Bauplatzes im Bereich von Wildbach- und Lawinengefahrenzonen wurden dem Bauherren von der zuständigen Behörde zur Herstellung der Bauplatzeignung und erforderlichen Sicherheit des Gebäudes gegen Einwirkungen durch Muren und Lawinen durch Bescheid besondere Auflagen (Gebäudeschutzmaßnahmen) aufgetragen. Grundlage bildete ein Sachverständigengutachten des Forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung1. Folgende Gebäudeschutzmaßnahmen waren im Detail zu erfüllen: • Die bergseitige Stahlbetonstützmauer war auf den obersten 2 m hohen Streifen auf einen Flächendruck von 20 kN/m² zu dimensionieren. Der Höhensprung an der Südostecke des Gebäudes sollte auf eine Länge von zwei Metern kontinuierlich abfallend an den angrenzenden südlichen Mauerteil höhenmäßig anschließen. • Die Betonaußenwand im Erdgeschoss an der Nordseite war bis in eine Höhe von 1,5 m über dem Urgelände auf einen Flächendruck von 15 kN/m² zu dimensionieren. Die Fundamente waren mindestens 1,5 m unter das Urgelände zu gründen. • Die ostseitige Außenwand des Obergeschosses war über die gesamte Höhe auf einen Flächendruck von 10 kN/m2 zu dimensionieren und es durften keine Öffnungen vorgesehen werden. • Der im Lageplan an der Nordostecke des Gebäudes dargestellte, keilförmige Ablenkhöcker war mit schweren Wasserbausteinen (Mindeststeingewicht 2,0 t), die in Beton versetzt wurden, zu schützen. Die vorgelagerte Abflussmulde sollte ein 1
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Gebietsbauleitung Pinzgau (Zell am See); genehmigt durch das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft gemäß Richtlinien „Hinderungsgründe der Wildbach- und Lawinenverbauung“, Erlass des BMLF Zl 52 240/03-VB7/80 vom 20. 2. 1980 idF Zl 52 240/21-VC8 a/91 vom 30. 7. 1991.
13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele
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deutliches Gefälle Richtung Süden aufweisen und die Sohle der Abflussmulde sollte mindestens 3 m tiefer liegen als die Maueroberkante der Stützmauer. Die Fenster bzw. Glastüren an der Nord- und Südseite waren auf einen Staublawinendruck von 3 kN/m² auszulegen (Lawinenschutzfenster). Der Baubehörde war ein entsprechendes Herstellerattest zu übermitteln. Die Betondecke im Erdgeschoss ostseitig des Obergeschosses war – zusätzlich zu den sonstigen Einwirkungen – auf eine Auflast von 10 kN/m² zu dimensionieren. Ebenso war das in der Betondecke integrierte Fenster auf 10 kN/m² zu dimensionieren. (Alternativ: Holzdecke mit gleicher Tragfähigkeit). Der Vorsprung des Vordachs war – mit Ausnahme der Westseite – mit max. 30 cm über die Gebäudefassaden zu begrenzen. Das Gelände entlang der nord- und südseitigen Grundgrenze war auf einer Breite von etwa 1,0 m auf Urgeländeniveau zu belassen (keine Aufschüttung).
Die Gebäudeschutzmaßnahmen wurden so gestaltet, dass eine ausreichende Personensicherheit gegen Muren und Lawinen innerhalb, jedoch nicht außerhalb des Hauses besteht. 13.2.2.2. Entwurfsbeschreibung gemäß Architektenplan Das zweigeschossige Einfamilienhaus wurde als Ersatz für ein bestehendes Haus in Alleinlage am Ortsrand von Rauris errichtet. Aufgrund der Lage im Gefährdungsbereich wurde die Baumasse im Obergeschoss möglichst gering gehalten und ein Großteil der Räumlichkeiten im Erdgeschoss als abgesetztes Sockelbauwerk organisiert. Das Erdgeschoss weist im Grundriss Abmessungen von etwa 16 m × 10 m auf. Das Obergeschoss ist mit etwa 14,5 m × 7 m erheblich kleiner als das Erdgeschoss ausgebildet und springt nach Westen und Süden über die Fronten des Erdgeschosses hinaus. Das Volumen des Obergeschosses wurde möglichst klein gehalten und tritt als kompakter Baukörper ohne Vordächer in Erscheinung. Talseitig (Westseite) sind dem Gebäude noch eine Lagerfläche sowie ein Carport angeschlossen. Das gesamte Erdgeschoss wird nord- und ostseitig durch eine massive und teilweise eingeschüttete Stahlbetonwand ohne Öffnungen geschützt. Auch im Obergeschoss sind an der Bergseite keine Fensteröff nungen geplant. Das Gebäude ist nicht unterkellert und wird terrassenförmig entsprechend der Neigung des Schwemmkegels in den Hang hineingesetzt. An der Hauptanströmseite der Naturgefahrenprozesse ist im Bereich des Nordostecks des Gebäudes zusätzlich ein Spaltkeil aus Wasserbausteinen angeordnet, der in Verbindung mit einer Abflussmulde eine Ablenkung bewirkt. Der erdgeschossige Baukörper wurde in massiver Stahlbetonbauweise, das Obergeschoss in massiver Holzbauweise errichtet.
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Abb. 13.2. Ansichten (© Architekt Ernst Hasenauer)
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13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele
Abb. 13.3. Ansichten (© Architekt Ernst Hasenauer)
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Abb. 13.4. Schnitte (© Architekt Ernst Hasenauer) 458
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Abb. 13.5. Grundrisse EG (© Architekt Ernst Hasenauer) 459
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Abb. 13.6. Grundrisse OG (© Architekt Ernst Hasenauer)
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13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele
Abb. 13.7. Fertig gestelltes Gebäude: im Bild rechts Prallwand mit Spaltkeil (© Architekt Ernst Hasenauer)
Abb. 13.8. Fertig gestelltes Gebäude: Ansicht der Prallwand aus Stahlbeton (© Architekt Ernst Hasenauer)
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Abb. 13.9. Fertig gestelltes Gebäude: talseitige Ansicht (© Architekt Ernst Hasenauer)
13.2.3. Planung und Bauausführung Planender und mit der Bauaufsicht befasster Architekt: Architekt DI Ernst Hasenauer, 5760 Saalfelden – Lofererstraße 42a E-Mail: office@architekt-hasenauer. at Baumeisterarbeiten: Kaiserer Bau GmbH., 5661 Rauris – Oberer Markt 19 Zimmererarbeiten/Fenster: Holzartist Rasser Ges. m. b. H., 5661 Rauris – Oberer Markt 7 Dachdecker- und Spenglerarbeiten: Hollaus GmbH., 5671 Maria Alm – Hochkönigstraße 8 –10 13.3. BEISPIEL 2 – Einfamilienhaus/Schutz vor Staublawinen 13.3.1. Beschreibung des Gefährdungsbildes (Gefahrenszenario) Das Grundstück befindet sich im Ablagerungsgebiet der Arzleralm-Lawine (Stadt Innsbruck/Tirol) und liegt zur Gänze in der Gelben Gefahrenzone (Druckkraft zwischen 1 und 10 kN/m²). Das Gebäude ist durch Staublawinen (Gefährdungsbild 10 c; gemäß Tabelle 3.2) gefährdet. Die Hauptrichtung der Lawinenprozesse ist von Nord-Westen. Oberhalb dieses Gebäudes wird ein Wohngebäude errichtet, welches in Bezug auf dieses Gebäude wesentlich gegen Westen vorspringt und das Gebäude teilweise vor der Lawine abschirmt (Abb. 13.10). Durch die Verbauung der Arzleralm-Lawine kann das Auftreten von Fließlawinen beim Eintritt eines Bemessungsereignisses gemäß Gefahrenzonenplan aus462
13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele
Abb. 13.10. Lageplan: Gebäude, Gefährdungsrichtung (GR . . . Lawinengefahrenzone Rot; GG . . . Lawinengefahrenzone Gelb)
geschlossen werden. Jedoch muss von einem Überborden des bestehenden Lawinenauffangdammes auf der Arzleralm durch Staublawinen ausgegangen werden. Das oberhalb des Einfamilienhauses geplante Wohngebäude bewirkt einen Druckschatten für das gegenständliche Gebäude. Da dieses Gebäude nahe des Randes der Gelben Gefahrenzone liegt, ist hier mit einer Druckbelastung durch Staublawinen von 3 kN/m² zu rechnen. Insbesondere an der Westseite hinter der nach Westen vorspringenden nördlichen Gebäudefront im Erdgeschoss sind Druckkonzentrationen zu erwarten. 13.3.2. Schutzkonzept und Entwurf 13.3.2.1. Auflagen der Baubehörde Aufgrund der Lage des Bauplatzes im Bereich der gelben Lawinengefahrenzone wurden dem Bauherren von der zuständigen Behörde zur Herstellung der Bauplatzeignung und erforderlichen Sicherheit des Gebäudes gegen Einwirkungen durch Staublawinen durch Bescheid besondere Auflagen (Gebäudeschutzmaßnahmen) aufgetragen. Grundlage bildete ein Sachverständigengutachten des Forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung2. Folgende Gebäudeschutzmaßnahmen waren im Detail zu erfüllen:
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Gebietsbauleitung Mittleres Inntal (Innsbruck). 463
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• Die Nord- und Westseite des Gebäudes war auf eine horizontale Druckbelastung von 3 kN/m² zu dimensionieren. • Im Erdgeschoss war durch den Einbau von Schiebeelementen, die auf eine Druckbelastung von 3 kN/m² zu dimensionieren waren, das Auftreten von Druckstößen hinter der vorspringenden Wand an der Nordseite der Terrasse zu verhindern. Bei Lawinengefahr sind diese Schiebeelemente geschlossen zu halten (temporäre Schutzmaßnahme). • Die Dachkonstruktion war gegen Sogwirkung durch eine Staublawine mit 3 kN/ m² zu dimensionieren und entsprechend auf das umgebende Mauerwerk niederzuhängen. • Alle verstärkt auszuführenden Bauteile waren von einem befugten Statiker zu dimensionieren, insbesondere die mit Lawinendruck belasteten Fensterfronten. Die Gebäudeschutzmaßnahmen wurden so gestaltet, dass eine ausreichende Personensicherheit gegen Staublawinen innerhalb, jedoch nicht außerhalb des Hauses besteht. 13.3.2.2. Entwurfsbeschreibung Das Einfamilienhaus wird zweigeschossig ausgeführt. Der Haupteingang in das Wohngebäude wird auf die Nordseite gelegt. An der Westseite werden im Erd-
Abb. 13.11. Ansicht des Hauses von der Terrassenseite, geschlossene Schiebeelemente im Erdgeschoss (© Michael Mölk) 464
13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele
Abb. 13.12. Ansicht der Terrasse (© Michael Mölk)
und Obergeschoss großflächige Glasfassaden angeordnet. Die nördliche Gebäudefront springt nach Westen vor. Die an der Westseite gelegene Terrasse wird an der Außenseite durch Schiebeelemente gegen Staublawinendrücke geschützt. Diese Schiebeelemente sind ab Lawinenwarnstufe 5 dauerhaft geschlossen zu halten. Die Terrasse wurde mit einem Bodenbelag aus Holzbohlen ausgestattet. Unterhalb dieses Bohlenbelages wurde die tragende Konstruktion für die untere Verankerung der Schiebeelemente eingebaut. Sämtliche Dächer wurden als Flachdach ausgeführt.
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Abb. 13.13. Geschlossene Schiebeelemente: Diese sind ab Lawinenwarnstufe 5 dauerhaft geschlossen zu halten (© Michael Mölk)
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13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele
Abb. 13.14. Schiebeelemente in „Parkstellung“ (© Michael Mölk)
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Abb. 13.15. Teilweise herausgezogene Schiebeelemente (© Michael Mölk)
13.3.2.3. Details Schiebeelemente Zum Schutz der Räume im Erdgeschoss werden am äußeren Ende der Terrasse sechs Schiebeelemente mit Abmessungen von 1,14 × 2,8 m angeordnet. Die Schiebeelemente bestehen aus einem Rahmen aus verschweißten und verzinkten Formrohren (FR 80/60/4). Der Rahmen ist beidseitig mit einem pulverbeschichteten Lochblech (Lochblech 2 mm/Rv 8 –12 mm) verkleidet. Der Rahmen hängt oben in einer verzinkten Laufschiene aus Stahl. Die Aufhängung erfolgte mittels Zweipunktaufhängung an jeweils einem kugelgelagerten Mehrfachrollwagen. Im geschlossenen Zustand kann jedes Element mit zwei Riegeln in eine Unterkonstruktion aus Stahlformrohren befestigt werden. Die Unterkonstruktion befindet sich unter dem Holzbelag der Terrasse und ist somit nicht zu sehen (Abb. 13.17). Wenn die Schiebeelemente nicht gebraucht werden, sind sie in einer Nische in einer Seitenwand „geparkt“ (Abb. 13.16, Abb. 13.14).
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13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele
Abb. 13.16. Grundriss, Ansicht und Schnitt durch die Terrasse mit den Schiebeelementen (© scharmer – wurnig – oeller architekten)
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Abb. 13.17. Schnitt durch die Schiebeelemente (© scharmer – wurnig – oeller architekten, Metallbau Muigg Alois) 470
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13.3.3. Planung und Bauausführung Planender und mit der Bauaufsicht befasster Architekt: scharmer – wurnig – oeller architekten, 6020 Innsbruck, Kiebachgasse 2/III E-Mail: architekten@aon. at 13.4. BEISPIEL – Neubau der Fachhochschule OÖ Fakultät für Management – FH Steyr/Schutz vor Hochwasser 13.4.1. Beschreibung des Gefährdungsbildes (Gefahrenszenario) Die Einrichtungen der Fachhochschule liegen auf einer Insel, die südlich vom Fluss Steyr und nördlich von einem Seitenarm (Kanal) umschlossen wird (Abb. 13.18). Der Bestand und das neu errichtete Universitätsgebäude sind somit von beiden Seiten durch Hochwasser (Gefährdungsbild 1 a und 1 b) bedroht. In HORA3 ist das Areal der Fachhochschule als Bereich mit hoher Gefährdung, Überflutung bei 30-jährlichem Hochwasser möglich, ausgewiesen. 13.4.2. Schutzkonzept und Entwurf 13.4.2.1. Entwurfsbeschreibung Auf einer Grundfläche von rund 2 200 m² wurde ein dreigeschossiger Erweiterungsbau aus drei miteinander verbundenen Baukörpern ohne Kellergeschoss errichtet (Abb. 13.19). Die Gründung erfolgte auf 12 m langen Pfählen im Schwemm-
Abb. 13.18. Lageplan: Gebäude, Gefährdungsrichtung 3
HORA (Natural Hazard Overview and Risk Assessment Austria), Daten abrufbar unter: www.hora.gv.at 471
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Abb. 13.19. Grundriss des Erdgeschosses (© Architekt Werner Neuwirth)
bereich des Flusses. Das Erdgeschoss ist als weiße Wanne ausgeführt. Es wurde so konzipiert, dass sämtliche technisch aufwändig ausgestatteten Räume (d. h. alle Hörsäle) mit Hochwasserschutztoren wasserdicht verschlossen werden können. Ein eventuelles Hochwasser würde nur das Foyer überfluten. Dieses wurde so gestaltet, dass eine Reinigung nach einem Hochwasserereignis leicht möglich ist. Zudem wurden Installationen anstatt im Boden oder an den Wänden an den Decken angebracht.
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13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele
Abb. 13.20. Ansicht des Neubaus der FH Steyr von Süden (© FH OÖ)
Abb. 13.21. Ansicht des Neubaus der FH OÖ Fakultät für Management – FH Steyr von Süden: Die Fenster im Erdgeschoss sind wasserdicht ausgeführte Fixverglasungen (© FH OÖ) 473
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Abb. 13.22. Verglaster Eingangsbereich in das Foyer, links und rechts des Eingangsbereiches zwei der drei „Türme“ (© FH OÖ)
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13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele
13.4.2.2. Hochwasserschutzkonzept 13.4.2.2.1. Permanente konstruktive Schutzmaßnahmen Der Rohbau ist über die gesamte Erdgeschosshöhe als weiße Wanne (siehe Kapitel 9.4.1.2) ausgeführt. Die im Hochwasserfall auftretenden Auftriebkräfte werden über das Eigengewicht und die Mantelreibung der Bohrpfähle aufgenommen. Sämtliche Rohrdurchführungen sind druckwasserdicht hergestellt. Der überflutbare Foyerbereich ist bis auf eine Höhe von 1,60 m ohne Hohlräume und weitgehend in wasserbeständigen und leicht reinigbaren Materialien hergestellt. Die gesamte Haustechnik (Elektro-, Informationstechnik, Heizung, Klimaanlage, Lüftung) ist im 1. Obergeschoss installiert. Die Versorgungsleitungen für das Erdgeschoss werden von oben herab auf die für die Funktion oder Bedienung erforderliche Höhe (z. B. Schalter, Brandmeldetableau) geführt. Die Haustechnikzentrale ist zusätzlich mit einer Hochwasserschutztür versehen. Sämtliche Fenster im Erdgeschoss sind wasserdicht fi x verglast, das Glas ist entsprechend einem Wasserdruck von 2,0 m Höhe bemessen und in Verbundsicherheitsglas (VSG) ausgeführt (Abb. 13.21). Die Fensterrahmen, aus Niro-Stahl, wurden mit einem in der weißen Wanne einbetonierten Niro-Stahlwinkelrahmen dicht verschweißt. Die Glasscheiben sind im Bedarfsfall von außen auswechselbar. 13.4.2.2.2. Temporäre konstruktive Schutzmaßnahmen Schmutz- und Regenwasserkanal sind beim Hausanschluss doppelt, jeweils im Innenschacht und im Außenschacht, mit automatischen Rückstauklappen ausgerüstet, wobei im Hochwasserfall das Schmutzwasser innen zusätzlich manuell verriegelt wird, um einen Rückstau in den Sanitärbereich zu verhindern. Hausintern ist der Schmutzwasserkanal zusätzlich noch turmweise mit automatischen Rückstauklappen ausgerüstet, um die Türme gegenseitig zu entkoppeln und bei massivem Wassereintritt in einen der Türme, z. B.infolge Glasbruchs, die zwei anderen zu schützen. Diese Rückstauklappen werden im Hochwasserfall zusätzlich manuell verriegelt. Die Hörsaaltüren können durch Hochwasserschutztore wasserdicht verschlossen werden (Abb. 13.23, Abb. 13.24). Diese Schutztore sind als Schiebetüren hinter einer Vertäfelung gelagert und werden im Bedarfsfall vor die geschlossenen Hörsaaltüren geschoben und verriegelt. Das System besteht aus einem Auflagerahmen, einem Dichtprofi l und einem Verschlusspaneel mit Verschlussmechanik. Das Dichtprofi l ist umlaufend in einer Nut des Verschlusspaneels lose eingelegt. Mittels Schnellspannverschlüssen wird das Verschlusspaneel gegen den Auflagerahmen gepresst, wobei das Verschlusspaneel immer auf der Wasserandrangseite liegt, so dass sich der Auflagedruck bei steigender Wasserhöhe entsprechend erhöht. Der Auflagerahmen ist umlaufend gleich, besteht aus einem Niro-Stahlwinkel 120 × 120 × 8 mm und ist mittels Stahlpratzen im Dichtbeton direkt vergossen. Die Ecken sind auf Gehrung verschweißt und fein verschliffen. Die Dichtung besteht aus einer EPDM-Profildichtung, diese ist in der Nut des Verschlusspaneels lose ohne Verklebung eingelegt und verspreizt sich bei Belastung durch die Querdehnung in der Nut. Für die feineren Unebenheiten hat das Profil zwei Dichtlippen mit unterschiedlicher Steifigkeit, die sich aus deren Form ergibt. Der Dichtprofilrahmen 475
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Abb. 13.23. Hochwasserschutztore: Schiebeelemente zum wasserdichten Verschließen der Hörsaaltüren in der Schutzzone 2 (© FH OÖ)
ist durch Verbindung der Profile über Eck mittels Vulkanisation verbunden. Das Verschlusspaneel besteht aus einem gekanteten Blech als Dichtfläche sowie einem außenliegenden Formrohrrahmen mit Spanten zur gleichmäßigen Lastabtragung auf die Auflage. Die Spannverschlüsse sind am Formrohrrahmen befestigt. Mittels dieser Zugbügel wird das gesamte Element gegen den Auflagerahmen verspannt. Die Dichtung dazwischen erhält einen Vorspanndruck, der sich bei steigender Wasserhöhe durch den Wasserdruck erhöht. Der Haustechnikraum im Erdgeschoss ist mit einer Drehtür verriegelbar und geschützt. 13.4.2.2.3. Organisatorische Schutzmaßnahmen – Schutzzonen Die Fußbodenoberkante (FOK) des Erdgeschosses wurde auf eine Höhe von 291,00 m ü. A. gelegt. Dadurch liegt es oberhalb der mittleren Grundwasserhöhe von 288,70 m ü. A. Die Hochwasserabflüsse im angrenzenden Fluss liegen deutlich über dieser Marke. Um den Aufwand beim Schutz des Objektes mit mobilen Elementen den unterschiedlichen Hochwasserständen und Wertigkeiten der zu schützenden Bereiche anzupassen, wurden in Abhängigkeit der maßgeblichen Hochwasserabflüsse 2 Schutzzonen festgelegt (Abb. 13.25). Die Schutzzone 1 berücksichtigt ein HQ100 mit einer Wasserspiegellage von 291,60 m ü. A. Die Schutzzone 2 berücksichtigt das HQAug. 2002 mit einer Spiegellage von 292,20 m ü. A. 476
13. Bauvorsorge in der Wohnbau-Architektur: Ausgeführte Beispiele
Abb. 13.24. Hochwasserschutztore: Die Schiebeelemente sind seitlich der Hörsaaltüren hinter einer Vertäfelung angeordnet (© FH OÖ)
Schutzzone 1: Hier gibt es einen Schutz des gesamten Bauwerkes inklusive dem verglasten Foyer bis zum Hochwasserstand HQ100. Dies ergibt eine Schutzhöhe von 60 cm über FOK. In dieser Schutzstufe werden die vier Eingänge in das Gebäude im Erdgeschoss mit mobilen verriegelbaren Hochwasserschutzpaneelen wasserdicht verschlossen. Die Hochwasser-Schutzdeckel für die Schächte der Kanalrevision und dem Pumpensumpf können bis zu einer Wasserhöhe < EG +/-0,00 (unter Foyerfußboden) offen bleiben, um den Wassereintritt in das Gebäude über den Pumpensumpf beobachten zu können und gegebenenfalls das Notstromaggregat zum Betrieb der Pumpen zu starten. Ab einer Wasserhöhe = EG +/-0,00 müssen beide Schächte jedenfalls dicht verschlossen sein. Schutzzone 2: Hier gibt es einen Schutz bis zum HQAug. 2002. Dies entspricht einer Schutzhöhe von 150 cm über FOK. Diese Schutzzone umfasst die drei „Türme“ des Bauwerks. Wenn ein Übersteigen der Schutzhöhe der Zone 1 absehbar ist, müssen die drei „Türme“ mit den höherwertigen Hörsälen mit den Hochwasserschutztüren verschlossen werden. 13.4.2.2.4. Aktiver Schutz – Ringleitung, Pumpensumpf und Hebeanlage Um eventuelle Undichtheiten im Anschlussbereich der Fenster und Türen infolge einer Materialalterung, beschädigter Dichtungen oder mangelhaften Verschlusses von Schutzelementen aufzufangen, sind hinter sämtlichen Fenster- und Türelementen Wasserrinnen vorgesehen. Eine Ringleitung als geschlossenes Rohrsystem verbindet sämtliche Rinnen und leitet das Wasser zu einem Sammelschacht (Pum-
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Abb. 13.25. Schutzzonen im Erdgeschoss (© Architekt Werner Neuwirth)
pensumpf ) im Foyer mit ca. 2 m³ Fassungsvermögen. Einsickernde Wassermengen werden so im Foyer zusammengeführt und von hier mittels einer Hebeanlage über eine Höhe von etwa 3 m (Rückstau) in den Regenwasserabfluss und ins Freie gepumpt. Die einzelnen Zuflüsse aus den „Türmen“ haben im Schacht eine Rückstauklappe um bei allfällig starkem Wassereintritt in einem der Türme ein Rückfließen in die anderen Türme zu verhindern. Zwei Einzelpumpen können gestaffelt, wechselweise oder gemeinsam betrieben werden und das anfallende Wasser aus dem zentralen Sammelschacht abpumpen. Für den Betrieb dieser Pumpen ist ein Notstromaggregat auf dem Dach vorgesehen, um gegebenenfalls ein Nachfüllen von Treibstoff im Hochwasserfall zu ermöglichen. Mit einer Tankfüllung ist ein permanenter Betrieb der Pumpen über einen Zeitraum von etwa 3 Tagen möglich.
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13.4.3. Planung und Bauausführung Planender und mit der Bauaufsicht befasster Architekt: Werner Neuwirth, Architekt, 1040 Wien – Paulanergasse 13.2a E-Mail:[email protected] Baumeisterarbeiten: Bauunternehmen Waizenauer & Ing Schumer GmbH und CO KG, 4775 Taufk irchen/Pram – Pram 3; E-Mail: office@ waizenauer. at Zuständige für das Krisenmanagement für Hochwasser der FH OÖ Fakultät für Management – FH Steyr: Frau Ing. Mag. (FH) Maria Heindler, Wehrgrabengasse 1– 3, 4400 Steyr E-Mail: maria. heindler@fh-steyr. at Gebäude-Eigentümer: FH OÖ Immoblien GmbH, Franz Fritschstrasse 11/3, 4600 Wels
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Index A
Abkühlphase 176, 179 Ablenkdamm 272, 274, 278, 282, 288, 294, 396 Ablenkmauer 274, 278, 282, 288, 385 Abwasserhebeanlagen 242, 243, 342 aktiver Erddruck 150 Anprall 143, 252, 254, 255, 262, 274, 275, 276, 277, 281, 282, 292, 304 Antwortspektrum 160, 162, 163 äquivalente statische Ersatzkräfte 143 Auffangdamm 274, 278, 282, 283, 288, 294, 298, 396 Auftrieb 255, 260, 265 Auslösemechanismen 18, 28, 34, 49, 55 Außergewöhnliche Einwirkungen 120, 419
Begrünung 325, 380, 389, 394, 408, 410, 413 behördliche Notfallmaßnahmen 449 Bemessungsereignis 190, 191, 194 Bemessungshochwasser 22 Bemessungssituationen 417, 428 Bemessungsspektrum 162 Bemessungswerte 419 Bergsturz 2, 46, 49, 50 Biologische Gefahren 2 Blitzschlag 2, 4, 61, 64, 67, 68, 73, 110, 114, 116, 117, 237, 245 Bodenwasser 38 Böengeschwindigkeitsdruck 165 Brand 174, 175, 176 Brandlastdichte 176, 177, 178 Brandsimulationen 179 Brandkurven 175 Braune Wanne 333, 335
B
C
Basisgeschwindigkeitsdruck 164 Baugenehmigungsverfahren 215, 223 Baugrundklassen 159, 160, 161 Baulandentwicklung 4, 229 Bauland in Gefahrenbereichen 204, 210, 211, 213 Baulandverbote in Gefahrenzonen 205 Bauordnungen 215, 220 Bauplatz 203, 215, 217, 219, 220, 221, 225 Bauplatzeignung 5, 181, 195, 197 Bautechnikgesetze 229, 231, 234, 235, 333 Bautechnikverordnungen 231, 234, 237 bautechnische Bemessung 417 Bauvorhaben 211, 212, 215, 216, 217, 218, 219, 221, 222, 223, 224, 225 Bauvorsorge 1, 3, 4, 6, 184, 189, 197, 229, 244 Beaufortskala 61, 62 Bebauungsplan 186 Bedeutungskategorien 159
charakteristische Werte 418 D
Dachbegrünung 363 Dachkonstruktion 316, 328, 329, 330, 364, 374 Dammbalkensysteme 262, 265, 266, 277 Dämpfungselemente 324, 325, 330, 363, 391, 397, 399, 403 Das Baurecht der Länder 215 Dichtfenster 263, 267 Durchdringungen 338 dynamische Überflutung 20, 73, 76, 78, 84 E
Ebenhöh 314, 328, 373, 374 Eigenvorsorge 6, 228, 240 Einheitstemperaturkurve 175, 177 481
Index
Einwirkungen 119 Einwirkungskombination 417, 419, 428, 437, 439 Einwirkungsmodell 119 Einzugsgebiete 19, 24 Eislawine 2 Eisschlag 2 Erdbeben 2, 4, 16, 46, 47, 48, 49, 51, 58, 157, 227, 231, 237, 239, 240 Erdbebengefährdung 48, 49 Erdbebenlasten 157 Erdbebenzonen 158, 159 Erddruck 124, 149 Erdfall 2, 46, 59, 60 Erdruhedruck 150, 155, 157 Ereignis 1, 231, 378, 387 Ereignisszenarien 11 Erhöhte Bauweise 257 Erosion 18, 28, 32, 33, 57, 58, 255, 256 Erosionsschutz 396, 406, 407, 408 Eurocode-Norm 11, 238 Exposition 1 Extremwertanalyse 15, 16 F
Felssicherung 293 Felssturz 2, 4, 49 Fenstergitter 345, 362 Fenster mit erhöhtem Hagelwiderstand 358 Fensterschotts 263, 267 Feststoffablagerungen 254, 255, 256 Feststoffhaushalt 28 Feststoffmenge 28, 30 Feststofftransport 2, 14, 18, 21, 22, 24, 28, 29, 30, 32, 35, 346, 395 Feuer 4 Feuergefahren 2, 68, 73, 116 Flachdächer 330 Flächenvorsorge 3 Flächenwidmungsplan 182, 185, 200, 202, 203, 212, 213, 217, 220, 223 flachgründige Rutschungen 105 Fließformeln 25 Fließlawine 2, 43 482
Flussüberschwemmung 18 Fluviatile Erosionen 79 fluviatiler Geschiebetransport 31 fluviatiler Feststofftransport 22 G
Gebäudeöffnungen 235, 344, 345, 357 Gebäudeschutz 4, 5, 6, 199, 203, 227, 229, 231, 233, 234, 239, 240, 243, 244, 245 Gebäudeschutzmaßnahmen 249, 250, 251, 252, 266, 270, 272, 274, 279, 281, 289, 292, 297, 300, 303, 307, 308 Gebrauchstauglichkeit 370 gedämpfte Stöße 145 Gefährdung 1, 229, 313, 387 Gefährdungsbild 71, 74, 76, 79, 81, 83, 85, 86, 87, 92, 93, 94, 96, 100, 101, 102, 103, 105, 112, 114, 116 Gefahrenanalyse 11, 13, 44 gefahrenangepasste Gebäudenutzung 4 gefahrenangepasste Nutzungskonzepte 5, 250, 274 Gefahrenbereiche 199, 200, 202, 203, 205, 206, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 217, 218, 219, 223, 225 gefahrenbewertende Pläne 200 gefahrendarstellende Karten 200 Gefahrenhinweiskarten 186, 187, 189 Gefahrenkarte 181, 199, 200 Gefahrenzonen 4, 5, 181, 182, 190, 192, 193, 194, 195, 197, 229, 231, 234, 358 Gefahrenzonenplan 181, 182, 189, 190, 200, 206, 207, 209, 210, 213, 218, 221, 224 Gefahrenzonenpläne der Bundeswasserbauverwaltung 193 Gefahrenzonenpläne der Wildbachund Lawinenverbauung 191 Gefahrenzonenplanung 189, 190, 191, 195 Geländefaktor 165 Geländekategorie 164, 165, 166 geologische Gefahren 2, 46, 99
Index
Gerinneerosion 79, 81 Gesamtwindkraft 171 Geschiebe 2, 21, 28, 36 Geschiebetransportrate 30 Geschossdecken 316, 317, 323 Geschwindigkeitsdruck 125, 128, 131 Gewitter 61, 62, 63, 64, 66 Gleitfaktor 138, 140 gravitative Massenbewegungen 46 Grenzzustände 417, 421, 432, 440 Grenzzustände der Tragfähigkeit 420 Grobsteinschlichtungen 391, 396, 406, 408, 414 Grundwasser 38, 58, 60 Grundwasserhochstand 4, 38, 73, 86, 240, 333, 344, 414 H
Hagel 2, 61, 64, 73, 110, 112, 121, 172, 328, 331, 333, 358, 362, 370 Hagelwiderstandsskala 66 Hangbewegungen 47, 55, 57, 58 Hangmuren 2, 324, 326, 344, 357, 390 Hangwasser 38, 39 Hebeanlagen 339, 343 Hochwasser 2, 18, 22, 29, 36, 63, 227, 231, 234, 236, 240, 253, 346, 350, 390, 414 Hochwasserschutz 7, 228, 229 Hochwasserschutz-Maßnahmengesetz 207 Hochwasserschutztore 263, 344, 352 Hydrologische Gefahren 2 I
individuelle Notfallmaßnahmen 448 Innendruckbeiwert 170 J
Jährlichkeit 15, 23, 24 K
Katastrophe 1, 4
kinetische Energie 141, 143, 146 Klimawandel 3 Kombinationsbeiwerte 419 Kraftbeiwerte 128, 130, 131, 132, 171 Kriechdruck 149, 155, 156 Kriechen und Gleiten der Schneedecke 42 Kriechprozesse 57 L
Lawine 2, 16, 29, 42, 92, 94, 227, 231, 281, 314, 316, 357, 374, 377, 382, 385, 396 Lawinendrücke 127, 134 Lawinenschutzfenster 243, 344, 357 Lawinenverbauung 7, 229 Legaldefinitionen 213, 218 Leitungsdurchführungen 338, 339 M
Massenbewegungen 14, 35, 49, 55 Maßnahmen 3, 4, 6, 228, 229, 231, 234, 235, 237, 240, 245, 313, 332, 335, 357, 391, 406, 414, 415 Materiell-rechtliche Grundlagen des technischen Gebäudeschutzes 232 Menschenleben 1 meteorologische Gefahren 2, 61, 73 110 Mischlawine 42, 43, 45 mittelgründige Rutschungen 106 Mobile (vorgefertigte) Systeme 262 Modelle zur Fließgewässermodellierung 27 Murartiger Feststofftransport 22, 35 Mure 2, 22, 34, 314, 316, 319, 326, 357, 374, 377, 385, 396 Murgang 4, 14, 22, 35, 36, 37, 231, 357 N
Naturgefahren 1, 2, 3, 4, 5, 6, 227, 228, 229, 231, 232, 234, 240, 243 alpine 2 483
Index
Naturgefahrenanalyse 10, 11, 12, 15 Naturgefahrenarten 2, 228, 231, 234 Naturgefahrenereignis 9, 15 Naturgefahren-Management 4 Naturgefahrenprozesse 9, 10, 11, 13 Naturgefahrenrisiken 4 Naturgefahrensicherer Bauplatz 219 naturgefahrensicheres Bauen 4 Naturkatastrophen 1, 3, 4 Neigungswinkel des Erddruckes 152 Netto-Wärmestrom 180 Niederschlag 18, 38, 40, 51, 63, 64 Niederschlags-Abfluss-Modelle 24 Nominelle Brandkurven 175 Notfallmaßnahmen 443, 444, 448 Notfallplanung 5 Numerische Modelle 27 Nutzungen in Gefahrenbereichen 203 Nutzungskonzepte 443, 444 O
Oberflächenabfluss 18, 21, 38, 39 Öffnungen 258, 260, 262, 264, 265, 270, 276, 278, 285, 287, 288, 296, 298, 303 örtliche Raumplanung 185 örtliches Entwicklungskonzept 186 Ozeanische Gefahren 2 P
Parametrische Brandkurven 176 passive Gebäudeschutzmaßnahmen 443 passiver Erddruck 150, 153 Permanente konstruktive Maßnahmen gegen Wassereintritt 256 Planungsrichtlinien 204 Prallwand 255, 274, 275, 278, 281, 284, 288, 293, 295, 297, 303 Präventionsstrategien 3 Präventive Fachplanungen 182 präventive Maßnahmen 199 präventive Raumplanung 5 Prozessablauf 10 Prozessdisposition 10 484
Prozesse 9, 13, 14, 24, 35, 36, 61 Prozessmodell 10, 11, 13, 18, 22, 24, 29, 32, 33, 36, 44, 52, 58, 119R Raumordnung 199, 213 Raumordnungsrecht 199, 200, 206 Raumpläne 200, 203, 215 Raumplanung 182, 183, 185, 186, 189, 190 Räumung 443, 449, 450 Reibungskräfte 132, 149, 164, 170, 171 Restrisikobereiche 208, 209 Richtlinien 230, 234, 235, 237, 238, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 369 Risiko 1 Risikokarten 181, 182, 187 Risikokreislauf 4 Risikovorsorge 3 Rotationsrutschungen 56 Rückstau 18, 39 Rückstausicherungen 339 Rückstauverschlüsse 339, 340, 341, 342 Rutschung 2, 4, 13, 33, 36, 46, 55, 56, 57, 58, 59, 227, 378, 385, 396 S
Saatgut 408, 409, 410 Sachschäden 1 Sackende Rutschungen 81 Sandsacksysteme 264 Schäden 1, 2, 4, 6, 316, 358, 370, 414 Schadensbilder 71, 72, 76, 79, 81, 85, 86, 88, 93, 97, 100, 103, 109, 111, 113, 114, 117 Schadensrisiko 1, 2 Schnee 18, 24, 40, 41, 42, 44, 46 Schneebrettlawinen 43 Schneedruck 2, 4, 34, 40, 41, 245, 319 Schneegefahren 2, 40, 73, 92 Schneekriechen und -gleiten 138 Schneelast 40, 41, 73, 92, 93, 119, 135 Schneelasten auf Dächer 136 schnelle Rutschungen 99, 105 Schutzbauwerke 249, 274, 275, 282, 283, 293, 294
Index
Schutzbauwerke vor dem Gebäude 293 Schutzdämme 396 Schutzkonzept 4 Schutzkonzepte 249, 256 Schutzmaßnahmen 3, 4, 5, 6, 228, 231, 235, 237, 238, 239, 240, 313, 332, 373, 414 Schutzmaßnahmen am Gebäude 249, 275, 284, 296 Schutzmauern 381, 385, 405 Schutzscheiben aus Glas 344, 360, 361 Schutzwald 2, 3 Schutzziel 228 Schwarze Wanne 333 Schwebstoffe 2 Sicherheitskonzept 417 Sicherheitsplanung 443, 445 Sicherheits- und Notfallplanung 250 Sicherung von Öltanks 254, 265 Sofortmaßnahmen 250, 251, 262, 264, 269, 277, 279, 287, 292, 306, 308 Sogbelastung 329 Sonderregelungen für Bauland in Gefahrenbereichen 212 Spaltkeil 274, 278, 279, 283, 288, 294, 378, 388, 408, 413 Spitzengeschwindigkeitsdruck 165 Stahlbetonplatten 316 Stand der Technik 228, 229, 230, 234, 238, 331 Ständige Einwirkungen 120 Standsicherheit 234, 236, 240, 315, 406, 408 Starkniederschlag 2, 235, 237 Starkregen 21, 38, 39, 61, 63 statische Überflutung 20, 73, 74 statistischer Erwartungswert 10 Staublawine 2, 43, 45, 46 Steinschlag 2, 49, 73, 101, 243, 292, 319, 324, 328, 345, 360, 362, 367, 374, 378, 385, 387, 388, 390, 396, 413 Steinschlagschutznetze 398, 440 Stoss – ungedämpft 143 – gedämpft 145
Strömungsdruck 123 Sturm 16, 61, 62, 73, 110, 113 Sturzfluten 2, 13, 18, 20 Sturzprozesse 101 T
Talzuschub 55, 57 Technische Normen 230, 237 Teilsicherheitsbeiwerte 419, 421, 423, 441 Temporäre Mauerwerke 265 Tiefenerosion 73, 74, 79, 80 Tiefgründige Rutschungen 107 Torro-Hagelskala 65 Translationsrutschungen 56 U
Überflutung 2, 18, 32, 34, 39, 74, 237, 241, 252, 253, 255, 259, 261, 262, 266, 270, 276, 319, 326, 332, 333, 340, 342, 344, 345, 350, 351, 353, 406, 414 Überschwemmung 73, 85 Überstau 39 Umlenkung von Strömungsprozessen 132 Umsiedlung 443, 450 V
Veränderliche Einwirkungen 120 Verhaltensvorsorge 3 Verstärkte Dächer 328 verstärkte Fensterläden 344, 358 Verstärkte Gebäudehülle 317 Verstärkung 315, 316, 317, 319, 320, 321, 328, 357 Verstärkungen im Fundamentbereich 332 Verstärkungsmaßnahmen am Gebäude 274, 275 Vorsatzschalen 320 Vorwarnzeit 250, 262, 277, 287, 292, 297 Vulnerabilität 1 485
Index
W
Waldbrand 2, 4 Wandreibungswinkel 152 Wärmedämmung 320, 325, 326, 332, 352, 364 Wasser 17, 19, 20, 21, 22, 25, 32, 34, 36, 40, 43, 49, 57, 60, 65 wasserbeständige Materialien 366 Wasserdichte Bauweise 257, 333 Wasserdichte Fensterläden 352 Wasserdichte Öffnungen 345 Wasserdruck 121, 123, 153, 173 Weiße Wanne 333 Widmungskategorie 204, 208
486
Widmungskriterien 200, 204, 205, 208, 209, 210, 212, 214 Widmungsverbote für Bauland 201, 207 Wiederkehrwahrscheinlichkeit 15 Wildbach 2, 28, 29, 33, 229 Wildbacheinzugsgebiete 21, 22, 24, 35 Wildholz 21, 28, 34, 36 Wildholztransport 18, 22, 33 Wind 121, 126, 131, 163 Winddruck 164, 166, 168 wirksame Höhe 379, 387 Z
Zeit-Temperaturkurven 175, 180
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503
Abkürzungsverzeichnis Die Quellenangaben der Bilder erfolgten aus Platzgründen teilweise über Abkürzungen. Diese haben folgende Bedeutung: BAFU
Bundesamt für Umwelt (Schweiz)
IAN
Institut für alpine Naturgefahren, Universität für Bodenkultur, Wien (Österreich)
OOEV
Oberösterreichische Versicherung (Österreich)
WLV
Forsttechnischer Dienst für Wildbach- und Lawinenverbauung, (die. wildbach und Lawinenverbauung) (Österreich)
BMLFUW
Bundesministerium für Land- Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Österreich)
VVO
Versicherungsverband Österreich
ZAMG
Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (Österreich)
505
Autorenverzeichnis DI Dr. Ulla Ertl-Balga Institut für konstruktiven Ingenieurbau Universität für Bodenkultur Wien Peter Jordanstraße 82 1190 Wien [email protected] DI Dr. Dietmar Bobacz Referent f. Konstr. Ingenieurbau und SV für Seilbahnen Schieneninfrastruktur-Dienstleistungsgesellschaft mbH Lassallestraße 9b 1020 Wien [email protected] Univ. Prof. Dr. Markus Fiebig Institut für Angewandte Geologie, BOKU Universität für Bodenkultur Wien Peter Jordan-Straße 70 1190 Wien [email protected] Univ. Prof. Dr. Florin Florineth Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau, BOKU Universität für Bodenkultur Wien Peter Jordanstraße 82 1190 Wien [email protected] Dr. Herbert Formayer Institut für Meteorologie und Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit Universität für Bodenkultur Wien Peter Jordanstraße 82 1190 Wien [email protected]
507
Autorenverzeichnis
Ass.-Prof. Dr. Karim Giese Fachbereich Öffentliches Recht – Verfassungs- und Verwaltungsrecht Universität Salzburg Kapitelgasse 5 –7 A-5020 Salzburg [email protected] DI Dr. Robert Hofmann Ingenieurkonsulent für Bauwesen, Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Grundbau und Bodenmechanik Rudolf Hochmayergasse 28/40 2380 Perchtolsdorf [email protected] DI Markus Holub Risk Consult Sicherheits- & Risiko-Managementberatung Ges. m. b. H. Engelsberggasse 4/2a 1030 Wien [email protected] Dr. Wolfgang Jaritz Ziviltechnikergesellschaft Moser Jaritz Ingenieurbüro für Geologie, Hydrogeologie und Geotechnik Bachwinkl 126 5760 Saalfelden [email protected] Univ. Prof. DI Dr. Johannes Hübl Institut für Alpine Naturgefahren Universität für Bodenkultur Wien Peter Jordanstraße 82 1190 Wien [email protected] Ass.-Prof. DI. Dr. Arthur Kanonier Technische Universität Wien Fachbereich Rechtswissenschaften Argentinierstraße 8 1040 Wien [email protected]
508
Autorenverzeichnis
DI Dr. Karl Kleemayr BFW – Institut für Naturgefahren und Waldgrenzregionen Hofburg 1 A-6020 Innsbruck [email protected] Dipl. Geogr. Susanne Mehlhorn Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Abteilung IV/5 (Wildbach- und Lawinenverbauung) Marxergasse 2 1030 Wien [email protected] Mag. Michael Mölk Wildbach- und Lawinenverbauung Geologische Stelle Liebeneggstraße 11 6020 Innsbruck [email protected] DI Richard Pollinger Amt der NÖ Landesregierung Abt. Siedlungswasserwirtschaft – WA4 Landhausplatz 1 Haus 7A, Zi. 7 a.507 A-3109 St. Pölten [email protected] DI Friedrich Mühling Architekturbüro Treberspurg und Partner Penzingerstrasse 58 1140 Wien [email protected] DI Dr. Florian Rudolf-Miklau Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Abteilung IV/5 (Wildbach- und Lawinenverbauung) Marxergasse 2 1030 Wien [email protected]
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Autorenverzeichnis
DI Hans Starl IGS-Institut für geprüfte Sicherheit, Technischer Fachbereich Naturkatastrophenprävention Petzoldstraße 45 4017 Linz Postfach 27 [email protected] DDI Dr. Jürgen Suda Institut für konstruktiven Ingenieurbau Universität für Bodenkultur Wien Peter Jordanstraße 82 1190 Wien [email protected] und alpinfra, consulting + engineering gmbh Kuefsteingasse 15 –19 1140 Wien [email protected] Univ. Prof. DI Dr. Martin Treberspurg Institut für konstruktiven Ingenieurbau Universität für Bodenkultur Wien Peter Jordanstraße 82 1190 Wien [email protected] DI Thomas Zimmermann Institut für konstruktiven Ingenieurbau Universität für Bodenkultur Wien Peter Jordanstraße 82 1190 Wien [email protected]
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