Barockheroismus: Konzeptionen 'politischer' Größe in Literatur und Traktatistik des 17. Jahrhunderts [Reprint 2014 ed.] 9783110936278, 9783484365650

Impressive though they are, the monuments to heroic greatness dating from the Baroque period leave us very much in the d

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German Pages 479 [480] Year 2002

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Table of contents :
Einleitung
Größenbilder in der Aufklärung
Heroische Größe im Zeichen der Politik
1 Bestimmungen der heroischen Größe
1.1 De virtute heroica
1.1.1 Die Virtus heroica als Gegenstand der aristotelischen Schulethik
1.1.2 Die Virtus heroica im Gefüge der Tugendlehre
1.1.3 Virtus infusa, afflatus divinus: Das heroische Inspirationsmythologem
1.1.4 Die Virtus heroica als systematischer Zusammenhang?
1.2 Heroische Exempla
1.2.1 Exempla virtutis: Georg Lauterbecks »Erinnerung«
1.2.2 Geschichte als politische Lehrmeisterin: Johann Heinrich Boeclers Historia schola principum
2 Andreas Heinrich Bucholtz: Herkules und Valiska
2.1 Amadis-Kritik und Heldentypologie: François de La Noues Discours politiques et militaires
2.2 Ein »Beispiel und Vorbild zur Christlichen Nachfolge«
2.2.1 Herkules und Valiska als Exempelsammlung
2.2.2 Christliche Erbauung als Ordnungstechnologie
2.2.3 Tugendorganisation und Institutionalisierung des Helden
2.3 Zur Symbolik der Schlachtenbilder
2.3.1 Strategischer Blick und Ordnungsinteresse
2.3.2 Disposition und Geometrie in der Militärtheorie
2.3.3 Militäraktionen in Herkules und Valiska
2.3.4 Heroische Höflichkeit
3 Die politische Konstruktion heroischer Größe
3.1 Rhetorische und stilistische Größenprogrammatik in Guillaume Budés Livre de l’Institution du Prince
3.2 Heroische Reputation bei Botero und Saavedra Fajardo
3.2.1 Autorität und Reputation
3.2.2 Politisch-heroische Tugendprogrammatik
3.2.3 Ernst und Anmut
3.2.4 Politische Dissimulationen
3.3 Habsburgische Fürstenverehrung: Lamormain und Spattenbach
4 Stamm und Taten
4.1 Erfundene Stammbäume
4.1.1 Heroische Genealogien - ein Entwurf
4.1.2 Der genealogische Herkules-Mythos in Freinsheims Teutschem Tugentspiegel
4.2 Poetische Heldengalerien
4.2.1 Sigmund von Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn
4.2.2 Legitimation und Geschichtsorganisation in Hallmanns Schlesischen Adlers Flügeln
4.3 Das Ende eines Stamms: Lohensteins Lob-Schrifft
5 Anton Ulrich: Die durchleuchtige Syrerinn Aramena
5.1 Höfische Komplexität als Erzählproblem
5.1.1 Ein genealogischer Roman
5.1.2 Perspektive und Interesse
5.1.3 Politisches Erzählen
5.2 Affekttheorie und Tugendlehre
5.2.1 Apologie der Liebe
5.2.2 Tugendpraxis und Politik
5.2.3 Die Rolle des Helden: Beständige Liebe und Melancholie
5.3 Vom »Höchsten Schickungs-Spiel«
5.3.1 Politik als Spiel und Fest
5.3.2 Schäferroman und Staatsroman: Zum fünften Teil der Aramena
6 Zur heroischen Topik in der Umgangstheorie
6.1 Nicolas Faret: Der Hofmann als Held
6.1.1 Der Honneste komme im Kontext der Hofmannslehren
6.1.2 Der Honneste komme als heroisches Idealkonzept
6.2 Das Glücke bey Hofe
6.2.1 Der Glücksbegriff in Hofmannslehren der zweiten Jahrhunderthälfte
6.2.2 Zum Wandel des Decorum
6.3 Die Problematisierung des Heroischen in der Frühaufklärung
6.3.1 Zum unheroischen Decorum bei Thomasius
6.3.2 Johann Franz Buddes Kritik an der heroischen Tugend
Literaturverzeichnis
Quellen
Forschungsliteratur
Abbildungen
Personenregister
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Barockheroismus: Konzeptionen 'politischer' Größe in Literatur und Traktatistik des 17. Jahrhunderts [Reprint 2014 ed.]
 9783110936278, 9783484365650

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Frühe Neuzeit Band 65 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Jörg Jochen Berns, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt

Martin Disselkamp

Barockheroismus Konzeptionen >politischer< Größe in Literatur und Traktatistik des 17. Jahrhunderts

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2002

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Disselkamp, Martin: Barockheroismus : Konzeptionen >politischer< Größe in Literatur und Traktatistik des 17. Jahrhunderts / Martin Disselkamp. - Tübingen : Niemeyer, 2002 (Frühe Neuzeit ; Bd. 65) ISBN 3-484-36565-X

ISSN 0934-5531

© Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. D a s gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: ΑΖ Druck und Datentechnik G m b H , Kempten Einband: Buchbinderei Heinr. Koch, Tübingen

Namentlich danken möchte ich Prof. Dr. Conrad Wiedemann, der die Entstehung der Arbeit gefördert und begleitet hat; den weiteren Gutachtern Prof. Dr. Norbert Miller und Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann; den Herausgebern der Reihe »Frühe Neuzeit«, unter ihnen noch ausdrücklich Prof. Dr. Jörg Jochen Berns; Michael Firsching und Dr. Corinna Laude für hilfreiche fachliche Hinweise; Dr. Jens Pfeiffer für eine Überprüfung zahlreicher Übersetzungen aus dem Lateinischen; den Mitarbeitern, Stipendiaten und Gästen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel für die Unterstützung und Diskussionsbereitschaft, die ich während meiner Aufenthalte dort erfuhr; der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und der Stiftung Weimarer Klassik, ohne deren Stipendien vieles schwieriger gewesen wäre. Berlin, im August 2001

Martin Disselkamp

Inhaltsverzeichnis

Einleitung Größenbilder in der Aufklärung Heroische Größe im Zeichen der Politik 1 Bestimmungen der heroischen Größe 1.1 De virtute heroica 1.1.1 Die Virtus heroica als Gegenstand der aristotelischen Schulethik 1.1.2 Die Virtus heroica im Gefüge der Tugendlehre 1.1.3 Virtus infusa, afflatus divinus: Das heroische Inspirationsmythologem 1.1.4 Die Virtus heroica als systematischer Zusammenhang? 1.2 Heroische Exempla 1.2.1 Exempla virtutis: Georg Lauterbecks »Erinnerung« . . 1.2.2 Geschichte als politische Lehrmeisterin: Johann Heinrich Boeclers Historia schola principum 2 Andreas Heinrich Bucholtz: Herkules und Valiska 2.1 Amadis-Kritik und Heldentypologie: François de La Noues Discours politiques et militaires 2.2 Ein »Beispiel und Vorbild zur Christlichen Nachfolge« . . . . 2.2.1 Herkules und Valiska als Exempelsammlung 2.2.2 Christliche Erbauung als Ordnungstechnologie 2.2.3 Higendorganisation und Institutionalisierung des Helden 2.3 Zur Symbolik der Schlachtenbilder 2.3.1 Strategischer Blick und Ordnungsinteresse 2.3.2 Disposition und Geometrie in der Militärtheorie . . . . 2.3.3 Militäraktionen in Herkules und Valiska 2.3.4 Heroische Höflichkeit

1 1 15 24 24 24 34 42 50 54 54 69 83 83 100 100 107 117 126 126 132 141 151

Vili 3 Die politische Konstruktion heroischer Größe 3.1 Rhetorische und stilistische Größenprogrammatik in Guillaume Budés Livre de l'Institution du Prince 3.2 Heroische Reputation bei Botero und Saavedra Fajardo . . . 3.2.1 Autorität und Reputation 3.2.2 Politisch-heroische Higendprogrammatik 3.2.3 Ernst und Anmut 3.2.4 Politische Dissimulationen 3.3 Habsburgische Fürstenverehrung: Lamormain und Spattenbach 4 Stamm und Taten 4.1 Erfundene Stammbäume 4.1.1 Heroische Genealogien - ein Entwurf 4.1.2 Der genealogische Herkules-Mythos in Freinsheims Teutschem Tugentspiegel 4.2 Poetische Heldengalerien 4.2.1 Sigmund von Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn . . . . 4.2.2 Legitimation und Geschichtsorganisation in Hallmanns Schlesischen Adlers Flügeln 4.3 Das Ende eines Stamms: Lohensteins Lob-Schrifft 5 Anton Ulrich: Die durchleuchtige Syrerinn Aramena 5.1 Höfische Komplexität als Erzählproblem 5.1.1 Ein genealogischer Roman 5.1.2 Perspektive und Interesse 5.1.3 Politisches Erzählen 5.2 Affekttheorie und Tugendlehre 5.2.1 Apologie der Liebe 5.2.2 Tügendpraxis und Politik 5.2.3 Die Rolle des Helden: Beständige Liebe und Melancholie 5.3 Vom »Höchsten Schickungs-Spiel« 5.3.1 Politik als Spiel und Fest 5.3.2 Schäferroman und Staatsroman: Zum fünften Teil der Aramena

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IX

6 Zur heroischen Topik in der Umgangstheorie 6.1 Nicolas Faret: Der Hofmann als Held 6.1.1 Der Honneste homme im Kontext der Hofmannslehren 6.1.2 Der Honneste homme als heroisches Idealkonzept . . . 6.2 Das Glücke bey Hofe 6.2.1 Der Glücksbegriff in Hofmannslehren der zweiten Jahrhunderthälfte 6.2.2 Zum Wandel des Decorum 6.3 Die Problematisierung des Heroischen in der Frühaufklärung 6.3.1 Zum unheroischen Decorum bei Thomasius 6.3.2 Johann Franz Buddes Kritik an der heroischen Tugend Literaturverzeichnis

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Quellen

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Forschungsliteratur

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Abbildungen

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Personenregister

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Einleitung Größenbilder in der Aufklärung An der Aktualität des Heldenthemas besteht kein Zweifel, doch ist unter dem Vorzeichen demokratischer Moral die öffentlich bedeutsame heroische Größe - nur von dieser ist hier die Rede - zugleich von einer Aura der Fremdartigkeit umgeben. Daß man heroische Signale in der politischen Symbolik, in der Jugendkultur, in der Werbung, fast ungebremst im Sportjournalismus, aber auch in religiösen Zusammenhängen antrifft (wo z.B. die katholischen Heiligsprechungskriterien das wohl letzte Reservat der Virtusheroica-Tradition bilden),1 läßt auf eine kollektive Disposition zum Heroischen schließen. Doch dürfte kaum etwas schwerer zu finden sein als eine effektvolle distanzlose Darstellung heroischer Größe, die vor der umgehenden ernüchternden Analyse ihrer Motive sicher wäre. Mehr noch: Heroische Größe ist offenbar rasch politischer, moralischer oder psychologischer Grundsatzkritik ausgesetzt. In >sensitiven< Bereichen scheinen nicht bestimmte Heldenfiguren, sondern das Heroische insgesamt als ebenso beobachtungsbedürftig zu gelten wie die politische Macht. Dafür ist vermutlich das Wissen vorauszusetzen, daß Helden nicht aufgrund eines Ensembles von Eigenschaften schlechthin vorhanden, sondern daß vielmehr >erfolgreiche< Heldenbilder das Ergebnis vielschichtiger gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse sind. Angesichts des Mißverhältnisses von Heldenbedarf und verfechtbaren Identifikationsmöglichkeiten ist man versucht, an eine »Ausdifferenzierung« (etwa von Macht, Wissenschaft, Kunst) zu denken.2 Kein Zweifel - die Abwesenheit des Heroischen im Bewußtsein und seine Anwesenheit im >Unterbewußtsein< der westeuropäischen Kultur brauchten eine genauere Untersuchung. Eine solche dürfte allerdings die eigene Herkunft nicht leugnen und müßte ihrerseits Distanz wahren: Wer unter den gegebenen Vorbedingungen nach Helden sucht, ist doch andererseits gehalten, die Nähe des Parolenhaften zu meiden.

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Hofmann: Die heroische lügend, S. 133-169. Vgl. als Beispiel die distanzierte Verwendung des Heldenepithetons im Titel von Delius' Roman »Ein Held der inneren Sicherheit« (1981), der sich mit der Relation von Individuum und Machtmechanismen befaßt.

2 Freilich ist diese Konstellation relativ jung. Die Produktion von heroischen Bildern gehört sowohl für Politik wie Glaubenswelt des 17. Jahrhunderts zu den zentralen Aufgabenfeldern von >Künsten und Wissenschaftenoffene< Beurteilung des Heroischen z.B. von Brockes' Heldenkritik, die den Egoismus des Ehrstrebens ablehnt, ohne schon das Heroische selbst anzugreifen. 14 Die Frage, ob nunmehr für Moritz auch die Wünschbarkeit des Heroischen dahinschwindet, liegt hingegen außerhalb der Perspektive des Romans und ließe sich nur spekulativ beantworten. Gegenstand der Darstellung sind jedenfalls nicht die Präsentation, auch nicht Notwendigkeit, Vermittlung und Nutzen, schon gar nicht Wesen und Erscheinungsformen des Heroischen, sondern seine pathologische Signifikanz. Insofern der Roman die Hauptfigur als isolierten Einzelnen dem Diktat der Umstände ausgeliefert sieht, beteiligt er sich selbst an dem Geschäft, die Giöß&ndarstellung, wie Anton Reiser sie anstrebt, auf

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ein Vergnügen daran, sich selbst, wie es zuweilen die Helden in den Trauerspielen machen, mit den schwärzesten Farben zu schildern, und dann recht tragisch gegen sich selbst zu wüten.« Vgl. auch S. 205 über einen Brief an den Pastor Marquard, in dem Anton Reiser sich als »ein Ungeheuer von Bosheit und Undankbarkeit« präsentiert, sowie S. 207 die Reaktion des Adressaten, der »statt dadurch gerührt zu sein, sie [die überspannten Ausdrücke] lächerlich fand, und sie für die unreife Geburt einer durch Romanen und Komödienlektüre erhitzten Phantasie erklärte«. Moritz: Anton Reiser, Werke, Bd. 1, S. 209f.: »Reiser würde in dem nächtlichen Kirchenraube immer auch mehr Heroisches als Niederträchtiges gefunden haben, und es würde G vielleicht nicht schwerer geworden sein, ihn zur Teilnehmung an einer solchen Expedition, als zu der auf der Kircheninsel, zu bereden.« Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, Werke, Bd. 7, S. 291f. Brockes: Helden-Gedichte, in: Irdisches Vergnügen in Gott, erster Teil, S. 513-520.

5 die ihr zugrundeliegende psychische Disposition und auf deren Bedingungen zurückzuführen und ihre Glaubwürdigkeit und moralische Dignität zu untergraben. Doch gleichzeitig dokumentiert er die fortwährende Präsenz des Heroischen als Wunschbild. Beide Aspekte sollen im folgenden noch etwas vertieft werden. Die eher beiläufige Einsicht in die Inkongruenz von heroischer Größe und bürgerlichem Dasein bzw. individualisierter Psychologie, die man im Anton Reiser vorfindet, hat eine Vorgeschichte in der Heroismuskritik der Aufklärung, für die prominente und unüberhörbare Stimmen einstehen. Als Zeugen mögen zunächst Lessing und Wieland auftreten. Schon im engeren Zusammenhang mit Moritz' Romankonzept steht Friedrich von Blankenburgs Versuch über den Roman. Allgemein darf gelten, daß heroische Perfektion im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts ein negatives Kontrastbild für die literarische Programmatik in Hinsicht auf Psychologie, Moralität und Geselligkeit abgeben kann; ihre Autorität wird moralisch und psychologisch unterlaufen. Die Heroismuskritik verbindet sich mit einem Rückzug der moralischen Höchstwerte aus der politischen Praxis. Alle heroischen Phänomene müssen sich nunmehr vor der Frage nach der eigentlichen Motivation verantworten, die ihnen kaum eine Existenzberechtigung läßt. Im Detail sind die Akzente unterschiedlich gesetzt. Dafür, daß Lessing im Philotas (1757) die heroische Größe als Handlungsleitlinie moralisch und dramentheoretisch ablehnt, genügen einige erinnernde Hinweise. 15 Das Streben nach heroischer Größe zeigt sich in diesem Text im wesentlichen an der Ehrbegierde. Lessing schließt damit an Bestimmungen der Tugend der Magnanimitas an, als deren Gegenstand die Ehre gilt. Dieser Haltung nimmt der Verfasser den Tugendcharakter, indem er sie auf unkontrollierte Affekte zurückführt, als Erscheinungsform der Eigenliebe und unreflektierte Übernahme autoritativer Muster entlarvt und sie schließlich als Resultat eines Inszenierungskalküls, bloße Darstellungskunst, rhetorisches Machwerk und falsches Theater erscheinen läßt: »Ha! es muß ein trefflicher, ein großer Anblick sein: ein Jüngling gestreckt auf den Boden, das Schwert in der Brust!« 16 Unter den Aspekten des bühnenwirksamen Auftritts und der klug geplanten Inszenierung erkennt man Spuren der politischen Dissimulationskunst

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Zur Forschung Wiedemann: Ein schönes Ungeheuer. Für den weiteren Kontext vgl. Alt: Der Held und seine Ehre. Lessing: Werke, Bd. 1, S. 285. Philotas bereitet seinen Selbstmord mit Hilfe von Intrigen und Verstellung vor, die fortwährend gegen das Aufrichtigkeitsgebot verstoßen. Vgl. S. 279: »Wer kömmt? Es ist Parmenio. - Geschwind entschlossen! Was muß ich zu ihm sagen? Was muß ich durch ihn meinem Vater sagen lassen? Recht! das muß ich sagen, das muß ich sagen lassen.« Dazu Parmenios Kommentar, S. 282: »Sieh, wie du zu schmeicheln weißt, Prinz - Aber im Vertrauen, lieber Prinz! Willst du mich nicht etwa bestechen? mit Schmeicheleien bestechen?«

6 wieder, wenn auch nicht ihren funktionalen Zusammenhang. Aus den kommenden Untersuchungen sollte deutlich werden, daß Lessing Problemstellungen des politischen Heroismus der Barockzeit aufgreift, aber auch schon auf einer Tradition der Heroismuskritik seit der Frühaufklärung fußt. Programmatisch will das Trauerspiel die >politische< Rhetorik durch die Aufrichtigkeit, das kluge Tugendspiel durch die vernünftige T\igendempfindung, die Darstellung durch die Substanz, die autoritativ eingefaßte durch die selbstreflektierte verfaßte Persönlichkeit abgelöst sehen. Angesichts einer in das jeweilige Innere verlagerten Moralität wird überhaupt ein heroisches Pefektionsideal unbrauchbar oder sogar schädlich. 17 Dabei liegt der Preis für den Verzicht auf die heroische Darstellungskunst noch außerhalb von Lessings Perspektive. Noch entschiedener ist für Wieland das Heroische alten Stils mit neuen moralphilosophischen Leitideen unvereinbar. Im Zeichen eines sich zusehends verselbständigenden anthropologischen Interesses wird fraglich, ob sich heroische Exzessivität mit den Anforderungen an kontrollierte Individualität vereinbaren lasse. Auch Wieland verbindet in Musarion (1768) zunächst die heroische Größe in kritischer Absicht mit dem Schwärmerbegriff. Der Held ist die Figur, gegen die der Verfasser das Erziehungsprogramm einer ausgewogenen und geselligkeitsfähigen Persönlichkeit entwickelt. Heroische Exzentrizität erscheint in zwei Formen - als stoische und als pythagoreische Variante. Für letztere halte ich hier am Heldenbegriff fest, obwohl ihn das Kleinepos aus nachvollziehbaren Gründen nur der ersteren ausdrücklich zusprechen will. Der stoische Philosoph Kleanth fordert die in Affektunterdrückung mündende Apathie als Voraussetzung von äußeren Bedingungen unabhängiger Weisheit und Größe. 18 Hingegen preist der Pythagoreer Theofron als neuplatonischer Enthusiast im engeren Sinn die durch den asketischen »Tod der Sinnlichkeit« gewonnene Schau des übersinnlich und göttlich Schönen. 19 Stoiker und Pythagoreer treffen sich also in ihren Bemühungen um die Überwindung sinnlicher Empfindung, wobei der eine auf deren Ausschaltung zielt, der andere auf ihre Überbietung und Sublima17

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Lessing demonstriert dies am Anspruch des soeben erst mannbar gewordenen PhiIotas auf heroische Größe; er gewinnt das Argument noch nicht aus der individuellen Entwicklungsperspektive (Werke, Bd. 1, S. 278): »Aber ich? ich, der Keim, die Knospe eines Menschen, weiß ich zu sterben? Nicht der Mensch, der vollendete Mensch allein, muß es wissen; auch der Jüngling, auch der Knabe; oder er weiß gar nichts.« Mit der heroischen Vollendung im Knabenalter greift Lessing ein häufig verwendetes Argument heroischer Größendarstellungen im 17. Jahrhundert auf. Zur Apathie Wieland: Werke, Bd. 9, S. 48 mit Anm. S. 71. Zum stoischen Heroismus S. 52f.: »Der Weise nur sey gross | Und frey, geringer kaum ein wenig | Als Jupiter, ein Krösus, ein Adon, | Ein Herkules, und zehnmahl mehr ein König | Auf mürbem Stroh als Xerxes auf dem Thron; | Des Weisen Eigenthum, die lügend, ganz alleine | Sey wahres Gut, und nichts vom allem dem | Was unsern Sinnen reitzend scheine | Sey wünschenswürdig«. Wieland: Werke, Bd. 9, S. 54f.; 58-62.

7 tion. In der Hauptfigur des Fanias, der sich nach Liebesenttäuschungen einer philosophischen Kontemplationsexistenz zuwendet, vereinigt Wieland beide Attitüden: Wenn schon Alexander der Große ein Held sei, Um wie viel mehr, als solch ein Weltbezwinger Ist Der ein Held, ein Halbgott, kaum geringer Als Jupiter, der tugendhaft zu seyn Sich kühn entschliesst; dem Lust kein Gut, und Pein Kein Übel ist; zu gross, sich zu beklagen, Zu weise, sich zu freu'n; der jede Leidenschaft Als Sieger an der Tilgend Wagen Gefesselt hat und im Triumfe führt. 20

Die heroischen Extremhaltungen machen sich als Kompensationsversuch unglaubwürdig; in den beiden Philosophen, die ihren Disput unkontrolliert als Prügelei austragen und sich überdies dem Trunk und der Liebe hingeben, werden sie als nur äußerliche Posen enttarnt. Didaktisch zielt der Text auf ein epikureisches Mittelmaß, das Sinnlichkeit und Vernunft gleichermaßen einbezieht und die widrigen Fälle der Wirklichkeit im Individuum zum Ausgleich bringt. Wie die Titelfigur Musarion den Fanias, so führt Musariort den Leser in diesem Sinn frivol, spöttisch und scherzhaft zur Besinnung auf die eigene Person. 21 Autoritative Vorschriften müßten dieser Absicht zuwiderlaufen. Gleichwohl begnügt sich Wieland nicht mit der Mediocritas-Lehre, denn gerade die >Muse< des Texts setzt zu einer Rechtfertigung der stoischen und der idealistischen Schwärmerei an, denen jeweils menschliche Höchstleistungen zu verdanken seien, und relativiert damit die Heroismuskritik. 22 Angesichts der Zielrichtung auf ein selbstreflektiertes Individuum liegt darin kein spätes Zugeständnis an heroische Stereotypen der Barockzeit oder der frühen Aufklärung, auch keine Rückkehr der Bewunderung, sondern eine größere Lizenz für Subjektivität und Enthusiasmus, denen der Verfasser einen relativen Wahrheitsanspruch zubilligt. Doch in jedem Fall beschert Wielands subjektivismuskritische Perspektive der heroischen Größe einen Mißtrauensund Distanzierungseffekt: Sie kann nicht mehr in Form von ethischen Normen vermittelt werden. Aus der aufgeklärten Heroismuskritik zieht Blanckenburg gattungstheoretische Konsequenzen. Auf seinen Versuch über den Roman (1774) kann sich auch Moritz bereits stützen. Blanckenburg lehnt zusammen mit Lessing ein statisches heroisches Perfektionsideal und die moralisch unzuverlässige Bewunderung ab. Diesen normativen Gesichtspunkt verknüpft er mit einem historischen - der eigentlich bahnbrechenden Leistung seines Werks: Der Verfasser will zeigen, daß kulturgeschichtlich der antike Heroismus seiner 20 21 22

Wieland: Werke, Bd. 9, S. 8f. Vgl. ferner S. 3 - 8 . Dazu vor allem Wieland: Werke, Bd. 9, S. 97-100. Wieland: Werke, Bd. 9, S. 90-96.

8 Gegenwart gar nicht mehr angemessen wäre. An die Stelle des handlungsmächtigen epischen Tathelden tritt jetzt das moderne Subjekt in seiner sozialen und kulturellen Umgebung. Blanckenburgs Romankonzept verdankt die heroismuskritischen Züge insofern einem anthropologischen Empirismus. Es stellt den Autor vor die Aufgabe, die »innere Geschichte« der Hauptfigur zu beschreiben und ihren Charakter kausal schlüssig aus seiner Genese zu begründen. Deshalb legt der Verfasser Wert darauf, daß auch scheinbar unbedeutende Umstände als Einflußfaktoren berücksichtigt werden. Schon bei Blanckenburg zeichnet sich also eine Romananlage ab, in der die Individualentwicklung in einer irregulären und unkontrollierbaren Wirklichkeit an die Stelle von Vorbildlichkeit, Orientierungshilfe und Nachahmung treten kann. Bei allem Empirismus hält Blanckenburg aber um den Preis von Inkonsequenzen daran fest, daß der Roman eine Theodizee in Form der Vervollkommnung eines Vernunft- und moralkompetenten Charakters zu leisten habe. In dieser Hinsicht bleibt dem Protagonisten von Blanckenburgs Romankonzeption ein exemplarisch-heroisches Erbe erhalten, auch wenn er die Vorzüglichkeit der Schöpfungsordnung nicht selbst durchsetzt, sondern nur exemplifiziert. 23 In der Gestalt des Autors, der sich nicht mehr von imitierbaren literarischen Normen leiten lassen kann, sondern die Romanfiktion als Darstellung der nicht erfahrbaren Sinnhaftigkeit der Wirklichkeit gottähnlich erschaffen muß, betritt allerdings bei Blanckenburg erneut eine Figur mit dem Anspruch auf eine Art heroischer Größe den Plan. 24 Diese ist freilich nicht in Form von tradiertem Wissen und verbreiteten kulturellen Praktiken grundsätzlich schon gegeben, sondern ersteht immer neu in selbstreflektierter Schöpfungsarbeit und hat deshalb eigentlich virtuellen Charakter. Sie bestätigt auf ihre Weise, daß heroische Größe nicht nur als Gegenstand der Anschauung, sondern auch überhaupt als Begriff - jedenfalls bezogen auf die jeweilige Gegenwart - nicht mehr unproblematisch zur Verfügung steht. Autoren wie Lessing, Wieland und Blanckenburg sind sich mehr oder weniger einig, daß nach außen gewendete heroische Idealvorstellungen über2λ

Zur Diskussion über ideale (ungeeignete) und relative Vollkommenheit (die der Verfasser zuläßt) Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 443-458; zur Kritik an der Bewunderung S. 87f.; 167£ (Stoizismus-Kritik); das Stichwort der »inneren Geschichte« z.B. S. 146, 392; zum scheinbar Unbedeutenden z.B. S. 305-307; zur Theodizee mit Anklängen an Leibniz S. 400; zur Gegenüberstellung von antikem Epen- und modernem Romanhelden z.B. S. 69-78. Zur Forschung u.a. Voßkamp: Romantheorie in Deutschland, S. 177 -205; Engel: Der Roman der Goethezeit, Bd. 1, S. 91-98.

24

Vgl. Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 380: Anders als der Historiograph ist der Dichter »Schöpfer und Geschichtschreiber seiner Personen zugleich. Er steht so hoch, daß er sieht, wohin alles abzweckt. Und in der Welt des Schöpfers, und vor den Augen des Schöpfers ist alles mit allem, Körper und Geisterwelt mit einander verbunden; alles ist zugleich Ursache und zugleich Wirkung.«

9 wunden werden müssen, um die Bahn für die internalisierte und gegebenenfalls individualisierte moralische Bildung des >Menschen< freizumachen. Dabei kann dieser Weg durchaus geschichtsteleologisch angelegt sein. Ansätze zu einer ähnlichen Perspektive finden sich auch in den Vorreden zum Anton Reiser. Der Einleitung zum zweiten Teil zufolge soll der Roman zeigen, wie das eigene Leben, das zuerst den Eindruck des Kontingenten vermittelt, sich bei genauerem Zusehen zum Sinnzusammenhang organisiert: je mehr sich aber sein Blick darauf heftet, desto mehr verschwindet die Dunkelheit, die Zwecklosigkeit verliert sich allmählich, die abgerißnen Fäden knüpfen sich wieder an, das Untereinandergeworfene und Verwirrte ordnet sich - und das Mißtönende löset sich unvermerkt in Harmonie und Wohlklang auf.25

Jedoch kann die Anlage des Romans dieses Vorhaben nicht umsetzen. Dem Protagonisten bleibt es verwehrt, in der ihn umgebenden Welt eine auf die praktischen Anforderungen abgestimmte und den eigenen Bedürfnissen gemäße Moralität zu entwickeln. Moritz verficht also nicht polemisch eine Absage an die heroische Größe, sondern analysiert die Bedingungen, unter denen sie ihre Existenzmöglichkeit verloren hat. Dies ist die Voraussetzung dafür, daß sich die Perspektive jetzt geradezu umkehren kann. Wie sich schon andeutete, fordert der Roman nicht zum Kampf gegen das Heroische auf und feiert erst recht nicht den Sieg darüber, sondern erkennt in der Sehnsucht nach heroischer Größe einen kulturellen Mangelzustand. Von hier aus öffnet sich eine neue Perspektive auf das 18. Jahrhundert, die es erlaubt, die Gegenrechnung zur Heroismuskritik aufzumachen. Denn in der Bedürfnisökonomie der Aufklärung und der nachfolgenden Zeiten bleibt das Heroische fast unangefochten und jedenfalls kontinuierlich anwesend. Mit dem Reflexionsgrad hingegen, den Moritz - nicht als einziger in seiner Zeit - in diesem Punkt erreicht, verwirklicht er eine der Varianten, in denen die heroische Größe, als problematisierte, fortan in der Literatur auftreten kann, wenn sie sich dem Verdacht von falscher Idealisierung, partikularer Interessenvertretung oder demagogischen Absichten nicht aussetzen will oder wenn sie vermeiden möchte, daß das heroische Projekt unvermerkt den Gesetzen unterliegt, die es zu durchbrechen sucht. 26 Doch zunächst sei festgehalten, daß die Vorstellung von einem >unheroischen< oder durchweg heroismuskritischen 18. Jahrhundert ohnehin unzutreffend wäre. 27 Zumal die frühe Aufklärung lehnt den Heroismusbegriff nicht grundsätzlich ab, sondern bemüht sich, ihn den eigenen Absichten anzupassen und in ihren Dienst zu stellen. Aus ihrer Sicht ist es aber nicht mehr

25 26 27

Moritz: Anton Reiser, Werke, Bd. 1, S. 120. Dazu Martinsen: Der Wille zum Helden, passim. Für einen Anstoß zu einer neuen Sicht auf die Aufklärung aus dieser Perspektive vgl. Wiedemann: Zwischen Nationalgeist und Kosmopolitismus. Über die Schwierigkeiten der deutschen Klassiker, einen Nationalhelden zu finden.

10 möglich, heroische Größe mit einem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit >positiven< politischen Konstellationen zuzuschreiben. Die vorliegende Arbeit will in einer Reihe exemplarischer Untersuchungen den Weg der Literatur des 17. Jahrhunderts bis zu diesem Punkt nachvollziehen. Statt sich dem politischen Legitimationsgeschäft zu widmen, unterwirft die Frühaufklärung die heroische Größe einer Prüfung unter den Gesichtspunkten von Vernunft und Moral. Fortgesetzte Heroismuskritik wird zur Bedingung, unter der sich die heroische Größe zeigen darf. Entscheidend für deren Geschichte sind weniger die einzelnen Gesichtspunkte der Heldenkritik (Despotismus, Ehrsucht, Eroberungskriege) als die Verläßlichkeitseinbuße, die die Erscheinung des Helden hinnehmen muß. Denn die gesamte Phänomenologie des Heroischen verliert ihren eigenständigen Geltungsanspruch; letzterer läßt sich nur noch aus kritischen Operationen ableiten. Wo diese Anforderungen, erst recht wo die Standards der Heroismuskritik seit Lessing unberücksichtigt bleiben, droht die Gefahr einer bloßen Wiederaufnahme von heroischen Gemeinplätzen und schon problematisch gewordenen exemplarischen Vermittlungsformen. 28 Indizien für die Fortführung heroischer Traditionen unter kritischen Vorzeichen findet man, wenngleich im Zeichen der Theologie, in Richard Steeles Christian Hero (1701), einem vielgelesenen Traktat, von dem der Verfasser zehn Auflagen erlebte und der 1734 in einer deutschen Übersetzung in die von Gottsched herausgegebenen Schriften der Deutschen Gesellschaft in Leipzig eingerückt wurde. 29 Steele lehnt den heidnischen Stoizismus ab, da er nur auf äußeren Glanz ziele, distanziert sich überhaupt vom falschen Heroismus, hinter dem sich Ehrsucht, Machiavellismus und Tyrannei verbergen, 30 und erklärt stattdessen eine christliche Tugendhaftigkeit, im Kern die nach innen gewendete Demut, zur eigentlich heroischen Haltung. 31 Doch die

28

Beispiele: [Anonym:] Historisch-moralische Schilderung des Helden nach der Vernunft und Religion (1763) - ein Traktat, der in der weiteren Steele-Nachfolge nach einem christlich-tugendhaften Heroismus verlangt. Behrisch: Tempel der Unsterblichen, oder Analogien und Apologien großer Männer, aus der alten und neuen Welt (1777); der Verfasser bietet im wesentlichen vergleichende Charakterstudien in der Plutarch-Nachfolge zum Zweck einer Heroisierung des Aufklärungszeitalters, ignoriert aber alle Problemaspekte des Verhältnisses von Aufklärung und Heroismus. [Anonym:] Ueber Heldenmuth im Kriegs- und Civilstande (1786); der Verfasser erkennt, daß die neueren Zeiten dem Heroischen nicht günstig sind, reagiert darauf aber nicht mit einer genaueren Untersuchung dieses Problems, sondern mit einem erneuten Einschärfen überkommener heroischer Ideale.

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Steele: Christlicher Held, S. 600, wonach »alle Gesetze, welche wir uns zu unserer Aufführung machen, wenn wir sie allein aus den Gründen der Vernunft und der Weltweisheit nehmen, nichts weiter als gekünstelte Neigungen sind«. Steele: Christlicher Held, S. 640£; 656 - 659. Steele: Christlicher Held, S. 620: »Die Fähigkeit zu einer so schweren Unternehmung ist allein durch einen hohen Grad der Demuth zu erreichen. Dieses ist die erhabne Heldentugend, welche der Character eines Christen zu seyn scheinet«.

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11 Demut setzt eine beständige Kontrolle der Phänomene im Licht geschärfter Urteilskraft voraus, ja sie selbst wird geradezu eine kritische Attitüde. 32 In diesem Sinn zielt der ganze Text auf die Überwindung von Vorurteilen und Täuschungen. So steht auch im literarischen Gestus der Abhandlung nicht der eindrucksvolle Auftritt im Vordergrund, sondern die genaue Untersuchung. Im Effekt verliert die heroische Größe an eigener Dignität und metaphysischem Gewicht; in der Literatur der deutschen Frühaufklärung wird der Held zum allegorischen Statthalter allgemeiner moralischer Ideen. Schon aus dieser Sicht zeigt sich, daß das Heroische als Darstellungsform allgemeiner Werte in der Ethik keinen Platz mehr beanspruchen kann, wo es uns im 17. Jahrhundert zuerst begegnen wird. Die Festlegung des Heroischen auf eine bestimmte Funktion - die der didaktisch eingesetzten Allegorie philosophischer Lehren - bedeutet nicht allein einen Verlust an auratischer Überzeugungskraft und Anschaulichkeit, sondern auch einen Rückzug aus der praktischen Politik. So scheint die Problematik des Heroischen, wie sie sich am Ende des Jahrhunderts darstellt, schon in den Bemühungen der beginnenden Aufklärung um das Heroische angelegt zu sein. Als Beispiel für den Einsatz des Helden als Vertreter allgemeiner Prinzipien nenne ich Christoph Otto von Schönaichs Hermann-Epos. Ein Blick etwa auf Gottscheds Dramenkonzeption könnte ähnliche Dienste leisten. 33 Themen- und Gattungswahl des Hermann bezeugen den heroischen Anspruch des Werks, das nach Gottsched das bislang fehlende deutsche Nationalepos darstellen sollte.34 Für den gegebenen Zusammenhang genügen wenige Interpretationshinweise. Schönaich unterwirft sein Epos gemäß Gottscheds Vorgaben den Forderungen der Naturnachahmung und der Wahrscheinlichkeit. Dazu muß der Autor es darauf anlegen, »daß er seinem Leser 32

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Steele: Christlicher Held, S. 610 über das Auftreten Christi »in einer niedrigen Gestalt«: »Die Ursache war diese, weil er gekommen war, den Menschen das Erkentniß ewiger Wahrheit mitzubringen, so muste er bloß die Urtheilskraft beschäftigen. Denn wenn diese Kraft sich einmal dem Lichte der Wahrheit überläßt: So können die sinnlichen Vorstellungen die Ueberzeugung nicht mehr wankend machen.« Zum Zusammenspiel von Demut und kritischem Durchschauen S. 621: »Die Abbildung [...] von einem demüthigen und gütigen weiset uns einen Menschen, welcher das schwerste Werk von der Welt ausgeführet hat. Denn diesen hat die gründliche Einsicht in die Sachen, die um ihn sind, geschickt gemacht, seine eigene Fehler und die Tilgenden anderer zu erkennen.« Dazu im Überblick Meier: Dramaturgie der Bewunderung. Vgl. Gottsched: Vorrede, in: Schönaich: Hermann, S. XI: »Kurz, ich sah in diesem Versuche eines Heldengedichtes: denn so bescheiden hatte es dem Herrn Verfasser beliebet, seine Epopee zu benennen: eine deutschen Henriade: der zu ihrer Vollkommenheit nichts mehr, als eine allmähliche Ausputzung ihres Urhebers fehlte; die aber auch itzo schon würdig wäre, der unparteyischen Welt vorgeleget zu werden.« Für einen Überblick über epische Versuche in der Aufklärung vgl. Martin: Das deutsche Versepos im 18. Jahrhundert. Für die frühe Neuzeit Rohmer: Das epische Projekt.

12 [...] eine wichtige moralische Wahrheit begreiflich mache.« 35 Das heroische Epos ist demnach die literarische Einkleidung von Vernunft- und Morallehren. Wunderbares - »Maschinen« - darf deshalb nur als sofort durchschaubare Allegorie auftreten. 36 Im Hintergrund dieser Zurichtung des Epos erkennt man die Kritik an Vorurteil und Aberglauben. Die Konsequenzen zeigen sich am deutlichsten an der Titelfigur. Es entspricht der Anlage des Werks, daß diese nicht für sich selbst steht, sondern allgemeine Sätze verkörpert. Diesen Umstand hält Schönaich fortwährend in generalisierenden Formulierungen über »den Helden« präsent. 37 Für die Verallgemeinerung, auf die hin die Figur angelegt ist, scheint überhaupt bezeichnend zu sein, mit welcher Häufigkeit Herrmann als »der Held« tituliert wird. Trotz Schönaichs Anspruch, ein »Heldengedicht« verfaßt zu haben, verschiebt sich der Schwerpunkt von der heroischen Handlung auf das Räsonnement über die wahre Beschaffenheit des Heroischen und über seine moralisch adhortative Funktion. Als Inkarnation moralischer Postulate erfährt die Figur des Helden eine zeitliche Dynamisierung und entweicht in eine unbestimmbare Zukunft. 38 So arbeitet der Hermann entgegen den Absichten des Verfassers an der Problematisierung des Heroischen mit. Dilemmatische Implikationen der Festlegung des Helden auf Vernunft und Moral deuten sich bei Johann Michael von Loen an. Der Entwurf des »Helden«, den der Verfasser in seine moralischen Schildereien aufnahm, fußt gattungsgeschichtlich auf der Tradition der Charakteristik. Loen selbst beruft sich für einzelne Exempla auf Saint Evremond, »der in der Kunst die Menschen zu schildern, nicht seines gleichen hatte«. 39 Inhaltlich nimmt der Text eine Reihe von stereotypen Bestimmungen der heroischen Größe auf, darunter Tapferkeit, Klugheit, Großmut und Geistesgegenwart. Zudem ist bei Loen der Held mit dem Feldherrn identisch; Schauplatz heroischen Handelns ist der Krieg. Doch gleichzeitig will der Verfasser das exemplarisch Heroische gegen die Interessenpolitik abgrenzen und den Helden zum Inbegriff allgemeingültiger Prinzipien machen. Insbesondere untersagt er ihm verselb-

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Gottsched: Vorrede, in: Schönaich: Hermann, S. XIV. Vgl. u. a. zur Rolle der Zwietracht Schönaich: Hermann, S. 79-83. Dazu Gottsched: Vorrede, ebd., S. XVII-XIX. Vgl. z. B. Schönaich: Herrmann, S. 185: »Lächelnd weis der Held den Stolz, und den wilden Muth zu hören; | Klüglich läßt er sich durch nichts in der weisen Vorsicht stören. | Rüstig müssen seine Schaaren unter ihren Waffen seyn; | Weise Helden blendet niemals der erworbenen Lorbern Schein.« Vgl. auch S. 211: »Hermann lobt ihn, und misgönnet ihm den Ruhm des Einfalls nicht: | >Helden, denkt er, können loben, was ein mindrer Krieger spricht. [...]Seins< verschaffen« konnte, 55 trifft nicht den Sachverhalt. Sie setzt willkürlich einen überhaupt erst später erfundenen Heroismusbegriff absolut und verkennt die Funktions- und Bedeutungsdimensionen dieser Kategorie in der fühen Neuzeit, speziell ihre Rolle bei der Legitimation politischen Handelns. Für das Begriffsfeld »heroisch« ist im 17. Jahrhundert ein geradezu inflationärer Gebrauch zu verbuchen, der natürlich selbst schon einen interpretationsbedürftigen Befund darstellt. Grundsätzlich verbreiten sich heroische Töne nicht nur über unterschiedliche Kunstsparten, sondern auch über die Grenzen der »Künste und Wissenschaften« bzw. unterscheidbarer Formen kultureller Praxis hinweg. Die Tätigkeiten des Feldherrn oder des Architekten können mit demselben Recht heroische Geltung beanspruchen wie die des Dichters, 56 des Naturwissenschaftlers und des Philosophen.57 Doch konzentriere ich mich auf den Zusammenhang von Literatur und Politik. Zentrale Problemstellungen des 17. Jahrhunderts (Ordnungsmodelle, Kontingenzkontrolle, Disziplin, Verhältnis von Politik und Moral, metaphysischer Bezug praktischen Handelns, Legitimationsfragen), speziell auch das Zusammenspiel von praktischer Philosophie und heroischer Projektion, lassen sich gerade auf diesem Gebiet besonders aspektreich studieren. Das Vorhaben kann angesichts dieser Voraussetzungen nicht prinzipiell bestimmte Gattungen ausschließen, auch wenn es sich praktisch Beschränkungen auferlegen muß. Die augenscheinliche Reichhaltigkeit des Materials lädt zuallererst zu begriffsgeschichtlichen Untersuchungen und zu Kategorisierungsversuchen ein. 58 Für eine problemgeschichtliche Untersuchung zu den Berührungspunkten von Literatur und Politik sind jedoch die entsprechenden Nachweise in ihrer Breite zu wenig aussagekräftig. Elektronische Titelstichwortrecherchen in einschlägigen Spezialkatalogen führen ζ. B. selbst bei zeitlicher Eingrenzung immer wieder zu Ergebnissen, die schon durch ihren schieren Umfang unbrauchbar werden. Verlieren auf der einen Seite die Belege durch die unspezifische Verwendung des Begriffs an semantischer Tragkraft, so ist auf der anderen das Interesse an der heroischen Größe als Problem nicht an ihn gebunden. Ein gewichtiger Grund hierfür liegt darin, daß die Barockzeit - aber darüber hinaus wohl auch die ganze frühe Neuzeit - sich nicht mehr damit begnügen kann, Heroizität in überlieferungskonformen Bahnen 55 56

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Martinsen: Der Wille zum Helden, S. 22. Vgl. ζ. B. van Ingen: Dichterverständnis, Heldensprache, städtisches Leben: Johann Klajs »Lobrede der Teutschen Poeterey«. Vgl. Staedman: Milton and the Paradoxes of Renaissance Heroism, S. 6 0 - 1 0 8 (»Bacon and the Scientist as Hero«). Für einen wortgeschichtlichen Versuch mit dem Akzent auf der Trennung von >moralischem< und >literarischem< Helden vgl. Kolb: Der Name des >Heldenmännlicher< und >weiblicher< Tugenden zugrunde. Zu ersteren gehört die »heroische Tugend«, die die Verfasserin im Anschluß an den - wie sie nachweist - von Lohenstein verwerteten Pierre LeMoyne bestimmt und im Arminius in didaktischer Funktion wiederfindet: »Weibliche Gestalten erscheinen im Arminius tapfer, mutig, furchtlos, unbeugsam und standhaft, entsprechend diesem heroischen Tugendideal, das allgemein als spezifisch männliches angesehen wurde.« 59 Doch läßt sich natürlich darüber hinaus der gesamte Tügendkatalog in diesem Sinn auf einen lehrhaften heroischen Größenentwurf beziehen. Am Ende möchte die Verfasserin durch die Untersuchung einzelner Handlungszusammenhänge »zu einer Typologie weiblicher Tapferkeitsbeweise« gelangen, damit deutlich wird, »wie das theoretische Votum auf der Handlungsebene des Romans umgesetzt wird, was genau erlaubt und erwünscht ist und was nicht.« 60 Ob diesem Roman recht geschieht, wenn er ohne konsequente Berücksichtigung darstellungstechnischer Aspekte zum Lehrwerk, zum »Fürstinnenspiegel« erklärt wird, auch, ob einzelfallbezogene Exempla als Erläuterung allgemeiner Lehren richtig verstanden sind, mag hier undiskutiert bleiben. Bezeichnend für die Folgen des Verfahrens ist aber auf jeden Fall ein Urteil über Anton Ulrichs Aramena:61 Da die Verfasserin auch dieses Werk auf die Ausstattung der Heldinnen mit Tugendmerkmalen hin prüft, muß sie es einerseits im Vergleich mit dem Arminius als weniger systematisch und eher unterhaltend bewerten und andererseits doch an dem tugendhaft-heroischen Gesamtbild festhalten. Auf diese Weise entgeht ihr, daß die politischen Absichten und Mechanismen, die ihr zufolge der Aramena fehlen, in deren spielerischem

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Plume: Heroinen in der Geschlechterordnung, S. 75. Die Verfasserin stützt sich auf Pierre LeMoyne: La gallerie des femmes fortes (1647), Paris 1665. Plume: Heroinen in der Geschlechterordnung, S. 82. Zum Folgenden Plume: Heroinen in der Geschlechterordnung, S. 183-209.

19 Aufbau selbst liegen und dafür verantwortlich sind, daß moralische Botschaft, exemplarische Nachahmbarkeit, selbst die sinnstiftende »Gottesordnung« und mit ihnen die moralische Substanz heroischen Handelns von einer politischen Erosion erfaßt werden und in der Praxis ihre Verläßlichkeit bzw. ihre klare Erkennbarkeit verlieren. Die Überprüfung anhand einer Liste von lügenden und Eigenschaften ist auch unter dem von Plume gewählten Aspekt kein geeigneter Weg zum Verständnis dieses Romans. Als historisches Indiz für die Problematik darf gelten, daß Bemühungen, das Heroische der Barockzeit inhaltlich zu fixieren, fast unweigerlich zur bloßen Repetition von mehr oder weniger festliegenden Stereotypen führen. Wie wir im ersten Kapitel sehen werden, stellt die frühneuzeitliche Gelehrsamkeit selbst in Form der Virtus heroica-TraklsAc einen entsprechenden Katalog zur Verfügung. Der inhaltliche Erkenntnisgewinn, den der Leser aus solchen Abhandlungen beziehen kann, bleibt denkbar gering. An dieser Stelle soll jedenfalls weniger die Geschichte des Heroischen bebildert werden. Erst recht darf man von den folgenden Untersuchungen keinen Beitrag zur Begriffsgeschichte von »Held«, »Heros«, »heroisch« erwarten. Mein Interesse gilt vielmehr der Funktions- und Darstellungslogik von Größenbildern. Die Arbeit zielt auf das Heroische im politisch interessierten Einsatz. Sie konzentriert sich deshalb auf solche Texte, die sich Ordnungsabsichten, Legitimationsbemühungen und der politisch klugen Präsentation und Ausübung von Macht verschreiben, weniger hingegen ihrer Problematisierung. Daß eine Ausweitung auf andere Gattungen, ζ. B. die Trauerspielliteratur, Ergänzungen erbringen würde, steht außer Frage. Der Schwerpunkt liegt jedenfalls auf Traktatliteratur, Romanliteratur und panegyrischer Lyrik. Auf die Frage, was das Wesen eines Helden ausmache, findet man in diesem Umfeld keine zufriedenstellende Antwort. 62 Weder die Unsterblichkeit des Heros, noch Taten oder Moralität, auch nicht die zunehmend wichtigen strategischen Fähigkeiten für sich genommen können das Phänomen des politischen Helden< zutreffend beschreiben. Ein Einwand gegen diese Behauptung mag lauten, daß sich ζ. B. aus der neostoischen Ethik durchaus eine Definition des Heroischen gewinnen lasse, die für größere Teile der Literatur vor allem der ersten Jahrhunderthälfte Geltung besitze und deren klassische Formulierungen bei Lipsius zu finden seien. Doch zeigt sich heroische Größe in der Literatur nicht schon im Einhalten von Tugendmaßstäben. Auch Lipsius' Traktat De constantia enthält selbst keine heroischen Signale. Daraus, daß solche vielmehr an die zweckorientierte und wirkungsvolle Erscheinung gebunden sind, 62

Ob von der Unbestimmbarkeit, die das Heroische im 17. Jahrhundert kennzeichnet, Linien zurück zu der »Undeterminiertheit des Helden« als frühem Individualisierungssignal führen, die Fuchs: Hybride Helden, für die Literatur des 13. Jahrhunderts an »Wigalois« von Wirnt von Gravenberc und an Wolframs »Willehalm« (S. 288; 401) beobachtet, wäre erst durch genauere übergreifende Untersuchungen zu klären.

20 ergibt sich ein dichter Zusammenhang von heroischer Größe und Rhetorik. 63 Als rhetorisch konstituiertes oder überhöhtes, auf bestimmte Absichten zugeschnittenes Phänomen führt das Heroische stets Elemente mit sich, die in moralischen Festlegungen nicht aufgehen und sogar in Spannung oder Widerspruch zu ihnen stehen können. 64 Freilich können sich die Heroismuskonzepte umgekehrt nicht entschieden von moralischen Bestimmungen trennen, ohne an Überzeugungskraft zu verlieren. Auch Skalweits Vorstellung, ältere Definitionen würden nunmehr durch eine neue abgelöst, und die »Gestalt des Heros« werde im Absolutismus »zum kämpferischen Gegenbild der bloßen Würde herrscherlichen Seins, zum Inbegriff von Energie, Tatkraft, Selbstentfaltung, von kriegerischem Ruhm und staatsmänischem Erfolg des Herrschers - kurz: seiner menschlich-persönlichen Bewährung«, 65 trifft deshalb nicht den Sachverhalt. Welche Probleme sich hinter der Definitionsfrage öffnen, zeigt allerdings erst ein Blick auf spezifisch frühneuzeitliche Entwicklungen der Politik. Die heroische Größe partizipiert in der Hand der Politik an einem allgemeinen Verlust an verläßlichen Orientierungspunkten für das praktische Handeln. Den ideengeschichtlichen Kontext bilden u. a. die Freisetzung des Interesses als Grundlage politischer Rationalität seit Machiavelli, die Staatsräsonlehre, die Souveränitätstheorie und auch ordnungsbezogene anthropologische Modelle. Sie tragen zu einer fortschreitenden Dissoziation von Moral und Politik bei, lösen den theoretischen Gesamtzusammenhang der politischen Welt in eine potentiell unbegrenzte Vielzahl von Einflußsphären auf und stellen in der Konsequenz die allgemeine Geltung festliegender moralischer Maßstäbe im (staatlichen wie privaten) politischen Handeln in Frage. 66 Politische Herrschaft und politisches Handeln kommen so in eine latente Begründungskrise, die sowohl für die Problematik der heroischen Größe als auch für seine spezifischen Aufgaben in der politischen Szenerie des 17. Jahrhunderts Folgen hat. Dabei ist stets vorausgesetzt, daß im Prinzip der Wirklichkeitscharakter eines Heroismus mit göttlichem Mandat kaum bezweifelt wird. Das Heroische gerät schon dann in den Sog der Interessenpolitik, wenn es dazu dient, bestimmte positive Ordnungsmodelle (in Konkurrenz zu anderen Möglichkeiten) durchzusetzen. Seine Hauptaufgabe liegt in dieser Hinsicht in der Beglaubigung der staatlichen Autorität und in der Vermittlung staatskonfora

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Zum Problemkomplex - wenn auch nicht mit dem ausdrücklichen Blick auf heroische Größe - ausführlich Hinz: Rhetorische Strategien des Hofmannes, Einleitung. In diesem Zusammenhang sei nachdrücklich auf Marie-Thérèse Mourey verwiesen, deren Arbeit »Poésie et éthique« über Hofmannswaldau eine historische Wandlungsperspektive herausarbeitet: Sie legt den moralischen Impetus des Autors frei und zeigt, daß in seinem Werk der Boden für die Entfaltung heroischer Größe unsicher wird. Skalweit: Das Herrscherbild des 17. Jahrhunderts, S. 72. Zum Partikularen als Problem der Barockliteratur überhaupt Althaus: Epigrammatisches Barock, Einleitung (S. 3-48).

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mer anthropologischer Modelle. Offenkundiger wird die Interessenproblematik dann, wenn sich die Aufmerksamkeit auf die Frage verlagert, mit welchen Mitteln die Heroizität der eigenen im Vergleich mit den anderen Positionen zur Geltung gebracht werden könne. Daraus erwächst langfristig ein Glaubwürdigkeitsverlust für das Mythologem des Heroischen (göttliche Sendung, Halbgöttlichkeit), das doch gerade in der Semantik des 17. Jahrhunderts eine tragende Rolle spielt. Die heroische Größe sieht sich auf Dauer in eine Zwickmühle gebracht: Sie ordnet sich partikularen Zwecken zu, wenn auch die >wahren< politischen Verhältnisse angestrebt sind, und muß selbst dann auf dem Ruf der Allgemeingültigkeit bestehen, wenn sie im Dienst von Zielen steht, die sie dem Verdacht der Eigennützigkeit aussetzen, oder wenn sie sich verdächtiger Instrumente bedient. In dem Maß jedoch, in dem sich die Regie, die in ihr wirksam ist, von den Qualitäten löst, die sie repräsentiert, in dem also die Aufmerksamkeit sich von mehr oder weniger stabilen und traditionsgestützten Spezifika der heroischen Größe auf ihren mit Kunstmitteln zu erzeugenden Effekt verlagert, entzieht sie sich inhaltlichen Festlegungen. Als handfesteres Indiz dafür darf man den Umstand bewerten, daß sich das im Zusammenhang der Fürstenpanegyrik omnipräsente Heroismusetikett bzw. überhaupt heroische Größenbilder vom konkreten Anlaß lösen und weniger ein bestimmtes Handeln kennzeichnen als ein verdecktes Darstellungsinteresse. Der Akzent wandert vom Wesen des Heroischen, wie es die Virtus-heroica-Literatur bestimmen will, auf seine Darstellbarkeit und seine Funktionen. Auf sie konzentrieren sich auch die Theoretisierungsbemühungen in der politischen Literatur - vor allem den Staatsräsonlehren - und in der Hofmannsliteratur, die ich in den Gang der Untersuchung einbeziehe. Deshalb gilt bis zu einem gewissen Grad, daß letztere keinen Beitrag zur Geschichte einer ethischen Kategorie oder eines sozialen Orientierungswerts liefert, sondern zur Geschichte der Rhetorik und zur Theoretisierung und Technisierung einer Stilsymbolik und einer kommunikativen Praxis. Gewiß bleibt »heroisch« eine zutreffende Bezeichnung für den Eindruck, der erzielt werden soll; als genauere Beschreibungen des Zusammenhangs von heroischem Charisma und rhetorischem Kalkül hingegen bieten sich ζ. B., wie wir sehen werden, Autorität, Reputation, Maiestas und Gravitas an. Eine Untersuchung der heroischen Größe stößt vor diesem Hintergrund unausweichlich auf die Arcana-Technologie, im Kern die Thematik von Simulatio und Dissimulatio. Ohne die Berücksichtigung solcher >politischen< Fertigkeiten wäre das Heroische als Problem des 17. Jahrhunderts kaum zu begreifen. Es schält sich heraus, daß die zentrale Aufgabe der heroischen Größe darin besteht, der politischen Machtausübung diejenige anschaulich überzeugende Allgemeingültigkeit zuzusprechen, die ihr fortschreitend abhanden kommt. 67 Etwas schematisierend könnte man 67

Schlaffers Bemerkung, daß der Barockroman vergeblich gegen die Trennung von

22 sagen, daß der dazu notwendige Aufwand im Verhältnis zum Verlust an Glaubwürdigkeit steigt. Da demnach die Bestimmungen des Heroischen nicht vorgegeben sind, sondern als Gegenstand theoretischer Erwägungen oder literarischer Konzepte jeweils neu erstehen, ist natürlich auch eine vorgreifende Begriffsbestimmung unmöglich. In der Literatur des 17. Jahrhunderts gilt es, mit anderen Worten, nicht Höhepunkt und Ausklang des aristokratisch-heroischen Zeitalters zu entdecken, sondern die Vorgeschichte der Problematisierung heroischer Größe in der Aufklärung. Das grundsätzliche Festhalten an metaphysischen Fixpunkten in der politischen Praxis, auch wenn sie sich zu verlieren drohen, unterscheidet die Staatsräson des 17. Jahrhunderts, wenn man vorgeschobene Positionen wie die von Hobbes vertretene vernachlässigt, von säkularen Machttheorien. Man darf annehmen, daß die treibende Grundfrage, die nach der allgemeinen Begründung für eine interessengebundene Politik, durchaus auf langfristig wirksame Mentalitätsstrukturen verweist. Diese können in einer literaturgeschichtlichen Arbeit allerdings kaum unmittelbar zum Gegenstand werden, sondern allenfalls am Horizont erscheinen. Die Absicht meiner Untersuchung besteht darin, an ausgewählten Beispielen zu zeigen, wie Literatur und politische Traktatistik sich um die Stabilisierung des heroischen Charismas unter Bedingungen bemühen, die diesem Versuch wachsende Widerstände in den Weg legen, und wie schließlich, am Ende der Barockzeit, Stimmen laut werden, die in der heroischen Größe im politischen Einsatz überhaupt nur noch ein betrügerisches Manöver erkennen wollen, das den Kontakt mit einem gewandelten Moralbegriff verloren habe. Für die Darstellung hat dieses Vorhaben nicht unerhebliche Konsequenzen. Denn der Umstand, daß man auch im historischen Rückblick nicht der heroischen Größe selbst habhaft werden kann, führt zu dem Paradox, daß sie sich bis zu einem gewissen Grad aus der Untersuchung davonstiehlt. In den Vordergrund rücken stattdessen Ordnungsabsichten, Vermittlungsstrategien, politische Kalkulationen, weniger der Romanheld als die Organisation des Romans, weniger Elemente heroischer Größe in der panegyrischen Lyrik Staat und Individuum ankämpfe (Der Bürger als Held, S. 25), bezeichnet durchaus Wesentliches, allerdings in mißverständlicher Form. Ich verschiebe den Akzent: Primäres Ziel dieser Literatur ist es nicht, die Illusion epischer Handlungsfähigkeit zu erhalten, sondern die Einzelperson einer allgemeinen (staatlichen) Ordnung zu unterwerfen und diese in der Person des heroischen Fürsten als moralisch und theologisch allgemeingültig zu beglaubigen. Schlaffers Generalthese von den »Versuc h e ^ ] der nachantiken Zeit, die verlorene Wirklichkeit des heroischen Lebens wiederherzustellen« (27), halte ich hingegen für die Barockzeit für unzutreffend. Die Barockliteratur versucht vielmehr, eine politische Wirklichkeit überhaupt erst neu einzurichten und >herzustellenheroische Norm< annimmt, aber keine Geschichte des Heroischen für möglich hält.

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als Absichten und Taktiken ihrer Präsentation. Dies entspricht, wie sich zeigen soll, dem Schicksal der heroischen Figur selbst, deren Person proportional zu ihrem Zuwachs an Macht hinter den Ordnungs- und Systematisierungsanspruch zurücktritt, der vom Staat ausgeht. Von hier aus erschließt sich auch eine der Wendungen, die über das Politisch-Heroische hinausführen: Die heroische Größe, die auf der Basis eines moralischen Habitus die allgemeine Ordnung als metaphysisch begründete verkörpert, wird endlich durch den Institutionenstaat abgelöst, während sich die Moralität in das Innere der Subjekte verlagert. Wenigstens im Ansatz sollte deutlich werden, daß die politische Abhandlungsliteratur in ihren ehrgeizigeren Beispielen nicht nur nach einer ideengeschichtlichen Auswertung verlangt, sondern auch nach einer Analyse ihrer Darstellungsstrategien und Argumentationsverfahren, und daß ihr und der repräsentativen Romanliteratur und Lyrik ähnliche Problemstellungen zugrundeliegen. Vor allem für Staatsräson- und Hofmannsliteratur, ein Gebiet, auf dem die deutschen Gelehrten nur wenig Eigenständiges von Gewicht vorweisen konnten, wäre ein Ausschluß der grundlegenden und in Deutschland intensiv rezipierten süd- und westeuropäischen Beiträge ganz abwegig gewesen. Soweit möglich, lege ich zeitgenössische Übersetzungen zugrunde. Eine vergleichende Untersuchung der italienischen, französischen oder spanischen Verhältnisse hätte indes den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Für den Aufbau erwiesen sich eine chronologische Folge oder auch nur die Darstellung einer strengen Entwicklungslogik als unmöglich. Hingegen beansprucht die Studie durchaus, großzügige, wenngleich chronologisch nicht starr fixierbare Entwicklungslinien sichtbar zu machen. Einen Anhaltspunkt bietet hier der exemplarische Umgang mit Geschichte und Literatur, mit dessen Karriere das Geschick der heroischen Größe eng verknüpft ist. Der Weg führt unter diesem Aspekt von der Aufforderung zur Imitation bei Bucholtz zum Appell an den strategisch-politischen Scharfsinn bei Anton Ulrich und weist perspektivisch darüber hinaus auf den Autoritätsverlust der Geschichte (und des Heroischen) in der Aufklärung.

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Bestimmungen der heroischen Größe

1.1

De virtute heroica

1.1.1 Die Virtus heroica als Gegenstand der aristotelischen Schulethik Das Heroische ist im 17. Jahrhundert allgegenwärtig, wird aber kaum je Gegenstand begrifflicher Anstrengungen, ja, es entzieht sich ihnen geradezu. Dem widerspricht nur scheinbar, daß es an einer Stelle immer wieder definiert wird, nämlich als Virtus heroica in der aristotelisch-schulphilosophischen Ethik. Denn, soviel sei vorweggenommen, das Hauptinteresse dieser Bestimmungen gilt insgesamt weniger der heroischen Größe selbst als einer an diesem Gegenstand zu vollbringenden Systematisierungsleistung. Dabei bedienen sie sich eines stereotypen Material- und Argumentenvorrats. Die folgenden Ausführungen sollen das in den Dissertationen gesammelte Wissen skizzieren, zugleich aber zeigen, daß es sich letztlich nicht in verläßlichen inhaltlichen Bestimmungen verfestigen konnte. Schon dieses erste Kapitel führt deshalb in die Heroismusthematik hinein und schießt gleichzeitig über sie hinaus. Die Abhandlungen zur Virtus heroica eröffnen keineswegs den Zugang zum Gesamtgebiet der Größenentwürfe oder zu einer breiteren Diskussion, sondern repräsentieren lediglich eine einzige Traditionslinie. Sie nehmen nur selten den Kontakt zu andersgesinnten philosophischen >Sekten< auf. Der Titel De virtute heroica legt die Autoren nicht allein auf einen Gegenstand fest, sondern mehr oder weniger auch auf Details der Fragestellung, ihrer methodischen Behandlung, ihrer Einbettung in größere Zusammenhänge und des Tenors. Er weist daher mindestens so sehr auf einen Abhandlungstypus wie auf einen Problemstoff. Das Standardkapitel über die heroische Tilgend ist obligatorischer Bestandteil der meisten Ethiken des 17. Jahrhunderts, die sich in weiterer Perspektive auf den aristotelischen Tügendkatalog berufen, zugleich aber auf einer verzweigten Geschichte basieren. Aus diesem Gesamtkomplex greife ich also nur ein Einzelelement heraus. Gemeinsam ist den Texten ihre Verwurzelung in der akademischen und gymnasialen Praxis: Die Lehre von der Virtus heroica gehört zum Schulstoff innerhalb der Moralphilosophie. Die Abhandlungen De virtute heroica sind daher Teil der zu didaktischen Zwek-

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ken verfaßten ethischen Systemdarstellungen und Enzyklopädien.1 Sie liegen darüber hinaus in den zum kompletten ethischen Kurs ausgebauten »Collégien« als Disputationssammlungen vor.2 Schließlich findet man sie als aus dem ethischen Kurs ausgegliederte Einzeldissertationen; solche gibt es natürlich auch zu anderen Standardkapiteln der Aretologie. In den beiden zuletzt genannten Varianten gehen sie auf akademische und schulische Disputationsübungen zurück, von denen nur die wenigsten »pro gradu«, zum Erwerb eines akademischen Titels, abgehalten wurden. Der Verfasser dürfte in der Regel der »Praeses«, nicht der vortragende »Respondens« sein.3 Einzelne Gelehrte wie der Wittenberger Philosophieprofessor Michael Wendeler haben nicht nur eine eigene Ethik unter Einschluß des Kapitels über die heroische Tilgend verfaßt, sondern auch mehrfach über dieses Thema disputieren lassen.4 Weder die Ethiken noch die übrigen Fundorte für den Abhandlungstyp sind vollständig erfaßt. Einen quantitativen Hinweis mag man der Zahl von mehr als dreißig Dissertationen mit den Stichwörtern »Heros« oder »Virtus heroica« im Titel entnehmen, die Marti in seiner (durchaus nicht vollständigen) Bibliographie für die Zeit ab 1660 verzeichnet.5 Vor allem bei einer (freilich wenig sinnvollen) Titelerfassung für die erste Jahrhunderthälfte wären zweifellos erhebliche Ergänzungen zu erwarten. Im einzelnen treten die Dissertationen mit höchst unterschiedlichem Anspruch auf. Die Spannbreite reicht von einer Wiedergabe der nackten Kernthesen, wie sie Wendeler/ Papardus auf drei Seiten bieten, bis zu ambitionierten und umfangreichen Abhandlungen auf breiter Quellen- und Exempelgrundlage.6 Die Abhandlungen zur Virtus heroica verteilen sich über das ganze 17. Jahrhundert. Doch zeichnet sich etwa für die letzten vier Jahrzehnte ein Wandel ab: Nur noch vereinzelt finden sich ethische Systemdarstellungen, bei denen es sich zum Teil um Erziehungswerke handelt, die sich einer pädagogischen Praxis im Sinne der Privatklugheit verschreiben und der Virtus 1

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Beispiel: Keckermann: Systema Ethicae, in: Operum omnium quae extant (1614), Bd. II, Sp. 359-363. Beispiel: Crüger: Collegium ethicum (1655), Disputatio decima octava. Wo sich dies anders verhält, ist der Respondens nicht selten als Autor genannt. Vgl. etwa Gottlob Frid. Jenichen (Praes.): D e Cultu heroinarum sago vel toga illustrium [...] disputabit auctor Valentinus Gottfried Hercklitz (1700). Zur Verfasserfrage am Beispiel Lohensteins vgl. Wiehert: Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz im 17. Jahrhundert, S. 13£ Michael Wendeler: Practica Philosophie, das einschlägige Kapitel S. 449f£ Michael Wendeler (Praes.), Johann Papardus (Resp.): Theses morales de virtute heroica (1660); Michael Wendeler (Praes.), Johann Christoph Rinckhammer (Resp.): De Virtute Heroica (1662). Marti: Philosophische Dissertationen deutscher Universitäten 1660-1750, Register s.v. Eicheln (Praes.), Morgenstern (Resp.): Exercitatio moralis de heroibvs eorumqve virtvte (1655), ca. 90 Seiten mit ausführlicher Diskussion einschlägiger antiker Positionen.

26 heroica nur noch geringes und erheblich relativiertes Gewicht einräumen,7 oder um Systematisierungsversuche, die anderen als den eingeübten Schemata folgen und nur noch einen eingeschränkten Heroismusbegriff einschließen.8 Auch Schottels Ethika (1669), die erste moralphilosophische Gesamtdarstellung des Jahrhunderts in deutscher Sprache, wird man bereits als relativ späte Erscheinung ansehen müssen.9 Für die Dissertationen über die Virtus heroica liegen die Verhältnisse zwar anders, denn nach wie vor lassen sich schulmäßige Beispiele nachweisen. Gleichwohl deuten sich auch hier Auflösungserscheinungen an. Im Vergleich mit dem traditionellen Abhandlungstyp widmen die Autoren antiquarischen Aspekten größeres Interesse oder beschäftigen sich mit Spezialfragen bzw. einzelnen Exempeln.10 Außerhalb des Abhandlungstyps De virtute heroica deutet z.B. Johann Friedrich Gauhes Historisches Helden- und Heldinnenlexicon (1716) schon in seinem alphabetischen Aufbau auf ein Interesse, das nicht mehr auf die Definition des Heroischen, auch nicht auf seine Rolle in der politischen Praxis gerichtet ist, sondern auf das polyhistorische Sammeln. Ebenso hat es einen Signalwert, daß die Reihe der Dissertationen, die Marti unter den einschlägigen Stichwörtern aufgenommen hat, mit Beginn des 18. Jahrhunderts plötzlich abbricht. Zwar läßt sich aus einer Geschichte der Abhandlungen zur Virtus heroica kein Deutungsrahmen für eine umfassende Literatur- oder Kulturgeschichte des Heroischen gewinnen, doch bestehen, wie wir sehen werden, durchaus Zusammenhänge zwischen den Konjunkturen politischer Heroismusmodelle und der »Virtus heroica«-Literatur. Die Abhandlungen zur Virtus heroica bedienen sich der Topik als Inventionsverfahren. Sie partizipieren auch als Materialsammlungen an einer über7 8

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Weise: Ausführliche Fragen/ über die T\igend-Lehre (1696), S. 147t Weigel: Wienerischer Tügend-Spiegel (1687). Das Buch enthält eine nach Korrespondenz- und Oppositionsprinzipien geordnete, auf die Wiener Festungswerke bezogene und »mathematisch« demonstrierte Tugendlehre, in der die Virtus heroica nur noch als Schwundstufe erscheint, nämlich als »eine sonderliche Tapfferkeit/ die nur den grossen Herren zukommt/ und heist eigentlich Virtus Heroica, die HeldenTugend« (S. 88). Das vergleichsweise knappe Kapitel über die »Heldenlügend« bei Schottel: Ethica, S. 585 -591. Eine Abhandlung zu den historischen Formen der Verehrung von Heldinnen: Gottlob Friedrich Jenichen (Praes.), Valentin Gottfried Hercklitz (Resp.): De cultu heroinarum sago et toga illustrium (1700); eine exemplarische Darstellung, die bezeichnenderweise als »Dissertatio histórica« spezifiziert wird: Valentin Albert (Praes.), Christian Amos Bürger (Resp./Autor): De virtute heroica Lutheri, Matthiae Flacii et Jacobi Andreae (1683); vgl. auch Zentgravius (Praes.), Schmalkalder (Resp.): D. Lutheri virtutes heroicae breviter delineatae; ein philosophisch-theologisches Spezialproblem: Valentin Alberti (Praes.), Christian Schultz (Resp.): Quaestio: An Christus dici possit heros ex hypothesi Platonicorum? (1690). Kirchmaier (Praes.), Francus (Resp.): De heroum conviviis coenisque principalibus, entfaltet überhaupt kein spezifisches Interesse an der heroischen Größe, sondern beschäftigt sich mit Gastmälern hochstehender Personen der Geschichte.

27 greifenden Topik des Heroischen (die wenig mit dem »topos fortitudo et sapientia« gemein hat, unter den Curtius die Tradition des Heroischen subsumiert).11 Dies sei zunächst anhand des Kapitels »De Virtute heroica« aus Clemens Timplers Ethica generalis (1608) erläutert. Timplers »praecepta« entfalten den Begriff der Virtus heroica nach der Methode ramistischer Divisionen. Die topische Lehr- und Lernmethode zielt dabei nicht zuletzt auf die Verfügung über Gedächtnisinhalte.12 Den Ausgangspunkt der knappen Darstellung bildet eine allgemeine Definition: »Es bleibt die außerordentliche oder heroische Tugend; das ist eine moralische lügend, die den Menschen über den gewöhnlichen Stand und das Geschick der anderen erhebt.«13 Die folgenden Lehrsätze deduzieren hieraus die Einzelaspekte der Virtus heroica. Die »Praecepta« stellen sich so als eine Reihe von hierarchisierten Definitionen dar: »Dazu muß man den Grund [causa] und das Subjekt [subjectum] berücksichtigen, außerdem die zugehörigen Akzidentien [adjuncta requisita] und das Gegenteil [opposita].«14 Es erübrigt sich, den weiteren Unterteilungen nachzugehen. Teilaspekte der in den »Praecepta« erfaßten Merkmale der Virtus heroica greift Timpler in den anschließenden elf »Qvaestiones« wieder auf (z.B. die Fragen, ob es eine Differentia specifica zwischen der Virtus heroica und der Virtus communis gebe, bei welchen Gegenständen die Virtus heroica den höchsten Glanz entwickle und welches die Unterarten der Virtus heroica seien) und unterwirft sie einem syllogistischen Entscheidungs verfahren.15 Natürlich folgt nicht jeder Verfasser der ramistischen Methode. Die grundlegenden Elemente finden sich aber immer wieder. Ein Beispiel bietet Barthold Müllers Dissertation De virtvte heroica (1666), die zunächst das »nomen« (»Heros«) erläutert, nämlich die Etymologie (S. 2-3) und die Wortbedeutung (»vocabulum«, S. 4-5) einschließlich der Synonyme (S. 6). Hieran schließt sich die Darlegung der »res ipsa« an, beginnend mit der Frage »an detur« (S. 7). Die »singulae causae« (S. 12) sollen danach auf die Definition zuführen: »causa efficiens« (S. 9-11), Form (»formale«, S. 12-16), »subjectum quod« (S. 18-24), »subjectum quo« (S. 25) und Zweck (»finis«, S. 26). Der zusammenfassenden Definition (S. 27 -28) folgen schließlich Ausführungen über die verschiedenen Unterarten (»species«, S. 29-30) und das Gegenteil (»oppositum«, S. 31-34). Diese Einzelelemente entstammen letzt11

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Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 183; vgl. im übrigen S. 176-188. Zedelmaier: Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta, S. 75. Timpler: Philosophiae practicae systema methodicvm, pars prima, S. 375: »Restât [virtus] extraordinaria seu heroica; quae est virtus moralis hominem supra communem aliorum conditionem & sortem eleuans.« Timpler: Philosophiae practicae systema methodicvm, pars prima, S. 375: »In ea consideranda partim causa & subiectum; partim adiuncta requisita, & opposita.« Timpler: Philosophiae practicae systema methodicvm, pars prima, S. 377-386.

28 lieh der Topik als Kunst des Auffindens von Argumenten.16 Die Abhandlungen als ganze präsentieren sich demnach als nach topischen Fragegesichtspunkten zusammengestellte Gegenstands- und Wesenbestimmungen der Virtus heroica. »Mit einem Wort«, so resümiert der Aristotelismuskritiker Christian Thomasius, »die gantze Sitten-lehre des Aristotelis erkläret durchgehende nichts/ als términos technicos, und giebt deren definitiones und divisiones.«17 Doch machen die Traktate noch in einem anderen Sinn Gebrauch von der Topik, indem sie nämlich an ihrer Transformation zu einer Materialsammlungslehre partizipieren, die die Memoria zu unterstützen hat.18 Kekkermann hat in seiner Manvdvctio ad stvdivm philosophiae practicae, atqve inprimis ad stvdivm politicum & historicum die zur Virtus heroica als Locus communis gehörigen Argumente zusammengestellt. Einleitend formuliert er seine allgemeinen Anforderungen an die Loci communes, die - »methodici« (nach Disziplinen unterschieden und der Disposition der jeweiligen Disziplin folgend) sowie »pleni« (vollständig das Allgemeine wie auch das Spezielle umfassend) - beliebige Wissensgebiete systematisch verfügbar machen sollen.19 Als Stichworte zur Virtus heroica verzeichnet Keckermann in der achten Klasse (»De virtutibus analogicè & imperfecté dictis«) der »Loci communes ethici«: »Heroes. Heroinae. Heroici afflatus & motus. Heroici sucessus. Heroum exitus. Feritas, immanitas & abominandi scelera. Homines immanes & abominandi. Alastores, siue homines desperati, qui publicè valde nocent.«20 Zusätzliche »Tituli« nennt er an anderer Stelle »in bezug auf die Higendgrade« (»quoad gradus virtutis«): »Heroicum quid in virginibus. Heroicum quid in matronis, vetulis, senibus, puellis, iuvenibus, pueris.«21 Schließlich erscheint das Heroische in der fünften Klasse der »Tituli« der Ökonomik: »Status Oeconomicus heroicus, siue heroum domus, vbi vel pater est heros, & materf. heroína. Heroum liberi. Heroum serui. Heroum cura circa res domesticas.«22 Man erkennt zwar in den Stichpunkten zur Virtus heroica die Namens-, Gegenstands-, Grund- und Umstandsaspekte wieder. Gleichzeitig wird aber deutlich, daß sich die Topik als Materialsammlung mehr oder weniger stringent auf eine Reihe von Stoffaspekten festlegt, deren 16

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Für einen kurzen Überblick vgl. etwa Keckermann: Locorvm rhetoricorum volvmen primvm, in: Opera omnia, Bd. II, Sp. 210. Keckermann nennt u. a. die Topoi notatio nominis, causae, finis, effecta, objectum, imperfectio/mutilatio (darunter adjunetum und circumstantiae) und oppositio. Vgl. Dyck: Ticht-Kunst, bes. S. 40-53. Thomasius: Von denen Mängeln der Aristotelischen Ethik, in: Kleine teutsche Schrifften, S. 85. Dyck: Ticht-Kunst, S. 59-65; Zedelmaier: Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta, S. 54. Keckermann: Opera omnia, Bd. II, Sp. 8 sowie Sp. 8-12. Keckermann: Opera omnia, Bd. II, Sp. 50. Keckermann: Opera omnia, Bd. II, S. 54. Keckermann: Opera omnia, Bd. II, Sp. 75.

29 Stereotypie bis in die Formulierungen zu verfolgen ist. In seinem Ethik-Kapitel über die Virtus heroica begründet Keckermann die zum Stichwort »heroum exitus« gehörige These, »daß sich der Heldentod selten auf willkommene und gnädige Weise einstellt« (»quod Heroum exitus raro sint optati & felices«). 23 Dieselbe These bestätigt Timpler in seinen »Quaestiones« mit denselben Worten (»An Heroum exitus raro sint optati & felices?«). 24 Ein Überbück über die Masse der Dissertationen zum Thema macht erst recht klar, in welchem Ausmaß die Abhandlungen zur virtus heroica ein Sammelbecken standardisierten Materials sind. Ich gebe nur einige Beispiele. Fast alle Autoren diskutieren unter Berufung auf Aristoteles' Politik die Frage, ob die heroische lügend auch bei Frauen zu finden sei (»An Virtus Heroica etiam in foeminas cadat?«): Für die Virtus heroica ist unerschütterlichste Standhaftigkeit erforderlich; die Frau hingegen ist ein schwankendes und veränderliches Lebewesen, wird wegen ihres feuchten und flüssigen Temperaments leicht aus dem Gleichgewicht gebracht und nimmt eine wechselnde Gestalt an; deshalb sind die Frauen zu jeder Zeit wankelmütig.25 Die Diskussion dieser Frage fußt auf einem überschaubaren Kernbestand an repetitiv vorgebrachten Argumenten und Exempla. Ein immer wiederkehrendes Argument gegen diese Meinung des Aristoteles ist z.B., daß sich bei den Frauen auch die Opposita der Virtus heroica fänden, weshalb man sie nicht aus der Zahl der Helden ausschließen dürfe. 26 Darauf, daß gleichwohl Einschränkungen oder Differenzierungen das Gesamtbild prägen, komme ich zurück. 27 Welches Eigengewicht die Fragestellung als Argumentations23 24 25

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Keckermann: Opera omnia, Bd. II, Sp. 362. Timpler: Philosophiae practicae systema methodicvm, pars prima, S. 383. Tobias Below (Praes.), Johannes Giese (Resp.): Disputatio moralis. Nonnullas exhibens de Virtute heroica qvaestiones (1691), Qvaestio III, § I: »Quod in Virtute Heroica firmissima requiratur constantia, atqui foemina est varium ac mutabile animal, & propter temperamentum, quod habet humidum & viscosum facilè commovetur, & figuras sortitur varias, unde illis inconstantia per omnes horas.« Als Locus classicus wird angeführt: Aristoteles, Lib I. Polit, c. 4. Gemeint ist wohl Politik, 1259a 36f£, vor allem 1260a 14f£, S. 104: Der Herrschende braucht eine »vollendete ethische T\igend«, die Frau nur eine »dienende«. Ernst Heinrich Wackenroder (Praes.), Ferdinand Clemens (Resp.): Ex Philosophiâ morali, de factis heroum extraordinariis, § 9. - Caspar Sagittarius (Praes.), Georg Heinrich von Brandenstein (Respondens-Auctor): Dissertatio de motibvs heroicis, Cap. III. Probi. IV. - Georg Lani (Praes.), Tobias Schmidt (Resp.): Specimen academicum de virtute heroica (1676), Sectio II Quaestio II. Ein kurzer Hinweis auf das Thema auch bei Timpler: Philosophiae practicae pars prima, S. 380. Beispiele: Lokervitz etwa möchte die Frauen trotz des erwiesenen weiblichen Heroismus nicht ebenso wie die Männer zu öffentlichen Ämtern zulassen (Christian Lokervitz (Praes.), Heinrich Steinkopff (Resp.): Heros philosophice delineatus (1682), § 11: »Nos dum Foeminas Heroinas asserimus, non tarnen statim inde promiscuam officiorum publicorum administrationem illis sine discrimine adscrivimus, cum ad lanam & colum, qvàm ad gerenda publica aptiores communiter videantur.« Dagegen vertritt Johann Urich Pregitzer (Praes.), Johann-Michael Schaller (Resp.):

30 rahmen entwickelt, kann man daran ablesen, daß von den herangezogenen Autoren nur Jacob Thomasius sich von der an Aristoteles angelagerten gelehrten Überlieferung ausdrücklich löst. Auch er entgeht der Fragestellung nicht, wendet sich aber ihrem Sinn zu: Man bezweifle in der Schultradition unter diesem Stichwort nicht die Heroismusfähigkeit der Frauen, sondern beschäftige sich mit der Sekundärfrage, ob die Antwort sich aus Aristoteles beweisen lasse. Ebenso ist Thomasius der erste, der anhand der Quellen darzulegen sucht, daß Aristoteles den Frauen die Virtus heroica nicht abgesprochen habe.28 Auf eine ähnlich dichte thematische und argumentatorische Nachbarschaft der Texte stößt man bei den Fragen, ob auch illegitime Nachkommen (»spurii«) Helden sein können,29 und warum Heldensöhne selten etwas taugen (»Heroum filii noxae«) - ein Komplex, der sich bei Keckermann unter dem Stichwort »Heroum liberi« immerhin andeutet. Für die allgemein als Sprichwort bezeichnete Formulierung nennen die Texte keine Quelle, wohl aber eine griechische Version. Von den einzelnen »causae« hat Lokervitz eine größere Serie zusammengestellt: Durch den Entzug der heroischen Tugend zeige Gott seine freie Verfügungsgewalt und strafe Vergehungen der Helden; die heroische lügend sei als verliehene nicht auf dem natürlichen Weg vererbbar, und auch die Mischung der Erbanlagen von Mann und Frau sowie die Ernährung durch Ammen seien nicht förderlich. An moralischen Ursachen nennt der Verfasser die häufige Abwesenheit der Helden, wodurch die Erziehung vernachlässigt werde, die übergroße Liebe zu den Kindern

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Exercitatio Etìlica de virtute heroica (1663) die Ansicht, die Frauen hätten zwar aufgrund ihrer Natureigenschaften keinen Zugang zur heroischen Tilgend, wohl jedoch »außerhalb der gewöhnlichen Ordnung, nämlich zweifellos dann, wenn Gott die Frauen mit Großherzigkeit und männlichen Tilgenden ausstattet und schmückt und die Natur sie stark macht, der Fleiß gebildet, die Erziehung fromm und die Erfahrung weise.« (S. 14: »Vero extraordinariè, quatenus nimirum Deus foeminas magno animo, masculis interdum virtutibus instruit, exornat, easque natura solertes, industria literatas, educatio pias, experientia sapientes facit.«) Fast wortgleich bei Lokervitz (Praes.), Steinkopff (Resp.): Heros philosophicè delineatus, § 11. - Vgl. auch Eicheln (Praes.), Morgenstern (Resp.): Exercitatio moralis de heroibus eorvmque virtute, Thesis XXXII. - Wendeler (Praes.), Rinckhammer (Resp.): Ex philisophiâ morali de virtute heroicâ, § 60- 63, Qvaestio IX. Jacob Thomasius (Praes.), Johann Friedrich Starken (Resp.): Exercitatio philosophica prior de heroica virtute, § 88-98. Über Jacob Thomasius vgl. die Bemerkung seines Sohns Christian, »daß erwehnter mein Seel. Vater nicht allein auf hiesiger/ sondern auch auff andern [...] Academien für einen Mann/ der in Philosophia Aristotelica gründlich erfahren gewesen/ auch einen und andern Mangel der gemeinen Lehrart deutlich angemerckt/ bißhero passiret« (Von denen Mängeln der Aristotelischen Ethik, in: Kleine teutsche Schrifften, S. 80t). Lokervitz (Praes.), Steinkopff (Resp.): Heros philosophicè delineatus, § 12. Wackenroder (Praes.), Clemens (Resp.): Ex philosophia morali de factis heroum extraordinariis, VIII. - Lani (Praes.), Schmidt (Resp.): Specimen academicum de virtute heroica, Sectio III. Quaestio III. - Jacob Thomasius (Praes.), Johann Friedrich Starken (Resp.): Exercitatio philosophica prior de heroica virtute, § 105.

31 und deren eigenes moralisches Versagen.30 Die Dissertationen zur Virtus heroica, die auf das Problem »heroum filii noxae« eingehen, greifen zugleich auf Argumente aus diesem Vorrat zurück.31 Darüber hinaus existiert das Thema auch als Gegenstand von Reden und einzelnen Abhandlungen. Noch 1735 erschien unter diesem Titel eine »Disquisitio«, die sich freilich nicht mit der heroischen Tilgend, sondern eher mit Fragen der Adelserziehung befaßt. 32 Der relativ stabile Vorrat an Thesen und Argumenten verbindet sich mit einem Exempelbestand von ähnlicher Homogenität. Einige Dissertationen nehmen heroische Exempla zum Ausgangspunkt für eine Entfaltung der zugehörigen Loci. Es wundert daher nicht, daß man solchen Stichworten, die in Dissertationen und Kapiteln über die Virtus heroica behandelt werden, in gebräuchlichen Exempelsammlungen als Ordnungsbegriffen (Loci communes) wiederbegegnet. So illustriert Gregor Richter mit Beispielen unter anderem die Sätze von der göttlichen Erweckung der Helden, von der Degeneration der Heldensöhne und von ihrem oft unwürdigen Tod.33 Umgekehrt machen die Verfasser einschlägiger Abhandlungen ihrerseits Gebrauch von derartigen Stoffsammlungen. Sagittarius verweist in bezug auf Beispiele zum besonderen göttlichen Schutz der Helden auf Richters Axiomata politica, während sich Lani für Exempla zur Frage der Bastarde auf Zwingers Theatrum vitae humanae beruft. 34 Der Topos »De virtute heroica« findet sich freilich trotz des im übrigen konventionsgemäßen ethischen Dispositionsschemas bei Zwinger nicht.35 Damit wird auch deutlich, daß sich die heroischen Loci communes nicht auf die Abhandlungen zur Virtus heroica beschränken. Heldenbestimmungen, die aus demselben topischen Fundus schöpfen, liefern z.B. in gänzlich 30 31

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Lokervitz (Praes.), Steinkopff (Resp.): Heros philosophicè delineatus, i 19. Johann Ulrich Pregitzer (Praes.), Johann Michael Schaller (Resp.): Exercitatio ethica de virtute heroica, S. 12ñ - Georg Lani (Praes.), Tobias Schmidt (Resp.): Specimen academicum de virtute heroica, Sectio I.,Thesis IV.; hier wird allerdings zugleich die Erblichkeit der heroischen lügend zumal für die Gegenwart gerettet. Johann Andreas Schmidt: Disquisitio, cur heroum filii interdum noxae, Warum vornehmer Leute Kinder gemeiniglich übel gerathen? (1735) Ebenso widmen sich diesem Thema die beiden Reden »Heroum filii noxae« von Wolfgang Heider; vgl. die Hinweise bei Trunz: Johann Matthäus Meyfart, S. 18. Trunz' Bemerkung, die Formulierung stamme von Plutarch, konnte ich nicht verifizieren. Gregor Richter: Axiomata politica, S. 115; 119; Axiomata oeconomica, S. 75-81; ebd., S. 211-214; Axiomata ecclesiastica S. 155; Appendix ad regulas históricas, S. 127. Sagittarius (Praes.), Brandenstein (Resp.): Dissertatio de motibvs heroicis, Cap. II. S. 10. - Lani (Praes.), Schmidt (Resp.): Specimen academicum de virtute heroica, Sectio II, Quaestio III. Vgl. Zwinger, Theatrvm vitae hvmanae, S. 3 zur Intention einer nach der Ethik disponierten Exempelsammlung, sowie S. 32 für einen Überblick über das Dispositionsschema. Zu Zwingers Aristoteleskommentar (Aristotelis [...] de moribus ad Nicomachum libri decern, Basel 1566) Saarinen: Virtus heroica, S. 104t

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disparaten Kontexten Peucer in seinem Commentarivs de praecipvis divinationvm generibvs (erstmals 1553) und Harsdörffer im Teutschen Secretarius.36 Zur Reichweite dieses Komplexes gebe ich abschließend noch einige Hinweise. Mehrere Verfasser gehen, etwa bei der Abwägung zwischen übernatürlichen und moralischen »causae« der Virtus heroica, auf das Stereotyp ein, daß sich diese Gabe schon im frühen Knabenalter oder sogar bereits vor der Geburt bemerkbar machen könne. Als Exempla dienen u. a. Daniel, Simson, David, Alexander und Scipio.37 Gleich zu Beginn seines Abris eines Christlich-Politischen Printzens greift Saavedra Fajardo die Vorstellung eines Heroismus schon im Kindesalter auf.38 Andreas Heinrich Bucholtz verwendet die Motive der Großtaten oder der überstandenen Lebensgefahren im Kindesalter, um seine Romanfiguren Herkules und Valiska als Helden zu kennzeichnen.39 Noch Gelehrtenbiographien des beginnenden 18. Jahrhunderts setzen diese Elemente immer wieder als heroisches Stilisierungsmittel ein; sie nehmen hier nicht selten die Form einer Weissagung künftiger Größe an.40 Wenn - um ein letztes Beispiel zu geben - in der Mitte des 18. Jahrhunderts Friedrich Carl von Moser schreibt, Gott gebrauche »bey großen WeltGefahren große Männer als Heilande, als Retter, als Vormünder des menschlichen Geschlechts«,41 so kehrt darin die in den Abhandlungen zur Virtus heroica stets wiederholte Wendung wieder, daß Gott »zu gewissen Zeiten Helden erweckt hat, die die wankenden [Kirche/Staaten] verteidigen oder

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Peucer: Commentarivs de praecipvis divinationvm generibvs, S. 93f.; Harsdörffer: Der Ternsche Secretarius, Bd. II, S. 515-519. Barthold Müller (Praes.), Peter Schermbeccius (Resp.): Collegii ethici disputatio decima de virtvte heroica, § 22. - Lokervitz (Praes.), Steinkopff (Resp.): Heros Philosophice delineatus, § 7 - 8 . - Jacob Thomasius (Praes.), Johann Friedrich Starken (Resp.): Exercitatio philosophica prior de heroica virtute, § 99-104. - Raben (Praes.), Lefler (Resp.): Disputatio politica de virtute heroica, S. 28f. Nur der zuletzt genannte Text distanziert sich von diesem Mythologem und behauptet, daß Achilles nicht bereits als Kind Löwen getötet habe, sondern daß sich an entsprechenden Kinderspielen die heroische Veranlagung habe ablesen lassen. Saavedra Fajardo: Abris eines Christlich-Politischen Prinzens (1674), S. I i (Beispiel: Herkules in der Wiege.) Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 186-192; 426-429. Vgl. Clarmundus: Vitae clarissimorum in re literaria virorum (1708), Teil 1, S. 3£ zu Erasmus: »Als einsmahls Rudolphus Agricola zu Daventer an kam/ und den Hegium [Erasmus' Lehrer] besuchte/ so nahm ihn dieser mit sich in die Schule; Nachdem aber Rudolphus Agricola unterschiedener Schüler-Exercitia durchsehen/ so gefiel ihm vor allen andern des Erasmi sein Argument am besten/ welcher dazumahl kaum 14. Jahr alt war/ und als er den Knaben sähe und betrachtete/ so stieß er diese Worte heraus: tu eris olim magnus.« Vgl. auch ebd., S. 47 zu Jacobus Boissardus; S. 87 zu Justus Lipsius; Teil 2, S. 1 zu Wolfgang Lazius; S. 85-87 zu Hermann Conring; S. 136 zu Samuel Bochartus. - Ders.: Lebens-Beschreibung des Weltberühmten Polyhistoris, S. T. Herrn Conrad Samuel Schurtzfleischen, S. 9. Moser: Reliquien, S. 107.

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sie wiederherstellen sollten, wenn sie zusammengebrochen waren.«42 Die Traktate zur Virtus heroica bilden, aufs Ganze gesehen, methodisch und thematisch einen engen Zusammenhang, der noch an Details des Stoffs und der Formulierungen erkennbar wird. Sie bearbeiten ein Pflichtpensum, das auch von allgemein verbreiteten Definitionen und Akzidenzien des Heroischen sowie von der gelehrten Kenntnis entsprechender »Historien« zehrt. Die bemerkenswerte Geschlossenheit läßt sich unter anderem auf einen homogenen Vorrat an Quellen und Hilfsmitteln wie auch auf ähnliche Arbeitsweisen zurückführen, hier vor allem auf das Anlegen von nach Sachgesichtspunkten gegliederten Loci-communes-Sammlungen.43 Ein - wenngleich auf die Fürstenausbildung bezogenes - Beispiel dafür bietet das Kapitel »Junge Herren sollen eine richtige Ordnung im Lesen halten« aus Löhneyss' Hof- StaatsUnd Regierkunst (lat. 1622, dt. 1679). Dort lehrt der Verfasser das Exzerpieren u. a. der »Moralia«: Das vierdte Buch Moralium, kan in zwey Theil unterschieden: Jn das Eine/ die lügend/ und deren Exempel. Jn das Ander die Laster verzeichnet werden; Doch sol man die affectus unterscheiden/ und ein jedes besonders setzen/ denn Hofnung/ Freude/ Traurigkeit/ Schmertzen/ etc. sind nur animi perturbationes, und so sie das Mittel halten/ der Tugend näher als dem Laster/ und kan man in dieses Theil alles bringen/ was sonsten in Ethicis von Tilgend und einem glückseligen Leben weitläufftig tractirt wird.44

Insgesamt können diese Texte als Zeugnisse artistischer Schultraditionen gelten. Sie zielen nicht auf den Gewinn neuer Einsichten, sondern auf die Systematisierung und Stabilisierung des topisch vorliegenden Wissens. Es gehört demnach zum Geschäft der Texte, verbreitetes Material im Rahmen der Verfahrensweisen und Formanforderungen der schulphilosophischen Ethik zu präsentieren. Der institutionelle didaktische Rahmen trug zweifellos dazu bei, daß der fixierte Abhandlungstyp De virtute heroica sich neben anderen Größenkonzeptionen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts behaupten konnte.

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Lokervitz (Praes.), Steinkopff (Resp.): Heros philosophicè delineatus, § 9: »Cüm enim Ecclesia ac Respublicae sint instar Lunae jam crescentis & decrescentis DEUS Τ. Ο. M. singulis temporibus Heroas excitavit, qvi nutantes defenderent vel collapsas restituèrent.« Vgl. auch Sagittarius (Praes.), Brandenstein (Resp.): Dissertatio de motibvs heroicis, Cap. II. § 15. - Jacobus Thomasius (Praes.), Johann Friedrich Starken (Resp.): Exercitatio philosophica prior de heroica virtute, § 11. Vgl. Dyck: Tícht-Kunst, S. 59-65; Zedelmaier: Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta, S. 86-91. Löhneyss: Hof- Staats- und Regierkunst, S. 27. Zu Löhneyss Nils Birk, in: Fürstenspiegel der Frühen Neuzeit, S. 386-393.

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1.1.2 Die Virtus heroica im Gefüge der Higendlehre Die Geschichte der Lehre von der »heroischen Tilgend« geht zurück auf Aristoteles' Nikomachische Ethik. »Nicht allzuoft«, so heißt es in der einzigen Überblicksdarstellung, »wird ein von altersher überkommener Begriff sich seinem Entstehen und seinem Inhalte nach gleichermaßen so bestimmt und in so weitem Ausmaße bis auf seinen Urheber zurückverfolgen lassen.«45 Für das 17. Jahrhundert sei exemplarisch (und durchaus nicht ohne Willkür) das Collegium ethicum von Valentin Crüger (1655) herangezogen. Wie andere Autoren weist auch dieser Verfasser ausdrücklich auf den Ursprung des Topos hin: »Diese Tugend ist ein Habitus, wie Arist. 7. Ethic: c.l. bezeugt.«46 Zuweilen wird die fragliche Passage mehr oder weniger ausführlich zitiert; einzelne Dissertationen verstehen sich als ausgesprochene Aristoteles-Auslegungen. Sagittarius kommentiert ein längeres Aristoteles-Zitat: »Dies erläutern ausführlicher alle älteren und neueren Interpreten des Philosophen, die speziell über die Virtus heroica geschrieben haben.«47 Beispiele ausdrücklicher Orientierung an konkurrierenden Tugendkonzeptionen, vor allem eine stoische Version, lassen sich kaum nachweisen.48 In der Tradition der ethischen Abhandlungen zur Virtus heroica verbindet sich die institutionelle und formale Kontinuität mit der aristotelischen Ausrichtung. Der aristotelische Locus classicus nimmt insofern eine Monopolstellung ein und gehört zum gemeinsamen und vereinheitlichenden Grundbestand praktisch aller einschlägigen Darstellungen des 17. Jahrhunderts wie auch zu einer ungebrochenen, an die Kommentierung der Nikomachischen Ethik gebundenen Traditionslinie seit der Antike. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß die späten Varianten einer Theorie der heroischen lügend in der Verwendung des Begriffs durch Aristoteles aufgingen. Mit welchem Recht vom »Aristotelismus« in der Ethik gesprochen werden kann, läßt sich von einer auf die Virtus heroica konzentrierten Perspektive her allerdings nicht entscheiden.49

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Hofmann: Die heroische lügend, S. 3. Die Arbeit verfolgt nur die katholische Entwicklungslinie und hat neben dem historischen auch ein systematisches Interesse. Sie stellt sich also selbst noch in die Reihe der Begriffsklärungsversuche. Crüger: Collegium ethicum, disputatio decima octava, A V: »Habitus est haec virtus, teste Arist. 7. Ethic: c. 1.« Sagittarius (Praes.), Brandenstein (Resp.): Dissertatio de motibvs heroicis, Cap. II. § 2: »Qvae pluribus illustrant veteres ac recentes Philosophi interpretes, qviqve singulariter de Virtute Heroica scripserunt.« - Raben (Praes.), Lefler (Resp.): Disputatio politica de virtute heroica, vor allem § 6, 8, 9. Als Ausnahme wäre vielleicht anzuerkennen Alberti (Praes.), Schultz (Resp.): Qvaestio an Christus dici possit heros, der allerdings nur eine platonische Dämonenlehre zugrundelegt. Zu dieser Frage Schmidt-Biggemann: Aristoteles im Barock; Dreitzel: Der Aristotelismus in der politischen Philosophie Deutschlands im 17. Jahrhundert; im weiteren auch: Charles B. Schmitt: Aristotle's Ethics in the Sixteenth Century.

35 Den Zeitgenossen war klar, daß die Erwähnung der Virtus heroica bei Aristoteles von sich aus keinen hinreichenden Ausgangspunkt für eine umständliche Definition dieser Tilgend abgeben konnte. Bei Jacobus Thomasius, der sich allerdings ohnehin von einer bruchlosen Fortsetzung der Schultraditionen auf den Spuren von Aristoteles distanziert, liest man: Zwar hat Aristoteles nirgends verbindlich lehrend von der Virtus heroica gehandelt; es ist nämlich klar, daß das überaus wenige, was er 1.1. c. VII. der Nikomachischen Ethik davon meldet, nur nebenbei eingestreut ist, während er von etwas anderem spricht. Gleichwohl steht fest, daß diejenigen, die in den vergangenen Jahrhunderten, so weit unser Gedächtnis reicht, in der Moralphilosophie arbeiteten, mit Vorhebe diese Gelegenheit ergriffen haben, genauer die Virtus heroica zu erforschen. So kommt es, daß man heute fast keinen Ethiker findet, der hier Papier sparen wollte.50 Der Begriff erscheint in der Nikomachischen Ethik dort, wo Aristoteles von der Darstellung des Higendkatalogs zur Continentia/Incontinentia als Vorstufe eines Vollbesitzes der Tilgenden bzw. Laster übergeht. 51 Der Continentia ordnet der Philosoph - offenbar im wesentlichen aus Systemgründen auf der anderen Seite, jedoch nur im Vorbeigehen an dieser Stelle, eine eminente Verfügung über die Tugenden zu, die er als Virtus heroica (ήρωϊκή άρετή) bezeichnet. Deren Merkmale sind das Übermaß (υπερβολή, eminentia), die Göttlichkeit (άρετή θεία, virtus divina), die Seltenheit und die Gegenüberstellung mit dem Laster der Roheit (Φηριότης, feritas/bestialitas). Die Textpassage ist mit distanzierenden Bemerkungen durchsetzt, die die heroische Tilgend als mythologisches Zitat, vielleicht sogar als Fremdkörper in der moralphilosophischen Abhandlung kennzeichnen und hinreichend begründen, warum Aristoteles auf eine ausführlichere Darstellung verzichtet hat. Die Rezeptionstradition überhört allerdings fast einmütig die Skepsis des Philosophen gegenüber dem Phänomen der heroischen Tilgend: Wir haben nun einen neuen Ausgangspunkt zu nehmen und festzustellen, daß es im Ethischen drei Arten von Dingen gibt, die man zu fliehen hat: die Schlechtigkeit, die Unbeherrschtheit und die Roheit. Die Gegensätze davon sind für die zwei ersten klar (wir nennen sie Tilgend und Selbstbeherrschung), als Gegensatz zur Roheit würde am ehesten die den Menschen übersteigende Tilgend passen, eine heroische und göttliche, wie bei Homer Priamos über Hektor sagt, er sei überaus tüchtig >und er schien nicht der Sohn eines sterblichen Mannes zu sein, sondern eines GottesDispositio< und dichterische Freiheit im Barock. Wendeler (Praes.), Rinckhammer (Resp.): Ex philosophiâ morali de virtute heroicâ, § 28: »Omnium qvidem virtutum potest esse qvaedam eminentia; sed tarnen illae potissimùm heroicae dicuntur qvarum major difficultas, splendor, dignitas & nécessitas: uti sunt justitia fortitudo, temperantia & mansvetudo. Veracitati, comitati & urbanitati id nominis tribuere vix possumus. Magnanimitas verò & magnificentia saepè qvidem sunt virtutes heroicae, non tarnen semper, cùm harum splendore haud raro destituantur.« Below (Praes.), Giese (Resp.): Disputatio moralis nonnullas exhibens de virtute heroica qvaestiones, Quaestio 1, § 5: »[...] inter species virtutis Heroicae Heroica fortitudo, Heroica temperantia, Heroica liberalitas, Heroica magnificentia, Heroica magnanimitas, & Heroica Justitia eminere videntur.«

52 »Dennoch können wir leicht einräumen, daß die heroische Tilgend nicht in allen moralischen Tilgenden gleich erglänzt, sondern mehr und vor anderen in der Tapferkeit und der Großherzigkeit; ja, bekennen wir, daß sie am eindrucksvollsten an der Tapferkeit ins Auge fällt.«120 Spektakuläre Unterschiede sind nicht zu erkennen, doch führen die Abweichungen dazu, daß die Lehre von der heroischen lügend auch innerhalb einer Schultradition nicht den Charakter einer einvernehmlich akzeptierten Überzeugung annehmen kann. Ein ähnliches Ergebnis zeitigt die verzweigte Diskussion über die Frage, ob es auch die intellektuellen lügenden zu heroischer Vollkommenheit bringen können. Ein Teil der Abhandlungen bekennt sich, oft im Anschluß an Piccolomini, zu der Ansicht, daß den dianoetischen Tilgenden diese Möglichkeit verwehrt bleibe,121 eine andere Fraktion läßt die Heldengröße auch für eine kontemplative Haltung zu.122 Beide Parteien schöpfen ihre Beweisführungen aus demselben Vorrat an Argumenten und Exempla und wiederholen sich deshalb unentwegt; dennoch können sie aus diesem Material unvereinbare Lehren konstruieren. Nicht einmal die von Michael Wendeler verfaßten bzw. unter seinem Vorsitz disputierten Thesen ergeben ein einheitliches Bild. Der Wittenberger Professor schließt in seiner praktischen Philosophie ebenso wie in einer von Rinckhammer verteidigten Dissertation, »daß die heroische Größe sich nicht nur auf die moralischen, sondern auch auf die intellektuellen Tilgenden erstreckt.«123 Dagegen befinden die unter Wendelers Leitung von Parpardus vertretenen Thesen: »Es gibt den herausragenden Grad auch der intellektuellen Tilgenden, aber nur im Sinn einer gewissen Analogie.« Allein der Glanz der moralischen Tilgenden heiße im eigentlichen Sinn heroisch.124 Mit einem gewissen Recht ließe sich die Serie der Dissertationen und Abhandlungen zur heroischen Tilgend als Beispiel selbstgenügsamer akade120

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Raben (Praes.), Lefler (Resp.): De virtute heroica, S. 40: »Nihilominus tarnen VIRTUTEM HEROICAM non aequaliter in omnibus virtutibus moralibus, sed magis & prae aliis in FORTITUDINE atque MAGNANIMITATE refulgere facilè concedimus; imo quàm maximè in Fortitudine conspicuam esse fatendum est.« Piccolomini: Vniversa philosophia de moribvs, S. 535-537; Raben (Praes.), Lefler (Resp.): Disputatio politica de virtute heroica, S. 41-44; Thilo (Praes.), Malluvius (Resp.): Exercitatio académica de virtute heroica, § Vf.; Pregitzer (Praes.), Schaller (Resp.): Exercitatio ethica de virtute heroica, S. 4. Lokervitz (Praes.), Steinkopff (Resp.): Heros philosophicè delineatus, § 16; Rechenberg (Praes.), Starck (Resp.): Simson heros, § 19. Wendeler: Practica philosophia, S. 471: »Igitur hinc rectè concludimus, heroicam eminentiam non modo ad morales, sed etiam ad intellectuales virtutes pertinere.« Wendeler (Praes.), Rinckhammer (Resp.): Ex philosophiâ morali de virtute heroicâ, §31-39. Wendeler (Praes.), Parpardus (Resp.): Theses morales de virtute heroica, § VII: »Eminentia quoque virtutum intellectualium datur sed tantum per quandam analogiam.«

53 mischer Schulübungen betrachten. Umgekehrt sei nicht bezweifelt, daß manche Varianten auf konfessionelle oder politische Voreinstellungen zurückverweisen mögen. Gleichwohl bekommen schulinterne Polyphonie und relative Arbitrarität der Lösungen für die Problematik heroischer Größe im 17. Jahrhundert einen Signalwert. Die Verlagerung des Hauptinteresses vom Gegenstand auf seine systematische Disposition läßt erkennen, daß nur von letzterer verbindliche Aussagen erwartet werden. Aus der Perspektive der Abhandlungen steht nicht das Heroische im Zentrum, sondern das Ordnungsinteresse. Die Vielzahl auf unüberschaubare Weise formal voneinander abweichender Meinungen mindert auf der einen Seite die Überzeugungskraft der unendlich variierbaren Systeme und verhindert auf der anderen eine metaphysisch verbindliche Wesensbestimmung der heroischen Tilgend.125 Die Rahmenbedingungen, die durch die aristotelische Ethik gesetzt sind, tendieren dazu, sich in bloßes Material der Ordnungsbemühungen zu verwandeln. Damit wird die Virtus heroica zum verfügbaren Stoff. Es erübrigt sich, weitere Beispiele vorzuführen - etwa die in fast jedem Fall diskutierte und auf eine Bemerkung bei Thomas von Aquin zurückgehende Frage, ob die heroische sich als überbietende lügend »specie« oder »gradu« von den übrigen Tilgenden unterscheide.126 Ohne daß schulintern bereits Zweifel an der Lehre von der Virtus heroica etwa in ihren mythologischen Aspekten erlaubt wären, dokumentiert die Masse der unvereinbaren Abhandlungen eine erhebliche Distanz zu ihrem Gegenstand. Dieser erscheint nicht als unmittelbar gegeben, sondern muß erst hergestellt oder doch gesichert werden. Deshalb kann ein zusammenfassendes Inhaltsreferat zwar zu einer Aufzählung geläufiger Argumente und Exempla des Topos gelangen, wird aber die Abhandlungen selbst in ihrer Problemstellung verfehlen. Die denkbare Zweifelsfrage, mit welchen Mitteln man in dieser Situation die Glaubwürdigkeit der heroischen Tilgend bewahren könne, stellt sich den Autoren offenbar deshalb nicht, weil der schulphilosophischen Ethik ein thematisch, methodisch und institutionell stabiler Rahmen gesetzt ist, der das System vor den Zumutungen der Praxis schützt. 125 126

Zum Problem allgemein Schmidt-Biggemann: Topica universalis, S. XV f. Einige Nachweise - für eine besondere heroische Tugendspezies: Thomas von Aquin: Summe der Theologie, Bd. 2, S. 328; Timpler: Philosophiae practicae systema methodicvm, S. 377f. Für einen besonderen heroischen Tugendgrad: Wendeler: Practica philosophia, S. 471£; Schelgwig (Praes.), Esser (Resp.): Dissertatio ex philosophia morali, de virtute heroicâ, § XIV; Müller (Praes.), Schermbeccius (Resp.): Collegii ethici disputatio decima de virtvte heroica, § 12; Pregitzer (Praes.), Schalter (Resp.): Exercitatio ethica de virtute heroica, S. 5 - 7 ; Lani (Praes.), Schmidt (Resp.): Specimen academicum de virtute heroica, Sectio II, Quaestio I.; Sellius (Praes.), Friselius (Resp.): Exercitatio académica de heroibus, Thesis II. Offen ist die Frage bei Eicheln (Praes.), Morgenstern (Resp.): Exercitatio moralis de heroibvs eorvmqve virtvte, Thesis XXXI, der die Entscheidung vom jeweiligen Begriff der »species« abhängig macht.

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Die Schwerpunktverlagerung von der unmittelbaren Zugänglichkeit auf die Disposition, von der Präsenz auf die Präsentation werden wir im Zusammenhang mit der heroischen Größe aber ebenfalls an politischen und literarischen Texten beobachten können. Die Frage, was im Einzelfall unter heroischem Handeln zu verstehen sei, führt auch dort in der Regel nur zu einer Reproduktion für sich genommen wenig aussagekräftiger Loci communes. Sie muß durch die Frage nach der Kontrolle über das Heroische bzw. nach den Funktionen der heroischen Topik ersetzt werden. Bis zu einem gewissen Grad gilt deshalb, daß eine Arbeit, die das Heroische in der Literatur des 17. Jahrhunderts verfolgt, der Auflösung ihres eigenen Gegenstands nachgeht. -Überzeugungsmächtig bleibt das Heroische unter der Voraussetzung, daß die strategische Intelligenz, die die Ordnungsversuche steuert, in das heroische Erscheinungsbild verlagert werden kann. Solange sich keine entscheidenden Zweifel am Mythologem des Heroischen melden, bleibt es jedenfalls der Politik und der Literatur unbenommen, das topische Material zu eigenen Zwecken zu kombinieren und einzusetzen. Allerdings müssen sie wachsende Energie in Maßnahmen zur Sicherung der Glaubwürdigkeit investieren. Aus welchen Gründen dieser Aufwand als lohnend gilt, sollen die Untersuchungen zeigen.

1.2

Heroische Exempla

1.2.1 Exempla virtutis: Georg Lauterbecks »Erinnerung« Georg Lauterbeck nahm in sein erstmals 1556 erschienenes Regentenbuch, das noch neun weitere Auflagen und eine tschechische Übersetzung erlebte, im Anschluß an den Lehrinhalt zum fürstlichen Verhalten eine Ermahnung zur Lektüre der »Historien« auf; sie trägt den Titel »Erinnerung/ auß was vrsachen die Leute/ vnd sonderlich die Regenten/ Fürsten vnd Herrn/ die Historien mit fleiß lesen sollen.«127 Diese Abhandlung fügt sich in die Reihe der zeitgenössischen geschichtstheoretischen Traktate ein.128 Aus dem Komplex der dort zugrundegelegten Fragen greift sie den Teilgesichtspunkt »vom Nutzen der Historien« heraus. Zwar wird man ihr kaum eine herausragende oder auch nur eigenständige Position zusprechen können. Unter dem Aspekt 127

128

Ich lege die Ausgabe Frankfurt 1579 zugrunde. Bibliographische Nachweise zu den Drucken bei Singer: Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation, S. 106-110. Zu Person und Werk im Überblick Philipp: Georg Lauterbeck - Regierungskunst im Zeitalter der konfessionellen Spaltung. Zum Kontext der Fürstenspiegelliteratur allgemein Müller: Die deutschen Fürstenspiegel des 17. Jahrhunderts. Siehe auch die Textsammlung Fürstenspiegel der Frühen Neuzeit. Dazu vor allem die Auswahl von Eckhard Kessler: Theoretiker Humanistischer Geschichtsschreibung.

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der politischen Größenbilder ist sie jedoch durch ihren Kontext einschlägig. Lauterbeck unterfüttert seine politischen und moralischen Lehren mit einer Vielzahl historischer Exempla, die die Hauptmasse des Buchs ausmachen (das ohne die Zusatztexte insgesamt etwa 480 Folioseiten umfaßt). Schon im Titel, dem zufolge das Werk »auß den fürnembsten alten vnd newen Historien/ auch sonster fürtrefflicher hochgelehrter Männer Schrifften vnnd Büchern/ zusamen getragen« ist, gibt sich der Fürstenspiegel zugleich als Exempelkompilation zu erkennen. Ja, Lauterbeck erklärt, es sei seine ursprüngliche Absicht gewesen, »daß ich allein die blossen Exempel/ vnd die Historien habe setzen wollen«. Erst während der Arbeit habe es sich als notwendig erwiesen, »den jungen einfeltigen/ vnd die es nicht besser wissen/ zu weilen eine erklärung/ anweisung/ vnd erinnerung/ darneben thun«.129 Die »Erinnerung« über die Lektüre der »Historien« ist deshalb vor allem eine Anleitung zum Umgang mit dem Regentenbuch selbst. Das Beispielmaterial stammt nicht zuletzt (wenn auch durchaus nicht nur) aus der heroisch-historischen, griechischen und römischen Stofftradition.130 Doch ist es nicht allein das Material, das einen Zusammenhang mit dem Heroischen herstellt. Denn die Geschichte des Heroischen als diejenige heroischer Erzählungen partizipiert an der Geschichte des Exemplarischen. Auf diesen Zusammenhang von Heroischem und Exemplarischem macht Lauterbecks »Erinnerung« aufmerksam: Wenn nun einer sihet/ wie viel tapffere Helden/ vmb jrer schönen Tilgend vnd herrlichen Thaten willen/ für ein ewiges Lob/ vnd einen grossen Namen vberkommen/ wie denn derselben in der Historien hin vnd wider gefunden werden/ Als Hercules/ vnd dergleichen/ Warumb läßt er sich nicht bewegen/ denselben nachzufolgen/ damit er solchen Namen vnd Ehre auch erlangen möge?131

Der >heroisierende< Effekt historischer Lektüre bleibt im 17. Jahrhundert ein stereotypes Argument fürstlicher Erziehungsprogramme. Chokier rühmt die Arrian-Lektüre des Kaisers Sigismund, die Curtius-Lektüre des Königs Alphons von Arragonien und die Thukydides- und Comynes-Lektüre Karls V.: »Welches dann darumb so viel mehr an jhnen zu loben/ weil auß jhren Heroischen thaten/ so sie zu Friedens- vnd Kriegszeiten verübet/ kündig vnd offenbar ist/ daß sie solches lesens keinen geringen nutz gehabt.«132 Die Literaturwissenschaft kennt seit langem das enge Verwandtschaftsverhältnis der Dramen- und Romanliteratur des 17. Jahrhunderts mit dem exemplarischen Umgang mit Geschichte. Voßkamp schickt seinen Untersu129 130

131 132

Lauterbeck: Regentenbuch, S. 51r. Für eine Rechtfertigung der Verwendung heidnisch-antiker Exempla vgl. Lauterbeck: Regentenbuch, S. 245r. Zu den von Lauterbeck benutzten Quellen vgl. Singer: Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation, S. 111. Lauterbeck: Regentenspiegel, S. 244v. Chokier: Thesaurus Politicus, S. 329.

56 chungen zur »Zeit- und Geschichtsauffassung« bei Gryphius und Lohenstein Ausführungen über Geschichtstheorie und exemplarischen Charakter der »Historien« voraus; Habersetzer faßt Gryphius' Papinianus von vornherein als »dramatisches Exemplum« auf.133 Brückner hat dargelegt, welche zentrale Vermittlerrolle die verschiedenen Typen von Beispielkompilationen bei der Weitergabe, Ordnung, rhetorikgerechten Aufbereitung und Verbreitung >historischen< Materials für jedes Bildungsniveau bis in das 18. Jahrhundert spielten.134 Eine Arbeit über Konzeptionen heroischer Größe kann zu Theorie und Geschichte des Exemplums keinen grundlegend weiterführenden Beitrag leisten, wohl aber muß sie die Bindung heroischer Größenprojektionen im 17. Jahrhundert an exemplarische Darstellungsweisen berücksichtigen. Wie ist der Zusammenhang von Heroischem und Exemplarischem beschaffen, und auf welchen Voraussetzungen fußt er? Die zitierte Stelle aus Lauterbecks »Erinnerung« deutet hinsichtlich der Wirkungsintentionen einen Zusammenhang mit der Rhetorik an, hinsichtlich der Organisation der Exempla einen solchen mit der Topik. Lauterbeck selbst erläutert die Disposition seines Werks in »Loci communes«. Die »notturfft« erfordere, »so man etwa von grossen Sachen reden sol/ daß einer etliche gemeine stellen habe/ das ist/ Locos communes, auß welchen er sich kan gefaßt machen/ was in einem jeden handel vorzunemmen/ vnd dazu zu rahten/ Welches denn auch Demosthenes/ wie man von jm liset/ also gehalten.«135 Lauterbecks Topik ist offenkundig nicht identisch mit den »sedes argumentorum« der Antike, also einer in allen Wissensbereichen anwendbaren, auf Kategorienreihen basierenden Suchmethode, mit deren Hilfe die jeweils zweckdienlichen Argumente gefunden werden konnten.136 Vielmehr bietet der Verfasser eine materialtopische Disposition, in der einzelne Argumente zur Aufgabenbe133

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Voßkamp: Zeit- und Geschichtsauffassung im 17. Jahrhundert, S. 38-43. Habersetzer: Politische Typologie und dramatisches Exemplum; speziell zum Exemplarischen S. 3 - 7 . Zu den rhetorischen Zwecken der Schultheateraufführungen vgl. Barner: Barockrhetorik, S. 304- 307. Allgemein zur Historiographie und Geschichtstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts: Klempt: Die Säkularisierung der universalhistorischen Auffassung; Landfester: Historia Magistra Vitae; Kosellek: Historia Magistra Vitae; Seifert: Cognitio histórica. Brückner: Historien und Historie, passim. Lauterbeck: Regentenbuch, Vorrede zu dem Chistlichen Leser (unpaginiert). Eine historische Entwicklung und Abgrenzung der Topik ist an dieser Stelle nicht beabsichtigt. Verglichen wurde die folgende Literatur: Dyck: Ticht-Kunst; Brückner: Historien und Historie, S. 53 - 63; Bornscheuer: Topik; Wiedemann: Topik als Vorschule der Interpretation; Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat, S. 113-118; Moos: Geschichte als Topik, bes. S. 342-345; 422-434; Zedelmaier: Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta, S. 86-91. Nur unter stofflichen Aspekten ergiebig: Rehermann: Die protestantischen Exempelsammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts; ders.: Das Predigtexempel bei protestantischen Theologen des 16. und 17. Jahrhunderts.

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Stimmung des Fürsten den Platz der »gemeinen stellen« einnehmen. Lauterbeck erklärt die »Loci communes« als Hilfsmittel der Inventio und der Memoria: »Ich habe aber diese Exempel vnd Historien in sondere Bücher vnd Capitel/ derhalben abgefasset/ gleich wie in Locos Communes, auff daß man sie desto leichter behalten vnd finden köndt«.137 Das Regentenbuch baut demnach schon die Memorial- und Amplifikationstechnik aus, die im 17. Jahrhundert einen Höhepunkt erlebte.138 Allerdings darf man die Anlage des Regentenbuchs noch nicht mit jenen Topiken gleichsetzen, in denen Methode und Komplexitätsgrad sowie die Kohärenz des Systems den Sinnanspruch vertreten. Ein Beispiel dafür liefert, zeitnah zu Lauterbeck, Theodor Zwingers methodisch an Petrus Ramus orientiertes Theatrum vitae humanae (1565).139 Zwinger zufolge kann nur die Ars, die für die Ordnung verantwortlich ist, bei der Disposition subjektive Faktoren ausschalten (die letztlich auch die Exempla selbst in ein verfälschendes Licht rücken müßten): »man wird also eine andere Ordnung einrichten müssen, die nicht von der Willkür des Verfassers, sondern von der Ars abhängt und sogar ewigen Bestand haben kann.«140 Ein Systemdenken im Sinn von Zwinger ist bei dem theoretisch ohnehin anspruchsloseren Lauterbeck nicht erkennbar. Vielmehr dienen die Loci communes bei ihm lediglich als Speicher, in denen die Exempla aufbewahrt und aus denen sie abgerufen werden. Im einzelnen gliedert sich das Werk in fünf Bücher. Lauterbeck behandelt nacheinander die Staatsformenlehre und die römischen Staatsämter, die Regententugenden, den Krieg, die innere Verwaltung und die Rechtsprechung.141 Die fünf Hauptteile sind in weitere »Loci communes« untergliedert. Über das Programm eines christlichen Fürstenspiegels < hinaus bietet Lauterbeck also Elemente einer praktischen Regierungs- und Verwaltungslehre. Soweit das Regentenbuch selbst in den Blick kommt, sind für die Frage individueller Größenbilder das zweite und dritte Buch einschlägig, die den Fürstenspiegelkanon abdecken. Von einer Sammlung dieser Art ist nicht zu erwarten, daß sie ein inhaltlich widerspruchsfreies Lehrgebäude bietet, sondern, daß sie alles den Gegenstandsbereich Betreffende am gehörigen Ort verzeichnet. Dem entspricht der Umgang mit dem Werk, den Lauterbeck vorsieht. Es ist nicht für eine 137 138 1,9

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Lauterbeck: Regentenbuch, Vorrede zu dem Christlichen Leser (unpaginiert). Wiedemann: Topik als Vorschule der Interpretation, S. 245f. Zu Zwinger vgl. Brückner: Historien und Historie, S. 105f.; Seifert: Cognitio histórica, S. 80-86; Schmidt-Biggemann: Topica universalis, S. 59-66; Zedelmaier: Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta, S. 240f.; Neuber: Topik und Intertextualität. Zwinger: Theatrvm vitae hvmanae, Praefatio, S. 8: »alius certè ordo instituendus erit, qui non ex uoluntate scriptoris, sed ex arte pendeat, atque adeò aeternus esse possit.« Für eine Inhaltsübersicht vgl. Singer: Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation, S. 110t

58 diskursive Lektüre konzipiert, sondern für die Suche nach passenden Exempla, und soll damit den Griff zu den Originalquellen überflüssig machen und die Verfügbarkeit des Exempelmaterials rationalisieren. Der Verfasser habe sich »vnterstanden vnd befliessen/ etliche Exempel auß den Griechischen vnd Lateinischen/ alten vnd neuwen Historien/ zusammen zu ziehen/ Erstlich vnd fürnemlich mir selbs/ folgend auch andern/ so es nicht besser wissen/ oder ander Geschaffte halben die zeit nicht haben/ durch alle Historien vnd Bücher zu lauffen«.142 Die Auflösung der historischen Chronologie in eine Exempelsammlung ist ein Indiz dafür, daß die Exempla als Vorrat unmittelbar verfügbaren (und keineswegs historisch distanzierten) Wissens gelten.143 Einsichtig ist vor diesem Hintergrund ebenfalls, daß aus der Perspektive des Verfassers die Bedeutung der Exempla nicht historisch rekonstruiert werden kann, sondern erst in ihrer rhetorischen Funktion manifest wird. Es ist also das Arrangement in Loci communes, das den Exempla ihren Sinn gibt.144 Diese Gegenwärtigkeit der exemplarisch gelesenen Geschichte gehört zu den notwendigen Voraussetzungen der Glaubhaftigkeit heroischer Größenprojektionen im 17. Jahrhundert. Mutatis mutandis gilt dies auch für fiktionale Stoffe der Literatur. Die enge Bindung des Heroischen im 17. Jahrhundert an die unmittelbare Präsenz des Exemplarischen im Sinn des »Historia magistra vitae«-Topos erweist sich negativ bei einem Seitenblick auf das Aufklärungszeitalter. Unter unterschiedlichen Konstellationen und Wertungen bahnt sich dort eine Historisierung des Heroischen an, die seiner Imitierbarkeit ein Ende bereitet und es im Licht des Überwundenen oder des Verlorenen erscheinen läßt. In Vicos Prinzipien einer neuen Wissenschaft kennzeichnet es primär kein Perfektionsideal, sondern das mittlere der drei Hauptentwicklungsstadien, die jedes Volk auf dem Weg zu Kultur und Humanität durchlaufen muß. Als Bezeichnung für Angehörige einer Herrschaftsschicht, die die >Knechte< mit Gewalt unterdrückt und sich mit ihnen in fortwährenden Auseinandersetzungen befindet, ist >Heros< vor allem eine politisch-soziologische Kategorie. Dabei verlieren die Schulbeispiele des frühen römisch-republikanischen Heroismus ihre Vorbildlichkeit: Brutus, Mucius Scaevola, Manlius Imperiosus etc., welchen Nutzen brachten sie der elenden und unglücklichen römischen Plebs? außer dem, sie immer mehr in den Kriegen zu drangsalieren, sie immer tiefer in ein Meer von Wucherzinsen zu versenken, sie immer tiefer in den Privatgefängnissen der Adligen zu begraben, wo man sie wie die elendsten Sklaven mit Ruten auf die nackten Schultern schlug? 145 142 143 144

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Lauterbeck: Regentenbuch, Vorrede zu dem Christlichen Leser (unpaginiert). Vgl. Zedelmaier: Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta, S. 225. Vgl. Brückner: Historien und Historie, S. 54: »Ablesbare Zeugnisse bieten jedoch nicht die facta schlechthin, sondern erst ihr paradigmatischer Stellenwert für das Deutungssystem macht sie dazu. Solche Hermeneutik wird sowohl getragen als auch repräsentiert von den loci communes.« Vico: Prinzipien einer neuen Wissenschaft, S. 382; dazu Hösle: Einleitung, ebd.,

59 An die Stelle der in Vorbildern greifbaren heroischen Größe tritt ein heroisches Zeitalter als historisches Übergangsstadium. Dieser schon staatlich entwickelte (aristokratische), aber noch rohe Zustand ist kein Gegenstand der Nacheiferung, sondern muß überwunden werden. In welchem Umfang Vico daneben einen der Bewahrung empfohlenen Heroismusbegriff auch in den Prinzipien einer neuen Wissenschaft verwendet, braucht hier nicht diskutiert zu werden. 146 Friedrich von Blanckenburg konfrontiert in seiner Romantheorie das tatorientierte Epos, das den »Sitten und Einrichtungen« der Antike gemäß war, mit dem modernen Roman, der umständlich die Individualität seines Protagonisten als eines >mittleren Helden< entfaltet. 147 Die Ablösung des Epos durch den Roman kann man auch als Abwendung von der exemplarischen Literatur begreifen: Das heroische Exemplum, das - etwa mit dem Ziel, zur Nachahmung aufzufordern - in rhetorischer Persuasionsabsicht vorgetragen wird, weicht einem Erkundungs- und Erkenntnisprozeß. Unter umgekehrten Vorzeichen, als Ruf nach einer Erneuerung der heroischen Geschichtschreibung der Antike, greift Ernst Ludwig Posselt 1786 den Komplex auf. Die Aufgabe der Historiographie sieht der Verfasser durchaus im Exemplarischen: Geschichte »erzählt vergangene Begebenheiten zur Belehrung für künftige Fälle, mit Wahrheit und männlichem Schmuck.« 148 Doch hätten die gegenwärtigen Schriftsteller verlernt, in der Erzählung der Begebenheiten zugleich objektiv ihr Wesen zu treffen. Die Einheit der antiken Historiographie spaltet sich auf in analytisches Räsonnement und Statistik. 149 So beklagt Posselt einen doppelten Verlust: Wie die Präsenz des Historischen in der Geschichtserzählung schwindet, so droht auch die heroische Größe zur historischen Reminiszenz zu werden. In allen Fällen beteiligt sich die Entwicklung eines modernen historischen Denkens daran, die Möglichkeit exemplarischer Geschichtschreibung überhaupt zweifelhaft erscheinen, speziell den exemplarischen Einsatz des Heroischen problematisch werden und es in größere Distanz zurücktreten zu lassen. Ich komme zu Lauterbeck zurück. Da das Darstellungsziel des Regentenbuchs nicht in der inhaltlichen Widerspruchsfreiheit liegt, liefert das Werk auch kein konsistentes Modell fürstlichen Handelns. Die Absicht ist viel-

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S. CCII. Zur Heldenkritik trägt nicht weniger bei, daß Vico, ebd., S. 559t, die Taten der Helden zum großen Teil ihren Knechten zuschreibt. Hösle: Einleitung, in: Vico: Prinzipien einer neuen Wissenschaft, S. CCI-CCIV. Ich halte entsprechende Hinweise, etwa S. 402f., für eher schwach. Mit Vicos historisiertem Heroenbegriff stehen Montesquieus Ausführungen »Über die Könige zur griechischen Heroenzeit« (Vom Geist der Gesetze, S. 229) in einem gewissen Verwandtschaftsverhältnis. Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 69 -78. Posselt: Ueber teutsche Historiographie, S. 8. Vgl. auch vom selben Verfasser: Dem Vaterlandstod der vierhundert Bürger von Pforzheim. Posselt: Ueber teutsche Historiographie, S. llf.

60 mehr, den Leser situationsadäquates Verhalten zu lehren. Wie und in welchem Sinn erfüllen die Exempla diese Aufgabe? Aus der rhetorisch-funktionalen Einbettung ergeben sich zwei (nur darstellungstechnisch unterscheidbare) Aspekte, die die Überlegenheit - und die spezifische Leistungsfähigkeit - der Exempla im Vergleich mit den philosophischen Praecepta ausmachen, nämlich Anschaulichkeit und Einzelfallcharakter. Lauterbeck legt Wert darauf, daß »die Historien alle Tilgend in gemeine begreiffen/ auch derselben vrsachen/ Verhinderung/ auffnemen/ vnd endlichen außgang vns f ü r die äugen malen.« 150 Als Zuständigkeitsbereich der historischen Exempla erweist sich in Hinsicht auf fallspezifische Ursachen und Wirkungen das Singuläre, für das keine allgemeinen Regeln formuliert werden können. 151 Gegenstand exemplarischer Vergegenwärtigung ist Lauterbeck zufolge die Willkür der politisch-lebensweltlichen Ereignisse, die er mit der Kontingenzmetapher des unberechenbaren Meers faßt. Wie »das Meer nimmer stille ist«, so »pfleget es auch in der Welt zuzugehen/ vnter den Leuten/ vnd sonderlich den grossen Häuptern/ daß jetzt einer steiget/ der ander feilet/ vnd der gefallen ist/ sich bald wider herfür machet«. Die Exempla haben die Aufgabe, die nach dem Virtus-Vitium-Schema funktionierende Ordnung der historischen Vorgänge zu enthüllen. 152 Der Mechanismus von Aufstieg und Fall aufgrund tugend- bzw. lasterhaften Handelns gibt ihnen ihren prognostischen Wert im Sinn der Formel »Historia magistra vitae«. So gilt für Lauterbeck das Lesen von >Historien< als Äquivalent praktischer politischer Erfahrung: »Vnd so wir vns derer befleissigen/ vnd also mit feinen Historischen Exempeln gefast machen/ So werden wir zu allen Sachen/ Rahtschlägen/ Reden/ vnd Handlungen/ geschickter vnd erfahrner werden.« 153 Die spezifische Überzeugungs- und Erkenntnisleistung der »Historien« wird jetzt deutlicher: Sie kleiden nicht lediglich die ethischen Praecepta anschaulich ein, sondern demonstrieren das praktische Wohl- und Fehlverhalten des Fürsten und seine Folgen in historisch beglaubigten Situationen. 154 Dabei geben die Exempla ihre tugendbezogene Lehre unmittelbar preis. Erst der Tacitismus des 17. Jahrhunderts verlagert die Aufmerksamkeit auf das Verfahren, 150 151 152

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Lauterbeck: Regentenbuch, S. 243v. Moos: Geschichte als Topik, S. 37-39. Lauterbeck: Regentenbuch, S. 242v: Die Fürsten, die »sich gegen den Leuten allezeit hart vnd grawsam erzeiget vnd gehalten«, machen sich verhaßt, werden verlassen und müssen »in jhrem vnfall verderben vnd vmbkommen [...]/ sonderlich/ so sie darneben Gottloß gewesen seyn«, während diejenigen, die ihr Versagen erkennen und bereuen, »jren vorigen stand/ wie an Manasse zu sehen«, wieder erreichen. Allgemein zur Lehre von der Lebensorientierung durch die Historia angesichts der Unbeständigkeit der Welt Landfester: Historia Magistra Vitae, S. 155. Lauterbeck: Regentenbuch, S. 246r. Zur Unterscheidung zwischen induktivem und illustrativem Exempelgebrauch Moos: Geschichte als Topik, passim, bes. S. 113-134. Zum Verhältnis von Geschichtein) und Ethik im 16. Jahrhundert vgl. Brückner: Historien und Historie, S. 52.

61 die Hermeneutik der Exempelinterpretation, die einen Blick unter die sprachliche und inhaltliche Oberfläche ermöglichen soll.155 Damit verselbständigt sich die Prudentia gegenüber den moralischen Tugenden - ein Vorgang, der mit dem Prozeß zusammenfällt, in dem sich die Politik von der Ethik löst. Nach Lauterbeck gewinnen die »Historien« durch die Anschaulichkeit ihre besondere rhetorische Schlagkraft. Sie haben viel mehr krafft/ die Leute zu bewegen/ denn schlechte wort/ so ernst sie auch jmmer seyn können/ vnd von den Philosophen her kommen/ Also/ daß dieselben Gebot mit der Historien keines weges zu vergleichen seyn/ Sondern jres nutzes Halben/ den Gebotten weit vorgezogen werden/ Dieweil sie reicher vnd viel gewaltiger einem eine sache erklären/ vnd für die äugen stellen/ wenn sichs zutregt das etwa ein schwere handlung für feilet/ was darinne zu thun/ oder zulassen/ vnd wie man sich für vntugend hüten/ vnd nach Tilgend streben sol.156

Mit der Gegenüberstellung von suasiv wirkungsmächtigen Exempla und überzeugungsschwachen philosophischen Praecepta aktiviert Lauterbeck eine seit der Antike stabile Konstellation. 157 Dem Konzept der Anschaulichkeit liegt die anthropologische Voraussetzung zugrunde, daß die affektbestimmte, d. h. willkürliche und >unordentliche< menschliche Natur sich eher durch einen Appell an die sinnliche Wahrnehmung als durch einen solchen an die Vernunft beeinflussen läßt. Garzoni (zuerst 1585) hebt in seinen Ausführungen über den »Nutz der Historien im gantzen menschlichen Leben« die Überzeugungskraft der sinnfälligen Darstellung hervor. Die Historien »stellen vns die Bildnussen der Alten/ wie ein Gemähidt/ für die Augen/ drucken sie/ wie ein Bild in das Hertz/ vnnd eröffenen vns auch jhre Gemühter/ jhre Sitten/ jhre Thaten/ beneben jren Gedancken vnd Anschlägen.« 158 Zu dem Bildvergleich greift auch Zwinger, der die Exempla unter dem Wirkungsaspekt in die Nähe der Emblemata rückt: »Denn die Exempla sind wie gewisse Bilder und Emblemata, die zuerst allen in die Sinne fallen und hernach auch in die Seelen eindringen: und was Simonides von der Dichtung sagte, das können wir mit weitaus größerem Recht von unserem Theatrum versichern, daß es nämlich ein

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Gleichwohl setzt sich die Tradition des landesfürstlich orientierten christlichen Fürstenspiegels im ganzen 17. Jahrhundert fort. Doch kann sie unter den Verdacht der Simplification geraten, wo sie sich den politischen Anforderungen verschließt, auf die die (polemisch bekämpften) Staatsräson-Lehren reagieren. Beispiele für das 17. Jahrhundert: Textor: Obrigkeit- vnd Richter-Spiegel (1617) - allerdings eine Sammlung aus älteren Texten; Heinrich Bessel: König Davids hochrühmliche Herrsch- und RegierungsKunst in dem CI. Psalm beschrieben (1670); Fritsch: Heller Spiegel eines frommen und christlichen Regentens (1683). Vgl. dazu Dreitzel: Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft, Bd. II, S. 472. Lauterbeck: Regentenbuch, S.243 r -243 v . Nachweise aus der römischen Rhetorik, Historiographie und Philosophie bei Nadel: Philosophy of history before historicism, S. 297f.; Moos: Geschichte als Topik, S. 178 mit Anm. 421. Garzoni: Piazza vniversale, S. 278.

62 sprechendes Gemälde ist.«159 Das Heroische, insofern es (wie im Eingangszitat aus Lauterbecks »Erinnerung«) exemplarisch wirken soll, muß also ebenfalls als rhetorisches Instrument betrachtet werden. Im Hinblick auf die Persuasionsabsicht zielt es auf die menschliche Anfälligkeit für das Anschauliche. Umgekehrt gipfeln die auf exemplarische Vorbildlichkeit und Anschaulichkeit ausgerichteten Exempla im Heroischen oder streben sogar darauf zu. Die Exempelliteratur hält eine Reihe von stereotypen Argumentationen und »Historien« bereit, die den Effekt der Tügendbeispiele demonstrieren sollen. In ihrem Mittelpunkt steht der von Lauterbeck beschworene Ruhmeseifer auf den Spuren vorangegangener Helden. Das Gewicht, das dem Ruhm-Ehre-Komplex zufällt, der seinerseits als Locus communis gehandhabt wird, weist auf die rhetorische Qualifikation des Fürsten, die auf politisches Handeln als paradigmatische Repräsentation von Tugendgröße zielt. Die Darstellungen des psychologischen Ehre-Mechanismus beschreiben und inszenieren selbst vorbildlich die Wirkungsweise exemplarischer Anschaulichkeit. In der Ethik ist das Streben nach ewigem Lob und großem Namen in der lügend der Magnanimitas verankert, die durch den Gegenstand der Ehre definiert wird.160 Die Vorbildwirkung heroischer Exempla wird mit Vorliebe im Zusammenhang mit der Ehrliebe behandelt.161 Zusätzlich kommt für die Verbindung zwischen dem großherzigen Bemühen um Ruhm und der Nachahmung von Exempla der Affekt der Aemulatio ins Spiel - der »Herrliche[n] mißgunst«,162 des »lieblichen Ehrgeitz[es]«, »mit lügenden vnnd herrlichen Thaten den tapfern Helden (welcher Ehr vnd Lob von den Scribenten so hoch gerühmet wird) wollen gleich zu seyn«,163 des »Nacheifers«, der darauf zielt, »so viel als ein andrer zu seyn an Geschiklichkeit und glükk«. Zwar gilt die Aemulatio meist als nur auf das eigene Ansehen bezogen. Doch gerät sie durch die enge Nachbarschaft zum Neid, der »Schmertz und Verdruß über eines andern Wohlstand in uns erzeuget«,164 leicht ins Zwielicht und wird von manchen Autoren als gefährlich zurückgewiesen, da sie in der Lage sei, die politische Ordnung zu desta159

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Zwinger: Theatrvm vitae hvmanae, Praefatio, S. 18: »Sunt enim exempla tanquam picturae & emblemata quaedam, quae in sensus omnium primùm incurrunt, deinde etiam in ánimos illabunt: quodque de Poesi Simonides dixit, illud nos longè uerius de Theatro nostro asserere possumus, esse scilicet Picturam loquentem.« Zur Magnanimitas vgl. Welzig: Magnanimitas. Zu einem Zentralbegriff der deutschen Barockliteratur; Habersetzer: Politische Typologie und dramatisches Exemplum, S. 60-70; Werle: El Héroe, S. 3 4 - 5 1 . Vgl. Saavedra Fajardo: Ein Abriss Eines Christlich-Politischen Printzens (1655), S. 554f. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 103. Zur Aemulatio vgl. Werle: El Héroe, S. 138-144; für den jesuitischen Bereich: Barner, S. 341-343. Anonym: Fürstliche Lection oder kurtze Vnterrichtung von den notwendigen Tilgenden/ daß ein Fürst sein Land vnd Leut wol vnd glückselig regiere (1625), S. 23f. Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 55.

63 bilisieren.165 Ganz und gar fällt sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts bei Thomasius als eine der »Bastard-Tugenden« in Mißkredit, bei denen es sich tatsächlich um verschleierten Neid handelt - bezeichnenderweise in einem Zusammenhang, in dem sich überhaupt die Verbindung von Heroismus, Ethik und Politik auflöst.166 Positiv erscheint die Aemulatio als - politisch nutzbarer - Konkurrenzmechanismus, der Ehrliebe und Großherzigkeit antreibt: »Also sehen wir/ daß die jenigen zu besagten Eifer geneigt sind/ welche großmütig/ behertzt/ und nach hohen Ehren streben«.167 Der Wettstreit um den höchsten Ruhm kann nicht nur den individuellen, sondern auch den nationalen Weg zur Größe darstellen.168 Auf das Modell der Aemulation historischheroischer Exempla als Begründung für eine nationale Geschichtsschreibung greift im 18. Jahrhundert - wenn auch in anderem ideengeschichtlichem Umfeld - Bodmer noch selbstverständlich zurück: »Dann wann ein solches Portrait schön und vollkommen gemachet ist, worinn ein Vornehmer Mann entworffen wird, der durchleuchte Proben seiner Liebe zur Republique gegeben hat [...], wann ich dergleichen hohen Thaten, deren bloße Erzehlung ein Panegyricus beschrieben hat, nachdenke, so erwecken sie mir eine rühmliche Aemulation, die mich anreget, dise hohe Exempel nachzufolgen.«169 Daß das Versprechen historiographischer Verewigung der Helden einen besonderen Anlaß zur Aufwertung der Geschichtsschreibung und zur Heroisierung des Geschichtsschreibers bietet, sei an dieser Stelle nur erwähnt. 165

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Vgl. etwa Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 233: »Ob schon etliche Politische Schreiber die aemulation und den Neidt der lügenden/ zwischen den Ministeren eines gemeinen Standts vor gut halten/ So lehret doch die Erfahrenheit das contrarium. Der Brandt des Ehrgeitzes/ und die Begehrligkeit sich über andere zu erheben/ treiben den Menschen ahn zum Betrug und zu verbottene Künsten/ die gegen Vernunft und Billigkeit Streiten«. Zu Feist Ulrich Metzger, in: Fürstenspiegel der Frühen Neuzeit, S. 470-478. - Vgl. auch Weyhe: Avlicvs politicvs, S. 115. Thomasius: Ausübung der Sittenlehre, S. 442-444,132; vgl. auch S. 226 zu Alexander dem Großen. De Refuge: Kluger Hofmann, S. 80. Vgl. auch Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 103f. Dort auch ein einschlägiges Exemplum: »die grosse Ehre welche Miltiades in dem obsigen der Persier erworben/ die hat deß Themistoclis gemüht also entzündet/ das was in jm lasterhafftig war/ dardurch verscharret worden«. Vgl. die Begründung für das Interesse an fremden Völkern bei Francisci: Neupolirter Geschieht- Kunst- und Sitten-Spiegel ausländischer Völcker (1670), Vorrede (unpaginiert): »Nimm weg alle Kundschafft fremder Sitten: die Sittsamkeit selbst wird gewißlich/ bey uns/ nicht gar lang eine Landsassin bleiben. Gegen-Eiver nährt die Glut der Geschicklichkeit/ und ein Neben-Läuffer frischet dir den Fuß an/ daß er/ im Wette-lauffen/ nicht ermüde. Ob einer hinter oder vor mir sey/ kan mich beydes treiben/ daß ich nicht der letzte werde. Der Schütz/ welcher niemals einen andren hat sehen anschlagen/ mag selber schwerlich in das Schwartze treffen. Kurtz/ was uns fehlt/ das sehen wir nicht allein/ an uns; sondern auch/ an andren.« Bodmer: Vom Wert der Schweizergeschichte (1721), in: Das geistige Zürich im 18. Jahrhundert, S. 59.

64 Das Zusammenspiel von Magnanimitas und ehrgeiziger Nachahmung heroischer Exempla beschreibt die intendierte Wirkungsweise exemplarischer Größenbilder als »incitamenta virtutis«. Stereotyp wird es an einer Reihe immer wiederkehrender Andekdoten verdeutlicht. Zu den häufigsten gehört eine auf Plutarch zurückgehende Erzählung: »Als Cäsar deß Alexandri Geschichten in einem Tempel gemahlt gesehen/ hat er geseufftzt/ daß er in seinem Alter als er die Welt überwunden/ noch keine löbliche Heldenthat vollbracht hatte.«170 Das Beispiel - es richtet sich auf die Funktionsweise der Exempla selbst - verdeutlicht, daß der Gegenstand monumental-exemplarischer Didaktik die historische Größe ist. Der verpflichtende Anspruch der Exempla wird am handgreiflichsten, wo dem Fürsten nach dem Muster der römischen Exempla maiorum171 die eigenen Vorfahren als historische Beispiele vor Augen treten. Als Begründung für die besondere Affinität des Adels zum Heroischen und für seine spezielle Verpflichtung zu Großtaten dient stereotyp der Hinweis auf die Vorfahren, die über die Aemulatio zu eigenen Tugendhandlungen anstacheln sollen.172 Lauterbeck operiert allerdings nicht mit diesem Argument. Mehrfach zieht hingegen Johannes Lauterbach in seinem Princeps Chrìstianvs vel simvlacrvm Saxonicvm (1597) die Ahnenreihe des Adressaten, Kurfürst Christians II. von Sachsen, als Arsenal von Exempla mit verbindender Wirkung heran. Es gehört zum Konzept dieses Fürstenspiegels, daß er eine panegyrische Darstellung des sächsischen Fürstenhauses als Tugend- und Herrschaftslehre für den Fürsten präsentiert. Im Zusammenhang einer Ermahnung zur Überantwortung der menschlichen Pläne an Gott schreibt der Verfasser: Halte dir den Lebenslauf deines Großvaters August vor Augen. Dieser blieb, von den Machenschaften und dem Unrecht der Bösewichter bedrängt, stets fest und unbeweglich, während Gott über sein Heil und seine Würde wachte. Endlich hatte er alle Schwierigkeiten überwunden, verbreitete bei den Feinden Schrecken, er170

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D e Refuge: Kluger Hofmann, S. 379 (aus Harsdörffers Zusätzen). Das Beispiel fußt auf Plutarch: Parallelbiographien, Cäsar 11. Man findet es z.B. auch bei Garzoni: Piazza vniversale, S. 133; Lipsius: Mónita et Exempla, S. 209f.; Richter: Axiomata oeconomica, S. 214£; Pierre de La Noue: Le lict d'honnevr, S. 19-21; Löhneyss: Hof- Staats- und Regierkunst, S. 28; 50; Lohenstein: Lorentz Gratians staats-kluger catholischer Ferdinand, Zuschrifft, A 4 . Zur exemplarischen Funktion von Familiengeschichten im antiken Rom mit weiterer Literatur Moos: Geschichte als Topik, S. 69-80. Zum Exempelgebrauch bei den Römern als Vorbild vgl. Lorichius: Ein Nützliches vnd sehr notwendiges Tractätlin, S. 193. Danach ließen die Römer bei Gastmälera »feine Historias, vnd Tugendhafftige begangene Thaten/ mit wolgezierten Versen vnnd Poetischen Bossen verblümet/ singen vnnd pfeiffen/ daß die Kinder vnd Jugend dardurch erinnert/ gereitzt vnd bewegt würde/ nachzufolgen/ vnd zuthun T\igendhafftige vnnd Männliche Werck.« Zu den Römern selbst als heroischen Tügendexempla Lauterbeck, Regentenbuch, S. 109v: »wir solten vns billich die Exempel der alten Römer für die äugen stellen/ auff daß wir lernen mögen/ was es für ein edel vnnd tapffer ding sey/ sich seiner Mannheit zugebrauchen/ vnd nicht allein mit listen vmbzugehen.« Vgl. Weber: Prudentia gubernatoria, S. 175-177.

65 langte bei den Nachbarn und im Ausland Bewunderung, der Nachwelt hingegen hinterließ er ein leuchtendes Zeugnis himmlischen Schutzes.173

Auch im 17. Jahrhundert gehört dieser Zusammenhang zum Standardvorrat an Argumenten in Handbüchern zur Fürstenerziehung und in der Hofmannsliteratur, wobei ich zunächst von der jeweiligen Funktion absehe. Diejenigen, wie Faret erläutert, »derer Vorfahren sich durch denckwürdige Thaten berühmt gemacht/ befinden sich etlicher massen verbunden/ den Weg/ so ihnen allbereit geöffnet ist/ zu wandeln«. Speziell die adligen »HausExempel« seien eine Ermahnung zur Tugend, weshalb »keine stärckere und mächtigere Anreitzung/ die gute Gunst und Wolgewogenheiten der jenigen/ welchen wir gefallen wollen/ alsobald zu gewinnen/ als die gute Geburt sey«.174 Saavedra Fajardo untermauert mit Exempla seine Bemerkung, es gebühre »dem Fürsten/ gleichsam eine wette/ vnd einen ehrenstreit/ mit seinen Voreiteren anzustellen«.175 Ebenso sollen nach Feist (1660) die Fürsten »die tapfere Thaten und Tugenden ihrer Voreiteren/ nit allein vor Augen haben/ sonderen denen auch nachfolgen« und »sich spiegelen in dem löblichen Leben der jenigen/ die vor ihnen daß Regiment geführt haben/ und sehen ob es mit ihrem Leben überein kommet.«176 Lohenstein schließlich betont 1679 in seiner Lobrede auf den letzten Piastenherzog Georg Wilhelm, in der er auch die römische Ahnenverehrung als Vorbild erscheinen läßt: »Die Begierde nach dem väterlichen Ruhme ist ein Oel in den feurigen/ die Furcht der Schande ein Sporn in den kalten Gemütern: Daß sie ihren Ahnen sich zu vergleichen bemühen.«177 Die Ahnenreihe ist so in der Memoria des Fürsten als »vollkommener Bilder-Saal« präsent und pädagogisch wirksam. »Seine zarte Seele aber [war] das Wachs/ oder der Gips/ darein ihre vortreffliche Thaten/ theils durch derselben offtere Nachthuung/ theils durch einen beständigen Vorsatz Jhnen gleich zu werden/ oder noch vorzukommen/ gedrückt waren.«178 Auch für Dynastiegeschichten wie Sigmund von Birkens Königlich- auch chur- und fürstlich-sächsischen Helden-Saal dürfte der Zu-

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Lauterbach: Princeps Christianvs vel simvlacvm Saxonicvm, S. 72t: »Propone tibi aui tui Augusti curriculum, is improborum conatibus & iniurijs oppugnatus, DEO pro eius salute & dignitate excubante, semper firmus & immobilis permansit, ac difficultatibus omnibus tandem superatis, hostibus terrori, finitimis & exteris fuit admirationi, posterie vero documentimi tutelae coelestis reliquit illustre.« Zu den Exempla maiorum auch S. 19-21; 40; 126; 160. Zu Lauterbach vgl. Singer: Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation, S. 141-143. Vgl. auch Malvenda: Spiegel eines christlichen Fürsten, S. 147. Faret: L'honneste Homme, S. 6. Zum Vorrang des Geburtsadels vor dem verliehenen Adel aufgrund der Vorfahrenreihe Löhneyss: Hof- Staats und Regierkunst, S. 80. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 165. Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 264£ Lohenstein: Lob-Schrifft, B7V. Lohenstein: Lob-Schrifft, B8V.

66 sammenhang von adhortativem (oder auch dehortativem) Exemplum, Magnanimitas und Aemulatio wenigstens programmatisch eine Rolle spielen. Ich kehre noch einmal zum Regentenbuch zurück. Verharrt Lauterbecks Größenentwurf, wie es ja scheinen könnte, in der Aneignung und Reproduktion autoritativer Muster? Manche Indizien sprechen im Gegenteil für eine Dynamisierung, die von neuen politischen Anforderungen angetrieben wird. Denn das Regentenbuch zielt auf die umfassende Kontrolle des fürstlichen Wohlverhaltens, wenn auch noch im Rahmen des christlichen Fürstenspiegelprogramms. Spuren einer konsequenten Funktionalisierung der Rhetorik im Dienst einer als Herrschaftstechnik verstandenen Politik finden sich zwar noch nicht. Dafür scheint bezeichnend, daß Lauterbeck den Komplex des Stils (der Grazie) übergeht, dessen politischen Wert vor allem die italienische Renaissance entdeckt hatte.179 Doch die Anlage des Buchs macht den Anspruch auf die Verfügung über die Menge der möglichen Einzelfälle geltend. Zwar - Lauterbeck schließt sich in seiner »Erinnerung« der Vorstellung von der Geschichte als göttlicher Offenbarung an.180 Die Lektüre der Exempla wird deshalb selbst zum Gebot Gottes. Sein Wille ist es, »daß wir auff die Exempel der straff sollen achtung geben/ vnd in betracht derselbigen/ auff vnser leben achtung haben/ vnd dasselbige zur mässigkeit vnd warer anruffung Gottes richten/ vnd vns täglich darinne vben.«181 Die Ordnung der Geschichte ergibt sich aber im Regentenbuch nicht aus der Zufälligkeit der Ereignisse, sondern aus dem rhetorischen Einsatz und dem Arrangement der Exempla. Der darin liegende Verfügungsanspruch läßt sich an der enzyklopädischen Tendenz und der differenzierten Disposition des Exempelmaterials ablesen, aber auch an der Vermehrung des Volumens wenigstens von der zweiten bis zur fünften Auflage. Die dritte Auflage (1559) meldet, das Werk sei »mit etlichen Capiteln gebessert vnd gemehret«, die fünfte, es sei »durchaus an vielen örtern Corrigiert/ Gemehret/ vnd Gebessert.«182 Im auf Vollständigkeit bedachten Sammeln und topischen Ordnen einzelfallbezogener und autoritativ einsetzbarer Exempla liegt der Gestus der Kontrolle und Reduktion empirischer Komplexität auf 179 18(1

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Dazu unten 3.2.3. Lauterbeck: Regenbuch, S. 81v: »Allhier muß ich auch anzeigen etliche Historische vnd warhafftige schöne Exempel/ [...] von etlichen Regenten/ welche Gott der Allmächtige on zweiffei sonderlich darzu erweckt hat/ damit andere daran ein Spiegel haben möchten/ sich in gleichen fällen/ darnach zurichten«. Zur Offenbarung Gottes in der Geschichte bei Johann von Salisbury vgl. Moos: Geschichte als Topik, S. 11. Lauterbeck: Regentenbuch, S. 103v. Vgl. auch S. 35v. Zitiert nach den Titelblatttranskriptionen bei Singer: Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation, S. 107f. Singer gibt weiter einerseits an, daß »das Werk ab 5 in konstanter Bestückung erscheint« (S. 106) und bemerkt andererseits, es sei »ein unerschöpflicher, mit jeder neuen Aufl. bedeutend vermehrter Sentenzen- u. Exempelschatz.«

67 die von Gott geoffenbarte Wahrheit. Indirekt ist davon auch das fürstliche Größenbild betroffen, in das auf der einen Seite auf längere Sicht dispositorische Kompetenzen eingehen und das auf der anderen selbst als rhetorisches Instrument disponibel wird. Daß sich dabei die Struktur der Exempla wandeln kann, wird sich im folgenden Kapitel wenigstens andeuten. Für den zweiten Aspekt - den der rhetorisch-psychologischen Funktionalisierung heroischer Exempla - nenne ich anhand eines Beispiels Entwicklungslinien in das 17. Jahrhundert. Es wurde schon klar, daß den Autoren der Barockzeit dasselbe, im wesentlichen aus der Antike überkommene Arsenal an stereotypen Theoremen zur Unverzichtbarkeit der »Historien« im Rahmen der Fürstenausbildung und zur rhetorischen Funktion monumentaler Exempla zur Verfügung steht, auf das sich auch Lauterbeck stützt. Dieser Vorrat enthält neben der Lehre, daß sich der Fürst als Adept an den bewährten heroischen Exempla zu orientieren habe, auch die Vorstellung von dem Exemplum, das er selbst dem Volk gibt. Nicht erst in der literarischen Überlieferung, sondern schon als Regent verwandelt er sich auf diese Weise in ein lebendiges Paradigma. Unter funktionalen Aspekten muß deshalb der Begriff des Exemplarischen, zumal mit Blick auf die Anschaulichkeitsorientierung der Barockzeit, auf das Nichtliterarische ausgeweitet werden. Lauterbeck fordert vom Fürsten eine gelehrte Bildung, damit »die Vnterthanen ein Exempel/ daruon zu nemmen hetten/ jre Kinder auch zu guten Künsten vnd Tugenden zuhalten. Fürnemlich aber/ damit er möcht in seiner Regierung/ andern deste weißlicher fürgehen/ dergleichen für sich selbst ein fein massig/ tugendhafft sitig vnd Gottselig leben führen/ Denn sich gewöhnlich die Vnterthanen/ nach jren Herren vnd Oberkeit pflegen zurichten«.183 Lorichius erwartet, daß Fürsten und Adlige »vor andern Leuten vnbefleckter vnd heiliger Leben führen«, weil »ander geringer Leut Sünde nicht so schädlich/ groß/ vnd ärgerlich gehalten werden/ als grosse Herren Sünde vnnd Schande/ welche weit erschällen/ vnd außgebreit werden/ vnnd auff sie alle Augen der Vntersassen gerichtet sind/ vnd von jnen Exempel nemmen.«184 Lauterbeck wie Lorichius stellen die Higendkonstitution des Fürsten in den Mittelpunkt, die mit dem Begriff des >guten< Regiments im wesentlichen zusammenfällt. Hingegen unterliegt in den Staatsräson-Lehren des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts die Lehre vom Fürsten als heroischem Exemplum dem Zugriff des politischen Kalküls. Die Tügendexempla stehen nicht mehr nur im Dienst einer allgemeinverbindlichen Ethik, sondern können als Instrumente zur Durchsetzung politischer Interessen funktionalisiert werden, vorrangig mit dem Ziel der Stabilisierung von Staat und Herrschaft. Wie Saavedra Fajardo lehrt, schadet der Mangel an lügenden dem Ansehen der 183 184

Lauterbeck: Regentenbuch, S. 41r. Lorichius: Ein Nützliches vnd sehr notwendiges Tractätlin, S. 53.

68 Gesetze und führt zu Erscheinungen des Staatsverfalls, nämlich zur Freiheitsliebe, zum Haß auf die Herrschaft und endlich zur Gefährdung der fürstlichen Regierung. »Derowegen ist vonnöhten/ das sie [die Fürsten] tugendtsame bedienten haben/ die jhnen mit eyfer vnd frombheit mit raht beyspringen/ welche dan auch mit jhrem Exempel vnd ansehen die tugendt in der gemeine einführen vnd erhalten.«185 Der Fürst als Exemplum wird auf diese Weise zum Integrationspunkt einer umfassenden Herrschaftspsychologie, die sich auf die Wirkungsmacht der Anschaulichkeit stützt. Die >exemplarische< rhetorische Steuerung zielt letztlich auf die rationalisierende Kontrolle über die Unzuverlässigkeit der Affekte. Der Exempelgebrauch dient daher nicht einzelfallbezogener Problemlösung, sondern wird zur Technik staatserhaltender Kontingenzkontrolle. Daß Saavedra Fajardo die Wirkung der Ahnenreihe mit dem psychologisch kalkulierten, verpflichtenden und zu staatsdienlichen Heldentaten anregenden Verteilen von Ehrungen durch den Fürsten gleichsetzt, deutet in dieselbe Richtung: »Nit minder werden die Edle gemütter/ von jhrer vorältern rühmlichen tahten obgemüntert zu was tapfers/ als von denen ehren/ welche sie von denen Königen empfangen haben/ vnd noch hoffen.« 186 Ähnliche Hinweise findet man bei Giovanni Botero und Michael Kreps.187 Wohl in diesem Zusammenhang kann sich - wiederum bei Saavedra Fajardo - ein Bewußtsein vom Dissimulationscharakter literarischer Exempla und von ihrer um so effektiveren suasiven Potenz in den Vordergrund drängen. Der Verfasser beschließt seine Ausführungen über die exemplarische Tugenderziehung des Fürsten: Derowegen nachdem die laster deß hoffs werden (so viel als möglich ist) fein gebessert worden/ vnd die art vnd Zuneigung eines Fürsten wol erkandt/ so wollen die lehrmeister vnd Praeceptores solche also mäßigen das sie zu denen dingen die da tapffer vnd tugendreich sein sich anfangen zu begeben/ vnd verdeckter weiß in dessen gemüht den Saamen deß ruhms vnnd der tugendt außsehen/ auff das wan sie dermahl eins werden auffgehen/ man nit woll könne vrtheilen/ ob solche von der natur oder von der kunst herrühren. 188 185 186

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Saavedra Fajardo: Ein Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 489. Saavedra Fajardo: Ein Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 555. Beachtenswert ist auch das Vertrauen, das Saavedra Fajardo in das politisch-psychologische Lenkungsvermögen des fürstlichen Exempels setzt (Abris, 1676, S. 139): »wir lassen vns von den Fürsten auff jedweder seite lencken/ vnnd seind den Rädern/ welche Ezechiel in seinem Prophetischen gesicht gesehen/ nit viel vngleich/ welche nach der bewegung der Cherubinen sich rüsteten/ vnnd auffs genaweste nachfolgeten.« Vgl. auch ebd., S. 351. Botero: Gründtlicher Bericht/ von Anordnung guter Policeyen und Regiments, S. 304 v -306 v , wo der Verfasser im Rahmen von Ausführungen über den motivierenden Effekt immaterieller Belohnungen auch den Nutzen der Geschichtsschreibung des Fürsten und seiner bewährten Bediensteten preist. - Kreps: Teutsche Politick, S. 83-85, fordert den Fürsten zu vorbildlicher Tugendhaftigkeit auf und schließt: »Deßwegen wo ein Herr gute vnd dapffere Vnterthanen haben will/ soll er vornemblich sorg tragen/ was gestalt er dieselbe tugenthafft mache/ dann solche vor andern sich gern regieren lassen.« Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 221

69 In dem Maß, in dem das exemplarische Wirkungspotential des Fürsten zum politischen Instrument wird, entwickelt sich eine Kunst der Repräsentation fürstlicher Größe, ja, es erweist sich als notwendig, das Phänomen der heroischen Größe zwar nicht >kritisch< zu untersuchen, aber topisch verfügbar zu machen. Die Theorie des Exemplums berührt sich an dieser Stelle mit jenen Komplexen, die in den Politiken unter den Stichworten Reputation, Auctoritas und Maiestas behandelt werden. Ein weiterer Begriff des Exemplums müßte deshalb auch den gesamten Komplex der Repräsentation unter dem Aspekt der Anschaulichkeit einbeziehen. Das Prinzip der psychologischen Kontrolle durch Anschaulichkeit liegt jedenfalls auch der Begründung zugrunde, die Lünig für das Zeremonialwesen liefert. In seiner Formulierung erkennt man die Differenz zwischen der Ohnmacht der Praecepta und der Effektivität der Exempla wieder. Danach sind »die meisten Menschen, vornehmlich aber der Pöbel, [...] von solcher Beschaffenheit, daß bey ihnen die sinnliche Empfind- und Einbildung mehr, als Witz und Verstand vermögen, und sie daher durch solche Dinge, welche die Sinnen kützeln und in die Augen fallen, mehr, als durch die bündig- und deutlichsten Motiven commoviret werden.«189 Ebenso sind bildliche Darstellungen in diesem Sinn als exemplarisch zu bewerten. In der Gesamttendenz liefert zunehmend der Staat die Legitimationsgrundlage für politisches Handeln. Die Tugendlehre kann, rhetorisch und ästhetisch vermittelt, zum Instrument werden, das der Begründung und Konservierung von politischer Stabilität und Interessenpolitik dient. Unter den Auspizien moderner Staatlichkeit und Politik setzt eine Bewegung ein, mit der schließlich das Politisch-Heroische die Aura des Numinosen verlieren und sich in eine Technik politisch-psychologischer Komplexitätsreduktion verwandeln wird. Die Verselbständigung der politischen Klugheit hat also ihr Gegenstück in der Funktionalisierung heroischer Tügendexempla. 1.2.2 Geschichte als politische Lehrmeisterin: Johann Heinrich Boeclers Historia schola principum 1640 veröffentlichte Johann Heinrich Boeder in Straßburg den Traktat Historia schola principum}90 Mit dem Titel greift der Verfasser ebenfalls die Empfehlungen auf, denen zufolge die Historia einen Kernpunkt der Fürstenausbildung darstellen sollte. Doch spielen bei ihm heroische Vorbilder als Weg zu eigener Tligendgröße keine Rolle; heroische Größe taucht in seiner 189 190

Lünig: Theatrum ceremoniale, S. 5. Von mir benutzte Ausgabe: Boeder: Historia universalis [...]. Praemittitur ejusdem historia principum schola, itemque dissertatici de utilitate ex historia universali capienda, Straßburg 1680. Zu Boeder vgl. Etter: Tacitus in der Geistesgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts, S. 160t Zu Boeder als Rhetoriker Barner: Barockrhetorik, S. 414f. Zu politischen Aspekten Weber, Prudentia gubernatoria, S. 94£

70 Abhandlung nicht auf. Zwar hält auch er an der Vorstellung von der Geschichte als Offenbarung Gottes fest.191 Dieses Theorem liefert aber nur einen allgemeinen Rahmen, nicht das methodische Muster für die Aneignung der Exempla. Der Verfasser, der zum Kreis der Straßburger Tacitisten gehörte, beschäftigt sich stattdessen mit dem Thema aus der Perspektive der politischen Klugheitslehre. Dem weiteren Umfeld, dem Boeclers Schrift entstammt, hat Kühlmann unter den Aspekten der stilistischen Neuorientierung (an Tacitus), der politischen Programmatik und des gewandelten gelehrten Selbstverständnisses grundlegende Forschungen gewidmet.192 Im Aufbau folgt die Abhandlung Ciceros Aufgliederung der Prudentia in ein retrospektives, diagnostisches und prognostisches Vermögen (Memoria, Intelligentia, Providentia).193 Die Historia gewinnt ihre Bedeutung für die Ausbildung des Fürsten als Vermittlungsinstanz politisch-technischer Fertigkeiten. Die Abhandlung berührt sich mit den Interessen der StaatsräsonLehren des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, mit denen sie auch eine antimachiavellistische Programmatik teilt.194 Als jüngere Autorität für seinen Blick auf die Geschichte zitiert Boeder wiederholt Philippe de Comynes. Ihm zufolge sind die »Historien« dem Fürsten notwendig, weil sie zeigen, »wie vil ding zum offtermal in diesen [politischen] Gesprechen mit list vnd auffsatz fürgenommen werden/ vnd in was grosse vnd schwere bitterkeiten vnd gefahr etwan vil menschen kommen seind/ darumb das sie jhren widerwertigen zu vil vertrawet haben.«195 Die Unterscheidung zwischen der Nachahmung der Exempla virtutis, wie sie bei Lauterbeck im Mittelpunkt steht, und dem exemplarischen Einüben politischer Klugheit, das Boeder dem Fürsten nahelegt, begründet keine fundamentalen Differenzierungsmöglichkeiten für die Gattung der Exempla oder die vom Leser verlangten Rezeptionsleistungen. Auch Lauterbeck er191

Vgl. Boeder: Dissertatio de politices Lipsianis, in: Dissertatio de politices Iusti Lipsii. Acceßit oratio de historia C. Cornelii Taciti, S. 65f.: Die »Theologiae scilicet grauioris, sanctiorisque Prudentiae regula«, so der Verfasser, »statim demonstrabit, fieri sane interdum, vt dolum, & vim aliquantisper successus comitetur, sed paulo post, vim ipsam, nequitiam ipsam irreparabili lapsu & horrendo ruere, regnisque ingentibus in ingentem perniciem consciscere. Ilia maiestatem sceptrorum potestatemque attollet ac venerabitur, sed vsque ad aras, & ita, vt eadem opera ad exemplum Altioris Maiestatis Minorem componat.«

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Zum Straßburger Umfeld Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat, S. 4 3 66; zur Stildiskussion um Cieronianismus und Tacitismus S. 189-266. Boeder: Historia universalis, S. 24. Boeder bezieht sich auf Cicero: D e inventione II, 53 (S. 147 b £). Vgl. Gilmore: Humanists and Jurists, S. 15. Boeder: Historia universalis, S. 62-67. Allgemein zum Verhältnis von Tacitus- und Machiavelli-Rezeption Etter: Tacitus in der Geistesgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts, S. 24f. u.ö. Comynes: Gründtliche Beschreibung allerlei wichtiger namhaffter Sachen vnnd Händel, S. 51; lateinische Version: Philippi Cominaei commentarii, in: Tres gallicarvm rervm scriptores nobilissimi, S. 24. Zu Comynes vgl. Gilmore: Humanists and Jurists, S. 38-60.

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71 wartet als erzieherischen Effekt die Einsicht des Fürsten in das situationsadäquate Verhalten. So wenig die Tugendexempla Lauterbecks (und anderer) die Prudentia ausschließen, so sehr bewegen sich die >prudentistischen< Exempla im Umfeld der Imitatio und des »incitamentum« passender Entscheidungen.196 Entsprechend kennt die zeitgenössische Exempeltheorie zwischen beiden Schwerpunkten keinen Unterschied. 197 Obwohl die Konzentration auf den Aspekt der politischen Klugheit Teil der umfassenden anthropologischen Einstellung des Fürsten auf neue politische Anforderungen ist, stellt sie im Vergleich mit Lauterbeck eine historische Verschiebung dar, die im taktischen Umgang mit dem psychagogischen Potential heroischer Anschaulichkeit schon angelegt ist und die dahinterstehende strategische Kompetenz betrifft. Daß eine Auseinanderentwicklung beider Aspekte, der repräsentierenden TUgenderscheinung und des dispositorischen Vermögens einsetzt, deutet sich allerdings nur aus dem historischen Rückblick an. Natürlich verwertet Boeder traditionelle Stereotypen über den Nutzen der Geschichte. Zu ihnen gehört die zu Polybios zurückführende Vorstellung von der Geschichte als Äquivalent politischer Erfahrung: »Daher kommt es, daß beim Lesen eine Art Urteilsvermögen für das Gegenwärtige und eine gewisse Erfahrenheit die fähigen Männer erfaßt«. 198 Dasselbe gilt z.B. für den Grundsatz, daß die Kürze des Lebens nicht genüge, um die für das Regierungsamt notwendigen Erfahrungen zu sammeln; Abhilfe schaffe hier allein das Studium der Geschichte. Mit diesem Argument ist jene oft wiederholte Wendung verwandt, derzufolge Geschichtskenntnisse Knaben zu Greisen, ihr Fehlen jedoch Greise zu Knaben machen. 199 Doch intensiviert Boeder die Ausbreitung der bekannten Vorzüge exemplarisch-historischer Lektüre; die Abhandlung als ganze wird zur Auseinandersetzung mit den spezifischen politischen Anforderungen der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. Das grundierende Motiv der Komplexitätsreduktion durch histori196

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Für die Imitatio als Basiseffekt der Exempla vgl. auch bei Moos: Geschichte als Topik, S. 67f., Anm. 164 die Ausführungen zum - anders gelagerten - Verhältnis von imitations- und beweisorientierten Exempla. Zu den Exempla virtutis und den auf die Klugheit bezogenen Exempla auch (mit abweichender Bewertung) Landfester: Historia Magistra Vitae, S. 133. Allgemein zur Vorstellung von den Exempla als Quelle der Lebensklugheit ebd., S. 165. Zu den Anforderungen an die Fürstentugenden bei Boeder vgl. etwa Historia universalis, S. 69; 8 9 - 9 1 ; 98. Boeder: Historia universalis, S. 67: »Hinc est, quod inter legendum quidam praesentiae sensus & experientiae, ánimos habiles pertentat«. Vgl. auch Kirchner: De officio et dignitate Cancellarli, S. 72. Zum Thema Nadel: Philosophy of history before historidsm, S. 295. Boeder: Historia universalis, S. 131 Comynes: Gründtliche Beschreibung allerlei wichtiger namhaffter Sachen vnnd Händel, S. 52; [Anonym:] Fürstliche Lection Oder Kurtze Vnterrichtung von den notwendigen Tilgenden/ daß ein Fürst sein Land vnd Leut wol vnd glückselig regiere, S. 23f. Chokier: Thesaurus Politicus, S. 329f.

72 sehe Exempla spitzt Boeder so zu, daß die Geschichte sich konsequent der politischen Praxis zuordnet und letztere gleichzeitig mit neuen Schwierigkeiten konfrontiert. Auf dem Gebiet der Prudentia sind, wie der Traktat darlegt, die Exempla einerseits gegenüber den Praecepta, andererseits gegenüber der praktischen Erfahrung im Vorteil. Während für die Abwertung der Praecepta deren Unzuständigkeit für die Kontingenz des Politischen den Ausschlag gibt, begründet Boeder die Distanzierung von der bloßen Praxis mit der empirischen Undurchschaubarkeit und Unübersichtlichkeit des Singulären. Für die vergleichende Beurteilung des Texts scheint wichtig, daß der zuletzt genannte Gesichtspunkt bei Lauterbeck noch fehlt. Die exemplarisch gelesene Historia siedelt sich für Boeder zwischen dem Konkreten und den allgemeinen Sätzen an, in jenem Mittelfeld, dem die Prudentia zugeordnet ist. Boeder erklärt allgemeine Regeln auf dem Gebiet der Prudentia für unzureichend: »Eine wahre und echte Unterweisung in der Klugheit mit größerem Erfolg verspricht die Historia; und was den Praecepta fehlt, das liefern effektvoll die Exempla.«200 Über die Kontroverse zwischen Praecepta und Exempla gewinnt er Anschluß an die >politische< Distanzierung von der Schulgelehrsamkeit. Der Traktat erweist sich unter diesem Aspekt als Teil der Bemühungen, gelehrtes Wissen für die Perspektive der Fürsten und Staatsdiener aufzuwerten bzw. die Gelehrten auf die Anforderungen von Hof und Politik einzustellen. Dem entsprechen Boeclers gelehrsamkeitskritische Bemerkungen. Nicht nur den Praecepta selbst, sondern auch den aus Praecepta und Exempla gemischten Schriften solle man den ersten Rang verweigern. Dazu zählen Unnützes und Nebelhaftes aus Italien und Frankreich, aber auch philosophische Werke von Cicero, Plutarch und Seneca: »Auch wenn sie bei der Bildung eines Urteils über die Gegenstände den größten Nutzen haben, erfassen sie doch das wahre Bild der Gegenstände und Handlungen selbst, ohne dessen Kenntnis hier nichts gelingt, langsamer und undeutlicher.«201 Boeder verzichtet darauf, die affektpsychologischen Vorzüge der Exempla zu betonen. Während für Lauterbeck die paradigmatische Verwirklichung von Tugendgröße und die Auswertung der Exempla nach dem Virtusvitium-Schema im Vordergrund standen, richtet sich Boeclers Hauptaugenmerk auf die Fähigkeit, das Funktionieren der politischen Einzelfälle zu 200

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Boeder: Historia universalis, S. 22: »Veram itaque & solidam prudentiae institutionem felicius & liberalius Historia profitetur: quodque praeeeptis deest, suggérant efficaciter exempla.« Boeder: Historia universalis, S. 21: »at vero sicut in judicio de rebus informando possunt plurimum, ita rerum actuumque ipsorum indolem, sine cuius cognitione nihil hic procedit, segnius & obscurius attingunt.« Zur Auseinandersetzung um die humanistische Schulgelehrsamkeit grundlegend: Kühlmann, Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat.

73 durchschauen. Das Singulare ist bei ihm nicht lediglich die Bedingung, unter der die Verwirklichung allgemeingültiger Werte möglich ist, sondern rückt selbst in den Mittelpunkt.202 Dazu führt er Aristoteles' Klugheitsdefinition mit der Lehre von den Beispielen zusammen. Die »doctrina civilis« könne nicht in »kurzen Büchlein« vermittelt werden, sondern betreffe die Dinge, die über keine ars verfügen und durch keine sicheren Grenzen umrissen werden können, wie Aristoteles vortrefflich schrieb (6. Eth. 5.), und sie umfaßt nicht nur das Allgemeine, auf das Lehrsätze angewendet werden können, wie es ja auch üblich ist, sondern ebenso die Kenntnis der Einzeldinge, zu der es weniger der Regeln bedarf als der Prüfung durch näheres Hinsehen. Wandelbar ist die Natur der menschlichen Handlungen, verborgen sind die G r ü n d e für richtige Ratschläge, fein die Beobachtung der Umstände, schwierig die Beurteilung der Ereignisse, mit Gefahr verbunden das Voraussehen dessen, was getan werden sollte: wenn man verlangt, durch Ars und Lehrsätze aus all diesen ungewissen Dingen gewisse zu machen, so tut man dies, um geradewegs zu rasen.203

Aristoteles zufolge handelt es sich bei der Klugheit weder um eine »Wissenschaft«, die deduktiv beweist, noch um eine »Kunst«, die handlungsanleitende allgemeine Regeln bereitstellt. Vielmehr gilt die Klugheit als diejenige Tügend, die zu vernunftgemäßen Urteilen und Handlungen in bezug auf das Nicht-Notwendige befähigt, auf »Dinge, die sich so und anders verhalten können.« Sie steuert demnach das praktische Erkennen und Handeln in der Ethik, Politik und Ökonomik. 204 Hingegen geht die Vorstellung von der Erkenntnis- und Überzeugungsleistung gerade der Exempla im Bereich der nichtsystematisierbaren Gegenstände, von der Induktion durch Beispiele, auf die antike Rhetorik zurück. Dies hat ausführlich Moos dargelegt, den ich hier referiere.205 Beispiele gelten in der klassischen Rhetorik als eines der »Beweismittel«, und zwar bei Aristoteles neben dem Enthymem, dem »rhetorischen Schlußverfahren«. Die Induktion durch das Paradeigma führt nicht, wie die logische, vom Einzelnen 202 Y g j allgemein Dreitzel: Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft, S. 565. 203 B o e d e r , Historia universalis, S. 18f: »Versatur enim proprie haec prudentia in iis, quae artem non habent, nullisque certis designali limitibus possunt, quod praeclare scripsit Aristoteles (6. Eth. 5.) neque generalia tantum, circa quae praecepta possunt & soient occupari, sed singulorum etiam notitiam complectitur (Id. 6,7) ad quae non tarn regulis, quam observationis cuiusdam propioris inspectione opus est. Variabilis est natura humanarum actionum, abstrusae rationes consiliorum, subtilis observatio circumstantiarum, difficile judicium factorum, peliculosa provisio faciendorum: quae omnia si tu artis & praeceptorum beneficio postules ex incertis certa facere, id agas, ut cum recta ratione insanias.« Vgl. auch B o e d e r : Dissertatio d e politices Lipsianis, in: Dissertatio de politices Iusti Lipsii. Acceßit Oratio de historia C. Cornelii Taciti, S. 41f. Z u r Klugheit in Verbindung mit der didaktischen Rolle der Exempla vgl. Landfester: Historia Magistra Vitae, S. 167. 204

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Aristoteles: Nikomachische Ethik, VI 5. In der Übersetzung von Gigon S. 235-237. Z u r Klugheitslehre bei Lipsius Abel: Stoizismus und Frühe Neuzeit, S. 82t D a s Folgende nach Moos: Historische Topik, S. 3 7 - 3 9 ; 188-193; vgl. auch Alewell: Ü b e r das rhetorische Paradeigma, vor allem S. 5 - 3 5 ; Rehermann: Das Predigtexempel bei protestantischen Theologen des 16. und 17. Jahrhunderts, S. 5£

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zum Ganzen, sondern im Analogieschluß von einem besonderen Fall zu einem anderen (vielleicht auch, als verkürztes Enthymem, implizit vom Einzelnen über das Ganze zum Einzelnen). Wenn die sich ähnelnden Teile »beide zu derselben Klasse gehören, das eine aber bekannter ist als das andere, dann handelt es sich um ein Beispiel.«206 Da das Beweisziel keine allgemeingültige Regel ist, gilt der exemplarische Beweis auch nur als »dem Induktionsbeweis ähnlich« und ist aus aristotelischer Perpektive rhetorisch effektvoller, philosophisch jedoch von geringerem Gewicht als die vollständige Induktion. Allerdings kennt Aristoteles neben dem induktiven auch einen eher illustrativen Gebrauch des Exemplums als »Schlußwort zu den Enthymemen«. Kriterien rhetorischer Durchschlagskraft der historischen Beispiele sind - neben Anschaulichkeit und Adäquatheit - Vertrautheit und Faktizität. Aristoteles bemerkt, es sei leichter, »mit Hilfe der [nur erdichteten] Fabeln zu argumentieren, wirksamer aber bei der beratenden Rede durch den Verweis auf historische Fakten; denn für gewöhnlich ist das, was geschehen soll, dem Geschehenen ähnlich.«207 Das auf den Einzelfall bezogene singulare und möglichst dem >heimischen< Erfahrungsbereich entstammende Exemplum kommt der rhetorischen Intention entgegen, Einverständnis im Bereich des nicht Beweisbaren, sondern nur Wahrscheinlichen zu erzielen. Diese induktive Funktion erklärt Moos für die primäre und grundlegende, die illustrative demgegenüber für abgeleitet und einschränkend. Die besondere kognitive und persuasive Valenz der Exempla liegt also darin, daß sie Erfahrungswissen bereithalten, das auf praktische und irreguläre Entscheidungssituationen angewendet werden kann. Boeder greift auf die rhetorische »Beispiel-Induktion« (Moos) als Verfahrensweise der politischen Philosophie (»de rebuspublicis philosophia«) zurück, die man nur »durch Beobachtung der Exempla in den Einzelheiten« betreiben könne.208 »Wenn man dergestalt genaue Beobachtung ins Werk gesetzt hat, dann gelingt in bezug auf das Gegenwärtige (denn als dergleichen gilt die Historia) die Anwendung auf die Taten selbst zum einen leicht, weil man die Ähnlichkeit durchschaut hat, und dann auch auf geeignete Weise, wegen der Vollkommenheit der Erkenntnis.«209 206 207

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Aristoteles: Rhetorik, 1357b; in der Übersetzung von Sieveke S. 16f. Aristoteles: Rhetorik, 1393a-1394a; in der Übersetzung von Sieveke S. 134-136. Zur rhetorischen Induktion auch Cicero: Topica X42; Quintilian: Institutio Oratoria V i l , 1 - 5 . Die von Moos nachgewiesenen Verschiebungen zwischen diesen Positionen können im gegenwärtigen Zusammenhang vernachlässigt werden. Zur changierenden Terminologie vor allem in bezug auf erdichtete Beispiele vgl. Moos: Geschichte als Topik, S. 48-60. Boeder: Historia universalis, S. 54f.: »Ceterum, ne de singulis jam artibus dicam, tota de rebuspublicis philosophia non potest exacte, nisi per obseruationem exemplorum in singulis, tractari.« Boeder: Historia universalis, S. 56: »Instituía igitur ad hunc modum obseruatione, in re praesenti (talis enim habetur Historia) applicatio ad ipsos actus, tum facile, ob similitudinem perspectam; tum dextre, ob perfectionem cognitionis, suscipitur.«

75 In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts begründet das Interesse an der einzelfallbezogenen Schulung der politischen Prudentia die Karriere der historischen Exempla nicht zuletzt in den tacitistischen politischen Lehrbüchern. Masse und Funktion der Exempla könnten als ein literarisches Unterscheidungsmerkmal zwischen den systematisch-aristotelischen und den an praktischen Entscheidungsfragen orientierten Politiken dienen. Johann Theodor Sprengers Kompilationen Bonvs princeps (1652) und Tacitus axiomaticus de principe, ministris, & bello (1658) bestehen im wesentlichen aus Beispielreihen; das letztgenannte Werk bietet hauptsächlich eine topische Auswertung von Tacitus' Annalen. In der Aufspaltung der Politik in einzelne Handlungskomplexe, die in kein systematisches Zuordnungsverhältnis zueinander gebracht werden, ähneln diese Bücher der Aphorismensammlung von Eberhard von Weyhe (Avlicvs politicvs, 1615).210 Gattungstheoretisch wäre zu überdenken, ob Zitate, Apophtegmata und Aphorismen nicht ebenfalls exempla-ähnliche Funktionen übernehmen, soweit sie nicht auf bloße Lehrsätze reduziert werden. Sprengers einzelne Themen (Religionspolitik, Erhebung von Abgaben, Kontrolle der Untertanen, Festungsfrage, Verhaltensmaßregeln für den Fürsten etc.) entsprechen den Interessenschwerpunkten der antimachiavellistischen Politiken.211 Der Verfasser verzichtet weitgehend auf differenzierte Erörterungen des jeweiligen Gegenstands und begnügt sich häufig mit knapp gehaltenen allgemeinen Empfehlungen, denen er die Exempla beigibt. Schon dadurch fällt den Beispielen ein erhebliches Eigengewicht als Quelle politischer Klugheit zu. Ihre Aufgabe erschöpft sich aber nicht darin, Belegmaterial für die politischen Ratschläge zu liefern oder allgemeingültige Gesetze lediglich zu bestätigen. Auch bei Sprenger findet sich die Formel von der Unzulänglichkeit politischer Regeln, wenngleich entschärft durch den Hinweis auf ihre Unverzichtbarkeit. Klassischer Gegenstand solcher Bedenken ist das Hofleben: »Vergeblich, so scheint es, wird man dem Hofmann Regeln der Sicherheit vorschreiben«, denn die Gnade des Fürsten hänge von unberechenbaren Faktoren ab wie der Übereinstimmung der »ingenia« von Fürst und Hofmann, den Folgen eines Wechsels im Fürstenamt und der Fortuna.212 Was den Abschluß von politischen Verträgen betrifft, macht Sprenger darauf aufmerksam, daß es unmöglich sei, alle Variablen zu berücksichtigen. Zwar könnten »nicht alle Umstände erwogen werden, da sie sich mit den Zeiten, den unterschiedlichen Geschäften, den vertragschließenden Personen, den Absichten der Verbündeten und dem Geist von Land und Volk nur allzu 210 211 212

Zu Weyhe und Sprenger vgl. Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat, S. 61f. Zur Machiavelli-Kritik vgl. Sprenger: Bonvs princeps, S. 2. Sprenger: Tacitus axiomaticus, S. 183: »Frustra videbuntur praescribi securitatis regulae aulico.« Vgl. auch ebd., S. 183-185, jedoch ebenfalls S. 186: »Haec, quidem quamvis vera sint, ideo tarnen aulae certas regulas non excludunt, quibus quis gratiam principis adipisci, illamque conservare potest.«

76 häufig ändern«. Gleichwohl sollen die Fürsten jeweils eine Reihe von Bedingungen beachten, nämlich Machtverhältnisse, nachbarschaftliche Nähe, Ähnlichkeit der Staatsformen, Volkscharakter und Glauben. 213 Die Exempla haben die Aufgabe, die Regeln in Hinblick auf die vielfältig konditionierte Komplexität politischer Vorgänge zu ergänzen und zu ersetzen. Auch die Kumulation von Beispielen bietet nicht nur eine Vermehrung des Stoffs, sondern darüber hinaus eine Multiplikation der Aspekte. Den Topos »De jactantia« (»Von der Prahlerei«) entfaltet Sprenger in einer Reihe von Einzelgesichtspunkten, die er jeweils mit Beispielen belegt bzw. die bereits exemplarisch formuliert werden: Der Beamte (»minister«) solle sich nicht selbst eine Leistung »zuschreiben, die nach dem gemeinen Gebrauch der Hofleute, die auch Zufälliges der fürstlichen Tugend beimessen, dem Fürsten zuzurechnen ist«;214 die Fürsten halten es für ungehörig, »wie Nero zu Seneca sagte, Ruhm aus dem zu erwerben, was dem Fürsten Schande bereitet [...], eine Ruhmredigkeit, die sie gewöhnlich als Verachtung der eigenen Person verstehen, so daß sie nicht einmal die Prahlerei ihrer nächsten Vertrauten ertragen können«;215 der Beamte sollte deshalb nicht den Eindruck der Selbstliebe erwecken;216 da die Fürsten niemand neben sich dulden können, soll der Beamte »sich nicht in solchen Dingen um Ruhm zu bemühen scheinen, wo der Fürst sein Vorrecht beansprucht«; er soll schließlich »den Fürsten nicht zu sehr verpflichten, wie viel er auch immer bei ihm gilt, damit ihn der Fürst nicht fürchte, denn wo Furcht ist, da ist auch Haß, und daraus folgt der Sturz«.217 In der topischen Struktur des Textes ordnen und interpretieren die Regeln die Vielfalt der historisch-exemplarisch vorgefundenen Aspekte. Sie erweisen sich geradezu als angewiesen auf eine differenzierende Kette von Exempla. Bei der Verzeichnung von Betrugs- und Ver-

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Sprenger: Tacitus axiomaticus, S. 102: »Adeoque juxta haec, cum circumstantiae omnes ponderali nequeant, cum juxta tempora, juxta diversitatem negotiorum, juxta persona[s?] contrahentium, juxta mentes foederatorum, juxta ingenium terrae, populique saepissimè varient, tarnen quoad potest, haec Principibus à Politicis inculcantur. 1. ut in omnibus foederibus considèrent 1. Potentiam. 2. Viciniam. 3. Similitudinem Politiae. 4. Ingenium populi. 5. Fidem.« Sprenger: Tacitus axiomaticus, S. 187: »Caveat minister sibi de jactantia, ne si quid boni fecit, id sibi attribuat, quod ad principem communi aulicorum more, qui etiam fortuita principe[i?]s in virtutem trahunt, referendum est.« Sprenger: Tacitus axiomaticus, S. 188£: »Non enim decorum putant, sicut Nero ad Senecam, inde sibi gloriam recipere, quod principi infamiam parat T.1.14. quam jactantiam vulgo in sui contemptum capiunt, ita ut nec proximorum jactantiam pati queant«. Sprenger: Tacitus axiomaticus, S. 189: »Melius itaque est, si minister non philautus videatur«. Sprenger: Tacitus axiomaticus, S. 190: »Ne sibi in hac ne gloriam quaerere videatur in qua princeps sui praerogativam quaerit, principes enim socios ferre nequeunt«. »Nec nimis principem constringat, quamvis in animo principis validus sit, ne ilium princeps metuat, ubi enim metus, ibi odium, ex quo casus«.

77 leumdungstechniken (»Modi [...] decipiendi, calumniandi & corrumpendi«) am Hof verzichtet Sprenger sogar gänzlich auf Kommentare. 218 Da die Exempla geeignet sind, die Abhängigkeit politischer Entscheidungen von den jeweiligen Umständen zu demonstrieren, bieten sie sich als Darstellungsmedium gerade für die kasuistischen Politik-Konzeptionen der Staatsräson-Lehren an. Dies wird besonders dort deutlich, wo der Grad der Prinzipientreue von den jeweiligen Bedingungen abhängt. Bei Sprenger gilt dies etwa für die Empfehlungen, einem Fürsten, der Lastern zugeneigt ist, geringeres Fehlverhalten zuzugestehen, um größeres zu vermeiden, und sich gegen bessere Einsicht schlechteren Ratschlägen anzuschließen, um persönlichen Gefahren zu entgehen. 219 Sprenger findet demnach in den Exempla einerseits ein Mittel der Darstellung der Vielfalt, Komplexität und Irregularität politischer Prozesse und andererseits eine Möglichkeit der Simulation politischer Klugheit als Entscheidungs- und Handlungskompetenz, die sich gegenüber der Ethik verselbständigt. Im Vergleich mit der Vielfalt der exemplarisch veranschaulichten Gesichtspunkte bei Sprenger legt Boeder zusätzliches Gewicht auf die Intensität der Beispiel-Interpretation. Der Text ist von einer Metaphorik des DahinterSchauens und des Hervorziehens durchzogen. Das Durchschauen von Verborgenem gehört zu den politischen Fertigkeiten, die die Staatsräson-Literatur lehrt. 220 Doch für den Moment sei nur festgehalten, daß diese Chance nach Boeder ein Kriterium ist, mit dem sich das Studium der Geschichte über die bloße Erfahrung erhebt: Die Erfahrung zeigt den Gegenstand, die Historia den Zusammenhang; jene erklärt, was erscheint, diese, was darin, ja, was darunter steckt; jene, was in die Augen fällt, diese die Umstände; jene das Naheliegende, diese darüber hinaus das Entlegene; jene das Äußere, diese das Innerste; jene erklärt mancherorts, diese überall; jene manchmal, diese immer. 221

Die Interpretation der Geschichte, die die anders nicht zugängliche Einsicht in Hintergründe, Umstände und Zusammenhänge gewährt, stellt dieselben Anforderungen an den Leser wie der argute Stil. Boeder rühmt Tacitus als Paradebeispiel einer verknappten und vielsagenden Redeweise. Im Zusammenhang mit der Kunst, verdeckte Wertungen zu suggerieren, verweist er auf Tacitus' besonderes Geschick, durch die Mannigfaltigkeit der Vermutungen das eigene Urteil den Einfältigeren zu verbergen, den Klügeren hingegen 218 219 220 221

Sprenger: Tacitus axiomaticus, S. 271-279. Sprenger: Tacitus axiomaticus, S. 249; 252t Kühlmann: Geschichte als Gegenwart. Boeder: Historia universalis, S. 39: »Experientia rem ostendit; Historia rei contextum: ilia, quae adsunt; haec, quae insunt, imo vero, quae subsunt, declarat: illa, quae extant; haec, quae circumstant; ilia, propinqua; haec, remota insuper; illa, exteriora; haec, intima: illa, alicubi; haec, ubique: illa, aliquando; haec, semper demónstrate

78 in prächtiger Diktion nahezubringen. Der Vorzug dieses Stils liege darin, eine Fertigkeit zu trainieren, mit deren Hilfe der Historiograph in Zweifelsfällen ein gesichertes Urteil fällen und dem Anschein der Unvorsichtigkeit, der Politicus hingegen dem der Blindheit und >Blödigkeit< im Nebel der politischen Praxis entgehen könne.222 Vor allem bei Tacitus sei auch zu beobachten, daß nur mit einem Satz »sowohl das ausgedrückt wird, was geprüft werden sollte, als auch das mit einfließt, was im Zusammenspiel von Ursachen, Gründen, Nachbaraspekten und dem besonders Erwogenen das Urteil sichern und befestigen kann.«223 Boeclers Abhandlung zufolge sollen also die historischen Exempla, tacitistisch gelesen, den Scharfsinn schulen. Er beschreibt die fürstlichen Fähigkeiten, die durch das Studium der Historiographen ausgebildet werden sollen, u.a. als Übung der Gewandtheit, als »vis [...] perspiciendi«, »penetrandi instrumenta«, »discernendi cura promtitudoque« und »comparatio perpetua«, wobei er Wert darauf legt, daß diese Qualitäten das »ingenium« schärfen, der »natura« ähnlich arbeiten und als praxisbezogene von einer kontemplativen, also gelehrten Haltung grundlegend verschieden sind.224 Auf diese Weise entsteht ein mehrschichtiges Funktionsmodell der Geschichte, das nach dem Prinzip der rhetorischen Dissimulatio aufgebaut ist und die Fähigkeit verlangt, die »Schleier« und »Trugbilder« zu entfernen. 225 Damit führt Boeder über die Imitation von Klugheitsvorbildern hinaus. In gewissem Umfang verschiebt sich der Schwerpunkt von der Nachahmung auf die Excrwpclinterpretation. Mehr als bei Lauterbeck liegt die Lehre in der Einübung einer politisch-historischen Kunst des Entschlüsseins. Unter dem sezierenden Blick des >politischen< Betrachters wird die Nichtsystematisierbarkeit historischer Ereignisse vollends deutlich, damit aber zugleich die Sonderkonditionen, denen jedes einzelne von ihnen unterliegt. Als ebenso aufschlußreich wie die Analogien erscheinen daher dem 222

Boeder: Historia universalis, S. 72f.: »Coniecturarum peculiare est in Tacito artificium, quarum varietate, dissimulatur judicium Auctoris apud simpliciores; prudentioribus & hoc agentibus cum apparatu instillatur. Nam & Historici interest, ne in ambiguis rebus & arduis, sine monumentorum fide disertim judicet: neque interim tarn excercitati videtur Politici, in factorum nube caecutire. quorum ut illud temeritatis; ita hoc simplicitatis queat existimari.« Vgl. auch ebd., S. 4 8 - 5 0 , zu dem politischen Hintergrundwissen, das Tacitus dem Leser durch seinen Stil vermittle, sowie Boeder: Oratio de C. Cornelii Taciti historia, ac multa scribendi arte iudicioque, in: Dissertatio de politices Iusti Lipsii. Acceßit oratio de historia C. Cornelii Taciti, S. 88t

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Boeder: Historia universalis, S. 73: »Est & profundissimae philosophiae illa ratio obseruanda, praecipue in Tacito, cum unius sententiae dictique ambitu & illud exprimitur quod spectandum erat, & illud subjiciuntur, quae inter caussas, principia, affinia, seorsim expensa, judicium praemunire possunt aut emunire. « Boeder: Historia universalis, S. 67 - 6 9 . Boeder: Historia universalis, S. 58: »Obtenditur enim vniuscuiusque negotii natura multis inuolucris & simulacris, quae iudicium haud raro fallunt.«

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79 Verfasser die Differenzen. Sorgfalt sei geboten, damit »wir nicht durch Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit getäuscht werden.«226 Die >durchschauende< Lektüre übt also den Sinn für das nichtübertragbar Besondere des Einzelfalls und läßt - mit Konsequenzen für die politische Applikation der historischen Exempla - den Wissensbereich der Historia in scharf zersplitterter Form erscheinen. Die Einsicht, daß die Singularität einer einfachen Anwendung auf andere Einzelfälle im Weg stehen kann, ist natürlich auch älteren Autoren geläufig, präzisiert aber etwa bei Garzoni nur den Grundsatz »nihil novi sub sole«.227 Dagegen gewinnt das scharfsinnige Vergleichen nunmehr eine bestimmende Rolle für den Umgang mit der Kontingenz des Politischen. Saavedra Fajardo widmet eines seiner »Sinn-Bilder« der Aneignung exemplarischer Lehren. Mit dem Bild astronomischer Konstellationen verdeutlicht er die gegenseitige Abhängigkeit von Umgebungsfaktoren und einzelnem Ereignis. Da es »sehr schwer/ ich wil nit sagen vnmöglich [ist]/ daß sich eben eins zutrage alß das andere«, warnt der Verfasser den Fürsten vor unbesehener Nachahmung. Umgekehrt begründet aber gerade die Unmöglichkeit der Verallgemeinerung den Vorzug des »fall[s]« vor der »Weißheit«, der Exempla vor den Praecepta. Deshalb »soll ihm eine witzigung seyn/ der außgang welcher anderen begegnet/ aber darumb kein befehl vnd gesätz.«228 Entsprechend relativiert sich auch die Autorität der Historia. Zwar erkennt Saavedra Fajardo die Geschichte als Schatz akkumulierter Erfahrung an und empfiehlt dem Fürsten, er möge »der Vorälteren füstapfen lesen«. Doch gehört die Zeit, mit der »viel geändert wird«, selbst zu den Variablen, die beachtet werden müssen und »Newerungen« ratsam machen.229 Aus der politisch-praktischen Ausrichtung der »civilis doctrina« ergeben sich so die Begründung einer politischen Kasuistik, die analytische Aufmerksamkeit auf das Besondere und die Distanzierung von der humanistischen Fixierung auf die antiken Autoritäten. Doch beschränkt sich die Funktion der Klugheit nicht auf die Differenzierung. Ihre Aufgabe ist es nicht allein, das Unterscheidende kenntlich zu machen, sondern im selben Zug, Ähnlichkeiten und Vergleichbares aufzuspüren und verdeckte Zusammenhänge ans Licht zu bringen. »Wer mitten in den 226

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Boeder: Historia universalis, S. 66£: »Quapropter diligenti commentatione ea res opus habet: ut perspectis in prudenti expositione veris rerum judiciis, ñeque casui & periculis terga patefaciamus, ñeque similitudine aut dissimilitudine capiamur.« Garzoni: Piazza vniversale, S. 276: »Vnd ist kein zweiffei/ daß es ein grosser Behelff zur Nachrichtung sey/ wann man auß vnterschiedlichen authoribus vnd Historien siehet/ was sich nach einer jeden Gelegenheit hat zugetragen/ welches gleichsamb gewisse rationes seynd/ auß welchen man kann schliessen/ daß sie sich in gleichen Gelegenheiten/ wo nicht gar auff einen Schlag/ doch nicht sehr vngleichlich zutragen möchten«. Den Gemeinplatz »nihil novi sub sole« zitiert im Zusammenhang mit der Exempelapplikation Weyhe: Avlicvs politicvs, S. 29. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 307. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 308£

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Ereignissen steckt, durchschaut kleine Teile davon, wie oben gesagt wurde; und gewisse Dinge erkennt er jetzt, andere aber zu anderer Zeit und Gelegenheit, und endlich bemerkt er bei einem Geschäft nicht den Großteil der Gegenstände, sondern nur manches.«230 Während sich die gegenwärtige Erfahrung durch ihre Unüberschaubarkeit dem umfassenden Zugriff der Prudentia entzieht, bietet der Kontraktionseffekt des historischen Wissens den Vorteil der Überschau. Dem Argument, daß die Historia in kurzer Zeit mehr Kenntnisse vermittle, als man in einem ganzen Leben durch eigene Erfahrung sammeln könne,231 gibt Boeder eine neue Gestalt. Ihm zufolge vermehrt die historische Vogelperspektive nicht allein die Stoffmasse, sondern gewährleistet überhaupt erst ihre Interpretierbarkeit, ihren Organisationsgrad und ihre Verfügbarkeit. »Bedenke, daß die Ereignisse und die klugen Planungen nur eines einzigen Krieges trotz der vereinigten Mühe vieler über viele Jahre hin nicht vollkommen verstanden werden. Aber in Thucydides, Diodor und Xenophon wirst du in nur wenigen Tagen einen Krieg von 28 Jahren wie den Peloponnesischen gründlicher durchschauen als die meisten, die dabei waren.«232 Die Historia hat also bei Boeder nicht nur eine subsidiäre Funktion. In ihr verselbständigen sich die dispositorische Kompetenz des Historiographen und der strategische Überblick des Fürsten. Die Exempla stehen deshalb nicht mehr zum Zweck einer unmittelbaren ethischen Orientierung zur Verfügung. Einer solchen ist vielmehr kluges Durchschauen, Vergleichen und Ordnen vorgeschaltet. Zuständig für Sammlung und Aufbereitung der Exempla ist die Memoria, das Grundlagenvermögen, das Boeder als ersten der drei Teile der Prudentia vorstellt. Sie liefert die Fülle der Exempla, vergleicht sie in Hinsicht auf Ähn230

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Boeder: Historia universalis, S. 38: »Qui interest rerum actibus, perspicit partículas rerum, ut supra dictum est; & quaedam quidem nunc, alia alio tempore & opere, nec in uno negotio denique pleraque, sed aliqua cognoscit.« Vgl. auch S. 11 die Bemerkungen über die Schlacht, die jeder Beteiligte nur partiell kennenlerne und über deren Gesamtbild er immer im Ungewissen bleiben müsse. Boeder: Historia universalis, S. 85, bietet Sleidan und Comynes als Autoritäten für dieses Argument auf. Vgl. Comynes: Gründtliche Beschreibung allerlei wichtiger namhaffter Sachen vnnd Händel, S. 52: »Darumb man in kurtzer zeit mehr mag ersehen vnd erlernen/ in Lesung der Historien Bücher/ dann sonst in viler Menschen alter/ so man vil Jar lebet/ man nach einander erfahren mag.« Vgl. auch Chokier: Thesaurus Politicus, S. 95. Boeder: Historia universalis, S. 87: »Belli unius casus & prudentiam, sociata multorum industria, permultis annis, non perfecte videas cognosci. At in Thucydide, Diodoro, Xenophonte, paucis diebus, XXVIII. annorum bellum e.g. Peloponnesiacum, intimius perspicies, quam plerique eorum qui interfuere.« Vgl. auch ebd., S. 49 über Tacitus: »Ule, cum in annalibus suis, non bella & externos casus, sed domestica veluti ac interna tractet, ea dexteritate utitur, ut Senatui e.g. non interesse modo videatur, qui legit, sed obseruare possit plura, quam si interesset«. Zum Verhältnis von Erfahrung und Historiographie in der Tacitus-Rezeption Etter: Tacitus in der Geistesgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts, S. 17. Landfester: Historia Magistra Vitae, S. 133-140.

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lichkeit und Unähnlichkeit und disponiert sie. Ihre Aufgabe ist es also, die »exemplorum copia« in eine topische Ordnung zu bringen. Der Überblick über die Masse der Exempla dient nicht der Rekonstruktion von Entwicklungslinien, sondern führt zu einer (gewiß unabschließbaren) Vernetzung ganz so, wie Boeder wohl im Anschluß an Cicero, im Verfügungsanspruch aber auch deutlich über ihn hinausführend, schreibt, »wie wenn in den Schatzkammern die Reichtümer nach den Arten der Schätze disponiert werden; wenn das Ähnliche an einen Platz geschafft ist, dann helfen die Örter selbst in ihrer Anordnung dem Fleiß dessen, der etwas entnimmt oder zurücklegt«.233 Boeder zielt auf ein Raster, das die historischen »facta« insgesamt in Hinblick auf politische Konstellationen verknüpft. Die Historia gewinnt so die Gestalt eines »Thesaurus«, der potentiell den gesamten Bereich des Singulären in sich aufnehmen kann und ihn verfügbar macht. Erst dies ermöglicht die diagnostische und prognostische Auswertung der Exempla. Man wird auch mit der Vermutung kaum zu weit gehen, daß die Aufgaben der Memoria mit den analytischen und synthetisierenden Operationen der Prudentia im wesentlichen zusammenfallen. Es ist eine selbstverständliche Konsequenz, aber für den Aspekt der Kontrolle über die Geschichte trotzdem bezeichnend, daß Boeder ausdrücklich die Möglichkeit unterstützt, die Exempla nach ihren Arten (»species«) zu sortieren und dabei die Zeitordnung außer Kraft zu setzen, wie dies schon einige Autoren praktiziert hätten.234 Von dieser Seite her betrachtet, nimmt sich die Prudentia als lügend aus, die die Aufgabe hat, die Unüberschaubarkeit des Historischen - bzw. von Staat und Politik - beherrschbar zu machen. Im Vergleich mit Lauterbeck liegt Boeclers Verfahren der Interpretation und Anordnung der Exempla weniger eine moralische als eine politische Motivation zugrunde. Boeder betont, daß der Fürst einen (durch die Loci communes gesicherten) Überblick über die Geschichte brauche. »So, wie der Fürst ganz dem Regierungsgeschäft gehört, so ist er der Fürst des ganzen Reichs: Haupt und Seele aller öffentlichen Handlungen und Geschäfte.«235 Die Prudentia als Fähigkeit, den Gesamtkomplex des Historischen zu kontrollieren, bestimmt demnach zugleich die Funktion des absolutistischen Herrschers mit. Dieser teilt jedoch seine Qualifikation unter Einschluß von Epitheta moralischer Größe mit dem Historiographen, und zwar nicht nur in bezug auf den Einblick in die Arcana des Staats 236 sondern auch auf den kombinatorischen historischen Überblick: 233

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Boeder: Historia universalis, S. 26: »Sicut cum in gazophylaciis per thesaurorum genera opes disponuntur; similibus in unum locum conductis, loci ipsi sua serie, depromentis & recondentis juvant industriam«. Vgl. dazu Cicero: De oratore, 2, 354. Zur Memoria: Rhetorica ad Herennium, III, 16. Boeder: Historia universalis, S. 27. Boeder: Historia universalis, S. 13: »Princeps ut totus imperii, ita totius imperii est: omnis publicae actionis curarumque caput & anima.« Boeder: Historia universalis, S. 1781: »Diximus supra, scipturo Historiam Vniversa-

82 Und in all diesen Künsten des Ingeniums und der Prudentia liegt zweifellos nichts ausgesuchteres, nichts selteneres und nichts schwierigeres, als die Gegenstände gedanklich so zu begreifen, daß sie zusammenhängen und verbunden werden können, und sie so zu verweben, daß der Geist von Erklärung und Beweis in jener Verbindung gebildet zu werden scheint. Wenige schrieben und schreiben so: Wenige verstanden und verstehen so.237

Daran überrascht weniger, daß der Geschichtsschreiber sich dem Fürsten annähert, als daß der Fürst dem Geschichtsschreiber ähnlich wird. Hier, so scheint es, tritt eine Gesamttendenz der Abhandlung hervor, die das Bild des Politicus gerade in Hinsicht auf die Frage der Größe betrifft. Zwar verlangt Boeder dem Fürsten die traditionellen Tilgenden ab; gleichzeitig verschiebt sich jedoch der Schwerpunkt vom persönlichen auf das strategische Handeln. Der Fürst erscheint nicht als tapferer Streiter, sondern als kluger Dispositeur, der seine Phantasie in die Planung investiert. Man darf dies als eine Erscheinungsform der Verselbständigung politischer Klugheit gegenüber der Ethik betrachten. Allerdings führt die Freisetzung der Klugheit offenbar in eine Schwierigkeit. Zwar liegt auch Boeder daran, mit Hilfe der historischen Exempla ein tugendkonformes Regiment unter den Bedingungen politischer Verhaltensanforderungen zu stabilisieren.238 Die einschlägigen Tugendkategorien können aber streng genommen im politischen Kontext keine originäre Orientierungskraft für die Organisation des Exempelmaterials mehr entfalten. Vielmehr muß die Prudentia ihre Urteilskriterien, die doch die Voraussetzung für eine übergreifende Verknüpfung wären, jeweils erst im Umgang mit den irregulären >Historien< gewinnen. So erhebt sich die Frage, auf welche Weise unter diesen Umständen ein souveräner Überblick über die Vielzahl der Einzelfälle praktisch zu erlangen, wie ihre Sortierung und Vernetzung zu bewerkstelligen seien. Am Horizont zeigt sich damit schon die Gefahr eines Versinkens im Unendlichen.

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lem opus esse cognitione accurata, regularum, respectuum, consiliorum, rationumque interiorum, quibus regnorum, principatuum, rerumpublicarum status, tanquam sibi proprius, gaudet fruiturque. Sed hoc prudentiae genus, quám latet in abdito? quam periculose quaeritur? quàm aegrè reperitur?« Boeder: Historia universalis, S. 184: »Atque in his omnibus & ingenii & prudentiae artibus, sine dubio nihil est exquisitius, nihil rarius, nihil difficilius, quàm res ita animo concipere, vt cohaerere & copulali possunt, & ita contexere, vt anima explications & demonstrations in colligatione illâ, constituí videatur. Pauci ita scripserunt scribentque: Pauci ita intellexerunt intelligentque.« Zu den notwendigen Fürstentugenden Boeder: Historia universalis, S. 89-91.

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Andreas Heinrich Bucholtz: Herkules und Valiska

2.1 Amadis-Kritik und Heldentypologie: François de La Noues Discours politiques et militaires In der »Erinnerung an den Leser«, mit der Andreas Heinrich Bucholtz Des christlichen teutschen Groß-Fürsten Herkules und der böhmischen königlichen Fräulein Valiska Wunder-Geschichte einleitet, entwickelt er sein Programm eines heroischen Romans in der Auseinandersetzung mit dem »schandsüchtige[n] Amadis Buch«. Von diesem Werk distanziert er sich in drei Punkten: Es enthalte Ungereimtes und Unglaubhaftes, lasse die »teils närrischen/ teils gotlosen Bezäuberungen« nicht nur zu, sondern gebe sie sogar »vor Christund götlich« aus, und müsse schließlich »keuschen Herzen« wegen allerlei »unziemliche[r] Betreibungen« ein »ärgernis« werden.1 Durch die Lektüre des Amadis sei noch kein Frauenzimmer »gebessert/ aber wol unterschiedliche zur unziemlichen Frecheit angespornet« worden. Der Kritik am Amadis de Gaulle liegt implizit die Forderung zugrunde, ein Roman müsse der Tugendlehre mit entsprechenden Exempla beispringen. Welche Gestalt nimmt auf der anderen Seite das T\igendprogramm in Bucholtz' Vorrede an? Der Verfasser ordnet das gesamte Personal nach Tugendund Laster-Kategorien. Die »Erinnerung« erläutert, welche lügenden und Laster die Personen im Roman verkörpern. Herkules sei »uns als ein Ebenbilde eines nach vermögen volkommenen Christen der im weltlichen Stande lebet/ vorgestellet«, zumal er sich im Handlungsverlauf zum christlichen Glauben bekehre. Ebenso ergehe es Valiska, »zu ehren dem weiblichen Geschlechte/ und zu behaupten/ daß auch bey jhnen wahre lügend stat und räum finde«. »Ladisla/ Fabius/ und andere« seien auch christlich gesinnt, erreichten aber »wegen zu heftiger Fleisches und Blutes Bewägung« nur einen geringeren Vollkom1

Die folgenden Zitate aus Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 1 - 3 . Zu Bucholtz' Amadis-Kritik im weiteren literaturgeschichtlichen Kontext Schäfer: Hinweg nun Amadis und deinesgleichen Grillen. Zur Amadis-Kritik auch Speilerberg: Höfischer Roman, v.a. S. 310-317; dort zu Bucholtz S. 319-323. Vgl. auch Maché: Die Überwindung des Amadisromans durch Andreas Heinrich Bucholtz, der aber lediglich Bucholtz' Tligendverschärfung betont. Ich schließe mich dagegen Springer-Strand: Barockroman und Erbauungsliteratur an, die an »Herkules und Valiska« den Übergang vom Ritter- zum Fürstenroman diagnostiziert. Zu Bucholtz außerdem Maché: A. H. Bucholtz' Verhältnis zu den Söhnen Herzog Augusts.

84 menheitsgrad. Die heroischen Figuren sind damit hierarchisch angeordnet. Im Roman legt Bucholtz diese Tugendgrade zugleich als militärische Befehlskette aus. Entsprechend identifiziert er die Laster als Irritationen der legitimen Ordnung. Bagophanes, Bagoas und Dropion seien »der Könige und Fürsten allerschädlichste Pestilenz«; letzterer, »in dem er durch verwägene Künheit sich unterwindet/ seinen König selbst aus dem Sattel zuheben«, die beiden anderen, »in dem sie als liebkosende Schmeichler durch jhr Fuchsschwänzen und alles gut heissen/ eines Fürsten Leumut« dadurch vernichten, daß sie den falschen Eindruck erwecken, »sein Wille sey frey und von allen Gesetzen ungebunden«. Auch wenn Bucholtz kein im strikten Sinn absolutistisches Regiment fordert, etabliert er doch eine klare Hierarchie. Unter den positiven Romanbeispielen, die den Absichten des Verfassers allerdings in der »Gottesfurcht« nachstehen, nennt Bucholtz neben Sidneys Arcadia und Desmarets' Ariane an erster Stelle »Barklaius mit seiner berümten Argenis«, den von Opitz aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzten Prototyp des Staatsromans. Schon hier deutet sich an, daß das Tügendprogramm nicht nur die Orientierungswerte fürstlichen oder überhaupt individuellen Handelns bereitstellt, sondern sich darüber hinaus institutionell verfestigt und sich auf längere Sicht dem Staat zuordnet. In diesem Sinn konzipiert Bucholtz den Großroman als Instrument anschaulich-exemplarischer, adhortativer und dehortativer Leserlenkung. Herkules zeige dem Leser, wie man weder durch irdische Glükseligkeit noch durch Unglüksfälle sich von Gott und vom Christlichen Wandel abziehen lassen/ sondern allemahl seinen Heiland im Herzen haben/ Christlich leben/ die Welt verachten/ Fleisch- und Blutes Bewegung und die reitzende Lüste dämpfen/ der Untugend absagen/ den wahren Gott vor der Welt bekennen/ der TUgend nachsetzen/ und äussersten Vermögens seines Nähesten Besserung und Rettung jhm angelegen seyn lassen müsse.

Allerdings gewinnt die »Erinnerung« nur literaturgeschichtlich Gewicht, als Programmschrift eines heroischen Staatsromans. In dieser Hinsicht findet Bucholtz' Werk - soweit es nicht als unhöfisches Produkt überhaupt verschwiegen wird - fortan in zwei unterschiedlich zusammengestellten Reihen von Romanen rühmliche Erwähnung: Es zählt, neben der Aramena und der Octavia von Anton Ulrich und Lohensteins Arminius sowie Bucholtz' eigenem Herkuliskus, zu den »vornehmsten« deutschen Originalromanen »der Geburt und selbst-Erfindung nach«; es gehört andererseits, neben Barclays Argenis, d'Urfés Astrée, Scudérys Romanen und einigen der schon genannten zu denen, »so einen löblichen Endzweck und schöne Kunst- und TiigendRegeln in sich halten« und deren Lektüre »bei dem behutsamen Leser nicht geringen Nutzen und Gemütes-Belustigungen erwecken«.2 Ich konzentriere 2

Omeis: Gründliche Anleitung zur Teutschen accuraten Reim- und Dicht-Kunst (1704), S. 217; 219. Omeis fußt vor allem auf Morhof: Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie, S. 332. Für eine Zusammenstellung weiterer Urteile über Bucholtz vgl. Stöffler: Die Romane des Andreas Heinrich Bucholtz, S. 123.

85 mich jedenfalls auf den für eine Geschichte des Politisch-Heroischen im 17. Jahrhundert entscheidenden Zusammenhang von heroischer Größe und Staatsorientierung; eine Gesamtbewertung des Romans in all seinen Aspekten ist nicht beabsichtigt. Ideengeschichtlich ist, wie Politiken, Hofmannsliteratur und fürstliche Erziehungslehren zeigen, der Funktionswandel der heroischen Größe, der mit der Amadis-Kritik einhergeht, auf breiter Front längst vollzogen. Wenden wir uns unter diesem Aspekt François de La Noues Discours politiques et militaires zu, auch wenn sie einem anderen Entstehungszusammenhang entstammen - den französischen Hugenottenkriegen des 16. Jahrhunderts. La Noue (1531-1591) war hoher hugenottischer Offizier, diente später den Generalstaaten als Mareschal du Camp in den Auseinandersetzungen mit den Spaniern, in deren Gefangenschaft er fünf Jahre (1580-1585) verbrachte, und trat schließlich in die Dienste Heinrichs III. und Heinrichs IV. Die Discours entstanden in der Zeit seiner Gefangenschaft. Sie wurden 1587 bis 1612 siebenmal aufgelegt und zweimal ins Englische (1587, 1597), außerdem ins Deutsche (1592) und Niederländische (1613) übersetzt.3 Es gibt keinen Grund für die Annahme, Bucholtz hätte La Noues Schrift gekannt. Die Frage philologisch nachweisbarer Zusammenhänge stellt sich im gegebenen Zusammenhang auch überhaupt nicht. Davon freilich, daß die Discours im deutschsprachigen Raum durchaus verbreitet waren, zeugen wiederholte Erwähnungen: Melchior Haganaeus zählt in der Vorrede zur Übersetzung von Lipsius' Politik La Noue und Lazarus von Schwendi als »Tapffere Helden/ Kriegs vnnd Weltverstendige Leut« und Fürstenratgeber zu Lipsius' Vorläufern. Michael Kreps verweist zu Beginn des zweiten Teils seiner Teutschen Politick auf La Noue als eine der Autoritäten speziell für das Kriegswesen. Die Discours gehören überhaupt für den militärischen Bereich zu den Lektüreempfehlungen in der Adelserziehung.4 Harsdörffer zitiert in seinem Anhang zur Übersetzung von De Refuges Homme de cour La Noues Kritik an der Verachtung des Studierens durch den französischen Adel.5 3

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Nachweise bei Hauser: François de la Noue, S. II f. Ich lege die deutsche Übersetzung zugrunde: La Noue: Discours oder Beschreibung und ußführliches rähtliches bedencken/ von allerhand so wol politischen/ als Kriegssachen, Frankfurt/Main 1592. Für einen biographischen Überbück vgl. Sutcliffe: Introduction, in: La Noue: Discours politiques et militaires, S. VII-XXI; Huseman: »Bayard Huguenot«, S. 170-172, sowie ders.: La personalità littéraire des François de La Noue, S. 1 4 17. Vgl. auch Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius, S. 160-162, der aber offenbar nicht die Quelle kannte, sondern nur die Darstellung von Hauser. Haganaeus: Vorrede, in: Lipsius: Von Vnterweisung zum weltlichen Regiment (unpaginiert). Kreps: Teutsche Politick, II, S. 13. - Weber: Prudentia gubernatoria, S. 29. De Refuge: Kluger Hofmann, S. 358.

86 La Noue bietet kein Lehrbuch mit systematischem Anspruch, sondern eher eine Sammlung einzelner Abhandlungen, in denen er politische und militärische Konsequenzen aus den Erfahrungen der Konfessionskriege zieht. Durchweg steht der praktische Effekt im Vordergrund. Das Werk diagnostiziert einen allgemeinen moralisch-politischen Verfall des Adels bis hin zur Entzweiung der ganzen französischen Nation und wendet sich an die Edelleute, von deren exemplarischer Rolle es eine stabilisierende Wirkung erwartet: »Mit öffentlicher erzeigung gedachter Tilgenden aber/ werden die Hertzen der Menschen gewonnen/ welches ein herrlicher rühm vnd lobs würdiger gewin ist: Dessentwegen die Alten Ritterlichen Römer vil schöner Exempel hinder jhnen verlassen.«6 Das Buch soll den Adel zur lügend auf der Grundlage konfessionsübergreifender »Concordia« und Toleranz anhalten. Gerade das Plädoyer für Toleranz weist La Noue als Vertreter einer konfessionellen Minderheitenposition aus.7 Für den italienischen Jesuiten Possevino war jedenfalls das Konzept einer konfessionellen Koexistenz der Ansatzpunkt zur Kritik an La Noue. Possevino erklärt ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Glaubensrichtungen für ausgeschlossen. Ein Religionsfrieden sei nur als Wiederherstellung des Katholizismus möglich.8 La Noue ist, wie die Forschung gezeigt hat, in erster Linie noch »homme médiéval«, insofern er die Politik der christlichen Tügendlehre und der Leitidee einer übergreifenden Einheit des Christentums unterordnet, auch, insofern er an die ehemalige Tugend der französischen Edelleute appelliert und die führende Rolle des Adels sichern will. Diese Gesamtausrichtung des Werks sei hier vorausgesetzt. Unter den Mitteln, mit deren Hilfe er dieses Ziel erreichen möchte, finden sich jedoch Hinweise auf ein politisches Modernisierungspotential, das in seinen Konsequenzen auch über die Absichten des Verfassers hinausführt. 9 Die Discours wird man unter diesem Gesichts6

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La Noue: Discours oder Beschreibung, S. 234. Vgl. im übrigen das Kapitel »Von notwendiger erforderter vfferziehung/ Instruierung vnnd vnderweisung des Jungen Frantzösischen Adels«, S. 131-162. Zur allgemeinen Dekadenz: La Noue: Discours oder Beschreibung, S. 1-50; zur »Concordia« ebd., S. 51-81. Zur Toleranz ebd., S. 82-97. Zur Toleranz als Attitüde konfessioneller Minderheiten in der Frühen Neuzeit Siegl-Mocavini: John Barclays »Argenis«, S. 90. Zum Verhältnis von politischen und religiösen Absichten Morrison: François de La Noue, les guerres de religion et la tolérance religieuse. Donelly: Possevino's Papalist Critique of French Political Writers, S. 35-38. Auch Pedro de Ribadeneira kritisiert La Noue, vermutlich in der Possevino-Nachfolge; vgl. Bireley: The Counter-Reformation Prince, S. 116f. Für einen Überblick über weitere katholische Kritiker vgl. Hauser: François de La Noue, S. 201-206. Für Sutcliffe: Introduction, in: La Noue: Discours politiques et militaires, S. XXIIIXXXI, ist La Noue eher »homme médiéval« als »homme moderne«. Zu La Noues adelsorientiertem Bewußtsein Huseman: La personalité littéraire de François de La Noue, S. 81f.; 84 u. ö. Huseman zufolge ist überhaupt das adlige »Klassenbewußtsein« das einheitsstiftende Prinzip des Werks; vgl. S. 98f. Vgl. auch Lazzarino del Grosso: La Noue, Machiavelli e i »libertins«, S. 213. Zu La Noues >modernen< Aspekten Huseman: »Bayard Huguenot«, S. 165-168.

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punkt zu den Programmschriften einer Sozialdisziplinierung rechnen dürfen, wie sie vor dem Hintergrund der Konfessionsauseinandersetzungen entstanden und die absolutistischen Staatskonzeptionen vorbereiteten. 10 Indirekt, nicht programmatisch, befaßt sich das Werk mit der Wiederherstellung unzweifelhafter Herrschaftslegitimation im Zeitalter der Macht- und Interessenpolitik. Vermutlich sind es solche Aspekte, die das Buch für politische und militärische Theorien der Folgezeit attraktiv gemacht haben. Auf sie konzentriere ich mich im Folgenden. Im gegebenen Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem Wandel der Heroismuskonzeptionen unter dem Eindruck der Disziplinierungsintention. La Noue übergeht dieses Problem nicht. In den Discours findet sich eine Auseinandersetzung mit dem Amadis-Roman,11 auf die die politischen Schriften immer wieder verweisen. Diese Diskussion betrifft die Frage von Nutzen und Schaden der Romanliteratur überhaupt und im weiteren Kontext auch die Einstellung von Gelehrsamkeit, Studienprogramm und Erziehung auf die Verhaltensanforderungen im frühneuzeitlichen Staat. La Noues Amad/i-Kritik fand ein breites zustimmendes Echo, für das hier nur einige Beispiele angeführt seien. Sie zeigen, in welchem Kontext die Ausführungen des Verfassers rezipiert worden sind. Eberhard von Weyhe erwähnt La Noue beiläufig in seinem Avlicvs politicvs (1615): Eher als die Unwahrheiten in Grabreden oder den Unsinn gewisser Historiographen, »die oft mehr der Neigung und dem Geld als der Wahrheit folgen«, möge ein Hofmann »den Orlando Furioso, Don Quijote de La Mancha und den Amadis lesen, dessen Bücher doch, wie de La Noue meinte, den Flammen übergeben oder nach Sizilien verbannt werden sollten«. 12 Besoldus rät an einer von Kühlmann bereits eingehender in ihrem Kontext kommentierten Stelle der Politicorum libri duo im Rahmen einer allgemeinen Erörterung staatsdienlicher Erzie10

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Zum Begriff der Sozialdisziplinierung Oestreich: Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: ders.: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, S. 187196. Schulze: Gerhard Oestreichs Begriff Sozialdisziplinierung in der frühen Neuzeit^ Zum soziologischen Hintergrund mit Hinweisen zum Zusammenhang von Militärgeschichte, Disziplin und Einschränkung des (heroischen) Charismas Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 690-695. Schäfer: Hinweg nun Amadis und deinesgleichen Grillen, S. 367f.; Huseman: La personalité littéraire de François de La Noue, S. 95-97; 109-115; Weddige: Die >Historien vom Amadis aus FranckreichHistorien vom Amadis aus Franckreichstatistischen< Interesse. Wie La Noue denkt Happel an ein riesiges, minuziös geplantes und zentral gesteuertes Projekt, das aber nicht mehr die Vision eines durchgreifend geordneten Abendlandes einschließt, sondern sich auf Organisationsfragen beschränkt. Eine unüberbietbare heroische Legitimation politischen Handelns kann es daher nicht leisten. Hingegen täuscht der erste Eindruck, daß La Noue sich auf technische Aspekte beschränke. Gerade den vorbildlich organisierten entfaltet er nämlich als eigentlich heroischen Feldzug. Hier spielt eine Rolle, daß die literarische Tradition, auf der der Verfasser mit seinem Aufruf zum Krieg gegen die Türken fußt, stets rhetorisch ausgestalteten Appellcharakter hat. 57 53

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Dazu vor allem La Noue: Discours oder Beschreibung, S. 549-578. Zur Notwendigkeit solcher Planungen vgl. auch Kreps: Teutsche Politick, zweiter Teil, S. 270-273. Happel: Ungarischer Kriegs-Roman, fünfter Teil, S. 200-213. Zur Größe des Heers und der Flotte, zum Umfang der Eroberungen, zur Verteilung der Beute, zur Aufgabenverteilung unter den euopäischen Mächten etc. S. 213-227. Happel: Ungarischer Kriegs-Roman, fünfter Teil, S. 183 -200. Vgl. ζ. B. Happel: Ungarischer Kriegs-Roman, fünfter Teil, S. 208: »Man solte allhier wol insonderheit von jeder deren considerablesten Provintzen eine kleine Beschreibung geben/ bey Eroberung derselben sich solcher zu bedienen/ als von Siebenbürgen/ auf dessen Frontieren sich meist der gantze Effect Türckischer Waffen gegen uns gezeiget/ und daselbst die stärckeste Guarnisonen und außerlesenste Trouppen unterhalten.« Zwei willkürlich ausgewählte Beispiele: Henricus Stephanus: Oration und Ermahnung an Roem. Key. May. Rudolphum II. (1594); Giacomo Sadoleto: Jacobi Sadoleti [...] de bello Türcis inferendo oratio (1538).

98 Der projektierte Krieg gegen die Türken wird dabei zum Paradefall eines Kampfs, der die Partikularinteressen zugunsten eines übergeordneten Auftrags ausschaltet, die einzelnen Teilnehmer in eine umfassende Organisationsstruktur inkorporiert und nicht nur das Duell, sondern auch die innereuropäischen Interessenkonflikte ersetzt. In der Unternehmung gegen die Türken scheinen die >Concordia< verwirklicht und die moralische Fragwürdigkeit der Herrschaftslegitimation im Zeitalter der Interessenpolitik beseitigt. Nochmals wird aber deutlich, daß La Noue schon dazu tendiert, die Tilgend- durch eine Machtordnung abzulösen; ihm selbst bleibt dies freilich verborgen. La Noue wirbt für den Türkenfeldzug unter dem Vorzeichen heroischer Beispielhaftigkeit. So verweist er auf das Exemplum maiorum im Kampf gegen den mohammedanischen >IrrglaubenZuchtkünstlichen< Charakter der Komposition hervor: »Wir wollen sie aber zihen lassen/ weil sie zu ihrem Unglük noch viel zu früh kommen/ und uns nach Padua kehren/ woselbst Ladisla mit schmerzen seines lieben Herkules Schreiben erwartete«. 75 Bucholtz zögert auch nicht, dem Gedächtnis des Lesers mit Querverweisen zu Hilfe zu eilen: Valiska »Zohe hiemit Artabanus Versicherungs-Schreiben hervor/ dessen in diesem Vierden Buche am 805 Blade meidung geschehen«. 76 Da der Verfasser auf die »Dissimulatio artis« verzichtet, liegt das Handwerkliche offen am Tage. Bucholtz legt, wie es scheint, keinen Wert darauf, Fugen zu verdecken, >tote< Handlungsstränge einzubinden oder überhaupt einen höheren Integrationsgrad des Romans zu erzielen. Bezogen auf die Gesamtanlage wird die Darstellungsweise, der Stil, nicht bedeutungstragend. Es ist auch nicht die Stringenz der Romanhandlung, auf die der Verfasser setzt. Seine kompositorischen Entscheidungen dürften also von anderen Motiven gesteuert sein. Darin unterscheidet sich der Herkules von der Aramena. Anton Ulrich löst den Anspruch seines Romans mit Hilfe aufwendiger Maskierungsmaßnahmen ein, die besonders die Bemühungen des Autors so vollständig wie möglich verdecken sollen. Einem Bericht über die Fahrt von Valikules (d.i. Herkules) und Gallus in den Orient läßt Bucholtz unvermittelt die Erzählung eines Ereignisses 73 74

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Vgl. Springer-Strand: Barockroman und Erbauungsliteratur, S. 41. Auch der Hinweis auf die Geschichte des böhmischen Königs Notesterich, die Valiskas Entführung zu Beginn des Romans mit dem Pannonierkrieg verklammert, liefert kein Gegenargument. Den Ausgangspunkt des Kriegs bildet nicht die Notesterich-Erzählung, sondern der Ehrgeiz des Feldherrn Dropion. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 332. Vgl. auch den unvermittelten Wechsel von einem Erzählstrang zum anderen, etwa ebd., I, S. 506. Zur Synchronisation vgl. ebd., I, S. 833: »ohngefehr fiinff Tage vor dieser Zeit kam Leches zu Korinth an [...]«. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 898.

103 folgen, das sich »Gleich umb diese Zeit« zuträgt und das er als (konsequenzenlosen) Seitenstrang einer bereits abgeschlossenen Episode einführt: In Padua verbreitet sich das Gerücht von Ladisias möglichem Tod, während der Leser längst über seine Rettung informiert ist. Bei Ladisias Frau Sophia führen diese Befürchtungen zu »Schwermuht« und »Traurigkeit« und geben so Anlaß zu Ermahnungen gegen die verderbliche Wirkung der »Betrübniß« bis hin zum Selbstmord. Ein Brief von Ladisias Hand erweist alle Bedenken rasch als voreilig und gegenstandslos. 77 Bucholtz konstruiert also die Episode allein auf ihren exemplarisch suasiven Effekt hin. >Beispielhaftigkeit< bestimmt nicht nur die Wirkungsabsicht der einzelnen Erzählungen, sondern auch die Disposition des ganzen Werks. Ohnehin liegt bei Bucholtz als lutheranischem Geistlichen, als der er seit 1647 in Braunschweig tätig war, der Gedanke an einen Zusammenhang von Romanstruktur und exemplarisch kompilierter Predigtliteratur nahe. 78 Das Werk erweist sich jedenfalls als Exempelsammlung in Romanform. Entscheidender Strukturgesichtspunkt ist nicht die innere Kohärenz, sondern die rhetorisch-exemplarische Funktionalität. Von hier aus fällt auch ein neues Licht auf die »Erinnerung an den Leser«. Wie schon bemerkt, erläutert Bucholtz dort vorgreifend, welche Vorbild- oder Abschreckungsaufgaben er den wichtigsten Romanfiguren überträgt. Die Vorrede verweist ebenso auf die Tugendstufen der Titelhelden und ihrer unmittelbaren Umgebung wie auf die Schattierungen des Lasters. Artabanus, so heißt es dort unter anderem, »Meldet sich an Wütrichstat/ der seinen schändlichen Lüsten nicht/ als durch Furcht oder Zwang einreden darff«; Gamaxus und Pines würden für ihren Hochmut gegenüber Gott und den Menschen bestraft, Notesterich sei »ein Vorbilde hoher Leute schweres Uníais [...]/ dessen sich Gott endlich wieder erbarmet/ und jhn zu ehren bringet«, während Bagophanes, Bagoas und Dropion Varianten des schlechten Fürstenberaters repräsentieren. Weitere exemplarisch illustrierte Spezialaspekte sind treuer Fürstendienst, Umgang des Fürsten mit seinen Bedienten und Ehebruch. 79 Es wird klar, daß die Vorrede die Funktion eines rudimentären Toposkatalogs übernimmt, der die exemplarische Komposition durchschaubar macht und mit dessen Hilfe sich die wichtigsten >Materien< identifizieren lassen. Der Roman gibt sich als materialtopisch organisierter Tugendund Lasterspiegel, speziell auch als Fürstenspiegel zu erkennen. Doch enthält die »Erinnerung« keinen Hinweis auf eine systematische Dispositionsmethode, wie Lohenstein sie später mit universalistischem An-

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Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 459-463. Die Episode greift auf Ladisias Kampf mit Perdickas zurück (ebd., I, S. 415-417). Springer-Strand: Barockroman und Erbauungsliteratur, S. 82, 109 u. ö. Zur Person Stöffler: Die Romane des Andreas Heinrich Bucholtz, S. 7. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 21

104 Spruch seinem Arminius zugrundegelegt hat, 80 noch auf eine übergreifende kombinatorische Organisation, wie Anton Ulrich sie für die Aramena wählte. Auch der partielle Verzicht auf Kausalverknüpfungen macht deutlich, daß die Topik von Herkules und Valiska keinen systematischen Anspruch hat. Der Aufmerksamkeit des Lesers empfiehlt der Roman auch nicht die Gesamtordnung des Stoffs, die Kunst der Disposition und die Vernetzung des Materials, sondern den Appellcharakter der einzelnen exemplarischen Erzählungen. Der Leser braucht sich deshalb keinen Überblick über die Struktur des Werks, insbesondere über das Zusammenspiel der Einzelexempla zu verschaffen. Dies gilt auch für parallel laufende Handlungsstränge, die ja in keinem Bedingungszusammenhang stehen. Sie vervollständigen einander allenfalls, erläutern sich aber nicht gegenseitig. Selbst einzelne Teile von Erzählsequenzen bleiben ohne Kenntnis des übergreifenden Zusammenhangs als Beispielgeschichten verständlich.81 So stellt die Erzählweise zwar gewisse Anforderungen an die Memoria des Lesers. Mit Einschränkungen trifft auch schon auf Herkules und Valiska Gotthard Heideggers Kritik an Lohensteins Arminius als »Monstrum memoriae« zu: Die Erzählungen seien »so abscheulich verviertheilt, und an weit entlegne Ohrt zerstreuet, daß sie das Gemüth ohne greuliche fatiques und abschleiffen des Gedechtnuß nicht zusammen schmiegen kan.« 82 Doch erfordert die Lektüre von Bucholtz' Roman keine Kombinationsgabe. Dieser einfache Aufbau dürfte Bucholtz' homiletischen Absichten entsprechen und auch auf den Adressatenkreis zugeschnitten sein. Zweifellos wendet sich Herkules und Valiska an eine breite Leserschaft. Wir werden sehen, daß Anton Ulrichs Aramena, die für ein exklusives höfisches Publikum konzipiert und >politisch< angelegt ist, den Leser zwingt, die Romanstruktur insgesamt im Auge zu behalten. Daß Bucholtz seinen Roman als Behältnis von Tugendexempla empfiehlt, wirkt sich auf das Erscheinungsbild des Helden aus. Herkules fordert den Leser zur unmittelbaren Nachahmung auf; er aktiviert nicht die Fähigkeit, verdeckte Zusammenhänge zu durchschauen, und entzieht sich auch nicht als Inbegriff fürstlicher Majestät gänzlich der Imitatio. Gleichwohl stellt Bucholtz das Material in einen übergreifenden Rahmen. Mit Recht hat die Forschung darauf aufmerksam gemacht, daß Herkules und Valiska im ersten Teil noch weitgehend dem Abenteuer-Schema des Amadis folgt und erst in den abschließenden Büchern den Charakter eines Staatsro80 81

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Dazu Borgstedt: Reichsidee und Liebesethik. Das gilt etwa für die verschiedenen Abschnitte der Leidensgeschichte des Königs Notesterich, Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 889-907; 929-940. Heidegger: Mythoscopia romantica, in: Theorie und Technik des Romans im 17. und 18. Jahrhundert, S. 59. - Die Notesterich-Episode bezieht Ereignisse vom Beginn des Romans ein, nämlich den Bericht über eine versuchte Entführung Valiskas (Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 215-217). Der exemplarische Sinn von Notesterichs Bericht ist davon allerdings völlig unabhängig.

105 mans annimmt. 83 Diese Verwandtschaft hat dem Roman auch schon im 17. Jahrhundert Kritik eingebracht. 84 Im übrigen hält der Autor bis zum Schluß am Handlungsmechanismus der unvorhergesehenen Schicksalswendung fest, die eine unendliche Fortsetzung erlauben würde. Solche Gelenkstellen verweisen nach Bucholtz auf die Unbeständigkeit der Welt. In diesem Sinn leitet er den Übergang zum Krieg gegen die Wenden ein: Daß dieser Welt Freude und Wollust kurz und unbeständig sey/ und immerzu mit Leid und Unfal versalzen werde/ solches muste auch unsere fröliche Gesellschaft zu Prag vor dißmahl erfahren/ welche an nichts widriges gedachten/ sondern allenthalben Anordnung macheten/ was zur prächtigen Krönung des neuen Königes und der jungen Königin dienen könte.85

Auch Bucholtz sucht insofern mit Hilfe der Exempla die irreguläre moralische Wirklichkeit zu bewältigen. Entsprechend greift er am Ende des Werks zurückblickend die Kontingenzmetapher des Schiffs auf, die sich ebensosehr auf Autor und Leser wie auf den Inhalt bezieht: »Unser Schiff aber hat vor dißmahl/ ungeachtet der unaussprechlichen heftig-stürmenden Wellen/ dannoch den gewünschten Hafen erreichet/ insonderheit/ wann der Uhrschreiber dieses Werks erfahren solte/ daß der Ehr- und Tugendliebende Leser durch diese Geschichte Leib- und Geistlich erquicket währe.« 86 Gleichzeitig bringt der Roman seinen Gegenstand insgesamt in eine heilsgeschichtliche Perspektive, in der sich christlicher Katechismus und Tugendhaftigkeit durchsetzen. Herkules' Weg führt von der Situation des aus Glaubensgründen vom Vater Verstoßenen, der in römische Leibeigenschaft geraten ist, zum christlichen Regiment über (ein noch nicht bekehrtes) Deutschland. Die Exempla transformieren also vor dem Hintergrund ihres Gesamtplans die Willkür lebensweltlicher Ereignisse in eine geschichtsteleologische Verfaßtheit. Der Verfasser unterwirft den Roman so einer umrißhaften >Zentralorganisationverfassung< einrichtet, deren Aufbau die Figuren allegorisch repräsentieren. Den Helden, dessen Tugendausstattung sich als Organisationsfaktor verfestigt, versieht er mit einer reichhaltigen, suasiv wirkungsmächtigen charismatischen und providentiellen Ausrüstung. Dazu gehören sein Erscheinungsbild, sein Ruhm, seine Vergöttlichung, die Bucholtz vorsichtig, aber ohne sie zu revozieren, heidnischen Sprechern in den Mund legt, 89 schließlich seine durch Gott garantierte Felicitas.90 So sehr die christli88

Morhof: Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie, S. 327: »Es ist eine Sache von langem Nachsinnen/ welches man nicht so vor die lange Weile schreiben kan/ sondern da muß das gantze Systema wohl außgedacht/ die Erfindung sonderlich/ die Außbildung nachdrücklich und verständig/ die Rede gebührlich erhöhet seyn/ jedoch daß sie nicht frech/ wild und windbrecherisch werde.« Vgl. Omeis: Gründliche Anleitung zur Teutschen accuraten Reim- und Dicht-Kunst, S. 214-216. Zu Dispositionsfragen im übrigen auch Daniel Richter: Thesaurus oratorius novus (1660), in: Theorie und Technik des Romans im 17. und 18. Jahrhundert, S. 8f.; Christian Weise: Kurtzer Bericht vom Politischen Näscher, ebd., S. 2 7 - 3 0 .

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Zum Erscheinungsbild Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 769: Artaxerxes befindet an Herkules, »daß ein sonderlicher Geist in ihm währe; dieses aber wunderte ihm am meisten/ daß derselbe einem so überaus schönen Leibe eingegossen wahr/ welcher alle Anseher beliebet und ehrerbietig machen kunte.« Vgl. auch ebd., I, S. 51. Zur Apotheose I, S. 340: »gilt Bruder/ dieser ist uns von den Göttern zugeschikt«. Ebd., I, S. 355: »Nun weiß ich nicht/ ob ich Menschen oder Götter in meiner Gesellschafft habe/ und gewißlich/ da euch die Götter nicht gezeuget/ müsset ihr zum wenigsten ihres Geblütes seyn.« Ebd., I, S. 566f. über Valiska: »ich weis nicht/ ob die Götter in menschlicher Gestalt zu uns kommen/ umb zuerforschen/ wie wir uns gegen elende gefangene bezeigen wollen/ dann was ich an diesem Jünlinge [!]

107 che »Erquickung« thematisch im Mittelpunkt steht - Bucholtz baut die heroische Erscheinung zum Werkzeug zentralisierender Gesellschafts- und Lebenssteuerung aus. Herkules verwaltet auf diese Weise als Exemplum das A m t der Sozialdisziplinierung.

2.2.2 Christliche Erbauung als Ordnungstechnologie D e m erbaulichen Effekt von Herkules

und Valiska dienen die Tugendexem-

pla, auch Herkules' Besuche an den Wirkungsstätten Christi einschließlich seiner Taufe im Jordan, 91 daneben Gebete, Psalmenübersetzungen und Liedeinlagen bis hin zu einer weihnachtlichen Kantate. Bucholtz beschreibt Herkules geradezu als »Davids Nachfolger; wann er in N o h t geriet/ rieff er zu seinem Gott; wann er Rettung empfing/ opferte er ihm Lob/ Preiß und Dank/ daher ihm nicht anders/ als gelingen kunte.« 9 2 D e r Erzähler spricht die Urheberschaft solcher Darbietungen oder wenigstens die Übersetzung der Psalmen und den meisterlichen Gesang den Helden zu und bindet sie so an das sehe/ ist alles über menschlich; Schönheit/ Vernunft/ lügend/ Kunst/ Herzhafftigkeit/ und was man an einem volkommenen Menschen erdenken kan; weis auch gewis/ daß als Apollo wie ein Mensch auff Erden umbher gewandelt/ hätte er diesen Schuß nicht verrichten mögen; und gläube ich nimmermehr/ daß die rauhen Nordwestischen Länder solche Volkommenheit bringen solten.« Ebd., II, S. 124: Artaxerxes bemerkt, »er könte anders nicht gläuben/ als daß Herkules von irgend einem Gott müste gezeuget seyn.« Dasselbe Verfahren bei Hohberg: Habspurgischer Ottobert, XII, 1056-1060. Vgl. auch Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 169 (Pakorus): »Wir sehen ja/ daß sie die Götter auf ihrer Seite haben/ wo sie nicht selbst Götter sind/ oder doch Götterkinder.« Ebd., II, S. 426 das Lobgedicht, das Valiska, Herkules und Ladisla als römische Götter preist, sowie S. 427 Valiskas Reaktion: »Ach du mein Gott/ sagte sie überlaut bey der Mahlzeit/ sol man die wahre aller höchstheilige Gottheit so schimpflich halten/ daß man sie einem schwachen Menschen Kinde/ um etwa eines Rittes oder Schusses willen zuleget? ja solte ich elende vor eine Göttin angesehen sein/ die ich doch so grossem Vnglück unterworfen gewesen/ und über Meer und Land mich habe müssen schleppen lassen? [...] O was vor Unbesonnenheit treibet doch die Menschen an/ daß wann Gott etwa einem eine geringe LeibesZierligkeit verleihet/ solches alsbald vor himlisch und göttlich sol gehalten und ausgeruffen sein.« 90

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Bucholtz, Herkules und Valiska, I, S. 500: Herkules erfährt von einem Sieg über die »verwägenen Juden«, worüber er »sich herzlich erfreuete/ und Gottes augenscheinlichen Schutz spürete/ dann menschlicher weise zu urteilen/ währe es unmöglich gewesen/ daß er ihnen lebendig hätte entkommen können/ da er recht unter sie gefallen währe.« Ebd., S. 919, aus seiner Jugendgeschichte: »mich betreffend/ setzete er wol hinzu/ bin ich daher versichert/ weil alle Sternseher und Zeichendeuter mir ein langes Leben zulegen/ in welchem ich/ sonderlich in der Jugend/ viel Mühe und Arbeit außstehen solle/ daher befürchte ich mich nicht/ daß mich die Wölffe zu reissen werden.« Allgemein zur göttlichen Providenz auch ebd., II, S. 150: »Jn Persepolis stund ihnen ein ander Unglük bevor/ welches bloß allein Gottes barmherzigkeit von ihnen abwendete«. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 484-488. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 957. Zu den theologischen Aspekten Stöffler: Die Romane des Andreas Heinrich Bucholtz, S. 36f.

108 exemplarische Verfahren zurück.93 Offenbar hat diese Komposition zur Erfolgsgeschichte des Romans beigetragen. Die »Bekenntnisse einer schönen Seele« aus Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre heben gerade sie als besondere Attraktion hervor: »Unter allen war mir der >Christliche deutsche Herkules< der liebste; die andächtige Liebesgeschichte war ganz nach meinem Sinn. Begegnete seiner Valiska irgend etwas, und es begegneten ihr grausame Dinge, so betete er erst, eh' er ihr zu Hülfe eilte, und die Gebete standen ausführlich im Buche. Wie wohl gefiel mir das!«94 Welche Wendung das Erbauliche bei Bucholtz nimmt, machen aber erst die theologischen Bauteile im engeren Sinn deutlich. Der Verfasser verteilt über den ganzen Text eine Reihe katechetischer Einlagen, die jeweils genau bestimmbare grundlegende Lektionen der Glaubenslehre vermitteln. So verteidigt Herkules gegen Einwände des älteren Plinius die Lehre von der Allmacht Gottes; dem reuigen Sünder Gallus erläutert er Gottes Barmherzigkeit und die lutherische Gnadenlehre einschließlich des Sola-fide-Prinzips; mit griechischen Jünglingen disputiert er über die Fragen, wer die Himmelskörper bewege, wieviele Seelen der Mensch habe und was das Summum bonum sei; gegen einen »Gnostiker« behauptet er die Lehren von der Erschaffung der Welt durch Gott, von Christus als einzigem Sohn Gottes und von den christlichen Tugenden; andere Lehrstücke (die Abendmahlslehre, die Wahrheit des christlichen Glaubens, der Kampf gegen die Begierden als Kern der christlichen Tugendlehrc) werden von Bischöfen vermittelt; Valiska informiert Baldrich und Siegward über »die HäuptStücke des Christlichen Glaubens«, namentlich die Trinitätslehre.95 Auch die Katechese bekommt exemplarischen Charakter. Bucholtz legt sie den schon von den christlichen Wahrheiten Überzeugten in den Mund und vertraut ihnen so die Demonstration vorbildlicher Glaubensfestigkeit

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Beispiele: Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 121: Herkules singt ein von ihm selbst gesetztes »Teutsche[s] Osterlied«. Ebd., I, S. 606f.; 609: Mehrere Lieder, die die lügenden zum Gegenstand haben. Ebd., I, S. 616V. Ein von Herkules verfaßtes »Christliches Dank-Lied/ Vor die heilsame Geburt unsers lieben Jesuleins«. Ebd., I, S. 873: Herkules und Valiska singen auf der Flucht den von Herkules ins Deutsche übersetzten 34. Psalm. Ebd., II, S. 240-245: Ein von Valiska gedichtetes, kantatenartiges »Weihnacht-Lied Nach Pindarischer Weise eingerichtet«. Ebd., II, S. 289f.: Der 107. Psalm, »welchen Herkules auff der Meers-Reise in Lateinische verse eingerichtet hatte«. Ebd., II, S. 450-454: Drei religiöse Lieder, gesungen von Valiska, Herkules und Ladisla. Ebd., II, S. 640: Valiska singt den 45. Psalm; ebd., S. 641-646 weitere (nicht nur geistliche) Lieder. Beispiele zu den Gebeten: Ebd., I, S. 134,139, 246, 268; ebd., II, S. 208f.; 290; 658.

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Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, Werke, Bd. 7, S. 359. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 114-120; Fabius notiert Herkules' Ausführungen in sein »Handbüchlein«, das damit zu einer Art Katechismus wird (S. 120). Ebd., I, S. 274-278; ebd., S. 387-390 (dabei S. 388 eine Wendung gegen Juden, Epikureer und andere >Heidenwahn< trägt Bucholtz die Episode vom Aufstand der Krodenpfaffen bei, die die christlichen Fürsten zur Rückkehr zur heidnischen Religion zwingen wollen und das böhmisch-deutsche Heer zur Insubordination veranlassen. Auch Bucholtz verknüpft in seiner Lösung Konzessionen an hergebrachte Rechte mit dem Anspruch auf übergreifende Ordnung und Zentralisierung, der symbolisch in Schlachtordnung und zitadellenartiger Verschanzung veranschaulicht wird. Die Episode deutet an, daß die Bekehrungsperspektive des Romans in den Kontext der religionspolitischen Lehrmeinungen gestellt werden muß. 124 Die Rolle der Katechese im Romankontext mag jetzt am Beispiel der Auseinandersetzungen mit den Juden deutlicher werden. Dabei vernachlässige ich die berechtigte Frage nach Bucholtz' Antisemitismus und konzen120 121 122

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Zu diesem Begriff Wiedemann: Barocksprache, Systemdenken, Staatsmentalität. Vgl. Dreitzel: Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft, II, S. 570. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 268f. Vgl. auch ebd., S. 288-297, über die Beurteilung des Aberglaubens. Lipsius: Von Vnterweisung zum weltlichen Regiment, S. 102-107. Weyhe: Avlicvs politicvs, S. 98f. Sprenger: Bonus princeps, S. 8 - 1 2 ; ders.: Tacitus axiomaticus, S. 109. Vgl. auch die Distanzierung des Übersetzers von den unitaristischen Neigungen des »papistischen« Autors in: Chokier: Thesaurus Politicus, S. 40. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 592-631. Zur Schlachtordnung ebd., S. 604; 627-629. Zur Verschanzung ebd., S. 627. Zur Strategie der Konfliktlösung ebd., S. 598f.; 615f. u.ö. - Die Wendung der Krodenpfaffen gegen die christliche Religion verbindet sich mit derjenigen gegen Herkules' angebliche Abhängigkeit vom römischen Kaiser Alexander Severus als Verrat an der »teutschen Freyheit« (vgl. etwa ebd., S. 592f.). Dadurch gerät die Episode in das Spannungsfeld von fürstlicher Suprematie und ständischen Freiheitsrechten. Im Hintergrund steht auch die Diskussion über die Opportunität einschneidender Neuerungen.

115 triere mich allein auf die Ordnungsprogrammatik. Den dogmatischen Aspekt von Herkules' Streit mit den Juden im römisch beherrschten Palästina betreffen der Nachweis eines »christlichen Lehrers«, »wie gröblich sie irreten/ indem sie auff einen andern Messias als auff den gekreuzigten und von den Todten aufferstandenen JEsus hoffeten«, und die Unbeweisbarkeit der Behauptung, der christliche sei ein »Lügen-Gott«. 125 Mit der Widerlegung dieser Glaubenslehren verbindet Bucholtz eine Darstellung der Juden als Tugendfeinde. Die Juden, die den >falschen< Glaubensgrundsätzen anhängen, sind gleichzeitig Räuber, Mörder, Christenverfolger und Verleumder. Entsprechend fehlt ihnen auch die Affektkontrolle: »solte in einem Juden wol rechtschaffene Tilgend seyn/ deren höchstes nur in rasichter Wuht bestehet?« 126 Überhaupt sind sie »liberal dem Wucher ergeben; essen weder mit Christen noch Heiden; Aufrichtigkeit findet sich bey ihnen nit; zum gebrauch der Waffen sind sie gar ungeschikt; befleissigen sich aller tückischen boßheit/ und hoffen auf einen ihres Geschlechts/ der sie aus aller Welt versamlen/ und in ihr Land wieder führen solle.«127 Die an den Juden negativ vorgeführte Verbindung von Katechese und Tugendordnung bestätigt positiv das Motiv der Prüfung und Bekehrung, das den Roman durchzieht und partiell strukturiert. Die Handlung beginnt zwar erst nach dem Ende von Herkules' Erniedrigungs- und Leidenszeit als Sklave Oedemeier in Rom. Doch holt Bucholtz diese Vorgeschichte im Rückblick nach. 128 Im übrigen liegt auch der Kette der Abenteuer bis zur Überwindung der Pannonier verdeckt das Prüfungsschema zugrunde. 129 Vor allem konzipiert Bucholtz die Erniedrigungen von Arbianes und Klara und die des Königs Notesterich als Prüfungen. Als asketische Beständigkeitsproben dienen sie einer >AbrichtungZucht< gelten. Die Grenzlinie zwischen richtigen Glaubenssätzen und häretischen Abweichungen bezeichnet zugleich die zwischen Tilgend und Laster, Loyalität und Verrat, politischer Ordnung und Instabilität. Bucholtz setzt den Katechismus als Ordnungsanstalt ein, die die einzelnen einem Gesamtwillen unterwirft. Im Konzept des >vernünftigen< christlichen Glaubens erkennt man ein Programm der Gewißheit, das der Anlage des Romans unter dem Aspekt der Geschichtskontrolle zuarbeitet: »Aber wie beweiset ihr solches? sagen

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Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 689. Vgl. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 238 über die Bestrafung einiger Juden, die Kreuze schänden, die im Garten Gethsemane zur mahnenden Erinnerung an eine frühere Bestrafung aufgestellt sind; zum Denkmal als heroischem Staatsexemplum vgl. unten 2.2.3: Man beobachtet, daß »16 junge verwägene Juden hinzugingen/ und nicht allein unterschiedliche neue Hiebe daran tahten/ sondern noch schlimmere Flüche über Herkules/ den Stathalter/ und den Römischen Käyser selbst hinein schnitten.« Diese Nachricht wird dem Statthalter überbracht, der »die Tähter befragete/ auch auff ihr freimuhtiges Bekäntnis sie geissein/ und als Auffrührer wieder die höchste Obrigkeit kreuzigen ließ; welches die gesamte Judischeit hoch empfand/ und doch dawider nichts vornehmen durfte.« Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 532f. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 685. Vgl. ebd., I, S. 686 den Dank für die Toleranz des Großfürsten gegen die christliche Religionsausübung: »Dem Christ stiegen vor freuden die Trähnen aus den Augen/ fiel vor dem GroßFürsten nieder/ und bedankete sich in aller Christen Nahmen zum untertähnigsten/ mit beteurung/ da einiger Christ wieder GroßFürstliches Geboht oder Verboht handeln/ oder sonst unerbarlich Leben würde/ wolten sie ihn keine Stunde unter sich dulden/ sondern bey der Obrigkeit anklagen/ und der Straffe übergeben.«

117 ist in Glaubenssachen nicht gnug/ sondern Grund Grund muß da seyn.« 136 Der romaninterne Katechismus als institutionell verfestigte Glaubensessenz verwirklicht so die christliche Religion als staatsorientierte Ordnungskraft und gewährleistet ihre Wirksamkeit. Er erweist sich als disziplinierende und politisch effektive Subordinationstechnik. In ihm gipfelt die Transformation der Erbauung in ein Werkzeug der Komplexitätsreduktion. Auf den Roman bezogen geht von den katechetischen Einlagen ein zentralisierender Effekt aus. Sie richten die Vielfalt der Ereignisse an einem einheitlichen und autoritativen Bewertungsmuster aus. Die Helden setzen als Inhaber des Predigtamts exemplarisch die institutionelle Geschichtsordnung um.

2.2.3 Tugendorganisation und Institutionalisierung des Helden Bucholtz disponiert seinen Stoff zentralperspektivisch und erwartet von dem Roman einen politischen Stabilisierungseffekt. Gleichzeitig bringt der Verfasser die Higendordnung und überhaupt die Normen für das Wohlverhalten der Untertanen in eine >veranstaltete< Form. Die Symbolik des Heroischen verweist auf die Autorität der Organisation oder geht sogar in ihren ausschließlichen Besitz über. Daß sich in diesem Sinn Heroismus und Rechtsprechung in der Literatur des 17. Jahrhunderts verbinden, zeigt etwa Saavedra Fajardos Hinweis zur Militärgerichtsbarkeit: »Da es sich aber nit wil thun lassen das man durch die finger sehe/ sondern muß gestraft sein/ so geschehe es geschwindt/ mit einem Helden-gemüht/ wer aber ein solches heimblicher weise thut/ der ist viel eher ein Mörder als ein Fürst zu nennen.« 137 Bucholtz hat in seinen Roman eine Kette von Gerichtsverhandlungen eingelegt. Zwar gehört die Iustitia zum Kernbestand der traditionellen Fürstentugenden. Für Herkules und Valiska ist aber bezeichnend, daß das Gewicht in der Frage der Gerechtigkeit nicht auf dem individuellen Tugendbesitz liegt. Die Iustitia wird in institutioneller Form ausgeübt und zieht in den Roman eine im Hintergrund stets gegenwärtige obrigkeitliche Kontrollstruktur ein. Das Schema des Gerichts dominiert so, daß es nicht völlig falsch wäre, das ganze Werk als Gerichtsroman zu bezeichnen. 138 Das Gericht überführt auch Duelle und Schlachten als die traditionell spektakulärsten Erscheinungsformen heroischer Größe in einen neuen Be136 137 138

Bucholtz: Herkules und Vaüska, I, S. 389. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 245. Einige Beispiele: Der römische Statthalter von Jerusalem läßt eine Reihe von Juden als Mörder und Landfriedensstörer kreuzigen (Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 530-537). Weitere Juden werden als Räuber und Mörder hingerichtet (ebd., I, S. 542f). Der Perserkönig Artaxerxes läßt seinen Feldherrn Gobares als Verräter köpfen (ebd., II, S. 11-14). Ein Giftanschlag auf das Leben der Helden kommt schon vor der Ausführung an das Licht; Bucholtz inszeniert die Verstocktheit der Täter in Form einer umständlichen Überführung (ebd., II, S. 150-154). Zum Thema van Dülmen: Theater des Schreckens.

118 deutungszusammenhang. Bucholtz läßt immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen in Gerichtsverfahren münden 139 - ganz Michael Kreps' Ratschlag gemäß, der Feldherr möge nach der Eroberung eines Orts »iustificiren vnnd Malefitz halten« 140 - und bringt Gericht und Zweikampf in ein nahes Verwandtschaftsverhältnis. 141 Zunächst entsteht damit allerdings der Eindruck eines archaisierenden Riickfalls. Die Zweikampfdarstellungen befinden sich im Widerspruch zur zeitgenössischen Duellkritik, die auf Gerichtsverfahren unter staatlicher Regie besteht. Giovanni Battista Vico erklärt im 18. Jahrhundert, allerdings schon aus kulturgeschichtlicher, den geschichtstheoretischen Positionen der frühen Aufklärung weit vorauseilender Perspektive, die Zweikämpfe für diejenige Art der Entscheidungsfindung, die in der barbarisch-heroischen Zeit notwendig und den Sitten angemessen gewesen sei, während »sie heute, bei diesem Stand der Humanität, die strafrechtliche und zivilrechtliche Urteilssprüche gesetzlich geregelt hat, verboten sind.« 142 Mit dem heroischen Zweikampf scheint Bucholtz jedenfalls den Disziplinierungsabsichten seines Romans entgegenzuwirken. Doch ist eher die umgekehrte Perspektive dem Roman angemessen: Das Zusammenspiel von Gericht und Kampf präsentiert den ordnenden Zugriff der Rechtsprechung, der jeweils der höchsten politischen Autorität zusteht, als heroischen Akt. Umgekehrt geht der handgreifliche Kampf in ein hoheitliches Vorgehen über. Auch ohne Gerichtsverfahren können sich Duelle und Schlachten einer Rechtsentscheidung (an Stelle des von der zeitgenössischen Duellkritik abgelehnten Gottesurteils) annähern. 143 Allerdings darf man das im Roman ausgeübte nicht mit einem formalisierten Recht verwechseln. Es stiftet eine institutionalisierte Sinn- und Wertordnung, die einer heroischen Personifikation zugänglich bleibt. Den Verfasser interessiert nicht so sehr das Verfahren wie das Gericht als Instanz der Verurteilung und Bestrafung von Übeltaten. Als deren Kern führt der Roman Abweichungen vom Affektregiment und entsprechende Tugendverstöße vor. Bucholtz verwendet das Gericht als dasjenige Forum, vor dem 139

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Vgl. die Hinrichtung des Wendenfürsten Krito; in diesem Zusammenhang wird ausführlich über die Legitimität des Verfahrens gegen einen Fürsten diskutiert (Bucholtz: Herkules und Valiska, II, 544-552). Die gesamte kriegerische Auseinandersetzung mit den aufständischen Krodenpfaffen ist mit Gerichtsverhandlungen gegen die Anführer durchsetzt (ebd., II, S. 605, 607, 611, 621-623, 630f.) Auch am Ende des Kriegs gegen die Pannonier steht eine ausführlich dargestellte Gerichtsverhandlung (ebd., II, S. 812-829). Kreps: Teutsche Politick, zweiter Teil, S. 275. Vgl. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 314f.; das Duell ersetzt hier mit Billigung des Rats das Gericht. Ebd., I, S. 467-474, wo nach geradezu kriminalistischer Überführung der Täter im Zweikampf besiegt wird. Vgl. auch ebd., I, S. 489-493, wo ein Zweikampf mit einem Juden zur offiziellen Veranstaltung unter dem Schutz des Statthalters wird. Vico: Prinzipien einer neuen Wissenschaft, S. 26. - Zur Duellkritik vgl. oben 2.1. Beispiele: Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 740-746; ebd., II, S. 428-442.

119 solche Vergehen in ihrem verwerflichen Charakter namhaft gemacht und mit entsprechenden Strafen belegt werden. Hinter der Verurteilung und Bestrafung von Räubern, die Sophia, Ursul und Sibylle in Padua entführt hatten, erkennt man das Thema unkontrollierter Sinnlichkeit. Bucholtz verbindet es auf der anderen Seite mit der Begründung neuer heroischer Liebesbeziehungen. 144 Ähnlich gelagert ist das Verfahren gegen Reichard, der »sich durch seine verteufelte fast unerhörte Boßheit und wahnsinnigen übermuht« verleiten ließ, »einem Hochfürstlichen Fräulein (welches ihm nicht unbewust gewesen) nach Ehr und Keuscheit zustreben«. 145 Auch die sehr ausführliche Darstellung des Verfahrens gegen den Pannonierkönig Mnata und seinen Feldherrn Dropion, die einen ungerechten Krieg gegen Böhmen und Deutsche begonnen hatten, gilt den Tugendverstößen des Feldherrn, der von Ehrgeiz beherrscht ist und dem Inzest und Sodomie nachgesagt werden. 146 Die Gerichtsverfahren gegen die Juden bringen die Tugend- und Rechtsübertretungen zusätzlich mit religiösen Irrlehren in Zusammenhang.147 Bucholtz stellt der Bestrafung der Übeltäter die Begnadigung oder sogar die Standeserhebung der reuigen Sünder gegenüber. Letzteres gilt für Reichard, aber auch für den von Dropion verführten Pannonierkönig Mnata. Das ausgewogene Verhältnis von exemplarisch strenger Bestrafung und breit gestreuter Milde entspricht den Empfehlungen der politischen Schriften. 148 Zweifellos orientieren sich Strafe und Gnade auch am Modell des göttlichen Weltgerichts, das sie allegorisch präfigurieren. Ebenso bedeutsam ist allerdings, daß sich im Gerichtsverfahren die Durchsetzung anthropologischer Ordnungsmuster institutionell verfestigt. Als Statthalter der Tugendordnung erscheinen hoheitliche, letztlich staatliche Instanzen. Das Gericht schaltet im Grunde überhaupt eigenmächtiges Tugendhandeln aus und unterwirft es nicht nur der Kontrolle, sondern verwandelt es in ein obrigkeitlich reguliertes. Damit teilt Bucholtz erneut eine Perspektive, die in den politischen Schriften des 17. Jahrhunderts angelegt ist. Fulvius Pacianus formuliert ausdrücklich die Ablösung der Individualtugend durch den Staat. In dem Institutionalisierungsinteresse geht er bis zu der Behauptung, »daß ein Gesetze viel höher vnd köstlicher zuachten sey/ als die Tugendt«. Letztere richte zwar »viel guts vnd herrlichs« aus, orientiere sich aber eigentlich stets am Privatnutzen des Handelnden: »Worauß dan nohtwendig folget/ daß die tugendt 144

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Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 297 - 3 0 0 . Vgl. zur Vorgeschichte ebd., S. 2 5 4 277. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 700f.; vgl. im übrigen S. 7 0 0 - 7 0 5 . Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 812 - 829, bes. S. 816£ Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 5 3 0 - 5 3 7 . Hingerichtet werden die Juden, die trotz genauer Widerlegung ihrer Glaubensprinzipien sich nicht zum Christentum bekehren, während zwölf »neue Christen« Gnade erhalten. Vgl. auch ebd., I, S. 689f; II, S. 238. Ein Beispiel zur Bestrafung der »capita« eines Aufstands bei Weyhe: Avlicvs politicvs, S. 82, C C L X X X V I I I I .

120 so viel geringer als die Gesetze seyn müsse: als viel die gemeine gutthat/ oder das gemeine beste/ darauff die Gesetze allein gerichtet/ höher grösser vnnd löblicher ist/ als eines einigen Menschen nutz«. 149 Berns hat vorgeschlagen, »die >Polizey< als Choreographie des Untertanenverbandes (qua subhöfischer Sphäre), das >Ceremoniell< hingegen als Choreographie des Hofstaates (qua binnenhöfischer Sphäre)« zu bezeichnen. 150 In diesem Sinn übernimmt der Hercules Aufgaben der »Policey«. Überhaupt dürfte es lohnen, den Roman stärker, als es hier möglich ist, auf die zeitgenössische »Polizey«-Wissenschaft zu beziehen. Als Einrichtung, die dazu bestimmt ist, über die Wahrung der »Sitten« zu wachen, übt speziell das Gericht in Lipsius' Terminologie das >polizeyliche< Amt der »Censur« aus. 151 Allerdings führt Lipsius - wie auch, im Anschluß an ihn, Michael Kreps - die »Censur« deshalb ein, weil in ihrem (für die öffentliche Ordnung< gleichwohl wesentlichen) Wirkungsbereich die Mittel der Jurisdiktion versagen. Bei der »Censur« handelt es sich um »eine zu Redesetzung/ oder Bestraffung deren sitten: wie auch deß prachts vnnd überfluß/ davon die Gesatz nicht Maß oder Ordnung gnug geben.« Die »Censur« hat »Alß eine Meisterin der Zucht vnd Mässigkeit« die Aufgabe, die »Disciplin« bei den Untertanen durchzusetzen, zu kontrollieren und auf diese Weise Herrschaftsstruktur und Sozialhierarchie psychologisch zu verankern. Im einzelnen ist sie zuständig für »Hurerey/ Ehebruch Trunckenheit/ Hader vnd Zanck/ fluchen vnd schweren«, für Geldgier, für Verschwendung an Wohnungen und Gastereien sowie für Kleiderordnungen. 152 Der Absicht der »Censur«, das nicht Justiziable zu kontrollieren, entspricht die intendierte Wirkungsweise der Gerichtsdarstellung durch Anschaulichkeit und Exemplarität. Bucholtz führt dem Leser eindrucksvoll abschreckende Details von Folterungen und Hinrichtungen vor Augen. Dropion etwa wird »als ein Meinäidiger seiner beiden vordersten Finger an der rechten hand beraubet«, sodann gepfählt und schließlich »mit glüenden Zangen an sechs Orten seines Leibes gezwakt«. 153 Auf das Interesse, die Tugenden in ein verfaßtes Garantiesystem politischer Stabilität zu überführen, weist hingegen die Form des Gerichts. Bucholtz überzieht den Willkürbereich des moralischen Handelns mit einer Tugendinstitution, die als Instrument der »Disciplin« dient. Er verwandelt den Tugendkatalog in ein Hilfs149 150

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Pacianus: Discvrsvs politicvs, de vero justoque principe, S. 298. Berns: »Princeps poetarum et poeta principum«, S. 7. Zum Begriff Oestreich: Policey und Prudentia civilis; Maier: Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre; Weber: Prudentia gubernatoria, S. 273-281. Zur Censur als Aufgabe der »Polizey« Maier: Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 153-156. Lipsius: Von vnterweisung zum weltlichen Regiment, S. 173. Vgl. Kreps: Teutsche Politick, erster Teil, S. 223ff. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 825. Für weitere Einzelheiten vgl. ebd., S. 827t

121 mittel organisatorischer Verfügung über komplexe soziale Gegebenheiten. An den Schlachtbeschreibungen werden wir sehen, wie die Ordnung der Sitten sich im Bild militärischer Hierarchie und geometrischer Disposition konkretisiert. Der Bündelung der pädagogischen Absichten im Gericht entspricht der institutionelle Zugriff auf die heroischen Figuren. Staat bzw. Politik ergreifen bei Bucholtz Besitz vom heroischen Charisma. Zu der Frage, welche Legitimationsprobleme bei diesem Vorgang auftreten, dringt der Verfasser noch nicht vor. Sie wird uns im folgenden Kapitel beschäftigen. - Die obrigkeitliche Aneignung äußert sich sowohl in der Annäherung der Helden an staatlich-militärische Strukturen als auch in ihrer anthropologischen Überformung. 154 Es wurde schon deutlich, daß der Tügendglanz der heroischen Figuren in der Literatur des 17. Jahrhunderts erheblich ausgebaut wird. Dabei geht ihr Bezugspunkt von religiösen Geboten zunehmend auf die sich theologisch legitimierende staatliche Ordnung über. Ich erörtere die Verwandlung des Helden in ein obrigkeitlich verankertes Exemplum der Staatsverpflichtung am Leitfaden der ersten abenteuerlichen Episode des Romans, der Niederwerfung einer Räuberbande in der Umgebung von Padua. Der Sieg über Räuberbanden wiederholt sich im Roman immer wieder und kennzeichnet stereotyp die heroische Tugend. Darüber hinaus strukturieren die Räuber-Erzählungen große Handlungskomplexe, vor allem Valiskas Entführung aus Prag, die den Rahmen der ersten Romanhälfte liefert. Bucholtz setzt die Räuber schlechthin als Kontingenzfaktor ein. Zweifellos weist das Motiv auf ältere Romankonzeptionen zurück und findet sich deshalb besonders oft in der ersten Hälfte des Werks, die sich stärker an das /tmaifo-Schema anlehnt. 155 Doch zugleich legt Bucholtz die räuberischen Aktivitäten als Gefährdung der öffentlichen Ordnung an. Die einleitende Räuber-Episode führt daher auch exemplarisch und an exponierter Stelle vor, wie sich der Staat der heroischen Figur bemächtigt. Mit dem Sieg über die Räuber, die eine Waffen-, Schatz- und Vorratskammer angelegt haben und im Begriff sind, ein Heer von 50000 Soldaten anzuwerben, um einen »Anschlag über ganz Italien« auszuführen, 156 übernimmt Herkules die Rolle des Staatsretters; das ritterliche Abenteuer wird zum hoheitlichen Ordnungsamt. Mit dem Kampf gegen Partisanentruppen und Privatarmeen greift Bucholtz im übrigen wichtige militärische Anliegen des absolutistischen Staats auf. 157 154 155

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Zu letzterem vgl. unten 2.3.3. Beispiele in Auswahl: Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 215-220; 253 -257; 283; 345_347 ; 453-459; 542f.; 544-550; 587-590; 590-598; 613-621; II, S. 254-277. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 142. Zum Kampf des abolutistischen Staats gegen eigenmächtig handelnde militärische Formationen Roberts: Die militärische Revolution 1560-1660, S. 285. Die Kombination mit einer Jungfrauenbefreiung verbindet auch hier die Erbauungsaspekte von Tügendmuster und Affektorganisation mit der Staatsprogrammatik (Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 2 4 - 2 7 ) .

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Daß auch über die Räuber-Episode hinaus die heroische Figur die Tugenden im staatlichen Interesse bündelt, macht die Hintergrundrolle des römischen Prinzipats deutlich, die der Leser gemäß der Lehre von der Translatio imperii zugleich als die des Habsburgerkaisers verstehen soll: Die Romanfigur, den römischen Kaiser, setzt der Verfasser in der Dedikation an Leopold I. um den Preis von Inkonsequenzen mit dem römisch-deutschen Kaiser typologisch in Beziehung.158 Wenn der Christliche teutsche Groß-Fürst Herkules sich an dem heidnischen Staatsmuster orientiert, so signalisiert dies, wie sehr die Erbauung auf eine durchgreifende Tugendorganisation zustrebt. Daß Rom außerdem der Ort von Herkules' Bekehrung ist, nähert im Roman das Christentum noch entschiedener an die römische Staatsgesinnung an.159 Als deren Gegenbild bietet Bucholtz - wie schon bemerkt - den jüdischen Messiasglauben mit seinen Folgen der >verbrecherischen< Insubordination auf, aber auch etwa die Verschlagenheit nur auf den eigenen Vorteil bedachter griechischer Freibeuter.160 Der obrigkeitliche Auftrag wird zu Voraussetzung heroischen Handelns: Als Herkules von Jerusalem nach Assyrien aufbricht, um Valiska zu befreien, erhält er vom römischen Statthalter nicht nur »eine offene Schrifft an alle Römische Beamten von hier biß durch Mesopotamien an den Tigerfluß«, die ihm »als einem hochverdienten Römischen Freunde« Unterstützung sichern soll, sondern man gewährt ihm auch »einen Freybrief [...]/ als einem vom dem Römischen Käyser an den Parther König Gesanten/ der euch in Gefahr und Anfällen sehr nützlich seyn kan.«161

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Bucholtz: Herkules und Valiska, Widmung an Leopold I., I, )(v: »Zv Eurer Käyserl. Majestät wirdigsten Füssen leget gegenwärtiger/ der Teutschen angeführter GroßFürst Herkules/ sampt seiner ihm vertraueten Königl. Böhmischen Fräulein Valisken sich allerdemütigst nieder; und solches aus tiefstschuldiger dankbarkeit; nachdem von Käyserl. Majest. höchstmildest-gewogener Hand/ sie ehmals einen Gnaden-Reichs-Stab und Krohn (im sechsten Buche dieser Geschichten zu sehen) empfangen haben.« Vgl. im Gegensatz dazu die Rede des Großfürsten Henrich, Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 596-599, die Deutschlands politische und religiöse »Freiheit« gegenüber Rom geltend macht. Hinter der Ablehnung eines politischen Primats des Kaisers steht vermutlich u. a. eine Distanzierung vom konsequenten Absolutismus zugunsten der »deutschen Libertät«. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 192-194. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 411-417. Möglicherweise spielt hier ein Negativstereotyp von den Griechen als Kontrast zu den Römern eine Rolle, wie es auch in der von Lipsius angeführten sprichwörtlichen Rede von den »Kriegßleute[n] von Athen« zum Ausdruck kommt, »welche in den Zechen vnnd Zusammenkünfften/ da man deß Feinds zu rede wird/ sich kaum der Straich enthalten können: Aber da es an ein ernst gehet/ behüt Gott/ wie sie sich dann alsobald auß dem Staub machen.« (Von Unterweisung zum weltlichen Regiment, S. 265.) Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 539. Zum späteren Nutzen dieser Papiere vgl. ebd., I, S. 892f. Vgl. auch - unabhängig von der Orientierung am römischen Staat ebd., II, S. 22f.: Nach dem Tod des Fürsten Gobares bekommen Valiska und Herkules dessen Land Susiana aus der Hand des Perserkönigs Artaxerxes, das sie allerdings sofort an den Feldherrn Pharnabazus weitergeben.

123 Bucholtz ordnet seinen Helden loyal dem römischen Kaiser zu und läßt ihn dessen »löbliche Beherschung« preisen. 162 Umgekehrt verwandelt die Teilnahme des Kaisers eine Hochzeitsfeier in Padua in einen Staatsakt, in dessen Verlauf Herkules das Angebot eines Nebenkaiseramts ablehnt. 163 Vor ihrer Rückreise erhebt der Kaiser (als Typus Leopolds I.) die Helden zu Königen von Böhmen und Deutschland. 164 Doch ist es vor allem das Amt des Feldherrn, des Offiziers, das die Heldenfunktion sichtbar macht. In diesem Sinn signalisiert der Übergang von der chevaleresken, wenngleich schon staatsorientierten ersten Romanhälfte zu den Militär- und Staatsaktionen der abschließenden Bücher eine Steigerungsperspektive, die überdies mit der christlichen Erbauungs- und Bekehrungsintention koordiniert ist. Für den Kampf gegen den Partherkönig Artabanus treten Herkules und Ladisla in den Dienst verbündeter morgenländischer Fürsten, »welches Ampt sie dergestalt auf sich nahmen/ daß Herkules sich vor GroßFürst Phraortes; Ladisla vor Fürst Menapis in Hirkanien Feldmarschalk halten wolten.« 165 Dem obrigkeitlichen Mandat des Helden steht in den Gerichtsszenen der Anklagepunkt des »Verrats« gegenüber, der jede Art von Insubordination und Verletzung der Ehre fürstlicher Personen einschließt, erst recht jeden Angriff auf ihr Leben, soweit er gegen Standeskonventionen verstößt. Ein Beispiel liefert Gobares, der sich nicht in die militärische Hierarchie einfügt, später Valiska in seine Gewalt bringt und schließlich gefoltert und hingerichtet wird. 166 Das Verratsthema, dessen Karriere in Gesetzgebung und Rechtspraxis erst im späten Mittelalter einsetzt und mit dem Ende des 17. Jahrhunderts abflacht, stellt den Roman erneut in den Kontext der Entstehung des modernen Staats wie auch des Versuchs, das Gewissen als >politische Institution zu formieren. 167 Überhaupt könnte man die Absicht des Romans auch als das Bestreben beschreiben, Einfluß auf das Gewissen zu gewinnen.168 Die »Alleruntertähnigste Dankbezeigung« an die »Römische Käyserliche Majestät« zu Beginn des zweiten Teils integriert Herkules und Valiska in die göttliche Weltordnung. Der Dankgestus gegenüber Gott besteht in demüti162 163 164

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Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 365. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 396. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 425 (recte: 443). Darauf bezieht sich die oben angeführte Stelle aus der Widmung an Leopold I. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 30f. Weitere Stellen: I, S. 377-380: Fabius als römischer Gesandter und >obrigkeitlicher< Repräsentant in Richterpose; II, S. 194: Ladisla wird wegen seiner Tapferkeit römischer Offizier. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 786-795; II, S. 11-14. Weitere Beispiele: Ebd., II, S. 543-552 (Hinrichtung des Wendenfürsten Krito, seines Sohns und seines Helfers Niklot, die Herkules' Vater, den Großfürsten Henrich, in ihre Gewalt gebracht hatten); ebd., II, S. 760-764 (Dropion als Verräter); ebd., II, S. 892 (zu Ninisla und Urisla). Minogue: Treason and the Early Modern State. Zu diesem Thema übergreifend Kittsteiner: Die Entstehung des modernen Gewissens.

124 ger Unterordnung: »Nun wol! vor Gott bestehn | Am besten/ die vor ihm demühtig niderfallen/ | Und sagen willig an1 daß ihr Vermögen bloß | Ein reiner Wille sey.« Diese Eingliederung in den Weltbau konkretisiert sich in der in das weltliche Herrschaftsgefüge. 169 Bucholtz schreibt »Fried und Ruh«, zu denen die Titelfiguren schließlich gelangen, dem Kaiser als der »höchste[n] Majestät der ganzen Christen-Welt« zu und setzt diesen Wunschzustand mit festungsartigem Schutz vor den Feinden gleich: »Sie sitzen auf dem Hügel | Der festen Sicherheit.« Er konzipiert Herkules und Valiska als Amtsträger einer christlichen Ordnung, die in eine staatliche Institutionalisierung einmündet: Valisk' und Herkules erkennen/ daß sie schwach Und allerunwerd sind. Durch Käyserliche Güte Stehn sie/ und sonsten nicht. Es rinnet ihre Bach Aus Käysers Gnaden-Meer. Sie stehen in der Blüte/ Dann dessen Woltaht-Schein beut Krafft und Wärme dar. D e ß bringen sie den Dank demühtigst/ und ergeben Sich dessen Majestät zu eigen ganz und gar/ Von welcher sie ihr' Ehr erlanget und ihr Leben.' 7 "

Die staatliche Institutionalisierung beläßt es nicht bei der herkömmlichen Bestimmung des Heroischen als Überbietungstugend, sondern überführt es in die exemplarische Inkarnation einer positiven historischen und politischen Ordnung. Dabei gewinnt das Heroische als politisch verfügbares Symbolsystem, was es an metaphysischer Verweiskraft einbüßt. In den Räuberepisoden wandert der Akzent von der Tugendverwirklichung auf die heroische Symbolisierung der öffentlichen Ordnung. Damit zeigt sich an der Darstellung des Heroischen auch zunehmend schärfer die »Trennlinie zwischen dem Wirklichen und Wirksamen auf der einen und dem >bloß< Symbolischen oder Rituellen auf der anderen Seite«.171 In dem Maß, in dem Heroisches politisch und psychologisch funktionalisiert wird, intensiviert sich seine Ordnungszuständigkeit, während es an Legitimationskraft verliert. 172

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Den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit fordert auch - wenngleich in panegyrischem Kontext - die Widmung an Leopold I. Die Wendung von den Fürsten als Göttern wird stets als Intensivierungsformel für die fürstliche Auctoritas gebraucht: »Die hohe Obrigkeit hat die Ehre in der Heiligen Schrift/ daß sie Götter genennet werden; anzudeuten/ daß in vielen stücken sie sich dem wahren einigen Gotte gleich zubezeigen pflegen; insonderheit in diesem/ daß der unvermögenden Gehorsamen ergebener Wille ihnen angenehmer ist/ als was von haabseligen durch Zwang heraus gekeltert/ oder aus Furcht geliefert wird.«

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Bucholtz: Herkules und Valiska, II, »An die Allergroßmächtigste/ Unüberwindlichste und Preißwirdigste Römische Käyserliche Majestät Alleruntertähnigste Dankbezeigung Vor die Dem Teutschen Herkules und seiner Böhmischen Valisken allergnädigst erteilete Freyheit/ Schutz und Begnadigung«, a iij. Zur hierarchischen Ordo als Rahmen staatsbezogener Disziplinierung auch II, S. 681f. Burke: Historiker, Anthropologen und Symbole, S. 31. Die Geschichte des Heroischen partizipiert insofern an einem Inversionsverhältnis,

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Bucholtz treibt diesen Vorgang voran, indem er nicht nur die Verbindungen zwischen Held und Staat festigt, sondern auch - wiederum in der einleitenden Räuber-Episode - die Ausschließlichkeit betont, mit der nunmehr der Staat die heroische Symbolik beansprucht. Die Epitheta des Heroischen gehen als reputationsförderndes Disziplinierungsinstrument in die Verfügungsgewalt der zentralen Ordnungsinstanz über, während jeder andere Verwendung als Majestätsverbrechen gilt. Wie Clapmarius in seiner Schrift über die Arcana rerumpublicarum (1605) aus der Zeit des römischen Prinzipats berichtet, wurde jemand, »von dem die Rede ging, er habe das Bild eines anderen mehr als das des Fürsten verehrt, wegen Kontumaz, ja wegen Majestätsbeleidigung verklagt.« 173 Die heroischen Zeichen werden zum Jus majestatis. Zweifellos ist dieser Teil des Abenteuers auch ein immanenter Kommentar zur Bedeutung des Romans als historisch-heroischer Dichtung. In der einleitenden Episode haben die Räuber den Schauplatz ihres mißglückten Überfalls auf die Jungfrauen mit Denksteinen und Inschriften markiert. Dort liest man: Stets wehrendes EhrenGedächtniß der treflichen Helden/ welche auff diesem unseligen Platze von vierzig Römischen Rittern unredlicher weise angegriffen/ und nach langem ernstlichen Gefechte übermannet und erschlagen sind; deren Todt an den Mördern und ihren Helffers-Helffern zu rächen/ die löbliche verschworne Gesellschafft ihr vorbehalten hat.

Die heroische Monumentalsymbolik, deren sich römische Untertanen »ja nit öffentlich« hätten bedienen dürfen, gibt überhaupt den ersten Anlaß zu dem Verdacht, »dem Römischen Reiche stehe eine grosse annoch verdeckete Gefahr vor«. 174 Umgekehrt wird Herkules dafür, daß er das römische Reich vor diesem Anschlag bewahrt, mit Geschenken, Festlichkeiten und einem öffentlichen Monument geehrt. 175 Weitere Hinweise auf das obrigkeitliche Denkmalsmonopol bieten die Auseinandersetzungen mit den Juden. 176 Auch

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das Schmidt-Biggemann: Topica universalis, besonders in der Einleitung S. X V XVIII grundsätzlich dargestellt hat. Clapmarius: De arcanis rerumpublicarum libri sex, S. 124: »Hinc qui alterius effigiem plus quam principis coluisse dicebatur, contumaciae, imo laesae majestatis reus fiebat.« Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 130f. Zur politischen Funktion absolutistischer Monumente vgl. Keller: Reitermonumente absolutistischer Fürsten. Dort speziell S. 3f. zur zeitgenössischen Lehre vom öffentlichen Standbild als fürstlichem Privileg. Für politische Aspekte barocker Inskriptionen vgl. Vuilleumier: La rhétorique du monument. Zu den Feiern und Ehrungen: Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 59-62; 149; 151-154; 157-159; 165-179. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 237f. An der Stelle, wo Herkules bereits zuvor einen Juden besiegte, stehen die Kreuze »noch allesamt auffgerichtet/ und solches den Juden zur Warnung und schrecken/ doch sähe man an denselben/ daß sie viel alte und neue Hiebe zeigeten/ welche ihnen die Juden täglich gaben/ damit sie bald niderfallen möchten. Gallus besähe die Kreuze gar genaue/ und ward an denselben gewahr/ daß viel Ebreisches daran gekritzelt stund/ welches Plautus lesen und ver-

126 die Verleihung heroischer Ehrentitel wird zum hoheitlichen Symbolakt, der dem Kaiser zusteht. Er nennt die Helden »invictissimos, Unüberwindlichste; Decus equestre, Zier der Ritterschaft; carissimos Imperatoris Fratres des Käysers allerliebste Brüder«. Valiska betitelt er als »Miraculum Orbis, das Wunder der Welt; incomparabilem pietate, virtute, forma Heroinam: Die unvergleichliche Heldin an Gottesfurcht/ Tilgend und Schönheit«. 177 Das Aufstellen von heroischen Standbildern und die Diskussion darum verdoppeln die Präsenz des Heroischen im Text. Sie führen dem Leser die Ausschließlichkeit vor Augen, mit der die >Obrigkeit< die heroische Symbolsprache für sich beansprucht. Die Standbildfrage ist ein Beispiel dafür, daß im Roman die heroischen Figuren stets auf den staatlichen Organisationsrahmen verweisen. Welches exemplarisch-psychologische Gewicht die politische Programmatik der heroischen Figur zuweist, zeigt sich daran, daß das Streben nach heroischem Ruhm nicht erst auf die postume Apotheose zielt. Das heroische Erscheinungsbild ist vielmehr darauf angelegt, unmittelbar die Verehrung der Untertanen auf sich zu ziehen. 178 Es gibt sich so als konsequent funktionalisiertes suasives Instrument zu erkennen. Gleichzeitig demonstriert Bucholtz' Lehre vom Majestätsrecht auf Standbilder, gewissermaßen gegen die Absichten des Autors, in welchem Maß das Heroische disponibel geworden ist.

2.3

Zur Symbolik der Schlachtenbilder

2.3.1 Strategischer Blick und Ordnungsinteresse Im dritten Aufzug des Götz von Berlichingen wird mit der Reichsexekution die Auseinandersetzung zwischen dem fränkischen Edelmann und seinen kaiserlichen Gegenspielern handgreiflich. Goethe läßt an dieser Stelle nicht nur die zentrale Staatsmacht auf eine hoffnungslos unterlegene Partikulargewalt treffen, sondern konfrontiert zwei historisch unterschiedliche militärische Konzeptionen miteinander. Auf der einen Seite steht der Ritter, der eine ungeordnete Gruppe von z. T. namentlich identifizierbaren Gefolgsleuten anführt. Ihr innerer Zusammenhalt ist als Verband von Einzelpersonen gewährleistet und fußt auf Faustrecht und gegenseitiger Fürsorge- und Treueverpflichtung. Im Kampf widersetzt sich Götz zugunsten eigenmächtiger Augenblicksentscheidungen der Unterwerfung unter das übergreifende taktische Kalkül: dolmetschen muste/ da sich dann befand/ das erschreckliche grausame Verfluchungen über Herkules und den Stathalter von den Juden daran geschnitten wahren [...].« 177 Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 425 (recte: 443). 17« Ygi Watter: Jean Louis Guez de Balzac's >Le Princeideologische< Züge annehmen konnten, doch liegt mir an einer Akzentverschiebung: Im Vergleich mit älteren Modellen indiziert die >Strategisierung< einen Wandel des Größenideals selbst, der nicht nur in bezug auf die Schlachtenbilder zu beobachten ist. Erst so wird auch Tatlocks letztlich unerklärte Beobachtung interpretierbar, daß aus zeitgenössischer Perspektive eine Divergenz zwischen individueller Größe im Einzelkampf und technischem Krieg gar nicht gegeben war (S. 664-667). Happel repräsentiert freilich schon eine Spätstufe, in der das Modell des »strategischen Helden« sich aufzulösen beginnt. Insgesamt allerdings scheint mir die - wenn ich richtig sehe - bei Tatlock vorausgesetzte Vorstellung grundsätzlicher Unvereinbarkeit von technisiertem Krieg (im weiteren dann auch: von Institutionenstaat) und heroischem Ideal eine solche des 18. Jahrhunderts, in programmatischer Form des späten 18. Jahrhunderts zu sein.

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Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 710-812. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 813-817; 829-831; 946-950.

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129 Tendenz löst bei Bucholtz der militärische Stratege den eigenmächtig handelnden Ritter ab. Es ist die Leistung des Verfassers, diesen Typus in den Mittelpunkt gestellt, und nicht nur, den Amadis-RitteT auf Tugendwerte verpflichtet zu haben. Doch sei zunächst daran erinnert, daß Bucholtz mit solchen Interessen weder ein Einzelfall ist noch überhaupt eine Vorreiterrolle spielt. In Tassos Gerusalemme liberata deuten die Hinweise auf Taktik und Technik des Kriegs symbolisch auf Konfliktstoff und Programmatik des Werks. Tasso konnte seinerseits schon auf eine Reihe von Vorläufern zurückblicken. So finden sich auch in Ariosts Orlando fusioso Spuren dieses Zugs, der aber in der Entfaltung der sich auflösenden Ritterwelt nicht verselbständigt wird, kein eigenes Bedeutungsgewicht bekommt und eher dekorative Aufgaben übernimmt. 190 - Tasso bereitet die abschließende Schlacht gegen die Ägypter vor, indem er die Aufstellung der Heere erläutert: Es ward von jhm [Gottfried von Boullion] der Berg/ der auff der lincken Seit' Vnd hinter jhme war/ am ersten eingenommen/ D i e Ordnung seiner Schlacht/ die macht er forne breit/ Vnd auff der Seiten schmal/ dem Einbruch fürzukommen/ Er stellet ordentlich die gantze Reuterey D e m Fußvolck' in der Mitt' auff beyden Seiten bey. 1 9 1

Diese Stelle steht keineswegs vereinzelt da. 192 Erinnert sei auch an das festliche Erscheinungsbild der aufbrechenden Kreuzritter. 193 Dabei erwähnt der Verfasser nicht allein die Disposition der Heere, sondern auch taktische Vorsichtsmaßnahmen 194 und Kriegstechnik: Immer wieder beschäftigen ihn (historisch durchaus korrekt) die Belagerungstürme, die den Sturm auf Jerusalem ermöglichen sollen. 195 Mit dem strategischen Blick und der taktischen Organisation verbindet sich eine Zentralisierungstendenz: »Du bist ja vnsers Felds Seel/ Leben/ Geist vnd Macht«. 196 Das Kreuzfahrerheer ordnet sich um Gottfried von Boullion an, während Tasso andererseits die Folgen der Führungslosigkeit für die Gesamtordnung demonstriert: »Ein Haupt das war hinweg/ das ander vmbgebracht/ | So fängt das ander Volck sich seltzam an zu stellen«. 197 Die 190

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Vgl. exemplarisch Ariost: D e r rasende Roland, X X X I X , 78 - X L , 8, II, S. 3 8 8 - 3 9 4 ; XL, 1 4 - 3 4 , II, S. 3 9 7 - 4 0 4 ; XLI, 8 0 - 9 6 , II, S. 5 4 4 - 5 4 8 . Für einen Überblick vgl. Brand: The Poetry of War in the Italian Renaissance. Von dem Werder: Gottfried von Bulljon (1651), X X , 8, S. 483. Vgl. im übrigen X X , 8 - 1 2 , S. 4 8 3 t und 221, S. 486. Für Gottfrieds Eingriffe in das G e s c h e h e n vgl. X X , 711, S. 499f. Vgl. etwa von d e m Werder: Gottfried von Bulljon (1651), XI, 2 9 - 3 2 , S. 266f. Von dem Werder: Gottfried von Bulljon (1651), I, 72£, S. 19. Von dem Werder: Gottfried von Bulljon (1651), I, 74, S. 19. Vgl. u.a. v o n d e m Werder: Gottfried von Bulljon (1651), XVIII, 55f., S. 432f.; 6 3 65, S. 434f. Von dem Werder: Gottfried von Bulljon (1651), XI, 20, S. 264. Von dem Werder: Gottfried von Bulljon (1651), X X , 90, S. 504. Vgl. auch IX, 94f., S. 234.

130 Figur Gottfrieds verliert wegen ihrer Mittelpunktsfunktion als »Haupt« (im Vergleich mit Rinaldo als »Hand«) 198 an Eigenaktivität und Mobilität 199 und gewinnt andererseits an charismatischer Ausstattung. Letztere zeigt sich als Nimbus, der das Amt des Heerführers als göttliche Bestimmung beglaubigt: »Man meint die Sonne hab' auß jhrem jnnern Liecht/ | Gar einen hellen Schein auff jhn rab lassen neigen«. 200 Gottfried ließe sich geradezu als Lehrbeispiel für das Konzept der Autorität betrachten, mit dem wir uns noch beschäftigen werden. 201 Die auratisierte Figur des Strategen, nach dessen Weisung sich das Heer zu einem geordneten Kollektivkörper formiert, vertritt ein zunächst theologisches, in weiterer Perspektive aber auch politisches Subordinationsgebot mit affektpsychologischen und ethischen Implikationen, 202 dem sich die Kreuzzugsteilnehmer fügen müssen: »Macht einen Leib/ auß euch/ den Geliedern/ in gesambt/1 Ach macht ein Haubt/ das euch zusammen rieht vnd führe!« 203 In dem Konflikt zwischen dem Verfügungsanspruch des Ganzen und dem Eigenwillen der Einzelfiguren, zwischen dem Partikular- und dem Gesamtinteresse, den das Epos auch als poetologisches Problem austrägt, liegt das zentrale innere Bewegungsmoment des Werks. Mit dieser Thematik steht Tasso im Vorfeld barocker Ordnungsvisionen. En passant sei darauf aufmerksam gemacht, daß auch Hohberg in seinem Habspurgischen Ottobert Elemente des Militärwesens als Basismodell eines übergreifenden Ordnungsentwurfs verwendet, wobei freilich in den Schlachtbeschreibungen das spezifisch Militärische nur die Rolle eines Rahmens übernimmt. Der Verfasser beschreibt genau die topographischen Gegebenheiten, 204 das Anlegen einer Schanze, »weil selber Hügel lag von aussen her entblösst| doch etwas gäh hinaus/ und zimlich flach von innen| daß ihnen den ihr Feind nicht vor möcht abgewinnen«, 205 und die Aufstellung der Truppen einschließlich der Zuordnung zu einzelnen Kommandeuren. 206 Grundsätzlich gilt: 198

Von dem Werder: Gottfried von Bulljon (1651), XIV, 13, S. 336. Vgl. Gottfrieds Selbstverpflichtung auf die Feldherrenrolle (von dem Werder: Gottfried von Bulljon [1651], XI, 22). Zu dieser Entwicklung aus anderer Perspektive Steadman: Milton and the Paradoxes of Renaissance Heroism, S. 4 2 - 5 9 . 200 Von dem Werder: Gottfried von Bulljon (1651), XX, 20, S. 486. 201 Zum »Ansehn« und zur »Hoheit« von dem Werder: Gottfried von Bulljon (1651), V, 38, S. 108f.; XIV, 16, S. 337. 202 Vgl. von dem Werder: Gottfried von Bulljon (1651), III, 2, S. 51: »Der Feldherr ist bemüht/ wie er mit leißem Biß | Seins Volckes Hitzigkeit gar sanffte führt vnd lencket. | [...] Er bringt vnd ordnet sie zum Fortzug' auf die Straß/1 er eilt/ eilt aber doch zugleich mit guter Maaß.« 203 Von dem Werder: Gottfried von Bulljon (1651), I, 31, S. 8. 204 Hohberg: Habspurgischer Ottobert, XXXIV, 459-478. Vgl. im übrigen auch die Seeschlacht gegen die Maranen, XV, 539-936 und XVI, sowie Sigewalds und Duraldans Kämpfe gegen den Herzog Alachis von Friaul (XIX, 142-912; XX). 205 Hohberg: Habspurgischer Ottobert, XXXIV, 480-482; dazu auch 1629-1648. 2,16 Hohberg: Habspurgischer Ottobert, XXXIV, 490-529. 199

131 sein Anschlag war so vil als möglich aufzubringen und wann die Schlacht ergieng auch seitwerts einzudringen den Tartern in ihr Heer/ acht tausend er noch ließ vom Läger rucken her/ und sie verschantzen hieß bey der Stattmauren dicht.207

In der Schlacht kommt neben der quantitativ überwiegenden Darstellung von Einzelgefechten der Überblick über das Schlachtfeld zum Zug. 208 Hohberg versäumt nicht, über günstige Bedingungen für das Auskundschaften der Feinde zu belehren und Kriegslisten zu beschreiben. 209 An der musterhaft geordneten und geplanten Disposition und taktischen Einstellung, wie sie das Christenheer zu Beginn des Kampfs demonstriert, 210 mangelt es den Tartaren, die auch über keine durchgreifende zentrale Steuerung verfügen. Liefern die abendländischen Streiter das Bild eines hierarchisierten Staatswesens einschließlich seiner affektpsychologischen Voraussetzungen, so dominiert bei den Feinden die Willkür: sie halten »im Veld kein Ordnung [...] | geschrencket lassen sich in Glider nicht verwalten/ im Hauffen nur getrennt/ die itzund groß itzt klein | und wie des Mondes Bild in Stetten Wechsel seyn.« 211 Zum strategischen Blick und zur übergreifenden Ordnung gehört die zentrale und omnipräsente Steuerungsinstanz des Feldherrn: Doch wie ein Schiff Patron die Augen aller Orten auf seine Leute helt/ mit Wercken/ wincken/ Worten schafft diß und jenes an/ zur Arbeit sie antreibt beym steyer ruder doch unabgetrennet bleibt zu lencken seine Last wohin ihn denckt von nöthen: Also der Hertzog auch wais witzig zu vertreten den anvertrauten Platz212

Mehr noch als Tasso setzt Hohberg die Schlachtdarstellungen nicht nur als Handlungshöhepunkte ein, sondern auch als Integrationspunkte. Insbesondere die Tartarenschlacht führt verstreute Handlungsstränge zusammen und schließt sie ab. 213 Inhaltlich zeigt sich so - wie bei Tasso - das durchgreifend militärisch formierte Abendland, das als Inbegriff einer universalen Tugendordnung alle politischen Partialinteressen hinter sich zu lassen und damit den Anspruch heroischer Gesamtvertretung zu erfüllen scheint, tatsächlich allerdings - wie bei La Noue - die Tugendsymbolik dem Ordnungsbedarf 207 208 209

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Hohberg: Habspurgischer Ottobert, XXXIV, 409 -413. Hohberg: Habspurgischer Ottobert, XXXIV, 1035-1065; XXXV, 1035-1063. Hohberg: Habspurgischer Ottobert, XXXIV, 538-552; XXXV, 282-324; 504-640; 1009-1012. Hohberg: Habspurgischer Ottobert, XXXIV, 767-778; XXXV, 469-477. Hohberg: Habspurgischer Ottobert, XXXIV, 553-556; XXXV, 104-512. Hohberg: Habspurgischer Ottobert, XXXV, 657 -663. Vgl. auch 1277-1284. Über die Folgen, die der Tod des Feldherrn nach sich zieht: 1453-1474. Vgl. Hohberg: Habspurgischer Ottobert, XXXIII, 868-1264, wo unter anderem Sigewald und Duraldan Anschluß an das Heer finden, das sich gegen die Tartaren formiert.

132 unterwerfen muß und politisch verfügbar macht. Literarisch tritt die Organisationsleistung des Epos selbst in den Vordergrund: Sein heroischer Ton leitet sich insofern aus dem Anspruch einer umfassenden Wissenssammlung ab, die dem Leser weniger Imitation oder Ämulation von Handlungen abverlangt als Einsicht und Integration in den Weltordnungsentwurf. So wie die Hauptfigur ihren heroischen Status als Inbegriff der moralisch beglaubigten überparteilichen politischen Gesamtordnung gewinnt, erlangt das Epos den seinen als verfaßte Summe des Wissens.

2.3.2 Disposition und Geometrie in der Militärtheorie Bevor wir uns der Bedeutung der militärischen Symbolik bei Bucholtz zuwenden, mag ein Seitenblick auf zeitgenössische Schriften zur Militärtheorie politische und anthropologische Aspekte des Strategieinteresses in einem weiteren kulturgeschichtlichen Kontext beleuchten. An eine direkte Übertragung auf literarische Phänomene ist dabei nicht zu denken. Die Feldherrnperspektive literarischer Schlachtbeschreibungen der frühen Neuzeit verschiebt den Blick von der Frontalansicht zum Grundriß. Sie hat Teil an einer Entwicklung, die auch der Darstellung von Festungen, Schlössern, Stadt- und Gartenanlagen, militärischen Exerzierreglements und Tanz-, Reit- und Fechtübungen zugrunde liegt. 214 Die Tendenz wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, daß historiographische Werke und selbst Romane wie diejenigen von Eberhard Werner Happel zu den Schlachtbeschreibungen Kupferstiche liefern, die das allgemeine Interesse am strategischen Blick unterstreichen. Auch die deutsche Übersetzung von Tassos Gerusalemme liberata ist mit genauen militärischen Lageplänen ausgestattet und dokumentiert so zum wenigsten einen Lektüregesichtspunkt, dem sich das Werk in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts empfahl. 215 Die bildlichen Darstellungen beschäftigen sich mit der taktischen Gesamtsituation, illustrieren die Aufstellung der Truppen und lassen die dispositorischen Maßnahmen als eine entscheidende Dimension der Schlacht erscheinen. Im Bericht des Theatrum Europaeum über die Schlacht am Weißen Berge (1620) veranschaulicht eine Sequenz von Kupferstichen Disposition, Verlauf und Ausgang einer Schlacht. 216 In jedem Fall sieht sich der Betrachter (wie der Leser) in die Position des Feldherrn versetzt, der die Ereignisse aus erhöhter 214

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Eichberg: Festung, Zentralmacht und Sozialgeometrie, S. 96; 396-398; 422. Ders.: Ordnen, Messen, Disziplinieren, S. 368. Vgl. in von dem Werder: Gottfried von Boullion (1651) die Kupferstiche vor S. 1, ferner S. 50, 236 (mit einer Festung), 258, 392, 480 (die Disposition zur Entscheidungsschlacht). Das Theatrum Europaeum, Bd. 1, nach S. 408 bietet ein Schema der Schlachtordnung sowie zwei doppelseitige Kupferstiche zur Situation vor Beginn und gegen Ende der Schlacht.

133 Position und aus der Distanz wahrnimmt, nicht in die des unmittelbar in den Kampf Verwickelten. Seine Aufgabe ist in erster Linie der Nachvollzug der strategischen Entscheidungen. Entsprechend können sich die Schlachtdarstellungen geographischen oder topographischen Karten annähern. Solche werden in einigen Fällen den Abbildungen beigegeben und illustrieren dann die strategische Gesamtsituation, während in anderen die Schlachtenbilder überhaupt in Karten übergehen. 217 Aus kunsthistorischer Sicht hat Warnke für den Übergang vom antikisch-personalen zum strategischen, distanzierten, anonymisierten, an die geographische Darstellung sich annähernden Blick auf das Schlachtfeld als »Schachbrett« einige Hinweise gegeben. 218 Der Blick von oben auf den Grundriß bzw. auf das Dispositionsmuster dokumentiert, wie Eichberg gezeigt hat, den Aufstieg der Geometrie als eines grundlegenden Ordnungsparadigmas im 17. Jahrhundert. 219 Militärische Lehrbücher, speziell zur Infanterieausbildung, in denen sich die Darstellung von konkreten Bedingungen löst, machen die Geometrisierungstendenz erst recht deutlich und lassen auch ihre Dimensionen besser hervortreten. Johann Jacob Wallhausen schreitet in seiner Kriegskunst zu Fuß (1630) von der Ausbildung des einzelnen Infanteristen über die »Ablichtung« von Musketieren und Pikenieren »in Gliedern vnd Reyen« 220 bis zu den Schlachtordnungen des Fähnleins fort. Die Darstellung gipfelt im Auftreten militärischer Verbände in symmetrischen Formationen, die der Verfasser jeweils im Grundriß graphisch veranschaulicht. Als Kriterium für Ausbildungsstand und Schlagkraft militärischer Einheiten gilt ihr geometrischer Organisationsgrad. Weitere Implikationen dieses Programms erkennt man am Detail, vor allem an den Anweisungen zum »Trillen« der Soldaten. Dazu gehört das Laden und Abschießen einer Muskete, ein komplexer Vorgang, der nicht dem einzelnen überlassen, sondern standardisierend in einzelne »Schritte« aufgelöst, auf »Zeiten« verteilt und mit dem Marschtritt synchronisiert wird. 221 Den 217

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Besonders viele geographische Karten bietet Heluicus: Theatrum historiae vniversalis catho-protest. Warnke: Politische Landschaften, darin das Kapitel: Vom Kampfplatz zur Kriegslandschaft, S. 63-87. Für dieses Kapitel durchweg grundlegend: Eichberg: Geometrie als barocke Verhaltensnorm; ders.: Ordnen, Messen Disziplinieren. Moderner Herrschaftsstaat und Fortifikation; ders.: Festung, Zentralmacht und Sozialgeometrie. Wallhausen: Kriegskunst zu Fuß, S. 33-39. Vgl. ergänzend ders.: Militia Gallica, oder Frantzöische KriegßKunst. Wallhausen, zeitweise auch Oberstwachtmeister und Hauptmann in Danzig und in kurmainzischen Diensten, erlernte das Kriegshandwerk in den Niederlanden und leitete später die von Johann von Nassau gegründete Kriegsschule in Siegen. Er ist deshalb im Umfeld der Oranischen Heeresreform anzusiedeln. Vgl. B. Poten, in: ADB 40, S. 747-749. Zu vergleichen sind u. a. ferner Wallhausen: Manual Militare; Pellicciari: Tyrocinium; Dilich: Kriegsbuch. Wallhausen: Kriegskunst zu Fuß, S. 27-33. Vgl. auch ders.: Alphabetvm pro tyrone pedestri, oder der Soldaten zu Fueß ihr A. B. C, wo Kupfertafeln die Handgriffe

134 schwierigen Formationsbewegungen ordnet Wallhausen einheitliche Befehle zu. D a ß der Drill modellierend Besitz von den einzelnen Soldaten ergreifen soll, läßt eine Anweisung zur Handhabung der Pike erahnen: Erstlich/ so du mit dem Spieß haltest für die [dir?] stehend/ fasse jhn mit der rechten Hand so hoch/ daß der Daumen längs dem Spieß hinauffwerts lige/ recht vnder dein Naßlöcher komme zu messen/ stehe mit dem rechten Fuß ein wenig vor/ den lincken ein wenig zu rück/ stelle den Spieß recht für den rechten fuß ein wenig vor/ nicht jnner: noch ausserhalb den rechten fuß mit wenig gebogenen Arm/ nicht außgestreckt/ etc.222 Auch Bucholtz verweist im Vorbeigehen auf den Drill als Teil der militärischen Notwendigkeiten. 2 2 3 Die technische Verfügung über größere Kontingente, wie sie in der Vogelperspektive auch für den Leser und Betrachter faßbar wird, schließt jedenfalls ein umfassendes Programm der Vereinheitlichung, Formalisierung, Zentralisierung und Disziplinierung ein. 224 Als Beispiel dafür, daß die Bemerkungen, die auf das Exerzierreglement zutreffen, auch auf die >Fortifikation< des einzelnen ausgedehnt werden können, nenne ich ein Lehrbuch der Fechtkunst, die Académie de l'espée von Girard Thibault (1626). Einführungen in die Tanz- oder Reitkunst, auch in das Fahnenschwingen, Voltigieren und selbst das Tranchieren würden demselben Zweck dienen. 2 2 5 Thibault unterwirft die Fechtkunst einer konsequent geometrisierenden Schule. Ihm zufolge ist der menschliche Körper durch Maße, Gewichte und Proportionen definiert. 226 Als deren Grundform bestimmt er den Kreis. Ein Körper, der nicht in den Kreis eingezeichnet werden könne, verstoße gegen die eigenen Kompositionsgesetze. Thibault sucht deshalb den Leser davon zu überzeugen, daß jede mögliche Bewegung, speziell auch die gesamte Fechtkunst, durch den Kreis festgelegt und mit seiner Hilfe zu beschreiben sei (Abb. I). 2 2 7

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illustrieren. Als zeitgenössischer Militärtheoretiker ist auch Johann VII. von Nassau selbst zu nennen, in dessen »Kriegsbuch« sich entsprechende Darstellungen für Musketiere und Pikeniere finden (S. 126-199). Wallhausen: Kriegskunst zu Fuß, S. 36. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 827: »Unsere Helden feyreten unterdessen auch nicht/ trilleten und übeten das ganze Heer täglich/ insonderheit/ wie man gegen die Parther mit gutem Vortel streiten müste«. Zur militärischen Zentralisierung und Vereinheitlichung als Teil des absolutistischen »Staatsausbaus« vgl. Klinisch: Der nordische Krieg von 1655-1660, S. 67. Zur Geometrie als Mittel zentraler Überschaubarkeit und Kontrolle im Festungsgrundriß La Croix: Military Architecture and the Radial City Plan in Sixteenth Century Italy, S. 284. Beispiele: Pascha: Kurtze Vnterrichtung belangend die Pique/ die Fahne/ den Jägerstock/ das Voltesiren/ das Ringen/ das Fechten auff den Stoß und Hieb/ und endlich das Trinciren (1659); Löhneyss: Della Cavalleria (3. Aufl. 1674); Newcastle: Neueröffnete Reit-Bahn (deutsche Übersetzung 1700). Thibault: Académie de l'espée, I, 1. Thibault: Académie de l'espée, I, 4.

135 Mit diesen Grundlagen korrespondieren Geltungsanspruch, Methodik und Darstellungsweise. Der Verfasser will das allein unfehlbare Prinzip des Fechtens lehren, das jeder willkürlichen Meinung überlegen ist und alle denkbaren Möglichkeiten einschließt. Das ganze Werk verfolgt demnach ein Sicherheitskonzept, das darauf zielt, den Zufall auszuschalten, und dessen Zuverlässigkeit auf seinem umfassenden systematischen Charakter basiert. Seine Vorschriften, »n'ayant que l'infalibilité pour guide, ne peuvent qu'aporter une infalible execution, de l'intention de celuy qui les observe de point en point.« 228 Das Fechten wird zur »science generale«, die der Adept auch als ganze beherrschen muß; die Kenntnis einzelner Übungen wäre nicht hinreichend. Thibault bringt das Fechten in eine kombinatorische Ordnung, die die Fechtkunst auf ein einfaches, geometrisches Grundprinzip und eine überschaubare Zahl von Einzelelementen reduziert, für jede Aktion des Gegners die passende Reaktion bereithält und geeignet ist, die »Fortune« zu neutralisieren. 229 Mit dem Systemanspruch korrespondiert der schrittweise didaktische Aufbau. 230 Im Effekt ergreift Thibaults Methode bis ins Detail Besitz von den Bewegungsabläufen des Fechtschülers und bildet allgemein seine Kontrollkompetenz aus. Hinter der Académie de l'espée erscheint ein ordnungsorientiertes anthropologisches Muster. Die Positionen und Aktionen, die zu einer Lektion gehören, sind jeweils auf einer Doppelseite des in Folio gedruckten Werks im Kupferstich abgebildet und werden anschließend als Bewegungen auf festliegenden Punkten der Kreisfläche erklärt. Sie verwandeln sich so in geometrische Operationen, die in Form von Grundrissen angemessen beschrieben sind. Dabei unterteilt der Verfasser die Bewegungen in kleine Einheiten, die genau eingeübt werden müssen. 231 Die >Verwissenschaftlichung< bedeutet deshalb zugleich eine Verkomplizierung des Fechtens. 232 228 229

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Thibault: Académie de l'espée, XXXIII, 5. Thibault: Académie de l'espée, XIII, 1. Vgl. auch die Antwort auf den möglichen Einwand, die dargestellten Positionen seien erdichtet und hätten mit einem wirklichen Kampf nichts zu tun (ebd., XX, 5): »Mais d'autant [...] que la vraye Pratique doit estre munie contre un si grand nombre d'occurences, si variables & si soudaines, qu'il est sans contredit necessaire que l'Escholier en ait au paravant estudié une bonne partie; nous n'avons pas voulu manquer à les mettre icy en leur ordre; & selon la suite des autres operations, avec les quelles elles ont plus de similitude.« Zum Begriff der Kombinatorik Zeller: Spiel und Konversation im Barock, S. 157183; Neubauer: Symbolismus und symbolische Logik, S. 17-39. Vgl. Thibault: Académie de l'espée, XXI, 1. Vgl. als Beispiel die Erklärungen Thibault: Académie de l'espée, XVI, 1 zu »Cercle Ν. 1.«: »Alexandre assujettit l'espee contraire en dehors du bras, en allant par delà de Diamètre & à main droite de la Premiere Instance à la Seconde. Les deux parties s'estants placez sur le Cercle en Premiere Instance; Alexandre s'en va présentement travailler le premier, en eslevant le pied droit avec le genouil roide, & haussant ensemblement la pointe de son espee à l'aide du poignet, dequoy il en accouple avec peu de poids en dehors du bras le N. 3. avec le N. 8. du contraire; puis en suite il la hausse encore un peu d'avantage en graduant, & avançant le pied

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Als eigentliches Übungsziel gibt Thibault nicht Beweglichkeit und Schnelligkeit (»agilité & vitesse«) oder Kraft vor,233 sondern Präzision und Perfektion. Insofern verlagert sich der Schwerpunkt vom Zweck auf die Methode. Falscher und richtiger Umgang mit den Waffen verhalten sich zueinander wie »simple & mal-asseurée Pratique« und »vraye & solide Theorie« oder »le manuel des oevres Mechaniques« und »les inventions des Mathématiques«, von denen erstere lediglich die eigene Absicht verwirklichen wollen, und sei es mit Hilfe des Zufalls, während letztere nur billigen, was auf untrüglichen Regeln basiert.234 Hinweise auf einen höheren ästhetischen Wert und die größere Reputation der >unfehlbaren< Fechtwissenschaft (die sich innerhalb der Darstellung allerdings aus dem Nutzen ergeben) bestätigen dieses Bild.235 Die Vorstellung von geometrisch beschreibbaren Bewegungsabläufen, das Konzept einer Fecht->Wissenschaft< und die Forderung nach der Verfügbarkeit aller im System enthaltenen Möglichkeiten werten die Steuerungskompetenz des Fechters auf. Thibaults Programm der Risikokontrolle erzieht den Körper zum Werkzeug der >Vorsichtwit312 313 314

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Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 441; 449. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 441. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 445. Zum Mangel an Erziehung bei Attalus ebd., S. 452. Vgl. auch die Darstellung des vergeblich um Kleofis werbenden Bagophanes (ebd., I, S. 907-913). Zu den Liebesverhandlungen im Umfeld der Hochzeiten von Padua gehört die burleske Episode um den Ritter Prokulus, der aufgrund zweifelhafter Briefe Anspruch auf Lukrezie und Sibylla erhebt, deshalb Baldrich und Siegward zum Kampf herausfordert und zur Belustigung der Hofgesellschaft nicht genug »Witz« besitzt, um seine Ansprüche als lächerlich und deplaziert zu erkennen (ebd., II, S. 408-417). Für Türnierdarstellungen vgl. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 358-364; 420424. Für den Kampf gegen die Pannonnier ebd., S. 428-440. Für eine vergleichende Zusammenstellung von Kampfszenen verschiedener Barockromane vgl. Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 112-129. Zum Zusammenhang von Duell und Höflichkeit Beetz: Frühmoderne Höflichkeit, S. 179. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 748. Vgl. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 155: »Ladisla lachete/ daß ihr gefiderter Bolzen so zeitig zurück prallete«. Die Auseinandersetzung zwischen dem »hölzer-

154 ziger< »Demut« und »Großprahlerei«, so in Herkules' Erscheinungsbild als »einem unbärtigen schwanken Jüngling« im Vergleich mit seinen körperlich überlegenen Widersachern. 3 1 8 Für den Sieg heroischer »Behendigkeit« über die rohe Kraft liefert der Text ungezählte Beispiele. Im Idealfall, vorgeführt von Herkules und Valiska, fallen »höfliches« Verhalten und Kampf zusammen: »Herkules war anfangs nicht willens mir ihr zu fechten/ endlich kam ihn eine Lust an/ sie zuversuchen/ da dann ein so überaus zierlicher und künstlicher Kampf von ihnen gehalten ward/ daß alle A n w e s e n d e darüber A u g e n und Mund auffsperreten«. 3 1 9 D e r Kampf nähert sich so d e m Tanz, der ebenfalls zum Feld heroischen Auftretens wird. Ü b e r Herkules liest man: Doch führete sie ihm Fr. Helenen zu/ da er anfangs sich mit seiner Unwissenheit entschuldigte/ und nicht destoweniger solche Schnittsprünge/ schrenkungen und andere Zierligkeiten mit seinen leichten und geraden Füssen verrichtet/ daß die Zuseher sageten/ es müste dieser Herr in dem allerglüklichsten Zeichen des himlischen Gestirns gebohren seyn/ weil alles Leibes und Seelen Zierde in so grosser Volkommenheit bey ihm hervorglänzeten. 320 Nur en passant sei auf weitere Felder der Darstellung des »höflichen«, »geschickten« und »behenden« Ritters als Helden verwiesen. Im R a h m e n der Festlichkeiten von Padua führen die deutschen Fürsten, unter ihnen Valiska in der Verkleidung einer Amazone, den Römern ihre Ausbildung in den ritterlichen Künsten vor. D a z u gehören das Voltigieren und Reiten: sie lief mit vollem Sprunge darauff zu/ schwang sich als im Augenblik in den Sattel/ fassete den Zügel/ und beritte es so artig/ daß alle zuseher zweifelten/ ob ihr jemand solches nachtuhn würde; anfangs sprengete sie damit hinter und vor sich/ und zu beyden Seiten aus; hernach ließ sie es im einfachen und gedoppelten Kreisse lauffen/ und trieb es zu so hohen gewaltigen Sprüngen an/ daß jederman meynete/ sie würde den Hals zubrechen/ saß doch nicht destoweniger dermassen fest im Sattel/ als währe sie darauff geleimet.321

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ne[n] Bock Fulvius« und Sophia und Ursul, den Töchtern des Statthalters von Padua, trägt durchweg den Charakter eines Wortgefechts zwischen »Witz« und »Höflichkeit« auf der einen und >Flegelhaftigkeit< auf der anderen Seite. Sie mündet in einen handgreiflichen Kampf (ebd., I, S. 86-93). Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 237. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 422. Weitere einschlägige Kampfszenen: Ebd., I, S. 654: Ladisla »aber ließ dieses tolle Vieh sich immer abarbeiten/ nam unterdessen seiner Schanze wahr/ mehr durch behändigkeit als stärke/ und weich ihm mannichen Streich aus; dann setzete er unversehens wieder an/ daß Hages seinen Vorsaz vergeblich sehend/ aller Beschützung vergaß/ und sich blössete/ daß ihm Ladisla eine grosse Wunde an den linken Arm beybrachte/ empfing aber dagegen einen solchen Schlag über den Helm/ daß ihm bey nahe geschwunden währe.« Außerdem ebd., I, S.238f.; I, S. 491-493; I, S. 639-641; I, S. 747-750; II, S. 115f. (Herkules erweist hier seinem geschlagenen Gegner bewundernswerte »Höflichkeit«); II, S. 154-168 (dort S. 161 auch ein Hinweis auf das grundierende DavidGoliath-Schema); II, S. 180-184; II, S. 194f.; II, S. 492; II, S. 577-583 (S.583 ein Hinweis auf das Zusammenwirken von Kraft und Höflichkeit bei Herkules). Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 65. Vgl. auch ebd., I, S. 906f. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 420. Zum Umfeld Watanabe-O'Kelly: Triumphall Shews.

155 Um diese Passage gruppieren sich wiederholte Bemerkungen über das Reiten, in deren Mittelpunkt das von Valiska abgerichtete und von Herkules gerittene Pferd steht, der »Blänke«, der, zumal in Kampfszenen, selbst zur Inkarnation heroischer Größe wird. 322 Die Vorführungen in Padua demonstrieren darüber hinaus Perfektion im Ringrennen, Fechten und Bogenschießen. 323 Einen umfassenden Überblick über den Gesamtkomplex ritterlicher »Vollkommenheit« - Sprachkenntnisse, »höfliches« Verhalten, Fechten, Bogenschießen, Reiten, Jagd, Überwältigung eines Tigers, Tranchieren, Gesang und Harfenspiel, Tugendhaftigkeit - gewährt Valiskas Auftreten bei dem medischen Edelmann Mazeus und dem Großfürsten Phraortes. 324 Bucholtz legt Valiska im Zusammenhang mit der Vorführung ihrer Waffenkunst in Persien programmatische, über den engeren Motivzusammenhang hinausreichende Hinweise in den Mund, die die Signalfunktion des Gegensatzes von Grobheit, Wut und Kraft auf der einen, Geschicklichkeit, Vorsicht und Übung auf der anderen Seite verdeutlichen. Die Kampfszenen erscheinen als Veranschaulichung der »Vernunft«, der kontrollierte Kampf wird zum Bild »vorsichtiger« Bemeisterung des »Glücks«: »trauet mir/ mein Herr/ eine vernünfftige Seele ist kräfftiger als alle Leibesstärke/ und bedachtsame Gegenwehr vorträglicher als hundert Mauren; dann stehe ich unbesonnen hinter diesen/ kan ich leicht von ihrem Falle erschlagen werden; Vorsichtigkeit aber ist auch des allergrimmesten Glückes Meisterin.« In der klugen Überlegenheit der Helden im Kampf wird die Kompetenz technischer Kontingenzkontrolle in Szene gesetzt. Auch die Verfügung über die eigenen Affekte ist einbezogen: »O wie ein furchtsamer Muht ist der/ welcher den Unglüks-weg erwählet/ da wol hundert Neben-strassen sind! wie ein verzagter Sinn/ der lieber der Schlangen Stich ausstehet/ als daß er sie aus dem Wege stossen solte!« 325 Ich komme zur Höflichkeit im engeren Sinn zurück. Der Roman scheint auf den ersten Blick als >höflich< eine Haltung der Selbsterniedrigung zu bestimmen, die der Verfasser auch als »Demut« kennzeichnet: Nichts ziere den Ritterstand so, »als die Höfligkeit und Demuht/ so daß ein Ritter mit diesen beyden stücken begäbet/ insonderheit des Frauenzimmers Gewogenheit wirdig währe weil dieselben mehr hierauf/ als auff scharffe Schwerter und spitze Speere hielten.« 326 Doch tatsächlich liegt, in geradezu paradoxer 322

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Zur Zähmung des Pferds: Bucholtz, Herkules und Valiska, I, S. 601f.; schon hier zeichnet sich der Blänke durch seine »ädle Art/ gewünschete Geschikligkeit/ und trefliche Leibesstärke« aus. Vgl. weiter ebd., I, S. 679; I, S. 681; I, S. 684; II, S. 162£; II, S. 393. Bucholtz: Herkules und Valiska, II, S. 421-424. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 548-569; ebd., I, S. 600 -612. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 556. Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 86; eine »unverantwortliche beschimpfliche Demuht« wird allerdings gleichzeitig abgelehnt. Vgl. auch ebd., S. 157: »In dem wurden sie zur Mahlzeit gefodert/ da im hingehen Fr. Sophia jhre Wasen fragete/

156 Verkehrung, das Kernelement der »Höflichkeit« in der unter dem Mantel der »Demut« eingenommenen Attitüde, der aufwendigen und effektorientierten Inszenierung. In der Praxis führt dies zu einer Komplizierung und Verumständlichung von Konversation und Geselligkeit, der sich nicht zuletzt der Umfang des Werks verdankt. Ein Beispiel liefert Herkules' Gespräch mit der Familie des Statthalters von Jerusalem, in dem es gilt, die Gastfreundschaft wie auch die aufkeimende Neigung der Tochter abzuwehren und gleichwohl den Anforderungen des höflichen Umgangs zu genügen. Unverkennbar hat der Verfasser die Szene als Demonstrationsobjekt konstruiert. In der Form nähert sich die Unterredung einer Folge offiziöser Ansprachen nach rhetorischen Elokutionsregeln an. »Höfliche« Umständlichkeit zeigt sich als Produkt von Amplifikationstechniken. Auf diese Weise verwandelt die »Höflichkeit« die Konversation in ein Zeremoniell. 3 2 7 D i e Verumständlichung geht mit einer ständigen Selbstthematisierung der »Höflichkeit« einher. »Höflichkeit« regelt also nicht nur den Ton des Liebesgesprächs, sondern rückt zum eigentlichen Gegenstand auf. Insofern liegt eine Aufwertung der »Ausdrucks- bzw. Darstellungsfunktion gegenüber dem institutionalisierten rechtlichen Vollzug« vor. 328 »Höflichkeit« erweist sich so als Taktik, die Tugend der Demut gibt sich als Dissimulationstechnik zu erkennen, die geeignet ist, Zuneigung zu wekken und unkontrollierbare Konfliktstrategien sowie weniger effektive Formen der Machtausübung zu ersetzen. In diesem Sinn stellt Chokier »Zucht/ Bescheidenheit und Demuht« in den Zusammenhang der Reputationslehre:

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wie jhr Herkules nach seiner Art und Leben gefiele; sie aber seine freundliche Geberden/ artige Geschikligkeit und demühtige Reden so hoch rühmete/ daß sie auch wünschete/ die Götter ihr einen solchen Bruder hätten gönnen mögen.« Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 497-499. Die Kontrolle der Höflichkeitsformen ist ein Thema der Passage: »Die Eltern höreten diese Rede an/ und furchten sich/ ihre annoch junge Tochter würde nicht bestand seyn/ hierauff zu antworten«. Vgl. zur Umständlichkeit auch die Eheabsprache zwischen Klodius und Agatha (ebd., I, S. 438 -440). Braungart: Hofberedsamkeit, S. 187. Vgl. für weitere Beispiele Bucholtz: Herkules und Valiska, I, S. 156: »So müste ich ein glükseliger Mensch seyn/ sagte Herkules/ wann mit einem Schwertschlage ich solchen Dank erfechten könte; jedoch weil mein Fräulein ja einige Schuld und Verhafftung alhie an ihrer Seiten fodert/ und ich Unhöfligkeit zu meiden/ ihr nicht widersprechen darff/ so bitte ich dienstlich/ dieselbe wolle ihre Schuld seyn lassen daß sie mir befehle/ und in ihren Diensten mich gebrauche/ damit in der Zahl ihrer minsten Diener zuverbleiben/ ich die grosse Ehre haben möge.« Ebd., S. 164, im Rahmen eines Ehrkonflikts: »Nein/ antwortete Avonius Schwester/ nur wolle ihre Gn. meine Beysitzerin abmahnen/ daß sie hernähst nicht mehr ehrliche ädle Jungfern in solchen hochansehnlichen Geselschafften vor grobe unvorsichtige Dirnen außschelte/ oder man wird ihr solche vorsichtige Höffligkeit nicht allemahl zu gute halten«. Ebd., S. 908, aus dem Liebesgespräch zwischen Bubazes und Kleofis: »Es müst mir billich zur grossen Unhöflichkeit ausgelegt werden/ wann dem Herrn Obristen mit dem Durchl. Fräulein nach belieben zureden/ ich Einsperrung machten wolte«.

157 »Vnd gleich wie die Sternen die art haben/ daß je höher sie stehen/ je langsamer jhr lauff vnd bewegung ist/ also spüret man auch an rechtschaffenen/ verständigen Fürsten/ daß je mehr authoritet vnd ansehen sie haben/ je mehr sie mit nidrigen dingen umbgehen/ vnd dennoch bleiben wer sie sind«.329 Dabei tritt an die Stelle des spontanen und eigenmächtigen geplantes Handeln, das dem strategischen Denken nahesteht. Allerdings bleibt aus der Perspektive des Romans der Kunst- und Verstellungscharakter der Höflichkeit unerkennbar, da sie als unmittelbar mit tugendhaftem Verhalten identisch erscheint. Insofern Bucholtz' Höflichkeitskonzeption ihre Ordnungsabsicht verbirgt, gehört sie durchaus zur weitläufigen Verwandtschaft von Castigliones »sprezzatura«-Begriff, ohne allerdings auf ein ähnlich komplexes höfisches Bezugsfeld ausgerichtet zu sein. Dient Castigliones Konversationskunst der Orientierung und Selbsthauptung im irregulären Handlungsfeld des Hofs, so setzt Bucholtz' »Höflichkeit« lediglich eine vorgegebene Gesellschaftsverfassung verhaltenstechnisch um. Höflichkeit stellt sich als Ordnungssystem dar, das der Befestigung staatlicher und gesellschaftlicher Verfaßtheit dient. Auch unter dem Aspekt der Höflichkeit stoßen wir so auf eine technische Überformung des Tügendhabitus. Mit ihr verlagert sich die Aufmerksamkeit, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, von der Handlung auf ihren Modus bzw. auf ihren Stil. »Höfliche« Umständlichkeit löst die individuellen Tugenden als Kontrollinstanz ab. So sehr die chevaleresken Anteile an Bucholtz' Werk als Erbschaft des Ritter- und Abenteuerromans dominieren mögen der Verfasser unterwirft sie wenigstens programmatisch einem Funktionswandel: Die ritterlichen Tugendprinzipien verfestigen sich zu Ordnungsgrundsätzen, die zum Zugriff auf die lebensweltliche Kontingenz bestimmt sind. Die Vorstellung, daß die Geschichte durch ordnendes Eingreifen verfügbar gemacht werden könne, macht das Neuzeitliche des Romans aus.

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Chokier: Thesaurus politicus, S. 176.

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Die politische Konstruktion heroischer Größe

3.1 Rhetorische und stilistische Größenprogrammatik in Guillaume Budés Livre de l'Institution du Prince In den vorangehenden Kapiteln haben wir gesehen, wie in einem politischmilitärischen Traktat des ausgehenden 16. und einem populären Roman des 17. Jahrhunderts das Heroische auf die politischen Bedürfnisse institutioneller Stabilisierung zugeschnitten und zur exemplarischen, anschaulichen Vermittlung und Legitimation eines Disziplinierungsprogramms eingesetzt wird. Es erscheint in funktionalisierter, auf politische Nutzbarkeit zugeschnittener Form und zeugt insofern von einer Tendenz zur Analyse und überlegten Handhabung politischer Machtmechanismen. In mancher Hinsicht stehen La Noue und Bucholtz Machiavelli nicht fern, so sehr sie sich auch gegen diesen Verdacht verwahrt hätten. Wenn keiner von beiden Autoren der Darstellungsweise, den Strategien der Präsentation heroischer Muster spezielle Aufmerksamkeit widmet (so sehr auch Bucholtz an manchen Aspekten einer >Heroisierungstaktik< partizipiert), so dürfte der Grund dafür im einen Fall im Übergewicht des militärischen Ordnungsinteresses zu suchen sein, im anderen im >populärhomiletischen< Wirkungsinteresse. Einschlägige theoretische Grundlegungen und Erkundungen politischer Anwendungsgebiete standen jedenfalls längst zur Verfügung. Ihren Kern bildet eine praxisorientierte >Theoretisierung< von politischem Nutzen, Erwerb und Präsentation heroischen Ansehens als Zugriff auf eine Symbolik politischer Macht. Zum Gegenstand des vorangehenden Kapitels stehen die Texte, die im folgenden zu untersuchen sind, nicht im Verhältnis einer chronologischen Abfolge oder einer linearen Fortentwicklung, sondern tragen in ästhetisch und psychologisch verfeinerter Form zu denselben Gesamtentwicklungen bei. Für die Hofmannslehren ist offenkundig, für die politischen Schriften zu vermuten, daß die Schwerpunktverlagerung mit einer Orientierung am höfischen Publikum zusammenhängt; die höfische Genese der Anweisungen steht außer Zweifel. Unter dem Aspekt des Ansehens erscheint das Heroische als Gegenstand rhetorisch-stilistischer Strategien, die bei Bucholtz nur in unreflektierter Form vorhanden sind. Allgemein steht der Aufstieg des Heroischen in der Politik seit der Renaissance mit dem der antiken Rhetorik im Zusammenhang. Die nachfolgenden Ausführungen sollen aber zugleich zeigen, daß sich die Heldenbilder selbst, die

159 nun ins Auge zu fassen sind, von den bisher betrachteten unterscheiden. Ein Rückgriff auf ein älteres Beispiel aus der Fürstenspiegelliteratur mag der Darstellung eine historische Tiefendimension geben. Einige Begriffsklärungen schließen sich erst im nächsten Kapitel an. Die Urfassung seiner Institution du prince überreichte Guillaume Budé (1468-1540), wie die Forschung vermutet, 1518 oder 1519 Franzi, von Frankreich, an den auch die Widmung adressiert ist. Wie Budé bekundet, diente der Traktat in bezug auf ihn selbst primär dazu, sich dem König anzunähern - »pour me donner plus a congnoistre à vostre majesté plus que royale et auguste.«1 Bestimmt war er wohl zum Gebrauch im Umkreis des Königs. Die ohnehin nur spekulativ zu beantwortende Frage, warum Budé die Institution - sein einziges Originalwerk in französischer Sprache - nicht publizierte, sei im gegebenen Zusammenhang ausgeklammert. Erst 1547/ 1548, nach dem Tod des Verfassers, wurde der Text, für den kein von Budé autorisierter Titel überliefert ist, in drei unterschiedlichen Versionen gedruckt. Auch die Herausforderungen, vor die sich damit die Editionsphilologie gestellt sieht, müssen allerdings im folgenden zurückstehen. 2 Interpretation und angemessene Gewichtung der Bestandteile werden zusätzlich erschwert durch den in gewissem Maß unsystematischen Aufbau des Werks, das aus einer allgemeinen Einleitung und einer historischen Exempelsammlung vor allem auf der Grundlage von Plutarch besteht. 3 Diese Umstände mögen dazu beigetragen haben, daß sich der Institution in neuerer Zeit nur eine umfassende Interpretation widmete. 4 Im folgenden richtet sich das Interesse nicht auf den Text in seiner Gesamtheit, sondern auf einen, allerdings zentralen, Aspekt. Daß der Text auf ein heroisches Fürstenbild zielt, gibt er ausdrücklich zu erkennen. Das Fürstenamt könne nicht zufriedenstellend ausgeübt werden durch jemand, »qui ne soit richement qualifié de vertuz heroicques, & telles, qui ne sont souuent communes par Nature aux gens de moyenne genealogie, ou plus bas estât.« 5 An anderer Stelle zitiert der Verfasser den bei Plutarch 1

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Budé: Le livre de l'Institution du Prince, S. XLII. Vgl. Delaruelle: Guillaume Budé, S. 200. Bontems: L'institution du prince de Guillaume Budé, in: Bontems u. a.: Le prince, S. 3-6. Zur Person des Verfassers Triwunatz: Guillaume Budé's De l'Institution du Prince, S. 8-32; Delaruelle: Guillaume Budé, S. 58-92. Zur Entstehung und zur Textkonstitution: Triwunatz: Guillaume Budé's De l'Institution du Prince, S. 91-108; Delaruelle: Guillaume Budé, S. 199-201; 231-245; La Garanderie: Guillaume Budé, prosateur français; Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, Einleitung S. XII-XIV. Delaruelle: Guillaume Budé, S. 202-211. Die Ordnung, die Bontems: L'Institution du prince de Guillaume Budé, in: Bontems u. a.: Le prince, S. 9f., andeutet, bezieht sich nicht auf den Lehrgehalt der Exempla, sondern auf ihre historische Provenienz. Bontems: L'Institution du prince de Guillaume Budé, in: Bontems u.a.: Le prince, S. 1-76. Budé: De l'Institution du Prince, Ndr. 1966, S. 104. Die folgende Belegreihe entstammt allerdings der partiell unzuverlässigen Ausgabe von l'Arrivour. Zur heroi-

160 überlieferten und in der Fürstenspiegelliteratur stereotyp wiederholten Ausspruch des von Alexander besiegten Inderkönigs Porus, daß »les vertuz royales doibuent estre presque semblables aux vertuz heroicques, qui sont de plus grande authorité & puissance, que les humaines.«6 Als positives Exemplum für die Aneignung von Kenntnissen der Historia führt Budé das nicht weniger häufige verwendete Exemplum Alexanders des Großen an, der zu seinen Unternehmungen und Eroberungen bewegt wurde »par la lecture des histoires & faicts heroicques«.7 Die Institution hat zugleich den Charakter eines Panegyrikus auf den französischen König, der selbst heroisch stilisiert wird. Der Verfasser rühmt »ceste belle taille & stature, que Ion peult iustement appeller heroicque«.8 Budé partizipiert damit an der von Weise dokumentierten Entwicklung einer literarischen Sprache der Größendarstellung in der Renaissance.9 Die Institution deutet eine rechtlich aus ihrer Umgebung weit herausgehobene Position des Königs an. Im Zusammenhang mit der »distributiven Gerechtigkeit« erläutert Budé, daß die Könige ein Perfektionsideal der »prudence«, der »noblesse«, der »justice« und der »équité« verkörperten und deshalb den Gesetzen nicht unterworfen seien, wenngleich sie ihnen folgten »pour donner reverence et auctorite à ses edictz, constitutions et ordonnances«. So ergibt sich eine Hierarchie, die die Distanz zwischen Königen und Untertanen betont. Die roys honorez, ont souveraines prerogatives, prennent prouffitz et emolumens sur le populaire, du publique adventageusement par dessus tous autres, si ne sont subiectz ne aux loyx, ne aux ordonnances, comme les autres, se bon ne leur semble. 10

Praktisch zeigt sich die distanzierte und zentrale Stellung des Fürsten an dem ihm reservierten Recht der Machtverteilung - der Zuweisung von Ehren, Ämtern und anderen »Wohltaten«.11 Dem häufigen Mißbrauch dieser Konischen Symbolik in der politischen Propaganda Franz' I. vgl. Lecoq: François I er 6 7 8

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imaginaire, u.a. S. 179-214 und 215-257. Budé: De l'Institution du Prince, Ndr. 1966, S. 196. Budé: D e l'Institution du Prince, Ndr. 1966, S. 99. Budé: De l'Institution du Prince, Ndr. 1966, S. 39. Vgl. auch Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 55. Zum Vorweisen des heroischen Erscheinungsbilds bei Budé Lecoq: François I er imaginaire, S. 166, sowie Bontems: L'institution du prince de Guillaume Budé, in: Bontems u.a.: Le prince, S. 41. Weise: L'ideale eroico del rinascimento e le sue premesse umanistiche. Dem Verfasser fehlt allerdings jeder Zugang zu einer funktionsgeschichtlichen Auswertung seines Befunds. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 17. Ich zitiere im folgenden nach Marin, der die von Richard Le Blanc redigierte Ausgabe Paris 1548 zugrundelegt. Zur zitierten Stelle Bontems: L'institution du prince de Guillaume Budé, in: Bontems u. a.: Le prince, S. 67f. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 19: »Mais icy est bien a noter et pezer, que justice distributive est la partie, que les roys exercent par eulx mesmes en leurs personnes et distribuent les honneurs, offices et autres biensfaictz et avantages, a qui bon et convenable leur semble«.

161 petenz dürfe nur Gott steuern, denn er allein habe »la congnoissance sur ceulx, ausquelz il a donné la derniere et souveraine puissance sans ressors et le regime soubz la main, tellement que le monde tourne sur leur volunté comme sur un pivot«. 12 Der Forschung gilt Budé bereits als Programmatiker einer absolutistischen Herrschaftsform. Er präsentiere sich, so Bontems, »comme un champion de la monarchie absolue.« 13 Die Institution antwortet auf die Frage, wie der Fürst diese exponierte und zugleich heikle Position einnehmen und ausfüllen könne. In seinem Kern lehrt das Buch, an eine allgemeine Forderung des Autors anschließend, die Unverzichtbarkeit der antiken »doctrine«, der Aneignung griechischer und römischer Quellenkenntnis, für die Verwaltung eines politischen Amts. Insofern zeigt der Text, welche Funktion humanistisches Wissen übernehmen kann, sowie es auf die politische Praxis bezogen wird. Dieses Programm gipfelt in der >Weisheit< (»sapience«), die den Komplex der dem Fürsten notwendigen Qualitäten und Fähigkeiten umgreift und durchaus die Eigenschaft einer moralisch-politischen Ordnungsidee hat. Damit greift Budé ein Motiv der zeitgenössischen politischen Symbolik auf. Lecoq hat gezeigt, daß Franz I. schon vor seinem Amtsantritt als »Adept der Prudentia« präsentiert wurde. 14 Budé begründet die Notwendigkeit, antike Quellenkenntnisse zu erwerben, mit dem Verweis auf die menschliche Konstitutionsschwäche, die »ternerite et folie sensuelle«, 15 in ihren verschiedenen Erscheinungsformen. Diese werde korrigiert durch die »science des lettres« als »une chose precieuse et don divin, inventée par les lettrez d'entendement excellent, et quasi inspirée de Dieu pour supplier les faultes et imperfections de nature humaine«. 16 Im Rückgriff auf die antike Überlieferung konstruiert Budé ein ideales Fürstenbild, das zugleich im Umriß einen umfassenden Herrschaftsanspruch sichtbar macht. Den Charakter der »sapience« als Idealentwurf bestätigt der von Budé betonte Zug der Unerreichbarkeit. 17 12

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Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 21. Zur Abtretung >natürlicher< Freiheitsrechte an den Souverän vgl. ebd., S. 38. Genaueres zur zitierten Stelle bei Bontems: L'institution du prince de Guillaume Budé, in: Bontems u. a.: Le prince, S. 30t Bontems: L'institution du prince de Guillaume Budé, in: Bontems u.a.: Le prince, S. 14. Für eine ausführliche Darstellung von Budés absolutistischer Programmatik vgl. ebd., S. 13-39; Lecoq: François Ier imaginaire, S. 20. Lecoq: François Ier imaginaire, S. 69-117; speziell zu Budé S. 115. Zum Verhältnis von Prudence und Sapience s. unten. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 8. Vgl. weiter ebd., S. 5 10. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 10. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 4: »Touteffois il se treuve peu d'homme, qui soyent tellement douez d'entendement et jugement naturel, ou instruictz de prudence acquise par doctrine, ou experience avec leur entendement que on les puisse ou doive appeller sages, à parler estroictement, au vray, et selon

162 Budé bringt also das politische Projekt, das er allerdings nur andeutet, in die Form eines antikisierend-heroischen Fürstenbilds, das nicht als in der erfahrbaren Wirklichkeit verankertes erscheint, sondern in der Auseinandersetzung mit ihr angestrebt werden muß. Gerade dieser Zug führt zu einer potentiell unbegrenzten Steigerung des Fürstenporträts. Zwar legt Budé das Gewicht des »sapience«-Begriffs auf den theologisch-kontemplativen Zug. 18 Teil der »Weisheit« ist aber ebenso das Vermögen, Ruhm und Ehre zu erwerben. Ob Budé das Verhältnis zwischen diesem zweiten Aspekt - der »prudence« - und der »sapience« begrifflich klar festgelegt hat, mag für den gegebenen Zusammenhang dahingestellt bleiben. 19 Am Punkt von Ruhm und Ehre setzt jedenfalls die Lehre von der »Renommée« an, die ich im folgenden Kapitel unter dem Begriff der Reputation darstelle: »nous n'avons rien si estimé, ne si recommandé a toutes les puissances de l'ame, (quant est des choses temporelles) que l'honneur en la vie et renomée après la mort«. 20 Damit verlagert sich der Schwerpunkt des Traktats von der inhaltlichen Bestimmung der TUgendgröße auf die Fertigkeit ihrer Darstellung. In diesem Sinn ordnet der Text den Monarchen dem Leitbild des Gentilhomme zu. 21 Daß Budé die heroische Größe und ihre praktische Umsetzung in den Mittelpunkt seiner Abhandlung stellt, entspricht dem konstruktiven Charakter des fürstlichen Idealbilds. Ein Seitenblick auf Erasmus' Institutio Principis Christiani (1516) verdeutlicht im Kontrast, welchen Weg Budé einschlägt. Erasmus verpflichtet in der Karl V. und (in der zweiten Ausgabe) seinem Bruder Ferdinand gewidmeten Schrift den Fürsten fast ausschließlich auf eine Tügendbildung. Nur im Sinn einer unmittelbaren Tugendfolge läßt er den Auctoritas-Begriff zu,

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ceulx, qui jugent les dictz, et sentences, par la reigle exquise, et absolue de vérité telle, que l'homme peult comprendre par conception, selon laquelle il est evident, que ung parfaict homme n'est que endeument encommencé.« Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 42. Vgl. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 41, zur Unterscheidung zwischen »sapience spirituelle«, die die »intelligence des biens eternelz et de la vie, qui est advenir en l'autre siecle« betrifft, und der »sapience mondaine«, die sich auf Reichtum, Ruhm und andere weltliche Werte bezieht. Gleichzeitig unterscheidet der Verfasser zwischen »sapience et congnoissance des choses humaines, qui est prudence«; beide seien das Mittel, zu Ruhm zu gelangen. Zur Abwendung von den »choses spirituelles« und der Konzentration auf die »choses temporelles« in der »Institution« ebd., S. 42f. An anderer Stelle greift Budé wieder zu einer Gleichsetzung und spricht von »celle prudence, qui s'appelle sapience« (ebd., S. 49). - Zur Hierarchie von Weisheit und Klugheit in anderen Schriften Budés vgl. Bohatec: Budé und Calvin, S. 10. Zum Begriff der Weisheit auch La Garanderie: Christianisme et lettres profanes, II, S. 126-130. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 43. Zur »renommée« Bontems: L'institution du prince de Guillaume Budé, in: Bontems u. a.: Le prince, S. 41. Allgemein zum Gentilhomme-Ideal in der politischen Propaganda Franz' I. Lecoq: François I er imaginaire, S. 167-171.

163 unter dessen Vorzeichen sich in der politischen Theorie des 17. Jahrhunderts das Ansehen als politisches Instrument verselbständigt: Durch »Klugheit, Untadeligkeit, Mäßigung, Nüchternheit und Wachsamkeit« kann sich »der Herrscher beliebt machen, der aufrichtig wünscht, bei seinen Untertanen auf Grund der Autorität zu gelten.« 22 Die (wenigen) heroischen Ansätze erhalten kein Eigengewicht; Erasmus formuliert sie als Nebenaspekte und stellt auch hier die Orientierung an moralischen Grundsätzen in den Mittelpunkt. 23 Gleichzeitig lehnt er jede Art fürstlicher Darstellungskunst ab, damit aber im Grunde auch die Fürstenpanegyrik und die einschlägige Rhetorik: »Es ist bedenklicher, ein Dieb zu sein, als einer genannt zu werden, und es ist schlimmer, ein Mädchen zu verführen, als dieses Vergehens beschuldigt zu werden.« 24 Erasmus' Einspruch wiegt um so schwerer, als gerade Karl V. das Konzept der Reputation als »Staatsräson des Personenverbandsstaates« gegen die Partikulargewalten des Reichs zur Geltung zu bringen suchte. 25 Auch die Intensität, mit der sich der Verfasser immer wieder solchen Aspekten zuwendet, zeigt, daß seine Darstellung sich bereits als Auseinandersetzung mit entgegengesetzten Tendenzen in der politischen Praxis bzw. in der Theoriebildung versteht. Verselbständigtes, von der Tugendbindung gelöstes Bemühen um Ansehen diskutiert er vor diesem Hintergrund nur unter dem Gesichtspunkt der Eitelkeit und des falschen Scheins, nicht unter dem des politischen Nutzens. 26 In diesem Sinn verwirft er auch die Distanzierung vom Volk als Mittel, »von den Untertanen für groß gehalten zu werden.« 27 Der Kritik verfallen »Ahnenbilder, Wachsmasken, Stammbäume und der ganze Prunk der Herolde«, denn die »Würde des Herrschers, sein Ansehen, seine Erhabenheit ist nicht durch prunkvolles Gehaben, sondern durch Weisheit, 22

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Erasmus: Ausgewählte Schriften, Bd. 5, S. 261. Zu Erasmus' politischem Denken Koerber: Die Staatstheorie des Erasmus von Rotterdam (zur »Institutio« S. 55-79); Stupperich: Erasmus von Rotterdam und seine Welt, S. 100-114; Kiesel: »Bei Hof, bei Holl«, S. 50-61; Augustijn: Erasmus von Rotterdam, S. 66-81; Münkler: Im Namen des Staates, S. 46-64. Zum Heroischen bei Erasmus: Ausgewählte Schriften, Bd. 5, S. 133: Der Fürst höre, »daß es die Aufgabe eines guten Herrschers sei, für das Wohl des Volkes vorzusorgen, wenn es die Lage mit sich bringt, auch durch seinen Tod. Der Fürst stirbt nicht, der in Erfüllung einer solchen Aufgabe stirbt.« Erasmus: Ausgewählte Schriften, Bd. 5, S. 223. Vgl. auch ebd., S. 219: »Lobt jemand deine Redegewandtheit, bedenke, daß das Lob für Sophisten und Rhetoren ist; wenn einer deine Körperkraft lobt, denke, daß auf diese Weise Athleten und nicht Herrscher gelobt werden werden sollen« etc. Vgl. auch ebd., S. 233: »Es ist schon allgemein Brauch, geschickte Redner von woandersher kommen zu lassen und nichts als Lob zu hören.« Hatzfeld: Staaträson und Reputation bei Kaiser Karl V., S. 33. Vgl. Erasmus: Ausgewählte Schriften, Bd. 5, S. 351, wo der fürstliche Ruhm als Kriegsgrund ausgeschlossen wird. Erasmus: Ausgewählte Schriften, Bd. 5, S. 331. Vgl. auch ebd., S. 165; 179, gegen die Furcht als tyrannisches Herrschaftsinstrument.

164 Anständigkeit und rechtes 1\in zu erwerben und zu schützen.« 28 Wir werden noch sehen, welche Bedeutung Ahnengalerien und Genealogien als Reputationsmedien im 17. Jahrhundert erhielten. - Für Erasmus entspricht das Streben nach Ruhm ebensowenig den Anforderungen an einen Fürsten wie »schweigende Schmeichelei durch Bilder, Statuen und Titel«.29 In den Staatsräson-Lehren seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert kehren sich solche Wertungen um. Wenn Erasmus die »heidnischen« Vokabeln »Herrschaft, Reich, Königtum, Majestät und Macht« durch die christlichen Herrschaftskategorien »Verwalten, Wohltun, Behüten« ersetzt sehen will, so wird deutlich, daß er zusammen mit jedem Kunstgriff fürstlicher Größendarstellung auch Interesse, Machtstabilisierung und Staat als eigenständige politische Zwecke zurückweist. 30 Deshalb erkennt er weder eine politische Sondermoral noch überhaupt speziellen Gesetzen folgende, von den übrigen Lebensbereichen unterschiedene Anforderungen an das politische Handeln an. 31 Erasmus entwirft ein Fürstenbild, das er nicht mit praktischer Kompetenz der Konfliktbewältigung im staatlichen Rahmen ausstattet, sondern mit T\igendkompetenz und Vorbildwirkung für eine von Konflikten freie christliche Friedensgemeinschaft. 32 Die Aversion gegen eine heroische Ausstattung ist selbst ein Anzeichen für die kritische Wendung gegen die Politik als staatliche Machttechnik. Davon bleibt unberührt, daß sich gerade das Fehlen politischer Fixierungen im Effekt als Stärkung der fürstlichen Position auslegen läßt. Dagegen kündigt sich in Budés Interesse an der Darstellungsfrage unter der Hand schon an, wie ritualisiertes politisches Handeln in die Steuerung komplexer Umstände durch eine kalkulierte Symbolik der Repräsentation übergeht. Auf diesem Gebiet wird die Hauptaufgabe des absolutistischen Fürsten liegen. Der Weg des Fürsten zu heroischer Größe führt auch bei Budé über die exemplarisch verstandene Historia. Der Text trägt Züge einer an der antiken Ge28

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Erasmus: Ausgewählte Schriften, Bd. 5, S. 133. Zu »Schmeichelei oder Heuchelei« als falschem Ansehen des Tyrannen ebd., S. 201. Zum Ruhm: Erasmus: Ausgewählte Schriften, Bd. 5, S. 155. Zur Frage der Statuen und Titel ebd., S. 235-257. Vgl. auch die - allerdings nicht konsequent durchgehaltene - Kritik an der Orientierung an den autoritativen heroischen Exempla der Antike, ebd., S. 249: »Was kann man sich andererseits Wahnsinnigeres vorstellen als einen in die Sakramente Christi eingeweihten Menschen, der sich Alexander, Cäsar oder Xerxes zum Vorbild nimmt, deren Leben sogar heidnische Schriftsteller angriffen, wenn sie ein einigermaßen gesundes Urteil hatten?« Dazu relativierend ebd., S. 235. Erasmus: Ausgewählte Schriften, Bd. 5, S. 191. Vgl. allerdings ebd., S. 269, einen Ansatz zur kasuistischen Relativierung der Tugendlehre. Vgl. Erasmus: Ausgewählte Schriften, Bd. 5, S. 261, wo der Fürst als Vorbild in den allgemein gültigen lügenden erscheint: »Der gute Herrscher schmücke sich so, werde so geehrt und lebe so, daß die übrigen Vornehmen und die Bürger sich an seinem Leben ein Beispiel der Genügsamkeit und Nüchternheit nehmen können.« Zum Fürsten als Tügendexemplum Erasmus: Ausgewählte Schriften, Bd. 5, S. 149.

165 schichte orientierten Exempelkompilation. Richard Le Blanc, Herausgeber der Pariser Ausgabe von 1548, bietet in der Widmungsvorrede einen Katalog der »empereurs, roys, princes, consulz romains et grans personnaiges administrateurs du bien publiq«, auf die der Verfasser zurückgreift. 33 Das Werk leistet damit dem Autoritätsgewinn des Renaissancemonarchen nicht durch den Rückgriff auf theologische, sondern auf historische, antike Modelle Vorschub, wie er in Literatur, bildender Kunst, Architektur und nicht zuletzt der Entwicklung des Zeremoniells Gestalt annimmt. 34 Budé läßt den neuen Machtanspruch des Fürsten speziell auf dem Kerngebiet seiner Schrift ans Licht treten - in der Frage der Darstellungsweise. In der Institution kehren die bekannten Argumente des Topos »Historia magistra vitae« wieder. 35 Budé preist die Exempla als Incitamenta virtutis, als »excitatifz des vertus, dont les scintilles sont par nature engendrées es nobles coeurs par aptitude et inclination a choses honnestes ensuivre.« Die Historia zeigt »la facon de grand honneur et hault renom acquérir« und lehrt, wie der König diesen Ruf in ganz Frankreich und der christlichen Welt bewahren könne. 36 Mit Hilfe des Alexander-Exemplums baut Budé den in der zeitgenössischen Literatur oft wiederholten Hinweis aus, daß der Fürst auf Historiographen angewiesen sei, um in der Geschichte zu überdauern. In der Zukunft könne der König selbst Gegenstand exemplarischer Historiographie werden - »pour donner exemple a voz successeurs, et a tous autres grans princes« 37 Diese Ausführungen bilden den Anschlußpunkt für das eigentliche Interesse des Verfassers - das eingehend behandelte Postulat, die fürstlichen Taten seien effektvoll zur Geltung zu bringen. Die Überlegungen zur Frage, was erforderlich sei »a bien escripre les histoires«, 38 greifen auf Problemstellungen der zeitgenössischen geschichtstheoretischen Diskussion zurück. Im Vordergrund steht dabei die Forderung nach angemessenem Stil. Daraus ergeben sich Interpretationsmöglichkeiten für die Tatsache, daß im Zentrum des Lehrprogramms außer der Historia die aus den antiken Quellen geschöpfte Rhetorik und die Kenntnis der griechischen und, in zweiter Linie, der lateinischen Sprache angesiedelt sind. Gerade die Ausführungen zur Rhetorik bestätigen das Bild einer Idealkonstruktion, die das Interesse am politischen Instrumentarium freisetzt. Der Verfasser greift programmatisch auf die antike Einheit von Ethik und Rhetorik zurück, die bei

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Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. XXVIIIf. Vgl. Giesey: Models of Rulership in French Royal Ceremonial, S. 5 1 - 5 3 (speziell zur »Entrée«, zum Einzug des Königs in Paris). Selbstverständlich zitiert Budé den Ciceronianischen Locus classicus (Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 63). Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 63f. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 65. So die vom zeitgenössischen Herausgeber Richard Le Blanc eingefügte Kapitelzusammenfassung in Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 66.

166 Cicero in der Konzeption des Vir bonus Gestalt annimmt: »Car comme diet Quintilian apres Cicero: Orateur est un homme de bien, qui a acquis la science de bien dire.« 39 Damit ist die Vorstellung von der Rhetorik als übergreifender Integrationswissenschaft verwandt, die eine Universalausbildung verlangt. 40 Das Beispiel des Perikles zeigt nach Budé, daß die »eloquence« das Schwert der »sapience« sei: A bonne cause doneques, signifioit il par les parolles dessusdictes, qu'il estoit le premier homme d'Athenes es choses recitées par Thucydide et mesmement en eloquence: sans laquelle sapience est un glaive qui ne peult estre tiré de son fourreau, et par ce elle est de nulle defence sans eloquence. 41

Jedoch kann die Institution die Einheit von »eloquence« und »sapience« nicht voraussetzen, sondern will sie herstellen. Diesem Ziel ordnet sich die Dekadenzklage zu. In Frankreich, so berichtet der Verfasser unter Berufung auf Sueton, habe man ehedem »cas et grand estime d'eloquence« gemacht. 42 Im Vergleich mit dem perikleischen Zeitalter notiert er einen Verfall von Redekunst und politischer Moral: »Si en la court de France et au conseil estroict des roys il luy avoit une observance et coustume bien gardée, que les conseillers ayans voix concluante, feussent tous de l'honneste volunté de Pericles, ce royaume seroit l'honneur du monde a nous congneu et le domicile de felicité.« 43 An diesen Befund schließt Budé keine Kritik an den Implikationen der Ausrichtung von Staat und Herrschaft auf den Monarchen oder an der sich entfaltenden Hofkultur an, 44 sondern entwickelt im Gegenteil Rhetorik und Historia zum Instrumentarium fürstlicher Selbstdarstellung. Budé empfiehlt dem Fürsten die Aneignung einer stilistisch ausgefeilten Rhetorik. Neben der »science« benötige der vollkommene Redner »engin et stile«.45 Den geforderten ästhetischen Glanz sieht Budé vorbildlich in der attischen Sprache verwirklicht. Sie sei »la perle, la monstre, les delices, facunde, ainsi comme Ion peult dire, le langaige curial et courtisien entre les Grecs, c'est a dire, la politure, venusteté et enrichissement d'eloquence«. 46 Dazu gehören im einzelnen Actio (Aussprache und Gestik als Teil der rheto39

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Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 97. Zur Forderung nach »éloquence« des Fürsten Bontems: L'institution du prince de Guillaume Budé, in: Bontems u.a.: Le prince, S.41-43. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 93: »Eloquence est une science, universelle faculté embrassant et accouplant en un cercle toutes sciences liberales, poetiques, non mie par profession, mais par erudition suffisante.« Vgl. auch ebd., S. 103f., zum Zusammenspiel von »elegance« und »science«, d. h. Verba und Res. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 98. Vgl. auch ebd., S. 9 5 97. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 93. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 96. Diese Wendung nimmt die späthumanistische Absolutismuskritik des 17. Jahrhunderts. Vgl. Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 105. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 78. Vgl. auch ebd.,

167 rischen Darstellung einer »Persona«) 4 7 sowie Dispositions- und Elokutionstugenden wie »la vertu diserte, grace et delectable composition« 4 8 bzw. »grace demulcente et mitigative«. 49 Budé will den Fürsten mit rhetorischer Erudition als ästhetischer Kompetenz ausstatten. D i e Historia will Budé vor diesem Hintergrund »artificiellement« behandelt wissen par homme qui soit elegant en stile, orateur, et qui sache la facon de y accomoder la grace et faculté diserte de récit avec la gravité de Pescripvain et aucteur, qui est requise en histoire autant que on y adjouxte foy, à chose vray semblable, et que on se y veuille arrester comme a chose delectable, avec ce racomptable en conseil, ou grosse assemblée.50 Auf die Stilkategorien der Eleganz, Grazie und Gravitas, die der »gloire« und der »renommée« des Fürsten dienen, kommt Budé wiederholt zurück und ergänzt sie durch Magnifizenz und Ciaritas. 51 Sie entsprechen in bezug auf Alexander der Größe seiner Unternehmungen - der »hardiesse et haultesse de son entreprinse« und der »constance asseurée de mener icelle a fin.« 5 2 Der Rückgriff auf die antike Rhetorik zielt also auf die exemplarische Präsentation der Größe Frankreichs und des Fürsten. Der Eloquenz fällt die Aufgabe zu, die Statur des Fürsten als allgemein wahrnehmbarer Erscheinung allererst zu konstruieren. Der Glanz des Herrschers verdankt sich Budé zufolge einer ästhetisch stilisierten Beredsamkeit. Dieses Programm realisiert die Institution selbst in ihren auf Franz I. bezogenen panegyrischen Aspekten: »Toutes lesquelles choses sont en vous d'vn tel accord & armonie: qu'il est malysé de dire, si vous estes plus digne d'estre nombré entre ce, qui est desia perfaict au ciel, que de commander en terre.« 53 Vor diesem Hintergrund beginnt die Rhetorik, sich als politische Technik zu verselbstän-

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S. 801 Eine ausführliche Lobrede auf das Griechische unter dem Aspekt des Ausdrucksreichtums, der Anschaulichkeit und der suasiven Macht ebd., S. 26-36. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 86; ebd., S. 91. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 91; zusammenfassend zur Redekunst ebd., S. 93£, einschließlich eines Hinweises auf die Dreistillehre. Dazu auch ebd., S. 106f. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 97. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 68. Zum Zusammenhang zwischen dem Nutzen der Historia und der Rhetorik (der hier nicht näher berührt werden kann) vgl. Kessler: Geschichte: Menschliche Praxis oder kritische Wissenschaft? In: Theoretiker humanistischer Geschichtsschreibung, hrsg. v. dems., S. 3 1 36. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 69, in bezug auf Alexander. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 70. Budé: De l'Institution du Prince, Ndr. 1966, S. 39. Vgl. auch Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 54-60: Die Taten des Königs sollen seinen ausführlich dargestellten körperlichen und politischen Vorzügen gerecht werden; letztere werden so zur anschaulichen Einkleidung seines heroischen Gebarens.

168 digen und auch die Fürstenethik ihren Zwecken nutzbar zu machen. 54 Schon quantitativ überwiegen die Ausführungen zur Rhetorik weitaus diejenigen zur fürstlichen Higendlehre. 55 Die Institution befaßt sich insofern mit der humanistischen Ausstattung des Fürsten als Instrumentarium seiner Selbstdarstellung. Der an den antiken Vorbildern orientierte rhetorische Schliff,56 überhaupt die ästhetische Ausbildung und >Einkleidung< des Königs nehmen im Kontext des Fürstenspiegels den Charakter einer disponiblen Fertigkeit an. Solche Kenntnisse legt der Verfasser dem Fürsten durchaus unter praktischen Gesichtspunkten nahe. Die Eleganz ordnet sich einem breit angelegten und mit Beispielen angereicherten Lob auf die »psychagogische«57 Durchschlagskraft zu, die »force et efficace d'eloquence«. 58 Das Wissen und die Redekunst faict ledict Cicero si grand a Rome, combien qu'il ne feust Romain, qu'on disoit qu'il regnoit a Rome pour le grand pouvoir et auctorité, qu'il avoit, tant au sénat que autres assemblées, ou l'on besongnoit par conseil, remonstrances et deliberations, sans user de force d'armes.59

Letztlich handelt es sich im Keim um Instrumente politischer Macht. Auf die Rhetorik, so betont Budé, seien »roy d'armes et ambassadeurs« angewiesen, um ihre Absichten durchzusetzen. 60 Auch wenn die Institution dies nicht ausdrücklich formuliert, erweist sich die literarisch-rhetorische Fürstenausbildung zugleich als Vermittlung eines politischen Handwerkszeugs. Ja, die Frage scheint begründet, ob sich nicht hinter der Empfehlung rhetorischer Kunstfertigkeit für den Fürsten zugleich auch eine neue Aufmerksamkeit auf die Funktionsweise politischer Mechanismen verbirgt. In dieser Hinsicht begnügt sich aber die Institution mit einer begrenzten Wirkungsabsicht. Budé empfiehlt keine umfassenden Techniken fürstlicher Prachtentfaltung, sondern beschränkt sich auf die rhetorisch-stilistische Schulung. Überdies enthält der Text keinen Hinweis darauf, daß an einen Adressatenkreis außerhalb des gelehrten und höfischen Umfelds gedacht wäre. Beides wandelt sich im Barockzeitalter grundlegend. 54

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Zu dieser Differenz zwischen Antike und früher Neuzeit Göttert: Kommunikationsideale, S. 12, 14f., 24. Zum relativ geringen Gewicht der Tugendlehre Bontems: L'institution du prince de Guillaume Budé, in: Bontems u.a.: Le prince, S. 51-54. Diese Metapher benutzt Budé selbst (Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 73): »une perle precieuse, ou parangon, ou autre joyau de grande requeste, ne se doibt mettre en oevre ou polir, si non par un singulier et parfaict ouvrier.« Vgl. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 102. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 98; vgl. weiter ebd., S. 9 8 100. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg. ν. Marin, S. 88; vgl. ebd., S. 8 8 - 9 2 , weiter zu Ciceros Überzeugungskraft; S. 8 4 - 88 zur bewegenden Rede Vergils; die Stelle preist gleichzeitig die Vorbildlichkeit der römischen Mäzene. Zur politischen Führungsrolle der Redner in der Antike ebd., S. 94. Budé: Le livre de l'Institution du Prince, hrsg ν. Marin, S. 108.

169 Mit einer gewissen politischen Rationalisierungstendenz hängt jedenfalls der spezifische Nutzen zusammen, den Budé der Prudentia zumißt. Die Aufmerksamkeit auf Verfahren der Politik, wie sie sich im Einsatz des heroischen Fürstenbilds ankündigt, geht Hand in Hand mit einer Verselbständigung der >Klugheitpolitischen Heroismus< seine Plausibilität in dem Maß verliert, in dem sich die Verbindung von Tugendlehre und Decorum auflöst: »Kurtz darvon zu reden/ ein Fürst oder Herr soll sich befleissen/ zwar nit so sehr daß er vielerley sachen annemme vnd verrichte/ sonder daß er sich inn keine Geschaffte eynlasse/ sie seyen dann hoch vnd wichtig/ vnnd einem Helden geziemlich.« 69 Den Zusammenhang zwischen der Reputationslehre und der heroischen Größe hat die Forschung wahrgenommen. Oestreich und Dreitzel erkennen übereinstimmend in Lipsius' Ausführungen zur Maiestas ein heroisches Fürstenbild. 7 " Das Interesse am Ansehen ist in der politischen Literatur des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts konfessionsübergreifend und gattungsunabhängig. Bereits der Umfang der Theoretisierungsbemühungen zeugt von der Absicht, nicht allein Traditionen fortzuführen, sondern sich des Gegenstands zu bemächtigen. Den Stellenwert des Themas kennzeichnet unter anderem eine einschlägige Dissertationsliteratur. 71 Auch in den aristotelischen, absolutistischen, monarchomachischen und christlichen Politiken fehlt dieser Aspekt nicht. 72 Allerdings legen die systematischen, speziell die aristoteli69

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Botero: Von eines Fürsten und Herrn Reputation, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1602), S. 274. Vgl. auch weiter ebd., S. 274-280. Ähnlich Pacianus: Discvrsvs politicvs, de vero justoque principe, S. 177: »Es sol ein Fürst öffentlich nichts fürnemen/ was nicht herrlich/ gravitetisch vnd ansehenlich ist.« Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius, S. 187f.; allerdings überschätzt Oestreich die Rolle seines Protagonisten, wenn er behauptet, »erst durch die europäische Verbreitung der Staatslehre von Lipsius« werde »die spanisch-französische Auffassung der majestas eine allgemeineuropäische und verstärkt.« - Dreitzel: Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland, S. 50f. Dreitzel hebt auch den technischen Aspekt des Größenbilds hervor. Zur Frage der Reputation in den politischen Schriften der frühen Neuzeit sind grundsätzlich zu vergleichen: Bireley: The Counter-Reformation Prince (u. a. mit Kapiteln über Botero, Lipsius und Saavedra Fajardo); Weber: Prudentia gubernatoria (eingehend zum Thema S. 173-195). Vgl. Francke (Praes.), Reizenstein (Resp.): Autoritas principum politicé delineata. Faseltus (Praes.), Werdermann, (Resp.): Dissertatio de majestate principis externa. Schelgwig (Praes.), Neischitz (Resp.): Princeps, XXIII. Beispiele: Arnisaeus: Doctrina politica, S. 166f.; die sehr knappen Bemerkungen finden sich im Rahmen der fürstlichen Ttigendlehre (S. 169-167), die allerdings ebenfalls - schon in der Unterscheidung zwischen >privaten< und (überragenden)

172 sehen Darstellungen das Schwergewicht auf Organisation und Legitimation staatlicher Herrschaft, während Reputation und Autorität als Keimzellen einer politischen Psychologie eine Randerscheinung bleiben. Nur in solchen Texten wird die Reputationslehre dominant, die sich auf die Person des Fürsten konzentrieren und damit - wie entfernt auch immer - auf Regentenspiegeltraditionen zurückweisen. Bis zu einem gewissen Grad ergibt sich daraus für das 17. Jahrhundert eine Aufgabenteilung zwischen Systematisierungs- und praktischem Ordnungsbedarf. Lipsius weist in seiner Politik der Auctoritas als Herrschaftskalkül zwar eine bestimmende Rolle, gesteht aber dem fürstlichen Größenbild im engeren Sinn nur einen knappen Raum zu. 73 Dagegen entfalten die Mónita et exempla politica breit ein heroisches Fürstenporträt. Die differenziertesten Anleitungen zu Erwerb und Gebrauch der Reputation bieten die Staatsräson-Lehren, von denen im folgenden Saavedra Fajardo und Botero im Mittelpunkt stehen. Letzterer beschäftigt sich nicht nur in seinem Gründtlichen Bericht/ von Anordnung guter Policeyen und Regiments {Della ragion di stato, 1589, deutsche Übersetzung 1596) mit der Reputation, sondern widmet, wie wir sahen, dem Thema auch eine eigenständige Abhandlung. Die Staatsräson-Theorien unterscheiden sich hinsichtlich des Umfangs, in dem unter dem Stichwort des Ansehens der im Kern rhetorische Wirkungsaspekt politischen Handelns, die politische Psychologie, den Charakter einer eigenständigen Lehre annimmt. Botero räumt der Reputation eine zentrale Position ein, setzt aber weithin noch einen feststehenden reputationsbezogenen Symbolgehalt des praktischen politischen Agierens voraus. Mehr noch gilt dies im Anschluß an ihn für Michael Kreps in seiner Teutschen Politick (1620). Als Indiz mag gelten, daß gerade bei Kreps (wie überhaupt in den deutschen Schriften) ästhetische Wirkungskategorien (Gravitas, Grazie) als Instrumente des Reputationserwerbs fast gar nicht vertreten sind und keineswegs eine eigenständige Behandlung erfahren. 74 Überhaupt liefern

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fürstlichen lügenden - politisch funktionalisiert wird. Vgl. auch Arnisaeus' Majestas-Definition (De Majestate, in: Opera politica, Bd. II, S. 9), wonach unter Majestas das Recht zu verstehen ist, »das in der Amtsgewalt und in der aus ihr folgenden Verehrung besteht.« (»Per majestatem enim hoc loco intelligere debemus jus ipsum, quod in potestate, eamque secuta veneratione consistit.«) Althusius: Politica methodicè digesta, S. 357-382. Dazu Behnen: Herrscherbild und Herrschaftstechnik in der »Politica« des Johannes Althusius, S. 4 3 3 - 4 3 9 und passim. Für die Politica C h r i stiana vgl. Spattenbach und unten, 3.3. Einschlägig ist Lipsius: Von Vnterweisung zum weltlichen Regiment, 4. Buch, 9. Kapitel, S. 127-143. Zum Tugendfundament der Reputation Botero: Von eines Fürsten vnd Herrn Reputation, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603), S. 200-217. Vgl. auch Kreps: Teutsche Politik, erster Teil, S. 144, zur fürstlichen Tugendausstattung als Vorbedingung des Ansehens: »Droben haben wir von Gerecht- vnnd gütigkeit/ als zweyen tugenden eines guten Fürsten meidung gethan/ nun wollen wir einen dapfferen Fürsten beschreiben/ dessen eygene vnd wolanstehende tugenden seind/ die

173 die deutschen Autoren zu den psychologischen Aspekten der Reputationslehre (wie auch zur Hofmannskunst) keine eigenständigen Beiträge. D a g e g e n verwandelt sich, wie wir später sehen werden, in Saavedra Fajardos tacitistischer Konzeption die Politik in einen höchst beweglichen und irritierenden >SchauplatzPersona< insgesamt in Hinblick auf den psychologischen Effekt. Dazu greifen die Politiken auch auf das religiöse Charisma zurück, das sich in der Nähe von Reputation und Autorität findet. Botero unterscheidet zwischen der »Reuerentz«, die auf »Religion und Gottsdienst« basiert, und der Reputation, die die Verwaltung von »Policey oder Kriegssachen« betrifft. 110 Clapmarius schreibt: »Im übrigen legten die Kaiser größten Wert darauf, daß sie nicht allein tapfer waren und als tapfer galten, sondern auch als heilig und verehrungswürdig, denn nichts erschüttert das Volk mehr als die Religion.« 111 Althusius verweist auf diesen Zusammenhang, um zu begründen, daß sich der Fürst vom Volk distanzieren müsse: »In dieser Hinsicht ahmen die Fürsten, wie Bodin sagt, die Maiestas Gottes nach, der den Sterblichen nur unsichtbar nahetritt, und zwar nur sehr wenigen von höchster Heiligkeit und Redlichkeit.« 112 Grundsätzlich raten die Politiken zum intensiven Einsatz affektiv wirkungsmächtiger Mittel des Reputationsgewinns. Das Heroische kann, wie sich schon andeutete, unter dem Aspekt der Reputation als Mittel der Kontrolle politischer und psychologischer Komplexität eingesetzt und ausgebaut werden. Boteros politisch funktionalisierte und durchaus dem Dissimulationsgebot unterworfene Aufforderung zu heroischen Leistungen, aus der die folgenden Beispiele stammen, wird allerdings von Saavedra Fajardo zurückgenommen und stärker einer Steuerungskompetenz unterordnet. Ein Beispiel für die »vortrefflichen vnd herrlichen« Taten, mit deren Hilfe nach Bo-

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Von Vortrefflichkeit der Feld-Obersten bey den Alten, ebd., S. 30f. Kreps: Teutsche Politick, zweiter Teil, S. 102; ebd., S. 122-124. Meyfart: Teutsche Rhetorica, S. 11-35. Einige der Wandlungstendenzen, denen die rhetorische Praxis am Hof - im Vergleich mit der gelehrten Beredsamkeit - im 17. Jahrhundert unterliegt (z.B.: Integration in einen zeremoniellen Prozeß, Rückgang des Gegenstandsbezugs, Verselbständigung der Insinuation), hat Braungart: Hofberedsamkeit vorgeführt. Botero: Gründtlicher Bericht, S. 23r. Zur Sache Beetz: Friihmoderne Höflichkeit, S. 188. Zum ganzen Komplex der politischen Repräsentationspraxis am Hof Ehalt: Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft. Clapmarius: D e arcanis rerumpublicarum libri sex, S. 124: »Ceterum Imperatores id imprimis studebant, ut non tantum fortes essent & existimarentur, verum etiam sancti ac venerabiles, quod nihil ánimos plebis magis percellit quam religio.« Althusius: Politica methodicè digesta, S. 371: »Qua in re principes Dei maiestatem imitati Bod. dicit. lib.4.c.6. qui mortalibus, non nisi latenter, & nec nisi paucissimis quibusdam summae sanctitatis & integritatis viris se insinuât. Num.c.12.« Vgl. auch Boxhornius: Institutionum politicarum libri duo, S. 125: Dem Fürsten wird eine feierliche Amtsübergabe »more majorum« nahegelegt, denn »cum in solemnibus aliqvid religionis sit, sanctior redditur Principis persona«.

182 tero die Reputation »zuwegen gebracht vnd erlanget wird«,113 bietet Scipio, der »sich nicht jederer Kriegssachen angenommen/ sonder seine Person gesparet auff die höchsten vnd gefährlichsten Verrichtungen/ die schier vnmüglich geschienen/ die andern aber seinen Leutnanten befohlen.« 114 Darüber hinaus werden »diese Thaten für groß geschetzt vnnd hoch gehalten/ die deinen Namen mercklich weit außbreitten/ als da sind die Kriege/ welche in ferren Landen geführet werden«.115 Eine zivile Großtat gilt als reputationsfördernd, wenn sie »einem gantzen Volck alles heil vnnd wolfart mitbringet«. Exemplarisch nennt Botero die Gesetzgebung, den Städtebau und die Errichtung von Tempeln und Kirchen: Aber vnter allen Wercken/ dauon ein Fürst grosses vnsterbliches Lob vnd herrlichen Namen erlangen kan/ ist kein grössers/ als ein Stadt/ die in guter komlicher gelegenheit von jme gebawet vnd auffgerichtet worden. Dann diese/ gleichsam als ein vnzerstörlicher theil der Macht/ vnd ein lebendiges Ebenbilde der Weißheit dessen/ der sie erstlich gebawet/ lest sein Gedächtniß nimmermehr zu grund gehn vnd in vergeß fallen. 116

Historisch liefert sein einschlägiger eigenständiger Traktat, die griindtliche Erclärung der Vrsachen/ wodurch Statt/ zu Auffnemmen vnd Hochheiten kommen mögen, das politische Programm für den Ausbau von Tlirin zur absolutistischen Residenz und zentralen Festung von Savoyen.117 Daß solche Unternehmungen als Mittel zu verstehen sind, einen heroischen Eindruck hervorzubringen, zeigen auch die Ausführungen über »Belohnungen und Verehrungen der Soldaten«. Botero erläutert dort, daß zur Aufrechterhaltung militärischer Disziplin neben den Strafen materielle wie auch ruhmbringende Auszeichnungen dienen. Zu den letzteren gehört das gesamte Arsenal der Heldenverehrung - Ehrensäulen, Standbilder, Lobreden, Kronen, Kränze, Orden und eine heroische Fürstenhistoriographie.118 Im Rückblick 113 114

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Botero: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603), S. 191. Botero: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603), S. 209. Vgl. allgemein auch ders.: Von eines Fürsten vnd Herrn Reputation, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1602), S. 266f. Botero: Von eines Fürsten vnd Herrn Reputation, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1602), S. 269. Botero: Beschreibung Alexanders des Großen, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603), S. 73. Vgl. ders.: Von eines Fürsten vnd Herrn Reputation, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1602), S. 268f. Zur Unterscheidung von »bürgerlichen« und »kriegerischen« Taten Botero: Gründtlicher Bericht, S. 130r. Vgl. auch Kreps: Teutsche Politick, erster Teil, S. 287f.; [Anonym:] Fürstliche Lection oder kurtze Vnterrichtung, S. 57-59. Zum Reputationsausbau durch das Fest (hier durch die »Entrée solennelle« Ludwigs XIV. in Paris 1660) Möseneder: Zeremoniell und monumentale Poesie. In der deutschen Ausgabe dem »Gründtlichen Bericht/ von Anordnung guter Policeyen und Regiments« angefügt. Vgl. Pollack: Turin 1564-1680, S. 35-39. Zu Boteros Staatsräson-Theorie im Kontext dynastischer Standbild-Politik in Piacenza vgl. Keller: Reitermonumente absolutistischer Fürsten, S. 38-46. Botero: Gründtlicher Bericht, S. 299 r -306 v . Vgl. auch Kreps: Teutsche Politick, zweiter Teil, S. 256f.

183 lassen sich nunmehr manche Themen bei Bucholtz, etwa die Frage der Standbilder und Inschriften, dem Reputationskomplex zurechnen. Ohne die Wertsymbolik von Ehre und Ruhm anzutasten, liefert die Staatsräson-Theorie das politische Rüstzeug für einen gezielten Aufbau und Einsatz des Heroischen. Ein Seitenblick auf John Barclays Argenis mag abschließend verdeutlichen, daß zum Lehrprogramm dieses Romans die Reputationstheorie gehört. Das Bild der zentralen heroischen Figur Poliarchus bzw. Astiorist fußt zwar auf mythologischen Argumenten des Topos »virtus heroica«, etwa dem der göttlichen Sendung: »Er war nicht vber sechzehen Jahr/ als es schiene/ daß die Götter mit seinem Muthe vnd Stärcke geeilet hetten/ damit wir nicht sämptlich vntergiengen.« 119 Doch wird die heroische Größe praktisch zum rational handhabbaren Werkzeug der interesseorientierten und situationskonformen politischen Psychologie. Im Rahmen seines primär auf die französischen Verhältnisse gemünzten absolutistischen Ordnungsentwurfs demonstriert der Verfasser immer wieder, welches Gewicht der Reputationskontrolle und der sorgfältigen Inszenierung fürstlicher Autorität bei der Stabilisierung des Staats zufallen. Einschlägige Hinweise ließen sich auch unmittelbar in die »Arcana«-Lehren der Staatsräsonliteratur integrieren. Daß sie oft nur in einzelnen Bemerkungen in den Erzählgang einfließen, zeigt, ein wie selbstverständlicher Bestandteil der politischen Taktik die Reputationslehre geworden ist. Eine taktische Diskussion unter königlichen Beratern führt zu der Einsicht, es diene »auch dem Könige zu seiner Hoheit/ wann es das Ansehen erlangete/ daß er mehr durch den Schein der Freundtschafft/ als durch Erliegung seiner Kräfften/ were vberwunden worden.«121' Neuerungen im Gerichtswesen sollen mit Vorsicht einführt werden, um die Obrigkeit »bey dem Ansehen gegen dem Volcke [zu] erhalten«. 121 In völliger Übereinstimmung etwa mit Botero erläutert der Erzähler, daß das »recht/ vnd die Majestät der Feldherrn vnd Obristen [...] im Kriege viel zu bedeuten« haben. 122 Ein lebensbedrohender Zustand des Poliarchus muß verborgen bleiben, »damit sich nicht etwa in jhrem oder der Feinde Lager eine Empörung erregte.« 123 Wenn Archombrotus sich in einer gefährlichen Kampfsituation als König verkleidet, um die Truppen mit seinem Beispiel anzuspornen, während der König selbst in Sicherheit gebracht wird, so zeigen sich die Reputation und

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Barclay: Argenis, in: Opitz: Werke, III, 2, S. 437f. Barclay: Argenis, in: Opitz: Werke, III, 1, S. 217. Barclay: Argenis, in: Opitz: Werke, III, 1, S. 355. Vgl. auch S. 208 zum Umgang mit einem Wahrsager: Zu vermeiden sind gleichermaßen die Gefahr, der Wahrsager werde ungünstige Prophezeiungen über den König in Umlauf bringen, wie der Eindruck, der König zweifle so sehr an seinem Sieg, daß er die Hilfe eines Wahrsagers in Anspruch nehmen müsse. Barclay: Argenis, in: Opitz: Werke, III, 1, S. 225. Barclay: Argenis, in: Opitz: Werke, III, 2, S. 505.

184 ihr Effekt als berechenbares und einsetzbares Instrumentarium.124 Umgekehrt geht der Abfall der Untertanen von dem zu weichen König Meieander auf einen Mangel an Reputation zurück und demonstriert, »daß Higendt an einem Könige/ sie sey so groß als sie wolle/ könne verachtet werden/ wann das Ansehen der Rittermässigkeit vnd Stärcke nicht darzu kompt: vnd daß keine Fürsten von jhren Vnderthanen trewlicher geliebet werden/ als die so Mittel haben/ wegen welcher man sich für jhnen förchten muß.«125 Aber der Roman gibt nicht allein darüber Auskunft, welche Zwecke mit Hilfe der heroischen Reputation erreicht werden können, sondern liefert auch Beispiele für die Art von Anschaulichkeit, die mit dem Reputationskonzept korrespondiert. Vor allem im Rahmen ihrerseits auf die Majestas zielender zeremonieller Ereignisse beschreibt der Erzähler das wirkungsbezogene Erscheinen der heroischen Figuren. Die Anziehungskraft, die solche Inszenierungen auf das »Volck« ausüben, verdeutlicht den zugrundeliegenden Organisations- und Zentralisierungsanspruch. Der Schmuck, so schreibt Barclay über Poliarchus, war nichts gegen der Anmutigkeit deß Gesichts vnd dem lieblichen Ansehen/ welches alle feine Regung vnd Bewegung angenehm machte. Darumb schawete jhn das Volck an/ viel frolockten/ vnd die so jhn in seinem Privatstande gekandt hatten/ beklageten sich/ daß sie nicht damaln schon weren jnnen worden/ daß die Götter mit der Art einer solchen Majestät nur einig Könige begabeten. 126

Besonders prägnant, als offensichtliche Verstellung, bringt freilich der Hochverräter Lycogenes die Reputationstechnik zur Geltung (während der Roman das Majestätische bei den legitimen Herrschern zur ererbten Ausstattung zählt): »Machte sich entweder sehr freundlich/ oder sehr strenge/ damit er die Widerspänstigen jhm verbündlich oder für jhm forchtsamb machte.«127 Als psychologische Strategie der Reputationstheorie kommen so die ästhetischen Konzepte der »Strenge« und der »Anmut« (oder Entsprechungen) ins Spiel. Ihnen wende ich mich im Folgenden noch zu. Ich fasse zusammen: Das rhetorisch-psychologische Kalkül von Boteros Anweisungen gilt der sinnlichen, vor allem der visuellen Präsentation des Fürsten und seiner Größe, ζ. B. in Triumphzügen und Entrées. Es schlägt sich auch in der Lehre nieder, daß Taten eindrucksvoller seien als Worte.128 124 125 126

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Barclay: Argenis, in: Opitz: Werke, III, 1, S. 239f. Barclay: Argenis, in: Opitz, Werke, III, 1, S. 193. Barclay: Argenis, in: Opitz: Werke, III, 2, S. 599. Weitere Beispiele: 1, S. 105f.; llOf.; 224; 272. Barclay: Argenis, in: Opitz: Werke, III, 1, S. 193. Botero: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603), S. 126, zu Cäsar in Spanien: »Dann daselbst hatte er anlaß vnd gelegenheit/ sein Tapfferkeit vnd Mannheit erscheinen vnd sehen zu lassen/ Siege zu erlangen/ herrliche Triumpff vnd sieghaffte prächtige Einritt zu erwerben/ vnd also seinen Namen vnd Lob durch die gantze Welt außzubreiten vnd bekannt zu machen.« Zum Vorzug der Taten vor den Worten vgl. Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603), S. 233, sowie ebd., S. 225£, über Scipio, der durch eine Vorführung seines Heers die römischen Gesandten von sei-

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Schon der Zugriff der politischen Theorie selbst verwandelt die traditionale Herrschaftssymbolik in einen disponiblen Gegenstand politischen Handelns. Das Ansehen gewinnt ein Eigengewicht als in Konstitution und Wirkungsweise reflektiertes Instrument. Daß die Logik des Reputationsdenkens sich von praktischen Zweckmäßigkeitserwägungen lösen kann, verdeutlicht diese Verselbständigung. 129 Wie sehr Boteros Empfehlungen dabei in praktischer Hinsicht einem stabilitätsbezogenen Wirkungsprinzip folgen, zeigt die Bemerkung, daß kriegerische Unternehmungen im Vergleich mit zivilen »noch grössern Lust vnd Freude mit sich« bringen und »aller sinne vnd gedancken zur Auffruhr oder Vnruh den Vnterthanen auß dem Hertzen« nehmen. 130

3.2.2 Politisch-heroische Tugendprogrammatik Im 26. Emblem verteidigt Saavedra Fajardo den christlichen Heroismus gegen die »gottlose meinung«, die Heiden seien »in ihren Thaten viel berühmter gewesen [...] als die Christen«, denn sie seien durch ihren »aberglauben«, speziell »auß den vielfältigen erschrecklichen Schawspielen/ vnd blutigen Opffern welche sie ihren Göttern auffopferten/ viel behertzter« geworden. 131 Saavedra Fajardos Gegner ist Machiavelli, der in den Discorsi bemerkt, die christliche Religion fördere Demut, Kontemplation, Selbstverleugnung und Weltverachtung. »Die Religion der Alten dagegen sah es [das höchste Gut] in der Größe des Mutes, in der Kraft des Körpers und überhaupt in allen Eigenschaften, die die Menschen möglichst tapfer machen.« 132 Machiavellis Argumentation zielt auf die »virtù«, eine moralisch indifferente politische Tüchtigkeit, die einem durch Kontemplation und Müßiggang ausgelösten

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nen Qualitäten als Feldherr überzeugt: »So geschicklich wüste er/ ohne schmälerung seiner Reputation vnd Ansehens/ seiner Widersächer vnd Mißgunstigen falsche aufflagen vnd verlästerungen abzuleinen vnd zu nichte zu machen.« Zur Anschaulichkeit auch Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 288-291. Zur rhetorischen Pathoserregung durch die »Vorführung von Realien« vgl. Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik, § 257, 3 a, S. 143. Vgl. Botero: Von Vortrefflichkeit der Feld-Obersten bey den Alten, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1602), S. 174, wo der Verfasser der ritterlich-heroischen Feldschlacht im Vergleich mit dem modernen Festungskampf den höheren Reputationswert zuspricht. Botero: Gründtlicher Bericht, S. 131r; 132r. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 280. Dazu auch Lohenstein: Lorentz Gratians staats-kluger catholischer Ferdinand, S. 45. Machiavelli: Gedanken über Politik und Staatsführung, S. 94. Vgl. Münkler: Im Namen des Staates, S. 113. Eingehend Preus: Machiavelli's Functional Analysis of Religion, S. 184-187. Zum Verhältnis von Saavedra Fajardos Lehren zu Machiavelli grundlegend Dierse: Pedro de Ribadeneira und Diego de Saavedra Fajardo; Mühleisen: Die Friedensproblematik in den politischen Emblemen Diego de Saavedra Fajardos.

186 Verfall der allgemeinen Ordnung steuern soll. 133 Gerade angesichts der Bedeutung, die Machiavelli der Religion für die Stabilisierung des Staats zuweist, erscheint das Christentum insgesamt an der zitierten Stelle als Dekadenzfaktor. Gryphius läßt - wenngleich in kritischer Beleuchtung - im Papinian den Fürstenberater Laetus in Machiavellis Fußstapfen treten. Laetus propagiert einen von moralischen Tugendnormen unabhängigen Heroismus als Gegenentwurf zur römischen Dekadenz: Entzeuch den Greueln dich und den verfluchten Zeiten/ Die Helden in die Band und feig' auff Throne leiten. Bezeuge mit dem Tod daß Rom nicht deiner werth. 134

Machiavelli stellt die durchsetzungsfähige, letztlich republikanische Staatsloyalität über die moralischen Tugenden als unverletzliche Orientierungsgröße. Der Verfasser erklärt eine konsequente Tugendpraxis in der Politik für potentiell schädlich und befürwortet stattdessen eine punktuelle Tugendsimulation, die dem Ansehen förderlich sei: »Ein Fürst muß gnädig, rechtschaffen, leutselig, aufrichtig und gottesfürchtig scheinen und sein und gleichwohl so ganz Herr über sich sein, daß er im Notfall gerade das Gegenteil von dem allen tun kann.« 135 Wenn Saavedra Fajardo verdeckt die »virtü«-Programmatik angreift, so zielt er demnach allgemein auf Machiavelli als Inbegriff einer Politik, die das »utile« vom »honestum«, das politisch Gebotene vom moralisch Erlaubten trennt und das Interesse freisetzt. Unter diesem Aspekt bewertet er das Exemplum des »Hertzog Valentin« (Cesare Borgia), der im Principe den Typus des »uomo virtuoso« vertritt. Der Herzog habe »die eine grausambkeit immer vber die andere« getrieben, schließlich Herrschaft und Leben verloren und »war wol oder ein böser lehrjung/ oder gar ein böser Lehrmeister des Machiavelli.«136 Ob Saavedra Fajardos Kritik Machiavellis Schriften angemessen ist, mag hier dahingestellt bleiben. Die Gegenthese vom höheren Wert des christlichen Heroismus schließt jedenfalls den Anspruch ein, die Einheit von Tugendlehre und Politik unter den Bedingungen des entstehenden Machtstaats zu wahren. Es erhebt sich die die Frage nach dem argumentativen Stellenwert dieses Postulats. Als politisches Tugendprogramm steht der »Abriss eines christlich-politischen Printzens« in einer Reihe mit antimachiavellistischen Theoriebildun133

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Zur »virtù« Plamenatz: In Search of Machiavellian Virtù; Münkler: Machiavelli, S. 313-328; Bireley: The Counter-Reformation Prince, S. 6; zum Verhältnis von »virtù« und »fortuna« Flanagan: The Concept of fortuna in Machiavelli. Gryphius: Papinianus, II, 321-323, in: Dramen, S. 367. Machiavelli: Politische Schriften, S. 97. Zur notwendigen Fähigkeit, »nicht gut zu handeln«, vgl. auch ebd., S. 91. Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 630f. Vgl. auch ebd., S. 940 (zu den Gefahren für die Ausbildung des Fürsten, »wo der Lehrmeister einer auß der Machiavellischen schule ist«; Abris (1674), S. 186-189 (gegen das Argument, Tugenden seien politisch von Nachteil).

187 gen des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts, im engeren Sinn vor allem mit den gegenreformatorischen Schriften seit Giovanni Botero.137 Deren Ziel ist die Verwirklichung eines Staatswesens auf katholischer Grundlage in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden konfessionellen und politischen Interessen. Mit der Frage, welche Reibungen zwischen Machtstaatsprinzip und katholischem Universalismus daraus hervorgehen können, befasse ich mich hier nicht. Zur Beglaubigung der Moralität in der Politik bieten die Schriften die heroische Größe als die Figur auf, die die Ideen höchster Handlungssouveränität und absoluter Tugendhaftigkeit vereinen kann und den Fürsten als Verkörperung des Allgemeinnutzens erscheinen läßt. Allerdings enthält Saavedra Fajardos Werk Hinweise darauf, daß die Tugenden gleichzeitig bestimmten Absichten zur Verfügung stehen. So läßt sich die exemplarische Vermittlung der Tilgenden nicht nur als Unterordnung des Regiments unter die Moral bewerten, sondern auch als List der Politik. Die Tugenden garantieren die Aufrechterhaltung der Staatsordnung und die Prosperität des Gemeinwesens. Wie bei La Noue und Bucholtz legen sie den Grund für eine religiös beglaubigte, verfaßte Staatsfrömmigkeit: »Wo die tagenden manglen/ da lieget das ansehen der gesetze/ die freyheit geliebet/ die herrschaft gehasset/ darauß dan die abnehmung der Landtschaften entstehet/ vnd gar der vntergang der Fürsten.«138 Dem Fürsten fällt in diesem Sinn die Rolle des Tugendexemplums zu: »Es führe derowegen der Fürst ein solches leben/ vnd seine sitten sein also beschaffen/ daß er mit seinem exempel alle/ vnd jede zur tugend/ vnd ehrbarkeit aufmuntere.«139 Als Anwendungsfall 137

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Beispiele zur Machiavelli-Kritik: Boeder: De discrimine honestorum & turpium, vtilium item & noxiorum, in: Institutiones politicae, S. 325; Chokier: Thesaurus Politicus, S. 348-350; Clapmarius: De arcanis rerumpublicarum libri sex, S. 199f.; Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 69-78; Kreps: Teutsche Politick, erster Teil, S. 21f.; zweiter Teil, S. 282 -284; Löhneyss: Hof- Staats- und Regierkunst, Vorrede von Johann Andreas Gerhard (unpaginiert); Reinkingk: Biblische Policey, S. 532. Vgl. allgemein Bireley: The Counter-Reformation Prince. Zu Saavedra Fajardos politischer Tugendlehre umfassend Mulagk: Phänomene des politischen Menschen im 17. Jahrhundert, S. 115-165. Vgl. auch Dowling: Diego de Saavedra Fajardo, S. 105-109. Zum Verhältnis von »Ethik und Politik« bei Lipsius Abel: Stoizismus und Frühe Neuzeit, S. 72-92. Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 489. Vgl. auch ebd., S. 696, über den Müßiggang. Konkret betrifft Saavedra Fajardos Mahnung den wirtschaftlichen Niedergang Spaniens im 17. Jahrhundert: »Dem Fürsten/ welcher stets müßige vnnd außgedönete finger hat/ wirdt leicht die Scepter entfallen/ vnd werden sich sambt denselbigen der jenige erhöben die vmb den Fürsten seindt. Die tugendt vnd tapferkeit der vor-Elteren/ wirdt von den nachkomlingen in der aschen vergraben/ wo sie sich den wollusten vnd vbermaß des reichs alzuviel ergeben/ ja der grossen Fürsten geblüt gehet endtlich gantz auß.« Vgl. ferner Botero: Gründtlicher Bericht, S. 119 v -124 v über die »Mäßigkeit«, mit deren Verlust weitere Tilgenden, schließlich auch der Staat insgesamt gefährdet wären. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 139. Vgl. auch ebd. S. 140: Wo die Laster in einem Fürsten vorherrschen, »der sonst als eine

188 nennt Botero die inneren Unruhen. Ihnen könne der Fürst leicht »vermittelst der Künsten vnd Tilgenden« begegnen, durch die er »von seinen Vnderthanen beydes geliebet vnd in Ansehen gehalten wirt.« 140 Auch die Argumentation gegen das Axiom von den überlegenen heidnischen Heldentaten kann sich nicht von politischem Räsonnement freisprechen und steht selbst im Zusammenhang mit einer Funktionalisierung der TUgenden. Saavedra Fajardo konnte in dieser Hinsicht bereits auf Botero (und andere Autoren) zurückgreifen. Gegen Machiavelli richtet sich Boteros Hinweis auf das militärische Motivationspotential des christlichen Glaubens: »Nichts ist/ das die Soldaten frewdiger/ frischer vnd muhtiger mache/ vnd die Hoffnung mehr bey jnen erwecke/ als die Zuflucht zu der Göttlichen Mayestet.« 141 Insgesamt konkretisiert sich die Lehre von der Vereinbarkeit christlicher Tugenden mit politischem Heroismus als ordnungsorientierter Disziplinierungsappell. In diesem Sinn widmet sich Wilhelm Ferdinand Efferen ausführlich im dritten Buch (»De virtvtibvs principvm«) seines Manvale politicvm (1634) in bezug auf den Fürsten der »fortitudo activa« (die Machiavelli der christlichen Religion abspreche) und der »fortitudo passiva« (die er in Bezug auf den Staat ablehne). Beide, im Christentum verankert und politisch höchst notwendig, nähert Efferen der Constantia an.' 4 2 Aus dieser Perspektive weist er Machiavellis Lehre zurück, das Erdulden sei Zeichen eines verworfenen Gemüts, »denn in Wahrheit ist es eine heroische Tugend, den Tod zu verachten und ungebrochenen Geistes zu erleiden.« 143 In dieselbe Richtung führt Saavedra Fajardos Argumentation, der die christliche Tapferkeit gegen die heidnische Wildheit abgrenzt, sie nur gemeinsam mit Demut, »sanfftmuht/ Gedult/ vnd andere[n] Tugenden« bestehen und in der Affektkontrolle gipfeln läßt: Jener ist warhafftig vor einen tapfferen Held zu halten/ welcher sich nit von den zuneygungen überwältigen last/ vnd von allen betrübnussen deß gemühts befreyet

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tackel allen vorleuchtet/ vnd anstat/ das er die sicheren fahrten weise/ er das schif der gemeine auf klippen vnd die Felsen leitet/ kan nimmermehr geschehen/ das die regierung wol anschlage/ da ein Fürst sich in allen lästern/ darzu er geneigt/ außlesset.« Vgl. auch Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 68, sowie ebd., S. 306, wonach die standhafte Erscheinung des Fürsten die Untertanen aufrichtet und Verwunderung bei den Feinden hervorruft. Botero: Gründtlicher Bericht, S. 21r. Botero: Gründtlicher Bericht, S. 288 r -290 v . Vgl. Münkler: Im Namen des Staates, S. 124f. Dort auch ein Hinweis auf Ribadeneira. Vgl. auch Spattenbach: Politische Philosophie, S. 14. Vgl. Efferen: Manvale politicvm christianvm, S. 179f., wo der Verfasser feststellt, über die »fortitudo activa« habe Lipsius in seinem Buch »De constantia« gehandelt, und ebd., S. 181, wo er die »fortitudo passiva« mit der »gloriosa martyrum constantia« gleichsetzt. Efferen: Manvale politicvm christianvm, S. 182: »Quod ipsum pati [Machiavelli] dicit esse abjecti animi, negamus simpliciter, quia veré heroica virtus est mortem contemnendo infracto animo pati.«

189 ist/ in welchem die Stoici sich höchlich bemühet/ vnd mit grösserer Vollkommenheit hernacher die Christen.144

Die Behauptung, die christlichen Tilgenden seien den heidnischen überlegen, verbindet Saavedra Fajardo mit einer geschichtsphilosophischen Perspektive, die den praktischen Erfolg der Tligendlehre providentiell gewährleistet: Gott »muste vor einen betrieger gehalten werden/ vnd man könde jhn von der boßheit nicht entschuldigen/ wan er dem beystunde der einen falschen Gott anbetet/ vnd sich durch gottloses opfer bemühet jhn auf seiner seitten zu haben.«145 Angesichts der Verbindung zwischen Machiavelli-Kritik und providentieller Absicherung erweist sich das heroische Affektsteuerungsprogramm als politischer Kontrollgestus mit gleichzeitig legitimierender Wirkung. Insofern das Tugendregiment die Politik mit dem vorgesehenen Gang der Geschichte koordiniert, scheint der Fürst jenen interessefreien Allgemeinheitsgrad zu gewinnen, der ihn zum Helden qualifiziert - doch entgeht dieses Argument selbst nicht dem politischen Interesse. Auch bei La Noue wie bei Bucholtz war eine politische Inanspruchnahme von Religionslehren und Tugendwerten zu bemerken. Von diesen Konzepten unterscheiden sich die Staatsräson-Theorien aber darin, daß in ihnen auch schon aus der Sicht der Texte selbst der Zusammenhang von Politik und Tligendlehre brüchig wird. Die Schriften sehen sich genötigt, die TUgendproblematik zu erörtern und auf sie zu reagieren. So finden sich in Verbindung mit dem Hinweis, der Fürst habe nicht nur für sich selbst, sondern für das Staatsganze zu sorgen, Spuren einer Sondermoral, die die Tügendgrenzen nicht überschreitet, die einheitliche Tugendpraxis aber aufbricht: Die alzu scharffe tugend welche ohne die Wissenschaft: ist alzu hart/ vnd in der regierung was gefährlich/ dannenhero gebühren einem viel mehr jungen Helden tugenden welche eines reichs eigen seyn/ alß die klösterlichen/ vnd die jenige/ welche der Einsidler eigen sind/ welche ihn nur forchtsam/ langsam/ vnd in beschliessung einer sachen zweiffelhafftig machten/ vnd solchen von aller menschlichen gesellschafft abhalten/ vnd vielmehr auff seinen eigenen absonderlichen nutz gerichtet seyn/ alß zur nutzbarkeit vnd regierung der gemeine. Die größte Vollkommenheit der tugendt/ besteht in dem/ daß er die Schuldigkeit eins Fürsten genug thue/ worzu er sich von Gotts wegen verbunden weiß. 146

Botero rühmt in diesem Sinn Scipio als Beispiel eines Feldherrn, der die eigene Reputation gefördert habe und seinem Gegner Hannibal an Strategie, Planung und Disziplin überlegen gewesen sei.147 Bereits solche Überlegun-

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Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 282. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 284. Vgl. auch ebd., S. 197: »Also lesset die Göttliche Vorsichtigkeit nit zu/ daß die künsten der lyranney ihren vrhebern viel nützen. Die tugend allein/ vnd nit die boßheit/ hat dises/ das sie in jhrem angefangenen vorhaben einen genädigen GOTT finde.« Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 194f. Botero: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1602), S. 125-141.

190 gen setzen einen Standpunkt außerhalb des Tugendsystems voraus, an dem es doch festzuhalten gilt. Die TUgendprogrammatik der Staatsräsonlehren erweist sich nun auch schon aus der Sicht der Texte selbst als doppeldeutig. Die Tilgenden treten als Instrumente im Konkurrenzkampf wie auch als unbedingte Verhaltensanforderungen an den Fürsten auf; sie sind gleichermaßen Mittel und Zweck. Als Ziel der Staatsräson gilt ein tugendkonformes christliches Regiment, das aber nur durch eine Subsumtion der Tugenden unter das Kalkül der Politik dargestellt werden kann. Heroische Größe gibt sich damit als Paradox zu erkennen: Sie ist Teil des politischen Geschäfts und bleibt darauf angewiesen, über alle Interessen erhaben zu sein. Aus der Sicht der Staatsräson-Theorien erscheint deshalb die Meßbarkeit der Politik an Tugendmaßstäben nicht mehr als selbstverständliche Voraussetzung, sondern muß erst plausibel gemacht werden. Saavedra Fajardo und Botero können offenbar nicht mehr annehmen, daß die Tugendqualitäten des fürstlichen Verhaltens ohne besondere Maßnahmen allgemein einleuchten. Da das strategische Steuerungsvermögen nicht unkommentiert in der exemplarischen Tugendpraxis aufgeht, entsteht ein Vermittlungsbedarf mit den überlieferten Tbgendbegriffen. Der Reputation fällt die Aufgabe zu, den Zusammenhang von Politik und Tugend überzeugend zu repräsentieren. Damit wird der spezifische Ansatz der heroischen Größe unter dem Reputationsaspekt deutlich: Im Unterschied zur (ethischen) Virtus heroica ist die (politische) Reputation keine Vorbedingung des Handelns, sondern ergibt sich erst im kommunikativen Vollzug. Saavedra Fajardos bereits zitierter Definition gemäß entsteht die Reputation in der Meinung der anderen. Die gesamte Reputationstheorie basiert deshalb auf einem vergleichenden Grundzug: Reputation ist überhaupt nur in dem Maß vorhanden, in dem andere übertroffen werden. In der Hand der Politik wird die heroische Überbietung zu einer fortwährenden Inszenierungsaufgabe. Auch in Graciáns Héroe findet man Formulierungen für dieses Konkurrenzmodell. 148 Zwar übernimmt bei La Noue die exemplarische Tugendvermittlung unter der Hand die Aufgabe der Ordnungssicherung, doch richtet sich sein Interesse nicht auf den Vermittlungsweg, sondern auf den Zusammenhang von Tugendprogrammatik und politischer und psychologischer Stabilität. An diesem Punkt bleiben die Staatsräson-Theorien nicht stehen. Die Darstellung des Heroischen erscheint bei ihnen stets zugleich als Verfügung über das Heroische, die die Gestalt von Toposkatalogen zum Reputationskomplex annimmt. Diese antworten nicht auf die Frage, worin heroische Größe bestehe, sondern suchen die Reputation als politischen Faktor kalkulierbar und handhabbar zu machen. Im 31. Emblem, das Saavedra Fajardo der »authoritet« its Vgl Gracián: El Héroe, S. 36: »Großer Vorteil: erster zu sein, und wenn mit Vortrefflichkeit, doppelt. Bei Gleichheit gewinnt, wer als erster gewinnt.«

191 oder dem »ansehen« widmet, liefert er ein Inventar der »vrsachen«, aus denen »ansehen vnd meinung eines Fürsten« entstehen. Dazu gehören solche, die seine Person, und weitere, die sein Land betreffen. Erstere rühren »auß dem leibe/ oder gemüht des Leibes« und umfassen daher »wahre tugenden vnd tapferkeit des gemühts« ebenso wie »wolgestalt« und »köstliche vnd schöne kleider«, letztere die »grosse vnd herrliche Gebewden auff das zierlichste auffgericht/ vnd auffs köstlichste geschmückt«, den Adel, die fürstliche Wache und »die herrlichste Hoffhaltung«, die ebenfalls »die Majestat« vermehren und zusammen mit den Titeln »der eroberten und ererbten Länder« die »fortrefflichkeit« anzeigen. 149 Ähnliche Aufstellungen findet man in den meisten anderen Politiken und fürstenspiegelartigen Traktaten. Wenige Beispiele mögen genügen: Löhneyss lehrt in seiner »Hof- Staats- und Regierkunst«, eines »Fürsten Reputation und Ansehen« entstehe »beydes aus inner· und äusserlichen Dingen.« Als innere nennt er die Tugenden, und zwar Gottesfurcht, politische Kompetenz und Gerechtigkeit sowie Großmut, Beherztheit und beständige Selbstbeherrschung »in Widerwärtigkeit«. Unter äußeren Reputationsfaktoren versteht Löhneyss, »wann ein Fürst die Tugend in allem Thun und Lassen sehen läst/ welches fürnemlich in vier Stücken erscheinet«, nämlich der Kriegskunst, der achtunggebietenden Distanz gegenüber »Räthen und Dienern«, der eindrucksvollen äußeren Erscheinung und der strengen »administration der Justiz« speziell zu Beginn seines Regiments. 150 Althusius zufolge besteht die Auctoritas in Bewunderung und Furcht und ergibt sich aus der Staatsform (»forma imperii«), der Macht (»Potentia«) oder den Sitten des Regenten (»mores imperantis«). 151 Gemäß der ramistischen Divisionsmethode erläutert Althusius, die Staatsform müsse streng (»severa«), beständig (»constans«) und straff (»adstricta«) sein, wobei letzteres die Konzentration von Macht und Ansehen (»vis & honos«) bei der Regierung bezeichnet. 152 Zur Macht des Regenten gehören unter anderem Bündnisse, die »& potentiam & gloriam magistratus« mehren, sowie der Erfolg (»felix successus«). Ausführlich geht Althusius schließlich auf die Sitten des Regenten ein, die er wiederum in innere und äußere teilt. Zu den inneren zählt eine Auswahl an theologischen und moralischen Tugenden (pietas, Providentia, fortitudo, fides, modestia, temperantia, affectuum moderatio, sufficientia). 153 Die äußeren Sitten liegen »in der Rede, der Körperbeherrschung und der Gestik, damit er [der »magistratus«] mit Mund, Gesicht, Worten und überhaupt jeder Handlung die Maiestas würdig erhalte und mehr durch die Tat selbst leiste, als er in Worten verspricht.« 154 Chokier empfiehlt sechs 149 150 151 152 153 154

Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 329f. Löhneyss: Hof- Staats und Regierkunst, S. 117t Althusius: Politica methodicè digesta, S. 357. Althusius: Politica methodicè digesta, S. 3 5 7 - 3 5 9 . Althusius: Politica methodicè digesta, S. 3 6 2 - 3 6 4 . Althusius: Politica methodicè digesta, S. 370: »Externi mores magistratus, autorita-

192 autoritätsfördernde Mittel: Distanz von den Untertanen, »feine gravitetische aber doch freundliche vnd anmutige Gebärden«, Konzentration der politischen Entscheidungen in der Hand des Fürsten, Vermeidung der Machtkonzentration bei »Officirern«, »Gottseligkeit und Vorsichtigkeit« sowie die präsentable »Statur oder Leibsgestalt«.155 Ohne weiteres ließe sich die Reihe der Beispiele vermehren. Über die bloße Sammlung reputationsdientlicher Faktoren hinaus verlagert sich das Gewicht in den Staatsräson-Theorien von der Ordnung und Ausrichtung der Tilgenden auf den Präsentationsmodus. Ihre Anleitungen zur Reputationsfrage zeigen insofern, in welchem Umfang das Interesse an der Handhabung politischer Macht in den Mittelpunkt rückt und das Vertrauen auf die Tugendsymbolik durch ein verselbständigtes Stilkalkül ersetzt wird. Der Zusammenhang zwischen dem Erscheinungsbild der Tilgenden und der jeweiligen Absicht wird nunmehr prinzipiell problematisch. Die Folgen für die Konzeption der politischen Wirklichkeit insgesamt müssen uns noch beschäftigen. Erst so zeigt sich die Reichweite von Saavedra Fajardos Bemerkung, es genüge nicht, daß die Fürsten »kein böses thun/ sondern ist auch nötig/ das die mittel/ deren sie sich gebrauchen/ keinen schein des bösen haben.« 156 Einen ersten Eindruck von den Konsequenzen vermittelt der Ratschlag, die »lehrmeister vnd Praeceptores« sollten das Naturell (»die art vnd Zuneigung«) des Prinzen erkennen und »verdeckter weiß in dessen gemüht den Saamen deß ruhms vnnd der tugendt außsehen/ auff das wan sie dermahl eins werden auffgehen/ man nit woll könne vrtheilen/ ob solche von der natur oder von der kunst herrühren«. 157 In bezug auf das Exemplarische wird so dessen suasiv wirkungsmächtiger Dissimulationscharakter Gegenstand der Reflexion. Die Politiken greifen bei der Beurteilung des Tugendeffekts auf ursprünglich rhetorische Klassifikationen zurück, die sich - soviel sei vorgreifend festgehalten - in den Begriffen »Ernst« und »Anmut« verdichten. Dabei gilt es nicht nur, Tugendhandlungen in höherem Glanz erscheinen zu lassen. Aus der Perspektive der Staatsräsonlehren kommen die Tilgenden nur zur Geltung, wenn das Darstellungskalkül umfassend Besitz von ihnen ergreift. 158

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tem conciliantes, sunt in sermone & cultu corporis, & gestu, ut nimirum ore, vultu, verbis, omni denique actione cum dignitate maiestatem tueatur, & plus facto ipso prestet, quam verbis promittit.« Chokier: Thesaurus politicus, S. 197-199. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 143. Fast gleichlautend und vermutlich im Anschluß an Saavedra Fajardo Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 259f. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 23. Wenn Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 186189, in direkter Auseinandersetzung mit Machiavelli darauf besteht, daß die Tugenden nicht simuliert sein dürfen, so steht dahinter das Affektationsverbot. Vgl. aber auch die sofort folgende Aufforderung zur >Bemäntelung< der Laster (S. 189f.).

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Mit Blick auf Gattungsfragen läßt sich in diesem Zusammenhang die politische Aneignung der Tugendlehre als Überformung von Elementen der tugendorientierten Fürstenspiegeltradition fassen. Der gesamte erste Teil von Boteros Staatsräson-Werk fußt auf einem Katalog von Fürstentugenden als Dispositionsschema. 159 Obwohl grundsätzlich alle Tugenden geeignet seien, Liebe und Achtung für den Fürsten bei den Untertanen zu wecken, so bemerkt Botero, seine Disposition erläuternd, bringen »derselben etliche mehr die Reputation als die Liebe/ etliche dargegen mehr die Liebe als die Reputation/ zu wegen.« Zu den letztgenannten zählen »Freundlichkeit/ holdseligkeit/ Gütigkeit«, die der »Gerechtigkeit« und der »Freygebigkeit« subsumiert werden; als reputationsfördernd gelten dagegen »die Stärcke oder Mannheit/ die Kriegs-Erfahrenheit/ die Regierungskunst/ die Standhafftigkeit/ die Großmütigkeit/ die Vortrefflichkeit deß Verstands/ vnd andere mehr/ welche wir alle zumal vnterm Namen der Fürsichtigkeit vnd der Tapfferkeit begreiffen wollen.« 160 Auch bei der Aneignung von Definitionsmerkmalen der heroischen Tugend spielt der Wirkungsaspekt eine Rolle. Botero greift auf Standardformulierungen des »Virtus heroica«-Topos zurück, denen zufolge sich der Held »supra communem humanam sortem« erhebt und in den Einzeltugenden zum Perfektionsgrad gelangt: Demnach die sachen also beschaffen/ daß wir Reputiern vnd hoch achten allein die/ welche wir vmb jhrer Hochheit vnd Vortreffligkeit willen dafür halten/ daß sie die gemeine Ziele vnnd Schrancken des Menschlichen Vermögens etlicher massen vberschritten/ vnd weiß nicht was Vbermenschliches erreichet haben: So soll man ja gentzlich dafür halten/ daß die Reputation gleichsam als ein Geburt oder Frucht sey/jrgend einer vortrefflichen/ vnd gantz vollkommenen lügend. 161

Ähnliche Formulierungen bietet das Buch über die Staatsräson. Gerade in ihrer Affinität zur Tugendperfektion sei die auf »Excellentz vnd Vortrefflichkeit« basierende Reputation politisch wirkungsvoller als die Zuneigung (»Liebe«) der Untertanen: »die Reputation aber/ fehrt hoch daher/ vnd begibt sich nur allein auff die vortrefflichkeit der lügenden.« 162 Im »Spiegel 159

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Botero: Gründlicher Bericht; Gerechtigkeit: S. 28 v -53 v ; Liberalitas: S. 53 v -55 v ; Prudentia/Fortitudo: 61rff.; Magnificentia, Magnanimitas (innerhalb der Ausführungen über Prudentia und Fortitudo): S. 100r£; »Religion und Gottesdienst«: S. 109 v 119r; Moderatio: S. 119 v -124 v . Botero: Gründtlicher Bericht, S. 28rf. Botero: Von eines Fürsten vnd Herrn Reputation, S. 200f., in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603). Zur fürstlichen Tügendperfektion als Autoritätsfaktor auch Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 292. Botero: Gründtlicher Bericht, S. 23r. Vgl. auch ebd., S. 26r: »Solche Excellentz vnd Vortrefflichkeit der lügend bey einem Fürsten/ ist entweders vollnkommen/ oder sie ist vnvollnkommen. Die vollkommene Vortrefflichkeit nenne ich diese: welche eintweders in allen/ oder in dem grösten theil der lügenden die Mittelmaß vbertrifft: durch die vnvolnkommene aber/ will ich diese verstanden haben/ die sich erzeigt vnd sehen leßt/ inn etwan einer sonderbaren lügend/ mit welcher ein Re-

194 hoher fürstlicher Personen« übernimmt am Beispiel Alexanders des Großen die Magnanimitas die Aufgabe der heroischen Überbietung. Sie bediene sich aller Tilgenden, »sündert aber von jeder insonderheit auß das/ was etwas wichtiges/ seltzames/ sonderliches vnd wunderbarliches ist/ vnd machet darauß gleichsam als einen schönen köstlichen Krantz/ sich desselben für sich selbst zu gebrauchen.« 163 Wenn Kreps zufolge einerseits »ein Fürst vnnd Potentat seine Vasallen vnd Vnterthanen« durch »zwey Stuck« zur Liebe bewegen kann, nämlich durch »Gerechtigkeit und Freigebigkeit«, und andererseits der tapfere Fürst »die stärcke/ die wissenschafft zu kempffen/ oder zu regieren bestendigkeit/ hochheit deß Hertzen vnnd auffrichtigkeit« besitzen soll, um so Reputation zu erwerben, so darf man auch hier das auf Furcht und Zuneigung zielende Kalkül im Hintergrund vermuten. 164 In der praktischen Anwendung führt Saavedra Fajardo solche Einschätzungen vor. Von den »innerlich[en]« Tugenden wirken ihm zufolge diejenigen, die nur den Handelnden betreffen, um so anziehender, je vollkommener sie sind; dagegen müssen diejenigen, die von außen angestoßen werden, »als Manhaftigkeit und großmütigkeit«, »klüglich regieret« werden, denn die allzugrosse vnweise gravitet/ verursachet vnseren vorhaben grossen schaden/ weil wir vns unter dem schein des ansehens vnd ruhms selbsten verhindern/ da doch immittelst andere den Lohn vnnd rühm davon tragen/ welche in ihren auffwartungen sich der zeit/ gelegenheit vnd deß heuchelen besser gebraucht haben.165

Erscheint die Präsentationstaktik als Voraussetzung der Reputation, so bedroht sie selbst andererseits deren Glaubwürdigkeit. Dieser Widerspruch kann sich in den Texten direkt niederschlagen: Chokier betont, die Majestät sei »Fürstlichen Personen vor andern von GOtt mitgetheilet vnd eingepflantzet«, ebenso wie die Autorität »eine Gabe Gottes sey/ sintemal jhm solche niemand selbst schaffen oder zu wege bringen kan«, 166 trägt aber gleichzeitig die Lehre von der Autorität als politische Fertigkeit vor. Die Staatsräsonlehren haben ja überhaupt damit zu kämpfen, daß sie Verfahren und Absicht nicht gänzlich verbergen können und das Reputationskonzept damit gefährden. V o n außen gesehen nährt deshalb das Programm eines politischen Tugendheroismus den Verdacht, daß sich in Wirklichkeit im Reputationskongent ander vbertreffen thut.« Vgl. auch ebd., S. 28r£: »Jn der zal der andern [der reputationsfördernden]/ wollen wir dise Tilgenden verstanden haben/ zu welchem ein sonderbare Hochheit/ Tapfferkeit vnd Verstand/ so zu hohem wichtigem fiir163 164

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nemmen taugelich vnnd geschickt/ erfordert wirdt«. Botero: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603), S. 57f. Kreps: Teutsche Politick, erster Teil, S. 124; 144. Vgl. auch ebd., S. 160f.; 167. Für Kreps scheint bezeichnend, daß er die ästhetische Kategorie der Gravitas nur am Rande, als >Äußerlichkeitpolitischen< Verhaltens: »ein Cavalier ist, welcher eine gute resolution und courage hat, mainteniret seinen estât und reputation und giebt einen politen Courtisanen.«m Bei Moscherosch avanciert »Reputation« zu einem der zentralen Ziele tugendwidriger Hofpraxis (darüber hinaus aber auch des Handelns anderer 167 168

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Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat, S. 73. Reinkingk: Biblische Policey, S. 284: »Alle Verfassungen/ in Geistlichem-Weltlichem vnd Hauß-Stande/ bestehen im Respect, welchen GOtt vnd seine Heilige Ordnung/ einem jeden in seinem Stand vnd Ampt assigniret vnd beyleget.« Vgl. auch die nachfolgenden Exempla. Reinkingk: Biblische Policey, Dedicatio, unpaginiert. Für fiktionale Beispiele zur Kritik an der Staatsräson vgl. Rist: Das Friedewünschende Teutschland, in: Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 1-203; »Ratio Status« und »Die Teutsche Groß-Königin Leoniida« (beide anonym), in: Historisch-politische Schauspiele; Sophie Elisabeth zu Braunschweig und Lüneburg: Ein Frewden Spiell von dem itzigen betrieglichen Zustande in der Welt, in: Dichtungen, I, S. 113-236; Anton Ulrich: Der Hoffmann Daniel, in: Werke, Bd. I, 2, S. 455-535. Schottel: Friedens Sieg, S. 52. Für Nachweise aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert vgl. François de La Noue: Discours oder Beschreibung, S. 131f.; 308; 317; 774. Schottel: Friedens Sieg, S. 49; vgl. auch S. 48, 51. Vgl. ferner die reputationskritischen Belegstellen in Sophie Elisabeth zu Braunschweig und Lüneburg: Ein Frewden Spiell von dem itzigen betrieglichen Zustande in der Welt, in: Dichtungen, I, S. 131; 213; 215; 220.

196 Stände) und Politik. Aus der Sicht der Moralsatire des humanistischen Gelehrten fällt die Reputation mit ungehemmtem Ehrgeiz (hier auch einzelner Hofleute) zusammen, z.B. in bezug auf die Duellfrage: »Ein Ehrenmann achtet billich nicht/ was schimpffs jhme sein Gegentheil/ und andere/ welche reputationis ergo deß Teuffels sind/ dessen wegen zufügen; sondern lachet solcher teuffelischen Thorheit«. 172 Bezogen auf den Fürsten rückt die Reputation in die Nähe von Interessenpolitik und Staatsräson, die nicht weniger kritisch beurteilt werden: Jhr vngehaltene vngerechte Fürsten/ [...] Was soll wunder sagen/ daß Jhr in diesem verdammten Ort mehr Straff leiden müsset/ als Burger vnd Bauren? die jhr allen guten Rath vnnd Vnderricht auß eigenem Hochmut und Ehrgeitz so gar in den Wind geschlagen vnd verachtet! die jhr die lose Reputation vber Gott gezogen! Die jhr ewere privat Affecten mit Amptsschuldigkeit beschönet! die jhr allen Gewalt vnd Vnbillichkeit mit Reichs- vnd Lands-Notdurfft/ mit Raison d'Estat gefärbet.173

Gleichzeitig wendet Moscherosch das Bild des politischen Helden< ins Negative. Sowohl Cäsar, der sich als »Helden vnd rechtschaffenen Soldaten« bezeichnet, als auch die >Tyrannenmörder< Brutus und Cassius erscheinen als Vertreter ihrer eigenen Machtinteressen. 174 Alexander der Große, der seinen Rat Clitus umgebracht habe, da er »seine Begierden« nicht habe »zwingen« können und von der »Eigen Ehr vnd Eigen Liebe« eingenommen gewesen sei, verliert den Anschein des göttlichen heroischen Mandats: »So weise mir jetzt/ Alexander, die schöne Gottheit/ die in einem Mörder soll stecken!« 175 De Bourdonné meldet sich mit dem Versuch zu Wort, an die Stelle der verselbständigten Reputation - des »weibischen Lobes/ wordurch die flatterie derer Hoff-Leute auch die geringsten Dinge ihres Fürsten oder favoriten groß machet« - eine von lügend und Verdienst abhängige Achtung zu setzen. So soll zwar der Wert des öffentlichen Ansehens bewahrt, aber zuverlässig an moralische Prinzipien gebunden und vom Laster des Ehrgeizes freigehalten werden. Es bleibt allerdings ein Widerspruch, daß der Verfasser bemerkt, die rechte Reputation sei »hoch zu estimieren«, das Erstreben von Ehre aber gleichzeitig zur »Vanität« erklären muß. 176 Überhaupt zeigt sich, daß die Aufforderungen zu von der >Politik< nicht berührtem Tugendhandeln den Anforderungen der Hofsituation kaum gewachsen waren. Deshalb bleiben die genannten Kritiker hinter dem Komplexitätsgrad zurück, den die Staatsräson-Lehren erreichen können, und bieten keine Legitimationsper172

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Moscherosch: Visiones de Don Quevedo, I, S. 481. Vgl. auch S. 517, 523 zum Spezialteufel der Reputation. Ferner: S. 170f., 289, 468, 475, 477f., 490. Zur Kritik an fürstlicher Distanz und Reputationsprogrammatik bei Caspar Dornau vgl. Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat, S. 75f. Moscherosch: Visiones de Don Quevedo, I, S. 460. Vgl. auch S. 150. Moscherosch: Visiones de Don Quevedo, I, S. 425-430. Moscherosch: Visiones de Don Quevedo, I, S. 431f. De Bourdonné: Der zugleich christliche/ edle/ und tapffere Hoffmann, S. 420; 423; 425.

197 spektive für das politische Handeln. Längerfristig arbeiten sie aber einer systematischen Trennung von Ethik und Politik vor. 3.2.3 Ernst und Anmut Im 39. Emblem seiner Idea de un Príncipe Christiano-Político empfiehlt Saavedra Fajardo dem Fürsten »sanfftmütigkeit vnd gütigkeit« als Mittel, die Liebe der Untertanen zu gewinnen: »Deß Fürsten gütiges Angesicht/ ist eine süsse regierung über die Gemühter/ die Verstellung aber eine Beherschung. Der Menschen angenehme löbliche Sitten seind/ die Stricke Adams/ mit welchen man die Hertzen an sich ziehet sprach Ozeas.« Im folgenden gilt Saavedra Fajardos Aufmerksamkeit dem Bemühen, die »Gütigkeit« vor der Gefahr unfürstlicher Erniedrigung zu bewahren. Gemeint sei nicht diejenige, »welche gemein ist/ vnd Verachtung verursachen mag/ sondern die/ welche mit einer sonderlichen Tapfferkeit vnd ansehen/ also lieblich vermenget ist/ daß sie in den Vnterthanen Liebe erwecke/ jedoch mit Gehorsam vnd Ehrerbietung begäbet«. Für die Kunst, Liebe zu erwecken, hält der Verfasser auch den Begriff der Anmut bereit, für »Tapfferkeit«, »Ehrerbietung« und »Ansehen« sind hingegen »Schärfe« oder »Ernst« zuständig: Auß deß Fürsten mund soll gleichwol eine ernsthafftige schärfte sich hören lassen/ vnd was sonderbahres in der gantzen beschaffenheit deß Leibs/ mit einem Königlichen gang/ welcher seine hohe macht andeuterin sey; die schärffe gleichwohl soll also mit anmuhtigkeit vermenget seyn/ das liebe vnd ehrerbietung/ vnd nicht forcht in den Vnterthanen verursache. 177

Ebensowenig wie vor ihm Botero läßt Saavedra Fajardo den Leser darüber im Unklaren, daß im Zweifelsfall der »Ernst« den Vorrang verdiene; beide Autoren können damit schon an Machiavelli anschließen.178 Ihnen widerspricht z. B. Arnisaeus; der »vulgus« ist jedoch auch ihm zufolge nur durch Strenge zu bändigen.179 Im Unterschied zu dem psychologisch weniger hin177

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Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 404-406. Vgl. auch ebd., S. 440: »In handtierung der geschafften ist sehr nutzlich das man die anmutigkeit mit einem besondern ernst geselle/ vnd das spiell mit dem ernst/ wan solches nur zu rechter zeit geschiehet/ vnd zierlich/ nach dem es die vorhabende sachen mit sich bringt: in welchen dan Tiberius sehr zierlich war dan er pflegte schimpff vnd ernst bey einander zu haben.« Zur Anmut auch ebd., S. 34. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 402: »Weil es nun nit jederzeit in deß Fürsten vermögen ist/ geliebt/ vnd gefürchtet zu seyn/ alß ist es viel besser/ das er seine Sicherheit in dieser furcht gründe/ alß in der liebe allein/ welche weil sie ein Kinde des Willens ist/ als ist es vnstät vnd wanckelmütig/ vnd mögen keine liebkosende künste alle dessen wirckungen zu begütigen.« Botero: Gründtlicher Bericht, S. 99r. Ders.: Von Vortrefflichkeit der Feld-Obersten bey den Alten, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1602), S. 26-30; ders.: Von eines Fürsten und Herrn Reputation, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603), S. 2 0 9 215, sowie dass. (1602), S. 262f. Machiavelli: Politische Schriften, S. 94-96. Arnisaeus: Doctrina politica, S. 161-163. Vgl. auch Malvenda: Spiegel eines christlichen Fürsten, S. 277f.

198 tergriindigen Botero räumt Saavedra Fajardos tacitistische Schrift »Zierlichkeit« und »Anmut« eine eigenständige Behandlung und damit größeres Gewicht ein. Welche Verbreitung diese Begriffsopposition im >politischen< Zusammenhang hatte, mag der Neu politische Tugendt-Spiegel der Hofbedienten (1665) zeigen - ein Lehrbuch für den Hofmeister. Dieser soll die Hofbediensteten an das frühe Aufstehen gewöhnen, »doch muß er es also machen/ daß er zugleich von jhnen geförchtet und geliebet werde/ wie ich dann jhrer viel gekennet die das Vermeinen/ daß wann sie anderen zugebieten haben/ sie jhre Untergebene wie Hunde tradieren müssen«.180 Als wirkungsbezogene Konzepte schließen »Ernst« und »Anmut« einander aus, erscheinen aber dennoch geradezu stereotyp in einem Zusammenhang. Der Begriff des »Ansehens« weist darauf hin, daß die Ausführungen über Ernst und Anmut ihren Platz im Kontext der Lehre von Autorität und Reputation haben. Im einschlägigen 31. Emblem erklärt Saavedra Fajardo, Herrschaften hielten sich »in einem guten stände durch ihr authoritet vnd ansehen«. Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang bei Botero, dem zufolge schon »vor vralten Zeiten« nichts anderes den Gehorsam der Untertanen gegenüber Königen, Fürsten und Herren gesichert habe »als die sonderbare zuneygung vnd Liebe/ so sie zu jnen getragen/ vnd die hohe Achtung vnd Ansehen (so man Reputation nennet) in welchem sie von wegen jrer Tapfferkeit vnd Tugendt bey jnen gewesen.«181 Botero und praktisch auch Saavedra Fajardo verwenden die Begriffe Auctoritas und Reputation nur für den respektgebietenden »Ernst«. Wegen des engen Zuordnungsverhältnisses beider Konzepte läßt sich in der Retrospektive diese Einschränkung nicht übernehmen. »Ernst« und »Anmut« betreffen das Problem der Bewerkstelligung und zeigen, daß die Staatsräson-Theorien eine Virtuosität in der Handhabung repräsentationsdienlicher Stilelemente verlangen, die sich vom Anlaß löst und der Inszenierung der Person des Fürsten insgesamt gilt. Die Politiken bauen dabei Ansätze aus, wie wir sie schon bei Budé vorfanden. Während die Staatsräson-Theorien einerseits raten, den Aufwand an Material und Medien zu vergrößern, mit dem der Fürst heroische Reputation beim Adel, bei den Untertanen und im Ausland erwerben könne, widmen sie ihre Aufmerksamkeit andererseits dem Instrumentarium, das für eine intensive psychologische Lenkung geeignet ist. Beide Begriffe wurzeln in der Rhetorik, wo der »Ernst« als »gravitas« oder »dignitas« dem Genus grande zugehört. In mehr oder weniger deutlich ausge180 181

[Anonym:] Neu politischer Tugendt-Spiegel der Hof-bedienten, S. 6. Für die Hofmannslehren vgl. de Refuge: Kluger Hofmann, S. 9. Botero: Gründlicher Bericht, S. 21r. Vgl. auch Chokier: Thesaurus politicus, S. 197; der Verfasser mahnt im Kontext seiner Ausführungen über die Autorität, der Fürst solle darauf achten, daß »nicht entweder durch allzuviel gutwilligkeit deine autoritet geschmälert werde/ oder aber durch Ernsthafftigkeit der Vnterthanen liebe vnnd Zuneigung zerinne/ vnd in abnemen komme.«

199 bildeter Opposition steht ihm die anmutige Redeweise (»venustas«, »gratia«) des Genus medium gegenüber.182 Als heroisches Fürstendecorum erhalten »gravitas« und »majestas« Eingang in die barocken Poetiken. Kindermann erläutert den Begriff der »majestätischen Fabel«, worunter ein mit gebührendem Aufwand sowie »prächtig/ zierlich und gleichsam lebendig« vorgetragenes Casualgedicht auf »Keyser/ Könige/ Fürsten/ Grafen/ Krieges-Helden/ und der gleichen hohen Potentaten und vornehmer Herrn Beylager« etc. zu verstehen ist.183 Vereinzelt findet man auch Hinweise auf den anmutigen Stil, so bei Scaliger, der - durchaus nicht im Widerspruch zu Cicero - »venustas« und »suavitas« zu Eigenschaften aller drei rhetorischen Stilhöhen erklärt, und bei Opitz, der - unabhängig von der Dreistillehre - von »lust vnd anmutigkeit« als Vorzug der auf Naturbegabung beruhenden Dichtung spricht.184 Für die »Ernst und Anmut«-Formel läßt sich hingegen aus den Poetiken keine Belegstelle beibringen. Ihre Wurzeln liegen nicht in der Schultradition der Rhetoriken und Poetiken, wo die Grazie ohnehin keinen sicheren Platz hat, sondern in der Aneignung rhetorischen Wissens in den Hofmannslehren. Ich unterbreche an dieser Stelle, um auf die praktische Anwendung der »Gravitas« - auf die sich in den Absolutismustheorien das Gewicht der »Ernst und Anmut«-Formel verlagert - als Medium der heroischen Selbstdarstellung aufmerksam zu machen. Zugleich soll deutlich werden, wie das Heroische in eine disponible Stilkategorie übergeht. Joseph Furttenbach empfiehlt in seiner Architectura civilis (1628) ein »heroisches« Erscheinungs-

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Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik, § 573,3, S. 296; § 629, S. 318; § 751, S. 374. K. H. Göttert: Art. Anmut, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Sp. 610-632. Nachweise ferner bei Saccone: Grazia, Sprezzatura and Affettazione in Castiglione's Book of the Courtier, S. 42f. Dort aber auch Einwände gegen einen unmittelbaren Bezug von Castigliones Grazie-Theorie auf die rhetorische Tradition. Kindermann: Der deutsche Poet, S. 136. Dazu Heidt: Der vollkommene Regent, S. 161. Kindermann beruft sich auf Johann Hübners »Parnaßischen Lorbeer-Baum«; diesen Titel konnte ich nicht verifizieren. Der Begriff des Majestätischen kann z.B. auch auf die deutsche »Heldensprache« übertragen werden. Vgl. Buchner: Kurzer Weg-Weiser, S. 551: »So ist es doch in warheit eine der grösten Eitelkeiten und gereicht zur Verkleinerung unserer Muttersprach/ als wann sie so arm daß sie von andern borgen müste/ oder so groß/ und ungeschlacht/ daß man sie mit andern Sprachen zieren müste da sie doch keiner weichet/ wann man sie recht ausübet/ an Majestät aber und ansehen vielen andern vorgehet/ dann es in warheit eine Männliche und hertzhaffte Sprach ist.« Vgl. auch Harsdörffer: Poetischer Trichter, III, S. 5. Zur grundierenden Dreistillehre ders.: Poetischer Trichter, I, S. 106: »Zierlich ist/ wann man hohe Dinge mit hohen prächtigen Machtworten/ mittelmässige mit feinen verständigen/ und nidrige mit schlechten Reden verträget.« Vgl. auch II, S. 79. Grundlegendes dazu bei Scaliger: Poetices libri Septem, Bd. III, S. 250-255; 3 2 0 323; 350-447; 448-535. Cicero: D e oratore, III, 199, S. 573. Scaliger: Poetices libri Septem, Bd. III, S. 330333; 340-343. Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S. 68. Weitere Belege bei K. H. Göttert: Art. Anmut, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Sp. 621£

200 bild fürstlicher Paläste. Ein solches identifiziert er vor allem mit der Verwendung grob behauener Bossenquadern: Hier wirdt die Faziata, oder die vordere Seiten deß obgedachten Fürstlichen Pallaste/ gar eygentlich vor Augen gestellt. Welche Faziata dann von lauter grossen Quaterstucken gar dapffer/ vnd heroischer Steinmetzen arbeyt auffgesetzt/ also daß dergleichen starcke Gebäw gar wenig zu sehen. 185

Die Quadern können ergänzt werden durch die »daran gehawenen geknorreten pillastri vnd Seul«. 186 Der Palast imitiert das Erscheinungsbild einer Festung. Seine Aufgabe liegt aber nicht in der Verteidigungsfähigkeit, sondern in der ästhetischen Wirkung auf den Betrachter. So kommentiert Furttenbach einen Cortile, »der gar Rustico, jedoch heroisch vnd dapffer von lauter Quaterstucken/ vnd künstlicher Steinmetzen Arbeyt an dreyen Orthen also auffgeführt/ daß mit Verwunderung/ vnd sonderbarer Ergötzlichkeit jeder Liebhaber solchen anschawen thut«. 187 Es entspricht diesem ästhetischen Kalkül, daß auch die Kategorie des Angenehmen nicht fehlt, wenngleich Furttenbach ihre Wirkung nur auf den fürstlichen Bewohner der Anlage bezieht: Ein Palast brauche auch Galerien, die nicht allein nutzlich/ sonder auch gar zierlich/ als ob welchen lustig zu spatzieren/ dahero sie allem Gebäw ein schönes Ansehen machen. Jn vnd neben dem Pallast/ sollen auch mancherley delitiae zuhaben geordnet werden/ damit ein Fürst vnd Herr nach seinen schweren Verrichtungen/ vnd gegebner audienz, nicht vnbillich die ernstlich-trawrige Gedancken zu verendern/ vnd dargegen den Geist zuerquicken gelegenheit haben könde. 1 8 8

Mit diesen Überlegungen, die die Wirkung von Stilelementen erläutern, korrespondiert die Idee des Nachruhms, der »memoria«, 189 mit der Furttenbach den architektonischen Ehrgeiz großer Herren wecken möchte. Damit unterstellt er die Bautätigkeit der Reputationslehre; insofern entsprechen seine Ausführungen Boteros Einsicht, daß die Architektur zum Ansehen eines Fürsten beiträgt. In seiner Architectura vniversalis (1635) bekennt sich Furttenbach zu der Überzeugung, daß die Baukunst »einem Potentaten/ oder sonsten einer wolmügenden Commun zu Bezeugung dero Hochheit/ Autoritet, vnd heroischer Disposition so herrlichen Behuf zu geben vermag«.19(1 185

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Furttenbach: Architectura civilis, S. 2. Zu Furttenbach Schütte: Das Schloß als Wehranlage, S. 1 5 3 - 1 5 9 . Furttenbach: Architectura civilis, S. 5. Vgl. auch S. 8, wo Furttenbach der Aufmerksamkeit empfiehlt, »daß die Pillastri, oder Pfeiler zwischen den Fenstern so viel müglich in gleicher weite/ oder braite voneinander gesetzt werden/ damit man hernach die faziata, oder den Auffzug der vordem Seiten/ so wol von Steinmetzen arbeyt/ als auch der Mahlerey/ mit Säulen vnd einfassungen dapffer/ vnd meisterlich zieren/ vnd der Pallast dardurch ein heroisches Ansehen bekommen möge.« Furttenbach: Architectura civilis, S. 3. Furttenbach: Architectura civilis, S. 9. Furttenbach: Architectura civilis, S. 1. Furttenbach: Architectura vniversalis, S. 159.

201 Was könne, so ruft er in der Vorrede zur Architectura civilis aus, für Hof, Stadt und Schloß »behäglicher«, »ergötzlicher« und ruhmvoller sein, als eine gute Anlage und Disposition, so daß das Werck in gantzem/ oder in seinen außthailungen/ also starck/ dapffer/ gesund/ volkommen vnnd gravitetisch volführt ist/ daß es inn solcher gestalt/ vnnd mit dergleichen nutzbarkeiten gantz gewehrig auch von den successorn angenommen/ vnd gebraucht werden; der Stiffter aber/ so wol auch der Bawmaister zugleich/ mit jhme dem Erbgut/ vnd Gemächt/ seinen guten Namen/ Verstand vnd Geschicklichkeit gleichsamb in ewige Zeiten hinauß zum besten angedencken extendirn möge?191

Mit dem Vorweisen gravitätischer Stilelemente ist die Formel »Ernst und Anmut« allerdings nicht erfaßt. Die Wirkungsweise dieses Konzepts wird in den Politiken jedoch nicht ausführlich dargestellt. Ein Rückgriff auf die Theorie der Grazie, wie sie Castigliones Libro del Cortegiano zugrundeliegt, mag auch helfen, die Problemlage bei Botero und Saavedra Fajardo im Vergleich präziser zu bestimmen. Ich referiere dazu die Forschungsergebnisse von Manfred Hinz. 192 Castiglione bezeichnet mit »grazia« die Fähigkeit, Zuneigung und Gefallen zu wecken, jedoch nicht als einen bestimmten Redeton unter anderen, sondern, analog zu Ciceros Begriff des Decorum, als das »ornamento«, das sich allem Handeln in der Hofgesellschaft beigesellen muß und an dem es zu messen ist.193 Obwohl die Grazie absolute Beachtung fordert, kennt der Text für sie keine persönliche oder institutionelle Berufungsinstanz und keine externe Autorität. Ihre Erscheinungsformen und zugleich ihre Maßstäbe ergeben sich vielmehr distanzlos in der aktuellen Umgangspraxis der Hofgesellschaft, in die sogar der Fürst einbezogen wird. Das Buch vom Hopnann selbst verweigert sich ebenfalls einer auktorialen Perspektive, denn der Verfasser verbirgt sich hinter der Mehrstimmigkeit des Gesprächs. Gerade so ist sichergestellt, daß aus der Perspektive des Cortegiano keine Grenzen des Geltungsbereichs der »Grazia« in den Blick kommen können. Innerhalb eines Hofmannstraktats mit didaktischen Absichten kann deshalb die Grazie weder inhaltlich bestimmt noch systematisch gelehrt werden und kommt überhaupt nur in besonderen Situationen, nicht als allgemeines Prinzip zur Erscheinung. Wohl aber läßt sie sich exemplarisch präsentieren. Die Gesprächsform, in die Castiglione sein Werk gekleidet hat, vollzieht selbst, was der Autor programmatisch vermitteln will.

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Furttenbach: Architectura civilis, Vorrede (unpaginiert). Das Folgende nach Hinz: Rhetorische Strategien des Hofmannes, S. 110-120. Castiglione: Il libro del cortegiano, S. 41: Ludovico da Canossa verlangt vom Hofmann »non solamente lo ingegno e bella forma di persona e di volto, ma una certa grazia e, come si dice, un sangue, che lo faccia al primo aspetto a chiunque lo vede grato ed amabile; e sia questo un ornamento che componga e compagni tutte le operazioni sue e prometta nella fronte quel tale esser degno del commerzio e grazia d'ogni gran signore.« Da bestimmte Begriffe zu erläutern sind, zitiere ich aus dem italienischen Text.

202 Auf die im Grunde nicht lösbare Frage, wie man Grazie erlangen könne, bezieht sich der Begriff der »sprezzatura«.194 Darunter versteht im Cortegiano Ludovico da Canossa die Fertigkeit, die aufgewendete Mühe durch den Anschein von Nachlässigkeit, Leichtigkeit und Natürlichkeit zu verdekken. »Sprezzatura« basiert, insofern sie den wahren Sachverhalt verschleiert, auf der rhetorischen Technik der Dissimulation - des Verschweigens von Gegebenem - , auf die sich Ludovico da Canossa auch ausdrücklich beruft.195 Er empfiehlt, »per dir forse una nova parola, usar in ogni cosa una certa sprezzatura, che nasconda l'arte e dimostri ciò che si fa e dice venir fatto senza fatica e quasi senza pensarvi.« Ein Verstoß gegen diese Regel mündet in die »affettazione«, die die Arbeit erkennen, damit aber auch die Absicht durchscheinen läßt und die Glaubhaftigkeit mindert.196 Auf die Karriere dieser Doktrin in der Ideenbildung zur politischen Praxis, in der sie auch bei Castiglione schon verankert ist, weist etwa der Gebrauch, den Lipsius davon macht: Ein Regent solle »diese Comoedi fein zierlich vnd artig zu spielen wissen«; wer hingegen »allzu grob vnd vngeschickt darmit vmbgehet, der thut warlich närrisch. Dann wozu nützet einem eine Larve/ wenn man jhne dardurch kennet?«197 Eine Beschreibung des Konzepts führt zu Paradoxen. Unter dem Vorzeichen der »sprezzatura« liegt das Gewicht nicht auf der Aktion, sondern auf der Kontrolle des eigenen Erscheinungsbilds. Der Cortegiano zeigt, daß jede Art von professioneller Perfektion den Gesamteindruck zunichte macht.198 Das Wirkungskalkül darf sich überhaupt nicht auf offenkundig zweckgerich194

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Das Folgende nach Hinz: Rhetorische Strategien des Hofmannes, S. 120-138. Vgl. auch Burke: Die Geschichte des »Hofmann«, S. 81-87. Castiglione: Il libro del cortegiano, S. 60: »E ricordotni io già aver letto esser stati alcuni antichi oratori eccellentissimi, i quali tra le altre loro industrie sforzavansi di far credere ad ognuno sé non aver notizia alcuna di lettere, e dissimulando il sapere mostravan le loro orazioni esser fatte simplicissimamente, e più tosto secondo che loro porgea la natura e la verità, che Ί studio e l'arte.« Zur Theorie der Dissimulation Accetto: Von der ehrenwerten Verhehlung (1621). Dort S. 29 auch zur Abgrenzung gegen die verwerfliche Simulation: »Die Verhehlung ist die Fertigkeit, die Dinge nicht so zu zeigen, wie sie sind. Man heuchelt etwas vor, das nicht ist; man verhehlt etwas, das ist.« Castiglione: Il libro del cortegiano, S. 59-61; Castiglione: Das Buch vom Hofmann, S. 53f. Lipsius: Von Vnterweisung zum weltlichen Regiment, S. 198. Zur Bedeutung von Castigliones Theorie der Grazie für den Fürsten Falvo: The economy of human relations, S. 56; 115f. Vgl. die Ausführungen Federico Fregosos über die Musik (Castiglione: Il libro del cortegiano, S. 136; Das Buch vom Hofmann, S. 122): Falsch handeln diejenigen, die den Eindruck vermitteln, »che quella sia la loro principal professione. Venga adunque il cortegiano a far musica come a cosa per passar tempo e quasi sforzato, e non in presenzia di gente ignobile né di gran moltitudine; e benché sappia ed intenda ciò che fa, in questo ancor voglio che dissimuli il studio e la fatica che è necessaria in tutte le cose che si hanno a far bene, e mostri estimar poco in se stesso questa condizione, ma, col farla eccellentemente, la faccia estimar assai dagli altri.«

203 tetes Handeln stützen - es würde dann die Absicht zu erkennen geben und der Affektation verfallen - , sondern muß auf einer Symbolik des Stils fußen, die vom Hofmann insgesamt Besitz ergreift. Dessen Qualitäten lassen sich deshalb insbesondere nicht durch einen Tugendkatalog bestimmen. Vielmehr macht sich die »sprezzatura« zusammen mit dem ganzen Bildungsrepertoire der Adelskultur auch die TUgendsymbolik zu eigen, 199 die dabei allerdings ihre Tauglichkeit als Orientierungsmaßstab einbüßt. Die Frage nach der Moralität höfischen Verhaltens kann jedoch nicht einmal gestellt werden, da innerhalb der Hofgesellschaft die Grazie und die ihr zugeordnete dissimulierende »sprezzatura« als undefinierbarer und nicht bezweifelbarer Umgangsmodus regieren. Die »sprezzatura« bzw. die durch sie inszenierte Grazie verfolgen freilich selbst einen Zweck (letztlich die Gnade des Fürsten), indem sie die eigene Zweckfreiheit inszenieren. In der »sprezzatura« stellt Castiglione daher eine Strategie zur Verfügung, die nicht zur Geltung kommen kann, solange sie nicht vorgewiesen wird, ihre Wirkung aber verliert, sobald sie sich zu erkennen gibt. Der Hofmann hat es darauf anzulegen, als überragende Erscheinung identifizierbar zu werden, indem er sich jeder festen Bestimmung entzieht. »Sprezzatura« verlangt von ihm, die eigene Person dadurch ins Licht zu setzen, daß er sie unsichtbar macht. »Sprezzatura« beruht auf einer Untertreibung, zielt aber auf die Erzeugung einer virtuellen, unermeßlichen und deshalb um so zwingenderen überragenden Statur. Der Ausführende erweckt den Eindruck »che chi così facilmente fa bene sappia molto più di quello che fa, e se in quello che fa ponesse studio e fatica, potesse farlo molto meglio.«2(X) Da das Größenbild nicht in der Wirklichkeit entsteht, sondern in der Wahrnehmung des Beobachters, kontrolliert der Hofmann nicht nur das eigene Auftreten, sondern auch seine Wirkung, indem er sich seines Gegenübers bemächtigt. 2 " 1 »Grazie« präsentiert sich jetzt als die in eine Gefallen erregende Form gebrachte, ästhetisch dissimulierte Darstellung eigener Überlegenheit, die in Castigliones Entwurf durchaus der Interessenwahrnehmung in den höfischen Konkurrenzverhältnissen dient. Daran zeigt sich gleichzeitig die Dialektik von Simulation und Dissimulation: Das Unterbieten visiert den Effekt eines stillschweigenden Überbietens an. Aus der Perspektive der »sprezzatura« wird auch deutlich, warum sich die Grazie einer Definition entziehen muß. Wenn sie sich als bestimmtes Handeln beschreiben ließe, wäre sie untauglich für eine erfolgreiche verdeckte Selbstpräsentation.

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Vgl. allgemein Göttert: Kommunikationsideale, S. 12. Castiglione: Il libro del cortegiano, S. 64; Das Buch vom Hofmann, S. 57. Zum >technischen< Charakter der Fertigkeiten des Hofmanns Göttert: Kommunikationsideale, S. 24-36.

204 In die Theorie der Grazie ist das seinerseits paradoxe Doppelkonzept »Ernst und Anmut« bereits integriert. 202 Allerdings verwendet Castiglione diese Formel auch ausdrücklich. Als Stilbegriff erscheint sie z. B. im Zusammenhang mit der Frage der Neologismen: Wie die Jahreszeiten wechseln, so heißt es dort in Anlehnung an Quintilian, »così il tempo quelle prime parole fa cadere e l'uso altre di novo fa rinascere e dà lor grazia e dignità«. 203 In einer Charakterisierung der höfischen Geselligkeit, in der das Gespräch über den Hofmann angesiedelt ist, liest man: »Per la quai cosa quivi onestissimi costumi erano con grandissima libertà congiunti ed erano i giochi e i risi al suo conspetto conditi, oltre agli argutissimi sali; d'una graziosa e grave maestà«. 204 Wo Castiglione »grazia« und »dignità«, »autorità« oder »gravità« miteinander kombiniert, tritt aber das Gravitätische nicht gleichberechtigt als eigener Selbstdarstellungsmodus neben die Grazie als Decorum. Vielmehr bezeichnet in solchen Fällen die Formel insgesamt das von Castiglione beschriebene Wirkungsprinzip und greift das Zusammenspiel von Selbstrücknahme und Selbstüberhöhung auf. In diesem Sinn kombiniert der Verfasser auch verwandte Begriffe wie »eleganzia e gravità« 205 oder »grandezza«, »maestà« und »autorità« auf der einen Seite, »domestica mansuetudine«, »umanità dolce ed amabile« und »bona maniera d'accarezzare« auf der anderen. 206 Eine Konkretisierung aus dem zweiten Buch verdeutlicht den Zusammenhang der »Ernst und Anmut«-Formel mit der Wirkung von Grazie und »sprezzatura«. Im Tanz soll der Hofmann Federico Fregoso zufolge »servare una certa dignità, temperata però con leggiadra ed aerosa dolcezza di movimenti«. Als Mittel zu diesem Ziel empfiehlt der Redner dem Hofmann wie dem Fürsten eine durchschaubare Verkleidung, die überhaupt treffend die Funktionsweise der »sprezzatura« veranschaulicht. Der Fürst, der die Für202

Weise: L'ideale eroico del rinascimento, S. 145-148, hat aus der italienischen Literatur des 16. Jahrhunderts Belegstellen zum Zusammenhang von Gravità, Dignità, Maestà und Grandezza kompiliert, zum Teil unter Einschluß des Heroismusetiketts. Allerdings neigt er dazu, die Bedeutung von »suavitas« und »elegantia« herunterzuspielen, um ein monumentales »Ideale eroico« zu konstruieren. Zu »suavitas« und »elegantia« auch ebd., S. 139. Insgesamt glaubt der Verfasser jedoch, daß der »senso del Sottile e dell'Aggraziato« des 15. Jahrhunderts, der unter dem Einfluß der transalpinen Spätgotik gestanden habe, im 16. Jahrhundert ersetzt worden sei »dall'ideale di pompa e di maestà di sapore anticheggiante.« Das Raffinement der Formel »Ernst und Anmut« kann er deshalb nicht erkennen.

21,3

Castiglione: Il libro del cortegiano, S. 79. Quintilian: Institutio oratoria, I, 6, 39, S. 102: »Verba a vetustate repetita non solum magnas adsertores habent, sed etiam adferunt orationi maiestatem aliquam non sine delectatione: nam et auctoritatem antiquitatis habent et, quia intermissa sunt, gratiam novitati similem parant.« Dazu L. Calboli Montefuscolo/S. Z.: Art. Auctoritas, in: Hist. Wb. Rhet., Sp. 1181; Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik, § 467. Castiglione: Il libro del cortegiano, S. 22. Vgl. auch ebd., S. 149; 268 (in bezug auf die Frauen). Castiglione: Il Libro del Cortegiano, S. 75; Das Buch vom Hofmann, S. 66. Castiglione: Il Libro del Cortegiano, S. 406; Das Buch vom Hofmann, S. 366f.

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205 206

205 stenrolle ablegt und sich wie auf gleichem Fuß unter Geringere mischt, dabei aber die eigene Person durchscheinen läßt, weist scheinbar die ihm zustehende Erhabenheit zurück und handelt dafür eine noch größere ein: »col rifutare la grandezza piglia un'altra maggior grandezza, che è il voler avanzar gli altri non d'autorità ma di virtù, e mostrar che Ί valor suo non è accresciuto dallo esser principe.« 207 Gravitas wird so durch Grazie inszeniert wie umgekehrt auch Grazie durch Gravitas. Dabei geht das eindeutige Zuordnungsverhältnis zwischen Stillage und suasivem Effekt verloren. Dem Grafen Ludovico da Canossa dient der Kardinal Ippolito da Este als Beispiel dafür, wie die »Anmut« (»grazia«) von Aussehen, Reden und Bewegungen dem jungen Mann selbst unter den ältesten Prälaten »grave autorità« verleihen. 208 Die widersprüchliche Struktur der »Ernst und Anmut«-Formel erweist sich als durchaus kalkuliert. Sie beraubt das Publikum der Maßstäbe, mit deren Hilfe die Größe des Hofmanns zu beurteilen wäre. Sofern die Darstellung heroischer Größe die von Castiglione gewiesene Bahn einschlägt, kann sie sich nicht mehr auf zweckorientiertes heroisches Handeln stützen, sondern verwandelt das Heroische in einen von außen unkalkulierbaren, wirksameren und politisch flexibleren Inszenierungsmodus. In der Macht des Hofmanns liegt es nicht, sich die Allgemeingültigkeit des Helden zu verschaffen, wohl aber, sich in ihren unüberbietbaren Ruf zu setzen. Für die Staatstheorien des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts gebe ich zunächst noch einige Beispiele, um die Vielfalt entsprechender Ratschläge zu illustrieren. Die Empfehlungen ergreifen die ganze Erscheinung des Fürsten. Bei Botero ist im Begriff der Gravitas zwar die Rücknahme ostentativer Absichtlichkeit mitgedacht. Gleichwohl erkennt man erneut, daß sich der Schwerpunkt in Richtung auf die Gravitas verschoben hat: Botero zufolge »soll ein Herr allezeit grössern lust haben zu grauitetischen als zu schwcyffendcn/ zu ehrbaren als zu prächtigen Kleydern. Das eusserste ist allzeit zu meyden: nit zu gähe noch zu langsam/ sonder zeitlich/ wolbedacht vnd mittelmässig: eh langsam/ als zu gähe.« 209 Entsprechende Ratschläge beziehen sich auch auf Redestil, Mimik und Gestik. Unter der Kapitelüberschrift »Von der leutseligkeit/ ernsthafftigkeit und autoritaet des Fürsten« verlangt der unbekannte Verfasser des Princeps in compendio (1632), der Fürst solle »allen Leuten ein gutes gesicht machen/ auch manchmal ein und andere gütig anreden«, dürfe aber »nicht also leutselig und gespräch seyn/ 207

Castiglione: Il libro del cortegiano, S. 134-136; Das Buch vom Hofmann, S. 119-

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Castiglione: Il Libro del Cortegiano, S. 40; Das Buch vom Hofmann, S. 36. Botero: Gründtlicher Bericht, S. 99r. Vgl. auch ders.: Von eines Fürsten vnd Herrn Reputation/ oder Groß- vnd Hochachtung, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1602), S. 283f. Auch Guevara verweist auf die für das Ansehen entscheidende Kategorie der Gravitas. Diese Konzepte stehen dem Heroismusbegriff nahe: Guevara: HofSchul, S. 48v; 82r; 110r (dort auch das Heroische).

209

121.

206 daß er dabey die ernsthafftigkeit auff die seite setze«, um so zugleich »geliebet« und »gefürchtet« zu werden. 210 Saavedra Fajardo zufolge soll der Fürst »im gesicht also beschaffen seyn/ daß er sein ansehen erhalte/ vnd doch an sich locke/ ernsthafftig/ doch nit zu scharff: damit er die Gemühter auffrichte/ vnd nicht in verzweifflung bringe/ lieblich vnd anmühtig/ was lächlendt/ mit gütigen vnd ansehnlichen reden.« 211 Bei Chokier liest man: »Zum andern must du feine gravitetische aber doch freundliche vnd anmutige Gebärden an dir haben/ damit du den Leuten nicht grausamb oder erschrecklich/ sondern tapffer vnd Mayestätisch fürkommest«. 212 Als nicht weniger wirkungsvoll gilt, »wann ein Fürst mit einer schönen ansehenlichen Statur oder Leibsgestalt begabt ist«.213 Löhneyss betont, daß sich diese Sorgfalt auf alles »Thun und Vornehmen« erstrecken und das öffentliche ebenso wie das private Auftreten des Fürsten einschließen müsse.214 Auch im Verhältnis von respektgebietender Distanz und Vertrauen schaffender Zugänglichkeit wiederholen sich - etwa bei Botero - die Konzepte von Gravitas und Grazie: »Ein Fürst soll die Leuthe nicht allzeit vmb einer jeden Vrsach willen/ so offt sie es begeren/ für sich kommen lassen: sonder allein wann schwere wichtige Händel vorhanden sind/ soll er sie mit sonderbarer Zierlichkeit zu sich lassen vnd anhören.« 215 Ähnliches liest man bei Löhneyss, der den Fürsten nicht nur zur Distanz, sondern auch zu »dementia« und »humanitas« in der Audienz anhält, wo es überhaupt darauf ankomme, »auff all müglichste Wege der Unterthanen Hertz und Gemüth an sich zu ziehen.« 216 Allerdings steht, wie die zitierten Passagen bereits zeigen, die »Ernst und Anmut«-Formel in den Staatstheorien in einem Zusammenhang, der sie von Castigliones Hofmannslehre unterscheidet. 217 Die Ratschläge sind nicht an 210

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[Anonym:] Princeps in compendio, in: Staatslehre der frühen Neuzeit, S. 501. Vgl. auch Pacianus: Discvrsvs politicvs, S. 179. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 407. Vgl. auch ebd., S. 117-125. Chokier: Thesaurus Politicus, S. 197. An anderer Stelle greift Chokier das Stichwort der Gravitas erneut auf und fordert »etlich äusserliche dinge/ welche nicht wenig zur Autoritet dienen/ als da sind/ Feine gravitetische Sitten oder Gebärde/ vnd eine kurtz eingezogene Rede«. (Ebd., S. 213). Zu den reputationsrelevanten »Äußerlichkeiten« (Kleidung, Haartracht, Mundgeruch u.a.) auch Kreps: Teutsche Politick, erster Teil, S. 257f. Chokier: Thesaurus politicus, S. 198. Vgl. auch [Anonym:] Fürstliche Lection oder kurtze Vnterrichtung, S. 30f. und 59f. Doverinus: Trinvm secretorvm politicorvm, S. 26. Löhneyss: Hof- Staats- und Regierkunst, S. 117f. Zur Abgrenzung der Gravitas gegen die Hoffart ebd., S. 118. Botero: Gründlicher Bericht, S. 99rf. Vgl. auch ders.: Von eines Fürsten vnd Herrn Reputation/ oder Groß- vnd Hochachtung, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen, S. 237; Chokier: Thesaurus politicus, S. 197; Saavedra Fajardo: Abris eines christlichpolitischen Printzens (1674), S. 410-413. Löhneyss: Hof- Staats- und Regierkunst, S. 138. Vgl. ebd., S. 116. Vgl. das Kapitel »Der >tacitistische< Hofmann bei Lorenzo Ducci« bei Hinz: Rhetorische Strategien des Hofmannes, S. 367-385.

207 eine Hofgesellschaft adressiert, sondern an einen Fürsten, der über alle anderen hinausragt. Daraus ergibt sich sein spezifischer Bedarf an einer heroischen, durch »Ernst und Anmut« erworbenen Reputation. Das Kalkül, das solchen Fertigkeiten zugrundeliegt, demonstriert zusammenfassend Saavedra Fajardos Bemerkung, beängstigend wirkten nicht die Laster, sondern die Tugenden, »dann sie machen einen zum Herrn.« Die Selbstverkleinerung hat die Aufgabe, vermehrten Einfluß durch Konfliktvermeidung zu sichern: »Ist derowegen eine grosse klugheit/ wissen seinen eigenen rühm zu verbergen«. 218 In diesem Sinn gilt: »Der ist der angenembste vnter allen/ welcher/ da er sich kan fürchtend machen/ sich beliebt macht«. 219 Insofern das Zusammenspiel von Grazie und Gravitas das fürstliche Interesse verbirgt, wirkt es speziell der Uneinigkeit und der Parteienbildung als gefährlichstem Destabilisierungspotential im Staat entgegen, indem es »Vergunst/ Neid/ Haß vnd Verbitterung der Gemüter und Herzen« vermeidet. 220 Ein Fürst, der über diese Fähigkeit des Auftretens verfügt, stellt sich als überparteilicher Vertreter der Gesamtheit dar und entgeht so dem Verdacht, er verfolge eigennützige Partialabsichten. »Gravitas und Grazie« erlauben die Durchsetzung politischer Interessen, indem sie den Legitimations- und den potentiellen Glaubwürdigkeitsverlust kompensieren, die das Fürstenamt im Zeitalter der Interessenpolitik erleidet. Die heroische Aura des Fürsten zielt auf diese überparteiliche Mittelpunktsfunktion. In der politischen Traktatliteratur des 17. Jahrhunderts erweist sich das Konzept >anmutigen Ernstes< als Programm der Legitimations- und Autoritätssicherung, schließlich aber als ein solches ästhetisch dissimulierender Präsentation und Ausübung politischer Macht. Entsprechend ist die Formel »Ernst und Anmut« unter den neuen Bedingungen spezifischen Belastungen ausgesetzt. Im Cortegiano moderiert die Grazie den Umgang der Hofgesellschaft unter Einschluß des Fürsten dergestalt, daß die Antagonismen innerhalb dieser Formation zwar ausgetragen, aber nicht sichtbar werden. Die Gesellschaft bleibt stets als Kollektivsubjekt erhalten und erscheint in Form der Konversation. Mit dem Fürsten, der oberhalb der Hofgesellschaft angesiedelt ist, kommt hingegen eine Instanz ins Spiel, die Castigliones Entwurf aufbricht. Für die Grundkonstellation wird das Machtgefälle zwischen dem Hof und dem Fürsten ausschlaggebend. Daß diese Differenz zu Castiglione nicht allein gattungsabhängig ist, sondern einen historischen Indikationswert hat, zeigen die Hofmannslehren des 17. Jahrhunderts. Auch ein nichttacitistischer Traktat wie der Honneste 218

219 220

Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. l l l f . Vgl. Falvo: The Economy of Human Relations, S. 57. Saavedra Fajardo: Abis eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 440. Botero: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603), S. 121, sowie ebd., S. 115, zu Cäsars Kunst, sich mit seinen Feinden zu versöhnen; allerdings fallen die Begriffe Gravitas und Grazie an dieser Stelle nicht.

208 homme von Nicolas Faret muß anders als der Cortegiano von der Ausrichtung des gesamten Hofs auf den Fürsten ausgehen. Die Geschichte der Hofmannslehren dokumentiert den Zerfall der Hofgesellschaft. Allerdings befassen sich darüber hinaus die Politiken nicht allein mit der Relation von Fürst und Hof, sondern beziehen als Publikum auch die Untertanen ein. Der Fürst handelt in einem offeneren Feld und kann nicht mehr mit der Homogenität der Hofgesellschaft rechnen, die zu Castigliones Ausgangsbedingungen zählt. In den gewandelten Umständen liegt der Grund dafür, daß die Demonstration von technischer Souveränität und Macht auf Kosten von deren Dissimulation stärker in den Vordergrund drängt. Praktische Beispiele werden uns im Zusammenhang mit den Genealogien begegnen. Ästhetisch verschiebt sich in den zitierten Belegen das Gewicht in Richtung auf die Gravitas. 221 Die Staatsräson-Theorien können literarisch immer weniger verdecken, daß sie in Form von heroischer Reputation, Gravitas und Grazie die politische Macht einem Wissen unterwerfen, mit dessen Hilfe das Unzulängliche der Natur überwunden und zum Staatsganzen zusammengefügt werden soll. Wie die Bewältigung anderer Hemmnisse der Herrschaftsintensivierung demonstriert auch die Anwendung solcher Mittel, »daß die Kunst die Natur bey weittem vbertreffen thut.« 222 Ein Beispiel dafür, daß nunmehr die Überzeugungskraft der Inszenierungskunst in Gefahr gerät, werden wir in Spattenbachs Politischer Philosophie kennenlernen. In Boteros Ragion di Stato führen diese Voraussetzungen dazu, daß sich das Interesse unverhüllter zeigt. Gravitas und Grazie sind zwar überall in der Ragion di Stato anzutreffen, aber nicht in der Lage, die Lehrsätze zum zweckorientierten politischen Handeln literarisch zu überformen und, wie bei Castiglione, die Darstellung in ein Exemplum der Grazie zu überführen. »Ernst und Anmut« beschreiben deshalb nicht mehr einen Handlungsmodus, der jede zielgerichtete Aktion in sich aufnimmt, transformiert und verkleidet, sondern eine politische Technik unter anderen. Sie stehen in einem Zusammenhang, in dem ihre eigenen Zwecke nicht verborgen bleiben können. Unter den Mitteln, Reputation zu erlangen und zu vermehren, führt Botero auf, daß »ein Fürst sein Schwacheit vnd Vnvermügenheit weißlich wisse zu verbergen vnd zu bedecken«, um so den Anschein der Stärke hervorzurufen. In der Praxis fällt die Forderung, die Grenzen des eigenen Potentials zu dissimulieren, mit der von Castiglione empfohlenen Rücknahme der Fähigkeiten zusammen: Der Verfasser rät, daß »ein Herr sich statlich herfür thut vnd sehen leßt: leßt aber niemand wissen/ wie groß sein Vermögen seye/ vnd

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K. H. Göttert: Art. Anmut, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Sp. 620. Botero: Gründlicher Bericht, S. 240r. Die Stelle bezieht sich auf die Frage, ob für die Vermehrung von Bevölkerung und Macht »die Fruchtbarkeit des Landes/ oder die Kunst vnd Geschicklichkeit deren/ so dasselbige jnnhaben vnd bewohnen« (S. 238 r ) entscheidend sei.

209 spiegelt seine Schätze nicht.« 223 Der Eindruck der Gravitas beruht auch hier nicht zuletzt auf dem Verstärkungseffekt der Dissimulation eigener Kräfte, doch ist die Absicht der Machtdarstellung nicht zu übersehen. Demgegenüber unternimmt es Saavedra Fajardo (wie auf andere Weise auch Faret), die Machtmechanismen erneut unkenntlich zu machen, den Fürsten, nicht mehr die Hofgesellschaft suggestiv dem Leser vor Augen zu führen und die Fürstenfigur zum undurchdringlichen Zentrum des Texts auszubauen. Es entspricht allgemein den gewandelten politischen Umständen, daß die Legitimationsbedürfnisse des Fürsten nicht in der literarischen Form des Gesprächs erfüllt werden, sondern in der Panegyrik. Wie wir gesehen haben, liegt dem Verfasser daran, daß der Fürst mit Ernst und Anmut die korrespondierenden Affekte von Furcht und Liebe bei den Untertanen auslöst. In seinem komplexeren Umfeld behauptet er sich jedoch erst, indem er das Geheimnis intensiviert. Dazu mag vorgreifend ein Hinweis auf den Stil genügen. Dem Zusammenhang von Gravitas und Grazie entspricht die Empfehlung, sich einer lakonischen Redeweise zu bedienen. Grundsätzlich gilt so bei Guazzo - die verknappte Redeweise als gravitätisch: »Jr habt mich jetzundt mit der Grauitet dieser kurtzen vnd zusammen gezogenen Sprüchen dermassen belüstiget/ als jhr mir zuvor mit der Wolredenheit ewrer gelehrten vnnd weitleufftigen gehabten Reden Trost beybracht habt.« 224 Den gravitätischen Eindruck verdankt die Kürze der Dissimulation; in dieser Hinsicht steht sie dem politischen Schweigen nahe. Zu Boteros Ratschlägen gehört »daß einer seiner Worten halb gravitetisch vnd beständig seye/ vnd allzeit weniger verheisse/ als er zu leisten vermag.« 225 Es ist konsequent, daß man in solchen Zusammenhängen auch das Affektationsverbot antrifft, das mit der Aufforderung zur Dissimulation zusammenfällt: »Hüte dich/ daß du nicht viel prächtige vnd vngläubliche reden brauchest. Dann damit wirt mehr nicht außgerichtet/ als daß man dir in dem/ daß du sagst/ nicht glauben gibt/ vnd dein Vnerfahrenheit hiemit erkennet.« 226

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Botero: Gründlicher Bericht, S. 94vf. Vgl. auch Botero: Von eines Fürsten vnd Herrn Reputation, in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603), S. 218f.: »Das forderst ist/ Das einer sein Schwacheit vnd Gebrechen weißlich vnd fleissiglich wisse verborgen vnd heimlich zu halten. Dann es sind etwa viel Fürsten vnd Herren gefunden worden/ welche jhr Credit vnd Reputation/ als ob sie mechtig vnd reich weren/ nur allein damit/ das sie jhre schwacheit vnd geringes Vermögen so geschicklich zu verbergen/ja sich auch damit als ob sie starck vnd mechtig weren zu erzeigen wüsten/ erhalten haben. Nicht weniger dienet/ zu erlangung der Reputation vnd Hochachtung/ daß einer sein Macht vnd Vermögen etwan sehen lasse vnd zeyge: Doch ohn grosses rhümen/ Pracht oder Hoffart.« Guazzo: De civili conversatane, S. 321. Botero: Gründtlicher Bericht, S. 94vf. Botero: Gründtlicher Bericht, S. 95vf. Vgl. auch Chokiers Warnung, die »tapffere herrliche vnd anmutige Leibsgestalt« müsse »nit ein frembd entlehnt oder ange-

210 Saavedra Fajardos einschlägige Formulierung weist ebenfalls auf das Hervorbringen eines Größenbilds durch Selbstrücknahme. Diese Fertigkeit ist allerdings ausgebaut zu einer tiefgestaffelten Strategie, die potenzierte Dissimulation mit der Fähigkeit verbindet, andere zu durchschauen und dem Fürsten durch fortgesetzte Überbietung das Monopol heroischen Erscheinens und souveränen Handelns zu sichern. Mit diesem Thema beschäftigt sich das folgende Kapitel: »Wer sein gemüt gantz eröffnet/ der ergibt sich der gefahr. Kurtze gesprech sind kräftig/ vnd geben dem gemüht viel nach zu denkken.« 227 Dieses Fürstenbild sucht der Verfasser auch literarisch umzusetzen, indem er die zusammenhängende Traktatstruktur auflöst, zu argutiösen Formulierungen greift und seine Lehren in der Form von Subscriptiones zu einer Reihe von 101 Emblemata darbietet, die ihrerseits »dem gemüht viel nach zu dencken« geben. 228 Saavedra Fajardo wird freilich durch Gracián noch überboten, dessen Lehren sich sprachlich jeder unmittelbaren Zugänglichkeit entziehen.

3.2.4 Politische Dissimulationen Zu den - auch unter dem Reputationsaspekt - unverzichtbaren Eigenschaften des Fürsten zählt Saavedra Fajardo die Aufrichtigkeit, während das Lügen »ein eigenschafft der knecht« sei. Mit dem Aufrichtigkeitsthema knüpfe ich erneut an die Frage der Tugendprogrammatik in der Politik an: »Eines Fürsten würdiger sieg uberwindet betrug vnd listigkeit mit der auffrichtigkeit/ vnd die lüge mit der Wahrheit.«229 Diesen Grundsatz verteidigt der Verfasser namentlich gegen Machiavelli, der »vermeinte/ daß ein Fürst nit mochte ohne eintzigen betrug regieren«, und gegen Lipsius. Letzterer ließ »einen kleinen [Betrug] zu/ ein mitlesten konte er wol geschehen lassen/ einen grossen aber den verbott er«. 230 Lipsius gehört zu den wenigen Autoren, die Machiavellis Rechtfertigung betrügerischen Handelns im Staatsinter-

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nommen Werck/ sondern natürlich vnnd schlecht/ auch mehr verächtlich seyn/ als zur augenlust dienen« (Thesaurus politicus, S. 198f.). Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 122. Vgl. dagegen Kreps: Teutsche Politick, erster Teil, S. 284, für den die Kürze noch mit Beständigkeit und Verläßlichkeit zusammenfällt und daher weniger auf verselbständigte Machtkontrolle als auf eine Tugendhaltung deutet. Zur Verschwiegenheit als gravitätischer Haltung ebd., S. 286. Zur Funktion der Emblemata Mühleisen: Die Friedensproblematik in den politischen Emblemen Diego de Saavedra Fajardos. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 129. Zum folgenden Mulagk: Phänomene des politischen Menschen, S. 140-150, sowie auch Dowling: Diego de Saavedra Fajardo, S. 99-105. Zur Geschichte des Verstellungsproblems in literaturhistorischer Perspektive Titzmann: »Verstellung«. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 446.

211 esse positiv, wenn auch nicht uneingeschränkt würdigen.231 Er untersagt im Rahmen seiner Lehre von der »Prudentia mixta« zwar Meineid und Rechtsbruch, doch seien »Mißtrawen vnnd Häl oder Verhälung« als geringer sowie »Befreundung [Bestechung] vnd Teuscherey« als mittlerer Betrug bei allen Bedenken unverzichtbar. Dabei bezeichnen »Häl oder Verhälung« im wesentlichen die Dissimulation, »Teuscherey« dagegen die Simulation - den aktiven Betrug.232 Daß in der zeitgenössischen Literatur die Grenze zwischen erlaubter und unzulässiger Verstellung strittig ist, läßt sich an weiteren Beispielen demonstrieren. So lehnt Reinkingk zusammen mit nur »zeitlicher Reputation« Machiavellis »ars decipiendi, oder Betriegkunst/ tyranney/ List vnd Tücke/ welche GOtt einen Schalcks-Raht nennet«, gänzlich ab.233 Zurückhaltend taktiert auch Girolamo Frachetta, dessen erstmals 1599 erschienener Printzen- oder Regenten-Staat die Dissimulation - wenngleich in der Praxis nicht konsequent - untersagt und die Reputation noch in höherem Maß vom Tugendhabitus des Fürsten abhängig macht.234 Die Lehrmeinungen von Clapmarius und Besoldus gehen über der Frage auseinander, ob »simulacra imperii« angewendet werden dürfen - politische Trugbilder wie die Vorspiegelung republikanischer Verhältnisse zur Zeit des römischen Prinzipats, worüber man sich bei Tacitus informieren konnte.235 Zweifellos gehören Simulation und Dissimulation zu den Themen, an denen in der politischen Diskussion ein Krisenbewußtsein greifbar wird. 231

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Lipsius: Von Vnterweisung zum weltlichen Regiment, S. 193. Lipsius wird unterstützt von Kreps: Teutsche Politick, erster Teil, S. 259-275, an dem sich freilich auch zeigen ließe, wie fließend die Grenzen zwischen den drei Stufen des Betrugs sind; ferner von Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 189-191. Für Machiavelli vgl. u. a.: Der Fürst, in: Politische Schriften, S. 67, 70, wo der Verfasser eine betrügerische Versöhnung mit anschließend ermordeten Gegnern für »merckwürdig und nachahmenswert« erklärt. Lipsius: Von Vnterweisung zum weltlichen Regiment, S. 194; 1971; 200. Zur Prudentia mixta bei Lipsius Bireley: The Counter-Reformation Prince, S. 88; zur LipsiusRezeption bei Saavedra Fajardo ebd., S. 202-205. Reinkingk: Biblische Policey, Dedicatio, unpaginiert. Zum Wahrheitsproblem in der rhetorischen Praxis am Hof Ludwigs XIV. (bei Bossuet, Boileau und Racine) vgl. France: Rhetoric and Truth in France, S. 113-186. Zum Dissimulationsverbot Frachetta: Festgesetzer Printzen- oder Regenten-Staat, S. 16: »Drumb war der Käyser Sigismundus weit vom rechten Wege/ wenn er sagte: Ein Printz müste vor allen Dingen wohl zu dissimuliren wissen/ und wer diß nicht könte/ der könte nicht regieren. So ist es denn rathsam/ daß ein Printz in seinem Verfahren fest und beständig sey/ nicht wanckelmüthig und veränderlich/ wie solches dem jungen Dionysio vom Piatone gerathen wurde.« Zur Reputation ebd., S. 28-33, wo es allerdings auch um das Erscheinungsbild des Fürsten geht. Vgl. jedoch ebenfalls S. 162-166 (»Von eines Regenten Reputation beym Kriege«), dort etwa S. 165 zur praktischen Dissimulation: »Uber diß/ wenn er [der Prinz] im Kriege begriffen ist/ muß er nicht mercken lassen/ daß er so begierig zu einem Frieden sey/ ob er ihn schon warhafftig verlangete.« Befürwortend Clapmarius: De arcanis rerumpublicarum libri sex, S. 242-291; ablehnend Besoldus: Politicorum libri duo, S. 723£ Vgl. Münkler: Im Namen des Staates, S. 289.

212 Schon mit der Debatte um die moralische Erlaubtheit politischer Täuschung gerät Saavedra Fajardo in eine Problemstellung, die Castiglione noch nicht kannte. Als Horizont allen Handelns in der Hofgesellschaft ließ die Grazie die Frage der Moralität des mit ihr konformen Verhaltens gar nicht aufkommen. Als fragwürdig erscheint bei Castiglione nicht die dissimulierende Sprezzatura, sondern allenfalls ihr Fehlen, die Affektation. Dagegen muß Saavedra Fajardo den Fürsten kontinuierlich gegen den Betrugsverdacht abschirmen. Der Fürst bietet in seiner exponierten und isolierten Stellung größere Angriffsflächen als die Hofleute untereinander. Letztere stehen vor der Aufgabe, sich innerhalb eines anerkannten Verhaltensmodus zu bewähren, während ersterer die Berechtigung seiner Position überhaupt plausibel machen muß. Da Saavedra Fajardo daran liegt, die legitimationsnotwendige Moralität des fürstlichen Verhaltens über jeden Zweifel zu stellen, erklärt er Lipsius' Zugeständnis an den Betrug gleich welcher Art im Rahmen einer politischen Sondermoral des Fürsten für nicht tolerierbar: »Ein gefährliches wesen vor einen Fürsten. Wer mag ihnen solches so genaw vorschreiben? Man soll die Politische Schiffart nit so hart neben den klippen anstellen.« Der Fürst müsse von jedem Anschein des Betrugs frei bleiben und deshalb die Simulation grundsätzlich meiden: »Jene Verstellung soll man aufs euserste fliehen/ welche wegen eines bösen Endes viel reden brauche/ die vermein ich/ trachtet dahin/ das einer glaube das/ welches nit ist«.236 Doch sieht sich auch Saavedra Fajardo auf Verstellungstaktiken angewiesen. Im 48. Emblem wendet er sich gegen die Schmeichelei der Hofleute, warnt vor den Tyrannen, die wahrheitsliebende Ratgeber bestrafen, und hält daran fest, daß es deren Aufgabe sei, den Fürsten moralisch zu korrigieren. 237 Gleichzeitig modifiziert er jedoch die Geltung des Aufrichtigkeitsgebots mit Blick auf das Verhältnis von Zweck und Mittel. Dieses Argument dient durchweg der Legitimation der Verstellung, besonders markant in den Ausführungen über strenge oder situationskonforme Rechtsprechung. 238 Auch weiterhin gilt zwar der Betrug als verpönt, nicht hingegen die dissimulierende Vermittlung der Wahrheit: Wan die meynung nur gut ist/ vnd mit klugheit gesellet/ wirdt es leicht geschehen/ daß einer den mittelsten vnd sichersten weg treffe/ zwischen der dienstbarlichen heiicheley vnd trotzigen warheit. Dan man mag alles wol sagen/ so man es weiß wol vorzubringen/ vnd die besserung allein vor äugen hat. 239 236 237

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239

Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 448. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 497-510. Vgl. auch ebd., S. 515: »Daß ist aber am vbelsten gethan/ wan man wil die laster loben/ vnd bemäntlen als wehren sie tugend/ dan solches wäre nichts änderst/ als solchen den zaum schiessen lassen/ damit sie desto freyer begangen wurden.« Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 457. Vgl. auch ebd., S. 191; 238. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 512. Als

213 Saavedra Fajardos tacitistischer Darstellung zufolge ist aber damit zu rechnen, daß die Wahrheit selbst ihre scharfen Konturen eingebüßt hat. Der Verfasser verweist auf die Möglichkeit, die Wahrheit zu Betrugszwecken einzusetzen: »Die warheit an tag bringen/ damit man viel mehr die böse regierung außbreite/ als bessere/ ist eine solche freyheit/ welche zwar abschewlich scheinet eine warnung zu sein/ vnd ist doch eine verleümbdung/ scheinet als wehre es lauter eyfer/ vnd ist doch lauter boßheit.« 240 So gerät der Habitus der Aufrichtigkeit ins Zwielicht. Da jedes politische Phänomen verdächtigt werden muß, durch verborgene Absichten gesteuert und verfälscht zu sein, erschüttert Saavedra Fajardos Darstellung fundamental die Verläßlichkeit der politischen >Realität< insgesamt. Vor diesem Hintergrund ist bei ihm >Aufrichtigkeit< im politischen Handeln überhaupt nur als unkenntliche Technik denkbar. Niemand liebe den Eindruck der Verstellung, so bemerkt Saavedra Fajardo im Anschluß an Castiglione, doch »eine natürliche weise mit einer auffrichtigen frömmigkeit/ die gefält männiglichen/ wie Tacitus solches am Petronio merckete/ dessen thun vnd reden je hurtiger sie waren/ vnd was von seiner nachläßigkeit andeuteten/ je freudiger wurd ein solches vor seine Einfalt auffgenommen.« 241 Wie die Tugenden überhaupt, so ist auch die Aufrichtigkeit gleichzeitig Zweck und Mittel: Saavedra Fajardo hält an ihr fest und verwandelt sie in einen Darstellungsmodus. Machiavelli und Lipsius hatten traditionelle Wertbegriffe und Handlungserwartungen im Bereich der Politik für unwirksam erklärt oder in ihrer Geltung eingeschränkt. Die Verstellungstechniken greifen bei ihnen aber nicht auf das gesamte Erscheinungsbild der Politik über. Grundsätzlich behalten deshalb politische Handlungen ihre klaren intentionalen Konturen. 242 Dagegen macht Saavedra Fajardo die Dissimulation zur Bedingung der Aufrichtigkeit, verwischt damit die Grenzen von Betrug und Wahrheit, die sich wechselseitig >verstellenStratagemata< weiter: »Wenig oder gar niemandt handlet mit ihm [dem Fürsten] auffrichtig. Den vor wem man sich fürchtet/ wird die Warheit nit gesagt/ wer sich auff seine macht verläst der mag nicht einmahl sicher schlaffen/ weil eine kunst die andere/ vnd eine macht die andere verspottet.« 243 D a die erfolgreiche Darstellung von Aufrichtigkeit als Überbietung anderer angelegt ist, fällt sie mit Präsentation und Ausübung von Macht zusammen. Auch die Kritik an einer »bösen regierung« bekommt angesichts des Verlusts an festen Bewertungskriterien einen doppelten Anstrich. Das Wertgefälle, das sie vorauszusetzen scheint, stellt sie erst her und trägt so zum Ausbau der fürstlichen Position bei. Dieser Zirkel aus der Behauptung eines Tatbestands, der überhaupt erst im Akt der Behauptung entsteht, kennzeichnet den gesamten Umgang mit den Tugenden. Die entscheidende Überbietungsfigur ist am Ende der glanzvolle Auftritt des Fürsten im als solches unerkennbaren Gewand der Aufrichtigkeit. Praktisch liegt zweifellos die Gefahr nahe, daß der Urheber selbst Opfer seiner Täuschungen wird. 244 Dabei sucht der Verfasser der Dissimulation, die lediglich verschleiert, »was da ist«, den Unaufrichtigkeits- und Betrugsverdacht zu nehmen, der ihr bei Lipsius noch anhaftet. Er zieht sie an anderer Stelle auch als Verhalten des Fürsten aus dem Bereich des wenigstens Fragwürdigen in den des Unbedenklichen hinüber: »Verstellung vnd lust mag damahls woll zugelassen werden/ wann sie keinen betrug verursachen/ vnd dem Fürstlichen ansehen keinen fleck anhängen.« Die Dissimulation wird geradezu Voraussetzung einer reputationsorientierten Tugendpraxis. Saavedra Fajardo erklärt sie »vor eine klugheit/ oder das so darauß folgt vor zugehör der tugend.« 245 Wie erst die Verstellung der höchsten Wahrheit dient, demonstriert seine Bemerkung, »der Meister der warheit selbst« habe sich auf dem Weg nach Emmaus im Gespräch mit seinen Jüngern solcher Künste bedient, »in dem er sich stehe/ alß wolte er weiter gehen«. 246 Indem der Fürst die Haltung der Aufrichtigkeit einnimmt, entzieht er sich dem Urteil unter dem Wahrheitsaspekt. Saavedra Fajardo empfiehlt eine 243

244 245

246

Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 466. Vgl. auch ebd., S. 458: »Eine solche Verstellung aber bedarff grosse auffmerckung vnd klugheit: dan so der jenige/ welcher was böses vor hat/ daß merckete/ soll er ihm wol einbilden daß solcher ein Grieff were/ damit man ihn hernacher desto härter straffen möchte/ vnd würde also ein solcher vielmehr erst recht vnterscharren/ oder durch andere gewalthätige mittel sich also vorsehen/ damit er der gefahr entgehen möchte.« Elliott: Power and Propaganda in the Spain of Philip IV. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 447f. Vgl. auch Botero: Gründtlicher Bericht, S. 85 r . Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 448. Zur Verheimlichung durch dunkle Reden bei Tiberius vgl. Abriss (1655), S. 611-613.

215 mehrdeutige Sprache, die der Verschleierung des Tatbestands dient - eine >schwebende< Redeweise, die auch den Sinn >gravitätischer< und an Tacitus geschulter Lakonie enthüllt: »Deßwegen dan auch einer wol vnterweilen mag sich der Wörter gebrauchen die einen doppelten verstand haben/ vnd vnterweilen deren/ die vnterschiedelich mögen außgelegt werden/ nit zum betriegen/ sonder sich vorzusehen einem betrug zu entgehen oder sonsten zu einem anderen zugelassenen zweck.« Die Dissimulation durchdringt bei Saavedra Fajardo das ganze politische Handeln so, daß der Beobachter jeden festen Orientierungspunkt verliert, während dem Fürsten eine fast unbegrenzte Machtsteigerung zufällt. 247 In dessen Person gipfelt die Anlage des Emblembuchs. Einen durch die Umstände gebotenen politischen Orientierungswechsel will der Verfasser von der >Leichtsinnigkeit< geschieden wissen; gleichzeitig müsse man den Anschein der Unbeständigkeit vermeiden, um das Vertrauen des Volks nicht zu verspielen: »Dieses aber wirdt der klugheit zustehen/ daß solches also meisterlich vnd verblümbter weise geschehe/ das es vom Pöbel nicht gemerket werde«. 248 Es ist auch die Aufgabe des Fürsten, das Bild scheinbar rücksichtsloser, aber durch den Zweck gerechtfertigter Aktionen zu steuern und so ihren Erfolg zu sichern. In diesen Fällen sei es »vergünt solche [Taten] also anzustellen/ das vnser thun vor der menschen äugen all änderst scheinet/ vnd das solche auß billichen vrsachen geschehen«, womit »kein betrug geübet wirdt/ sondern allein der boßheit eine blendung gemacht wirdt«. 249 Der moralisch schwache Fürst soll seine Laster verheimlichen, der »vnvermöglich[e]«, der seinen Aufgaben nicht gewachsen ist, gleichwohl den Schein der politischen Autorität wahren und der durch das Alter ermattete sich nicht ganz zurückziehen, »vnd solte solches nur zum schein sein: Dan der euserliche schein wircket in den äugen des blinden vnd vnwissenden Pöbels so viel/ als die taht selbsten«. 250 Feist hält die Tendenz zur Verselbständigung der Bemühungen um Ansehen fest, wenn er notiert, die »Einbildung die der Feind offt von einer Generals Personen hat«, sei »grosser als die Tapferkeit und Kräfften seines Gemühts und Leibes«, weshalb man nach »Ruhm« und »Existimation« ebensosehr streben müsse wie »nach den Kräften der Waffen«. 251 Die Chiffrierkunst verbündet sich mit der Fähigkeit des >scharfsinnigen< Dekodierens und der intensiven psychologischen Durchdringung. Die Aufgabe des Durchschauens trägt in den Emblemata zur besonderen Bedeutung des Auges bei, das als Organ der für die Klugheit unverzichtbaren Wachsam247 24S 249 250

251

Zur Handlungsfähigkeit als Herrscheretikett Braungart: Hofberedsamkeit, S. 1881 Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 633. Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 751. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 189f.; Abriss (1655), S. 540; 929. Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 286.

216 keit (Vigilantia) gilt. Ein mit Augen versehenes Zepter verweist auf die Räte als Augen des Fürsten, 252 dessen Schultern im übrigen ebenfalls mit Augen ausgestattet sind, die die politische Last wahrnehmen können. 253 Dem Motto »Fide et diffide« ordnet Saavedra Fajardo als Emblem eine mit Augen besetzte Hand zu. 254 Umgekehrt verlangen die Augen »alß fenster deß gemühts« in Hinblick sowohl auf die Verstellung als auch auf die Charakterologie nach Aufmerksamkeit. 255 Der Fürst ist angehalten, nicht nur tugendhaft, sondern auch »klug vnnd vorsichtig« zu sein, »auff das kein betrug oder boßheit sey/ welche er nit mercke/ vnd keine list/ welche er nit von weiten sehe«. 256 Im Krieg dürfe man sich nicht darauf verlassen, daß die Feinde sich nach dem Maßstab der Weisheit verhalten, »sondern sol alles nach der beschaffenheit vnd verstandt des jenigen gerichtet werden/ mit welchem man zu thun hat; dan nit ein jeder handelt allezeit auff das gebührlichste vnd weiseste.«257 Doch auch der Fürst selbst unterliegt dem Verstellungsverdacht: »Das gemüht muß vielmehr ein auge auff daßjenige haben/ welches die Fürsten sich bemühen zu bergen/ als auff daß/ so sie lassen herauß schiesen.« 258 Politik erscheint so als ein potentiell unendliches Spiegelkabinett sich gegenseitig übertreffender Enthüllungen und Verstellungen. Dieser Szenerie entspricht die widersprüchliche Empfehlung eines mit Mißtrauen durchsetzten Vertrauens (»Fide et diffide«). 259 Insgesamt steht dem Dissimulationsgebot die Fähigkeit gegenüber, aus Fragmenten und Anzeichen das verschwiegene Gesamtbild zu rekonstruieren. Der Politicus muß über dieselbe Kompetenz der Analyse und Organisation verfügen, die Boeder für die Exempelinterpretation erwartet; seine Auf252

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Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 512. Dazu auch Henkel/Schöne: Emblemata, Sp. 1266f. Zur Forschung Frühsorge: Der politische Körper, S. 111-123. Zur physiognomischen Typologie des Auges als charakterologischem Identifikationsmittel Weisrock: Götterblick und Zaubermacht, S. 44f. Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 538. Vgl. im übrigen auch ebd., S. 532; Abris (1674), S. 137, zum Erkennen des Unrechts durch das Auge; ebd., S. 447: Die Verstellung bleibt vom Anschein des Betrugs frei, »so die klugheit wird offene äugen haben«; ebd., S. 462f£, die Auslegung des Emblems des mit offenen Augen schlafenden Löwen. Dazu auch Henkel/Schöne: Emblemata, Sp. 399-401; Hagelganß: Christlicher hochtheurer Helden Tugend-lauff, siebtes Emblem; Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 196. Saavedra Fajardo unterscheidet sich von den übrigen Beispielen darin, daß er das Wachen im Schlaf als Verstellung versteht. Weitere Beispiele für dieses Motiv bei Henkel/Schöne: Emblemata, Sp. 1010-1012. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens, S. 398f.; ebd., S. 316. Vgl. auch das Motiv des verstellten Blicks »durch die Finger« (ebd., S. 445). Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 194. Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 757. Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 748. Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 457; vgl. auch S. 8 4 8 - 853. Ferner Weyhe: Avlicvs politicvs, S. 99, CCCLXXI.

217 gäbe ist die >staatskluge< strategische Ordnung der >verstellten< politischen Wirklichkeit mit Hilfe einer Inventarisierungs- und Kombinationsmethodik. Wir werden sehen, daß damit die Grundstruktur von Anton Ulrichs Aramena beschrieben ist, in der man auch das Bild des fragmentierten Briefs wiederfindet. Die Unüberschaubarkeit und Undurchschaubarkeit der politischen Welt schließt bei Saavedra Fajardo einen abschließenden Überblick aus: Auß vnterschiedlichen reden vnd gesprochen/ die da von etzlichen gar meisterlich geführet werden/ mag man das gemüht erforschen/ nit als auß vnterschiedlichen stücken eines zerrissenen briefs/ wo solche wieder zusamen gehalten werden/ mag man lesen/ was drin geschrieben gewesen.260

Im Hintergrund dieser Introspektionskunst erkennt man charakterologische Toposkataloge. In der Hofmannsliteratur findet sich ein besonders detailliertes Beispiel für derartige Gemütserkennungslehren bei de Refuge. 261 Saavedra Fajardo erklärt, der Fürst müsse »aller vnd jeder Menschen Natur erkennen lernen/ welches sie auß den kleideren/ auß dem Gesicht/ geberden/ äugen/ bewegnis vnd reden werden abnemen mögen«. 262 Wie auch die in mehr oder weniger ausführlicher Form stets wiederholte Topik der Völkercharakteristik zeigt, 263 empfehlen die Staatsräson-Lehren solche Klassifikationen als Mittel der Kontrolle. Das vollkommene politische Wissen müßte eine vollständige Topik der Personal- und Völkercharakteristik einschließen. Unter dem Aspekt der Reputation ergreift der Fürst die erforderlichen Maßregeln, indem er sie in der eigenen >Persona< verwirklicht. Diese wird selbst als Konstruktions- und Organisationsproblem gefaßt. Der Entwurf eines unverläßlichen politischen Illusionstheaters führt zur Multiplikation der Situationen, auf die sich der Fürst mit Hilfe eigener Verstellungstaktiken gemäß den spezifischen Bedingungen von Ort und Zeit einstellen muß. Zu den Differenzierungsfaktoren, die in dieser Hinsicht zu berücksichtigen sind, gehören sowohl die Landessitten 264 als auch die innerstaatliche Interessenpluralität. Emblematisch vergegenwärtigt Saavedra Fajardo das Staatswesen

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Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 615. De Refuge: Kluger Hofmann, S. 53-82. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 316. Vgl. auch ebd., S. 320-324, zu den Eigenschaften der Räte. Ferner Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 89. Beispiele: Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 413. Ders.: Abriss (1655), S. 768-784. Botero: Griindtlicher Bericht, S. 69 r -74 r sowie ebd., S. 175v; Chiaramonti: De coniectandis cvivsqve moribvs et latitantibvs animi affectibvs, S. 42-73; Sprenger: Tacitus axiomaticus, S. 57. Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 7771: »Wann nun eines jeden Volcks sitten bekandt seindt/ so kan ein Fürst seine geschäften desto besser anlegen/ sie gereichen zu frieden oder Krieg/ vnd wirdt wissen/ wie fremde Länder zu regieren sein/ dan ein jedweders Lande ist zu einer besonderen art der regierung/ als ein natürliches wesen geneigt«.

218 als Harfe, für deren Harmonie - die stabilitätssichernde Einigkeit - der Fürst verantwortlich ist. Er muß wissen, das die Majestät durch daß ansehen erhalten wirdt/ daß Reich mit liebe; der Hoff mit ernst; der Adel/ mit hochhalten; der Pöbel mit dem vberfluß die gerechtigkeit/ in der gleichheit; die gesetze durch furcht die Waffen mit belohnungen; die macht mit der mäßigkeit der Kriege/ mit hab vnd gut/ vnd dem frieden mit den meinungen. 265

Die politische Theorie reagiert darauf mit einer facettenartigen Vervielfältigung der Person des Fürsten, die spiegelbildlich dem Differenzierungs- und Komplettierungsinteresse topischer Sammlungen entspricht und einen Eindruck von den steigenden Anforderungen an die strategische Steuerungsleistung vermittelt. Die Unbestimmbarkeit, die durch das Nebeneinander gegensätzlicher Attitüden gewährleistet wird, speziell von Gravitas und Grazie, erweist sich jetzt im Rückblick als Voraussetzung einer umfassenden Situationskontrolle: »Der jhrer vielen gefält/ der muß mit jhr vielen seine anmühtungen veränderen/ oder so viel es müglich/ sich von denselbigen befreyet erzeigen«. Dazu gehört, »das er zu einer zeit/ (nach dem es die gelegenheit erfordert) sich streng vnd gütig/ gerecht/ vnd mildt/ freygebig/ vnnd karg erzeige/ dan er muß sich in die zeit schicken«. 266 Die Unterschiedlichkeit der »gemühter« soll der Fürst durch kontinuierliche Anpassung der eigenen Person beherrschen: »Derowegen mag man nicht mit allen vnd jeden auff eine weise vmgehen/ sondern man muß sich ändern/ nach dem die natur deß jenigen ist mit welchem man zu thun hat.« 267 Je vollkommener die >Verstellung< gelingt, desto mehr gewinnt der Fürst Gewalt über das Bild der Wirklichkeit insgesamt. Saavedra Fajardos Lehre soll den Fürsten so von zufälligen Bedingungen seines Handelns unabhängig machen. Der Fürst erfüllt in diesem Sinn sein Strategenamt als Verkörperung des Gemeinwesens. Gerade die Fortifikation des Staats ist deshalb auf eine anthropologische Flexibilisierung angewiesen, in der freilich das Individuelle der durchgreifenden >künstlichen< Formung durch die politische Rationalität und dem strategisch gesteuerten Rollenspiel weicht. Die Dissimulation als 265 266 267

Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 605. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 71. Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 316. Ferner Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 90. Zum Übergang von »vertikaler« Flexibilität in der Renaissance zu »horizontaler« Flexibilität im 17. Jahrhundert vgl. Greene: The flexibility of the Self in Renaissance Literature. Zur Flexibilitätsforderung bei Castiglione Falvo: The Economy of Human Relations, S. 129f. Untersuchungen zur Praxis der Reputationskontrolle liegen vor allem für Ludwig XIV. vor. Gerade sie zeigen, daß die Reputation, die ja auf Anerkennung basiert, nicht beliebig zu erlangen und zu handhaben ist, sondern dem Diktat der Umstände unterliegt. Vgl. Grell/Michel: L'école des princes (zum Aufbau und zur kalkulierten Rücknahme der chevaleresk-heroischen Alexander-Figur in der politischen Symbolik Ludwigs XIV.); Burke: Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs.

219 Voraussetzung des Verschlüsseins und Entschlüsseins verlangt eine umfassende Affektkontrolle; sie setzt erst die Fähigkeit frei, die eigenen Absichten zu verschleiern und Distanz und strategische Übersicht zu wahren: »so die ohren von allen zuneygungen befreyet seind/ vnd die Vernunft aldar zu gericht setzet/ alles wol erwogen wird«. 268 Im Anschluß an Aristoteles votiert Saavedra Fajardo zwar nicht für eine Vernichtung der Affekte, wohl aber für deren Neuorganisation im Interesse des Bonum publicum: »der zorn des Fürsten muß nit auß einem bewegten gemüt herrühren/ sondern auß dem gemeinen nutz.« 269 Schon La Noue zielte auf die Überantwortung der Affektautorität an den Staat. Während der hugenottische Militärtheoretiker jedoch nur eine institutionalisierte Affektmoderation anstrebte, stellt Saavedra Fajardo die >Neigungen< in den Dienst politischer Darstellung: »Wan einer gemeine man seine Zuneigungen verstellet/ so haltet man ihn nit vor auffrichtig oder eines offenen hertzen/ bey einem Fürsten aber/ erfordert ein solches der Ratio status.« 270 In diesem Sinn verlangt die Staatsräson die Substitution des >natürlichen< durch den >politischenPrivatpolitik< bei Christian Weise vgl. Sinemus: Poetik und Rhetorik im frühmodernen deutschen Staat, S. 1 0 0 - 1 4 4 .

220 nen Feinden dadurch Tort zu thun, als auch denen Freunden ein Douçeur zu erweisen, dienen muß.« 272 Diese wachsende Disponibilität einer ehedem verbindlichen Symbolik, die sich auch an der Vielfalt des Bildmaterials ablesen läßt, darf man als Vorstufe der Lösung des Zeremoniells vom Rechtsakt im 18. Jahrhundert betrachten. 273 Wir stoßen so auf das Paradox, daß auf lange Sicht gerade die Intensivierung der Autoritätsrepräsentation als Kunst ein Potential freisetzt, das geeignet ist, die überkommenen Autoritäten in ihrer Geltung zu untergraben. Die Aufgabe des Fürsten ist es unter den neuen Bedingungen nicht mehr nur, die tradierten Zeichensysteme zu verwenden, sondern die Politik als kinetisches Kommunikationssystem zu durchschauen, in dem jede Konstellation in ihrer spezifischen Bedeutung erst erschlossen werden muß. Fürstliche Größe steht deshalb nicht als fester Besitz von Eigenschaften und Errungenschaften zur Verfügung, sondern muß in immer neuen Überbietungsakten vermittelt werden. Die staatliche Stabilisierungsabsicht bedient sich einer technischen Dynamisierung - eine der Erscheinungsweisen des Verhältnisses von konservierenden und beschleunigenden Faktoren im frühmodernen Staat. Im Fortschreiten ins Unendliche liegt die letzte Möglichkeit, den Folgen zu begegnen, die die Aufdeckung tacitistischer Klugheitstechniken in den Lehrbüchern nach sich zieht. Potentiell bricht aber die Unendlichkeitsperspektive das geschlossene Weltbild in der Politik auf und gefährdet die metaphysisch gesicherte persönliche Legitimation des Fürsten überhaupt. Inbegriff heroischer Statur ist das Geheimnis, das nach dem Funktionsmodell von Gravitas und Grazie dem Fürsten den Nimbus der Unberechenbarkeit sichert und ihn so mit einem Größenbild ausstattet. Ostentative Undurchschaubarkeit soll den Fürsten dem moralischen Urteilsvermögen entziehen, ihn als unzweifelhafte Orientierungsinstanz etablieren, die Perspektiven auf ihn konzentrieren und jede andere undenkbar scheinen lassen. Botero steigert die Inszenierung in diesem Sinn zu einer sakralen Aura: Die Heimlichkeit vnd Verschwiegenheit dienet auch mercklich zu erhaltung der Reputation. Dann sie machet/ daß ein Fürst gleichsam als ein jrrdischer Gott gehalten wirt: vnd bringet zu wegen/ daß alle Menschen/ wann sie nicht wissen was er gesinnet/ mit auffgezogenem Gemüthe auff jhn sehen/ vnnd mit Verwunderung warten/ wa er hinauß wolle. 274

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Lünig: Theatrum ceremoniale, I, S. 7. Braungart: Hofberedsamkeit, S. 24-26; 79 u.ö. Hinweise bei Berns: Der nackte Monarch und die nackte Wahrheit, vor allem S. 340-349; Titzmann: »Verstellung«. Zu Entwicklungsperspektiven des Zeremoniells auch Plodeck: Hofstruktur und Hofzeremoniell in Brandenburg-Ansbach; Giesey: Models of Rulership in French Royal Ceremonial; Hanley: Legend, Ritual, and Discourse in the Lit de Justice Assembly. Botero: Gründlicher Bericht, S. 98rf. Vgl. auch Pacianus: Discvrsvs politicvs, de vero justoque principe, S. 229f.

221 Im künstlichen Mysterium konzentriert sich Saavedra Fajardos Programm einer unhintergehbaren Entfaltung heroischer Größe. Der Held bleibt nicht mehr nur Tiigendexemplum und Ordnungsmuster. Im heroischen Ornat sichert sich der Fürst Legitimation und Handlungssouveränität als selbst undurchschaubarer Meister des politischen Kommunikationssystems, als Stratege, der »selbsten daß spiel recht zu führen« weiß, 275 indem er die Mechanismen kontrolliert, mit deren Hilfe die politische Macht vermittelt werden kann. Durch diese Machtsteigerung sucht Saavedra Fajardo die potentielle Legitimationsschwäche des Fürsten zu kompensieren. Indem er diese Figur nicht nur belehrend, sondern auch exemplarisch-panegyrisch präsentiert, gelingt es ihm, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, den Verdacht der Unmoralität, der Eigennützigkeit und des Machtinteresses auch literarisch auszuschalten. Die Darstellung der Regenten, die sie »den Riesen gleich« erscheinen läßt, »welche sich groß vnd mächtig vor äugen stellen«, erweist sich allerdings, wie Saavedra Fajardo weiß, bei näherem Hinsehen als Trugbild, als »lauter Einbildung«, 276 und läßt vermuten, daß sich hinter der kunstvoll hervorgebrachten Größe eine Verunsicherung, wenn nicht eine Desillusionierung über den Status des Fürsten ankündigt. Während Burke diese »Krise der Repräsentationen« in erster Linie auf eine philosophisch-naturwissenschaftliche »intellektuelle Revolution« im 17. Jahrhundert zurückführt, 277 sehe ich, wie deutlich geworden sein mag, nicht weniger kräftige gleichgerichtete Anstöße in den Anforderungen an die politische Theoriebildung und die politische Praxis. Die Kunst der Mystifikation hat jedenfalls ihre eigene Dialektik: Gerade das Vorweisen des fürstlichen Mysteriums läßt auf der anderen Seite die Inszenierungstaktik immer unverhüllter sichtbar werden. Saavedra Fajardo und seine Zeitgenossen reagieren in der Politik auf einen ähnlichen Schwund an traditional vorgegebenen Hierarchien, wie er sich gleichzeitig in der Kosmologie durchsetzt, 278 und halten ihm eine heroische Konstruktion entgegen, die ihrerseits den Erosionsprozeß vorantreibt. Indirekt darf man deshalb die Theatralik fürstlicher Größe überhaupt als Signal für die Auflösung durch die Tradition verbürgter Orientierungspunkte in der Politik bewerten.

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Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 523. Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 606. Vgl. auch ebd., S. 524, sowie Abris (1674), S. 336; 413; 453. Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 114t; 126f.; 182-185; 242-252. Hagelganß: Christlicher hochtheurer Helden Tügend-lauff, achtes Bild. Allgemein gehört hierher auch die politische lügend der Verschwiegenheit (z.B. bei Lipsius: Von Vnterweisung zum weltlichen Regiment, S. 85; Weyhe: Avlicvs politicvs, S. 65, CCIII; S. 74, CCLV). Burke: Ludwig XIV., S. 171-180, hier: S. 174. Koyré: Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, S. 12 und passim.

222

3.2 Habsburgische Fürstenverehrung: Lamormain und Spattenbach Von den Möglichkeiten der Darstellung fürstlicher Größe machen Autoren cUis dem Umfeld des katholischen Absolutismus den nachdrücklichsten Gebrauch. Solche Strategien fehlen im protestantisch-landesfürstlichen Kontext zwar nicht, konnten sich dort aber auch nicht in vergleichbarem Umfang verselbständigen. Die imponierendsten Beiträge in Deutschland findet man im Umfeld des Hauses Habsburg. Ich stelle zwei Beispiele vor, die allerdings nicht nur zeitlich auseinanderliegen, sondern auch auf unterschiedliche Traditionen zurückweisen und geradezu gegenläufig konzipiert sind. Der Jesuit Guillaume Lamormain stilisiert Ferdinand II. zum Exemplum eines fürstlichen Tugendspiegels. Das zunächst in lateinischer Sprache verfaßte Werk 279 vertritt mit seiner gegenreformatorischen Stoßrichtung nicht allein die kaiserlichen Interessen, sondern zugleich auch die der katholischen Kirche. Die Frage, ob sich daraus Reibungsflächen ergeben, sei hier vernachlässigt. Dagegen darf man im Hintergrund von Spattenbachs Politischer Philosophie (1668) mit ihren Kernstücken Majestas, Auctoritas und Reputation die Staatsräson-Theorien vermuten. Deren antimachiavellistischem Selbstverständnis gemäß stellt das Buch, wie der Titel betont, »heutiger Statisten subtile und Machiavellistische Griff an das helle Taglicht«. Literarisch gehört die Schrift zur Fürstenspiegelliteratur, programmatisch basiert sie auf einer konsequenten, ja geradezu radikalen Absolutismuskonzeption. Mein Hauptaugenmerk gilt den Varianten auratischer Fürstendarstellung. Andreas Kraus hat in seinen Ausführungen über Das katholische Herrscherbild im Reich, die sich auf Ferdinand II. und den Bayernherzog Maximilian I. konzentrieren, die einschlägige Fürstenspiegelliteratur unter ausschließlich ideengeschichtlichen Aspekten ausgewertet. Aus dieser Perspektive erscheint ihm »das Büchlein von P. Wilhelm Lamormaini, dem Beichtvater des Kaisers«, lediglich als »ein blasser Tugendkatalog, unscharf auch in seinem Verhältnis zum Herrscher selbst, für ein Herrscherbild, da fast nur von Tilgenden des Christen allgemein die Rede ist, ohne besonderen Ertrag.« 280 Dagegen suchen die folgenden Ausführungen zu erhärten, daß die exemplarische Tügendlehre der Schrift dem Kalkül fürstlicher Representations- und literarischer Darstellungstaktik gehorcht. Eine eingehendere Analyse müßte der Frage nachgehen, ob der Fürstenspiegel auf rhetorische

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Lamormain: Ferdinandi secundi Romanorum Imperatorie virtutes, Köln 1638. Im selben Jahr erschien außer der (hier zugrundegelegten) deutschen auch eine italienische Übersetzung: Virtù di Ferdinando II. Imperatore, Wien 1638. Andreas Kraus: Das katholische Herrscherbild im Reich, S. 5. - Für einen Überblick über den Ausbau der absolutistischen Herrschaft bei den Habsburgern des 17. Jahrhunderts vgl. Ehalt: Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft, S. 25 - 32. Zu Lamormain Bireley: Religion and Politics in the Age of the Counterreformation.

223 und ideengeschichtliche Positionen zurückbezogen werden kann, wie sie im Jesuitenorden entwickelt wurden. 281 Lamormain behandelt nacheinander die theologischen und moralischen Tugenden Ferdinands II. und schließt mit Zeugnissen dritter über den Kaiser. Die Abfolge der Tugenden ist durchaus als Hierarchie zu verstehen; wie Ludovicus de Malvenda bemerkt, der seinen Spiegel eines christlichen Fürsten freilich umgekehrt aufbaut, sind »die Tugenten der Heidnischen Weltweisen/ ohne den Theologischen vnnd Göttlichen Tugenten/ gleichsamb nur für gemalte Blumen/ welche keinen Geruch noch Krafft haben/ zuhalten.« 282 Lamormain stilisiert Ferdinand zum Musterfall asketischer Selbstüberwindung und Selbsterniedrigung durch »Aigene Abtödtung vnd Bueß-Werck«. Die Darstellung wendet sich so konsequent gegen das implizierte Negativbild eines Fürsten, der den Affekten ergeben ist, daß fast der gesamte Repräsentationsbereich dem Verdikt über Hochmut, Eitelkeit und Ehrgeiz weichen muß. Ferdinands ritterlichen Streit »wider sein aigen Fleisch vnnd Begierden« verdeutlicht unter anderem seine Kontrolle über die Augen: »Es ist an jhme vermercket worden/ daß er niemalen die Weibsbilder gar eben angeschawet/ sondern seine Augen allzeit fleissig im Zaum gehalten.« 283 Den Angelpunkt der Darstellung bildet die dem Laster der Hoffart entgegengesetzte Demut. Mit der »Geringschätzung sein selbsten« und der Verachtung der »Menschliche[n] Glory vnd eytele[n] Ehre« verzichtet der Kaiser auf jede Art fürstlicher Pracht, damit überhaupt auf imponierende sinnliche Präsenz, schließlich auch auf die Vermehrung der Reputation: »Von sich selbsten redete er niemalen ruhmbrächtig/ hörete auch solches nicht gern von andern Leuthen.« In diesem Sinn weist Ferdinand - »in Lateinischer Sprach« - jede Schmeichelei, speziell etwa den Ruhm von sich, die Vertreibung der »Vn-Catholischen Praedicanten« aus Graz ins Werk gesetzt zu haben: »Nicht vns O HErr/ nicht vns/ sondern deinem Namen gib die Ehre.« 284 Die Attitüde der Selbsterniedrigung und Selbstüberwindung legt Lamormain zugleich als eine solche rationaler Unterwerfung unter eine strenge Arbeitsdisziplin an. 285 So nähert sich Ferdinand bis in Äußerlichkeiten einer monastischen Erscheinung. Anläßlich einer Prozession zur Versöhnung Gottes im Kampf gegen Gustav Adolf sieht man den Monarchen im vom Regen durchnäßten Gewand - »in einem schlechten Klaydlein/ mit den Händen vnder dem nassen Mantel/ mit vndergeschlagenen Augen; Dann es hatte jhm der 281

2X2 283 284 285

Zu Ignatius vgl. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tilgenden, S. 28, wo der Kaiser »mit außgespannten Armen vor einem Bildnuß deß heiligen Beichtigers Ignatij« betet. Zum Forschungsgebiet Barner: Barockrhetorik, S. 321-366. Malvenda: Spiegel eines christlichen Fürsten, S. 346f. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers lügenden, S. 67. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tilgenden, S. 56-59. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tilgenden, S. 82-85 (»Vnmüssigkeit vnnd stäthe Arbeit«),

224 Regen machen den Stülp von dem Huet herab in das Angesicht hangen/ vnd lieffe jhme das Wasser beym Hals hinein.« 286 Wenn Lamormain berichtet, Ferdinand habe vor seiner Kaiserwahl in den Spitälern Armenspeisungen gehalten, die Gerichte den Armen »mit aignen Händen« vorgelegt und ebenso noch als Kaiser wöchentlich »Zwölff Arme Leuth von öffentlicher Gassen/ oder auß den Spitäln nach Hoff berüffen« lassen, »denen er ein Mahlzeit hielte/ vnd selbsten darbey zu Tisch dienete«, so fügt er dem Bild des Kaisers das Merkmal der Christusimitation hinzu. 287 Es gehört zum Grundgestus dieses Fürstenspiegels, daß er aus der Perspektive einer christlichen Demutshaltung die gesamte Symbolik und Taktik der politischen Macht zurückweist oder - was die eigene literarische Form betrifft - sogar ostentativ beseitigt. Aus dieser Sicht wendet er sich auch gegen die >Machiavellistische< Politik und jede Art politischer Täuschungsmanöver. Der Text verbannt »Scheinhandlungen« und »Betrüglichkeiten« wie überhaupt die »falsche vnnd verschlagene Politica deren sich dieser Zeit etliche gebrauchen« gänzlich aus dem Umkreis des Kaisers. So wird Ferdinand zur Verkörperung eines politischen Programms, das Lamormain in drei Punkten zusammenfaßt: »die Versorgung der Göttlichen Ehr: Die eyferige Fortpflantzung der Catholischen Religion: Vnnd das Hail vnnd Auffnehmen deß Vatterlands vnnd seiner Vnderthonen.« 288 Ein kurzer Seitenblick auf den zuerst 1545, in deutscher Übersetzung 1603 erschienenen Spiegel eines christlichen Fürsten von Ludovicus de Malvenda bestätigt, daß Lamormain auf gegenreformatorische Tugendspiegeltraditionen zurückgreift und sie verschärft. Malvendas Ausführungen zur Fürstenerziehung, zu den moralischen und zu den theologischen Tügenden wurzeln vermutlich in der monastischen Disziplin. 289 Mit Lamormain teilt Malvenda die Forderungen nach Verachtung des äußerlichen Glanzes und nach fürstlicher »Demut«. Die »hocheit deß gemüts«, die von der Gerechtigkeit begleitet werden und sich für das »gemeine Wesen« einsetzen müsse, verliere ihre Dignität, wenn sie sich mit Ruhmbegierde, Eitelkeit und Ehrsucht verbinde. 290 Doch bleibt die Humilitas Teil eines Ensembles von heroi286 287 288 289

290

Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tilgenden, S. 32. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tilgenden, S. 120-122. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tilgenden, S. 61; 88f. Vgl. Malvenda: Spiegel eines christlichen Fürsten, S. 6 0 - 6 7 (»Von dem Gehorsamb der jungen Fürsten«); S. 6 8 - 7 6 (über die Tilgend der Keuschheit in der Fürstenerziehung); S. 234f. zur Frage der Musik, die nur in Maßen zu genießen sei: »Dann gleich wie alle vnreine vnnd vnzüchtige Wort pflegen schedtlich zusein/ vnd ein jedes geiles carmen pflegt den standt deß Gemüths zuschwechen/ vnnd eben also pflegt ein boßhafftigs Gesang/ daß Gemüth zubetrüben/ vnnd alle Neruen zuschwechen.« Die Originalausgabe ist: Luys de Malvenda: Tratato llamado leche dele Fe del Principe Christ., Burgos 1545. Zu Malvenda vgl. Straub: Repraesentatio Maiestatis, S. 30ff. Malvenda: Spiegel eines christlichen Fürsten, S. 311-317; 323. Vgl. auch ebd., S. 310, zur »Magnificentz«, die in der Verachtung von Pracht, Hoffart und Ver-

225 sehen Ttogendattitüden, das auch auf die Präsentation fürstlicher Größe zielt. D i e l ü g e n d der Magnificentia sei zwar nicht ohne »Reinigkeit und Heyligkeit« denkbar, bestehe aber in Stift- vnd Auffrichtung langwerender/ bestendiger vnd rühmlicher Ding/ als da seynd die erbawung der Kirchen/ Klöster/ Hohenschulen/ Spitäl/ Jtem daß die Fürsten sich prechtiglich vnd freygeblich sehen lassen gegen den Gemainden/ weisen vnd geistlichen Leuten/ frembden Gästen/ vnd an jhren Höfen/ auff Hochzeiten vnd Gastmain/ wie Salomon vnd Assuerus gethan/ welche einen grossen Pracht vnd Freygebigkeit gebraucht haben. 291 Wie sehr der Text auf Anschaulichkeit, ja auf sinnliche Vermittlung seiner Lehre zielt, zeigt die Darbietungsweise, die die Tugenden metaphorisch als fürstliche »Kleider«, die Erziehung als »Milch« faßt. Der Spiegel eines christlichen Fürsten entwirft zwar ein Regentenbild, das den politischen Effekt heroischer Größe verstärken will, doch verselbständigt sich bei Malvenda das Wirkungskalkül nicht. 292 Der Text macht deshalb auch den Regierungstechniken der >Statistik< keine offenen Zugeständnisse. Aus dieser Perspektive verbindet er heroische Fürstenethik und implizite Machiavellismus-Kritik. 293 Im wesentlichen bewegt sich der Traktat im Rahmen des fürstlichen Tugendkatalogs. Natürlich nutzt auch Malvenda das Überzeugungspotential der Exempla und verweist auf »deß hochstlöblichen Keysers Maximiliani vnaußsprechliche Tugendten«, 294 doch wendet sich das Werk primär dem zu erziehenden Fürsten zu. Dagegen richtet sich Lamormains Schrift vornehmlich an das Publikum; dabei überformt das Reputationskalkül den Tugendkatalog. D e n n nur auf den ersten Blick scheint es, als verzichtete der Verfasser auf eine anschauliche Präsentation des Kaisers - tatsächlich verleiht er dem Monarchen übermenschliche Größe und setzt zu diesem Zweck die Exempla als heroische Symbolik ein. Im Mittelpunkt steht in dieser Hinsicht Ferdinands

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schwendung bestehe; ebd., S. 15, zu den Vorbehalten gegen den »Pöfel«, der den Fürsten nicht seiner legenden wegen lobe, sondern »von wegen seiner schönen vnd hübschen gestalt vnd holdtseligen Geberden«. Malvenda: Spiegel eines christlichen Fürsten, S. 302; 306. Vgl. Malvenda: Spiegel eines christlichen Fürsten, S. 285, wo der Verfasser einen noch von der Tügendpräsentation dominierten Maiestas-Begriff verwendet: »Vnnd sein Mayestät vnd fürstliche Hochheit soll er in allen vnd jeden Glücksfällen dermassen erhalten vnnd behalten/ daß er sein grauitet mit einer messigen Freundlichkeit messige/ inn allen vnnd jeden Fürfallenheit jhm selbst gleich seye/ die tugentsame vnnd dem gemeinen Wesen nützliche Männer freundlich empfahe/ die vnreine vnd schendliche Schmeichler vnd Lügner aber mit ernst abschaffe.« Weitere Belege zum Heroischen bei Malvenda ebd., im Zusammenhang mit der Beständigkeit. Malvenda: Spiegel eines christlichen Fürsten, S. 285. Zur impliziten MachiavelliKritik auch ebd., S. 335f., über den nicht »auff die Rechten vnnd Religion«, sondern »auff den Nutz/ Glori und Ehr« begründeten Krieg; ebd., S. 124-132, für die Bibel und gegen die antiken Exempla als Quellen eines fürstlichen Heroismus. Malvenda: Spiegel eines christlichen Fürsten, S. 208.

226 »Christliche/ Heroische Tilgend«, die sich in der Haltung des potentiellen Märtyrers im Kampf gegen Sektierer und Praedicanten äußert: Lieber wolte er sich allein mit Wasser vnnd Brot erhalten; lieber mit Weib vnd Kind/ vnd einem weissen Stäblein in der Hand sich ins Ellend begeben; lieber von Hauß zu Hauß das Brot bettlen; lieber zu Stucken zerhawen vnnd zerrissen werden: Als daß er das Vnbill länger leyden wolte/ so Gott vnnd seiner Kirchen in seinen Ländern biß auff selbige Zeit erwiesen worden.295

Die Grundhaltung heroischer Frömmigkeit und Selbstverleugnung illustriert Lamormain unter verschiedenen Aspekten. Sie ersetzt eigene Kriegstaten: »Offtermalen wann der Kayser ein absonderliches Werck der Andacht öffentlich verrichtet hatte/ ist diese Stimm vielfeltig von vielen gehört worden: Heut hat der Kayser abermal etlich tausent seiner Feindt in die Flucht geschlagen.« 296 Bei der Fronleichnamsprozession, an der Ferdinand stets »zu Fueß/ mit entdecktem Haupt/ mit einem schlechten Kräntzlein von Rosen auff dem Kopff« teilnimmt, will er selbst ein Windlicht tragen, obwohl noch vom Vortag »jhme der Arm zusambt der Handt auffgeschwollen ware.« 297 U m die erste Vesper am Samstag nicht zu versäumen, will der Kaiser seine Pferde opfern: »Lasset sie verrecken/ wann wir nur zur Vesper kommen: Es werden andere nicht manglen die vns ziehen werden.« 298 Unter den moralischen Tugenden hebt Lamormain Ferdinands »Beständigkeit« hervor, mit der »er alle Widerwertigkeiten außgestanden«: »Aber dieses alles hat Ferdinandus standhafftig übertragen: Sich niemalen verlohren/ sondern jederzeit eines bessern erwartet.« 299 Zur heroischen Ausstattung gehört auch die providentiell gesicherte Sonderstellung, erkennbar als »Augenscheinliche Göttliche beschützung vnd obhandt«. 300 Der heroisierende Effekt demütiger Selbstvernichtung beruht nicht auf der Zugehörigkeit der Humilitas zum Kanon der christlichen Tilgenden, sondern in ihm setzt sich das Inszenierungskalkül des Verfassers durch. Einen Hinweis darauf findet man in dem Verhältnis von Humilitas und Majestas, das der Relation von Gravitas und Grazie analog angelegt ist. Der Text erklärt das eigene Verfahren wirkungsintensivierender Selbstverkleinerung: Ferdinands »fürtrefliche Holdseeligkait vnd freündlichkait der Sitten« habe ihm keine »Verachtung oder geringschätzung« eingetragen, »sondern vermehrete jme mercklich neben der Lieb/ auch das Ansehen.« So bekennt der tartarische Botschafter, er »seye von dem Glantz ertattert/ welchen die Maje-

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Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tugenden, S. 4; 7. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tilgenden, S. 17. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tilgenden, S. 24f. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tilgenden, S. 31. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tilgenden, S. 77f. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers Tilgenden, S. 128; vgl. die Beispiele S. 128-131.

227 stät deß Kaysers von sich gäbe.«301 Castigliones Vorgehensweise vergleichbar läßt sich die demütige Zurückweisung als wirkungsvoller Auftritt entschlüsseln: Als er von dem Regenspurgischen Churfiirsten Tag widerumb anhaims raisete/ wolte jhne die Statt Wienn/ vnnd das gantze Ertzhertzogthumb Oesterreich auff das aller stattlichist empfangen/ vnnd ware darzu schon alles fertig. Er aber befahle auß angeborner demuet/ daß jhme der Adel nicht entgegen ritte/ wie derselbe auff das ansehlichiste zuthun gesinnet ware: Sondern seiner Ankunfft zu Hof erwartete; allda er jedermann zuesprechen wolte. Damit aber dannoch weder der Adel noch die Burgeschafft muetmassete/ als ob er jhre Dienst verschmähete/ Sprach er: Sparen sie solches/ vnnd erweisen es dem Römischen König welcher bald hie sein wird.302

Um Ferdinand vom Verdacht der Ehrsucht freizuhalten, läßt Lamormain den kaiserlichen Glanz im Spiegel seiner Umgebung erscheinen: Es sei »ein sehr grosses Wunder/ daß auch seine Feindt selbsten jne allzeit sehr hoch geschätzet/ vnd der beständigen Mainung gewest/ er sey voll Heroischen Tugenden/ vnd ein Heiliger Kayser.«303 Während man allgemein die Kaiserwahl als Sieg über die Feinde feiert, ist der Kaiser »vnder so vielfältigen Frewden mit grosser Beschaidenheit frölich gesehen worden/ vnd hat den Widersachern mit keinem ainigen Wörtlein jchtes fürgestossen.«304 Demselben Zweck dienen auch »Grosser Personen Zeugnussen der Tugendt Ferdinandi«, die das Werk beschließen.305 So erweist sich die Frömmigkeitsattitüde der asketischen Selbstvernichtung im Horizont des Texts als Dissimulation, als Verkleidung, die wie ungewollt beim Leser ein dahinterstehendes Größenbild - »eines Risen Leib«306 - generiert: »Daher kam die demütige Ehrerbietung gegen jhrem Herrn Vattern/ vnd das er von jhnen gleichsamb als ein jrrdischer Gott verehret/ vnd sie hergegen von jhme sehr geliebet/ vnd auch geehret worden.«307 Die scheinbare Unansehnlichkeit des Monarchen im Büßerhabit rechnet in Wirklichkeit auf einen Anschaulichkeitseffekt, der auf dem Gefälle zwischen der Erscheinung des Kaisers und seiner Macht beruht. Die Aufmerksamkeit 301

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Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers lügenden, S. 102. Vgl. auch ebd., S. 94, zur »Sanfftmuth« als »aygentliche[r] Tügendt der grossen Potentaten«: »Durch diese vergleichen sie sich mit Gott am allermaisten/ dann auch derselbe erhöhet offtermalen einen büssenden Sünder mehr als die jenigen/ so niemahls schwärlich gesündiget haben.« Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers lügenden, S. 66. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers lügenden, S. 126. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers lügenden, S. 81. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers lügenden, S. 132-140. Vgl. auch das Kapitel »Wunderwürdige Ding an Ferdinando«, ebd., S. 124-127. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers lügenden, S. 3. Lamormain: Ferdinandi II. Römischen Khaysers lügenden, S. 55. Da Lamormain das politische Stereotyp des Fürsten als »irdischen Gotts« auf die Verehrung Ferdinands als Familienvater bezieht, dissimuliert auch diese Stelle politische Macht. Zu Ferdinand als Exemplum auch ebd., S. 5.

228 des Lesers wird letztlich nicht auf die zu imitierende Tügendausstattung gelenkt, sondern auf die dimensionslose Autorität des Fürsten. Zwar kann die Person des Kaisers mit Hilfe von Tugendkategorien nicht beschrieben werden, doch ist schon die Frage nach der Moralität seines Handelns ausgeschlossen. Er scheint so über allen Partikularinteressen zu stehen und sichert sich damit eine unüberbietbare Position. Daß bereits diese Konstruktion nicht ohne den Begriff des Interesses denkbar ist, sucht der Text unkenntlich zu machen. Auch die Neigung des Tugendspiegels, dem Leser anstelle des politischen Handelns die Frömmigkeitspraxis zu präsentieren, läßt sich jetzt als Kunstgriff erkennen, der die Rolle des Kaisers als Verkörperung politischer Macht dissimuliert. Insgesamt liefert Lamormain kein Handbuch der psychologischen Steuerung durch Reputation nach Boteros Muster, sondern ein Beispiel praktischer Umsetzung solchen Wissens. Anders als Lamormain, der die kaiserliche Größe indirekt zur Geltung bringt, läßt Spattenbach den Fürsten unmittelbar im heroischen Ornat auftreten. Mit seiner Politischen Philosophie stelle ich dem aus der Tugendspiegeltradition erwachsenen konfessionell-politischen Exemplum ein Absolutismusprogramm auf der Grundlage einer nachdrücklich ausgeführten Gottesgnadenlehre gegenüber. Der Verfasser bestimmt die monarchische Staatsordnung als Analogie zur von Gott gegebenen Natur- und Weltordnung. 308 Seinen Ausführungen von »der Souuerenitet oder absoluten Macht« zufolge ist etwa die »Macht Krieg zu führen unzertrennlich von der Souuerenitet«, geht aber nicht aus dem »Politischen Gesatz« hervor, sondern ist »ein Werck der Göttlichen Weißheit/ welche das Schwerdt unter den König Händen gelegt«, um »das gebührende Interesse ihrer Cron/ und die Freyheit ihrer Unterthanen zu beschützen.« 309 Einen Hinweis auf die konkreten politischen Motive des Werks findet man in den Bemühungen, den Habsburgerkaiser zum absoluten Herrscher zu erklären. 310 Der literarische Gestus der »politischen Philosophie« ist jedenfalls nicht (wie bei Lamormain) der eines psychologisch kalkulierenden Tugendspiegels, sondern der einer fürstenspiegelartig umgesetzten politischen Theorie. Zwar enthält die Darstellung einzelne adhortative Elemente, 311 doch dominiert die aufwendige Präsentation eines fürstlichen Größenbilds. Diesem Zweck dienen die Ausführungen zu Maj estas, »Würde« (Dignitas, Auctoritas) und Reputation. Obwohl Spattenbach den Begriffen jeweils eigene Kapitel widmet, lassen sie sich nicht scharf auseinanderhalten. Alle fu-

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Spattenbach: Politische Philosophie, S. 27; 42. Spattenbach: Politische Philosophie, S. 109. Spattenbach: Politische Philosophie, S. 102-105. Vgl. Spattenbach: Politische Philosophie, S. 29 zu den Herrschertugenden; S. 51f. zu den lügenden als Quelle der Majestät; S. 86f. zu den Exempla majorum; S. 142f. zur Reputation als Mittel der Fürstendisziplinierung.

229 ßen auf einem Tugendfundament; 312 Majestät ebenso wie Würde sind dem Verfasser zufolge von Gott verliehen. 313 Besonders unter dem Wirkungsaspekt verwischt Spattenbach die Grenzen. Seinem Hinweis, die Autorität werde »mehrer theils durch die Forcht und strenge Herrschung erhalten [...], hingegen die Reputation in der Liebe deß Volcks«, stehen wenig später die Bemerkungen gegenüber, die Reputation halte die Mitte »zwischen der Lieb/ und Forcht«, und manchem Fürsten habe »vielmehr zu seiner Beförderung die Reputation, alß die Lieb gedient«. 314 Offenbar liegt das Hauptinteresse nicht in der scharf trennenden Begriffssystematik, sondern in der Inszenierung des Fürsten. Darauf deuten auch die erkennbaren Schwerpunkte. Wenn Spattenbach die Majestät - womit der auf den lügenden fußende und von Gott verliehene Glanz gemeint ist - und die Würde (die auf den Effekt staatlicher und psychologischer Stabilisierung zielt) jeweils in eigenen, dem Reputationskapitel vorausliegenden Abschnitten behandelt, so entspricht dies der Aufmerksamkeit, die er auf Kosten politisch-strategischer Lehren (des eigentlichen Gebiets der Reputationstheorie) der Entfaltung anschaulichen Glanzes schenkt. Obwohl er, vor allem im Umfeld von Dignitas und Auctoritas, auf dem Boden einer durch die Tradition gesicherten Herrschersymbolik steht, bekommt dieser Ausbau den Charakter einer aufwendigen Amplifikation. Spattenbach will in der Politischen Philosophie eine absolutistische Doktrin vortragen und gleichzeitig das erforderliche Charisma des Fürsten vor jedem Verlust an Glaubwürdigkeit bewahren. Doch die Verbindung von politischem Kalkül und heroischem Fürstenbild, die aus Legitimationsgründen unverzichtbar wäre, erweist sich ohne weitere literarische Stützmaßnahmen als nicht bruchlos darstellbar. - Die Ausstattung, die Spattenbach seinem Fürstenbild zubilligt, übertrifft bei weitem die Vorgaben der übrigen Reputationslehren. Hinter der Majestät soll jeder gezielte politische Eingriff unsichtbar werden. Der Verfasser will die fürstliche Aura durch einen Ausbau ihres Glanzes gegen den Verdacht immunisieren, sie sei politisch verfügbar. »Reputation« wird dazu eingesetzt, Legitimationsschwächen zu überbieten freilich nur, um sie tatsächlich zu potenzieren. Um seine Überzeugungskraft zu bewahren, kann das heroische Fürstenbild nicht gelehrt, sondern muß präsentiert werden. Gerade deshalb nähert sich die Politische Philosophie dem panegyrischen Ton an. In den Ausführungen über Majestät und Würde setzt Spattenbach die Gottesgnadenlehre in eine Ausstattung der Fürsten mit rational nicht faßbarem Glanz um. Die Majestät bekommt gleichzeitig das Charisma des Geheimnisses; der Verfasser präsentiert den Fürsten in auratisierter Erscheinung: 312 313 314

Spattenbach: Politische Philosophie, S. 46; 87; 139£ Spattenbach: Politische Philosophie, S. 67; 68; 92 u.ö. Spattenbach: Politische Philosophie, S. 127,139, 140.

230 Der ursprung der Königlichen Majestät ist so hoch/ sein Wesen so verborgen/ sein Macht so unbegreifflich/ daß man sich nicht verwundern dörffe/ wann dieselbe gleich alß wie ein himmlische Sach von dem Menschen will verehret: Hingegen aber von deroselben Verstand nit ergründet werden; umbwillen dero Hochheit die Menschen erschreckt/ dero Glantz dieselbe verblent/ ihro herrlicher Pracht/ welcher die Bildnuß eines ewigen Tryumphs repräsentirt/ halt zuruck die Kräfften/ und Tilgenden in ihren Seelen/ und erscheint/ daß eben mit diesem Band/ mit welchem sie der Monarchen Häupter so glorwürdig umbbindet/ uns zugleich die Zunge binde/ damit wir von derselben nicht reden sollen.315

Die Lehre von der Majestät als göttlichem Abglanz will das Charisma vor der Absichtlichkeitsvermutung bewahren: Gott habe den Königen »so viel Glantz der Glory und Maiestät mitgetheilet/ daß man leichtlich hat urtheilen können/ daß er sich selber allda abgemahlen«. 316 Spattenbach lehrt, »Könige und Käyser« hätten »zwar in ihnen selber ein grosse Würde«, doch ohne die »heilige Salbung« seien sie »beraubt der Majestät/ welche allein durch den Scepter und Cron will erkent werden.« 317 Ebenso befindet er, die königliche Würde sei keine menschliche Erfindung: »Gestalten dann auch dero Hochheit gnugsam andeut/ daß ihre Züg nit von einer menschlichen/ sondern göttlichen Hand allein gezogen worden.« 318 Die umfangreichen Ausführungen zur Reputation bestätigen, daß in der »politischen Philosophie« die Präsentation eines heroischen Fürstenbilds dominiert. Unter diesem Aspekt erläutert Spattenbach in erster Linie »den Ursprung dieser fürtrefflichen unnd hohen Meynung/ welche das Volck von seinem Fürsten schöpfft«. 319 Dabei verzichtet er weitgehend darauf, nach dem Muster von Botero und Saavedra Fajardo praktische Details dieses politischen Kontrollinstruments darzulegen. In der Tendenz ergreift er weniger die Gelegenheit, über die Handhabung des Reputationsinstrumentariums zu belehren, sondern rückt die Erscheinung des Fürsten in seiner »Glory« in den Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang belegt die Abhandlung erneut, daß der Topos »de virtute heroica« von der Reputationslehre aufgenommen werden kann. Spattenbach greift auf die Infusionstheorie zurück, um sein Bild des von Gott verliehenen, charismatisch beglaubigten und von Partikularinteressen unberührten Fürstenamts zu bekräftigen. Reputation gehe aus der Tilgendperfektion hervor; ihr entsprechen militärische und zivile Großtaten, Verdienste, die »der andern Menschen ihre weit übertreffen«, und Anzeichen, »daß ihn der Himmel in seiner Geburth mit einer solchen herrlichen Qualitet geziert/ welche denselben über andere Menschen erhebt/ und von denenselben unterscheidet.« 320 315

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Spattenbach: chen Würde. Spattenbach: Spattenbach: Spattenbach: Spattenbach: Spattenbach:

Politische Philosophie, S. 45. Entsprechendes ebd., S. 68, zur königliPolitische Politische Politische Politische Politische

Philosophie, Philosophie, Philosophie, Philosophie, Philosophie,

S. 67. S. 57. S. 71; vgl. auch ebd., S. 95. S. 119. S. 127.

231 Sorgfältig umgeht der Verfasser die Gefahr, lehrend aufzudecken, was ipso facto sofort um seinen Effekt gebracht wäre. 321 Wiederholt betont er die Unerklärlichkeit oder Undefinierbarkeit von Majestät oder Reputation, womit beide der Gefahr der Künstelei zu entgehen scheinen. Selbst die »sinnreichste Menschen« könnten nicht begreifen, »woher doch komme daß so viel feste und gleichsam unbewegliche Städt [...] sich einem eintzigen Menschen/ ja offt einem Kind unterwerffen/ und wegen dessen Heyl ihnen alle Gefahr kostbar vorkomt/ das Leben weniger lieb/ als die Ehr/ die sie in ihrer Unterthänigkeit finden.« Keineswegs sei glaubhaft, »daß dieses aus einer natürlichen Bewegnus hervor quelle«. 322 Von der Majestät solle man nicht reden, denn »schlecht und gering darvon zu discurriren/ ist eben so viel/ alß dieselbe verletzen/ man kan auch dero heimlich Bewegnussen viel besser empfinden/ alß mit Worten außdrucken.« 323 Für die Reputation gilt, daß ihr Wesen »recht zu ergründen/ [...] den Politicis nicht weniger Schwehr zu erklären [ist]/ als den Philosophen hart ankombt ein Sach zu beschreiben/ deren sie nur eine unvollkommene und weitläufftige Erkantnuß haben.« 324 Daß die Darstellung fürstlicher Größe die technische Diskussion zurückdrängt, demonstriert erst recht die >Definition< von »Reputation«. Der Verfasser bemüht sich nicht um eine genaue Festlegung, sondern baut panegyrisch den Ruhm-Aspekt aus. Dabei greift er auf das Wissen zurück, daß >Reputation< als rhetorisches Werkzeug, das »Zeit/ Gelegen- und Beschaffenheit der Unterthanen« beobachtet, 325 sich einer präzisen inhaltlichen Bestimmung entzieht. Reputation sei »ein kostbahre Beylag/ oder depositum der Gedächtnuß; Ein reicher Schatz deß guten Namens: Die Belohnung eines Fürsten Müh und Arbeit/ die Cron seiner Siegen«, darüber hinaus ein an jedem Ort und zu jeder Zeit gegenwärtiger »Triumph«; man irre auch nicht, wenn man sie »für den herrlichen Klang/ der sich von den großmütigen Vollbringungen hoher Unterfangungen hören last/ nehmen thäte/ oder auch für den Glantz der Glory/ zu dero sich die Fürsten aus angebohrner Tapfferkeit verloben«. 326 In ähnlichem Ton preist Spattenbach die Wirkung der heroischen Tilgenden: Sie stürzen »vns in grosse Verwunderung«, stellen »ihre Schönheit desto lebhaffter vor unsere Augen/ und geben der Reputation einen solchen starcken Glantz/ daß sich ihre Stralen an allen Orten der Welt außbreiten und sehen lassen.« 327 Die »mittelmässige Tugend« wecke Liebe,

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Grundsätzlich zu diesem Problem Hinz: Rhetorische Strategien des Hofmannes, S. 11-36. Spattenbach: Politische Philosophie, S. 68. Spattenbach: Politische Philosophie, S. 45. Spattenbach: Politische Philosophie, S. 128f. Spattenbach: Politische Philosophie, S. 139. Spattenbach: Politische Philosophie, S. 1291 Ebd., S. 128t zu den grundsätzlichen Definitionsschwierigkeiten. Spattenbach: Politische Philosophie, S. 125.

232 »aber die Helden allein/ welche zu der Glory gebohren seynd/ verehret man wie die Götter.« 328 Spattenbachs Werk ist schon in seiner literarischen Anlage darauf ausgerichtet, die Kunstfertigkeit des heroischen Auftretens, damit aber die politische Macht zu dissimulieren. Der Fürst erscheint selbst als >KunstwerkMehrwertpolitischen< Reputationstheorien vor. Doch verfolgen Geschichtsschreibung - nicht zuletzt die Spezialdisziplin der Genealogie - und Literatur dasselbe Projekt, insofern sie die heroischen Konzeptionen zum Gegenstand kalkulierter Steigerung machen und Autorität in heroischen Größenbildern erzeugen wollen. Dieser Teil der Untersuchung gilt demnach der Fürstenpanegyrik in einem weitgefaßten Sinn und unter einem engergefaßten Aspekt. Auch schon mit Blick auf die AramenaInterpretation sollen die folgenden Ausführungen zeigen, daß das Genealogie-Thema nicht nur ein Locus communis ist, sondern Konstruktionsfragen aufwirft, die die politischen Heroismuskonzepte überhaupt betreffen. Grundlegend für den Reputationsertrag der Genealogie ist der Altersund Kontinuitätsbeweis. Wie die heroische Symbolik insgesamt, so geht auch das Alter des Geschlechts nunmehr in den Kreislauf von interessierter Kontrolle und Dissimulation ein. In bezug auf die Genealogie kehrt das Zusammenspiel von >konservativer< Machterhaltung und technischer Umgestaltung wieder, das sich als charakteristisch für die politische Psychologie des 17. Jahrhunderts erwiesen hat. In seinen Ausführungen über den Nutzen dieser Wissenschaft vermerkt Johann Justus Winkelmann im Rückgriff auf die Terminologie, die wir schon aus der Lehre vom Ansehen kennen: »Dem Alter gebührt überall seine Ehre; das Alter von Orten oder eines Gegenstands, wenn es sich nachweisen läßt, ist mit Vorzüglichkeit, Auctoritas und Dignitas umgeben, weil es ja das Bild des Vergangenen, das die gefräßige Zeit sonst gänzlich vertilgt hätte, wie in einem Spiegel zurückwirft.« 10 Leibniz sekundiert, wenngleich mit dem Akzent auf den Taten: Edle Ursprünge und altererbte Historien fördern aber mit besonderer Kraft den Ruhm und spornen zur Tugend an. Denn Größe und Leistungen der Ahnen mehren die Verehrung, die die Nachkommen genießen, und reizen die Großherzigen zu dem Bemühen, den Verdiensten der Vorfahren gleichzukommen oder sie sogar zu übertreffen.11

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von Wolfenbüttel als Bescheidenheitsgestus und zur Glaubwürdigkeitssicherung ausgerechnet im Rahmen einer großangelegten genealogisch-panegyrischen Sammlung. In bezug auf die rhetorische Funktion des genealogischen und des genealogiekritischen Arguments tritt kein Spannungsverhältnis zwischen beiden auf: »Die Welt schon kennt den Stamm/ aus welchem Du gezweigt. | Ein andrer mag allein mit fremden Federn prangen/ | in dem der Ahnen Liecht verloschen und vergangen; | Er mag/ vom alten Haus/ sich Edel zehlen her. | Jhn schändet/ ziert er nicht sich selber/ diese Ehr.« Winkelmann: Arboretum genealogicum heroum europaeorum, S. 5: »Antiqvitati suus debetur honos ubique; locorum & rei alicuius antiqvitas, si demonstretur, prae se fert excellentiam, authoritatem & dignitatem, siqvidem imaginem rerum praeteritarum tanqvam in speculo repraesentat, qvas tempus edax rerum aliâs totaliter corrupisset.« Zum Verfasser Wiedemann: Kennen Sie Johann Justus Win(c)kelmann? Leibniz: Undatierte Denkschrift von 1690/91, Leibniz-Nachlaß in Hannover, Ms 23,

236 Schottel erkennt im Rahmen eines primär sprachbezogenen Räsonnements im Alter eine Quelle des Charismas: »Es ist [...] unserem Gemüte angeboren eine sonderliche Werthaltung/ Furcht/ Liebe/ und Andacht zu demselben/ was alhie zu vielen Jahren komt und alt wird.« 12 Die Bedeutung der Genealogie wird ebenfalls in der politischen Fachliteratur reflektiert (wenngleich dieses Thema in den umfassenden systematischen Lehrwerken keine Rolle spielt). Einschlägige Passagen fallen hier weitgehend mit dem Verweis auf die Exempla maiorum zusammen, die ihren Sinn, wie wir sehen konnten, nicht allein in der moralischen Belehrung des Regenten haben, sondern auch in der an die Untertanen adressierten Präsentation eines eindrucksvollen Fürstenbilds. 13 Die Reputation, die das an den Vorfahren orientierte Verhalten einbringt, muß sorgfältig gepflegt werden. Guevara schreibt: Welcher Edelman derwegen sich zu einer Partey begibt/ nach seiner eignen fantasey/ vnd sich der jenigen entschlegt/ welche von seinen Vorfahrn ist geehrt worden/ derselb wirt sein Gut bald hindurch bringen/ vnd die reputation vnd guten Namen seines Hauses verlieren. 14

Natürlich fußt die Rekonstruktion von Stammbäumen auf einer langen Tradition und hat in der politischen Praxis des ganzen Mittelalters ihren festen Platz. 15 Bizzocchi hat gezeigt, daß die reiche Produktion von Schriften zur Genealogie in der frühen Neuzeit auf einem historischen Traditionalismus< basiert, einer mentalitätsartig eingewurzelten Überzeugung von der Autorität der Geschichte, die allen spezifischen Anwendungen in politischen oder konfessionellen Konflikten vorausliegt und nicht von der Überzeugungskraft quellenkritischer Argumente abhängt, da das Ergebnis stets schon feststeht. 16 Doch die Bemerkungen über den Zusammenhang von Alter und Autorität legen schon die Vermutung nahe, daß das durch Genealogie begründete Ansehen selbst nunmehr in die Hände der Staatsräson geraten und dort im Sinn der Interessenpolitik rationalisiert werden kann. Welcher Signalwert in diesem Zusammenhang dem Umstand zukommt, daß Staatsräson-Theoretiker wie Saavedra Fajardo und Scipione Ammirato auch als Genealogiker hervortraten, mag dahingestellt bleiben. 17

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251, Bl. 1 - 2 , zit. nach Schröcker: Die deutsche Genealogie im 17. Jahrhundert, S. 433: »Habent autem origines illustres et Historiae avitae momentum insigne tum ad gloriam, tum ad incitamentum virtutis. Majorum enim magnitudo et merita venerationem posteris addunt, et generosas animas inflammant, ut aequare laudes eorum, vel etiam vincere connitantur«. Schottel: Ausführliche Arbeit von der Teutschen HauptSprache, S. 29. Beispiele: Richter: Axiomata Politica, Praefatio (unpaginiert); Saavedra Fajardo: Abris eines christlich-politischen Printzens (1674), S. 169; 332; ders.: Abriss (1655), S. 835. Feist: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten, S. 264-269. Guevara: HofSchul, S. 87r. Für einen Überblick vgl. Bizzocchi: Genealogie incredibili, S. 156-187; Jan-Dirk Müller: Gedechtnus, S. 190-197. Bizzocchi: Genealogie incredibili, S. 214-216; 234; 247. Diego de Saavedra Fajardo: Corona Gothica, Castellana y Austriaca, politicamente

237 Dies besagt nicht, daß die »epidemia cinque e seicentesca delle genealogie«18 mit der These von einem machtstrategischen Propagandainstrument hinreichend erklärt wäre. Doch sollte deutlich werden, vor welchen besonderen Aufgaben die Genealogien des 16. und 17. Jahrhunderts stehen: Es gilt, angesichts zersetzender Kräfte am legitimatorischen Potential der Ursprungssuche festzuhalten. Die neuen politischen Handlungsbedingungen gehören zu den Faktoren, die verändernd auf die Genealogie-Konzeptionen einwirken. 19 Von den beiden praktischen Stoßrichtungen, der Steigerung historischer Glaubwürdigkeit (z.B. durch Perfektionierung des Systems und größeren dokumentarischen Aufwand) und der suggestiven Ausschmückung und Anordnung kommt hier zunächst die erste zur Sprache. Deutliche Hinweise auf den politischen Nutzeffekt der Ahnenverehrung liefert Boxhornius, der - allerdings ohne ausdrücklich die Altersfrage einzubeziehen - in seinen Institutionum politicarum libri duo die Würde der Vorfahren demselben Schutz unterstellt, den die Maiestas des Fürsten genießt. Damit erscheint die Ahnenverehrung als Teil der stabilitätsdienlichen Reputationstaktik: »Es ist von größtem Nutzen für die Wahrung der Maiestas, sie in den Vorgängern und ihren Taten, die aus der Maiestas herrühren, ständig zu hüten und zu bewachen, und eine Bestrafung der Majestätsbeleidigung unter den Vorgängern als Schutz der eigenen Majestas anzusehen.« 20 Boxhornius hält es auch für notwendig, die Anordnungen und Erlasse der Vorgänger heilig zu halten: »Denn jeder Fürst gilt so viel, wie er jene schätzt, denen er nachfolgt.« 21 Daß Spattenbach besonders ausführlich auf den Reputationseffekt der »Elte des Stammens« 22 eingeht, entspricht der Grundanlage seines Werks, das auf die Darstellung fürstlicher Maiestas ausgerichtet ist. Seine Politische Philosophie betont den irrationalen, geradezu magischen Glanz der genealogischen Reihe. In ihrer suasiven Absicht fallen Spattenbachs Bemerkungen um so mehr auf, als der zeitgenössischen politischen Theorie geläufig war, daß herausragende Herrschereigenschaften keineswegs durch Vererbung

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¡Ilustrada, Münster 1646; Scipione Ammirato: Delle famiglie nobili Neapoletane, Florenz 1580. Vgl. Bizzocchi: Genealogie incredibili, S. 245, 251. Bizzocchi: Genealogie incredibili, S. 263. Bizzocchi: Genealogie incredibili, S. 77, wendet sich gegen das fürstliche Interesse und die Machtstrategie als Erklärung für den »delirio genealogico« (S. 39). Ich versuche dagegen, Aspekte des politischen Denkens auch für dieses Phänomen ins Spiel zu bringen, ohne die Vorstellung von einer übergreifenden Autorität der Geschichte zu beeinträchtigen. Boxhornius: Institutionum politicarum libri duo, S. 16: »Ad Majestatem conservandam conferì, plurimùm, earn in praedecessoribus, atque actis eorum, ex Majestate profectis, perpetuò observare & tueri, & poenam laesae in praedecessoribus Majestatis, pro munimento habere suae Majestatis.« Boxhornius: Institutionum politicarum libri duo, S. 126: »Tanti enim qvisque Principum fit, qvanti ipse eos facit, qvibus succedit.« Spattenbach: Politische Philosophie, S. 48.

238 weitergegeben werden und der gemäß dem Primogeniturprinzip erbberechtigte Nachfolger durchaus nicht immer der fähigste war.23 Das GenealogieArgument zielt auf eine charismatische Herrschaftslegitimation.24 Der Stammbaum verwandelt sich dabei in eine suggestive, durch Anschaulichkeit wirkungsmächtige >Inszenierunghistorische< Differenzen natürlich wahrgenommen werden - nicht unter dem Aspekt des Wandels in der Zeit, sondern als topischer Dispositionsraum, in dem die Heldensprache ursprungsnah angeordnet ist. 42 Die einschlägigen Werke konstruieren eine Genealogie der Sprachen, die für die deutsche (gemeinsam mit wenigen weiteren, etwa der griechischen und hebräischen) die unmittelbare Abkunft aus der babylonischen Sprachenverwirrung oder wenigstens nach der hebräischen eine Ursprungsaffinität beansprucht 4 3 und konkret auf Ascenas 4 4 und über ihn auf Noahs Sohn Japhet zurückführt. Die deutsche Sprache ist ja/ die sich mag von Babels Zeiten preisen/ Von wannen Ascenas/ des grossen Gomers Sohn Und aller Helden Haupt/ gebracht denselben Thon/ Der uns noch heute kan die teutschen Wurzeln weisen.45 Gemeinsamer Assoziationsrahmen des Ursprungs ist für die sprachgeschichtlichen Konstruktionen die göttliche Abkunft. 4 6 Die sprachlichen Argumente für diese Theorien stammen aus der Etymologie, die Schottel in seiner Lehre von den »Stammwörtern« zusätzlich morphologisch stützt. 47 Solche Nach-

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Für Formulierungen zu diesem Problem vgl. z. B. Schottel: Ausführliche Arbeit von der teutschen HauptSprache, S. 30; 48. Diese Einschränkung bei Gueintz: Deutscher Sprachlehre Entwurf, S. 9. Vgl. dagegen den Hinweis von Wagner: Ehren-Ruff Teutsch-Lands, S. 3, wonach Hugo Grotius »uns den frommen Aschenaz entziehen/ und hingegen den abscheulichen Magog/ für einen Stammen-Vattern [...] aufftringen wil«. Kempe: Neugrünender Palm-Zweig, Z. 265-268, in: Die Fruchtbringende Gesellschaft, Abt. C, Bd. 1, S. 171. Weiteres in Kempes »nohtwendigen Anmerkungen« zu dieser Stelle, ebd., S. 232-234. Zur biblischen Genealogie des Deutschen auch Schottel: Ausführliche Arbeit von der Teutschen HauptSprache, S. 34. Schottel: Ausführliche Arbeit von der Teutschen HaubtSprache, S. 33, bemerkt, bei der babylonischen Sprachverwirrung seien keine neuen Sprachen erschaffen, sondern die adamitische Sprache »zerworren/ verdorben und zerteihlet« worden. Auf diese Weise bleibt die Teilhabe an der ursprünglichen »allervollenkommeste[n] Ertzsprache« gewahrt. Zur Diskussion um die Abstammung des Deutschen von »dem sagenhaften, aus der Erde geborenen Gott Tuisto« Gardt: Sprachreflexion in Barock und Frühaufklärung, S. 351f. Allgemein zum Göttlichkeitsnachweis als Interesse der Genealogien Orgel: The Royal Theatre and the Role of King, S. 262; ders.: The Example of Hercules, S. 26. Zur Rückführung auf göttliche Ursprünge in den homerischen heroischen Genealogien Bizzochi: Genealogie incredibili, S. 107. Ein besonders extensives Beispiel für etymologische Argumente bietet Wagner: Ehren-Ruff Teutsch-Lands, der z.B. S. 9f. nachweisen will, daß das Italienische durch Vermischung des Gotischen (also des Deutschen) mit dem Lateinischen entstanden sei. Zu Schottels Stammwort-Theorie vgl. u. a. Ausführliche Arbeit von der Teutschen HauptSprache, S. 41f. Ein kurzer Hinweis auf die Stammwortlehre bei Gueintz: Deutscher Sprachlehre Entwurf, S. 11. Zur Vorgeschichte der Theorie bei Vives und Goropius Becanus Borst: Der Türmbau von Babel, S. 1137-1139; 1216.

243 weise gelten zugleich als Belege für das Alter der deutschen Nation selbst. Zwischen dem etymologischen Interesse an der Nähe zur vorbabylonischen Erzsprache, die die ursprüngliche Ordnung der Dinge benennt, und dem genealogischen an den Wurzeln des Stamms besteht eine Strukturhomologie, auf die ich an dieser Stelle nur verweisen kann. 48 Sie wird uns im Zusammenhang mit Anton Ulrichs Aramena noch einmal kurz beschäftigen. Die Altersprobe für die deutsche Sprache zielt auf die Abstammung in direkter Linie. Wagner will beweisen, daß Quellen über die Franken sich nicht auf die Franzosen, sondern auf die Deutschen beziehen: »Allermassen wir deß jenigen Volcks/ welches zu alten Zeiten ins gesambte die Francken genennet worden ist/ die rechtmässige und die gerade Zeil absteigende nachkommen seynd«.49 Der Kontinuitätsbeweis dokumentiert zugleich sprachliche Reinheit, die Ursprungsaffinität begründet einen sprachlichen Universalitätsanspruch. Schottel verkündet: »Dieses bleibet aber wahr/ daß diese uhralte Hauptsprache der Teutschen in jhren Gründen jhr eygen/ rein und Welträumig ist«. 50 Eine geringere Dignität haben demgegenüber die abgeleiteten und vermischten Sprachen, die sich auf keine unmittelbare Abkunft berufen können - unter ihnen z.B. die französische.51 Ein analoger Anspruch auf Vorrang liegt den adelsgenealogischen Konstruktionen zugrunde. Die Genealogie produziert so ein System von Haupt- und Nebenlinien, das zugleich als Hierarchie konzipiert ist und in den >heroischen< nachbabylonischen Ursprungssprachen gipfelt. Die »Teutsche Helden- Herren- und Grund Sprach« weiche »weder der Griechischen/ noch einer andern im geringsten auß«, weil »doch beyde von einem Künstler bey Erbauung deß Babylonischen Thurnß seynd verfertiget worden.« 52 Den Lehren von der deutschen »Heldensprache« liegt insofern ein Überbietungsgestus zugrunde. Für die anderen europäischen Sprachen findet man analoge Versuche.53 Offenbar genügt es aber für die Genealogien des 17. Jahrhunderts nicht, den Altersbeweis und seine Bedeutungsaspekte zu benennen. Denn so bliebe unberücksichtigt, daß die Konstruktion selbst in den Vordergrund rückt. Die Beispiele lassen erkennen, daß - nicht erst aus der historischen Rückschau die heroischen Genealogien stets den Aspekt des Hergestellten mit sich 48 49 50

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Dazu für das Mittelalter Bloch: Etymologies and Genealogies, S. 83-87. Wagner: Ehren-Ruff Teutsch-Lands, S. 35. Schottel: Ausführliche Arbeit von der Teutschen HauptSprache, S. 32. Vgl. auch Gueintz: Deutscher Sprachlehre Entwurf, S. 10: »Aber die Deütsche alleine kan sich als eine reine Jungfrau von frembden sprachen enthalten/ und mag deswegen desto leichter gefasset werden.« Vgl. Wagner: Ehren-Ruff Teutsch-Lands, S. 37, über die Herkunft des Französischen aus dem Griechischen und Lateinischen. Vgl. auch S. 41 über die Franzosen als »eine von Griechen und Lateinern zusammen geflickte« Nation. Wagner: Ehren-Ruff Teutsch-Lands, S. 37. Beispiele in dem von Peter Wunderli herausgegebenen Sammelband »Herkunft und Ursprung«.

244 führen. Doch halten wir zunächst fest, daß auch in die genealogischen Bemühungen der frühen Neuzeit der Anspruch auf historisch-kritische Untermauerung und dokumentarische Nachweisbarkeit eindringt, mit dem sich Historiographie und Philologie seit dem Humanismus legitimieren. In den Genealogien des 17. Jahrhunderts findet deshalb eine fortwährende Polemik gegen unglaubhafte Ursprungskonstruktionen statt. Besonders die späteren Autoren distanzieren sich geradezu stereotyp von Versuchen, Stammbäume bis zum alten Testament oder zum antiken Rom zurückzuführen. So wendet sich Lairitz gegen Reusners Bemühungen, die Genealogie der deutschen Könige von T\iiscon/ Ascenas herzuleiten, da dergleichen »auf blossen Muthmassungen und des alten Chaldäers Berosi/ oder vielmehr des Fabelhanßen Anii Viterbiensis Fürgeben/ beruhet.« 54 In Annius von Viterbo (Giovanni Nanni, ca. 1432-1502) benennt Lairitz den frühneuzeitlichen Locus classicus und das methodische Grundmuster für universalhistorische Ursprungstheorien, in Berosus Chaldaeus den angeblichen Verfasser einer (gefälschten) »babylonischen Urgeschichte [...] aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert«, die Annius kommentiert hat. 55 Auch Rittershausen wendet sich gegen genealogische Erfindungen: »Denen, die [dem vorliegenden Werk] Unvollkommenheit vorwerfen und einwenden, daß die Familien weder vom Ursprung an noch vollzählig aufgelistet seien, antworte ich kurz, daß es mir niemals in den Sinn gekommen ist, das Alter der Familien aus nebulösen Einbildungen herzuleiten.« 56 Birken legt über das Verfahren der vollständigkeitsorientierten Konjekturalgenealogie bereits Rechenschaft ab. Im Braunschweigisch-Lüneburgischen Stammbaum, den er seiner Guelfis anfügt, findet sich ein 843 gestorbener Bruno, den der Verfasser zum Sohn des Wigbertus (gest. 816 oder 825) und zum Enkel von Wittekind I. erklärt. Dazu erläutert die Fußnote, in »denen gemeinen Stammrechnungen« gelte Bruno als Wittekinds Bruder. »Weil aber ihrer beyder Alter nicht zusammen langet/ hingegen die Jahrrechnung auf diese Weise genauer zutrifft/ als wird/ zwar ohne Maß-geben/ solche letztere Meinung

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Lairitz: Neu-angelegter historisch-genealogischer Palm-Wald, S. 104. Vgl. auch ebd., S. 1 (zu den Habsburgern); Winkelmann: Arboretum genealogicum, S. 3; Rechenberg (Praes.), Kindermann (Resp.): D e studii genealogici praestantia, § 7. Vgl. auch Birken: Spiegel der Ehren des Erzhauses Oesterreich, S. 3: »Man muß/ in dieser art Schriften/ mit Geschichten/ und nicht mit Gedichten umgehen.« Zur Verwissenschaftlichung der Genealogie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Schröcker: Die deutsche Genealogie im 17. Jahrhundert, S. 439 -444. Borst: Der Türmbau von Babel, S. 975-977; Bizzocchi: Genealogie incredibili, S. 2 6 - 2 9 . Gemeint ist: Berosi sacerdotis chaldaici Antiquitatum libri quinqué cum commentariis Joannis Anii Viterbensis, Wittenberg 1612 (und weitere Ausgaben). Rittershausen: Genealogiae imperatorum, regvm, dvcvm, Vorrede (unpaginiert): »Qui imperfectionis insimulant, & Illustres familias non ab origine, nec omnes recensitas objiciunt, his breviter respondeo, nunquam mihi venisse in mentem, antiquitatem familiarum à fumosis repetere imaginibus.«

245 diß Orts beliebet.« 57 Einige Verfasser ergreifen Vorsichtsmaßregeln, indem sie nur unter Vorbehalt weitergeben, was nicht sicher überliefert zu sein scheint. Reusner berichtet über den Sachsenkönig Atarich, wie später Birken über die sächsischen Anfänge, nur unter dem Vorzeichen des »legitur«. 58 Freilich - bei aller Kritik unter dem Zuverlässigkeitsaspekt halten die Autoren an der Absicht fest, ein in der Regel bis zu einem Ursprungspunkt zurückreichendes Stemma lückenlos als providentielles System zu rekonstruieren oder zu suggerieren. 59 So diskutiert Birken für den Ursprung des Hauses Habsburg zwar kritisch die Trojaner- und die Frankentheorie und stellt »dem hochverständigen Leser die Wahl und das Urtheil hierüber« anheim. 60 Die Ausführlichkeit der Diskussion in Verbindung mit Hinweisen auf den Adel des Alters 61 und die höhere Wahrscheinlichkeit der Abkunft von den Franken (die ihrerseits bis zu den Sicambrern/ Cimbern zurückverfolgt werden) 62 belegen aber, daß Birken daran liegt, dem Haus die Autorität des hohen Alters und eines frühen Ursprungs wenigstens in subtilen Andeutungen zu sichern. Offenbar verlassen die Genealogen mit ihren Einwänden gegen zweifelhafte Herleitungen zunächst nicht das >Paradigmaproduzierte< Mythen lesen, die sich dadurch auszeichnen, daß sie das Konstruktionsmoment nicht völlig leugnen. Es ist, wie wir sahen, den Verfassern möglich, genealogische Verbindungen zu »Ursprüngen« höchst heterogener Provenienz herzustellen - zum Alten Testament ebenso wie zur griechischen Epik und zur römischen Geschichte. Ihren sinnfälligen Ausdruck hat diese Konstruierbarkeit der Genealogie darin, daß weniger die reinen Genealogien, wohl aber die chronikartigen Darstellungen oft zugleich Kupferstichgalerien sind, in denen man selbst sagenhafte Fürstengestalten porträtiert findet. 64 Die Stemmata sind auf eine Überzeugungskraft hin angelegt, die sie aus der eleganten, lückenlosen und bis zum Ursprung zurückführenden Konstruktion und Disposition beziehen. Sie suchen durch dissimulierte Kunstfertigkeit die >wahre< Ordnung eines Geschlechts, darüber hinaus aber auch in den umfassenden systematischen Genealogien eine solche der Geschichte insgesamt herzustellen. Ihnen liegt geradezu der Anspruch auf Kontrolle über die Geschichte zugrunde. Wie allgemein in bezug auf die Reputationslehre, so läßt sich auch hier ein doppelgesichtiger Prozeß beobachten: Die dispositorischen Verfügungsansprüche müssen den Verlust an selbstverständlicher Glaubwürdigkeit der politischen Symbolik kompensieren, den sie gleichzeitig selbst hervorbringen und vorantreiben. Als kunstgerecht perfektionierte wird die Genealogie jedenfalls zum geeigneten Argument in der Fürstenpanegyrik, ja zum fürstlichen Ausstattungsmerkmal, zu einer Inszenierungstaktik und zum Bestandteil des Decorum: Jedermann gesteht ein, daß für das Verfassen der sogenannten Lebensläufe vor allem adliger und berühmter Personen die genealogische oder besser progonologische Wissenschaft in höchstem Maß notwendig sei. Denn auf ihrer Grundlage besteht Gewißheit über das Decorum der Familie und darüber, durch welche Heiratsverbindungen sie zusammengebracht wurden. Dies pflegt ja der vorzüglichste Grund dafür zu sein, daß man glänzende Stammbäume bei feierlichen Begräbnissen anführt. 65

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ramund, Clodio oder Merove, verfasse ich das mit dem Schreibstift oder gar daß er gleichsam der würdigste Sproß Francias gewesen ist, bemühe ich mich jetzt auszumalen.«) Mit meiner Meinung weiche ich von Rohmer, ebd., S. 498f. ab, demzufolge die Habsburgergenealogie überhaupt keinen Erfindungscharakter hat. Beispiele: Reusner: Jcones sive imagines; Birken: Sächsischer Helden-Saal; Meiesander: Schau-Platz polnischer Tapfferkeit. Rechenberg (Praes.), Kindermann (Resp.): D e Studii genealogici praestantia, § 25: »In curriculis certe quae vocantur, vitarum, praesertim nobilium & illustrium perso-

247 Da die Genealogie spielerisch verfügbar ist, kann sich in ihr verdeckt die Politik als eigenmächtig handhabbare psychologische Strategie entfalten. Die Genealogie ist näher besehen geeignet, die Souveränität des Fürsten auch im Bereich der exemplarisch gelesenen Geschichte zu demonstrieren. Die strategische Gewalt über die Geschichte entlehnt der jeweilige Verfasser vom Fürsten, in dessen Händen sie eigentlich ruht. Die topische Geschichtsordnung orientiert sich am Fürsten als ihrem geometrischen Mittelpunkt. Die anspruchsvolleren Genealogien vergegenwärtigen das Tugendexemplarische in hochorganisierter Form. Sie sind darauf angelegt, die Vielzahl der Erzählungen zu einem System zusammenzuschließen und auf diese Weise das Wirken der Providern: sinnfällig zu machen. Denn was sei, so fragt Rechenberg, in der Geschichte vorzüglicher, »als die Stammbäume der Helden, Könige, Fürsten und um den Staat besonders verdienten Männer zu kennen, durch deren Bewahrung und Verbreitung auch die göttliche Vorsehung erstrahlt?« 66 Die genealogische Ordnung der Geschichte ist in allen literarischen Beispielen zugleich eine providentiell auf den Fürsten ausgerichtete Tugendordnung. Räumlich arrangiert, überwindet der lückenlose Stammbaum schließlich die von Winkelmann beschworene »gefräßige Zeit«. Bei Hohberg liest man: Vnd dieser PflantzenStamm/ der also hoch erhoben so herrlich gründen wird/ ja selbst im Himmel droben den besten Bauman hat/ nicht leichtlich von der Zeit die sonsten alles feist [frißt?] soll werden außgereut.67

Die heroische Geschichte des Hauses bis zu ihrem Ursprung ist in der Person des Fürsten unmittelbar gegenwärtig. Von den beiden Körpern des Königs repräsentiert die Genealogie den unsterblichen. So verbirgt sich im Altersbeweis eine umfassende Legitimation und Präsentation fürstlicher Herrschaft. Der konstruktive Schwerpunkt führt dazu, daß in den frühneuzeitlichen Genealogien der systematischen Anordnung nicht selten ein größeres Gewicht zufällt als der unmittelbaren Tugenddarstellung, wie sich an der großen Zahl graphischer Stammbaumdarstellungen ablesen läßt; solche werden allerdings oft durch biographische Erläuterungen ergänzt bzw. mit ihnen kom-

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narum componendis, genealogicam, vel potius progonologicam scientiam maxime necessariam esse, omnes fatentur. Quia ex illa de familiae decoribus constat, & quibus connubiorum foederibus junctae fuerint. Haec quippe causa praecipua stemmatum clarorum recensionis, in exsequiis solennioribus esse solet.« Rechenberg (Praes.), Kindermann (Resp.): De studii genealogici praestantia, § 19: »Quid enim in historia, illustre magis atque eximium est, quam scire, Heroum, Regum, Principum atque praeclare de república meritorum virorum stemmata, in quibus conservandis atque propagandis divina quoque Providentia eluxit?« Vgl. auch Mentzius: Stambuch, Vorrede, S. A HIP.; Henninges: Theatrvm genealogicvm, Teil I, Vorrede, S. XXXIII. Hohberg: Habspurgischer Ottobert, Buch 23, V. 181-184.

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biniert, um auf diese Weise das Higendexemplarische zu sichern.68 Die Dominanz der Disposition entspricht jener Tendenz, derzufolge sich die Higendexempla der strategischen Exempeldisposition unterordnen müssen. Auch unter dem Wirkungsaspekt gewinnt offenbar die Positionsbestimmung im Ganzen die Vorherrschaft über das traditionskonforme T\igendhandeln. Im selben Maß tritt der tugendexemplarische Held hinter das in der systematischen Ordnung realisierte Heroische zurück.69 Der organisierende Zugriff führt freilich nur zu partialen Resultaten, wenngleich am Vorhandensein und an der Zugänglichkeit der >wahren< Ordnung kein Zweifel besteht. Während die panegyrisch gemeinten Stammbäume als Reputationsinstrumente von dem Anspruch zehren, die providentiell bestimmte 1\igendordnung der Geschichte zu repräsentieren, zerlegen sie tatsächlich die Geschichte in einzelne Segmente und Reservate. Da die Genealogie als Nachbarwissenschaft unter anderem der Geographie gilt,70 nimmt diese Interessensicherung indirekt auch die Gestalt einer durch die Vorsehung angeordneten Abgrenzung angestammter Herrschaftsbezirke an. Als Indiz für die Gesamttendenz mag gelten, daß genealogische Universalsysteme nach dem Muster von Henninges und Reusner nur bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts nachweisbar sind; später bleibt allein die genealogische Fürstenhistoriographie bestehen. Als prägnantes panegyrisch-hyperbolisches, aber durchaus nicht einzigartiges Beispiel nenne ich Winkelmanns Arboretum genealogicum, das, wie der Titel verkündet, zeigen soll, »wie fast alle europäischen Fürsten aus der einen oldenburgischen Familie abstammen, und zwar von Dietrich dem Glücklichen, und wie oft die durchlauchtigsten und vornehmsten Familien mit dem Haus Oldenburg durch Heirat verbunden sind.«71 Wir werden sehen, daß Anton Ulrich in der Aramena den Zusammenhang von politischer Segmentierung und Legitimationskrise anhand der Genealogie als Strukturmodell behandelt. 68 69

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Vgl. Reusner: Genealogiae regum, electorum, ducum; Birken: Sächsischer HeldenSaal (mit eingestreuten Teilstammbäumen). Zur >Verfügbarkeit< der fürstlichen Genealogie für das Zeremoniell vgl. Plodeck: Hofstruktur und Hofzeremoniell in Brandenburg-Ansbach, S. 197. Vgl. Henninges: Theatrvm genealogicvm, Teil I, Vorrede, S. XXXI. Dazu auch die Panoramen, Landkarten und Stadtansichten, die in Birkens »Spiegel der Ehren des Erzhauses Oesterreich« (z.B. S. 19; 36; 39) parallel zur Genealogie die angestammten Habsburgischen Besitztümer dokumentieren. Winkelmann: Arboretum genealogicum heroum europaeorum, ostendens, qvomodo omnes ferè Europaei principes ex unica Oldenburgica familia, & qvidem à Dieterico Fortunato defluant, & quam crebro serenißimae & illustrißimae familiae cum domo Oldenburgica coniugali foedere inter se conjuncte fuerint. - Die einleitende Abhandlung, S. 52, kann dieses Programm nicht durchhalten, sondern läßt umgekehrt die Grafen von Oldenburg der sächsischen Genealogie entspringen. Auf ein anderes Werk dieser Art verweist Rentsch: Brandenburgischer Ceder-Hein, S. 45, wonach »Johann Melchior Wildeisen/ im Genealogischen Lust-Wald« erwiesen habe, »daß alle Kaiser- König- Chur- und Fürstliche Häuser/ in ganz Europa von Burggraf Johann abgestammet«.

249 Einen Reflex dieser Problematik findet man in den Streitigkeiten über den korrekten Stammbaum, die die gesamte Genealogie-Literatur begleiten. Grundsätzlich begibt sich der Genealoge auf ein umkämpftes Gebiet: »Denn mir ist klar, daß ich, wenn ich diese Tafeln an die Öffentlichkeit gebe, anders urteile als andere, vielleicht sogar als die, dich sich nie mit diesem Gebiet beschäftigt haben.« 72 Speziell weisen die Autoren darauf hin, wieviele Urteile sich der Parteilichkeit verdanken: dennoch ertappen wir die meisten von ihnen dabei, daß sie weithin blindlings ihren Sinnen folgten und sich der Meinung anschlossen, die ihnen am besten gefiel, und diese ihren Schriften anvertrauten, wie schon allein dieser keineswegs geringe Widerspruch zwischen ihnen bei der Ableitung eines Stemmas bezeugen kann. 73

Birken führt in diesem Sinn die Berufung der Römer auf ihre Trojanische Abkunft auf die Konkurrenz mit den Griechen zurück: »damit sie dißfalls von den Griechen sich absondern/ auch nicht vor geringers und jüngers Ursprungs angesehen seyn/ möchten/ führten sie ihre Ankunfft her von den Trojanern/ den Feinden der Griechen.« 74 In der Verselbständigung der Geschichtskontrolle und des politischen Interesses kündigt sich allerdings schon eine Krise heroisch-charismatischer Darstellbarkeit der Genealogie an. Als politische Technik verliert der Stammbaum schließlich seine Bindung an Vorsehung und Tugendlehre und muß seinen Anspruch aufgeben, über eine chronologische Reihe und positive Rechtsverhältnisse hinaus verbindlich und vorbildlich die Schöpfungsordnung zu repräsentieren. Dieses Geschick teilt die Genealogie, wie wir sehen werden, mit Zeremoniell und Decorum insgesamt. Es ist kein Zufall, daß Thomasius, der das Decorum neu - funktional - bestimmt und ihm seinen autoritativen Charakter nimmt, auch den Zusammenhang von adliger Abstammung und heroischer Veranlagung bestreitet: »Der Unterscheid zwischen Adel und Unadel ist von Menschen gemacht/ nach welchen sich der Schöpffer in Mittheilung seiner natürlichen Gaben nicht richtet/ zumahl bey heutigen Mißbrauch desselbigen.«75 In der Aufklärung findet man den adligen Abstammungsstolz als Gegenstand der Satire wieder.76 Von der Aufgabe

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Rittershausen: Genealogiae imperatorum, regvm, dvcvm, Vorrede (unpaginiert): »Non enim sum nescius, me diversis diversorum, fortè etiam eorum, qui nunquam in hoc genere versati sunt, judicüs, has tabellas exponere.« Gummersbachius: Genealogia Christi, Vorrede von Matthias Quadus, S. 2 r : »manifesté tarnen depraehendimus plerosque horum suis sensibus magna ex parte induisisse, eamque quae maximè ipsis arridebat opinionem secutos esse, scriptisque suis mandasse, vt vel sola ista nec exigua eorum, in stemmatum deductione, discrepantia testan potest.« Vgl. auch Lairitz: Neu-angelegter historisch-genealogischer PalmWald, Vor-ansprach an den geneigten Leser, S. iir. Birken: Spiegel der Ehren des Erzhauses Oesterreich, S. 4. Thomasius: Monats-Gespräche, Bd. III, S. 912. Johann Heinrich Gottlob von Justi: Das Leben Junker Hansens, eines Landedelmanns, in: Satiren der Aufklärung, S. 95 - 97.

250 entlastet, den gottgewollten, universalen Geschichtssinn zu repräsentieren, kann die Genealogie als historische Teildisziplin in eine allgemeine Staatenkunde eingehen. Hingegen muß der vom Decorum gelöste Heroismusbegriff neu konstituiert werden. 4.1.2 D e r genealogische Herkules-Mythos in Freinsheims

Teutschem Tugentspiegel Johann Freinsheim publizierte 1639 den Teutschen Tugentspiegel als Lobdichtung auf Bernhard von Sachsen-Weimar, einen der Heerführer des Dreißigjährigen Kriegs. Anlaß, teilweise auch Gegenstand der Darstellung waren die Belagerung der - in der Nähe von Freiburg - am Rhein gelegenen Festung Breisach und ihre Einnahme am 9. Dezember 1638, wozu das Titelkupfer einen Lageplan bietet.77 Auf dieses Ereignis bezieht sich wohl auch das Epigramm, das Birken in der Heldengalerie der Pegnitz-Schaferey auf den Herzog gemünzt hat: »Mir hat der Vatter Rhein die Blum der Töcher geben: | Von der ich kriegte Preiß/ die Feinde Spott und Ach.«78 Der zu dieser Zeit in Straßburg wirkende Freinsheim nimmt Bezug auf Kriegsereignisse aus seiner näheren Umgebung. Mit der detaillierten Darstellung der Kämpfe um Breisach scheint der Text durchaus auch Informationsbedürfnisse bedienen zu wollen. Insgesamt überwiegt jedoch die Absicht, »zu nutz dem Vatterland | Deß Grossen BERNHARDS lob in Teutscher Sprach zuschreiben.«79 Der »Tugentspiegel« macht nicht bei der Fürstenverherrlichung halt, die vielmehr zugleich als Stellungnahme in den Kriegsauseinandersetzungen angelegt ist. Als Panegyrikus auf Bernhard bekennt sich das Werk faktisch zur protestantischen Seite.80 Freinsheim läßt 77

Vgl. dazu den Hinweis von Freinsheim: Teutscher Higentspiegel, C 4, wonach der Text vor der Eroberung von Breisach verfaßt, aber erst nach der Eroberung veröffentlicht wurde. Für eine detaillierte Darstellung der Ereignisse vgl. Droysen: Bernhard von Weimar, Bd. 2, S. 441 -492. Droysen fußt auf der Darstellung im Theatrum Europaeum (diskontinuierlich in mehreren Teilen in Bd. II [1644], S. 942-1027. Dort auch ein Lageplan nach S. 1022). Als persönlicher Anlaß für das Werk spielt noch der Dank für eine finanzielle Zuwendung des Herzogs zugunsten von Freinsheims Tacitus-Ausgabe eine Rolle (Bopp: Die >Tannengesellschaftrichtigen< Partei zu fördern. Dabei versteht sich aber das Werk nicht als antikaiserliche Polemik, sondern setzt auf eine überparteiliche Absicht: Hinter dem Bild der einander bekämpfenden Parteien zeigt sich die Vision der Eintracht im nationalen Rahmen. Im Kern beschäftigt sich der Text mit der politischen Bewältigung von inneren Zerwürfnissen und Factionenbildungen als Destabilisierungfaktor des Staats. 83 Freinsheim schließt damit an eine Argumentationstaktik an, die man auch bei den französischen »Politiques«, Bernegger und Opitz findet. 84 So stellt sich die Frage, auf welchem Weg er in der Person seines Helden innere Spaltung und Krieg überwunden sehen möchte. Auf Bernhard von Weimar, seinen Werdegang und seine Kriegstaten bis zu den Ereignissen von Breisach entfällt nur das abschließende Drittel des »Tugentspiegels«. Den umfangreicheren ersten Teil nimmt, gewissermaßen als literarisches Zeremoniell, ein genealogisch strukturierter historischer Abriß ein. Ob angesichts des Bruchs zwischen dem ersten und dem zweiten Teil und der epischen Wiedergabe aktueller Kriegsereignisse von einer literarisch befriedigenden Arbeit die Rede sein kann, darf bezweifelt, braucht an dieser Stelle aber nicht diskutiert zu werden. Freinsheim legt den genealogischen Überblick der Muse Kalliope in den Mund, der, wie er eigens erläutert, »insonderheit die Heldengesänge zugeschrieben werden.« 85 Tatsächlich schließt der Verfasser an ein in der Epik bewährtes Konzept an. Zweifellos stehen ihm die einschlägigen Vorbilder des 16. Jahrhunderts vor Augen - Ariosts Orlando furioso, Ronsards Franciade und Tassos Gerusalemme liberata. In die drei Epen sind jeweils panegyrische Einlagen auf das Haus der Este bzw. 81 82

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Freinsheim: Teutscher Tügentspiegel, M 2. Freinsheim: Teutscher Tügentspiegel, M 4. Vgl. aber auch ebd., Ν 1 - 3 , die (freilich den Protagonisten noch erhöhende) Bewertung Pappenheims als eines »Rittersman[s]« auf der Seite des Gegners. Dazu unten 5.1.2. Garber: Zentraleuropäischer Calvinismus und deutsche »Barock«-Literatur, S. 339f. Bopp: Die >TannengesellschaftKunst< insgesamt fragwürdig: »Wer auf die kunst sich lässt/ denselben lässt die kunst; | Wer Menschengunst vertrawt/ verschertzet Gottes gunst«. 133 Doch tatsächlich widmet sich der Tugentspiegel weithin dem Ehrstreben, das ihm die theologische Perspektive untersagen muß. Der Zwiespalt zwischen Allgemeinheitsanspruch und parteilichem Interesse, der zugleich die Krise der Politik bezeichnet und den prekären Status politischer Heroismuskonzeptionen kenntlich macht, findet seinen schroffsten Ausdruck im Widerspruch zwischen den Attitüden politischer Weltaneignung und geistlicher Weltverachtung. Der Tugentspiegel weist keine Möglichkeit nach, im politischen Kontext das Problem von Interesse und Parteilichkeit grundsätzlich zu lösen. Auf längere Sicht erwächst dem Politisch-Heroischen daraus eine Glaubwürdigkeitskrise, denn im Hintergrund zeichnet sich die Frage ab, wie (und ob) sich unter dem Vorzeichen der Interessenpolitik eine paradigmatisch im Helden verkörperte und durch die Vorsehung gestützte Norm politischen Handelns bestimmen lasse. Gattungstechnisch macht sich das Problem als ungelöstes Spannungsverhältnis zwischen epischem Objektivitätsanspruch und panegyrischer Beflissenheit bemerkbar.

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Freinsheim: Teutscher T\igentspiegel, Q 4. Vgl. auch Q 2: »Doch wollt Jhr EWER Lob auf dieses thun nicht gründen. | JHR wisset daß auch diß ein eitel wesen ist: | Derwegen JHR vielmehr als ein erfahrner Christ/ | Die grundfest stäter Ehr' an Gott verhofft zu finden.« Freinsheim: Teutscher Tügentspiegel, Q 2: »Es seye fern von mir/ durch mißbrauch einer kunst/1 Die an jhr selber gut/ mit einem blawen dunst/1 Und falsch-gefärbtem schein die Augen zuverblenden!« Freinsheim: Teutscher Higentspiegel, Q 2: »Von vielen [Autoren] findt man kaum auß jedem Buch ein wort/1 Und sein die leut dahin sampt jhren klugen Schriften.« Freinsheim: Teutscher T\igentspiegel, Q 3.

261 Zwar ist es möglich, diese Indizien für eine Krise plausibler politischer Heroismusdarstellung aus dem Text zu rekonstruieren. Für Freinsheim selbst stellen sie aber noch kein literarisches Konzeptionsproblem dar. Offenbar besteht aus seiner Perspektive kein Zweifel an der metaphysisch begründeten Richtigkeit der eigenen Überzeugungen. Ehrstreben und Ehrverachtung erscheinen aus dieser Sicht allenfalls als unterschiedliche topische Attitüden, die demselben Ziel zuarbeiten. Vor diesem Hintergrund behält Bernhard von Weimar seine fraglose Handlungslegitimation und sein Recht auf literarische Verewigung. Hingegen meldet sich, wie wir sehen werden, bei Anton Ulrich die Frage, wie angesichts allgemeiner politischer Parteilichkeit eine absolute Legitimation, die durch den (stets konstruierten) Stammbaum zu verbürgen wäre, überhaupt zustande kommen könne. Mit dieser Zurückverlagerung ins Grundsätzlichere wird die ganze Vorstellung vom Helden als politischem Handlungsträger problematisch. Was Freinsheim als selbstverständlich gegeben annimmt, macht die Aramena zum Thema.

4.2

Poetische Heldengalerien

4.2.1 Sigmund von Birken: Ostländischer

Lorbeerhäyn

In Gedicht- und Exempelzyklen legen Birken und Hallmann umfangreiche und aufwendig gestaltete Sammelwerke vor, die in der Kombination von Vers und historisch-exemplarischer Erzählung mit der Gattung der Heldenbriefe oder auch der heroischen Reden literarisch verwandt sind,134 in ihrer genealogischen Struktur hingegen der Dynastiepanegyrik dienen. Näher besehen nutzen sie die Genealogie (oder, wie Hallmann, wenigstens die Reihe der Vorgänger im Fürstenamt) als Möglichkeit, das Lob des regierenden Fürsten >historisch< zu amplifizieren. Außer den poetischen Beispielen sind von Birken u. a. die genealogische Exempelsammlung des Königlich- auch churund fürstlich sächsischen Helden-Saals und der monumentale dynastischhistoriographische Spiegel der Ehren des Höchstlöblichsten Kayser- und Königlichen Erzhauses Oesterreich überliefert. Die folgenden Überlegungen beschäftigen sich jedoch mit den literarisch ehrgeizigeren Prosaeklogen, vor allem dem Ostländischen Lorbeerhäyn (1657) auf die Habsburgerdynastie (wobei Birken ebenso wie mit dem Spiegel der Ehren eine Tradition fortführt, die im Rahmen des »Gedechtnus«-Projekts schon seit Maximilian I. gepflegt wurde), 135 daneben auch der auf das Haus Braunschweig und Lüneburg verfaßten Guelfis (1669). Beide kombinieren nicht allein in ihren pane134

Beispiele: Hoffmannswaldau: Helden-Briefe; Scudéry: Viertzig durchlauchtige Frauen. 135 Füller: Gedechtnus, S. 80t; 87 -89. Nachdrücklich sei für die folgenden Überlegungen verwiesen auf die Interpretation von Rohmer: Die Hirten in der Grotte.

262 gyrischen Teilen unterschiedliches Textmaterial, sondern stellen darüber hinaus, an Opitz' Schäfferey von der Nimfen Hercinie (1630) anschließend,136 das Fürstenlob in den literarischen Rahmen der Schäferei. Birkens Nachlaß dokumentiert, daß ein weiteres Werk, der Fränkische Lorbeerhayn, geplant war, von dem aber nur ein handschriftlicher Entwurf überliefert ist.137 Ich wende mich zunächst der Heldengalerie zu, die im Zentrum des Ostländischen Lorbeerhäyns steht. Der ursprüngliche Anlaß des Texts war die Königswahl von Kaiser Ferdinands III. gleichnamigem Sohn 1653, der freilich schon im darauf folgenden Jahr verstarb. Daß das Werk Ermahnungen an ihn bzw. an den tatsächlichen Thronerben Leopold I. formulieren sollte, braucht nicht geradezu bezweifelt zu werden. Doch tatsächlich verbirgt der Verfasser in der »Uberreichungs-Rede« an Leopold I. - auch Ferdinand III. starb zu Birkens Leidwesen noch vor dem Erscheinen des Lorbeerhäyns138 den möglichen adhortativen Sinn des Fürstenspiegels so, daß seine obligierende Kraft vorgreifend dem Ruhm des neuen Monarchen weicht. Von einer »Verpflichtung durch Panegyrik«, wie sie sonst im barocken Fürstenlob möglich bleibt,139 kann man für den Lorbeerhäyn kaum sprechen. Insofern liefert der Lorbeerhäyn auch ein Beispiel dafür, wie die verabsolutierte, Verehrung gebietende heroische Figur an die Stelle eines Fürsten tritt, der in offenkundigen politischen Interaktionen begriffen ist:140 E. May. aber/ haben keines solchen Spiegels oder Beyspiels vonnöten. Dero Königliche Sitten/ können und werden alles dieses/ bässer mit Werken/ als tausend Zungen und Federn mit Worten/ beschreiben. E. May. sind der Erbe sovieler Trefflichkeiten/ und deren lebendiges GeschichtBuch; ein Ocean/ in welchen/ gleichwie alle diese Higend-Ströme zusammengeflossen/ also auch alles diese Ruhmbächlein noch zusammen fliessen werden. Und gleichwie E. May. Dero grosser Vorfahren Tugendverlassenschafft erblich beywohnet/ also wird Sie auch billich in Deroselben Ehrenund Glücks-Fußstapfen tretten. 141 136

Ein Rückverweis auf Opitz, geradezu das Eingeständnis einer literarischen Schuld liegt gewiß vor, wenn sich bei Birken die Nymphe Guelfis und ihre beiden Schwestern als »Töchter der grossen Hercinie« vorstellen (Guelfis, S. 173). Zu Opitz als Initiator der Prosaekloge Garber: Martin Opitz' »Schäferei von der Nymphe Hercinie«. 137 Garber: Sigmund von Birken, S. 243. 138 Vgl. dazu Birkens Kommentar: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 437: »Es ist zu wissen/ daß diß Werklein/ bis auf den Ersten und diesen Letzten Bogen/ allbereit gedruckt gewesen/ als/ die leidige Post/ von Jhr. Keys. May. höchstbeklagbarem TodesHintritt/ eingelanget. Wird man derhalben den Autor vor entschuldigt halten/ wann ein oder anders hierinnen mit dem itzigen Zustand nicht einstimmet.« Entsprechend schließt der Lorbeerhäyn mit einem Epicedium auf Ferdinand, während die einleitende »Uberreichungs-Rede« sich bereits an Leopold I. wendet, den sie gewissermaßen als Erben des auf seinen Vorgänger gemünzten Tügendruhms einsetzt. Zu den historischen Umständen Rohmen Die Hirten in der Grotte, S. 281. 139 Braungart: Hofberedsamkeit, S. 97f. Zur Sache Verweyen: Barockes Herrscherlob. 140 Zu diesem Prozeß aus der Perspektive der rhetorischen Praxis Braungart: Hofberedsamkeit, S. 119f. u.ö. 141 Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, Uberreichungs-Rede (unpaginiert). Vgl. auch

263 Erst recht verzichtet der Lorbeerhäyn natürlich darauf, Ferdinand III. (der zur Zeit der Abfassung noch lebte) zu ermahnen. So macht sich die Ausschließlichkeit bemerkbar, mit der der Verfasser das panegyrische Potential des Fürstenspiegels in den Vordergrund stellt. Eigentlicher Gegenstand des Ostländischen Lorbeerhäyns ist das Lob Kaiser Ferdinands III. Die fürstliche Ahnenreihe lernen die Schäfer stets unter der Führung einer ortsansässigen Nymphe als Bilderserie in einer Erinnerungsstätte - einer Grotte oder einem Tempel - kennen. Dem Fürstenspiegelcharakter gemäß, auf den der Titel verweist, enthält die Genealogie des Lorbeerhäyns ein Tugendprogramm, das Birken auf die zwölf Habsburgerkaiser vor Ferdinand III. verteilt. Die Ahnengalerie wird auf diese Weise zum historischen Grundriß der Tugendlehre, wie auch umgekehrt die Ethik zum Ordnungsprinzip der Geschichte. Die Geschichte, deren Verlauf sonst keiner Regel zu folgen scheint, formiert sich aus dieser Perspektive zum Tugendsystem. Im einzelnen verbindet der Verfasser Rudolf I. mit der Majestät, Albrecht I. mit der Fruchtbarkeit, Friedrich III. mit der Tapferkeit, Albrecht II. mit der Gerechtigkeit, Friedrich IV. mit dem Frieden, Maximilian I. mit den Künsten, Karl V. mit dem Sieg, Ferdinand I. mit der Liebe, Maximilian II. mit der Gottesliebe, Rudolf II. mit der Mäßigkeit, Matthias mit der Klugheit und Ferdinand II. mit der »Müdigkeit«. Der Konstruktion nach gipfelt das Tligendprogramm in Ferdinand III., der »dero glorwürdigster Vorfahren dißorts belobte hohe Verdienste und Tligendbeschaffenheiten/ alle allein beysammen habe und besitze«. Ihm ist im Ruhmestempel eine eigene »Capelle« 142 vorbehalten. Zwölf Gedichte, die Birken den Schäfern als Abschluß der panegyrischgenealogischen Textfolge in den Mund legt, nehmen die Tugendreihe erneut auf und wenden sie in ein direkt auf Ferdinand zielendes Herrscherlob um. 143 Eine Aufforderung zur Aemulatio, wie sie sich konventionell mit den Exempla maiorum verbindet, scheint in bezug auf den Kaiser überflüssig, da sich alle lügenden der Vorfahren schon in seinem Besitz befinden. Die Bemühungen des Verfassers konzentrieren sich darauf, die Tugend- und Geschichtsordnung als perspektivisch auf das Kaiseramt und besonders auf Ferdinand zulaufende Hierarchie eindrucksvoll zu visualisieren. Fast jedem Kaiserstandbild ordnet Birken Büsten dreier weiterer Vertreter des Habsburgerhauses zu, die nicht die Kaiserwürde innehatten. Indem Birken die zwölf Tilgenden als in der Genealogie verwirklicht darstellt, läßt er das Haus Habsburg zugleich Gewalt über die Geschichte nicht nur der Dynastie - übernehmen. Mit einem Blick in die Kapelle, die Ferdinand III. und seinen Nachkommen gewidmet ist, greift dieser Anspruch

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die Inschrift S. 176, die den Tügendruhm auch auf den vor seiner ersten Bewährungsprobe im Fürstenamt verstorbenen Ferdinand IV. ausdehnt. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 174. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 259-268.

264 sogar auf die Zukunft aus.144 Wie die Auslegung eines Fortuna-Standbilds zeigt, das sich über der Eingangspforte zum Heldentempel befindet, soll der Willkürfaktor des »Glücks« als durch die Disposition der Geschichte ausgeschaltet gelten. Die Fortuna ist »nicht/ wie sonst/ auf einer wankelbaren Kugel stehend/ sondern auf einem standfästen Viereck sitzend/ allhier ausgebildet worden.«145 Die Verbindung der Fortuna mit Stammbaum und Herrschaftsinsignien versammelt die Mittel der Kontrolle über Zeit und Geographie in der Hand der Habsburger: Hinter der Statue findet sich »eine Tafel/ mit dem Oesterreichischen Stamm-Baum und Zeit-Register gemahlet und beschrieben«; die Figur trägt einen Lorbeerkranz und »einen köstlichen TrauRing. Jn ihrem Schoß/ läge ein Reichsapfel/ Zepter/ und etliche Kronen.« 146 Die Fortuna-Statue wird begleitet von Personifikationen Europas und Amerikas, die eine Landkarte der Habsburgischen Herrschaftsgebiete in den Händen halten.147 Die Reihe von dreizehn Habsburgerkaisern in zweieinhalb Jahrhunderten sei Beredgrundes genug [...] zugläuben/ das Glück habe ihm dieses Haus zur beständigen Wohnung vnd Sitzstat erwehlet. Muß also/ krafft dieses herrlichen Beyspiels/ wahr bleiben/ daß das Glück der lügend nachfolge/ nicht aber/ wie etliche Nasweise Alten in den Tag hinein geschrieben/ daselbst am minsten Glück sey/ wo am meinsten 1\igend ist.148

Von der Rezeptionsseite her scheint Birkens Hinweis auf die Memoria diesen Befund zu bestätigen. Für die Schäfer, denen die Nymphe Noris das Programm vorführt, wird die Geschichtsordnung zur Memorialtopik, die als solche geeignet ist, Weltsicht und Verhalten der Betrachter zu organisieren. Es sei »ein Stück der Danckbarkeit/ wann wir diese Beglorwürdigungen fleißig in Augenschein nehmen/ auch/ wo möglich/ zu Gedächtniß fassen/ würden.« 149

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Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 174f. Vgl. auch »Guelfis«, S. 213: »Dieses sind die Wappen der jenigen Hochfürstlichen Häuser/ an welche diese drey Prinzessinnen künftig sollen vermählt werden: und ist/ auf der SeitenFläche zur Rechten/ auch vor die drey Prinzen dergleichen Weissagung zu finden. Weil es aber künftige Sachen sind/ als habt ihr hierbey euch nicht aufzuhalten.« Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 251. Dieses Motiv wiederholt Birken S. 128 im Zusammenhang mit dem Bild der »Dapferkeit«, das Friedrich III. zugeordnet ist: »Mit dem einen Arm steurete sie sich auf ein steinernes Viereck: ihre unbewegliche Stand- und Starkmütigkeit damit zubemerken.« Fortuna auf einer Kugel wie auch die »basis quadrata« sind in der Emblematik belegbare Motive. Zur Kugel Henkel/ Schöne: Emblemata, Sp. 17961; 1799-1801; vgl. Kirchner: Fortuna in Dichtung und Emblematik des Barock, S. 19-21. Zur »basis quadrata« der Ars als Remedium gegen die Fortuna bei Alciati ebd., S. 80-82; 99f. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 247. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 247-250. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 251. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 101. Zum Komplex des Gedächtnisses in Opitz' weniger >systemorientierter< »Hercinie« Newman: Et in Arcadia Ego.

265 In der Folge von zwölf Kaisern, die durch den dreizehnten überboten werden, nimmt die Tilgendordnung der Geschichte anschauliche, symmetrisch-geometrische Gestalt an. In dieser Form steht sie als Mittel der Inszenierung fürstlicher Ordnungskompetenz zur Verfügung. 150 So gewinnt überhaupt der Ordnungsaspekt die Oberhand über den Tugendgehalt. Die Gefahr liegt nahe, daß sich an solchen Konstruktionen das absichtsvoll Hergestellte in den Vordergrund drängt. In der Geometrisierung ähnlich ist die kreisrunde Anordnung der habsburgischen Besitzungen mit ihren Wappen um den Habsburger Löwen im Spiegel der Ehren des Erzhauses Oesterreich.151 Die symmetrisch disponierte Geschichte wird als Mittel des Imponierens eingesetzt und erweist sich damit als Konzept des Reputationsgewinns. Der Lorbeerhäyn fordert nicht das Wohlverhalten des neuen Kaisers, sondern demonstriert die Fortsetzung dynastisch-ethischer Ordnung der Geschichte in seiner Person. Ein Seitenblick auf die Habsburgergenealogie im Habspurgischen Ottobert verdeutlicht zusätzlich Birkens Zugriff. Dabei stütze ich mich auf die Ausführungen von Rohmer. 152 Die Geschichte des Hauses exemplifiziert im Habspurgischen Ottobert abschließend den Tugendspiegel, mit dem Hohberg das 23. Buch einleitet. Auch er legt zu diesem Zweck einzelne Vertreter durchaus nicht alle - des Stamms auf bestimmte Tugenden fest. Das folgende Kapitel wird am Beispiel von Hallmanns Schlesischen Adlers Flügeln vorführen, daß schon solch einer Konzeption eine ordnende Absicht im Umgang mit der Geschichte zugrunde liegt. Doch bringt Hohberg die mit Tugenden besetzte Fürstenreihe nicht in die geometrische Form, die man bei Birken vorfindet. Abgesehen von der weniger strengen Disposition, die zuläßt, daß eine Digression über die österreichischen Erblande der Habsburger die Genealogie unterbricht, 153 bemüht sich Hohberg allenfalls bis zu einem gewissen Grad darum, der Reihe der Habsburgerherrscher den Charakter des Zufälligen und Sprunghaften zu nehmen:

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Diese Tendenz bringt Birken, wenngleich mit geringerem Systematisierungsgrad, auch in der »Guelfis« zur Geltung, wo sechs Tilgenden geometrisch auf dem sechseckigen Piedestal der Statue des Herzogs August angeordnet sind (S. 195). Für die neun Statuen der nachfolgenden Generation verweist der Text ausdrücklich auf die Zahlensymbolik (S. 206): »Die Schäfere durchliefen hierauf mit den Augen diese Bilder-Reihen/ und schöpften ein sonderbares Belieben aus der gedritten Zahl/ welche in dieser Augusten-Familie dreymal eintraffe. Wie dann diese Zahl jederzeit vor heilig gehalten worden/ zumal das Geheimnis der Hochgelobten DreyEinigen Gottheit darunter begriffen ist«. Birken: Spiegel der Ehren des Erzhauses Oesterreich, nach S. 48. Rohmer: Das epische Projekt, S. 302. Die folgenden Überlegungen zu Hohberg stützen sich auf Rohmer, ebd., S. 294 -305. Hohberg: Habspurgischer Ottobert, 23. Buch, V. 1197-1244.

266 sein [Maximilians] Sohn Rudolphus wird Matthias auch nach ihm zum Kayserthum geführt hernach sein Vetter wird (immittels wird absterben/ Matthias Kinder loß) die Krön und Tilgend erben mit wunderbarem Glück/ der grosse Ferdinand der ander dieses Nahms/ der wird in Teutschem Land die hart besorgte Brunst mit Güt und Weißheit dempffen/ darob sein kühner Sohn wird unerschrocken kempffen/ der Krieg so loddern wird auf drey mahl zehen Jahr erlangen unter ihm erst wird sein Endschaft gar.154 Zwar läßt Hohberg die Fürstenreihe in dem regierenden Kaiser Leopold I. gipfeln, doch führt er nicht in seiner Person ein Tugendprogramm systematisch zusammen. 1 5 5 D i e Erinnerung an eine traditionale, >ritterliche< Darstellung der Tilgenden prägt sich im Habspurgischen Ottobert, den chevaleresken Reminiszenzen des Epos gemäß, deutlicher aus als in Birkens auf Kontinuität, Widerspruchsfreiheit und Systembildung ausgerichtetem Entwurf. Als l ü g e n d - und Heldentempel erhält der Stammbaum bei Birken eine architektonische Struktur. Auch wenn Birkens Texte nur literarischen Mausoleen gelten, stehen die Sammlungen ohnehin den zeitgenössischen Beschreibungen ephemerer oder massiver Begräbnisarchitekturen nahe. 156 D i e Disposition bekommt auf diese Weise im Wortsinn eine räumliche Dimension. D a s Gesamtensemble ist - mehr als Opitz' Heldengrotte 1 5 7 - auf die suggestive Präsentation fürstlicher Größe ausgerichtet. Das feste Haus und die Verewigung von Namen und Versen im Stein entsprechen dem heroischen Genre und stehen dem schäferlichen Brauch gegenüber, Gedichte in (vergänglichere) Baumrinden einzuschneiden. D i e Verbindung zwischen den harten Werkstoffen und dem zeitüberdauernden Heldenruhm setzt als literarisch verwirklichte das Argument um, demzufolge allein die poetisch ausgemünzte Fama unzerstörbar ist. 158

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Hohberg: Habspurgischer Ottobert, 23. Buch, V. 1251-1259. Hohberg: Habspurgischer Ottobert, 23. Buch, V. 1325-1364. Anschauungsmaterial bei Spellerberg: Lohensteins Beitrag zum Piasten-Mausoleum. Opitz bietet eine Abfolge mehrerer Grotten, von denen die erste den Nymphen bzw. Musen, die zweite der Thetis als deren Mutter, die folgende der Genealogie des Schaffgottschen Geschlechts und die letzte den Heilquellen gewidmet ist. Zwar gipfelt die Inszenierung in der Darstellung des Helden, doch bemüht sie sich als ganze nicht um die psychagogische Stringenz, auf die Birken im »Ostländischen Lorbeerhäyn« Wert legt. Vgl. z.B. Fleming: Auff eben desselben [d.i. Herzog Friedrich zu SchleswigHolstein] seinen Nahmens-Tag, in: Teutsche Poemata, S. 222: »Stahl rostet und wird alt/1 Stein frist das Wetter aus: Holtz brennt und faulet baldt. | Was so kömmt/ geht so fort. Thues einer nur/ und traue/1 deß Marmels Ewigkeit; Er gehe hin und haue | sein Thun/ und was soll stehn/ in fästes Eisen ein. | und schaue wo es denn nach kurtzer frist wird seyn. | Sonst alles folgt der Zeit. Nur unsre schönen Bücher | sind für dem Untergang' am allerbesten sicher/1 und trutzen jeden Todt«.

267 Ebenso weisen die Säulen auf die Absicht heroischer Größendarstellung, von denen vier das Eingangsportal, zwölf hingegen das Tempelgewölbe tragen. 159 In der Heldengalerie der Pegnitz-Schäferey nicht weniger als in der Guelfis findet sich jeweils zwischen den Bildtafeln bzw. Standbildern eine Säule. 160 Über die Säule als architektonisches Tugend-, Herrschafts- und Stabilitätssymbol gibt die Emblematik für unsere Zwecke hinreichende Auskunft. 161 Da der Innenraum des Tempels, der von den >Säulen des Hauses< gestützt wird, Himmel und Erde repräsentiert, formuliert das Gebäude insgesamt den Habsburgischen Weltherrschaftsanspruch. Zur imponierenden architektonischen Attitüde des fiktiven Bauwerks gehört auch seine Komposition aus erlesenen Materialien: Der Marmor, aus dem das Gebäude errichtet ist, bleibt den Schäfern verborgen, »dann/ die Wände/ mit Goldstein überlegt/ schienen gleichsam mit Goldstaube bestreuet. Die Seulen/ waren mit Jaspis bekleidet«, das Deckengewölbe als Himmel hingegen mit Saphir und Diamanten, während der Boden »bunt/ mit schwarz- gelb- roht- vnd weißem Marmor Rautenweiß/ gepflastert« ist.162 Während Birken den Text in eine architektonische Raumorganisation transformiert, verwandelt sich umgekehrt der Tempel in einen Bedeutungsraum, dessen Bauteile einschließlich ihrer Zuordnungsverhältnisse umfassend der suasiven Intention unterworfen werden und von den Schäfern auch in diesem Sinn dechiffriert sein wollen. 163 Der Verfasser entwirft ein SchauGebäude, das keinem anderen Zweck als dem der Betrachtung dienen kann. Die deutende Vermittlung zwischen dem allgemeinen Tugendbegriff, den allegorische Figuren über dem Kaiserstandbild verkörpern, und der historischem Figur übernimmt - nicht philosophisch, sondern suggestiv - eine emblematische Struktur, 164 deren Lektüre sich in stets gleicher Sequenz wiederholt: Die Säulenbasen zeigen »allgemahl auf der vordem Feidung ein Sinnbild [die Pictura]/ auf den übrigen allerley GeschichtSachen/ eingegraben und mit Gold erhaben«, sowie die zugehörige Inscriptio. Die Subscriptio, eine zwölfzeilige »Uberschrifft« (Epigramm) findet sich auf einer von der 159 160

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Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 98; 102-104. Birken: Fortsetzung der Pegnitz-Schäferey, S. 49, in: Pegnesisches Schäfergedicht; Guelfis, S. 170f. Vgl. dort auch S. 213f. Henkel/Schöne: Emblemata, Sp. 1197-1199; 1226-1229. Für die Ikonologie der Säulen vgl. z.B. Ahrens: Hyacinthe Rigauds Staatsporträt LudwigsXIV., S. 130171 (speziell zur Zweisäulendevise, die auf den Herkules-Mythos zurückweist, in die politische Symbolik der Habsburger übernommen und von Ludwig XIV. gegen deren Weltherrschaftsansprüche gewendet wird). Vgl. z.B. auch Dach: Poetische Wercke, E ii v: »Du Seule Brandenburgs/ du Preussens Sicherheit [...]«. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 102f. Zur Kostbarkeit der Materialien auch Guelfis, S. 170f. Zu den barocken Raumkonstruktionen Wiedemann: Bestrittene Individualität, S. 584. Auf das Emblematische verweist Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 174, selbst. Ohnehin meinen die schon im Titel genannten »Sinnbilder« Emblemata.

268 Tügendallegorie gehaltenen »schwarze[n] Tafel von Agat [...]/ auf welcher etliche mit Gold geschriebene Zeilen zulesen waren.« 165 Die Kaiserstandbilder werden so gewissermaßen selbst zur verkörperten Subscriptio, zugleich zum allgemeinverbindlichen TUgendvorbild. Den Abschluß bilden, vorgetragen von der Nymphe, historisch-exemplarische Erzählungen aus der Vita des Kaisers. Auf diese Weise entsteht zwischen Lebensereignissen und Tugendkategorien ein streng geordnetes und architektonisch stabilisiertes Bedeutungskontinuum. Daß diese stringent funktionalisierte Konstruktion, die keine bedeutungsfreien und systemfremden >Örter< zuläßt, das kosmologische »Prinzip der Fülle« verkörpert, das zum Zweck der Theodizee die Gefahr von Kontingenz und Sinnvakuum aus der Schöpfung auszuschließen sucht, 166 sei hier nur als Möglichkeit angedeutet. Auf jeden Fall will die Anlage in dem Maß, in dem Architektur und Zierrat funktionalisiert werden, den Betrachter davon abbringen, eigene Wege der Geschichtsdeutung einzuschlagen. Die künstliche Anschaulichkeit der hierarchisch gestuften und psychagogisch arrangierten Bedeutungsfolge wirkt als Technik der Wahrnehmungskontrolle. Der aufwendige architektonische Apparat, der Wert, den Birken auf die prächtige Erscheinung des Ahnentempels legt, der Detailreichtum der >Erfindung< und die perspektivisch auf Ferdinand III. ausgerichtete Disposition zeigen, daß der Text ein in Stein verewigtes herrscherliches Zeremoniell vor den Augen des Lesers vollzieht. Man wird zwar die Adressaten des Lorbeerhäyns unter den literarisch Gebildeten suchen müssen, denen der Nachvollzug des Bildprogramms zugemutet werden konnte. Mit dieser Einschränkung gilt aber auch für den Heldentempel Lünigs bekannte Zweckbestimmung des Zeremoniells: Denn die meisten Menschen, vornehmlich aber der Pöbel, sind von solcher Beschaffenheit, daß bey ihnen die sinnliche Empfind- und Einbildung mehr, als Witz und Verstand vermögen, und sie daher durch solche Dinge, welche die Sinnen kützeln und in die Augen fallen, mehr, als durch die bündig- und deutlichsten Motiven commoviret werden. 167

Beispielhaft nehmen die Schäfer die vom Leser erwartete Haltung vorweg: Die Nymphe Noris »öffnete uns ein rundes Jngebäu/ auf die Art der alten Römischen Tempel; von so unvergleichbarer Herrlichkeit/ daß wir erstes Anblicks darüber erstutzeten.« 168 165

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Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 103f. Eine genauere Interpretation unter diesem Aspekt ist an dieser Stelle nicht erforderlich. Für die Komposition von Emblemata vgl. Schöne: Emblematik und Drama. Dazu Lovejoy: Die große Kette der Wesen. Lünig: Theatrum ceremoniale, S. 5. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 102. Im Vergleich dazu Opitz: Schäfferey von der Nimfen Hercine, S. 26: »Diese anmutige hole war nach art der alten tempel zickelrundt/ vnd in zimlicher höhe.«

269 Der suasiven Gesamtintention arbeitet die Grottensituation zu. Im Lorbeerhäyn verdoppelt Birken diese Inszenierung sogar: Die Schäfer gelangen durch eine Höhle an einen amoenen Ort, an dem sie den Heldentempel in einem »Erzbergwerk« entdecken.169 Die in der Höhle versammelten Schätze sind auch in der Guelfis - ähnlich wie schon bei Opitz - »meist unter dem hohen Harzgebirge gewachsen«.170 Das Alter dieser Anlagen171 wie auch der Zusammenhang von Grotte und Erz verweisen auf den Anspruch der Höhleninszenierungen, das Ursprüngliche zu rekonstruieren oder, mehr noch, zu konstruieren, und damit auch die Vergänglichkeit zu überwinden.172 In der Schäfferey von der Nimfen Hercinie wird die Ursprungsnähe darüber hinaus in der Anlage einer der Grotten als Quellkammer versinnbildlicht: »Diß ist/ sagte sie [Hercinie]/ die Springkammer der flüße/ darvon so viel felder befeuchtet/ so viel flecken vndt Städte versorget werden.«173 Der Abstieg in die Grotte veranschaulicht so den Rückgang zur »Ankunfft« des Geschlechts. Die Nymphen in Birkens Guelfis und die Grotte als ihr Werk verbürgen selbst diesen Aspekt der Ursprünglichkeit: Mein Name ist Guelfis; und diese meine Gespielinnen/ nennen sich Brunetta und Selene. Sie sind vor 400 Jahren/ zu Ottens des Ersten Herzogens zu Braunsweig und Lüneburg Zeiten/ gebohren/ und ich/ bin allbereits über 900 Jahre alt/ weil ich dazumahl zur Welt gekommen/ als Gr. Jsenbard/ der Grafen zu Altorf Stammvatter/ die 12. erste Weifen erzogen.174

Die Suche nach dem genealogischen »Erz« entspricht durchaus den sprachgeschichtlichen Bemühungen, die Qualität der deutschen als »Erzsprache« nachzuweisen. Auch bei Birken versteht sich aber die Ursprünglichkeit nicht lediglich als zeitliche Bestimmung; der Grottensituation kommt vielmehr eine moralische Wertigkeit zu. In diesem Sinn sichert die Grotte dem Fürstengeschlecht eine moralische Legitimation der politischen Herrschaft. Der von den Nymphen angelegte und bewachte unterirdische Aufstellungsort tritt in der Guelfis der Menschenwelt gegenüber, der Glanz des Wahren dem falschen Schein:

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Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 83t; 91-96. Zu den Grotteninszenierungen Wiedemann: Bestrittene Individualität, S. 588; Rohmer: Die Hirten in der Grotte, S. 284t Birken: Guelfis, S. 175. Vgl. auch ebd., S. 171: »Die Wand bekleidete ein selbstgewachsenes Erz/ aus welchem allerhand Edelgesteine hervorblicketen/ auch die Gold- und Silber-Fletzen reichlich gleichsam hervorflossen.« Vgl. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 84: »Unser Führer berichtete uns/ wie daß der Ort/ bey Mannsgedenken/ eine Einsidlers Wohnung soll gewesen seyn«. Zu dieser Bedeutung des Erzes das Lobgedicht zum 70. Geburtstag des Herzogs August von Braunschweig-Lüneburg in: Birken: Guelfis, S. 216: »Trinkt her! ich thu bescheid: | so fliest ein gutes Lied ins Erz der Ewigkeit.« Opitz: Schäfferey von der Nimfen Hercinie, S. 25. Birken: Guelfis, S. 173.

270 Und weil ihr so töricht seit/ daß ihr aus Gold und Silber Schwerder schmiedet/ und aus Edelgesteinen Roh-Hagel giesset/ euch selber damit zu ermorden: so lässt die Gottheit euch das Wenigste von den ErdSchätzen zukommen/ und ihr fördert euch durch das/ was ihr mühselig aus der Erden hervorkratzet/ und hernach verprasset oder verprachtet/ nur desto eher unter die Erde.

Was auf der Erde Gegenstand von Mühe und Streit sei, »das wächset uns hier unter den Händen/ und achten wir solches/ wie eure Kinder die Puppen/ womit sie spielen. Wer keines Dings misbrauchet/ der hat alles genug. Wer nach der Natur und Vernunfft lebet/ der hat wenig vonthun.« 175 Ursprünglichkeit und Tugendfestigkeit begründen einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. In diesem Sinn darf man den Hinweis auf die »Hercinia silva« verstehen, die sich aus zeitgenössischer Sicht zwischen der Schweiz und Polen erstreckt: Guelfis und zwei weitere Nymphen stellen sich als »Töchter der grossen Hercinie« vor, die »an der Gränze dieser Alt-Sächsischen Lande ihren unterirdischen HofSitz hat: daselbst auch ihr Wald/ der sonst/ unter mancherley Namen/ sich durch ganz Teutschland erstrecket/ nach ihr der Harz oder Harzwald heisset.« 176 An der »Pegnitz-Schäferey« erkennt man das politische Potential der unterirdischen Ursprungsnähe. Während 1645, im Erscheinungsjahr der »Fortsetzung«, der Dreißigjährige Krieg noch andauerte, versammelt die Grotte parteiübergreifend die Bildnisse vierundzwanzig inzwischen verstorbener »Helden« der Kriegsjahre: »Vnd/ dieweil jetziger Zeit die Kriegesflamme in allen Winkeln der Welt leider kreucht und schleichet/ werden diese ihre Lobes-Tafeln in dieser Hole aufbehalten/ bis so lange gedachte Flamme einmahl verlöschen möchte«. 177 In den »Helden« vergegenwärtigt die Galerie das Heroische als Tligendattitüde, die politisch interessierte, eingeschränkte Perspektiven überbietet und in diesem Sinn über die Dignität von Ursprungsnähe und Allgemeingültigkeit verfügt. Diese Autorität teilt sich in den genealogisch orientierten Konzeptionen dem jeweiligen fürstlichen Stamm mit, der so an der universalen Weltordnung zu partizipieren scheint und eine mythologische und charismatische Legitimation seiner Herrschaft erfährt. Auch Anton Ulrich nimmt in seiner Aramena dieses Motiv auf: In einem Gewölbe unterhalb der Kemuelsburg, des nach dem Dynastiegründer benannten Stammsitzes der syrischen Könige in Damaskus, wird dem angeblichen Abimelech seine wahre Identität als durch Abstammung legitimierter syrischer Thronfolger Aramenes eröffnet. 178 Die vollständigen genealogischen Stammtafeln, die Birken seinen ein-

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Birken: Guelfis, S. 175-177. Vgl. dazu Opitz: Schäfferey von der Nimfen Hercinie, S. 29f. Birken: Guelfis, S. 173. Zur »Hercinia silva« Rusterholz: Der >Schatten der Wahrh e i t der deutschen Schäferdichtung, S. 245f. Birken: Fortsetzung der Pegnitz-Schäferey, S. 55, in: Pegnesisches Schäfergedicht. Vgl. Schilling: Gesellschaft und Geselligkeit im Pegnesischen Schaefergedicht, S. 479. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 677-681.

271 schlägigen Werken beigibt, dienen daher nicht allein der Information, sondern sind auch ein politisch-psychologischer Stabilisierungsfaktor. Allerdings steht in der Pegnitz-Schäferei, deren Schwerpunkt ohnehin auf dem schäferlichen Genre liegt, der Aspekt der Friedensutopie im Vordergrund, während in den genealogischen Werken die panegyrischen Anteile auch quantitativ überwiegen. Vor allem in ihnen macht sich das Interesse des Konzepts bemerkbar: In Hinblick auf die aufwendige Darstellungsweise und die fiktionale Inszenierung der Ursprungsrekonstruktion können die >Heldensäle< ihren >KunstKünstlichkeit< der Anlage und Allgemeinheit des Anspruchs scheint allenthalben durch. Zu den Inszenierungen von Heldentempeln und -grotten stehen die umgebenden Schäferszenerien, von denen aus das Heroische vergegenwärtigt wird, unter mancherlei Aspekten in kräftigem Konstrast. Doch wollen beide, bezogen auf das literarische Konzept, als komplementär angesehen sein, wofür wir in Anton Ulrichs Aramena ein weiteres Beispiel finden werden. Im Weichbild der Schäferszenerie bleibt das heroische Panorama präsent. Floridan sieht, an einen Eichbaum gelehnt, »gegen besagtem Dannenberg/ und bewunderte dessen uralten Schloßthurn/ in welchem vor etlichen huntert Jahren ein Dänischer König gefangen gesessen.« 179 Es genügt aber angesichts der Fallhöhe zwischen beiden Sphären nicht, das Verbindende hervorzuheben. Auch Garbers These von einer »restlose[n] Symbiose schäferlicher und heldischer Qualitäten« 180 scheint mir den beabsichtigten Kontrast zu überspielen. Mit den Schäfern betreten die Literaten die Szene, denen sich das Überleben des >Heldenstamms< im Gedächtnis der Nachwelt verdankt, wenn nicht sogar der Heldentempel selbst. Als solche geben sie sich kontinuierlich durch den Verweis auf das schäferliche Dichteramt und seine Dignität zu erkennen. 181 In den Prosaeklogen tragen sie stets mit eigenen Werken zum Ruhm des Fürsten bei oder melden sich mit der seit langem angesammelten Casual-

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Birken: Guelfis, S. 3. Zum Zusammenspiel von arkadischer und heroischer Landschaft auch Birken: Dannebergische Helden-Beut. Zu dieser Komplementarität Wiedemann: Heroisch - Schäferlich - Geistlich, S. 107f. Garber: Pastorales Dichten des Pegnesischen Blumenordens, S. 151. Garbers These läßt m.E. darüber hinaus kein Gleichgewicht zwischen Schäferei und heroischer Sphäre zu. Das Heroische kommt bei ihm hauptsächlich als die Kraft ins Spiel, die die selbst nicht geschichtlich handlungsmächtigen Schäferideale durchzusetzen hat. Dieses bukolische Übergewicht entspricht nicht dem eigenständigen heroischen Akzent der Prosaeklogen. Einige Beispiele: Birken: Guelfis, S. 6 (Sonett an die Oker); ebd., S. 59-65 (»Ruhmhoffnung von der Poesy«); 162-165 (»An den Dafnis«).

272 lyrik zu Wort. 182 D e m bukolischen Rahmen entspricht ein Sozialmodell, das mit dem der Heldengrotten in Konkurrenz steht. Der statuarischen heroischen Vereinzelung tritt die im Gespräch realisierte Gemeinschaft der Schäfer gegenüber, der agonalen Bewährung des Helden die >irenische< Geselligkeit; ihr entsprechen auch die Liebes- und Freundschaftsthematik. Von den Bilderserien geht ein Subordinationsgebot aus, von den Schäfereien ein Integrationsangebot, das auf ein distanzschaffendes Zeremoniell verzichtet. Übergänge zwischen beiden literarischen Sphären bleiben allerdings möglich. 183 Gleichzeitig wandelt sich der Inszenierungsrahmen. Die Schäfer stoßen auf die Heldenreihen als Inseln des >künstlich< Hervorgebrachten in einer Naturumgebung. Während sich die exklusive Architektur der heroischen Galerien nach innen abschließt und nur ausnahmsweise den Schäfern der Zutritt gestattet wird, ist das Schäferleben in einer offenen Landschaft angesiedelt. Die Besichtigung und >Lektüre< der Bildsammlungen folgt streng dem perspektivisch ausgerichteten Inszenierungsschema und paßt sich damit der Geometrie und Systematik der heroischen Ordnung an. Dagegen scheint den schäferlichen Bewegungen kein bestimmtes Ziel gesetzt zu sein. Die verschiedenen Örtlichkeiten und die Schäferpoesie reihen sich während einer vagierenden »Spazir-Reise« 184 und in »müssigen Stunden« 185 wie zufällig aneinander. Zwar lagern sich die Sammlungen jeweils an einen narrativen Kern an, so in der Fortsetzung der Pegnitz-Schäferey an Floridans Ankunft in Nürnberg 1 8 6 und in der Guelfis an Floridans Aufenthalt in Niedersachsen und seine bevorstehende Rückkehr nach Nürnberg, doch ein Bewegungsp/an steht keineswegs im Vordergrund. Für die Zusammenstellung der Texte gilt Ähnliches: Folgen im Heldentempel in streng rhythmisiertem Zeremoniell Beschreibung, Lektüre und Erläuterung aufeinander, so montiert Birken in der Schäferei Lokalpanegyrik, Biographisches, Liebesdichtung und Casualpoesie so, daß der Anschein eines zwanglosen Aufbaus entsteht. 187 Ebenso muß sich die bukolische Landschaft 182

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Es erübrigt sich, in diesem Zusammenhang erneut die Frage aufzuwerfen, ob sich in den Hirten ein neues, eher tugend- als standesbezogenes Bewußtsein abzeichnet. Vgl. dazu die älteren Arbeiten von Garber: Vergil und das »Pegnesische Schäfergedicht«; Martin Opitz' »Schäferei von der Nymphe Hercinie«. Es sollte aber deutlich werden, daß für meine Interpretation der Aspekt der »Statuskonkurrenz« (dazu auch allgemein Garber: Zur Statuskonkurrenz von Adel und gelehrtem Bürgertum) gar nicht in Sichtweite kommt. Vgl. z.B. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 302-311, das »Hirten-KlagGespräche« auf den Tod Kaiser Ferdinands III., in dem letzterer selbst unter der Maske des gestorbenen Hirtenanführers Dafnis erscheint. Vgl. Schilling: Gesellschaft und Geselligkeit im Pegnesischen Schäfergedicht. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 67. Birken: Guelfis, S. 87. Schilling: Gesellschaft und Geselligkeit im Pegnesischen Schaefergedicht, S. 475f. Wiedemann: Heroisch - Schäferlich - Geistlich, S. 112f.

273 keiner offenkundigen Disziplin fügen, sondern nimmt scheinbar mäandrische Gestalt an. Birken läßt Strephon (Harsdörffer) berichten: Es ist nicht so gar lang daß ich/ meinen Heerden eine fette Weide ausspürende/ von ungeschicht auf einen Abweg gerahten/ welchen ich/ weil er mir zuvor unbekandt und daher wegen Neuheit desto annehmlicher/ so lang verfolget/ bis ich vermittels seiner Jrrsteige endlich an einen öden Ort käme/ welcher mir wegen seiner einsamen und stillen Gelegenheit so wohl gefiele/ daß ich Papier und den Bleygriffel [...] ergriefe.188

Entsprechend tritt dem heroischen Ernst, der sich am eindrucksvollsten im kriegerischen Milieu darstellen läßt, das schäferliche Spiel gegenüber, das sich gegen den Krieg abzugrenzen sucht. Aus der bukolischen Perspektive wird der Krieg nicht als Gelegenheit zu heroischer Bewährung vergegenwärtigt, sondern als leidbringende Störung des Otiums. 189 Darüber hinaus distanziert sich die Schäferei von Stadt und Hof, implizit auch von der Politik: »Eine kleine Pegnitz oder Jetze/ (sagte Filanthon/) ist uns Schäfern anständiger/ als eine grosse/ tieffe und gefährliche Elbe [...]. Jch bin mit dir einstimmig/ (thäte Floridan hinzu/) und ich vergleiche/ mit der Elbe das Leben an Höfen und in grossen Städten; mit den Bächen und andern kleinen Flüssen aber/ das Land- und Feldleben.« 19 " Vor allem die Pegnitz-Schäferey umrahmt die Epigramme der Heldengrotte mit einer Folge von geselligen poetischen Spielen, unter ihnen ein von Strephon und Klajus (Klaj) vorgetragenes Echogedicht, ein Gedicht »auf Art der Gespräche« von Floridan (Birken) und Klajus und ein »Reumenkampf« zwischen Klajus und Floridan. 19 ' Auf die Differenz von Ernst und Spiel ist wenigstens in der Tendenz der Wechsel der poetischen Tonlagen abgestimmt. Birken folgt damit den Vorgaben der zeitgenössischen Poetiken, die - mit decorumbezogenen Abstrichen - für die Schäfer und ihre »bäwrische und einfältige Art« 192 den mittleren oder niederen Stil vorsehen. Auch komische Einlagen sind im schäferlichen Rahmen der Dynastiepanegyrik möglich. 193 Floridan zufolge sind »theils Ehr- theils Scherzworte/ ein denen Schäfern gewönlicher Gesang-

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Birken: Fortsetzung der Pegnitz-Schäferey, S. 70, in: Pegnesisches Schäfergedicht. Vgl. Birken: Guelfis, S. lOf. (»Uber den Teutschen Krieg«). Dem Ausschluß des kriegerischen Konflikts aus der Schäferei widerspricht nicht, daß die Notwendigkeit des Waffenhandwerks anerkannt wird (Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 17-20). Birken: Guelfis, S. 167f. Birken: Fortsetzung der Pegnitz-Schäferey, S. 29-31; 34-36; 84-86, in: Pegnesisches Schäfergedicht. Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S. 28; allgemein zu poetologischen Aspekten der Bukolik Sinemus: Poetik und Rhetorik im frühmodernen deutschen Staat, S. 92-100. Vgl. die »Leichschrift eines Hof-Lewhundes/ Namens Männchen« in: Birken: Guelfis, S. 66-83. Morhof: Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie, S. 333, erwähnt dieses Gedicht eigens als Beispiel für den Gebrauch des Alexandriners in »kurtzweiligen Dingen«.

274 Jnnhalt/ die Schäferinnen damit zu belustigen«. 194 Nach Opitz reden die Eklogen »von schaffen/ geißen/ seewerck«. 195 Um die Wirkung auf den Betrachter oder Leser zu beschreiben, die die Schäferszenerien erzielen sollen, wählt Birken eine uns schon geläufige Terminologie. Wenn Floridan die »Angenemheit« der Natur, den bevorzugten Gegenstand der Schäfergedichte, auf Gottes Allgegenwart zurückführt, »welche in der Anmut des Geschöpfes den verwunderbaren Schöpfer kund machet/ und mundere Gemüter zu Liebe und Verehrung reitzet«, so erkennt man darin die Theorie der Gefallen erregenden Grazie wieder. 196 Ebenso liest man im Lorbeerhäyn über eine Schäferlandschaft: »Gedachte Anhöhen/ erschienen nit rauch oder wild/ sondern ganz anmütig: weiln die Natur daselbst die/ den Augen annehmliche/ Abwechselung durchgehende gehalten.« 197 Der Verfasser benennt selbst den Wirkungsmechanismus, durch den sich die Anmut unvermerkt der »Gemüter« bemächtigt: Die »Angenehmheit« schleiche »durch die Sinnen/ allermeist aber durch die Augen/ uns ins Herz ein[...]: da dann das Herz sich nach und nach in dieselbe verliebet/ und folgends/ was es liebet/ immer zu sehen begehret«. 198 Dagegen zielen die Heldenbilder auf Ehrfurcht und Staunen: »Es schiene/ als wann der beyden Schäfere Sinne sich alle in die Augen verwandlet hätten: üm/ aus sovielen hohen Fürtrefflichkeiten/ ein ganzes Meer der Gesicht-Wollust zu schöpfen. Wie sie dann/ ob diesem allem/ so bestürtzt waren/ daß sie fast kein Wort redeten/ und die Bildnise allein mit Stillschweigen verehrten.« 199 So deutet sich an, daß das Zusammenspiel von heroischer Dignität und schäferlicher Einfalt die >politische< Doppelstrategie von Gravitas und Grazie aufgreift. Doch bei allem demonstrativen Verzicht auf Darstellung und Durchsetzung hierarchischer Verhältnisse arbeiten die Schäfereien demselben Ordnungsprojekt zu wie die Heldengrotten. Im schäferlichen Gewand betreiben gelehrte Dichter das Unternehmen der Naturbeherrschung, Verhaltensregulation und Staatsstabilisierung. Die Schäfereien bedienen sich anderer literarischer Mittel, zielen aber auf programmatisch Verwandtes. 200 Stellvertretend 194 195

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Birken: Guelfis, S. 150. Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S. 28. Vgl. darüber hinaus u.a. Scaliger: Poetices libri Septem, Bd. III, S. 59-61; Harsdörffer: Poetischer Trichter, zweyter Theil, S. 99-110; Birken: Teutsche Rede-bind- und Dicht-Kunst, S. 293-301; Kindermann: Der deutsche Poet, S. 260-275; Morhof: Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie, S. 353£; Omeis: Gründliche Anleitung, S. 220-223. Zur Dreistillehre Dyck: Ticht-Kunst, S. 91-113. Birken: Guelfis, S. 104f. Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 81. Vgl. auch Harsdörffer: Poetischer Trichter, zweyter Theil, S. 102£: »Ein freyes Feld- oder Waltlied klinget vil anmutiger/ als die mordtönenden Trompeten/ und schwirmenden Trommelwürbel.« Birken: Guelfis, S. 104f. Birken: Guelfis, S. 213. Dazu allgemein Wiedemann: Heroisch - schäferlich - geistlich; Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat, S. 164f. Für ein Beispiel vgl. ein Schäfergespräch

275 sei das umfangreiche biographisch orientierte Freundschaftsgedicht »Myrtillos Hagenwald« aus der Guelfis genannt. Darin präsentiert sich Floridan als tugend- und standhafter »Weiser«, der dem Schicksal, vorgestellt im Bild ungezähmter Naturgewalten, widersteht: »Jst nur ein treues Herz/ dem man sich trauen darf: | es ist genug/ weht schon der Nordwind noch so scharf.« D i e Vision schäferlich-dichterischer Geselligkeit bei Myrtillo, die die zweite Hälfte des Gedichts beherrscht, erscheint so als Ergebnis der Bändigungsarbeit an der Natur (deren Spuren man allenthalben antrifft), 201 das Dichten der Schäfer hingegen als diese Mühe selbst: »Jch will ein D e n k m a l setzen/ \ wie schlecht es immer sey.« 202 Auch die Liebesgespräche geben Anlaß, kontrolliertes Verhalten an den Tag zu legen. 2 0 3 - D i e Ordnungsanstrengung gipfelt im Unsichtbarwerden der Kunst: Unferne waren Gänge/ die mit dem Laubgezelt Natur- nit Kunstgepränge ergetzlich stellten vor. Doch sah man an der Spur/ daß dorten sich gezankt die Kunst mit der Natur. 2 " 4 D i e Schäferei gibt sich in diesem Sinn als artifizielles Werk zu erkennen, das schäferliche Dasein als Kulturattitüde, das Spiel als Kunst, der scheinbar zufällige poetische Variantenreichtum als meisterlich beherrschte Gelehrsamkeit und Dichtungstechnik. 2 0 5 Auch wenn die Schäfer, anders als ihre italienischen, englischen und französischen Vorläufer, keine verkleidete Hofüber das Liebesthema in Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 32-34. Ebenso wie im Heldentempel das Streben nach dem falschen Schein dem Erz des Ursprünglichen gegenübersteht (s.o.), wenden sich die Schäfer auf dem ihnen eigenen Gebiet der Liebe gegen die blinde »Begierde« nach »betrüg- und vergänglichem Schatten«. Das mit Allegata und Exempeln angereicherte Gespräch der Hirten u. a. über die Gestirne und die Mythologie, über das Verhältnis von Liebe und lügend und über Merkwürdigkeiten des Quell- und Flußwassers ist im übrigen auch ein Beispiel schäferlicher Gelehrsamkeit. Zum Ordnungsprogramm auch Tschopp: Friedensentwurf (speziell über das »Pegnesische Schäfergedicht«). 201 Vgl. etwa Birken: Ostländischer Lorbeerhäyn, S. 49: »Jn solchem Wortwechslen/ gelangten wir/ im Walde/ zu einer Quelle: welche/ von der nächsten Anhöhe herabfallend/ vermittelst einer Leitröhre/ wieder empor stiege/ und aus derselben in ein Brunngefäße sich ergießend/ den müden und durstlechzenden Wandersieuten einen kühlen Trunk anböte.« 202 Birken: Guelfis, S. 154. Hervorhebung von mir. 203 Ein Beispiel aus Birkens »Guelfis«, S. 98f.: »Wie wann dir aber/ (zwischenredete Filanthon/) in deinem Abwesen/ diese Schöne von einem andern abgefangen würde? Jch werde gewinnen/ sie verlierend/ (antwortete Floridan/) wann sie soviel unbestand hat/ mich zu vertauschen: dann ich müste mich dessen bey solchen ihren Sinne befahren/ wann sie schon die meine wäre. Muß ich mich aber sehr bemühen/ sie vor einem andern zu erlangen: so werden mir die Amarallen desto süsser schmecken/ nach denen ich so mühsam steigen müssen/ und die zu erwerben es mir so sauer worden.« 204 Birken: Guelfis, S. 155f. Vgl. auch »Ostländischer Lorbeerhäyn«, S. 80f. 205 Yg[ Schilling: Gesellschaft und Geselligkeit im Pegnesischen Schaefergedicht, S. 480t

276 gesellschaft bilden, 206 übernehmen sie doch aus der Hofkultur die Kunst der Verstellung. Nicht weniger erweist sich der bukolische Stilus humilis in der Feder der dichtenden Hirten als literarische Dissimulation, als argutiöse Verkleidung. 207 Die Konzeptionsprobleme, die schon zeitgenössische Poetiken im gelegentlich unstandesgemäßen Scharfsinn der Schäfer sahen, waren nicht durch >echte Naivität< zu lösen, sondern durch bessere Verstellung. Insofern die Schäferdichtung Nähe zur adamitischen Sprache reklamiert, 208 scheint es angemessen, von künstlicher Ursprünglichkeit zu sprechen, die (wie die Heldengrotte) unzweifelhafte Glaubwürdigkeit der intendierten Ordnung herstellen will. Als dissimulierte Kunst beteiligen sich die Schäfereien an der Legitimationsaufgabe der Heldengrotten. Offenbar liegt die Ordnung, auf die sie zielen, nicht allein im fürstlichen Interesse, sondern will auch als das Projekt der Literaten angesehen werden. Die Arbeit der Gelehrten gewinnt jedenfalls für das Staatsganze eine grundlegende Bedeutung: Heroische Fürsten und gelehrte Schäfer treffen sich in den Bemühungen um eine vom Verdacht des Interesses freie, hinreichend allgemeingültige und metaphysisch gesicherte Begründung von Staat und Herrschaft. Das Zusammenwirken gipfelt darin, daß die Schäfer selbst verdeckt Erfinder und Einrichter der Heldengrotten sind. Ihnen verdankt sich der zeitüberdauernde heroische Ruhm. 209 Das Gewicht verlagert sich so bis zu einem gewissen Grad von der Person des Fürsten auf das Gemeinwesen. Doch können sich die Prosaeklogen ihres Legitimationsauftrags nicht im Sinn einer überzeugenden Argumentation entledigen, sondern nur in Form einer ästhetisch suggestiven Inszenierung. In dieser Hinsicht arbeiten schäferliches und heroisches Milieu Hand in Hand, um die mögliche Frage nach einer letzten Herrschaftsbegründung gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Schäferei dissimuliert das >künstliche< Eingreifen (nicht zuletzt auch die Urheberschaft der Dichter am heroischen Panorama), das in den Heldengrotten dominiert. Die genealogischen Tempelanlagen formulieren dagegen den Herrschaftsanspruch, den die Schäfereien verschweigen müssen. Ich sehe keinen Anlaß, Otium, Freundschaft und Friedlichkeit der Schäfer gegen Konfliktbereitschaft und Tatendrang der Helden auszuspielen. Die Prosaeklogen geben keinen Hinweis, auf welche Art die heroische Sphäre, die nicht konfliktlos denkbar ist, mit der schäferlichen in Einklang zu bringen wäre, die nur konfliktfrei gedacht werden kann. Insofern hinter beiden unvereinbaren Attitüden die jeweils andere sichtbar wird, nimmt Birken dem Leser den festen Urteilsstandpunkt und zieht ihn in ein argutiöses Spiel hinein. Die Gegensätzlichkeit der Attitüden ist das Mittel, mit dessen Hilfe An206 207 208 2m

Dazu im Überblick Garber: Arkadien und Gesellschaft. Garber: Pastorales Dichten des Pegnesischen Blumenordens, S. 147. Garber: Pastorales Dichten des Pegnesischen Blumenordens, S. 149. Vgl. Rohmen Die Hirten in der Grotte, S. 285 u.ö.

277 haltspunkte für Zweifel an der absoluten Legitimation der politischen Herrschaft in Form eines anspruchsvollen Arrangements unkenntlich gemacht, wenn auch nicht beseitigt werden können. 4.2.2 Legitimation und Geschichtsorganisation in Hallmanns Schlesischen Adlers Flügeln Die vorherrschende Stilfigur in Hallmanns Schlesischen Adlers Flügeln (1672) ist die Antithese: »Drüm war sein Kercker auch in einen Thron verwandelt/ I Die Kett' ins Zeptersgold/ das Ungern ihm geschenckt.«210 Sie decouvriert immer wieder ihren Gegenstand als das, was er nicht zu sein scheint. Der plötzliche Umschlag vom Glück ins Unglück oder umgekehrt ist nur eine Erscheinungsform dieser Darstellungsweise: »Sie [die »Begierde«] trägt ein Bettel-Kleid statt der verlangten Zierde/ | Und vor den Zepter offt den Pilgrams-Stab davon.«211 Löst man die antithetischen Figuren aus dem Textganzen, so liegt der Eindruck einer tiefgreifenden Verunsicherung über die Beschaffenheit der Welt nahe. Der Text, so scheint es, lehrt das Mißtrauen in die Wirklichkeit, wie sie sich gibt. Der Befund provoziert den Wunsch, der politischen Wirklichkeit in ihrer wahren Gestalt habhaft zu werden. Wer dergleichen Zweifeln weiter nachhängen wollte, würde jenen Punkt erreichen, an dem die moralische Legitimierbarkeit der politischen Praxis überhaupt in Frage steht. Nicht nur, daß die Maßstäbe solchen Handelns an Klarheit verlieren müßten; der Verdacht läge nahe, daß die Vieldeutigkeit der Welt das Werk der Politik sei. Anton Ulrich setzt sich in der Aramena mit dieser Frage auseinander. Dagegen liegt Hallmann in den Adlers Flügeln, auch aus Gattungsgründen, nicht an solchen Weiterungen; man möchte sagen: im Gegenteil. Die Umstände, auf die die Adlers Flügel reagieren, sind freilich konkreterer Natur - auch wenn ich den unmittelbaren Anlaß, der zur Entstehung der Schrift geführt hat, nicht rekonstruieren konnte. Hallmann verfaßte im Auftrag eines ungenannten »Patronfs]«212 das Werk als Lobdichtung auf die konfessionell und verfassungspolitisch weder unumstrittene noch gefestigte, vor allem aber nicht lückenlos durch Genealogie und Erbgang begründete

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Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 65. Vgl. z.B. auch S. 29: »Auff grimmen Sonnenschein folgt Donnerreiches blitzen; | Spannt man den Bogen sehr/ so springt die Sehn' entzwey: | Ein allzustrenger Thron ruht nicht auff festen Stützen/ | Und kehrt/ eh man's vermeint/ des Zepters Gold in Bley.« S. 46: »Verirter Vladißla! Du bist zwar kurtz von Gliedern/1 Dein kleiner Leibes-Bau wirfft keinen Schatten ab; | Doch dein hochfliegend Hertz wil Göttern sich verbrüdern/1 Und in des Jovis Blitz verwandeln Schwerdt und Stab.« Zur Interpretation dieser Figur wiederholt Kirchner: Fortuna in Dichtung und Emblematik des Barock. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 25. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, Vorbericht (unpaginiert).

278 österreichische Herrschaft in Schlesien. 213 Eigentlicher Adressat ist Kaiser Leopold I. In der ungewissen Ausgangskonstellation steht das Werk durchaus Lohensteins Lob-Schrifft auf den 1675 gestorbenen letzten schlesischen Piastenherzog nahe, mit der ich mich im nächsten Kapitel beschäftige, in Perspektive und Absichten gehen beide geradezu entgegengesetzte Wege. Aus den historischen Voraussetzungen ergibt sich, daß Hallmann keinen geschlossenen Stammbaum liefern kann. Stattdessen verstehen sich die Adlers Flügel über die Dynastiegrenzen hinweg als »Beschreibung aller Obristen Hertzoge über das gantze Land Schlesien«,214 als Behauptung eines geschlossenen Legitimationszusammenhangs. Die Darstellung muß diese schwächere Ausgangslage kompensieren. Die Abweichung vom stammesgeschichtlichen Schema zeigt sich besonders deutlich im Vergleich mit dem genealogischen Text-Bild-Programm, das Lohenstein für das 1679 vollendete Piasten-Mausoleum in Liegnitz entworfen hat. 215 Der ganze Text ist von Begründungen der Legitimität der jeweiligen, besonders aber der österreichischen Herrschaft in Schlesien durchzogen und ergreift in diesem Sinn entschieden Partei. 216 Als Beispiel dafür, daß er apologetische Absichten im Habsburgischen Interesse verfolgt, mag gelten, wie sorgfältig er die Lösung der schlesischen Piasten von Polen um die Mitte des 14. Jahrhunderts rechtfertigt - die Voraussetzung für die Inkorporation Schlesiens als Nebenland in das Königreich Böhmen und seinen Übergang an das Haus Habsburg 1526. Für diese Wendung, die als Signal ständischen Eigenwillens gegenüber dem angestammten Oberherrn in einer Darstellung Habsburgischer Ansprüche besonders schwer zu begründen war, führt Hallmann eigens die »vernünfftigsten/ warhafftigsten/ und unpaßionirten Ursachen« an, nämlich: Die Benachteiligung Schlesiens durch die Polen, besonders nach »entführung [!] der Teutschen Sprache/ Sitten/ und Höffligkeiten in Schlesien«, das durch 213

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Für einen Überblick mit besonderem Gewicht auf den habsburgisch-brandenburgischen Interessengegensätzen vgl. Bein: Schlesien in der habsburgischen Politik. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, Vorbericht (unpaginiert). Spellerberg: Lohensteins Beitrag zum Piasten-Mausoleum. Die Frage, ob Lohenstein sich die »Adlers Flügel« für das Programm zunutze machte (ebd., S. 663, Anm. 36), wäre allenfalls unter dem Aspekt der Differenz zwischen beiden Entwürfen fruchtbar. Beispiele: Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 49: Johann von Luxemburg habe durch seine Heirat mit Elisabeth, der Tochter des polnisch-böhmischen Königs Wenzeslaus, »als einer rechtmässigen Erbin nach ihres Vaters und Bruders Tode das Königreich Böhmen überkommen«. S. 61: »Worauf er [Ladislaus Posthumus] bey seiner Zurückkunfft zu Präge als ein rechtmäßiger Kron-Erbe zum Könige in Böhmen gekrönet worden.« S. 81 zum Beginn des dreißigjährigen Kriegs: »Allein weil diese [die Böhmen] sein [Ferdinands II.] bewegliches und treugemeintes Ermahnen in Wind schlugen/ ihn als ihren rechtmäßig gesalbten und gekrönten König durch Erwählung Friedrici V Chur-Fürstens und Pfaltz Grafens am Rhein muthwillig verwarffen/ auch nebst Zuziehung anderer unruhiger Potentaten und Stände würckliche Feindseeligkeiten verübten/ so muste Ferdinandus Gewalt mit Gewalt vertreiben«.

279 inneren Zwist gesunkene Ansehen der polnischen Könige, »heimlicher Haß/ Neid/ und Wiederwillen« auf beiden Seiten und die Vorzüge des böhmischen Königs Johann von Luxemburg »durch seine angeborne Sanfftmuth und kluge Höffligkeit«. 217 Diese Gründe verdichten sich in der Person des polnischen Königs Wladislaus Locticus, dem Hallmann die dominierende Untugend der Superbia zuschreibt: Ach daß der Neides-Dorn so deine Brust durchstochen! Daß deinen streibahr'n Geist die Hoffart so besiegt! Es hätte sich diß Land nicht deinem Joch entbrochen/ Noch zu des Zechus Thron freywillig sich verfügt. 218

Ebenso dient den Habsburgischen Hegemonialabsichten die Abwendung anderweitiger Ansprüche auf Böhmen, sei es in Form des religiösen Separatismus der Hussiten, sei es in der Person Friedrichs V. von der Pfalz, des »Winterkönigs«. Herrschaftsbegründend wirkt in diesem Zusammenhang das Habsburgische Auftreten als Ordnungsmacht gegenüber dem »unsinnigen Pövel zu Breßlau«, »wider die rasenden Böhmen« und gegen »Husses freche Schaar«. 219 Verdeckter Gegenstand der Adlers Flügel sind nicht zuletzt die Gegensätze zwischen ständischen und monarchischen Interessen, die im habsburgischen Bereich wegen der absolutistischen Ansprüche des Hauses besonders klar profiliert waren. 220 Damit wird deutlich, daß die antithetisch veranschaulichte Ungewißheit über die Wahrheit in der politischen Welt in den Adlers Flügeln nur scheinbar ist; in der legitimen Nachfolgereihe gilt sie von Beginn an als beseitigt. Die Antithetik kann sich unter diesen Voraussetzungen in eine psychologisch geschickte Darstellungsform verwandeln. Über die Habsburgerprogrammatik hinaus ist unübersehbar, wie sehr dem Verfasser daran liegt, das Interesse zu verdecken und die österreichische Herrschaft in Schlesien in allgemeingültigen Tugendnormen zu begründen. Wenden wir uns den Fragen zu, welche literarischen Zwecke Hallmann verfolgt und welche politischen Leitideen in das Werk eingehen. Die Adlers Flügel bestehen, darin verwandt mit der Heldengrotte in Birkens LorbeerHayn, aus epigrammatischen Gedichten auf die schlesischen Oberherren, jeweils gefolgt von einer »historischen Anmerckung«. Die unmittelbare Notwendigkeit nachträglicher Erläuterungen ergibt sich aus den Verdichtungen der Epigramme. Auch zeitgenössischen Lesern dürfte der Bezug nicht jeder Wendung zugänglich gewesen sein - ein erster Hinweis auf das poetische Transformationsverfahren der Gedichte. So vermerkt das Lobgedicht auf Kasimir II.: »Zu klagen ist es nur/ daß du so schnell erblasset/ | Als gleich die

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Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 47; vgl. auch S. 49f. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 46. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 56; 58. Zu den Auseinandersetzungen mit Friedrich von der Pfalz zur Zeit Ferdinands II. S. 80-82. Vgl. allgemein z. B. Braungart: Hofberedsamkeit, S. 129f. u. ö.

280 Ewigkeit der Seele dich erquickt!« Ohne die »historische Anmerckung« bliebe das zugrundeliegende Ereignis unverständlich: Bei einem Bankett sei Kasimir »unter wehrendem Discurß von Unsterbligkeit der Seele/ nach Austrinckung eines Glaß Weines unversehens darnieder gefallen«, worauf er alsbald »seine tugendhaffte Seele ausgeblasen« habe. 221 Obwohl die Erläuterungen jeweils einen Erzählzusammenhang bilden und insofern eigenständig sind, übernehmen sie zugleich die Rolle eines Stellenkommentars zu den Epigrammen. In ihrer Funktion ähneln sie den gelehrten Fußnoten und Anmerkungen zu Gedichten und anderen literarischen Texten. Genetisch ist das Verfahren allerdings eher umgekehrt: Ausgewählte historische Informationen, wie die »Anmerckungen« sie verzeichnen, verwandelt der Verfasser in ein panegyrisches Konzentrat. Erst aus dieser Perspektive läßt sich erkennen, auf welche Weise Hallmann seinen Auftrag zu erfüllen sucht. Die Adlers Flügel dokumentieren den Prozeß einer Überformung der Historia. Der Sammlung liegt, wie bei Birken, ein Ordnungsinteresse zugrunde. Hallmann nimmt in das Werk 38 Fürsten auf, denen er jeweils eine dominierende Tugend oder Untugend zuweist. Diese fürstenspiegelartige Ethik unterstellt sich dem politischen Stabilitätsbedarf. Fast jede Tugend ist eine Variante der >Beständigkeit< oder führt zu einem Habitus, der dazu geeignet ist, den Wirkungsbereich der Fortuna einzuengen. Doch vor allem zeigt sich bei einem näheren Blick auf die Tugenden politische Stabilität als der Maßstab, an dem sich das Verhalten des Fürsten auszurichten hat: Semovitus, der »Streitbare«, vertreibt »die Donnerschwangren Blitze | des rasenden Gelücks [...] mit starcker Hand«; 222 über Semomislaus, den »Vergnügten«, liest man: »Wer dieses Kleinod [»ein vergnügtes Hertz«] kan auf dieser Welt gewinnen/ I Der wird durch keinen Sturm der tollen Zeit betrübt«. 223 Umgekehrt mahnt Hallmann im Anschluß an das Exemplum Mieslaus' II., des »Gelinden«: »Doch wenn man gar zu sehr den Zügel läßt entgehen/ | So wirfft das tolle Pferd den Reuter in den Sand.« 224 Wie sehr die Tugendreihe als politischer Stabilitätsfaktor eingesetzt wird, demonstriert ihre Tendenz, in einer Reputationstopik zu gipfeln. In diesem Sinn lösen sich die abschließenden drei Beinamen (»der Triumphirende«, »der Unvergleichliche«, »der Unüberwindliche« für Ferdinand II., Ferdinand III. und Leopold I.) vom Tligendkanon und betonen den Majestätsaspekt. Doch auf welche Ordnung zielen die Adlers Flügel, und wie legitimiert sie sich? Die übergreifende Organisationsform, auf die die Tugendlehren ausgerichtet sind, zeigt sich in ihrer Disposition. Die Kupferstichbeigabe veran221 222 223

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Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 32-34. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 3 Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 7. Weitere Beispiele: S. 15 (»Der Sanfftmiithige«); S. 27 (»Der Bescheidene«); S. 34 (»Der Geduldige«); S. 39 (»Der Unerschrockene«); S. 69 (»Der Unverzagte«). Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 13.

281 schaulicht, welches Gewicht auf dem Systemcharakter liegt. Sie ordnet symmetrisch sechsunddreißig Fürstenporträts in Form einer Gemäldegalerie an, die perspektivisch auf den schlesischen Adler als Fluchtpunkt zuläuft. (Abb. 5) Unter ihm ist das Porträt des ersten (Piastus), über ihm das des letzten Vertreters der Fürstenreihe (Leopold I.) piaziert. Wenn Hallmann darauf verzichtet, unter die schlesischen Fürsten den polnischen König Primißlaus aufzunehmen, in dessen kurzer Regierungszeit »nichts merckwürdiges sich ereignen können«, 225 so darf man darüber spekulieren, ob zu dieser Entscheidung der Umstand beitrug, daß ein zusätzliches Porträt der Symmetrie abträglich gewesen wäre. Diese Ordnung bewährt sich als Herrschaft über die Historia (und damit über die Politik). Auch in der Verteilung von Glück und Unglück nach Tugendverdienst scheinen demgemäß die historische Willkür sistiert und das Geschehene auf die im Haus Habsburg gipfelnde Tugendserie zurückgeführt zu sein: »Die Tilgend ist dein Schild/ das Glücke deine Magd.« 226 Tatsächlich gehört die Zuschreibung von Glück und Unglück selbst zu den Ordnungsleistungen des Verfassers. Scheint es auf den ersten Blick so, als wollte die Sammlung über das »Glück« auf dem Feld der Politik verunsichern, so zeigt sich jetzt, daß die Antithetik in Wirklichkeit auf das Habsburgerregiment zuführt. Dieselbe Intention liegt den Hinweisen auf die Providenz zugrunde, auf »Gottes Gnaden-Hand«, die von der Reihe der vorbildlichen Fürsten, vor allem aber vom Stamm der Habsburger Unheil fernhalte. Maximilian II. erhält den Beinamen des »von Gott Beschützte[n]« 227 Die Adlers Flügel erheben den Anspruch, jenseits dynastischen und machtpolitischen Interesses das Habsburgerregiment in Schlesien als allgemeingültige Tugendordnung zu präsentieren. Diesem Universalitätsanspruch gemäß will den Kaiser Ferdinand III. »die gantze Welt zu einem Gott« machen. 228 Die Fürsten- und Tugendgeometrie demonstriert eine Herrschaftslegitimation, die die symbolische Autorität von Traditionszusammenhängen zu erhalten sucht, indem sie unter dem Vorzeichen der Dispositionssouveränität Gebrauch von ihnen macht. Daß das Verfahren einem rektifizierenden Eingriff in die Geschichte gleichkommt, erkennt man auch daran, daß es dem Verfasser nur im Einzelfall gelingt, die überlieferten, durchaus nicht immer aus der Tugendlehre

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Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 44. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 85. Vgl. andererseits S. 63 das Bild Georgius Podiebraths, des »Unglückseelige[n]«, der als »Beschützer der Hußitischen Lehre« sein Geschick verdient zu haben scheint. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 73f. Weitere Beispiele S. 7: »Doch giengen erst recht auf die güldnen Freuden-Sonnen/ | als Gottes Wunder Hand Miescons Aug' erleucht«; S. 83: »Zudem kan LEOPOLD, dein Augentrost bezeigen/ | Wie sehr der grosse Gott vor deinen Stamm gewacht«. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 82.

282 stammenden Beinamen in seine Higenddisposition zu übernehmen. 229 Insgesamt stattet das Werk die Fürstenreihe mit einer neuen, geschlossenen und perspektivisch arrangierten Beinamenserie aus 230 In doppelter Hinsicht tritt so die Tendenz der Geschichtstransformation hervor: Die Epigramme verwandeln die einzelnen Fürsten in Tugendallegorien und integrieren sie in einen festen Systemzusammenhang. Schon um ihre Glaubwürdigkeit, den Anschein des Ungewollten, zu bewahren, müssen sie sich auf das geschichtlich Vorgefallene berufen; gleichzeitig binden sie aber die Fürsten wie auch die Geschichte Schlesiens an allgemeingültige Normen und nehmen ihnen bis zu einem gewissen Grad die politisch unzuverlässige Individualität. Entsprechend beziehen sich fast ausnahmslos die ersten vier Zeilen nicht auf die jeweilige Person, sondern liefern zu dem Fall eine verallgemeinerbare Sentenz, einen »Lehrsatz«. 231 Lehrt die Charakteristik einerseits das psychologische Durchschauen, so zeigt sich hier ihre Kehrseite, die Produktion überzeugungsmächtiger und typisierter Größenbilder. Praktisch entspricht dieser Transformation die Verhaltenskontrolle, der sich der Hof, aber speziell auch der Fürst unterwerfen müssen. Derselben Absicht arbeitet der Gebrauch zu, den Hallmann von der vornehmlich allegorisch eingesetzten antiken Götterwelt macht. Die gesamte Epigrammserie ist so gesättigt von Bezügen auf Themis, Apoll, Diana, Minerva, Venus, Juno und Mars, daß die Fürstenreihe selbst in einen antiken Götterhimmel versetzt zu sein scheint. 232 Solche Hinweise geben Hallmann die Möglichkeit, die Verewigung des Ruhms im Stein um die Apotheose des Fürsten zu ergänzen: Durch Aufrichtigkeit steigt »ein Fürst auf des Olympus Zinnen/ | Und wird auch in der Grufft den Göttern gleich geacht.« 233 Doch darüber hinaus dienen sie dazu, den Fürsten über das irreguläre Geschichtli-

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Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 18, behandelt als den »Behertzte[n]« Boleslaus II., »Sonsten Audax genannt«; S. 32: Kasimir II., »Jnsgemein Justus genannt« (»Der Gerechte«); S. 36: Boleslaus V., »Jns gemein Pudicus genannt« (»Der Keusche«). Beispiele für Umbenennungen: Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 20: Vladislaus I., »Sonsten Hermannus genannt« (»Der Vorsichtige«); S. 22: Boleslaus III., »Sonsten Crivousti genannt« (»Der Glückselige«); S. 27: Boleslaus IV., »Sonsten Crispus genannt« (»Der Bescheidene«); S. 29: Mieslaus III., »Sonsten Senex genannt« (»Der Strenge«) u. a. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 29. Beispiele: Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 5 (Titan, Marspiter); S. 9 (Juno); 14 (Minerva, Venus); 23 (Mars); 32 (Themis); 36 (Diana); 46 (Jupiter); 48f. (Apollo, Pallas); 60 (Pallas); 65 (Phoebus); 76 (Mars, Diana, Venus); 80 (Mars); 82 (Themis). Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 57. Vgl. auch S. 32: »Wer Themis Richter Schwerdt und gleichgefüllte Schalen | Jn seinen Händen trägt mit unverfälschtem Schein/ | Der wird mit schönsten Glück' und höchster Ehre strahlen; | Ja in dem Himmel einst den Sternen ähnlich seyn.« Zur Vergötterung z.B. auch S. 76.

283 che zu erheben234 bzw. in der Fürstenfolge die Geschichte als geordneten Zusammenhang des allgemeingültig Bedeutsamen zu konstituieren. Die exemplarischen, typologisch ausgewerteten Anschlüsse, die Hallmann sucht, darunter Augustus, Alexander, Cäsar, Theodosius und Herkules,235 aber auch die Beschreibung eines Fürsten als »andrer Hippolyt und Joseph deiner Zeit« 236 tragen zusätzlich zur Transformation der Historia in ein entindividualisiertes Bezugssystem bei. Einzelne Gedichte sind mit sprachlichen Rückbezügen auf die jeweils dominierende T\igendkategorie durchsetzt. Mit diesem manieristischen Mittel kann Hallmann jede Begebenheit, auf die die Epigramme Bezug nehmen, spielerisch an die Tugendordnung binden und in die Allegorisierung des Fürsten aufnehmen: Schau ich/ O kluger Fürst/ dein kluggeführtes Leben Mit klugen Augen an/ so muß ich frey gestehn/ Daß umb dein kluges Haupt die Lorbern billich schweben/ Und deinen Reichs-Stab selbst Apollo muß erhöh'n. 237

Darüber hinaus überzieht Hallmann das ganze Werk mit einem metaphorisch überhöhenden und allegorisch verallgemeinernden Bildsystem. In dessen Mittelpunkt stehen einerseits der majestätische Éclat - Sonne, Licht und Glanz,238 andererseits das zugleich Dauerhafte - Gold, Edelsteine und Marmor,239 daneben heraldische Allegorien (Adler, Löwe, Lilien).240 Programmatisch, systematisierend, metaphorisch, allegorisch und figurativ härtet der Verfasser die Fürstenreihe als System gegen alle Gefährdungen durch das historisch Zufällige. Anders betrachtet ist dieser Vorgang ein Akt der Verkleidung oder, wenn man so will, des Verstellens. Die lobenden Epigramme zeichnen den jeweili234

Vgl. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 48: »deinen Reichs-Stab selbst Apollo muß erhöh'n.« Zu Augustus Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 41, 51, 76; zu Alexander S. 4, 65, 85; zu Cäsar S. 4; zu Theodosius S. 80; zu Herkules S. 78, etwas versteckter auch S. 3. Zur Reduktion des Individuellen durch Allegorie und Typologie Wiedemann: Bestrittene Individualität. Zur Typologie im Barock auch Borgstedt: Scharfsinnige Figuration, S. 208. 236 Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 36. 237 Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 48. Vgl. auch S. 36f. die vierfache Nennung der Lilie als Zeichen der Keuschheit; S. 50f. zur »Liebe«; S. 53 zum »Schlaff«; S. 67 zur »Güttigkeit«. 238 vgl. vor allem Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 9, wo Sonne, Licht, Glanz und Sterne sich verdichten. Weitere Beispiele: S. 23; 51; 55; 58; 60; 78; 80; 84f. 239 Vgl. z. B. metaphorische Bildungen wie »des Nachruhms Gold« (Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 7); »der Ehre Gold« (S. 11); »des Zepters Diamant« (S. 13; in umgekehrter Verwendung: 62); »der Tilgend Gold« (S. 43). Zum Bedeutungshorizont der Beständigkeit z.B. S.21: »Wer dich/ O Vladisla/ vorsichtig will beschauen/ I wird [.. -] I [...] deinem Sinnen-glaß' ein solches Denckmahl bauen/1 Das mehr als Krystallin und Jaspis kan bestehn.« Vgl. auch S. 57; 78; 84. 240 Beispiele: Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 14; 72; 76; 78; 82. 235

284 gen Fürsten als »Himmelhohe[n] Held[en]« aus und rühmen seinen »HeldenGeist« oder seine »Helden-Thaten«. 241 Die »historischen Anmerckungen« verweisen ebenfalls immer wieder auf die heroischen Tugenden.242 Vor dem Hintergrund allegorischer und exemplarisch-figurativer Einkleidungs- und Regulierungsmaßnahmen zeigt sich diese heroisch-allgemeingültige Größe als eine Rolle, die dem Fürsten kunstvoll zugemessen wird und die er klug 243 spielen muß. Daß der Text auf diese Weise die Autorität des Hauses Habsburg, besonders aber des regierenden Kaisers als symbolisches Stabilisierungsinstrument herstellen will, bleibt nicht unerwähnt. Nach dem Prager Fenstersturz versuchte Matthias II., so die »Anmerckung«, die Unruhen in Böhmen »zu Erhaltung seiner Käyser- und Königlichen Autorität mit den Waffen zu dämpffen«. 2 4 4 Maximilian II. verwandelte »seinen Majestätischen Lorber-Krantz in eine unverwelckliche Himmels-Krone«. 245 Fast jedes Gedicht mündet in einen Hinweis auf die Beständigkeit des Ruhms über den Tod des Fürsten hinaus, oder, im negativen Fall, auf die Vergänglichkeit seines Namens: Für Semomislaus hat »ein sanfter Tod das Grablicht angezündet/ | Und mit des Nachruhms Gold bezieret seine Bahr«, Mieslaus I. »wird kein Todten-Wind das Lebens-licht verwehen/ | Weil ihm die Lebens-Sonn' selbst ihre Fackel reicht.« 246 Dagegen liest man über Boleslaus II.: »Es kan dein selbstmord ja mit keinen Lorbern prangen: | Drüm wird dir billich auch die Grabschrifft hier verkürtzt.« 247 In einigen Fällen faßt Hallmann das überdauernde Bild des jeweiligen Fürsten in einem Grabspruch zusammen (oder verweist doch auf einen solchen), so für Mieslaus II.: »Drüm muß man diese Schrifft auff deinen Leichstein ätzen: | Hier ruht zwar Adlers-Frucht/ doch die zum Sperber ward.« 248 Die Gedichtreihe erscheint so selbst als eine Serie von Epitaphien, die im Gedächtnis aufbewahrt, oder, in den Worten des Verfassers, »den Sternen eingeätzt« ist. 249 Es bleibt die Frage nach den Wirkungsmechanismen, mit deren Hilfe Reputation hergestellt und der Stabilisierungseffekt erreicht werden sollen. Die Sicherheit des Regiments ruht Hallmann zufolge auf dem Zusammenwirken von »Strenge« und »Liebe«, worin man die Begriffsopposition wiederer241 242 243

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Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 37; 11; 41. Beispiele: Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 13; 14; 19; 51; 70; 74. Zu »Vorsicht«, Wachsamkeit und Klugheit Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 20; 43, 48. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 79. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 75. Zur Majestät auch S. 74. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 7; 9. Vgl. auch S. 21, 23, 32, 58, 72, 76, 85. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 19. Vgl. auch S. 63. Hallmann: Schlesische Adlers Hügel, S. 14. Vgl. auch S. 16, 49, 51, 53, 65, 83. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 35. Vgl. auch S. 37: »So muß ich euren Ruhm den Cedern einverleiben/ | Dich selbst in Marmel haun/ der für und für besteht.«

285 kennt, die der Theorie von Gravitas und Grazie zugrundeliegt. Matthias Hunniades, der »Wohlgerathene«, habe »sich durch Buch und Stahl und Tugendvolle Thaten/ | Des Zepters würdig« gemacht. 250 Unter dem Motto »Der Bescheidene« (Boleslaus IV.) legt Hallmann dagegen dem Fürsten die >Kunst zu gefallen< als psychagogisches Instrument nahe: »Der Glimpf ist ein Magnet/ der auch das härt'ste Eisen | Der Sinnen an sich zieht/ und in weich Wachs verkehrt.« 251 Johann von Luxemburg habe »durch seine angeborne Sanfftmuth und kluge Höffligkeit die Schlesischen Fürsten« auf seine Seite gezogen. 252 Diesem Prinzip entsprechen weitere Empfehlungen zur Wirkung des demonstrativen Verzichts auf machtvolles Auftreten. 253 Zu Rudolf II. erklärt das Epigramm, daß »Gnad' und Sanfftmuth uns zu Göttern machen kan«, während andererseits die kaiserliche »Sanfftmuth [...] in Donner auch verkehret« wurde. 254 Mit solchen Grundsätzen korrespondieren die Lehren, die aus den Negativbeispielen zu gewinnen sind. Während Hallmann, wie wir sahen, Mieslaus I. an übermäßiger Milde scheitern läßt, destabilisiert Mielaus III. seine Herrschaft durch »Strenge«: »Ein allzustrenger Thron ruht nicht auff festen Stützen/1 Und kehrt/ eh man's vermeint/ des Zepters Gold in Bley.«255 Die Adlers Flügel bieten ein Reputationsprogramm, das auf den Grundriß einer Regierungskunst verweist. In diesen Zusammenhang des psychologischen Regierungsgeschicks gehören auch die wiederholten Hinweise auf die »Höflichkeit«. 256 Von der Wirkungsseite her faßt das abschließende Epigramm auf Leopold I. den zwingenden Charakter der aus Ehrfurcht und Liebe komponierten Reputation zusammen. Doch zeigen die folgenden Zeilen auch, daß sich insgesamt die Waagschale klar auf die Seite des Majestätischen, der Gravitas neigt, ohne deren Übergewicht das Ziel eines hinreichend machtvollen Gesamteindrucks wohl nicht zu erreichen gewesen wäre:

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Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 64; vgl z. B. auch S. 78: »Ein groß Gemüthe ist ein Hercul in der Wiegen/ | Der stracks den gifft'gen Molch der Feind' und Laster zwingt/ | Der einem Adler gleich kan zu der Sonne fliegen/ | Und dem der grosse Kreiß demüthig Opfer bringt.« Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 27. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 47. Vgl. auch ebd., S. 46, wo die »Teutsche Höfligkeit« der schlesischen Fürsten mit Viadislaus Locticus als einem »rauhen Gast« konfrontiert wird. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 15: »Der Sanfftmuth weisser Rock trotzt tausend Silberballen; | Sie kehrt ins Paradies das düstre Höllen-Reich/ | Sie weiß von keinem Sturm/ von keinem Blitz und knallen/ | Und macht den morschen Mensch den grossen Götter gleich.« Vgl. auch S. 34 (zur Geduld); S. 50: »Die Liebe gegen GOtt und treuen Unterthanen | Besiegt Cupidens-Gluth/ Dionens Purpurkleid«. Dort spricht Hallmann auch ausdrücklich von der »Anmuth« des Fürsten. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 76. Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 29. In diesem Zusammenhang ist überhaupt auf die Rolle der »Höfligkeit« zu verweisen. Vgl. etwa Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 32.

286 Du Tapfrer Leopold! Du Wunder aller Wunder! Mein Geist erstarret fast! Mein Auge wird entzückt/ Wann ich besehen wil den grossen Liebes-Zunder/ Womit der Fürsten Fürst dein Fürstlich Hertz erquickt.257

So verwandelt der Verfasser die Historia in ein sorgfältig organisiertes und inszeniertes Theater, auf dem die Auf- und Abtritte sich durchaus am Effekt orientieren. Erst als kunstvolles Tableau können die Adlers Flügel die heroische, auf der Überzeugungskraft moralischer Allgemeingültigkeit basierende Legitimation der Habsburgerherrschaft in Schlesien anstreben. Als Sache der >Kunst< wird die Tugendordnung in der Politik freilich zugleich bewahrt und untergraben. Wie die Bemühungen um die Präsentation einer politischen Ordnung, die jedem partikularen Interesse vorausläge, dergestalt jemals zu einem Abschluß gelangen möchten, ist nicht abzusehen.

4.3 D a s E n d e eines Stamms: Lohensteins

Lob-Schrifft

Die Lob-Schrifft auf den am 21. November 1675 gestorbenen schlesischen Piastenherzog Georg Wilhelm zu Liegnitz, Brieg und Wohlau, die Johann Casper von Lohenstein 1676 veröffentlichte, basiert nicht, wie die Arbeiten von Freinsheim, Birken und Hallmann, auf einer dem Stammbaum folgenden Disposition. Unter den Beispielen zum Genealogie-Komplex hat der Text deshalb nicht ohne Vorbehalt seinen Platz. Der Verfasser aktiviert in diesem Werk die gesamte Topik des Personenlobs. Seine Argumente gewinnt er unter anderem aus dem Charakter des Fürsten, der sorgfältigen und ausgewogenen Erziehung und Ausbildung einschließlich einer vorbildlichen Tugendhaltung, seinen »Wohlthaten« an den Untertanen (darunter seinen Regierungsgrundsätzen) und seinem Tod. 258 Lohenstein nimmt jede Gelegenheit wahr, im einzelnen Anschluß für weitere panegyrische »Örter« zu suchen und das Werk mit gelehrtem Material aufzufüllen. Dabei baut er die Lob-Schrifft zu einem umfangreichen Fürstenspiegel aus. 259 Ich verzichte darauf, die Disposition im Detail zu rekonstruieren. Innerhalb der Lobtopik hat die Abstammung ihren festen, bei Lohenstein jedoch darüber hinaus einen für die Anlage des Texts aufschlußreichen Platz. Im gegebenen Rahmen macht der Verfasser von den bewährten autoritätsdienlichen Möglichkeiten Gebrauch, die im Abstammungstopos bereitlagen und sich für das traditionsreiche Piastenhaus geradezu anboten. Auch in der 257 258

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Hallmann: Schlesische Adlers Flügel, S. 85. Lohenstein: Lob-Schrifft, A8V; C3V; D2 r ; D7 r ; H4 r . Ich verwende die Ausgabe von 1679. Man wird dem Werk nicht unrecht tun, wenn man es in der von Braungart: Hofberedsamkeit, S. 291-293 und passim, vorgeschlagenen Ippologie nicht der höfischen, sondern eher der gelehrten Beredsamkeit zurechnet.

287 ebenfalls an Georg Wilhelm adressierten »Zuschrifft« von Graciáns Staatsklugem Catholischem Ferdinand greift Lohenstein in diesem Sinn auf die Genealogie-Topik zurück. 260 Die Passagen, die in der Lob-Schrifft das Piastengeschlecht betreffen, stützen sich zwar nicht auf eine systematische Darstellung des Stammbaums, 261 doch breitet Lohenstein z.B. die Verwandtschaftsbeziehungen mit Kaiserhäusern aus 262 Die Dignität des Stamms als heroisches Ausstattungsmerkmal des Fürsten inszeniert der Verfasser mit hohem Einsatz an historischem Material und großem rhetorischem Aufwand, ja, er stellt sie eigentlich erst her. Im übergreifenden Rahmen der Lobtopik bringt er das Reputationspotential des Genealogie-Themas auf geradezu pointierte Weise zur Geltung. Die Genealogie führt er im Zusammenhang mit der Tugend der Tapferkeit ein, durch die Herkules »seinen Ruhm biß an der Welt Ende ausgebreitet« habe: Des einigen Gottsfürchtigen Henrichs/ Hertzogens zu Liegnitz Helden-Mut verdienet alleine gantz Europens Lorber-Kräntze; welches nichts minder/ als das streitbare Persien/ das reiche Jndien/ und das umbmauerte Tschina der Tartarn Beute und des mächtigen Zingis Chan/ Gebiete worden wäre/ wenn nicht dieser Pyastische Held/ mit viel grösserem Ruhme/ als der verzweifelte Curtius/ die blind-tolle Decier/ der abergläubische Codrus/ die hart-näckichten Philener/ und der hitzige Themistocles/ sein Blut für das Vater-Land aufgeopfert hätte.263

Um die Größe des Piastenhauses zu entfalten, schreckt Lohenstein nicht vor hyperbolischen Wendungen zurück. 264 Zwar übergeht er das Argument von der Verächtlichkeit des Ahnenstolzes ohne eigenes Verdienst nicht, doch steuert die Schrift auf die charismatisch-exemplarische Kraft der Genealogie zu. Der heidnische Dynastiegründer Piastus wird mit dem Glanz providentieller Begünstigung ausgestattet: Seine Frömmigkeit sei »von GOtt mit einem herrlichen Wunderwercke/ das Wunderwerck aber mit einem so grossen Reiche beschenckt worden.« 265 Den Effekt der fürstlichen Reputation hebt das Werk auch ausdrücklich hervor: Die »hohe Ankunft« als »Schatz der Nachkommen« könne auch bei anderen »eine grosse Zuversicht angeborner Fähigkeit/ eine willigere Unterwerffung« herbeiführen und sei »ein Schein/ den keine Finsternüß des Unglücks gantz verleschen kan.« 266 Wenn der Ver260

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Lohenstein: Lorentz Gratians staats-kluger catholischer Ferdinand, Zuschrifft (unpaginiert). Zur Bedeutung Graciáns für die »Lob-Schrifft« Forssmann: Spuren Graciáns im Werk Daniel Caspers von Lohenstein, S. 497-502; ders.: Balthasar Gracián und die deutsche Literatur, S. 131-135. Vgl. aber z.B. die Exempelreihe zur Tapferkeit der Vorgänger: Lohenstein: LobSchrifft, Β l r - B 2 v . Lohenstein: Lob-Schrifft, B8 V -C2 V . Lohenstein: Lob-Schrifft, B2 r . Lohenstein: Lob-Schrifft, B2 r : »Die Aufzeichnung derer/ von dieses großmüthigen Vladisla/ Schlesischen Nachkommen/ außgeübter Helden-Thaten/ würde/ wie zu des Tiberius Zeit/ eine Theurung des Papiers verursachen.« Lohenstein: Lob-Schrifft, Hl r . Lohenstein: Lob-Schrifft, B7V.

288 fasser aus der Reihe der Vorfahren die Argumente dafür bezieht, daß »Sanfftmut und Tapferkeit nichts minder in einem Hertzen sich vermählen/ als Rosen und Dornen auf einem Stiele wachsen können«, 267 so darf man darin erneut das aus der Reputationslehre bekannte Verhältnis von Ernst und Anmut wiedererkennen. Es liegt durchaus in der Linie des aufwendigen Einsatzes lobtopischer Argumente, daß Lohenstein Abstammung, Erziehung und Ausbildung schließlich durch die besondere göttliche Gnade als eigentlichen Grund der heroischen Größe überbietet: Der »Finger Gottes« habe »Selbten nicht aus gemeinem Leime/ sondern aus Gold-Ertzte gebildet« und »des Höchsten Weißheit/ Jhm mit der Seele den Geist des Verstandes eingeblasen.« 268 Wir hatten gesehen, daß bei Birken und Hallmann der amtierende Fürst jeweils systematisch als Höhepunkt der Vorgängerreihe bzw. als Inbegriff der von den Vorfahren verkörperten Tügenden aufgebaut wird. Die Verfasser erreichen so eine dynastische Stabilisierung der Geschichte auch mit Blick auf die Zukunft. Das Verfahren soll stets die Untertanen auf die Treue zur Dynastie und auf das durch sie verkörperte Ordnungsprogramm verpflichten. Vor diesem Hintergrund zeigt sich das Ungewöhnliche der Ausgangssituation, mit der sich die Lob-Schrifft abfinden muß: Georg Wilhelm war der letzte seines Stamms; mit ihm starb die Dynastie der schlesischen Piasten aus, während seine Fürstentümer nach dem Lehnsrecht an Kaiser Leopold I. übergingen. 269 Die »Zuschrifft« zum Staats-klugen catholischen Ferdinand setzt sich mit einer Vorstufe dieser Problemstellung auseinander: Sie wendet sich an den noch lebenden Herzog, gewinnt aber ihre Argumente bereits aus der greifbaren Gefährdung des Stamms. Daraus, daß die Piasten in den Auseinandersetzungen mit Habsburger Hegemonieansprüchen die Interessen Breslaus teilten, ergibt sich im übrigen die besondere Bedeutung des Ereignisses für Lohenstein, der über die Lob-Schrifft hinaus auch mit dem Epicedium Au f f das absterben Seiner Durchl. Georg Wilhelms/ Hertzogs zu Liegnitz/ Brieg und Wohlau und mit seinem Konzept für das Piasten-Mausoleum in Liegnitz - durchaus mit genealogischen Schwerpunkten - an der angemessenen Präsentation des Falls mitwirkte. 270 Gemessen am üblicherweise angestrebten Nutzeffekt einer genealogischen Darstellung, am politischen Interesse, das die genealogischen Konstruktionen motiviert, aber auch an den geläufigen Absichten der Fürstenpanegyrik überhaupt hängt die Vergegenwärtigung der Piastendynastie bei Lo267 268 269 270

Lohenstein: Lob-Schrifft, Β 6V. Lohenstein: Lob-Schrifft, G5 r . Conrads: Religionspolitische Überlegungen in Wien, S. 49t Lohenstein: Auff das absterben Seiner Durchl. Georg Wilhelms/ Hertzogs zu Liegnitz/ Brieg und Wohlau, in: Gedichte und Interpretationen. Renaissance und Barock, S. 366-368; Speilerberg: Lohensteins Beitrag zum Piasten-Mausoleum; Wiehert: Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz, S. 150f.

289 henstein gewissermaßen in der Luft, ja, eigentlich müßte sie von vornherein als gescheitert gelten. Dies gilt um so mehr, als Lohenstein in der Widmung an Georg Wilhelms Mutter, die Herzogin Louise, vermerkt, daß »Tugendhaffte Fürsten durch keine Wehmut wieder lebend gemacht/ ihr Gedächtnüß aber nicht herrlicher/ als durch anderer Fürsten Nachfolge/ erfrischet werden könne.« 271 Der Verfasser hebt das Problem geradezu hervor, indem er seine Argumentation auf das Aussterben des Stamms als Höhepunkt wirkungsvoll zulaufen läßt. Mit dem direkten Adressaten, der Dynastie, hat sie, jedenfalls im gewohnten Sinn, auch ihre indirekten verloren - die Untertanen. So stellt sich die Frage, welchen Sinn die Lob-Schrifft hat und welchem Zweck der pointierte Gebrauch dient, den Lohenstein von der Genealogie-Topik macht. Wenden wir uns den Fürstenspiegelaspekten zu. In der Forschung gilt der Text, nach einschlägigen Passagen aus dem Arminius-Koman, als eine der Hauptquellen für die Bestimmung von Lohensteins politischen Positionen. Im gegebenen Zusammenhang genügt ein gerafftes Referat der wichtigsten Punkte. Die Lob-Schrifft entfernt sich von der Absolutismusprogrammatik, die den panegyrischen Sammlungen von Birken und Hallmann zugrundeliegt. Den Anlaß zu dieser Stellungnahme boten die nicht unberechtigten schlesischen Befürchtungen, die neue Situation - die direkte Unterordung der plastischen Fürstentümer unter die kaiserliche Gewalt - werde eine Einschränkung bisheriger Freiheitsrechte mit sich bringen, speziell, abweichend von der Haltung der calvinistischen Piasten, in Form einer antiprotestantischen Religionspolitik. Diese Aussichten spielen auch in Georg Wilhelms letztem Brief an Leopold I. eine Rolle. Allgemeiner liegen der Lob-Schrifft darüber hinaus stadtbürgerliche Bedenken gegen einen zentralistisch-absolutistischen Staat anstelle einer Reichsstruktur mit weitgehender Autonomie der Stände zugrunde. 272 Der Text, den Lohenstein direkt der Herzogin Louise widmet, der Mutter des verstorbenen Fürsten, wendet sich jedenfalls indirekt an den Kaiser. Diesen sucht er auf die Politik zu verpflichten, die er dem Herzog zuschreibt, indem er vorgibt, sie bei Leopold schon vorzufinden. Was die Lob-Schrifft vom Kaiser erwartet, gibt sie zu erkennen, wenn sie hypothetisch die Treue des Fürsten zu seinem Monarchen beschwört, die auch über dessen Tod hinaus würde angedauert haben: So grosse Liebe nun gleich Unser Hertzog gegen Seine Unterthanen hatte; so war sie doch gegen Seinen Kaiser viel grösser; und sind Jhre Kaiserliche Majestät selbst gnungsam vergewissert: Daß/ wenn der Tod Seine Treue nicht verkürtzt hätte/ würde solche auch mit Jhr. Majestät Absterben nicht erloschen seyn; sondern Er/

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Lohenstein: Lob-Schrifft, Widmung, unpaginiert. Zur Konfessionspolitik: Geschichte Schlesiens, Bd. II, S. 84-88; Conrads: Religionspolitische Überlegungen in Wien. Zur politischen Situation in Lohensteins Umfeld Banet: Vom Trauerspieldichter zum Romanautor; Wiehert: Literatur, Rhetorik und lurisprudenz, S. 149-158; 188-199.

290 die Schlüssel zu seinem Hertzen/ wie der Spanische Stadthalter Flexio/ die zu der Jhm vertrauten Festung Conimbra/ Seines Herrn Leiche mit in den Sarch geleget haben. 273

Im Sinn einer verdeckten Ermahnung ist der Kaiser als Sekundäradressat fortwährend präsent. 274 In Hinblick auf die Affekttheorie enthält die Lob-Schrifft Grundzüge einer im Vergleich mit Machtstaatstheorien und Staatsräsonlehren positiveren Anthropologie: Lohenstein wendet sich gegen die Elimination der Affekte, wie die Schule der Stoiker sie gefordert habe, die »die Gemüts-Regungen als eine schlechter dings böse Sache aus den Adern des Menschen gantz auszurotten rathen«. 275 Auch die »Beständigkeit« bestehe »eben so wenig/ als die Mässigung/ in einer wilden Unempfindligkeit.« 276 Speziell kritisiert der Verfasser die stoische Ablehnung des Mitleids, worin er sich auch auf Gracián stützen kann: »Allein die vorsichtige Natur hat allen lebendigen Thieren das Fühlen alß ein Mittel Jhrer Erhaltung eingepflantzet/ und also wil die StaatsKlugheit auch empfindliche Fürsten haben.« 277 Lohenstein zufolge ist doch nicht glaublich: Daß die allzugütige und verständige Natur/ die das Gifft der Nattern und die Zähne der Schlangen zum Nutz geschaffen/ das Gestirne des Saturn heilsamlich in Himmel gesetzt hat/ den Menschen die Galle und Bewegung des Geblütes zum Verderben in den Leibe gepflantzet habe. Wie diese die Werckzeuge der Gemüts-Regungen sind; also gebraucht die Seele ihre Bewegungen zu handlangenden Armen und Beinen.

Die Lehre von den weder zu tilgenden noch moralisch indifferenten, sondern für die Tugendpraxis unverzichtbaren Affekten, die als »das heilsame Feuer aller tapferen/ das Gewichte aller klugen Entschlüssungen« die Voraussetzung des Tugendhandelns darstellen, geht, wie Meyer-Kalkus gezeigt hat, nicht auf Aristoteles zurück, sondern orientiert sich nach Borgstedt schon an epikureischen Positionen. Die Lob-Schrifft plädiert jedenfalls für ein an der Metriopathie orientiertes psychisches Ordnungsprogramm unter der Voraussetzung einer Affektaufwertung. Für die Einhaltung der »Mittel-Bahn« ist die Vernunft als »Ober-Haupt« zuständig. 278 Auf diese Weise ersetzt Lohen273 274

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Lohenstein: Lob-Schrifft, G3 r ; vgl. auch C8V; F3V. Einige Nachweise: Lohenstein: Lob-Schrifft, B5 r ; B6 r ; C3 r ; E6 V ; E8 r f; G l r . Ich schließe mich nicht Mulagk, S. 301 an, der dem Wortlaut der »Lobschrifft« den Vorzug vor »Spekulationen« über Spannungen im Hintergrund gibt. Lohenstein: Lob-Schrifft, D4 r . Lohenstein: Lob-Schrifft, E4V. Grundlegend für Lohensteins affekttheoretische Position ist das einschlägige Gespräch in »Arminius«, I, Sp. 1344a-1350b. Dazu Meyer-Kalkus: Wollust und Grausamkeit, S. 34-56. Borgstedt: Reichsidee und Liebesethik, S. 8 2 - 9 2 . Lohenstein: Lorentz Gratians staats-kluger catholischer Ferdinand, S. 76. Lohenstein: Lob-Schrifft, D 4 r - D 5 r . Zur Notwendigkeit der Affektkontrolle vgl. z.B. D 2 r über die Herrschsucht der Fürsten: »Daher lassen Sie den Pferden ihrer hitzigen Gemüts-Regungen den Zügel schüssen/ äschern also nicht nur ihre Länder ein/ sondern stürtzen sich auch selbst von dem Throne ihrer väterlichen Herrschafft.«

291 stein auch das Bild des grundsätzlich unzuverlässigen Einzelnen, dessen Affekte vernichtet oder durch Täuschungsmanöver geblendet werden müssen, durch das Leitbild eines Vernunftwesens. Ein Blick auf die implizite oder explizite Gegnerschaft, gegen die der Verfasser sich wendet, verdeutlicht die politischen Aspekte solcher Grundeinstellungen. Ausdrücklich distanziert sich Lohenstein unter Berufung auf das Naturrecht im Anschluß an Grotius und in Wendungen, die sich mit wörtlichen Anklängen im Arminius wiederfinden, von Hobbes' Lehre, der Naturzustand der Menschen sei durch allgemeinen Krieg bestimmt. 279 Damit sieht er jede Möglichkeit dahinfallen, legitime Herrschaft durch staatliche Zwangsmaßnahmen zu begründen: »Das Völcker-Recht hat nicht/ wie dem Hobbes träumet/ aus allgemeiner Furcht/ sondern aus Begierde der Gemeinschafft/ Städte versammlet.« 280 Der Text zielt, den Interessen der bislang untersuchten genealogischen Entwürfe entgegengesetzt, nicht darauf, die Untertanen in eine Machtordnung einzuspannen. Auch die machtorientierten Staatserhaltungsstrategien, die die Staatsräsonlehren verdeckt von Machiavelli übernommen hatten, lassen sich vor diesem Hintergrund kaum mehr rechtfertigen. In diesem Sinn darf man die Lob-Schrifft durchaus als antimachiavellistischen Fürstenspiegel verstehen, wenngleich Machiavellis Name nicht fällt. So weist Lohenstein die im Principe entwickelte Lehre von der Gelegenheit zurück 281 und betont den Vorzug der Liebe vor der Furcht als Herrschaftsmittel gewiß auch gegen Machiavelli. 282 Insgesamt rühre »das Wachsthum eines Reiches eben so wenig von kriegerischer Grausamkeit/ als des Leibes/ von übermässiger Speise« her. 283 Da Lohenstein die anzustrebende Ordnung im Naturrecht verankert und ihre Verwirklichung wenigstens potentiell der Kontrollkompetenz des einzelnen anvertraut, gelingt es ihm, die Legitimationsschwäche zu meiden, die sich, wie wir sahen, für alle Ordnungsentwürfe daraus ergibt, daß sie dem politischen Interesse nicht entkommen. Hinter der ausdrücklichen HobbesKritik und der verdeckten Kritik an Machiavelli steht das Bemühen um eine politische Konzeption, die dem Verdacht der Partialität und der Arbitrarität nicht unterliegt. Der Verzicht auf Eroberungsehrgeiz und Maßnahmen aggressiver Machtvergrößerung dient aus dieser Perspektive dazu, das Interesse auszuschalten. Hingegen bekräftigen die Hinweise auf die zentrale Stellung des »Heil[s] des Volks«284 den Allgemeingültigkeitsanspruch des 279 280

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Vgl. etwa Hobbes: Leviathan, S. 114. Lohenstein: Lob-Schrifft, B4V. Arminius, II, Sp. 1328b-1329a. Dazu Wiehert: Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz, S. 62t Lohenstein: Lob-Schrifft, E4 r . Vgl. auch ders.: Lorentz Gratians staats-kluger catholischer Ferdinand, S. 13. Lohenstein: Lob-Schrifft, G2rf. Weitere Beispiele: B5V; B6V (Casimir widerlegt den Verdacht, daß Hilfsvölker stets ein Mittel subversiver Machtübernahme seien). Lohenstein: Lob-Schrifft, B6V. Lohenstein: Lob-Schrifft, D7V.

292 fürstlichen Handelns. Nicht »Regir-Sucht« bewog den schlesischen Herzog zur Regierungsübernahme, »sondern der Frau Mutter/ Jhrer Kaiserlichen Majestät eröffnetes Verlangen/ der treuen Räthe Gutachten/ der Unterthanen Begierde/ der gemeine Nutz/ und die für Augen schwebende Gefährligkeiten«. 285 Willkür und Partialität der Machtordnungen ersetzt Lohenstein durch die naturrechtlich verankerte Universalordnung der vernunftgemäßen Liebe. Dem Grundsatz entsprechend, die Natur habe »nicht/ nach der Lehre des ärgerlichen Hobbes/ den Menschen mit einer angebornen Feindschafft/ sondern vielmehr mit einem innerlichen Triebe/ auch den frembdesten/ ja denen unwürdigen und undanckbaren Menschen wolzuthun/ ans Tage-Licht gebracht«, 286 erklärt er sie anstelle der politischen Gewalt zur gesellschaftsbildenden, verbindenden und staatsstabilisierenden Kraft. Voraussetzungen für diesen Allgemeinheitsanspruch der Liebe sind einerseits ihre Spontaneität und ihre Priorität gegenüber jeder Art von Berechnung, 287 andererseits ihre Nähe zur Freundschaft, die sich in thomistisch-aristotelischer Linie durch Uneigennützigkeit und Wohltätigkeit auszeichnet 288 Als Verkörperung und selbstloser Kristallisationskern der allgemeinen Liebe steht der Fürst über den Interessen. Seine Liebe zu den Untertanen gleiche »etlicher massen« der göttlichen, »weil Er nicht eintzele Personen damit gewürdigt/ sondern alle durchgehends damit betheilet hat.« 289 Der Freisetzung von affektgestützter Tugendfähigkeit entspricht schließlich auch die exemplarische Rolle des Fürsten: »Nach dem nun die Gütigkeit eines Fürsten bey den Frommen eben so Liebe/ als die Gerechtigkeit bey den Bösen Furcht gebieret; kan ich mich kaum bereden: Daß einiger Unterthan gewest sey/ der Unsern Fürsten nicht habe lieben müssen.« 290 Freilich macht sich im Bild des Fürsten als eines liebenden Hausvaters eine praktische Schwäche der Konzeption bemerkbar. Gegen die absolutistischen Hegemonialansprüche des Hauses Habsburg in Schlesien kann sie sich nicht mit 285

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Lohenstein: Lob-Schrifft, F4r. Vgl. z.B. auch F8V über die Gerechtigkeit des Herzogs, der mit eigenen Ansprüchen zurücktrat, um den Anschein zu vermeiden, »als wenn seine Schatz-Cammer etwan ein Vor-Recht hätte/ und als wenn Er den Cirkkel Seiner Gewalt über die Schnure/ der für Seine Unterthanen geschriebenen Rechte ausspannete.« Lohenstein: Lob-Schrifft, B4V. Borgstedt: Reichsidee und Liebesethik, S. 108-112. Dort S. 122-125 überhaupt zur politischen Dimension von Lohensteins Liebeskonzeption. Vgl. Lohenstein: Lob-Schrifft, Gl v : »Er gab aber nicht nur mit einem Vater-Hertzen einen Richter/ sondern in allen Begebenheiten einen gütigen Fürsten ab; also: Daß Er mehrmals für einen guten Freund/ als für einen Hertzog anzusehen war.« Dazu Borgstedt: Reichsidee und Liebesethik, S. 113-117 mit weiteren, hier nicht notwendigen Differenzierungen. Lohenstein: Lob-Schrifft, G2V. Zum Verhältnis von Naturrecht und Liebe bei Lohenstein Wiehert: Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz, S. 67-75. Lohenstein: Lob-Schrifft, G2rf.

293 einem institutionalisierbaren Staatsentwurf zur Wehr setzen, sondern nur in Form einer Utopie. Deren Zukunft liegt weniger auf dem Gebiet der Anleitung zu politischem Handeln als auf dem der privaten Moral. Ich komme zur Genealogie zurück. Wie bereits deutlich geworden ist, verschweigt oder verschleiert Lohenstein das Aussterben der Piasten nicht. Es gehört vielmehr zum eigentlichen Problemkern der Schrift: »Mit unserm Fürsten aber leider! ist die Wurtzel deß gantzen fürstlichen Stamm-Baums ausgerissen! Das gantze Pyastische Fürsten-Hauß ist in Staub verfallen/ und aus Dieses Phönixes Asche vermögen alle Kräffte der Welt keinen neuen Brutt auszuhecken.« 291 Doch Schwäche und Verschwinden werden selbst zum Argument für die Größe des Fürsten und des Hauses: »Dieses Pyastische Reiß ist zwar von seinem Stamme abgebrochen/ aber in den Garten der Ewigkeit/ auf den Baum des Lebens eingepfropft.« 292 Die Verkehrung des Verschwindenden in eine heroische Erscheinung läßt sich auch an der Weise beobachten, auf die Lohenstein eine weitere Hürde bewältigt: Da Georg Wilhelm, an den die plastischen Fürstentümer 1672 gefallen waren, bereits im Alter von fünfzehn Jahren am 21. November 1675 starb, 293 fragt sich, woher die Argumente für heroische Einstellung und heroisches Handeln dieses Fürsten stammen. Das zugrundeliegende Verfahren kommt in den Ausführungen über die Kunst, Zuneigung zu gewinnen, zur Sprache. Während, wie wir sahen, die Staatsräson-Lehren für den Fürsten den Akzent auf den furchterregenden Eindruck legen, steht für Georg Wilhelm die Liebe der Untertanen im Vordergrund. Im Hintergrund der psychologischen Taktiken darf man nicht mehr Castiglione und seine Adepten, sondern Graciáns Handorakel vermuten. Deshalb wird zu fragen sein, ob sich im panegyrischen Umgang mit der Genealogie eine argutiöse Strategie bemerkbar macht. 294 Der Herzog erscheint jedenfalls »mit einer gleichsam bezaubernden Freundligkeit/ welche Jhm die Herrschafft über mehr Seelen/ als Er Unterthanen hatte/ zueignete«. Konkret zeigt sich die anmutende Attitüde als Zugänglichkeit für die Untertanen. Insofern die Freundlichkeit auf psychologischem Kalkül basiert, erweist sie sich als Strategie: Die Freizügigkeit im Zutritt gibt dem Fürsten Gelegenheit, »die Beschaffenheit seiner Unterthanen« zu erkunden, »derer 29] 292

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Lohenstein: Lob-Schrifft, J2r. Lohenstein: Lob-Schrifft, H5V. Vgl. auch H7rf.: »Sein geschwindes Absterben hat Jhm zu Gehülffen dienen müssen: Daß Er GOtt eine Seele ohne weniger Flecken/ dem Vater-Lande Verdienste ohne Fehler abgeliefert.« Zu Georg Wilhelm vgl. Grünhagen: Geschichte Schlesiens, II, S. 355-360. Grünhagen stützt sich allerdings teilweise unkritisch auf Lohensteins »Lob-Schrifft«. Vgl. auch Geschichte Schlesiens, Bd. 2, S. 82. Zum Thema z.B. Gracián: Handorakel, Maxime 32, S. 17; 124, S. 56; 267, S. 11; 274, S. 119. Diese Stellen sind hier nicht als Nachweis eines philologischen Zusammenhangs zu verstehen. Näheres bei Mulagk: Phänomene des politischen Menschen, S. 2851 (zu Saavedra Fajardo); S. 302£, Anm. 259; 332.

294 Eigenschafft Er nicht nur besser/ als die Aertzte der Kräuter/ zu beschreiben/ sondern auch mit einer blossen Geberdung anderer Schwachheiten zu unbillichen/ und/ wenn er zweymal mit einem geredet/ alle seine Neigungen auszuhöhlen wüste«. Lohenstein läßt auch keinen Zweifel daran, daß das Erscheinungsbild des Fürsten auf Dissimulationstechniken basiert und demnach die politische eine >künstlich< verstellte Welt ist: »Er wüste meisterlich aus dem Ernste einen Schertz zu machen/ und/ wenn es rathsam war/ einem was abzuschlagen/ Sein Nein zu vergülden.« 295 Als Anwendungsbeispiel anmutigen Verhaltens beschreibt der Verfasser Georg Wilhelms Auftritt am Wiener Hof anläßlich seiner Mündigkeitserklärung 1675.296 Insofern die Lob-Schrifft dieses Fürstenbild überhaupt erst hervorbringt, kommentieren solche Ausführungen zugleich Lohensteins eigenes Verfahren. Der Niedergang des Hauses, der frühe Tod des Herzogs und das Fehlen heroischer Glanztaten erscheinen jedenfalls wie eine demonstrative Unterbietung, die die wahre Größe des Fürsten in ihrer Potentialität zu erahnen gibt: Den Untertanen gegenüber befolgt Georg Wilhelm den Grundsatz, daß »es zwar eine grosse Glückseligkeit sey/ alles können/ was man wil; aber eine viel grössere Großmütigkeit/ weniger wollen/ als man kan.« 297 Auf dasselbe Verfahren greift Lohenstein zurück, wenn er unter demonstrativem Verzicht auf das Vorweisen von militärischer Stärke oder von Eroberungen zur Darstellung heroischer Größe gelangt: »Der Stamm-Herr Pyastus selbst hat Seine Würde ohne Blut bekommen/ ohne einigen Krieg geherrschet/ und alle innerliche Unruhe des Reichs mit Glimpf und seinem blossen Ansehen beygelegt.« 298 Zwar finden sich solche Argumente im Fundus der Lobtopik, doch erhalten sie, bezogen auf die Vita des jung gestorbenen Herzogs, ein ungewohntes Gewicht. Indem Lohenstein die heroische Größe des Verschwindenden konstruiert, gelingt es ihm auch, den Stammbaum der Piasten als Gegenstand der Verehrung zu stabilisieren. Das Piastenhaus überdauert nicht unmittelbar anschaulich in einem regierenden Fürsten als jüngster Inkarnation der genealogischen Traditionen, sondern verdeckt im Gedächtnis und in den weiblichen Linien, die in anderen Fürstengeschlechtern aufgegangen sind. 299 Mit erheblichem Aufwand inveniert der Verfasser Argumente, mit denen das Ende des Geschlechts als seine Abrundung, als Zeichen göttlicher Providenz und als

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Lohenstein: Lob-Schrifft, E2 v f. Lohenstein: Lob-Schrifft, Fl r f. Lohenstein: Lob-Schrifft, F3 r . Zum »Ansehen«, der Reputation, die sich aus anmutigem Verhalten ergibt, E2 r ; F6V. Vgl. auch G8 r das Argument, Ratschläge dürften nicht nach dem Ausgang beurteilt werden, sondern nach dem zugrundeliegenden Plan. So sei der Nutzeffekt mancher Vorschläge des Fürsten für die Zukunft erst zu erwarten. Lohenstein: Lob-Schrifft, B5V. Lohenstein: Lob-Schrifft, K l r - K 2 v .

295 Voraussetzung seiner Verewigung interpretiert werden kann. Er macht dazu u.a. unter Hinweis auf weitere zahlensymbolische Möglichkeiten geltend, daß das Piastische Geschlecht genau neunhundert Jahre nach seinem Beginn untergegangen sei, daß man mit der Absicht gespielt habe, Georg Wilhelm auf den Namen des Stammesgründers Piastus zu taufen und daß das Ende des Stamms nicht auf moralische Dekadenz zurückzuführen sei: »Unser Pyastischer Stamm ist wie ein Licht verloschen/ das mit Seinem letzten Blicke die hellesten Strahlen von sich wirfft/ und wie dieselben Kunst-Feuer/ derer herrlichster Glantz ihr Untergang ist.«300 Lohenstein kann zwar darauf verzichten, die Geschlossenheit des Piastenstammbaums in direkter Linie kunstgerecht herzustellen. Doch dürfte deutlich geworden sein, daß die Präsentation des Untergangs als Vollendung und Verewigung einer artifiziellen Aneignung und Zurichtung der Geschichte gleichkommt. Es ist die Strategie der Lob-Schrifft, eine endgültige Niederlage in einen triumphalen Sieg zu verwandeln. Als einen solchen feiert der Verfasser die Rückkehr des Herzogs von seinem Aufenthalt in Wien und die Huldigungen seiner Fürstentümer: »Derogestalt kehrte Unser Hertzog mit einem Siegs-Krantze auf dem Haupte/ und mit Palmen in der Hand ins Vaterland.« 301 Die (Re-)Konstruktion gegenwärtig wirksamer heroischer Größe des gestorbenen Fürsten und seines erloschenen Stamms aus dem Nichts darf man als finale Überbietung des Konstruktionsgestus bewerten, der ohnehin den genealogischen Darstellungen eigen ist. In ihrer paradoxen Struktur fußt diese Darstellung auf einer scharfsinnigen Argumentation. 302 Schon bei Hallmann und Birken trägt die dispositorische Souveränität des Fürsten (bzw. des Autors) zur Überzeugungskraft der genealogischen Entwürfe bei. Allerdings steht die suasive Potenz dieser Gestaltungskraft nicht für sich, sondern arbeitet der vom Fürsten verkörperten politischen Ordnung zu. Dagegen verlagert Lohenstein das Gewicht vom Resultat auf das Verfahren, indem er die Artifizialität des Dissimulationsprozesses so steigert, daß sie den Leser stets zum Durchschauen herausfordert, ohne damit freilich den Glanz der Genealogie schon in Frage stellen zu wollen. Analog dazu versteht sich die Klugheit - etwa in Lohensteins GraciánÜbersetzung - als Fähigkeit, hinter den politischen Simulationen das Wahre zu erkennen. 303 Gerade die prononcierte Präsentation der heroischen Gene300 301 302

303

Lohenstein: Lob-Schrifft, J7r. Zur gesamten Argumentation J3 r -J7 r . Lohenstein: Lob-Schrifft, F2V. Zum Stilideal der Argutezza, des Concettismo etc. mit Bezug auf Lohenstein Meyer-Kalkus: Wollust und Grausamkeit, S. 36-52; Borgstedt: Scharfsinnige Figuration; ders.: Reichsidee und Liebesethik, S. 6 6 - 82. Allgemein auch Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat, S. 220-243. Vgl. Lohenstein: Lorentz Gratians staats-kluger catholischer Ferdinand, S. 63: »Die Staats-Leute verehren alß zwey Abgötter und Wahrsager in ihrer Klugheit den Tiberius und Ludwig/ erheben ihre Verstellung/ streichen ihre Meister-Stücke hoch herauß; Alleine ich schreibe dieses Ansehen bey den Staats Verständigen mehr der

296 alogie erweist sich deshalb bei näherem Hinsehen als Beitrag zu einer subtilen Entmythologisierung des Fürstenbilds: Dessen Glanz kann durchaus nicht mehr als schlechthin gegeben gelten, sondern korrespondiert mit individuellen Vernunft- und Tügendleistungen. Die Lob-Schrifft berührt sich darin, daß sie auf den Kunst-Charakter des Charismas verweist, mit einer Entwicklung, die, wie wir sehen werden, in den Hofmannslehren schon seit der Jahrhundertmitte das heroische Reputationskonzept untergräbt. Indem Lohenstein die fürstliche Aura steigert, verweist er zugleich auf ihre Abhängigkeit von der Perspektive des Betrachters. Ich fasse zusammen: Lohenstein verzichtet nicht auf den Einsatz des topischen Genealogie-Arguments; er baut es sogar mit erheblichem Aufwand aus, wobei das Schema genealogischer Staatsstabilisierung stets im Hintergrund präsent bleibt. Doch übertrifft er die Varianten, die wir zuvor betrachtet haben, in der artifiziellen Überwindung der ungünstigen Vorbedingungen. In gewissem Ausmaß verweist das Konzept damit auf seine eigene Bauweise oder verlangt doch nach dem scharfsinnig entschlüsselnden Leser. Der Stammbaum verliert die Funktion, die Birken und Hallmann ihm zugewiesen hatten - die der Inszenierung einer perspektivisch auf den Fürsten ausgerichteten Geschichtsordnung, die das Gegebene bestätigte und kein anderes Verhalten als das der Akkomodation zuließ. In dem Maß, in dem die Genealogie ihre Autorität aus dem Verfahren gewinnt und auf den eigenen Spielcharakter verweist, verzichtet sie darauf, die Regie im Affekthaushalt der Leser zu übernehmen. Stattdessen aktiviert sie seinen Scharfsinn und provoziert die Entscheidung zur vernünftigen Liebe als politischem Ordnungsmodell. 304 Dabei ist die Aufwertung der Affekte schon im auf das Vergnügen ausgerichteten scharfsinnigen Konzept angelegt. Insofern die Genealogie in der Lob-Schrifft ihre heroische Autorität gewinnt, indem sie die eigene Artifizialität vorführt und ihre erwartete Bedeutung in Frage stellt, gelangt bei Lohenstein die politisch legitimierende Stammbaum-Darstellung an eine Grenze. Vor diesem Hintergrund läßt sich die Botschaft an das Haus Habsburg als eigentlichen Adressaten der Schrift entschlüsseln. Gerade die Habsburger hatten ja, wie wir sahen, seit dem späten Mittelalter die eigene Genealogie intensiv für panegyrische, legitimatorische und staatserhaltende Zwecke auf-

304

Erfindung ihrer Geschicht-Schreiber/ nehmlich dem Tacitus und Comineus zu/ alß daß Sie in allem Thun den Pulß getroffen haben solten.« Zum Verhältnis von Klugheit und Scharfsinn Borgstedt: Reichsidee und Liebesethik, S. 70. Zur Notwendigkeit der vernünftigen Affektkontrolle für das klare Durchschauen vgl. Lohenstein: Lob-Schrifft, D 2V: »Er verstand zeitlich: Daß die ungleichen Aufschwellungen der Begierden/ Dünste wären/ welche die heutere Vernunft verdüsterten/ und die Augen des Verstandes umwülckten. Diese Regungen sind die gefährlichen Schau-Gläser/ welche vorwerts uns alle Dinge vergrössern/ rückwerts aber verkleinern.«

297 bereiten lassen. Doch dem Einsatz der Genealogie zur Stützung absolutistischer Herrschaftsansprüche nimmt der Text die Grundlage - programmatisch im Hinblick auf das Vertrauen, das er in Affektanlage und Einsicht des einzelnen setzt und das in eine naturrechtlich begründete Theorie der Liebe eingebettet ist, literarisch im Hinblick auf die argutiöse Aktivierung des Durchschauens. Vor allem eine der abschließenden Wendungen erweist sich in diesem Zusammenhang als durchaus doppelgesichtig. Lohensteins Hinweis, der Piastenstamm blühe »noch in Unserm Allergnädigsten Kaiser/ als einem Enckel Kaiser Friedrichs und Seiner Pyastischen Mutter«, 305 dient scheinbar dazu, die Kontinuität des Hauses faktisch zu sichern, zeigt sich aber bei näherem Hinsehen als kunstreich inveniertes Argument, das auf die Artifizialität der Genealogie verweist. Es fordert den Kaiser auf, in eine Fürstenreihe einzutreten, die die absolutistische, im Stamm providentiell schon vorgegebene Herrschaftslegitimation in Frage stellt. Im Lob auf Leopold I. und in seiner Vereinnahmung für die Fortführung Plastischer Politik geht Lohenstein demnach zum Haus Habsburg auf Distanz - eine verdeckte Kritik und Ermahnung, wenn nicht eine subtile Entmächtigung, in der die scharfsinnige Anlage der Lob-Schrifft gipfelt.

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Lohenstein: Lob-Schrifft, K2r.

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Anton Ulrich: Die durchleuchtige Syrerinn Aramena

5.1

H ö f i s c h e K o m p l e x i t ä t als E r z ä h l p r o b l e m

5.1.1 E i n g e n e a l o g i s c h e r R o m a n A n verschiedenen Beispielen konnten wir sehen, daß die Frage politischheroischer Größenbilder eine solche der Persönlichkeitsorganisation wie auch der Bewältigung >historischer< Komplexität in einer Staats- als Gesamtordnung ist. Bei aller Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Konkretisierungen zeichnet sich als Entwicklungsperspektive ab, daß die moralische Präzeptistik abgelöst wird durch eine verfeinerte Komplexitätswahrnehmung, eine psychologische Reflexion der Vermittlungstechniken und, in der Folge, eine wachsende implizite Problematisierung A n t o n Ulrich 1 faßt in der Aramena

>heroischer
politischer< Prozeß, in dem die gesamte Arcana-Technologie (Simulation, Dissimulation, Durchschauen und Entschlüsseln) mobilisiert wird. Die folgenden Kapitel suchen weiter zu erhärten, daß nichts irreführender ist als die Behauptung, »durch menschliche - weniger politische - Bündnisse« sichere »Aramena die Wohlfahrt ihres Landes«.23 Die Komplexität des Romans erwächst daraus, daß die Genealogie nicht als statischer Abstammungszusammenhang faßbar wird. Die genealogische Ordnung hat ihre Selbstverständlichkeit verloren und muß daher überhaupt erst hervorgebracht und gerechtfertigt werden. Sie erweist sich nicht nur im Detail als korrektur-, sondern im ganzen als politisch gestaltungsbedürftig. Anton Ulrich baut sie zu einem polydimensionalen politischen Handlungsmodell aus.24 Die Genealogie wird auf diese Weise Teil der disponiblen

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seine rechte Königin wieder bekommen solt. Dann/ viel Königreiche machen nicht reich/ sondern das/ was man mit recht besitzet.« Zu Hemor Anton Ulrich: Aramena, I, S. 54-58; zu Baleus ebd., II, S. 104-106; zu Belochus ebd., III, S. 217 -220; 597f.; 629£ Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 240. Paulsen: »Die Durchleuchtigste Syrerin Aramena«, S. 25. Vgl. auch die Fehleinschätzungen S. 177: »Im Aussenpolitischen erstrebt Aramena eine Gemeinschaft, in der einer für den anderen einzustehen bereit ist. In dieser grossen Völkerfamilie gibt es kein machtpolitisches Interesse, es gibt [...] nur ein menschliches Verpflichtetsein. So erscheint in der >Aramena< besonders glücklich die aufgezeigte Verbindung von dynastischem und zugleich volksverbundenem Denken und einer grossen Völkergemeinschaft, die auf der Basis gegenseitiger menschlicher Wertschätzung der Repräsentanten der einzelnen Länder beruht.« Für die Entfaltung genealogischer Komplexität auf engem Raum vgl. als Beispiel Anton Ulrich: Aramena, I, S. 84f.: »Der König von KiriathArba/ der Esron/ hatte zur gemalin die Prinzessin von Salem/ die Axa: die ihm den jetzigen König Ephron/ den Fürsten Beri/ und die Prinzessin Jerode geboren. Nach Esrons tode/ heuratete sie den Sichern/ König von Canaan: aus welcher Ehe der Beor gezeuget worden. Der Fürst Beri/ des Eliesers und Ephrons H. Vatter/ lebete mit dem König Ephron seinem broder in grosser strittigkeit/ weil derselbe als ein geitziger herr ihme wenig zuwillen wäre«. Als Beispiel für den Versuch, Machtansprüche gegen die genealogische Legitimation des Königs durchzusetzen, vgl. ebd., II, S. 223, über die Herrschaftsusurpation elamitischer Stände: »Es vereinigten sich aber fürnemlich ihrer viere/ bei denen die meiste gewalt stunde: daß sie das Königreich Elam zugleich regiren/ und/ auser dem Königs-namen/ sich aller Königlichen macht stäts gebrauchen wolten. Um nun/ auf den notfall/ auswärtiger Könige beistand zu haben/ verheurateten sie sich mit den Königlichen geschlechten von Ophir/ Ellassar/ Arabien und Hevila.«

305 politischen Symbolik. Deshalb steht für den Roman hinsichtlich der Nachfolgefragen nicht das konkrete Problem zur Debatte, auf welche Weise der Wechsel im Regierungsamt am klügsten und glimpflichsten bewerkstelligt werden könne. Das Werk wendet sich vielmehr der Frage zu, wie überhaupt absolutistische Herrschaftslegitimation durch Genealogie gewährleistet werden könne, und sucht sie, wie die folgenden Kapitel noch deutlicher zeigen sollen, durch seinen Systemanspruch zu beantworten. Das zentrale Programmanliegen des Romans ist die Begründung einer legitimen Fürstenherrschaft durch die (Re-)Konstruktion der wahren genealogischen Zusammenhänge. Über den bevorstehenden Einzug des volljährig gewordenen Königs Amraphel in Elam liest man: Als aber endlich dieselbige [Zeit] heran nahete/ begunten die ienige reichs-stände/ so bisher nach ihrem gefallen regiret/ und üm ihres eigennutzens willen viel unrechtfärtigkeit gedultet/ die äugen aufzuthun: wol vermutend/ daß bei ankunft des Königs/ nicht allein ihre gewalt fallen/ sondern auch das gepressete volk räche über sie fordern/ und also ihren Untergang fördern würden.25

Die genealogische Raumordnung in ihrer Perfektion dient als Garantie einer über alle Partikularperspektiven hinausgehobenen Geltung des fürstlichen Regiments. Sie verbürgt Charisma und Autorität des Fürsten und sichert damit auch seine Macht. Dabei entspricht die Genealogie einem nach topischen Gesichtspunkten geordneten Lexikon, in dem jedem Begriff der ihm eigentliche Platz zugewiesen ist.26 Als Hauptwidersacher der syrischen Aramena gilt Belochus, der König von Babel; Anton Ulrich greift allerdings nicht auf die von Gott verhängte babylonische Sprachenverwirrung zurück, sondern befaßt sich mit der politischen Konfusion der legalen Abstammungsverhältnisse. Bezeichnend für die (nicht zuletzt durch Belochus oder seinetwegen angerichtete) politische Unordnung ist jedenfalls die Vielzahl der Namensverwechslungen und -vertauschungen. Es erübrigt sich an dieser Stelle, die einschlägigen Sprachtheorien in ihrer Breite unter Einschluß der Vorgeschichte zu sichten. Ein Seitenblick auf die Ausführungen von Anton Ulrichs Lehrer Schottel über die vorbabylonischen Verhältnisse mag genügen. Danach konnte Adam über die »allervollenkommeste Ertzsprache« verfügen, mit der er »alle Dinge/ und zwar nach jhrer rechten Eigenschaft benahmet hat«. Diese »einzige Weltsprache«, die demnach allein die Schöpfungsordnung repräsentieren konnte, sei mit der babylonischen Sprachenverwirrung verlorengegangen. 27 Für die nachbabylonische Zeit liefern, wie wir sahen, 25 26

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Anton Ulrich: Aramena, II, S. 222t Zu diesem Zusammenhang in bezug auf das Mittelalter Bloch: Etymologies and Genealogies. Schottel: Ausführliche Arbeit von der teutschen Haubtsprache, S. 33. Zu Schottel Borst: Der TUrmbau von Babel, S. 1357; ebd., S. 1371f. auch ein kurzer Hinweis auf die »Aramena«. Borst ist auch grundsätzlich für weiteres Material zum Thema zu vergleichen. Zur durchaus kontroversen Debatte um die Adamitische Sprache Gardt: Sprachreflexion in Barock und Frühaufklärung, S. 345-347.

306 bei Schottel Alter und Nähe zum Ursprung das Maß für die Dignität einer Sprache. Schottel beruft sich auf die Lehrmeinung des Niederländers Johann Goropius Becanus (1518-1572), daß »dieselbige Sprache die allerälteste seyn müsse/ welche die allerältesten Wörter/ und die eigentlichsten Bedeutungen der Dinge habe.«28 Die zugrundeliegende Lehre von der >richtigen< lexikalischen Weltordnung gibt sich negativ auch in Äußerungen über die Sprachvermischung zu erkennen. Den Franzosen muß der wahre Sinn aus dem Deutschen übernommener zusammengesetzter Lehnwörter verborgen bleiben: »Was aber das Wort recht bedeutet/ und woher es eigentlich komme/ wissen sie nicht/ weil jhnen die Teutsche Stammwörter/ und VerdoppelungsArt verborgen ist.«29 Betrachtet man die Aramena als fiktionale Etablierung und Inszenierung eines fürstlichen Zeremoniells, einer universalen Präzedenz- und politischen Umgangsordnung, so wird erst recht ihr Anspruch deutlich: Während Lünig zu Beginn des 18. Jahrhunderts in seinem Theatrum ceremoniale die je nach Fürstenhof, Region, Konfession und Religion unterschiedlichen Gebräuche so vollständig wie möglich sammelt, ohne ihnen selbst noch einen transzendenten Grund zuzusprechen, will der Roman im vollständigen und >richtigen< Zeremoniell die Schöpfungsordnung repräsentieren. Damit bekommt die religiöse Anbindung, auf die Birkens Vorrede als Grund für die alttestamentarische Stoffwahl verweist und die der Roman als Bekehrungsperspektive umsetzt, den genaueren Sinn der Partizipation an einem durch Gott gesetzten, in der Schrift dokumentierten und charismatisch beglaubigten universalen Ordnungsmodell.30 Hinter dem Roman als ganzem steht also durch28

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Schottel: Ausführliche Arbeit von der teutschen Haubtsprache, S. 31. Zu Goropius Borst: Der lUrmbau von Babel, S. 1215-1218. Schottel: Ausführliche Arbeit von der teutschen Haubtsprache, S. 125. Vgl. auch S. 138: »Nicht aber allein angezogener Misbrauch gereichet der Sprache in viel Wege zur Verkleinerung/ sondern dieses verschandflekket sie noch mehr/ daß sie auch jhre eigene uhrankünftliche Wörter/ für eigen nicht behalten/ noch deroselben rechte Andeutung/ samt selbsteigener Ankunft/ mehr erretten kan«. - Als »Meisterstük« der Natur (ebd., S. 144) ist das Deutsche freilich von vornherein ein /kMnsfgebilde. Besonders deutlich zeigt dies die lexikalische Kombinatorik - die Differenzierung und Multiplikation der Bedeutungen durch Komposita aus einer begrenzten Anzahl von Stammwörtern sowie aus Konjugations- und Deklinationsendungen. Deshalb setzt sich Schottel nicht etwa für die Rückkehr zu einer verlorenen Simplizität ein, sondern fordert im Gegenteil dazu auf, die Sprache in ihrer >richtigen< Artifizialität herzustellen. Dieser Ordnungsanspruch einer kompendiösen Grammatik als >Kunst< gewinnt die Oberhand über die Fortführung und Ausbesserung des Überlieferten. In Schottels grammatischem Programm verbirgt sich daher ein (national) interessierter Gestus der Kontrolle, der Zentralisierung und der Disziplinierung. Birken: Vor-Ansprache zum Edlen Leser, in: Anton Ulrich: Aramena, I, unpaginiert: »Damit aber hierdurch nicht allein der Kunst- und Tugendliebenden ihre erbauliche Ergetzlichkeit/ sondern auch Gottes Ehre/ gefördert werden möchte: als sind die Morgenlande zum Schauplatz dieser Historie erwehlet/ und die Biblische

307 aus eine apologetische Absicht. In der Vollendung des genealogischen Systems konstruiert das Werk eine heroische Ordnung der Politik. Eine weitere Konsequenz deutet sich an: Der Held kann seine Vorzüglichkeit nicht mehr durch Taten unter Beweis stellen, sondern nur noch durch die Kontrolle des Systems, hinter das er zurücktreten muß. Das Werk zielt darauf, die absolutistische als in der Schöpfung verankerte Ordnung zu entfalten, und zwar mit Hilfe politischer Kunstmittel. Dazu gehört auch die Beherrschung fremder Sprachen (Ägyptisch, Arabisch, Ophirisch, Keltisch etc.), die die babylonische Verwirrung zwar nicht beseitigt, aber kontrollierbar macht. 31 Entsprechend dem Ordnungsaspekt der Genealogie hat die Rekonstruktion den Charakter einer Konstruktion. Daraus, daß die Perfektion des Systems zur einzigen Wahrheitsgarantie wird, sich aber gleichzeitig auf die Vorsehung berufen muß, erwächst dem Roman eine konzeptionelle Problemstellung. Er muß sich mit der Spannung von Kalkül und Absichtslosigkeit, politischem Ehrgeiz und Natürlichkeitsausdruck auseinandersetzen. Diese Divergenzen verlangen eine um so höhere Investition an Aufmerksamkeit und Mühe, je mehr sich die politischen Interessen verselbständigen. Davon, daß das System zugleich als hergestelltes und kontrolliertes wie auch als vorgegebenes und rekonstruiertes erscheint, hängen in der Aramena nicht allein einzelne politische Ziele ab, sondern Rechtmäßigkeit und Begründung der fürstlichen Herrschaft insgesamt. Der notwendigen Interessendissimulation dient übergreifend der Spielcharakter des Romans (auf den ich zurückkomme), speziell auch der Genealogie. Statt also das eigene Geschlecht zentralperspektivisch auf den Beginn der Schöpfung zurückzuführen - ein Verfahren, das ja ohnehin seine Überzeugungskraft schon eingebüßt hatte - formt Anton Ulrich aus dem biblischen Material ein ebenso hypothetisches wie subtil suasives Ganzes.

5.1.2 Perspektive und Interesse Der einleitende Blick auf die Genealogie-Thematik hat gezeigt, daß den Roman die Spannung zwischen Tendenzen der politischen Wirklichkeitszersplitterung und Bemühungen um Systematisierung und Synthese bewegt. Obwohl in der Aramena das Fachgebiet der Politik hinter die Liebeshandlungen zurücktritt, beschäftigt sich Anton Ulrich mit der Suche nach einer legitimen, tugendorientierten und in diesem Sinn >gerechten< Weltordnung. Darin eingeschlossen ist die Frage nach einem stabilen Verhältnis zwischen den verschiedenen Herrschaften. Doch schon diese Problemstellung läßt keinen Zweifel daran, daß die in der Schöpfungsordnung begründete politische Ord-

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Geschichten selbiger zeit/ auch durch deren veranlassung die anweis- und bekehrung der Heiden zum wahren Gottesdienst/ mit eingeriicket worden.« Beispiele: Anton Ulrich: Aramena, I, S. 463; II, S. 229; IV, S. 502.

308 nung, damit aber auch die Maßstäbe tugendkonformen Handelns in der Politik, ihre sichere Erkennbarkeit verloren haben, auch wenn ihre Existenz als unzweifelhaft gilt. Der sinnvolle Zusammenhang des Vereinzelten muß in der Genealogie wie in der Romananlage insgesamt erst unter Beweis gestellt, im Grunde sogar konstruiert werden. Als Form des ordnenden Zugriffs kommt die Perspektivität ins Spiel. Wagner hat dies in seinen für die Aramena grundlegenden Studien zu »Barockraum und Barockroman« gewürdigt, dabei speziell auch Landschaftsund Innenraumdarstellung und Erzähltechnik berücksichtigt und gezeigt, daß die geistesgeschichtlichen Begleiterscheinungen samt ihren praktischen Konsequenzen (kopernikanisches Weltbild, Unendlichkeitserfahrung, exzentrische Position des Betrachters, Wahrnehmungsverzerrungen bis hin zu Erscheinungen literarischer AnamorphoseWahn< und Illusion, in der - bis hin zum »vermeinte [n] Verstellen« 42 - alles Wahrgenommene auch etwas anderes bedeuten kann. Der Zusammenhang von Perspektivität und Melancholie, der sich damit literarisch ankündigt, ist der frühneuzeitlichen Perspektivetheorie durchaus geläufig. 43 Die ganze Romanwelt nähert sich einem >künstlich< hergestellten Theater an, dessen literarische Trompe-l'oeil-Effekte nicht nur auf die Verwirrung der Figuren, sondern auch auf die des Lesers zielen. 44 Das Werk vollzieht in seiner Täuschungsstruktur den Verlust an traditionsverbürgten symbolischen Orientierungspunkten, den auch die politischen Lehrbücher registrieren. Die Verunsicherung betrifft metaphysische Grundfragen, insofern in der nur perspektivisch erfaßbaren Wirklichkeit die Möglichkeit einer Wesensbestimmung der Gegenstände zweifelhaft wird. Das Erfahrungsfeld der Politik wird in der Aramena zum Analogon von Leibniz' Kosmologie, deren Gesamtordnung dem perspektivisch partialen Blick unzugänglich bleibt. Aus der Sicht der Monaden ergibt sich, »wegen der unendlichen Menge der einfachen Substanzen«, eine scheinbare Vielzahl der Welten, »die gleichwohl nichts anderes sind als die perspektivischen Ansichten des einzigen Universums«. 45 Al41

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Vgl. dazu als weiteres Beispiel den Bericht über den Prinzen Baleus in der MinnaGeschichte, der von seiner Liebe zu Mirina dadurch befreit wird, daß er die Prinzessin in den Armen des Feldherrn Assur antrifft (Anton Ulrich: Aramena, III, S. 1 3 6 138). Bei letzterem handelt es sich jedoch, wie der Leser später aus anderer Perspektive erfährt, um die verkleidete Hercinde (ebd., S. 273). Vgl. Bender: Verwirrung und Entwirrung in der »Octavia/Roemische Geschichte«, S. 19-61; zum Labyrinthischen Wagner: Barockraum und Barockroman, S. 7 8 - 9 1 . Anton Ulrich: Aramena, III, S. 683. Elkins: The Poetics of Perspective, S. 166-180. Ein spätes Beispiel für den Erfolg dieser Strategie bietet »Kindlers neues Literaturlexikon«. Dort (Bd. 1, S. 544) liest man: »Die Titelheldin Aramena z.B. wächst als untergeschobenes Kind bei fremden Eltern auf, gilt später als >Ritter Dison< und als ihr eigener, verschollener Bruder.« Tatsächlich trifft dies nicht auf die Titelheldin zu, sondern auf deren gleichnamige jüngere Schwester. - Der Herausgeber von Christian Gryphius' »Actus von den Helden-Büchern oder Romanen (1694) irrt, wenn er den Verfasser mit der Bemerkung korrigieren will, Mamellus sei »nicht syrischer, sondern assyrischer Statthalter von Ninive« (S. 131). Mamellus ist (proassyrisch gesonnener) Statthalter in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Leibniz: Monadologie, i 57, S. 26. Für Beziehungen zu Leibniz' Monadologie vgl.

312 lein Gott kennt, der Theodizee zufolge, die Welt aus dem »wahren«, den Gegenständen angemessenen Gesichtswinkel. 46 Bei Leibniz wie bei Anton Ulrich ist die Unbegrenzbarkeit defizitärer Perspektiven eine Implikation des Unendlichen. Aus der Sicht der Erfahrung wird wenigstens als Möglichkeit oder als Gefahr eine zentrumslose, nicht mehr durch feste Wertkategorien regulierte Welt sichtbar.47 An die Stelle der einen Wirklichkeit können multiple hypothetische Wirklichkeitsmodelle treten. Der Schwerpunkt einer allgemeinen Täuschbarkeit verschiebt die Problemstellung von der Arcana-Topik - den machtstabilisierenden >Stratagemata< - auf das grundsätzlichere Problem, wie man angesichts einer zersplitterten und verstellten Wirklichkeit die >wahre< Ordnung überhaupt erkennen und zu ihr gelangen könne. In der Konsequenz verliert auch die moralische Beschaffenheit des Handelns (wie in den Politiken) seine eindeutige Bestimmbarkeit. Daraus ergibt sich überhaupt die Frage, welche Handlungsstrategien mit dem fürstlichen Legitimitätsanspruch korrespondieren. In diesem Sinn müssen die Romanfiguren die providentiell festliegenden Sinnzusammenhänge erst erschließen. Man sieht sie mit Versuchen beschäftigt, an den Ereignissen den Willen der Vorsehung abzulesen: »Endlich nach langer unschlüssigkeit fassete er [Hiarbas] den willen/ dieser seiner liebe [Mirina] beständig nachzusetzen. Er hielte auch solche/ für eine verborgene Schickung des himmels«. 48 Die zahlreichen - ebenso zutreffenden wie mißverständlichen - heidnischen Orakelsprüche verbürgen die Präsenz und dokumentieren zugleich das Verstelltsein der Providenz. 49 Die Figuren befinden sich in der auch von Saavedra Fajardo beschriebenen Situation des Brieflesers, der die Aufgabe hat, aus Fragmenten das Ganze zusammenzusetzen. Im Zusammenhang mit einem verstümmelten Brief an Abimelech stellt sich das gesamte Problem des undurchschaubaren Zusammenhangs und der unbewiesenen Verläßlichkeit der himmlischen Fügung - zumal der Empfänger den Umstand, daß die Tafel zerbrochen ist, falsch (als Votum gegen den Inhalt) auslegt:

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Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, S. 248-252; Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 380-383. Leibniz: Theodizee, § 147, S. 210. Vgl. Wagner: Barockraum und Barockroman, S. 157-162. Zum segmentaren Blick Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 3 1 - 3 6 und passim. Haslingers Unterscheidung von »Oberflächenstruktur« und »Tiefenstruktur« des Romans übernehme ich nicht, weil sie dazu verführen kann, Konzeptionsprobleme zu übersehen, die sogar noch in den Lösungsstrategien des Romans angelegt sind. Ähnliche Vorbehalte gelten gegenüber Spahrs Unterscheidung der drei Schichten der »Wirklichkeit«, der »Erscheinungen« und der »Handlungen« (Spahr: Der Barockroman als Wirklichkeit und Illusion, S. 24.) Allgemein zum Problem auch Burckhardt: Metamorphosen von Raum und Zeit, S. 206. Anton Ulrich: Aramena, III, S. 66; 83. Beispiel: Anton Ulrich: Aramena, III, S. 80f.

313 Als er nun wieder allein war/ überlegte er der Andagone zerstrümmeltes schreiben von wort zu wort/ konte aber die ursach/ warüm die heurat mit der Königin von Syrien [Aramena] nicht zu vollziehen/ gar nicht begreifen noch ausdenken. Er beklagte hierbei/ daß das schreiben/ so ihm hiervon ein mehrers licht geben sollen/ zu schaden gegangen: welches er doch bald darauf ihm wieder gefallen ließe/ weil der bericht nur fähig würde gewesen seyn/ ihme/ durch Vorstellung dieser unmüglichkeit/ sein elend zu ergrößern. Demnach bediente er sich dessen zu seinen trost/ indem der himmel es so wunderbar gefüget/ daß dieses täfelein müßen zerbrochen werden.50

Mit der Frage nach der vorherbestimmten Ordnung der Wirklichkeit stellt sich auch die nach der rechtmäßigen Regierung. Im augenscheinlichen Zerfall vorgegebener Wirklichkeitsmodelle gestaltet Anton Ulrich demnach eine grundlegende, nicht nur auf einzelne Herrschaften bezogene politische Legitimationskrise (die freilich nicht zuletzt den Inszenierungsrahmen für einen heroischen Ordnungsentwurf bildet). Das Thema ist nicht mehr die Unterscheidung zwischen >richtigem< und >falschem< Standpunkt, sondern die Problematik des perspektivischen Sehens selbst. Da die Grundfrage des Romans einer Gesamtordnung gilt, die über allen Partialinteressen steht, verbieten sich als gangbarer Weg zu diesem Ziel nicht allein die machiavellistischen Mittel von interessierter Gewaltanwendung, Verrat und Wortbruch, wie sie von den Negativfiguren praktiziert werden, sondern auch alle politischen Simulationen, darunter die Verkleidungen der jüngeren Aramena und Disons, die dem oben angeführten Beispiel zugrunde lagen. Solche Eingriffe läßt der Roman stets als segmentär und illusionsanfällig erscheinen. Sie können weder zur Erkenntnis noch zu einer glaubwürdigen Herrschaftsbegründung führen, sondern reproduzieren und verlängern die Kette der Täuschungen. In dem alten Thebah führt Anton Ulrich sogar eine Figur ein, an der er kontinuierlich die Vergeblichkeit selbst in den besten Absichten geplanter Winkelzüge demonstriert. 51 Die Beispiele vom Beginn des Kapitels lassen aber auch erkennen, daß die perspektivische Wahrnehmung selbst ein gestaltender Zugriff auf die Wirklichkeit ist. Anton Ulrich bringt sie als unverzichtbare Methode der Weltaneignung ins Spiel. Die Lehrbücher zur Perspektive kennen die Verbindung von perspektivischer Darstellung und Kontrolle über die Gegenstände. Wentzel Jamitzer rühmt in seiner Perspectiva Corporum Regularium (1568) diese Kunst als ein Instrument, mit dessen Hilfe der Zeichner - speziell der Baumeister - Besitz von den Gegenständen ergreifen und sie täuschend und 50

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Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 513. Das Motiv - in weniger komplizierter Umgebung - auch in Sophie Elisabeth von Braunschweig und Lüneburg: Ein Frewden Spiell von dem itzigen betrieglichen Zustande in der Welt, in: Dichtungen, I, S. 157-162. Beispiele: Anton Ulrich: Aramena, III, S. 197-209; 401-403; 560. Vgl. auch ebd., II, S. 708-721, den großangelegten Plan einer Scheinhochzeit zwischen Dison und der jüngeren Aramena, die als der jeweils andere verkleidet sind. Dazu auch III, S. 355-360 u.ö.

314 »ähnlich« aus jeder Blickrichtung (und daher überhaupt erst zur Gänze) wiedergeben könne. Dies dürfte dazu beigetragen haben, daß überhaupt in der frühen Neuzeit die Perspektive auf den unterschiedlichsten Wissens- und Handlungsgebieten (Mathematik, Geometrie, Architektur, Malerei, Philosophie, Politik) im Vordergrund des Interesses steht. Dabei geht Jamitzer von der Überzeugung aus, daß die perspektivische Darstellung in der Lage sei, die wirklichen Raumverhältnisse korrekt wiederzugeben. Die Möglichkeit, daß der perspektivisch erfaßte Gegenstand mit dem wirklichen nicht identisch ist, sondern lediglich Modellcharakter hat, ist in seiner Theorie nicht angelegt. Die Aufgabe der perspektivischen Darstellung liegt in der Reproduktion: Es ist so ein subtiel leychte vnd schöne Kunst/ [...] alle Cörperliche ding auß ihren aignen gründen aufzufüren/ mit rechter Proportz der praiten/ dicke/ vnd höhe/ nit änderst als stünden sie vor äugen gegenwertig verhanden/ es kan auch keyn Materia so seltzam vnd schwer fürgegeben/ die nicht auff disen weg inn ein rechte Perspectif gebracht werden miige/ von gebewen waserley arth vnnd form man wolle/ es sey gleych verruckt/ oder vber Eckh gesteh/ auch auffgehoben/ Lainendt/ Hinterwertz/ Fürwertz/ Seyttling/ item auff die Spitz gestelt/ oder etwas von der Höhe zustellen/ alles mit einerley arbeyt/ ohne sondere grosse mühe/ Jtem auch an ein Hauß zu mahlen/ oder sonst in die höhe/ als an dillen oder gewelb/ das von vnten hinauff/ gut Perspectifisch angeschawet werde.

Ebenso lassen sich nach Jamitzer »durch diese Kunst/ Stett/ Schlösser/ vnd Landtschafften/ auch anders dergleychen inn ein gemehl bringen«, und zwar »so fleyssig vnd just gemacht/ das es von der handt so ähnlich vnd gerecht zu Conterfehen/ fast vnmüglich scheynen würde.« 52 Der standpunktbezogene Blick sucht den Gegenstand als geometrisch erfaßten dem Wissen einzuverleiben. Stellvertretend für die möglichen Anknüpfungspunkte an Problemstellungen der bildenden Kunst, der Architektur und der Gartengestaltung sei auf einen Kupferstich aus Pufendorfs Sieben Büchern von denen Thaten Carl Gustavs König in Schweden (deutsche Übersetzung 1697) verwiesen: In streng geordneter Formation zieht das schwedische Heer zum Kampf gegen die Dänen auf die zugefrorene Ostsee. Unter der Feldherrngeste des Königs, der, so die Unterschrift im Rückgriff auf die heroische Topik, die »Halbgötter« (»Semideos«) der Römer und Griechen überbietet, nimmt es das Un52

Jamitzer: Perspectiva Corporum Regularium, Vorrede (unpaginiert). D e n Selbstermächtigungsversuch durch perspektivischen Zugriff auf die Gegenstände unterstützt die geometrische Komplexitätsreduktion: Man könne, so lehrt Jamitzer (ebd.), die ganze Körperwelt auf die fünf geometrischen Grundfiguren der platonischen Tradition zurückführen. Vgl. auch (mit teilweise fast identischen Formulierungen) Halt: Perspectivische Reiß Kunst, Vorred an den Leser (unpaginiert). Als weitere Beispiele für die zahlreichen Lehrbücher der Perspektive vgl. de Vries: Variae architectvrae formae (1601); ders.: Perspective, das ist die weitberuehmbte khunst/ eines scheinenden in oder durchsehenden augengesichts Puncten (16041605); Füllisch: Compendium artis delineatoriae (1680), darin besonders der sechste Teil (»Von Perspectiven«). Vgl. auch Andrews: Story and Space in Renaissance Art, S. 5 6 - 5 9 .

315 endliche perspektivisch und geometrisch in Besitz. Die Darstellung zeigt zugleich, wie die Unendlichkeit selbst zum heroischen Attribut des Fürsten werden kann (Abb. 6). Die Parteien der angeführten Aramena-Stellen partizipieren an der Perspektivität als Form des ordnenden Zugreifens. Anton Ulrich setzt perspektivisches Sehen als Instrument eines intensiven, systematischen und bis ins Detail reichenden Steuerungsanspruchs ein. Perspektivität erweist sich als die Methode, die die Figuren, aber auch der Roman insgesamt anwenden, um Verfügungsgewalt über das (scheinbar) Disparate der Historia zu gewinnen. Die Einzeldinge können erst so in ihrem Aspektreichtum und in ihren Zuordnungsverhältnissen erscheinen. Ohne perspektivische Sehweise wäre schon das Raumgefüge der genealogischen Topik nicht zu stabilisieren. Erst vom bestimmten Standpunkt her eröffnet sich die Möglichkeit, ein unbegrenztes Feld zu erschließen, Ordnungsbeziehungen darin sichtbar zu machen und den geometrischen Grundriß der Historia zu erweisen. Der Verfügungsanspruch bekommt so einen konstruktiven, auf die >durchsehende< Systematisierung der Wirklichkeit bezogenen Sinn. Dem Werk liegt geradezu der Plan zugrunde, die Wirklichkeitselemente, deren Zusammenhänge nicht mehr von vornherein festzustehen scheinen, perspektivisch zu erfassen, um sie als System begreifbar zu machen. Insofern freilich die Perspektive nicht nur Ursache fortgesetzter Täuschungen ist, sondern auch das Verfahren des ganzen Romans bestimmt, ist das Werk von einem grundlegenden Widerspruch geprägt. Das perspektivische Sehen bedingt Erkenntnisgrenzen, die es zugleich selbst überwinden soll. In der Konsequenz demonstrieren die einleitenden Beispiele auch, daß der perspektivische Blick als intentionales Handeln zu den Erscheinungsformen der politischen Techniken des klugen Durchschauens und der Dissimulation zählt. So ergibt sich die Frage, auf welche Weise der Roman dieses Dilemma zu überwinden sucht. Keine der Romanfiguren verzichtet in der durch Täuschung und Irrtum bestimmten Welt der Aramena auf die Mittel, die in der Staatsräson-Literatur entwickelt und beschrieben sind. Dies gilt namentlich auch für die heroischen Zentralfiguren Delbois/Aramena, Cimber/Marsius und Abimelech/ Aramenes. Die Grenzen der Verstellung und der listigen >Anschläge< unter Einschluß der psychologisch geschickten Präsentation von »Simulacra« vor dem Volk und der Aufgabe des Fürsten, »durch die Finger« zu sehen, damit aber überhaupt Aspekte der Arcana-Topik werden mit den bekannten Argumenten immer wieder diskutiert. 53 In einem Gespräch über die Frage, ob sich 53

Beispiele: Anton Ulrich: Aramena, I, S. 329 (über eine fast gegen den »Wohlstand« verstoßende Verstellung); II, S. 472 (über einen an Adonias verübten Betrug, der ihn von seiner Liebe zu Orosmada abgebracht hat); III, S. 173-176 (über Aspekte der Dison-Aramena-Verkleidung); 373-380 und 566-570; 630-632 (zur Darstellung politisch legitimer Autorität vor den Untertanen); IV, 428f. (Kritik am ver-

316 wahre Liebe verbergen lasse, verteidigt Aramena ihre Verstellung gegenüber Abimelech: »Meine erwiesene kaltsinnigkeit [...] sol [...] euch dienen/ daß eure liebe und meine Zuneigung heimlich bleibe/ und daß ich keinen andern befehl von meinen oberen bekommen möge/ meinen fürsatz zu widerruffen.« 54 Auch Namensvertauschungen können zu den notwendigen Listen gehören. 55 Offenbar unterscheidet der Roman die erlaubten Techniken als Dissimulation von der untersagten Simulation, wovon nur erstere in der Lage ist, auch die eigene Absichtlichkeit und Interessiertheit unkenntlich zu machen. Damit ist ein wichtiger Interpretationshinweis für die Gesamtstrategie der Aramena gewonnen. Auch der Roman als ganzer entgeht nicht der Problematik des politischen Interesses und der Notwendigkeit der Dissimulation. Ihm ist natürlich daran gelegen, verengte Wahrnehmungsweisen zu überwinden, die Partikularinteressen durch das Gesamtinteresse zu überbieten oder jedenfalls mit ihm vereinbar erscheinen zu lassen und einen Modus moralisch legitimierten politischen Handelns zu finden. Das Werk zielt auf eine Perspektive, die die politische Welt insgesamt ins Auge faßt und als System vergegenwärtigt, in dem das scheinbar zerfallene Einzelne in sinnvollem Zusammenhang angeordnet ist. Catharina Regina von Greiffenberg verweist, wie Wagner ausführlich demonstriert hat, in ihrem Widmungsgedicht zum dritten Teil der Aramena in diesem Sinn auf die Perspektive als Kompositionsprinzip »von fundamentaler Bedeutung«. Die >richtigePolitikkonservativ< - das politische Konzept des Absolutismus in der Schöpfungsordnung zu verankern. Grundsätzlich unterliegt er deshalb denselben Bedingungen, die für einzelne Figuren zu Wahrnehmungsverzerrung, Täuschung und partikular interessiertem Handeln führen. Doch verschleiert er das Verfahren, vor allem dessen hypothetischen Charakter, indem er alle anderen Perspektiven überbietet und in der Perfektion der Konstruktion die eigene absolut setzt. Dazu genügt es allerdings nicht mehr, nach Jamitzers Muster der Eignung perspektivischer Darstellung zur WirklichkeitsvWedergafce zu vertrauen. In einem viel weitergehenden Akt der Aneignung muß die Wirklichkeit vielmehr als ganze überformt und neu gestaltet werden. Die Fähigkeit der Perspektive, Fiktives neu hervorzubringen und glaubhaft als Realität darzustellen, ist der zeitgenössischen Perspektivetheorie bekannt und wird in der bildenden Kunst illusionistisch eingesetzt. Stellvertretend sei auf Andrea Pozzos Perspectivae pictorum atque architectorum verwiesen, die ausdrücklich die Lehre von der Perspektive als Kunst der Täuschung vermitteln: »Wann runde Sachen wohl gezeichnet/ und hernach meisterlich gemahlt/ auch davon/ was nicht darzu gehört/ hinweg gethan worden/ so können die Augen oder das Gesicht recht wunderlich damit betrogen werden.« 59 Die Souveränität im Umgang mit den Gegenständen der Wirklichkeit geht so weit, daß ganze - ephemere oder dauerhafte - Scheinarchitekturen entworfen werden, die »durch die Kunst« ersetzen sollen, »was der Natur ermangelte«. 60 Die Malerei besitzt die Macht, ein illusionistisch hervorgebrachtes »Theatrum« als neu geschaffene >Wirklichkeit< zu präsentieren: »Dahero es auch eine unlaugbare Sache ist/ daß grosse Risse oder Gemählde/ wann sie nach denen Regien der Bau- Mahler- und Perspectiv-Kunst gemacht sind/ das Auge trefflich betriegen«. 61 Der Verfasser rühmt sich, daß selbst »einige Baumeister« der perfekten Illusion einer »auf eine sehr grosse flache Tuch-Wand« gemalten Kuppel in S. Ignazio in Rom erlegen seien. Der zugehörige Kupferstich illustriert auch die Standpunktabhängigkeit des korrekten Eindrucks (Abb. 7): 57

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Vgl. allgemein Burckhardt: Metamorphosen von Raum und Zeit, S. 204. Zum Prozeß zentralperspektivischer Homogenisierung des Raums im Übergang von der Renaissance zum Barock auch Andrews: Story and Space in Renaissance Art, S. 104t Vgl. Burckhardt: Metamorphosen von Raum und Zeit, S. 189; 193. Pozzo: Perspectivae pictorum atque architectorum, 1. Teil, 66. Figur. Pozzo: Perspectivae pictorum atque architectorum, 2. Teil, 69. Figur. Pozzo: Perspectivae pictorum atque architectorum, 2. Teil, 47. Figur.

318 Es ist einigen Baumeistern verwunderlich vorkommen/ daß ich die vordere Säulen auf Trag-Steine gesetzet, angesehen sie solches bey einem rechten und warhafften Gebäu sich nicht zu thun getraueten: allein ein gewisser Mahler/ mit deme ich in grosser Vertraulichkeit gelebet/ hat ihnen dise ihre Forcht benommen/ und sich vor mich verpfändet/ daß er allen Schaden und Unkosten tragen wollte/ wann einmahl die Trag-Steine brechen/ und mithin die arme Säulen herunter fallen sollten.62

Die perspektivisch erfaßte gibt sich damit als kunstreich simulierte Wirklichkeit zu erkennen. Der Betrug ist für den italienischen Jesuiten nicht nur eine Folge der gelungenen perspektivischen Darstellung, sondern selbst das Ziel. Pozzo genügt es nicht, lediglich die Gegenstände >täuschend< vorzuführen. Vielmehr legt er es darauf an, mit Hilfe der Perspektive als Simulationskunst bestimmte Effekte beim Betrachter auszulösen. Die Perspektive wird damit Teil eines psychologischen Kalküls; die Kontrolle über die Objektwelt erweist sich am Ende als eine solche über das Publikum und seine Wahrnehmungsweise. Für die Aramena sei festgehalten, daß ihr die in der Schöpfungsordnung begründete Legitimation fürstlichen Handelns gelingt, indem sie unvermerkt das Bild der Wirklichkeit zurichtet und von ihr - genauer: von der Wahrnehmung der Leser - Besitz ergreift. Das Überbietungskonzept des Romans kann jedoch zu keinem wirklichen Abschluß gelangen und ist stets von der Gefahr bedroht, sich im Unendlichen zu verlaufen. In diesem Sinn dürfte zu interpretieren sein, daß der Autor sich genötigt sieht, im Systematisierungsinteresse die potentielle Unendlichkeit des geographischen Raums, der Personen und ihrer Verflechtungen als abgeschlossenen Zusammenhang darzustellen. 63 So schwebt über der Konstruktion der Verdacht, daß der universale Geltungsanspruch des Systems sich dem gezielten Ausschluß anderer Möglichkeiten verdanke. 64

5.1.3 Politisches Erzählen Wie wir sahen, gilt die Aramena dem Versuch, die Wirklichkeit als kohärentes (nicht zuletzt genealogisches) System literarisch faßbar zu machen. Dabei ist vorausgesetzt, daß der Welt der Politik prinzipiell ein sinnvoller und regierbarer Zusammenhang zugrundeliegt, eine Ordnung, die im Roman selbst unter dem Begriff der Vorsehung erscheint: »Wie getrost kan man demnach in allem Unglück leben/ [...] weil man versichert ist/ daß ein so gütiger als gerechter fürer alles nach seinen willen leitet und lenket.« 65 Diese göttliche 62 63

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Pozzo: Perspectivae pictorum atque architectorum, 1. Teil, 91. Figur. Zum Abgeschlossenheitskonzept Hofter: Vereinzelung und Verflechtung in Herzog Anton Ulrichs »Octavia. Römische Geschichte«, S. 9. Dazu als einem allgemeinen Problem topischer Systeme Schmidt-Biggemann: Topica universalis, S. XVIII. Vgl. auch Burckhardt: Metamorphosen von Raum und Zeit, S. 207. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 97. Vgl. auch ebd., S. 677-680; V, S. 134f.; 306-322; 378f.; 408-412; 505-509; 653-656.

319 Lenkung muß allerdings erst durch geeignete (politische) Kunstmittel sichtbar gemacht werden. Als Instrument zur Disziplinierung der ungeordneten >historischen< Welt dient das Erzählen. Der Roman umfaßt eine Zentralhandlung, die durch insgesamt 37 größere Erzählungen - Viten und Ereignisberichte aus erster oder zweiter Hand, die sich stets auf die beteiligten Figuren beziehen - unterbrochen wird, außerdem durch ein poetisches >Gesprächsspiel< und mehrere Schäferspiele. 66 Außer den umfangreicheren Liebesgeschichten, deren Beginn und Ende im Druck auch jeweils graphisch markiert sind, fließt noch eine kaum bestimmbare Zahl kürzerer Berichte gesprächsweise in den Erzählgang ein. Mit Hilfe solcher Einlagen akkumuliert der Roman das Wissen, das am Ende zu einer Synthese der Wirklichkeit führen soll, zu einer Draufsicht auf den zunächst noch unerkennbaren Grundplan des Ganzen: »Du wirst/ liebste Ardelise! (hube hierauf Aramena an) der Fürstin von Seir/ deines bruders und gegenwärtiger Prinzessin Liebesgeschicht/ auch was euch endlich zu Hemath begegnet/ davon ganz Syrien bisher so unvernemlich geredet/ zu erzehlen dir belieben lassen.« 67 Solche Bemühungen gelten der >heroischen Perspektive< auf die Gesamtordnung von Schlachtfeld, Bauplan, Gartengrundriß und Staat. Gewiß liegen im strategischen und ordnenden Zugriff Gemeinsamkeiten mit Bucholtz' HerkulesRoman. Doch kann der auf anschauliche Überzeugungskraft angewiesene Wissensbedarf, der Anton Ulrichs Konzept zugrunde liegt, nicht mehr von einer legitimen Ordnung ausgehen, die lediglich mit geeigneten Mitteln durchgesetzt werden müßte. Der Anspruch, das Ganze in seinen Details vollständig zu disponieren, konfrontiert vielmehr den Strategen mit einer unstrukturierten und tendenziell unbegrenzten Datenmenge, deren Zusammenhang erst hergestellt werden muß. Das Kontrollinteresse impliziert eine Partikularisierung der Welt in die Vielzahl der Einzelinteressen. Der Politicus erscheint deshalb bei Anton Ulrich in gewisser Hinsicht eigenständiger, aber auch ungeschützter. Gleichzeitig hat das politische Erzählen< die Aufgabe, die Wirklichkeit als homogenen Raumzusammenhang herzustellen. Dieser Begründung des Erzählens entspricht die Neugier als Basishabitus der Zuhörer. Von ihr gehen im Grund die Unruhe der Romanfiguren und die Bewegung der Handlung aus. Die Curiositas ist so tief im Roman verankert, daß sie stets als selbstverständlich vorausgesetzt wird und im Einzelfall nicht unbedingt durch besondere Umstände motiviert oder ausgelöst zu werden braucht. Fast stereotyp läßt Anton Ulrich die einzelnen Erzählungen mit Neugier-Formeln einleiten oder unterbrechen. Nicht selten zielen sie darauf, die bereits vorhandenen Kenntnisse zu vervollständigen:

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Für einen Überblick vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 941£; Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 252-256, zählt 36 Lebensgeschichten. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 169.

320 Jch weiß ja freilich/ liebster bruder! (sagte Ahalibama/) wie es euch zu Dedan ergangen/ wie ihr euch geweigert/ die schöne Aramena zu ehlichen/ und wie unsere frau mutter euch nach Rabbath/ auf das fest des gottes Camos/ davon gebracht: dieses aber mögte ich wol gern von euch vernemen/ wie ihr die Aramena ohne liebe habet sehen können. D i e jeweiligen Erzähler wenden sich ihrerseits an die Neugier der Zuhörer: »Jch vermute aber wol/ daß ihr/ liebste schwester! begierig seyn werdet/ zu erfahren/ wer diese frömde abenteur verursachet/ von der ich euch dann berichten wil/ ehe ich fortfahre.« Darüber hinaus bestimmt die Neugier allgemein das Verhalten der Figuren: »Jch wurde gleich begierig/ zu wissen/ wie dieses bildnis in diese wildnis gekommen: sähe demnach in dieser holen timher/ und wurde gewar/ daß sie muste bewohnet seyn/ weil ich tisch und bette/ samt allerhand haußgeräte darinn fände.« 6 8 In Einzelfällen läßt A n t o n Ulrich den auf praktischen Zugriff ausgerichteten Zusammenhang von Neugier und Erzählung allerdings auch ausdrücklich hervortreten: »Euer gethaner bericht/ liebste Prinzessin! (sagte Suevus hierauf) ist uns allen alhier sehr dienlich/ und wird es nötig seyn/ daß man sofort den zustand von Canaan im kriegsrat fürbringe und überlege.« 69 Erzählen, Vernehmen und Verstehen sind in der Aramena Formen politischen Handelns, auch wenn dieser U m stand oft nicht unmittelbar erkennbar wird. Insofern das Vorhandensein einer legitimen und gottgewollten Ordnung nie in Zweifel gezogen wird, dient die Neugier nur der Bestätigung des schon Gewußten, 7 0 insofern sie diese in ihrer Beschaffenheit zunächst unbekannte Ordnung erst aufdecken soll, ist

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Anton Ulrich: Aramena, II, S. 59; 30; 43f. Weitere Beispiele zur Neugier: III, S. 215: »Er [Baleus] warfe sich ihm [Zameis]/ ganz aus sich selber/ tim den hals/ und forderte/ mehr mit begierigen gebärden als Worten/ von ihme/ daß er dieses ihme deutlicher erklären solte.« Ebd., S. 221: »Weil mein verlangen/ (antwortete die Königin) so groß ist/ als daß eure/ diese schöne nicht allein eigentlicher zu kennen/ sondern auch eure Vergnügung zu befördern: als wird es mir gar lieb seyn/ daß Zameis iezt komme/ und uns diß geheimnis eröffne.« Ebd., S. 277: »Was ich nun noch übrig zu sagen habe/ das auch meinen gnädigsten Prinzen fürnemlich angehet/ solches ist wenigen bekant/ und werde ich wol damit die bäste und eigentlichste nachricht gegen können.« Ebd., S. 288: »Aber erzehlet fort/ Zameis! meine begierde ist unbeschreiblich/ das ende hiervon zu hören.« Vgl. auch ebd., S. 299; IV, S. 620. Für einen ersten Überblick über die Philosophiegeschichte der Neugier vgl. G. Müller: Art. »Neugierde«, in: Hist. Wb. Philos., Bd. 6, Sp. 736; Blumenberg: Der Prozeß der theoretischen Neugierde; für eine Blumenbergs Thesen problematisierende Perspektive auf wortgeschichtlicher Grundlage vgl. Kenny: Curiosity in Early Modern Europe; zum Zusammenhang von Neugierde und politischer Klugheit Frühsorge: Der politische Körper; zur zeitgenössischen Problematisierung Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat, S. 165-188. Das dort rekonstruierte zwiespältige Verhältnis zur Curiositas ist auch in der >Aramena< noch spürbar, deren Neugier ja auf die Restitution eines geschlossenen Weltbilds< zielt.

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Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 653. Zu den politischen Zusammenhängen des Erzählens vgl. auch III, S. 416-421, den Bericht des Elihu über seine diplomatische Mission. Neuber: Fremde Welt im europäischen Horizont, S. 28.

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321 ihr ein konstruierender und dynamischer Zug eigen. Die Attitüde von »Vorwitz« und »fürwitz« wird uns später als die der konversierenden Geselligkeit und des Spiels wiederbegegnen. 71 Da die Legitimation vom Nachweis einer Gesamtsystematik abhängt, ginge von jedem >weißen Fleck < der politischen Raumordnung eine Bedrohung für das Romanprojekt aus. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, umständlich zu erzählen und das Detail bis hin zum scheinbar Nebensächlichen in seinen Zusammenhängen zu erfassen. Es ist die Absicht des Erzählers, aber auch die des Romanautors, in diesem Sinn Unerklärtem und Unkontrollierbarem den Raum zu nehmen: »Wan ich dieselbe [die Feinde] beschreiben/ und hierinn mich verständlich erklären sol/ (gäbe sie [Coricide] zur antwort) so müßet ihr meinen ganzen lebenslauf wissen: dan auser dem werdet ihr die Ursachen nicht begreifen können/ die den König von Hazor iezt berennen/ mich also zu verfolgen.« 72 Diese Grundhaltung führt überhaupt immer wieder zur Selbstunterbrechung des jeweiligen Erzählers, der exkursartig, außerhalb seines eigentlichen Themas, weitere Umstände einführen will: »Nach langer mühseligkeit/ kamen wir endlich nach Damasco/ alwo die Prinzessin Tirdane/ meiner mutter schwester/ sich aufhielte/ zu der ich meine Zuflucht nemen wolte. Jch muß dir aber zuvor/ ehe ich weiter schreite/ diese Tirdane und ihren zustand beschreiben.« 73 Man möchte vom Horror vacui als Motiv für die dichte Folge der Umstände sprechen. Anton Ulrichs Umständlichkeit ist natürlich von anderer Beschaffenheit als diejenige, deren sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Wieland oder Karl Philipp Moritz bedienen, um ein individualpsychologisches Entwicklungskontinuum zu rekonstruieren. 74 Die Anstrengungen des Barockromans gelten nicht einem >verstehenden< Nachvollzug, sondern sind Teil eines Dispositionsverfahrens und zielen auf eine >künstliche< Einrichtung der

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Anton Ulrich: Aramena, V, S. 181,185. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 618. Vgl. auch IV, S. 350: »Wan E. Maj. [...] den großen König von Basan/ und dessen grosmütige hülfe/ die er anietzo E. Maj. und dem reiche Syrien erwiesen/ betrachten/ so zweiflet mir nicht/ E. Maj. werden so gnädig seyn/ mir nicht zu verüblen/ daß ich ihr dieses Königs leben/ auf dero befehl/ umständlich kund mache«. Zum gegenstandsorientierten Stil in Anton Ulrichs Romanen auch Martini: Der Tod Neros, S. 64 - 86. Martini verfolgt allerdings andere Interessen. Wegen der starren und vereinfachend dichotomischen Maßstäbe, die er zugrundelegt (Schein-Sein-Thematik; Barock/Klassizismus bzw. Aufklärung; konstruierte/psychologisch entfaltete Figuren) ist sein Versuch ohnehin nur von begrenztem Nutzen. Anton Ulrich: Aramena, III, S. 673. Vgl. auch ebd., I, S. 84: »Bevor ich aber weiter fortfahre/ zu erzehlen/ was in dieser angehenden liebe sich zugetragen/ muß ich zuvor meidung thun/ von dem zustande der Canaanitischen Fürsten und ihrer herkunft: weil sonsten/ meine gnädige Prinzessin/ das folgende nit wol verstehen würde.« Vgl. dazu den »Vorbericht« in Wielands »Agathon«, S. 5-11, sowie die erste Vorrede in Moritz' »Anton Reiser« (Werke, Bd. 1, S. 36).

322 Wirklichkeit. Zur Veranschaulichung zitiere ich ein Beispiel aus »Des Disons Lebens-begegnise[n]« zu Beginn des zweiten Teils der Aramena. Der Erzähler berichtet über seinen Aufstieg vom Sklaven zum Feldherrn bei den Arabern: Weil in der musterung/ dieser Prinz [Mardocentes] an mir etwas fände/ so ihm gefallen konte/ als wolte er mich bei sich haben: das dann der Save geschehen liesse/ und mir dieses glück nicht misgönnete/ ob er wol das recht der herrschaft über mich behaupten/ und mich als seinen slaven behalten können. Jch erwiese ihm aber hiergegen meine erkentlichkeit/ indem ich ihn/ nicht lang hernach/ bei dem Prinzen wol anbrachte: der ihm/ auf meine fürbitte/ einen ansehnlichen dienst unter den kriegsvölkern gäbe/ dadurch er nachmals sein beständiges glück bauete. Bei solcher bewandnis/ hätte ich/ durch entdeckung meines namens und standes/ leichtlich nach Seir zu meinen eitern wieder gelangen können. Die erinnerung aber/ daß mein herr vatter mir niemals in den krieg erlauben wollen/ worzu ich doch in mir grosse Zuneigung befunden/ verursachete/ daß ich mich nicht kundt gäbe/ sondern bei dem Prinzen Mardocentes verbliebe.75

Das Vollständigkeitsinteresse betrifft Wirkungszusammenhang, lückenlose Begründung und ununterbrochene Kausalitätskette, speziell auch die Motivation von Nebenumständen und Randbereichen, so daß »man satsam daraus ersehen und abnemen kan/ wie nichtes alhier von ungefär geschehe/ und dieser weiße regent alles zuvor wol geordnet und versehen habe.« 76 So übernimmt Anton Ulrich in seinen Versuch, die moralische Welt insgesamt zu erfassen, die Prinzipien der Fülle und des >zureichenden GrundesZureichender Grund< und lückenlose Kontinuität der Schöpfung schalten den Zufall aus und scheinen zu garantieren, daß das Universum als Sinnzusammenhang erkennbar wird. Leibniz schreibt in der »Monadologie«: »Daher gibt es nichts Ödes, nichts Unfruchtbares, nichts Totes in der Welt; kein Chaos, keine Verwirrung, außer nur scheinbare«. 78 Der Roman setzt sich auf diese Weise strukturell mit dem Desorientierungspotential auseinander, das wir für den Bereich der Politik bereits beobachten konnten. Catharina Regina von Greiffenberg rühmt in ihrem Widmungsgedicht zum dritten Teil der Aramena dieses Verfahren, letztlich als Beitrag zur Theodizee, unter dem Begriff der »Völligkeit«: 75 76

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Anton Ulrich: Aramena, II, S. 19f. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 682. Zu dieser Stelle Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 313. Zur Kausalität Lugowski: Wirklichkeit und Dichtung, S. 20-23. Lovejoy: Die große Kette der Wesen, vor allem S. 176-220; Koyré: Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, S. 57 u.ö. Speziell zur Aramena Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 319-329, der aber nur die Gestaltungsweise katalogisiert und den ideengeschichtlichen Zusammenhang unberücksichtigt läßt. Leibniz: Monadologie, S. 29f.

323 Die anzahl macht sie [die »Seltenheiten«] schätzen unzälig - wehrter noch, es pfleget zuzusetzen/ die völligkeit/ dem wehrt: wie die gefüllte Blum/ ie mehr sie Blätter treibt/ ie höher stäts ihr Ruhm mit seltner Schönheit steigt. 79

Der ordnende Zugriff des Erzählens unterwirft die Ereignisse einheitlichen Wertungskriterien in Hinblick auf Affektkontrolle und Tugendpraxis. Doch stellt sich aus der Sicht des Romans die praktische Frage, auf welche Weise es überhaupt gelingen könne, die Unendlichkeit der Details, die sich nur in segmentären Aspekten erfassen läßt, in ein kohärentes System zu integrieren. Ziel des Romans ist es ja nicht, die Notwendigkeit gewisser Grundannahmen theoretisch nachzuweisen, sondern die >wahren< Zusammenhänge als eine bestimmte politische Ordnung und den Weg zu ihrer Erkenntnis und Durchsetzung anschaulich vorzuführen. Anton Ulrich nimmt in die Romanstruktur eine Stufenfolge der Erkenntnis auf, die erst die Anbindung des scheinbar kontingenten Einzelnen an die ewige Ordnung und damit das Prinzip der Fülle und den Zusammenhalt des Ganzen gewährleistet. Entsprechend kann die Gesamtordnung nur sukzessiv erschlossen und nicht synchron erfaßt werden. Die komplizierte Romanstruktur ist deshalb selbst die Erscheinungsweise der Wirklichkeit als System. Schon die Einzelerzählungen überführen die ungeordnete Wirklichkeit in Elemente eines sinnvoll strukturierten Ganzen. Trotz aller Täuschungen, Mißverständnisse und Partikularinteressen haben sie die Aufgabe, fehlgeleitete Intentionen von einem >höheren< Standpunkt aus zunehmend durchschaubar zu machen. 80 Im Vergleich mit den begrenzten und täuschungsanfälligen Handlungsperspektiven nähern sie das Bild von der Wirklichkeit einer durch Ordnung verbürgten Wahrheit an. Auf jeden Fall ist das Erzählen darauf angelegt, den »Wahn« zu überwinden: »Ahalibama wurde/ durch Ephrons weitläuftige erzehlung und die überreichte Zeilen/ ganz von ihrem irrigen wahn geheilet«. 81 Deshalb stößt man immer wieder auf die Wahrheitsfrage: »Jch bin so unglücklich/ daß alle meine verwandten/ auch die allernächsten/ viel an sich haben/ so mehr zu schelten als zu rümen ist: und vermag ich deren mängel/ wie sonst meine Schuldigkeit wäre/ nicht wol zu verschweigen/ wan ich anders eine warhafte geschieht erzehlen wil.« 82 Wenn in diesem Zusammenhang einschlägige Aufklärungsmittel angeführt werden (Augenschein des Erzählers, Zeugen, Dokumente), so weist dies darauf hin,

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Greiffenberg: Uber die T\igend-vollkommene unvergleichlich-schöne Aramena, in: Anton Ulrich: Aramena, III, unpaginiert. Wagner: Barockraum und Barockroman, S. 141; 162f. Einschränkend zum klärenden Vermögen der einzelnen Erzähler Bender: Verwirrung und Entwirmng in der »Octavia/Roemische Geschichte«, S. 8 3 - 8 6 . Anton Ulrich: Aramena, I, S. 37. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 619.

324 daß Wahrheit nicht mehr durch Überlieferung und Autorität verbürgt ist, sondern hergestellt werden muß.83 Die Einzelerzählungen sind nicht von politischen Absichten und Taktiken, wohl aber von kalkulierten Täuschungen frei, wie man sie in untergeordnetem Zusammenhängen antrifft.84 Der Informationsstand der Erzähler übersteigt bereits unter dem Aspekt des Überblicks den der handelnden Personen.85 Die Erzählungen sollen den partikularen Perspektivismus überwinden, indem sie die >historische< Wirklichkeit zentralisiert ausrichten. Dazu gehört, daß die Titelfigur die relativ höchste Zahl an Erzählungen kennt und das umfangreichste Wissen erwirbt.86 Für die Romananlage birgt diese Vorgehensweise den Vorzug, daß sie den Erzähler von wertenden und korrigierenden Eingriffen entlastet. Das Werk scheint die Anordnung des Geschehens nicht willkürlich durchzusetzen, sondern will das notwendige Hervortreten der Wahrheit in einer auf den ersten Blick chaotischen Wirklichkeit, die Herstellung der wahren Ordnung aus systemimmanenten Kräften demonstrieren. Das Erzählen trägt so zur unmerklichen Einrichtung einer politischen Gesamtordnung bei: Durch die Hercinde-Geschichte, so beteuert die Erzählerin Zameis, gedenke sie nicht »meinem herrn/ meinem vatterland/ und meiner liebe zu schaden/ sondern vielmehr deren bästes hierdurch zu befördern.«87

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Vgl. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 651f.: »Weil dieser [Achsaph] sich bisher sehr gemühet hatte/ meine unschuld wider die Jerode völlig an den tag bringen zu helfen/ als war er so glücklich gewesen/ daß er dreie von ihren fürnemsten bedienten/ die üm alle ihre lose händel ümständlich wüsten/ in seine hände bekommen: welche nicht allein mündlich und ausfürlich aussagten/ was ich iezt euch/ mein vatter! erzehlet/ sondern auch mit der Jerode eigenhändigen briefen es bescheinen konten.« Vgl. Anton Ulrich: Aramena, III, S. 77: »Die Prinzessin [Mirina] erzehlte/ zwar mit andern Umständen/ als es sich begeben/ ihre entfürung und Wiedererledigung: ganz geheim haltend/ was ihr vorhaben gewesen.« IV, S. 349: Cyniras »bedachte sich die ganze nacht/ wie er folgenden tags dem König von Basan zum bästen/ bei der schönen Königin seine erzehlung wol ablegen möchte.« Ebd., S. 351: »So redet dan! (sagte die Königin) doch hütet euch/ mein vetter! ein mehrers/ als einem bloßen geschichtschreiber zustehet/ mir fürzubringen.« Dazu ebenfalls S. 360; 374f. Ebd., S. 629: »Jch weiß alles dieses/ (fiele alhier der Suevus ihr abermals in das wort/) wie es mit eurem liebsten Prinzen/ wie auch mit dessen brudern und der Prinzessin von Seir hierauf ergangen/ und verspüre nun/ daß ihr gutes Vorsatzes/ die geschieht mit der Jerode und den beiden Prinzen von Hazor und Tyro/ ehmals zu Hesbon übergehen wollen/ üm nichts solches von meiner gemalin mir fürzubringen/ daß mich hätte betrüben können.« Vgl. auch ebd., S. 621. Vgl. z.B. in »des Disons Lebens-begegnise[n]« (Anton Ulrich: Aramena, II, S. 72f.) die Bekehrung des Helden zum monotheistischen Glauben, die sein Dasein als Isispriester beendet; vgl. auch die »Geschichte der teutschen Princessin Hercinde« (ebd., III, S. 222-309), deren Heldin sich, noch ohne es zu wissen, von stoischer Liebesfeindschaft auf eine >vernünftige Liebe< zubewegt. Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 263. Anton Ulrich: Aramena, III, S. 309.

325 Allerdings können die Einzelerzählungen das Defizit von partikularer Interessiertheit und Täuschbarkeit nicht grundsätzlich beheben. Sie gelangen zu keinem Abschluß und sind deshalb auch nicht in der Lage, von sich aus die Authentizität der Erscheinungen zu verbürgen. 88 In ihrer Perspektivität sind sie aber zugleich auf eine ordnende Aneignung der Wirklichkeit angelegt und arbeiten dem Ganzen ebenso zu wie Ratschläge und Berichte dem Fürsten. Der Aufbau in Einzelerzählungen hat Teil an der Systemlogik des Romans, derzufolge der segmentierende Zugriff auf die Wirklichkeit unverzichtbar wie auch überwindungsbedürftig ist. Die Partialität der Einzelgeschichten wird durch die Syntheseleistung der Zentralperspektive überboten. Erst sie macht abschließend die Querverbindungen zwischen den Segmenten kenntlich. Beschäftigen wir uns zur Veranschaulichung noch einmal mit der Dison-Erzählung. Dison, zugleich Held und Erzähler, schneidet eine Reihe von Verhältnissen an, über die er oft keine ausführliche Auskunft gibt, die sich aber mit seinen eigenen Erlebnissen berühren. Die Dison-Geschichte beginnt mit seiner Gefangennahme durch arabische Räuber - ein Ereignis, über das aus anderer Perspektive bereits zu Beginn des ersten Teils Astale in der »Geschichte der Ahalibama« (Disons Schwester) berichtet hatte. 89 Im Mittelpunkt von Disons Erzählung steht zunächst die unerwiderte Liebe der Königin Petasiride von Saba zu ihm, während sich gleichzeitig Mardocentes, Sohn des Königs Arieus von Arabien, und Nabonnades um diese Fürstin bemühen. 90 Im Zusammenhang mit einem eigenen Entführungsplan erwähnt Mardocentes beiläufig den Prinzen Eridanus von Cus, der »unlängst« Delbora, die Prinzessin von Meden, entführt habe. 91 Unabhängig davon erscheint an anderer Stelle der Prinz Amosis von Ägypten, der soeben die Prinzessin Danede von Cus entführt, während sich gleichzeitig Mardocentes der Königin Petasiride bemächtigt. 92 Erst die »Arabischefn] Geschichten« im vierten Teil des Romans befassen sich - nach einem Intervall von mehr als 1300 Seiten - thematisch mit Eridanus/ Delbora und Amosis/ Danede (im Vorübergehen auch mit Petasiride/ Mardocentes) und lassen die enge Verflechtung dieser Handlungsstränge hervortreten. Auch die gleichzeitige Entführung von Danede und Petasiride

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Zum Interessen- und Täuschungsproblem die Erzählung des Thebah, des Staatsräson-Politikers auf syrischer Seite, von der »Geburt der Syrischen Aramena« (Anton Ulrich: Aramena, I, S. 58-76), die die Identität der Heldin nicht klären kann und eine verfehlte politische Manipulation fördern soll. Zum fehlenden Abschluß das Resümee der Dison-Geschichte, ebd., II, S. 76f. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 97. Zum Problem Bender: Verwirrung und Entwirrung in der »Octavia/Roemische Geschichte«, S. 62-86. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 21-43. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 36. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 60 -62; Amosis war auch schon zuvor erwähnt worden (ebd., S. 52).

326 wird hier erneut dokumentiert. 93 Zu einem Abschluß kommen diese Sequenzen teilweise noch später. 94 - Als Isispriester in Ägypten deckt Dison die Flucht der Pharaotocher Amesses mit dem Prinzen Armizar. Über die weiteren Zusammenhänge dieses Vorfalls erfährt der Leser von Dison wenig. 95 Dieselbe Episode hatte jedoch schon zuvor Armizar selbst in der »geschichte des Armizars und der Amesses« erzählt, wo allerdings die Identität des »jungen Priesters« verborgen geblieben war, der das Fluchtvorhaben bemerkt und geduldet hatte. 96 Erst die Dison-Erzählung klärt also diesen - freilich durchaus unscheinbaren - Sachverhalt auf. - Die Erlebnisse der Fürstin Timna, die Dison in der Umgebung der Königin Delbois/Aramena antrifft, sind Gegenstand der »Geschichte des Eliphas und der Timna« im dritten und spielen unter anderem nochmals eine Rolle in den »Begegniße[n] der Ahalibama/ der Nefe Zibeons« im fünften Teil des Romans. 97 Die DisonGeschichte gewinnt darüber hinaus Anschluß an die Abenteuer des Prinzen Hemor von Sichern, der in die Verwechslung der jüngeren Aramena, der syrischen Aramena, der fälschlich als Aramena bekannten Milcaride und des als jüngere Aramena verkleideten Dison verwickelt ist. Erst die Kenntnis dieser Verhältnisse, soweit sie im ersten Band entfaltet worden waren, ermöglicht es dem Leser, die von Dison referierten Ausschnitte aus der Hemor-Geschichte zu durchschauen. 98 Überhaupt mündet Disons Erzählung in die Zentralhandlung des Romans um die syrische Aramena ein. 99 So wie die Dison-Geschichte sind auch fast alle anderen Einlageerzählungen untereinander und mit dem zentralen Erzählstrang verknüpft. Ausnahmen findet man nur in der »Reihen-Erzehlung der Geschichte von Moab und Ammi« des ersten Teils und in der »mesopotamischen Schäferei«, dem abschließenden fünften Teil.1"0 Der Roman besteht aus einem ebenso feingesponnenen und >künstlichen< wie dichten Gewebe sich gegenseitig stützender, ergänzender und erklärender Bezüge. Er ist in einem räumlichen Vorstellungen analogen und insofern wörtlichen Sinn topisch konzipiert. 101 Dies schließt die Konsequenz einer absoluten Präsenz des Vergangenen ein, das nunmehr als Teil der komplexen Vernetzungen stets aufgesucht werden kann. Die Grundlage des Werks bil93

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Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 16-96; 100-125. Zu Petasiride ebd., S. 83-87. Zur Entführung ebd., S. 85f. Zu Delbora Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 2721; 327-330; 5271 Anton Ulrich: Aramena, II, S. 52- 56. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 4471 Anton Ulrich: Aramena, II, S.72; III, S. 662-693; V, S. 77-113, bes. S. 82, sowie S. 124-127. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 70. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 65. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 496- 530; V, S. 153-178 (»Die geschichte des Chersis und der Amphilite«). Zu den Raumanalogien Wagner: Barockraum und Barockroman, S. 165-167 u. ö.

327 det eine Disposition einander funktional zugeordneter >Örterrichtige< Licht. Die Erzählungen verlieren damit an individuellem Eigengewicht. Der systematische Zugriff entmächtigt das einzelne zugunsten der Zentralperspektive. 104 Seinen Hauptfiguren, aber natürlich auch dem Leser verlangt der Roman, verglichen mit Bucholtz' Herkules, strategische Fähigkeiten in einem neuen Sinn ab. Um die >richtige< Disposition einer ungeordneten Welt kunstvoll aufzudecken und zu konstruieren, muß der Held weit auseinandergelegene Einzelelemente in einer schwer überschaubaren Stoffmasse durchschauen, überblicken und verbinden. Die Darstellung heroischer Größe hat deshalb ihren Schwerpunkt nicht mehr im Handeln. Beispielhaft demonstriert die syrische Aramena selbst die verlangten Qualitäten, indem sie »ganz begierig« die Identität der ihr unbekannten Königinnen Hermione und Roma erschließt: Daß eine unter ihnen (sagte die schöne Königin) müsse Hermione heißen/ haben mir/ unweit von hier/ in des Cimbers ehren-tempel/ etliche Celtische reimen zu erkennen gegeben. Weil ich auch mich erinnere/ daß der Adonias/ gegenwärtiger Königin Eurilinde söhn/ vor wenig jähren/ aus Kitim/ neben der Königin Hermione/ auch die Königin Roma habe nach Asien übergefüret: als vermute ich/ daß die Königin der Aborigener allhier auch zu finden sey.105

Den stereotypen Aktionen, die bei Bucholtz die Größe des Helden noch veranschaulichen konnten, fällt bei Anton Ulrich lediglich eine dekorative Funktion zu. Vor allem mit der Titclfigur führt der Verfasser die passive Heldin ein, deren Aufgabe den retrospektiven, prognostischen und diagnostischen Operationen entspricht, die Boeder vom Umgang des Fürsten mit den Exempla verlangt. 106

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Zur Kombinatorik bei Anton Ulrich Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, S. 248-252; Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 334-336; 380-383 (über die Verwandtschaft zwischen Problemstellungen bei Anton Ulrich und Leibniz). Zum Begriff Zeller: Spiel und Konversation im Barock, S. 157-183; Neubauer: Symbolismus und symbolische Logik, S. 17-39. Vgl. Bender: Verwirrung und Entwirrung in der »Octavia/Roemische Geschichte«, S. 30. Zum Zusammenhang von Zentralperspektive und Integration des Details ins System vgl. mit Bezug auf die barocke Parkanlage Burckhardt: Metamorphosen von Raum und Zeit, S. 184; 204. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 276. Vgl. oben 1.2.2.

328 Entsprechen formal das Kausalitätnetz und das Kontinuum zwischen Einzelphänomenen und ewiger Ordnung den Prinzipien von zureichendem Grund und Fülle, so korrespondiert inhaltlich mit ihnen die Anlage der eingelegten Liebeserzählungen als kombinatorische Variationsreihe. Eine genaue Untersuchung des Romans vor dem Hintergrund der Geschichte kombinatorischer Theorien würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ich beabsichtige auch nicht, alle Einlageerzählungen unter diesem Aspekt zu prüfen, wenngleich eine eingehendere Analyse lohnend scheint. 107 Dafür, daß der Verfasser die Exempla aus einem überschaubaren Bestand von Grundelementen (amouröse Konkurrenz- und Konfliktkonstellationen, Generationenkonflikt, Reaktionsvarianten) zusammensetzt, mögen einige Beispiele genügen. In Petasiride von Saba zeigt Anton Ulrich eine Fürstin, die - anders als die übrigen weiblichen Figuren - in Liebes- und Ehefragen »nicht gewonet [ist] zu nemen/ sondern zu geben« und auf ihrer eigenen »wähl« besteht. 108 Neben das Modell der Heirat zwischen genealogisch entfernteren Personen tritt das der Heirat zwischen Vater und Tochter bzw. zwischen Geschwistern. 109 In der Figur der Orosmada, die dem verstorbenen Adonias treu bleiben will, wird die Frage diskutiert, ob die beständige Liebe zu einem Toten Vorrang vor der neuen zu einem Lebenden (Tiribaces) habe. 110 Der Großzahl der Erzählungen, die den Generationenkonflikt zugrundelegen, steht die Delbora-Erzählung gegenüber. Deren Heldin will nur mit Zustimmung ihrer Eltern Liebe zulassen, obwohl ihr Vater ihr die freie Wahl zugesteht. 111 Die von den Eltern verordnete kann als Zwangsehe vollzogen, aber auch, wie bei Roma und Tuscus Sicanus, nur zum Schein eingegangen werden. 112 Ebenso wie die Konkurrenz mehrerer Prinzen um eine Prinzessin z. B. in der Mirina-Erzählung führt Anton Ulrich in der »Geschichte des Sinear/ Elihu und Bethuels/ mit den dreyen unbekannten Schönheiten« die (gleichwohl eifersüchtige) Bewerbung dreier Prinzen um drei Schwestern vor. 113 Den konstruktiven Kern erkennt man nicht weniger deutlich an der Geschichte der Mehetabeel: Alle Prinzen, die sich um sie bewerben, nehmen zunächst von ihrem Vorhaben Abstand; nach einiger Zeit kehren sich die Verhältnisse um, die Liebhaber stellen sich wieder ein und bemühen sich um 1(17

108 109

11(1 1,1 112 113

Als Beispiel für eine detaillierte Romananalyse unter diesem Aspekt vgl. Borgstedt: Reichsidee und Liebesethik, wonach die »Ars magna« des Raimundus Lullus das Organisationsschema von Lohensteins »Arminius« abgibt. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 26. Zur Vater-Tochter-Heirat Anton Ulrich: Aramena, I, S. 445 -448. Zur Geschwisterehe II, S. 105f. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 398-402. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 3 4 - 3 7 . Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 334-339. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 259-290. Dazu auch aus umgekehrter Perspektive »Die geschichte der drei Prinzessinnen Jemima/ Rezia und Rerenhapuch«, V, S. 519-538.

329 die Prinzessin. 114 Der Roman hat unter diesem Aspekt den Anspruch, die Möglichkeiten zu erfassen, die sich aus der Grundkonstellation der Liebesgeschichten ergeben. Die Aramena bringt die Erscheinungen unter Kontrolle, indem sie die Serie denkbarer Kombinationen abschreitet. Daß auf diese Weise der potentielle moralische Lehrgehalt der Exempla einem Ordnungsaspekt weicht, wird uns aus anderem Blickwinkel noch einmal beschäftigen. Anton Ulrich konstruiert den strategischen Überblick als Gesamtdisposition, die über Relativierungen durch Perspektive und Interesse erhaben scheint und daraus ihre Legitimation bezieht. Auch unabhängig von ausdrücklichen politischen Diskussionen enthält deshalb der Roman schon in seiner Konzeption ein Absolutismusprogramm. 115 In seiner Anlage korrespondiert er z.B. mit der räumlichen Ausrichtung des Hoftheaters auf die fürstliche Zentralperspektive. 116 In der Unentrinnbarkeit der zentralisierten Organisation geht Anton Ulrich über Bucholtz hinaus. Doch verdankt sich diese Ordnung, wie wir am Erzählen als Zugriff auf die Wirklichkeit sehen konnten, selbst einem >künstlichen< Verfahren. Wie kann sich aber unter diesen Bedingungen die heroische Größe dem Verdacht entziehen, sie selbst sei eine politische Fiktion und habe daher auch nur partikulare Geltung? Offenbar muß Anton Ulrich einen Kunstgriff anwenden, um das System zu stabilisieren: Alle Erzähler stehen von vornherein auf der Seite der syrischen Aramena und verfolgen im Prinzip dasselbe Ziel. Auch der Roman insgesamt ist daher perspektivisch angelegt; er dissimuliert jedoch diesen Umstand, indem er jeden anderen Standpunkt ausschließt und dem Leser den Blick über den eigenen hinaus verwehrt. Diese Konstruktion untergräbt schließlich auch die Glaubwürdigkeit des Vorsehungsmusters, das selbst nur noch durch strategische Maßnahmen aufrecht erhalten werden kann. Bei genauerer Betrachtung entgeht also auch die Aramena der Logik des politischen Interesses nicht. Der Roman als ganzer erweist sich so am Ende als großangelegter suggestiver Anschlag auf den Leser, über dessen Wirklichkeitsbild er Gewalt gewinnen will. Das Werk ist ein Beispiel für eine politisch-heroische Größe, die nur noch durch eine Potenzierung des Aufwands der Gefahr entgehen kann, ihren Allgemeingültigkeitsanspruch zu verlieren. Indirekt kündigt sich schon an, daß die frühneuzeitliche Koalition von Heroismus und Politik modernen Organisationsanforderungen nicht auf Dauer standhalten konnte.

114 115

116

Anton Ulrich: Aramena, V, S. 391-396. Zu politisch-programmatischen Aspekten vgl. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 360 (fehlender Organisationsgrad und Täuschbarkeit des Volks); IV, S. 381-385 (das Heer ist ohne zentrale Lenkung nicht funktionstüchtig); IV, S. 673 (Abimelech muß das Heer dazu bringen, zum Sturm auf Damaskus anzutreten). Zu politischen Parallelen auch schon Wagner: Barockraum und Barockroman, S. 167-171. Vgl. Orgel: The Royal Theatre and the Role of King, S. 266; zur Lippe: Naturbeherrschung am Menschen, II, S. 15-47.

330

5.2

Affekttheorie und Iligendlehre

5.2.1 Apologie der Liebe Die einzelnen Erzählungen der Aramena sind primär als Liebesgeschichten angelegt; ein größerer Teil der Titel nennt das Paar, das jeweils im Mittelpunkt steht. Trotz aller öffentlichen >Staatsaktionen< - Krieg, Einzug, Turnier, Fest und Auftritt vor dem Volk - hat zudem das Werk seinen Schwerpunkt im Rückraum des Hofs, der vor dem allgemeinen Einblick geschützt ist - im Kabinett, im Schlafgemach und im Garten. Man möchte geradezu von einer Gewichtsverlagerung auf den Salon sprechen, an der sich das Umschwenken von einem Interesse an den institutionellen Formen des Staatshandelns auf psychologische Aspekte ablesen läßt. Deutlicher als im Vergleich mit Bucholtz' Herkules-Roman wird diese Differenz vor dem Hintergrund von Barclays Argenis und Adam Contzens Abissinus, die systematisch politische Lehren in erzählerische Form umsetzen. Mit ihrem psychologischen Interesse partizipiert die Aramena in einem allgemeinen Sinn an einer Entwicklung, die sich auch in der Dramenliteratur beobachten läßt, etwa mit unterschiedlichen Schwerpunkten bei Racine und Lohenstein. Doch steht bei Anton Ulrich nicht eine positivere Anthropologie oder das Problem politischer Überforderung im Zentrum, auch wenn sich der Roman mit solchen Perspektiven berührt. Die differenziertere Psychologie kündigt im übrigen keine Abkehr von der politischen Thematik an. Erst recht darf man sie nicht mit individualistischen Ansätzen verwechseln. 117 Vielmehr erscheint eine Neubewertung der Affekte als notwendig für die Darstellung der wahren Schöpfungsordnung. Gleichzeitig zeigt sich ein Wandel der Konzeption des Politisch-Heroischen. Aus dem intensivierten psychologischen Basisinteresse an der Affektregulation resultiert ein erheblicher Komplikationszuwachs. Damit stellt sich auch unter dem Aspekt des Heroischen die Frage nach der Behandlung der Liebesthematik bei Anton Ulrich. Die Geschichte der Hercinde, der Schwester des Cimber/Marsius, Halbschwester der Mirina und Tochter des Marsius, des keltischen Königs von Basan, erlaubt einen Blick auf affekttheoretische Aspekte der Aramena.H8 117

Vgl. Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 346. Dagegen Paulsen: »Die Durchleuchtigste Syrerin Aramena«, S. 151: »die Leuchtkraft und der Glanz, der von Delbois auf die anderen z. B. auf Ahalibama ausgeht, ist so einmalig und echt, weil eben ihr ganzes Leben nicht nur beispielhaft und vorbildlich, sondern darüber hinaus wirklich ist. All ihr U m und Handeln geschieht aus einer personenhaften Mitte, ein gut Teil ihres Lebens vollzieht sich in ihrem Innern und ist nicht nur als Reaktion auf äussere Ereignisse zu werten. Deshalb wirkt Delobis-Aramena so echt und nicht wie eine Musterpuppe, an die uns Cléopatre manchmal erinnern will.« Hervorzuheben ist vielmehr die Kunst der Selbstdarstellung, die nicht in eine individualistische >Innerlichkeit< umdefiniert werden darf.

118

Allgemein zur Theorie der Affekte Rotermund: Der Affekt als literarischer Gegenstand; ders.: Affekt und Artistik, bes. S. 13-22. Zur Topik der stoischen, aristoteli-

331 Auch bei Cimber/Marsius findet man zunächst einen Tugendhabitus, von dem her der Liebesaffekt grundsätzlich als tugendwidrig und unehrenhaft gilt: »Marsius insonderheit spottete seiner [des Prinzen Ingerman] noch darzu/ daß er verliebt wäre/ und sagte: liebe und tugend könten in einem jungen herzen nicht beisammen seyn/ und wer sich der einen ergebe/ müße die andere verlassen.« 119 Ebenso stehen Hercinde und ihr »felsenherze« 120 für die rigorose Lehre von der Unvereinbarkeit von Tapferkeit und Liebe: »Sie war von natur eine feindin der liebe/ und tadelte nichtes an dem Tuscus Sicanus/ als dieses/ so sie für ein laster hielte.« 121 Hercinde will sich »beständig« zeigen in ihrer »entschliessung/ niemals einer so ungereimten regung mich zu unterwerfen.« 122 Die Liebe gilt ihr als lasterhaft und pathologisch, als »eine feindselige gemüts-bewegung«, die die Menschen zu »slaven« macht, »eigenwilligkeit« und »Verzweiflung« verursacht, von »dapfern tugendhaften Verrichtungen« abhält und die Gemütsruhe verhindert. 123 Sie erscheint überdies als so reputationsschädigend, daß sie gegebenenfalls verborgen werden muß. 124 In der Behauptung, die Liebe führe zu »ungehorsam gegen die obern«, 125 deutet sich an, daß das Verhältnis von Affektlenkung und politischer Ordnung betroffen ist. So mahnt Hercinde auch, im Konfliktfall die Liebe dem »heil des landes« hintanzustellen. 126 Die Idee der Unvereinbarkeit von Liebe und Tugend steht insgesamt unter dem Vorzeichen des Decorum. In dem Ensemble von Tugendproblematik, Reputationslehre und Politik verbirgt sich auch die Frage nach dem Heroischen, damit jedoch ebenfalls die nach der Herrschaftslegitimation. Die Stichworte der >Kaltsinnigkeit< und >Empfindungslosigkeitunvernünftige< Folgen zeitigen, deuten an, daß der Affektprogrammatik des Romans die stoische Haltung sogar als politisch bedenklich gilt. 128 Vor allem jedoch liefert die stoische Empfindungslosigkeit mit ihrer Betonung des Reputationsaspekts selbst ein Beispiel übermäßigen Ehrgeizes. Damit ist allerdings nicht der Ehrgeiz schlechthin abgelehnt, der als Erscheinungsform der Magnanimitas durchaus zu den Heldentugenden zählt. Das Auftreten der Prinzessin in der Maske des Feldherrn Assur darf man jedenfalls einerseits als Abfall von der ihr zugemessenen Rolle interpretieren, andererseits freilich auch als Vorausdeutung auf den ihr vorbestimmten assyrischen Thron. 129 In ihrem Verlauf demonstriert die Hercinde-Geschichte, wie sich die Liebe (zu dem assyrischen Thronfolger Baleus) gegen alle Unterdrückungsbemühungen durchsetzt. Die antistoische Programmatik wird durch eine Wendung gegen die christliche Askese ergänzt, die in der Distanzierung von der monastischen Option zu Tage tritt. Für letztere stehen der Dianatempel von Ninive und der ägyptische Isis-Tempel. Alle Versuche, der politischen Komplexität und den Wirren der Liebeshändel durch Weltflucht in ein »stilles vergnügtes leben« 130 zu entgehen, erweisen sich als Formen heidnischen Götzendienstes. Daß der ehemalige Isispriester Dison sich in ein Standbild der Diana verliebt und die jüngere Aramena, eine ehemalige Dianaanhängerin, heiratet, entspricht einem Kommentar zur asketischen Kontemplationsexistenz. 131 Die vom Ehrgeiz durchdrungene stoische Haltung und die in der Askese wirksame Eigenliebe verstoßen gegen die im Roman vertretene, am Ende auch in seiner Form veranschaulichte Liebesprogrammatik. Sie sind nicht geeignet, die politischen Anforderungen an Fürstenamt und Hofleben zu bewältigen. Der Wendung gegen stoischen Rigorismus und Askese entspricht auf der anderen Seite die Rolle der Liebe im Rahmen der Dezenzregeln gerade bei den heroischen Figuren. Unter diesem Aspekt wird positiv greifbar, daß die Affekte nicht als grundsätzlich lasterhaft, sondern im Gegenteil als erforder128 129

130

131

Anton Ulrich: Aramena, III, S. 261; 271. Anton Ulrich: Aramena, III, S. 276. Zur Dominanz der Kriegstugenden bei Hercinde ebd., S. 223: »Es liesse sich aber/ bald von zarter kindheit an/ bei dieser Prinzessin eine soviel Schönheit und eine so dapfre tugend blicken/ daß man wol von ihr hoffen konte/ sie würde in beiden stücken sonderbar werden.« Anton Ulrich: Aramena, I, S. 332. Für eine ausführliche Beschreibung des Dianatempels vgl. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 334-338. Zum Isistempel und Disons Aufnahme II, S. 4 8 - 5 1 . Zur Weltflucht-Problematik vgl. auch die Grottenepisode IV, S. 272-279. Zu Dison und dem Dianastandbild vgl. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 44 - 4 7 . Zur Hochzeit (bei der allerdings andere Aspekte im Vordergrund stehen) ebd., III, S. 328-360.

333 lieh für tugendhaftes Handeln gelten. Wenn Paulsen von einer »stoische[n] Haltung« der »sich bewährenden Personen« spricht, so darf man dies allenfalls in einem umgangssprachlichen, keineswegs in einem technischen Sinn gelten lassen. 132 Den Roman durchzieht die breite Entfaltung der Topik des Liebesaffekts. Zu den einschlägigen Erscheinungen gehören Verfärbung, Weinen, Ohnmacht, Krankheit und Melancholie. Die Ohnmacht, das Niedersinken, stellt geradezu einen Affront gegen die stoische Haltung des »Stehens« dar. Zincgref rühmt den Tapferen, der für das Vaterland stirbt: »Ein solcher stehet steiff mit vnverwendten Füssen«. Ebenso ermahnt er ihn, Daß er in Mannlicher postur vnd Stellung sterbe/ An seinem orth besteh fest mit den Füssen sein/ Vnd beiß die Zahn zusamm vnd beide lefftzen ein.133

In Gryphius' Papinian liest man: Hier steht Papinian wie jhn das Läger sah; Als er den hohen Schwur den Brüdern abgeleget/ Und durch sein Vorbild/ Raht und Stadt und Heer beweget.134

In der Aramena bricht Amorite auf die falsche Nachricht, Apries sei gestorben, »mit etlichen klagworten« hervor, »wornach ihr alle kräfte entsunken/ und sie in die arme einer ihrer dirnen onmächtig niderfiele/ auch durch ihrer bedienten handreichung gleich zu bette gebracht wurde.« 135 Ebenso sinkt Apries, der von der geplanten Hochzeit seines Vaters Jobat mit Amorite erfährt, »onmächtig« nieder, bittet darum, »ihn sterben zu lassen« und bekommt »ein hitziges fieber/ das von tag zu tag zuname«. Darüber wird die Erzählerin, seine Schwester Ardelise, »gleichfalls bettlägerig« und muß »dem schmerzen/ der bisher allein mein gemüt eingenommen/ auch meinen leib unterwerfen«. 136 In der Geschichte von Apries und Amorite gelten die äußeren Anzeichen geradezu als Bedingung der Liebe (die damit allerdings zugleich in den >politischen< Kontext von Darstellen, Verstellen und Durchschauen gerät). Einer geplanten Verbindung zwischen Amorite und Marsius fehlt aus der Romanperspektive schon deshalb der rechte Grund, weil der Prinz »in seiner liebe/ die er mir erzeiget/ so wenig unruhe [erweist]/ daß ich meyne/ ich habe ebenfalls nicht nötig/ von derselbigen geplagt zu werden.« 132 133

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135 136

Paulsen: »Die Durchleuchtigste Syrerin Aramena«, S. 34£ Julius Wilhelm Zincgref: Eine Vermahnung zur Dapfferkeit, in: Die deutsche Literatur, Bd. III, S. 700; 703. Gryphius: Papinianus, V. 210-212, in: Dramen, S. 325. Vgl. allerdings auch ebd., V. 611-614, S. 379, die Marterszene, die den Tod des durchaus machiavellistischen Rats Laetus vorbereitet: »Stracks Diner! macht Jhn fest! Laetus. Unnöthig/ last mich stehn! | Last aller Marter Macht auff meine Glider gehn! | Es zeuge wer es siht! daß Jch mehr Qual zu tragen | Behertzt: Denn Julie gefast mir vorzuschlagen.« Anton Ulrich: Aramena, I, S. 225. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 233-235. Weitere Beispiele: I, S. 219; 241; IV, S. 134138; 166-170.

334 Umgekehrt bemerkt Amorite über sich, »daß ich mit ja so freiem gemüte abstehen wolte/ des Prinzen liebe anzunemen/ wann meine eitern es mir anbefählen/ als ich jetzt solches aus ihrem geheis verrichte.« 137 Neben der erotischen Passion und oft im Zusammenhang mit ihr macht das Mitleid deutlich, wie weit sich der Verfasser von stoischen Vorschriften einer Affekttilgung entfernt. Das Mitleid (miseratio; in der zeitgenössischen Übersetzung die »Erbarmung«, die »sich der Leute halben bekümmert/ vnd jren Vnfall sich zu Hertzen zeucht«) einschließlich der Tränen gilt bei Lipsius als »Kranckheit« des »schwachen Gemüts« und soll durch eine praktisch wirksame »Barmhertzigkeit« (misericordia) abgelöst werden: »Meinstu das dieses eine Tugent sey/ wann du Weibischer weise vnnd aus verzagtem Gemüte mit dem trawrenden anckest/ seufftzest/ vnd halbe vnd zerbrochene wort weinest? Fürwar solches ist sehr weit gefehlet.« 138 Lipsius' Mitleidskritik gehört zu den psychischen Stabilisierungsmaßnahmen, die den einzelnen der »Bestendigkeit« näherbringen und ihm eine »stercke des gemüts« geben sollen, »die von keinem eusserlichen oder zufelligen dinge erhebt oder vntergedrückt wird.« 139 Dagegen geht in der Aramena das Mitleid in die Affekt- und Tugendausstattung des guten Fürsten ein und darf, jedenfalls vorübergehend und bevorzugt im Schutz von Schloß, Garten und Schlafgemach, die »Standhaftigkeit« außer Kraft setzen: Mein erstes/ so ich thäte/ war dieses/ daß ich nach der prinzessin mich umsähe. Es ware aber derselbigen eine onmacht zugestossen/ daß man sie aus den tempel bringen müssen. Dann weil sie mich nun in todesgefahr wüste/ kunte sie ihre Zuneigung nicht ferner bergen. Weil sie ihr vorstellete/ daß um ihretwillen mir dieses alles begegnete/ als käme die erbarmung und das mitleiden zu ihrer herzlichen liebe: daher sie ihr weheklagen öffentlich ohne zwang fürete/ und weder den König noch den Epha betrachtend/ alle weit ihre zu mir tragende liebe sehen liesse. 140

Die Erzählungen setzen das Mitleid des Berichterstatters voraus und können das der Zuhörer auslösen: »Diesen beschluß ihrer rede/ brachte die schöne Cölidiane so beweglich für/ daß niemand zugegen ware/ der nicht zu mitleiden wäre gebracht worden.« 141 Natürlich propagiert Anton Ulrich die Liebe nicht als ungezügelten Affekt. 142 Tügendsystematisch verwirft er die »Leichtfertigkeit« (>levitasconstantiawahre< Genealogie ist in diesem Sinn eine universale Ordnung der Liebe; letztere entfaltet damit im Roman eine umfassende legitimatorische Kraft. Der Kommentar des keltischen Fürsten Suevus über die Liebe der ehemals stoisch eingestellten Prinzessin Hercinde zu dem assyrischen Thronfolger Baleus verbindet Liebe, Tugendlehre, providentiell festgelegte politische Disposition, Legitimation und Genealogie: Meine Prinzessin (sagte Suevus) urteile nicht also von der wol-zuläßigen Neigung/ die uns der himmel eingibet/ üm der Ordnung nachzuleben/ die in seinem unwandelbaren ratschluß ist gemacht worden. Eine keusche liebe zeiget keine Schwachheit an/ deren ja die gröste helden unterworfen sind. Und da die große Hercinde/ durch des Tliiscons ehmaligen ausspruch/ zur mutter des künftigen Assyrischen stammes benamet worden/ so wird zweifelsfrei diese andere Semiramis der weit weisen/ daß der Trebeta ihr stamvatter gewesen/ und daß ein Celte sie gezeugt habe. 149

Es dürfte nicht möglich sein, den Liebesaffekt, der Tügendwerte in sich aufnimmt, mit einer schulmäßig aristotelischen Position gleichzusetzen, derzufolge die Tilgenden erst aus der Mäßigung der Affekte entstehen, während letztere als für sich genommen ethisch neutrales aktivierendes oder abwehrendes Bewegungsmoment fungieren. 150 Allerdings bleibt zunächst noch offen, wie die Liebe näher bestimmt ist, wie der mittlere Tugendhabitus erreicht werden kann und auf welche Weise er seine Aufgabe erfüllt.

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Anton Ulrich: Aramena, III, S. 553. Zur Liebe Spahr: Der Barockroman als Wirklichkeit und Illusion, S. 26f. 148 Anton Ulrich: Aramena, I, S. 66. 149 Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 557. 150 Vgl die _ wenngleich in nichtaristotelischem Kontext - aus der peripatetischen Traditionslinie stammende Formulierung bei Descartes: Die Leidenschaften der Seele, Art. 52, S. 93: »Auch besteht die Nutzung aller Leidenschaften allein darin, daß sie die Seele veranlassen, das zu wollen, was die Natur uns als nützlich angibt, und in diesem Willen beharrlich zu sein, wie ja auch dieselben Bewegungen der Lebensgeister, die sie gewöhnlich verursachen, den Körper zu den verschiedenen Bewegungen veranlassen, die zur Erfüllung dieser Zwecke dienen.« Dazu Rotermund: Affekt und Artistik, S. 15.

337 5.2.2 Tugendpraxis u n d Politik Eines von mehreren Gesprächen in der Aramena über das gebotene Verhalten in Liebesangelegenheiten, hier über den »unterschied unter dem/ was aus eigener wilkür geschihet/ und was man aus gebür in der weit thun muß«, führt zu dem Vorschlag einer Kompromißformel, auf die sich die Beteiligten allerdings nicht einhellig festlegen. Danach gilt die Liebe »aus freier wähl« als »unänderlich«; »die aber/ so aus der gebür und tugend entstehet/ kan nach den Umständen sich verändern/ und herrschet über die freie liebe/ ob sie gleich nicht fähig ist/ dieselbe zu vertilgen.« 151 Die Königin Delbois von Tyro und die syrische Aramena debattieren an einer anderen Stelle über die Absicht des Belochus, letztere auch gegen ihren Willen zu heiraten, als Anwendungsfall dieser Lehre: Eure weltbekante grosmut wird euch dißmal nicht stecken lassen/ und wisset ihr ohndas wol/ daß unsers gleichen nicht nach wilkür/ sondern nach erforderung des staats/ heuraten müßen. Jch wolte solches gern wissen und übernemen (versetzte die Syrische Königin) wan es der Staat von Syrien erforderte: deme aber hingegen/ durch dieses beginnen/ mehr geschadet als geholfen wird/ indem die Babylonische dienstbarkeit dadurch auf ewig diesem Reich aufgebürdet bleibet.152

Ein nachaufklärerischer Leser würde an dieser Stelle ein Spannungsverhältnis zwischen der Liebe als innerem Tugendreservat (oder doch als Asyl individueller Selbstentfaltung) und den Zumutungen des Staats bzw. überhaupt der geltenden Normen erwarten. Dagegen stellen die zitierten Formulierungen einen Widerspruch zwischen unterschiedlichen Thgendanforderungen fest oder setzen einen solchen voraus: Auf der einen Seite deutet sich das Konzept der >unänderlichen< beständigen Liebe an, auf der anderen besteht die Pflicht, dem Decorum (und zugleich der Tugend) zu folgen. Im Hintergrund steht überhaupt die Frage nach dem decorum-gemäßen Verhalten. Sowohl in bezug auf die Liebe als auch in bezug auf die Staatsnotwendigkeiten führt der Roman Extremfälle vor, die jeweils die Grenzen des Tügendkonformen überschreiten. In letzterer Hinsicht sei auf das Beispiel des syrischen Statthalters in Damaskus, Mamellus, verwiesen, der sich gänzlich dem Utilitas-Prinzip der Staatsräson unterwirft. Der Darstellung des Mamellus liegt eine antimachiavellistische Programmatik zugrunde. Wie solche Extreme negativ zeigen, richtet sich auch das Verhältnis des Tugendhandelns in Liebes- und Staatsangelegenheiten am Ausgleichsmodell der Mediocritas aus. Allerdings bleiben die Maßstäbe, nach denen tyrannisches von tugendhaftem politischem Handeln unterschieden werden könnte, ungewiß. Nachdem Mamellus auf Geheiß des Belochus die Ermordung der vermeintlichen 151

152

Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 414-416. Zu den Gesprächen über Liebes- und Staatsheirat unter erzähltypologischen Aspekten Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 132-150. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 751.

338 syrischen Aramena (in Wirklichkeit jedoch der eigenen Tochter Milcaride) angeordnet hat, hört man ihn klagen: »Ach! verfluchte stats-ursachen/ die mich hierzu bewogen! Wie schwer ist es doch/ wan man ein rechter statsman seyn wiL/ ein gut gewissen darbey behalten!« 153 Wenig später überlegt Mamellus, »wie sowol der Aramenes/ als auch der Cimber/ möchten vom brod gerichtet werden«: »Die staats-ursachen/ unterdrückten bei diesem Fürsten alle andere betrachtungen: daß daher öfters die tugend/ die ihn sonst regirte/ weichen muste/ wo der staats-nutze sie nicht dulten konte.« 154 Unter dem Aspekt des Spannungsverhältnisses von »Gebür« und Liebe reflektiert der Roman also, wie wir jetzt zurückschließen dürfen, durchaus die Gefahr, daß das moralisch Gebotene und das Nützliche, daß Honestum und Utile nicht mehr zur Deckung gebracht werden können. In den Lebensgeschichten bildet die Spannung von Liebe und Staatsdenken, durchaus im Einklang mit der rechtsgeschichtlichen Problematik der adligen Ehe, 155 den bevorzugten Gegenstand des Generationenkonflikts. Die Frage nach einer tugendhaften, heroischen Politik gewinnt so Anschluß an die grundierende Genealogie- und Legitimationsthematik. Die Formel betrifft demnach die Grundfrage nach einer heroisch-politischen Gesamtordnung, die in der Genealogie ihren verbindlichen Ausdruck findet. Die Apries-Amorite-Erzählung spitzt die ethischen Konflikte im politischen Kontext aporetisch zu. Cimber/Marsius, durch seinen Vater angewiesen, Amorite zu heiraten, liebt Delbois (die syrische Aramena): »Jch liebe die Delbois/ unangesehen meiner pflicht/ die mich euch zu lieben verbindet.« 156 Amorite sieht sich ihrerseits aus praktischer Einsicht in die Machtverhältnisse von ihrem Vater Suevus dazu angehalten, den König Jobat von Hemath zu heiraten, den Vater ihres Geliebten Apries. Die Elternliebe, die für das Genealogieprinzip, und die »rechtmäsige Zuneigung«, die für die durch >Beständig153

Anton Ulrich: Aramena, III, S. 17. Vgl. auch ebd., S. 18: »Wäre es nicht geschehen/ (antwortete Mamellus/) so müste es/ wegen der ruhe des reichs und meinem König zu dienste/ noch geschehen. Nun es aber geschehen ist/ füle ich darüber ein leiden/ dessen Ursache mir guten teils unbewust ist.« Zum Problem auch ebd., II, S. 7 4 2 744. Zur Beurteilung dieser Figur Gryphius: Actus von den Helden-Büchern oder Romanen, S. 52: »Im übrigen bitte ich mir nur in der Aramena das Leben des Syrischen Stadthalters Mamellus aus, und frage hernach, ob nicht ein Durchtriebener listiger Staats-Mann, darinnen abgezeichnet ist, welchem kein Laster und Buben-Stück zu schwer fällt, wenn er nur sein Absehen erreichet.«

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Anton Ulrich: Aramena, III, S. 437£ Vgl. auch ebd., I, S. 227 aus einem Gespräch zwischen Jobat und Amorite über Apries: »Wollen E. Maj. mehr gewogenheit von mir fordern/ so müssen sie dieselbige nicht/ durch ablegung ihrer natürlichen Liebe/ zu erlangen suchen: dann ich schwerlich einen sohnsmörder ohne daß wurde anschauen können. Jch bin nicht allein sein vatter/ (antwortete der Jobat) sondern auch sein König: und solte er in seiner unrechtmäsigen liebe fortfahren/ so wurde ich ihn/ nicht als einen söhn zu lieben/ sondern als einen ungehorsamen unterthanen abzustreifen/ befuget seyn.« Vgl. Weber: Dynastiesicherung und Staatsbildung, S. 131-134. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 199.

155 156

339 keit< zu gewährleistende Liebesordnung verantwortlich sind, geraten damit in einen kaum lösbaren Konflikt: »Wolan dann! (sagte sie hierauf/) weil ich nicht/ ohne Verletzung der tugend/ den namen einer tochter verlieren kan/ so wil ich den namen einer beständigen liebhaberin verlassen/ zugleich aber auch aller Zufriedenheit und Vergnügung absagen/ die ich auf der weit erwarten können.« 157 Aus solchen Bedingungen resultiert die politische, »gestellte liebe«: 158 »Amorite bereitete sich nun/ den König/ wo nicht zu lieben/ dennoch zu heuraten/ und stellete sich also gegen ihm an/ daß Jobat sich überseelig und vergnügt schätzete.« 159 Da in der Hofsituation unvereinbare Ttigendanforderungen angelegt sind, stellt sich die Frage, ob eine providentielle Ordnung in der Politik wirksam (wenigstens aber, ob sie erkennbar) ist, auf die sich heroisches Tiigendhandeln, Politik-Konzeption und Legitimation der fürstlichen Herrschaft berufen können. Der Roman sieht seine Aufgabe allerdings darin, die Verselbständigung der Politik mit ihrem Gefährdungspotential für Herrschaftslegitimation und traditionale Ordnung der Welt, die sich aus der Sicht des 17. Jahrhunderts vor allem mit dem Namen Machiavellis verbindet, heroisch zu überbieten. Die eingangs zitierte Formel beschreibt, wie wir jetzt festhalten dürfen, einen Verlust an Orientierungsmöglichkeiten in der moralischen Wirklichkeit. Wie der Ausgang der Liebeserzählungen zeigt, ist nicht von Beginn an erkennbar, welche Entscheidungen der >wahren< Ordnung der Geschichte entsprechen. Die Aramena enthält neben solchen Erzählungen, in denen (wie in der Apries-Amorite-Geschichte) die Liebesneigung den Beteiligten ihren rechten Ort zuweist, andere, in denen die »zwang-heurat« zu einem glücklichen Ende führt: Mit der Behauptung, man könne nicht »aus gebür lieben«, tritt - so die Prinzessin Delbora die schöne Cölidiane/ der Königin Hermione und mir/ zu nahe/ die wir beiderseits unsere ehegemale aus zwang zu lieben angefangen haben. Ich bin aber versichert/ daß keine häftigere liebe sol gefunden werden/ als die ich zu dem Eridanus trage, und weiß ich/ daß der König Morges/ weil er gelebet/ auch also geliebet worden.160 157

158 159 160

Anton Ulrich: Aramena, I, S. 232. Vgl. auch ebd., S. 237; I, S. 427 zur Spannung zwischen dem »recht der natur« - dem >unbilligen< Gebot der Eltern - und der »gerechtefn] sache« der Liebe. Weitere Beispiele: II, S. 154f.; 213; III, S. 129f.; 664666; IV, S. 127; 139; 163f.; 306f. (zum Stichwort der »zwang-heurat«); dasselbe zusammen mit Bemerkungen über den zuweilen glücklichen Ausgang solcher Heiraten in V, S. 100-107; 528-530. Die Interpretation von Rau: Speculum amoris, S. 124-133, berücksichtigt m.E. nicht hinreichend die Unterwerfung der Liebe unter die Bedingungen der Politik. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 211. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 234; vgl. auch IV, S. 334-338. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 415. Vgl. auch S. 735: »Es sorgten zwar die drei verliebten [die Tyrannen Belochus, Beor und Uchoreus] nicht/ daß diese zwangheuraten unglücklich seyn möchten/ weil dergleichen geschichten/ sonderlich des Königs von Cus/ vor äugen waren/ da solche heuraten nachgehende wol geglücket.« Diese Formulierung betrifft allerdings zugleich den Fall einer mißbräuchlichen, interessierten Anwendung eines Exemplums.

340 Auf diese Weise wird überhaupt undeutlich, wie tugendhaftes Handeln beschaffen sein sollte. Die polyperspektivische Komplexität der Politik führt zu einer Erosion ethischer Maßstäbe. Die traditionelle und konventionelle Tugendsymbolik büßt ihre Verläßlichkeit ein. Umgekehrt verbietet es sich, vom Schein des Tugendhaften auf die wirkliche Tugcndvalenz zu schließen. Es ist deshalb aus der Sicht der Aramena nicht mehr möglich, die Tügendlehre in Form von übertragbaren oder erst recht von verallgemeinerbaren Handlungsmaximen zu vermitteln. In den romaninternen Gesprächen über moralische Zweifelsfragen findet das jeweilige Problem keine eindeutige Lösung. Während in dem Gespräch über »wilkür« und »gebür« Ahalibama bemerkt, »daß diese liebe/ die uns iezt die Prinzessin Danede beschrieben/ gar sauer eingehen müße/ dessen ich gern überhoben bleiben möchte«, glaubt Hermione wenig später »das erste zeichen« zu erkennen, »daß die Prinzessin von Seir [Ahalibama]/ von der andern liebes-art/ die uns Danede iezt beschrieben/ schon etwas anhebe zu entfinden.« 161 Statt unmittelbar anwendbarer Einsichten bieten die Gespräche Folgen einzelner Aspekte und Exempla, die sich nicht in praktische Lehrsätze über tugendkonformes Vorgehen umsetzen lassen. Einer Debatte, die noch kurz vor dem Ende des Romans die Frage auszuloten sucht, ob es geboten sei, den Geliebten zu verlassen, um den Bruder zu retten, liegt ebenfalls der Gegensatz zwischen einer Heirat aus »staats-ursachen« und einer solchen aus »wahre [r] liebe« zugrunde. Auch dieses Gespräch führt nicht zu einer grundsätzlichen Lösung, sondern zu weiteren kasuistischen Differenzierungen (»zwischen verliebten und verheurateten personen«, näherem oder fernerem Verhältnis von Verwandten und unterschiedlichen politischen Folgen). Es gewährt so Einsicht in Sonderbedingungen, Einzelfallcharakter und Unvergleichbarkeit der Exempla: »Der Camboblascon wird von seiner schwester wenig/ hingegen Aramenes von der Königin zu Mesopotamien häftig/ geliebet: und wan Camboblascon stürbe/ erlangten viele länder ihre ruhe/ da hingegen ganz Asien in unruhe und in ein greuliches blutbad/ durch des Königs von Syrien tod/ würde gestürzet werden.« 162 Kennzeichnend ist demnach der offene Ausgang einschlägiger Gespräche. 163 161 162 163

Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 414-416. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 817 - 820. Vgl. auch Anton Ulrich: Aramena, I, S. 167f., zur Intensität von Verwandtenliebe und Liebe »aus freiem willen«. Ebd., S. 263f., zur Frage der Beherrschbarkeit des Liebesaffekts und zur >törichten< und >vernünftigen< Liebe. II, S. 198-207 (>natürliche< genealogische Ordnung und Liebesaffekt). Schnelles Versuch, aus dem Roman eine Staatslehre mit positiven Verhaltensmaßregeln zu abstrahieren (Die Staatsauffassung in Anton Ulrichs »Aramena« im Hinblick auf La Calprenèdes »Cléopatre«, z.B. S. 22 - 2 6 ) , geht deshalb an den Problemstellungen vorbei. Entsprechende Mißverständnisse auch in den Ausführungen über »Wahre Liebe in der Auseinandersetzung mit den Staatsinteressen«, ebd., S. 59ff. Ähnliches gilt für Heselhaus: Anton Ulrichs Aramena, der aus dem Roman ohne Rücksicht auf seine Bauweise einen Zugang zu Weltbild und Lebensgefühl des »Barockmenschen« gewinnen will.

341 Ein direkter Weg zum Tugendhandeln ist unter diesen Umständen nicht mehr gegeben. Damit wandelt sich überhaupt der Erkenntniswert der Exempla. Für den Roman insgesamt hat Birken zwar in seinem Vorwort die tugendexemplarische Absicht hervorgehoben. Aramena eröffne »eine Gedult Schule: mit erzehlung ihrer Verfolgungen und Unglücksfälle. Sie weiset einen Schauplatz/ der lügend und Lästere/ und darauf-ergangener Göttlicher belohn- und abstraffungen.« 164 Dieses Vorhaben kann jedoch nicht mehr in Form von praktischen Handlungsmustern verwirklicht werden. Exempla betreffen ohnehin Einzelfälle, aus denen keine allgemeinen Regeln gewonnen werden können und die sich nur mutatis mutandis auf andere Einzelfälle übertragen lassen. Doch darüber hinaus sehen sich Zuhörer (und Leser) nunmehr auch fester moralischer Vergleichsmaßstäbe beraubt. Die Bewertungsgrundlagen, die eine Beurteilung des Kasus ermöglichen, entstehen jeweils erst als Ergebnis eines >politischen< Räsonnements. Der Widerspruch zwischen den Anforderungen, die sich aus Liebes- und denen, die sich aus Staatsnot ergeben, steht innerhalb des Romansystems im Zusammenhang mit der Begrenztheit der Perspektiven. Erst eine umfassende Kenntnis der Systemverhältnisse würde gewährleisten, daß die Beteiligten die Moralität des eigenen Tuns einschätzen könnten. Vor das unmittelbare Tugendhandeln muß sich deshalb die politische Klugheit als Vermögen des Durchschauens und Rekonstruierens schieben. Ohne politisches Kalkül bleibt jede Tügendübung unmöglich. 165 Man darf sogar noch weiter gehen: Die Tilgendpraxis besteht in der richtigen strategischen Organisationsleistung. Jedes Handeln, das die politische Komplexität unberücksichtigt läßt, unterliegt der Gefahr perspektivischer Täuschung und verfällt den partikularen Interessen. Die Exempla liefern keine Tugendleitbilder - auch keine solchen, die erst erschlossen werden müßten - sondern fordern Scharfsinn und Dispositionsfähigkeit heraus. Die politische Fertigkeit, die korrekten genealogischen Verhältnisse zu (re)konstruieren, tendiert deshalb dazu, die Tugendpraxis zu ersetzen. Auch die zu Beginn des Kapitels zitierte Formel zum Verhältnis von Liebe »aus freier wähl« und »aus der gebür und tugend« bringt nicht die divergierenden Tügendanforderungen in Einklang, sondern 164

165

Birken: Vor-Ansprache zum Edlen Leser, in: Anton Ulrich: Aramena, I, unpaginiert. Allerdings entwirft Delbois/Aramena eine von der Spannung zwischen politischem >Zwang< und >freiem Willen< entlastete Utopie: »Ehe ich denen/ gegen die mir Gott und die natur den gehorsam anbefihlet [den Eltern]/ solte ungehorsam werden/ lieber wolte ich sterben. Wann ich aber/ mit ihrer bewilligung/ meiner wähl im lieben folgen dörfte/ wolte ich sonst nichtes ansehen/ und bei mir mehr meine neigung/ als andere stats-ursachen/ herrschen lassen/ sonderlich/ wann die nicht der tugend zuwider laufet.« Diese Wunschvorstellung fällt mit der »freiheit« zusammen, »die auch Schäfern und hirtinnen erlaubet ist.« (Anton Ulrich: Aramena, II, S. 653655.) Wir werden freilich später sehen, daß sich in der Schäferwelt ebenfalls ein artifizielles, politisches Ordnungsmodell verbirgt.

342 fordert zu taktischen Vermittlungsbemühungen auf. Beispiele für die >politische< Handhabung tugendhafter Liebe bieten unter den Zentralfiguren Ahalibama und Aramena. Erstere führt eine Scheinehe mit Esaù, um dem (scheinbar) gestorbenen Elieser die Treue halten zu können; Aramena plant ein ähnliches Arrangement mit Cimber, um letzteren aus der Hand des Riesen Sesai zu retten und gleichzeitig dem vermeintlichen Hiscus Sicanus beständig zu bleiben. 166 Während demnach das Romanprogramm darauf zielt, Politik und Geschichte als Verwirklichung einer allgemeingültigen Tügendordnung herzustellen, arbeitet es tatsächlich einer Verselbständigung der Politik vor. Später soll noch deutlicher werden, daß dabei die Stelle des tugendhaften Handelns dessen Darstellung einnimmt. Für den >politischen< Umgang mit unvereinbaren Tligendanforderungen greift Anton Ulrich auf das Gespräch als Vermittlungsform zurück. Durchaus in der Tradition der Lehrschriften zur Gesprächskultur, allen voran Castigliones Cortegiano, der dem Leser eine inhaltliche Festlegung des stets situationsbezogenen Grazie-Ideals vorenthält, löst die Konversation die moralische Präzeptistik ab und präsentiert stattdessen eine Vielzahl von Positionen und Aspekten, die keine absolute Geltung beanspruchen können. An die Stelle der Tligendlehre und des moraldidaktischen Effekts der Beispielerzählungen treten die Kunst des Gesprächs und die Höflichkeitsformen. 167 Diese sind zwar nicht in der Lage, unvereinbare Perspektiven zu versöhnen, Meinungsverschiedenheiten auszuräumen und die partikularen durch ein gemeinsames Interesse zu ersetzen. Doch kann das Gespräch die Differenzen durch die Kunst der Geselligkeit überbrücken. Anders als bei Castiglione, in dessen Cortegiano die konvenierende Gesellschaft sich mit den Mitteln der Höflichkeit selbst organisiert, strukturieren aber in der Aramena Hierarchie und Subordination, absolute Bezugsposition und von den heroischen Figuren her bestimmte Zentralperspektive das Gespräch.

5.2.3 Die Rolle des Helden: Beständige Liebe und Melancholie Nachdem deutlich geworden ist, daß die Aramena den Gewißheitsverlust in der Tiigendpraxis >politisch< zu kompensieren sucht, stellt sich die Frage, welche Rolle dabei das Konzept der heroischen beständigen Liebe< spielt. Mit allgemeinen Hinweisen auf moralphilosophische Traditionslinien seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert, vor allem auf den Neostoizismus, ließe sich die Rolle der Beständigkeit in der Aramena nicht hinreichend beschreiben. 168 166 167

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Anton Ulrich: Aramena, V, S. 833-842. Vgl. als Beispiel Anton Ulrich: Aramena, II, S. 198 -202, wo die Höflichkeit dazu dient, die unterschiedlichen Interessen in der Schwebe zu halten und die Affektdispositionen zu kontrollieren. Für eine Einführung vgl. Welzig: Constantia und barocke Beständigkeit. Speziell zu Fragen des Stoizismus auch Barner: Die gezähmte Fortuna.

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Das entscheidende Exemplum, das Verhältnis des deutschen Fürsten Cimber (Marsius) zu Delbois (bzw. der syrischen Aramena), findet sich weitgehend im zentralen Erzählstrang. In bezug auf diese Verbindung verlängert Anton Ulrich kunstvoll die Mißverständnisse und Hindernisse so, daß erst mit ihrer Beseitigung die Romanhandlung zu ihrem vorbestimmten Ziel gelangt. Von der zeitlichen Erstreckung, dem Komplexitätsgrad der Verwicklungen und den ethischen und strategischen Anforderungen her sind die Protagonisten dieses Handlungsstrangs den höchsten Belastungen ausgesetzt. Den Komplikationen liegen Verstellungen, Verwechslungen, Mißverständnisse und Scheinhindernisse zugrunde.169 Dazu gehört, daß zunächst eine geplante Heirat zwischen Aramena und Abimelech einer Verbindung zwischen der Titelfigur und Marsius im Weg steht. Erst spät erweist sich Abimelech als Aramenas Bruder Aramenes. Marsius seinerseits nimmt ebenso wie sein Freund Tuscus Sicanus, König der Aborigener (bei dem es sich zugleich um den totgeglaubten Elieser handelt) den Namen Cimber an. Der >eigentliche< Cimber - der dritte Träger dieses Namens - ist hingegen Marsius' Vetter, Sohn des Hermann und der Hesperia, der sich gleichfalls in Delbois/Aramena verliebt, aber im Kampf gegen die Assyrer fällt.170 Gerade hier verstärkt Anton Ulrich die perspektivischen Täuschungen, indem er mehrdeutige Partialinformationen freigibt171 und die Handlung nicht kontinuierlich chronologisch entwickelt, sondern in wiederholten Rückgriffen aus sich überschneidenden Zeitsegmenten und Perspektiven synthetisiert. Diskussionen über die Identität der einzelnen Personen dokumentieren die Verwirrung der Romanfiguren und ihre Aufgabe der (Re-)Konstruktion.172 Die Gesamtkonstellation produziert fortwährend Hemmnisse und führt immer wieder zu neuen Bewährungssituationen. Damit unterliegt die Beziehung zwischen Aramena und Cimber/Marsius auch in gesteigertem Maß dem moralischen Eindeutigkeitsverlust, der die politische Szene der Aramena insgesamt bestimmt. Dieser komplexen Situation, in der das traditionelle politisch-moralische Gefüge an Verläßlichkeit verliert und seine Fähigkeit einbüßt, unmittelbare Maßstäbe für die Orientierung in der Erscheinungswelt vorzugeben, entspricht die psychische Grundbefindlichkeit der Melancholie: »Muß ich dan nur darum leben/ daß ich täglich mehr zeichen einer unartigen seele in einem so schönen leib erkennen möge?«173 Vor allem in den beiden letzten 169

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Ein Beispiel für das theatralische Spiel der Mißverständnisse: Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 214-220. Zur Umbenennung Anton Ulrich: Aramena, V, S. 344. Zum >wahren< Cimber und seinen verwandtschaftlichen Beziehungen IV, S. 283. Zu seiner Liebe zu Delbois u. a. IV, S. 308f.; 351f. Zu Cimbers Tod IV, S. 354. Beispiel: Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 502f. Beispiele: Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 330-334; 374-381; 408f. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 196f.

344 Teilen, in denen die Cimber-Aramena-Handlung in den Mittelpunkt rückt, überwiegt vor dem Hintergrund scheiternder Liebesbemühungen die Erscheinung des melancholischen und siechen Heros - doch auch sonst begegnen dem Leser aus Liebe >abgemärgelte< und >abgegrämete< Romanfiguren. Besonders bei Cimber führt die Krankheit bis zum Lebensüberdruß: »Weil ihme/ alles in der weit/ nur widerwillen und verdruß erweckte/ als ware dieses insonderheit sein gröster kummer/ daß er noch leben muste«. 174 Auch die in der ganzen Romanhandlung virulente Verzweiflungs- und SelbstmordThematik gehört in das Umfeld der Melancholie. 175 Daß Anton Ulrich mit der Melancholie ein durchaus empirisches Hofphänomen verarbeitet, zeigen in bezug auf die Versailler Verhältnisse die Briefe der Liselotte von der Pfalz. 176 Literarisch greift die Aramena die Topik der Hofkritik auf, derzufolge strategische Anforderungen, Verstellungsdruck, Konkurrenz und Neid des Hoflebens das Taedium als Begleiter haben. 177 Sie partizipiert an der allgemeinen frühneuzeitlichen Karriere der Melancholie als Symptom eines umfassenden politischen und psychologischen Umbruchs. Im Hintergrund stehen die desorientierenden Implikationen der Unendlichkeitsidee - des Systemzusammenhangs - , unter deren Vorzeichen eine Orientierung auch über das Einzelne unmöglich wird.178 Anton Ulrich steigert die Symptomatik der Melancholie bis zur potentiell tödlichen Krankheit. Gewiß gegen die Absicht des Verfassers meldet sich schon die Frage, ob nicht überhaupt die Konzepte des Politisch-Heroischen in eine Überforderung des einzelnen münden. Auf jeden Fall stellt die Melancholie in der Aramena die Weltordnung insgesamt in Frage und verlangt nach einer Theodizee. Die Melancholiesymptomatik, in der Cimber/Marsius die übrigen Romanfiguren überbietet, entfaltet sich vor dem Hintergrund eines allgemeinen Melancholiverdikts, das - sieht man etwa von der »göttlichen Traurigkeit« angesichts des Leidens Christi,179 von der Verbindung zwischen Melancholie und Genialität in neuplatonischer Linie und von der positiv bewerteten Nähe einer gewissen Melancholie zu Gravitas und Geheimnis ab 180 - Gemein174

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Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 195; 310; 434f.; 491-493; 860-866 (dort besonders das Sonett S. 862f.). Weitere Beispiele zur Nähe von Liebesnot und körperlichem Verfall: I, S. 437f.; II, 260; IV, S. 166-170; 316. V, S. 327-333; 678; 812£ Beispiele zu Todesverlangen und Selbstmordfrage: Anton Ulrich: Aramena, I, S. 117-120; 302; 400f.; 434; 436; 452f.; II, 523f.; IV, S. 50-54; 808f.; 872. Beispiele: Briefe der Liselotte von der Pfalz, S. 70, 72-74, 83, 142. Vgl. beispielhaft Guevara: Institvtiones vitae avlicae, S. l r -12 v . Allgemein zum Thema Lepenies: Melancholie und Gesellschaft; Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat, S. 267-283; Weber: Im Kampf mit Saturn. Vgl. Lovejoy: Die große Kette der Wesen, S. 157 (zu Pascal). Rotermund: Affekt und Artistik, S. 18. Zum reputationsfördernden Nutzen (also zu einer gewissen ästhetischen Valenz) der Melancholie Botero: Gründtlicher Bericht, S. 95r: »Solcher Vrsachen halb werden die/ so etwas mit Worten still vnd melancholisch sind/ höher geschätzt/ als die

345 besitz der frühneuzeitlichen Politiken und Hofmannslehren wie auch der moralischen Ratgeberliteratur ist. Grundsätzlich bemerkt Moscherosch, »daß Melancholie und Traurigkeit einem dapfferen Mann nicht wol anstehen/ bevorab wenn er sich dadurch wolte vberwinden lassen: welches eine anzeigung were eines Knechtischen eilenden Verstands und wcscns.«181 Lipsius setzt der Melancholie die Constantia entgegen: »Dann die Kranckheit stecket fürwar im Gemüte/ vnnd alle diese auswendige Schwachheit/ Zagnuß/ Mattigkeit/ entspringet nur aus einem Quellen/ das nemlich das Gemüt darnider ligt vnnd faulentzt.« 182 Der Melancholicus neigt zur Spekulation und gilt als gesellschaftsfeindlich veranlagter Abweichler und Ordnungsstörer. Als solcher kann er sich allgemein in die politische Geometrie nicht einfügen, näherhin aber auch den Anforderungen politischer Taktik und höfischer Gesellschaftskunst nicht genügen. Daher rühren Saavedra Fajardos Vorbehalte gegen die melancholieträchtigen Wirkungen des übermäßigen Studierens auf den Fürsten. 183 Den Ausgangspunkt und fiktiven Anlaß zu Guazzos Conversation civile bildet eine umfangreiche Auseinandersetzung mit der Melancholie. 184 Soweit die >politischen< Fähigkeiten betroffen sind, richten sich die Bedenken gegen das melancholische Erscheinungsbild, das nicht als tugendförderndes Exemplum taugt, den Erwerb von Reputation und Zuneigung behindert, die politische Ordnung bedroht und den Funktionsbestimmungen heroisch-politischer Größe widerspricht. Nach Botero sind die Mittel, »dadurch das Gemüthe wacker vnd frisch erhalten wirdt/ [...] eben diese/ dadurch die Gesundtheit erhalten/ die Melancholey vnnd Trawrigkeit vertrieben/ die Ehrliebe erwecket/ vnd die begierde deß Lobs angezündt wirt.« 185 Der Fürst, so lehrt Löhneyss, soll »sich jederzeit gleich freudig/ tapffer/ lustig erzeigen/ damit sich männiglich dessen erfreuen möge/ auch ihm seine Nothdurfft und Anbringen vorzutragen/ durch sein störrisch und traurig Gesicht nicht abgeschreckt werde«. 186 Die einschlägigen Werke kennen eine Reihe von Remedia gegen den Überdruß an Hofleben und Regierungsmühsal. Wegen der »allzu grosse [n] last« der Geschäfte, so bemerkt der anonyme Verfasser des Princeps in compendio, »erfordert es die nothwendigkeit/ daß der Fürst wieder einiges vergnügen habe/ damit er sich erhole/ und solche arbeit desto besser ausstehen

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andern/ welche freudig sind vnd vieles Geschwätzes.« Dazu auch Botero: Von eines Fürsten und Herrn Reputation, S. 230f., in: Spiegel hoher fürstlicher Personen (1603). Moscherosch: Visiones de Don Quevedo, I, S. 130. Lipsius: Von der Bestendigkeit, S. 5r. Saavedra Fajardo: Abriss eines christlich-politischen Printzens (1655), S. 639-641. Guazzo: De civili conversatione, v.a. S. 1 - 6 . Zur Melancholie auch S. 407 -409. Der Verfasser preist Geselligkeit und Konversation als Heilmittel gegen die Seelenkrankheit. Vgl. auch Della Casa: Galateus, S. 31. Botero: Gründtlicher Bericht, S. 93v. Löhneyss: Hof- Staats- und Regierkunst, S. 159.

346 möge.«187 Geeignete »Ergötzlichkeiten« sind Jagd, Körperübungen, Tanz, Feste, Reisen und Gartenaufenthalte. Die »Garten-Lust« empfiehlt sich den Fürsten nach Löhneyss nicht allein, weil der Garten für die Hofhaltung nützlich ist, »sondern vielmehr/ daß sie von ihren hochwichtigen und grossen Geschäften sich hiedurch ein wenig wiederum erquicken/ beneben auch die hohe Allmacht und gnädige Vorsorge Gottes dabey erkennen/ und also zur Demut und Gottesfurcht ermahnet werden.«188 Ebenso darf Boteros Entwurf einer vorbildlichen Stadtanlage, die »das Gemüht vnd Hertze befriedigen vnd ersettigen soll«, als Antidot gegen die Melancholie verstanden werden.189 Die Auseinandersetzungen mit der Melancholie zeigen insgesamt, daß von dieser Gemütskrankheit ein Destabilisierungspotential befürchtet wird. Um so bemerkenswerter ist ihre Ermächtigung in der Aramena. In der »beständigen Liebe« entwickelt Anton Ulrich ein Konzept, das die Melancholie in sich aufnimmt und gerade deshalb geeignet scheint, den interessenbedingten Zerfall der politischen Welt und den Legitimationsschwund heroisch zu überbieten. Praktisch zeigt sich Cimber/Marsius' Beständigkeit im Festhalten an der Liebe zu Delbois/Aramena unter gleichzeitigem Verzicht auf den eigenen Vorteil: »Nein/ Tubal! (sagte Cimber [...]) hüte dich/ solche unruhe alhier anzurichten! Es sollen dannoch die von Basan der grausamen dienen/ ob sie gleich mit mir also verfäret.«190 Um die Verbindung zwischen Delbois und Abimelech nicht zu beeinträchtigen, dissimuliert er die eigene Neigung und unterstützt die Simulation einer (ihrerseits selbstlosen) Liebe zu Hercinde (in Wirklichkeit der eigenen Schwester).191 Cimber vermittelt sogar selbst zwischen Aramena und dem durch eine Verwechslung in den Verdacht von Untreue und Leichtfertigkeit geratenen Abimelech: Cimber stunde nun in seinem herzen den allerherbsten kämpf aus/ indem die liebe/ freundschaft und tugend miteinander stritten: und befarete er zum öftern/ daß die erste die zwo andren übermeistern möchte. Aber sein edler und unüberwindlicher geist verharrete standfast auf dem schluß/ seiner Königin und seines freundes ruhe/ mit hintansetzung der seinigen/ ja gar seines lebens/ zu befördern. 192

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[Anonym:] Princeps in compendio, in: Staatslehre der frühen Neuzeit, S. 527. Löhneyss: Hof- Staats- und Regierkunst, S. 42. Zum Reisen S. 43; zur Vermeidung von Krankheiten, die auch »das Gemüthe und die Kräfften schwach und verdrossen« machen S. 121; zu »Recreationes und Erlustigung« (Jagd und Fischfang) S. 1 8 1 - 1 8 7 . Zum Garten als Remedium auch Lipsius: Von der Bestendigkeit, S. 7 1 r - 8 0 r . Auch die Landleben-Dichtung (etwa Opitz' »Zlatna« und »Vielguet«) gehört in diesen Zusammenhang. Botero: Von der Stätten Auffgang/ Grösse vnd Herrligkeit, in: Gründtlicher Bericht, S. 404 r . Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 217. Anton Ulrich: Aramena, III, S. 3 1 3 - 3 2 2 . Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 441 sowie weiter S. 4 4 1 - 4 4 6 ; 4 3 5 - 4 3 9 .

347 In Cimbers »liebes-art« entwickelt Anton Ulrich Extremfall und Idealmodell einer zugleich hoffnungslosen und beständigen Liebe: »Sonder hofnung und ohne misgunst/ habe ich diese meine liebe/ bloß mit genießung ihres anschauens/ ernehret/ und allstäts ihre auf den edlen Abimelech geworfene huid so billig befunden/ daß mir nie in den sin gekommen/ einer so teuren liebe hinternis zu bringen.« 193 Weithin richtet Cimber sein Verhalten darauf aus, als Liebhaber der Aramena überhaupt nicht in Erscheinung zu treten. Catharina Regina von Greiffenberg rühmt in ihrem Widmungsgedicht zum dritten Teil der Aramena die selbstlose »beständige Liebe« als heroische Tugend, die in Cimber »den Ober-Spitz« erreiche: Die schönste aller Lieben/ ist in des Cimbers sinn und Freundschaft-Treu beschrieben: die steht/ ohn Eigennutz/ in reinster Geistesbrunst/ entfernt von allem Zweck; recht eine Götter-Gunst/ Erd-Engeln eigenbar/ ein Fönix nur zu nennen der einig-wahren Lieb.194

Welchen Zweck erfüllt die »beständige Liebe«? Wir hatten gesehen, daß in der Aramena das Interesse zum Strukturproblem wird. Erweist sich der interessierte Zugriff auf der einen Seite als unverzichtbar für eine Kontrolle der komplexen historischen Gegebenheiten, so bricht er auf der anderen den Zusammenhang der Wirklichkeit auf und gefährdet die Legitimation absolutistischer Herrschaft. Da die legitime politische Ordnung sich aus der Handlungsperspektive nicht erkennen läßt, ist in der Aramena überhaupt kein intentionales Handeln seiner Normkonformität mehr gewiß. Deshalb kann die Aramena auch die durch Affektunterdrückung gewonnene stoische Beständigkeit nicht mehr ins Feld führen, um politische Handlungsfähigkeit zu gewährleisten. An diesem Punkt setzt die Konzeption der hoffnungslosen »beständigen Liebe< an. Die Selbstrücknahme des Helden ist darauf ausgerichtet, das Interesse - »staats-gedanken und eigennützige ränke« 195 bzw. mit Greiffenberg den »Zweck« - zu tilgen, das auch dem ungebändigten Liebesaffekt zugrundeliegt: Nun ich aber befinde/ daß ich ein mensch bin/ und/ ungeacht alles zwangs/ den ich mir selbst anthue/ mich nicht möchte überwinden können/ einige Schwachheit blikken zu lassen/ da iezt deine höchste glückseligkeit angehen sol: als habe ich für 193

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Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 492. Vgl. auch ebd., II, S. 543: »Es ist billig/ daß ich sie liebe: aber mit einer solchen Liebe/ die meine freundschaft nicht beleidige. [...] Gönne nun/ wehrter freund! daß ich sie/ ohne hofnung/ neben dir/ mit der erbarsten reinsten liebe anbeten dörfe/ die iemals ein sterblicher in sich entfunden.« Ferner: II, S. 483-486; III, S. 477 -486; 649-654; IV, S. 179-188; 360-362; V, S. 376-378. Zum möglichen Hintergrund der aristotelisch-thomistischen Freundschafts- und Liebeskonzeption Borgstedt: Reichsidee und Liebesethik, S. 113. Greiffenberg: Uber die Tugend-vollkommene unvergleichlich-schöne Aramena, in: Anton Ulrich: Aramena, III, unpaginiert. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 182.

348 notwendig erachtet/ mich hinweg zu begeben/ üm nicht derjenige zu seyn/ durch den einiger massen deine und der schönsten Aramena ruhe und Vergnügung möchte gestöret werden. 196

Die beständige Liebe< scheint geeignet zu sein, jeden Verdacht der parteilichen Kalkulation abzuwenden. Entsprechend verbindet der Verfasser die Melancholie selbst mit der heroischen Größe: »Zu dem ende fürete er mich nachgehends /[...] zu dem König von Basan hinein: den ich auf einem bette autraffe/ aber/ ungeacht seiner tiefsten traurigkeit/ ein so ungemeines heroisches wesen an ihm warname/ daß sich mein herz schiildig achtete/ ihme mit sonderbarer ehrerbietung zu begegnen.« 197 In machtpolitischer Hinsicht entsprechen der hoffnungslosen Liebe Cimbers wie Aramenas Verzichterklärungen auf die syrische Krone. 198 Erst durch die »beständige Liebe« als heroische Selbstrücknahme entsteht das Bild einer providentiell abgesicherten Genealogie als wahrer Ordnung der »rechtmäsigejn] Zuneigung«.199 In der uninteressierten rechtmäßigen Liebe< liegt die zentrale affektive und politische Stabilitätsformel des Romans. Sie wirkt sozialer Dissoziation und moralischem Legitimationsverlust entgegen und mindert das Konfliktpotential der Macht, für die sie einen praktischen Handhabungsmodus bereitstellt. Die beständige Liebe< konstituiert die providentiell vorgesehene politische Gesamtverfassung. Damit jedoch zeigt sich der Held nicht mehr nur als »Semideus« mit providentiellem Auftrag und durch Gott verliehener Qualifikation; er muß die allgemeine Weltordnung in der politischen Praxis verbürgen, indem er sie um dem Preis der Selbstrücknahme erst herstellt. Da die heroischen Figuren bis zum Schluß das gebotene Handeln nicht erkennen können, müssen sie ihre eigenständige Handlungsfähigkeit aufgeben. Der Roman erlegt den Helden in extremer Form die Disziplin und Selbstkontrolle auf, die die Politiken dem Fürsten abverlangen. Der Held bewährt sich, indem er sich den Anforderungen des politischen Systems gänzlich unterordnet. So schließt der Verfasser an eine Tendenz an, die sich auch in der politischen Literatur abzeichnet: Eigentlicher Träger des Attributs heroischer Größe wird nun im Grunde der Staat. Catharina Regina von Greiffenberg stattet in ihrem Widmungsgedicht den Autor selbst mit heroischen Epitheta aus, der als einziger aus gottähnlicher Perspektive von Beginn an die Komplikationen in ihrem ganzen Umfang kennt und steuert. 200 Doch der Verfasser unterliegt in seiner Erzäh-

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Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 492. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 812. Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 842 - 853; V, S. 8 2 2 - 8 2 4 ; 8 3 3 - 8 4 2 . Anton Ulrich: Aramena, I, S. 229: » Amorite wiese sich in diesem wesen die standhafteste/ mich versicherend/ daß sie dem Apries wolte beständig bleiben/ wann ihr herrvatter/ als sie hottete/ ihre rechtmäsige Zuneigung billigen würde.« Greiffenberg: Uber die T\igend-vollkommene unvergleichlich-schöne Aramena, in: Anton Ulrich: Aramena, III, unpaginiert: »Ach ja! du bist geronnen/ | mit überfluß

349 lerrolle denselben Bedingungen wie die heroischen Figuren. Um den Roman als kohärentes Gesamtsystem glaubhaft - unter (scheinbarem) Verzicht auf das eigene Interesse - darstellen zu können, muß er sich selbst hinter die Logik des Dispositionsmusters zurückziehen. Tatsächlich tritt der Erzähler in der Aramena kaum in Erscheinung. Die Tugendattitüde der »beständigen Liebe« erweist sich so jedoch als artifizielle und kalkulierte Leistung, als radikale praktische Umsetzung des politischen Dissimulationsgebots, darauf angelegt, Absichten und Interessen zu verbergen und Glaubwürdigkeit zu gewinnen.201 Diese Konsequenz ist zwar nicht im Bewußtsein der Figuren angelegt, wohl aber in der Strategie des Romans. Die »Beständigkeit« ähnelt damit schließlich den Techniken ästhetischer Machtdissimulation, wie man sie in den politischen Lehrbüchern und in der Hofmannskunst unter den Stichworten »Ernst« und »Anmut« vorfindet. Die in der Beständigkeitslehre verborgene Mediocritas-Programmatik führt im Verbund mit dem Verzicht auf Greueldarstellungen, der Wendung ins Psychologische, der Konzentration auf Geselligkeit, Gespräch, scharfsinnige Reflexion und Rekonstruktion und dem bei aller Ausdehnung des Werks strengen Aufbau in die Nähe des klassizistischen Bienséance-Begriffs. In diesem Sinn entspricht die Zähmung der Liebe den Geboten des »wolstand[s]«,202 des Decorum: »Lieben/ ist ja natürlich: darüm verüble ich euch nicht/ eure neigung zu dem Celtischen Fürsten. Aber es stehet hohen personen zu/ daß sie ihren willen überwinden.«203 Zu ihnen gehört konkret auch die genaue Unterscheidung zwischen der Lizenz der Affektäußerung im Verborgenen und der öffentlichen Affektdissimulation 204 Über Delbois/ Aramena liest man: Die standhaftigkeit der Königin von Ninive/ welche sonst alles mit unvergleichlicher entschließung überwinden kunte/ finge hier ein wenig an zu wanken/ als ihr liebster Abimelech nun bald abreisen solte: massen auch bei ihm sich gleiche regung fände/ also/ daß er zu vergessen begunte/ daß er für so vielen aufmerkern sich zwingen muste. 205

Auf jeden Fall handelt es sich bei der so verstandenen zurückgenommenen »beständigen Liebe« um eine intensivierte Variante der >frühmodernen Höflichkeit^ Für sie hat Beetz die Kunst des widerstandsvermeidenden Un-

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und lust/ aus dem Jdeen-bronnen | des Edelsten Gemüts. Allein ein Helden-held | kan schöner/ als sie ist/ uns bilden ab die Welt | nach seinem Edlen Geist.« Vgl. als exemplarische Fälle die Gespräche zwischen Delbois und Cimber in Anton Ulrich: Aramena, II, S. 4 8 3 - 4 8 6 ; III, S. 1 5 1 - 1 5 8 . In beiden demonstriert Cimber die Kunst, seine Liebe zu Delbois zugleich zu formulieren und zu verschleiern. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 558. Weitere Beispiele zum Decorum-Komplex: I, S. 1 0 6 - 1 1 3 ; II, S. 6051; 647; IV, S. 9 7 - 9 9 ; 121; V, S. 5301; 6 1 8 - 6 2 0 . Anton Ulrich: Aramena, III, S. 527. Beispiel: Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 681. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 683.

350 scheinbarwerdens nachgewiesen. 206 Die Selbstreduktion korrespondiert mit der Tilgung des »Ich« in der Sprache der Höflichkeit. Sie verbirgt den suasiven Zweck eindrucksvoller Legitimation und kann deshalb die politischen Konkurrenten überbieten. »Unter den verständigen liebhabern/ (sagte Delbois) wird der Prinz Cimber wol den preis davon tragen. Ja es wäre der/ die ganze weit zu beherrschen/ wol würdig/ der sich selbst so verwundersam beherrschen kan.« 207 Die Selbstrücknahme entspricht den Intentionen der heroischen Reputation und ist in der Lage, die Vielzahl der politischen Einzelfälle zu bewältigen. In der tiefsten Melancholie entdeckt Anton Ulrich >scharfsinnig< die größte Macht. Insgesamt entkommt der Roman nur dem artifiziell hergestellten Anschein nach der politischen Logik, die er transzendieren möchte. Er kann die politisch zersplitterte Welt, speziell die zerfallene Hofgesellschaft, nicht wiederherstellen, sondern bietet eine dissimulierte Apologie absolutistischen Machtanspruchs. Der erforderliche Kraft- und Kunstaufwand deutet schon allenthalben auf die Grenzen des Modells heroisch-politischer Legitimation.

5.3

Vom »Höchsten Schickungs-Spiel«

5.3.1 Politik als Spiel und Fest Im Widmungsgedicht zum dritten Teil der Aramena rechtfertigt Catharina Regina von Greiffenberg den Roman als »Spiel« und Zeitvertreib gegen mögliche theologische und moralische Bedenken (speziell gegen die Haltung der Stoiker). 208 Den weiteren Kontext ihrer Bemerkungen bildet die Diskussion um Vor- und Nachteile des Romanlesens, in die auch Sigmund von Birken mit seiner Vorrede zum ersten Teil eingegriffen hatte. Zwar erscheint das Angenehme im Widmungsgedicht auch als Zugeständnis an die sinnliche Bedürftigkeit des Menschen, als »listiges« Transportmittel des Nützlichen, 209 doch es ist darüber hinaus selbst konstitutiv für die plausible Vergegenwärtigung einer sinnvoll ge206

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Zu Selbstverleugnung und Übernahme der Rolle des anderen als höflichem Verhalten Beetz: Frühmoderne Höflichkeit, S. 160-163. Zur Höflichkeit Anton Ulrich: Aramena, I, S. 297-300. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß die »Aramena« insgesamt in ihren Bearbeitungsstufen (Sibylle Ursula, Anton Ulrich, Sigmund von Birken) stilistisch an die Höflichkeitsnormen angenähert wird; vgl. Spahr: Anton Ulrich and Aramena, S. 7 3 - 7 9 . Anton Ulrich: Aramena, III, S. 316. Greiffenberg: Uber die 1\igend-vollkommene unvergleichlich-schöne Aramena, in: Anton Ulrich: Aramena, III, unpaginiert (dort auch die folgenden Zitate): »Ein Sonn ausschließen ists von holder Majenzeit/ | wann man die Andacht trennt von der Ergetzlichkeit/1 die ohne die nicht ist.« »Die frömste List der Erden | ist/ durch Ergetzungs-Netz' ein Himmel-Fischer werden. I Wan man anbeissen hier den Scherz/ und schlingen ein | den Andacht-angel/ macht: das mag ein List-Lust seyn/ | ein Fang von Heiligkeit.«

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ordneten Wirklichkeit überhaupt - als Theodizee, ja als vorgreifende Einsicht in das Wirken Gottes als des obersten Spielers. Der Roman sei des Höchsten Ehre-zunder/ ein Spiegel seines Spiels! ein klarer Demant-Bach/ in dem man schicklich siht die Himmels-Schickungs Sach/ erlernet ihre kunst!

Es ist konsequent, daß die Schlußzeilen eine Analogie zwischen dem Verfasser und Gott herstellen. Sie deuten darüber hinaus an, daß das Gedicht im manieristischen Wortspiel, im Gleichlaut und in paradoxen Verdichtungen den >künstlichenHistorien< selbst vorführt: Inzwischen werd erquicket mit süßem Schickungs-tau/ Der/ der so schicklich schicket die schönste Wunder an/ vom Höchsten Schickungs-Spiel. Er sei/ zu höchstem Glück/ der Gott-geschicke Ziel! 210

Für den Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Beschaffenheit des Zusammenwirkens von Spiel und Legitimation um so dringlicher, als der Hinweis auf den Spielcharakter des Romans meiner bisherigen Interpretation geradewegs zuwiderzulaufen scheint. Aus ihrer Sicht präsentiert sich ja das Werk in erster Linie als Dokument eines Zerfalls traditional verbürgter Weltordnungsmodelle. Wenden wir uns zunächst der Frage nach dem Spiel als Konstruktionselement des Romans zu, die das Greiffenberg-Gedicht nahelegt. Die Aramena - wie im übrigen auch die Octavia™ - schließt eine Reihe von »sinnreichen spielgesprächen« ein, die Problemstellungen des Texts insgesamt aufgreifen. Deren bevorzugter Ort ist nicht der Hof als allgemein sichtbare Bühne, sondern die amoene Umgebung (hier: die »Königesaue«) oder, abseits des »grossen getöse[s]«, das »nebenzimmer«, also die Domäne der weiblichen Figuren, die sich dem Salon annähert und überhaupt wichtigster Schauplatz des romaninternen Erzählens ist. 212 Dieser Rückzug 210

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Als Beispiele für paradoxe Wendungen vgl. aus dem Anfang des Gedichts: »Wie schön pflegt sie [die»Vorsicht«] zu füren/ | die Fälle/ zufalls-weis! wie richtig zu verwirren | die Lebens-Labyrinth/ die Seltenheiten sie | einführt in grosser mäng«. Zur Analogie von Schöpfer und Romanautor auch Leibniz an Herzog Anton Ulrich, 26.4.1713, in: Bodemann: Leibnizens Briefwechsel mit dem Herzoge Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, S. 233£: »Es ist ohne dem eine von der Roman-Macher besten künsten, alles in Verwirrung fallen zu laßen, und dann unverhofft herauß zu wickeln. Und niemand ahmet unsern Herrn beßer nach als ein Erfinder von einem schöhnen Roman.« Nachweise bei Hofter: Vereinzelung und Verflechtung in Herzog Anton Ulrichs »Octavia. Römische Geschichte«, S. 22. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 495; III, S. 337. Vgl. Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 263£ Allgemein zum Thema Zeller: Spiel und Konversation im Barock; dies.: Die Rolle der Frau im Gesprächsspiel und in der Konversation; dort speziell zur »Aramena« S. 539-541. Vgl. auch Penzkofer: Die Konversation als Symptom und Supplement.

352 schützt die Reputation der Fürsten, die »nicht ratsam fanden/ solche belustigung [hier: eine Theateraufführung] in öffentlicher versamlung vorzunemen/ indem hiedurch leichtlich/ dem königlichen ansehen/ einiger abbruch hätte wiederfahren können.« 213 Er führt allerdings auch zu gesteigerter Exklusivität, wie die Zurückweisung ungeladener Gäste bei einer anderen Theateraufführung zeigt. 214 Die Spiele selbst ersetzen demgemäß unvermittelte Machtausübung durch spielerische Gewandtheit, heben aber die sozialen Hierarchien nicht auf - Aramena steht stets im Zentrum und erweist sich auch als überlegene Spielerin. Im Mittelpunkt der Spiele stehen die Unverläßlichkeit des äußerlich Sichtbaren, das Verhältnis von Verstellung und Enthüllung und die psychologische Kunst des Durchschauens, Dechiffrierens und Zuordnens. Das Reimund Pfänderspiel »Die errahtung der verborgenen gedanken« gilt der Einsicht in die psychische Disposition der Mitspieler und dem Entschlüsseln ihrer >verstellten< Überlegungen; 215 es ist darin mit einem weiteren verwandt, dessen Teilnehmer aus dem Äußeren die innere Beschaffenheit von Personen erschließen müssen. Dieses Spiel betrifft darüber hinaus die Kunst der Charakteristik, auf die wir bereits im Zusammenhang mit der politischen Völkercharakteristik gestoßen waren. 216 Auch zwei Orakel-Spiele beziehen sich auf die Komplexität der >politischen< Verhältnisse. Gegenstand des Teraphim-Spiels »die Götter aussprüche« ist die Rekonstruktion des jeweils Gemeinten aus mehrdeutigen Weissagungen. 217 Die Analogie zur Aufgabe der Romanfiguren und des Lesers, aus bruchstückhaften Informationen, fragmentarischen Briefen, partiell belauschten Gesprächen und Teilwahrheiten das Ganze herzustellen, liegt auf der Hand. Der Auftritt mehrerer Prinzessinnen im Gewand ägyptischer Wahrsagerinnen führt zu einer Serie von Enthüllungen und verdeckten, nur für Eingeweihte verständlichen Andeutun-

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Anton Ulrich: Aramena, V, S. 305. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 420: »Weil der pförtner befehl hatte/ niemand einzulassen/ als hatte er diesen den eingang verwehret: daß dan diese stolze frauen so unwillig machte/ das sie sich nicht entsahen/ allerhand ungedültige worte den Königen hinein sagen zu lassen.« Anton Ulrich: Aramena, II, S. 490-504. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 6 2 2 - 632. Gerade dieses Spiel schließt auch eine Diskussion über die Uneindeutigkeit und Situationsbezogenheit der äußeren Anzeichen ein, deren Interpretation derselben Undetinierbarkeit unterliegt wie umgekehrt die Grazie. D a »nicht allemal das innerliche mit dem äuserlichen eine gleichförmigkeit« hat, »pflegen wir unsere anmerkungen nicht hieraus allein/ sondern auch aus den gebärden und aus einen gewissen natur-wesen zu nemen/ daß man anderen/ die diese Wissenschaft nicht haben/ unmüglich bedeuten kan/ und das bei gleichsehenden personen/ dennoch unterschieden ist.« Zur »Personenbeschreibung« in der »Aramena« Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 1 6 3 - 1 8 6 . Anton Ulrich: Aramena, V, S. 665 - 671.

353 gen; er präsentiert ebenfalls in Spielform die Kunst des >politischen< Gesprächs.218 Schließlich nehmen zwei der Schauspiele, die Anton Ulrich (der ja selbst Maskeraden und Schäfereien zu festlichen Anlässen verfaßt hatte) in den fünften Teil einrückt, die Erschließungs- und Identifikationsanforderungen auf und verdoppeln damit nach dem Muster des >Theaters im Theater< das Verkleidungsspiel, zumal die Romanfiguren selbst in Rollen aus dem Umkreis des Romanstoffs auftreten. Diese Anlage demonstriert zudem erneut, wie sich das taktische Interesse als eigenständiger Problemaspekt vor die exemplarische TUgendabsicht schiebt. Ich verzichte allerdings darauf, die Verstellung der >wirklichen< Verhältnisse im Theaterspiel im Detail nachzuvollziehen. Der »Streit der Grosmut und Liebe« wird als Ratespiel angekündigt und durch wiederholte Identifikationsbemühungen der Zuschauer unterbrochen: »Jch habe befehl/ (antwortete Jothan) alhier zu berichten/ daß es eine ganz warhafte geschichte sei: doch sind die Königreiche und namen verändert/ welche dan zu errahten/ mithin ganz fleissig gebeten wird.«219 Die Spiele verarbeiten die (politische) Komplexitätserfahrung und die Strategien zu ihrer Bewältigung; sie bleiben, wie Haslinger gezeigt hat, an die Problemstellungen der Romananlage gebunden, 220 vergegenwärtigen sie aber aus einer anderen Blickrichtung, indem sie sie als Simulation in den geselligen »Zeitvertreib«221 und das >Angenehme< überführen. Das >FrömdeErfindung< 218

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Anton Ulrich: Aramena, III, S. 328-337. Das Spiel ist nicht vollständig wiedergegeben, da S. 335 verdruckt wurde. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 307. Der Text des Schauspiels ebd., S. 306 -322. Zu den Schauspieleinlagen Spahr: Anton Ulrich and Aramena, S. 134-137; Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 227-236. Zum Umfeld auch Berns: Trinfo-Theater am Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel; Smart: Doppelte Freude der Musen. Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 236-247. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 622. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 421. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 495.

354 der Mitspieler. Auch Einlageerzählungen wie die »Geschichte der Königin Mirina« und »Die Geschichte des alten Marsius/ Königs in Celten und Basan« werden von mehreren Erzählern zusammengetragen. 224 In der Reihenerzählung stellen sich aus umgekehrter Perspektive ähnliche strategische Anforderungen an die Teilnehmer wie bei der Rekonstruktion von verdeckten Zusammenhängen im ganzen Roman. Die Anlage der Geschichte mit bekanntem (alttestamentarischem) Inhalt und »nach belieben« eingefügten »umständefn]«, wobei alles »der warheit änlich kommen« müsse, »damit nicht ein gedichte daraus werde«, legt das Gewicht auf den Scharfsinn der Erzähler: »Ich finde mich (sagte der Jothan/) in solcher Verwickelung/ [...] daß ich nicht weiß/ wie ich dieses ihr der wahren geschichte eingeschaltete gedichte fortfüren solle.«225 In Sigmund von Birkens Typologie der »Geschichtschriften« steht dieses Konzept der »Gedichtgeschicht« nahe, die »die warhafte Historie mit ihren haupt-umständen« beibehält und »mehr neben umstände« hinzufügt, während sich der Roman als »Geschichtgedicht« zu erkennen gibt, das sich nicht mehr auf den überlieferten Tatbestand, sondern auf das >Wahrscheinliche< verpflichtet. 226 Dennoch ist der Zusammenhang zwischen der Behandlung des Gegenstands als Spielmaterial in Gesprächsspiel und Roman deutlich. Von der Reihenerzählung her fällt ein neues Licht auf die Romanstruktur insgesamt: Sie vergegenwärtigt jetzt nicht mehr nur den Zerfall eines kohärenten Schöpfungsmodells, sondern erscheint in ihrer Komposition aus Beiträgen unterschiedlicher Erzähler zugleich auch als großangelegtes höfisch-geselliges Gesprächsspiel. Ohnehin darf man das Unterhaltende, ja das Heitere zahlreicher Verwechslungen und Mißverständnisse nicht übersehen. 227 Damit stellt sich die Frage nach der Funktion des Spielerischen zumal im Verhältnis zum (politischen) Problemgehalt. Als »edle gemüts ergetzung« kann das Spiel in ein Spannungsverhältnis zu seinem Gegenstand (so im Fall der dramatischen »Reihen-Erzählung der Geschichte von Moab und Ammi«) 228 wie auch zu den gleichzeitigen >wirklichen< Ereignissen geraten (Cimber/Marsius soll hingerichtet und zum neuen Teraphim werden). 229 Um 224 225

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Anton Ulrich: Aramena, III, S. 46-149; IV, S. 230-253. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 507. Vgl. auch ebd., S. 513: »Jch finde für mich allzuschwer/ (sagte Dersine [...]) da der Fürst Jonadas uns berichtet/ Maecha sei im begriff gewesen/ den Rehob zu heuraten/ daß ich nun etwas ersinnen solle/ wordurch solches verhintert worden.« Zu dieser Terminologie Sigmund von Birken: Vor-Ansprache zum Edlen Leser, in: Anton Ulrich, Aramena, I, unpaginiert. Mit Recht verweist Currie: Literature as Social Action, S. 62, auf die Komik mancher Episoden. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 496-530; hier: S. 530. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 656. Zum Beginn der Spiels ebd., S. 666: »Weil die drei Prinzessinnen von Ausitis/ die neben der Königin stunden/ ein sonderbares vergnügen an diesem spiel fanden/ beredten sie die schöne Aramena/ daß sie/ so

355 so deutlicher zeigt sich, daß es darauf angelegt ist, die Harmonie des zufallsbedingt, perspektivisch und interessegebunden Disparaten wiederherzustellen. Ahalibama bemerkt, »daß in dergleichen gesprächspielen/ die gesellschaft einig seyn und gleiche beliebung darzu tragen müste/ sonsten könte eine person alles leichtlich verderben.« 230 Diesem Ziel ordnet sich auch »Der Gedichte-zuwurf« zu, der von den Mitspielern verlangt, aus willkürlich gewählten, gegebenenfalls weit auseinanderliegenden Reimworten »sonder bedacht [...] ein schickliches par verse zu machen/ und solche zuerklären«. 231 Das Spiel fordert, das Auseinanderliegende, die zerfallenen Details argutiös und epigrammatisch in einen Zusammenhang zu »binden«. Sein poetologisches Programm ist in dieser Hinsicht durchaus verwandt mit der spielerischen Komposition von Paradoxa im Greiffenberg-Gedicht. Halten wir fest, daß Anton Ulrich im Spielerischen eine Möglichkeit gewinnt, das Disparate ästhetisch und politisch als vereinbar erscheinen zu lassen. Diese Aufgabe, das eigentlich >heroische< Amt, das Geistesgegenwart, strategisch-dispositorisches Vermögen, Gedächtnis und psychologische Gesellschaftskompetenz voraussetzt, liegt in der Verantwortung der Mitspieler beziehungsweise - mit Blick auf den Roman - in der des Verfassers. Von der Qualifikation der Beteiligten hängen die Plausibilität des >anmutigen< Gesamteindrucks, damit aber auch Stabilität und politische Kontrollierbarkeit des Systems ab. Verstöße gegen die Regeln werden deshalb im Pfänderspiel unverzüglich geahndet: »Hiemit/ als sie warname/ daß der Altadas eingeschlummert/ würfe sie ihm den granatapfel zu/ mit den Worten/ schrecken/ wecken. Altadas/ so sich sobald nicht erholen konte/ wurde eines pfandes verlustig«.232 Auch das Spielerische muß vor der Gefährdung durch den »Ernst« geschützt werden: »Jhr vergesset zusammen/ (fiele ihr Mamellus ins wort/) daß wir spielen/ und nicht ernstliche dinge fürhaben.« 233 Die romanin-

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betriibt und unruhig sie in ihrem herzen ware/ auch mitzumachen ihr gefallen ließe«. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 530. Anton Ulrich: Aramena, III, S. 338. Zur Disparität der Reimworte S. 342: »Hierauf stellte er der Timna/ mit dem zeichen/ zwei (seiner meinung nach) schwere worte zu/ in hofnung/ sie ein pfand verlieren zu machen. Sie aber fände sich bald darein/ und ließe/ von den Worten/ Schalk/ Kalk/ diese verse hören [...]«. Vgl. auch S. 343: »Auf den Cimber ließe sie hiemit das zeichen fallen/ samt den aufgab-worten/ blasen/ rasen; vermeinend dieselben wären so schwer/ daß der Prinz nichtes würde darauf ersinnen können.« Anton Ulrich: Aramena, III, S. 339. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 504. Vgl. auch III, S. 340: »Solte ich diese meine reimen/ (sagte sie [Indaride] folgends) ferner erklären/ würde ich eher einem leichgespräche/ als diesem spiel/ sein recht thun.« Vgl. auch die Bewältigung einer kritischen Situation während des Theaterstücks »Der tugend und laster lohn«, V, S. 433£: »Jndem der Adonisedech hiermit niederfiele/ und aus einer blase voll blut/ die er unter den kleidern verborgen gehabt/ das blut hervor springen ließe/ entsezte sich die Königin von Tyrol die Orosmada/ darüber/ daß sie überlaut anhübe zu schreien: wornach sie doch sofort sich wieder begriffe/ und diese ihre ver-

356 temen Spiele wie auch der Roman als Spiel demonstrieren die Geschicklichkeit, die wahre Ordnung des Ganzen in der artifiziell arrangierten anmutigen Geselligkeit zur Erscheinung zu bringen (oder sie auf diese Weise zu retten). In ihnen verbirgt sich deshalb auch ein Disziplinierungsprogramm. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß auch die Hofmanns- und Umgangslehren (Castiglione, Guazzo, aber auch Harsdörffer) die Präsentationsform des Gesprächsspiels im >Nebenzimmer< unter der scheinbar machtfernen Dominanz der Frauen bevorzugen. 234 Im Rückblick wird aus dem Versagen der Tyrannen Belochus, Mamellus, Beor, Italus Kitim u.a. weniger ein Verstoß gegen unabhängig von politischen Erwägungen geltende Tugendmaximen als ein Abweichen vom politischen Gesetz des »ergetzlichen« Spielens. - Insofern die Spiele darauf angelegt sind, den Eindruck der Harmonie des Ganzen entstehen zu lassen, sind sie eine Strategie, die grundierenden Spannungen und Interessen zu dissimulieren, und auf verdeckte Weise selbst Funktionselement des politischen Spiels. Bezogen auf den Roman gilt, daß das Verschleiern technischer Eingriffe des Erzählers, anders als bei Bucholtz, zur notwendigen Aufgabe der Gesamtkonzeption wird, deren Mißachtung mit dem spielerischen Eindruck das Darstellungsinteresse stören würde. Damit zeigt sich erneut der gewandelte exemplarische Sinn der Aramena: Eine handlungsanleitende Tugendlehre kann der Roman, wie wir sahen, nicht mehr vermitteln; an ihre Stelle tritt die Einübung in die Kompetenz des Spielens.235 Die Transformation des Konfliktpotentials in ein >anmutiges< Spiel ist verwandt mit Castigliones Konzept der Grazie, auch wenn im Roman unter absolutistischen Bedingungen die Rahmenordnung, unter der das Spiel gelingen kann, nicht schon vorgegeben ist, sondern selbst erst konstruiert werden muß. Auf das Funktionieren des Spiels als verdeckte Überbietungstechnik nach dem Muster der Anmut zielt, wenn auch ausdrücklich nur auf die Vermittlung der religiösen Botschaft bezogen, das Greiffenberg-Gedicht:

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gebliche furcht mit einer schamrote entschüldigte. Aber dieses stiege/ so sehr als das vorhergehende/ dem König Tiribaces/ der ohne das schon eifersüchtig war/ zu köpfe/ und vermehrte seine unruhe. Dennoch zwunge er sich/ und sähe dem spiel ferner mit zu«. Vgl. Castiglione: Das Buch vom Hofmann, S. 2 1 - 3 0 ; Guazzo: D e civili conversatione, S. 372-417. Zur Forschung Krebs: Harsdörffer als Vermittler des »honnêtetéIdeals. Zur »Tradition der Gesprächsspiele« Zeller: Spiel und Konversation im Barock, S. 7 7 - 9 3 . Voßkamp: Romantheorie in Deutschland, S. 21, schreibt dem Roman neben »einer theologischen Erbauungsfunktion« und dem »Hervorheben politischer Lehr-Aufgaben« auch das Amt zu, das Schema »von Tugendlohn und Sündenstrafe« herauszuarbeiten. Für die »Aramena« gilt, daß diese Formel nicht mehr unkommentiert übernommen werden darf, weil die Vermittlungsform auch den moralischen Gehalt des Romans grundlegend wandelt.

357 Bekehren/ Göttlich ist/ und komt von solchen Sinnen. Geschiht es so im Spiel: was wird der Ernst beginnen: Strait so/ ein Flämlein Geist: was gibt für Wärm' und Schein die Sonne selber wol! fällt so ein Leicht [!] herein/ vom kleinem Schatten nur: was Geist- und Flammen-fluten kan man/ vom höhern thun/ noch hoffen und vermuten: Wan man/ vom kleinen/ recht auf grosses schließen kan/ so zeigt/ diß Fünklein Feur/ uns einen Ethna an der Gottverehrungs-brunst. 236 Entfaltet sich die >anmutige< Wirkungsstrategie des Spiels vom überschaubaren Kreis, dem verdeckten Rückraum des Hofs und der scheinbar machtfernen Gesellschaft der Frauen her, so vollzieht sich der festliche Auftritt allgemein sichtbar und vor den Augen der Untertanen oder doch einem größeren Publikum. 237 Während das Spiel den Eindruck der Homogenität und Übereinstimmung erzeugt, demonstriert das Fest Differenz und Distanz: »Weil die Königin Delbois von Ninive/ seit ihrer ankunft in Damasco/ wegen unpäslichkeit der Königin von Uro/ sich noch nicht [...] öffentlich sehen lassen/ noch die ehrbezeigungen/ so für sie bereitet waren/ angenommen hatte: als wolte sie/ [...] dem Statthalter und deren Fürsten von Syrien solches nicht länger versagen.« 238 Bei einem Turnier werden die Seiten des Kampfplatzes »von vielen tausend personen/ die da zusehen wolten/ bekleidet.« 2 3 9 Als allgemein wahrnehmbare Ereignisse sind die Festinszenierungen auf den imponierenden Eindruck ausgerichtet. Sie greifen unterschiedliche Anlässe und Festtypen oder festliche Ereignisse (Turnier, Entrée, »lustfahrt«) auf und können sich literarisch an die Gattung des Festbeschreibung bzw. an die ein236

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Greiffenberg: Uber die Tügend-vollkommene unvergleichlich-schöne Aramena, in: Anton Ulrich: Aramena, III, unpaginiert. Über den »Spielbegriff bei C. R. von Greiffenberg« Zeller: Spiel und Konversation im Barock, S. 131-146. Zum Verhältnis von Fest und Spiel vgl. die Ausführungen zu Fest und Divertissement bei Plodeck: Hofstruktur und Hofzeremoniell in Brandenburg-Ansbach, S. 170-174 und 237, die jedoch das »Divertissement« nur unter dem Entlastungsaspekt sieht. Meine Unterscheidung zwischen Spiel und Fest in der »Aramena« ist im übrigen verwandt, aber nicht deckungsgleich mit der Differenz zwischen dem »Ceremoniel der grossen Herren/ in Ansehung ihrer Unterthanen« (S. 537ff.) und dem »Ceremoniel bey unterschiedenen Arten der Hochfürstlichen Divertissemens« (S. 732ff.) in Rohrs »Ceremoniel-Wissenschafft der grossen Herren«. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 340. Dieser Einleitung folgt die Darstellung einer »lust-fahrt« mit anschließendem Mahl. Zur Forschung u.a.: Alewyn/Sälzle: Das große Welttheater; Straub: Repraesentatio Maiestatis oder churbayrische Freudenfeste; Berns: Die Festkultur der deutschen Höfe zwischen 1580 und 1730; Strong: Art and Power; Braungart: Hofberedsamkeit, S. 151-162; Watanabe-O'Kelly: Triumphall Shews; Wade: Emblems of Peace; dies.: Triumphus Nupitalis Danicus; Spectacvlvm Evropaevm. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 173. Vgl. auch II, S. 179, zum Einzug in Damaskus: »Wie sie nun in Damascus kamen/ sahen sie die gassen mit den stattlichsten decken behänget/ und das Syrische weibesvolk/ auf das zierlichste geschmücket/ in den fenstern ligen. Es waren die gassen so voll volks/ daß man kaum einen freien durchzug haben kunte.« Ähnlich IV, S. 767.

358 schlägigen Lehrbücher anlehnen. Anweisungen zum festlichen Aufzug der Teilnehmer eines »Ritterspiels« in mehreren jeweils programmatisch und einheitlich gekleideten Parteien findet man ζ. B. in Löhneyss' Della Cavalleria.240 Ähnliches gilt für den Einzug der Delbois/Aramena in Damaskus, den der Erzähler (wie auch den Hochzeitszug von Belochus, Beor und dem Pharao in Damaskus) in seiner »Ordnung« darstellt und überdies mit einem rudimentären Bildprogramm ausstattet und der auf die Tradition der festlichen Entrée zurückweist. 241 Im Festkontext legt der Erzähler Wert auf ein glanzvolles Erscheinungsbild. Auch aus der Betonung des beeindruckenden Auftritts erklärt sich, daß Festszenen bevorzugt mit Kupferstichen illustriert werden. 242 Vor Beginn der Lustfahrt »sähe man auf den Königlichen schloßhof/ die Fürsten von Syrien/ neben allen frömden herren/ die in Damasco waren/ zu pferd ankommen. Denen etliche vergüldete köstliche wägen/ jeder für vier personen/ folgeten/ die mit den mutigsten pferden bespannet/ und sonst auf das herrlichste ausgezieret waren.« 243 Besondere Sorgfalt gilt der Inszenierung der Zentralfiguren, deren Äußeres das ihrer Umgebung überbieten muß. In diesem Zusammenhang fällt auch das Stichwort des Majestätischen. Auf dem Schauplatz des Turniers erscheint als letzter Marsius, »der wegen der vielen diamanten und anderer edelsteine/ mit welchen er bezieret/ solchen glänz von sich gabe/ daß er die äugen blendete. Aber sein majestätisches wesen schiene unter diesem pracht so herrlich herfür/ daß man ihn auch/ ohne diesen grossen schmuck/ hätte bewundern müssen.« 244 Ähnlich liest man über Aramena beim Einzug in Damaskus: »Jhr angesicht/ welches so majestätisch als gütig/ so verständig als from aussahe/ prangte mit den angenemsten schwarzen äugen/ dergleichen iemals die natur einiger sterblichen person mogte verliehen haben.« 245 Die Festbeschreibungen beziehen sich auf die >politische< Lehre vom reputationsdienlich gravitätischen und heroischen Auftreten des Für24(1

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Anton Ulrich: Aramena, I, S. 172t Löhneyss: Della Cavalleria, S. 112-159 (mit zahlreichen Illustrationen). Weitere Quellen: Liinig: Theatrum ceremoniale; Rohr: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaft der großen Herren, vierter Teil (»Von dem Ceremoniel bey unterschiedenen Arten der Hochfürstlichen Divertissemens«, S. 732ff.). Anton Ulrich: Aramena, II, S. 176-185; IV, S. 766-775. Vgl. exemplarisch Möseneder: Zeremoniell und monumentale Poesie. Die >Entrée solennelle< Ludwigs XIV. 1660 in Paris. Beispiele: Anton Ulrich: Aramena, I, S. 147; II, S. 181; II, S. 343; IV, S. 773; V, S. 67. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 340. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 174. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 177. Vgl. ebd., S. 176f., die detaillierte Beschreibung von Aramenas Kleidung bei dieser Gelegenheit. Vgl. auch I, S. 144, wo Ahalibama und Aramena »mit ihrer Schönheit aller menschen äugen dermassen an sich zogen/ daß schier das volk von seiner andacht gezogen wurde/ und diesen irdischen göttinnen ihre geheime andacht opferten. Der Beor grüssete sie mit einer majestätischen freundlichkeit/ als sie vor ihm fiirbei giengen.«

359 sten, das gleichzeitig durch eine distanzmindernde Symbolik gemäßigt wird. Während im Spiel die Fähigkeit im Mittelpunkt steht, den Eindruck des »Emsts« elegant zurückzunehmen, kehrt der festliche Auftritt die Dignitas des Fürsten hervor. Der Zusammenhang von Fest, Reputationsgewinn und politischem Interesse tritt allerdings nur für die >despotischen< Figuren (als Affektation) in den Vordergrund. Der Statthalter in Damaskus, Mamellus, läßt bei dem Fest zu Ehren seiner Tochter Milcaride »geld auswerfen unter das volk: üm dadurch nicht allein des gemeinen mannes neigung an sich zu ziehen/ sondern auch dem ruff/ daß/ an stat der Syrischen Aramena/ die Chaldeische Milcaride wäre wieder gefunden worden/ desto läuter und weiter auszubreiten.« 246 Wie die Spiele, so nehmen auch die Festarrangements Momente der Dissimulations-, Verwirrungs- und Entschlüsselungsstruktur in sich auf, die den Roman insgesamt bestimmt. Die Festdarstellungen arbeiten mit undurchschaubaren Verkleidungen und können überraschende Perspektivenwechsel inszenieren. Das geplante Hochzeitsfest von Aramena, Ahalibama und Amesses mit Belochus, Beor und dem Pharao verwandelt sich in die Zerstörung des Isis-Standbilds durch die Prinzessinnen. An dem festlichen Einzug in Damaskus nehmen zahlreiche Prinzen und Prinzessinnen in Verkleidung teil; er mündet in eine Folge vorausdeutender und an diesem Punkt noch nicht zu entschlüsselnder Szenen: Die Kronen von Ninive und Syrien, die an der Ehrenpforte angebracht sind, lösen sich; eine davon fällt dem Dison in Wirklichkeit der verkleideten jüngeren Aramena, die später an Disons Seite Königin von Ninive wird - in den Schoß, »und die andere verlohre sich im gedränge« (sie steht dem syrischen Thronfolger Aramenes zu, der zu dieser Zeit noch als Abimelech bekannt ist). Drei ausgebrochene Löwen werden von Aramena (in Wirklichkeit dem verkleideten Dison), Abimelech (in Wirklichkeit Aramenes) und einem unbekannten Ritter (Cimber, in Wirklichkeit jedoch Marsius) erlegt. Nachträglich bieten diese Vorgänge Anlaß zu wiederholten Entschlüsselungsbemühungen. 247 Analog zum Illusionismus der Gesamtkonstruktion entpuppt sich bei einem Fest in Thanac ein scheinbarer Festzug als eine Schar vermummter Ritter, die Ahalibama und die jüngere Aramena aus der Hand des Königs Beor und des Prinzen Hemor befreien wollen. 248 Auf solche Effekte trifft man ebenfalls in der plötzlichen Verwandlung einer Hinrichtung in eine Hochzeit oder in eine Rettung. 249 246 247

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Anton Ulrich: Aramena, III, S. 42. Anton Ulrich: Aramena, II, S. 180-183. Vgl. auch II, S. 116-120, wo zwei unbekannte Ritter die Preise auf einem Tiirnier gewinnen. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 146-149. Anton Ulrich: Aramena, III, S. 246 -248; dazu auch die Wirkung auf die Zuschauer: »Der König Lucus bliebe hierüber ganz verbaset/ nicht wissend/ was dieses wol bedeuten möchte.« V, S. 874£ mit Rückbezug auf die scheinbare Hinrichtung am Ende der Apries-Amorite-Erzählung (I, S. 243f.).

360 Ähnliche Vorkehrungen finden sich auch als Bühnenmaschine wieder: »Als hiemit Jothan wieder abgetreten/ öffnete sich/ gerad gegen den zusehenden über/ ein gebüsche/ welches so künstlich unter den andern bäumen gestanden/ daß man vermeinen sollen/ als wäre alles natürlich gewesen. Es ließen sich dahinter/ in der fernung/ viel kriegsgezelte und ein heerlager sehen«. 250 Darüber hinaus stehen sie in der Tradition argutiöser Festkonzepte, wie sie z.B. bei Emanuele Tesauro angelegt sind. 251 Die >scharfsinnige< Einrichtung, der die Inszenierung einzelner Feste ihren ästhetischen Reiz verdankt, verbindet dabei das Majestätische mit dem Spielerischen. Sie bewirkt, daß das Reputationsíírefcen nirgends unvermittelt zum Ausdruck kommen kann. Entsprechend endet der Roman zwar mit einer Reihe von Hochzeiten, die aber nicht als prächtiges Fest inszeniert werden. Als eigentliches Fest erkennt man vielmehr den Roman als ganzen: Augentäuschungen, verschobene Perspektiven und tiefgestaffelte Kulissen im Rahmen einer politischen Handlung erlauben es, ihn nicht nur wie ein Spiel, sondern auch wie eine concettistisch angelegte höfische >Lustbarkeit< zu betrachten. Auch von der Seite der Gravitas her ist der Roman auf die Dissimulation von Macht und Interesse angelegt. Im Komplementärverhältnis von gravitätischem Fest und graziösem Spiel verbirgt der Roman das in ihm angelegte Problem des politischen Interesses. Durch die Transformation des Politischen ins festliche Spiel, durch die verdeckt-künstliche Bewerkstelligung eines glanzvollen Erscheinungsbilds gelingt es, die Schöpfung suggestiv als sinnvollen Zusammenhang anschaubar zu machen. Als spielerischer und festlicher Idealentwurf, der auf Handlungsrezepte verzichtet und sich einer unmittelbar nachahmenden Umsetzung entzieht, stellt sich das Werk in die literarische Tradition der heroischen und idealisierenden Hofmannslehren. 252 Jetzt wird auch deutlich, daß detailintensive Kampfszenen, Schlachtbeschreibungen und Greueldarstellungen sich mit seiner Anlage nicht vertragen würden. 253 Einem genaueren Blick in die Mechanik des Romans bleibt aber nicht unverborgen, daß er sich in seinem Anspruch, eine umfassende Sinnordnung der politischen Welt zu synthetisieren, von einem partikular-legitimatorischen Interesse nicht lösen kann. Er unternimmt den selbst ins Unendliche führen250

Anton Ulrich: Aramena, V, S. 307. Vgl. Tesauro: Il canocchiale aristotelico, S. 56-58. Dazu Pollack: Turin 1564-1680, S. 65. 252 Vgl. dazu unten 6.1. 253 Voßkamp: Romantheorie in Deutschland, S. 16, begründet mit Blick auf Birkens Vorrede die »Notwendigkeit ästhetischer Gesetze der Romanfiktion«, damit zugleich die Artifizialitätsanforderung, nur unter dem Aspekt der Theodizee durch Abbildung »des universalen Geschichtssystems«. Wenigstens für den Roman wäre damit aber lediglich die Überzeugungsabsicht benannt. Die »Notwendigkeit ästhetischer Gesetze« ergibt sich erst aus der Unumgänglichkeit der Interessendissimulation. 251

361 den Versuch, die politischen Partikularisierungen vollständig mit den Mitteln der Politik zu bewältigen. Offenbar trägt auch dieser Anspruch dazu bei, daß Arbeit und Leiden eine gewisse Eigendynamik gewinnen und sich nur schwer in das Spielkonzept einfügen können. 5.3.2 Schäferroman und Staatsroman: Zum fünften Teil der Ar amena Schauplatz des letzten Teils der Aramena ist Mesopotamien, das gemäß einer Einigung am Ende des vorläufig abschließenden vierten Teils der rechtmäßige syrische König Aramenes seiner Schwester Aramena als Königreich zugesprochen hatte: Aramenes will Krone und Zepter »nicht anders annemen [...]/ als dieses mächtige reich mit ihr zu teilen/ massen er ihr das reich Mesopotamien/ als einen teil von Syrien/ annötigte/ und muste sie geschehen lassen/ daß man sie forthin die Königin von Mesopotamien nennte.« 254 Dieses Land gilt als Domäne alttestamentarischer Schäfer (Laban, Jacob, Rahel, Lea), sodaß der Abschlußband zur »mesopotamischen Schäferey« wird. Man mag ihn deshalb als Beitrag zu der in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts unterrepräsentierten höfischen Bukolik betrachten. 255 Als solcher steht er im Romankontext in gewissem Umfang unter eigenen Gesetzen: Die nicht abgeschlossenen Fäden der Haupthandlung, allen voran der AramenaMarsius-Komplex und die Ahalibama-Elieser-Handlung, werden nicht weiter verkompliziert, sondern zur »Entknötung« gebracht, was (wie Spahr bemerkt) auch schon am Ende des vierten Teils möglich gewesen wäre.256 Das Schäferliche gewinnt Eigengewicht und begründet selbständige Ereignisstränge, die mit den ersten Teilen des Romans in keinem Handlungsnexus stehen. Entsprechend schaltet Anton Ulrich neben den zusammenhangstiftenden Lebenserzählungen solche ein, die sich hauptsächlich auf interne Entwicklungen im fünften Teil beziehen, nicht oder nur begrenzt zur Kenntnis der Handlungssystematik beitragen und zu einem geringeren Umfang tendieren als die früheren Erzähleinlagen. 257 Schließlich verlegt der Autor auch die drei eingelegten Schauspiele in den letzten Band. Dieser bietet trotz aller andauernden Ungewißheit weniger eine Fortsetzung des Rätselspiels als eine umfassende Schlußinszenierung im schäferlichen Rahmen. 254

Anton Ulrich: Aramena, IV, S. 874. Garber: Arkadien und Gesellschaft, S. 56. 256 Grundlegend für die Interpretation des fünften Teils Spahr: Anton Ulrich and Aramena, S. 131-154. 257 Ygj z g Anton Ulrich: Aramena, V, S. 153-178 (»Die Geschichte des Chersis und der Amphilite«); S. 259-290 (»Die Geschichte des Sinear/ Elihu und Bethuels/ mit den dreyen unbekanten Schönheiten«); S. 519-538 (»Die geschichte der drei Prinzessinnen Jemima/ Kezia und Kerenhapuch«), Hingegen gehört »Die geschichte des Ttoscus Sicanus/ Königs der Aborigener« (S. 336-378) als wichtiges Bindeglied in den zentralen Handlungszusammenhang. 255

362 Doch wenden wir uns, um die Funktion des Schäferlichen im Roman zu bestimmen, zunächst Konfliktaspekten des fünften Teils zu. Den politischen Angelpunkt bilden die Auseinandersetzungen um den heidnischen Teraphim-Tempel als zentralen Kultort der mesopotamischen Schäfer. Anton Ulrich gestaltet dieses Orakel zum Beispielfall der (politisch-)religiösen Auctoritas, indem er es mit einem aufwendigen und auf Erschütterung und Schrecken ausgerichteten Zeremoniell umgibt. Die Inszenierung eines Orakelspruchs ist geradezu Beispielfall >künstlicher< Bewerkstelligung eines psychologisch wirkungsvollen und politisch einflußreichen Charismas. Dies gilt um so mehr, als die Deutung der Orakelsprüche Gegenstand politischer Partialinteressen wird. Der Teraphim-Komplex thematisiert religionspolitische und ästhetisch-psychologische Mechanismen, die die Reputationslehren der Kontrolle unterwerfen wollen: Wie nun eine allgemeine stille unter dem volk entstanden/ und der Telecles/ neben den andern priestern/ den Teraphim mit statlichem weirauch beräuchert hatten/ thäten sich auf einmal die lichter aus/ so für seinem haubt angezündet waren: da es zugleich lautete/ als wan ein erdbeben entstanden wäre. Das ganze volk sähe und vernarne dieses mit grossem entsetzen/ und dränge hinzu/ zu vernemen/ was der heilige todtenkopf/ der etliche mal das gebiß rürete/ sagen würde. 258

Natürlich darf die Aramena keineswegs zur politischen Anweisungsliteratur gezählt werden. Gleichwohl findet sich im fünften Teil als einer der Leitfäden die Frage, auf welche Weise der Fürst seine Herrschaft in einem neu in Besitz genommenen Gebiet konsolidieren, mit welchen Mitteln er die Zuneigung der neuen Untertanen gewinnen könne und wie er sich bei seinem Regierungsantritt am geschicktesten zu verhalten habe. Als einschlägige Detailprobleme greift der Roman die Beseitigung von Spannungen unter den Untertanen auf, besonders mit Blick auf die Rechtsprechung, die Vermeidung des Bürgerkriegs, die Einführung einer einheitlichen und >wahrenSchärfekünstlichwarsagungbeschönt< »ihre verhelung damit [...] daß sie sich für dem Oromedon/ ihrem strengen manne/ gefürchtet/ der ihr diese genommene freiheit/ sich in manskleider zu verstellen/ sehr würde verüblet haben. Wiewol nun die Königin die rechte Ursache wol wüste/ so name sie doch diese an/ weil sie ihren zweck dadurch ja so wol erlangen kunte.« Anton Ulrich: Aramena, V, S. 636. Zu Aramenas Verstellung während der Zeremonie S. 636 -641. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 72f. Vgl. auch S. 506; 508-510; 718f. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 772.

364 und Simplizität einschließlich der Ingredienzien von amoener Umgebung »das liebliche thai an dem fruchtbaren berge Masius« 264 - , Spiel, Gesang, Tanz und Dichtkunst. Zeremoniell und räumliche Distanzierungssignale scheinen in der Welt der Hirten beseitigt zu sein: »Selbige beide Fürstinnen [Rahel und Lea] leben/ gleich anderen hirtinnen/ bei den heerden/ und erhalten damit die weise/ so unser grosvatter/ der Fürst Bethuel/ eingefürt: welcher der erste gewesen/ so ihm die feldlust also zu nutz gemachet/ daß er das landleben dem pracht in den schlossern und Städten fürgezogen.«265 Das pastorale Genre stellt, wenigstens auf den ersten Blick, einen Gegenentwurf zum Heroischen, Politischen und Höfischen bereit. Dem heroischen Konflikt- tritt das schäferliche Harmoniemodell gegenüber, dem >heldenmäßigen< Übertrumpfen das pastorale Unterbieten, dem gravitätischen der anmutige und scherzhafte Ton, dem höfisch-staatlichen Genus sublime das Genus humile: »Wer hätte/ vor einem jähr/ den dapfren Nahor unter solcher kleidung suchen/ und ihm einbilden können/ daß er/ an stat eines kriegheeres/ nun eine heerde schafe führen würde?« 266 Als Zuflucht vor politischen Überforderungen hatte das Schäferliche schon zu Beginn des Romans eine gewisse Hintergrundrolle gespielt. Anton Ulrich bezieht insofern die Schäferei von Anfang an in die Staats- und Liebeshandlung ein. Auf die >mesopotamische Schäferei< vorausdeutend bemerkt Ahalibama im ersten Teil: »Wolten die götter/ daß es mir so gut werden könte/ neben meinen Elieser mein leben in diesen schäferstande zuzubringen! wie gutwillig wolte ich doch/ dem Beor/ sein Canaan und allen Königlichen pracht überlassen.« 267 In einzelnen Erzählsträngen greift der fünfte Teil das Motiv des Rückzugs vor unlösbaren Welthändeln in die Schäferei auf: So überläßt Fürst Elihu »die krön von Hemath dem Baracheel seinem vatter [...]/ üm in Mesopotamien ein schäfer zu werden/ und dadurch aller weit zu zeigen/ wie er die ehrsucht überwunden/ und nun ein herr über sich selbst geworden wäre.« 268

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Anton Ulrich: Aramena, V, S. 5. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 249f. Ein Beispiel schäferlich-hofkritischer Poesie V, S. 118f. Zu schäferlichen Tänzen und Spielen ebd., S. 250-256. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 25. Vgl. auch S. 8, wo die Prinzen 1\ibal und Baalis aus Basan sich fragen lassen müssen, ob »es wol müglich wäre/ daß zwei so grosse helden unter so schlechte hirtentracht sich verstecken mögen?« Zum Gegensatz von Heroischem und Schäferlichem auch S. 487: »Die Petasiride/ welche die schöne Rahel fürgestellet/ erschiene/ unangesehen sie sonst sehr heroisch- und kriegerischen wesens war/ unter diesem schäferkleide so sanftmütig und dabei fürtreflich schön/ daß fast die Königin von Ninive nicht leiden kunte/ wan ihr Dison sie zu viel ansahe.« Für eine typisierende Gegenüberstellung vgl. Wiedemann: Heroisch Schäferlich - Geistlich. Anton Ulrich: Aramena, I, S. 249; vgl. auch S. 348f. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 6. Vgl. auch S. 25 (zu Nahor und Bethuel); S. 2 0 2 216 (»Die Geschichte des Baalis und Daces«, die auf Zusammenhänge bis zum ersten Teil zurückgreift) und S. 253-290 (»Die Geschichte des Sinear, Elihu und Bethuels/ mit den dreyen unbekanten Schönheiten«),

365 Tatsächlich jedoch zeigt sich das Hirtendasein der Hofgesellschaft stets als Verkleidungsspiel. Der Text führt dem Leser vor Augen, wie die Figuren, die in Mesopotamien eintreffen, das Schäferkleid als Maske, als »Verstellung« anlegen: Tuscus Sicanus zieht Hirtenkleider der Prinzen Daces und Baalis an, die er jedoch »nur als gelihen annemen wil«. Zu den Verkleidungen gehören ebenso die Schäfernamen. 269 Dem Verkleidungsschema folgt schließlich auch die verschlüsselte Aufnahme von Personen aus dem Umkreis des Verfassers in den Roman. Ebenso wie sich Aramena und andere Fürsten als Schäfer zeigen, erscheinen Anton Ulrich, weitere Mitglieder des Braunschweigischen Fürstenhauses und ihm nahestehende Literaten im Gewand dichtender Hirten: Wie Spahr nachweisen konnte, verbergen sich (um nur eine Auswahl zu nennen) in Ausicles Anton Ulrich, in Suriane seine Schwester Sibylle Ursula, in Beiisar Sigmund von Birken und in Uranie Catharina Regina von Greiffenberg. 270 Behalten wir den Eintritt des Braunschweigischen Hofs unter dem Vorzeichen schäferlichen Dichtens in den Roman für einen Rückblick auf die literarische Konzeption der Aramena im Auge. Unter dem schäferlichen Gewand bleibt »diese Götter gesellschaft« 271 auch bei unerwarteten Begegnungen immer als fürstliche erkennbar. Alle Annäherungen an das Volk, wie sie im Schäferhabit in gewissem Umfang möglich sind, mindern deshalb die Distanz zwischen Fürsten und Untertanen nur scheinbar. 272 Sogar darin, daß längere Schäferverkleidungen und komische Verwicklungen >geringeren< Fürsten vorbehalten bleiben, wahrt die »Mesopotamische Schäferey« das Decorum. 273 Vor allem demonstriert aber das Fest, wie das Majestätische im schäferlichen Milieu verdeckt erhalten bleibt. Die >Einholung< der neuen Königin bei ihrer Ankunft greift Bestandteile höfischer und urbaner Feierlichkeiten auf und paßt sie der pastoralen Umgebung an, läßt aber ihre Herkunft noch durchscheinen, sodaß die Festmahlzeit »so wenig/ als die übrige entfahung/ zu gemeinen hirten sich 269

Zum Verstellungsbegriff Anton Ulrich: Aramena, V, S. 9. Zu lüscus Sicanus S. 200£ Zu den Schäfernamen z.B. S. 23. 270 Vgl. im Roman vor allem Anton Ulrich: Aramena, V, S. 227-246. Dazu Spahr: Anton Ulrich and Aramena, S. 153 sowie überhaupt S. 131-154. Ebenso scheint für die »Octavia« zu gelten, daß es sich um einen Schlüsselroman handelt. Vgl. dazu die Hinweise in Bodemann: Leibnizens Briefwechsel mit dem Herzoge Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, S. 169; 234; 239. 271 Anton Ulrich: Aramena, V, S. 63. 272 Ygj z g Anton Ulrich: Aramena, V, S. 65, wo sich die »königliche personen« unter die Schäferinnen mischen, »eine angeneme unordnung machten/ und sich also von selbigen Schönheiten/ die nicht gemein waren bewilkommen ließen.« Vgl. auch S. 513. Zur Distanzwahrung die Spiele S. 250-256, wo ebenfalls eine Vermischung von Schäfern und Fürsten vermieden wird. 273 Eine komische Einlage findet man z. B. in dem Gespräch zwischen Elihu und Bethuel über ihre Liebe zu drei Schäferinnen, zwischen denen eine Entscheidimg unmöglich ist (Anton Ulrich: Aramena, V, S. 219-223). Dazu auch S. 253 -290.

366 reimte.« 274 Der Empfang der Königin in Mesopotamien ist als Schäferereignis der »Entrée« in Damaskus zugleich nachgebildet und entgegengesetzt. Aramenas Triumphwagen, »ob er gleich von schäffern her käme/ war dennoch so überaus prächtig/ daß seines gleichen vorhin nie war gesehen worden«; der Obst- und Blumenschmuck ist »von gold verfärtigt« und »mit rubinen schmaragden/ safiren/ diamanten und anderer art edelgesteine reichlich besetzet«. 275 Selbst in den weniger prachtvollen Triumph- und Ehrenpforten aus Laub bleibt verdeckt die Erinnerung an den Marmor erhalten: Etliche unter den Schäfern waren geschäftig/ ehrenpforten aufzurichten: welche/ an stat des marmors/ von allerhand wolriechendem laube zubereitet wurden/ und zwar den pracht der künstlichen bau-arbeit nicht fürstellten/ dagegen aber/ wegen ihrer unschuldigen verfärtiger und deren wolgemeinten willens/ destomehr annemlichkeit und Vergnügung von sich gaben. Die Hirtinnen banden/ zu diesen ehrenpforten/ von blumen/ welche damals der antretende früling verliehe/ allerhand kränze und gebände.276

Die pastorale Verkleidung löst fürstliches Decorum und Machtpraxis nicht ab, sondern dissimuliert sie und setzt dabei die Majestät erst wirkungsvoll in Szene. Ein Auftritt der Aramena zeigt, daß die Schäferei als >künstliches< Understatement funktioniert, das fürstliche Größe um so mehr zu Geltung bringt. Das Schäferliche erweist sich als Kunstform heroischer Repräsentation, als Erscheinungsweise der Grazie: »Es leuchtete aber/ unter so schlechtem gewand/ die fürtrefliche Schönheit der Aramenen fast herrlicher herfür/ als sonst bei ihrem purpur und seiden; und hätte es ihre Vollkommenheit zugeben können/ daß man sie einmal schöner als das andermal preisen dörfen/ so solte es wol bei dieser kleidung geschehen sein.« 277 So läßt sich absehen, daß auch die pastorale Verkleidung zum Repertoire kalkulierter >politischer< Maßnahmen gehört. Wenden wir uns, um die Dimensionen dieses Kunstgriffs einschätzen zu können, der letzten der drei Schauspieleinlagen zu, dem »Schäferspiel von Jacob/ Lea und Rahel«. Dieser Text entstammt zwar nicht Anton Ulrichs Feder, sondern derjenigen Sigmund von Birkens, doch darf man annehmen, daß der Herzog ihn als Schlaglicht auf die Bedeutung des Schäferlichen im Roman piaziert hat. 278 Das Schäferspiel, das sich in den Grundelementen der Handlung an der alttestamentarischen Vorlage orientiert (vor allem Genesis 29), demonstriert den gänzlichen Zerfall eines sinnvoll geordneten Schöpfungsbilds. Der Plan, Jacob nicht mit Labans erstgeborener Tochter Lea zu verheiraten, sondern mit der jüngeren und schöneren Rahel, ihn aber in der Hochzeitsnacht mit Lea 274 275 276 277 278

Anton Ulrich: Aramena, Anton Ulrich: Aramena, Anton Ulrich: Aramena, Anton Ulrich: Aramena, Zur Verfasserschaft vgl. S. 153.

V, S. 68. V, S. 62. V, S. 5f. Vgl. auch S. 55. V, S. 513. die Übersicht bei Spahr: Anton Ulrich and Aramena,

367 zu »betriegen«, 279 kennzeichnet eine Welt, die in dichotomische Widersprüche zerlegt ist und stets zu >politischem< Handeln führt. Liebe und Besitz, 280 die heroische Existenz im Krieg und am Hof und das kontemplative Schäferdasein, 281 Tilgend und Gehorsam den Eltern gegenüber 282 Liebe und Recht, Schönheit und Tugend, 283 speziell auch Schönheit und Treue, 284 das Rechte und das Nützliche (honestum und utile) 285 erscheinen als unvereinbar. Birken läßt das Widersprüchliche in stichomytischer und epigrammatischer Verdichtung antreten: Jab[al]. Was unrecht ist/ das ist nicht wol gethan. Nab[al]. Was nützt/ ist recht.286

Das Schäferspiel ist nicht darauf angelegt, diese Spannungen zu beseitigen. Jacobs Heirat mit Lea und Rahel - daß er darüber hinaus von deren Dienerinnen Silpa und Bilha Kinder bekommen wird (Genesis 30, 1-13), deutet der Text ebenfalls an 287 - ist selbst ein >politischer< Kunstgriff, der die Widersprüche bestehen läßt. Allerdings wendet sie der schäferliche Rahmen ins Spielerische und läßt sie unter dem Aspekt von »Vergnügen« und Unterhaltung erscheinen. Damit wird die Leistung der pastoralen Verkleidung deutlicher: Als literarische Strategie löst sie die >politischen< Komplikationen nicht, macht sie aber kontrollierbar, indem sie ihnen spielerischen und ästhetischen Reiz abgewinnt. Welcher Macht- und Ordnungsanspruch sich in der schäferlichen Dissimulation verbirgt, zeigt die im fünften Teil durchlaufende kritische Auseinandersetzung mit den vier Frauen der Richter, die sich (anders als Aramena selbst) der untertreibenden Schäferverkleidung verweigern und sich unter die Fürstengesellschaft mischen wollen. 288 Das Schäferliche verhält sich zur Hofatmosphäre wie die Grazie zur Gravitas. So umfaßt das abschließende Hochzeitsfest einen >feierlichen< und einen schäferlichen Teil: »Also verflossen diese siebenzehen tage/ in höchstfeyerlicher frölichkeit/ und wie solche vorbei waren/ verteilten sich die könig279 280 281 282 283 284 28i 286

287 288

Anton Ulrich: Aramena, V, S. 466. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 463f. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 465f. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 467-469. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 469-471. Anton Ulrich. Aramena, V, S. 474-476. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 480. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 480. Weitere Beispiele (in Auswahl) S. 466: »Nah[or], Hof und hoheit lädt mich ein. | Thfarah]. Jch will hirt und nidrig seyn.« Ebd.: »La[ban]. Er liebt sie nicht: man muß ihm Rahel gönnen. | sie hebt auch ihn. Setmira]. Der kinder Unverstand/ | muß fässeln nicht der eitern freie hand.« S. 469: »Eg[la]. Jsts recht/ daß man/ vor Lea/ Rahel gibet? | Na[ema]. Man gibet recht/ dem Jacob/ was er liebet. | Eg[la], Man gibet recht zuvor die ältste aus. | Na[ema], Die lieb sich nicht kehrt an das recht im haus.« Anton Ulrich: Aramena, V, S. 479. Anton Ulrich: Aramena, V, S. 490; 507; 543f.

368 liehe personen/ unter die angeneme schäfer-gesellschaft/ die sich von der schar der priesterinnen des Teraphim vermehret sahen.« 289 Aramena selbst verkörpert im Roman die Verbindung von »maiestet« und »annemlichkeit«. 290 Diese Relation findet man sowohl in den Schäferepisoden wieder als pastorale Überformung des >ernsten< Gegenstands - als auch im Verhältnis von Schäferei und Staatshandlung, schließlich von Schäferroman und Staatsroman. Hier dürfte auch die Funktion der »Mesopotamischen Schäferey« für die Anlage des Romans zu suchen sein: Die Gesamtkonfiguration verdankt sich dem Projekt, dem moralischen Kohärenzverlust und dem politischen Legitimationsschwund nicht durch eine Beseitigung der inneren Spannungen entgegenzuwirken, sondern durch eine ästhetische Transformations- und >Verstellungsrechtmäßigen< politischen Ordnung, die sich von ihrem krisenhaften Ursprung letztlich nicht lösen kann.

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Anton Ulrich: Aramena, V, S. 879. Zur festlichen Autoritätsdarstellung auch S. 878: »Man hatte/ in einem großen dazu bereiteten saal/ einen herrlichen thron für sie [Aramena] und ihren König aufgerichtet/ welchen alle anwesende Könige und Königinnen auf ihren thronen ümgaben: und wurde iederman eingelassen/ üm diesen ausbund der herrlichkeit der ganzen weit mit anzuschauen.« Anton Ulrich: Aramena, V, S. 297. Zu Aramenas Maiestas ferner S. 615; 747. Zur Verbindung von Majestät und Anmut auch I, S. 296f. über Abimelech: »Sein ganzes wesen/ ist so majestetisch/ als gütig.« Über Cimber: »Er ist von wesen sehr liebreich und freundlich: dabei aber erwecket er in denen/ die ihn sehen/ soviel furcht als liebe/ und kan man aus seinem geeichte und allen gebärden eine hohe geburt urteilen.« Anton Ulrich: Aramena, V, S. 487.

6

Zur heroischen Topik in der Umgangstheorie

6.1

Nicolas Faret: Der Hofmann als Held

6.1.1 Der Honneste homme im Kontext der Hofmannslehren Die vorangegangenen Untersuchungen haben immer wieder gezeigt, wie sehr eine heroische Bewältigung politischer Komplexität als Bedürfnis empfunden wurde. Aus fürstlicher Perspektive konnte man sich in der heroischen Größe absoluter Handlungssouveränität wie auch allgemeiner moralischer Legitimation vergewissern, aus der Sicht der Untertanen bot diese Figur die Gewähr für einen kraftvoll durchgesetzten, aber nicht willkürlich gewählten, sondern transzendent begründeten staatlichen Sicherheitsrahmen. Die im Reputationskonzept zu leistende Verbindung von Dynamik und Bewahrung, von Machtpolitik und Tugendkonformität erwies sich jedoch stets als labil, ihre Darstellung als kontinuierliches Spiel von Angriff und Abwehr. In diesem letzten Kapitel seien auf dem Gebiet der Hofmanns- und Umgangsliteratur mit Seitenblicken auf die Moralphilosophie einige Stationen des Aufbrechens der >heroischen Synthese< beschrieben. Dazu greife ich zunächst nochmals auf ein höfisches Modell französischer Provenienz zurück. Allerdings ist der >preziöse< Abschied der französischen Klassik vom politischen Heroismus nicht mehr Gegenstand meiner Arbeit. 1 Nicolas Faret verfolgt in seinen Honneste homme (1630), der zahlreiche Auflagen und mehrere Übersetzungen erlebte, 2 die Absicht, am Charakter der Hofmannslehre als Erfolgstheorie festzuhalten, gleichzeitig aber den p o litischem Zerfall der Hofgesellschaft zu verhindern und den Hof als Exemplum zu bewahren. Vorbildliche Hofleute wissen sich ihm zufolge nicht allein auf glattem Parkett sicher zu bewegen, sondern haben auch »bey guter Zeit ihre Gemüther zum guten geneigt/ und haben sie dergestalt gewehnet/ die Laster so die Gesellschafften zerstören/ zu vermeiden/ daß es scheinet/ als ob sie von Natur alle Tugenden/ so die Weisen selbst mit Mühe werckstellig 1

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Dazu umfassend Roth: Die Gesellschaft der Honnêtes Gens, v. a. S. 304fE Vgl. auch Christian Schmidt: Fontenelles »Nouveaux dialogue des morts«, S. 13-47. Magendie: La politesse mondaine, S. Χ; 355. Für einen Deutungsversuch mit sozialgeschichtlichem Schwerpunkt vgl. Scheffers: Höfische Konvention und die Aufklärung, S. 37-56. Zu den konzeptionellen Problemen des Texts Solbach: Gesellschaftsethik und Romantheorie, S. 85-93.

370 machen können/ practicirten.« 3 Der reputationsorientierte »Honnête homme« und der moralisch qualifizierte »Homme de bien« sollen aus Farets Sicht zusammenfallen; 4 der vorbildliche Hofmann darf sich nicht dem Verdacht des partikularen Interesses ausetzen, sondern soll als Inbegriff des Allgemeinen erscheinen. Wer dem Geiz und der Ehrsucht folge, so lehrt der Verfasser, leugne die »Profession« ehrenhafter Hofleute und ignoriere den Wunsch des Fürsten, »daß sie des Landes Wolfahrt höher als ihre eigene Glückseligkeit achten sollen«, ebenso wie die »Ordnung der Vernunfft/ welche erfodert/ daß der besondere Nutz dem gemeinen weichen soll«.5 Als Legitimationstheorie, die sich auf das Größenbild des Honnête homme stützt, gehört Farets Schrift in die Reihe der Lehrwerke, die sich der eigenen Überzeugungskraft beraubten, wenn sie ihren Anspruch lediglich in Form von Handlungsanweisungen behaupten würden, statt ihn selbst literarisch umzusetzen. Tatsächlich stattet der Verfasser die Figur des gemeinnützigen Hofmanns mit heroischem Glanz aus. Selbst bei der Diskussion um die Grenzen der dem Hofmann ziemlichen Gelehrsamkeit fallen Formulierungen, die heroische Vollkommenheit beschwören. 6 Der Anforderungskatalog für den ritterlichen Nothelfer weist topisch auf die heroische Statur des Hofmanns: Beistand für Notleidende, Unterstützung Bedrängter, Schlichtung von Streitfällen - »sind das nicht solche Actionen und Verrichtungen/ welche/ so sie nicht göttlich/ doch mehr als menschlich sind/ zumal bey den Zeiten/ da die Leutseligkeit aus der Welt verbannet zu seyn scheinet?« 7 Um das höchste Ziel des Honnête homme zu bestimmen, greift der Verfasser auf die Perfektions- und Felicitas-Stereotypen zurück, die wir als Kernbestandteile des Topos »De virtute heroica« kennengelernt haben. Es sei nicht die Belehrung über den Hofmann, sondern allein »die glückselige Geburten/ welche durch solche frembde Gehülffen auff den Giebel der Vollkommenheit sich erhebet/ darvon wir nur allein ein beyläufftig Muster und Entwerffung allhie abbilden wollen.« 8 Negativ profiliert der Verfasser den Entwurf des vollkommenen »Weltmanns«, indem er die »Heroische Tapferkeit« von 3 4 5

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Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 103. Roth: Höfische Gesinnung und Honnêteté, S. 195-197. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 45. Zur Gemeinnützigkeit auch S. 59: »Ach wie ist das eine süsse Begnügung eines wackern Gemiiths/ wenn es niemals einige Gelegenheit unterlassen hat allen nach Mügligkeit zu dienen! Vnd wie glückselig sind die jenigen/ wann sie nebenst dem Willen zugleich das Vermögen darzu haben!« Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 26: »Nichts desto weniger muß man bekennen/ daß wann die Wissenschafft einen auserlesenen Kopff antrifft/ sie solche Wunderswürdige Wirckungen herfür bringt/ daß man sagen könte/ daß die jenigen/ so sie besitzen/ etwas mehr als ein Mensch an sich hetten/ und zu einer Condition/ so der Göttlichen in etwas verglichen werden könte/ erhaben weren.« Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 59. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 4.

371 »Mißbräuche[n]«, unter anderem dem Duellwesen, trennt. 9 Freilich verdeutlicht schon die Lehre, es sei notwendig, »den Wahn und Beyfall redlicher und tapfferer Leute« zu erlangen, daß das Heldenbild mit einem bestimmen Funktionskontext in Berührung kommt: Es erscheint im Zusammenhang mit dem Reputationskonzept als der Kunst, »Opinionen und Meinungen« für sich einzunehmen. 10 Die Behauptung, daß sich der Ehrgeiz des Honnête homme anders als der des Héros cornélien, des »homme d'honneur feudaler Provenienz«, nicht mehr auf heroische Tugenden richte, 11 schematisiert zu sehr und provoziert Mißverständnisse. Im Sinn einer beabsichtigten Synthese von Erfolgsorientierung und Gemeinnutzen in der heroischen Größe möchte ich auch gegen die Einwände, die Hinz in bezug auf Castigliones Cortegiano vorgetragen hat, 12 am Begriff eines Idealentwurfs festhalten. Faret liefert eigenem Bekunden zufolge ein Bild des Möglichen, nicht der alltäglichen Wirklichkeit, gedacht mehr als Leitvorstellung denn als praktische Handlungsanweisung: »Wie es dann auch vielmehr ein Muster ist des jenigen so möglich seyn kan/ als ein Exempel und Beyspiel eines Dings/ so in gemein gesehen wird.« 13 Gleichzeitig entsteht das Konzept einer idealen Hofgesellschaft. Selbstverständlich besteht in keinem Fall die Absicht darin, einen anzustrebenden Zustand zu beschreiben. Vielmehr ist das kontinuierliche Hervorbringen idealer Erscheinungsbilder die Verhaltensanforderung, mit deren Hilfe die Hofexistenz bewältigt werden soll. Erst dieser Weg führt konkurrierendes und tugendhaftes Verhalten zusammen, läßt sie als vereinbar erscheinen und emöglicht eine überzeugende Selbstdarstellung des Honnête homme. In diesem Sinn darf auch der Cortegiano, an den Faret sich anlehnt, als Idealentwurf gelten. Castiglione läßt seine Gesprächsteilnehmer den Umstand reflektieren, daß der »herausragende« (»eccellente«) und mit »göttlichen Fähigkeiten« (»divine condizioni«) ausgestattete Cortegiano allenfalls für die Zukunft zu erhoffen sei.14 Gleichzeitig rühmt der fiktive Erzähler den Hof von Urbino: Die Leser »presumano e per fermo tengano la corte

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Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 12. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 75; 8. Über die Reputation vgl. S. 82: »Sintemal die Werthachtung/ welche sie [die »grossen Herren«] einem bezeugen/ gibt eines guten Namen eine sonderliche Reputation/ welche nachmals so gewaltiglich aller Menschen Gemüt her beweget/ grosse Dinge von ihm zu glauben/ also/ daß in einem Hui er sich auff den Giebel des Ansehen/ darauf ein Ehrliebener Hofmann sich zu setzen/ und durch seine vortreffliche Tliaten und weise Regierung zu erhalten trachten soll/ befindet.« Scheffers: Höfische Konvention und die Aufklärung, S. 37f. Hinz: Rhetorische Strategien des Hofmannes, S. 73-78. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 143. Castiglione: Il Libro del Cortegiano, S. 254; das Buch vom Hofmann, S. 233; vgl. auch ebd., S. 376£, 411. Zum Fürsten S. 374; zur Hofdame S. 308.

372 d'Urbino esser stata molto più eccelente ed ornata d'omini singulari, che noi non potemo scrivendo esprimere.« 15 Farets Anleihen bei Castiglione (und anderen) fallen im übrigen so ins Gewicht, daß Burke in dem Verfasser einen unverfrorenen Kopisten und »Meister in der Kunst des Schnippeins und Klebens« ausmachen will.16 Demgegenüber hat Kapp überzeugend dargelegt, daß Faret nicht zuletzt mit seinem Honneste homme zur Einleitung der französischen Klassik beitrug, indem er gegen die strengere spanische und für die an der Leitidee des Gefälligen orientierte italienische Hof- und Umgangstradition votierte. 17 In der Grundanlage - als Entwurf des tugendhaften Hofmanns - wendet sich der Text kritisch gegen machiavellistische und im politischen Sinn tacitistische Tendenzen. Zwar nennt Faret Tacitus an erster Stelle unter den empfehlenswerten römischen Historiographien, doch rühmt er ihn nur unter stilistischen Gesichtspunkten, als Meister der Kürze und der verdeckten Belehrung, der nach einem feinsinnigen Leser verlange, und nimmt ihn gegen den Vorwurf der Dunkelheit in Schutz, »deßwegen er von etzlichen hat getadelt werden wollen.« 18 Solche Vorzüge lassen sich ohne Anstoß in das Bild des tugendhaften und gewandten Hofmanns integrieren. Hingegen übergeht diese Würdigung die politischen Arcana, die man dem vierten, auf den Prätorianerpräfekten Seianus konzentrierten Buch aus Tacitus' Annalen entnehmen konnte. 19 Entsprechend fehlt bei Faret die tacitistische Topik des Verstellens, des Durchschauens, des Geheimnisses und des Mißtrauens, die uns von Saavedra Fajardo bekannt ist. Farets Kritik am übermäßigen Plaudern und seine Aufforderung, gegebenenfalls stillzuschweigen, dienen nicht dazu, das Geheimnis als allgemeine politische Technik zu präsentieren, sondern sollen die Diskretion als Regulationsinstrument in die Konversation einführen. 20 Die im Ton besonders scharfe Argumentation gegen Lüge und Wortbruch in der Konversation bezieht sich zwar nicht auf tacitistische Taktiken, zeigt aber, daß ein politischer Illusionismus sich mit der Konzeption des Honneste homme nicht vertrüge. Faret zielt auf das Erscheinungsbild einer transparenten und kohärenten Hofgesellschaft: »Wann wir nun einander nicht halten/ und betriegen wollen/ können wir uns selbst nicht mehr erken-

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Castiglione: Il Libro del cortegiano, S. 260. Das Buch vom Hofmann, S. 240. Burke: Die Geschicke des »Hofmann«, S. 111; vgl. auch ders.: Reden und Schweigen, S. 45. Zu Faret des weiteren Geitner: Die Sprache der Verstellung, S. 7 0 - 7 2 . Kapp: Attizismus und Honnêteté in Farets >L'honnête homme ou l'art de plaire à la courKunst, zu gefallene die erfolgreichere Option war. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 31. Vgl. die Zusammenfassung von Hinz: Rhetorische Strategien des Hofmannes, S. 369-371. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 95-102.

373 nen/ es zerstöret auch unsere gantze Gemeinschafft/ und macht alle Bande der Policey zu nichte«.21 Um den Anspruch des Honneste homme zu beleuchten, verweise ich auf freilich durchaus heterogene >nichtheroische< Beispiele der Hofmannstraktatistik, von denen er sich absetzen läßt. Wenige Worte genügen zu Pelegro de Grimaldi Robio. Der Autor distanziert sich in seinen Discorsi (1543, deutsch 1571 als Cordissiano) ausdrücklich von Castiglione, so intensiv er den Cortegiano im einzelnen verwertet.22 Den Kern der Kritik bildet Castigliones angebliche Praxisferne, von dem »man dannoch souiel noch nicht glauben [könne]/ daß es einen viel fürtragen oder helffen möchte«. Dazu gehört auf der einen Seite der ideale Charakter des Hofmannsentwurfs: Selbst bei lebenslanger Übung vermöge niemand Castigliones Anforderungen gerecht zu werden. Andererseits bemängelt Grimaldi Robio, daß Castiglione zu sehr im Allgemeinen bleibe und »sich selten ad speciem oder auff die particularia begibt«. Grimaldi Robio stellt Castigliones Modell deshalb ein Regelwerk gegenüber, das praktische Hilfestellung in einer Vielzahl einzelner Situationen gewähren soll. Schon hier wirken bei dieser Entwicklung die ausschließliche Ausrichtung aller Erwägungen auf den Fürsten und das Verschwinden der Hofgesellschaft als eines Bezugsrahmens und als kollektiver Urteilsinstanz mit. Diese Tendenzen werden sich im 17. Jahrhundert noch verstärken. Wir hatten gesehen, daß das Größenbild von Castigliones Cortegiano auf seiner Dissimulationsstruktur beruht, die schon nicht mehr gewahrt ist, wenn das geeignete Verhalten in eine Handlungsanweisung ausgemünzt wird, und die der Verfasser deshalb in die Form eines exemplarischen Gesprächsspiels bringt. Hingegen werden die Absichten in Grimaldi Robios Regelwerk offensichtlich.23 Daß an die Stelle des Cortegiano, dessen Spuren nie bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgt werden können und der sich gerade so in überlegener Würde zeigen kann, ein mühsam chargierender Fürstendiener tritt, macht sich zumal dort bemerkbar, wo Grimaldi Robio das Affektationsverbot aufgreift. Über das rechte Verhalten bei der Trauer des Herrn schreibt der Verfasser, man solle weniger »lustig« essen,

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Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 108. Über Werk und Verfasser Hinz: Rhetorische Strategien des Hofmannes, S. 2 2 9 239, auf den ich mich stütze. Die folgenden Zitate nach Grimaldi Robio: Cordissiano, S. 8V. Vgl. z. B. Grimaldi Robio: Cordissiano, S. 97 r , das Offenlegen von dissimulierenden Taktiken mit der Absicht, das Wohlwollen des Herrn zu behalten: »Aber sonst inn andern sachen [wolt ich] mich vnderstehen/ Jhme ein solche antwort zugeben/ daß er glauben würd/ ich were weder auff einen/ noch auff den anderen theil wol entschlossen/ vngeuer auff solche weis/ warlichen die vrsach/ so von E . G. eingefürt/ beduncken mich sehr erheblich seyn/ sehe noch nichts eigentlichs/ daß dargegen möcht fürgewendet werden.«

374 aber auff daß jhr das Essen nicht gar vnterlast/ dann solches würde ein gestalt haben als wolten jr dardurch gesehen werden/ so eßt weniger vnnd langsamer weder sonst/ vnd erzeigt euch mit den Augen/ vnd allen geberden trawrig/ Doch alweg der gestalt/ daß man nicht vermeyn/ jr wölt also gesehen seyn/ sehent zu Zeiten ewern Herren mit erbermlicher gestalt heimlichen an. 24 Auch in Regelkompilationen des 17. Jahrhunderts wie dem Hof-Compas

von

August Friedrich B o n e (1672) k ö n n e n Dissimulationstechniken unverhüllt an das Licht treten. 25 Während bei Castiglione die Hofgesellschaft als unübersteigbarer Bezugsrahmen die Frage nach der Moralität >graziösen< Verhaltens nicht aufk o m m e n ließ, wird bei Grimaldi R o b i o unübersehbar, daß etwa die Abwehrmaßnahmen gegen die als boshaft bewerteten Schmeichler lediglich die U m k e h r u n g empfohlener Erfolgsstrategien bilden. 2 6 D e r Hofmann steht bei Grimaldi R o b i o als Vertreter der eigenen Interessen da, nicht mehr als unangreifbares Exemplum. Zu einer besonderen Dignität als Handlungslegitimation kann diese Hofmannslehre ihren A d e p t e n deshalb nicht verhelfen. Für ihre Anwendungsnähe muß Grimaldi Robios Regelkompilation, die lediglich im Sinn eines Lehrgesprächs dialogisch angelegt ist, deshalb einen gewissen Preis zahlen: D a sie nur noch eine Anzahl von Kunstgriffen lehrt, gibt sie die Figur eines >heroischen< Hofmanns auf und nimmt ihm seine unkalkulierbare Größe. 2 7 Zwar legt der Text ein T\igendprogramm zugrunde, doch kann er die Auseinanderentwicklung von moralischen Anforderungen und >politischen< Notwendigkeiten nicht mehr verbergen. 2 8 24 25

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Grimaldi Robio: Cordissiano, S. 102rf. Vgl. etwa Bone: Hof-Compas, XLIII: »Sofern deine Ampts-Pflicht dich nicht eidlich dazu verbindet/ wirst du dennoch den Namen eines Redlichen behalten können/ ob du gleich so wohl deiner Oberen/ als anderer Unvollkommenheiten und Fehler mit dem Schein der nechst-gleichenden Tugend zu bemänteln suchest.« Vgl. z.B. Grimaldi Robio: Cordissiano, S. 228rf.: »Derhalben so bald jhr höret/ daß man euch einer TVigent halben lobet/ die nicht in euch ist/ so halten diesen der es thut/ für einen Zuschmeichler vnnd boßhafftigen Menschen/ Sonderlichen wann jhr bey euch erkennen vnnd wissen köndt/ daß er erfahrung habe/ daß dieselb Tügendt nicht inn euch sey/ Vnnd so viel mehr müst jhr inn diesem fall wol für euch sehen/ jhe grössern List vnnd kunst der Zuschmeichler darinnen braucht/ der dann die Laster/ mit den tugenden/ die einem sonst nahendt/ anhengig oder verwandt sein dermassen vermischet vnd verklügelt/ das man sie nicht leichtlich von einander erkennen mag.« Der Text gerät insofern in einen inneren Widerspruch, als er in seiner Anlage der eigenen Einsicht widerspricht, daß man für die Geschäfte am Hof »kein gwisse vnd endtliche Regel geben kan.« (Grimaldi Robio: Cordissiano, S. 31r.) Vgl. Grimaldi Robio: Cordissiano, S. 89v, wo der Verfasser dem Adepten dazu rät, sich von Widersachern seines Herrn fernzuhalten. Man solle möglichst »von jhnen nimmer nichts« reden, »dieweil man aber dasselb nicht alwegen wol vmbgehen kan/ so verhut euch doch dieselben/ wie Higentreich sie auch weren zuloben/ dann es muß bey meniglichen für ein grosse Torheit geacht werden auß eignem freyen willen sachen/ darzu vns weder not noch pflicht tringt/ zuthun vnterstehen/ die vns wol sonder schaden/ aber kein nutz bringen können/ was für Not oder Rechtmessige pflicht/ kan nun das seyn/ die euch trenge eweres Herren Feind zuloben/ oder was

375 Der Traité de la Cour von Eustache de Refuge (1616) war Faret bekannt. Auch de Refuge interessiert sich nicht für ein Größenbild des Hofmanns, sondern für die Vermittlung technischer Ratschläge als pragmatischer Erfolgs- und Überlebenslehre. 29 Deshalb präsentiert er nicht das exemplarische Verhalten des Hofmanns, sondern das ihm dienliche Spezialwissen. Das ganze Werk ist eine auf die praktische Bewältigung der komplexen höfischen Verhältnisse angelegte Topik, wie beispielhaft die Darlegungen über die »Gemütsneigungen« und ihre Anwendung auf »deß Fürsten Sinn« demonstrieren. 30 Daß die Konkurrenz im Vordergrund steht, hat Konsequenzen für das Erscheinungsbild des Hofs: Während die Hofgesellschaft als letzte Entscheidungsinstanz bei Castiglione den offenen Ausbruch von Antagonismen verhindert, zerfällt sie bei de Refuge unter dem Übergewicht partikularer Interessen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Kluge Hofmann im Vergleich mit Castiglione schon eine absolutistische Konstellation voraussetzt. 31 Vor allem der zweite Teil, der die praktische Anwendung der im ersten zusammengetragenen Qualifikationen lehrt, verteilt die Aufmerksamkeit auf den Fürsten und die übrigen Hofleute so und richtet das Interesse des Hofmanns dergestalt am Fürsten aus, daß eine absolutistische Machthierarchie sichtbar wird. Die Gunst des Fürsten bildet den Kernpunkt aller hofmännischen Verhaltenskalkulationen. Gleichzeitig verliert die Hofgesellschaft ihren inneren Zusammenhalt. Da sich der Verfasser auf die kasuistische Darlegung von technischen Verhaltensmaßregeln konzentriert, nicht auf den literarischen Entwurf eines Hofmannsideals, werden die Kontrollwerkzeuge, aber auch der Konkurrenzaspekt sichtbar. In dem Traktat als Katalog einzelner, auf bestimmte Situationen bezogener Ratschläge hätte eine konsequente Ausrichtung am Reputationskonzept keinen Platz. Der Umgang mit der fürstlichen Ruhmsucht, wie ihn der Verfasser empfiehlt, zeigt exemplarisch, wie wenig ein heroisches

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nutz kan euch darauß entstehen?« Der Hofmann wird so zum beflissenen Parteigänger. Vgl. de Refuge: Kluger Hofmann, S. 95: »Du begiebst dich nach Hofe/ Reichthum/ Ehre/ hohes Ansehen/ und Gewalt zu erhalten/ du hast einen begünstigten Zutritt/ beförderliche Freunde/ hochgeachte Gaben und Verdienste/ welche dich beliebt und belobt machen können: doch ist dieses alles nicht genug/ sondern du must entschlossen seyn/ dem grossen Herren zu schmeicheln/ und zu weilen auch den kleinen/ ja so gar den Dienern und etwan dem Thorwärtel gute Wort zugeben/ der dich lang hat warten/ und die Nägel an einem Thor abzehlen lassen.« Zu de Refuge Magendie: La politesse mondaine, S. 351-354. Mit besonderem Akzent auf der Aneignung durch Harsdörffer Krebs: Harsdöffer als Vermittler des »honnêteté«-Ideals, besonders S. 295-298. De Refuge: Kluger Hofmann, S. 53-82; 210-213. Für einen Vergleich des »Honneste homme« mit dem »Cortegiano« vgl. Scheffers: Höfische Konvention und die Aufklärung, S. 39, der allerdings ein verharmlosendes Castiglione-Bild im Anschluß an Jacob Burckhard zugrunde legt.

376 Erscheinen zum Gegenstandsbereich des Werks gehört. Aus dem »Eiferneid« als »gemeine[r] Krankheit aller Fürsten« folgt lediglich die Klugheitsregel, den eigenen Ruhm zu dissimulieren, nicht die Reflexion auf ein Größenbild: »Deßwegen soll sich der Hofmann mühen/ deß Fürsten Sinn zu ergründen/ und alle seine Neigungen zu erforschen/ und sich darein zuschicken«. 32 Zwar setzt der Verfasser natürlich die Geltung des Ehrbegriffs voraus, wie seine Empfehlungen zum Umgang mit Beleidigungen belegen. Doch gilt das Hauptinteresse den praktischen Möglichkeiten, einschlägige Konflikte zu umgehen oder zu unterdrücken. Die Darstellung von Ehrenhaftigkeit liegt außerhalb von de Refuges Erwägungen. 33 Ähnliches gilt für die Ethik des Hofmanns. Ohne Zweifel sieht de Refuge ihn auf Tugendabsichten verpflichtet. 34 Doch tritt die moralische Bewertung des Handelns durchaus hinter die taktischen Maßregeln zurück. In seiner Grundanlage gibt sich der Kluge Hofmann als Akkomodationslehre zu erkennen; die Aufstiegs- sind weithin zugleich kasuistisch gefaßte Anpassungsmaßregeln. 35 Die Technik verselbständigt sich so weit, daß sich Tugendmaßstäbe nur noch als äußere Grenzen des Handelns erkennen lassen. Zum Gegenstand seines Werks macht de Refuge allein das politische Kalkül, das innerhalb dieses Rahmens freigesetzt wird. Es ist konsequent, daß der Kluge Hofmann ein durchaus negatives Bild vom Hof vorführt, der im wesentlichen unter dem Aspekt von Gegnerschaft und Selbsthauptung erscheint. 36 Der mißtrauische Blick auf den Hof als Gefahrenquelle bleibt nicht eine punktuelle Perspektive, sondern durchdringt und prägt den ganzen Traktat. De Refuge profiliert den Hofmann als Einzelkämpfer in einer feindseligen Umgebung, der zu ständiger Wachsamkeit aufgefordert ist: »Sonderlich aber muß man sich mit eitlem Lob nicht einschläffen lassen/ sondern auf seine Feinde ein wachendes Aug haben/ welche aus Neid und Haß dem Fürsten/ viel wideriges beybringen können«.37 Es ist 32 33 34

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De Refuge: Kluger Hofmann, S. 308-311. De Refuge: Kluger Hofmann, S. 236-240. Vgl. ζ. B. de Refuge: Kluger Hofmann, S. 108: »Dieweil nun solche Gefälligkeit vielmehr schändlich als schädlich/ wird sich ein ehrlicher Mann schwerlich darzu bequemen/ er seye dann darzu gezwungen/ oder gebrauche solche Sitten mit grosser Bescheidenheit/ daß man ihn für klug/ und für keinen Schmeichler halte.« S. 143 zu dem Rahmen, in dem die Schmeichelei erlaubt ist; S. 225 (Widerstand gegen »Vorhaben grosser Herren« zum Schaden von Religion, Gerechtigkeit, Frieden, Einkünften etc. als Erfolgsweg in der Konkurrenz um die Gunst des Fürsten). Beispiele: de Refuge: Kluger Hofmann, S. 179-183 (»Von den unartigen Hofsitten«); 202-214 (»Von der Fürsten Sitten«; »Von deß Fürsten Sinn«); 308-311 (»Von der Fürsten wunderlichen Sinne«); 325 - 329 (»Von deß Fürsten Liebe gegen die Weiber« - zum Umgang mit den fürstlichen Lastern). Vgl. exemplarisch de Refuge: Kluger Hofmann, S. 129-131, über die Suspendierung natürlicher Gerechtigkeit einschließlich der Wahrheit und positiver Gesetze am Hof. De Refuge: Kluger Homann, S. 314.

377 diese Ausgangskonstellation, die Gracián in seinem Oráculo manual mit Hilfe stilistischer Verschlüsselungstechniken erneut heroisch überbietet. 38 Vor dem Hintergrund von de Refuges Werk sollten nicht nur die Charakteristika von Farets Honneste homme deutlicher werden, sondern auch die Hindernisse, denen sich der Entwurf eines heroischen Hofmanns unter den neuen Bedingungen gegenübersieht. Dies gilt um so mehr, als Harsdörffer in den »Anmerkungen« zu jedem Kapitel sowie in den »Seltnen Betrachtungen«, die er zusammen mit Joseph Halls »Beschreibung eines löblichen Hofmanns« dem Traktat beigegeben hat, das Konzept eines Hofpraktikers durch das eines stoisch-heroischen Tugendexemplums ergänzt und korrigiert. In diesen Passagen verzichtet er weitgehend auf Vorteilskalkulationen, deutet Klugheitslehren in Higendermahnungen um und weitet höfisch-politisches Spezialwissen zu allgemeinen Tugendempfehlungen aus.39 Auch wenn Harsdörffers Übersetzungswerk gemäß der Interpretation von Krebs auf die Vermittlungsposition einer »sittlich retuschierten prudentia-Lehre« zielt, 40 deutet sich ein Auseinanderfallen der politischen Klugheit und der Darstellbarkeit heroischer Größe an. Farets Absicht ist es hingegen, den >klugen Hofmann< selbst als Ideal erscheinen zu lassen. Allerdings partizipiert der »Honneste homme« unmittelbar an der verschärften Konfliktkonstellation. Das Subjekt des Cortegiano bildet die Hofgesellschaft; nur über ihren zentralen Regulationsmechanismus, die Sprezzatura, können sich Ehrgeiz und Erfolgsstreben verdeckt zur Geltung bringen. Daß hingegen bei Faret die Hofgesellschaft ihre Souveränität einbüßt, erkennt der Leser schon am Verzicht auf die Gesprächsform. Da der Text als direkt an den Adepten adressiertes Lehrbuch angelegt ist, deckt er Intentionen und Verfahrensweisen auf. Der Verfasser übernimmt teilweise in Form wörtlicher Entlehnungen die zentralen Verhaltenskonzepte von Castiglione - die »grace naturelle« (»natürliche Gunst«) und die Opposition von »sprezzatura« und »affettazione«, die jetzt als Gegenüberstellung von »négligence« und »affectation« wiederkehrt; die deutsche Übersetzung spricht von »Affectation« und »Fahrlässigkeit«.41 Die »négligence« als Technik dissimu38

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Zur Entfaltung eines Größenbilds vgl. Gracián: Das Handorakel - u.a. Nr. 61, 75, 88, 103,128, 153,165, 203, 296, 300. Für Ansätze zu einem heroischen Entwurf in den »Schluß-Reimen« und »Anmerkungen« vgl. de Refuge: Kluger Hofmann, S. 46; 163 (die im Text angeratene Demut als Klugheitsmaßnahme wird in den Versen umgedeutet in Selbstverleugnung und Verachtung weltlicher Pracht); zur Ausweitung der Perspektive z. B. S. 170£: »Alle Menschen sind gleich den Hofcreaturen/ welche der Schöpfer Himmels und der Erden/ aus dem Staub erhaben«; ebenso S. 273£ Zum Hofmann als heroischem T\igendexemplum in den »seltnen Betrachtungen« vgl. u.a. S. 347-349; 359-364; 376-387; 387-393. Krebs: Harsdörffer als Vermittler des »honnêteté«-Ideals, S. 297. Zum Zusammenspiel der Teile der Publikation auch Beetz: Frühmoderne Höflichkeit, S. 51. Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 18; 20. L'honeste homme, S. 26-29.

378 lierender Selbstinszenierung ist auch verwandt mit der Lehre vom höflichen, indirekten und konfliktvermeidenden Vorgehen, die de Refuge in seinem Traité de la cour bereits zu einer Theorie verzögerten Handelns ausgebaut hatte. 42 In Farets präzeptistischem Konzept kann aber die Grazie nicht mehr als literarisches Darstellungsmedium des ganzen Traktats dienen. Wohl deshalb erscheinen der Forschung die »ästhetisch-ethischen Qualitäten« des Honnête homme als »recht äußerlich aufgesetzt«. 43 Jedenfalls gelingt es ihnen nicht mehr, auch noch die eigene Zweckbestimmung unkenntlich zu machen. Die >politischen< Funktionszusammenhänge, die Castiglione auch in der Darstellungsweise dissimuliert, treten deshalb nunmehr schärfer hervor. Vor allem gilt dies für Konkurrenzsituation und Konfliktpotential am Hof. Im Vergleich mit Castigliones Hofmann befindet sich der Honnête homme deshalb in einer ungeschützteren Position. Angesichts der Konkurrenz der Interessen erscheinen die Hofleute wie bei de Refuge in isolierter Lage. Anders als der Cortegiano gibt sich der Honneste homme von Beginn an als Erfolgslehre zu erkennen, die dem nach Ehre Strebenden Rat erteilt über den geschickten Umgang mit der »Hoheit der Gewaltigen«, der »Mißgunst derjenigen/ so seines gleichen« und der »boßheit derer/ so niedriges Standes sind«. 44 Wenn Faret lehrt, ein »sittsam und eingezogen Gemüth« werde nach »Zeit« und »Gelegenheit« abwägen, wie es »eine Sache eiferig treiben oder aber auffhalten solte/ und wie es sich nach den Begebenheiten dergestalt lenken und schicken möge/ daß nichtes/ so ihm zu handen stossen mag/ es verletzen könne«, läßt er das Interesse des Hofmanns an das Licht treten. Ebenso klingt das Streben nach Macht als Kern der Kunst an, »sich beliebet und belobet« zu machen: »Derowegen lasst uns Herren über uns selbst seyn/ und über unsere einige Lüste und Begierden: dafern wir die Affection redlicher Leute zu gewinnen begierig sind/ zu herrschen und über sie zu gebieten wissen«. 45 Im selben Maß wie Konkurrenz und Interesse rücken die Anforderungen an Wachsamkeit und Situationskontrolle in den Vordergrund. Der Verfasser legt dem Hofmann nahe, »daß er eine stete Auffmerckung des jenigen/ so andere in seiner Gegenwart fürbringen/ und auch dessen/ so er selbst redet«, haben möge. 46 Dazu gehört auch die Fähigkeit, die Affektdisposition anderer zu durchschauen und in das eigene Kalkül einzubeziehen. 47 Schließlich läßt Faret keinen Zweifel daran, daß die Kunst zu gefallen auf Verstellung und Maskenspiel basiert. Ja, »dafern nur der Vorsatz gut ist«, 42 43 44 45 46

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De Refuge: Kluger Hofmann, S. 102. Roth: Höfische Gesinnung und Honnêteté, S. 197. Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 3f. Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 89. Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 118. Zur Fähigkeit psychologisch-strategischen Handelns in komplexen Situationen auch S. 117. Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 93.

379 darf der Hofmann bei aller Kritik an der Schmeichelei »ein wenig auff die Seite der Liebkosung und Fuchsschwäntzerey mit einer Art einer rechtmäßigen Entschuldigung abweichen«. 48 Die Beispielreihe zur euphemistischen Beschreibung der geliebten Person, mit deren Hilfe man die Zuneigung von Verliebten gewinnen solle, legt ebenfalls das absichtsvolle Verstellungsverfahren offen. Bones Hof-Compas bietet eine analoge Sequenz. 49 Auch in der Hofkritik, die in beträchtlichem Umfang Eingang in den Traktat findet, schlägt sich das Konfliktpotential nieder. Das Negativbild des Hofs begründet bereits auf den ersten Seiten den Nutzen des Werks. In den moralischen Mißständen und Ordnungsdefiziten verbirgt sich im Grunde die höfische Konkurrenzsituation selbst. So intensiviert sich bei Faret der Eindruck der Deregulation, Zersplitterung in Partikularinteressen, Unüberschaubarkeit und Unkalkulierbarkeit: Denn daselbst ist es/ daß diese Furien den Zanck und Uneinigkeit unter den nechstAnverwandten ausseen/ Schalckheit und Verrätherey an allen Orten anstifften/ und den Saamen der Niedrigkeit und Trägheit/ auch selbst in den jenigen Gemüthern/ welche sonst von Natur eine Zuneigung der Tapfferkeit haben/ herfürbringen.50

Vor diesem Hintergrund kommt Faret wiederholt auf die Melancholie als Kehrseite von Kontrollanforderungen, Hofdisziplin, Konkurrenz und latenten Konflikten zu sprechen. 51 - Nur am Rand wird die kompensierende Konstruktion einer funktionsentlasteten Gesellschaft Gleichgesinnter sichtbar, die nicht mit dem Hof insgesamt identifiziert werden kann. Für eine solche Enklave gab es in Castigliones Konzept weder Bedarf noch einen Platz. In diesem Kreis werde der Hofmann »in aller Freyheit seine natürliche Zuneigung handeln und walten lassen/ und sein hertz/ weil er sich nicht befürchten darf/ daß seine Gedancken einen Anstoß leiden möchten/ biß auf den grund eröffnen«. In solchen Zügen kündigt sich vielleicht schon die Ent-

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Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 93. Zu Verstellung und Rollenspiel S. 90f. Zur Kritik an der »Fuchsschwäntzerey« S. 69. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 93f.: »Alle Gebrechen der geliebten Person/ wird er durch eine Liebligkeit zu vermänteln wissen: Jst sie schwartz/ wird er sagen daß sie bräunlich sey/ und daß über dergleichen Schönheiten sich vorzeiten die Leute am meisten verwundert haben: hat sie rothe Haar/ soll er die Beliebung der Jtaliäner und anderer Völcker/ wie auch der zärtlichsten Poeten und Verliebsten/ welche iederzeit die Haar solcher färbe gerühmet haben/ billigen: Jst sie gar zu mager/ und gar zu klein/ wird er vorgeben/ daß sie deßwegen desto geschickter und hurtiger sey; Die übermäßige Fettigkeit/ soll eine von guter Gesundheit heissen« etc. Vgl. Bone: Hof-Compas, XLIV. Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 3. Vgl. auch S. 39-42; 88; 102. Zur Hofkritik bei Castiglione: Das Buch vom Hofmann, S. 136f. Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 40£; 65; 94. Zur Melancholie im 17. Jahrhundert vgl. den Überblick von Weber: Im Kampf mit Saturn.

380 wicklung der Salonkultur an.52 Im Rahmen des Honneste homme tragen sie zusätzlich dazu bei, der Hofgesellschaft Kohärenz und Autorität zu nehmen. Da die erfolgversprechenden Verhaltenstechniken aufgedeckt sind, wird die klare Unterscheidung zwischen idealem Hofmann und hemmungslosem Karrieristen, erlaubter Ehrbegierde und untersagter Ehrsucht, Erfolgsstreben und Tugendorientierung zum Problem. Eine Abgrenzung in bezug auf das Handeln gelingt dem Werk jedenfalls nicht.53 Die Differenz zwischen dem Laster des Ehrgeizes und der »bienséance« des Honnête homme kann der Verfasser in diesem Bereich nur als stilistische beschreiben. Deshalb genügt es für Farets Syntheseversuch auch vor dem Hintergrund der potenzierten tacitistischen Dissimulationstechniken nicht mehr, die Frage der Tügenddisposition des Honnête homme nach Castigliones Muster fast völlig zu übergehen. Die Festlegung auf tugendhaftes Handeln und auf die Religion durchdringt vielmehr den Aufbau des ganzen Werks. Allerdings bleiben die moralischen Forderungen in einer Erfolgslehre zweideutig: »In warheit verhelt sichs also/ daß die Tugend selbst viel lieblichere und mächtigere Anreitzungen hat/ wann sie bey einer Person von guter Gestalt und Qualiteten/ als einer andern Vbelgestalten und niedriges Standes angetroffen wird.«54 Den Ausweg aus diesem Dilemma findet Faret darin, daß er die Präsentation der eigenen Qualitäten am Hof als Verpflichtung des Edelmanns erscheinen läßt. Gemeinnutzen und Eigennutzen, Partikularinteresse und Gesamtinteresse sollen so zur Deckung gebracht, der Hofdienst zur höchsten Bestimmung des Honnête homme, zur Bedingung heroischer Größe werden: Ein Edelmann/ wann er gleich mit allen Gaben/ die ihn beliebt und berühmt machen können/ versehen were/ würde sich dennoch unwürdig machen/ dieselben zu besitzen/ wann er an statt/ daß er dieselben beym grossen Hofeliecht leuchten und scheinen lassen solte/ er solche in seinem Dorffe verbergen/ und dieselben nur dem groben tölpischen Bauer Köpffen zu erkennen geben wolte.55

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Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 95. Zur möglichen Vorbereitung der Salons vgl. auch S. 122. Vgl. Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 1 - 4 , wo der Verfasser »Mißgunst«, »Geiz« und »Ehrsucht« als Hoflaster geißelt, um gleichzeitig das Buch vom »ehrliebende[n] Welt-Mann« als Erfolgslehre zu begründen. Die (schädliche) »Ehrsucht so ihn erhitzet/ und die vnersättliche Begierde nach Reichthumb und Ehren/ so ihn peiniget« (S. 40) liegen gleichzeitig dem legitimen Interesse des Hofmanns zugrunde. Faret: L'Honneste homme, das ist: der ehrliebende Welt-Mann, S. 23. Vgl. auch S. 10, zum Ehrgeiz, der sich auf Beliebtheit durch den Ruf von Tapferkeit und Aufrichtigkeit konzentrieren müsse; S. 53f. zur Inszenierung der Tapferkeit in der Schlacht - wenn möglich »für den Augen des Feld-Herren selbst«; zum Tugendkalkül auch S. 60. Zur Integration von Elementen bürgerlicher Ethik in das Hofmannsideal Roth: Die Gesellschaft der Honnêtes Gens, S. 232. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, S. 46.

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Doch ohne einen autoritativen Bezugsrahmen, der geeignet wäre, als verbindliche Urteilsinstanz zu gelten und Castigliones Hofgesellschaft zu ersetzen, könnte diese Bestimmung beliebig ausgefüllt werden und bliebe ein bloßes, als Entwurf einer heroischen Erfolgstheorie am Hof untaugliches Postulat; mindestens jedoch wäre sie in ihrer Umgebung ein Fremdkörper. Mit diesem Problem beschäftigt sich das folgende Kapitel. 6.1.2 Der Honneste homme als heroisches Idealkonzept Entfaltet Faret über weite Strecken die unterschiedlichen Aspekte seines Hofmannsideals, so meldet er sich am Schluß des Traktats in eigener Sache zu Wort. Diese Selbstapostrophe unterstellt er dem Vorzeichen einer zweifachen Unterlegenheit - derjenigen des Hofmanns gegenüber den praktischen Anforderungen des Programms und derjenigen des Schriftstellers gegenüber der selbstgestellten literarischen Aufgabe. Es fehlten ihm, so läßt er den Leser wissen, sämtliche erforderlichen Qualifikationen: Er verfüge ebensowenig über Naturveranlagung, höfischen Ehrgeiz und Interesse am Hofleben wie über eine hohe Geburt, sodaß man für das ganze Unternehmen keine plausible Beschönigung finden könne. Den biographischen Hintergrund dieser Erklärungen bietet Farets eigene bürgerliche Herkunft.56 Der Hinweis auf die mangelnden Abstammungsvorzüge gewinnt dadurch an Gewicht, daß Faret - wenn auch mit Einschränkung - bereits zu Beginn betont hatte, es dünke ihn »hochnothwendig [...]/ daß derjenige/ welcher in diese grosse Handthierung und Gewerb der Welt sich begeben will/ ein geborner Edelmann vnd von einem wolberuffenen Geschlechte sey.«57 Abschließend erklärt er den Fehler, sich an dieses Werk gewagt zu haben, für »noch ärger [...]/ als wann ich mich dem Müßiggang ergeben hette.«58 Behalten wir für das Folgende die Frage nach dem Sinn dieses Unfähigkeitsgeständnisses im Auge. Doch zunächst sei der Blick auf einige der geforderten Qualifikationsmerkmale des Hofmanns gerichtet. Die Ausführungen »von den Wercken« vom praktischen Verhalten im Gegensatz zum Reden - gipfeln in einer Ermahnung zu besonderer »Fürsichtigkeit«, die derjenige beachten solle, der »darnach strebet/ wie er an grosser Herren Höfen geachtet/ und bey guten Versammlungen gern gesehen werden möge«.59 Dieses Klugheitsgebot betrifft die von Faret an anderer Stelle ausdrücklich verlangte Fähigkeit, vielschichtige und >verstellte< Situationen strategisch, flexibel und geistesgegenwärtig zu bewältigen, die Bedingungen von Zeit und Ort zu beachten und 56

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Zur Person des Verfassers Scheffers: Höfische Konvention und die Aufklärung, S. 38. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 5. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 141f. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 59f.

382 das eigene Erscheinungsbild auf die jeweiligen Umstände abzustimmen.60 Solchen Anforderungen liegt natürlich ein Bild des Hofs in seiner Komplexität zugrunde; dabei bleibt unerheblich, daß die folgende Passage einem hofkritischen Kontext entstammt: Zugleich und auff eine Zeit muß man auff Mittel gedencken/ das jenige/ so wir besitzen/ zu erhalten/ das so vns mangelt/ zu überkommen/ das Fürnehmen derer so vns zuwider sind zu nicht zu machen/ dan Haß und Mißgunst zu überwinden/ die so uns vorgezogen werden wollen zurück zu treiben/ die jenigen aber so uns nachgesetzt werden/ auffzuhalten. 61

Das Ziel solcher dynamischen Steuerung ist jedoch ein ausgewogener, unveränderlicher und in diesem Sinn >ruhiger< Gesamteindruck. Zur »Fürsichtigkeit« gehört daher nicht allein das Befolgen einzelner Lehren, »sondern auch daß der Fortgang und Ordnung seines Lebens durch eine solche Zusammenfügung reguliret sey/ daß das gantze auch mit einem iedern Theil übereinstimme.« Faret verlangt damit nach einem klassizistischen Geschlossenheitsmuster, das seinerseits auf der Mediocritas-Vorschrift basiert. Man mag überlegen, ob nicht an dieser Stelle schon die Idee der »simplicité« anklingt. Der These von Farets »grundsätzlicher Gleichgültigkeit gegenüber der Ästhetik« schließe ich mich jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht an.62 Der Hofmann soll »ihm eine feste Verfassung aller erzehlten Qvaliteten zu wege bringen/ dergestalt/ daß auch seine geringste Actionen von einem Geist der Weisheit und der Tugend lebhafftig gemacht werden.«63 Diese »zu jederzeit in allen Sachen gleich durchgehend« bleibende Ausgleichsattitüde64 verdeckt zusammen mit den Balance-Techniken, die ihr zugrunde liegen, 60

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Zur Frage von Zeit und Ort Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 90f.; 118£ Zur Anpassung an die Lage S. 93. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 41. Zur Geistesgegenwart vgl. S. 72 über die Konversationen mit Gleichgestellten: »Jedoch ist es ja so wol als bey den andern gefährlich/ darbey einen Fehler oder Grobheit zu begehen/ da der Geist oder Verstand allezeit bey denen dingen/ von welchen er ein Gespräch zu halten sich unterstehet/ zugegen seyn muß.« Zum Idealbild des Hoftaktikers S. 102f. Vgl. auch S. 117. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 21. Stantons Sichtweise erklärt sich dadurch, daß er Faret nur als Negativfolie für das Honnête-homme-Ideal des ausgehenden 17. Jahrhunderts heranzieht. Eine partiell ähnliche Perspektive auf Faret bei Dens: L'honnête homme et la critique du goût, der (S. 33) die Bedeutung der Stilfragen bei Faret unterschätzt. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 59f. Zur Mediocritas vgl. die anschließenden Anforderungen: »Daß er hurtig und geschwinde und doch darbey nicht unbesonnen oder unbedachtsam/ daß er wachsam und doch nicht unruhig/ daß er kühn und doch nicht übermüthig noch zänckisch/ daß er still und doch nicht melancholisch/ daß er Ehrerbietig und doch nicht furchtsam/ daß er lustig und doch kein Schmeichler/ daß er hurtig und wacker/ und doch kein Partitenmacher/ und für allen Dingen daß er geschickt/ aber nicht leichtfertig noch betriegerisch sey.« Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 59.

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Ehrgeiz und Konkurrenz. Sie ist geeignet, die auseinanderstrebenden Interessen und die Mehrschichtigkeit und Unverläßlichkeit des höfischen >Theaters< nicht abschließend zu ordnen, aber spielerisch zu transformieren. Sie folgt den Anforderungen der Négligence, mindert Angriffsflächen, vermeidet Konflikte65 und entspricht der Empfehlung, keine starre Position zu beziehen.66 Dadurch entfaltet sie eine legitimationsfördernde Wirkung und gewährt Situationskontrolle und Handlungssouveränität. Die »feste Verfassung« kann deshalb auch nicht als >regelmäßige< gedacht, sondern muß in der Bewältigung irregulärer, wechselnder Konstellationen gewonnen werden. Den Hintergrund bildet die auch von Faret wiederholt vorgetragene Einsicht, daß sich für das Auftreten des Hofmanns keine Regeln angeben lassen. Über den Erwerb der »natürlichen Gunst« (»grace«), die - Castigliones »grazia« entsprechend - über allem Handeln liegen soll, liest man: »Dieser Punct ist so hoch/ daß er die Vnterweisungen und Regeln der Kunst übertrifft und nicht so eigentlich gelehret werden kan.«67 Als Attitüde einer nicht wesensmäßig fixierbaren strategischen Übersicht verkörpert die »feste Verfassung« die undefinierbare und nur praktisch erwerbbare »bienséance«.68 Kalkuliertes Auftreten und Emanzipation strategischer Techniken der Situationskontrolle bilden die Voraussetzung für eine heroische Erscheinung des Hofmanns: Sie haben bey guter Zeit ihre Gemüther zum guten geneigt/ und haben sie dergestalt gewehnet/ die Laster so die Gesellschafften zerstören/ zuvermeiden/ daß es scheinet/ als ob sie von Natur alle Tilgenden/ so die Weisen selbst mit Mühe werckstellig machen könnten/ practicirten. 69 65

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Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 68, zur Untertreibung im Umgang mit dem Herrn: »Welcher sich nun dessen also gebraucht/ der wendet von sich ab den Haß und die Klagen/ welche den bösen Ausgängen zu folgen pflegen/ und den grossen Herren und Fürsten so gar übel zu ertragen sind«. Zur Vermeidung von Offensionen S. 93; zum konfliktvermeidenden Widerspruch S. 108. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 105: »Vnnd weü sie den unendlichen Vnterscheid der Arten/ derer des Menschen Gemüth fähig ist/ wissen und verstehen/ können keine so lächerliche noch ihrer Vernunfft widerwertigere Meynungen fürgebracht werden/ so sie beleidigen möge; gleich wie keine Opinion ist/ darinn sie sich dergestalt verlieben solten/ selbige eigensinniger Weise zu vertheidigen.« Vgl. auch S. 124-126 zur Notwendigkeit der Anpassung an die Mode und zum Fehler »eigensinnigen« Widerstands gegen die Gebräuche. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 18; vgl. auch S. 601: »Unmüglich ist es/ gewisse Regeln/ auff was Art und Weise man sich der Worte gebrauchen soll/ zu geben/ in Erwegung des unendlichen Vnterscheids der Dinge/ so einem in der Welt zu handen stossen«. S. 140 über die Notwendigkeit des Verstandesgebrauchs, um den Damen zu gefallen: Man könne »wegen dieses Subjects/ in Erwegung des grossen Vnterscheids der Begenheiten/ und der unendlichen Vngleichheit der Gemüther/ keine gewisse Regeln geben.« Zum »Wohlstand« Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 86. Für die Originalversion vgl. z.B. Faret: L'Honneste homme, S. 22; 130. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 103.

384 Allerdings haben wir gesehen, daß bei Faret eine Hofgesellschaft als Rahmen dissimulierender Selbstdarstellung nicht mehr vorhanden ist. Auch die Kunst der klugen und auf dynamischen Ausgleich bedachten »grace« steht deshalb in der Gefahr, sich als Taktik zu erkennen zu geben und den Zweck der überbietenden und unhintergehbaren Präsentation eines allgemeingültigen heroischen Größenbilds zu verfehlen. So stellt sich die Frage, auf welchem Weg Faret stattdessen die Bedingungen für eine allgemeine Legitimation politischen Handelns zu sichern sucht. Angelpunkt seiner Konzeption ist in dieser Hinsicht der Fürst. Dissimulation und Selbstkontrolle des Honnête homme dienen zwar zunächst der Steuerung der eigenen Erscheinungsweise zum Zweck eines einnehmenden Eindrucks auf den jeweiligen Herrn. Faret gibt dem Hofmann insofern die Mittel zur Selbstbehauptung in der Konkurrenzsituation des Hofs an die Hand. Doch ist damit das Verhältnis zwischen Hofmann und Fürst noch nicht hinreichend beschrieben. Denn auf fast paradoxe Weise ist letzterer nicht nur Gegenstand der Hofkonkurrenz, der Castigliones Hofgesellschaft aufbricht;70 er übernimmt im Gegenteil auch die Rolle eines Ordnungsfaktors, der den potentiell destabilisierenden Folgen der Interessenwillkür entgegenwirkt. Auf jeden Fall verleiht auch Faret dem Fürsten die Züge eines absolutistischen Monarchen. 71 Der Verfasser setzt nicht nur voraus, daß ein legitimes monarchisches Regiment der beste Weg »zu Erhaltung des gemeinen Nutzens« sei. Vielmehr erscheinen das Wohl des Landes und das des Fürsten als identisch. Der Fürst repräsentiert daher bei Faret das Allgemeine, das bei Castiglione durch die Autorität der Hofgesellschaft gegeben war. Während sich unterhalb seiner Position die partikularen Interessen entfalten, verwirklicht der Fürst die Gesamtheit. Den äußeren Rahmen des legitimationsbedürftigen (und legitimationsfähigen) Handelns bildet demnach der Staat. Auch wenn der Fürst sich seinerseits auf das »Gesetz« verpflichtet sieht, »daß nemlich die Wolfahrt seiner Vnterthanen ihm lieber als sein eigenes Leben seyn soll«, läßt Farets Modell fürstliches Versagen bzw. einen Mangel an fürstlicher Integrität gar nicht erst als möglich erscheinen.72 Auf diese Weise bleibt undiskutiert, was den Ansatz insgesamt in Frage stellen könnte - daß an der Spitze der Hierarchie »das Ordnungsprinzip fragwürdig und widerlegbar wird, weil die relationale Struktur sich nicht weiterführen läßt.« 73 Von der zentralen Position des Fürsten leitet sich die Bestimmung des Hofmanns her. Auch bei Castiglione zielt die Kunst, durch Grazie zu gefal70 71

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Dazu allgemein Burke: Die Geschicke des »Hofmann«, S. 1 4 1 - 1 4 6 . Zum folgenden Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 4 2 - 4 6 . Zum Fehlen einer Hoflehre für den Fürsten angesichts seines Sonderstatus in Farets Hofmannstraktat vgl. Kapp: Zur Beurteilung des Hofes in den Schriften zur Prinzenerziehung, S. 1 7 0 - 1 7 2 . Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik I, S. 76.

385 len, auf den Fürsten als Machtzentrum. Doch will der Cortegiano durch die Fähigkeit, sich angenehm zu machen, das Amt des moralischen Lehrmeisters einnehmen. Schon insofern ist vorausgesetzt, daß Hofleute und Fürsten denselben ethischen Maßstäben unterworfen sind. Doch darüber hinaus wird der Fürst an die Umgangsformen der Hofgesellschaft gebunden; potentiell gewinnt der Hofmann damit eine nicht kontrollierbare Macht über seinen Herrn. 74 Entsprechend wahrt der Cortegiano eine gewisse Unabhängigkeit vom Fürsten. Dagegen bekommt bei Faret die Annäherung an den Fürsten als »das würdigste Object oder Ziel eines/ welcher sich an einem so gefährlichen Orte aufhalten will«, einen anderen Sinn. Der Fürst selbst bildet den Maßstab für das geforderte Verhalten; ein Urteil über ihn ist nicht möglich. Deshalb kann der Honnête homme weder die Rolle des Präzeptors übernehmen, noch sieht der Traktat eine kritische Distanz gegenüber fürstlichem Versagen vor. Auch die Möglichkeit, den Herrn zu wechseln oder überhaupt den Hof zu verlassen, müßte zu einer Störung der heroischen Gesamtkonzeption führen. Nur von der absolut verbindlichen Fürstenposition her kann der Verfasser den Hof als Feld heroischen Handelns entfalten. Der Verzicht des Honnête homme auf die eigene Urteilskompetenz ist der Preis für diesen Legitimationsweg. Ehre kann der Honnête homme nur im Gehorsam gegenüber dem Fürsten gewinnen: Was »könte doch ein weiser Courtisan und Hoffmann/ für ein würdiger Object sich erwehlen/ als die Ehre zu haben/ seinem Fürsten wol und trewlich zu dienen/ und desselben Nutz und Bestes weit mehr als sein eigenes zu lieben und zu achten.« Die Nähe zum Fürsten bildet unter diesen Bedingungen das Maß für die Teilhabe am Allgemeinen. Deshalb fällt das Streben nach ihr auch nicht mit persönlichem Interesse zusammen. Der Ehrgeiz, an der fürstlichen Macht zu partizipieren, verwandelt sich in einen gemeinnützigen Habitus, solange er nicht das Gefüge des Hofs aufbricht: »Daraus denn folget/ daß alle die jenigen/ so sich dieser Gewalt unterwerffen/ derselben am nähesten zu kommen/ erwündschen/ und sich bemühen selbige mit Gefahr Guts und Bluts handzuhaben und zu vertheidigen.« 75 In diesem Sinn scheint sich der Hof zu einem sinnvollen Gesamtbild zu organisieren. 74

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Die Ausführungen zum Verhältnis von Hofmann und Fürst leiten das vierte Buch von Castigliones »Libro del cortegiano« ein. Vgl. S. 368f. (Das Buch vom Hofmann, S. 334f.): »II fin adunque del perfetto cortegiano, del quale insino a qui non s'è parlato, estimo io che sia il guadagnarsi per mezzo delle condicioni attribuitegli da questi signori talmente la benivolenzia e l'animo di quel principe a cui serve, che possa dirgli e sempre gli dica la verità d'ogni cosa che ad esso convenga sapere, senza timor o periculo di despiacergli; e conoscendo la mente di quello inclinata a far cosa non conveniente, ardisca di contradirgli, e con gentil modo valersi della grazia acquistata con le sue bone qualità per rimoverlo da ogni intenzion viciosa ed indurlo al camin della virtù«. Die Vermutung, daß der Hofmann als Lehrer dem Fürsten überlegen sei, muß der Redner im Sinn der Sprezzatura natürlich zurückweisen (Il libro del cortegiano, S. 416-420; Das Buch vom Hofmann, S. 375-380.) Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 43; vgl. auch S. 44:

386 Doch welche Vorkehrungen trifft Faret, um dem Hof ein überzeugendes Erscheinungsbild zu sichern und sein Auseinanderfallen zu vermeiden? Diese Frage führt zu der Präsentation des Hofs, in die der Verfasser den Honneste homme münden läßt. In ihr lassen sich wenigstens Ansätze zu einer literarisch suggestiven Transformation des Traktats erkennen. Damit trägt die Schrift der Einsicht Rechnung, daß eine glaubwürdige Vermittlung eines Größenbilds auf exemplarische Verwirklichung angewiesen ist. Die abschließenden Ratschläge gelten dem Umgang mit den Hofdamen. Zwar - auch hier scheint bei genauerem Zusehen das Erfolgsstreben durch. Faret empfiehlt, diejenigen Damen zu besuchen, »bey welchen die besten Zusammenkünften gehalten werden/ in welcher Gesellschaft man sich dann/ wann es müglich ist/ begeben soll/ damit sie bewegt werden mögen/ uns hinwiederumb gute Dienste bey allen denen so sie besuchen/ zu bezeugen.« 76 Doch besonders in der Sphäre der Hofdamen wird andererseits das politische Geschäft anmutig überformt. In Hinsicht auf das Gewicht, das Faret auf diesen Aspekt legt, partizipiert er an einer Schwerpunktverlagerung auf die Seite der Hofdamen, deren Weiterentwicklung in Frankreich Stanton für die letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts hervorgehoben hat. 77 Allerdings liefert auch hier Castiglione bereits das Vorbild: Die führende Rolle der konvenierenden Hofgesellschaft übernehmen die »donne di palazzo«, während der Herzog von Urbino - so will es die Rahmensituation - seines körperlichen Verfalls wegen nicht in Erscheinung treten kann. 78 Faret führt den Glanz des Hofs einschließlich der Divertissement-Aspekte auf die Hofdamen zurück. Im Umgang mit ihnen konzentrieren sich die im Honneste homme gelehrten Verhaltenstechniken - wie »denn auch der meiste Theil der jenigen [Lehren]/ so wir zuvor erwogen haben/ bey ieder Gelegenheit unter dem Frawenzimmer in acht genommen werden können.« Von der Konversation mit den Hofdamen könne man behaupten, »daß gleich wie selbige die anmuthigste und angenehmeste ist/ sie auch hingegen die zarteste und schwereste aller andern sey.«79 Auf das Ziel, »daß er seine Gegenwart gefällig und angenehm mache«, 80 soll der Hofmann seine äußere Erscheinungsweise (Mimik, Gestik, Kleidung) ausrichten, die er insgesamt der Négligence zu unterwerfen hat. Das Verbergen von Kunst und Absicht kann es geraten erscheinen lassen, von der Schönheit ganz abzuweichen; an

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»Vber diß so sind alle andere Vorsätze/ so man erkiesen möchte/ nicht allein ungewiß/ sondern auch voller Sorgen/ Vnruhe und Widerwillens/ derer Gelegenheiten dann alle Augenblick und in ziemlicher Menge/ bey dieser grossen Vermischung der Personen/ so alle nach einem Dinge streben/ sich begeben; welches dann die Gunst des Fürsten oder Herrn ist.« Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 122. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 139 u. ö. Castiglione: Il Libro del cortegiano, S. 19-21. Das Buch vom Hofmann, S. 17-19. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 120. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 123.

387 ihre Stelle tritt das >Angenehmeanmutigen< Umfangsformen zusammen: »Dieses Geschlecht ist gar zu 81 82

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Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 127. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 139; zur Négligence auch S. 126. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 134. Zur heroischen Tugend ebd., wo der Verfasser betont, »daß die Hertzhafftigkeit des Frawenzimmers eben dieselben/ so sich beyn Mannspersonen befindet/ sey/ und daß der vnterscheid des Geschlechts keinen Vnterscheid der lügend machet.« Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 134.

388 holdselig und friedsam/ als daß es unfreundliche harte Worte oder Zanck und Streit vertragen könte.« Wenn Faret zur »Wirkung ihrer Schwachheit« erklärt, »daß die Damen einer herrischen Natur seynd/ und die allzeit gebieten will«,85 liefert er geradezu ein Schulbeispiel für verdeckte und untertreibende Machtausübung. Die durch das »Frawenzimmer« dominierten >Konversationsspiele< unterwerfen den Hof einem ästhetisch dissimulierenden Verhaltensregiment. Als >verfaßte< Institution korrespondiert der Hof als ganzer mit dem >geschlossenen< Entwurf des Hofmanns im einzelnen. Dessen organisierte Person, die sich an einem klassizistischen Perfektionsmodell orientiert, fügt sich in die durch den Fürsten vertretene Ordnung ein und gelangt gerade so zu verdeckt effektiver Größendarstellung. Die Lehren über den Umgang mit den Hofdamen leitet eine Lobrede auf die Konversationskunst am Hof Ludwigs XIII. ein. Dies ist nicht nur eine durch die Situation verlangte Verbeugung des Verfassers vor dem eigenen Fürsten, sondern auch eine Konsequenz aus der Anlage der Schrift. Als Hofmannslehre, die sich auf eine absolutistische Konstellation bezieht, kann der Honneste homme zwar die Konversation als Metier des Hofmanns und als Medium glanzvoller Selbstpräsentation des Hofs preisen, nicht jedoch die konversierende Gesellschaft zur autoritativen Urteilsinstanz erklären. Wie wir auch schon im Zusammenhang mit Saavedra Fajardo beobachten konnten, kann deshalb die Lobrede, die unter den gewandelten Bedingungen besonders geeignet zu sein scheint, ein auf den Fürsten ausgerichtetes Idealmodell des Hofs als Legitimationsrahmen für den heroischen Hofmann zu präsentieren, das Gespräch ersetzen oder ergänzen. Konkret nimmt dieser Entwurf bei Faret die Form eines >Himmelsbilds< an, eines literarischen Dekkengemäldes. Darin räumt der Verfasser der Königin die Zentralposition ein, um die sich in konzentrischen Kreisen die Hofdamen bewegen. In dieser hierarchischen Anordnung werden die Königin mit Juno und dem Mond, der Hofstaat hingegen mit geringeren Göttinnen, Sternen und »Sphaeren« verglichen: Vnd unterdessen die Königin auff ihrem Thron ihren Preiß und Ruhm für allen Augen des Hofs ausleget/ bewegen diese schöne Jungfrawen/ oder vielmehr diese junge Sonnen auff der andern Seite iederman über ihren Glantz zur Verwunderung/ und machen auch die höchsten und unbendigsten Freyheiten des Erdbodens ihrem Reich und Gewalt unterwtirffig.86

Der Text als ganzer zeigt, auf welche Weise dieses Idealbild dem Kampf der politischen Interessen abgewonnen wird und als dissimulierendes himmlisches Spiel die Antagonismen auf dem höfischen Parkett überwölbt. In dieser Vision zeigt sich der Hof als Erscheinungsform des Allgemeingültigen. 85 86

Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 130. Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 121. Zum Thema Wiedemann: Himmelsbilder des Barock.

389 Die Unterwerfung des Hofmanns unter die Herrschaft der Hofdamen zielt darauf, durch die Teilhabe an diesem Ganzen zu einer überzeugenden, zugleich legitimations- und erfolgsorientierten Selbstpräsentation zu gelangen. Ich greife an dieser Stelle noch einmal den Beginn des Kapitels auf. Was Faret mit der dort beschriebenen Schlußwendung inszeniert, ist nur bei oberflächlicher Betrachtung das Eingeständnis eigenen Unvermögens, tatsächlich jedoch eine einnehmende, auf Gunstgewinn angelegte Selbstpräsentation nach den in der Abhandlung gelehrten Grundsätzen. Die kunstvolle Selbstverkleinerung entspricht dem Prinzip der Négligence; ihr Gegenteil findet man z.B. in der chevaleresken Eitelkeit und Prahlerei: »Dieser Gebrechen ist Hassens werth/ und macht diejenigen/ so sonst grosses Lob verdienten/ verachtet/ indem sie nemlich die Geduld nicht haben noch erwarten/ biß man ihnen ihr Lob freywillig zueignet«. 87 Diese Selbstdarstellung des Verfassers soll das Hofmannsideal vorbildlich umsetzen. Die ostentative Unterbietung der Anforderungen an den Hofmann entspricht dem Paradox kunstvoller Kunstlosigkeit und ist eine verdeckte Darstellung der eigenen Größe. In Hinsicht auf den Anspruch, den Hofmann nicht nur präskriptiv zu bestimmen, sondern ihn auch literarisch zu präsentieren, führt der Traktat aber über das Programmatische nicht hinaus. Sowohl die Entfaltung ästhetischer Selbstdarstellungstechniken als auch die Panegyrik bleiben zu punktuell, als daß sie die Abhandlung als ganze umgreifen könnten. Offenbar sieht sich der Verfasser nicht mehr in der Lage, die konfliktträchtigen Aspekte des Hofs, die Freisetzung partikularer Interessen in einem umfassenden Funktionsmodell zu neutralisieren. Dazu mag die spezifische Perspektive einer Hofmannslehre beitragen, die sich von der auf die Spitze der Hierarchie ausgerichteten Fürstenspiegeltradition unterscheidet. So deutlich die Absicht eines heroischen Hofmannsentwurfs erkennbar ist, so sehr bleibt sie im Streit mit dem Anweisungscharakter des Traktats und dem impliziten Eingeständnis, daß sich die Vielzahl der Interessen kaum noch durch eine heroische Gesamtkonzeption überbieten ließ.

6.2

Das Glücke bey Hofe

6.2.1 Der Glücksbegriff in Hofmannslehren der zweiten Jahrhunderthälfte An verschiedenen Beispielen konnten wir sehen, daß das Heroische - bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts unangefochten - als Decorum der Fürsten und Hofleute seine Glaubwürdigkeit gewann, auch wenn es auf diesem Weg nicht zu definieren war. Denn die ethischen Wesensbestimmungen, wie sie 87

Faret: L'Honneste homme, das ist: Der ehrliebende Weltmann, S. 13.

390 der Topos »De virtute heroica« bereithält, traten so sehr in den Hintergrund, daß die Frage, worum es sich eigentlich handle, gegen die Frage eingetauscht werden muß, wie es jeweils glaubhaft gemacht und verwendet werde. Dieser Verbindung von heroischer Größe und Decorum liegt eine topologische, auf anschauliche Ordnungssysteme ausgerichtete Rationalität zugrunde. 88 Der politischen Symbolik fällt dabei, gleich ob auf dem Gebiet des Decorum im engeren Sinn oder auf dem der Kunst, des Tanzes, der Architektur oder des Militärwesens, durchaus keine nur sekundäre Rolle zu, etwa eine des nachträglichen Erklärens oder Vermitteins, auch keine nur bestätigende, sondern eine unmittelbar konstituierende. Sie stellt die Ordnung her, indem sie sie repräsentiert, verbürgt Wahrheit und entfaltet so eine autoritativ-exemplarische Überzeugungskraft. Das Heroische ist die Erscheinung solcher Autorität. Die Kompetenz, eine Ordnung symbolisch-heroisch zu disponieren, wirkt verdeckt herrschaftslegitimierend und geht in das heroische Größenbild ein. Allerdings ist, wie wir sahen, in die Symbolik des Barock ein Störungsfaktor eingelassen. Sie kann nicht mehr als schlechthin gegeben gelten, sondern ist stets hervorgebracht und zu bestimmten Zwecken eingesetzt. Daß Fürsten und Hofleute sich nicht in einer gesicherten Symbolsprache bewegen, sondern selbst steuernd eingreifen; daß die politische Ordnung nicht mehr ohne weiteres übernommen werden kann, sondern durchgesetzt, eingerichtet und gestützt werden muß, führt auf lange Sicht zu einem Glaubwürdigkeitsverlust. Dieses Problem zeigt sich freilich erst im historischen Rückblick. Aus der Perspektive der bislang behandelten Texte steht noch außer Frage, daß die im Decorum symbolisierte als wahrheitsfähige, autoritativ gültige und heroische Ordnung anzusehen ist. Die Vorbedingung dafür, daß der Taktiker, der erkennbar über das heroische Decorum als Souverän verfügt, zugleich glaubwürdig als Held auftreten kann, daß das Größenbild nicht im nur Äußerlichen und das Theater nicht im falschen Schein aufgeht, ist die Zugehörigkeit der Klugheit, damit aber der Politik überhaupt, zur Ethik - und ebenso umgekehrt: das politische Verständnis der Tugendlehre. Solange die Prudentia selbst als lügend gilt und dafür zuständig ist, die Higendpraxis zweckmäßig zu lenken, bleibt die Politik in der Reichweite der Ethik und andererseits die Ethik politisch. Daraus bezieht die Frühaufklärung, wie wir sehen werden, einen der Haupteinwände gegen die aristotelische Ethik. - Auf jeden Fall kann das Decorum den tugendkonformen Habitus, den Geboten der Klugheit entsprechend, in kommunikative Praxis umsetzen. Selbst wenn es eigenen Gesetzen folgt, bleibt es als anschauliche Erscheinung der Tugendordnung in die Ethik inte-

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Ich verzichte hier darauf, den Begriff der Rationalität weiter zu entwickeln. Zur Bestimmung der spezifischen Rationalität des Barockzeitalters vgl. Elias: Die höfische Gesellschaft; Eichberg: Geometrie als barocke Verhaltensnorm; ders.: Festung, Zentralmacht und Sozialgeometrie.

391 griert. Doch bezeugen Politiken und Anstandsiehren der frühen Neuzeit eine Verselbständigungstendenz von Klugheitstheorie und Decorum. Von hier aus gesehen dient der ästhetische und ideologische Aufwand, der die Autorität des Heroischen sichern soll, dazu, vor dem Hintergrund politisch-legitimatorischer Interessen die Einheit von Ethik und Politik zu bewahren oder wiederherzustellen. So gesehen, spielen das Heroische eine durchaus stabilisierende, seine Bewerkstelligung aber eine ungewollt destabilisierende Rolle. Für die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts kann gelten, daß eine Geschichte des Heroischen identisch ist mit einer solchen des exemplarischautoritativ zu vermittelnden Decorum. Dagegen soll jetzt an einigen Beispielen des ausgehenden 17. Jahrhunderts gezeigt werden, wie das Heroische sich aus dem Decorum zurückzieht. Entscheidend ist die Frage, welche Bedingungen für diese Wendung innerhalb der Geschichte des Decorum verantwortlich sind. Wie wir am Beispiel von de Refuge sehen konnten, existierte neben den heroischen Hofmannsbüchern, gewissermaßen als deren technisches Gegenstück, stets auch eine praktische Anweisungsliteratur. Auch die Traktate, die ich jetzt im Überblick behandeln möchte, stellen sich als pragmatische Erfolgslehren dar. An ihnen lassen sich Entwicklungen ablesen, die den p o litischem Heroismus zu entmachten beginnen und das Heroische unter neuen Begründungsdruck setzen. Natürlich bleibt davon völlig unberührt, daß gleichzeitig das Heroische auch in politischen Argumentationszusammenhängen facettenreich fortexistiert. Dieses Kapitel gilt den Abhandlungen Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute von Jacques de Cailliere (im französischen Original 1658), Schmiede des politischen Glücks von Ch. G. Bessel (1666) und Das Glücke bey Hofe, das (wohl 1694) anonym erschien. 89 Sie teilen schon im Titel die Orientierung am Glück - ein Begriff, der in älteren Beispielen der Hofmannsliteratur noch nicht dieselbe herausragende Rolle spielt. Diese Gemeinsamkeit ist kein Zufall, sondern hat programmatischen Charakter. Freilich ist, wenigstens bei Cailliere, der Glücksbegriff durchaus doppelsinnig. Auf der einen Seite bezeichnet er das Geschick im Sinn der doppelgesichtigen Fortuna, auf der anderen die Glücksgüter, darüber hinaus aber auch den glücklichen Zustand im Sinn von Bona fortuna oder Felicitas.90 89

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Bei der Suche nach dem Verfasser helfen auch die Initialen M. D. R. nicht weiter, mit denen die in gebundener Sprache verfaßte Erklärung des Titelkupfers unterzeichnet ist. (Ohnehin stammt dieses Gedicht ja nicht unbedingt vom Verfasser des Traktats.) Ebenso fehlt das Erscheinungsjahr, während die Ortsangabe (Glaßburg) fingiert ist. Aus dem Text selbst ergibt sich ein Druckdatum nach 1691. (Vgl. [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 29: »Der grosse Staats-Minister in Franckreich/ Monsr. Louvois, welcher in jüngst verwichenem 1691. Jahr zu Pariß verstorben/ hat in seinem Vermögen bey siebenzig Millionen hinterlassen.«) Der Wolfenbütteler Katalog verzeichnet als Erscheinungsjahr 1694. Zu diesen Aspekten in Hinblick auf ihr Verhältnis zur christlichen Perspektive mit weiteren Quellen Kirchner: Fortuna in Dichtung und Emblematik des Barock,

392 Unter dem Aspekt der Fortuna konzentrieren sich die Schriften auf die Bewältigung der komplexen Hofverhältnisse und reihen sich in die Lehren der Selbst- und Fremdkontrolle ein. Doch beginnen sie, die topologische Repräsentationsrationalität in eine Zweck- und Leistungsrationalität zu verwandeln. Dies setzt voraus, daß die Plausibilität des Decorum, auch die des Hofs, als autoritativer Ordnungsinstanzen schwindet. Cailliere nimmt zwar an, daß dem scheinbar Zufälligen eine allgemeine Ordnung zugrunde liege. Diese tritt aber weit in den Hintergrund und hat für den Blick auf den Hof keine Bedeutung mehr; für den Menschen sei sie uneinsehbar. 91 Der Verfasser hält deshalb eine vollkommene Ursachenerkenntnis für ausgeschlossen. Deutlicher bezieht der Anonymus Stellung. Seine Abhandlung setzt nicht voraus, daß Fürst und Hof eine autoritative symbolische Ordnung repräsentieren. Der Verfasser nimmt sie vielmehr als gesetzte und kontingente Institutionen wahr; die Deutung der unbeherrschbaren höfischen Komplexität verliert damit ihren entscheidenden Bezugspunkt. Zwar ist die Unkontrollierbarkeit des »Glücks« eine allgemeine Voraussetzung von Hofmannslehren und Politiken der frühen Neuzeit; auch der Anonymus zitiert die einschlägige Kontingenzmetapher von Meer und Seefahrt. Anders als Cailliere beschäftigt er sich aber nicht mit der Frage, ob sich hinter den inkalkulablen Ereignissen eine (allenfalls durch den Hof repräsentierte) Ordnung verberge. Der Hofmann ist aufgefordert, sich mit dem »Glück« als Willkürfaktor auseinanderzusetzen. Die einschlägigen Formulierungen belegen zugleich die Distanz zu Farets Bemühungen, das Erscheinungsbild des Hofs als verbindliches Leitbild herzustellen: Das »Hof-Glücke« sei »nichts anders/ als eine zufällige Gnade eines Fürsten«, die gegebenenfalls auch ohne »Meriten« verschenkt werde. Es sei überhaupt »nur eine zufällige Sache eines Menschen/ daß er bey einem Fürsten oder Potentaten in Gnaden kommt/ und dessen Favorit oder Bedienter wird«.92 Den Wechselfällen des Hoflebens sieht sich so der Hofmann des anonymen »Glücks«-Taktats, im Grunde aber auch schon die von Cailliere entworfene Figur auf neue Art exponiert: Alle Hinweise auf die Erfolgsgewißheit

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S. 118-123. Dort auch zur »Interpretatio Christiana« der von Sallust (Epistula ad Caesarem, 1,1, 2) entlehnten Formel »Faber quisque fortunae suae est«. Vgl. auch S. 141-169. Die vorliegenden Texte unterscheiden sich durch ihre Ausrichtung auf ein anthropologisches Ausgeglichenheitsziel von den Konzeptionen, denen zufolge die »wahre Glückseligkeit« erst im Jenseits zu finden ist. Vgl. Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 278: »Die Augen menschlicher Klugheit sind viel zu schwach/ als daß sie die allgemeinen und sonderbare Ursachen der Dinge solten durch dringen und erforschen können/ ungeachtet sie alle sonderlich und gewiß verordnet und nichts Glük-fälliges an sich haben; Jhre Unzählbarkeit können wir nicht fassen noch begreifen.« Zur Argumentation gegen den Glauben an die Fortuna auch ebd., S. 7. [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 4. Vgl. auch S. 10, wo die Hofleute als »Rechen-Pfennige« der »Hof-Fortun« (nämlich der fürstlichen Willkür) erscheinen.

393 tugendhaften Verhaltens, aber auch solche auf den (wenngleich nicht erkennbaren) Sinn des widrigen »Glücks« verlieren an Überzeugungskraft. Eben diese Wendung führt umgekehrt auch zu Ansätzen von Leistungsorientierung. Einen ersten Hinweis darauf findet man in Caillieres Kritik an den pyrrhonistischen Erkenntniszweifeln; der Verfasser erklärt für möglich, die Willkür der Fortuna partiell auszuschalten. Ihre vollständige Beherrschung gilt als undenkbar, die Kontrolle über sie jedoch als verbesserungsfähig. Halten wir fest, daß Cailliere dabei geradezu ostentativ heroische Perfektionsformeln vermeidet: Auch ist mein Fürsatz nicht/ einen Menschen/ der nicht irren könte/ hier abzumahlen [...]; Es wird mir genug sein/ einen minder-schwachen Menschen/ als sie in gemein sind/ fürzustellen/ welcher uns einzige gewisse Lehr-sätze aus eigner Erfahrung darreichen kan/ wie wir die Wohlfahrt unsers Lebens selbst Grundfest legen und nicht an der Eigensinnigkeit dieser Glüks-Göttin/ der die Weisen durchaus nichts schuldig sein wollen/ ganz und gar hangend bleiben mögen. 93

Kommen wir zum zweiten, für den Argumentationszusammenhang entscheidenden Aspekt des Glücksbegriffs; er entspricht in der Cailliere-Übersetzung der subjektiv verfügbaren »Wohlfahrt«. Aus der Sicht der praktischen Philosophie betrifft er den Zustand, auf den die >politisch< verstandene Tugendlehre zielt, damit aber auch das Problem des Interesses; er ist mit Hilfe der Klugheit zu erreichen, die die Zweck-Mittel-Relation der Ethik steuert. 94 Wir hatten gesehen, daß die Politiken und Hofmannslehren, zuletzt Faret, die Dissimulation des Eigeninteresses lehren, um so politisches als heroisch exemplarisches, auf eine verbindliche Gesamtordnung bezogenes Handeln darstellen zu können. Gleichzeitig wurde deutlich, daß Interesse und Klugheitstechniken sich unter dem Mantel der heroischen Erscheinung verselbständigten. Allerdings konnten sie in dieser Lage keine eigenständige Dignität als philosophisches Problemfeld entwickeln. Die Glückstheorien verlassen den engeren Bereich der Ethik (deren Bestimmungen sie nicht in Frage stellen, sondern ergänzen wollen) und beginnen, ohne philosophischen Anspruch und auf die Hof praxis bezogen, diese Leerstelle zu füllen. Der Glücksbegriff weist programmatisch darauf hin, daß sich der auch zuvor schon labile Zusammenhang von Klugheit und Ethik (verstanden als Tugendlehre) zu lösen beginnt. Unter dem Vorzeichen des Glücks kann sich die Klugheitstheorie, und mit ihr in gewissem Umfang das Decorum, als Lehre von der »Privat-Politik« verselbständigen und sich am Ende des Jahrhunderts neben Ethik und Politik in der praktischen Philosophie etablieren. Cailliere liefert dafür allerdings mit seiner einleitenden Stoizismus-Kritik und dem gleichzeitigen Bekenntnis zum Epikureismus eine

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Cailliere: Von dem Glilkke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 9f. Zur Pyrrhonismuskritik ebd., S. 7f.; 280f. Zum Folgenden Schneiders: Thomasius politicus.

394 ethische Begründung. Auch in der deutschen Literatur der zweiten Jahrhunderthälfte gewinnt der Epikureismus, so bei Lohenstein, an Boden. 95 Daß Cailliere als Praktiker diese Lehre nicht umfassend philosophisch ausführt und speziell auf eine systematische Affekttheorie verzichtet, nimmt der Passage nichts von ihrem Gewicht. Nicht nur, daß die affektfreie stoische Apathie für ihn offenbar nicht mehr im Bereich des Möglichen liegt; er führt auch die Askese auf das allgemeine Gesetz der »Wohllust« zurück: Die »vollkommenen Seelen«, die sich einer »freywilligen und Evangelischen Armuth« ergäben, verzichteten darum nicht auf den Genuß ihrer gemeinschaftlichen Einkünfte. »Jhre Kirchen und Gebäue« seien nicht weniger prächtig als die fürstlichen; wenn sie auch dem persönlichen Besitz entsagten - die »NutzNiessung« behielten sie sich vor.96 Schon hier deutet sich an, daß Caillieres Perspektive geeignet ist, die Glaubwürdigkeit heroischer Repräsentation (etwa nach dem Muster von Lamormain oder Spattenbach) in Zweifel zu ziehen. Im Zentrum von Caillieres Tugendlehre steht die »der Natur der Seelen und des Leibes« gemäße »Wohllust«. Dieser Begriff setzt eine positive Bewertung der Affekte voraus, die ihrerseits im Sinn eines Ausgewogenheitsziels moderiert werden müssen: »Die Verschwendung des Marcus Antonius scheinet mir eben so scheltwürdig/ als die Sparsamkeit des alten eigensinnigen Cato; und halte ich den Croesus eben so ungeschiklich in dem Besitze seiner Schätze/ als den Diogenes lächerlich in seinem Fasse.«97 Auf das Gewicht, das Cailliere dem Besitz zumißt, komme ich zurück. Halten wir fest, daß sich mit der epikureischen Orientierung die gesamte Perspektive auf Klugheitslehre und Decorum verschiebt. Cailliere wendet sich nicht nur gegen die negative Affekttheorie der stoischen Philosophie, sondern ersetzt die Ausrichtung an autoritativen Ordnungssystemen und an den Strategien der Tugenddarstellung durch diejenige an einem anthropologischen Ausgeglichenheitsideal. Auf diese Weise verschafft er dem >politischen< Interesse eine eigene Legitimation. Dem auf das Decorum gestützten Leitbild heroischexemplarischer Größe ist damit die entscheidende Grundlage entzogen. Bessel und der Anonymus bemühen sich zwar nicht um eine moralphilosophische Begründung für die Lösung der Hofmannslehren von der Tugendethik. Sie teilen aber mit Cailliere die (rationale) Erfolgsorientierung, die bei Bessel im Bild der Glücksschmiede, 98 bei dem Anonymus im Leitbegriff des »zeitlichen Glücks« Gestalt annimmt. 99 95

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Zu Lohenstein Meyer-Kalkus: Wollust und Grausamkeit, S. 51-56; Borgstedt: Reichsidee und Liebesethik S. 82 - 87. Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 14f. Vgl. auch S. 12£: »wer kan läugnen/ daß ein andächtiger Mensch/ wie die grossen Heiligen gewesen/ nicht solte die eusserste Wohllust empfinden/ wenn er hier/ durch die Hitze seines Eifers von Welt-Dingen abgezogen/ an Gott gedenket?« Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 14.

395 6.2.2 Z u m Wandel des D e c o r u m Bevor ich untersuche, welche Konsequenzen die Lösung der Klugheitslehre und des Decorum von der Ethik für Begründung, funktionale Einbettung und Bewertung des Decorum hat, sei die Frage gestellt, wie die praktischen, speziell die sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen höfischen Handelns in den Hofmannslehren vergegenwärtigt werden. Die »Glücks«Theorien setzen sich mit einem grundlegenden Umbau der bei Castiglione noch überschaubaren, geschlossenen, homogenen und einfach strukturierten Hofgesellschaft auseinander. Damit ist, wenigstens in der Tendenz, ein Wandel der empfohlenen Wertorientierungen und Verhaltensmuster verbunden. Ein erstes Indiz liefern die Adressatengruppen, an die sich die Autoren bevorzugt wenden - bei Cailliere diejenige mittelloser und auf eine Hofkarriere angewiesener Edelleute, 100 bei Bessel und dem Anonymus darüber hinaus diejenige aufstrebender nichtadliger Bildungsträger. Zwar hat der Anonymus auch eine adlige Leserschaft im Blick: Unter den Gründen, das Glück am Hof zu suchen, führt er »Stand und Geschlechts-Herkommen« an. Ebenso mag der Ratschlag, den eigenen Erfolg durch eine kluge Heirat zu fördern, eher ein adliges Publikum anvisieren. 101 Doch dabei handelt es sich jeweils nur um Teilaspekte. Der Autor erwägt auch nicht den Traditionsbezug - das topische Argument vom Alter des Geschlechts - als Instrument der Selbstdarstellung. Im wesentlichen richtet sich das Werk an eine sozial dynamische Aufsteigergruppe und stellt dazu das Erfolgsinteresse selbst in den Mittelpunkt. Auf eine wachsende geographische Mobilität deuten die Ratschläge zur Auswahl des Hofs. 102 Speziell der Hofmann des Anonymus zeigt sich darüber hinaus als fachlich qualifizierter Beamter, dessen soziale Ansprüche sich nicht zuletzt auf seine Ausbildung stützen können. 103 Der Hof kann jetzt nicht mehr als verbindliches Ordnungsparadigma aufgebaut werden, sondern erscheint als Möglichkeit des Aufstiegs oder der Subsistenzsicherung, wenn eigene Ressourcen fehlen. Daß die gesamte Perspektive auf den Hof moralisch entlastet und versachlicht wird, erkennt man an weiteren Details. Cailliere diskutiert die Vorzüge und Nachteile einer militärischen Karriere und einer solchen am Hof, wovon der zweite Weg als 98

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Zum Bild des Hofs als Glücksschmiede Bessel: Schmiede des politischen Glücks, S. 48. Vgl. die Definition des Glücks in: [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 4: »Eigentlich und kürtzlich aber/ sonder Vergleichung/ mehrgemeldtes Hof-Glücke zu beschreiben; so ist dasselbe nichts anders/ als eine zufällige Gnade eines Fürsten/ vermittelst welcher ein Mensch entweder ohne seine Meriten wohl beschencket/ oder aber in einen solchen Stand und Bedienung gesetzet wird/ wovon er sein zeitliches Glücke und Unterhalt haben kan.« Zum Stichwort auch ebd., S. 27-31; 75; 94. Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 152-155. [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 31; 71-76. [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 37-43. Geitner: Die Sprache der Verstellung, S. 76£

396 »der gemächligste und sicherste« gilt.104 Ein Anzeichen für eine beginnende Professionalisierung des Hofmanns ist auch die Kritik an dem »Wahn«, »welcher einem Edelmanne das Secretarien-Amt absprechen will«.105 Diese Tendenz tritt in dem Traktat Das Glücke bei Hofe noch deutlicher hervor. Dort gewinnt die (in der älteren Hofmannsliteratur ausgeklammerte) fachliche Qualifikation an eigenständigem Gewicht. Der Verfasser differenziert bereits zwischen dem durch Gnade und dem durch Verdienst erworbenen »Glück bey Hofe«. Für letzteren Fall unterscheidet er nochmals zwischen dem eigentlichen Hofdienst, »so deß Fürsten und dessen Familie Person/ Tafel und Hof-Staat betreffen«, und dem Hofbedienten, »der seine Verrichtung oder Dienst bey der Regierung oder Kammer hat.« 106 Der Anonymus wendet sich mit seinem Traktat durchaus auch an die Regierungsund Kammerbedienten; die gesamte Adressatengruppe rückt damit dem Typus des Beamten näher. In der Liste der notwendigen Hoftugenden stehen deshalb die Fachkenntnisse an erster Stelle: »Erstlich muß er vor allen Dingen die Capacität und Wissenschafft/ welche sein Dienst und Stand erfordert/ wo nicht in vollkommenem Grad/ doch der Gestalt haben/ daß er mit Reputation und Nutzen so wohl seines Fürsten/ als seiner selbst/ dem übernommenen Amte vorstehen könne«. 107 Entsprechend klagt der Anonymus darüber, daß weniger qualifizierte Bewerber um ein Hofamt nicht auch selbstverständlich zurückgewiesen werden. 108 Im übrigen verzichtet der Autor weitgehend darauf, heroismusnahe Tugenden wie Großmut und Ehrstreben zu betonen, dringt aber um so mehr auf Loyalität, Zuverlässigkeit, Fleiß und Treue. Speziell denjenigen, die voraussetzungslos an den Hof kommen, empfiehlt der Verfasser Fleiß und Arbeitsamkeit. Ähnliches gilt für die Ratschläge über Pflichterfüllung und genaue Rechnungslegung, die er den besonders gefährdeten »Rent-Amtleuten« erteilt. 109 In den Mittelpunkt stellt der Anonymus demnach den Fachmann, der hinsichtlich seiner Karriereplanung und Wirkungskalkulation - auch - auf das Vorweisen von beruflichen Qualifikationen und spezialisierten Tugenden setzt. Gerade hier macht sich das Vordringen leistungsbezogener Ordnungsprinzipien bemerkbar.

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Cailliere: Von dem Gliikke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 21-28. Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 226 (vgl. auch S. 118-126). Die Stelle steht im Zusammenhang mit Caillieres Plädoyer für eine unpedantische Gelehrsamkeit (an Stelle des bloßen Waffenhandwerks) und zeigt also auch, daß die Pedantismusvermeidung weniger im Zeichen der sozialen Exklusivität als in dem der Erfolgsaussichten steht. [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 7. [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 156. Zum ideengeschichtlichen Kontext Stolleis: Grundzüge einer Beamtenethik (1550-1650). [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 55-57. Zu Fleiß und Arbeitsamkeit [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 77-83; zu den Finanzbeamten S. 220-230.

397 Gleichzeitig deutet sich auf der anderen Seite bei Cailliere die Möglichkeit an, daß sich die adlige Hofexistenz mit ihrem Kernstück, der Kunst zu gefallen, gegenüber den Aufgaben des Fürstenberaters verselbständigt.110 Für Caillieres Konzeption als ganze wird man dennoch kaum gelten lassen können, daß sie das aller politischen Zwecke und Interessen entledigte Honnête-homme-Ideal des ausgehenden 17. Jahrhunderts vorbereite. 111 Auf jeden Fall beginnen Hofmannskunst im engeren Sinn und fachliche Qualifikation, die noch Faret als identisch hatte erscheinen lassen, auseinanderzutreten. Auch auf den Hof als ganzen fällt jetzt ein neues Licht. Besonders in dem anonymen »Glücks«-Traktat zeigen sich ein wachsender Komplexitätsgrad der Hoforganisation und, bei aller Dominanz >topologischer< Machtsymbolik, wenigstens Ansätze zu institutioneller Verfestigung mit erkennbaren Strukturen und Kompetenzverteilungen. An kleinen Höfen sei der Hofmann unmittelbar der Kontrolle und den Launen des Fürsten ausgesetzt, dessen Stimmung nicht selten dadurch beeinträchtigt werde, daß ihm die Mittel für eine glanzvollere Hofhaltung fehlten. Deshalb empfehlen sich große Höfe durch ihre Anonymität, die sich einer differenzierteren Hofstruktur verdankt: Der Fürst lerne von den Hofleuten nur die wenigsten »recht kennen und prüfen [...]/ weilen die Anzahl derselbigen zu groß ist.« Die Distanz zum Fürsten habe den Vorteil, daß er »so vielen unterschiedenen Bedienten nicht so genau in die Hände sehen/ oder dero Thun und Lassen/ Fehler und Gebrechen/ jederzeit/ wie etwan ein kleiner Fürst an seinen wenigen Bedienten/ beobachten kan«. 112 Selbst bei den Mitteln, zum »Glück« zu gelangen, macht sich eine gewisse Institutionalisierungstendenz bemerkbar: Der Verfasser plädiert nicht gegen den Ämterkauf, sondern wünscht die Festsetzung von offiziellen Fixpreisen nach französischem Muster. 113 Daß an die Stelle eines direkten ein vielfach vermitteltes Verhältnis zum Fürsten tritt, ermächtigt den persönlichen Förderer, den »Patron«, der noch bei Faret allenfalls als nützlicher »Freund« in Erscheinung getreten war und sich jetzt, noch innerhalb eines auf personenbezogenen Machtverhältnissen beruhenden Systems, zum unmittelbaren Dienstherrn zu wandeln beginnt. Die Autoren beziehen damit das Patronats- und Klientelsystem in ihre Überlegungen ein, das umgekehrt Mittel der Machtstabilisierung war. 114 Es ist 110

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Vgl. bei Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 27f., die Formulierungen, mit denen der Verfasser das Hofmannsdasein von der militärischen Laufbahn unterscheidet: »Der andre Weg/ sich bey dem Prinzen fortzubringen/ ist/ daß man zu seinem Zeit-Vertreib Beytrag tuhe; er ist wohl der gemächligste und sicherste. Der heimlichste Kunstgriff bestehet hierinnen/ daß man sich bey ihm angenehm mache [...].« Vgl. Stanton: The Aristocrat as Art, S. 145 u.ö. Zum Folgenden [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 4 0 - 4 3 . [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 49f Zum Patronatswesen Kamen: Der Staatsmann, S. 2 8 - 3 6 .

398 deshalb konsequent, daß Cailliere auch überlegt, unter welchen Umständen es sinnvoll sei, den »Herrn« zu wechseln. 115 Die Interessen des Fürsten und die des Hofmanns fallen damit - anders als in Farets Konstruktion - auseinander. Im selben Ausmaß verliert überhaupt die Nähe zum Fürsten ihre überragende Bedeutung als Ziel des Hofmanns. Der Anonymus verweist auch auf die in der hierarchischen Staffelung angelegten spezifischen Möglichkeiten, die eigenen Interessen zu fördern: Der Fürst sei auf das Urteil seiner Minister angewiesen, »unter welchen der meiste Theil deren geringem und untern Hof-Bedienten seinen Patron und Ruckenhalter hat«; dieser werde »seinen dienten/ so viel möglich/ bey dem Printzen vertretten« und auch gegen Klagen verteidigen. Die Institutionalisierungstendenz wird so zum Sicherheitsfaktor für den Hofmann. 116 Wegen der Komplexität des Hofs müssen die eigenen Interessen auf indirektem Weg verfolgt werden, und zwar nicht nur durch dissimulierende Höflichkeit, sondern auch mit hohem zeitlichem Aufwand. Die Gunst eines »Patrons« zu gewinnen, erscheint als langwierige Unternehmung; deshalb wird die Geduld zu einer wichtigen Hofmannstugend. 117 Der Hof verliert aus der Sicht des Verfassers zwar nicht die Rolle eines Glanz- und Mittelpunkts. Doch weil das Interesse nicht mehr dem Hof als Ordnungsmodell gilt, können diese Züge in der Darstellung zurücktreten und denen einer schwer überschaubaren Einrichtung weichen. Die beruflichen Fähigkeiten sind allerdings nicht selbst Gegenstand der Texte; ebensowenig handelt es sich, wie die »Glücks«-Semantik deutlich gemacht hat, um eine auf den Hofmann spezialisierte Ethik. Die Bedeutungszunahme solcher Aspekte wird vielmehr nur in Randbereichen oder auch hinter dem eigentlichen Gegenstand erkennbar. Damit zeigt sich aber, daß der Verselbständigung der Klugheitslehre und des Decorum auf der anderen Seite eine solche des Fachwissens und der Berufsethik entspricht. - Im Kern beschäftigen sich die Verfasser der »Glücks«-Traktate, ganz in der Tradition der Decorum-Lehren seit Castiglione, mit der Frage erfolgreicher Selbstpräsentation. Insofern sind diese Abhandlungen auch durchaus der bekannten >politischen< Topik verpflichtet. 118 Angesichts des allgemeinen Klimas von 115

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Zur Auswahl des geeigneten »Herrn« Cailliere: Von dem Gliikke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 164 (der Hofmann soll einen Herrn von schlechtem Verstand meiden); 167: »Hergegen wenn ein geschiklicher Mensch unter die Hände eines weisen und verständigen Prinzen fällt/ kan es ihm nimmermehr an Vergniigligkeit fehlen.« Zum Wechsel des »Herrn« S. 202-209: »Daß er aus den Diensten eines fürnehmen Herrn gar wohl bey einem Könige oder grossen Prinzen in Dienste treten könne/ und daß ein Herr einem Edelmanne mit Bescheidenheit und glimpf begegnen solle.« Vgl. auch [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 40, die Argumentation gegen die kleinen Höfe: »Dann erstlich seynd die Dienste und das Glück an denen kleinen Höfen vielmahls noch unsicherer und unbeständiger/ als an denen grossen Höfen.« [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 147f.; zur Geduld S. 91-94. Vgl. Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, vor allem die Beschreibung eines vorbildlichen Hofmanns S. 252f. Ferner: S. 3 0 - 3 2 , über die Notwendigkeit, durch Reden und Verhalten die Gunst des Fürsten zu erlangen; dazu

399 Mißtrauen, Verstellung und Geheimnis am Hof sowie der eigenen Interessen sei es notwendig, so lehrt etwa der Anonymus, Unlustempfindungen und überhaupt Affekte zu dissimulieren, sich »wohl zu comportiren/ und seinem Stande nach zu accomodiren«, sich gegenüber Patronen und Förderern »zu submittiren/ und aufwartsam zu erzeigen«, durch Bescheidenheit und Höflichkeit Konflikte zu umgehen und die verdeckten Absichten anderer zu durchschauen. 119 Natürlich umfassen solche Anweisungen die »Kunst zu gefallen« und weisen auf die Grazie zurück, selbst wenn der Autor diesen Begriff nur im Vorbeigehen verwendet. 120 Techniken dieser Art stehen in den »Glücks«-Theorien aber in einem neuen Zusammenhang. Sie beanspruchen nicht mehr, zur Repräsentation einer verbindlichen Ordnung beizutragen, sondern erscheinen als Mechanismen, die mit Blick auf das eigene »Glück« einzusetzen sind. Beispielhaft zeigt Caillieres Diskussion der Armutsfrage, wie sich unter dem Vorzeichen des »Glücks« die Funktion des Decorum wandelt. Der Verfasser erklärt die Armut zum Mangelzustand, der nicht moralisch kompensiert werden könne, zur absoluten Grenze des »Glücks«. »Es fällt gefährlich/ wenn man den Großmuht mit der Armuht lange kämpfen lassen will/ sieget dieser ob«. 121 Diese Wendung setzt, bezogen auf Faret, eine Umorientierung von dem im Fürsten verkörperten Gesamtinteresse auf das Eigeninteresse voraus. In Hinblick auf diese Legitimierung des Privatnutzens ist sich Cailliere mit Bessels Schmiede des politischen Glücks (1666) einig.122 Angesichts der Armut gewinnt die Existenzsicherung das Übergewicht über Dezenzfragen. Dabei spielt eine Rolle, daß Cailliere ohnehin den adligen Reputationsvorsprung ohne sachliche Grundlage sieht. Er diskutiert ihn unter dem Vorzeichen des »Wahns« und erkennt in ihm ein konventionell

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gehört auch die Melancholievermeidung. S. 63-69 über den Umgang mit heimlichen Feinden; S. 83f. über Fragen der »Wohlanständigkeit« (bienséance); S. 156168 zur Insinuation bei einem Herrn; hier S. 167 ein Lob der »allgemeinen und vielfähigen Gemühter [...]/ die sich bey aller Welt beliebt machen können/ denn sie haben diesen Vorteil/ daß sie sich als ein Protheus in allerley Gestalt verendern können«; S. 186 zur Anpassung an den Herrn; S. 261-267 zur Selbstkontrolle beim Glücksspiel. Zu Bessels Verhaltenslehre im Überblick Geitner: Die Sprache der Verstellung, S. 75-80. [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 149f.; 157f.; 163-169. Vgl. auch S. 178 zu denjenigen, die sich aus Hochmut, freisinniger Denkart, Standesstolz oder wegen zu starker Affekte nicht unterwerfen »und von obgemelten Hof-Reguln bemeistern lassen« wollen. Zu Submission, Demut, Geduld und Geschmeidigkeit auch S. 87-90. [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 127. Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 273. Vgl. auch S. 113: »Armuht ist ein solches Übel/ daß auch die Allertapfersten den Muht drüber verlieren; und die Vernunfts-gründe der Philosophie über den Veracht vergänglicher Dinge/ sind keine solche Münze/ womit man seine Schulden bezahlen kan.« Eine ausdrückliche Rechtfertigung des Privatnutzens - »wofern es einem andern nicht zum Nachtheile gereicht noch mercklich schadet« - bei Bessel: Schmiede des politischen Glücks, S. 179-181.

400 wirksames Vorurteil.123 Warum Straub gerade Cailliere als Kronzeugen für ein stabiles adliges Gesellschaftsideal aufbietet, ist deshalb nur schwer zu verstehen. 124 Im Konfliktfall setzt der materielle Mangel die Kriterien des Decorum außer Kraft. Cailliere veranschlagt fehlendes Vermögen höher als den Verlust von Ehren. 125 Dem entspricht nicht nur allgemein eine Aufwertung der Kaufleute;126 der Verfasser rät darüber hinaus, die Armut unter Vernachlässigung aller Standeskonventionen zu bekämpfen. Wer sich entschließe, als Verwalter fürstlicher Einkünfte der eigenen Not abzuhelfen, müsse »ins gemein seinen hohen Gebuhrts-Stand vergessen«, »alle Adeliche Wakkerheit unter die Füsse tretten« und »der närrischen Ruhm-Sucht/ daß er ein Edelmann ist/ ja das Maul« zustopfen. Erst später »suche er seinen Adel-Stand wieder hervor/ und so verdunkelt und verborgen er gelegen/ ie herrlicher und prächtiger wird er solchen wieder in die Weld hervor bringen«.127 Bei allem Gewicht, das Cailliere dem Ansehen zumißt, ist für die Gesamtorientierung des Texts die Frage des »Glücks« entscheidend, nicht die der Reputation. Als Erkenntnisgegenstand eigenen Rechts wird das Decorum damit freigesetzt, in seiner ordnungssymbolischen Verbindlichkeit hingegen entmächtigt; deshalb kann es auch nicht mehr autoritativ, exemplarisch, heroisch vermittelt werden. Es ist konsequent, daß die Reputationsfrage nicht mehr das Profil des Hofmanns insgesamt bestimmt. Die Selbstdarstellungsstrategien werden zu einer Zwsaizqualifikation. Es sei, so bemerkt der Anonymus, gar nicht genug/ daß einer sein Propos und Gedancken nach Hofe gerichtet hat/ um daselbst ein Glück zu machen/ oder sich in Dienst zu begeben/ wo er nicht vor allen Dingen weiß/ was heutiges Tages vor Mittel und Wege nöthig seyn/ solches zu suchen/ und würcklich zu erlangen.

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Vgl. Cailliere: Von dem Gliikke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 132-137, hier S. 137: »Unsre lands-leute können kein Joch über sich leiden/ es muß schön gemahlt oder vergüldet seyn; Sie sind schon dahin beredet/ daß die/ die ihnen befehlen/ darzu gebohren seyn [...]. Dieser Wahn des Pöfels hat den Adel allgemach von Zeit zu Zeit in solche Hoheit gebracht. Ein Mann von hohen Stande darf nicht grosse Mühe/ Gehorsam zu erlangen; sein Nahm ersetzet den Mangel guter Beschaffenheiten zur gnüge.« Straub: Repraesentatio Maiestatis oder churbayrische Freudenfeste, S. 68-76. Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 115f.: »Ich begreife gar wohl/ daß das Gemüht eines Weisen sich dennoch in seiner Runde erhält/ ob es ihm gleich fehl schlägt/ sich in Ehren-ämpter/ die er durch seine Dienste erworben/ zu erheben; ich weiß auch wohl/ daß er sich sittsam und gemässigt erzeigen soll/ wenn man ihn mit Unrecht/ davon herab bringet; Allein ich kan nicht begreifen/ mit welcher Regel aus der Philosophie er sein Gemüht in Ruhe stellen soll/ wenn die Ungelegenheiten eines eusersten Armuhts ihn drükken.« Im Umfeld dieses Problems auch S. 225-227 die Diskussion über die Frage, ob ein Edelmann als Sekretär arbeiten dürfe, und S. 261-267 die Empfehlung, das Glücksspiel als Weg zum Wohlstand in Betracht zu ziehen. Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 137-145. Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 272-274.

401 Ähnlich begründet Bessel die Notwendigkeit, taktische Fertigkeiten der Selbstpräsentation zu erwerben. 128 Gleichzeitig verwandelt sich die kluge Selbstdarstellung in eine für Hof und Politik erforderliche Spezia/qualifikation. Wenn der Anonymus »unpartheyisch« urteilt, »daß das bürgerliche Stadt- und Land-Leben/ oder desselben Glücke und Dienste besser wären/ als das bey Hofe«, 129 so zitiert er nicht mehr den stereotyp dem Hof als utopisches Gegenbild zugeordneten bukolischen Locus communis, sondern verweist auf eine praktische Wahlmöglichkeit. So unterliegt das Decorum insgesamt einer Veräußerlichungstendenz, die umgekehrt auch für den Hof gilt. In diesem Sinn bemerkt der Verfasser, daß die »Staats-Welt« an den Höfen das Geld »viel liber auf andere Vanitäten und Lust-Spiele/ als auf Bücher und Gelährte/ oder Künste und Wissenschafften wendet/ [...] weilen sie keine solche prächtige Pravade machen/ und verlangte Augen-Lust nicht vorstellen.« 130 Dieser Entwicklung entsprechen in gewissem Umfang die (offen) empfohlenen Mittel und der angeratene Umgang mit ihnen. Der Anonymus unterwirft die gesamte Hofmannskunst der Berechnung von Risiken, Kosten und Nutzen. Der Hofmann muß »wissen/ die Mittel recht zu gebrauchen und anzuwenden/ damit dieselben nicht umsonst seyn«.131 Als wirksamsten Weg, zum Erfolg zu gelangen, nennt der Anonymus den geschickten Einsatz von Geld. Auch unter diesem Aspekt fällt dem Leser ins Auge, in welchem Umfang der Text die Funktionalität der höfischen Verhältnisse hervorkehrt. So müssen »heutiges Tages/ wo der Geld-hungerige Staat gar zu hoch gestiegen«, Dedikationen in ihrem Effekt gegenüber Geldgeschenken im Hintertreffen bleiben. 132 Auch in anderen Zusammenhängen setzt sich die Berechnung von Aufwand und Ertrag gegen den Anschein der moralischen Verpflichtung durch. 133 Erst neben solchen Erfolgstechniken finden sich, geleitet von einem ähnlichen Ertragskalkül, auch Hinweise auf die heroische Größe. Wenn Cailliere dem Edelmann nahelegt, »wunderwürdigen Beyspih12s

[Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 45. Bessel: Schmiede des politischen Glücks, S. 20. 129 [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 32. 130 [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 129. 131 [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 45. 132 Allgemein zum Ämterkauf [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 47-54. Zur Abwertung der Dedikationen S. 127f. Vgl. auch S. 1431; danach sind Geschenke »bey Hofe die beste und kräfftigste Gunst- und Gedächtnüß-Verneuerungen/ welche viel stärk ker durchdringen/ als etwan eine Visite oder Compliment-Schreiben«. Den Geldeinnehmern wird empfohlen, sich einem Darlehen an den Fürsten nicht zu verweigern und dieses gegebenenfalls als Verlust zu betrachten: »Dann es ist besser/ einen zimlichen Geld-Verlust zu verschmertzen/ um sich dardurch bey Ehren und Diensten erhalten/ als beydes zu verlieren.« 133 Vgi_ [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 147, wo der Verfasser empfiehlt, Belohnungen nicht anzunehmen, »um deß Patrons Gewogenheit zu seiner Beförderung zu vergrössern/ und desto mehr zu reitzen«.

402 len« der Tapferkeit nachzueifern, gilt solches Verhalten nicht dem heroischen Habitus als letztem Ziel, sondern der »gebührenden Belohnung«. 134 Durch Rettungstaten und andere große Leistungen unter Einsatz des Lebens, der Gesundheit oder des Vermögens, so der Anonymus, könne sich der Hofmann »vor andern in besondere Gnade und Ehr-Ansehen bringen.« 135 Eigentlicher Orientierungspunkt ist nicht die Darstellung heroischer Perfektion, sondern die »Wohlfahrt unsers Lebens« und die »Wohllust« sozialer Achtung. In diesem Sinn lehrt Cailliere, daß der Hofmann Meister über seine eigne Freyheit dadurch bleiben kan/ daß er sich in Achtung zu bringen und Reichtum zu erlangen vermag/ und doch nicht an einem andern hengen und ihm untertahn seyn darf/ und daß nach erlangter Gewogenheit des Pöfels/ ihm nichts mehr übrig ist/ als sich durch seine Geschickligkeit bey dem Prinzen in Gnade zu bringen. 136

Das Werk als ganzes gehört deshalb nicht mehr in die Reihe der Reputationslehren nach dem Muster von Castiglione, Botero, Faret und Saavedra Fajardo. Der anonyme Traktat Das Glücke bey Hofe zeigt, daß der Verzicht auf >heroische< Dissimulationstechniken, die hochdifferenzierte und zur institutionellen Verfestigung neigende Hofstruktur und die spezifischen Anforderungen, die die Ausrichtung am »Glück« nach sich zieht, Folgen für die literarische Struktur der Hofmannslehren haben. Der Verfasser legt dem Werk eine einschlägige Topik zugrunde. Den allgemeinen Bestimmungen des Hofglücks folgen Ausführungen über die geeigneten Mittel, es zu erlangen, den Umgang mit Förderern, die notwendigen Qualifikationen und die erfolgversprechende »Conduite«, die Maßnahmen zur Bewahrung des Glücks und das Verhalten bei seinem Verlust. Auch diesem Traktat liegt demnach der Anspruch zugrunde, ein komplexes und wandelbares Umfeld mit Hilfe eines Wissensrasters unter Kontrolle zu bringen. Für die Loci communes in Fürstenspiegeln, Hofmannslehren und Politiken der ersten Jahrhunderthälfte waren immer feinere situative und psychologische Differenzierungen notwendig geworden. Der Autor des Glückstraktats schärft nochmals den empirischen Blick auf den Hof als Einrichtung. Obwohl das Buch als Topik angelegt ist, befindet es sich schon auf dem Weg zu einer beschreibenden und analysierenden Darstellungsweise. Die Ratschläge nähern sich einer präzisen

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Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 152; vgl. auch S. 146: »Ein Edelmann hat aber nicht allein dahin zu sehen/ wie er sich in Achtung bringe/ sondern auch durch seinen Degen sein Glükk mache. Daher er denn nichts zu versäumen hat/ was ihn zu solchen Kriegs-ämtern befördern kan/ durch welche seine Tapferkeit in der ganzen Weld Augen schimmert/ damit er auch nach derselben gebührenden Belohnung zu trachten sich berechtiget mache.« [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, S. 115; dazu auch die nachfolgenden Exempta (S. 115-119). Cailliere: Von dem Glükke fürnehmer Herren und Edelleute, S. 236.

403 Erfassung der Hofmechanismen an und verzichten weitgehend auf moralische Wertungen. Damit emanzipiert sich das Arsenal der Mittel, mit deren Hilfe der Hofmann sein »Glück« fördern soll, von der Bindung an die heroische Tugendperfektion und geht in den Bereich der Adiaphora über. So entsteht auf neue Weise die Frage, welche Maßstäbe für seine Regulation verantwortlich seien und wie es systematisiert werden könne. Aus den untersuchten Texten scheint sich zu ergeben, daß die Gesamtentwicklung ambivalent ist. Auf der einen Seite steht eine fortschreitende Rationalisierung, auf der anderen hingegen eine wachsende Veräußerlichung der Privatpolitik und ihrer Strategien.

6.3

Die Problematisierung des Heroischen in der Frühaufklärung

6.3.1 Zum unheroischen Decorum bei Thomasius Wie wir gesehen haben, legt schon in einigen Beispielen zur Hofmannsliteratur der zweiten Jahrhunderthälfte das Decorum der Hofleute seine heroische Gravität ab - eine Entwicklung, die sich im Rahmen eines allgemeinen Bedeutungswandels der Anstandslehre vollzieht. Insbesondere ist hier die Lösung des Decorum von der Ethik faktisch bereits abgeschlossen. 137 Das Decorum funktioniert als eine in ihrer moralischen Verbindlichkeit erschütterte Sozialstrategie, die sich als solche den privat-politischen Interessen als konventionelle Verhaltensorientierung, als Spielfeld und Werkzeug zur Verfügung stellt. Mit dieser Auseinanderentwicklung von Ethik und Decorum hatte die Geschichte der Politiken und Hofmannslehren aber auch gezeigt, daß der praktische Umgang nicht mehr mit Hilfe moralischer Normierungen bewältigt werden konnte. In diesem Umbruch, der sich natürlich nicht weniger an Entwicklungen innerhalb der Ethik ablesen läßt, liegt einer der Ausgangspunkte für Thomasius' Bemühungen um eine Reorganisation der praktischen Philosophie insgesamt. 138 Unter dem Aspekt einer Geschichte des Heroischen interessieren uns daran die Konzeption eines unheroischen Decorum und das Zusammenwirken mit der frühaufklärerischen moralphilosophischen Kritik am Politisch-Heroischen, die Gegenstand des folgenden Kapitels ist. Die Schriften der Frühaufklärung vertiefen die Gültigkeitskrise des Decorum bis zu der Einsicht, daß die Anstandsregeln Akzidenzien seien. Ein Exempelfall ist in dieser Hinsicht bei Thomasius das religiöse Zeremoniell: 137 138

Zu diesem Trennungsvorgang Beetz: Frühmoderne Höflichkeit, S. 283-290. Zur These vom Vertrauensverlust in die intrinsische Kraft der Moral als Motiv für die selbständige Behandlung des Decorum bei Thomasius Barnard: Rightful Decorum and Rational Accountability, S. 187.

404 »aus blosser Vernunfft ohne die göttliche Offenbahrung«, aus der Perspektive der philosophischen Ethik, sei nicht zu erweisen, »daß GOTT einen äußerlichen Gottesdinst von dem Menschen verlange«, da er »als ein Hertzenkündiger auch die Seufftzer der Menschen verstehe«. Hingegen gehören diese äußeren Formen unter demselben Aspekt zu den >MitteldingenZeremoniells< führt aber nicht zu einer Kritik am Decorum selbst. Er schafft im Gegenteil die Voraussetzung dafür, daß die Lehre vom Decorum wenigstens vorübergehend als mehr oder weniger eigenständige, speziell auf die Regulation des gesellschaftlichen Verhaltens bezogene Wissenschaft innerhalb der praktischen Philosophie begründet werden kann. 144 Die Notwendigkeit des Decorum wenigstens des veränderlichen »Decorum Politicum« 145 - ergibt sich Thomasius zufolge allerdings nicht schon aus der »natürliche[n] Gleichheit des menschlichen Wesens«, sondern erst aus der Differenzierung der »Bürgerliche[n] Gesellschaft«, wenngleich diese als Zeugnis der Unvollkommenheit gilt. Dieselbe Einschränkung betrifft auch den gesamten Komplex der Ehre. 146 Diese Behandlung des Decorum als eines besonderen Normbereichs nennt Thomasius wiederholt als philosophisches Desiderat: »Was das Decorum betrifft/ daran hat bißhero niemand gedacht/ was es für ein Gut sey/ obgleich alle Philosophi darinnen wider die Cynicos einig gewesen/ daß über die Tugend noch etwas anders sey/ das man in gemeinen Leben und Wandel als eine Richtschnur in acht nehmen müsse.« 147 Spätere Autoren, zum Beispiel Christoph Heinrich Amthor, übernehmen die Forderung nach einer eigenständigen und systematischen Behandlung des Decorum im Verein mit der Kritik an den Mängeln der bisherigen praktischen Philosophie. Den Stoikern und Cicero seien zwar die Unterschiede zwischen Decorum, Honestum und Justum im Prinzip nicht entgangen. »Sie haben aber diesen Dingen nimmer weiter nach gedacht, deswegen sie fast allenthalben, ja auch Cicero in seinen Officiis selbst das Justum Honestum & Decorum wie Kraut und Rüben unter einander geworffen«. Aristoteles habe in diesem Punkt klarer ge-

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Vgl. Thomasius: Cautelen der Rechts-Gelahrheit, S. 365: »Denn weil nicht alles was recht ist, und was man zu thun Macht hat, sich allemahl wohl schicket und wohlanständig ist; so muß nothwendig eine absonderliche Wissenschafft seyn, welche von der Wohlanständigkeit handelt.« Thomasius: Cautelen der Rechts-Gelahrheit, S. 370. Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 29f.; 47f. Zur Ehre ebd., S. 46f.; 51; 58-61; 98f.; 101-105. Vgl. auch ders.: Cautelen der Rechts-Gelahrheit, S. 370. Rüdiger: Philosophia synthetica, S. 303£ (»Prudentia de decoro« als Unterart der »Prudentia politica«). Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 33; vgl. auch ebd., S. 40f.; 44. Dieselben Systematisierungsanstrengungen unternimmt Thomasius auch für die Klugheitslehre (Kurtzer Entwurff der politischen Klugheit, S. 57t). Zur Abgrenzung des Decorum ferner ders.: Christian Thomas eröffnet der studierenden Jugend einen Vorschlag/ wie er einen jungen Menschen [...] in der Philosophie und singulis Jurisprudentiae partibus zu informieren gesonnen sey, in: Kleine Teutsche Schrifften, S. 257-260.

406 sehen, tatsächlich aber die Konfusion nicht beseitigt. 148 Da der frühaufklärerische Ansatz dem Decorum endgültig die Selbstverständlichkeit nimmt und es zum Gegenstand (praxisbezogener) genauerer Untersuchungen macht, hat er einerseits den Charakter eines Traditionsbruchs, während er andererseits die Konsequenz aus langfristigen Entwicklungen zieht. Wie sich schon andeutete, umfaßt das Decorum die Adiaphora, die moralisch indifferenten, äußerlichen und nicht erzwingbaren »Mitteldinge« zwischen dem nicht erzwingbaren Honestum und dem erzwingbaren Justum. 149 Das Decorum, so schreibt Thomasius, ziere zwar den Menschen, führe aber von sich aus weder zum Glück (dem Ziel der Ethik) noch ins Elend - ebensowenig wie »der Mangel schönen Haares den menschlichen Leib verstimmelt.« 150 Das Vitium, das sich dem »Wohlstand« zuordnet, ist primär nicht der Moralverstoß. Vielmehr handelt es sich eher schon, auch wenn der Terminus noch nicht verwendet wird, um einen Verstoß gegen den guten Geschmack. Erstmals wird so der Anstand als besonderer Norm- und Wissensbereich abgrenzbar, der die praktische Kenntnis der Funktionsprinzipien gesellschaftlichen Umgangs betrifft. Näher besehen gilt das Decorum als unverzichtbarer gesellschaftlicher Funktionsmechanismus. Es sei, wie Thomasius bemerkt, deshalb »ein Zierrath eines Menschen«, weil diese Dinge zum wenigsten eine gute Ordnung in der gemeinen bürgerlichen Gesellschafft machen/ auch theils durch dieselben/ weil man allen allerley wird/ man Gelegenheit überkommt/ desto mehr Menschen zu gewinnen/ daß sie sich mit uns zu vereinigen trachten; theils auch/ weil wir erkennen/ daß wir denen in Jrrthümern steckenden/ wenn wir ihnen in diesen indifferenten Dingen nicht etwas nachgeben/ einen Abscheu für uns und der wahren Higend machen. 151

An diesem Punkt stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage man dem Decorum den Charakter einer allgemeingültigen Lehre geben könne. Ausgangspunkt der frühaufklärerischen Decorum-Lehren ist die Einsicht, daß angesichts der Kontingenz des Gebiets eine den topischen Wissensbestand mit Verbindlichkeitsanspruch ordnende Methode dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen wäre. Die Entwicklung der Decorum-Lehren zu Beginn des neuen Jahrhunderts entspringt insofern einer allgemeinen Krise überkommener Projekte der Wissensordnung. Schon hier wird deutlich, daß der Neuansatz der frühaufklärerischen Decorum-Lehren dem Politisch-Heroischen eine entscheidende Funktionsbestimmung raubt. Wir hatten gesehen, daß die heroische Größe der Barockzeit ein Bündnis mit Versuchen der Organisation politischer und historischer Kontingenz eingehen konnte. Aus der Perspektive der Frühaufklärung ist eine solche natürlich auch nicht mehr autoritativ14S 149

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Amthor: Collegium homileticum de jure decori, S. 3f. Thomasius: Cautelen der Rechts-Gelahrheit, S. 397. Beetz: Frühmoderne Höflichkeit, S. 120. Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 64. Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 10.

407 heroisch zu begründen. Im Fragwürdigwerden der Zeremonialtopik kündigt sich gleichzeitig eine politische Legitimationsproblematik an, die sich allerdings im privat-politischen Rahmen nicht unmittelbar zu erkennen gibt. Thomasius und seine Nachfolger suchen das Systematisierungsproblem zu bewältigen, indem sie das Decorum neben Honestum und Justum im Naturrecht verankern. 152 Fortan unterliegt das Decorum-gemäße Verhalten der Beurteilung durch die praktische Vernunft. Allerdings besitzt letztere keine Definitionsgewalt für die Verhaltensregeln. Thomasius zufolge gehört zum Decorum, »daß man etlicher Dinge die zwar nicht wider die gesunde Vernunfft seyn/ aber doch insgemein für schändlich gehalten werden/ sich enthält«. 153 Auf welche Weise also läßt sich die empirische Willkür des Decorum einer universalen Norm unterwerfen? Bei Thomasius deutet sich eine Antwort an, die auf die Unterscheidung zwischen universalen, natürlichen und partikularen, positiven Anstandsregeln zurückgreift. 154 Zu den Verpflichtungen, die erstere auch jenseits des Naturzustands den Gesellschaftsmitgliedern auferlegen, gehört es, die jeweils geltenden partikularen Konventionen im Sinn der gesellschaftlichen Kohärenz anzuerkennen, solange sie nicht der Moral oder dem Recht widersprechen. 155 Das Befolgen auch solcher Regeln, die nicht mit Hilfe der Vernunft als notwendig aus dem Naturrecht ableitbar sind, wird auf diese Weise zum naturrechtlich begründeten Gebot. In einem Verwandtschaftsverhältnis zu dieser Begründung steht Lünigs Einführung in das Zeremoniell. Das »Theatrum ceremoniale« läßt aber darüber hinaus auch erkennen, welchen Befürchtungen die neue Situation Nahrung geben konnte. Der Verfasser sieht den Ursprung von Ungleichheit und Zeremoniell in der menschlichen Schwäche, vor allem in den Lastern des Ehrgeizes und der Wollust, und läßt deshalb auch an der Arbitrarität zeremonieller Gewohnheiten keinen Zweifel. Das Zeremoniell sei »eine Brut der verderbsten menschlichen Natur und sündlichen Affecten.« 156 Gleichwohl will er nicht darauf verzichten, dem Zeremoniell wenigstens durch die Analogie eine metaphysische Rechtfertigung zu geben, um der Gefahr einer Erosion politischer Autorität zu entgehen: 157 So wie der Schöpfung ingesamt 152

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In bezug auf die Naturrechtsfrage folge ich Beetz: Ein neuentdeckter Lehrer der Conduite. Vgl. Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 10. Thomasius: Cautelen der Rechts-Gelahrheit, S. 369, Anm. i. Thomasius: Cautelen der Rechts-Gelahrheit, S. 388. Liinig: Theatrum ceremoniale, S. 2. Zu Lünigs Begründung des Zeremoniells Rahn: Psychologie des Zeremoniells, S. 74-77. Zur Interpretation von Lünigs Ansatz und zu den weiteren Perspektiven im 18. Jahrhundert Holenstein: Huldigung und Herrschaftszeremoniell im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung. Lünig: Theatrum ceremoniale, S. 2: »Jedoch muß man das Kinde nicht zugleich mit dem Bade wegwerffen; denn es hat doch allezeit mitten unter den verderbtesten, auch weise und tugendhaffte Menschen gegeben, welche den elenden Zustand derer an äusserlichen Ceremonien klebenden Leute gar wohl erkannt, aber auch gar deutlich begriffen, daß zu Erhaltung einer gewissen Ordnung, ohne welche die

408 eine Ordnung eingepflanzt sei, verfüge der Mensch »zugleich mit der gesunden Vernunfft« über eine »Liebe zu einer vernünfftigen Ordnung«. Diese verlange, das einmal eingeführte Ceremoniell »auf einen gewissen Fuß« zu setzen, um so »die gröste Confusion« zu vermeiden.158 Den zeremoniellen Formen selbst kann Lünig auf diese Weise zwar keine allgemeine Geltung mehr verschaffen. Doch gelingt es ihm, die Verwandlung des Zeremoniells in partikulare Ordnungssysteme zur ursprünglichen Aufgabe der Vernunft zu erklären. Die Autorität liegt in dieser Konstruktion nicht mehr mehr bei der symbolisch repräsentierten Ordnung selbst, sondern bei der Vernunft als Urteilsinstanz. Wenigstens in Hinsicht auf die Zweckbestimmung legt das Zeremoniell so den Makel affektorientierter Willkürlichkeit ab. Obwohl es auch bei Lünig auf »Verwunderung«, »Hochachtung« und »Ehrfurcht« des »gemeinen Volck[s]« zielt, steht es nach innen nicht mehr als Weg dynamischen und verschleiernden Überbietens zur Verfügung. Gegenstand der Inszenierung ist nicht der Held, sondern die vernunftbestimmte Ordnung. Daß die Vernunft sich eines Instruments sündlicher Herkunft bedienen muß, bleibt allerdings ein Problem der Theorie. Mit den Prinzipien von Naturrecht und Vernunft treten an die Stelle der Ordnungssysteme von faktisch begrenzter Geltung und Kapazität allgemeingültige und allgemeinverfügbare Urteilskriterien und Verfahrensweisen. Positive (politische) Institutionen und ihre symbolische Repräsentation in äußeren Formen, Zeremonien und Anstandsregeln verlieren damit auch dasjenige relativierte Eigengewicht, das ihnen die Figur des scharfsinnigen höfischen Strategen - etwa bei Saavedra Fajardo - garantiert hatte. Sie haben keinen authentischen Geltungsanspruch mehr, sondern beziehen ihre Verbindlichkeit aus dem allgemeinen Zweck geordneter gesellschaftlicher Existenz des Einzelnen. Manifeste Ordnungen können deshalb auch nicht mehr glaubwürdig und autoritativ in heroischer Symbolik mit Allgemeingültigkeitsanspruch vermittelt werden, sondern müssen vor der praktischen Vernunft bestehen. Damit wird auch deutlich, daß Thomasius' Decorum-Lehre an der Autoritäts- und Vorurteilskritik teilhat, die der Verfasser vor allem in seiner Vernunftlehre formuliert. Die Kritik am Politisch-Heroischen ist allerdings bei Thomasius nicht Gegenstand der Decorum-Lehren, die ja die geschickte Handhabung der moralisch indifferenten Anstandsregeln in den Mittelpunkt stellen. Als Kritik an einem falschen Umgang mit der sozialen Differenzierungssymbolik, der sich nur auf Äußeres als Weg zu Macht und Ehre konzentriert, fällt sie in das Fach der Ethik und gilt, wie wir im folgenden Kapitel sehen werden, vor allem dem Laster des Ehrgeizes. 159

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menschliche Gesellschafft nicht bestehen kan, gewisse Riten und Ceremonien von nöthen wären.« Lünig: Theatrum ceremoniale, S. 2. Vgl. dazu allgemein Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. 10: »So ferne als man in dem decoro tugendhaffte oder lasterhaffte Thaten zu imitiren sucht/ muß eben

409 Wenngleich das Decorum kraft seiner Zuständigkeit für die indifferenten »Mitteldinge« zwischen Recht und Moral an Eigenständigkeit gewinnt, ordnet es sich indirekt, gewissermaßen negativ, dem Glück und der Ruhe als dem ethischen Summum bonum zu. Thomasius zufolge gehört der »Wohlstand« zwar nicht notwendig zur »Gemüths-Ruhe«, doch lassen absichtliche Verstöße »aus blosser Liebe zur Singularität« einen Mangel an »GemüthsRuhe« erkennen. 160 Amthor will sogar erweisen, daß das Glück allein mit Hilfe einer Tügendlehre nicht erreicht werden könne - »daß die fürnehmste Absicht des Wohlstandes die innerliche Ruhe des Menschen sey, doch daß eô ipsô aber nohtwendig die äusserliche Tanqvillitaet als ein Effectus der innerlichen zugleich mit erfolgen müsse.«161 Nur bei oberflächlicher Betrachtung handelt es sich hier um eine Anpassungstheorie; tatsächlich verlangt Thomasius die eigenmächtige, vernunftgeleitete Verfügung über das Decorum. Unter dem Vorzeichen von Naturrecht und Vernunft überbietet Thomasius wenigstens in gewisser Weise noch den barocken Gestus der Verfügung über die Umgangssymbolik, indem er ihn zugleich aufklärerisch von einer Arkantechnik zu einer allgemeinen naturrechtlichen Pflicht weiterentwickelt. Auch wenn Thomasius' Lehren sich praktisch weithin noch an den Anforderungen von Hof und Ständegesellschaft orientieren, 162 ebnen sie einem bürgerlichen Umgang mit dem Decorum den Weg. Das Naturrechtsdenken bedingt eine Neukonzeption der Klugheitslehre, die faktisch als >politisches< Vermögen dem Decorum besonders nahesteht. Bei dieser Affinität spielt natürlich der traditionell enge Zusammenhang von Decorum und politischem Handeln eine Rolle. Die Klugheitslehre (lateinisch 1705, deutsche Übersetzung erstmals 1707) betrifft die aus der Ethik ausgeschiedene Zweck-Mittel-Relation, die praktisch für ein tugendkonformes Leben unverzichtbar bleibt. 163 Im einzelnen erkennt man im Kurtzen Entwurff der politischen Klugheit manche >Stratagemata< aus der Tradition der frühneuzeitlichen >politischen< Lehren wieder. Insbesondere fehlt auch nicht ein Hinweis auf die notwendige Reputation. 164

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dasjenige davon gesagt werden/ was wir von der lügend und Lastern selbst alsobald erinnern wollen.« Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre, S. lOf. Amthor: Collegium homileticum de jure decori, S. 40. Vgl. auch S. 5f. Allgemein zur sozialgeschichtlichen Einschätzung von Thomasius Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland, S. 346-455. Zum Zweck-Mittel-Verhältnis Thomasius: Kurtzer Entwurff der politischen Klugheit, S. 33-36. Zur Unverzichtbarkeit der Klugheitslehre vgl. die Verteidigung des Politischen gegen den Vorwurf der Arglistigkeit, ebd., S. 6. Zu Thomasius' Klugheitslehre Schneiders: Thomasius politicus. Thomasius: Kurtzer Entwurff der politischen Klugheit, S. 118: »Indessen ist ohnstreitig/ daß dergleichen Familiarität höhern Personen noch schädlicher als andern seyn müsse/ weil diese ihren Ruhm und Hochachtung mehr als andere beobachten sollen«. Vgl. ferner S. 118f. Zu taktischen Fertigkeiten und Dissimulationskünsten vgl. S. 13: »Hieraus erhellet/ daß simuliren und dissimuliren eine Kunst sey/ die ein

410 D o c h empfängt die Klugheit bei Thomasius ihre Legitimation erst aus dem naturrechtlichen Gesamtrahmen. Sie ergänzt die durch den vollkommenen Besitz von Rechtlichkeit, Ehrbarkeit und Anstand definierte Weisheit, indem sie das Gute unter den Bedingungen der menschlichen Unvollkommenheit erstrebt.165 Ihre Aufgabe liegt in der praktischen privaten Bewältigung eines tugendkonformen Lebens. In dieser Funktion bekommt sie eine Vorurteils- und autoritätskritische Kompetenz. 1 6 6 Sie gilt nicht mehr als Bestandteil einer auf den Machterwerb bezogenen heroisch-strategischen Ordnungszuständigkeit. 167 Deshalb ist auch der heroische Überbietungsgestus nicht mehr mit der Klugheit vereinbar. 168 Entsprechend ist ihr bei Thomasius, wenigstens programmatisch, auch der Begriff des Interesses fremd. 169 Die Frühaufklärung distanziert sich vor diesem Hintergrund von der verselbständigten Erfolgsethik der prudentistischen Hofmannslehren. Thomasius' Abwendung von den »Glücks«-Theorien - einschließlich des von ihm zunächst positiv aufgenommenen Gracián - darf man durchaus als Indikator für eine Epochengrenze bewerten. Das Glück, so verkündet der Autor, bestehe nicht darin, »daß man seine Begierden sätigen oder seines Hertzens Wunsch erlangen könne«. Freilich sei nicht zu bestreiten, daß »viel gelehrte und grosse Leute« diese Doktrin verbreiteten, »auch gantze Bücher davon geschrieben seyn/ die man jungen Leuten recommendiret als grosse wichtige Geheimnüße: Hieher gehören Bessels Schmiede des Politischen Glücks: D e s Herrn de Calliere von Glück fürnehmer Herren und Edelleute/ Gratians Heros und Homme de Cour &c.« 170

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Kluger so nöthig als ein Arglistiger brauchet/ nicht daß er zum Thoren werde/ sondern nach Gelegenheit sich närrisch stelle/ oder zum wenigsten seine Weißheit nicht mercken lasse.« Vgl. auch S. 96. Thomasius: Kurtzer Entwurff der politischen Klugheit, S. 6. Ein Beispiel findet man S. 14 über die Dissimulation des Weisen, der sich verstellt »um der Schwachheit der Unweisen willen/ entweder/ damit er sie zur Weißheit führe/ und sich zu Freunden mache/ oder/ daß er ihrer List und Gewalt entgehe«. Vgl. Thomasius: Kurtzer Entwurff der politischen Klugheit, S. 46-48. Thomasius: Kurtzer Entwurff der politischen Klugheit, S. 104, ermahnt zwar im Unglück zu Geduld und Großmut als >heroischer I\igendPolitische< der aristotelischen Ethik hervorkehrt und sie im Grunde zur Reputationslehre erklärt, mündet - in diesem Fall von der Moralphilosophie her - ebenfalls in eine Trennung von Ethik und Anstandslehre, Honestum und Decorum. Die Kunst interessegeleiteter politisch-heroischer Größendarstellung verliert damit ihre ethische Akkreditierung: Unter den elf aristotelischen seien »die vortrefflichsten tugenden ausgelassen, etliche hingegen nur tugenden zum umgange mit andern 200

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Gundling: Collegium Historico-Literarium, S. 588t Vgl. auch die Aristoteles-Kritik in Gundling: Ethica sev philosophia moralis, S. 183-186. Budde: Einleitung in die Moral-Theologie, S. 153 Anm. Zu dieser Terminologie auch Thomasius: Kurtzer Entwurff der politischen Klugheit, S. 39, wo zwischen der allgemeinen, für »alle Menschen« nützlichen, und der bürgerlichen, obrigkeitlichen Klugheit unterschieden wird. Jacob Brucker: Historia critica philosophiae 1, Leipzig 1743, S. 835: »talemque virtutis faciem depinxerit, quae aulicis potissimum hominibus, ad regis exemplum se componentibus, piacere poterat, neglecta ea, quae virum magis probum, quam splendidum magnumque inter homines facit.« Vgl. Dreitzel: Der Aristotelismus in der politischen Philosophie Deutschlands im 17. Jahrhundert, S. 188.

420 [...], und die also nur zum äusserlichen Wohlstände, nicht aber zum innerlichen wesen des wohlverhaltens (ad honestum) gehören.« 204 Ähnlich lautet wenig später aus der Perspektive der Decorum-Lehren Christoph Heinrich Amthors Kritik an dem guten »Politicus« Aristoteles, »dessen gantze Ethic in der That anders nichts als eine honette Politic seyn solte«: Der Philosoph habe »zwar wohl begriffen, daß ein Decorum seyn miiste, aber den Wohlstand doch nicht von der Gerechtigkeit und Tugend unterschieden, viel weniger aus gewissen Principiis in distincte Conclusiones gebracht.« 205 In welche Richtung bewegt sich aber der Moralbegriff, von dem aus Budde das Politisch-Heroische angreift? Die Differenz zwischen natürlicher - scheinhafter - und auf der Gnade gründender Tugend ist zugleich die zwischen der sichtbaren Tilgenddarstellung und den Absichten, zwischen dem Katalog der verfügbaren lügenden und den moralischen Pflichten. Unabhängig von der Motivation, seien es auch »furcht vor der menschlichen strafe« oder »ruhm-begierde«, nenne man alles lügend, was »mit dem göttlichen gesetze überein zu kommen scheinet«: Gleich als wenn nichts daran gelegen wäre, mit was für einem endzwecke, absehen und triebe des gemüths etwas vorgenommen werde, oder als wenn es schon genung wäre, bey der tugend nur auf die that und nicht vielmehr auf die neigung des gemüths zu sehen, woraus die handlungen herkommen, die den nahmen der pflichten führen sollen. 2 " 6

Natürlich setzt Budde keine individualistische Psychologie voraus, sondern führt Charakterdifferenzen auf unterschiedliche Affektmischungen zurück. 207 Seine Moraltheologie signalisiert gleichwohl einen anthropologischen Epochenwandel. Die rhetorische, situationsbezogene Wirkungspsychologie wird abgelöst durch ein moralisches Substanzprinzip, die >topologisch< organisierte Persona durch das Modell einer kohärenten Persönlichkeit, die Orientierung an autoritativen Ordnungssystemen durch die Notwendigkeit individueller Kritik. Thomasius' entschiedene Trennung von Tugend und Interesse und seine Betonung des Willens als Sitz von Tugenden und Lastern führen 204 205

206 207

Budde: Einleitung in die Moral-Theologie, S. 153 Anm. Amthor: Collegium homileticum de jure decori, S. 4. Vgl. auch ebd., S. 26 über die problematischen Folgen von Aristoteles' Hofmannsqualitäten für seine philosophischen und politischen Nachfolger: »Allein eben hierdurch begunt allmählich dem Wohlstand gar zu viel zu geschehen, weiln theils Philosophi, voraus aber die Politici den Schein der l ü g e n d in der blossen Aufführung suchten, und sich einbildeten, es wäre schon alles gut genung, wann sie nur ihre äusserliche Aufführung nach dem Geschmack der Welt einrichteten, der doch nicht allemahl Tugendhaft sondern schon sehr verdorben war.« Budde: Einleitung in die Moral-Theologie, S. 158. Budde: Einleitung in die Moral-Theologie, S. 122: »Aus dieser verknüpffung der unterschiednen neigungen, deren eine die andre bißweilen mäßiget, bißweilen auf gewisse art anders und anders bildet (modificat) pflegt unter andern auch dieses zu entstehen, daß die laster manchmahl andern nicht so deutlich in die äugen fallen, sondern sich unter der larve der tugenden verstecken«.

421 in dieselbe Richtung. Sie verbinden sich mit einer Schwerpunktverlagerung von der Tugenddarstellung auf die psychologische Charakteristik tugendhafter und lasterhafter Dispositionen, ziehen Zweifel an der moralischen Besserungsfähigkeit des einzelnen angesichts der Ohnmacht der Vernunft nach sich 208 und tragen zum entlarvenden Grundgestus des zweiten Teils seiner Sittenlehre bei. - Neben der autoritätskritischen Tendenz der eklektischen Philosophie arbeitet gewiß auch Buddes Nähe zum Pietismus dem Zerfall >politischer< Tugendkonzepte zu. Fast mutet es ein wenig paradox an, daß innerhalb des theologischen Ansatzes gerade die Gnadenprogrammatik der Ethik eine Wendung gibt, die das empirische Interesse an der menschlichen Natur verstärkt. 209 Es bedarf keiner grundlegenden Verschiebungen mehr, um an die Stelle des Gnadenbegriffs einen positiven Naturbegriff zu setzen. - Im gegebenen Zusammenhang erübrigt es sich, im einzelnen auf die Folgen für den Aufbau des Werks einzugehen. Statt in aristotelischer Manier die Liste der Tugenden abzuarbeiten, konkretisiert Budde das Verhältnis von Natur und Gnade in bezug auf Vermögen und Affekte und auf die den Menschen betreffenden Normen und Umstände. Die Skepsis gegenüber den Erscheinungsformen des Tugendhandelns läßt die Erkennbarkeit des Heroischen insgesamt ungewiß werden. Gleichzeitig verschiebt sich allgemein der Schwerpunkt der Sittenlehre von der Präzeptistik zur Einsicht in die (eigene und fremde) innere Tugenddisposition. Mit der Kunst der Menschen Gemüther zu erforschen befaßt sich jedenfalls eine Reihe von Traktaten gerade des beginnenden 18. Jahrhunderts. 210 Bezogen auf das Heroische entwickelt sich mit diesem Perspektivenwechsel eine grundlegende Problemstellung der Aufklärung. Das Mißtrauen in das Äußerliche setzt den einzelnen als selbstreflexives Subjekt neuen Belastungsproben, letztlich aber einer Überforderung aus, die dem Heroischen seinen angestammten Platz in der Ethik nimmt. Buddes Beschäftigung mit dem Heroi208

209

210

Thomasius: Ausübung der Sittenlehre, S. 504-508. Vgl. auch Einleitung zur Sittenlehre, S. 112f.; 206; 252; 289; 294 -296. Ebd., S. 291f., ein Konzept heroischer Freundschaft auf neuer Grundlage. Vgl. ζ. B. Budde: Einleitung in die Moral-Theologie, S. 8: »Wir verstehen aber durch das wort natur die menschliche natur, und begreiffen darunter alle kräffte der seele und des leibes, welche genau zu kennen eine sache von grosser Wichtigkeit ist. Nicht weniger ist daran gelegen, daß man eigentlich wisse, wie diese kräffte von einander unterschieden sind, wenn man sie theils in der unbeschreiblichen verderbniß ansiehet, darinnen alle menschen gebohren werden [...]; theils in der wiederaufrichtung betrachtet, die von der gnade Gottes herrühret.« [Ponatus]: Eine kleine Anleitung zu der höchst-nützlichen Kunst die Hertzen der Menschen einzusehen (1712); Melissantes: Curieuser Affecten-Spiegel (1715); Rohr: Unterricht von der Kunst der Menschen Gemüther zu erforschen (21715). Vgl. auch das 13. Kapitel in Thomasius: Ausübung der Sittenlehre, S. 391-455 (»Von denen euserlichen Kennzeichen der Menschlichen Gemüths-Neigungen überhaupt«).

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sehen führt wohl deshalb nicht über die Kritik an der heroischen lügend und der aristotelischen Ethik hinaus. Er selbst hat in der Einleitung in die MoralTheologie keinen neuen Heroismusbegriff mehr entwickelt. Das Heroische geht gewiß nicht schlagartig, aber mehr und mehr in die Zuständigkeit praktischer Interessen (wie in der Politik und der Pädagogik), darstellender, künstlerischer Disziplinen und rekonstruierender Wissenschaften (Geschichte, Kulturgeschichte) über.

Literaturverzeichnis Bibliothekssiglen 1/la 7 12 14 23 32 37 39

Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Bayerische Staatsbibliothek München Sächsische Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar Staats- und Stadtbibliothek Augsburg Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt-Gotha, Forschungsbibliothek Gotha

Quellen [Anonym:] Alamodische Hobel-Banck/ das ist: Ein sehr lustiger und artlicher Diseurs, zweyer Adels-Personen/ welche sie von den Alamodischen/ ja vielmehr von den jetzigen im schwang gehnden unhöfflichen Sitten/ närrischen Gebrauch- und Mißbräuchen/ als da ist in Kleidern/ Gebärden/ Gehen/ und Basolaßmanos machen/ so sie bey etlichen Völckern im Durchräisen/ sonderlichen aber bey den ungewanderten Teutschen vorgenommen/ halten, o.O. 1668 [23: Lo 3045]. [Anonym:] Castriota Scanderberg redivivus, oder scharffsinniges und in denen italiänischund frantzösisch-geheimbten Staats-Cabinetten genau überlegtes StaatsErmessen wie und welcher gestalt die christlichen Potentaten mit einander wohlvereiniget/ den Türcken binnen vier Jahren aus Europa gäntzlich verjagen mögen, o.O. 1683. [Anonym:] Fürstliche Lection oder kurtze Vnterrichtung/ von den notwendigsten Tugenden/ daß ein Fürst sein Land und Leut wol und glückselig regiere; einer hohen Person zu gnedigem Gefallen in vnterthenigen Diensten/ aus dem Frantzösischen ins Teutsche gebracht, Jena 1625 [23: 131.1 Pol.]. [Anonym:] Das Glücke bey Hofe, Glaßburg [fiktiv] o. J. [1694] [23: Hm 47], [Anonym:] Ueber Heldenmuth im Kriegs- und Civilstande, mit Beispielen, aus der ältern, und neuern Geschichte, Leipzig 1786 [1/la: Np 10348]. [Anonym:] Historisch-moralische Schilderung des Helden nach der Vernunft und Religion, Halle im Magdeburgischen 1763 [1/la: 3 in: Nh 277-14], [Anonym:] Neu politischer Tugendt-Spiegel der Hof-bedienten/ worinn zusehen wie sich ein Hofmeister und Hofmeisterin, Pfleger und Castner, Secretarais, Kuchelmeister, Stallmeister, Cammerdiener, Mundt-Koch, Kuchelschreiber, Silber-Diener und endlich alle gemeine Bediente/ gegen jhre Principalen/ verhalten sollen. Gegeben/ durch den Wolmejnenden, Nürnberg 1665. Abbt, Thomas: Vermischte Werke, Teil 1 - 3 , Berlin und Stettin 1781, Ndr. Hildesheim, New York 1978. - Vom Verdienste. 2. Auflage, Goslar und Leipzig 1766, Ndr. Königstein/Ts. 1978.

424 Abelinus, Johann Philipp: Theatrum Europaeum, oder/ ausführliche und warhafftige Beschreibung aller und jeder denckwtirdiger Geschichten/ so sich hin und wieder in der Welt/ fürnemblich aber in Europa, und Teutschlanden/ so wol in Religionais Prophan-Wesen [...] zugetragen haben, Frankfurt/M. 1635ft - [Pseudon.: Arlanibaeus, Phil.]: Arma Svecica. Das ist: Eigentliche vnd wahrhafftige Beschreibung deß Kriegs/ welchen Gustavus Adolphus/ der Schweden/ Gothen und Wenden/ etc. König: Wider die der röm. keyserl. Mayestät Ferdinandi II. [...] Armee in Teutschland geführet, o.O. 1632 [32: 4° XXX 10: 1 - 7 . 7a. 8], Accetto, Torquato: Von der ehrenwerten Verhehlung. Mit Vorworten von Giorgio Manganelli und Erläuterungen von Salvatore S. Nigro, Berlin 1995 (Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek 52). Alberti, Valentin (Praes.), Christian Schultz (Resp.): Quaestio: An Christus dici possit heros ex hypothesi Platonicorum? Leipzig 1690 [1/la: 9 in: Ah 5880]. - (Praes.), Christian Amos Bürger (Resp./ Autor): De virtute heroica Lutheri, Matthiae Flacii et Jacobi Andreae dissertatio histórica, Leipzig 1683. Aleutner, Tobias (Praes.), Georg Cyriacus (Resp.): Disputatio de virtute heroica, Frankfurt 1600. Althusius, Johannes: Politica methodicè digesta atque exemplis sacris & profanis illustrata; editio nova priore auctior, & cum indice amplissimo. Cui in fine adjuncta est, oratio panegyrica, de necessitate & antiquitate scholarum, Arnheim 1610 [1/la: F 6582], Amthor, Christoph Heinrich: Collegium homileticum de jure decori, oder eine Wissenschaft, die da lehret, wie man sich in Conversation mit allerhand Leuten manierlich und wohl-anständig aufführen soll, damit man andern kein Aergerniß gebe, auch daß andere Leute keinen Anlaß nehmen, uns zu verachten, oder für ungeschickt zu halten etc., Leipzig und Kopenhagen 1730. Anton Ulrich, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: Werke, hrsg. v. Rolf Tarot, Stuttgart 1982ff. - Die durchleuchige Syrerinn Aramena, Teil 1 - 5 , Faksimile nach der Ausgabe von 1669-1673, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Blake Lee Spahr, Frankfurt/M. 1975-1983 (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts Bd. 4 , 1 V )· Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland (Orlando furioso). In der Übertragung von Johann Diederich Gries; Textredaktion Susanne Eversmann. Mit Illustrationen von Gustave Doré, Zeittafel sowie Erläuterungen und einem Nachwort von Horst Rüdiger, Bd. 1, 2, München 1980. Aristoteles: Die Nikomachische Ethik. Übersetzt und mit einer Einführung und Erläuterungen versehen von Olof Gigon, München 1991 (Bibliothek der Antike). - Politik. Schriften zur Staatstheorie. Übersetzt und herausgegeben von Franz F. Schwarz, Stuttgart 1989. - Rhetorik. Übersetzt, mit einer Bibliographie, Erläuterungen und Nachwort von Franz G. Sieveke, München 1980. Arnisaeus, Henning: Doctrina Politica in genuinam methodum, quae est Aristotelis, reducta, et ex probatissimis qvibusqve philosophis, oratoribus, juris consultis, historiéis, &c. breviter comportata & explicata, Leipzig 1623. - Operum politicorum tomvs secvndvs, Straßburg 1648 [1/la: F1132]. Augustinus, Aurelius: Vom Gottesstaat. Buch 1 bis 10. Aus dem Lateinischen übertragen von Wilhelm Thimme. Eingeleitet und kommentiert von Carl Andresen, München 1991. D'Azin: Ausführlicher Unterricht, Festungen vortheilhaft anzulegen, und durch Contreminiren, auch andere Anstalten einer vollständigen Defensión aufs äusserste zu beschützen. Aus dem Frantzösischen übersetzet, Halle 1747 [1/la: Hy 1015]. Becmann, Joh. Christoph: Conspectus doctrinae politicae et moralis brevibus thesibus earumque demonstrationibus propositus, Frankfurt und Leipzig o.J. [1691] [1/la: F 5528],

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427 Stande vnd Ampt in acht zu nemen haben: Sampt angeheffteten Exemplen vnd Geschichten/ so sich von Anbeginn der Welt her in eben mässigen Sachen hin vnd wider zugetragen: Auch allerhand darzu dienstlichen nutzbaren Erinnerungen. [...] Anfänglich in lateinischer Sprache zusammen betragen/ von Johanne à Chokier Patritio Leodiensi J. U. D. Jetzo aber verdeutschet durch Andream Heidemannum Nordhusanum Cheruscum, Nürnberg o.J. [1624] [1/la: F 2110]. Cicero, Marcus Tlillius: De natura deorum. Über das Wesen der Götter. Übersetzt und herausgegeben von Ursula Blank-Sangmeister. Nachwort von Klaus Thraede, Stuttgart 1995. - De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln. Lateinisch und deutsch. Übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Heinz Gunermann, Stuttgart 1992. - Über den Redner. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Harald Merklin, Stuttgart 1976. - Rhetorici libri duo de inventione, hrsg. v. E. Stroebel, Stuttgart 1977. - Topica. Die Kunst, richtig zu argumentieren. Lateinisch und deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Karl Bayer, München/Zürich 1993 (Sammlung Hisculum). Clapmarius, Arnold: De arcanis rerumpublicarum libri sex, Bremen 1605 [1/la: F 6611]. Clarmundus, Adolphus [d.i. Johann Christian Rüdiger]: Vitae clarissimorum in re literaria Virorum. Das ist: Lebens-Beschreibung etlicher hauptgelehrten Männer/ so von der Literatur profess gemacht. Worinnen viel sonderbahre/ und notable Sachen/ so wohl von ihren Leben/ als geführten Stvdiis entdecket. Allen curieusen Gemüthern zu sonderbahren Nutzen und Vergnügen entworffen. Elf Teile [Teil 10 und 11 von anderen Verfassern], Wittenberg 1708-1713. - Lebens-Beschreibung des Welt-berühmten Polyhistors, S. T. Herrn Conrad Samuel Schutzfleischens/ weyland Eloquentiae Profess. Pubi., Dresden und Leipzig 1710. Comynes, Philippe de: Philippi Cominaei commentarli, in: Tres gallicarvm rervm scriptores nobilissimi [...], a Ioanne Sleidano e gallico in latinum sermonem conuersi, breuique explicatione illustrati, Frankfurt/ M. 1578 [23: Τ 873 Heimst. 2"]. - Gründtliche Beschreibung allerlei wichtiger namhaffter Sachen und Händel/ so sich bey Regierung der [...] Herren Ludwigen des Eylfften/ Königs von Franckreich/ Herren Caries Hertzogen zu Burgund/ vnd vollends Herren Carles des achten/ auch Königs von Franckreich [...] haben verlauffen und zugetragen, Straßburg 1580 [23: Τ 961 Heimst. 2° (2)]. Contzen, Adam: Methodus doctrinae civilis: oder wunder-seltzame Geschieht deß grossen Abissini, Königs der Mohren/ anfangs in Latein beschrieben/ durch den Ehrwürdigen Vatter Adam Contzen [...] anietzo aber verteutschet durch Matthiam Abele [...], Sultzbach 1672 [23: Li 1545], Crüger, Valentin: Collegium ethicum, Frankfurt 1655 [1/la: Np 2996]. Dach, Simon: Poetische Wercke/ bestehend in heroischen Gedichten/ denen beygefüget zwey seiner verfertigten poetischen Schau-Spiele, Königsberg 1696, Ndr. Hildesheim, New York 1970. Delius, Friedrich Christian: Ein Held der inneren Sicherheit, in: Deutscher Herbst. Drei Romane, Reinbek bei Hamburg 1997, S. 7 - 2 2 0 . Della Casa, Giovanni: Io. Casae Galatevs das ist/ das Büchlein von erbarn/ höflichen vnd holdseligen Sitten [...]. Natürlich auß Italienischer Sprach verteutschet von Nathane Chitraeo, Frankfurt 1595. Descartes, René: Die Leidenschaften der Seele, hrsg. u. übers, v. Klaus Hammacher, französisch-deutsch, Hamburg 1984 (Philosophische Bibliothek Bd. 345). Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse. Dritter Band: Das Zeitalter des Barock, hrsg. v. Albrecht Schöne, München 1963. Dilich, Wilhelm: Kriegsbuch/ darin die Alte und Newe Militia eigentlich beschrieben und allen Kriegßneulingen/ Bau und Büchsenmeistern/ zu nutz unnd guter Anleitung in Druck geben unnd verfertiget, Kassel 1608 [23: 23 Bell. (1)].

428 Doverinus, Hermannus: Trinvm secretorum politicorvm. Politische Geheimnussen warinnen Fürsten Herren vnd Obrigkeiten; dero Räthe/ vnd Officianten; sodann: die Stätte insonderheit sich nutzlichen zuersehen haben. Sampt beygefügten politischen Hanengeschrey von Veränderung/ und Untergang der Regimenten, Straßburg 1623 [23: 121 Pol. (1)]. - Wolgegründe Propheceyung/ genannt: Das Hanengeschrey. Von gewissen Zeichen und Vorbotten/ wann ein Reich/ Standt/ vnd Statt verändert worden/ oder gar zu grund gehen solle. Zur Lehr vnd Warnung aller Welt vorgebildet, o. O. [Straßburg] 1623 [23: 121 Pol. (1)]. Efferen, Wilhelm Ferdinand: Manvale politicvm christianvm de ratione status, sev, idolo principvm. In qvo de vera, et falsa forma gubernandi remp. de religione; de virtutibus principum; de potestate ecclesiastica; de bello, & pace compendiose agitur. Editio secunda auctior, Passau 1634. Eicheln, Johannes (Praes.), Johann Salomon Morgenstern (Resp.): Exercitatio moralis de heroibvs eorumqve virtvte, Helmstedt 1604. Erasmus, Desiderius: Ausgewählte Schriften. Acht Bände, Lateinisch und deutsch, hrsg. v. Werner Welzig, Darmstadt 1995. Faret, Nicolas: L'honeste homme; ov, l'art de plaire a la covr, Paris 1637 [23: 51.9 Eth. (2)]· - L'honneste homme, das ist: Der ehrliebende Welt-Mann, [Übersetzer: Caspar Bierling] Leipzig 1647 [23: 151.9 Pol. (1)]. Faseltus, Christian (Praes.), Johann-Augustus Werdermann (Resp.): Dissertatio de majestate principis externa, o.O. 1669 [1/la: Fi 134 (3)]. Feist, Wilhelm-Adolph von: Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beampten. Worinnen der rechte Kern der politischen Klugheit aus den vornembsten verscheidenen newen/ so wol lateinischen als französischen politischen Schreiberen/ kurtz zusammen gezogen/ und verfasset in dieses Tractätlein, Bremen 1660 [23: SF 692]. Fleming, Paul: Teütsche Poemata, Lübeck o.O. [1642], Ndr. Hildesheim 1969. Frachetta, Girolamo: Festgesetzter Printzen- oder Regenten-Staat/ zusamt dessen hierzu bequemlichst-erforderten Eigenschafften/ den Machiavellischen übelgesinnten Maximen vermittelst hochvernünfftigen und unwidertreiblichen Schluß-Gründen/ entgegen gesetzt [...], [Übersetzer lt. Ausgabe von 1692 Georg Martzi] Frankfurt 1681 [23: O 423 Heimst. 8°]. Francisci, Erasmus: Neu-polirter Geschieht- Kunst- und Sitten-Spiegel ausländischer Völcker [...], Nürnberg 1670 [23: Hf 1 2°]. Francke, Johannes Nicolaus (Praes.), Christoph von Reizenstein (Resp.): Autoritas principum politicé delineata, Jena 1665 [1/la: Fi 134 (15)]. [Freinsheim, Johann:] Teutscher Tügentspiegel; oder, Gesang von dem Stammen und Thaten des alten und neuwen teutschen Hercules [...], Straßburg 1639. Friedlieb Pomeranus, Irenaeus [Pseudon.]: Duell-Tragaedi/ was von Ausfodern und Balgen zu halten sey. Ein Gespräch/ darinnen von zu gelassenen und verbottenen Duellen discurrieret/ mit Gründen/ Gleichnissen und Exempeln illustriret/ nützlich zu lesen, Leipzig 1670 [23: 43.12 Pol. (3)]. Fritsch, Ahasver: Heller Spiegel eines frommen und christlichen Regentens/ nach dem vortreflichen Exempel des weyland durchl. Fürsten und Herrn/ Herrn Ernsten des Dritten/ Hertzogen zu Sachsen/ Jülich/ Cleve und Berg/ etc., Rudolstadt 1683 [23: Th 869], Die Fruchtbringende Gesellschaft unter Herzog August von Sachsen-Weißenfels. Die preußischen Mitglieder Martin Kempe (der Erkorne) und Gottfried Zamehl (der Ronde), hrsg. v. Martin Bircher und Andreas Herz, Wolfenbüttel 1997 (Die Deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft, Reihe II, Abt. C, Bd. 1). Füllisch, Johann Jacob: Compendium artis delineatoriae sive architecturae practicae novae das ist kurtzer/ leicher/ jedoch gründlicher Unterricht/ von der geometrischignographischen Zeügnungs und Bau-Kunst, Nerolingen 1680 [23: Ν 170 Heimst. 2°].

429 Fürstenspiegel der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Hans-Otto Mühleisen, Theo Stammen und Michael Philipp, Frankfurt/M., Leipzig 1997 (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens Bd. 6). Furttenbach, Joseph: Architectura civilis: das ist: Eigentliche Beschreibung wie man nach bester Form/ vnd gerechter Regul/ fürs erste: Palläst/ mit dero Lust: vnd Thiergarten/ darbey auch Grotten: so dann gemeine Bewohnungen/ zum andern/ Kirchen/ Capellen/ Altär/ Gotshäuser: Drittens/ Spitäler/ Lazareten vnd Gotsäcker aufführen vnnd erbawen soll, Ulm 1628 [23: 113.1 Quodl. 2°]. - Architectura vniversalis. Das ist: Von Kriegs- Statt- vnd Wasser Gebäwen, Ulm 1635 [1/la: 4° Ny 4284 R], Garzoni, Tommaso: Piazza vniversale, das ist: Allgemeiner Schawplatz/ oder Marckt/ vnd Zusammenkunfft aller Professionen/ Künsten/ Geschafften/ Händlen vnd Handwercken/ so in der gantzen Welt geübt werden [...], Frankfurt/M. 1619 [23: Ν 224 Heimst. 2°]. Gauhe, Johann Friedrich: Historisches Helden- und Heldinnenlexicon, in welchem das Leben und die Thaten der Generalen, Admiralen, Feld-Marschalle, Obristen, Capitaine, wie auch anderer Personen männlichen und weiblichen Geschlechts von allen Nationen, die sich von denen ältesten biß auf gegenwärtige Zeiten in den Kriegen zu Wasser und Lande, oder bey andern Gelegenheiten, durch ihre Tapfferkeit einen besondern Ruhm erworben, in alphabetischer Ordnung mit bewährten Zeugnissen vorgestellet werden, nebst einer nöthigen Vorrede und Register, Leipzig 1716 [23: Da 165], Das geistige Zürich im 18. Jahrhundert. Texte und Dokumente von Gotthard Heidegger bis Heinrich Pestalozzi, hrsg. v. Max Wehrli, Basel 1989 (Birkhäuser Klassiker). Goethe, Johann Wolfgang: Werke (Hamburger Ausgabe), hrsg. v. Erich Trunz, München 1981. Gracián, Baltasar: Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit. Deutsch von Arthur Schopenhauer. Hrsg. v. Arthur Hübscher, München 1985. - Der Held. Aus dem Spanischen von Elena Carvajal Díaz und Hannes Böhringer, Berlin 1996 (Internationaler Merve-Diskurs 200). Grégoire, Pierre: De Repvblica, libri sex et viginti [...]. Editio Germaniae altera [...], Frankfurt 1609. Grimaldi Robio, Pellegro de: Cordissiano, das ist der recht wolgeziert Hofmann [...] Jetzund [...] trewlich verdeutschet, Frankfurt 1571 [23: Τ 772 Heimst. 8°]. Gryphius, Andreas: Dramen, hrsg. v. Eberhard Mannack, Frankfurt/M. 1991 (Bibliothek der frühen Neuzeit, zweite Abteilung, Bd. 3). Gryphius, Christian: Actus von den Helden-Büchern oder Romanen (1694). Aus der Handschrift herausgegeben, erläutert und mit einem Nachwort versehen von Konrad Gajek, Frankfurt/M. 1994 (Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft Reihe A/Quellen, Bd. 9). Guazzo, Stefano: De civili conversatione, das ist/ von dem bürgerlichen Wandel vnd zierlichen Sitten, Frankfurt/M. 1599 [23: 40.1 Pol. (2)]. Gueintz, Christian: Deutscher Sprachlehre Entwurf, Kothen 1641, Ndr. Hildesheim, New York 1978. Guevara, Antonio de: Institutiones vitae aulicae oder HofSchul [...] Anfangs durch Herrn Antonium de Guevara in hispanischer Sprachen componiert. Anjetzo aber durch Aegidium Albertinum [...] verteutscht, München 1602. Gummersbachius, Adolphus: Genealogia Christi. Id est, dilvcida instrvctio et explicatio arboris genealogicae lawinis aeneis incisae, continentis integram Domini et Salvatoris Nostri Iesv Christi prosapiam, Köln 1602 [23: 519. 10 Theol. 2°]. Gundling, Nicolaus Hieronymus: Ethica sev philosophia moralis genvinis fvndamentis svperstrvcta et a praesvmptis opinionibvs aliisqve ineptiis vacva. Editio II. avctior et emendatior, Halle 1726. - Collegium Historico-Literarium oder ausführliche Discourse über die vornehmsten Wissenschaften und besonders die Rechtsgelahrtheit. Zu verschiedenen malen in

430 zahlreichen Versammlungen gehalten, und in Anmerkungen bis 1737 fortgesetzet, Bremen 1738. Hagelganß, Io. Heinr.: Christlicher Hochtheurer Helden Tugend-lauff/ in Sinnenbildern vorgestellt, Nürnberg 1653 [23: 41.2 Geom.]. Hallmann, Johann Christian: Schlesische Adlers Flügel oder warhaffte Abbild- und Beschreibung aller Könige/ Ober-Regenten/ und Obristen Hertzoge/ über das gantze Land Schlesien von Piasto an biß auf Unsern Regierenden Allergnädigsten Kaiser/ König/ und Obristen Hertzog Leopoldum, in: Trauer-, Freuden- und Schäfferspiele: Nebst einer Beschreibung aller Obristen Hertzogen über das ganze Land Schlesien, Breslau 1684. Halt, Peter: Perspectivische Reiß Kunst, Augsburg 1625 [23: A 113.1 Quod 2 o (4)]. Happel, Eberhard Werner: Der ungarische Kriegs-Roman, oder ausführliche Beschreibung des jüngsten Türcken-Kriegs, 6 Teile, Ulm 1685-1697. - Historia moderna Europae, oder eine historische Beschreibung deß heutigen Europae, Ulm 1692. Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter, Nürnberg 1650-1653, Ndr. Darmstadt 1969. - Der teutsche Secretarius. Das ist: Allen Cantzleyen/ Studir- und Schreibstuben nützliches/ fast nohtwendiges/ und zum fünfften mal vermehrtes Titular- und Formularbuch [...], Nürnberg 1674. Bd. II: Nürnberg 1661. - Sigmund von Birken, Johann Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht 1644-1645, hrsg. v. Haus Garber, Tübingen 1966 (Deutsche Neudrucke, Reihe Barock, Bd. 8). Heinsius, Daniel: Pindari Pythiis praemißa. In qua ostenditur quomodo veteres philosophi poetarum scriptis sint vsi, in: Daniel Heinsius: Orationes, Leiden 1612, S. 5 8 88 [23: 108.1 Rhet.]. Helvicus, Nicolaus: Theatrum historiae vniversalis catho-protest. das ist: Warhaffte eigentliche und kurtze Beschreibung aller gedenckwürdigen Historien/ Geschichten/ vnd Händel/ welche sich in 126. Jahren in geistlichen/ weltlichen Religion/ politischen/ Frieden/ vnd Kriegs-Sachen [...] zugetragen vnd begeben, Frankfurt/M. 1644. Henninges, Hieronymus: Theatrvm genealogicvm ostentane omnes omnivm aetatvm familias: monarchvm, regvm, dvcvm, marchionum, principum, comitum atquè illustrium heroum & heroinarum: item philosophorvm, oratorvm, historicorvm qvotqvot a condito mvndo vsque ad haec nostra tempora vixerunt [...], Magdeburg 1598 [23: 19 Hist. 2°]. Herder, Johann Gottfried: Briefe zu Beförderung der Humanität, hrsg. v. Hans Dietrich Irmscher (Werke in zehn Bänden, Bd. 7), Frankfurt/M. 1991. Hiller, Ludwig Heinrich: Ohnpedantische Helden-Schul/ das ist: Methodus, wie man Standes-Personen in Gott-gefälligen lügenden und Sitten auferziehen; so dann in freyen Künsten/ und ihrem Stand anständigen Wissenschafften etc. kurtz/ gründlich/ und lustig unterweisen solle, Leipzig 1695 [23: X 8]. Hillischer, Georg Daniel (Praes.), Christian Friedrich Schütze (Resp.): Disputatio raoralis de virtute heroica, Wittenberg o. J. Historisch-politische Schauspiele, mit einem Nachwort hrsg. v. Klaus Reichelt, Tübingen 1987 (Deutsche Neudrucke, Reihe Barock, Bd. 37). Hobbes, Thomas: Leviathan. Erster und zweiter Teil. Übersetzung von Jacob Peter Mayer. Nachwort von Malte Disselhorst, Stuttgart 1990. Hohberg, Wolf Helmhard von: Der Habspurgische Ottobert. Durch ein Mitglied der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft, Erfurt 1664. Hossmann, Abraham: Genealogia oder adeliche Stamm-Chronica/ deß hochberühmten/ uhralten adelichen römischen Geschlechts deren von Sallhaussen/ wie sie anfänglich von Rom/ nachmalen von Meyland und Ferrara auß Welschland und Saphoien/ in Piémont und Deutschland kommen seynd/ deroselben Reisen/ Heerzügen/ und andern ritterlichen heroischen Heldenthaten/ wie sie von den römischen Käysern/ Friderico Secundo, und nachmalen Käiser Maximiliano Primo, in den

431 Freyherrnstand gesetzet und begnadet worden: was sie vor Landes/ Städte/ Schlösser und Rittersitze gehabt/ sammt allem/ was sich sonsten von Anno Christi 712. in ermeldtem adlichem Geschlecht/ denckwiirdiges begeben hat, Dresden 1654. Jamitzer, Wenzel: Perspectiva corporum regularium. Das ist/ ein fleyssige Fiirweysung/ wie die fünff regulirten Cörper/ daruon Plato inn Tîmaco/ vnnd Euclides inn sein Elementis schreibt/ sc. durch einen sonderlichen/ newen/ behenden vnd gerechten weg/ der vor nie im gebrauch ist gesehen worden/ gar künstlich inn die Perspectiva gebracht/ vnd darzu ein schöne Anleytung/ wie auß denselbigen fünff Cörpern one Endt/ gar viel andere Cörper/ mancherley Art vnd gestalt/ gemacht/ vnnd gefunden werden mügen, Nürnberg 1568 [23: 10 Geom. 2°]. Jenichen, Gottlob Friedrich (Praes.), Valentin Gottfried Hercklitz (Resp.): De cultu heroinarum sago et toga illustrium, Leipzig 1700. Graf Johann VII. von Nassau-Siegen: Das Kriegsbuch. Die Heeresreform der Oranier, bearbeitet von Werner Hahlweg, Wiesbaden 1973. Keckermann, Bartholomaeus: Operum omnium quae extant tomus secundus. In quo speciatim, methodicè & vberrimé de ethica, oeconomia, politica disciplina: necnon de arte rhetorica agitur, Genf 1614. Kindermann, Balthasar: Der deutsche Poet, Wittenberg 1664, Ndr. Hildesheim, New York 1973. Kircher, Athanasius: Oedipus Aegyptiacus. Hoc est vniversalis hieroglyphicae veterum doctrinae temporum iniuria abolitae instavratio, Tom. I, Rom 1652. Kirchmaier, Georg Kaspar (Praes.), Gerhard Ernst Francus (Resp.): De heroum conviviis coenisque principalibus, Wittenberg 1692 [1/la: 39 in: Ah 7116]. Kirchner, Hermann: De officio et dignitate cancellarli, libris quatuor expositus, Marburg 1613 [1/la: F 6758], - Respublica: Ad disputationis aciem methodicè revocata, sententiis tum recentiorum, tum veterum scriptorum diligenter excussis, Marburg 1614 [1/la: F 6758]. Kreps, Michael: Teutsche Politick oder von der Weise wol zu regieren. In Frieden vnd Kriegs zeitten, zwei Teile, Frankfurt/M. 1620 [23: 154 Pol.], La Fayette, Marie-Madeleine de: Die Prinzessin von Cleves. Aus dem Französischen übersetzt von Eva und Gerhard Hess. Nachwort und Anmerkungen von Gerhard Hess, Stuttgart 1983. Lairitz, Johann Georg: Neu-angelegter historisch-genealogischer Palm-Wald/ worinnen die itzo in Deutschland ruhm-blühende kaiser- churfürstliche erz- und herzog- auch fürstliche Stamm-Bäume nach ihren Stamm-Wurzeln grundrichtig untersuchet/ mit dero Gebietschafften ausführlich beschrieben/ und in ihren Stamm-Gliedern bis auf unsere Zeiten fürstellig gemachet werden, Nürnberg 1686 [23: Ff 4° 58]. Lamormaini, Gulielmus: Ferdinandi II. römischen Khaysers Tilgenden. Durch R. P. Gulielmum Lamormaini [...] lateinisch beschrieben: Jetzo aber/ durch R. P. Joannem Jacobum Curtium [...] verteutschet, Wien 1638 [23: 32. 17 Pol.]. Lampert, Baidassar (Praes.), Johannes Wend (Resp.): Disputationum ethicarum secunda de virtute heroica et intellectualibus, Frankfurt/Oder 1624. Lani, Georg (Praes.), Tobias Schmidt (Resp.): Specimen academicum de virtute heroica, Leipzig 1676. La Noue, François de: Discours politiques et militaires. Publiés avec une introduction et des notes par F. E. Sutcliffe, Genf 1967. - Discours oder Beschreibung und ußführliches rähtliches bedencken/ von allerhand so wol politischen/ als Kriegssachen. Erstlich durch den edlen/ hocherfahrnen/ weitberühmbten/ vnd mannhafften frantzösischen Kriegs-Obristen/ den Herren De la Nove in frantzösischer sprach beschrieben/ hernach durch den HerTen de Fresnes zu sammen gefaßt/ vnd an Tag geben. Jetzundt aber: Allen Potentaten/ Fürsten/ Herren/ KriegsObristen/ Haupt und BefelchsLeuten/ auch manniglich/ so in politischen vnd Kriegssachen/ herrliche weise vnd nützliche Rathschläg/ vnd vorständige bedencken zu wissen begirig/ zu Ehren vnd bestem/ auß dem Frantzösischen in

432 viiser geliepte teutsche sprach auffs trewlichst vnd fleissigst vertirt. Durch: Jacob Rahtgeben [...], Frankfurt/M. 1592 [1/la: F1881]. La Noue, Pierre de: Le lict d'honnevr, oder sanfftes Ruhebett der Ehren [Übersetzer: Johann Moritz], Altenburg/Leipzig 1639 [23:138.4 Eth. (1)]. Lansius, Thomas: Laudatio funebris divae Sibyllae, principis Anhaltinae, Tübingen 1615 [23: 26 Quod. (2)]. Lauterbach, Johannes: Princeps Christianvs vel simvlacrvm Saxonicvm ad Illustrissimum Principem ac Dominum, Dominvm Christianvm II. Ducem Saxoniae & Electoratus haeredem [...], o.O. 1597 [1/la: Fa 4975]. Lauterbeck, Georg: Regentenbuch [...]. Darinn vil vnd mancherley nützliche anweisungen/ herrliche Räht vnd anschläge/ zu löblicher vnnd glückhaffter Regirung/ anrichtungen/ besserung und erhaltung guter Policey/ in Friedens vnd Kriegßzeiten/ auch auffbringung deß gemeinen nutzes bey den Vnterthanen/ vnd was sonst zu bestendigem Regiment dienlich seyn kan/ auß den fürnembsten alten vnd newen Historien/ auch sonster fürtrefflicher hochgelehrter Männer Schrifften vnnd Büchern/ zusamen getragen/ vnd zum fleissigsten in Truck verfertiget. Allen Potentaten/ Königen/ Fürsten/ Grafen/ Herren/ Regenten/ vnd Oberkeiten/ fast notwendig vnd nützlich zulesen/ sich darnach in allen fürfallenden händeln vnd sachen wissen zurichten, Frankfurt 1579 [1/la: Fa 4897], Le Moyne, Pierre: La galerie des femmes fortes, o.O. o.J. [23: Hl 2o 1], Leibniz, Georg Wilhelm: Monadologie. Neu übersetzt, eingeleitet und erläutert von Hermann Glockner, Stuttgart 1954. - Die Theodizee. Übersetzung von Artur Buchenau. Einführender Essay von Morris Stockhammer, Hamburg 21968 (Philosophische Bibliothek 71). Liebenthal, Christian: Collegium Politicum [...], Gießen 1661. Lipsius, Justus: Von Vnterweisung zum weltlichen Regiment. Oder/ von bürgerlicher Lehr/ sechs Bücher [...] mit allem fleiß und besonderer nachfolge/ auch müglicher achtnehmung des Autoris Styli und worten/ Teutscher Nation zu gefallen in unsere Hochteutsche Sprach/ transferirt und ubergesetzet. Durch Melchiorem Haganaeum, o.O. 1599. - Von der Bestendigkeit [De constantia]. Faksimiledruck der deutschen Übersetzung des Andreas Viritius nach der zweiten Auflage von c. 1601 mit den wichtigsten Lesarten der ersten Auflage von 1599, hrsg. v. Leonard Forster, Stuttgart 1965. - De Constantia. Von der Standhaftigkeit. Lateinisch-deutsch. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Florian Neumann, Mainz 1998 (Excerpta classica 16).

-

Mónita et exempla politica. Libri dvo, qui virtvtes et vitia principum spectant. Antwerpen 1606 [1/la: Fa 5092a], - Admiranda oder Wundergeschichten/ von der vnaußsprächlichen Macht/ Herrlichvnd Großmächtigkeit der Statt Rom/ vnd römischen Monarchey [...], [Übersetzer: Johann Valentin Andreae], Straßburg 1600 [23: 105.6 Pol.]. Liselotte von der Pfalz: Briefe, hrsg. und eingeleitet von Helmuth Kiesel, Frankfurt/M. 1981. Loen, Johann Michael von: Der Held, in: Ders.: Gesammlete kleine Schrifften. Besorgt und herausgegeben von J. C. Schneidern, Bd. 1 - 4 , Frankfurt und Leipzig 17491752, Ndr. Frankfurt/M. 1972, Bd. 1, S. 165-184. Löhneyss, Georg Engelhard von: Della Cavalleria. Das ist: Gründlicher vnd außführlicher Bericht/ von allem was zu der löblichen Reuterey gehörig/ vnd einem Cavallier zu wissen von nöhten, 3. Aufl. Remlingen 1674. - Hof- Staats- und Regierkunst/ bestehend in dreyen Büchern/ deren erstes handelt von Erziehung und Information junger Herren/ [...] das andre vom Ambt/ lügenden und Qualitäten regierender Fürsten/ [...] das dritte von verschiedenen RahtsCollegiis [...], Frankfurt/M. 1679 [23: O 70 2° Heimst.]. Lohenstein, Daniel Casper von: Lorentz Gratians staats-kluger catholischer Ferdinand aus dem Spanischen übersetzet von Daniel Caspern von Lohenstein, Breslau/Jena 1676.

433 -

D e m Weyland Durchlauchtigen Fürsten und Herrn/ Herrn G e o r g e Wilhelms/ Hertzogens in Schlesien/ zu Liegnitz/ Brieg und Wohlau/ christ-mildesten Andenckens/ [...] gefertigte Lob-Schrifft, Breslau und Leipzig 1679 [23: G W Mischbd. 1 (3)].

-

Sophonisbe. Trauerspiel, hrsg. v. Rolf Tarot, Stuttgart 1991. Großmüthiger Feldherr Arminius, Bd. 1, 2, Leipzig 1689/90, Ndr. Hildesheim, N e w York 1973. Lokervitz, Christian (Praes.), Heinrich Steinkopff (Resp.): Heros philosophice delinea t a , Greifswald 1682 [14: Coll. Diss. Α . 70 (35); 14: Philos. C. 214. 58]. Lorichius, Reinhard: Ein nützliches vnd sehr notwendiges Tractätlein/ wie und welcher gestalt man den hohen Potentaten/ als Kayser/ Königen/ Fürsten/ Graffen/ deren von Adel/ und anderer Herrn Kinder/ die Heut oder Morgen dem Regiment vorstehen sollen/ zu aller Gottseligkeit und Erbarkeit instituiren/ vnd von Jugendt auff rechtschaffen vnterweisen sol: Auch/ in welchen Stücken sie vornemlich/ Landt und Leut zu gutem/ fruchtbarlich vnterricht wecken mögen, Frankfurt/M. 1595. Lünig, Johann Christian: Theatrum ceremoniale historico-politicum, oder historischund politischer Schauplatz aller Ceremonien [...], Leipzig 1719 [23: G e 2" 5]. Machiavelli, Niccolò: Gedanken über Politk und Staatsführung. Übersetzt und herausgegeben von Rudolf Zorn, dritte, durchgesehene Auflage, Stuttgart 1954. Politische Schriften. Hrsg. v. Herfried Münkler, Frankfurt/M. 1990. Malvenda, Ludovicus de: Spiegel eines christlichen Fürsten [...] an jetzo durch Egidium Albertinum [...] verteutscht, München 1604 [23: 20.1 Pol.], Meiesander, Joh.: Schau-Platz polnischer Tapfferkeit/ der tapffermüthigen polnischen Könige und Fürsten/ Leben/ Regierung/ Thaten/ und Absterben. Von d e m ersten Hertzogen Lecho an/ biß auf [...] Johann III. Entworffen/ und mit ihren warhafftigen Bildnüssen ausgezieret von Joh. Meiesandern, Sultzbach 1685 [23: Alvensleben Kh 173], Melissantes [Johann Gottfried Gregorius]: Curieuser Affecten-Spiegel/ oder auserlesene Cautelen und sonderbahre Maximen, die Gemüther der Menschen zu erforschen/ und sich darnach vorsichtig und behutsam aufzuführen/ in Frag und Antwort vorgestellet/ und nebst nöthigen Registern ausgefertiget von Melissantes, Franckfurt und Leipzig 1715 [1/la: N n 12356], Mentzius, Balthasar: Stambuch/ dorinnen der Chur und Fürsten zu Sachsen hochlöbliche/ ritterliche Thaten/ Bildnüsse vnd Wapen/ von Fridrich dem ersten biß an die jtzige Herrschaft. Sampt des Römischen Reichs gliedmassen/ Amptpersonen/ Circk/ Kreyssen/ Reichs vnd Freystedten. V n d dan der Keyser Thurnier vnd Cammergerichts zu Speyr/ neben der Churfürsten zu Sachsen Hoffgerichts zu Wittenberg/ wolbestalte Ordnung/ kurtz zusamen vnnd in druck gebracht, Wittenberg 1598 [23: Alvensleben: M f 126 (1)]. Meyfart, Johann Matthäus: Teutsche Rhetorica oder Redekunst (1634), hrsg. v. Erich Trunz, Tübingen 1977 (Deutsche Neudrucke, Reihe Barock, Bd. 25). Montesquieu: V o m Geist der Gesetze. Eingeleitet, ausgewählt und übersetzt von Kurt Weigand, Stuttgart 1984. Morhof, Daniel Georg: Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie, hrsg. v. Henning Boetius, Bad Homburg v. d.H., Berlin, Zürich 1969. Moscherosch, Johann Michael: Visiones de D o n Quevedo. Wunderliche und wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt, Straßburg 1642, Ndr. Hildesheim, N e w Y o r k 1974. [Moser, Friedrich Karl von:] Reliquien, Frankfurt/M. 21766. Müller, Barthold (Praes.); Peter Schermbeccius (Resp.): Collegii ethici disputatio decima de virtute heroica, Jena 1666 [39: Diss. phil. 19 (10)]. Neumark, Georg: Christlicher Potentaten Ehren-Krohne. [...] A l l e n christlichen R e genten zur heilsamen Lehre/ und löblichen Nachfolge herausgegeben von dem Sprossenden, Weimar 1675 [23: Sf 282 (1)]. Newcastle, William Cavendish of: Neu-eröffnete Reit-Bahn. Aus dem Englischen ins Französische übersetzt von Solleisel, ins Deutsche übersetzt von Johann Philipp Ferdinand Bernauer, Nürnberg 1700.

434 Obrecht, Georg: Fiinff vnderschiedliche Secreta politica von Anstellung/ Erhaltung und Vermehrung guter Policey/ vnd von billicher/ rechtmässiger vnd nothwendiger Erhöhung/ eines jeden Regenten jährlichen Gefallen vnd Einkommen, Straßburg 1644 [23: 43.12 Pol. (1)]. [Olearius, Adam:] Sieges- und Triumffs-Fahne Gustavi Adolphi Magni, der Schweden/ Gothen und Wenden Königs etc. Welcher in Meissen bey Lützen in der Schlacht als ein Heidt gestanden/ vnd mitten im Siegen gefallen/ den 6. Novembris Anno 1632. Zu dessen höchstlöblichen vnd vnsterblichen Gedächtniss auffgerichtet. Durch Ascanium Olivarium, Leipzig 1633 [1/la: Yi 986]. Omeis, Magnus Daniel: Gründliche Anleitung zur teutschen accuraten Reim- und Dicht-Kunst/ durch richtige Lehr-Art/ deutliche Reguln und reine Exempel vorgestellet [...], Nürnberg 1704. Opitz, Martin: Gesammelte Werke, hrsg. v. George Schulz-Behrend, Stuttgart 1968ff. - Buch von der Deutschen Poeterey (1624), hrsg. v. Cornelius Sommer, Stuttgart 1991. - Die Schäfferey von der Nimfen Hercinie. Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1630, hrsg. u. eingeleitet von Karl F. Otto, Jr., Bern, Frankfurt/M. 1976 (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts). Pacianus, Fulvius: Discvrsvs politicvs, de vero, justoque principe. Das ist: Ein Diseurs, von der edlen tewren vnd werten Kunst/ wie ein Fürst sein Land und Leute [...] recht/ wol/ [...] regieren sol [...]. Anfenglich in italienischer Sprache beschrieben/ durch den Wolgebornen und Edlen Herrn Fulvium Pacianum [...]. Nunmehr aber in vnsere teutsche Muttersprache [...] vbersetzet. Durch Statium Borchholten [...], Hamburg 1614 [23: 102.6 Pol.], Pascha, Johann Georg: Kurtze Vnterrichtung belangend die Pique/ die Fahne/ den Jägerstock/ das Voltesiren/ das Ringen/ das Fechten auff den Stoß und Hieb/ und endlich das Trinciren, Wittenberg 1659 [23: Hn 198], Pellicciari, Bartolomeo: Tyrocinium das ist/ Bericht und Vbung nach welchem angehende Soldaten sollen in allerhandt Waffen abgericht werden [...], Frankfurt/M. 1611 [23: 16 Bell. (2)]. Peucer, Caspar: Commentarivs de praeeipvis diviniationvm generibvs, in qvo a prophétie, avthoritate divina traditis, & à physicis coniecturis, discernuntur artes & imposturae diabolicae, atque obseruationes natae ex superstitione, & cum haec coniunetae: Et monstrantur fontes ac causae physicarum praedicionum: Diabolicae vero ac superstitiosae confutatae damnantur, ea serie, quam tabella praefixa ostendit [...] Frankfurt 1607 [1/la: Na2060], Piccolomini, Francesco: Universa philosophia de moribus [...] in decern gradus redacta. Et nunc iterum emendatior in lucem edita & aueta. Accessit his comes politicus, pro recta ordinis ratione propugnator, logicae studiosis & doctrinarum methodicis scriptoribus perquam utilis. Additi sunt indices duo: Vnus primorum capitum, alter singularum sententiarum, Frankfurt 1595 [23: 28 Eth.]. [Ponatus, Georg Leopold:] Eine kleine Anleitung zu der höchst-nützlichen Kunst die Hertzen der Menschen einzusehen/ und ihre Gemüther kennen zu lernen/ an die Hand gegeben von einem/ der gute Leute preiset, Wolfenbüttel 1712 [1/la: Nn 12346], Posselt, Ernst Ludwig: Ueber teutsche Historiographie, eine Rede bey der Jubelfeyer des Carlsruher akademischen Gymnasii den 21. Nov. 1786 in Gegenwart des Hochfürstlichen Hauses gehalten, Durlach 1786. - Der Vaterlandstod der Vierhundert Bürger von Pforzheim, eine Rede den 29. Januar 1788 in Gegenwart des Hochfürstlichen Hauses gehalten, Karlsruhe 1788. Pozzo, Andrea: Perspectivae pictorum atque architectorum. Der Mahler und Baumeister Perspectiv, Teil 1, 2, Augsburg 1719. Pregitzer, Johann Ulrich (Praes.), Johann Michael Schaller (Resp.): Exercitatio ethica de virtute heroica pro gradu, Tübingen 1663 [37: a. phil. Diss.].

435 Pufendorf, Samuel Freiherr von: Sieben Bücher von denen Thaten Carl Gustavs König in Schweden/ mit vortrefflichen Kupffern ausgezieret und mit nöthigen Registern versehen aus dem Lateinischen ins Hoch-Teutsche übersetzt von S. R., Nürnberg 1697 [32: 2° XXX/11], Quintilian: Ausbildung des Redners, hrsg. u. übers, v. Helmut Rahn, 2., durchges. Auflage, 2 Bde., Darmstadt 1988. Raben, Paul (Praes.), Christoph Leffler (Resp.): Disputatio politica de virtute heroica, Königsberg 1689 [12: 4° Diss. 553 (48)]. Rechenberg, Adam (Praes.), Ernst Friedrich Kindermann (Resp.): De studii genealogici praestantia, Leipzig 1697. - (Praes.), Christian Ludwig Starck (Resp.): Simson heros, Leipzig 1670. Réfuge, Eustache de: Kluger Hofmann: Das ist/ nachsinnige Vorstellung deß untadelichen Hoflebens/ mit vielen lehrreichen Sprüchen und denkwürdigen Exempeln gezieret; nicht nur den Hofleuten zu dienlicher Nachrichtung; sondern allen und jeden welche bey grossen Herren mit schweren Regiments-Geschäfften beladen/ und sich vieler Welthändel unterziehen müssen/ zu sondrem Behuff gedolmetscht/ vnd mit vielen Gedichten/ Anmerkungen und seltnen Betrachtungen beleuchtet. Durch ein Mitglied der hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft [Georg Philipp Harsdörffer], Hamburg 1655 [23: 64.3 Eth.]. Reinkingk, Dieterich: Biblische Policey/ das ist: Gewisse/ auß heiliger göttlicher Schrifft zusammen gebrachte/ auf die drey Haupt-Stände: als geistlichen/ weltlichen/ vnd häußlichen/ gerichtete Axiomata, aller Schlußreden [...], Frankfurt/M. 1656 [23: Tb 305], Rentsch, Johann Wolfgang: Brandenburgischer Ceder-Hein/ worinnen des Durchleuchtigsten Hauses Brandenburg Aufwachs- und Abstammung/ auch Helden-Geschichte und Gros-Thaten/ [...] vorgestellet worden, Bayreuth 1682. Reusner, Elias: Genealogiae regum, ducum, principum, atque comitum, qui origines suas à bellicosissimo saxonum rege Wedekindo deducunt, quorum omnium Catalogum aversa pagina exhibet [...], Leipzig 1610 [23: G m 4 ° 945 (1)]. - Genealogia imperatorvm, regvm, principvm, comitvm, baronvm et dynastarvm germanorvm totius orbis Christiani, sive opvs genealogicvm catholicvm, in qvo praecipuae familiae Βασιλικοί, maximè vero regnum ac principum germanorum in toto orbe christiano dilatatorum stirpes ac prosapiae, inde ab earum origine vsque ad praesentem aetatem continentur; ad controversas principvm, comitvm decernendas apprimè vtile ac necessarium, & in vertente causa Iuliacensi summoperè expetitum [...], Frankfurt 1612 [23: F f 4 ° 28 (1)]. Reusner, Nicolaus: Jcones sive imagines imperatorvm, regvm, principvm, electorvm et ducvm Saxoniae, vnà cum eorundem elogijs, Jena 1597 [23: Gm 4° 945 (2)]. Richter, Gregor: Axiomatum historicorvm pars secunda, continens axiomata oeconomica, Görlitz 1600 [1/la: F1927]. - Axiomatvm historicorvm pars tertia, continens axiomata ecclesiastica, Görlitz 1602 [1/la: F 1927], - Axiomata politica, accessione CLXXIV. novarum regularum, multarumque sententiarum & exemplorum aucta & locupletata. [...] Editio qvarta, Jena 1654 [1/la: F1937], Rist, Johann: Sämtliche Werke, unter Mitwirkung von Helga Mannack und Klaus Reichelt hrsg. v. Eberhard Mannack, Berlin/New York 1967ff. Rittershausen, Nicolaus: Genealogiae imperatorum, regvm, dvcvm, comitvm, praecipuarumque aliorum procerum orbis christiani; deductae ab anno Christi MCCC ad annum MDCLXIV, editio tertia auctior & emendatior, Tübingen 1664 [23: Ff 40.31], Rivinus, Andreas (Praes.), Paulus Winckler (Resp.): Discursus academicus historicopoliticus de duello tarn in genere, quàm de diversis ejusdem speciebus: Probationis putà, rei & pubi. & privatae defendendae gloriae quoque & gloriationis causâ commissis, Leipzig 1649 [1/la: Fi 134 (26)].

436 Rohr, Julius Bernhardt von: Einleitung zu der Klugheit zu leben/ oder Anweisung, wie ein Mensch zu Beförderung seiner zeitlichen Glückseligkeit seine Actiones vernünftig anstellen soll, Leipzig 1715. - Unterricht von der Kunst der Menschen Gemüther zu erforschen, darinnen gezeiget, in wie weit man aus eines Reden/ Actionen und anderer Leute Urtheilen, eines Menschen Neigungen erforschen könne, und überhaupt untersucht wird, was bey der gantzen Kunst wahr oder falsch, gewiß oder ungewiß sey. Die andere Aufflage, Leipzig 1715. - Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren, Berlin 1733, Ndr. hrsg. und kommentiert von Monika Schlechte, Weinheim 1990. Rüdiger, Andreas: Philosophia synthetica, tribus libris de sapientia, justitia et prudentia methodo mathematicae aemula, breviter & succincte, in usum auditorum, ita comprehensa, ut quomodo quilibet veritatem, proprio Marte, & invenire possit, & dijudicare, appareat, Leipzig 1707. - Anweisung zu der Zufriedenheit der menschlichen Seele/ als dem höchsten Guthe dieses zeitlichen Lebens, Leipzig 1721. Saavedra Fajardo, Diego de: Ein Abriss eines christlich-politischen Printzens/ in CI Sinn-bildern vnd mercklichen symbolischen Sprüchen. Zu vor auss dem Spanischen ins Lateinische; nun in Deutsch versetzt, Amsterdam 1655 [23: 148.14 Pol.], - Abris eines christlich-politischen Printzens/ in CI Sinn-Bildern vnd mercklichen symbolischen Sprüchen [...] zuvor auß dem spanischen ins lateinische: Nun in teutsch versetzet, Köln 1674 [1/la: Fa 5426]. Sadoleto, Giacomo: [...] de bello Turcis inferendo oratio, Basel 1538. Sagittarius, Caspar (Praes.), Georg Heinrich von Brandenstein (Resp.): Dissertatio de motibus heroicis eorvm praecipve qvi cvm imperio sunt, Jena 1682. Sainte-Marie, Anselme de: Le palais de l'honnevr, ov les genealogies historiqves des illvstres maisons de France, et de plusievrs nobles familles de l'evrope, Paris 1668 [23: Schulenb. F 32 (1)]. Satiren der Aufklärung, hrsg. ν. Gunter Grimm, Stuttgart 1979. Scaliger, Julius Caesar: Poetices libri Septem. Sieben Bücher über die Dichtkunst. Unter Mitwirkung von Manfred Fuhrmann hrsg. v. Luc Deitz und Gregor Vogt-Spira, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994ff. Schelgwig, Samuel (Praes.), Christoph Esser (Resp.): De virtute heroicâ, Wittenberg 1665. - (Praes.), Carl August von Neitzschitz (Resp.): Princeps, Wittenberg 1665 [1/la: Fi 134 (13)]. Schickfvsius, Iacob (Praes.), Iohannes Schrodervs (Resp.): Dispvtatio ethica de virtvte heroica et semivirtvtibus, Frankfurt 1602. Schmidt, Johann Andreas: Disquisitio, cur heroum filii interdum noxae, warum vornehmer Leute Kinder gemeiniglich übel gerathen? Halle 1735. Schönaich, Christoph Otto von: Hermann, oder das befreyte Deutschland, ein Heldengedicht. Neue, verbesserte, vermehrte, und mit Kupferstichen ausgezierte Auflage. Mit einigen historischen Anmerkungen und einer komischen Epopee, Der Baron, bereichert. Nebst einer Vorrede ans Licht gestellet von Joh. Chr. Gottscheden, Leipzig 1753. Schönborner, Georg: Politicorvm libri Septem, Amsterdam 1660 [1/la: F 6744]. Schottel, Justus Georg: Ausführliche Arbeit von der teutschen HaubtSprache [...], Braunschweig 1663, Ndr. hrsg. v. Wolfgang Hecht, Teil 1 , 2 , 2 . unveränderte Auflage Tübingen 1995. - Ethica. Die Sittenkunst oder Wohllebenskunst, in teutscher Sprache vernemlich beschrieben in dreyen Bücheren, Wolfenbüttel 1669. - Friedens Sieg. Ein Freudenspiel, hrsg. v. Friedrich E. Koldewey, Halle a.S. 1900 (Nachdrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts No. 175). Schultze, Johann Friedrich (Praes.), Johannes Georgius Schubart (Resp.): De virtute heroica, Wittenberg 1674.

437 Schweling, Johann Eberhard (Praes.), Johann Caspar Santrock (Resp.): Heroum virtuosam excellentiam, quam hodie, Gallis incassum ringentibus, orbis qvoqve stupit in Friderico serenissimo ac celsissimo principe Hassiaco [...] sustinebit Johann Caspar Santrock [...] author, Bremen 1705. Scudéry, Madeleine de: Viertzig durchlauchtige Frauen/ oder deroselben viertzig heroische Reden/ samt ihren eigentlichen Abbildungen/ wie solche theils von uhralten geschnittenen ädlen Steinen/ theils von geprägten Müntzen genommen worden/ in Teutsch übersetzet [Übersetzer: Paris von dem Werder], Naumburg 1654. Seckendorf^ Veit Ludwig von: Christen-Stat, Leipzig 1685 [23: Alvensleben Bd. 483]. Seiden, John: De dis Syris syntagmata II, Leiden 1629. Sellius, Adam (Praes.), Johan-Caspar Friselius (Resp.): Exercitatio académica de heroibus, Frankfurt/Oder 1661. Sophie Elisabeth, Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg: Dichtungen, Bd. 1: Spiele, hrsg. v. Hans-Gert Roloff, Frankfurt/M. u. a. 1980 (Arbeiten zur mittleren deutschen Literatur und Sprache Bd. 6). Spattenbach, Georg Lorentz von: Politische Philosophie/ welche von denen fürnemsten Arcanis der allgemeinen Policey tractirt/ dieselbe mit allerhand politischen Discursen erleutert/ und mit unterschiedlichen schönen Historien bekräfftiget/ nicht weniger auch heutiger Statisten subtile Machiavellische Griff an das helle Taglicht stellet, Salzburg 1668 [23: WA 6094], Specklin, Daniel: Architectvra von Vestungen/ wie die zu vnsern zeiten/ an Stätten/ Schlössern vnd Claussen/ zu Wasser/ Land/ Berg vnd Thal [...] mögen erbawet/ auch wie solche zur Gegenwehr wider den Feindt/ sampt dem hiezu gehörigen Geschütz/ ordentlich vnd nützlich sollen gebraucht werden, Straßburg 1599. Sprenger, Johann Theodor: Bonvs princeps ex novissimis, d.d. cardinalium Richelii et Mazarini historiéis scriptis, ut ex aliis peregrini idiomatis statistis, brevi delineatione concinnatus. [...] Accessit compendiosa illvstrium quarundarum controversiarum in Europa glissantium deductio, Frankfurt/M. 1652 [23: 152.26 Pol.]. - Tacitus axiomaticus de principe, ministris, & bello. Cum sacris exemplis & Thucydide locis congruis sparsim collatus, Frankfurt/M. 1658 [23: Lh 2257]. Staatslehre der frühen Neuzeit, hrsg. v. Notker Hammerstein, Frankfurt/M. 1995 (Bibliothek der Geschichte und Politik Bd. 6). Stamm, M. Petrus (Praes.), Johann Heinrich Scultetus (Resp.): Ex ethicis disputatio de virtute heroica, Wittenberg o. J. Steele, Richard: Christlicher Held, übersetzt von Jacob Friedrich Lamprecht, in: Der Deutschen Gesellschaft in Leipzig eigene Schriften und Übersetzungen in gebundener und ungebundener Schreibart. Der andere Theil, Leipzig 1734, S. 571-661. Stefanus, Henricus: Oration und Ermahnung an Roem Key. May. Rudolphum II auch alle Churfuersten [...] u. Staende [...] auff dem Reichstag, dieses jetztlauffenden 1594. Jars, zu Regenspurg versamlet: Dass sie [...] dem [...] Verstehenden T\ierckenzueg [...] unverzueglich nachsetzen sollen [...] durch Henr. Stephanum in Latein [...] jetzt durch Teuc. Annaeum Privatum (d.i.: Joh. Adam Lonicer), in unsere Teutsche Spraach uebers., Frankfurt/M. 1594. Stier, Johannes: Praecepta ethicae, sive philosophia moralis ex Aristotele, aliisque probatis auctoribus collecta, & adjuvandae memoriae causâ tabulis synopticis inclusa, Gotha 1643 [23: Ν 93.4° Heimst. (2)]. Tesauro, Emanuele: Il canochiale aristotelico, hrsg. und eingeleitet von August Buck, Bad Homburg etc. 1968. Textor, Johann: Obrigkeit- vnd richter-Spiegel/ darinn deren Ampt vnd Gebührde zuersehen: Item Hofleuth-Spiegel: Darinnen der Hofleuth Zustand/ Wesen vnd Händel/ wie Vntrew, von etlichen zu Hof gemeiniglich gepflogen und gespüret/ klärlich/ artig vnd hübsch vor äugen gestellet wird. Aus respective Göttlich-Heiliger vnd dann etlich-anderer ansehenlich-vornehmer Männer Schrifften/ wie nach der Vorrede Meldung beschiehet/ colligirt vnd publicirt, Frankfurt/M. 1617 [23: 154 Pol.].

438 Theoretiker humanistischer Geschichtsschreibung: Nachdruck exemplarischer Texte aus dem 16. Jahrhundert, hrsg. v. Eckhard Kessler, München 1971. Thibault, Girard: Académie de l'espée, ou se demonstrent par reigles mathématiques sur le fondement d'un cercle mystérieux en theorie et pratique des vrais et jusqu a present incongnus secrets du maniement des armes a pied et a cheval, o. 0 . 1 6 2 6 [1/ la: gr 2° OS 7980 R], Thilo, Johann Albert (Praes.), Paul Malluvius (Resp.): Exercitatio académica de virtute heroica, Königsberg 1665. Thomas von Aquino: Summe der Theologie. Zusammengefaßt, eingeleitet und erläutert von Joseph Bernhart, 3. Aufl., Bd. 1 - 3 , Stuttgart 1985 (Kröners Taschenausgabe Bd. 105, 106, 109). Thomasius, Christian: Einleitung zur Sittenlehre, Halle o. J. [1692], Ndr. Hildesheim etc. 1995 (Ausgewählte Werke, hrsg. v. Werner Schneiders, Bd. 10). - Ausübung der Sittenlehre, Halle 1696, Ndr. mit einem Vorwort von Werner Schneiders, Hildesheim 1968. - Allerhand bißher publicirte kleine teutsche Schrifften, Halle 2 1707. - Kurtzer Entwurff der politischen Klugheit/ sich selbst und anderen in allen menschlichen Gesellschafften wohl zu rathen/ und zu einer gescheiden Conduite zu gelangen, Frankfurt/Leipzig 1710, Ndr. Frankfurt/M. 1971. - Höchstnöthige Cautelen welche ein Studiosus juris, der sich zu Erlernung der Rechts-Gelahrheit, auf eine kluge und geschickte Weise vorbereiten will, zu beobachten hat, Halle 1713. - Freimütige, lustige und ernsthaffte, jedoch vernunftmässige Gedanken oder Monatsgespräche über allerhand fürnemlich aber neue Bücher, Halle 1688, Ndr. Frankfurt/M. 1972. Thomasius, Jacobus (Praes.), Fridericus Starken (Resp.): Exercitatio philosophica prior de heroica virtute ad disputandum proposita, Leipzig 1651. Timpler, Clemens: Philosophiae practicae systema methodicum in tres partes digestum: In quo universa probé honestéque viuendí ratio tam generatim, quam speciatim per praecepta & quaestiones breuiter ac perspicue explicatur & probatur, pars prima; complectens ethicam generalem, libris IV. pertractam, Hannover 1608. Vergil [Publius Vergilius Maro]: Aeneis. Übersetzt von Johannes Götte in Zusammenarbeit mit Maria Götte. Mit einer Einführung von Bernhard Kytzler, München 1988 (Bibliothek der Antike). Vico, Giovanni Battista: Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker, übersetzt von Vittorio Hösle und Christoph Jermann und mit Textverweisen von Christoph Jermann. Mit einer Einleitung von Vittorio Hösle. 2 Teilbände, Hamburg 1990 (Philosophische Bibliothek Bd. 418). Vries, Hans Vredemann de: Variae architectvrae formae, Antwerpen 1601, Ndr. Amsterdam 1979. - Perspective, das ist die weitberuembte Khunst/ eines scheinenden in oder durchsehenden augengesichts Puncten [...], Bd. 1, 2, Leiden 1604-1605. Vulson de La Colombière, Marc: Le vray théâtre d'honneur et de chevalerie, ou le miroir héroïque de la noblesse, 2 Teile, Paris 1648 [23: Fe 2° 7]. Wackenroder, Ernst Heinrich (Praes.), Ferdinand Clemens (Resp.): Ex philosophia morali de factis heroum extraordinariis, Wittenberg 1687. Wagner von Wagenfels, Hannß Jacob: Ehren-Ruff Teutsch-Lands/ das ist: Ein gründlicher Bericht/ von Uhrsprung/ Tugenden/ und löblichen Eigenschafften der Teutschen/ krafft deren sie allen andern Völckern weit überlegen seynd, Wien 1692. Wallhausen, Johann Jacob von: Alphabetvm pro tyrone pedestri, oder der Soldaten zu Fueß ihr A. B. C , Frankfurt/M. 1615. - Manual militare oder KriegßManual, Frankfurt 1616. - Ritterkunst. Darinnen begriffen/ I. Ein trewhertziges Warnung-schreiben wegen deß betrübten Zustande jetziger Christenheit. II. Underricht aller Handgriffen so ein jeder Cavallirer hochnötig zu wissen bedarff, Frankfurt/M. 1616.

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Militia gallica oder frantzöische KriegßKunst/ darinnen/ gewiesen wird der Frantzosen jhr KriegsDisciplin/ mit feinen Kupfferstücken, Hanau 1617. - Kriegskunst zu Fuß, Leeuward 1630. Weigel, Erhard: Wienerischer 1\igend-Spiegel. Darinnen alle Tugenden nach der Anzahl derer gleich so vielen Festungs-Linien und Wercken bey der weltgepriesenen nunmehr zum andernmal so tapffer wider Türck und Tartarn defendirten Käyserl. Residenz-Stadt Wien zu immerwährendem Gedächtnüß/ vorgestellet/ und nebenst einer Mathematischen Demonstration von Gott wider alle Atheisten/ zum Grund der lügenden/ beschrieben und mit Kupffern vorgebildet werden. Worauf Aretologista, die tugend-übende Rechen-Kunst sich beziehet, Nürnberg 1687 [23: O 265 Heimst 8° (1)]. Weise, Christian: Ausführliche Fragen/ über die Tugend-Lehre/ welchergestalt ein Studierender nach Anleitung der Ethica sich selbst erkennen/ die wahre Glückseeligkeit in der lügend suchen/ auch solchen Zweck durch unbetrügliche Mittel erlangen/ hiernächst aber mit sonderbahren Nutzen den Grund zur politisch- und gelehrten Beredthsamkeit legen soll. In dreyen unterschiedenen Theilen nach der gewöhnlichen Methode allen Liebhabern der Oratorie zur Nachricht vorgestellet, Leipzig 1696. Wendeler, Michael: Practica Philosophia, Wittenberg 1647 [23: O 10. 8° Heimst. (1)]. - (Praes.), Johannes Papardus (Resp.): Theses morales de virtute heroica, Wittenberg 1660. - (Praes.), Johann Christoph Rinckhammer (Resp.): Ex philosophiâ morali de virtute heroicâ, Wittenberg 1672. Werder, Diederich von dem: Gottfried von Bulljon, oder das erlösete Jerusalem, Frankfurt/M. 1651. Weyhe, Eberhard von: Avlicvs politicvs diversis regvlis vel, vt Iavolensvs loqvitur, definitionibvs selectis proborum voto probé instructus, ante multos annos sub nomine Dvro de Pascvlo ablegatus, variis acceptus & à bonis exceptus. Nvnc mvltis thesibvs avctior et emendatior repexus typis divolgatus, cura Eberharti de Weihe, Frankfurt 1615 [23: 63.1 Pol.], Wieland, Christoph Martin: Sämtliche Werke. Ndr. der Ausgabe letzter Hand, Leipzig 1794-1811, hrsg. von der »Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur« in Zusammenarbeit mit dem »Wieland-Archiv«, Biberach/Riß, und Dr. Hans Radspieler, Neu-Ulm, Hamburg 1984. Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Erste Fassung, unter Mitwirkung von Reinhard Döhl hrsg. v. Fritz Martini, Stuttgart 1979. Winkelmann, Johann Justus: Arboretum genealogicum heroum europaeorum, ostendens, qvomodo omnes ferè Europaei principes ex unica Oldenburgica familià & qvidem à Dieterico Fortunato defluant, & quàm crebro serenißimae & illustrißimae familiae cum domo Oldenburgica coniugali foedere inter se conjunctae fuerint. Cui accessit commentatio de dignitate, utilitate, & iucunditate studii genealogici, & de amplitudine stirpis Witekindeae Saxonicae in multíplices propagines felicissimè dilatatae, Oldenburg 1665. Zentgravius, Joh. Joachim (Praes.), Joh. Daniel Schmalkalder (Resp.): B. Lutheri Virtutes heroicae breviter delineatae, Straßburg 1683.

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Forschungsliteratur Abel, Günter: Stoizismus und Frühe Neuzeit. Zur Entstehungsgeschichte modernen Denkens im Felde von Ethik und Politik, Berlin, New York 1978. Ahrens, Kirsten: Hyacinthe Rigauds Staatsporträt Ludwigs XIV. Typologische und ikonologische Untersuchung zur politischen Aussage des Bildnisses von 1701, Worms 1990 (Manuskripte zur Kunstwissenschaft Bd. 29). Alewell, Karl: Über das rhetorische Paradeigma. Theorie, Beispielsammlungen, Verwendung in der römischen Literatur der Kaiserzeit, Leipzig 1913. Alewyn, Richard: Das große Welttheater, in: Ders./Karl Sälzle: Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in Dokument und Deutung, Hamburg 1959, S. 7 70. Alt, Peter-André: Der Held und seine Ehre. Zur Deutungsgeschichte eines Begriffs im Trauerspiel des 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 37 (1993), S. 81-108. Althaus, Thomas: Epigrammatisches Barock, Berlin, New York 1996 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 9). Andrews, Lew: Story and Space in Renaissance Art. The Rebirth of Continuous Narrative, Cambridge 1995. Architekt und Ingenieur. Baumeister in Krieg und Frieden. Katalogbearbeitung: Ulrich Schütte in Zusammenarbeit mit Hartwig Neumann, Wolfenbüttel 1984 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek Nr. 42). Augustijn, Cornells: Erasmus von Rotterdam. Leben - Werk - Wirkung, München 1986. Banet, Ilona: Vom Trauerspieldichter zum Romanautor. Lohensteins literarische Wende im Lichte der politischen Verhältnisse in Schlesien während des letzten Drittels des 17. Jahrhunderts, in: Daphnis 12 (1983), S. 169-186. Barnard, Frederick M.: Rightful Decorum and Rational Accountability. A forgotten Theory of Civil Life, in: Christian Thomasius 1655-1718. Interpretationen zu Werk und Wirkung. Mit einer Bibliographie der neueren Thomasius-Literatur, hrsg. v. Werner Schneiders, Hamburg 1989 (Studien zum 18. Jahrhunderts, Bd. 11), S. 187198. Barner, Wilfried: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen, Tübingen 1970. - Die gezähmte Fortuna. Stoizistische Modelle nach 1600, in: Fortuna, hrsg. v. Walter Haug und Burghart Wachinger, Tübingen 1995 (Fortuna Vitrea Bd. 15), S. 311-343. Becker-Cantarino, Barbara: Satyra in nostri belli levitatem: Opitz' Lob des Krieges Gottes Mortis, in: DVjs 48 (1974), S. 291-317. Beetz, Manfred: Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum, Stuttgart 1990 (Germanistische Abhandlungen Bd. 67). - Ein neuentdeckter Lehrer der Conduite. Thomasius in der Geschichte der Gesellschaftsethik, in: Christian Thomasius 1655-1718. Interpretationen zu Werk und Wirkung. Mit einer Bibliographie der neueren Thomasius-Literatur, hrsg. v. Werner Schneiders, Hamburg 1989 (Studien zum 18. Jahrhundert Bd. 11), S. 199-222. Behnen, Michael: Herrscherbild und Herrschaftstechnik in der »Politica« des Johannes Althusius, in: Zeitschrift für historische Forschung 11 (1984), S. 417-472. - »Arcana - haec sunt ratio status«. Ragion di stato und Staatsräson. Probleme und Perspektiven (1589-1651), in: Zeitschrift für historische Forschung 14 (1987), S. 129-195. Bein, Werner: Schlesien in der habsburgischen Politik. Ein Beitrag zur Entstehung des Dualismus im Alten Reich, Sigmaringen 1994 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte Bd. 26). Bender, Wolfgang: Verwirrung und Entwirrung in der »Octavia/Roemische Geschichte« Herzog Anton Ulrichs von Braunschweig, phil. Diss. Köln 1964.

441 Benevolo, Leonardo: Fixierte Unendlichkeit. Die Erfindung der Perspektive in der Architektur, Frankfurt/M. 1993. Berns, Jörg Jochen: Trionfo-Theater am Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel, in: Daphnis 10 (1981), S. 663 -710. - Der nackte Monarch und die nackte Wahrheit. Auskünfte der deutschen Zeitungsund Zeremoniellschriften des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts zum Verhältnis von Hof und Öffentlichkeit, in: Daphnis 11 (1982), S. 315-349. - >Princeps Poetarum und Poeta Principumc Das Dichtertum Anton Ulrichs als Exempel absolutistischer Rollennorm und Rollenbrechung, in: >Monarchus PoetaTannengesellschaft c 3

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Abb. 7: Andrea Pozzo: Perspectivae pictorum atque architectorum, Augsburg 1719, Teil 1, Figura 91 Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: Ug 4" 62

Personenregister Das Register verzeichnet die historischen Personen. Davon sind Namen, die in den Quellen als Exempla genannt oder in genealogischen Zusammenhängen erwähnt werden, nur in Auswahl aufgenommen. Abbt, Thomas 131 Abelinus, Johann Philipp 149 Acetto, Torquato 202 Agricola, Rudolph 32 Alberti,Valentin 26, 34 Albrecht I., Kaiser 263 Albrecht II., Kaiser 263 Aleutner, Tobias 37, 39 Alexander der Große 7, 32, 44f., 50, 63t, 137,160, 164t, 167, 170, 194, 196, 218, 257, 259, 283, 411, 418f. Alfonso d'Esté 252 Alphons von Arragonien 55 Aisted, Johann Heinrich 96 Althusius, Johannes 172, 181, 191f., 303 Ammirato, Scipione 236f. Amthor, Christian Heinrich 404 -406,

Bernegger, Matthias 251 Bernhard, Herzog von Sachsen-Weimar 250f„ 253-256, 258f„ 261 Bertius, Petrus (Petrus de Bert) 88 Besoldus, Christoph 87f., 173,176f., 211 Bessel, Ch. G. 391, 394f„ 399, 401, 410 Bessel, Heinrich 61 Birken, Sigmund von 65, 101, 233 - 235, 240, 244 -246, 248 -250, 252, 261277, 279f., 286, 288t, 295t, 298Í-300, 302, 3061, 341, 350, 354, 360, 362f. Blanckenburg, Friedrich von 5, 71, 59 Bochart, Samuel 32 Bodenehr, Gabriel 138 Bodin, Jean 173, 181 Bodmer, Johann Jakob 63 Boeder, Johann Heinrich 48-50, 69-

409, 411, 420 Annius von Viterbo (Giovanni Nanni) 244 Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg 18, 23, 84, 101£, 104,195, 217, 235, 242, 248, 261, 270t, 277, 298313, 315t, 318-344, 346-368 Ariosto, Ludovico 87,129, 251t Aristoteles 28-31, 34-39, 42, 47t, 73t, 109, 219, 290, 405, 413t, 419t Arminius 256 Arnisaeus, Henning 171£, 197 Arrian 55 August I., Kurfürst von Sachsen 64 August der Jüngere, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 234t, 265, 269 Augustinus, Aurelius 37t Augustus, römischer Kaiser 252, 283 d'Azin 138t

74, 77-82, 92, 145,173, 187, 216 Boileau-Despréaux, Nicolas 211 Boissard, Jean-Jacques 32 Bone, August Friedrich 374, 379 Borgia, Cesare 186 Bossuet, Jacques-Benigne 211 Botero, Giovanni 45, 50, 68, 96, 112f., 140, 150,171-173,176,178-185, 187-190,193t, 197t, 200t, 205-210, 214, 217, 219t, 228, 230, 344-346, 3621, 402 Bourdonné, de 196 Boxhornius, Marcus 173, 179, 181, 237, 303 Brandenstein, Georg Heinrich von 29, 31, 33t, 42 Brockes, Barthold Heinrich 4 Brucker, Jacob 419 Brutus, Marcus Junius (Cäsarmörder) 196 Brutus, Junius 58 Buchner, August 199 Bucholtz, Andreas Heinrich 23, 32, 83 - 85, 89, 94,100-110,114-126,

Barclay, John 84,183t, 238, 310, 330 Becmann, Joh. Christoph 179 Behrisch, Heinrich Wolfgang 10 Below, Tobias 29, 37, 39, 43, 46, 51

466 1281, 132,134, 141-158,183,187, 189, 299, 319, 327, 329ñ, 356 Budde, Johann Franz 411-414,416422 Budé, Guillaume 159-162, 164-170, 198 Bürger, Christian Amos 26 Cailliere, Jacques de 62, 391 -403, 410 Capra, Alessandro 138 Carl X. Gustav, König von Schweden 314 Cäsar, Gaius Julius 44, 64, 164, 180, 184, 196, 207, 283, 411 Cassius (Gaius Cassius Longinus) 196 Castell, R. P. 1381 Castiglione, Baldessar 93, 157, 170,199, 201-208, 212f., 218, 227, 232, 293, 342, 356, 371-375, 377-381, 383386, 395, 398, 402 Cato, Marcus Porcius 394 Cervantes Saavedra, Miguel de 87 Chiaramonti, Scipione 216 Chokier, Johannes à 55, 71, 80,114, 156f„ 176f., 180,1911, 194, 198, 206, 209 Christian II., Kurfürst von Sachsen 64 Cicero, Marcus Tullius 42-44, 70, 72, 74, 81,165f., 167,174,199, 201, 241, 405 Clapmarius, Arnold 125, 174-179,181, 187, 211 Clarmundus, Adolphus (Johann Christian Rüdiger) 32 Clemens, Ferdinand 291 Comynes, Philippe de 55, 70f., 80, 296 Conring, Hermann 32 Contzen, Adam 46, 310, 330 Crüger, Valentin 25, 34, 37, 39-40 Curtius Rufus 41, 55, 177 Cyriacus, Georg 37, 39 Dach, Simon 234, 255, 267 Delius, Friedrich Christian 1 Della Casa, Giovanni 345 Descartes, René 336 Desmarets de Saint-Sorlin, Jean 84 Dilich, Wilhelm 133 Diodoros 80 Domitian 178f. Dornau, Caspar 196 Doverinus, Hermannus 147, 206, 310 Efferen, Wilhelm Ferdinand 188 Eicheln, Johannes 25, 30, 381, 47f., 53

Erasmus von Rotterdam, Desiderius 32,162-164 Esser, Christoph 53 Faret, Nicolas 65, 175, 208f., 369-373, 375, 377-389, 392t, 397-399, 402 Faseltus, Christian 171 Feist, Wilhelm-Adolph von 63, 65,175, 178,185, 1871,193, 211, 2151, 217, 219, 221, 236 Ferdinand I., Kaiser 162, 263 Ferdinand II., Kaiser 222-228, 263, 266, 278-280 Ferdinand III., Kaiser 2621, 267, 272, 2801 Ferdinand IV., röm. König 2621 Fleming, Paul 266 Frachetta, Girolamo 211 Francisci, Erasmus 63 Francke, Johann Nicolaus 171 Francus, Gerhard Ernst 26 Franz I., König von Frankreich 159162, 167 Freinsheim, Johann 250-261, 286 Friderich, Johann Moritz 93 Friedlieb Pomeranus, Irenaeus (pseudon.) 90 Friedrich II. von Preußen 14f. Friedrich III., Kaiser 2631 Friedrich IV., Kaiser 263 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz 2781 Friedrich III., Herzog von Schleswig-Holstein 266 Friselius, Johan-Caspar 42, 441, 53 Fritsch, Ahasver 61 Füllisch, Johann Jacob 314 Furttenbach, Joseph 138, 199-201 Garzoni, Tommaso 61, 64, 79, 90 Gauhe, Johann Friedrich 26 Georg Wilhelm, Herzog zu Liegnitz, Brieg und Wohlau 65, 278, 286289, 292-295 Gerhard, Johann Andreas 187 Giese, Johannes 29, 37, 39, 43, 46, 51 Goethe, Johann Wolfgang 4, 108, 1261 Goldast, Melchior 88 Goropius Becanus, Johann 242, 306 Gottfried von Boullion 98,1291 Gottsched, Johann Christoph 10-13 Gracián, Baltasar 64, 185,190, 210, 287, 2901, 293, 295, 377, 410 Grégoire, Pierre 113, 173

467 Greiffenberg, Catharina Regina von 316, 322£, 347-351, 355-357, 362 Grimaldi Robio, Pelegro de 373-375 Grotius, Hugo 138, 242, 291 Gryphius, Andreas 56, 186, 239, 333, 362 Gryphius, Christian 105, 311, 338 Guazzo, Stefano 175, 209, 345, 356 Gueintz, Christian 242£ Guevara, Antonio de 175, 205, 236, 309, 344 Guidobaldo da Montefeltro, Herzog von Urbino 386 Gummersbachius, Adolphus 249, 302 Gundling, Nicolaus Hieronymus 418£ Gustav II. Adolf, König von Schweden 44, 223, 251, 253, 255£ Haganaeus, Melchior 85 Hagelganß, Io. Heinr. 216, 221 Hall, Joseph 377 Hallmann, Johann Christian 240£, 261, 265, 277-286, 288£, 295f. Halt, Peter 314 Happel, Eberhard Werner 97,128, 132, 148-150 Harsdörffer, Georg Philipp 32, 64, 85, 199, 250, 273£, 356, 375, 377 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 2, 22 Hegius, Alexander 32 Heidegger, Gotthard 104 Heider, Wolfgang 31 Heinrich I., Kaiser 256 Heinrich III., König von Frankreich 85 Heinrich IV., König von Frankreich 85 Heinsius, Daniel 88 Heluicus, Nicolaus 133,149 Henninges, Hieronymus 241, 247£, 302 Hercklitz, Valentinus Gottfried 25£ Herder, Johann Gottfried 14£ Hiller, Ludwig Heinrich 417£ Hillischer, Georg Daniel 39, 45 Hobbes, Thomas 22, 179, 291£, 303 Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von 261 Hohberg, Wolf Helmhard von 130£, 245-247, 252, 265£ Homer 35, 252£ Hossmann, Abraham 240 Hübner, Johann 199 Hus, Jan 279 Ignatius von Loyola 223 Ippolito d'Esté 252

107,

Jamitzer, Wentzel 313£, 317 Jenichen, Gottlob Frid. 25£ Johann VII. der Mittlere von Nassau 133£ Johann von Salisbury 66 Joseph II., Kaiser 15 Justi, Heinrich Gottlob von 249 Karl der Große, Kaiser 259 Karl V., Kaiser 55,162£, 263 Karl IX., König von Frankreich 252 Karl XII., König von Schweden 13 Keckermann, Bartholomäus 25, 2 8 - 3 0 , 36£ Kempe, Martin 239, 242 Kindermann, Balthasar 199, 274 Kindermann, Ernst Friedrich 234, 244, 246f. Kircher, Athanasius 362 Kirchmaier, Georg Kaspar 26 Kirchner, Hermann 71, 173,177 Klaj, Johann 250,273 Kreps, Michael 68, 85, 97, 110, 118, 120,143£, 172£, 175, 178-182,187, 194, 210f.,213 La Fayette, Marie de 310 La Noue, François de 85-100,106, 131, 158, 187,189£, 195, 219 La Noue, Pierre de 64, 93£ Lairitz, Johann Georg 241, 244£, 249 Lamormain, Guillaume 222-228, 232, 394 Lampert, Baidassar 42 Lani, Georg 2 9 - 3 1 , 37, 4 3 - 4 6 , 51, 53 Lansius, Tilomas 88 Lauterbach, Johannes 64f. Lauterbeck, Georg 5 4 - 6 2 , 64, 66£, 7 0 72, 78, 81 Lazius, Wolfgang 32 Le Blanc, Richard 165 Le Moyne, Pierre 18 Lefler, Christoph 32, 34, 39, 46, 52 Leibniz, Georg Wilhelm 8, 235£, 299£, 311£, 322, 327, 351 Leopold I., Kaiser 122-124,252,262, 266, 280£, 285, 288£, 297 Leopold Wilhelm, Erzherzog von Österreich 245 Lessing, Gotthold Ephraim 5 - 8 , 1 0 Liebenthal, Christian 90 Lipsius, Justus 19, 32, 50, 64, 73, 85, 88, 111,113£, 120,122, 127, 140, 1 7 1 173,178, 187£, 205, 210-214, 221, 303, 310, 334, 345£, 363

468 Liselotte von der Pfalz 299, 309£, 344 Livius, Titus 111 Loen, Johann Michael von 12£ Lohenstein, Daniel Casper von 18, 25, 39, 56, 641, 84,103£, 180, 278, 2 8 6 297, 330, 362, 394 Löhneyss, Georg Engelhard von 33, 64t, 134,174£, 187,191, 206, 345£, 358 Lokervitz, Christian 29 - 3 3 , 38, 40, 4 2 45, 46, 52 Lorichius, Reinhard 64, 67 Louise, Herzogin von Liegnitz, Brieg und Wohlau 289,292 Ludwig XI., König von Frankreich 295 Ludwig XIII., König von Frankreich 253,388 Ludwig XIV., König von Frankreich 93, 183, 211, 218, 267 Lullus, Raimundus 328 Lünig, Johann Christian 69, 219£, 267, 306, 358, 407f. Luther, Martin 250, 413 Machiavelli, Niccolò 20, 70, 75, l i l t , 158,175, 185-189,192,197, 2101, 213, 225, 291, 310, 339, 362 Malluvius, Paul 52 Malvenda, Luys de 65,197, 223 - 2 2 5 Manlius Imperiosus 58 Marcus Antonius 394 Matthias, Kaiser 263, 266, 284 Maximilian I., Kaiser 222, 225, 261 Maximilian II., Kaiser 263, 281, 284 Meiesander, Joh. 240, 246 Melissantes [Johann Gottfried Gregorys] 421 Mentzius, Balthasar 247 Meyfart, Johann Matthäus 180f. Miltiades 63 Milton, John 37 Montesquieu, Charles-Louis de Secondât, Baron de la Brède et de 59 Morgenstern, Johann Salomon 25, 30, 38£, 47£, 53 Morho£ Daniel Georg 84, 106, 239, 273£, 418 Moritz, Karl Philipp 2 - 5 , 7, 9,14, 321 Moscherosch, Johann Michael 128,138, 195£, 345 Moser, Friedrich Carl von 2, 32 Mucius Scaevola 58 Müller, Barthold 27, 32, 51, 53 Müller, David 101

Neischitz, Carl August von 171 Nero 76 Neumark, Georg 15£ Newcastle, William Cavendish of

134

Obrecht, Georg 96 Olearius, Adam 253 Omeis, Magnus Daniel 84,106,109, 234, 274 Opitz, Martin 84,101,138,183£, 199, 238, 251-253, 262£, 266, 268-270, 273£, 345 Otto I., Herzog zu Braunschweig und Lüneburg 269 Pacianus, Fulvius 119£, 171, 206, 220 Pantaleon, Heinrich 241 Papardus, Johannes 25, 52 Pappenheim, Gottfried Heinrich Graf zu 251,256 Pascha, Johann Georg 134 Pellicciali, Bartolomeo 133 Perikles 166 Peucer, Caspar 32 Philipp von Mazedonien 419 Piccolomini, Enea Silvio 241 Piccolomini, Francesco 38, 40, 42, 52 Pindar 88 Platon 109,211 Plinius d.Ä. (Gaius Plinius Secundus) 108-110 Plutarch 31, 64, 72, 159£ Polybios 71 Ponatus, Georg Leopold 421 Posselt, Ernst Ludwig 59 Possevino, Antonio 86, 88 Pozzo, Andrea 317£ Pregitzer, Johann Ulrich 29, 31, 37, 51-53 Pufendorf, Samuel 149, 314f. Pythagoras 109 Quadus, Matthias 249 Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus) 74,166, 204 Quintus Fabius Maximus 136 Raben, Paul 32, 34, 36, 39, 46, 51£ Racine, Jean 211, 330 Ramus, Petrus 57 Rechenberg, Adam 52, 234, 244, 246f. Refuge, Eustache de 63£, 85,198, 217, 375-378, 391 Reinkingk, Dieterich 90,187,195, 211 Reizenstein, Christoph von 171

469 Rentsch, Johann Wolfgang 240, 248 Reusner, Elias 234, 241, 2441, 248 Reusner, Nicolaus 241, 246 Ribadeneira, Pedro de 86,188 Richter, Daniel 106 Richter, Gregor 31, 64, 236 Rinckhammer, Johann Christoph 25, 30, 391, 43-46, 511 Rist, Johann 195, 234, 255 Rittershausen, Nicolaus 244, 249 Rivinus, Andreas 90 Rohr, Julius Bernhard von 234, 358, 404, 412, 415, 421 Ronsard, Pierre de 2511 Rüdiger, Andreas 405, 4111 Rudolf I., Kaiser 263 Rudolf II., Kaiser 263, 266, 285 Rudraufl Kilian 45 Saavedra Fajardo, Diego de 32, 621, 65, 671, 79,112,114,117,138,171-173, 176,178-181,185-192,194, 1971, 201, 2061, 209-221, 230, 2361, 293, 303, 310, 345, 372, 402, 408 Sadoleto, Giacomo 97 Sagittarius, Caspar 29, 31, 331, 42 Saint Evremond, Charles de Marguetel de Saint-Denis, Seigneur de 12 Saint-Simon, Louis de Rouvroy, Duc de 234 Sallust (Gaius Sallustius Crispus) 392 Santrock, Johann Caspar 42 Scaliger, Julius Caesar 199, 274 Schaller, Johann-Michael 29, 31, 37, 51-53 Schelgwig, Samuel 53,171 Schermbeccius, Peter 32, 51, 53 Schickfvsius, Iacob 39 Schmalkalden Joh. Daniel 26 Schmidt, Johann Andreas 31 Schmidt, Tobias 29-31, 37, 43-46, 51, 53 Schönaich, Christoph Otto von 111 Schottel, Justus Georg 26, 39,195, 236, 239, 2421 3051 Schrodervs, Iohannes 39 Schubart, Johannes Georgius 45 Schultz, Christian 26, 34 Schultze, Johann Friedrich 441 Schütze, Christian Friedrich 39, 45 Schurtzfleisch, Conrad Samuel 32 Schweling, Johann Eberhard 42 Schwendi, Lazarus von 85 Scipio Africanus (Publius Cornelius Scipio) 48,180,182,1841,189

Scudéry, Madeleine de 84, 261 Scultetus, Johann Heinrich 45 Seckendorf! Veit Ludwig von 90 Seidlitz, Melchior à 177 Seiden, John 362 Sellius, Adam 42,441,53 Seneca, Lucius Annaeus 72, 76 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper Earl of 47 Sibylla von Anhalt 88 Sibylle Ursula von Braunschweig-Lüneburg 298,362 Sidney, Philipp 84 Sigismund, Kaiser 55, 211 Simonides 611 Sleidan, Johann 80 Sophie Elisabeth von Braunschweig und Lüneburg 195,313 Sophie, Kurfürstin von Hannover 299 Spattenbach, Georg Lorentz von 1721, 176, 188, 208, 222, 228-232, 237239, 394 Specklin, Daniel 113,138,144 Sprenger, Johann Theodor 75 -77,114, 178, 217, 303 Stamm, M. Petrus 45 Starck, Christian Ludwig 52 Starken, Johann Friedrich 30, 321, 34, 40, 42, 47 Steele, Richard 101 Steinkopff, Heinrich 29-33, 38, 40, 4244, 46, 52 Stephanus, Henricus 97 Stier, Johannes 37 Suetonius (Gaius Suetonius Tranquillus) 166 Tacitus, Publius Cornelius 70, 75, 771, 80,176, 211, 213, 215, 296, 372 Tasso, Torquato 98, 129-132, 2511, 258 Tesauro, Emanuele 141, 360 Textor, Johann 61 Themistocles 63,141, 287 Thibault, Girard 134-138 Thilo, Johann Albert 52 Thomas von Aquin 53 Thomasius, Christian 28, 30, 63,101, 109, 249, 403-410, 412-421 Thomasius, Jacob 30, 321, 34, 40, 42, 47 Thukydides 55,80 Tiberius 197, 214, 287, 295 Timpler, Clemens 27, 29, 441, 53 d'Urfé, Honoré

84

470 Valerius Maximus 48 Vergil (Publius Vergilius Maro) 168, 252, 301 Vico, Giovanni Battista 58t; 118 Vives, Juan Luis 242 Vries, Hans Vredemann de 314 Vulson de La Colombière, Marc 921 Wackenroder, Ernst Heinrich 29Í, Wagner von Wagenfels, Hannß Jacob 239,242t Wallenstein, Albrecht von 251, 255 Wallhausen, Johann Jacob von 96, 1331, 137t, 139-141 Weigel, Erhard 26,138t Weise, Christian 26,106, 219 Wend, Johannes 42 Wendeler, Michael 25, 30, 39t, 43 -46, 511, 53 Werder, Dietrich von dem 1291; 132, 252, 258 Werdermann, Johann-Augustus 171

Westphal, Casparus à 173 Weyhe, Eberhard von 63, 75, 79, 87, 114, 119, 216, 221 Widukind 244, 256t, 259 Wieland, Christoph Martin 5-8, 321 Wildeisen, Johann Melchior 248 Wilhelm IV., Herzog von SachsenWeimar 15 Winckler, Paulus 90 Winkelmann, Johann Justus 234t, 240t, 244, 2471 Wimt von Gravenberc 19 Wladislaus Locticus 279 Wolfram von Eschenbach 19 Xenokrates 48 Xenophon 80,113 Xerxes 164 Zentgravius, Joh. Joachim 26 Zincgrel Julius Wilhelm 333 Zwinger, Theodor 31, 57, 611