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German Pages 209 [216] Year 2008
George Edward Moore Die frühen Essays
George Edward Moore Ausgewählte Schriften Band 3
George Edward Moore
Die frühen Essays Deutsche Übersetzung von
Björn Bordon
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 In welchem Sinn, wenn überhaupt, existieren Vergangenheit und Zukunft?
1
Kapitel 2 Freiheit
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Kapitel 3 Das Wesen des Urteils
39
Kapitel 4 Notwendigkeit
59
Kapitel 5 Der Wert der Religion
77
Kapitel 6 Identität
95
Kapitel 7 McTaggarts Studies in Hegelian Cosmology
119
Kapitel 8 Erfahrung und Empirismus
153
Kapitel 9 McTaggarts Ethik
167
Kapitel€10 Kants Idealismus
195
Stichwortverzeichnis
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Kapitel 1 In welchem Sinn, wenn überhaupt, existieren Vergangenheit und Zukunft? Erstveröffentlichung in Mind n.â•›s. 6 (April 1897), S.€235–240. „In What Sense, If Any, Do Past and Future Time Exist?“ war ein Beitrag zu einem Symposium, bei dem Bernard Bosanquet und Shadworth H. Hodgson auch einen Vortrag hielten.
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odgsons Antwort auf diese Frage scheint zu sein, dass Vergangenheit und Zukunft in dem Sinn existieren, dass beide einem bewussten Wesen gegenwärtig sein würden, dessen kognitive Fähigkeiten vollkommen sind. Ich weiß nicht, ob er beweisen kann, dass solch ein bewusstes Wesen existiert, aber ich sehe keinen Einwand, diese hypothetische Antwort als Aussage über die Wirklichkeit zu akzeptieren, was nur bedeutet, dass Wirklichkeit, wenn man sie so kennt, wie sie tatsächlich ist, als Ganze gegenwärtig erscheinen würde: Denn dies bedeutet zu sagen, dass die Wirklichkeit, wie sie tatsächlich ist, eine lange Gegenwart ist, bzw. Hodgsons Einschränkung zu akzeptieren, dass der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft in der Welt als einem Ganzen nicht in einem anderen Sinn existiert, als er in dem Teil der Welt existiert, der uns in jedem unserer „empirischen Momente“ gegenwärtig ist. Aber Hodgson scheint seine Antwort ernsthaft zu beeinträchtigen, wenn er feststellt, dass von dem Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft noch angenommen werden muss, dass er in einem ganz bestimmten Sinn in dem Bewusstsein des Deus ex machina existiert, der für seine Lösung des Problems notwendig ist. Er sagt: „Der gesamte reale Welt-Prozess würde für solch ein Wesen das unmittelbare Objekt einer gegenwärtigen Erfahrung sein und dies gilt für irgendeinen bzw. jeden der aufeinanderfolgenden empirischen Momente, die die Geschichte seines Bewusstseins als ein existierendes bilden würden.“ Sein Bewusstsein wäre folglich ein existierendes und hätte eine Geschichte; wenn dies so ist, in welchem Sinn würden die vergangenen und zukünftigen Momente seines Bewusstseins existieren? Hodgson kann nur antworten, dass sie mit absoluter Sicherheit nicht-existent sein würden: „Nur ein gegenwärtiger Inhalt“, sagt er, „existiert jetzt bzw. ist gegenwärtig.“ Und er scheint keine Schwierigkeit in dieser Behauptung zu sehen. Aber für jene,
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die nicht wie er Bewusstsein als wirklichkeitsexklusiv behandeln können (obwohl er, wie wir gesehen haben, auch sagt, es sei „existent“), scheint diese Behauptung die gesamte Diskussion wieder aufzunehmen. Auf jeden Fall ist es genau dieser Übergang von Vergangenheit zu Gegenwart und Zukunft, bei dem Lotze die Schwierigkeit gefunden hat und von der Hodgson behauptet, sich ihr nicht nur gestellt, sondern sie auch gelöst zu haben. In dem Kapitel, aus dessen Ende Bosanquets Zitat entnommen worden ist, diskutiert Lotze ausführlich die Möglichkeit, die offensichtliche Folge von Ereignissen innerhalb der Zeit als tatsächlich nichts anderes wahrzunehmen als die Darstellung eines nicht aufeinanderfolgenden Ganzen für ein Bewusstsein; und nachdem er die Möglichkeit dieser Vorstellung eingeräumt hat, wird er durch die Unmöglichkeit der Wahrnehmung, wahrzunehmen, dass Ereignisse im Bewusstsein selbst (was Hodgson als „empirische Momente“ bezeichnet) als aufeinanderfolgend erscheinen sollen, wenn sie tatsächlich nicht aufeinanderfolgend sind, nur zu der entsprechenden Aussage veranlasst. Aber außer Hodgsons außergewöhnlicher Annahme, die er vielleicht an einer anderen Stelle bewiesen haben mag, aber die seinen gesamten Beitrag zu beeinträchtigen und es äußerst schwierig zu machen scheint, eine gemeinsame Basis für eine Diskussion mit ihm zu finden, –€die Annahme nämlich, dass Bewusstsein in keinem Sinn ein Bestandteil der Realität ist und dass daher die Aufeinanderfolge im Bewusstsein, da sie die Realität der Zeit nicht beeinflusst, keine Erklärung benötigt€–denke ich, dass gezeigt werden kann, dass seine abschließende Ansicht einen offenen Widerspruch zu seinen Prämissen beinhaltet. „Der gegenwärtige Moment der Existenz eines Objekts und der gegenwärtige Moment unseres Empfindens von ihm“, sagt er, „sind ein und derselbe gegenwärtige Zeitpunkt.“ Wenden wir dies auf das Bewusstsein seines Deus ex machina an, erhalten wir als Ergebnis, dass der gesamte Weltprozess sich selbst in jedem aufeinanderfolgenden Moment wiederholt, in dem er sich diesem Bewusstsein offenbart. So ist in diesem Fall der gesamte Weltprozess einfach nicht der gesamte Weltprozess. Aber es gibt einen weiteren Punkt in Hodgsons abschließender Ansicht, der es wert ist, besprochen zu werden, da er ihn von Bosanquet übernimmt; so dass ich mich hier gezwungen sehe, beiden zu widersprechen. Dieser Punkt bezieht sich darauf, wie beide vorschlagen, den psychologischen Grundsatz zu verwenden, den Hodgson den „empirischen gegenwärtigen Moment meiner Erfahrung“ nennt und Bosanquet in kurzen Worten ausdrückt: „Unsere Gegenwart ... hat keine festen Grenzen.“ Es trifft zu, dass Bosanquets Hauptargument davon nicht betroffen ist und dass er zweimal ausdrücklich auf
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eine ausführliche Diskussion dieses Punktes verzichtet; doch er verwendet ihn als Einwand gegen Lotzes Aussage bezüglich des Problems, und seine Worte scheinen zu implizieren, dass darin entsprechende Schwierigkeiten lauern. Ich denke, es ist genauso gut, dass sie ans Licht gebracht werden, nicht nur, weil sie sich auf Hodgsons vorgeschlagene Lösung entscheidend auswirken, sondern auch weil sie helfen, das allgemeine Wesen der Natur deutlich zu machen; letztlich auch weil ich fürchte, dass ich in Bezug auf sie ketzerisch bin. Auf jeden Fall ist Bradley, so wie ich ihn verstehe, anderer Meinung: „Es kann“, sagt er, „keinen noch so kleinen oder großen Teil der Abfolge von Ereignissen geben, dass er möglicherweise als gegenwärtig erscheinen könnte.“ (Principles of Logic, S.€53) Nun möchte ich mich nicht in das psychologische Argument begeben, für welches ich nur schlecht gerüstet bin; doch ich denke, dass diese Aussage auf jeden Fall vor der Verwendung, die Bosanquet und Hodgson zu gebrauchen scheinen, durch den folgenden Vorbehalt geschützt werden sollte: „Aber nicht wenn er als Folge erscheint.“ Gewiss dient der psychologische Grundsatz nur dazu, die Tatsache hervorzuheben, dass es in der Zeit –€wie im Raum€– ein Minimum sensibile gibt? Die Geschwindigkeit der Veränderung in unserem Bewusstsein kann nur mithilfe eines objektiven Maßstabs gemessen werden, und es kann sich herausstellen, dass die kürzesten Ereignisse, die wir durch Introspektion entdecken, eine erheblich längere Zeitspanne einnehmen als z.€B. eine Umdrehung eines Rades, das 200 Umdrehungen pro Sekunde hat. Vielmehr könnte herausgefunden werden, dass verschiedene Personen oder dieselbe Person zu verschiedenen Zeiten sich hinsichtlich der Summe der inneren Veränderung unterscheiden, die einem solchen festen äußeren Maßstab entspricht. Doch dies würde nur bedeuten, dass das Minimum sensibile, das Kant den „inneren Sinn“ nennt, bloß einen relativen Wert hat. Der Fall hier unterscheidet sich von dem des Raumes, da wir dort nur die Abgrenzungen, die wir im Inhalt unserer Raumvorstellung entdecken können, mit jenen vergleichen müssen, von denen die Wissenschaft notwendigerweise folgert, dass sie tatsächlich oder möglich sind, während wir hier die aufeinanderfolgenden Momente unseres Bewusstseins nicht nur mit den bekannten Bewegungen im Raum vergleichen müssen, sondern auch mit dem Inhalt unserer Vorstellungen. Kurz gesagt, Zeit ist, wie Kant sagt, nicht nur eine Form des äußeren, sondern auch des inneren Sinnes. Als eine Form des äußeren Sinnes ist sie dem Raum vergleichbar hinsichtlich seiner unendlichen Teilbarkeit, aber es ist unmöglich in ihr –€wie im Raum€–, Teilungen ab einem gewissen Teilungsgrad wahrzunehmen. Wenn aber Zeit als Form des inneren Sinns erscheint, entspricht
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dieses Minimum sensibile des gegenwärtigen Inhalts genau dem kleinsten Erfassbaren des gleichen Inhalts, in diesem Fall als ein psychisches Ereignis angesehen; aber es ist sowohl in der Bewusstseinsgeschichte als auch in der dinglichen Naturgeschichte ebenso notwendig, Zeit als etwas unendlich Teilbares anzusehen. Daher pflichte ich Hodgson ganz und gar bei, wenn er sagt: „Der gegenwärtige Moment der Existenz des realen Welt-Prozesses und der empirische Moment meiner Erfahrung sind ein und derselbe gegenwärtige Moment.“ Dies gilt gleichsam für die Wahrnehmungen eines Individuums als auch für die Geschwindigkeit der Änderung im Bewusstsein oder in der Natur, wenn sie mit einer willkürlichen Einheit gemessen werden. Wenn Hodgson aber ansetzt, sich selbst zu widersprechen, indem er sagt, dass „wir uns der Unterschiede zwischen den früher und später aufeinanderfolgenden Teilen des Inhalts, der in einem empirischen gegenwärtigen Moment unseres endlichen Bewusstseins erfahren wird, bewusst sind“, dann ist diese Aussage einfach nur falsch. Wir können wissen, dass die Teile, die wir als nicht aufeinanderfolgend erfahren, tatsächlich aufeinanderfolgend sein müssen; aber es ist unvorstellbar, dass wir das als aufeinanderfolgend erfahren könnten, gerade weil es uns unmöglich ist, aufeinanderfolgende Teile in unserer Erfahrung von dem zu erkennen, was wir „unsere Gegenwart“ nennen. Der Irrtum, falls es ein Irrtum ist, besteht darin, innere Wahrnehmung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über die äußere Welt zu verwechseln –€eine Verwechslung, die –€seit Hume€– kaum im Falle des Raumes gemacht werden kann, da dort innere Wahrnehmung nicht die gleiche doppelte Bedeutung hat. Es würde aber eine vergleichbare Absurdität sein, die unendliche Teilbarkeit des Raumes aufgrund dessen zu bestreiten, wenn der kleinste wahrnehmbare Punkt eine veränderliche Ausdehnung hätte. Bosanquets eigene Worte, dass „unsere Gegenwart Zeitdauer mit einschließt“, implizieren, dass sie mit denselben willkürlichen Einheiten wie physische Abfolgen gemessen werden kann. Und wenn es tatsächlich so ist, dass, sobald wir eine Abfolge in unserer Gegenwart wahrnehmen und nicht bloß auf sie schließen, sie aufhört, unsere Gegenwart zu sein. Dem Absoluten die Macht zuzuschreiben, Vergangenheit und Zukunft als Gegenwart zu erfahren, würde bedeuten, sein Bewusstsein auf eine niedrigere Stufe als unsere zu setzen, da es bedeuten würde, ganz und gar seine Fähigkeit zu leugnen, aufeinanderfolgende Ereignisse zu unterscheiden, was eine Voraussetzung unseres Wissensfortschritts ist. Daher muss ich mich des Vorwurfs der „boshaften Pedanterie“ schuldig bekennen, mit der Hodgson Lotze widerspricht, und ihm gleichzeitig dafür danken, dass er uns in dem, was er als reductio ad absurdum des philoso-
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phischen Denkens ansieht, einen Beweis der Unwirklichkeit der Zeit gegeben hat. Die Gegenwart ist nicht real, da man sie sich nur als unendlich klein vorstellen kann; und die Vergangenheit und die Zukunft können nicht real sein, nicht nur weil man sie sich ebenso als unendlich teilbar vorstellen muss, sondern auch weil ihnen jegliche Unmittelbarkeit fehlt, die laut Bradley ein notwendiger Bestandteil der Realität ist. Wenn aber weder Gegenwart noch Vergangenheit noch Zukunft real sind, dann ist nichts Reales in der Zeit als solcher übriggeblieben. Zugleich muss ich Hodgson bitten, mich nicht zu vorschnell zu verurteilen. Wenn er annimmt, dass ich mit solch einer Ansicht darauf festgelegt bin, zu behaupten, dass ich „ohne Zeit zählen kann oder auch ohne sie denken kann“, so muss noch einiges gesagt werden. Ich denke, ich kann es Bosanquet selbst überlassen, sich diesbezüglich zu verteidigen; aber was mich betrifft, so möchte ich bei aller Fairness Hodgson warnen, dass mir nichts anderes übrigbleibt, als eine Unterscheidung zwischen dem Denkprozess und dem Gedankeninhalt zu treffen. Da ich nicht denken kann, ohne dass ich hierfür etwas Zeit benötige, kann ich nicht erkennen, dass daraus folgt, dass das, worüber ich nachdenke, ebenso innerhalb der Zeit sein muss. Hodgson selbst scheint in verschiedenen Teilen seines Vortrags zuzugeben, dass der Gedankeninhalt sich, wenn er als solcher einen Bezug zur Zeit hat, bezüglich seiner Zeitbeziehungen von dem Gedanken, der ihn denkt, unterscheiden kann. Und falls dies so ist, kann die bloße Tatsache, dass wir nur innerhalb der Zeit denken können, niemals beweisen, dass alles, woran wir denken, so sein muss, außer insofern wir gerade daran denken. Doch was die Verbindung mit der „Realität“ der universellen Wahrheit betrifft, bin ich froh, dass es mir einmal möglich ist, mit Hodgson eine Position gegen Bosanquet einzunehmen. Obwohl ich annehme, dass der gegen Bosanquet angeführte Sachverhalt bezüglich seiner Verwendung des Wortes „immer“, um die Geltung der universellen Wahrheit zu beschreiben, teils nur sprachlich besteht; so denke ich doch, dass es einen tatsächlichen Einwand gibt bezüglich Bosanquets Verwendung der Vorstellungen von „Permanenz“ und „Kontinuität“. Hinsichtlich des ersten Begriffs stimme ich Hodgsons Aussage durchaus zu, dass seine „eigentliche Bedeutung die Dauer von etwas innerhalb der Zeit ist“. Den letzteren möchte ich sorgfältiger betrachten. Bosanquet neigt dazu, so scheint es mir, zwei Bedeutungen der Kontinuität zu verwechseln, bei denen es von größter Wichtigkeit ist, diese auseinanderzuhalten. Zum Beispiel drückt er sich im Abschnitt, in dem er eine Theorie des „natürlichen Menschen“ präsentiert, der einst vollkommen ver-
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standen hat, dass „nichts außer dem Permanenten sich ändern kann“, als ob ein „kontinuierlicher Nexus von aufeinanderfolgenden Phasen“ mit der „unzweifelhaften Einheit in der Realität“ gleichgesetzt werden könnte, die auf der Tatsache gründet, dass „die Vergangenheit die Gegenwart verursacht bzw. prägt und die Gegenwart die Zukunft“. Er scheint zu sagen, dass solche Einheiten als Naturgesetze das kontinuierliche Element in der Zeit sein könnten. Und seine weitere Argumentation widerlegt keineswegs diesen Teil der angenommenen Sicht des einfachen Menschen. Sie richtet sich nur darauf zu zeigen, dass der einfache Mensch letztendlich eingestehen muss, dass dieses kontinuierliche Element eine höhere Form der Realität als die Abfolge ist, von der er zunächst annahm, dass sie nicht aufgegeben werden könnte, ohne die Abschaffung der Kontinuität mit einzuschließen. So könnte es scheinen, dass Bosanquets endgültige Vorstellung beinhaltet, dass wir hinreichend an die Realität denken sollten, wenn wir uns jeden Inhalt vorstellten, den wir als real annehmen können, dass dieser unverändert eine endlose Zeit lang besteht –€eine Vorstellung, die einigen theologischen Ewigkeitstheorien gleicht (z.€B. Miltons „Long Eternity“) und die es Wesen, die sich in einem solchen Zustand befinden, unmöglich erscheinen lassen könnte, zu erkennen, dass sie sich innerhalb der Zeit befinden (da Veränderung eine ratio cognoscendi der Zeit zu sein scheint), aber die aus diesem Grund nicht schließen würden, dass sie tatsächlich so sind. Gewiss würde die Kontinuität der Zeit, so wie sie im Allgemeinen verstanden wird, zusammen mit ihrer Abfolge tatsächlich zerstört werden; aber Aufeinanderfolge beinhaltet keineswegs einen anderen Inhaltsunterschied von Ereignissen als jenen, der einen Unterschied von einem Moment leerer Zeit und einem anderen feststellt. Die Kontinuität der Zeit ist ihre qualitative Eigenschaft als unmittelbar wahrgenommen; „Zeit“, sagt Bradley, „ist keine bloße Beziehung.“ Aber die Kontinuität, von der wir annehmen müssen, dass sie zur Realität gehört, ist nicht diese besondere Eigenschaft der Zeit, die als bloße Eigenschaft genauso unwirklich ist wie die Beziehung der Aufeinanderfolge. Von etwas Universellem, etwa einem Naturgesetz, kann man sagen, dass es seinen partikulären Dingen Kontinuität verleiht, da es sie untereinander verbindet; aber es verbindet sie auf eine ganz andere Art als jene, in der aufeinanderfolgende Momente der Zeit miteinander verbunden sind. Zum Beispiel können zwei Zeitdauern die universelle Vorstellung einer Einheit von Kontinuität und Eigenständigkeit teilen, aber die so gebildete Einheit kann offensichtlich nicht dieselbe sein wie die Kontinuität, die nur ein Begriff in dem Universellen ist, das die beiden Zeitdauern verbindet.
In welchem Sinn existieren Vergangenheit und Zukunft?
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Aus diesem Grund denke ich, dass Bosanquet die Schwierigkeit, Zeit mit Realität in Einklang zu bringen, eher unterschätzt. Zeit muss vollkommen zurückgewiesen werden, ihre Kontinuität genauso wie ihre Eigenständigkeit, wenn wir eine hinreichende Vorstellung der Realität bilden wollen; und diese kompromisslose Zurückweisung fast des gesamten Inhalts unserer Welt beeinträchtigt erheblich die Ausfüllung unseres Realitätskonzepts. Ich denke, wir sind mit Kant und Lotze gezwungen, eine völlig andere Form der Wahrnehmung anzustreben, die mit Raum und Zeit nichts anderes verbindet als die bloße Unmittelbarkeit der Gegenwart, ohne ihre Unterscheidung von Vergangenheit und Zukunft, und diese Realität bleibt für uns kaum mehr als ein Ding-an-sich. Doch muss ich im Gegensatz zu Lotze darauf bestehen, dass sie durch uns erkennbar bleibt. Er impliziert dies, wenn er eine völlig andere Form der Wahrnehmung für möglich hält, denn in diesem Fall kann er der Zeit nicht die absolute Notwendigkeit zuschreiben, die alles, was wir als real erkennen sollen, haben muss. Durch dieses Eingeständnis scheint er letztendlich die Zeit für rein subjektiv zu erklären, und sein gesamter vorhergehender Argumentationsverlauf tendiert dazu, zu beweisen, dass sie nicht mehr als eine Erscheinung ist, sondern nur dass, wenn wir annehmen eine Erscheinung sei real, wir ihre Irrealität nicht beweisen können. Falls ich nun nach der obigen Diskussion eine direkte Antwort auf unsere Frage geben sollte, würde ich sagen, dass weder Vergangenheit noch Gegenwart noch Zukunft existieren, wenn wir mit Existenz Zuschreibung der vollständigen Realität meinen und nicht nur Existenz als Erscheinung. Andererseits denke ich, könnten wir sagen, dass es mehr Realität in der Gegenwart gibt als in Vergangenheit und Zukunft, da, obwohl sie im Ausmaß ihres Inhalts ihnen deutlich untergeordnet ist, sie das gleichrangige Element der Unmittelbarkeit hat, welches den anderen völlig fehlt. Schließlich denke ich, können wir in dieser Hinsicht zwischen Vergangenheit und Zukunft unterscheiden. Die Vergangenheit scheint realer zu sein als die Zukunft, da ihr Inhalt ein umfassenderer Bestandteil der Gegenwart ist, während die Zukunft nur eine Überlegenheit über die Vergangenheit beanspruchen könnte, falls man zeigen könnte, dass in ihr die Erscheinung im Einklang mit der Realität steht.
Kapitel 2 Freiheit Erstveröffentlichung in Mind n.â•›s. 7 (April 1898): S.€179–204. Vortrag bei der Aristotelian Society am 15. November 1897.
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er vorliegende Aufsatz ist aus einem viel längeren Essay über Kants Freiheitsbegriff entnommen, den ich hoffe bald neu zu ordnen und in eine Abhandlung über die Gesamtheit seiner Ethik zu erweitern. Diese Tatsache kann teilweise einige Übergangsschwierigkeiten bzw. offensichtliche Auslassungen wichtiger Themen erklären, die hier auftreten können. Wenn er trotz dieser Berücksichtigung zu unklar oder zu schlecht aufgebaut erscheint, kann ich mich hierfür nur entschuldigen. Mein Anliegen in diesem Aufsatz ist es, gewisse Punkte in Kants Lehre, bei denen ich denke, dass er Recht hat, hervorzuheben und gegen andere Ansichten, die mir als die wichtigsten erscheinen, zu verteidigen, sowie andere Punkte zu kritisieren, bei denen ich denke, dass er Unrecht hat. Es ist nicht mein Hauptanliegen, Kants Lehre darzulegen, sondern zur Wahrheit der Themen zu gelangen, die er bespricht. Ich habe mich hauptsächlich entschlossen, mich mit ihm so ausführlich zu befassen, da ich denke, dass der Bezug auf die Ansichten des Philosophen, mit dem man meistens übereinstimmt, oftmals die deutlichste Art ist, seine eigenen Ansichten einem eingeweihten Publikum zu erklären; aber teils auch, da ich denke, dass er sehr missverstanden worden ist. Der Aufsatz gliedert sich grob in drei Abschnitte. Im ersten betone ich Kants Festhalten am Determinismus, wie diese Lehre üblicherweise verstanden wird, und lege kurz das Wesen jener Freiheit dar, die er im Widerspruch zu einem solchen Determinismus stehen sieht (S.€9–15). Im zweiten versuche ich, Kants Determinismus zu verteidigen und zu erklären und die Theorie der „Freiheit der Indifferenz“ (S.€16–26) zu entkräften. Im letzten bespreche ich das, was mir als die Hauptschwierigkeit in Kants Freiheitslehre erscheint, und versuche, ihn der Unvereinbarkeit zu überführen und seine Meinung zu jenen Punkten zu widerlegen, bei denen er sich am nächsten der Erhaltung der „Theorie der Indifferenz“ zu nähern scheint (S.€26–37).
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I. Um eine Betrachtung des Freiheitsbegriffs Kants, welchen er grundsätzlich mit seinem ethischen System verbunden sieht, zu beginnen, scheint es am wichtigsten zu sein, die Tatsache hervorzuheben, dass er, was seine ausdrücklichen Aussagen betrifft, den Standpunkt des Determinismus bedingungslos akzeptiert und jenen der Freiheit zurückweist in dem einzigen Sinn, in dem diese beiden im Allgemeinen von englischen Denkern betrachtet worden sind. Bei normalen Auseinandersetzungen über dieses Thema wird keine solche absolute Unterscheidung getroffen zwischen zwei Arten von „Kausalität“, zwei Arten von „Determination“ („Bestimmung“ – die Bedeutung, die in „Determinismus“ beinhaltet ist), zwei Arten von „Möglichkeit“ oder schließlich einem „intelligiblen“ und einem „empirischen“ „Wesen“, so wie es Kant umsetzt. Tatsächlich stellt Professor Sidgwick die Frage in solch einer Form, dass Kants Antwort höchstwahrscheinlich auf der libertaristischen Seite sein müsste; doch dieses Ergebnis scheint nur um den Preis der oben erwähnten Zweideutigkeit erreicht zu werden. „Ist das Selbst“, sagt er, „auf das ich meinen bewussten Willen zurückführe, ein Selbst mit ganz bestimmten moralischen Eigenschaften, ein eindeutiges Wesen, teils geerbt, teils durch meine vergangenen Handlungen und Gefühle geprägt sowie durch jede Art von physischen Einflüssen, die es unbewusst aufgenommen haben könnte, sodass meine freiwillige Handlung, gut oder schlecht, zu jedem Zeitpunkt gänzlich durch die bestimmten Eigenschaften dieses Wesens, zusammen mit den äußeren Umständen oder den äußeren Einflüssen, die zu diesem Zeitpunkt auf mich einwirken –€meine gegenwärtige körperliche Verfassung eingeschlossen€–, verursacht wird? Oder gibt es immer eine Möglichkeit, dass ich wählen kann, auf die Art zu handeln, die ich jetzt als vernünftig und richtig erachte, wie immer auch meine vorhergehenden Handlungen und Erfahrungen gewesen sein mögen?“ Beim ersten Teil der ersten Alternative, „Ist das Selbst, auf das ich meinen bewussten Willen zurückführe, ein Selbst mit ganz bestimmten moralischen Eigenschaften?“ usw., würde Kant gezwungen sein, das zu antworten, was Professor Sidgwick als libertaristisches Nein erachtet, da darin die Alternative dessen enthalten zu sein scheint, was er ein „intelligibles Wesen“ nennen würde; obwohl er selbst hier einige Zweifel haben würde, da impliziert zu sein scheint, dass das „intelligible Wesen“ nicht „ganz bestimmte moralische Eigenschaften“ haben kann oder „eindeutig“ ist. Und unter dieser Vorausset
Im Originaltext wird der deutsche Ausdruck „Bestimmung“ verwendet. [A.€d.€Ü.] Originaltext: Methods. 5. Auflage, S. 61.
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zung, die Professor Sidgwick als Unterscheidung angenommen hat, würde er wahrscheinlich zum zweiten Teil, „[wird] meine freiwillige Handlung ... zu jedem Zeitpunkt gänzlich durch die bestimmten Eigenschaften dieses Wesens ... hervorgerufen?“, Nein sagen, obwohl seine Antwort, hätte sich die Frage von selbst ergeben, wahrscheinlich Ja gewesen wäre, da das Nachfolgende zeigt, dass Professor Sidgwick, wenn er von „gänzlich verursacht“ spricht, nur an das denkt, was Kant „Naturkausalität“ nennt. So würde er unter der Voraussetzung, dass Professor Sidgwick mit „Möglichkeit“ sowohl intelligible als auch empirische Möglichkeit meinen könnte, auf die zweite Frage nur Ja antworten. Wenn aber Professor Sidgwick fortfährt, die deterministische Sicht mit Bezug auf das Kausalitätsprinzip, wie es in der Naturwissenschaft verwendet wird, zu veranschaulichen, wenn er sagt (S.€62), „dass der wesentliche Streit die Vollständigkeit der kausalen Abhängigkeit des Willens vom Zustand im vorhergehenden Augenblick betrifft“, kann es nicht länger Zweifel daran geben, dass nur jene Kausalität gemeint war, bei der Kant sich so bemüht hatte, ihre universelle Geltung in der Kritik der reinen Vernunft zu beweisen; und es ist wenig verwunderlich, dass Bezug auf die Möglichkeit eines Selbst mit einem anderen als einem psychologischen Wesen genommen werden sollte. Professor Clifford gibt eine Erklärung des Begriffs des Freien Willens, wie er üblicherweise verstanden wird, die so deutlich scheint, dass sie es wert ist, zitiert zu werden: „Wann immer ein Mensch seinen Willen benutzt und eine freiwillige Wahl aus mehreren möglichen Fortgängen trifft, tritt ein Ereignis ein, dessen Beziehung zu aneinandergrenzenden Ereignissen nicht in eine allgemeingültige Aussage, die auf vergleichbare Fälle anwendbar ist, mit eingeschlossen werden kann. Es gibt etwas vollkommen Unberechenbares und Willkürliches, das nur zu diesem Augenblick gehört; und wir haben kein Recht darauf zu schließen, dass, wenn sich die Umstände genauso wiederholten und der Mensch selbst vollkommen unverändert wäre, er denselben Fortgang wählen würde.“ Diesen Grundsatz würde Kant nun strikt verurteilen. Wenn Determinismus nur bedeutete, dass die Handlungen aller Menschen den Naturgesetzen entsprechen und demnach – mit dem Fortschritt der Psychologie – letztendlich genauso sicher wie die Planetenbewegungen vorhergesagt werden könnten (und das ist es, was Professor Sidgwick offenbar zu meinen scheint und was gewöhnlich damit gemeint ist), würde Kant tatsächlich nicht zögern, sich selbst als einen Deterministen zu bezeichnen. „[...] so sind alle Handlungen des Menschen in der Erscheinung aus seinem
Originaltext: Essay „Right and Wrong“ in Lectures and Essays (1886), S.€318.
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empirischen Charakter und den mitwirkenden Ursachen nach der Ordnung der Natur bestimmt, und wenn wir alle Erscheinungen seiner Willkür bis auf den Grund erforschen könnten, so würde es keine einzige menschliche Handlung geben, die wir nicht mit Gewissheit vorhersagen und aus ihren vorhergehenden Bedingungen als notwendig erkennen könnten.“ Freiheit ist laut ihm absolut unmöglich, wenn den Ereignissen in Raum und Zeit Realität zugeschrieben wird. „[…] da der durchgängige Zusammenhang aller Erscheinungen, in einem Kontext der Natur, ein unnachlaßliches Gesetz ist, dieses alle Freiheit notwendig umstürzen müßte, wenn man der Realität der Erscheinungen hartnäckig anhängen wollte. Daher auch diejenigen, welche hierin der gemeinen Meinung folgen, niemals dahin haben gelangen können, Natur und Freiheit miteinander zu vereinigen.“ Der Streit zwischen Libertaristen und Deterministen wird zweifelsohne im Allgemeinen von jenen geführt, „welche [...] der gemeinen Meinung folgen“, Realität dem zuzuschreiben, was Kant als Erscheinungen bezeichnet, d.€h. Materie wie in der Physik behandelt und Geist wie in der Psychologie behandelt. Insofern Determinismus als etwas betrachtet wird, das das Phänomen des Willens in Einklang mit den Ergebnissen bringt, die man durch experimentelle Erforschung der Natur erhält, kann er nur eine Lehre sein, die mit dem beschäftigt ist, was Kant als Erscheinungen bezeichnet, und als solche scheinen die o.€g. Zitate sein uneingeschränktes Festhalten an ihm zu beweisen. Tatsächlich würde es dem gewöhnlichen Verfechter des freien Willens absurd erscheinen, zu sagen, dass „Handlungen [...] die [...] nicht geschehen sind und vielleicht nicht geschehen werden“ doch „notwendig“ sind; und doch ist es nur auf dieser Grundlage, dass Kant vorbereitet ist, den freien Willen zu verteidigen. Wenn dies absurd ist, so bleibt keine Wahl außer dem Determinismus. Tatsächlich verwendet Kant „Notwendigkeit“ hier in einer völlig anderen Bedeutung als jene, in der der gesunde Menschenverstand diesen Begriff üblicherweise versteht. „Das Sollen drückt eine Art von Notwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt [...] Es ist unmöglich, daß etwas darin anders sein soll, als es in allen diesen Zeitverhältnissen in der Tat ist, ja das Sollen, wenn
Es wird deutlich werden (S.€17), dass ich es als notwendig erachte, diese Aussage geringfügig zu verändern. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€535€f. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€526. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€534€f.
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man bloß den Lauf der Natur vor Augen hat, hat ganz und gar keine Bedeutung.“ Wenn man sagt, dass eine zukünftige Handlung „notwendig“ ist, würde der normale Mensch annehmen, dass man meint, dass „es geschehen wird“ – dass man etwas gemäß den Naturgesetzen vorhersagt; wenn man meint, dass „es vielleicht nicht geschehen wird“, würde er sagen, dass man die Begriffe falsch verwendet, man hätte sagen müssen, dass es wahrscheinlich oder möglich sei. Aber inzwischen reicht es aus, hervorzuheben, dass Kant diese absurde Aussage trifft und dass aus dieser zweiten Bedeutung von „Notwendigkeit“ auch eine zweite Bedeutung von Möglichkeit hervorgeht. Da das, was gemäß den Naturgesetzen nur möglich ist, notwendig genannt werden kann, könnte das, was gemäß den Naturgesetzen vollkommen unmöglich ist, von Kants Standpunkt aus als „möglich“ angesehen werden. Nur aufgrund dieser Annahme der Möglichkeit des Unmöglichen könnte er auf Professor Sidgwicks zweite Frage mit Ja geantwortet haben. Was meint Kant nun, falls er ein Determinist ist, mit dieser Freiheit, deren Realität er annimmt? Die Antwort auf diese Frage ist, denke ich, in seiner Betrachtung der transzendentalen Freiheit – als eine Idee der Vernunft – in der Kritik der reinen Vernunft zu finden. Das Ergebnis dieser Betrachtung scheint mir zu sein, dass transzendentale Freiheit das Verhältnis ist, in dem die Welt, so wie sie wirklich ist, zu Ereignissen, wie wir sie kennen, steht. Es ist das Verhältnis von Realität zu Erscheinung. Dieses Verhältnis erscheint uns zwangsläufig als das logische Verhältnis von Grund zu Folge. Der Grund ist die freie Ursache seiner Folge. Doch obwohl das Verhältnis derart ist und die transzendentale Freiheit sich in diesem Aspekt ihres Wesens völlig von der empirischen Kausalität und vom menschlichen Willen, wie er in der Psychologie erscheint und der bloß eine Form einer solchen Kausalität ist, unterscheidet, grenzt sie sich trotzdem vom logischen Verhältnis von Grund und Folge ab, in dem weder Grund noch Folge hier eine abstrakte Vorstellung
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€534. Die Aussage, „Nun muß die Handlung allerdings unter Naturbedingungen möglich sein, wenn auf sie das Sollen gerichtet ist“ (Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€534.), muss so verstanden werden, dass jede tatsächliche Handlung, die in Übereinstimmung mit dem „Sollen“ war, auch eine natürliche Möglichkeit haben muss, d.€h. es muss möglich gewesen sein, sie gemäß den Naturgesetzen vorherzusagen: Nicht dass, damit jede vorstellbare Handlung moralisch sei, sie auch natürlich möglich sein muss. So ist es in der Metaphysik der Sitten (Immanuel Kant: Gesammelte Werke. Band VI. Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften, 1907, S.€203 ff.) offensichtlich, dass das „moralisch Mögliche“, das „Erlaubte“, etwas sein kann, das man tatsächlich nicht tun kann.
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sind, sondern als existierend betrachtet werden müssen. Ein bloßer logischer Grund kann als solcher niemals als tatsächlich betrachtet werden. Wenn wir nach einer tatsächlichen Existenz als Basis für einen anderen suchen, erhalten wir eine bloße Ursache. Aber das, was transzendentale Freiheit hat, ist keine bloße Ursache, da sie kein Teil einer zeitlichen Abfolge von Ereignissen ist; und sie ist kein bloßer logischer Grund, da sie die gesamte SelbstsubÂ�sistenz hat, die zu der gegebenen zeitlichen Abfolge zu gehören scheint. Daher ist diese „freie Kausalität“ keine Kausalität im gewöhnlichen Sinn; und es kann wohl als guter Streitgrund scheinen, dass sie auch nicht frei ist aufgrund dessen, dass Freiheit einen wesentlichen Bezug auf den menschlichen Willen hat. Kants Schlussfolgerung am Ende der Kritik der reinen Vernunft hätte sein sollen, dass transzendentale Freiheit nicht nur möglich, sondern tatsächlich sei. Aber diese Unabhängigkeit des Beweises der „Freiheit“ vom kategorischen Imperativ würde eine Vermutung zu belegen scheinen, dass diese „Freiheit“ keine Freiheit ist, da ihre Verbindung mit der menschlichen Handlung durch diese Unabhängigkeit gewiss abgeschwächt wird. Und so muss tatsächlich zugegeben werden, dass es keinen Grund mehr gibt, das „intelligible Wesen“ mit dem psychologischen Wesen zu verbinden, das ein Individuum von einem anderen unterscheidet. Das „intelligible Wesen“ ist ein hinreichender Grund für alle Phänomene, ob es nun Prozesse der unbelebten Natur sind oder menschliche Handlungen. Es ist nicht bewiesen, dass es in einer Vielzahl von Seelen individualisiert ist; und es ist gewiss, dass es auf jeden Fall in jeder dasselbe ist. Unsere Lehre wird uns nicht dabei helfen, zwischen einem Monadismus und einem Monismus zu entscheiden, aber sie zeigt, dass, falls es Monaden gibt, sie identisch sein werden, insofern da jede als Beispiel für das „intelligible Wesen“ dient. Das „intelligible Wesen“ kann nicht verwendet werden, um zu erklären, warum sich ein Mensch von einem anderen unterscheidet, sodass man sagen könnte, A ist soundso, da sein „intelligibles Wesen“ dieser Art ist, und B ist anders, da sein „intelligibles Wesen“ jener Art ist. Alle Unterschiede können nur erklärt werden, indem man sie auf verschiedene Ursachen zurückführt. Aber das „intelligible Wesen“ ist ein Grund für die gesamte Welt mit all ihren Unterschieden und somit nicht mehr Grund für einen Teil als für einen anderen. Doch Kant geht nicht davon aus, dass jedes einzelne Ding als ein Ergebnis einer intelligiblen oder freien Kausalität angesehen werden kann, genau wie jedes einzelne Ding ein Ergebnis einer natürlichen Kausalität ist. Alles, was er in seiner Betrachtung der transzendentalen Freiheit am Ende der Kritik der reinen Vernunft anführt, ist, dass „unter den Naturursachen es auch welche
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gebe, die ein Vermögen haben, welches nur intelligibel ist“10. Und er erklärt weiter, dass er mit diesen nur die Menschheit meint. „Bei der leblosen, oder bloß tierisch belebten Natur, finden wir keinen Grund, irgendein Vermögen uns anders als bloß sinnlich bedingt zu denken. Allein der Mensch, der die ganze Natur sonst lediglich nur durch Sinne kennt, erkennt sich selbst auch durch bloße Apperzeption [...] und ist sich selbst freilich einesteils Phänomen, anderenteils aber, nämlich in Ansehung gewisser Vermögen, ein bloß intelligibler Gegenstand.“11 Wenn man nun die Aussage beiseite lässt, dass der Mensch sich selbst durch bloße Apperzeption erkennt –€eine Art des Erkennens, dessen Möglichkeit Kant an keiner anderen Stelle erklärt hat und die hier zeitweise den Platz des kategorischen Imperativs einzunehmen scheint, um für ihn eine ratio cognoscendi für die Anwendbarkeit der Freiheit zu bieten€–, wird es offensichtlich, dass er hier den Menschen hinsichtlich der Freiheit als auf einer vollkommen anderen Ebene als andere Dinge betrachtet. Der Mensch hat Freiheit, und nichts anderes teilt dies in irgendeiner Art. Und diese Einstellung wird in all seinen ethischen Werken beibehalten. Freie Kausalität wird unter den Objekten der Erfahrung nur dem Menschen zugestanden,12 sodass, während natürliche Kausalität mit völliger Allgemeinheit zutrifft –€auf ihn genauso wie auf alle anderen Objekte€–, Freiheit als eine Art wundersame Kraft erscheint, deren Einfluss in einigen Ereignissen aufgespürt werden kann, aber nicht in anderen. In der Kritik der Urteilskraft ist er teilweise veranlasst, diese Ansicht zu korrigieren und zu sehen, dass, wenn Freiheit eingeführt wird, um überhaupt etwas zu erklären, sie eingeführt werden muss, um alles zu erklären. Doch inzwischen erleichtert seine eingeschränkte Ansicht über die Freiheit ihm, eine Verbindung mit der gewöhnlichen Vorstellung herzustellen. Bei der gewöhnlichen Vorstellung sind auch einige Handlungen frei und andere nicht; und obwohl es nicht eingestanden werden würde, wie es für Kant notwendig ist, dass jene, die frei sind, auch in anderer Hinsicht als völlig durch natürliche Kausalität bestimmt angesehen werden könnten, so gleichen die bloße Tatsache, dass die Anwendung der Freiheit so einseitig ist, und ihre besondere Verbindung zum Menschen die Sichtweise mehr an jene Kants an, als es mit der hier vertretenen möglich ist, gemäß welcher Freiheit universell ist. 10 11 12
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€532. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€533. Obwohl sie auch zu jedem anderen „Vernunftwesen“ gehört, wenn es solche gäbe (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten).
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II. In der gewöhnlichen Vorstellung der Freiheit scheint die universellste Eigenschaft die Abwesenheit einer äußeren Beschränkung zu sein, ob sie nun ausgeübt wird, um anzutreiben oder zu verhindern. Wo die unmittelbare Ursache einer Bewegung oder Änderung in dem Ding, das sich bewegt oder ändert, und in nichts anderem außerhalb von ihm zu liegen scheint, dort ist Freiheit, in einem Sinn auf jeden Fall, zuschreibbar. Aber diese ist eine Vorstellung, die offensichtlich nicht auf menschliche Handlungen beschränkt ist. Viele Bewegungen und Änderungen bei Tieren und Pflanzen haben ihre unmittelbare Ursache in den Dingen selbst; und dasselbe könnte wahrscheinlich von jedem Körper gesagt werden, insofern er sich gemäß Newtons zweitem Axiom, dem Aktionsprinzip, bewegt. Dies ist es, was uns über „frei wie die Luft“ oder darüber, dass die Räder einer Uhr sich „frei“ bewegen, reden lässt. Aber es gibt einen offensichtlichen Fehler in dieser weit verbreiteten Vorstellung, indem die Grenzen, ob räumlich oder zeitlich, einer Gruppe, die wir als unsere Einheit oder Ding ansehen, immer mehr oder weniger willkürlich sind. Eine Uhr kann sich frei bewegen, wenn ihre Feder sie antreibt; aber die Bewegung irgendeines ihrer Räder ist nicht frei, da das Rad durch die Feder oder ein anderes Rad angetrieben wird.13 Und es gibt wieder keinen Grund, warum wir die unmittelbare oder direkte Ursache für eine solche Vorrangstellung herausstellen sollten oder etwas anderes, um festzulegen, wie weit in der Vergangenheit eine Ursache aufhört, unmittelbar zu sein. Es sind Schwierigkeiten dieser Art, die schrittweise dazu geführt zu haben scheinen, dem Menschen die Vorstellung von Freiheit zu beschränken, da im Menschen die Vorstellung des Selbst sehr viel augenscheinlicher ist als woanders und die Unterscheidung zwischen intern und extern Verursachtem daher auf den ersten Blick zufriedenstellender ist. Der Unterschied zwischen dem Menschen und irgendetwas anderem drängt sich stärker in die Vorstellung des Menschen und ist ihm in der Praxis wichtiger als jeder andere Unterschied. Daher ist es nicht unnatürlich, dass die Vorstellung von Freiheit im Sinne selbstverursachter Handlung, ob sie nun ursprünglich aus seiner eigenen Erfahrung gewonnen und anthropomorph auf andere Dinge übertragen worden ist oder nicht, auf alle Fälle weitreichender angewendet werden sollte und in seinem eigenen Fall und in dem anderer Wesen, die wie er sind, weniger einfach außer Acht gelassen werden als anderswo. 13
Vgl. hinsichtlich dieses Themas die Kritik der praktischen Vernunft (Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€113.).
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Nun scheint die gewöhnliche Lehre des freien Willens als „Freiheit der Indifferenz“ hauptsächlich ein Versuch zu sein, diese Unterscheidung zwischen dem Selbst und der Welt gänzlich auf eine Ebene einer willkürlichen Verschiedenheit zu bringen. Man hat gesehen, dass dies nicht getan werden konnte, wenn das Selbst als ein Teil einer kausalen Ereigniskette angesehen wurde, da es dann von der infiniten Teilbarkeit, die der Zeit inhärent ist, abhängig sein müsste und die letzte kausale Einheit so willkürlich wie jede Zeiteinheit bliebe. Daher wurde behauptet, dass die Seele des Menschen ein durch vorherige Ereignisse in der Zeit unbestimmtes Agens sei; es sei die völlig einfache Einheit der rationalen Psychologie und unterscheide sich als solche von allen natürlichen Objekten, die immer zugleich in Teile zerlegbar und auch einer gewissen Unterscheidung von einem immer größeren Ganzen unfähig seien. Solch eine Vorstellung von einer finiten unverursachten Ursache geht zwangsläufig aus dem Versuch hervor, in der Erfahrungswelt Fälle einer rein internen und einer rein externen Kausalität zu unterscheiden. Und es gibt gute Gründe, warum der menschliche Wille als die letzte Â�Instanz einer Ursache, die nicht auch eine Wirkung ist, angenommen werden sollte. Der Fortschritt, der in der Erforschung mentaler Prozesse gemacht worden ist, ist im Vergleich zu jenem, der in den Naturwissenschaften gemacht worden ist, nur sehr gering gewesen: (1) Aufgrund ihrer größeren Komplexität, (2) da Experimente in der Psychologie entweder indirekt oder durch die Tatsache behindert sind, dass der Beobachtete auch der Beobachter ist, und (3) da das Unterbewusstsein mit einbezogen werden muss. Und die Region des unvollständig Bekannten ist der favorisierte Aufenthaltsort einer metaphysischen Monstrosität. Anders gesagt, wo Tatsachen nicht vollständig verstanden werden, wird im Allgemeinen eine kurzsichtige metaphysische Theorie eingeführt, die einen leichten Weg an den Schwierigkeiten, die einer gründlichen Erforschung im Wege stehen, vorbei einschlägt. Neben der allgemeinen Schwierigkeit, umfassende kausale Gesetze aufzustellen – dies trifft auch in einem geringeren Maße auf die Naturwissenschaften zu und verhindert selbst dort eine bestimmte Voraussage –, scheint es zweitens einen wirklichen Grund zu geben, der vom Wesen der Sache nie zu entfernen ist, warum der menschliche Wille die Illusion einer sogenannten Freiheit produzieren sollte. Es ist, dass aufgrund der deterministischen Hypothese selbst das Wissen, dass ein gewisser Handlungsverlauf durchgeführt werden soll,14 14
Wenn wir nicht Professor Huxleys Lehre logisch ausführen sollten („Hume“, Â�CollectedEssays. Band VI. S.€86), dass „es nur einen sprachlichen Unterschied zwischen einem Gefühl haben und zu wissen, dass man es hat, gibt“.
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immer einen gewissen Einfluss auf den tatsächlich durchgeführten Verlauf ausüben muss und so das Ergebnis sich nach einer Betrachtung aller anderen Elemente, die zu ihm beitragen würden, von dem unterscheidet, was vorhergesehen worden ist. Und selbst wenn die Tatsache dieses Wissens bei dieser Berechnung berücksichtigt und die Voraussage dementsprechend abgeändert werden würde, führte das Wissen um diese Abänderung wieder ein neues Element ein, das einer neuen Berechnung bedürfen würde usw. ad infinitum. Dies scheint eine Schwierigkeit zu sein, die im doppelten Wesen des Verstandes als Subjekt und als Objekt innewohnt –€eine Schwierigkeit, die es ermöglicht, a priori auszudrücken, dass eine vollständige Voraussage der Ergebnisse eines mentalen Prozesses immer unmöglich sein muss. Es ist eine Schwierigkeit, die nicht auf Voraussagen im physischen Raum zutrifft, wenn man diesen, wie es im Moment als notwendig erscheint, in Abstraktion von der Geisteswelt betrachtet. Sie könnte nur unsere Sichtweise von diesem abändern, wenn die wirkliche Verbindung von Körper und Geist vollständig entdeckt wäre. Wie es aussieht, haben mentale Prozesse, obwohl sie offensichtlich psychologischen entsprechen und für ihre Erforschung hilfreich sind, nur zu sehr die Erscheinung einer vollkommen unabhängigen Welt aus der Sicht der Kausalität und Reziprozität. Sodass die Unterscheidung gerechtfertigt ist, wenn wir sagen, dass die Ergebnisse des menschlichen Willens, allein unter den Ursachen, notwendigerweise weiterhin keine Voraussage zulassen dürfen. Und diese Tatsache, zusammen mit den größeren empirischen Schwierigkeiten einer Voraussage im Falle des Geistes, scheint ausreichend zu sein, um den illusorischen Glauben zu erklären, dass der Wille auf jeden Fall frei ist, obwohl zugestanden wird, dass sonst nichts anderes frei ist. Das Versagen, eine Ursache in jedem bestimmten Fall zu entdecken, bestärkt selbst einen Glauben an das Unverursachte; und wenn zum bloßen Versagen eine völlige Unmöglichkeit der Entdeckung hinzugerechnet wird, wird der Fall verständlicherweise verstärkt. Der Fortschritt in der wissenschaftlichen Methode, mit dem daraus resultierenden Wachstum der empirischen Psychologie, hat es mehr und mehr erschwert, daran zu zweifeln, dass der Glaube an das Unverursachte illusorisch ist. Doch diese Tatsache selbst würde kein Argument gegen den freien Willen sein. Denn in wie vielen Fällen auch Kausalität bewiesen werden würde, obwohl dies vielleicht ein Grund sein könnte, sie in anderen zu erwarten, würde es doch selbst kein Grund für diese Erwartung sein. Ein induktives Argument muss immer, wie Empiriker es ausdrücken, von der Annahme der Einheitlichkeit der Natur begleitet werden. Und diese Annahme ist in die-
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sem Fall keine Annahme, aber von einer apriorischen Notwendigkeit könnte, denke ich, angenommen werden, dass sie ausreichend durch Kants Argument in der Analytik bewiesen worden ist. Er zeigt dort, dass jedes Ereignis eine Ursache haben muss, wenn es eine objektive Aufeinanderfolge in der Zeit geben soll; und solch eine objektive Aufeinanderfolge ist gewiss durch all unsere tatsächliche Erfahrung vorausgesetzt. Dementsprechend erkennt Kant selbst die apriorische Gewissheit der deterministischen Sichtweise vollkommen an, wie es am Anfang dieses Aufsatzes gezeigt worden ist;15 und es scheint unvermeidlich zu sein, mit ihm übereinzustimmen. Wie für „die unmittelbare Bestätigung des Bewusstseins im Moment der absichtlichen Handlung“16, von der behauptet wird, dass sie dem Determinismus gegenübersteht, wird große Sorgfalt benötigt, um zu entscheiden, was es ist, das das Bewusstsein dann bestätigt. Das Erste, was hinsichtlich dieser Angelegenheit berücksichtigt werden sollte, scheint zu sein, dass, wenn solch eine Bestätigung auf die Kontroverse über den freien Willen angewendet werden soll, sie nicht die Möglichkeit meines Tuns, das ich wähle, sondern die Möglichkeit meines Wählens bestätigen muss. Tatsächlich scheint die Kontroverse sich selbst auf die Frage der freien Wahl zu verengen. Denn es ist nur die Wahl, die freiwillige von nichtfreiwilliger Handlung unterscheidet, und der normale Libertarist würde kaum behaupten, dass nichtfreiwillige Handlungen frei sein könnten. So zeigt sich, dass die Frage mehr umfasst als jene, die normalerweise diskutiert wird. Denn da die physische Möglichkeit der Handlung, die das mögliche Objekt der Wahl ist, nicht als ein notwendiges Element betrachtet werden kann, um sie in dem Sinne gut und vernünftig zu bilden, der für den „praktischen Grund“ wesentlich ist, scheint es kaum möglich, bloße Wahlen auszuschließen, solche wie, dass ich das Talent Shakespeares haben sollte, obwohl, dass ich es haben sollte, ernsthaft als physisch unmöglich betrachtet werden könnte. Selbst solch ein Fall wie eine Wahl, die Sonne daran zu hindern, morgen aufzugehen, kann von der Diskussion kaum ausgeschlossen werden. Denn obwohl vielleicht niemand außer einem Verrückten eine solche Wahl treffen würde, so würde seine Wahl beweisen, dass sie gemacht werden kann: Selbst wir wählen oftmals aus Unkenntnis etwas, was in diesem Sinne unmöglich ist; der einzige Grund, warum wir nicht das wählen, was wir als unmöglich erachten, 15 16
Vgl. Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€12€ff. Englisches Originalzitat: Sidgwick, Methods. S.€65.
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scheint nicht zu sein, dass wir es nicht können (in der deterministischen oder libertaristischen Bedeutung), sondern dass es nicht lohnenswert erscheint. Die Frage, ob die Wahl in irgendeinem Maße die gewählte Wirkung produziert, scheint bloß eine zu sein, die sich durch Erfahrung entscheidet, und wir bewerten sie genauso, wie wir die Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten der Ereignisse in der physischen Welt bewerten. Sie scheint nicht von der Kontroverse über den freien Willen betroffen zu sein, wenn das Thema der Kontroverse klar ausgedrückt wird. In der Tat stimmen Locke und Hume17 in ihrer Behandlung der Freiheit wunderbar überein, beide stellen fest, dass sie einfach besagt: „Eine Fähigkeit, zu handeln, wie wir wählen.“ Aber gerade aus diesem Grund würde es scheinen, dass es ihnen möglich ist, die Kontroverse über den freien Willen so unbekümmert zu behandeln, wie sie es tun. Wenn die Frage nur darin bestünde, ob wir manchmal nicht das tun, was wir wählen, würde es nach ihnen offensichtlich sein, welche Antwort wir geben sollten; aber es würde, auch ihrer Meinung nach, nicht offensichtlich sein, dass Freiheit in diesem Sinn nicht im Gegensatz zu „Notwendigkeit“ stünde, da die Frage „Können wir wählen?“ immer noch unbeantwortet bliebe. So lassen beide tatsächlich eine Ambiguität selbst hinsichtlich des ersten Punktes bestehen, indem sie nicht genügend das betrachten, was in ihrer Vorstellung von „Fähigkeit“ impliziert ist; aber trotzdem scheint es, dass sie nur meinen, wenn sie von einer Fähigkeit, zu handeln, wie wir wählen, sprechen, wie Locke sagt,18 dass die Existenz oder Nichtexistenz der Handlung von unserer Wahl abhängig ist. In diesem Teil der freien Handlung könnte nun eingestanden werden, dass sie keinen Platz für etwas lassen, das im Gegensatz zu „Notwendigkeit“ steht; da ihre Vorstellung darin besteht, dass die Handlung durch die Wahl erforderlich gemacht wird. Doch Locke sieht den strittigen Punkt nicht hier auftauchen, sondern in der Frage19: Sind wir frei, zu wählen? Und diese Frage tut er auf Grundlage dessen als absurd ab, dass sie besagt: Kann ein Mensch wollen, was er will? Aber sie besagt dieses nicht, wenn seine Definition der Freiheit als Fähigkeit, das zu tun, was ich wähle, nicht schon angenommen worden ist. In der Tat würde es absurd sein, zu fragen: „Kann ich wählen, zu wählen?“, in dem Sinn: „Bin ich frei zu wählen, welche zwei Alternativen ich wählen werde?“ Aber Locke hat keinen Grund anzunehmen, dass dies durch 17 18 19
Locke: Essay ii., 21, 14€f. Hume: Treatise iv.; S.€110€f. §Â€27. §Â€22.
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die Frage „Bin ich frei zu wählen?“ ausgedrückt wird. Diese Frage könnte bedeuten: „Bin ich die ursprüngliche Ursache meiner Wahl?“ Und dies lässt er unbetrachtet. Daher vernachlässigen Locke und Hume durch ihre Definition der Freiheit den wesentlichen Punkt der Kontroverse. Dennoch haben sie der Frage einen Dienst erwiesen, insofern ihre Behandlung der Frage ein Protest gegen die Verwechslung der Freiheit, „zu tun, falls ich wähle“, mit der „Freiheit, zu wählen“ ist. Ihr Fehler besteht darin, anzunehmen, dass es nur eine Antwort auf die erste Frage war, die wirklich vonnöten war; und daraus folgt ihre Verachtung des Streits. Tatsächlich bin ich im normalen politischen Sinn frei, wenn „ich das tue, was ich wähle, weil ich es wähle“, da die unmittelbare Ursache meiner Handlung in mir selbst, d.€h. in meiner Wahl, liegt. Aber dies ist nicht die Freiheit in dem Sinn, in dem sie von den Libertaristen gefordert wird. Was sie zu behaupten wünschen, ist, dass die Wahl selbst nur durch ein Selbst, das eine unverursachte Entität ist, verursacht wird; und dieses beinhaltet, dass, wo es Alternativen gibt, ihre Wahl zwischen ihnen völlig unabhängig von ihren vorherigen Gewohnheiten, Neigungen usw. ist. Die Frage lautet nun: „Bestätigt das Bewusstsein, wenn Alternativen vorhanden sind, dass ich jede von ihnen wählen kann, die ich entweder als gut oder schlecht erachte?“ Dies scheint gleichbedeutend mit „jeder vorstellbaren vorliegenden Alternative“ zu sein. Und hiermit kommen wir zur letzten Ambiguität der Aussage, die, wie mir scheint, den Weg zu einer klaren Antwort auf diese Frage versperrt. Professor Clifford (Lectures and Essays, S.€327) bringt eher genial vor, dass, falls die Befreiung meines Bewusstseins „von Nutzen für die Kontroverse“ sein soll, sie „fähig sein“ muss, „mich von der Nichtexistenz von etwas zu überzeugen, das auf Grundlage der Hypothese nicht in meinem Bewusstsein ist“, d.€h. die unterbewussten geistigen Elemente, die der Determinist annehmen muss, um die Wahl zu treffen. Aber es scheint möglich, diesen Einwand zu überwinden, indem festgestellt wird, dass es ausreichend ist, wenn das Bewusstsein eine positive Bestätigung dessen geben kann, was die Ursache meiner Wahl ist, ohne von ihm zu verlangen, umfassend zu beweisen, dass nichts anderes in der Welt sein kann. Wenn ein Wissenschaftler, bevor er ein Gesetz formuliert, immer gezwungen wäre zu beweisen, dass wirklich keine anderen Elemente neben jenen, deren anhaltende Verbindung mit der Wirkung von ihm beobachtet worden ist, mitgewirkt haben, wären noch keine Naturgesetze entdeckt worden. Wenn daher das Bewusstsein bestätigt, dass „ich“ die Ursache der Wahl bin, sollte dies ausreichend sein. Aber dann tritt die Frage auf: Was meint es mit „ich“?
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Ist es vollkommen gewiss, dass, wenn das Bewusstsein zu bestätigen scheint, dass „ich soundso wählen kann“, es mehr bedeutet als „es ist möglich, dass diese oder jene Wahl in meinem Verstand stattfindet“? Falls es nicht mehr als dieses bedeutet, steht die Bestätigung nicht im Gegensatz zum Determinismus; wie wir weiter oben (S.€17€f.) versucht haben zu zeigen, muss es selbst auf Basis der deterministischen Annahme immer berechtigt sein, die letztere Proposition zu bestätigen, selbst wenn es nicht immer dieses Recht ausübt. Denn, ich denke, indem man sagt, dass diese oder jene Wahl möglich ist, können wir nicht mehr meinen, als dass wir es nicht wissen, sondern dass es geschehen wird; und selbst wenn die „Einheitlichkeit der Natur“ in dem Sinn bewiesen werden kann, in dem eine Behauptung hinsichtlich irgendeines Ereignisses belegt wird, dass es gewiss nicht geschehen wird, kann dies niemals der Fall sein hinsichtlich eines Ereignisses, das durch eine bewusste Voraussage bestimmt ist. Daher scheint es, dass die „Bestätigung des Bewusstseins“ als Gegensatz zum Determinismus bei dem Versuch, es deutlich zu machen, verschwindet. Der Versuch, eine exaktere Bedeutung für die gewöhnliche Vorstellung von Freiheit zu finden, hat uns auf die Vorstellung zurückgeworfen, von der wir ausgegangen sind. Anstatt mit einer freien Handlung, die die Handlung eines „unverursachten Selbst“ ist, müssen wir uns mit ihr als selbstverurÂ� sachte Handlung zufrieden geben: Von allem kann gesagt werden, dass es frei handelt, insofern die unmittelbare Ursache seiner Veränderungen in ihm selbst liegt. Wir müssen nun sehen, wie diese Vorstellung mit dem zusammenhängt, das weiter oben als von Kant abgeleitet erklärt worden ist, und untersuchen, ob es eine Rechtfertigung gibt, es in einem ausschließlichen Sinn auf den Willen anzuwenden – eine Einschränkung, die auch Kant in der Anwendung seiner Vorstellung zu übernehmen scheint. Wenn sich die Einschränkung in beiden Fällen als ungerechtfertigt herausstellt, werden wir Schopenhauers Ansicht über die ultimative Realität widerlegt haben – eine Sichtweise, die gemäß Kuno Fischer auch jene Kants ist. Es war eines von Kants großen Verdiensten20 in der Kritik der reinen Vernunft hervorgehoben zu haben, dass es überhaupt kein „Inneres“ in den Erfahrungsobjekten gibt, weder im äußeren noch im inneren Sinn, weder in der Natur noch im Verstand. Er versetzte der Lehre der „Wesen“ und „Fähigkeiten“ als Erklärungsgrundsätze den letzten Schlag, indem er zeigte, 20
Zum Beispiel in der „Amphibolie“ (Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€309€ff.).
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dass der Fortschritt in der Wissenschaft eine völlige Interdependenz der Dinge voraussetzt; dass alles, was wir mit Sicherheit über sie wissen können, ihre Beziehung zueinander ist. Dies war in der Tat eines seiner Motive für seine Unterscheidung zwischen Erscheinungen und Dingen an sich, denn er konnte die Überzeugung nicht vermeiden, obwohl er sie nicht beweisen konnte, dass es irgendwo etwas Selbstsubsistentes geben muss. Aber sein Hauptpunkt bestand darin, dass, wenn man natürliche Objekte behandelte, als ob sie selbstsubsistent wären, man den unerträglichsten Widersprüchen nicht entgehen könnte. Dies war die „natürliche Dialektik des Verstandes“. In der Kritik der Urteilskraft begann er aber zu begreifen, dass er die Lehre, dass alles, was wir kennen können, bloße Beziehungen sind, überbetont hatte. Er erkennt hier, dass eine Naturphilosophie die „Materie des Wissens“ als solches in Betracht ziehen muss, da sie auch ein Element der Notwendigkeit haben muss. Somit sind es nicht nur die Kategorien und reinen Formen der Anschauung, die eine apriorische Gewissheit haben; sondern die sinnliche Mannigfaltigkeit muss auch von solch einer Art sein, dass die Kategorien und Formen der Anschauung auf sie zutreffen. Sie muss von solch einer Art sein, dass sie Begriffe für diese Beziehungen liefert. Und obwohl die Tragweite der Natur der Objekte der Erfahrung, die so apriorisch bestimmt ist, weit entfernt ist, ihnen einen Anspruch zu geben, als vollkommen rational betrachtet zu werden, so gibt sie ihnen doch eine gewisse Menge an Innerlichkeit und Selbstsubsistenz. Indem so der Ablauf der Natur betrachtet wird, wird es offensichtlich, dass, obwohl wir versuchen zu erklären, was geschieht, indem wir es in jedem Fall zu etwas zeitlich Vorangegangenem in Bezug setzen, usw. ad infinitum, auch ein anderes Element vorhanden ist, das durch diese Methode (die einzige, die Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft erlaubt) nicht berücksichtigt wird und das auch zu erklären hilft, was geschieht. Dieses Element ist das tatsächliche qualitative Wesen der Ereignisse, die wir zu erklären versuchen. Soweit die bloße kausale Verbindung betroffen ist, gibt es keinen Grund, warum es irgendeine Veränderung in der Welt geben sollte außer jener, die im Vergehen der Zeit beinhaltet ist. Jeder Moment der Zeit unterscheidet sich von jenem vor ihm, gerade weil er danach ist und der andere davor, und wenn die Welt ganz ohne andere Unterschiede wäre, würde doch eine notwendige Verbindung zwischen ihrem Zustand in einem Moment und ihrem Zustand in dem nächsten bestehen, dies entspricht genau dem Typus, den Kant gegenüber Hume zu beweisen suchte. Denn der Zustand der Welt in einem Moment würde ein anderes Ding als ihr Zustand im nächsten Moment
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sein in dem Sinn, in dem Hume bestritt, dass man wirklich berechtigt sei, von der Existenz des einen Dinges auf die nachfolgende Existenz eines anderen zu schließen. Aber selbst wenn dies so wäre, würde offensichtlich die Kausalität keine völlige Erklärung für den Verlauf der Natur bieten. Die Welt, die tatsächlich so unverändert durch die Zeit bestünde, würde trotzdem selbst Teil des Grundes des Naturverlaufs sein. Wir könnten nicht unser Wissen über jeden nachfolgenden Zustand erschöpfend behandeln, indem wir sagen, dass er derart war, dass er die Wirkung des Zustands vor ihm und die Ursache des Zustands, der ihm folgte, war. Es würde weiterhin wahr sein, dass jeder Zustand war, was er war, neben der Tatsache, dass er mit jenen vor und nach ihm in Beziehung steht; jeder würde einen Inhalt haben – den Inhalt, aufgrund dessen jeder mit jenen von allen anderen identisch wäre; und das Wesen dieses Zustands müsste bei der Erklärung jedes Zustands mit einbezogen werden. Wir können apriorisch nicht nur feststellen, dass jeder Zustand der Welt zwangsläufig mit jenen verbunden sein muss, die ihm vorausgehen und ihm folgen, sondern auch, dass er ein bestimmtes qualitatives Wesen haben muss. Er ist nicht nur, was er ist, weil der vorherige Zustand war, was er war, sondern auch, weil er ist, was er ist. Diese Betrachtung erscheint offensichtlich, aber trotzdem ist es eine, die sehr leicht vernachlässigt wird. Dies wurde in der Aristotelischen Lehre der Formursachen erkannt, aber es wurde im Zuge der modernen Wissenschaft, die immer nach effizienten Ursachen sucht, ohne genügend zu bedenken, dass es keine Effizienz geben könnte, wenn es nicht auch eine „Form“ gäbe, außerhalb des Blickwinkels gerückt. Ohne Zweifel ist es hinsichtlich der Praxis wichtiger, eine Beziehung zwischen den Dingen herzustellen, als bloß jene Dinge zu erkennen; und in seinem Wunsch, die naturwissenschaftlichen Methoden zu begründen, scheint Kant durch das Hauptaugenmerk, das in der Naturwissenschaft auf der Entdeckung von Beziehungen liegt, in die Irre, zu einer ungerechtfertigten Vernachlässigung des qualitativen Aspekts von Dingen, geführt worden zu sein. Wie bereits oben erwähnt, gab es auch einen anderen Grund für die Betonung, die er auf die Beziehung legt – nämlich sein Wunsch, die Annahme zurückzuweisen, dass die Objekte der Erfahrung real seien oder vollkommen selbstsubsistent. Und letztendlich ist Qualität, soweit sie notwendig ist, nur eine: Es gibt wie im Fall von Beziehungen keine Anzahl verschiedener Formen zu belegen. Doch es scheint von einem philosophischen Standpunkt aus von gleicher Wichtigkeit zu sein und wird durch die Wissenschaft bei der Unterscheidung der Dinge, zwischen welchen Beziehungen entdeckt werden sollen, immer vorausgesetzt.
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Nun kann von Dingen gesagt werden, insofern sie Bestandteile einer Beziehung sein müssen, dass sie ein Selbst haben. Aber dieses Maß an Selbstheit würde nicht genügen, um die Vorstellung der Freiheit zu definieren. Denn wir sind bisher noch nicht berechtigt, in der Welt Unterschiede in der Qualität apriorisch zu schlussfolgern. Und wenn es keine gäbe, wie im obigen Fall angenommen, gäbe es keinen Grund, anzunehmen, dass die kausale Verbindung zwischen aufeinanderfolgenden Weltzuständen in irgendeiner Weise von ihren Qualitäten abhängig wäre. Die Qualität würde zwangsläufig im Erklären der Reihe als ein Ganzes in Betracht gezogen werden; aber von der kausalen Verbindung könnte angenommen werden, dass sie zwischen ihnen rein als existierend besteht, d.€h. insofern sie im Aristotelischen Sinn, nicht aufgrund ihrer Form, Materie hätten. Und dies ist, so sollte angemerkt werden, alles, was Kant in der Kritik der reinen Vernunft für die Kausalität beweist; die notwendige Verbindung besteht im Dasein der Dinge. Aber in der Tat gibt es Unterschiede der Qualität in der Erfahrungswelt, und was immer die Rechtfertigung hierfür ist, mit diesem Unterschied der Qualität ist eine sehr wichtige Ergänzung zu der Kausalitätsvorstellung verbunden. Kausalität in Kants Sinn würde kein Naturgesetz rechtfertigen, und doch würde Wissenschaft ohne diese unmöglich sein. In jedem Gesetz ist beinhaltet: „Gleiche Ursache hat gleiche Wirkung“ und umgekehrt. Und in dieser Vorstellung haben wir sofort die kausale Beziehung zwischen Dingen, vorgestellt als von ihrem qualitativen Wesen abhängig.21 Es ist nicht länger das Ding, welches als bloß innerhalb der Zeit individualisiert angesehen wird, das zwangsläufig mit jenen vorhergehenden und folgenden verbunden ist, sondern das Ding, das sich durch eine bestimmte Qualität unterscheidet, wird so betrachtet, dass es eine notwendige Verbindung mit anderen so unterschiedenen Dingen hat. Es wird nicht angenommen, dass alle Qualitäten in der Welt sich nicht von dem, was sie sind, unterscheiden könnten, sondern es wird angenommen, dass jede gegebene Qualität eine einzigartige kausale Beziehung mit einer anderen in dem Sinn hat, dass nur das Ding, von dem es eine Qualität ist, eine Ursache für das Ding sein kann, von dem die andere eine Qualität ist, und nur dieses andere Ding kann die Wirkung des ersten Dinges sein. Hiermit scheinen wir bei der Vorstellung eines Dinges mit einem erkennbaren Selbst angekommen zu sein, das eine deutliche Wirkung aufgrund dieses Selbst hat. Und in dieser Vorstellung des Verlaufs der Natur ist eine 21
Zu diesem Zweck ist bei „Qualität“ die Position im Raum mit eingeschlossen.
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Einheit von Determination und Freiheit in ihrer einfachsten Form enthalten. Jedes Ding, das durch ein einfaches qualitatives Wesen gekennzeichnet ist, ist zweifelsohne dadurch bestimmt, dass es eine Wirkung von einem anderen Ding ist, und da das andere Ding gegeben war, war es gezwungen zu erscheinen. Aber es ist genauso die Ursache von etwas anderem und insofern frei, als dass seine Wirkung von seinem eigenen Wesen abhängig ist. Es spricht nichts gegen dies, dass sein eigenes Wesen wiederum von etwas anderem abhängig ist; denn dieses andere könnte nicht durch sich selbst die Wirkung, die es hervorruft, hervorgerufen haben. Es ist ein wesentliches Glied in der Kette, und obwohl die Wirkung nicht ausschließlich auf ihm beruht, so beruht ein Teil der Wirkung auf ihm und nur auf ihm. Vom gewöhnlichen Standpunkt aus, der die Erfahrungswelt als letztlich real ansieht, ist dies nun, indem jeder Teil dieser Welt gleichermaßen frei und gleichermaßen bestimmt ist, die einzige Bedeutung von Freiheit, die der Kritik widerstehen kann, da sie keinesfalls auf willkürlichen Unterscheidungen basiert. Es ist eine Bedeutung, die den meisten als dieselbe wie jene der Determination erscheinen würde. Aber sie kann, denke ich, so gesehen werden, dass sie allen üblichen Verwendungen von Freiheit zugrunde liegt; und es ist hauptsächlich aufgrund der Schwierigkeit, sie als eine Mindestvoraussetzung in der mechanischen Kausalität zu unterscheiden, dass der irrige Versuch beigefügt werden sollte, zu zeigen, dass die Vorstellung der Freiheit nicht dadurch reduzierbar ist, die Existenz der unverursachten Wahl zu behaupten. Wir müssen nun die Verbindung zwischen dieser und Kants Bedeutung der Freiheit zeigen und überlegen, ob er eine Rechtfertigung dafür geben kann, dass er sich ausdrückt, als ob seine Bedeutung, mehr als die allgemeine, in bestimmten Fällen in der Erfahrungswelt, d.€h. besonders im menschlichen Willen und nicht überall gleichermaßen, gezeigt werden müsse. III. Kants Verwendung des Begriffs Freiheit scheint gerechtfertigt zu sein, da er mit dem allgemeinen übereinstimmt, indem er sich gegen die Ansicht wendet, dass der Aspekt der Welt als kausal bestimmt für ihre Erklärung allein ausreichend ist. Beide erkennen gleichermaßen, dass die Beziehungen eines Dinges zu anderen Dingen zu definieren nicht das Wichtigste ist, das getan werden kann, um die Welt zu kennen. Aber wir haben gesehen, dass Kant in der Kritik der reinen Vernunft nicht zuzugeben scheint, dass Freiheit, in dem gerade dargelegten Sinn, der darin besteht, die Rolle zu erkennen, die in der Natur durch die Form jedes Dinges übernommen wird, eine objektive Vorstellung ist. Sein Versäumnis, dies zu tun, scheint seiner Verwechslung dieser Vorstellung mit der weiter gefassten der systematischen Einheit
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in der Natur, die jene beinhaltet, geschuldet zu sein. Es ist dieselbe Art, in der seine Vorstellung der Freiheit die allgemeine beinhaltet, aber auch darüber hinausgeht. Nach ihm bedeutet Freiheit nicht nur, dass jeder Teil der Natur zwangsläufig mit allen anderen Teilen hinsichtlich seiner Form wie auch seiner Existenz verbunden ist, sondern auch, dass all diese verschiedenen Formen, in sich selbst betrachtet, zusammen mit ihren Unterschieden und den Gesetzen ihrer Verbindung, beim Erklären der Welt als Ganzes berücksichtigt werden müssen: Und da die Welt als Ganzes eine unmögliche Vorstellung ist, wenn angenommen wird, dass die Objekte der Erfahrung ihre Endbestandteile sind, da sie zwangsläufig wie in den infiniten Formen von Raum und Zeit wahrgenommen werden, muss der vollständige Grund von allem, das erscheint, in eine übersinnliche Realität gesetzt werden. Diese übersinnliche Realität ist die Welt als Ganzes und ist der Grund von allem, das erscheint, und hat als solches Freiheit. Kant will ihr auch als solches nicht gestatten, dass sie als mehr als eine bloße Idee erkannt wird; aber es gibt Grund anzunehmen, dass dies nur seinem Versäumnis geschuldet war, zwei unterschiedliche Realitätskriterien miteinander zu verbinden: Sodass er im Allgemeinen das Wesen, das im Kontext der Erfahrung gegeben ist, als essenziell betrachtet, und da der Kontext der Erfahrung niemals die geforderte Vollständigkeit bieten kann, muss eine solche Vollständigkeit als bloß regulativ beurteilt werden. Nun besteht unsere Frage darin, ob eine Beziehung, die wirklich analog zu jener zwischen der realen Welt und der Erfahrungswelt ist, in der Beziehung des menschlichen Willens zu seinen Handlungen, und damit allein unter den Erfahrungsobjekten, dargestellt wird. Kant selbst unterscheidet zwischen Freiheit „im kosmologischen Sinn“ (welche jene ist, die wir bis jetzt als seine besprochen haben) und Freiheit im „praktischen Sinn“; aber er versichert, dass die letztere nur möglich ist, wenn auch die erstere möglich ist.22 In der Kritik der praktischen Vernunft beweist er, dass „praktische Freiheit“ wirklich ist, und daraus schließt er, dass „kosmologische Freiheit“ auch wirklich ist.23 Was ist dann seine Interpretation von „praktischer Freiheit“? „Praktische Freiheit“ ist etwas, das als solches zu allen „vernünftigen“ Wesen gehören muss.24 Sie ist negativ definiert als „die Unabhängigkeit der 22 23 24
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€524. Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€3€ff. Immanuel Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Hamburg: Meiner, 1994, S.€72€f.
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George Edward Moore • Die frühen Essays
Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit“25 und positiv als „Vermögen“ oder „Kausalität“ der „Vernunft“, „eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen“26. „Reine praktische Vernunft“ wird mit „reinem Willen“ gleichgesetzt; und „Wille“ scheint wieder bis zum Ende der Kritik der praktischen Vernunft mit „Willkür“ identisch zu sein, obwohl sie in der Einleitung zu der Metaphysik der Sitten auf eine sehr wichtige Weise unterschieden werden; denn dort wird festgestellt, dass nur „Willkür“ „frei“ genannt werden kann, „Wille“ betrifft keine „Handlungen“, sondern ist nur wie praktische Vernunft mit der Darlegung von Moralgesetzen beschäftigt. Kants Deutung der Weise, in der wir „praktische Freiheit“ in Beziehung zu Erfahrung wahrnehmen müssen, lautet wie folgt: Jede „Ursache“ hat ein „Vermögen“, das auch „Kausalität“ genannt werden kann, deren „Vermögen“ zwangsläufig mit der nachfolgenden Erscheinung einer bestimmten „Wirkung“ verbunden ist; und das Gesetz dieser Verbindung wird der „Charakter“ der Ursache genannt. Der Übergang von der „Kausalität“ zur „Wirkung“, wie er auch immer wahrgenommen wird, wird die „Handlung“ der Ursache genannt. In der „natürlichen Verursachung“ ist die „Kausalität“ jeder Ursache nun auch eine Wirkung einer vorherigen Ursache usw. ad infinitum; und die „Handlung“ ist daher bloß ein Übergang in der Zeit. Aber für jedes natürliche Objekt müssen wir auch annehmen, dass es eine intelligible Basis gibt; und es gibt keinen Widerspruch darin, diese intelligible Basis als Ursache (in einem anderen Sinn) der „Kausalität“ des natürlichen Objekts anzuerkennen. Aber die intelligible Basis ist als solche keineswegs „zeitlichen Bedingungen“ unterworfen; und daher ist ihre „Handlung“, die „Kausalität“ zu erzeugen, die ihre Erscheinung ist, kein Zeitübergang. Daher kann nicht gesagt werden, dass sie zu jeder Zeit „zu handeln beginnt“, obwohl ihre Wirkung, d.€h. die „Kausalität“ des natürlichen Objekts, einen Anfang hat. Somit ist sie die ursprüngliche Ursache einer Erscheinung, die auf einer anderen Seite auch eine Wirkung einer bestimmten Ursache ist und wiederum Ursache anderer Erscheinungen. Sie beginnt „von sich aus“ eine Reihe von Ereignissen in der Zeit, ohne selbst zu handeln zu beginnen. Außer der Ambiguität des Wortes „Ursache“, wie es auf ein intelligibles Objekt angewendet wird, und außer dem Fehlen von Konstanz bezüglich fast aller seiner Begriffe, von denen viele das eine Mal unterschieden wer25 26
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€524. Vgl. Metaphysik der Sitten. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€524. Vgl. Metaphysik der Sitten.
Freiheit
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den und bei anderen Gelegenheiten als Synonyme gebraucht werden (z.€B. Kausalität = Charakter = Handlung), scheint es so weit keinen Grund zu geben, etwas gegen Kants Darlegung einzuwenden. Aber es ist eine Darlegung, die auf irgendein natürliches Objekt zutreffen würde, und wir müssen nun betrachten, ob es in der besonderen Bedeutung des menschlichen Willens zutrifft. Oben (S.€15) habe ich einen Absatz Kants zitiert,27 in dem er sagt, „der Mensch [...] erkennt sich selbst“, nicht nur in seinem Sinn, sondern „auch durch bloße Apperzeption, und zwar in Handlungen und inneren Bestimmungen, die er gar nicht zum Eindrucke der Sinne zählen kann, und ist sich selbst freilich einesteils Phänomen, anderenteils aber, nämlich in Ansehung gewisser Vermögen, ein bloß intelligibler Gegenstand, weil die Handlungen desselben gar nicht zur Rezeptivität der Sinnlichkeit gezählt werden können. Wir nennen diese Vermögen Verstand und Vernunft [...]“ Und er fährt fort zu sagen, dass Vernunft vor allem als Fähigkeit eines übersinnlichen Wesens erscheint. Danach wird uns gesagt, dass die Imperative, die durch „sollen“ ausgedrückt werden, verdeutlichen, dass „diese Vernunft nun Kausalität habe, wenigstens wir uns eine dergleichen an ihr vorstellen“. Und schließlich haben wir folgenden Satz: „Dieses Sollen nun drückt eine mögliche Handlung aus, davon der Grund nichts anderes, als ein bloßer Begriff ist; da hingegen von einer bloßen Naturhandlung der Grund jederzeit eine Erscheinung sein muß.“ In diesem Abschnitt wird uns, denke ich, das volle Ausmaß gezeigt, welches der Fehler, praktische Freiheit auf vernünftige Wesen zu beschränken, zusammen mit den Verwirrungen, auf die diese Beschränkung gründet, hat. Eine Ambiguität tritt im letzten Satz auf; und sie ist sehr wichtig, da es scheint, dass sie Anlass zu vielen falschen Vorstellungen von dem gegeben hat, was Kant mit Freiheit meinte. Dieser Satz drückt in einer antithetischen Form den Unterschied zwischen „freier“ und „natürlicher“ Kausalität aus – von denen er wiederholt sagt, sie seien die einzigen beiden möglichen Arten von Verursachung. Die erste unterscheidet sich dadurch, dass ihre Grundlage ein bloßer Begriff ist; während die Grundlage der zweiten immer eine Erscheinung ist. Aus der obigen Darlegung über die transzendentale Freiheit geht hervor, in welchem Sinn ich diese Beschreibung der freien Kausalität akzeptiere. Eine freie Ursache muss uns zwangsläufig als ein logischer Grund, und insofern als „ein bloßer Begriff“, erscheinen, da 27
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€533.
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sie als solches sich uns nicht als ein Objekt der Anschauung darstellt. Sie ist immer universell; und obwohl wir wissen können, dass sie auch eine Einzelne sein muss, können wir sie nicht als beide Charaktere vereinend erfahren. Aber aus dem, was Kant im vorgehenden Rahmen sagt, und auch aus seiner Darlegung des Willens an anderen Stellen geht offensichtlich hervor, denke ich, dass er nicht an „einen bloßen Begriff“ in diesem Sinn denkt. Wenn unser Wille als etwas hervorgehoben wird, das eine bestimmte Art der Kausalität hat, insofern er „der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln [...] bestimmen“28 kann, zeigt Kant, was es ist, woran er denkt. Der „bloß Begriff“ in der einzigen berechtigten Bedeutung für Freiheit würden die Gesetze selbst sein und nicht die „Vorstellung“ der Gesetze. Jeder „Begriff“ kann aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden, entweder als psychische Existenz oder aus dem Blickwinkel seines Inhalts; und dies ist eine sehr wichtige (und offensichtliche) Unterscheidung, die, so scheint es, von Kant vernachlässigt wurde. Wenn die Verursachung, die durch die Vorstellung eines Begriffs ausgeübt wird, ausreichend wäre, Freiheit zu belegen, würde Freiheit nicht mehr als jener Aspekt jedes mechanischen Prozesses sein, der oben als die einzig genaue Bedeutung, die der Freiheit zugeteilt werden kann, unterschieden worden ist, auf Grundlage der allgemeinen Ansicht, die Objekte der Erfahrung als real betrachtet; und so würde es noch nicht einmal den Anschein eines Konflikts zwischen ihr und der natürlichen Kausalität geben. Denn es sind „Vorstellungen“, von denen Kant wiederholt behauptet, dass Objekte der Erfahrung auf sie reduziert werden, wenn sie, wie er sagt, dass sie derart angesehen werden müssen, als Erscheinungen angesehen werden. Eine Erscheinung ist eine „bloße Vorstellung“, und nur zwischen einer solchen werden kausale Gesetze gelten. Es würde daher keinen Unterschied geben zwischen „einer Handlung, deren Grundlage nicht mehr als“ die Vorstellung „eines Begriffs“ wäre, und einer Handlung, deren Grundlage „immer eine Erscheinung sein muss“: Denn die Vorstellung von irgendetwas ist als solches eine Erscheinung. Kant selbst scheint dies in einem Absatz des „Kanons der reinen Vernunft“ zu erkennen, in dem er genau aus diesem Grund zu einem fast direkten Widerspruch gegenüber dem, was er im oben genannten Kontext sagt, gezwungen wird. In diesem Abschnitt sagt er: „Die praktische Freiheit kann durch Erfahrung bewiesen werden. Denn, nicht bloß das, was reizt, d.€i. die Sinne unmit28
Immanuel Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Hamburg: Meiner, 1994, S.€50.
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telbar affiziert, bestimmt die menschliche Willkür, sondern wir haben ein Vermögen, durch Vorstellungen von dem, was selbst auf entferntere Art nützlich oder schädlich ist, die Eindrücke auf unser sinnliches Begehrungsvermögen zu überwinden; diese Überlegungen aber von dem, was in Ansehung unseres ganzen Zustandes begehrungswert, d.€i. gut und nützlich ist, beruhen auf der Vernunft. Diese gibt daher auch Gesetze, welche Imperative, d.€i. objektive Gesetze der Freiheit sind, und welche sagen, was geschehen soll, ob es gleich vielleicht nie geschieht, und sich darin von Naturgesetzen, die nur von dem handeln, was geschieht, unterscheiden [...]“29 Er fährt mit dem Vorschlag fort, dass aus einer weiter gefassten Sichtweise das, was hier als Freiheit erscheint, als Natur gesehen werden könnte (für einen Teil seiner Aussage würde dies gewiss zutreffen), aber dies, sagt er, ist eine spekulative, hier irrelevante Frage. Schließlich äußert er Folgendes: „Wir erkennen also die praktische Freiheit durch Erfahrung, als eine von den Naturursachen, nämlich eine Kausalität der Vernunft in Bestimmung des Willens, indessen daß die transzendentale Freiheit eine Unabhängigkeit dieser Vernunft selbst (in Ansehung ihrer Kausalität, eine Reihe von Erscheinungen anzufangen,) von allen bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt fordert, und sofern dem Naturgesetze, mithin aller möglichen Erfahrung, zuwider zu sein scheint, und also ein Problem bleibt. Allein vor die Vernunft im praktischen Gebrauche gehört dieses Problem nicht [...] Die Frage wegen der transzendentalen Freiheit betrifft bloß das spekulative Wissen, welche wir als ganz gleichgültig beiseite setzen können, wenn es um das Praktische zu tun ist [...]“30 In diesem Abschnitt drückt Kant nun sehr gut aus, was das Charakteristische des menschlichen Willens ist; und seine Definitionen des „Willens“ sind fortdauernd in dieser Weise dargestellt. Der Wille unterscheidet sich von anderen Fällen natürlicher Verursachung, insofern in ihm die „Vorstellung“ von etwas, das noch nicht real ist, dazu neigt, die Realisation dieses Dinges zu veranlassen; und er mag Recht haben, wenn er sagt, dass dieser Prozess „auf der Vernunft beruht“, da eine Idee von irgendetwas, sei es real oder imaginär, zu haben, jenes Denkvermögen voraussetzt, das den Menschen vom Tier und noch mehr von der unbelebten Natur unterscheidet. Doch mehr als dieses ist in diesem bestimmten Fall, den Kant als einziges wirklich „moralisches“ Wollen ansieht, bei dem die Vorstellung, die als Ursache handelt, die Vorstellung der Konformität zu einem 29 30
Meine Hervorhebung bei „Vorstellungen“. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€726. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€726€f.
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Universalgesetz ist, der Inhalt der Vorstellung so abstrakt, dass tatsächlich angenommen werden kann, dass nur vernunftbegabte Wesen fähig sind, eine solche Vorstellung zu haben. Doch trotzdem ist die Vorstellung selbst hier noch „eine Erscheinung“ und als solche durch eine unüberbrückbare Kluft vom Inhalt getrennt, von dem sie eine Vorstellung ist. Und insofern es in dem Wesen einer Vorstellung liegt, d.€h. als eine psychische Existenz, dass sie eine Wirkung hervorruft, ist die Verursachung immer noch bloß „natürlich“. Dies erkennt, wie wir gesagt haben, Kant im vorliegenden Abschnitt vollkommen. Aber es ist umso bemerkenswerter, dass er von Vernunft in demselben Kontext wie „das Geben von Gesetzen der Freiheit“, als wäre es Vernunft in demselben Sinn, die der Ursprung der Objektivität einerseits und abstrakter Vorstellungen, ob wahr oder falsch, andererseits ist. Hierbei verrät Kant den oben erwähnten zu psychologischen Standpunkt, den er niemals im Behandeln epistemologischer Fragen völlig aufgegeben zu haben scheint, trotz der großen Dienste, die er der Erkenntnistheorie und auch der Metaphysik der Sitten und anderen Stellen erwiesen hat. Er liefert, so scheint mir, mehr Material für eine zutreffende Ansicht als andere und dieses auch in einem wunderbar aufbereiteten Zustand, aber trotz allem ist es bei ihm noch belastet und vermengt mit unbedeutenden Fragen, sein Verdienst war es dieses für andere offenzulegen. Es ist vielleicht unmöglich, auf den Begriff „vernünftig“ für das, was wahr oder objektiv ist, zu verzichten, besonders nach seiner vollständigen Übernahme durch Hegel; doch es ist äußerst wichtig, zu vermeiden, das „Vernünftige“ in diesem Sinn, der der wesentliche für Kants System ist, mit dem „Rationalen“ in dem Sinn zu verwechseln, der das psychologische Vermögen beinhaltet, Urteile zu fällen und Folgerungen zu ziehen. Die Unterscheidung zwischen dem, was wahr ist, und dem, was nur geglaubt wird (obwohl nur ein „rationales“ Wesen glauben kann) kann weder weggeräumt noch übergangen werden, wie klein die Menge dessen auch sein mag, was wir annehmen können zu wissen, im Vergleich zur Menge dessen, was wir bereit sein müssen zu glauben; und es ist diese Unterscheidung, die hier in Frage gestellt wird. Wissen, die Aufgabe des Verstandes, ist einerseits eine natürliche Funktion und als solche nicht unterscheidbar von Glauben; aber insofern Wissen verschieden von Glauben ist, d.€h. insofern das, was gewusst wird, wahr ist, gibt es keine zwei Worte, die einen tieferen Unterschied ausdrücken. Wenn Kant von der einzig wahren Moral als auf den Gesetzen, die die Vernunft sich selbst gibt, basierend spricht, zeigt der gesamte Verlauf seines Werks, dass er Gesetze meint, die uns wirklich sagen, was getan werden soll; es ist tatsächlich nur diese Voraussetzung, auf der er für sie Universalität geltend machen
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konnte.31 In diesem Sinn „bestimmt die Vernunft den Willen“, wenn immer die Vorstellung, die die Ursache für unsere Handlung ist, eine Vorstellung dessen ist, was wirklich gut ist. Aber nur in einem völlig anderen Sinn kann von der „Vernunft“ gesagt werden, dass sie „den Willen bestimmt“, wann immer die Vorstellung, die unsere Handlungen verursacht, das Vermögen der Abstraktion beinhaltet. Und nur in diesem zweiten Sinn kann gesagt werden, dass eine solche Bestimmung des Willens „praktische Freiheit“ genannt werden kann, die von „transzendentaler Freiheit“ unabhängig ist. So erkennt Kant selbst, wie wir gesagt haben, dass „auf diese transzendentale Idee der Freiheit sich der praktische Begriff derselben gründe“32; und indem er von Freiheit „als eines der Vermögen, welche die Ursache von den Erscheinungen unserer Sinnenwelt enthalten“33, d.€h. als praktischer im Gegensatz zu transzendentaler Freiheit, spricht, erklärt er, dass wir nicht hoffen können, ihre Wirklichkeit in der Erfahrung herzustellen, „indem wir aus der Erfahrung niemals auf etwas, was gar nicht nach Erfahrungsgesetzen gedacht werden muß, schließen können“34. Und dieses scheint ausreichend, um seiner Aussage im „Kanon“ zu widersprechen, dass wir „die praktische Freiheit durch Erfahrung, als eine von den Naturursachen, [kennen]“ und dass man für „die Vernunft im praktischen Gebrauche“ das Problem der transzendentalen Freiheit „als ganz gleichgültig beiseite setzen“ kann. Daher hat Kant den rein natürlichen Prozess des menschlichen Willens mit seinem transzendentalen Aspekt, der allein uns berechtigt, dem Menschen „praktische Freiheit“ zuzuschreiben, verwechselt; und es beruht ausschließlich auf dieser Verwechslung, auf der die besondere Stellung, die er dem Menschen als „freies“ Agens zuweist, zu gründen scheint. Es ist wahr, dass der Inhalt der Vorstellung, die als Ursache im Willen handelt, sich von dem Inhalt jeder anderen natürlichen Ursache unterscheidet; aber dieser Inhalt ist nur eine Form der Ursache, und der Formunterschied ist etwas, das keineswegs die eine natürliche Ursache mehr oder weniger der anderen natürlichen Ursache voraus hat. Es scheint mir, dass Kant tatsächlich sich ausreichend gegen Missverständnisse hinsichtlich dieses Punktes durch die 31 32 33 34
Dies ist die Grundlage für Kants Unterscheidung zwischen dem kategorischen Imperativ oder dem objektiven Gesetz und der bloßen Maxime oder dem subjektiven Prinzip. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€523. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€541. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€541. Hervorhebung durch Moore [A.€d.€Ü.].
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Strenge geschützt hat, mit der er den Versuch zurückweist, jenes als früher in der Zeit wahrzunehmen, das, falls es den Willen bestimmt, zeigt, dass der Wille „praktisch frei“ ist. In dieser Zurückweisung ist er völlig konsequent. „Die Handlung nun“, sagt er, „sofern sie der Denkungsart“, (Denkungsart wurde kurz zuvor als „intelligibler Charakter“ beschrieben), „als ihrer Ursache, beizumessen ist, erfolgt dennoch daraus gar nicht nach empirischen Gesetzen, d.€i. so, daß die Bedingungen der reinen Vernunft, sondern nur so, daß deren Wirkungen in der Erscheinung des inneren Sinnes vorhergehen.“35 Anders gesagt, das, was als Voraussetzung betrachtet werden soll, oder, wie Kant es nennt, die Ursache der Handlung, insofern diese Handlung praktische Freiheit aufweist, geht der Handlung innerhalb der Zeit nicht voraus. Der Handlung geht nur die Folge voraus, oder, wie Kant es nennt, die Wirkung dieser „intelligiblen“ Voraussetzung; und folglich könnte gesagt werden, dass die Handlung selbst aus der Voraussetzung „folgt“, wie eine Schlussfolgerung aus Prämissen folgt, aber dass sie ihr nicht der Zeitordnung nach folgt (vgl. oben, S.€28). Nun ist im Fall der moralischen Handlung diese „Wirkung“, die die Handlung hervorruft, die Vorstellung des moralischen Gesetzes; und die intelligible Voraussetzung dieser Wirkung ist das moralische Gesetz selbst. Kant selbst gestattet, dass diese Wirkung oder Vorstellung immer im menschlichen Willen vorhanden sein muss; und das, was ich feststellen möchte, besteht darin, dass dies alles ist, was die Untersuchung des menschlichen Willens jemals als vorhanden zeigen kann. Ich habe die Verwechslung untersucht, auf der Kants gegenteilige Ansicht zu gründen scheint, dass das Gesetz selbst irgendwie durch eine Untersuchung des Willens erlangt werden kann, dass es durch „reinen Willen“ oder „praktische Vernunft“ gegeben ist; und diese Verwechslung scheint ausreichend, um die Ansicht zu erklären und zu zeigen, dass sie für Kant zumindest unbegründet war. Es bleibt nur, eine positive Zusammenfassung der Gründe gegen die Rechtmäßigkeit jeder solchen Sichtweise zu geben. Der fragliche Punkt besteht darin, ob „Wille“ überhaupt anders als eine Form der „Aktivität“ verstanden werden kann und ob, falls es eine Aktivität ist, er nicht als wesentlich durch die Zeit bedingt wahrgenommen werden muss, und daher in Kants Sprache als bloße „Erscheinung“. Falls es eine bloße „Erscheinung“ ist, ist der Begriff des „reinen Willens“ Unsinn; und „Wille“ kann nicht als eine Eigenschaft von irgendetwas Realem – weder Gott noch einem transzendentalem Ich – zugeschrieben werden. 35
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€536€f.
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Dass „Wille“ eine Art der „Aktivität“ ist, ist, so nehme ich an, niemals bestritten worden. Kant selbst weist uns, wie wir gesehen haben, für unsere Vorstellung des reinen Willens auf die reine Aktivität des Ichs hin. Über was diskutiert wird, besteht darin, ob zumindest psychische Aktivität nicht als grundlegend real angesehen werden kann. Unsere Behauptung besagt, dass sie nicht so sein kann, weil sie unvorstellbar ist, außer dass sie Platz in der Zeit einnimmt. Dass Zeit selbst nicht als grundlegend real angesehen werden kann, ist von Kant selbst stets angeführt worden, und in der Tat hat er den Versuch eines Beweises unternommen. Inwieweit sein Beweis befriedigend und ob, falls er unbefriedigend ist, irgendein anderer Beweis zu erwarten ist, ist eine zu umfassende Frage, um vollständig hier besprochen zu werden. Ich kann nur sagen, dass die Argumente, die Bradley bemüht hat, um die Unwirklichkeit der Zeit zu beweisen, mir vollkommen schlüssig erscheinen. Es bleibt nun die Frage, ob wir zeitlose Aktivität nicht wahrnehmen können; denn es ist jene, auf die uns Kant für seine Rechtfertigung der Vorstellung des „reinen Willens“ hinweisen muss. Dass ein solches Konstrukt sehr schwierig zu behaupten ist, scheint aus Lotzes Versuch deutlich hervorzugehen;36 er nimmt an, dass psychische Aktivität die wesentliche Realität ist, und sieht sich in der Folge gezwungen, sehr gegen seinen Willen, die letztendliche Realität der Zeit anzuerkennen.37 Und wir haben gesehen, dass Kant nichts Gültiges dazu zu sagen hat. Es ist eine Vorstellung, die anscheinend auf einer Kombination der Vorstellung der kausalen Abhängigkeit zwischen empirischen Dingen in der Zeit mit jener der logischen Abhängigkeit beruhen würde. Beides sind notwendige Verbindungen, aber in dem einen Fall zwischen Dingen und in dem anderen zwischen Ideen. Dass die Beziehung der Realität zur Erscheinung oder die Wechselbeziehung von Realitäten als jene einer logischen Notwendigkeit wahrgenommen werden muss, die sich durch die Tatsache ändert (auf eine Weise, die wir nicht verstehen können, da wir keine intelligible Anschauung haben), dass sie dort zwischen Dingen besteht, ist oben festgestellt worden. Und falls diese Beziehung alles ist, was „reine Aktivität“ bedeutet, scheint es keine Einwände hinsichtlich der Vorstellung zu geben; „Aktivität“ scheint nur eine falsche Bezeichnung dafür zu sein, genau wie Kants „Kausalität“ für dieselbe Vorstellung dazu neigt, Verwirrung entstehen zu lassen. Falls irgendetwas anderes damit gemeint ist, wäre es wünschenswert, dass man es vorbringt, damit die Möglichkeit 36 37
Metaphysik, §Â€156. Siehe meinen Aufsatz über „Zeit“ in Mind n.â•›s., 22, S.€240.
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besteht, es zu diskutieren. In der Zwischenzeit muss ich mich damit begnügen, den Sachverhalt auf folgendem Ergebnis beruhen zu lassen: Dass falls die logische Beziehung von Grund und Folge, als synthetische angesehen, d.€h. zwischen zwei realen Objekten bestehend,38 so verstanden werden soll, dass sie durch den „Willen“ und der Art seiner „Aktivität“ hervorgerufen wird, dann könnte der reine „Wille“ tatsächlich die grundlegende Realität sein; doch sollte ich weiterhin einwenden, dass es besser wäre, dieses Wort für die bestimmte Vorstellung, die es üblicherweise vermittelt, beizubehalten, als es auf eine andere Vorstellung zu übertragen, welche lange einen ausreichend charakteristischen eigenen Namen hatte. Meine Schlussfolgerung lautet nun wie folgt: „Wille“ ist nur eine besondere Form der natürlichen Kausalität bzw. eines natürlichen kausalen Prozesses, in dem die Ursache von einer bestimmten Art ist. Es ist eine besondere Form natürlicher Kausalität, genau wie eine Explosion von Schießpulver, die durch ein Streichholz ausgelöst worden ist, eine besondere Form natürlicher Kausalität ist und eine Explosion von Dynamit, ausgelöst durch eine Erschütterung, eine andere Form. Das, was ich betonen möchte, besteht darin, dass eine freiwillige Handlung welcher Art auch immer, ob autonom oder heteronom, „Freiheit“ in dem Sinn zeigt, den ich bis jetzt als für Kants Vorstellung wesentlich erklärt habe, nicht mehr und nicht weniger als Schießpulverexplosionen oder irgendein anderer natürlicher Prozess. In der Tat scheint es merkwürdig, dass diese Folgerung aus seiner Lehre seiner Aufmerksamkeit und der anderer in diesem Maße entgangen sein soll. Denn er bestätigt wiederholt, dass wir für jede „Erscheinung“ einen intelligiblen Grund (das Ding an sich) annehmen müssen, und es ist genau diese Abhängigkeit der Ursache seiner Handlungen von einem intelligiblen Grund (dem transzendentalen Ich), die er als die „praktische Freiheit“ des Menschen bildend beschreibt. Des Weiteren ist selbst die Identität des Dings an sich und des transzendentalen Ichs von ihm vorgeschlagen und von anderen akzeptiert worden; obwohl dies notwendig wäre, um die Folgerung zu rechtfertigen, da die Abhängigkeit von einem intelligiblen Grund für praktische Freiheit selbst ausreichend ist. Wenn dies anerkannt wird, verschwindet „praktische“ Freiheit vollständig als etwas Intermediäres zwischen natürlicher Kausalität und transzendentaler Freiheit. Denn, wie Kant selbst sagt, ist nichts Intermediäres möglich; nur zwei Arten der Kausalität können überhaupt wahrge38
Siehe Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€51.
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nommen werden. Dann bedeutet „Freiheit“ für Kant nur „transzendentale Freiheit“, und „transzendentale Freiheit“ ist nicht „praktisch“ in dem Sinn, dass sie untrennbar mit „Handlung“ allein verbunden ist. Es trifft zu, dass Handlungen von „transzendentaler Freiheit“ abhängig sind, aber dies nur, da es die Beziehung ist, die zwischen den empirischen Ursachen dieser Handlungen und dem transzendentalen Grund solcher Ursachen besteht. Ob vernünftige Objekte Wirkungen hervorrufen und so ihr Recht verteidigen, als praktisch angesehen zu werden (wie sie es immer müssen), oder nicht, so würden sie gleichzeitig Ergebnisse „transzendentaler Freiheit“ sein. Das Maß, bis zu welchem Kant selbst gezwungen war, das unpraktische Wesen seines Freiheitskonzepts zu erkennen, ist deutlich in einem Abschnitt in Metaphysik der Sitten, auf den ich mich oben bezogen habe (S.€28). Er erklärt hier, dass „Wille“, den er bis dahin als identisch mit „reiner praktischer Vernunft“ angesehen hat und als das, was allein mit „Freiheit“ in seinem besonderen Sinn ausgestattet ist, weder als „frei“ noch als das Gegenteil bezeichnet werden kann, da er nicht „empfänglich für Zwang“ ist. Diese „Empfänglichkeit für Zwang“ beinhaltet eine Abhängigkeit vom Naturgesetz, und als so abhängig, erklärt er, dass die menschliche „Willkür“ „frei“ genannt werden kann. Daher scheint es, dass er hier erkannt hat, dass „Handlung“ nur als ein Zeitprozess wahrgenommen werden kann; tatsächlich sagt er, dass „Wille“ sich nicht auf „Handlungen“ bezieht; und dies ist nur, weil er sieht, dass er sich von der üblichen Verwendung von „Freiheit“ zu weit entfernen würde, wenn er sie von der Handlung abtrennt, dass er nun dem „Willen“ Freiheit verweigert. Die Tatsache besteht darin, dass sich seine vorherige Lehre bereits weiter von der üblichen Verwendung entfernt hat, als ihm selbst bewusst war; und daraus ergibt sich die Widersprüchlichkeit, mit der er nun versucht, diese Unstimmigkeit zu beheben. Der richtige Weg, diese Schwierigkeit zu meistern, wäre gewesen, wie bereits hervorgehoben, auf seiner Bedeutung der Freiheit als der richtigen zu bestehen und die besondere Verbindung, die er bis dahin zwischen ihr und dem menschlichen Willen festgestellt hat, aufzugeben: Zu erkennen, dass „Willkür“ eine bloße „Erscheinung“ wäre und daher nicht „frei“, und dass das, was frei wäre, noch nicht einmal so viel Verbindung zur Willenskraft hätte, dass es den Namen „Wille“ verdiente. Es würde dann deutlich das Problem hervortreten, das für die Kantische Ethik bleibt – wie man eine gültige Verbindung zwischen dem Begriff der transzendentalen Freiheit und dem des höchsten Zwecks oder Gutes herstellt.
Kapitel 3 Das Wesen des Urteils Erstveröffentlichung in Mind n.â•›s. 8 (April 1899), S.€176–193. Vortrag für die Aristotelian Society.
„W
ahrheit und Falschheit“, sagt Bradley (Logic, S.€2), „hängen von der Beziehung unserer Ideen zur Realität ab.“ Und er fährt sofort mit der Erklärung fort, dass in seiner Aussage „Ideen“ nicht als bloße „Zustände des Geistes“ verstanden werden dürfen. Die Ideen, sagt er, von deren Beziehung zur Realität Wahrheit abhängt, sind „bloße Ideen, Zeichen einer Â�Existenz, die anders ist, als sie selbst es sind“, und dieser Aspekt von ihnen darf weder mit ihrer Existenz in meinem Geist noch mit ihrem bestimmten Wesen, das als so existierend ihr Inhalt genannt werden kann, verwechselt werden. „Für die Logik zumindest“, sagt er, „sind alle Ideen Zeichen“ (S.€5) und „ein Zeichen ist jede Tatsache, die eine Bedeutung hat“, und: „Bedeutung besteht aus einem Teil des Inhalts (originär oder erworben), der abgetrennt ist, im Verstand verankert und neben der Existenz des Zeichen betrachtet wird“ (S.€4). Aber Bradley selbst bleibt dieser Begriffsverwendung der logischen Idee als der Idee von etwas nicht treu. Als solche ist sie tatsächlich nur eine psychologische Idee, mit dem verbunden, was sie bezeichnet, aber nur mit diesem verbunden. Folglich erachtet er es später als notwendig, „Idee“ nicht als Symbol zu verwenden, sondern als Symbolisiertes. Ideen als Bedeutungen nicht als „Tatsachen, die eine Bedeutung haben“, sagt er (S.€8), „sind die Ideen, von denen wir sprachen, als wir sagten, ‚ohne Ideen kein Urteil‘.“ Und er zeigt weiter, dass „wir in der Aussage keine geistige Tatsache verwenden, sondern nur die Bedeutung“; obwohl, als er sagte, „ohne Ideen kein Urteil“, seine Worte lauteten: „Wir können nicht urteilen, wenn wir nicht Ideen als Ideen verwenden. Wir müssen uns bewusst geworden sein, dass sie keine Realitäten sind, dass sie bloße Ideen sind, Zeichen einer Existenz, die anders ist, als sie es selbst sind.“ Es würde nun offensichtlich erscheinen, dass seine Theorie zunächst besagt, dass wir in der Aussage eine geistige Tatsache verwenden, obwohl nur als Zeichen, während dann seine Lehre besagt, dass wir die geistige Tatsache selbst als Zeichen nicht verwenden, sondern nur
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das, was sie bezeichnet. Diesen wichtigen Unterschied tut er mit dem Satz ab: „Doch ist es besser zu sagen, die Idee ist die Bedeutung.“ Die Frage ist gewiss nicht, was „besser zu sagen“ ist, sondern was zutreffend ist. Nun habe ich Bradleys Argument, dass „die Idee im Urteil eine Universalbedeutung ist“, nichts hinzuzufügen. Es erscheint mir gegenüber jenen schlüssig zu sein, deren es zu viele gegeben hat, die die Idee als einen geistigen Zustand behandelt haben. Aber er scheint mir von demselben Fehler wie jene betroffen zu sein, ähnlich seinem anfänglichen Versäumnis, deutlich zu unterscheiden, ob es das Symbol oder das Symbolisierte ist, von dem er spricht, und in seiner Schlussbeschreibung der „Idee als Bedeutung“, bei der er eindeutig zu ihren Gunsten entschieden hat. „Eine Bedeutung“, sagt er, wie wir oben gesehen haben, „besteht aus einem Teil des Inhalts (originär oder erworben), der abgetrennt ist, im Verstand verankert und neben der Existenz des Zeichen betrachtet wird.“ Und wieder, „eine Idee ist, wenn wir Idee der Bedeutung verwenden, weder gegeben noch vorgestellt, sondern angenommen“ (S.€8). Wenn „die Universalbedeutung“ tatsächlich so einfach ein Teil des Inhalts unserer eigenen Ideen als geistige Zustände wäre und dieser auch ein durch unseren Geist „abgetrennter“ Teil, würde es verständlich sein, dass von „Wahrheit und Falschheit“ weiterhin gesagt werden sollte, dass sie „von der Beziehung unserer Ideen zur Realität abhängen“. Aber es wird im Gegenteil unsere Aufgabe sein zu zeigen, dass die „im Urteil verwendete Idee“ kein Teil des Inhalts unserer Ideen ist oder durch eine Handlung unseres Verstandes hervorgerufen wird und dass folglich Wahrheit und Falschheit nicht von der Beziehung unserer Ideen zur Realität abhängen. Ich werde im Folgenden den Ausdruck „Begriff“ für das benutzen, was Bradley eine „Universalbedeutung“ nennt; da der Ausdruck „Idee“ offensichtlich durch viele Mehrdeutigkeiten geprägt ist, während „Begriff“ für die entsprechende Verwendung umfassender bestimmt worden ist. In der Tat gibt es eine große Ähnlichkeit zwischen Kants Beschreibung seines „Begriffs“ und Bradleys „logischer Idee“. Auch für Kant ist es die „analytische Einheit des Bewußtseins“, die eine „Vorstellung“ oder „Idee“ zu einem „conceptus communis“ oder einem „gemeinsamen Begriff“ machen. Es ist unser Ziel, gegen diese Beschreibung eines Begriffs als eine „AbstrakÂ� tion“ von Ideen Einwände vorzubringen.
Moore verwendet im Englischen den Ausdruck „concept“ und verweist auf die deutsche Entsprechung „Begriff“. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€143b.
Das Wesen des Urteils
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Bradleys Lehre setzt voraus, wie oben kurz beschrieben, dass, wenn ich eine Idee (Vorstellung) von etwas habe, dieses Etwas selbst Teil des Inhalts meiner Idee ist. Dieser Aussage bin ich zunächst bereit zuzustimmen; meine Frage lautet nun, ob, wenn ich eine Idee von etwas habe, dieses Etwas nicht auch als etwas anderes als ein Teil des Inhalts meiner Idee betrachtet werden muss. Der Inhalt einer Idee ist, so sagt uns Bradley, was die Idee ist; es ist „eine Eigenschaft, die verschieden oder unterscheidbar von anderen“ Ideen ist, die als geistige Tatsachen behandelt werden. Bevor ich nun überhaupt Bradleys Theorie beurteilen kann, muss ein Teil dieser Eigenschaft „abgetrennt und im Verstand verankert sein“. Aber meine Frage lautet, ob wir auf diese Art einen Teil der Eigenschaft unserer Ideen abtrennen und diesen Teil etwas anderem zuweisen können, wenn wir nicht bereits, zumindest teilweise, wissen, was diese Eigenschaft der Idee ist, von der wir den entsprechenden Teil abtrennen sollen. Wenn nicht, dann haben wir hinsichtlich der Eigenschaft unserer Idee bereits ein Urteil gefällt. Aber dieses Urteil bedarf wiederum laut Bradleys Theorie, dass ich eine Idee meiner Idee gehabt und bereits einen Teil des Inhalts jener sekundären Idee abgetrennt haben sollte, damit ich ein Urteil hinsichtlich der Eigenschaft der primären Idee, welche hier behandelt wird, fällen kann. Und genauso ist es völlig ausgeschlossen, dass ich wissen könnte, was der Inhalt meiner sekundären Idee ist, wenn ich ihn nicht seinerseits zum Objekt einer dritten Idee gemacht habe, indem ich einen Teil dieses tertiären Inhalts nehme, usw. ad infinitum. Daher scheint die Theorie eine Vollendung einer unendlichen Anzahl von psychologischen Urteilen zu verlangen, bevor überhaupt irgendein Urteil gefällt werden kann. Doch solch eine Vollendung ist unmöglich; und daher ist überhaupt ein Urteil gleichermaßen unmöglich. So folgt, wenn wir diese Absurdität vermeiden wollen, dass „die im Urteil verwendete Idee“ etwas anderes als ein Teil des Inhalts einer meiner Ideen sein muss. Bradleys Theorie setzt voraus, dass ich zwei Ideen haben kann, die einen Teil ihres Inhalts gemeinsam haben; aber er würde uns zugleich nötigen, diesen gemeinsamen Teil des Inhalts als Teil des Inhalts einer dritten Idee zu beschreiben. Was aber gewinnt man durch solch eine Beschreibung? Wenn der Teil des Inhalts dieser dritten Idee nur ein Teil in demselben Sinn ist, so wie der gemeinsame Teil der beiden anderen ein Teil von jeder von ihnen ist, dann biete ich eine Erklärung, die das voraussetzt, was erklärt werden soll. Während es, falls der Teil, der in der Erklärung verwendet wird, ein Teil in dem einzigen Sinn, der meiner Erklärung Bedeutung verleiht, d.€h. aus ihr einen existenten Teil macht, schwierig zu erkennen ist, wie das, was zu der einen Idee gehört,
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auch zu anderen Ideen gehören kann und doch ein und dasselbe bleibt. Kurz gesagt, die im Urteil verwendete Idee ist tatsächlich eine „Universalbedeutung“; aber aus diesem Grund kann sie nicht als Teil des Inhalts irgendeiner psychologischen Idee beschrieben werden. Diese Schwierigkeiten, die von der gleichen Art sind wie das berühmte τρίτος ἄθρωπος, das gegen die hypostasierten platonischen Ideen vorgebracht wurde, rühren zwangsläufig davon her, dass man den Begriff mit Hilfe einer existenten Tatsache, ob nun geistig oder von einer anderen Art, zu erklären versucht. Alle derartigen Erklärungen setzen das Wesen des Begriffs voraus als eine Gattung für sich, auf nichts anderes reduzierbar. Der Begriff ist weder eine geistige Tatsache noch irgendein Teil einer geistigen Tatsache. In jeder Argumentation wird Inhaltsübereinstimmung vorausgesetzt; und die Inhaltsübereinstimmung zwischen zwei Tatsachen zu erklären, indem man annimmt, dass dieser Inhalt ein Teil des Inhalts einer dritten Tatsache ist, muss in einen Teufelskreis führen. Denn damit der Inhalt der dritten Tatsache seine Aufgabe erfüllen kann, muss er bereits angenommen werden wie die Inhalte der beiden anderen, d.€h. dass er etwas mit ihnen gemein hat, und eben diese Inhaltsgemeinsamkeit ist es, die erklärt werden sollte. Wenn ich daher sage, „diese Rose ist rot“, weise ich weder einen Teil des Inhalts meiner Idee der Rose zu noch Teile des Inhalts meiner Ideen von Rose und rot gemeinsam einem dritten Subjekt. Was ich feststelle, ist eine spezielle Verbindung bestimmter Begriffe, die den Gesamtbegriff „Rose“ mit den Begriffen „diese“, „jetzt“ und „rot“ bildet; und das Urteil ist wahr, wenn eine solche Verbindung existent ist. Ähnliches gilt, wenn ich sage, „die Chimäre hat drei Köpfe“, so ist die Chimäre weder eine Idee in meinem Verstand noch ein Teil einer solchen Idee. Was ich ausdrücken möchte, hat nichts mit meinen geistigen Zuständen zu tun, sondern mit einer speziellen Verbindung der Begriffe. Wenn das Urteil falsch ist, dann nicht deshalb, weil meine Ideen nicht mit der Realität übereinstimmen, sondern weil eine derartige Verbindung der Begriffe nicht unter den existenten zu finden ist. Hiermit haben wir uns nun dem Wesen einer Proposition oder eines Urteils genähert. Eine Proposition weder aus Worten noch aus Gedanken zusammengesetzt, sondern aus Begriffen. Begriffe sind mögliche Gedankenobjekte; aber dies ist keine Definition von ihnen. Es besagt nur, dass sie mit einem Denker in Beziehung treten können; und damit sie dies tun können, müssen sie bereits etwas sein. Sie sind nicht fähig, sich zu ändern; und die Beziehung, die sie mit dem wissenden Subjekt aufnehmen, beinhaltet keine Handlung oder Reaktion. Es ist eine einzigartige Beziehung, die mit einer Änderung im Subjekt
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beginnen oder enden kann; aber der Begriff ist weder Ursache noch Wirkung einer solchen Ursache. Das Auftreten der Beziehung hat zweifelsohne seine Ursachen und Wirkungen, aber diese sind nur im Subjekt zu finden. Es sind solche Entitäten wie jene, aus denen eine Proposition gebildet ist. In ihr stehen gewisse Begriffe in einer bestimmten Beziehung zueinander. Und unsere Frage lautet nun, worin sich eine Proposition von einem Begriff unterscheidet, dass sie entweder wahr oder falsch sein kann. Auf den ersten Blick ist es verlockend zu sagen, dass die Wahrheit einer Proposition von ihrer Beziehung zur Realität abhängt, dass jede Proposition wahr ist, die aus einer Kombination von Begriffen besteht, die tatsächlich existent ist. Diese Erklärung wurde in der Tat oben als eine einführende Erklärung verwendet (S.€42). Und es kann behauptet werden, dass Propositionen, bei denen dies der Fall ist, wahr sind. Aber wenn dies die Wahrheit einer Proposition darstellt, könnten Begriffe selbst auch wahr sein. Rot würde ein wahrer Begriff sein, weil es tatsächlich rote Dinge gibt; und umgekehrt würde Chimäre ein falscher Begriff sein, weil eine derartige Kombination unter existenten Dingen weder existiert hat noch existiert noch existieren wird (soweit uns bekannt ist). Aber die Theorie muss als eine abschließende zurückgewiesen werden, weil nicht alle wahren Propositionen diese Beziehung zur Realität haben: Zum Beispiel ist 2€+€2€=4 wahr, ob nun zwei Dinge existieren oder nicht. Darüber hinaus kann hier angezweifelt werden, ob von den Begriffen, aus denen die Proposition besteht, selbst jemals gesagt werden kann, dass sie existieren. Wir sollten unsere Vorstellung von Existenz über Intelligibilität hinaus ausdehnen, um anzunehmen, dass 2 jemals existent gewesen ist, ist oder sein wird. Es scheint tatsächlich aus diesem Beispiel hervorzugehen, dass eine Proposition nichts anderes als ein komplexer Begriff ist. Der Unterschied zwischen einem Begriff und einer Proposition, aufgrund dessen das Letztere allein als wahr oder falsch bezeichnet werden kann, scheint bloß in der Einfachheit des Ersteren zu liegen. Eine Proposition ist eine Synthese von Begriffen; und genau wie Begriffe selbst unveränderbar das sind, was sie sind, so stehen sie in unendlichen Beziehungen zu anderen gleichermaßen unveränderbaren. Eine Proposition besteht aus einer Anzahl von Begriffen in Verbindung mit einer bestimmten Beziehung unter ihnen, und gemäß der Art dieser Beziehung kann die Proposition entweder wahr oder falsch sein. Welche Art von Beziehung bewirkt, dass eine Proposition wahr ist, welche Art bewirkt, dass sie falsch ist, kann nicht weiter definiert werden, sondern muss unmittelbar erkannt werden.
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Und diese Beschreibung trifft ebenso auf jene Fälle zu, in denen ein Verweis auf Existenz aufzutreten scheint. Existenz selbst ist kein Begriff; es ist etwas, was wir meinen; und die große Gruppe der Propositionen, in denen Existenz mit anderen Begriffen oder Synthesen von Begriffen verbunden ist, ist einfach gemäß der Beziehung, in der sie zu ihnen steht, wahr oder falsch. Es wird nicht bestritten, dass dies ein besonders wichtiges Konzept ist, dass wir besonders darauf bedacht sind, zu wissen, was existiert. Es wird nur behauptet, dass Existenz der Wahrheit logisch untergeordnet ist, dass Wahrheit nicht mit einem Verweis auf Existenz definiert werden kann, sondern Existenz nur mit einem Verweis auf Wahrheit. Wenn ich sage, „dieser Vortrag existiert“, muss ich voraussetzen, dass diese Proposition wahr ist. Falls sie nicht wahr ist, ist sie unwichtig, und ich kann kein Interesse an ihr haben. Aber falls sie wahr ist, bedeutet dies nur, dass die Begriffe, die in bestimmten Beziehungen im Begriff dieses Vortrags verbunden sind, auch in einer bestimmten Weise mit dem Begriff der Existenz verbunden sind. Diese bestimmte Weise ist etwas, das unmittelbar gewusst wird, wie rot oder zwei. Sie ist äußerst wichtig, da wir so viel Wert auf sie legen; aber sie ist selbst ein Begriff. Alles, was existiert, ist so aus Begriffen zusammengesetzt, die notwendigerweise in bestimmten Weisen untereinander und genauso zum Begriff der Existenz in Beziehung stehen. Mir ist durchaus bewusst, wie paradox und gar verachtenswert diese Â�Theorie erscheinen muss. Doch scheint sie mir aus allgemein anerkannten Voraussetzungen hervorzugehen und nur aufgrund des Fehlens der logischen Konsequenz vermieden worden zu sein. Ich gehe von Bradleys Beweis aus, dass der Begriff für Wahrheit und Falschheit notwendig ist. Ich bemühe mich zu zeigen, was, so muss ich sagen, mir als vollkommen offensichtlich erscheint, dass der Begriff folgerichtig weder als etwas Existentes noch als Teil von etwas Existierendem beschrieben werden kann, da er in der Vorstellung von etwas Existentem vorausgesetzt wird. Es ist gleichermaßen unmöglich, dass Wahrheit von einer Beziehung zu existenten Dingen oder etwas Existentem abhängen sollte, da die Proposition, durch die sie so definiert ist, selbst wahr sein muss, und die Wahrheit dessen kann gewiss nicht ohne einen Teufelskreis hergestellt werden, indem man ihre Abhängigkeit von etwas Existentem zeigt. Doch Wahrheit scheint gewiss mindestens zwei Bedingungen zu beinhalten, und eine Beziehung zwischen ihnen; Falschheit beinhaltet dasselbe; und folglich würde bleiben, dass wir Wahrheit und Falschheit als Eigenschaften bestimmter Begriffe zusammen mit ihren Beziehungen ansehen – ein Ganzes, das wir Proposition nennen.
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Durchweg habe ich mich auf die Regeln der Logik berufen; und, falls jemand diese zurückweist, sollte ich auch nichts von seinen Argumenten zu befürchten haben. Sich auf die Tatsachen zu berufen, scheint zwecklos. Denn damit aus einer Tatsache die Basis für ein Argument gemacht werden kann, muss sie zunächst in die Form einer Proposition gesetzt werden, und darüber hinaus muss vorausgesetzt werden, dass diese Proposition wahr ist; und dann muss das Dilemma wieder auftreten, ob die Regeln der Logik angenommen oder zurückgewiesen werden sollen. Und wenn diese Regeln einmal angenommen worden sind, scheinen sie selbst eine Bestätigung unserer Theorie zu geben. Denn jede wahre Folgerung muss eine Folgerung aus einer wahren Proposition sein; und dass die Schlussfolgerung aus der Prämisse folgt, muss wieder eine wahre Proposition sein: Sodass es auch hier scheinen würde, dass das Wesen einer wahren Proposition das Letztgegebene ist. Auch die Berufung auf den „Gegenstand“ der Proposition ist nicht hilfreicher als die vorhergehende Berufung auf die Tatsachen. Es mag wahr sein, dass dieser Gegenstand in der Empfindung oder auf eine andere wahrnehmbare Weise gegeben ist. Wir beschäftigen uns nicht mit der Herkunft der Proposition, sondern mit ihrem Wesen; und ihr Wesen, wenn es eine wahre Proposition ergeben soll, muss, hier stimmen wir mit Bradley überein, das Wesen eines Begriffs und nichts anderes sein: Und dann folgen die alten Schlussfolgerungen. Letztendlich ist auch kein Teufelskreis in unserem eigenen Versuch vorhanden, Schlussfolgerungen hinsichtlich der Wahrheit durch die Regeln der Logik herzustellen, in denen diese Vorstellung vorausgesetzt wird. Denn unsere Schlussfolgerung besagt, dass Wahrheit selbst ein einfacher Begriff ist, dass sie logisch vor jeder anderen Proposition steht. Doch man erhält nur einen Teufelskreis, wenn man annimmt, dass eine Proposition vor einem Begriff steht oder eine komplexere Proposition (eine, die mehr Begriffe enthält) vor einer, die einfacher ist. Begründete logische Prozesse scheinen von zweierlei Art zu sein. Es ist möglich, von einer komplexen Proposition auszugehen und zu betrachten, welche Propositionen in ihr enthalten sind. In diesem Fall muss das Letztere immer einfacher sein als das Erstere; und sie können wahr sein, obwohl das Erstere falsch ist. Oder es ist möglich, bei einer einfacheren Proposition zu beginnen und durch aufeinanderfolgendes Hinzufügen von Begriffen eine komplexere abzuleiten; dies ist die richtige deduktive Vorgehensweise, die in Euklids Propositionen gezeigt worden ist: Und in diesem Fall muss die Prämisse wahr sein, wenn die Schlussfolgerung es ist. Es mag hilfreich sein festzustellen, dass beide Vorgehensweisen synthetisch in dem Sinn sind, dass die Ergebnisse, die man erhält, sich von den Prämissen unterscheiden und bloß mit ihnen in Beziehung stehen. Anderer-
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seits werden die beiden Vorgehensweisen mit einem Teufelskreis verwechselt. Ein Ergebnis, das man durch den ersteren der beiden eben beschriebenen Prozesse erhält, wird so angesehen, dass es die Wahrheit seiner Prämisse beinhaltet. Wenn wir sagen, dass das begriffliche Wesen der Wahrheit in der logischen Vorgehensweise beinhaltet ist, so lassen wir uns auf keinen Teufelskreis ein, da wir dadurch nicht die Wahrheit der logischen Vorgehensweise voraussetzen. Doch wenn von etwas Existentem gesagt wird, dass es in der Wahrheit enthalten ist, entsteht ein Teufelskreis, da die Proposition „etwas ist wahr“, von der angenommen wird, dass „etwas existiert“ in ihr enthalten ist, selbst wahr sein muss, wenn die Letztere es auch sein soll. Es scheint nun notwendig, die Welt als aus Begriffen gebildet anzusehen. Diese sind die einzigen Objekte des Wissens. Sie können nicht grundlegend als Abstraktionen entweder von Dingen oder von Ideen angesehen werden; da beide gleichermaßen, falls irgendetwas von ihnen wahr sein soll, aus nichts außer Begriffen gebildet sein können. Ein Ding wird zuerst intelligibel, wenn es in die Begriffe, aus denen es besteht, gegliedert wird. Die materielle Vielfalt der Dinge, die üblicherweise als Ausgangspunkt genommen wird, ist nur abgeleitet; und die Übereinstimmung des Begriffs in mehreren unterschiedlichen Dingen, die bei dieser Annahme als das Problem der Philosophie erscheint, wird jetzt, wenn sie stattdessen als Ausgangspunkt gewählt wird, die Ableitung einfach machen. Zwei Dinge werden demnach durch die verschiedenen Beziehungen unterschieden, in denen ihre gemeinsamen Begriffe zu anderen Begriffen stehen. Der Gegensatz der Begriffe zu Existentem verschwindet, da etwas Existentes als nichts anderes gesehen wird als ein Begriff oder ein Komplex von Begriffen, die in einer einzigartigen Beziehung zum Begriff der Existenz stehen. Selbst die Beschreibung von etwas Existentem als eine Proposition (eine wahre existentielle Proposition) scheint ihre Fremdartigkeit zu verlieren, wenn man bedenkt, dass eine Proposition hier nicht als etwas Subjektives – eine Behauptung oder Bestätigung von etwas – sondern als eine Verbindung von Begriffen, die bestätigt ist, verstanden wird. Denn wir sind mit der Idee vertraut, etwas Existentes zu bestätigen oder zu „postulieren“, Objekte wie auch Propositionen zu kennen; und die Schwierigkeit bestand bislang darin, herauszufinden, worin sich die Prozesse ähnlich sind. Es erscheint nun, dass die Wahrnehmung philosophisch als die Erkenntnis einer existentiellen Proposition angesehen werden soll; und daher ist es offensichtlich, wie sie eine Grundlage für eine Folgerung liefern kann, der die Verbindung zwischen Propositionen einheitlich aufzeigt. Umgekehrt wird Licht auf das Wesen der Folgerung geworfen.
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Während nicht behauptet werden konnte, dass die Schlussfolgerung nur mit den Prämissen in meinen Gedanken verbunden war und dass eine Folgerung nichts war, außer jemand vollzog sie, so wurde eine große Schwierigkeit hinsichtlich der Objektivität verspürt, die zu den Ausdrücken und ihren Beziehungen gehörte, da Existenz als die Art von Objektivität angesehen wurde. Die Schwierigkeit wird ausgeräumt, wenn angenommen wird, dass die Beziehung der Prämissen zur Schlussfolgerung in demselben Sinn eine objektive Beziehung ist, wie die Beziehung der Existenz zu dem, was existiert, objektiv ist. Es ist nicht länger notwendig zu behaupten, dass logische Verbindungen in einem obskuren Sinn existieren müssen, da zu existieren nur bedeutet, in einer gewissen logischen Verbindung zu stehen. Es wird sich zeigen, wie viel diese Theorie mit Kants Wahrnehmungstheorie gemein hat. Sie unterscheidet sich hauptsächlich darin, dass sie Empfindungen als Wissensdaten durch Begriffe ersetzt und es ablehnt, die Beziehungen, in denen sie stehen, als die Arbeit des Verstandes, in einem obskuren Sinn, anzusehen. Sie weist den Versuch zurück, „die Möglichkeit des Wissens“ zu erklären, indem sie die Erkenntnisbeziehung als ein Letztgegebenes oder eine Prämisse annimmt, da sie an den Einwänden festhält, die Kant selbst gegen die Erklärung durch Kausalität hervorgebracht hat, und keine andere Art der Erklärung anerkennt als jene mittels der logischen Verbindung mit anderen Begriffen. So verzichtet sie auf die angenommene Einheit der Vorstellung, die durch den Idealismus selbst in der Kant’schen Form garantiert wird, und gipfelt in der prahlerisch hervorgebrachten Reduktion aller Unterschiede auf die Harmonie des „Absoluten Geistes“, die die Hegel’sche Entwicklung kennzeichnet. Doch ist es wichtig hervorzuheben, dass sie die Lehre des Transzendentalismus bewahrt. Denn Kants Transzendentalismus beruht auf der Unterscheidung zwischen empirischen und apriorischen Propositionen. Dies ist eine Unterscheidung, die bemerkenswerte Ähnlichkeit zu jener zwischen den kategorischen und hypothetischen Urteilen aufweist; und da eine Aufgabe dieses Essays darin besteht, die Ansicht zu bekämpfen, die dazu neigt, das kategorische Urteil als typische Form zu sehen und in der Folge versucht, das hypothetische Urteil darauf zu reduzieren, ist es nicht deplatziert, Kants Unterscheidung ausführlich zu betrachten. Kant selbst zeigt uns zwei Kriterien, mit denen ein apriorisches Urteil unterschieden werden kann. Er sagt: „[...] ein Satz, der zugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird, [...] ist ein Urteil a priori.“ Und es ist
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nur vollkommen apriorisch, wenn die Proposition nicht von einer anderen abgeleitet wird, die nicht selbst eine notwendige Proposition ist. Das zweite Kriterium des Apriorischen ist strikte Universalität. Aber unglücklicherweise scheint Kant selbst die Ungültigkeit dieser als ein Kriterium zuzugeben, da er unmittelbar weiter ausführt, dass eine empirische Universalität in allen Fällen bestehen kann („wie z.€B. in dem Satze: alle Körper sind schwer“) und folglich strikt universell sein kann. Es stimmt, dass Kant äußert, dass diese empirische Universalität bloß willkürlich ist. Wir sollten, so sagt er, unsere Proposition auf folgende Weise ausdrücken: „[...] soviel wir bisher wahrgenommen haben, findet sich [...] keine Ausnahme“ von der Regel, dass alle Körper schwer sind. Aber es scheint, dass eine solche Voraussetzung sich nur auf die Wahrheit unserer Proposition auswirken kann und nicht auf ihren Inhalt. Die Frage kann gestellt werden, ob wir ein Recht haben, Universalität festzustellen, aber es ist dennoch Universalität, die wir feststellen. Die Grenzen, die Kant als zugehörig zur Proposition hervorhebt, können nur in dem Zweifel richtig ausgedrückt werden, ob wir überhaupt eine Regel gefunden haben, nicht in dem Zweifel, ob es für sie Ausnahmen gibt. Es mag nicht wahr sein, dass alle Körper schwer sind; aber ob dies nun wahr ist oder nicht, es ist eine universelle Proposition. Es gibt keinen Unterschied zwischen dieser Proposition und solchen, die apriorisch sind, hinsichtlich der Universalität. Und Kant könnte kaum wünschen, festzustellen, dass der Unterschied in der Wahrheit liegt. Denn diese Proposition, so würde er eingestehen, könnte wahr sein; und wenn dem so wäre, dann wäre sie apriorisch. Aber er würde den Vorschlag, dass sie apriorisch sein könnte, nicht erlauben: Er stellt fest, dass sie es nicht ist. Der Unterschied zwischen dem Empirischen und dem Apriorischen, falls es ihn gibt, muss daher in etwas anderem als dieser Universalität liegen, von der Kant trotzdem sagt, dass sie „für sich unfehlbar ist“. Wir können als Nächstes betrachten, ob ein derartiges Kriterium in der „Notwendigkeit“ liegt. Bei dieser Betrachtung kann es ebenso von Vorteil sein, sein Beispiel „alle Körper sind schwer“ zu untersuchen, da diese Proposition einen Anspruch auf Notwendigkeit zu haben scheint, genauso wie sie zweifelsfrei universell ist. Kant spricht von ihr als einer „Regel, die wir gleichwohl selbst doch
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€40. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€40. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€40.
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aus der Erfahrung entlehnt haben“. Aufgrund dieser Formulierung und aufgrund seiner Verwendung von „Körper sind schwer“ als in sie umwandelbar scheint er auszudrücken, dass er ihren empirischen Charakter nicht ausschließlich auf ihrer extensionalen Deutung gründen würde. Falls er, was wahrscheinlich scheint, gestatten würde, dass „der Körper ist schwer“ und „der Mensch ist sterblich“ gleichermaßen empirische Propositionen sind, dann ist es offensichtlich, dass das, was er empirisch nennt, Notwendigkeit mit einschließen könnte. Auf jeden Fall ist es gewiss, dass solch eine Proposition wie „alle Körper sind schwer“, falls wir unter empirischen Propositionen nur solche verstehen sollen, die die Erfahrung belegen kann, nicht als empirisch angesehen werden kann. Sie beruht auf der Proposition „der Körper ist schwer“, und sie muss so angesehen werden, dass sie in diese umwandelbar ist, wenn sie für Zwecke der Folgerung verwendet werden soll. Daher nehme ich an, dass Kant sich nicht geweigert hätte, „der Körper ist schwer“ als eine empirische Proposition anzusehen. Es scheint gewiss, dass sie in seine Klasse der Regeln, „die wir gleichwohl selbst doch aus der Erfahrung entlehnt haben“, fallen würde, während „alle Körper sind schwer“, was als ausschließlich extensional angesehen wird, nicht als Regel bezeichnet werden kann. Die Verwendung dieses Beispiels scheint zu wichtigen Ergebnissen hinsichtlich der wahren Definition empirischer Propositionen zu führen. Aber kehren wir zunächst zu „alle Körper sind schwer“ zurück, da sie selbst in ihrer Bedeutung eine Geltendmachung der Notwendigkeit zu beinhalten scheint. Wenn sie rein in der Extension betrachtet wird, muss sie wie folgt aufgelöst werden: „Dieser Körper und jener Körper und jener Körper ad infinitum sind schwer, sind schwer gewesen und werden schwer sein.“ Daher beinhaltet sie die Proposition „dieser Körper ist schwer“. Aber in jeder Proposition dieser einfachen kategorischen Form ist die Vorstellung von SubÂ�stanz und Attribut bereits enthalten. Wann immer ein Prädikat von einem Subjekt ausgesagt wird, ist impliziert, dass das Subjekt ein Ding ist, dass es etwas ist, das durch den Besitz gewisser Attribute gekennzeichnet ist und fähig, andere zu besitzen. „Dieser Körper ist schwer“ setzt daher Folgendes voraus: „Körper ist ein Ding, und Schwere ist ein bloßes Attribut.“ Denn wir könnten die Proposition nicht in „Schwere ist körperlich“ umwandeln. Aber „Körper ist ein Ding“ und „Schwere ist ein Attribut“ scheinen notwendige Propositionen zu sein. In der Tat könnten wir uns irren, wenn wir annehmen, dass sie wahr
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€39. Vgl. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€38€f.
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sind; aber wenn wir jemals herausfinden sollten, dass Schwere kein Attribut ist, sollten wir gezwungen sein zu schließen, dass sie es niemals war und nie sein wird, nicht dass sie es einmal war, aber aufgehört hat, es zu sein. All solche Urteile sind wirklich „mit ihrer Notwendigkeit gedacht“. Sie sind genauso notwendig wie jenes 2€+€2€=€4. Der Unterschied zwischen den beiden Propositionsformen liegt nicht darin, dass der ersteren Form Notwendigkeit fehlt, noch selbst darin, dass sie die Proposition „Schwere existiert“ beinhaltet; denn selbst wenn Schwere nicht existierte, würde die Proposition wahr sein. Die Proposition besagt, dass Schwere nichts anderes als ein Attribut sein kann; und folglich, wenn Kants Worte streng ausgelegt werden, kann sie nicht empirisch sein. Daher ist sie in dieser Hinsicht auf einer Ebene mit 2€+€2€=€4, was auch wahr wäre, selbst wenn es keine zwei Dinge gäbe. Der Unterschied scheint eher im Wesen der Begriffe zu liegen, auf die die notwendige Beziehung gründet. „Schwere“ kann existieren; es ist nicht bedeutungslos zu sagen; „Schwere existiert hier und jetzt“; während „Attribut“, „zwei“ und andere ähnliche Begriffe nur eine prekäre Art der Existenz beanspruchen können, insofern sie notwendigerweise mit diesen anderen Vorstellungen verbunden sind, aus welchen allein richtige existentielle Propositionen hervorgehen können. Wenn wir daher Propositionen finden möchten, die keine Notwendigkeit enthalten,10 müssen wir uns auf die Ebene von rein existentiellen ProposiÂ� tionen herabbegeben –€Propositionen, die keine Vorstellung von Substanz und Attribut beinhalten. Nur diese können uns durch die Erfahrung gelehrt werden, wenn Erfahrung uns nicht lehren kann, „daß es [ein Ding] nicht anders sein könne“11. Und selbst jene sind frei von Notwendigkeit, nur wenn sie so verstanden werden, dass sie etwas hinsichtlich eines tatsächlichen Teils der tatsächlichen Zeit feststellen. Sie müssen Notwendigkeit beinhalten, sobald die Unterscheidung zwischen „dies ist“ und „dies war“ nicht berücksichtigt wird. Es scheint tatsächlich ein Kennzeichen der Art von Existenz zu sein, von der sie behaupten, dass sie in der Zeit ist. Sie können „dies existiert“ oder „dies hat existiert“ ausdrücken, aber wenn sie die allgemeine Form „dies ist“ verwenden, muss dies immer so verstanden werden, dass es nicht mehr bedeutet als „dies ist immer gewesen, ist jetzt und wird immer sein“, und in so viele verschiedene Urteile zerlegt werden kann, wie Zeit in einzelne Momente teilbar ist. 10 11
Vgl. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€38€f. Selbst diese beinhalten die notwendigen Eigenschaften der Zeit; doch dieser Punkt sei einer späteren Betrachtung vorbehalten. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€39.
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Wenn daher der Unterschied zwischen dem Empirischen und dem Apriorischen, wie Kant vermutet, im Wesen des Urteils liegt und nicht in dem des Begriffs, könnten nur existentielle Propositionen empirisch sein. Um selbst „dieser Körper ist schwer“ in einer empirischen Proposition darzustellen, wäre es notwendig, es in der Form „Schwere und die Kriterien für Körper existieren hier und jetzt“ aufzulösen. Aber dies ist gewiss nicht die ganze Bedeutung. Daher müssen wir annehmen, dass wir, um eine klare Definition dessen zu erhalten, was Kant mit empirischen Propositionen gemeint hat, sie auf dem Wesen der Begriffe, die in ihnen benutzt werden, aufbauen müssen. Empirische Begriffe sind solche, die in Zeitabschnitten existieren können. Dies scheint die einzige Weise zu sein, sie zu unterscheiden. Und jede Proposition, in der ein empirischer Begriff vorkommt, kann empirisch genannt werden. Kant selbst erkennt die Notwendigkeit an, die in einer Proposition wie „dieser Körper ist schwer“ beinhaltet ist, obwohl er es aus Gründen, die im Folgenden einsichtig werden, auf eine etwas andere Weise ausdrückt. Kants „Analytik“ soll zeigen, dass jedes derartige Urteil eine „Synthesis des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung“ ist, die „a priori [...] notwendig ist“.12 Aber er betrachtet diese Synthese eher als notwendig, um bloße Wahrnehmungen in Beziehung zur „Einheit der Apperzeption“ zu setzen, als sie direkt in das empirische Urteil mit einzuschließen. Um darüber hinaus zu erklären, wie die Formen der Synthesis auf das Mannigfaltige angewendet werden können, führt er den inneren Sinn als Vermittler ein und beschreibt das Urteil als etwas, das eher die psychische Verbindung der Vorstellungen in eine objektive Verbindung umwandelt als die Kategorien auf ein bloßes Mannigfaltiges anzuwenden, welches nicht wirklich als psychisch beschrieben werden kann. Dementsprechend gibt er als abschließendes empirisches Urteil, aus dem er die Anwendung von Substanz und Attribut „Körper sind schwer“ herstellt, das subjektive Urteil „Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere“13 an, anstatt des vorher dargestellten „Schwere und die Kriterien für Körper existieren gemeinsam“. Er scheint nicht zu erkennen, dass sein subjektives Urteil bereits vollständig in der betroffenen Kategorie beinhaltet ist. Eine Aussage über meine Gefühle ist in dem erforderten Sinn genauso „objektiv“ wie eine Aussage über das, was im Raum wahrgenommen wird. 12 13
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€165b. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€155b.
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Daher ist es mit der obigen Definition offensichtlich, warum „der Körper ist schwer“ empirisch genannt werden sollte; während es schwierig gewesen wäre, einen Grund zu finden, wenn die Abwesenheit von Notwendigkeit das geforderte Kriterium gewesen wäre. Denn diese Proposition beinhaltet nicht, wie „dieser Körper ist schwer“ oder „alle Körper sind schwer“, die notwendigen Urteile, dass Körper ein Ding ist und Schwere ein Attribut; es stellt eine derartige Beziehung zwischen einer „Schwere“ und einer „Körperlichkeit“ her, die Erfahrung weder belegen noch widerlegen kann. Wenn wir einen Körper fänden, der nicht schwer wäre, würde dies uns tatsächlich dazu veranlassen, die Wahrheit der Proposition zu verneinen; aber es würde uns auch unverzüglich den Anspruch auf die gegenteilige notwendige Proposition „der Körper kann nicht schwer sein“ geben. Und dies ist genau das, was auf 2€+€2€=€4 zutrifft. Es ist für uns jetzt vielleicht unvorstellbar, dass zwei und zwei nicht vier ergeben sollte; aber als die Zahlen zuerst entdeckt wurden, könnte wohl gedacht worden sein, dass zwei und zwei drei oder fünf ergäbe. Zweifelsfrei muss Erfahrung das Mittel gewesen sein, um die Überzeugung herzustellen, dass dies nicht so ist, sondern dass zwei und zwei vier ergibt. Daher wird die Notwendigkeit einer Proposition nicht durch die Tatsache in Frage gestellt, dass Erfahrung jemanden veranlassen kann, es als wahr oder unwahr anzunehmen. Die Prüfung ihrer Notwendigkeit liegt nur in der Tatsache, dass sie entweder wahr oder unwahr sein muss und nicht jetzt wahr sein kann und im nächsten Moment unwahr; während es bei einer existentiellen Proposition wahr sein kann, dass diese jetzt existiert, und es doch gleich unwahr sein wird, dass sie existiert. Der Zweifel hinsichtlich der Wahrheit von „der Körper ist schwer“ scheint hauptsächlich auf unsere Unsicherheit zurückzuführen zu sein, was wir mit „Körper“ und „schwer“ meinen. Wir können keine Beispiele von ihnen mit genauso großer Genauigkeit erkennen, wie wir Beispiele von Zahlen erkennen; und folglich können wir nicht sicher sein, ob die Wahrheit unserer Proposition nicht umgestoßen werden könnte. Die Proposition ist nur in diesem Sinn willkürlich. Es scheint keinen Zweifel zu geben, dass wir damit meinen, eine absolute Notwendigkeit festzustellen; aber wir müssen es der Erfahrung zu entdecken überlassen, zwischen welchen genauen Begriffen die notwendige Beziehung, die wir als gewiss ansehen, besteht. Aus der vorangegangenen Untersuchung scheint daher hervorzugehen, dass die wahre Unterscheidung, auf der Kants Aufteilung der ProposiÂ�tionen in apriorisch und aposteriorisch, notwendig und empirisch, beruht, die Unterscheidung zwischen Begriffen ist, die in Zeitabschnitten existieren
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können, und Begriffen, die vollständig von der Existenz abgeschnitten scheinen, aber die zu Behauptungen einer vollkommen notwendigen Beziehung führen. Kant scheint unter empirischen Propositionen all jene einzuschließen, in denen ein empirischer Begriff verwendet wird; ob die Proposition eine notwendige Beziehung zwischen einem empirischen und einem apriorischen Begriff oder zwischen zwei empirischen Begriffen feststellt. Wichtig ist, hervorzuheben, dass diese beiden Arten der Proposition nicht durch die Abwesenheit der Kriterien, die er für das Apriorische angibt, unterschieden werden; beide beinhalten zugleich Notwendigkeit und strenge Universalität. Daher würden empirische Propositionen einen großen Bereich von Propositionen beinhalten, die sich sehr in der Bedeutung ihrer Feststellungen unterscheiden. Sie scheinen sich nach oben auszudehnen: von bloßen Feststellungen der Existenz von diesem oder jenem ausgehend, wie der Art „Schwere existiert hier und jetzt“, über Propositionen der normalen kategorischen Form „dieser Körper ist schwer“, die notwendige Propositionen in ihrer Bedeutung beinhalten, aber zugleich eine Feststellung der Existenz mit einschließen, zu Propositionen, die immer Existenz feststellen, während sie ein Element der Notwendigkeit noch behalten, das in der eben genannten Art beinhaltet ist, wie „alle Körper sind schwer“, und schließlich zu jenen Propositionen, auf denen allein die Gültigkeit der letzten Klasse beruhen kann –€Propositionen, die eine notwendige Beziehung feststellen, ohne irgendeine Art der Existenz zu beinhalten, von der Art „der Körper ist schwer“. Das einzige gemeinsame Element in all diesen unterschiedlichen Klassen scheint darin zu bestehen, dass sie alle Feststellungen hinsichtlich eines empirischen Begriffs treffen, d.€h. einem Begriff, der in einem tatsächlichen Zeitabschnitt existieren kann. Die zweite und dritte Klasse sind gemischt und beinhalten Notwendigkeit, da in ihnen auch eine Feststellung hinsichtlich eines apriorischen Begriffs beinhaltet ist. Bei all jenen scheint Kant einzuwenden, dass sie rein apriorische Propositionen sind, jene, die ausschließlich hinsichtlich eines apriorischen Begriffs eine Feststellung treffen und aus diesem Grund keine Feststellung der Existenz beinhalten können, da ein apriorischer Begriff darin besteht, dass er nicht in dem oben erwähnten eingeschränkten Sinn existieren kann. Die Trennungslinie, auf der Kants Transzendentalismus beruht, scheint zwischen Propositionen, die empirische Begriffe beinhalten, und jenen, die solche nicht beinhalten, zu liegen; und ein empirischer Begriff ist nicht als ein durch Erfahrung gegebener Begriff zu definieren, da alle Begriffe so gegeben sind, sondern als ein Begriff, der in einem tatsächlichen Zeitabschnitt
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existieren kann. Diese Teilung ist notwendig, um alle verschiedenen Arten von Propositionen einzuschließen, die Kant unter dem Ausdruck empirisch zusammenfasst, von denen viele einen apriorischen Begriff beinhalten. Wenn die Teilung auf dem Wesen der Propositionen als solchen beruhen sollte, wie Kant vorgibt, dass sie es tun, sähen wir, dass von rein existentiellen Propositionen allein nicht angenommen werden könnte, dass sie einen Anspruch haben, als empirische Propositionen selbst eine Klasse zu bilden. In der Tat bilden diese offensichtlich die Grundlage der anderen Teilung, denn ein einfacher Begriff kann nicht als einer bekannt sein, der in der Zeit existieren könnte außer auf der Grundlage, dass er so existiert hat, existiert oder existieren wird. Aber wir müssen nun hervorheben, dass selbst existentielle Propositionen ein wesentliches Kriterium haben, das Kant apriorischen Propositionen zuweist, – dass sie absolut notwendig sind. Es wurde gesagt, dass die Unterscheidung der Zeit für eine existentielle Proposition wesentlich ist. Wenn dies so ist, ist es offensichtlich, dass notwendige Propositionen, solche, die Kant in der Ästhetik sich bemüht herzustellen, in ihnen beinhaltet sind. Es wurde hervorgehoben, dass eine rein existentielle Proposition nur die Existenz eines einfachen Begriffs feststellen kann; alle anderen beinhalten die apriorischen Begriffe der Substanz und des Attributs. Wenn wir nun die existentielle Proposition „Rot existiert“ betrachten, haben wir ein Beispiel des geforderten Typus. Es wird festgehalten, dass, wenn ich dieses sage, meine Bedeutung darin besteht, dass der Begriff „Rot“ und der Begriff „Existenz“ in einer bestimmten Beziehung zueinander und zu dem Begriff der Zeit stehen. Ich meine das „Rot existiert jetzt“ und impliziere dabei eine Unterscheidung von seiner vergangenen und seiner zukünftigen Existenz. Und diese Verbindung von Rot und Existenz mit dem Moment der Zeit, das ich mit „jetzt“ meine, scheint genauso notwendig zu sein wie jede andere Verbindung. Wenn es wahr ist, ist es notwendigerweise wahr, und wenn es falsch ist, dann notwendigerweise falsch. Wenn es wahr ist, ist sein Gegenteil vollkommen unmöglich so wie das Gegenteil von 2€+€2€=€4. Aber die so in existentiellen Propositionen beinhaltete Notwendigkeit räumt die Wichtigkeit von Kants Unterscheidung zwischen dem Empirischen und dem Apriorischen nicht aus. Soweit er versucht, es auf der Tatsache zu gründen, dass das, was empirisch ist, allein „in der Erfahrung gegeben“ ist und auf „Sinn“ bezogen werden kann, muss sie in der Tat aufgegeben werden; aber gegenüber den englischen Philosophen, die dieselbe Ansicht über sinnliche Erkenntnis vertreten haben, behält sie ihre volle
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Bedeutung. Die transzendentale Deduktion beinhaltet eine völlig gerechtfertigte Antwort auf Humes Skeptizismus und auf Empirismus im Allgemeinen. Philosophen dieser Schule neigen dazu, die Gültigkeit jeder Proposition außer jenen über Existentes zu bestreiten. Von Kant kann gesagt werden, dass er hervorgehoben hat, dass in jeder dieser Propositionen, die die Empiristen als die abschließenden, wenn nicht als die einzigen Wissensdaten angesehen haben, durch dieselbe Logik, auf die sie sich berufen haben, um ihre Ansichten zu stützen, nicht nur die einheitliche und notwendige Abfolge der Zeit und die geometrischen Eigenschaften des Raums beinhaltet waren, sondern auch die Prinzipien der Substanz und der Kausalität. Tatsächlich beweist er damit nicht die Wahrheit der betroffenen Axiome und Prinzipien; aber er zeigt, dass sie zumindest genauso gültig und ultimativ wie jene sind, auf die der Empirismus baut. Obwohl es daher nicht länger möglich scheint, zu vertreten, wie Kant es tat, dass ein Hinweis auf Existentes für jede Proposition notwendig ist, die die Bezeichnung „Wissen“ beanspruchen soll, und dass die Wahrheit solcher Propositionen allein unmittelbare Gewissheit beanspruchen kann; obwohl es andererseits scheint, dass existentielle Propositionen nur eine bestimmte Klasse notwendiger Propositionen sind, ist doch die transzendentale Deduktion weiterhin wichtig. Eine Deduktion von der „Möglichkeit der Erfahrung“ stellt in der Tat nicht wirklich das Wesen von Kants Argument dar. Denn die Möglichkeit der Erfahrung setzt voraus, dass wir Erfahrung haben; und dies bedeutet wieder, dass gewisse existentielle Propositionen wahr sind, aber es schließt nicht die Wahrheit jeder bestimmten existentiellen Propositionen ein; obwohl ihre Wahrheit in der Wahrheit jener enthalten ist. Was Kant wirklich zeigt, besteht darin, dass Raum und Zeit sowie die Kategorien in bestimmten Propositionen enthalten sind; und diese Arbeit ist von größerem Wert, als eine Deduktion von der Möglichkeit der Erfahrung es gewesen wäre. Er erkennt tatsächlich nicht, dass die Propositionen, aus denen er ableitet, selbst notwendig sind und dass es daher andere notwendige Propositionen mit einem ähnlichen Geltungsanspruch geben kann, die aus ihnen nicht abgeleitet werden können. Daher geht er selbst davon aus, dass er den Bereich des Wissens erschöpfend behandelt hat, während er tatsächlich nur gewisse logische Verbindungen in diesem Bereich aufgezeigt hat. Doch es soll hier nicht über die Wahrheit bestimmter existentieller Propositionen gestritten werden; und obwohl wir sie im Gegensatz zu Kant als bloß angenommen zulassen, müssen wir dankbar sein, dass er uns gezeigt hat, was aus ihnen erschlossen werden kann.
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Des Weiteren behält auch Kants Unterscheidung zwischen Raum und Zeit einerseits und den Kategorien andererseits ihren Wert, obwohl wir ihren allgemeinen Unterschied nicht länger so beschreiben können, wie er es getan hat. Es scheint eher Folgendes zu sein: Dass Zeit allein für eine Art der Erfahrung ausreichend ist, da sie allein in den einfachsten Arten existentieller Propositionen beinhaltet zu sein scheint; z.€B. „Vergnügen existiert“, und dass Zeit und Raum zusammen wiederum ausreichend sind, um die Möglichkeit anderer Bestandteile des Wissens zu erklären, ohne Kategorien zu verwenden. Es ist notwendig, eine neue Annahme über Propositionen wie jene, die selbst Hume anerkannte und die in der Naturwissenschaft universell sind, zu treffen, um die darin implizierten Prinzipien der Substanz, des Akzidens und der Kausalität zu finden. In allen derartigen Propositionen sind Zeit und Raum auch vorausgesetzt, aber diese Kategorien sind nicht in jeder Proposition impliziert, die Zeit und Raum beinhalten. Die einfachsten existentiellen Propositionen sind somit als notwendige Propositionen einer eigenen Klasse anzusehen. In einer Art sind die notwendigen Eigenschaften der Zeit enthalten, in einer anderen auch jene des Raums. Doch obwohl diese Tatsache, wie Kant betont, gegenüber den Empiristen sehr wichtig ist, können wir sie nicht wie er derart ansehen, dass sie die Wahrheit der Geometrie und der entsprechenden Propositionen über die Zeit herstellt. Denn existentielle Propositionen, die falsch sind, genau wie jene, die wahr sind, beinhalten dieselben Propositionen über Raum und Zeit. Keine existentielle Proposition irgendeiner Art scheint feststellbar, die deshalb nicht falsch sein könnte; noch nicht einmal das berühmte „cogito“ ist unbezweifelbar. Daher können wir die „Möglichkeit der Erfahrung“ in jedem möglichen Sinn nicht als ausreichende Rechtfertigung unseres Wissens über Zeit und Raum betrachten; und wir müssen die Wahrheiten der Geometrie unabhängig davon als wahr ansehen, genau wie einige existentielle Propositionen so bekannt sind. Ähnliches gilt für jene Propositionen, die Substanz und Attribut enthalten; sie sind nicht ausreichend, um die Wahrheit der Propositionen, die darin enthalten sind, herzustellen. Die Dauerhaftigkeit der Substanz ist tatsächlich, Kant zeigt es uns, so gewiss wie die empirischen Propositionen, die Hume allein als gewiss annimmt. Aber ihre Wahrheit muss unabhängig von diesen bekannt sein, da sie auch in falschen Propositionen dieses Typus beinhaltet ist. Tatsächlich würde dies zutreffen, ob solche Propositionen wahr wären oder nicht. Kant hat uns nur gelehrt, dass, falls eine von ihnen wahr wäre, sie es gleichfalls sein müsste. Er erkannte nicht, dass ihre Wahrheit
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unmittelbar auf derselben Grundlage wie die Wahrheit jener festgestellt werden kann; denn er wurde durch den vorhergehenden Verlauf der Philosophie verleitet, anzunehmen, dass etwas unmittelbar Unbezweifelbares in ihnen wäre. Ihre Wahrheit ist in der Tat das Letzte, was der gesunde Menschenverstand in Zweifel ziehen würde, trotz seiner Vertrautheit mit fehlerhaften Wahrnehmungen. Kants Verdienst bestand darin, hervorzuheben, was er selbst nicht erkannte, dass ihre Unzweifelhaftigkeit nicht beweist, dass sie unbestreitbar sind; oder eher dass der Zweifel, der auf einigen von ihnen liegt, schlüssig beweist, was der gesunde Menschenverstand in seiner Zufriedenheit mit Regeln, die Ausnahmen haben, nicht wahrnimmt, nämlich dass sie höchst fraglich sind. Unser Ergebnis lautet nun wie folgt: Dass ein Urteil universell eine notwendige Verbindung von Begriffen ist, die gleichermaßen notwendig sind, ob es nun wahr ist oder nicht. Dass es entweder wahr oder falsch sein muss, aber dass seine Wahrheit oder Falschheit nicht von seiner Beziehung zu irgendetwas anderem, z.€B. Realität oder der Welt in Raum und Zeit, abhängen kann. Denn von diesen beiden muss angenommen werden, dass sie in einem Sinn existieren, wenn die Wahrheit unseres Urteils von ihnen abhängen soll; und dadurch ergibt sich, dass die Wahrheit unseres Urteils nicht von ihnen abhängt, sondern von dem Urteil, dass sie, die soundso sind, existieren. Aber dieses Urteil wiederum kann nicht wegen seiner Wahrheit oder Falschheit von etwas anderem abhängen: Seine Wahrheit oder seine Falschheit müssen seine unmittelbaren eigenen Eigenschaften sein und nicht von einer Beziehung abhängen, die es mit etwas anderem haben könnte. Und wenn dies so ist, haben wir jeden Grund für die Annahme, dass Wahrheit und Falschheit anderer Urteile nicht gleichermaßen unabhängig sind, ausgeräumt. Denn das existentielle Urteil, das von Kants Bezug auf Erfahrung oder Bradleys Bezug auf Realität vorausgesetzt worden ist, hat gezeigt, dass es genau wie jedes andere bloß eine notwendige Verbindung von Begriffen ist, für deren Notwendigkeit wir keinen Grund suchen können und die nicht als eine Hinzufügung zu „dem Gegebenen“ erklärt werden können. Ein Begriff ist in keinem intelligiblen Sinn ein „Adjektiv“, als ob es etwas Substantielles gäbe, das letztgültiger als es ist. Denn wir müssen, wenn wir konsequent sein sollen, das beschreiben, was als Substantielles nicht mehr als eine Sammlung von derartigen angenommenen Adjektiven erscheint: Und so zeigt sich, dass letzten Endes der Begriff das einzige Substanzielle oder Subjekt ist und kein Begriff entweder mehr oder weniger wie ein Adjektiv ist als jeder andere. Aus unserer Beschreibung eines Urteils muss
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nun jeder Bezug zu unserem Verstand oder der Welt weichen. Keiner von den beiden kann „Grund“ für etwas liefern, außer insofern sie komplexe Urteile sind. Das Wesen des Urteils ist endgültiger als beide und weniger abschließend nur als das Wesen seiner Bestandteile – das Wesen des Begriffs oder der logischen Idee.
Kapitel 4 Notwendigkeit Erstveröffentlichung in Mind n.â•›s. 9 (Juli 1900), S.€289–304.
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ein Hauptziel in diesem Beitrag ist es, die Bedeutung der Notwendigkeit zu bestimmen. Ich möchte nicht herausfinden, welche Dinge notwendig sind, sondern was dieses Prädikat ist, das ihnen zugeschrieben wird, wenn sie derart sind. Andererseits möchte ich auch nicht zu einer korrekten sprachlichen Definition von Notwendigkeit gelangen. Dass das Wort üblicherweise verwendet wird, um eine große Anzahl verschiedener Prädikate zu bezeichnen, die tatsächlich Dingen zugeschrieben werden, erscheint mir vollkommen offensichtlich. Aber da dies so ist, sollten wir das Wort korrekt verwenden, wenn wir es auf eines von ihnen anwenden; und eine korrekte Definition von Notwendigkeit erhält man, wenn wir all jene verschiedenen Prädikate aufzählen, für die das Wort üblicherweise verwendet wird, um sie zu bezeichnen: Denn die einzige Prüfung, ob ein Wort richtig definiert ist, besteht im allgemeinen Gebrauch. Das Problem, das ich lösen möchte, unterscheidet sich von den genannten. Es ist ein Problem, das diesen in seiner universellen Anwendung ähnelt. Es gibt eine Lösung nicht nur für die Notwendigkeit, sondern für alles, das wir uns vorstellen können; und in vielen Fällen erscheint mir die Entdeckung dieser Lösung von grundlegender Wichtigkeit für die Philosophie zu sein. Das Wesen dieses Problems kann vielleicht wie folgt dargelegt werden: Wenn ein Mensch sagt, „A ist notwendig“ oder „rot“ oder „rund“ oder „laut“ oder was immer es auch sein mag, kann er sich auf drei Arten irren. (1) Er kann das Wort „notwendig“ in einem Sinn verwenden, in dem es im Allgemeinen nicht verwendet wird. Zum Beispiel kann der Gedanke, den er vermitteln möchte, darin bestehen, dass „A rot ist“; und dann, ob A rot ist oder nicht, begeht er einen sprachlichen Fehler, indem er sagt, dass „A notwendig ist“. (2) Er kann „notwendig“ in einer der vielen Bedeutungen verwenden, in der andere Menschen es tun, aber er kann sich irren, indem er annimmt, dass A wirklich ein Prädikat hat, das er durch dieses Wort richtig benennt. (3) Er kann zugleich das Wort korrekt verwenden und auch mit der Annahme recht haben, dass A eines der Prädikate besitzt, die im Allgemeinen „notwendig“ bezeichnen; und doch
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kann er sich auf eine andere Weise irren. Denn während er richtigerweise denkt, dass es eines dieser Prädikate hat, kann er sich in der Annahme irren, dass es auch andere von ihnen besitzt. Dass „A notwendig ist“, müssen wir ihm als sprachlich und substantiell korrekt zugestehen und ebenso, dass „B notwendig ist“: Und doch insofern er mit diesem Prädikat, das A wirklich hat, das Prädikat, das B wirklich hat, einschließt, kann seine Aussage, dass „A notwendig ist“ äußerst falsch sein. All dieses ist offensichtlich genug, und derartige Verwechslungen sind als eine häufige Ursache für Irrtümer im logischen Denken erkannt worden. Was ich hervorheben möchte, ist, dass dieser Fehler kein Fehler hinsichtlich der Bedeutung eines Wortes ist noch einer Frage von Tatsachen. Die Frage, die wir beantworten müssen, um zu entscheiden, ob ein Mensch auf diese Art irrt, unterscheidet sich vollkommen von diesen beiden Fragen: Verwendet er das Wort richtig? Oder hat das betroffene Ding dieses Prädikat? Denn es mag überhaupt keinen Zweifel geben, dass wir auf jede dieser Fragen mit ja oder nein antworten sollten; und doch kann Zweifel hinsichtlich dessen bestehen, was das betroffene Prädikat ist. Während wir niemals zweifeln, dass gewisse Dinge gewisse Prädikate haben und dass alle diese Prädikate im Allgemeinen durch dasselbe Wort bezeichnet werden, können wir trotzdem zweifeln, ob es zwischen diesen verschiedenen Prädikaten etwas Gemeinsames gibt und, wenn dem so ist, was. Wir können bei beiden ersteren Punkten Recht haben und uns doch bei diesem irren. Dies ist nun die Frage, die ich zu stellen beabsichtige, indem ich frage, was die Bedeutung von Notwendigkeit ist. Mein Hauptziel ist weder zu entdecken, ob irgendeine oder alle Propositionen der Form „A ist notwendig“ wahr oder falsch sind, noch zu entdecken, ob sie richtig ausgedrückt werden, sondern was ihre Bedeutung ist. Aber obwohl diese Frage jene ist, die ich hauptsächlich beantworten möchte, sehe ich keinen Weg, meine Schlussfolgerung zu erreichen, außer durch eine teilweise Betrachtung der beiden anderen. Ihre Beziehung zu ihr ist in der Tat besonders. Logisch ist sie in beiden vorausgesetzt: Denn „A ist notwendig“ ist weder wahr noch falsch, wenn es nicht eine bestimmte Bedeutung hat; und wenn das Wort „notwendig“ normalerweise auf gewisse Prädikate angewendet wird, so sind es Prädikate mit einer bestimmten Bedeutung, auf die es normalerweise angewendet wird. Wir könnten geneigt sein zu sagen: Wir müssen genau wissen, was es ist, worüber wir sprechen, bevor wir wissen können, ob das, was wir über es sagen, wahr oder falsch ist. Und es ist eine Tatsache, dass ein genaues Wissen dessen, worüber wir sprechen, uns oftmals veranlasst zu sehen, dass das, was wir von ihm dachten,
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wahr oder falsch ist. Aber die Reihenfolge der Entdeckung ist im Allgemeinen genau umgekehrt. Wir müssen richtig geurteilt haben, dass viele Male gewisse Sammlungen von Objekten aus drei Teilen bestanden haben, bevor wir genau wissen konnten, was drei ist. Und so muss ich hier die Fälle untersuchen, in denen von Dingen gesagt wird, dass sie notwendig sind, bevor ich herausfinden kann, was Notwendigkeit ist. Nun scheint es, dass es drei Entitätsklassen gibt, die im Allgemeinen als notwendig bezeichnet werden. Wir können eine Verbindung als notwendig bezeichnen, oder wir können ein Ding als notwendig bezeichnen, oder wir können eine Proposition als notwendig bezeichnen. Und es gibt zumindest eine Eigenschaft, die all diesen dreien gemein ist. Alle drei von ihnen können dem Verstand aufgezwungen sein. Wir können das Gefühl des Zwangs im Bezug zu ihnen verspüren. Wir können uns gezwungen fühlen, zu glauben, dass zwei Objekte eine gewisse Beziehung haben oder dass ein gewisses Ding existiert oder dass eine gewisse Proposition wahr ist. Aber dieses Gefühl des Zwangs hat, obwohl es wahrscheinlich der Ursprung all unserer Ideen über Notwendigkeit sein könnte, gewisse Eigenschaften, die uns davon abhalten, es mit ihnen gleichzusetzen. Denn es begleitet verschiedene Annahmen zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Personen. Wenn wir sagen sollten, dass eine notwendige Wahrheit darin besteht, dass die Annahme von ihnen durch ein Gefühl des Zwangs begleitet wird, Â�müssten wir eingestehen, dass dieselbe Wahrheit zu einer Zeit notwendig wäre und zu einer anderen nicht notwendig und selbst, dass dieselbe Wahrheit gleichzeitig notwendig und nicht notwendig sein könnte. Aber es ist gewiss, dass notwendig oftmals in einem Sinn verwendet wird, der diese Möglichkeit ausschließen würde. Notwendige Wahrheiten, so würde gesagt, sind Wahrheiten, die immer notwendig sind: Und ob es solche gibt oder nicht; wir meinen mit ihnen gewiss etwas anderes als Wahrheiten, deren Annahme durch ein Gefühl des Zwangs begleitet wird. Ebenso wenig kann gesagt werden, dass wir nur solche Wahrheiten meinen, die im Allgemeinen durch ein derartiges Gefühl begleitet werden. Denn die Wahrheiten, die normalerweise als notwendig betrachtet werden, rufen im Allgemeinen kein derartiges Gefühl hervor, wenn wir von ihnen überzeugt sind. Eine Annahme der Wahrheiten der Arithmetik zum Beispiel ist so üblich geworden, dass wir dies mit der größten Selbstverständlichkeit erlangen. Und wenn gesagt wird, dass diese Annahmen trotzdem ein derartiges Wesen besitzen, dass sie im Allgemeinen das Gefühl des Zwangs hervorrufen würden, wenn wir versuchten, das Gegenteil zu glauben, kann zugegeben werden, dass dies
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wahr ist. Wahrscheinlich fänden wir es in den meisten Fällen schwierig, das Gegenteil jener Wahrheiten zu glauben, die wir als notwendig bezeichnen. Trotz unserer Anstrengungen würden sie sich selbst uns aufdrängen. Aber es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass Wahrheiten diese Eigenschaft ausnahmslos haben. Es wäre eine kühne Behauptung, dass niemand jemals angenommen hat oder ohne Schwierigkeit annehmen könnte, dass zwei und zwei fünf ergibt. Und wenn die Aussage nur allgemein und nicht universell wäre, würde sie auf viel mehr Wahrheiten als jene zutreffen, von denen gewöhnlich angenommen wird, dass sie notwendig sind, z.€B. auf die Existenz der Sonne und der Erde. Es kann kaum behauptet werden, dass solche Tatsachen nicht notwendig genannt werden können, nur weil nicht wahrgenommen worden ist, dass ihre Gegenteile schwer anzunehmen sind. Die plausibelste Art, in der versucht werden könnte zu zeigen, dass die Bedeutung der Notwendigkeit immer einen Verweis auf das Gefühl des Zwangs beinhaltet, kann zumindest nicht die Unterscheidung zwischen notwendigen und existentiellen Wahrheiten abdecken. Der plausibelste Ausdruck dieser Theorie würde folgende Form annehmen: Dasjenige ist immer notwendig, dessen Annahme ein Gefühl des Zwangs hervorrufen würde, wenn wir versuchten, sein Gegenteil zu glauben. Und diese Definition der Notwendigkeit kann gewiss nicht, während es selbst zweifelhaft ist, ob sie auf viele Fälle angenommener notwendiger Wahrheiten zutreffen würde, ebenso auf viele andere zutreffen. Es scheint fraglich, inwieweit dieses Gefühl des Zwangs mit dem Eindruck gleichgesetzt werden sollte, aus dem Hume versuchte, die Idee der Notwendigkeit herzuleiten. Aber seine Darlegung, wie wir darauf schließen, dass Ereignisse notwendigerweise verbunden sind, beinhaltet gewiss eine ganz andere Bedeutung von Notwendigkeit, die sorgfältig von jener unterschieden werden muss. Was er sagt, besteht darin, dass der Verstand, wenn eine Abfolge von zwei Ereignissen oft genug wiederholt worden ist, die Gewohnheit annimmt, die Idee des zweiten Ereignisses beim Auftreten des Eindrucks des ersten zu reproduzieren. Er scheint nicht zu behaupten, dass er sich gezwungen fühlt, die Idee des zweiten Ereignisses zu haben. Aber wenn er nicht dieses meint, wo ist der Eindruck der Notwenigkeit, den er sucht? Entweder muss er meinen, dass es eine stetige Abfolge unter geistigen Ereignissen gibt genau wie unter physischen; aber in jenem Fall scheint es, dass die Abfolge im Verstand nicht zu einer Idee führen kann, die sich von jener unterscheidet, zu der die physische Abfolge von selbst führen könnte. In diesem Fall bedeutet Notwendigkeit nur stetige Abfolge, und Humes Ver-
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weis auf die Gewohnheiten des Verstands ist völlig überflüssig. Oder aber er meinte, dass die geistige Gewohnheit uns tatsächlich zwingt, beim Auftreten des ersten Ereignisses an das zweite zu denken. Doch in diesem Fall überträgt er genau diese Idee der notwendigen Verbindung, die er physischen Ereignissen abzusprechen versucht, zu Unrecht auf den Inhalt des Verstands. Denn nach seiner eigenen Darstellung haben wir kein Recht, über geistige Inhalte mehr zu sagen, als dass sie aufeinander in gewissen festen Sequenzen folgen. Seine Frage lautet: Was bedeutet es, wenn man sagt, dass ein vorheriges Ereignis ein anderes zwingt aufzutreten? Und er kann nicht zu Recht annehmen, dass er die Bedeutung dessen in den Fällen kennt, in denen die Ereignisse geistig sind, und nicht in Fällen, in denen sie physisch sind. Er könnte uns tatsächlich auf das Gefühl des Zwangs als einen ausschließlich geistigen Eindruck hingewiesen haben. Doch dies tut er nicht ausdrücklich. Und die Ansicht, dass Gewohnheiten den Verstand zwingen, nicht dass wir uns durch sie gezwungen fühlen, beinhaltet eine ganz andere Bedeutung von Notwendigkeit, die er genauso leicht aus den physischen Ereignissen selbst hergeleitet haben könnte. Diese zweite Bedeutung der Notwendigkeit, die Hume so zu implizieren scheint, ist in der Tat jene Bedeutung, die in der Verbindung von Ursache und Wirkung beinhaltet ist. Für gewöhnlich denken wir, dass, wenn Ereignisse aufgetreten sind, andere notwendigerweise folgen werden, wir haben keine Vorstellung in unserem Verstand, dass wir gezwungen sind, so zu denken. Wir weisen die Idee der Notwendigkeit direkt der Verbindung zwischen zwei Ereignissen zu; und die einzige Frage ist, was die Idee besagt, die wir so zuweisen. Gewiss wollte Hume diese Frage beantworten, als er fragte, welcher Eindruck es sei, von dem die Idee „Notwendigkeit“ eine Kopie ist. Aber bei seiner Antwort wurde er zu zwei ganz unterschiedlichen Themen geführt. Zunächst ist seine Erklärung nur eine Erklärung, warum wir veranlasst werden, zu denken, nicht aber eine Erklärung, was wir denken, wenn wir denken. Um das Letztere zu erreichen, müsste er das Gefühl des Zwangs einführen: Wie es aussieht, hat er nur eine Ursache für unsere Annahme angegeben, dass es Ursachen gibt. Und zweitens verwechselt er die Frage, die die Bedeutung der Notwendigkeit betrifft, mit der Frage ihrer berechtigten Anwendung auf Abfolgen der Ereignisse in der Zeit. Er möchte bestreiten, dass es eine notwendige Verbindung zwischen Ereignissen gibt, die für gewöhnlich Ursache und Wirkung genannt werden: Er vertritt, dass sie nicht zwangsläufig in demselben Sinn verbunden sind, in dem zwei ähnliche Ideen notwendigerweise verbunden sind. Aber dies geschieht, um zu
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gestatten, dass Notwendigkeit etwas anderes als konstante Abfolge bedeutet, denn er bestreitet nicht, dass Ereignisse die Beziehung einer konstanten Abfolge besitzen. Hume hat nun gewiss keine Antwort auf folgende Frage gegeben: Was ist die Bedeutung jener Notwendigkeit, die für gewöhnlich Ursachen und Wirkungen zugeschrieben wird? Insoweit er versucht zu erklären, warum wir veranlasst werden, gewisse Ereignisse als notwendigerweise verbunden anzusehen, scheint er zugleich zu implizieren, dass es eine derartige Idee als notwendige Verbindung gibt und dass sie berechtigterweise auf gewisse geistige Ereignisse angewendet werden kann. Aber andererseits vertritt er ausdrücklich, dass keine Verbindung außer jener einer konstanten Abfolge berechtigterweise auf Ereignisse angewendet werden kann; und zweitens hebt er einen prima facie Unterschied zwischen zwei Ereignissen hervor, die so verbunden sind, und zwei Ideen, die eine Beziehung der Ähnlichkeit haben. Insoweit er auf diesen Unterschied verweist, kann er so verstanden werden, dass er gestattet, dass hier eine Idee der notwendigen Verbindung besteht, die nicht mit jener einer konstanten Abfolge identisch ist; und diese Idee kann jene sein, die wir von einer Ursache und ihrer Wirkung feststellen, ob sie tatsächlich auf sie zutrifft oder nicht. Nur durch seine Verneinung, dass dies der Fall ist –€durch seine Behauptung, dass es nichts Gemeinsames zwischen der Idee einer notwendigen Wahrheit und der Idee einer kausalen Verbindung gibt€–, trägt Hume wirklich etwas zu der Frage, was das Letztere bedeutet, bei. Wir haben nun den Vorschlag vor uns, dass es zwei Formen der Verbindung gibt, die für gewöhnlich notwendig genannt werden, und dass es nichts Gemeinsames zwischen diesen beiden gibt; und diese Ansicht scheint noch von jenen vertreten zu werden, die einer „realen“ eine „ideale“ Notwendigkeit gegenüberstellen. Um zu entscheiden, ob es eine wahre Ansicht ist, wird es notwendig sein, jede dieser beiden Formen der Notwendigkeit, die auf den ersten Blick so verschieden sind –€die Notwendigkeit notwendiger Wahrheiten und die Notwendigkeit realer Ursachen€–, ausführlicher zu besprechen. Den Standpunkt, den Kant in der Erwiderung auf Hume einnahm, war zumindest teilweise auf einer Ablehnung gegründet, dass sie so verschieden seien, wie Hume es annahm. Kant hob hervor, dass Wahrheiten, die Hume auf der Basis, dass sie analytisch seien, als notwendig ansah, wie die Beziehung von Ursache und Wirkung, synthetisch seien. Die Wahrheiten der Arithmetik seien zugleich synthetisch und notwendig, und wenn Hume dies betrachtet hätte, hätte es seinen Grund zerstört, kein gemeinsames Element
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zwischen idealer und realer Notwendigkeit anzunehmen. Dennoch gestattet Kant, dass es solche Dinge wie analytische Wahrheiten gibt und dass sie notwendig sind. Obwohl er daher zwei Formen der Notwendigkeit, die Hume getrennt hatte, zusammenfasst, indem sie ein gemeinsames Element haben, sieht er noch eine andere Form, die sich davon in der Bedeutung unterscheiden kann oder nicht. Er entscheidet die folgende Frage nicht: In welchem Sinn sind analytische Wahrheiten notwendig? Wenn wir die Ansicht betrachten, dass der Sinn sich von jenem unterscheidet, in dem synthetische Wahrheiten notwendig sind, scheint es zwei Alternativen zu geben. (1) Entweder kann gesagt werden, dass „notwendig“ hier bloß „analytisch“ bedeutet; dass die beiden Vorstellungen identisch sind. In diesem Fall wird es eine analytische Wahrheit, dass analytische Wahrheiten notwendig sind; und keine Ausnahme kann hinsichtlich der Trennung dieser Bedeutung der Notwendigkeit von allen anderen gemacht werden, wenn es nur eine Bedeutung in analytischen Wahrheiten gäbe. Aber zugleich wird diese Notwendigkeit vollkommen unwichtig. Es ist unmöglich, daraus eine Schlussfolgerung hinsichtlich der Wahrheiten, die sie besitzen, zu ziehen, wie dass sie besondere Gewissheit haben oder universell und ewig sind. Denn jedes dieser Prädikate kann nur von der Notwendigkeit auf Grundlage einer synthetischen Wahrheit behauptet werden. (2) Aber wenn wir sagen, dass die Notwendigkeit analytischer Wahrheiten nicht mit der Tatsache identisch ist, dass sie analytisch sind, dann ist es eine synthetische Proposition, dass sie notwendig sind. Und nur wenn diese synthetische Proposition notwendig ist, kann eine analytische Proposition es auch sein. Selbst dann ist es, wenn es eine besondere Notwendigkeit gibt, die analytischen Propositionen anhaftet, hinsichtlich dessen zweitrangig, was einigen Arten der Synthese anhaftet. Aber es besteht großer Zweifel, ob irgendeine Wahrheit analytisch ist. Jede Proposition, so scheint es, muss mindestens zwei unterschiedliche Begriffe und ihre Beziehung beinhalten; und da dies so ist, kann die Beziehung der beiden Begriffe ohne einen Widerspruch immer bestritten werden. Es werden zwei Propositionen benötigt, um einen Widerspruch herzustellen: Das Gesetz des Widerspruchs selbst schließt die Möglichkeit jeder einzelnen Proposition aus, zugleich wahr und falsch oder in sich widersprüchlich zu sein. Und folglich kann die Definition einer analytischen Proposition als eine Proposition, deren Widersprüchliches in sich widersprüchlich ist, auf nichts angewendet werden. Wenn wir andererseits die Definition betrachten, dass es eine Proposition ist, deren Prädikat im Subjekt enthalten ist, dann besteht ihre Bedeutung entweder darin, dass das Prädikat auf eine Art mit anderen
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Prädikaten vereint ist, in diesem Fall ist die analytische Proposition synthetisch, wie man es wünscht; oder darin, dass das Prädikat einfach mit dem Subjekt identisch ist. Doch im letzteren Fall, in dem die angenommene analytische Proposition in der Form „A ist A“ ausgedrückt werden kann, haben wir gewiss keine zwei verschiedenen Begriffe und daher keine Proposition. Des Weiteren ist das Gesetz des Widerspruchs selbst als jenes, von dem für gewöhnlich angenommen wird, dass nichts offensichtlicher analytisch ist, gewiss synthetisch. Denn nehmen wir an, dass jemand behauptet, dass nicht jede Proposition entweder wahr oder falsch ist. Man kann nicht bestreiten, dass dies eine Proposition ist, wenn man nicht auch zulassen möchte, dass das Gesetz, das diesem widerspricht, keine Proposition ist; und er kann ebenso gut behaupten, dass dies eine jener Propositionen ist, die wahr sind, und das Gegenteil dessen, unser Gesetz, falsch ist, obwohl dies nicht der Fall bei jeder Proposition ist. Doch wenn man erwidert, dass es in der Vorstellung einer Proposition mit eingeschlossen ist, dass sie entweder wahr oder falsch sein sollte, wird aus unserem Gesetz entweder eine reine Tautologie und keine Proposition oder in der Vorstellung von einer Proposition gibt es etwas anderes neben der Eigenschaft, dass sie weder wahr noch falsch ist, und dann stellt man eine synthetische Verbindung zwischen dieser Eigenschaft und diesen anderen fest. Nun können wir mit Sicherheit annehmen, dass es kein derartiges Ding wie eine besondere Notwendigkeit gibt, die zu analytischen Wahrheiten gehört, da es keine analytischen Wahrheiten gibt. Aber ich möchte nicht bestreiten, dass das Gesetz des Widerspruchs notwendig ist. Von nichts anderem würde im Allgemeinen angenommen werden, dass es gewisser oder notwendiger ist als dieses; und folglich ist es ein besonders gutes Beispiel, bei welchem man untersuchen kann, was damit gemeint ist, wenn eine synthetische Wahrheit als notwendig bezeichnet wird. Was ist nun die Notwendigkeit, die dem Gesetz des Widerspruchs anhaftet? Es gibt verschiedene andere Prädikate, die im Allgemeinen mit Notwendigkeit in Verbindung gebracht worden sind oder werden, indem sie wie diese zu Wahrheiten gehören: zum Beispiel Ewigkeit, absolute Gewissheit und Universalität. Es mag sich nun herausstellen, dass Notwendigkeit mit einem von diesen oder mit der Kombination von ihnen allen identisch ist. Wenn wir es andererseits als unmöglich erachten, Notwendigkeit mit ihnen gleichzusetzen, gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass eine übrigbleibende Eigenschaft, die zu den betroffenen Wahrheiten gehört, das sein wird, was mit ihrer Notwendigkeit gemeint ist.
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Betrachten wir nun zuerst Ewigkeit. Wenn damit gemeint ist, dass die betroffenen Wahrheiten zu jedem Moment innerhalb der Zeit wahr sind, kann es kein Kriterium sein, dass Notwendigkeit sich von allen anderen Arten von Wahrheiten unterscheidet. Denn was einmal wahr ist, ist ausnahmslos immer wahr. Jede Wahrheit ist zu jedem Moment innerhalb der Zeit wahr; wenn wir aber von notwendigen Wahrheiten sprechen, meinen wir damit gewiss, dass nur einige Wahrheiten notwendig sind und andere nicht. Dass jede Wahrheit zu jedem Moment innerhalb der Zeit wahr ist, ist tatsächlich noch nicht allgemein wahrgenommen worden; doch bedarf es keiner ausführlichen Betrachtung, um zu erkennen, dass dies so ist. Wahrheiten, von denen angenommen worden ist, dass sie Ausnahmen sind, sind derart, dass sie feststellen, dass dieses und jenes jetzt existiert, während es nicht in der Vergangenheit existiert hat noch in der Zukunft existieren wird; und es muss natürlich eingeräumt werden, dass Dinge jetzt existieren, die weder immer existiert haben noch immer existieren werden. Aber die Wahrheit ist nicht das Ding: Die Wahrheit ist, dass das Ding in einem Moment der Zeit existiert hat, den wir aus Gewohnheitsgründen als Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft bezeichnen, da wir dabei seine zeitliche Beziehung zu einem anderen existierenden Ding, nämlich unserer Wahrnehmung der Wahrheit, hervorheben. Dass Caesar an den Iden des Märzes getötet wurde, um Humes Beispiel aufzugreifen, wenn es nur wahr ist, war, ist und wird immer wahr sein: Niemand wird dies bestreiten. Und es ist auch wahr, dass dieses spezielle Datum einmal gegenwärtig war und jetzt nicht gegenwärtig ist; und diese Propositionen sind auch ewige Wahrheiten. Denn mit „jetzt“ ist nichts anderes als ein bestimmtes Datum gemeint, das wir alle von anderen Daten in der objektiven Zeitfolge durch die Tatsache unterscheiden können, dass die Wahrnehmungen, die auf dieses Datum fallen, wenn sie eintreten, eine besondere Qualität haben –€das Gefühl der Gegenwart. Wenn aber mit „ewigen“ Wahrheiten andererseits Wahrheiten gemeint sind, die zu keinem Moment der Zeit wahr sind, dann scheint es, dass in demselben Sinn alle Wahrheiten zu keinem Moment der Zeit wahr sind. Dies ist tatsächlich nur eine genauere Weise, diese Eigenschaft der Wahrheiten auszudrücken, die üblicherweise ausgedrückt wird, indem man sagt, dass sie immer wahr sind. Denn eine Wahrheit soll weder auf dieselbe Art angesehen werden wie eine bestimmte Anordnung der Materie, die in einem Moment existieren kann und im nächsten zu existieren aufhören kann, noch wie Materie selbst, wenn sie in jedem Moment als existierend wahrgenommen wird. Die Wahrheit, dass etwas existiert, so scheint es, existiert niemals
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selbst, und es kann folglich nicht genau von ihr gesagt werden, dass sie einen Moment der Zeit besetzt. Wir sollten diese Ewigkeit, welche die Eigenschaft aller Wahrheiten ist, exakt durch die negative Aussage ausdrücken, dass sie zu einer Änderung nicht fähig sind, ohne dadurch zu implizieren, dass sie fähig zur Zeitdauer sind. Ewigkeit unterscheidet demnach das Gesetz des Widerspruchs nicht von einer anderen Wahrheit; und doch sollten wir nicht geneigt sein zu sagen, dass sie in einem Sinn nicht notwendig ist, in dem einige andere Wahrheiten von ihr unterschieden werden könnten. Vielleicht wird absolute Gewissheit dieses unterscheidende Kriterium liefern. Wenn nun absolute Gewissheit in einem psychologischen Sinn verstanden wird, wird es kein universelles Kriterium liefern. Ich gebe zu, dass wir hinsichtlich des Gesetzes des Widerspruchs gewisser sind als hinsichtlich irgendeiner anderen Wahrheit, obwohl es schwierig zu beweisen wäre. Aber dann muss andererseits eingeräumt werden, dass es eine Zeit in der Menschheitsgeschichte gegeben hat, als die Menschen hinsichtlich vieler, besonders der am meisten kontingenten Wahrheiten sehr gewiss waren, bevor sie überhaupt an das Gesetz des Widerspruchs gedacht hätten; und deshalb konnten sie auch keine Gewissheit von diesem Gesetz besitzen. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass alle Wahrheiten, die wir jetzt als besonders notwendig betrachten, so abstrakt sind, dass wir von ihnen nicht annehmen können, dass sie gedacht oder geglaubt worden sind, bis viele andere Wahrheiten einen langen Auftrieb an Gewissheit genossen hatten. Dass nun notwendige Wahrheiten ausnahmslos gewisser als andere sind, kann nicht behauptet werden; und falls gesagt wird, dass, sobald beide gedacht werden, die notwendigen trotzdem sofort gewisser werden oder dass sie einer größeren Gewissheit fähig sind, ist es berechtigt anzunehmen, dass dies auf der apriorischen Grundlage geschieht, dass sie gewisser sein müssen, da sie notwendiger sind. Ein empirischer Beweis hinsichtlich dessen tritt gewiss nicht zutage. Doch würde niemand aufgrund dessen, das ein solcher fehlt, zögern zu sagen, dass notwendige Wahrheiten sich von anderen unterscheiden. Es scheint nun, dass Gewissheit in einem psychologischen Sinn nicht das sein kann, was eine notwendige Wahrheit zu dem macht, was sie ist. Wenn Gewissheit in einem anderen Sinn verwendet wird, könnte dies besser besprochen werden, nachdem wir Universalität betrachtet haben. Das Universale scheint gewiss eher ein Kandidat als einer der beiden anderen für die Gleichsetzung mit dem Notwendigen zu sein. Sie wurden beide von Kant als Verbindungskriterien des Apriorischen klassifiziert. Aber auch
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hier ist es notwendig, eine Bedeutungsunterscheidung zu treffen. Denn von einer Wahrheit kann zunächst gesagt werden, dass sie in dem Sinn universell ist, der, wie bereits betrachtet worden ist, mit ewig gemeint ist, nämlich dass sie immer wahr ist. Dies, so haben wir gesehen, würde nicht dazu dienen, eine Wahrheit von einer anderen zu unterscheiden. Wir müssen nun eine andere Bedeutung für Universalität finden, wenn sie mit Notwendigkeit gleichgesetzt werden soll. Und wir haben offensichtlich eine Art von Universalität, die nicht diese ist, im Gesetz des Widerspruchs. Denn es stellt fest, dass jede Proposition entweder wahr oder falsch ist; und da es insofern auf jeden Fall bei der Klasse der „Propositionen“ zutrifft, kann von ihm gesagt werden, dass es universell ist. Aber dies lässt auf eine Unterscheidung schließen, die nicht ohne Wichtigkeit ist. Denn was von jeder Proposition wahr ist, ist, dass sie wahr oder falsch ist; es ist nicht von jeder Proposition wahr, dass jede Proposition wahr oder falsch ist; aber von der letzteren wird gesagt, dass sie notwendig ist. Das Notwendige ist daher nicht universell in dem Sinn, eine Eigenschaft zu sein, die allen Fällen einer gewissen Art gemein ist. Wenn wir nun sagen, dass Notwendigkeit mit Universalität verbunden ist, müssen wir es in dem Sinn sagen, dass jede notwendige Proposition eine Proposition ist, die feststellt, dass eine Eigenschaft in jedem Fall zu finden ist, in dem eine andere Eigenschaft gefunden wird. Aber trifft dies auf alle notwendigen Propositionen zu? Es scheint, dass es nicht auf arithmetische Propositionen zutrifft, z.€B. auf die Proposition 5€+€7€=€12. Denn hier stellen wir nichts über eine Anzahl an Fällen fest. Es gibt keine unterschiedlichen Fälle von 5 und von 7; es gibt eine 5, eine 7 und eine 12. Und doch stellen wir eine Verbindung zwischen ihnen fest, die für gewöhnlich als notwendig betrachtet wird. In der Tat trifft es auf jede Sammlung von Dingen zu, die aus der Anzahl fünf besteht, dass, wenn man zu ihr eine Sammlung hinzufügt, die sich auf sieben beläuft, die gesamte Sammlung sich auf zwölf belaufen wird. Aber verschiedene Sammlungen von fünf Dingen sind nicht unterschiedliche Fünfen; und obwohl eine Proposition über Sammlungen von fünf Dingen in dem Sinn universell sein kann, in dem das Gesetz des Widerspruchs universell ist, ist dies kein Beweis, dass eine Proposition über fünf es selbst ebenso ist. Nun ist es nicht wahr, dass jede Proposition über ein Universales eine universelle Proposition ist. Denn jede Zahl ist ein Universales in dem Sinn, dass sie eine Eigenschaft von vielen verschiedenen Sammlungen ist; und doch stellt eine Proposition, die die Verbindungen zwischen Zahlen feststellt, keine Behauptung über eine Zahl von Fällen auf. Es ist tatsächlich vorgeschlagen worden, dass Propositionen wie das Gesetz des Widerspruchs
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besser in einer zu arithmetischen Propositionen analogen Form ausgedrückt werden könnten; dass wir nicht sagen sollten: Jede Proposition ist entweder wahr oder falsch, sondern: Die Proposition ist entweder wahr oder falsch, genau wie wir sagen: Der Mensch ist sterblich. Aber es scheint Grund für die Annahme zu geben, dass diese Propositionen wirklich in einem Sinn universell sind, in dem arithmetische Propositionen es nicht sind, und dass „Proposition“ keine Eigenschaft von Propositionen in demselben Sinn ist, in dem irgendeine Zahl eine Eigenschaft einer Sammlung ist, der sie zugeschrieben wird. Denn selbst wenn man zugibt, dass „der Mensch ist sterblich“ eine Bedeutung hat, wie können wir von da zu der Proposition „alle Menschen sind sterblich“ gelangen, außer indem hinzugefügt wird, dass die Eigenschaft der Sterblichkeit immer mit den anderen Eigenschaften des Menschseins verbunden ist, wo immer diese letzteren auftreten? Während man von der Proposition „7€+€5€=€12“ zur Schlussfolgerung gelangen kann, dass alle Sammlungen von fünf und sieben gleichzusetzen sind mit Sammlungen von zwölf, ohne die Prämisse „7€+€5€=€12“, wo immer sie auftreten; aus dem Grund, der wahr zu sein scheint, obwohl er kaum als überzeugend angesehen werden wird, dass 5 und 7 niemals auftreten. Für mich selbst kann ich nicht erkennen, dass „der Mensch ist sterblich“ überhaupt eine Bedeutung hat, außer dass „der Mensch immer sterblich ist“; und Ähnliches gilt für das Gesetz des Widerspruchs, da Propositionen nicht in der Zeit auftreten und daher von ihnen nicht gesagt werden kann, dass sie immer entweder wahr oder falsch sind, scheint der abschließende Ausdruck zu sein, dass alle Propositionen entweder wahr oder falsch sind. Daher müssen wir sagen, dass einige notwendige Propositionen nicht in dem Sinn universell sind, dass sie eine Feststellung über eine Summe von Fällen treffen, während andere notwendige Propositionen in diesem Sinn universell sind. Auch diese Universalität wird uns nun keine Bedeutung jener Notwendigkeit liefern, die zu notwendigen Wahrheiten gehört. Aber gibt es vielleicht eine dritte Art von Universalität, die zugleich den Propositionen der Arithmetik und dem Gesetz des Widerspruchs gemein ist und tatsächlich allen Propositionen, die auf den ersten Blick beanspruchen als notwendige Wahrheiten angesehen zu werden? Ich denke, es gibt einen Sinn, in dem keine strikte Universalität, sondern eine gewisse Allgemeingültigkeit für alle von ihnen beansprucht werden kann. Sie alle können als Propositionen einer weiten Anwendung angesehen werden; und eine Betrachtung dessen, was genau diese weite Anwendung ist, wird meine Antwort auf die Frage liefern, was mit jener Notwendigkeit gemeint ist, die notwendigen
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Wahrheiten wirklich zugeschrieben werden kann. Es bleibt jetzt nur übrig zu fragen, welche Gemeinsamkeit, wenn es überhaupt eine gibt, zwischen dieser sogenannten „idealen“ Notwendigkeit und der kausalen oder „realen“ Notwendigkeit besteht. Diese Allgemeingültigkeit der notwendigen Wahrheiten ist das, von dem ich annehme, dass es Kant teilweise aus seinen unterschiedlichen Beweisen, dass sie apriorisch sind, herausgestellt hat. Aber während er ausdrücklich behauptet, dass, wenn man eine Wahrheit als vollkommen notwendig ansieht, man schließen kann, dass sie apriorisch ist, besteht meine Behauptung darin, dass man nur zeigen kann, dass sie apriorisch ist und dass man dann keine neue oder wahre Tatsache hinzufügt, sondern nur einen neuen Namen, wenn man sie auch als notwendig bezeichnet. Die Theorie ist, kurz gesagt, folgende: Apriorisch bedeutet logisch vorausgehend, und jede Wahrheit, die einer anderen Proposition logisch vorausgeht, ist so weit notwendig; aber je mehr wahre Propositionen man erhält, denen eine gegebene Wahrheit vorausgeht, so gelangt man in jene Gegend, in der von einer gegebenen Wahrheit gesagt werden wird, dass sie vollkommen notwendig oder aprioÂ� risch ist. Es wird demnach nur einen Maßunterschied zwischen notwendigen Wahrheiten und vielen anderen geben, nämlich einen Unterschied in der Anzahl der Propositionen, zu denen sie eine gewisse logische Beziehung zeigen; aber es wird einen Unterschied in der Art zwischen dieser logischen Beziehung und jeder anderen Vorstellung geben, mittels derer versucht worden ist, eine Definition der Notwendigkeit zu geben. Wenn es Wahrheiten gibt, die diese logische Beziehung zu allen anderen Propositionen haben, dann würde die Anwendung dieser nicht bloß weit sein, sondern absolut universell; von dieser Art, so scheint es, ist das Gesetz des Widerspruchs und vielleicht einige andere: Und von diesen könnte vielleicht gesagt werden, dass sie sich in der Art auch in dieser Hinsicht von allen anderen unterscheiden. Aber auf diese Frage, die äußerst schwierig ist, möchte ich mich nicht einlassen. Für meinen Zweck ist es ausreichend, dass es einige Wahrheiten gibt, die für gewöhnlich als notwendig bezeichnet werden, z.€B. gewisse Axiome der Geometrie, die diese vollkommene universelle Anwendung nicht besitzen, aber die eine sehr weite haben, und dass dieses zumindest von allen notwendigen Wahrheiten gesagt werden kann. Die logische Beziehung, mittels derer ich vorschlage, Notwendigkeit zu definieren, besteht darin, dass auf sie in philosophischen Diskussionen ständig verwiesen wird; aber dieser Verweis wird fast genauso oft missbraucht. Es wird gesagt, dass eine Proposition in einer anderen vorausgesetzt, impliziert
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oder beinhaltet ist; und dieses Argument wird als final angesehen. Und das ist es in der Tat, wenn nur die betroffene Proposition wirklich vorausgesetzt, impliziert oder beinhaltet ist. Daher scheint es wünschenswert, dass wir uns über das im Klaren sein sollten, was diese Proposition wirklich ist, die im Allgemeinen als logische Priorität bezeichnet wird; und eine solche Klarheit ist für meine Definition von Notwendigkeit wesentlich. Daher schlage ich vor, zu versuchen, sie hervorzuheben, aber ohne zu versuchen, ihre genauen Grenzen zuzuweisen oder eine umfassende Aufzählung der verschiedenen Arten der logischen Beziehung darzulegen, die alle berechtigterweise so bezeichnet werden können. Sie muss nur, denke ich, in einem Fall gesehen werden, um sie zu erkennen. So wenn wir sagen: „Hier sind zwei Stühle, und dort sind zwei Stühle, daher gibt es insgesamt vier Stühle“; im Allgemeinen würde eingeräumt werden, dass wir in unserer Schlussfolgerung 2€+€2€=€4 voraussetzen. Doch ist es offensichtlich, dass viele Menschen die Anzahl der Objekte vor ihnen in einer Vielzahl von Fällen richtig erkennen, ohne sich die so genannten abstrakten Propositionen 2€+€2€=€4 oder 3€+€1€=€4 oder 1€+€1€+€1€+€1€=€4 vorzustellen. Daher unterscheiden sich diese Propositionen von jenen, die wir für gewöhnlich über vier Objekte machen, und doch sind sie in allen von ihnen vorausgesetzt. Ähnliches gilt, wenn ein Mensch sagt: „Dieses ist weiß, und jenes ist schwarz, und daher sind es unterschiedliche Objekte“; wir sollten sagen, dass er impliziert, dass schwarz und weiß verschieden sind. Und dies ist in sich selbst ein sehr üblicher Fall. Aber wenn wir weiter gehen und sagen: Dass Dinge, die verschiedene Eigenschaften haben, verschieden sind, ist dies ein Prinzip, das in jedem einzelnen Unterscheidungsurteil beinhaltet ist, das wir treffen; und wir sollten nicht fähig sein, einen Grund für unser Urteil, dass die Dinge unterschiedlich sind, anzugeben, außer dass diese und jene Eigenschaft, die zu den betroffenen Dingen gehören, unterschiedlich ist. Dies sind nun Fälle der logischen Priorität, und wir entscheiden, ob andere angenommene Fälle auch dieser Art sind, indem wir betrachten, ob sie wie diese sind oder nicht. Und keineswegs sind alle Fälle von Folgerung dieser Art. Wenn z.€B. jemand sagt: „Hier ist ein Pferd gewesen“, und wir fragen warum, kann sein Grund sein: „Sehen Sie diese Hufabdrücke.“ Aber dass ein Pferd sie gemacht hat, wird keineswegs in der Tatsache vorausgesetzt, dass es hier Hufabdrücke gibt. Und doch ist die Folgerung vollkommen gerechtfertigt: Beide Propositionen können wahr sein, und die eine kann auf die andere folgen. Alle Propositionen sind nun nicht mittels der logischen Priorität verbunden, während einige Propositionen es sind. Und was allgemein eine vorrangige Proposition kennzeichnet, ist, dass
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sie wahr sein kann, selbst wenn die bestimmte Proposition, der sie vorausgeht, falsch sein sollte. Und so ist eine logisch vorrangige Proposition allgemein zugleich gegenüber einer falschen und gegenüber einer wahren Proposition vorrangig. Und was Kant des Weiteren zeigt, besteht darin, dass es eine Anzahl von Propositionen gibt, die fast jedem wahren „empirischen“ Urteil, das wir treffen, logisch vorausgehen; und derartige empirische Urteile bilden eine überaus große Mehrheit aller wahren Propositionen, von denen wir Kenntnis haben. Sie können nicht wahr sein, wenn nicht die Propositionen, die sie beinhalten, wahr sind; aber diese können wahr sein, selbst wenn die empirischen Urteile falsch sind. Dass es nun diese Klasse von logisch vorrangigen Propositionen gibt und dass sie sich der Universalität in dem Sinn nähern, dass viele von ihnen einer sehr großen Anzahl von anderen Wahrheiten vorausgehen, wird kaum bestritten werden. Und dass sie in einem bemerkenswerten Maß mit der Klasse der „notwendigen Wahrheiten“ übereinstimmen, scheint nicht weniger offensichtlich. Aber sie scheinen darüber hinaus mit der Klasse der „sichersten“ Propositionen in jedem Sinn von Gewissheit, der nicht psychologisch ist, übereinzustimmen. Denn jeder, der nach einer vollkommen sicheren Proposition sucht, aus der er sein Philosophiesystem herleiten kann, wird im Allgemeinen versuchen zu zeigen, dass sie allen anderen Propositionen logisch vorausgeht. Als Beispiel können wir das berühmte „Cogito, ergo sum“ anführen. Hier ist die Schlussfolgerung, dass „ich bin“, da „ich denke“ mittels logischer Priorität erreicht worden ist: Und es ist wirklich logisch vorrangig. Inwieweit Descartes dasselbe Argument zur Verteidigung der Proposition, die er dachte, verwendet hat, ist mir nicht bewusst: Die Gewissheit, die er zuerst für sie beanspruchte, ist gewiss eine psychologische, nämlich dass er sie nicht bezweifeln konnte. Aber seine modernen idealistischen Nachfolger beanspruchen ständig eine höhere Gewissheit für das „Cogito“ selbst auf der Grundlage, dass es anderen Propositionen logisch vorausgeht. Viele werden sofort sagen, dass Denken aller Existenz und aller Wahrheit vorausgesetzt ist, und werden die Schlussfolgerung ziehen, dass die Existenz des Denkens daher die Grundgewissheit ist. Andere werden in einer allgemeineren Art sagen: Man kann nicht bestreiten, dass, was immer man denkt, es impliziert ist, dass man es denkt; und daher ist die abschließende Gewissheit, dass man es denkt, nicht dass das, was man denkt, wahr ist: Wenn jemand bestreitet, dass er eine Aussage macht, ist es unmöglich mit ihm zu streiten. Ob diese Aussagen, die so geäußert werden, dass sie sicherer sind, wirklich logisch vorausgehen, ist eine andere Frage; aber es ist lohnenswert hervorzuheben, dass
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jene, die dieses Argument verwenden, zugeben, dass die Proposition, dass „logische Priorität eine Gewissheitsprüfung ist“, zumindest genauso sicher ist wie die Proposition, die sie mit ihrer Hilfe zu erstellen suchen: Diese Proposition geht auf jeden Fall ihrem Argument voraus. Und so kann gefragt werden, wenn wir sagen, dass keine Proposition in sich selbst notwendig ist, sondern dass wir, wenn wir sie als notwendig bezeichnen, nur meinen, dass sie auf eine gewisse Weise mit anderen Propositionen verbunden ist: Aber was ist mit dieser Verbindung? Ist sie nicht in sich selbst notwendig? Ich sollte antworten: Nur in demselben Sinn wie jene Propositionen, die sie notwendig macht, notwendig sind. Denn jede Aussage der Form „dies ist darin enthalten“ ist selbst eine Proposition; und wenn wir sagen: „Wenn man jenes behauptet, muss man auch dieses behaupten: Sie sind notwendigerweise verbunden“, meinen wir nur: Dies folgt daraus, und das allgemeine Prinzip, dass das, was aus einer Wahrheit hervorgeht, selbst wahr ist, ist notwendig, da es in jedem Argument beinhaltet ist. Dass ein Ding aus einem anderen hervorgeht, ist tatsächlich nicht immer eine notwendige Proposition: Aber dass dann, wenn es daraus hervorgeht, falls das erste wahr ist, auch das zweite wahr ist, ist eine notwendige Proposition. Es geht logisch jeder Aussage wie jener voraus: Wenn dieses, dann jenes. Und solche Aussagen sind nicht unter den ungewöhnlichsten Wahrheiten. Nun haben wir eine Antwort hinsichtlich der Bedeutung notwendiger Propositionen und ebenso hinsichtlich der Bedeutung der notwendigen Verbindung zwischen Propositionen. Die Ersten sind notwendig, wenn sie in einer großen Anzahl anderer Propositionen beinhaltet sind, und hinsichtlich der Zweiten ist es die Proposition, dass die Wahrheit dessen, was impliziert ist, aus der Wahrheit dessen folgt, was es impliziert, die notwendig ist. Die Verbindung selbst ist nicht notwendig, sondern die Wahrheit, dass, wenn sie vorhanden ist, eine wahre Schlussfolgerung gezogen werden kann, ist notwendig. Es bleibt dann nur, die dritte Klasse der Entität, die als notwendig bezeichnet werden kann, zu betrachten –€die Klasse der Dinge und ihre Verbindung. Dass wir meinen, wenn wir ein Ding als notwendig bezeichnen, dass es Ursache oder Wirkung eines anderen Dings ist, ist offensichtlich. Die Frage betrifft nun jene Notwendigkeit, die in der Vorstellung der Kausalität beinhaltet ist. Ob es Ursachen gibt –€ob man aus der Existenz eines Dings jemals berechtigterweise auf die Existenz eines anderen schließen kann€–, ist eine andere Frage. Aber dass, wenn es eine Ursache gibt, sie notwendigerweise mit ihrer Wirkung verbunden ist, und dass ihre Wirkung notwendig
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ist, wird nicht infrage gestellt. Die Frage betrifft bloß das, was durch diese Notwendigkeit bezeichnet wird. Und meine Antwort darauf ist, so fürchte ich, beklagenswert kurz. Denn ich kann überhaupt nicht sehen, dass es eine Beziehung zwischen den beiden Dingen gibt, außer dass es aus der Proposition „das eine existiert“ eine berechtigte Folgerung auf die Proposition „das andere existierte“ oder „wird existieren“ gibt. Wenn wirklich folgt, dass, da ein Ding existiert, ein anderes existiert hat oder existieren wird, welche notwendigere Beziehung kann gewünscht werden? Die angenommene „reale“ Notwendigkeit wird nun, wie die angenommene „ideale“, auf die logische Notwendigkeit reduziert werden. Es wird tatsächlich einen Unterschied geben. Die Existenz eines Dings ist gewiss nicht in der eines anderen vorausgesetzt: Die Beziehung zwischen ihnen ist gewiss nicht jene der logischen Priorität. Wenn wir das eine aus dem anderen schließen wollen, muss es auf Grundlage des Prinzips sein, dass, wann immer es wahr ist, dass ein Ding existiert, es auch wahr ist, dass ein anderes Ding existiert hat oder existieren wird. Und dieses Prinzip kann selbst notwendig sein und logisch anderen Propositionen vorausgehen. Aber die besondere kausale Folgerung erforderte immer nicht nur dieses als seine Prämisse, sondern auch dass ein Ding existiert. Hier gibt es jedoch keinen Grund zu streiten, dass die Notwendigkeit logisch ist. Und mit der Feststellung, dass es so ist, werden wir uns von Hume nur darin unterscheiden, dass, während er sagt: „Ein Ding ist eine Wirkung, wenn wir seine Existenz aus der Existenz eines anderen Dings schließen“, er damit nur meint, dass unsere Annahme des Letzteren uns veranlasst, das Erste anzunehmen, wir sagen müssen: „Ein Ding ist eine Wirkung, wenn seine Existenz berechtigterweise aus der Existenz eines anderen Dings geschlossen werden kann, ob wir diese Folgerung vollziehen oder nicht.“
Kapitel 5 Der Wert der Religion Erstveröffentlichung im International Journal of Ethics 12 (Oktober 1901), 81–98.
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s ist, denke ich, wohl bekannt, dass sehr viele Menschen heutzutage an Gott glauben. Und es ist ebenso bekannt, dass viele Menschen nicht glauben, dass irgendein Gott existiert. Jede Gruppe, die Gläubigen und die Ungläubigen, die Christen und die Gottesleugner, weiß im Allgemeinen, dass die andere Gruppe eine Vielzahl an Mitgliedern hat. Vor einiger Zeit gab es eine kleine öffentliche Kontroverse zwischen diesen Lagern. Bradlaugh und Huxley, um bekannte Namen zu nennen, griffen die Gläubigen sehr energisch an, und Matthew Arnold tat sein Bestes, um zu schlichten. Gegenwärtig scheint die Frage, ob Gott existiert oder nicht, aus dem öffentlichen Interesse verschwunden zu sein. Zweifellos werden weiterhin Bücher von beiden Standpunkten veröffentlicht, Huxley und Matthew Arnold werden weiterhin gelesen, doch im Allgemeinen scheint keine Seite sehr bedacht darauf, die andere zu überzeugen. Ich zweifle, ob die Christen jemals daran denken, wie viele Ungläubige es gibt. Und die Nichtgläubigen ihrerseits haben gleichermaßen aufgehört, das Recht anderer Menschen, zu glauben, und ihr eigenes Recht, nicht zu glauben, infrage zu stellen. Im Allgemeinen stellt sich keine Verstimmung aufgrund dieser großen Meinungsverschiedenheit ein: Man weiß noch nicht einmal, ob der Nachbar ein Christ oder ein Nichtgläubiger ist; man sieht keinen Grund nachzufragen, selbst wenn man sich selbst diese Frage stellt. Nun herrschte nicht immer eine derartige Gleichgültigkeit hinsichtlich dieses Themas: Die Frage war eine von Leben und Tod. Vielleicht habe ich den gegenwärtigen Zustand der Zustimmung übertrieben. Wenn jemand von Ihnen so denkt, dann gibt es Hoffnung, dass Sie mehr Interesse an dem, was ich zu sagen habe, zeigen, als ich erwarte. Denn ich will diese alte Kontroverse wieder betrachten; um Ihnen, soweit es mir möglich ist, zu zeigen, welche berechtigten Argumente es hinsichtlich der Beantwortung der Frage gibt: Sollen wir an Gott glauben?
Ein Vortrag, der für die London School of Ethics and Social Philosophy gehalten wurde.
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Meine größte Hoffnung bei diesem Thema besteht darin, Punkte zu verdeutlichen, von denen unsere Antwort auf diese Frage abhängig sein muss. Denn mir scheint, dass auf beiden Seiten oftmals falsche Argumente verwendet werden, und wenn wenigstens diese ausgeräumt werden könnten, würde wahrscheinlich sogar die erwähnte Meinungsverschiedenheit überhaupt verschwinden. Ich selbst teile die Meinung, die, wie ich gesagt habe, die unter den Menschen am meisten verbreitete zu sein scheint –€die Meinung, dass dieser Unterschied zwischen Christen und Nichtgläubigen von geringer praktischer Wichtigkeit ist. Bei viel wichtigeren Fragen, bei moralischen Fragen, stimmen beide Seiten größtenteils in der Meinung überein; und in der Praxis stimmen sie noch mehr überein. Trotzdem besteht eine mögliche Gefahr, solange viele sagen, „es gibt einen Gott“, während andere sagen, „ich sehe keinen Grund anzunehmen, dass es einen gibt“, dass feindselige Handlungen vorkommen könnten. Dieser Unterschied, so möchte ich Sie nochmals erinnern, hat in der Vergangenheit Anlass zu Gewalt und Verfolgung gegeben: Und so kann es, zwar nicht wahrscheinlich, aber möglicherweise, wieder werden. Im Besonderen, wenn der Mehrheit der Christen einmal völlig bewusst würde, wie viele Menschen sich von ihnen im Glauben unterscheiden und wie vollständig der gegenwärtige ruhige Zustand geändert werden könnte. Auf jeden Fall ist es wünschenswert, denke ich, dass eine Einigung erreicht werden sollte, und dass, wenn das nicht möglich ist, jede Seite zumindest wissen sollte, welche Gründe Glauben oder Nichtglauben rechtfertigen. Diese Gründe werde ich versuchen aufzuzeigen. Ich stelle nun die Frage: Sollten wir an Gott glauben? Und ich stelle sie in dieser Form, teils weil dies eine Frage ist, neben jeder allgemeinen Wichtigkeit, die sie hat oder die ihr fehlt, die für die meisten Menschen sich zu irgendeinem Zeitpunkt stellt, indem sie verlangt, dass sie für sich persönlich eine Antwort darauf finden. Die Antwort, die sie geben, wird für ihr zukünftiges Verhalten kaum einen Unterschied machen: Sie werden sich wahrscheinlich an die Antwort, die sie annehmen, gewöhnen; sie werden sie als selbstverständlich ansehen und völlig vergessen, dass sie jemals eine wichtige Frage für sie dargestellt hat. Jedoch für einige wird es, obwohl es für sie keinen Unterschied für ihr Verhalten macht, einen großen Unterschied für ihre Zufriedenheit geben. Und auf jeden Fall ist es, wenn die Frage zuerst gestellt wird, wie bald sie sie auch beantworten und aufhören, über sie nachzudenken, gerade dann eine Frage, auf die sie eine Antwort wollen. Ihnen zu helfen, die richtige zu finden, ist gewiss eine Anwendungsfrage. Argumente können jenen nützen, die sich bereits die Frage gestellt haben; während sie
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von jenen verworfen werden, deren Gewohnheit ihnen ihre eigene Antwort gegeben hat. Darüber hinaus sind es jene, die jetzt die Frage stellen, die die übliche Frage der Zukunft bestimmen werden. Sollten wir dann an Gott glauben? Man kann einwenden, dass diese Frage zu besprechen nicht bedeutet, den Wert der Religion zu besprechen. Religion ist ein sehr vages Wort, und einige mögen mit Matthew Arnold übereinstimmen, dass es keinen Glauben an einen personalen Gott beinhaltet. Ich stimme dem nicht zu: Ich denke, dass es allgemein so verstanden wird, dass dies impliziert wird, obwohl es natürlich viel mehr beinhaltet. Aber meine Aufgabe ist es nicht, die Bedeutung eines Wortes zu besprechen. Wenn Sie annehmen, dass ich Religion falsch benutzt habe, genügt es mir, mich zu entschuldigen. Die Frage, die ich besprechen möchte, betrifft den Wert des Glaubens an einen personalen Gott. Diese Frage ist, ganz abgesehen von jeder weiteren Bedeutung der Religion, für viele Menschen gewiss sehr wichtig. Wenn Matthew Arnold sagt, dass sie es nicht sein sollte, dass sie kein wertvolles Element des Christentums ist, sollte ich vielleicht mit ihm übereinstimmen, obwohl das Christentum dies gewiss nicht tun wird. Aber dass viele Menschen dies als wichtig ansehen, würde selbst er vielleicht nicht bestreiten, obwohl seine Argumente eine derartige Verneinung beinhalten. Auf jeden Fall ist dies die einzige Frage, mit der ich mich befasse: Was ist der Wert des Glaubens an einen personalen Gott? Man kann keine Religion in dem Sinn, den ich meine, ohne diesen Glauben haben; obwohl man, wenn man ihn hat, auch viel mehr in seiner Religion haben kann. Doch als Nächstes muss ich sagen, was ich mit einem personalen Gott meine. Alles was ich mit dem Wort „personal“ impliziere, ist einfach zu verstehen. Ich hätte es kaum als notwendig erachtet, die Bedeutung hervorzuheben, außer aufgrund Matthew Arnolds einzigartiger Einfältigkeit, zu sehen, was gemeint ist, wenn Gott als eine Person bezeichnet wird, und seiner Annahme, dass nur die Bischöfe mit ihrem metaphysischen Vermögen das Thema verstehen können. Es gibt zwei Eigenschaften, die zu einer Person gehören müssen, was immer auch anderes daneben zu ihr gehört. (1)€Eine Person muss mit dem ausgestattet sein, was wir Verstand im Gegensatz zu unserem Gehirn und unserem Körper nennen; und (2) sie muss ebenso jene positive Qualität haben, mit der wir uns selbst von anderen Menschen unterscheiden. Diese zwei Kriterien der Personalität genügen für meinen Zweck vollkommen. Jeder von uns weiß, was mit diesen beiden Dingen gemeint ist, obwohl wir nicht genau wissen mögen, woraus sie bestehen. Wir denken, dass andere Menschen Verstand haben –€dass sie nicht bloße Körper sind€–,
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und wir wissen aus unserer Erfahrung von uns selbst, was wir mit diesem Unterschied meinen. Und wir wissen ebenso, dass wir, wenn wir über die Gedanken einer anderen Person sprechen, nicht unsere eigenen Gedanken meinen. Zwei Personen können an dasselbe Ding denken, aber der einzelne Gedanke von jedem gehört zu der einen Person und nicht zu der anderen. Wir wissen aus unserer eigenen Erfahrung mit den Gedanken, die uns gehören, was wir mit einem Gedanken meinen, der einer Person gehört; und wir werden niemals verleitet zu denken, dass, wenn Sie und ich an dasselbe denken, es nicht zwei Gedanken gibt, sondern einen. Dass Sie an etwas denken, ist eine Tatsache, und dass ich an etwas denke, eine andere, was immer der Unterschied zwischen den beiden sein mag. Und so muss es eine Tatsache sein, wenn Gott denkt, dass er denkt, und nicht dieselbe Tatsache wie das Denken eines anderen, selbst wenn es diese anderen Gedanken beinhalten kann. Ein personaler Gott muss diese Eigenschaft haben, dass seine Gedanken ihm in einem Sinn gehören, wie unsere Gedanken uns gehören, in dem sie zu keinem anderen gehören. Und er muss ebenso die andere Eigenschaft mit Ihnen und mir gemein haben, die wir im Gegensatz zum Körper Verstand nennen. Diese beiden Eigenschaften sind sicherlich sehr einfach zu erkennen, und wenn ich von einem personalen Gott spreche, meine ich bloß einen Gott, der diese beiden Eigenschaften besitzt, welche anderen Eigenschaften daneben er auch besitzen mag –€ein Gott mit einem Verstand oder Geist und ein Gott mit einem Verstand. Aber Gott darf nicht nur eine Person sein, er muss ebenso ein Gott sein: Und damit meine ich, dass er mächtig, weise und gut sein muss, alle drei Eigenschaften in einem höheren Maß als irgendeiner von uns. Wie viel mächtiger, weiser und besser ist in verschiedenen Religionen sehr unterschiedlich angesehen worden. Einige haben sogar vertreten, dass er nicht besser als sie, sondern schlechter wäre. Aber obwohl selbst Teufelsanbetung den Namen Religion verdient, werde ich dies nicht besprechen. Die Frage: Sollte ich glauben, dass es nur einen Gott gibt und dass er ein Teufel ist?, ist, denke ich, keine ernste Frage für viele Menschen. Auf jeden Fall muss ich sie vernachlässigen und insofern mit Matthew Arnold übereinstimmen, dass die wichtige Frage einen Gott betrifft, der, obwohl er ebenso eine Person ist, doch „für die Gerechtigkeit“ steht. Und schließlich muss der Gott, an den
Möglicherweise verneinen die drei Personen des athanasianischen Glaubensbekenntnisses einen Teil dessen, was ich gesagt habe, oder fügen etwas GegensätzÂ� liches hinzu. Aber ich befasse mich nur mit der Art, in der die meisten Gläubigen fortwährend an Gott denken.
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hier geglaubt wird, als sehr viel mächtiger, weiser und besser als wir selbst wahrgenommen werden, wie viele historische Religionen ich auch somit von der Diskussion ausschließe. Dass wir eine Person uns als all-weise, all-mächtig und all-gut vorstellen können, bezweifle ich sehr, aber die Gottesvorstellung, die ich besprechen möchte, besteht darin, dass sie so nah an den Besitz dieser Attribute kommt, jener Attribute, die Gott durch das Christentum zugeschrieben werden, wie jeder Christ sie sich leicht vorstellen kann. Damit hoffe ich, Ihnen jetzt das Minimum dessen deutlich gemacht zu haben, was ich mit Gott meine. Und meine Frage lautet, ob es gut ist zu glauben, wie die meisten religiösen Menschen es tun, dass ein Gott, der mindestens diese Qualitäten besitzt, wie viele weitere er auch besitzen mag, wie viele anthropomorphe Vorstellungen er auch übersteigen mag, tatsächlich existiert. Ist es gut zu glauben, dass solch ein Gott existiert? Sollten wir glauben, dass er existiert? Was ist der Wert eines solchen Glaubens? Dies ist eine ethische Frage, und aus diesem Grund nehme ich an, dass sie mehr als jede andere die gesamte Grundlage der Kontroverse zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen abdeckt. Denn ich gebe zu oder nehme an, was immer Sie mögen, dass, wenn es wahr ist, dass Gott existiert, wenn er wirklich existiert, es dann gut ist, diese Tatsache zu glauben. Es mag vielleicht nicht viel nutzen, aber es ist bis zu diesem Maß gut, die Wahrheit zu kennen. Es ist für den Glauben jedes Menschen eine ausreichende Rechtfertigung, dass das, was er glaubt, wahr ist. Wenn ein Ding wahr ist, dann kann niemand dafür verantwortlich gemacht werden, dass er daran glaubt. Dies ist, soweit ich weiß, niemals bestritten worden, zumindest in dieser religiösen Kontroverse. Auf jeden Fall möchte ich es nicht anzweifeln. Die Tatsachenfrage des Beweises für Gottes Existenz, die eine große Rolle in dieser Kontroverse gespielt hat, wird durch meine Frage vollständig abgedeckt. Bevor wir die Frage „Ist es gut, an Gott zu glauben?“ ganz beantworten können, müssen wir zuerst entscheiden, ob Gott existiert; denn wenn er existiert, dann können wir, so sehe ich es, sofort sagen, dass wir gut daran tun, an ihn zu glauben. Aber meine Frage deckt nicht nur diese Untersuchung ab; sie schließt auch eine andere mit ein: Und darin liegt ihr Vorteil. Denn angenommen wir haben die Tatsachenfrage, die Frage, ob Gott existiert oder nicht, besprochen und sind zu dem Schluss gekommen, zu dem wir, wie ich zeigen werde, letztendlich kommen müssen, dass es nicht eine Spur eines Beweises gibt, der die kleinste Wahrscheinlichkeit herstellt, dass Gott existiert oder auch dass er nicht existiert: Angenommen ich sage, dass wir bei der Tatsachenfrage zu diesem Schluss gekommen sind, so bleibt dennoch eine Frage, die ebenso
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durch meine ethische Formel abgedeckt ist. Es bleibt noch das, was wir die moralischen Gründe für einen Glauben an Gott nennen. Verweise auf diese werden oftmals vorgenommen und haben oft große Bedeutung. Aber die Bedeutung, die sie haben, ist größtenteils, denke ich, einer Verwechslung geschuldet. Unter dem Oberbegriff der moralischen Gründe für Glauben haben wir zwei gänzlich verschiedene Anordnungen von Argumenten. Eine Anordnung versucht, aus moralischen Tatsachen der einen oder anderen Art zu beweisen, dass Gott existiert. Es wird behauptet, dass Moral ohne Grundlage ist, würde Gott nicht existieren: Dies sagt Matthew Arnold über seinen Gott und Arthur Balfour über seinen. Es wird auch von bescheideneren Personen behauptet, dass die Güte des Christentums der Beweis ist, dass sein Glaube wahr ist. Aber all diese Argumente fallen offensichtlich unter die Tatsachenfrage, ob es einen Beweis, moralisch oder andersartig, gibt, der eine Wahrscheinlichkeit herstellt, dass Gott existiert. Hinsichtlich der anderen Anordnung der sogenannten „moralischen“ Argumente denke ich, dass sie viel von ihrem Einfluss verlieren würden, wenn sie deutlich von den Letzteren unterschieden würden. Tatsächlich findet man sich damit ab, dass, ob wir einen Beweis für Gott haben oder nicht, an ihn zu glauben, gute Wirkungen erzielt –€es ist eine mächtige Hilfe für moralisches Handeln. Dies ist ein Argument, das gewiss gesehen werden muss. Wir haben, so würden einige Menschen sagen, das Recht und die Pflicht, dem positiven Glauben nachzugeben, wo der Beweis allein uns kein Recht geben würde, nur aufgrund seiner Wirkungen. Daher ist es angebracht zu betrachten, inwieweit der Glaube an Gott diese angeblichen Wirkungen hat. Diese Untersuchung ist wahrscheinlich das, was Sie unter meinem Titel „Der Wert der Religion“ verstanden haben. Es betrifft die moralischen Argumente für Glauben als solchen; und diese müssen von den moralischen Argumenten unterschieden werden, die es für die Wahrheit des Glaubens geben mag. Doch werden die beiden Arten von Argumenten, wie ich gesagt habe, häufig verwechselt: Und wie wichtig derartige Verwechslungen sind, um die Religion zu stärken, kann ich, so denke ich, durch ein offensichtliches Beispiel zeigen. Wir hören sehr viel über den Wert der Religion; es wird vorgebracht, dass ihr Einfluss auf das Verhalten enorm ist. Aber all dieses wird gewöhnlich auf die Annahme gestützt, dass es einen Grund gibt, sie als wahr zu betrachten. Doch ob sie wahr ist oder falsch, der Beweis ihrer moralischen Wirksamkeit ist genau derselbe. Allein durch die Beobachtung können wir uns vergewissern, ob sie gute Wirkungen hat oder nicht; und die Ergebnisse der Beobachtung werden feststehen, obwohl der Glaube als falsch bewiesen worden ist.
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Diese Tatsache stets vor dem geistigen Auge zu haben ist, denke ich, für viele Anhänger der Religion sehr ernüchternd. Normalerweise kommt es nicht vor, dass sie ihr enthusiastisches Lob einem Glauben zuteilwerden lassen, der, da andere Argumente seine Wahrheit nicht beweisen können, eine bloße Illusion sein kann. Eine bloße Illusion kann zweifellos sehr gute Wirkungen haben: Aber ich denke, ich habe Recht, wenn ich sage, dass ernsthafte Menschen es sehr hassen, so zu denken. Wenn man ihnen nun erklärt, dass religiöser Glaube möglicherweise ein bloßer Fehler ist, werden sie geneigt sein, entweder sich in ihrem Lob der hervorragenden Wirkungen zurückzuhalten oder zu behaupten, dass seine Wirkungen selbst Beweise für die Wahrheit sind. Im ersteren Fall ist ihr moralisches Argument für den Glauben nun leider geschwächt; und im letzteren haben sie es irrigerweise in ein moralisches Argument für die Existenz Gottes umgewandelt –€für die Wahrheit dieses Glaubens. Kurz gesagt, wenn wir den Wert der Religion richtig betrachten wollen, müssen wir die möglichen Nachteile des Glaubens, der eine bloße Illusion sein kann, so betrachten, dass sie eine gewisse Bedeutung gegenüber den angeblichen Vorteilen haben. Viele Apologeten neigen dazu, denke ich, zu vergessen, dass sie auf ihrer eigenen Seite der Frage eine Annahme einbringen, dass ihr Glauben an Gott wahr ist. Nun müssen sie nicht nur, wenn sie nicht durch andere Argumente beweisen können, dass es so ist, einen Teil zu ihren Gunsten wegnehmen, sondern ihn auch der anderen Seite zuschreiben. Denn die meisten Menschen würden zustimmen, wie ich denke zu Recht, dass ein starker Glaube an etwas, das möglicherweise falsch ist, selbst ein zweifelhafter Segen ist. Nun hoffe ich, Sie überzeugt zu haben, dass es für diese Angelegenheit wichtig ist, klar zu denken. Was ich als die Untersuchung der Tatsachen der Wahrheit des religiösen Glaubens bezeichnet habe, muss sehr deutlich von der moralischen Untersuchung des Wertes ihrer Wirkungen getrennt werden. Aber zur gleichen Zeit ist die Untersuchung der Tatsachen notwendig, bevor wir über den Wert der Religion entscheiden können; da die Wahrheit eines Glaubens, obwohl sie seine Wirkungen nicht verändern kann, in sich selbst eine gewisse ethische Wichtigkeit trägt. So können wir mit unserer Betrachtung fortfahren und zuerst diese Untersuchung der Tatsachen besprechen. Die Frage lautet hier wie folgt: Haben wir einen Beweis, der es möglich erscheinen lässt, dass Gott existiert? Die Frage ist sehr umfassend, und ich kann nicht mehr tun, als die Argumente zusammenzufassen. Und doch denke ich, dass diese Zusammenfassung, obwohl sie kurz ist, sehr schlüs-
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sig sein kann. Die Schlussfolgerung, die ich erzielen möchte, lautet, wie ich gesagt habe: Es gibt keine Wahrscheinlichkeit, dass Gott existiert. Das ist alles: eine rein negative Schlussfolgerung. Ich bin nicht gläubig und glaube nicht, dass Gott existiert, und ich denke, der Beweis wird meinen Nichtglauben rechtfertigen. Aber genau wie ich denke, dass es keinen Beweis für seine Existenz gibt, denke ich, dass es auch keinen Beweis gibt, dass er nicht existiert. Ich bin in einem Sinn kein Atheist: Ich bestreite nicht, dass Gott existiert. Meine Argumente werden nur zeigen, dass es keinen Grund gibt, anzunehmen, dass er es tut; sie werden nicht zeigen, dass es einen Grund gibt, dass er es nicht tut. Ich glaube nicht, dass er existiert, aber ich glaube auch nicht, dass er nicht existiert. Das ist die Haltung, die ich empfehlen möchte. Gibt es nun einen Beweis, dass Gott existiert? Ist seine Existenz überhaupt wahrscheinlich? Wir sagen, dass wir einen Beweis für ein Ding haben, wenn es aus anderen Dingen hergeleitet werden kann, die wir als bewiesen annehmen. Die Frage nach dem Beweis für die Existenz Gottes ist nun die Frage, ob es eine andere Wahrheit gibt, aus der wir sie herleiten können. Überhaupt einen Beweis zu erwähnen, beinhaltet, dass andere Dinge neben dem Ding, das wir beweisen wollen, wahr sind. Wer durch einen Beweis zeigen will, dass Gott existiert, muss zuerst annehmen, dass etwas anderes wahr ist. Die Wahrheiten, von denen wir für einen derartigen Beweis ausgehen können, sind das, was wir die Tatsachen der Alltagserfahrung nennen. Wir glauben alle, dass wir hier sind, zwischen vier Wänden, lebendig und uns bewegen können; noch mehr, dass wir denken und fühlen. Dies sind die Tatsachen der Beobachtung, aus denen die Naturwissenschaft ihre Gesetze herleitet. An diese Dinge glauben wir alle; wir können nicht anders, als sie zu glauben, ob wir es mögen oder nicht. Dass sie tatsächlich wahr sind, können wir nicht beweisen. Unser Glauben ist kein Beweis, dass sie es sind. Und insofern stehen sie genau auf derselben Ebene mit einem Glauben, dass Gott existiert: Der Glaube ist auch kein Beweis, dass er existiert. Ich glaube, dass ich existiere, und jemand anderes glaubt, so versichere ich Ihnen, dass Gott existiert; und so weit diese Annahmen reichen, gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen den beiden Dingen, die geglaubt werden. Beide haben das gleiche Recht als wahr angesehen zu werden und das gleiche Recht als falsch angesehen zu werden. Aber wenn wir zu der Frage nach Beweis und Wahrscheinlichkeit gelangen, gibt es keinen größeren Unterschied in der Welt, als er zwischen ihnen sein könnte. Es gibt Beweise in Fülle, dass ich existiere, und es gibt keinen, dass Gott existiert.
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Denn meine Existenz ist ein Objekt von einer solchen Art, dass sie von anderen Objekten des Glaubens hergeleitet werden kann. Diese sind auch, wie meine Existenz und Gott, bloße Objekte des Glaubens; sie können nicht als wahr bewiesen werden. Aber sie sind derart, dass, falls eines von ihnen wahr ist, die anderen und meine Existenz es auch sind. Die einfachste Aussage wie „diese Hand bewegt sich“ beinhaltet viele andere, aus denen wieder eine Vielzahl anderer einfacher Aussagen, wie jene, dass ich sie bewegt habe, hergeleitet werden kann. Und alle Argumente, um die Existenz Gottes zu beweisen, beruhen auf Beweisen wie diesen. Der Beweis ist gewiss so gut, wie es uns möglich ist; es ist das, was zu glauben wir nicht anders können, obwohl es falsch sein mag. Hinsichtlich des Beweises habe ich nun keinen Einwand: Aber die Existenz Gottes wird nicht darauf beruhen. Dass ich eine Narbe auf meiner Hand habe, ist ein hervorragender Beweis für etwas: Die Narbe ist sichtbar und fühlbar, und zweifellos hat sie eine Ursache gehabt. Ich kann nicht beweisen, dass diese Dinge so sind; und Sie können es auch nicht, außer durch Prämissen, die selbst genauso zweifelhaft sind. Alle von ihnen sind möglicherweise nicht wahr. Aber wenn Sie einräumen, dass die Narbe dort ist, dann behaupte ich, dass es keinen Beweis, keine Wahrscheinlichkeit gibt, dass ein Engel mit einem brennenden Schwert hinunterkam und sie machte: Aber es gibt mehr Beweise, mehr Wahrscheinlichkeit, dass sie auf eine Weise entstanden ist, die ich erwähnen könnte. Menschen nehmen die Welt nun, wie wir sie zu kennen meinen, und sie folgern, weil sie so ist, wie sie und wir alle glauben, dass auch Gott existieren muss. Hinsichtlich der Tatsachen, von denen sie ausgehen, habe ich keine Einwände, obwohl wir zugeben müssen, dass sie falsch sein können: Aber die Folgerung, die sie aus ihnen ziehen, ist genauso absurd wie die Folgerung aus meiner Narbe auf jenen Engel. Es gibt zwei bekannte Argumente dieser Art –€die Standardargumente dessen, was als natürliche Theologie bezeichnet wird€–, Argumente, die in der einen oder anderen Form noch in Verwendung sind. Dies sind die Argumente für eine erste Ursache und das Argument des Geordnetseins. Die Unzulänglichkeit der beiden Argumente wurde letztendlich vor einhundert Jahren durch Kant hervorgehoben. Mit dem ersten, im Unterschied zum zweiten, müssen wir uns nicht beschäftigen, denn selbst wenn eine Erste Ursache notwendig wäre, müsste doch bewiesen werden, dass diese Ursache intelligent und gut ist: Sie muss beides sein, Sie erinnern sich, damit sie auf unsere Bedeutung eines personalen Gottes zutrifft. Dass diese Ursache intelligent und gut sowie auch mächtig ist, versucht das Argument des Geordnetseins zu beweisen. Daher ist das einzige
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Argument, mit dem wir uns befassen müssen, folgendes: Aus der Wesensart der Welt, wie sie durch Beobachtung erscheint, können wir schließen, dass sie oder Teile von ihr durch ein unglaublich intelligentes, weises und gutes Wesen verursacht worden ist oder verursacht wird. Die Antwort darauf ist knapp, aber gut begründet. Wir nehmen an, dass nützliche und schöne Objekte, die wir in der Welt finden, durch den Menschen gemacht sind –€sie hatten als ihre Ursache ein Wesen von einer gewissen Intelligenz und Güte. Mit nützlichen und schönen Objekten meine ich Häuser und Kanäle, Krankenhäuser und Kunstwerke –€wenn Sie möchten, eine Uhr€–, und ich nenne es eine Annahme, dass sie durch den Menschen gemacht worden sind, um meinen Fall nicht zu übertrieben darzustellen. Unsere Prämisse besteht nun darin, dass gewisse Objekte, bei welchen ich nicht bestreiten werde, dass sie entweder nützlich, schön oder beides sind, als ihre Ursache einigermaßen gute Menschen hatten. Dann, so sagt der Vertreter der natürlichen Theologie, können wir daraus schließen, dass alles Nützliche oder Gute, das wir in der Welt finden und das nicht das Werk des Menschen ist –€vor allem ist der Mensch selbst von allen Objekten am nützlichsten und schönsten€–, ebenso als Ursache eine Person mit Intelligenz und Güte hat. Dies ist das Argument. Aber welchen Grund haben wir für die Annahme, dass überhaupt irgendetwas in der Welt durch eine gute Person verursacht worden ist? Nur die Annahme, dass gewisse Dinge einer Art durch den Menschen verursacht worden sind. Und welchen Grund haben wir für diese Annahme? Einzig und ausschließlich die Tatsache, dass wir die Reihe der Ursachen von ihnen auf die Tätigkeit des Menschen zurückverfolgen können. Und wenn wir daher den Menschen als ihre Ursache bezeichnen, müssen wir auch alle anderen Ereignisse jenen zuschreiben, die ihnen auf dieselbe Weise vorausgingen, wie die Arbeit des Menschen offensichtlich Häusern und Kanälen vorausging. Wenn Häuser und Kanäle die Wirkung der Arbeit des Menschen sind, dann muss der Mensch selbst und alle anderen Dinge die Wirkung von Ereignissen in der Welt sein, die ihm vorausgegangen sind und so ad infinitum. Wenn andererseits Häuser und Kanäle nicht durch den Menschen verursacht worden sind, dann haben wir keinen Grund anzunehmen, dass etwas Nützliches oder Schönes jemals durch eine gute Person verursacht worden ist. Jede von diesen beiden Alternativen zerstört das Argument des Theologen vollständig. Wenn wir aus der Wesensart einer Wirkung auf die Wesensart einer Ursache schließen sollen, können wir dies nur unter der Annahme tun, dass wir die vollständigen Ereignisursachen im Verlauf der Natur finden. Aber wenn jedes natürliche Ereignis eine natürliche Ursache hat, dann ist
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Gott, es sei denn er ist eine natürliche Ursache, von überhaupt nichts die Ursache. Ich habe dieses Argument um der Deutlichkeit willen in einem einfachen Beispiel dargestellt: Aber es kann universell angewendet werden. Es hat den Vorteil, eine Frage der Logik zu sein und keine Tatsache; keine neuen Fälle können es außer Kraft setzen. Es verhält sich wie das Gesetz des Widerspruchs. Wenn man sich selbst innerhalb der Bedeutung der Logik widersprochen hat, dann muss man einen Fehler begangen haben, wie trivial auch immer er sein mag. Und wenn man dieses Argument verwendet, in welcher Form man es auch immer anbringt, muss es wertlos sein, da die Schlussfolgerung nicht aus den Prämissen folgt. Eine der Prämissen muss sein: Dies ist die Ursache von jenem, und die andere: Jedes Ereignis hat eine Ursache. Und die Schlussfolgerung lautet: Gott ist die Ursache jener anderen Ereignisse; seine Existenz allein erklärt sie. Aber die erste Prämisse weist ein natürliches Ereignis als Ursache eines anderen natürlichen Ereignisses aus. Und man kann sich hinsichtlich dessen nicht sicher sein, wenn nicht jedes natürliche Ereignis durch ein anderes natürliches Ereignis verursacht wird: Sonst könnte die Wirkung, von der man ausgegangen ist, nicht die Ursache gehabt haben, die man ihr zugeschrieben hat –€das Krankenhaus könnte durch ein Wunder geschaffen worden sein und nicht durch den Menschen. Nun muss Gott entweder eines oder mehrere Ereignisse unter den natürlichen Ereignissen sein oder man hätte keinen Grund, anzunehmen, dass er mehr wie das eine als das andere ist, mehr wie ein Mensch als eine Billardkugel. Man hat aber behauptet, dass er mehr wie ein Mensch als eine Billardkugel ist; und man kann gewiss nicht zeigen, dass irgendein natürliches Ereignis ein personaler Gott ist. Entweder ist Gott dann eine Ursache in einem völlig anderen Sinn wie jener, in dem der Mensch eine Ursache ist, und dann können wir weder auf seine Existenz noch auf seine Wesensart schließen; oder er ist eine Ursache in dem Sinn, in dem der Mensch eine Ursache ist, und dann können wir auf seine Existenz schließen, aber nicht auf seine Wesensart: Wir können schließen, dass die betroffenen Ereignisse eine Ursache hatten, aber nicht dass ihre Ursache Gott war. Dieses Dilemma trifft im Allgemeinen auf jedes Argument des Geordnetseins zu –€und nicht nur auf dieses, sondern auf jedes metaphysische Argument, das versucht, von der Natur und dem Verstand zu einer höheren Wirklichkeit zu gelangen. Alle derartigen Argumente schließen aus der Natur und der Existenz einiger oder aller Dinge, deren Existenz übereinstimmend angenommen wird, dass etwas anderes mit einer unterschiedlichen Wesensart ebenso existiert. Aber das einzig bekannte berechtigte Prinzip, durch das wir von der Existenz eines
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Dinges auf die Existenz von etwas anderem schließen können, ist das Prinzip der Kausalität, gemäß welchem das „Andere“ eines unter den natürlichen Ereignissen sein muss. Alle diese Argumente müssen daher den Irrtum beinhalten, der in dem einfachen Argument des Geordnetseins zu finden ist. Auf der Grundlage derartiger Argumente bieten uns moderne Philosophen gerne anstatt eines personalen Gottes eine mehr oder weniger tröstliche Realität oder ein Absolutes. Aber das Skelett jeder derartigen Konstruktion ist nichts anderes als dieser alte Irrtum. Sie verpacken es in unendlich komplizierten Gewändern, von denen viele in sich solide Stoffe sind. Aber je mehr sie es verpacken und je solider der Stoff, desto weniger anziehend wird das Absolute. Wir haben allen Grund, denke ich, den alten Gott des Christentums vorzuziehen. In ihm ist der Kunstgriff offenkundiger und das Produkt nichtsdestotrotz bei Weitem schöner. Wir können nun einen einzigen Schritt in Richtung des Beweises der Existenz Gottes aus der Natur der Welt durchführen, solch einen, den wir im Alltagsleben durchführen, oder solch einen, den uns die Naturwissenschaft zeigt. Dass wir heute Abend hier sind, dass wir nicht heute Morgen hier waren, dass wir mit dem Taxi oder zu Fuß hierhergekommen sind: Alle Tatsachen dieser Art, bei denen wir nicht anders können, als sie zu glauben –€diese Tatsachen mit allen Implikationen, die die Wissenschaft oder die Philosophie ihnen entnehmen kann, bieten uns kein Jota eines Beweises, dass Gott existiert. Aber es gibt andere Argumente, die wie dieses von der Erfahrung ausgehen. Es gibt das Argument des allgemeinen Glaubens. Ich gebe unverzüglich zu, dass die meisten Menschen, die bis jetzt existiert haben, an einen Gott irgendeiner Art geglaubt haben. Ich habe tatsächlich keinen Grund zur Annahme, dass es andere Menschen gibt oder gegeben hat, und noch weniger, dass sie diesen Glauben hatten, außer auf derselben Grundlage, wie ich an die Tatsachen des Alltagslebens glaube. Wenn wir jetzt nicht hier sind, gibt es noch nicht einmal einen Beweis, dass die meisten Menschen an Gott geglaubt haben. Die bloße Tatsache des allgemeinen Glaubens ist nun genauso wenig gewiss wie die Tatsachen der Erfahrung: Wenn wir die Letzteren als unwahr zurückweisen, können wir das Erstere nicht als Beweis für die Existenz Gottes verwenden. Man kann nicht behaupten, wie viele Menschen es tun: Die Tatsachen der Wissenschaft sind bloß Gegenstände des allgemeinen Glaubens, und Gottes Existenz ist dasselbe; daher ist das eine so gewiss wie das andere. Denn es besteht kein Recht auf die Aussage, dass Gottes Existenz ein Gegenstand des allgemeinen Glaubens ist, wenn nicht die Tatsachen der Wissenschaft wahr sind. Aber stellt diese Tatsache
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nun, vorausgesetzt, dass sie ein Gegenstand des allgemeinen Glaubens ist, irgendeine Wahrscheinlichkeit her, dass Gott existiert? Ich denke nicht, dass sie es kann. Denn viele Dinge, die wir jetzt alle als Fehler ansehen, sind in der Vergangenheit Gegenstände des allgemeinen Glaubens gewesen, z.€B. dass die Sonne sich um die Erde dreht, was Galileo umkehrte. Jede Wahrscheinlichkeit besteht nun zugunsten der Annahme, dass viele Dinge, die im Allgemeinen noch geglaubt werden, mit der Zeit sich als Fehler herausstellen. Und welche Grundlage können wir haben, um zu vertreten, dass der Glaube an Gott nicht zu dieser Gruppe zählt? Die Wahrscheinlichkeit weist in die entgegengesetzte Richtung. Denn ich denke, es wird eingeräumt werden, dass der Glaube an Gott in der Vergangenheit viel Unterstützung aus der Unkenntnis der Naturwissenschaft und aus Argumenten wie jenen der Natürlichen Theologie gezogen hat. Wenn nun diese Argumente, wie ich versucht habe zu zeigen, im Verhältnis, wie dieses erkannt wird, irreführend sind, wird der Glaube an Gott weniger allgemein werden. Daher kann man nur behaupten, dass der Glaube an Gott unvermindert anhält, während andere Annahmen verschwinden, wenn man den fortgesetzten Erfolg der Unkenntnis und der irreführenden Argumentation beibehält. Aber ein Glaube, der aufgrund von Ursachen wie diesen besteht, hat gewiss keinen Anspruch darauf, daher als wahr angesehen zu werden. Kurz gesagt, wenn man vom allgemeinen Glauben zur Wahrheit gelangen will, muss man unabhängige Grundlagen für die Annahme haben, dass der entsprechende Glaube wahr ist. Wenn man eine Wahrscheinlichkeit zeigen kann, dass er wahr ist, dann kann die Tatsache des allgemeinen Glaubens diese Wahrscheinlichkeit bestätigen. Aber wenn es, wie ich in diesem Fall versucht habe zu zeigen, keine derartige Wahrscheinlichkeit gibt, keinen Beweis, dass Gott existiert, dann ist die Tatsache des allgemeinen Glaubens als Beweis völlig nutzlos. Das Argument des allgemeinen Glaubens muss somit zusammenbrechen, und ich denke, ich brauche kaum sogenannte historische Belege für die Existenz Gottes ausführlich zu diskutieren. Sie gehören alle der Art des offensichtlich zu schwachen Falles an. Wenn das, worauf sie abzielen, die Tatsache von Wundern hervorruft, dann kann kein historischer Beleg tatsächlich zeigen, dass ein Ereignis, das geschehen ist, in Wahrheit ein Wunder gewesen ist –€dass es keine natürliche Ursache hatte. Dass ein Ereignis keine natürliche Ursache hatte, widerspricht, wie ich zu zeigen versucht habe, jeder Grundlage des historischen Beweises, denn dieser ist auf Folgerungen von Wirkung auf Ursache gegründet, und wenn ein Wunder jemals möglich ist, können wir niemals sagen, dass ein bestimmtes Ding die Ursache von einem anderen
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gewesen ist. Aber wenn man unter Wunder nur ein großes und wundervolles Werk versteht, dann ist, dass ein Mensch verblüffende Meisterleistungen vollbringen kann, auch kein Beweis, dass er die Wahrheit kennt oder dass er sie erzählt. Und, abgesehen von Wundern, können historische Belege nur zeigen, dass jemand etwas gesagt hat: Ob das, was er sagt, wahr gewesen ist, muss auf völlig anderen Grundlagen entschieden werden. Die Tatsachen des Alltagsleben, die Tatsachen, mit denen die Naturwissenschaft und die Geschichte sich beschäftigen, erfordern keine Folgerung auf Gottes Existenz. Wenn ein Mensch noch glaubt, dass Gott existiert, kann er seinen Glauben nicht durch irgendeinen Verweis auf Tatsachen stützen, die von ihm selbst und den Nichtgläubigen eingestanden werden. Er darf nicht versuchen zu beweisen, dass Gott wahrscheinlich existiert; denn das ist unmöglich. Er muss sich damit begnügen zu behaupten, dass er so deutlich sieht, dass Gott existiert, wie er sieht, dass er selbst es tut. Viele Menschen, so räume ich ein, mögen wirklich diese starke Überzeugung gehabt haben. Und viele Menschen mögen sich damit begnügen, den Glauben auf dieser Grundlage allein zu rechtfertigen. Sie haben, so denke ich, Recht. Ihre Position ist völlig unwiderlegbar. Wenn man diesen Glauben hat, diese Eingebung der Existenz Gottes, ist dies genug. Man kann, so räume ich ein, genauso gewiss sein, dass Gott existiert, wie dass man selbst existiert: Und niemand hat das Recht zu sagen, dass man Unrecht hat. Aber dies sind zwei unabhängige Tatsachen: Eine ist vielleicht so gewiss für jemanden wie die andere; doch es ist nicht wahrscheinlicher, dass die eine wahr ist, weil die andere es ist. Im Moment, in dem man dieses Argument verwendet, hat man Unrecht. Man kann nicht behaupten, dass, wenn man selbst existiert, Gott wahrscheinlich ebenso existiert: So wie man behaupten kann, dass, wenn Sie existieren, ich wahrscheinlich ebenso existiere. Noch kann man behaupten, dass ich, weil Sie hinsichtlich Gottes Existenz so gewiss sind, die geringste Wahrscheinlichkeit eingestehen sollte, dass er existiert: Wenn man dies tut, verweist man auf ein Argument, das jenem des allgemeinen Glaubens ähnelt. Falls ich die einzige Person wäre, die nicht erkennen könnte, dass Gott existiert, und die gesamte Welt mit Ihnen übereinstimmen würde, würde es genauso wahrscheinlich sein, dass ich Recht hätte oder dass Sie und die gesamte Welt Recht hätten. Es ist gleichermaßen wahrscheinlich, dass wir Recht oder dass wir Unrecht haben: aber nur gleichermaßen. Ich habe nicht mehr Recht zu behaupten, dass Gott wahrscheinlich nicht existiert, weil ich nicht erkennen kann, dass er es tut, wie Sie nicht mehr Recht haben zu behaupten, dass er wahrscheinlich existiert, weil Sie erkennen, dass er es tut. Dies ist alles, was
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ich zu zeigen versucht habe, als ich darlegte, dass es keinen Beweis für die Existenz Gottes gibt. Es ist bloßer Glaube, kein Beweis, der Ihre Aussage rechtfertigt: Gott existiert. Ihr Glaube hat Recht, weil Sie nicht anders können als zu glauben; und mein Unglaube hat Recht, weil ich diese Eingebung nicht habe. Beide Seiten sind durch bloße Notwendigkeit gerechtfertigt. Ein Verweis auf den Glauben –€auf die Eingebung€– ist dann der einzige Grund, um die Wahrheit der Religion zu behaupten. Diese Wahrheit, wenn sie wahr ist, ist gleichrangig zu den Tatsachen des Alltagslebens und kann nicht aus ihnen gefolgert werden, wie sie untereinander gefolgert werden können. Und so weit scheint es, dass religiöser Glaube sich auf derselben Position wie unsere moralischen Überzeugungen befindet. Diese moralischen Urteile, so kann gesagt werden, sind auch von unseren Annahmen über die Welt abhängig: Ihre Wahrheit kann ebenso niemals aus jener der alltäglichen Tatsachen gefolgert werden. Dass moralische Wahrheit nicht aus Tatsachen gefolgert werden kann, ist, denke ich, völlig beweisbar. Doch da dies bestritten wird, muss ich etwas darüber sagen. Das Argument in Balfours Buch „The Foundations of Belief“ hängt teilweise von dieser Verweigerung ab. Wenn die Ansicht des Naturalismus, so scheint er zu sagen, dass alle Dinge sich aus natürlichen Ursachen entwickeln, wahr ist, dann ist es widersprüchlich, weiterhin zu vertreten, dass unser Glauben an die Güte von diesem und die Schönheit von jenem ebenso wahr sind. Und eine ähnliche Ansicht wird von Matthew Arnold impliziert, der zu behaupten scheint, dass, wenn wir nicht selbst die Existenz einer Macht verifizieren können, die Gerechtigkeit herbeiführt, unser Glaube, dass gewisses Verhalten gerecht ist und anderes Verhalten schändlich ist, dann ebenso zu Recht untergehen muss. Doch ist dies so? Ist es widersprüchlich zu vertreten, dass dies richtig ist und jenes falsch, und zugleich zu vertreten, dass wir nur denken, dieses sei richtig und jenes falsch, weil uns solche Annahmen tatsächlich geholfen haben zu überleben? Oder kann es weniger wahr sein, dass richtig richtig ist, selbst wenn es keine Macht gibt, die es belohnen wird? Das erstere Argument widerlegt sich selbst. Denn wenn es wahr ist, dass Annahmen sich entwickeln, dann muss die Annahme, dass dies so ist, sich ebenso entwickelt haben. Das bedeutet, die Tatsache der Evolution ist ein Grund, die Tatsache der Evolution zu bezweifeln. Es ist widersprüchlich, an die Tatsache der Evolution zu glauben, und zur gleichen Zeit nicht an die Tatsache der Evolution zu glauben. Die Inkonsistenz besteht vielmehr in der Umkehrung. Es ist tatsächlich widersprüchlich in sich, zu vertreten, dass die Gültigkeit einer Annahme auf irgendeine Weise von der Art, wie sie erreicht
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worden ist, abhängt. Und folglich muss die Wahrheit unserer moralischen Überzeugungen von wissenschaftlichen Tatsachen unabhängig sein. Genau auf diese Weise können wir Matthew Arnold antworten: Um die Tatsache, dass gerechtes Verhalten belohnt wird, zu verifizieren, müssen wir bereits wissen, was gerechtes Verhalten ist; und zu wissen, dass es gerecht ist, bedeutet zu wissen, dass wir uns so verhalten sollten. Daher gibt es nicht mehr Beweise für moralische Überzeugungen als für religiöse; und der religiöse Gläubige mag geneigt sein zu sagen, „ich habe genauso viel Recht hinsichtlich meines Glaubens, dass Gott existiert, wie Sie hinsichtlich Ihrer moralischen Überzeugungen haben.“ Aber dieser Anspruch, so sollte hervorgehoben werden, widerlegt sich selbst. Denn seine Behauptung, dass es „genauso richtig“ sei, an Gott zu glauben, ist selbst ein moralisches Urteil. Es kann nur auf dem moralischen Prinzip beruhen, dass Notwendigkeit Überzeugungen rechtfertigen wird: Und dieses Prinzip muss eine vorrangige Gültigkeit gegenüber jenem der speziellen Fälle haben, die unter ihm eingeordnet werden können. Daher gibt der Gläubige zu, dass es ein moralisches Prinzip gibt, für das es mehr Recht gibt als auf seinen Glauben an Gott. Demnach muss es wahr sein, dass Notwendigkeit eine moralische Berechtigung hat, ob sein Glaube an Gott berechtigt ist oder nicht. Tatsächlich kann er nicht versuchen, seinen Glauben an Gott außer durch ein moralisches Urteil zu verteidigen; und indem er dies tut, gibt er die angenommene Gleichheit zwischen moralischen und religiösen Überzeugungen im Allgemeinen auf, obwohl es dennoch wahr sein kann, dass eine derartige Gleichheit zwischen religiösem Glauben und den meisten moralischen Urteilen bestehen kann. Dennoch bleibt es zutreffend, dass, wenn ein Mensch wirklich nicht anders kann, als an Gott zu glauben, nichts gegen ihn eingewendet werden kann. Aber ich bezweifle sehr, ob dies oftmals der Fall ist. Ich denke, bei den meisten Gläubigen ist die Ungleichheit zwischen ihren moralischen und religiösen Überzeugungen viel bemerkenswerter. Ihr religiöser Glaube gewinnt viel von seiner Stärke durch die Tatsache, dass sie denken, dass sie ihn haben sollten. Sie haben ein direktes moralisches Gefühl, dass es schändlich ist, an der Existenz Gottes zu zweifeln; und ohne diesen Glauben, der stark ist, würde ihre direkte religiöse Gewissheit nur schwachen Widerstand gegenüber dem Glaubenszweifel bieten. Für solche Personen tritt die endgültige Frage auf: Haben sie Recht, wenn sie denken, dass Ungläubigkeit schändlich ist? Nun können sie nicht länger zur Verteidigung dieser Meinung vorbringen, dass der Glaube an Gott gut ist, weil er wahr ist. Ganz im Gegenteil, nur
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weil sie glauben, dass er gut ist, nehmen sie an, dass er wahr ist. Daher müssen sie ihren Anspruch auf seine Güte ausschließlich mit seinen Wirkungen begründen; und bei der Untersuchung, ob seine Wirkungen gut sind, müssen sie, wie ich oben hervorgehoben habe, sorgfältig die schlechte Tendenz widerlegen, zu denken, dass die Wirkungen gut sein müssen, auf der Grundlage, dass der Glaube wahr ist. Sie sollten bedenken, dass der Glaube möglicherweise falsch ist, und dass, wenn sie entscheiden, dass seine Wirkungen gut sind, sie zu dem Schluss kommen, dass all dieses Gute möglicherweise ein Ergebnis eines bloßen Fehlers ist. Ob sie nun besser sind oder nicht, je stärker sie glauben, dass Gott existiert, ist nicht länger eine Sache zum Dogmatisieren. Die Weisen, in denen religiöser Glaube auf verschiedene Personen wirken kann, sind unendlich verschieden. Aber ich denke, es gibt zumindest guten Grund, zu zweifeln, ob er jemals viel Gutes tut. Dass es eine Macht gibt, die gewillt und fähig ist, einem selbst zu helfen, würde zweifelsohne ein ermutigender Gedanke sein. Aber davon, wenn unser Argument besteht, sind unsere Gläubigen auf jeden Fall ausgeschlossen. Gott kann nicht in den Lauf natürlicher Ereignisse eingreifen. Diese Annahme, die eine derartig große Rolle in den Religionen der Vergangenheit gespielt hat, ist nachweisbar falsch. Die Ermutigung kann höchstens aus dem Wissen kommen, dass er mit uns mitfühlt. Und dies ist gewiss kein geringer Trost. Aber wie sollen wir ihn erlangen? Wir stehen folgendem Dilemma gegenüber. Die Ermutigung wird nur im Verhältnis zu unserem Glauben stark sein. Aber andererseits ist es nur zu wahrscheinlich, dass unsere Anstrengungen, diesen Glauben zu stärken, fehlschlagen, wenn wir nicht finden, dass wir die Ermutigung erhalten. Dass diese Schwierigkeit tatsächlich besteht, denke ich, werden die meisten Menschen, denen sich diese Frage gestellt hat, bestätigen. Dieser Trost, weswegen sie zu glauben wünschen, muss bereits gefühlt werden, bevor sie ihn erlangen können. Sie wünschen zu „sehen, dass der Herr gut ist“, damit sie es „kosten“ können; aber andererseits können sie nicht erreichen, es zu sehen, wenn sie es nicht zuerst kosten können. Es mag wohl vorgebracht werden, dass es besser wäre, dieses fruchtlose Unterfangen aufzugeben; besonders wenn wir bedenken, dass, insofern es ihnen gelingt, sie bewusst einen Glauben annehmen, der –€möglicherweise€– falsch ist. Und darüber hinaus stimme ich mit Matthew Arnold überein, dass ein wichtigeres Element der Religion als dieses der Glaube ist, dass das Gute triumphieren wird. Wenn wir in diesem Glauben ruhen könnten, könnten wir sicherlich den Glauben an Gott aufgeben und doch all den Trost erlangen,
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den wir benötigen. Aber leider haben wir zu dieser Annahme auch keinen Grund. Dass das Gute triumphieren wird, ist genauso möglich, wie dass Gott existiert, aber nur möglich. Matthew Arnolds Gott ist auch nicht, wie er dachte, beweisbar. Naturalismus, wie Balfour behauptet, kann ihn nicht verifizieren. Wir haben keinen Grund zu glauben, dass das menschliche Leben auf diesem Planeten bald ausgelöscht wird. Wir haben gewiss keinen Grund, das Gegenteil zu glauben, noch dass unsere Seelen fortdauern und nach unserem Tod besser werden. Doch obwohl unser Glaube an diesen Gott auch misslingt, denke ich, kann gezweifelt werden, ob wir nicht dennoch die Elemente behalten sollten, die Religion in der Vergangenheit für das Gute äußerst wirkungsvoll gemacht haben. Tatsächlich sind es Elemente, die keine logische Verbindung mit dem Glauben an Gott haben. (1) Zuerst gibt es das wertvolle Element der religiösen Ergriffenheit, die aus der Betrachtung dessen hervorgeht, was wir als höchst wahr und vollkommen gut erachten. Wir sind in der Tat nur berechtigt, an diese zu denken, als das, was sein sollte, nicht als das, was ist oder sein wird. Aber ich zweifle, ob diese Ergriffenheit viel von ihrer Stärke verlieren würde, weil ihr Objekt nicht real ist. Die Wirkungen der Literatur zeigen, wie stark wir durch die Betrachtung idealer Objekte, von denen wir trotzdem nicht behaupten, dass sie existieren, bewegt werden können. Es mag in der Tat gezweifelt werden, ob der wirkungsvollste Teil im gesamten religiösen Glauben nicht immer jenem ähnlich war, den wir bei Objekten der Imagination haben –€eine Annahme, die vollkommen vereinbar mit einer festen Überzeugung ist, dass sie keine Tatsachen sind. (2) Und zweitens, dass einige gute Objekte real sein sollten, ist in der Tat für unseren Trost notwendig. Aber diese gibt es genügend. Es könnte sicherlich besser sein, die Suche nach einem Gott aufzugeben, dessen Existenz unbeweisbar ist und bleibt, und die Gefühle, die die Religiösen auf ihn zu richten wünschen, auf jene unserer eigenen Art umzuleiten, die, obwohl sie vielleicht weniger gut sind, als wir uns vorstellen, dass Gott es sein könnte, aller Zuneigung, die wir fühlen können, würdig sind und deren Hilfe und Mitgefühl sehr viel gewisser real sind. Wir könnten vielleicht zum Vorteil die reale Kreatur ein wenig mehr verehren und ihren hypothetischen Schöpfer um ein Vieles weniger.
Kapitel 6 Identität Erstveröffentlichung in Proceedings of the Aristotelian Society n.â•›s.€1 (1900–1901), 103–127.
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ch bin sehr besorgt darüber, dass angenommen werden könnte, dass das Thema dieses Aufsatzes nur von akademischem Interesse ist. Was ich zu sagen habe, ist nicht an jene gerichtet, die an einer speziellen wissenschaftlichen Kunst interessiert sind, wie Logik, Definition oder Psychologie, sondern an alle, die an der Frage interessiert sind, was die Welt ist. Es scheint mir, dass, wenn das, was ich sage, wahr ist, die meisten jener Theorien über das Wesen der Welt, die von allgemeinem Interesse sind und die die meisten Disziplinen der verschiedenen Philosophieschulen anziehen, entweder falsch oder rein schimärisch sein müssen. Es ist nicht mein Ziel zu zeigen, dass diese wichtigen Konsequenzen folgen; es ist möglich, dass sie es nicht tun, und ich habe keinen Platz zu behaupten, dass sie es tun. Aber ich möchte nicht, dass angenommen werden sollte, dass sie es nicht tun. Meine eigene Ansicht besteht darin, dass es gewiss sehr wichtig ist, ob das, was ich sage, wahr oder falsch ist, und dies ist mein Hauptgrund, diese Frage nach ihrer Wahrheit aufzuwerfen. Was ich am meisten fürchte, ist nicht, dass bewiesen werden könnte, dass es falsch ist, sondern es ohne Untersuchung auf der Grundlage als wahr angenommen werden könnte, dass es, obwohl es wahr ist, unwichtig ist. Ich fürchte, dass viele der Lehren, die ich vorstellen werde, als reine Gemeinplätze erscheinen werden. Sie bzw. andere wie sie werden ständig auf diese Weise angesehen; und dennoch werden jene, die so ihre Wahrheit eingestehen, dadurch nicht davon abgehalten, andere Lehren hinsichtlich Fragen von viel größerer essentieller Wichtigkeit zu vertreten, die diesen Wahrheiten, die sie einräumen und verachten, rundweg widersprechen. Dass solch ein Zustand möglich ist, wird kaum bestritten werden. Ich bin meinerseits überzeugt, dass die charakteristischen Lehren der meisten Philosophen, nicht weniger dort, wo sie übereinstimmen, als dort, wo sie sich unterscheiden, hauptsächlich ihrem Versäumnis geschuldet sind, die Konsequenzen der angenommenen Prinzipien zu verfolgen. Die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass dies so bei den Prinzipien der Identität sein könnte, könnte, so hoffe ich, meiner Betrachtung des Themas Interesse verleihen.
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Ich werde ein Beispiel der Art von Zweck darlegen, der, so hoffe ich, meiner Betrachtung dienen könnte. Heutzutage werden die Ausdrücke „Identität in Differenz“ und „Einheit in der Differenz“ von einer bestimmten philosophischen Schule häufig verwendet. Ich weiß nicht, ob die beiden Ausdrücke in der Regel in derselben oder in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden; aber gewiss werden sie oftmals so verwendet, als wären sie gleichwertig. Dasselbe, denke ich, trifft auf ein anderes Ausdruckspaar zu, das ebenso oft von denselben Verfassern verwendet wird –€nämlich „Individuum“ und „organische Einheit“. Des Weiteren wird von diesem zweiten Paar angenommen, so denke ich, dass es mit dem ersten auf eine solche Weise verbunden ist, dass, wenn man von einem Ding weiß, dass es „Individuum“ oder eine „organische Einheit“ ist, man immer schließen kann, dass es zugleich „Identität in der Differenz“ und „Einheit in der Differenz“ aufweist; und ich wäre sehr überrascht, wenn bei einer Untersuchung nicht auch bewiesen würde, dass die umgekehrte Folgerung häufig durchgeführt werden würde. Ich weiß nun nicht, ob viele Menschen das Wissen, dass sie „Individuen“ seien oder dass die Welt eine „organische Einheit“ sei, als etwas betrachten würden, das besondere Wichtigkeit in sich hat: Obwohl ich denke, dass die Ausdrücke ein wenig beeindruckend sind und die Vorstellung vermitteln, dass alles, auf das sie angewendet werden, Bedeutung tragen muss. Aber es ist eine sehr große weiterführende Wichtigkeit, die sie gewiss besitzen; da die Verfasser, die sie benutzen, mit ihrer Hilfe Schlussfolgerungen ziehen, die niemand ohne Gleichgültigkeit betrachten kann. Doch was bedeuten diese Ausdrücke? In einem Sinn scheint es offenkundig, dass jedes komplexe Ding Identität in der Differenz darstellt, da es mindestens zwei verschiedene Prädikate hat und doch ein und dasselbe Ding ist. Aber es ist offensichtlich, dass keine wichtigen Folgerungen aus dieser Tatsache hervorgehen, da der Besitz der Komplexität mit fast jedem Qualitätsunterschied, den wir uns vorstellen können, vereinbar ist. Daher muss „Identität in der Differenz“, wenn es uns wertvolle Information liefern soll, etwas anderes als bloße Komplexität bedeuten; und wie ich zeigen werde, scheint es viele andere Dinge zu geben, die es bedeuten könnte. Der Ausdruck ist daher mehrdeutig; und obwohl es gewiss ist, dass viele richtige Folgerungen mittels mehrdeutiger Ausdrücke gezogen werden können, selbst wenn ihre spezielle Bedeutung nicht definiert ist, ist es nicht weniger gewiss, dass die schwerwiegendsten Fehler entstehen können, indem behauptet wird, dass das, was von einem Ding wahr ist, auf das der Ausdruck in einer Bedeutung angewendet wird, auch auf jenes zutrifft, auf das der Ausdruck in einer ande-
Identität
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ren Bedeutung angewendet wird. Gewiss kann ein Philosoph, obwohl für ihn nichts das Vermögen ersetzen kann, zu erkennen, dass die Wahrheiten, mit denen er sich befasst, unterschiedlich sind, wenn sie es sind, und obwohl dies vielleicht seine wertvollste Gabe ist, sich nicht sicher auf dieses Vermögen alleine verlassen kann, wenn er weiter zu gehen wünscht, sondern muss den zusätzlichen Schutz anwenden, zu versuchen, in seinem Verstand die Punkte, worin sie sich unterscheiden, zu entdecken und festzustellen. Bis zu einem gewissen Grad kann er bei seiner Aufgabe durch die Arbeit von anderen unterstützt werden, und so viel dieser Hilfe zu liefern, wie es mir möglich ist, indem die gegensätzlichen Punkte zwischen den Wahrheiten unterschieden werden, die wir ausdrücken und auch weiterhin durch die Verwendung des Wortes Identität ausdrücken müssen, ist das Ziel dieses Aufsatzes. Der erste Punkt, auf den ich hinsichtlich der Wahrheiten hinweise, in denen wir Identität feststellen, ist äußerst offensichtlich. Er besteht darin, dass wir von zwei Dingen behaupten können, dass sie dasselbe Prädikat haben und sich doch voneinander unterscheiden. So ist es wahr, dass mein Jackett schwarz ist, und es ist ebenso wahr, dass meine Weste schwarz ist; und doch ist es nicht wahr, dass mein Jackett dasselbe ist wie meine Weste. Dieser Sachverhalt scheint auf den ersten Blick keine Probleme zu bereiten. Es scheint offensichtlich genug, dass zwei Kleidungsstücke, obwohl sie ein Prädikat gemeinsam haben, dennoch jedes von ihnen zumindest eines haben, das nicht von dem anderen geteilt wird. Und dies ist, so kann gesagt werden, warum sie dasselbe Prädikat haben können: Sie haben keine vollkommene Übereinstimmung im Inhalt. Aber dies zu sagen, impliziert eine philosophische Proposition der äußersten Wichtigkeit, eine, über die noch niemals Einigkeit geherrscht hat. Das bedeutet, dass es unmöglich zwei Dinge geben kann, die genau gleich sind. Wenn der Grund, warum mein Jackett und meine Weste unterschiedlich sind, darin besteht, dass sie unterschiedliche Prädikate haben, dann, angenommen alle ihre Prädikate wären dieselben, wären sie nicht zwei, sondern nur eins. Aber ist es völlig gewiss, dass es keine zwei genau gleichen Dinge geben kann? Setzt man diese abstrakte Form ein, scheint es nicht gewiss zu sein. Falls dies so ist –€falls es genau gleiche Dinge gibt, die dennoch zwei sind€–, warum sollte dies nicht auch der Fall beim Schwarz sein? Warum sollte das Schwarz der beiden ein und dasselbe sein und nicht das von jedem ein eigenes Schwarz, das dem anderen genau gleicht? Tatsächlich gibt es eine wirkliche Schwierigkeit bei der Entscheidung, ob in dem Fall, bei dem zwei Dinge dasselbe Prädikat haben, die Prädikate zwei sind oder nur eins. Es gibt diese wirk-
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liche Schwierigkeit, die der Frage zugrunde liegt, die bei Plato in Bezug auf seine „Ideen“ auftritt, wenn er sagt, dass sie in Dingen sind oder dass Dinge Kopien von ihnen sind. Kann ein und dasselbe Ding an zwei Orten zugleich sein, oder muss es zwei geben? Die Kopie unterscheidet sich gewiss von dem kopierten Ding und von einer anderen Kopie desselben. In Bezug auf eine dritte Form, in der er eine Schwierigkeit hervorbringt –€nämlich wenn er sagt, dass Dinge teilhaben an der Idee€–, ist die Schwierigkeit dieselbe, wenn mit „teilhaben“ „es und auch andere Qualitäten haben“ gemeint ist. Aber sie ist völlig unterschiedlich, wenn mit „teilhaben“ „ein Teil der Idee haben“ gemeint ist. Was die obige Betrachtung zeigen soll, ist, dass es eine große Schwierigkeit gibt, genau zu entscheiden, was es ist, das wahr ist, selbst wenn wir wirklich behaupten, dass zwei Dinge dasselbe oder ein gemeinsames Prädikat haben. Unser erster Vorschlag bestand darin, dass das Prädikat von jedem sich in keinem Sinn von dem des anderen unterschieden hat und dass die beiden Dinge sich nur in dem Sinn voneinander unterscheiden, dass sie unterschiedliche Prädikate hatten. Wir können diese Ansicht als jene bezeichnen, die vertritt, dass kein Unterschied außer einem begrifflichen Unterschied bei zwei Dingen, die dasselbe Prädikat haben, besteht. Wenn man bei dieser Sichtweise sagt, dass zwei Dinge gleich sind, meint man, dass sie sich nur begrifflich unterscheiden, d.€h. es ist unmöglich, dass der Unterschied, der in der Dualität impliziert ist, ein anderer als ein begrifflicher Unterschied sein könnte. Es folgt, dass von zwei genau gleichen Dingen oder zwei Dingen mit keinem begrifflichen Unterschied zu sprechen, bedeutet, reinen Unsinn –€bloße Worte€– zu reden. Aber so ein extremes Urteil scheint Anlass für Misstrauen zu sein. Selbst wenn es keine zwei genau gleichen Dinge gibt, scheint es weit entfernt davon zu sein, dass es nicht sein könnte. Dann wurde vorgeschlagen, dass es so sein könnte; und diese Ansicht schlage ich vor, als jene zu bezeichnen, die vertritt, dass bei zwei Dingen, die dasselbe Prädikat haben, neben einem begrifflichen Unterschied auch eine andere Art beinhaltet ist, die numerischer Unterschied genannt werden kann. Doch wenn wir so eine gesonderte Art des Unterschieds einräumen, die mit der Abwesenheit eines begrifflichen Unterschieds vereinbar ist, ist es offensichtlich, dass diese Art des Unterschieds nicht nur die Dinge, von denen wir gesagt haben, dass sie ein gemeinsames Prädikat besitzen, voneinander trennen könnte, sondern auch die Prädikate von jedem, von denen wir bisher gesagt haben, dass sie ein und dasselbe Prädikat sind. Und folglich könnte unsere erste Ansicht nicht nur in der Behauptung falsch sein, dass die beiden Dinge sich in nur
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einem Sinn voneinander unterscheiden, sondern auch in der Behauptung, dass das Prädikat des einen sich in keinem Sinn von dem des anderen unterscheidet. Was ist wirklich die Wahrheit in dieser Sachlage? Und zunächst muss gefragt werden: Gibt es ein derartiges Ding wie einen numerischen Unterschied, eine andere Art von Unterschied als ein begrifflicher Unterschied? Philosophen haben sich oft genug so ausgedrückt, als ob es einen gäbe. Selbst wenn festgestellt würde, dass zwei Dinge, die sich auf die eine Weise unterscheiden, sich auch immer auf die andere Weise unterscheiden, steht dies fest, dass es beide Unterschiedsarten gibt. Insofern Leibniz sein Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren aus dem Satz vom zureichenden Grund ableitet, gibt er zu, dass numerischer und begrifflicher Unterschied verschiedene Dinge sind. Dass es egal sei, welche zwei Dinge numerisch unterschiedlich sein sollten, ohne auch begrifflich unterschiedlich zu sein, kann keine selbstwidersprüchliche Proposition sein, wenn der Satz vom zureichenden Grund es erfordert, dies zu beweisen; und folglich ist Leibniz der Unvereinbarkeit schuldig, wenn er bemerkt, dass zu behaupten, zwei Dinge seien ununterscheidbar, bedeutet, dasselbe Ding unter verschiedenen Namen zu behaupten. Unsere Frage lautet: Welche dieser beiden Ansichten ist die richtige? Nehmen wir an, dass es kein derartiges Ding wie einen numerischen Unterschied gibt. In diesem Fall, wenn zwei Dinge dasselbe Prädikat haben, besteht der einzige Unterschied zwischen ihnen im Unterschied zwischen den beiden verschiedenen Prädikaten, eines von ihnen gehört zu dem einen Ding, das andere zu dem anderen. Aber was sind die Dinge, zu denen diese unterschiedlichen Prädikate gehören? Wir schreiben den Dingen zugleich ein gemeinsames Prädikat und für jedes ein unterschiedliches Prädikat zu. Entweder müssen wir nun sagen, dass die Dinge verschiedene Prädikate sind und dass es jene sind, zu denen das gemeinsame Prädikat gehört, oder wir müssen sagen, dass die Dinge ein anderes
Dieser Punkt scheint nicht von Russell in seiner komplizierten Betrachtung von Leibniz’ Prinzip erkannt worden zu sein (Philos. of L., S.€54–56). Wenn Leibniz diese Bemerkung vertreten sollte, ist seine Lehre nicht von jener zu unterscheiden, die Russell Bradley zuschreibt. Auf jeden Fall beweist die Tatsache, dass er sie gemacht hat, dass er sich nicht immer über die Bedeutung seines Prinzips im Klaren war. Und dieselbe Schlussfolgerung folgt aus der Tatsache, dass, wenn er dem numerischen Unterschied gestattet, sich vom begrifflichen Unterschied zu unterscheiden, er auch in Übereinstimmung mit der anderen Anwendung des Satzes vom zureichenden Grund gezwungen ist, zu vertreten, dass die Welt nicht existiert (ebenda, S.€57), da es für jedes Ding in ihr etwas Vorstellbares geben muss, das sich von dem entsprechenden Ding nur numerisch unterscheidet.
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Paar von unterschiedlichen Prädikaten sind, zu jedem von diesen gehört eines des ersten Paares und zu beiden von diesen gehört das gemeinsame Prädikat. Aber in jedem Fall gehört das gemeinsame Prädikat zu dem, was in jedem der Dinge unterschiedlich ist, oder wird ihm zugeschrieben. Und wenn wir sagen, dass es diese Besitz- oder Zuschreibungsbeziehung zu jedem der beiden unterschiedlichen Dinge hat, können wir gewiss meinen, dass es dieselbe Beziehung zu jedem von ihnen hat. Dementsprechend müssen unsere beiden folgendermaßen gegliedert werden: (1) Unterschiedspunkt; (2)€Zuschreibungsbeziehung; (3) gemeinsamer Punkt; von denen (2) und (3) in jedem völlig identisch sind. Aber wenn dies so ist, stellen sich die Dinge bloß als ihre Unterschiedspunkte heraus. Von der Gruppe (1) (2) (3), von der wir ursprünglich angenommen haben, dass sie ein Ding konstituieren, kann nichts wahr sein, außer dass sie drei sind. Wir können nicht von (a) (2) (3) sagen, das jenes ist, was wir ursprünglich das eine Ding genannt haben, dass es sich von (b) (2) (3) unterscheidet. Es sind nur (a) und (b), die sich voneinander unterscheiden und zwei sind. Tatsächlich war unsere ursprüngliche Annahme, dass (3) nur (a) und (b) und nichts anderem zugeschrieben werden konnte. Und wenn diese Annahme Bestand hat, ist es offensichtlich, dass sich herausstellen würde, dass irgendetwas anderes, das wir versuchen könnten, der Gruppe als solches zuzuschreiben, nur (a) und (b) zugeschrieben werden kann. Wir können niemals mit irgendeiner Möglichkeit eine Anzahl von Prädikaten verbinden, um ein neues Ding zu bilden, dem als Ganzes etwas zugeschrieben werden kann. Auf dieser Theorie müssen wir mit zwei Unterschiedspunkten beginnen –€zwei einfache Prädikate, die sich durch einen begrifflichen Unterschied voneinander unterscheiden: Die ist wesentlich, damit es überhaupt zwei Dinge geben kann. Und dann können wir versuchen, neue Dinge zu bilden, die sich auch voneinander unterscheiden, indem wir Prädikate dieser Unterschiedspunkte finden. Aber was immer wir finden und wie viele wir hinzufügen, wir lassen die Unterschiedspunkte, wie sie waren –€die einzigen Dinge, denen wirklich Dualität zugeschrieben werden kann. Denn alles, was wir ihnen zuschreiben, und die Zuschreibungsbeziehung selbst kann immer zugleich zu einem anderen Unterschiedspunkt gehören, sodass jede Eigenschaft, durch die wir versuchen können, unser neues Ding von dem alten zu unterscheiden, nur ein Teil des neuen Dings mit etwas anderem gleichsetzen wird, ohne etwas Ganzes herzustellen, das sich als Ganzes von allem anderen in der Welt auf eine Weise unterscheidet, in der sich unsere ursprünglichen Unterschiedspunkte voneinander unterscheiden. Wir können niemals sagen, „dieses Rot unter-
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scheidet sich von jenem Rot aufgrund dessen, da es eine andere Position hat“ oder „aufgrund dessen, da es eine unterschiedliche räumliche Beziehung zu diesem anderen Ding hat“ oder „da es dieses ist, an das ich jetzt denke, während jenes das war, an das ich gedacht habe“. Die Positionen unterscheiden sich, die räumlichen Beziehungen unterschieden sich, mein Denken jetzt unterscheidet sich von meinem vergangenen Denken; aber es ist immer dasselbe Rot, das an zwei Positionen ist und an das zu beiden Zeiten gedacht wird. Und wann immer wir versuchen, etwas über das Rot an dieser Position zu sagen, wie z.€B. dass es von Gelb umgeben ist oder dass es mich veranlasst, an eine Soldatenuniform zu denken, muss genau dasselbe von dem Rot an der Position wahr sein, die von Blau umgeben war oder mich veranlasst hat, an ein brennendes Haus zu denken. Uns ist es nicht möglich, die beiden durch ihre Beziehung zu anderen Dingen zu unterscheiden und durch andere Beziehungen, mit denen wir versuchen, sie zu unterscheiden, wir werden immer sehen, dass es uns nicht gelingt. Wir können niemals sagen: „Das Rot, das ich meine, ist das von Gelb umgebene und nicht das von Blau umgebene.“ Denn das von Gelb umgebene ist auch von Blau umgeben: Sie sind nicht zwei, sondern eins, und was immer auf das zutrifft, das von Gelb umgeben ist, trifft auch auf das zu, das von Blau umgeben ist. All dieses sehe ich als eine Reductio ad absurdum dieser Theorie, da es keinen Unterschied außer einem begrifflichen gibt. Wenn jemand vermeiden kann anzunehmen, dass etwas von einer Eigenschaft an einer Position wahr ist, das von derselben Eigenschaft an einer anderen Position nicht wahr ist, dann wird er berechtigt sein, zu behaupten, dass aller Unterschied begrifflicher Unterschied ist. Aber dies wird auf jeden Fall für jene nicht möglich sein, die vertreten, dass die Dinge, die begrifflich dieselben sind, durch ihre Beziehungen zu anderen Dingen unterschieden werden können. Wenn jemand behauptet oder impliziert, dass ein Unterschied zwischen diesem und jenem durch die Tatsache hergestellt werden kann, dass dieses in Beziehung zu einem Ding steht, während jenes in Beziehung zu einem anderen Ding steht, kann er nicht ohne Widersprüchlichkeit den numerischen Unterschied bestreiten. Denn dieses und jenes können keine verschiedenen Beziehungen haben, wenn nicht die Beziehung, die das eine besitzt, nicht durch das andere besessen wird. Wenn daher nicht das eine einen Unterschied zu dem anderen hat über den Unterschied der Beziehungen hinaus, wird es von ein und demselben Ding wahr sein, dass es zugleich eine gegebene Beziehung zu etwas anderem hat und nicht hat. Aus demselben Grund ist es gleichermaßen unmöglich, zu behaupten, dass es nur das Ganze ist,
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das Ding in der Beziehung, das sich vom Ganzen unterscheidet, demselben Ding in der anderen Beziehung. Denn wenn nicht das, was wir dasselbe Ding nennen, in einem gewissen Sinn zwei Dinge sind, hat es zwei Beziehungen, und alles, das auf das Ding mit der einen Beziehung zutrifft, trifft auch auf das Ding mit der anderen zu. Es kann nicht wahr sein, dass das Ganze, das aus dem Ding in einer Beziehung gebildet ist, sich von dem Ganzen unterscheidet, das aus ihm in der anderen Beziehung gebildet worden ist, wenn nicht das Ding selbst unterschiedlich ist; obwohl, dass es die eine Beziehung haben könnte, könnte eine unterschiedliche Wahrheit sein als jene, dass es die andere hat. Ich schließe nun, dass es etwas Derartiges wie einen numerischen Unterschied gibt, der sich von dem begrifflichen Unterschied unterscheidet. Und da dieses Ergebnis durch die Hervorhebung von Wahrheiten erzielt worden ist, in denen von einem Ding, das begrifflich dasselbe ist, gesagt wird, dass es eine gegebene Beziehung zu etwas anderem zugleich hat und nicht hat, haben wir auch eine zweite Frage beantwortet und haben gezeigt, dass nicht nur Dinge genau gleich sein können, sondern es auch sind; und weiter ist es auch offensichtlich, da Dinge, von denen sich herausstellte, dass sie so sind, Beispiele dessen waren, was wir ursprünglich als ein gemeinsames Prädikat zweier unterschiedlicher Dinge ansahen, dass ein gemeinsames Prädikat bei seiner Anwendung auf ein Ding sich von demselben Prädikat bei seiner Anwendung auf ein anderes numerisch unterscheiden kann. Daher haben wir das Prinzip der Identität Ununterscheidbarer in beiden Formen, die Leibniz nicht unterschieden hat, widerlegt. Wir haben herausgefunden, dass (1) Identität begrifflich nicht identisch mit Ununterscheidbarkeit ist, es gibt nicht nur in der Bezeichnung einen Unterschied, sondern auch in der Tatsache; und (2) dass Dinge, die ununterscheidbar sind, nicht immer identisch sind. Andererseits haben wir das Prinzip, das häufig bei Plato auftritt, akzeptiert, dass die Idee in einem Ding sich von der Idee selbst unterscheiden kann; und wir müssen noch erkennen, ob es einen unüberwindbaren Einwand gegen diese Sichtweise gibt. Die Sichtweise, die wir akzeptiert haben, besteht darin, dass in einigen Fällen, in denen von zwei Dingen wirklich gesagt werden kann, dass sie ein gemeinsames Prädikat haben, es in jedem ein Prädikat gibt, das jenem, das in dem anderen existiert, genau gleicht, aber mit ihm numerisch nicht identisch ist. Und ich gestehe, dass ich keine Einwände gegen diese Ansicht erkennen kann, außer was auf einer gänzlichen Ablehnung des Unterschieds zwischen dem begrifflichen und dem numerischen Unterschied zu beruhen
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scheint. Diese beiden genau gleichen Dinge sind, so könnte mir gesagt werden, im Inhalt identisch: Genaue Gleichheit bedeutet Übereinstimmung im Inhalt. Ich gebe zu, dass sie so sind. In diesem Fall könnte mein Gegner erwidern, dass sie dasselbe Ding sind; es gibt zwischen ihnen keinen Unterschied; sie sind nicht zwei, sondern eins. Aber dies bedeutet nur dem springenden Punkt auszuweichen. Was ich gesagt habe, ist, dass viele unserer Urteile einfach implizieren, dass es zwei Dinge geben kann, Dinge, die eine Art des Unterschieds haben, die ich numerisch nenne, und die dennoch keine andere Art des Unterschieds haben, den ich begrifflich nenne. Und ich erkläre den Ausdruck Inhaltsübereinstimmung so, dass er nur auf zwei Dinge zutrifft, die keinen begrifflichen Unterschied haben. Die beiden Dinge sind, so gebe ich zu, in einem Sinn dasselbe; aber dass sie deshalb nicht auch ein und dasselbe sind, ist genau das, was ich zu zeigen versucht habe. Oder es könnte vorgebracht werden: „Besteht diese Inhaltsübereinstimmung zwischen den Dingen darin, dass sie beide dasselbe Prädikat –€ein gemeinsames Element€– haben? Aber wenn dies so ist, dann würde in Ihrer Theorie dieses gemeinsame Prädikat selbst zwei sein; und diese zwei Prädikate würden wieder ein gemeinsames Element benötigen, um ihre Übereinstimmung im Inhalt zu erklären, welches wieder zwei sein würde, und so ad infinitum. Sodass, wenn man einmal anerkannt hat, dass es ein einziges Paar von genau gleichen Dingen gibt, für jedes so anerkannte Paar man eine unendliche Anzahl anderer Paare anerkennen muss. Und (so könnte hinzugefügt werden) wenn dies nicht absurd genug ist, wird jedes Paar völlig ununterscheidbar von allen anderen sein, sodass man selbst nicht fähig ist, das erste Paar als das erste von jenen, die es beinhaltet, zu unterscheiden.“ Auf einen derartigen Einwand könnte ich folgendermaßen antworten: (1)€Dass die Paare meiner Ansicht nach nicht ununterscheidbar sind. Jedes Glied unterscheidet sich numerisch vom Rest, und wo dies der Fall ist, können zwei aus einer unendlichen Anzahl als dieses und jenes unterschieden werden, da es genau die Bedeutung des numerischen Unterschieds ist, dass Dinge, die ihn haben, somit unterschiedlich sind und nicht für ein anderes gehalten werden können. Und (2) wenn dies der Fall ist, sehe ich keine Absurdität im infiniten Regress. Möglicherweise kann es eine unendliche Anzahl genau gleicher Dinge geben; aber wenn wir das, was auf eines zutrifft, von dem unterscheiden können, was auf den Rest zutrifft, sehe ich nichts, dass meinen Vorschlag widerlegen könnte. Auf jeden Fall ist es wahr, dass es, wenn es keine unendliche Anzahl genau gleicher Dinge gibt, eine unendliche Anzahl begrifflich verschiedener gibt. Sodass, selbst wenn die
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Einlassung auf eine unendliche Anzahl einen Widerspruch beinhaltet, wie einige sagen, diese Tatsache nicht zugunsten eines begrifflichen Unterschieds gegenüber einem numerischen vorgebracht werden kann. Aber (3) selbst wenn die beiden letzten Einwände nicht erwidert werden könnten, rühren sie meine Theorie nicht an. Denn ich vertrete nicht, dass in jedem Fall, in dem ein gemeinsames Prädikat wirklich festgestellt wird, die Prädikate zwei sind. Ich habe mich gezwungen gesehen zu behaupten, dass sie in einigen Fällen so sind. Aber es scheint mir als eine Tatsache, dass, wenn zwei Prädikate genau gleich sind, ihre Beziehung zu dem, was in jedem von ihnen dasselbe ist, sich völlig von der Beziehung unterscheidet, die jede zu dem hat, dessen Prädikat es ist. Dass gesagt werden kann, dass es in jedem ein identisches Element gibt, erkenne ich an. Aber dieses identische Element scheint mir nicht nur dasselbe zu sein, sondern ein und dasselbe. Und in Ermangelung weiterer Einwände sehe ich keinen Grund anzunehmen, dass es nicht so sein kann. Aber schließlich könnte gesagt werden: Wenn im Fall zweier genau gleicher Dinge es immer auch ein drittes Ding gibt, wie eingeräumt worden ist, das ein und dasselbe ist und sich von jedem unterscheidet, muss es nicht auch ein viertes geben, das eine Beziehung zum ersten und dritten hat, wie das dritte eine Beziehung zum ersten und zweiten hat; und ein fünftes, das auf die gleiche Weise eine Beziehung zum zweiten und dritten hat, und so ad infinitum? Anders gesagt, wenn die Gleichheit zwischen zwei partikulären Dingen, wie Plato sagen würde, durch die Gleichheit beider zu ein und derselben Idee erklärt werden soll, muss nicht die gleiche Erklärung hinsichtlich der Gleichheit von jedem zu dieser Idee gegeben werden? Auf diesen Einwand könnte ich zunächst wieder erwidern, dass eine bloße Übereinstimmung numerisch identischer Dinge mir nicht unmöglich erscheint. Aber wenn, wie es im zweiten Teil impliziert zu sein scheint, der Einwand sich nicht auf diese Unendlichkeit bezieht, sondern auf eine Definition genauer Gleichheit, die darin besteht, zu sagen, dass zwei Dinge zueinander genau gleich sind, wenn jedes zu einem dritten Ding genau gleich ist, dann gebe ich zu, dass eine solche Definition ungültig ist. Wenn die Beziehung der Idee zu jedem partikulären Ding genau gleich wäre wie ihre Beziehung zueinander, könnten wir gewiss ihre Beziehung zueinander nicht mit Hilfe ihrer Beziehung zu ihr definieren. Wir müssten einräumen, dass genaue Gleichheit eine unanalysierbare Beziehung wäre und dass Ideen, selbst wenn es eine unendliche Anzahl von ihnen gäbe, insofern überflüssige Hypothesen wären und nicht aus ihrer Realität gefolgert werden könnten. Und dieser Einwand
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scheitert nicht vollkommen wie der letzte, meine Theorie zu berühren; denn ich wollte die Beziehung genauer Gleichheit zwischen zwei Dingen als etwas definieren, das die Beziehung zu einem dritten Ding beinhaltet, und nicht nur die unnötige und irrelevante Behauptung aufstellen, dass, wenn zwei Dinge genau gleich sind, es auch ein so gestaltetes drittes Ding gibt. Um diesen Einwand zu widerlegen, muss ich nun darlegen, was bisher nicht deutlich gemacht worden ist, dass die Beziehung zwischen der Idee und ihren partikulären Dingen nicht dieselbe ist, wie jene des einen Dings zu dem anderen; dass die Idee zu ihren partikulären Dingen nicht genau gleich ist. Und diese Behauptung scheint, so gebe ich zu, zunächst merkwürdig zu sein. Wenn sie nicht genau gleich sind, was, so könnte gefragt werden, ist der Unterschied zwischen ihnen? Man gestattet mir, dass sie einen numerischen Unterschied haben, aber ich selbst gebe auch zu, dass sie keinen begrifflichen Unterschied haben; und was mehr als dieses kann mit genauer Gleichheit gemeint sein? Meine Antwortet lautet, dass etwas mehr als dieses mit genauer Gleichheit gemeint ist, nämlich die Tatsache, dass jedes der Dinge, von denen gesagt wird, dass sie so sind, eine einzigartige Beziehung zu einem dritten Ding hat, das sich von ihnen numerisch, nicht aber begrifflich unterscheidet, die sie nicht zueinander haben. Dieses dritte Ding ist die Platonische Idee oder, wie wir sie jetzt nennen, die Universalien. Und dieses dritte Ding ist zu jedem der partikulären Dinge nicht genau gleich, gerade weil es kein viertes Ding gibt, zu dem es die Beziehung hat, die sie zu ihm haben. Hinsichtlich dieser Sichtweise des Falls kann ich keine weiteren Einwände erkennen. Es ist wahr, dass es wünschenswert wäre, einen einzigen Ausdruck zu haben, um die Tatsache auszudrücken, dass die Universalien sich von dem Partikulären numerisch unterscheiden, ohne sich von ihm begrifflich zu unterscheiden, obwohl es nicht jene weitere Beziehung hat, auf die ich soeben den Ausdruck genaue Gleichheit beschränkt habe. Der Ausdruck genaue Gleichheit könnte in der Tat für diesen Zweck verwendet werden. Aber dann wäre es notwendig, einen anderen Ausdruck zu haben, um die zusätzliche Tatsache auszudrücken, dass jedes partikuläre Ding auch zu dem anderen durch die Universalie in Beziehung steht; und da man wahrscheinlich viel öfter diese Bezeichnung für die Beziehung des Partikulären zum Partikulären gebraucht und da diese Beziehung viel öfter Diskussionsgegenstand ist, scheint es wünschenswert, den gewohnten Ausdruck für diese komplexe Bedeutung einzusetzen. Wie ein Ausdruck verwendet werden soll, ist jedoch nicht die Frage, an der ich gegenwärtig hauptsächlich interessiert bin. Das, worauf ich aufmerksam machen möchte, besteht darin, dass die Beziehung eines
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partikulären Dinges zu seiner Universalie sich tatsächlich von der Beziehung eines partikulären Dings zu einem partikulären Ding unterscheidet, von dem gewöhnlich gesagt werden würde, das es ihm genau gleicht, obwohl es auf beide Paare zutrifft, dass sie sich numerisch unterscheiden, ohne sich begrifflich zu unterscheiden. Dieser Punkt erscheint mir notwendig, wenn wir einmal eingestanden haben, wie ich versucht habe zu zeigen, dass wir es müssen, dass Dinge sich tatsächlich numerisch unterscheiden, ohne sich begrifflich zu unterscheiden. Denn diese Theorie drohte die Unterscheidung zwischen den partikulären Dingen und den Universalien zu verschleiern, da sie bestritt, dass eine Unterscheidung in der Tatsache zu erkennen war, dass das partikuläre Ding das Universale in Beziehung zu einem oder mehreren anderen sei, die von ihm begrifflich verschieden sind. Während es unmöglich scheint zu bestreiten, dass Universalien sich von den partikulären Dingen unterscheiden, da Verschiedenes auf sie zutrifft, wie z.€B. dass partikuläre Dinge gewiss existieren, während es zumindest fraglich ist, ob Universalien es tun; und dass Universales partikulären Dingen zugeschrieben werden kann, während Partikuläres weder Universalien noch anderen partikulären Dingen zugeschrieben werden kann. So scheint es gewiss, dass dieses Rot und jenes Rot existieren, aber es ist fraglich, ob das Rotsein selbst existiert. Und es ist genauso gewiss, dass dieses Rot rot ist; während Rot selbst zweifellos nicht dieses Rot ist, noch dieses Rot noch jenes Rot. Somit kann ich für meine Theorie in Anspruch nehmen, dass sie teilweise die Ansichten jener, die auf der Realität der selbstidentischen Universalien bestehen, aber sich daher gezwungen sehen, jeden Unterschied außer dem Inhaltsunterschied zu bestreiten, mit den Ansichten jener zu vereinen, die eine genaue Gleichheit von partikulären Dingen behaupten, aber geneigt sind, zu bestreiten, dass eine Übereinstimmung außer jener eines jeden partikulären Dings mit sich selbst darin beinhaltet ist. Die Einführung des numerischen Unterschieds scheint nun notwendig zu sein; und wir konnten keinen schlüssigen Widerspruch gegen ihn finden. Jedoch ist offensichtlich geworden, dass verschiedene wichtige Konsequenzen, die im Allgemeinen nicht erkannt werden, daraus folgen; und es wird gut sein, diese nun zusammenzufassen. Zuerst sind nun alle beiden Dinge voneinander numerisch unterschiedlich, von denen das eine eine Beziehung hat, die das andere nicht hat, oder auf das eine trifft etwas zu, das auf das andere nicht zutrifft. Aber all solche Paare von Dingen sind in zwei Klassen eingeteilt, da das entsprechende Paar auch einen anderen Unterschied, der begrifflicher Unter-
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schied genannt wird, hat oder nicht hat. Es ist unmöglich, der Schlussfolgerung zu entgehen, dass ein und dasselbe Paar beide Arten von Unterschieden haben kann. Denn wenn gesagt wird, dass mit ihrem begrifflichen Unterschied bloß gemeint ist, dass eine begrifflich unterschiedliche Universalie zu jedem von ihnen in Beziehung steht, dann kann sich jedes tatsächlich numerisch nicht nur von dem anderen unterscheiden, sondern muss sich auch begrifflich von der Universalie unterscheiden, mit der es in Beziehung steht. Aber diese Universalie hat zu ihm eine Beziehung, die sie zu nichts anderem hat. Gemäß der Definition unterscheidet sich die Universalie numerisch von ihm; und da sie sich auch begrifflich unterschiedet, besitzt das Paar beide Arten von Unterschieden. Fahren wir fort: Zwei Universalien haben zugleich einen numerischen und begrifflichen Unterschied zueinander. Aber jedes partikuläre Ding hat eine Universalie, von der es sich nur numerisch unterscheidet. Zu dieser Universalie hat es auch eine einzigartige, namenlose Beziehung, die die Universalie nicht zu ihm hat und die es zu keinem anderen partikulärem Ding hat. Alle partikulären Dinge, die diese Beziehung zu derselben Universalie haben, unterscheiden sich untereinander nur numerisch; aber sie unterscheiden sich auch begrifflich von jedem partikulären Ding, das diese Beziehung zu einer unterschiedlichen Universalie hat. Diese namenlose Beziehung, die jedes partikuläre Ding zu einer und nur zu einer Universalie hat, ist nicht dieselbe wie die Beziehung eines Mitglieds einer Klasse zu seinem Klassenbegriff; da das Mitglied einer Klasse sich begrifflich von seinem Klassenbegriff unterscheiden kann und da auch zwei Universalien zu derselben Klasse gehören können. Es könnte aber gesagt werden: Was ist der Unterschied zwischen einem partikulärem Ding und einer Universalie, da sie sich nicht zwangsläufig unterscheiden? Der Unterschied besteht darin, dass sie zu verschiedenen Klassen gehören: Der Klassenbegriff „Universalie“ unterscheidet sich vom Klassenbegriff „Partikuläres“. Und die Klassen lassen sich wie folgt definieren: Ein partikuläres Ding ist all das, was zu anderen Dingen, von denen es sich nur numerisch unterscheidet, die einzigartige, namenlose, oben genannte Beziehung hat. Eine Universalie ist all das, was diese Beziehung zu überhaupt nichts anderem hat. So kann es Universalien geben, die nur ein partikuläres Ding haben oder überhaupt keines: Aber jedes partikuläre Ding muss eine Universalie haben. Die Bezeichnung „Universalie“ darf daher nicht so verstanden werden, dass sie partikuläre Dinge impliziert, sondern nur um die Tatsache zu kennzeichnen, dass, wenn es mehr als zwei Dinge gibt, die sich voneinander nur numerisch unterscheiden, es eines unter ihnen gibt, das eine Beziehung zu dem gesam-
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ten Rest hat, die kein Ding dieses Rests zu ihm oder zu den anderen Dingen des Rests hat. Einerseits impliziert ein Klassenbegriff zumindest ein Mitglied, das sich begrifflich von ihm unterscheidet; und wenn es mehr gibt, hat es zu allen eine Beziehung, die keines von ihnen zu ihm hat oder diese untereinander haben. Es ist darüber hinaus immer auch eine Universalie, aber es muss keine partikulären Dinge haben. Große Sorgfalt ist daher angebracht, wenn man die unterschiedlichen Beziehungen unterscheidet, die es zu verschiedenen Dingen in jeder Eigenschaft haben kann. Wir sind nun in einer Position, um etwas hinsichtlich der Bedeutung der Identität zu sagen. In Bezug auf die Feststellung der Identität im Allgemeinen scheint es offensichtlich, dass sie zwei verschiedene Formen annehmen kann. Wir können entweder feststellen, dass dieses mit jenem identisch ist oder dass dieses mit sich selbst identisch ist. Die letztere Form wird im logischen „Gesetz der Identität“ verwendet, A ist A; alles ist mit sich selbst identisch. Hegel klagt über dieses Gesetz an einer Stelle, dass jene, die es behaupten, auch sein „Gegenteil“ behaupten, und gleich danach, dass Äußerungen, die im Einklang mit ihm sind, es verdienen, als „albern“ bezeichnet zu werden. Ich möchte nicht selbst entscheiden, ob er diese Anklagen als dieselben ansieht oder nicht und ob er mit Gegenteil „widersprüchlich“ meint. Die Beispiele, die er gibt („ein Planet ist – ein Planet; der Magnetismus ist – der Magnetismus; der Geist ist – ein Geist“) scheinen gerechterweise der Albernheit angeklagt. Aber sind sie unwahr? Ich wüsste nicht, dass entweder er oder einer seiner Schüler behauptet haben, dass Geist nicht Geist ist, obwohl sie behauptet haben könnten, dass Materie nicht Materie ist. Es scheint nun, dass selbst einige dieser albernen Beispiele Widersprüchlichkeiten haben, die falsch sind; und dass, wenn Hegel uns sagt, dass wir mit der Feststellung des Gesetzes der Identität auch sein Gegenteil feststellen, er nur meint, dass wir etwas anderes vom Geist feststellen müssen, sowie die Tatsache, dass es der Geist ist, nicht dass wir feststellen, dass es nicht der Geist ist. Dementsprechend scheint seine erste Anklage nicht mehr zu sein als eine Anmerkung hinsichtlich der Ambiguität der Kopula, indem hervorgehoben wird, dass viele verschiedene Dinge in verschiedenen Bedeutungen ein und demselben Ding zugeschrieben werden können; eine Anmerkung, die äußerst zutreffend ist und sehr nützlich sein würde, wenn jene, die sie äußern, oder jene, die sie hören, dadurch angeleitet würden, in der Praxis an sie zu denken.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 8. Frankfurt a.€M. 1979, S.€237 (Smaller Logic, § 115, Wallace’s Trans., S. 214.)
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Aber es scheint noch sinnvoll zu sein, zu fragen, warum diese Bemerkungen albern sind, wenn sie wahr sind. Ich denke zunächst, weil dasselbe Wort im Subjekt und im Prädikat benutzt wird. Es ist wahr, wie Hegel selbst anmerkt, dass die propositionale Form immer „einen Unterschied zwischen Subjekt und Prädikat verspricht“, und falls ein Unterschied gemeint ist, erscheint es normalerweise albern, dasselbe Zeichen für das, was unterschieden werden soll, zu verwenden. Die Fälle sind selten, in denen die Doppelbedeutung eines Zeichens so gut verstanden wird, dass wir damit rechnen können, dass ein Unterschied trotz unserer Verwendung des gleichen Zeichens wahrgenommen wird. Wir können nicht alle Wahrheiten in der Form von Wortspielen zum Ausdruck bringen; und selbst wenn wir es könnten, könnten wir nicht erwarten, dass der Witz in jeder Gesellschaft verstanden wird. „A bull is a bull“ ist möglicherweise die beste Art, ein Urteil über die Beziehung solch verschiedener Dinge wie die eines Tieres und einer irischen Witzform auszudrücken; aber der Unterschied muss offensichtlich sein oder wir müssen den Witz erklären. Daher verhält sich Hegel in seiner Wahl der Zeichen, um seine Beispiele darzustellen, dem Gesetz der Identität gegenüber unfair. Angenommen wir sagen, „der Geist ist etwas, auf das Propositionen zutreffen, die auf nichts anderes zutreffen“, es ist keineswegs offensichtlich, dass diese Äußerung albern ist, obwohl unsere Bedeutung dieselbe sein könnte, die wir unter anderen Umständen durch „Geist ist Geist“ ausdrücken könnten. Aber was ist die Bedeutung, wenn wir solche Ausdrücke verwenden? Ich habe angenommen, dass es einen Unterschied geben muss, den wir versuchen auszudrücken; aber es ist aus der Tatsache, dass wir jemals geneigt sind, es durch „Geist ist Geist“ auszudrücken, offensichtlich, dass es eine Unterscheidung ist, die ziemlich schwierig zu erfassen ist. Wenn wir sagen, „dies ist mit sich selbst identisch“, scheint die Wahrheit dessen, was wir denken, zu einer Klasse von Wahrheiten zu gehören, deren allgemeine Form lautet, „dies ist identisch mit jenem“, und es scheint, als ob in allen derartigen Fällen „dieses“ und „jenes“ einen Unterschied zueinander haben müssen und dass daher das Ding in diesem Fall von sich selbst verschieden sein muss, damit es identisch ist. Dies ist, denke ich, die Schlussfolgerung, auf die uns Hegel hinzuweisen wünscht, und es ist zweifellos dennoch jene, die das Gesetz der Identität zu bestreiten versucht. Daher müssen wir einen Unterscheidungspunkt zwischen dem, was wir mit „dies ist mit sich
Wortspiel zwischen „bull“ – „Bulle“ und „(Irish) bull“ – Widerspruch in sich. [A.€d.€Ü.]
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selbst identisch“ meinen, und jenem finden, was wir mit „dies ist identisch mit jenem“ meinen, wenn wir vertreten wollen, dass jedes Beispiel unseres Gesetzes nicht seine eigene Widersprüchlichkeit beinhaltet; und doch müssen wir behaupten, dass jedes derartige Beispiel eine Beziehung zwischen zwei unterschiedlichen Dingen feststellt, wenn wir vertreten wollen, dass es nicht reiner Unsinn ist und einen Widerspruch haben kann. Solch ein Unterscheidungspunkt kann zunächst in der Tatsache gefunden werden, dass, wenn wir sagen, „der Geist ist selbstidentisch“, wir etwas über ihn feststellen, das auch auf alles andere zutrifft; während wir, wenn wir sagen, „Materie ist mit Geist identisch“, etwas über ein Paar von Dingen feststellen, das auf kein anderes Paar zutrifft. Kurz gesagt, unser Gesetz lautet: „Alles ist selbstidentisch“; es lautet nicht: „Alles ist identisch mit etwas anderem.“ Auf den ersten Blick scheint es nun, dass „Geist ist Geist“ so weit wie nur möglich davon entfernt ist, ein Beispiel unseres Gesetzes oder eine „Äußerung, die im Einklang mit ihm ist“, zu sein, da es ein Versuch zu sein scheint, etwas über den Geist festzustellen, das auf nichts anderes zutrifft, während gemäß der Aussage des Gesetzes jedes seiner Beispiele ein Prädikat von etwas feststellen muss, das auch auf alles andere zutrifft. Das Gesetz der Identität stellt von allem fest, dass es zu einer gewissen Klasse gehört, sagen wir: die Klasse der Subjekte. Ein Beispiel des Gesetzes würde dann sein: „Geist ist ein Subjekt.“ Aber das sind auch „Materie“ und eine Menge anderer Dinge. Dennoch wollen wir nicht feststellen, dass er genau wie diese ist: Wir fühlen, dass unsere Feststellung als einmalig gemeint war. Wir wollen nicht nur sagen, dass er ein Subjekt wie alle anderen Dinge ist, sondern welches Subjekt er ist; und wir sind nur mit einer Methode der Spezifikation vertraut –€jene, die von einem gegebenen partikulärem Ding eine Universalie feststellt, mit der es verbunden ist. Wenn wir sagen, vage genug, aber mit einer sehr bestimmten Bedeutung, „dieses existiert“, und wir gefragt werden, „welches Dieses ist gemeint?“, ist die Antwort, „jenes Dieses, das rot ist“, im Allgemeinen zufriedenstellend: Uns ist es gelungen, einen Punkt zu spezifizieren, worin es sich von den meisten anderen Dingen unterscheidet. Doch wenn das „Dieses“, von dem wir sprechen, „dieses Rot“ oder die Universalie selbst ist, steht diese Methode für uns nicht länger zur Verfügung. Wir können keinen Punkt spezifizieren, in dem es sich von anderen Dingen unterscheidet, weil es selbst ein bloßer Punkt der Unterscheidung ist. Wir können von ihm sagen, dass es ein Subjekt ist, ein Unterscheidungspunkt: Und wir sind sicher, dass dies unzweideutig ist. Aber wenn jemand fragt, „welches Subjekt ist es?“, können wir nur antworten, „das Subjekt, das es ist“,
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obwohl wir damit nichts der Bedeutung hinzugefügt haben. Dies ist, so sehe ich es, wie wir zur Aussage „Geist ist Geist“ gelangen. Wir glauben, dass die Einzigartigkeit eines Dings in jedem Fall fähig sein sollte, in einem Prädikat ausgedrückt zu werden, weil diese Methode in den meisten normalen Fällen sich als erfolgreich herausgestellt hat. Aber Tatsache ist, dass jedes Prädikat, das wir zuweisen können, auch zu einem anderen Ding gehört, obwohl nicht im Allgemeinen zu allen oder den meisten; und dass das einzige Ding, das einer Proposition vollkommene Einzigartigkeit verleiht, das Subjekt ist. Jede Proposition wird sich von einer anderen hinsichtlich ihres Subjekts und ihres Prädikats unterscheiden; aber sie kann sich von allen anderen nur hinsichtlich ihres Subjekts unterscheiden. Wenn wir annehmen, dass unsere Bedeutung, wenn wir „Geist ist Geist“ sagen, „Geist ist ein Subjekt“ ist, ist dies immer noch albern? Gewiss kann dieser spezielle Fall des Gesetzes der Identität so gesehen werden, und unter gewissen Umständen gilt dies auch für die anderen: Denn die Tatsachen, die sie zum Ausdruck bringen, sind oftmals für jeden offensichtlich. Aber das Gesetz selbst verliert darum nicht an Bedeutung. Denn es stellt fest, dass dies auf alles zutrifft; während jeder Philosoph, der vertritt, dass die Erscheinung sich von der Realität unterscheidet, feststellen muss, dass einige Dinge bloße Prädikate sind. Die erste Bedeutung, die wir einer Feststellung von Identität zuweisen können, besteht darin, dass die Feststellung, dass ein Ding mit sich selbst identisch ist, gleichbedeutend mit der Feststellung ist, dass es ein Subjekt ist. Identität ist hier weder eine Beziehung zwischen zwei Dingen noch beinhaltet sie einen Unterschied. Die Feststellung, dass ein Ding ein Subjekt ist, ist in der Philosophie weit verbreitet, und von ihr kann daher angenommen werden, dass sie keiner Erklärung bedarf. Des Weiteren ist die Vorstellung „Subjekt“ selbst ein Subjekt und daher undefinierbar. Jedoch kann ich versuchen, eine Vorstellung seiner Bedeutung zu vermitteln, indem seine Beziehungen spezifiziert werden und indem an die Ausdrücke erinnert wird, die dafür verwendet worden sind. Beginnen wir mit dem Letzteren: Zunächst hat es viel von dem, was Spinoza mit Substanz gemeint hat, und auch sein „Attribut“ hat viel von dem, was ich mit Prädikat meine. Es hat viel von dem, was gewöhnlich mit dem „Individuum“ gemeint ist, und es ist das, was Bradley und andere „dieses“ genannt haben. Was nun beabsichtigt wird, durch die Zuschreibung einer dieser Ausdrücke von einem Ding zu vermitteln –€indem man sagt, dass soundso eine Substanz oder ein Subjekt oder ein Einzelnes oder ein „Dieses“ ist€–, scheint hauptsächlich darin zu bestehen,
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dass das so beschriebene Ding ein Ding ist, auf das etwas zutrifft, das auf alles andere nicht zutrifft. Aber wenn es so verstanden werden soll, dass ein Ding gemeint ist, das ein Prädikat hat, welches keines sonst hat, wird die Suche nach solch einem Ding offensichtlich sehr schwierig. Folglich ergibt sich die Tendenz, anzunehmen, dass eine Substanz ein Ding mit einer sehr großen Vielzahl an Prädikaten sein muss; da, wenn man ihm genug zuschreibt, Hoffnung besteht, dass es kein anderes Ding geben wird, auf das zutrifft, dass es all diese Prädikate hat. Auf diese Weise erhalten wir eine solche Definition von Substanz wie jene, dass sie diejenige ist, die alle positiven Prädikate vereint; oder von einem Einzelnen, dass es die größtmögliche Differenzierung mit der größtmöglichen Einheit verbindet. Aber alle derartigen Versuche lassen die Tatsache, die sie nur feststellen können, unerklärt, dass die Prädikate selbst, wenn sie unterschiedlich sind, genau jene Eigenschaft haben müssen, von der angenommen wird, dass ihre Verbindung sie der Substanz verleiht –€nämlich dass etwas auf jedes zutrifft, das auf nichts anderes zutrifft. Entweder sind sie nicht einzigartig, in diesem Fall hätte die Substanz auch ihre Einzigartigkeit verloren, oder sie sind es, und dann bedeutet die Sammlung jeder Anzahl kein bisschen mehr als jedes im Einzelnen. So kann Substanz nun nicht durch ihre Prädikate unterschieden werden. Etwas trifft auf sie zu, was auf nichts anderes zutrifft, aber dies kann nicht bedeuten, dass sie entweder ein Prädikat oder eine Anzahl von Prädikaten hat, die nichts anderes hat. Es besteht tatsächlich eine Zweideutigkeit in dem Ausdruck, „das, das auf ein Ding zutrifft“; diese hervorzuheben, ist alles, was ich beim Definieren des Subjekts tun kann. Es ist bei jedem Subjekt nicht nur der Fall, dass etwas auf es zutrifft, das auf nichts anderes zutrifft, sondern auch dass alles, das auf es zutrifft, auf nichts anderes zutrifft. Aber dies bedeutet nicht, dass es nicht dieselbe Beziehung zu anderen Dingen haben kann, die andere haben; es kann und muss eine Beziehung zu einem anderen Ding haben, die alle anderen haben. Dies bedeutet, dass die Tatsache, dass es diese Beziehung hat, nicht dieselbe Tatsache ist, dass etwas anderes sie hat. Dass es ein Subjekt ist, ist z.€B. eine andere Wahrheit als die Wahrheit, dass etwas anderes so ist, obwohl das, was jedes feststellt, dass es auf das entsprechende Subjekt zutrifft, genau dasselbe ist. (1) Unsere erste Art der „Identität“ –€Selbstgleichheit oder individuelle Existenz€– bestätigt weder einen Unterschied noch bestreitet sie ihn. Es ist wahr, dass, wenn zwei Dinge numerisch unterschiedlich sind, jedes ein Einzelnes ist. Aber festzustellen, dass ein Ding kein Einzelnes ist, ist nicht gleichbedeutend damit, festzustellen, dass es von einem anderen nicht numerisch
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verschieden ist. Ein numerischer Unterschied kann nur von zwei Einzelnen festgestellt oder bestritten werden; individuelle Existenz kann von einem festgestellt oder bestritten werden. Das Motiv beider Ablehnungen ist in der Tat dasselbe, nämlich der Wunsch zu zeigen, dass ein Einzelnes zwei von zwei Prädikaten besitzen kann, von denen offensichtlich ist, dass es eins besitzt. Aber während die Ablehnung eines numerischen Unterschieds es zweifelhaft lassen würde, welches der beiden von Nutzen sein sollte, macht die Ablehnung der individuellen Existenz deutlich, dass die Vorteile der Transaktion nicht jenem zufließen, von dem es bestritten wird. Um z.€B. einen Spiritualismus zu beweisen, indem man dem Geist einige der Prädikate zuordnet, die der Materie anzuhängen scheinen, ist es notwendig, ihren numerischen Unterschied (der durch sich selbst zu Materialismus führen würde) und auch die individuelle Existenz der Materie (die durch sich selbst zu Agnostizismus führen würde) zu bestreiten. (2) Die Verbindung dieser beiden Ablehnungen gibt uns einen zweiten Sinn der Identität. Von einem Ding kann gesagt werden, dass es mit einem anderen numerisch identisch ist, wenn ihm verweigert wird, individuelle Existenz zu haben und von dem anderen numerisch unterschiedlich zu sein. Eine Feststellung der Identität in diesem Sinn ist offensichtlich niemals wahr; gerade weil eine Feststellung der Identität im ersten Sinn es immer ist. Weder die Ablehnung der individuellen Existenz noch die Ablehnung eines numerischen Unterschieds ist jemals wahr. Dennoch werden beide häufig bestritten. Der Grund scheint zu sein, dass wir häufig festzustellen wünschen, dass zwei Beziehungen einem Einzelnen zugleich anhaften. In derartigen Fällen ist die Wahrheit, dass die eine Beziehung dem Einzelnen anhaftet, eine andere Wahrheit als die Wahrheit, dass die andere ihm anhaftet; und da die Wahrheiten verschieden sind, wird angenommen, dass sie unterschiedliche Subjekte haben. So wird der Unterschied zwischen Wahrheiten, die darin bestehen, dass sie unterschiedliche Beziehungen desselben Subjekts feststellen, mit jenem verwechselt, der darin besteht, dass sie dieselbe Beziehung von unterschiedlichen Subjekten feststellen. Wenn wir sagen, „dieses Rot, an das ich jetzt denke, ist dasselbe wie das, an das ich vorher gedacht habe“, ist es einfach, anzunehmen, dass die zugeschriebene Identität von derselben Art ist, wie wenn wir sagen, „das Rot an dieser Stelle ist dasselbe Rot wie an jener Stelle“. Im zweiten Fall haben wir jedoch festgestellt, dass zwei numerisch unterschiedliche Dinge dieselbe Beziehung zu einer Universalie (einem bestimmten Rotton) haben, während wir im ersten nur einem Einzelnen zwei unterschiedliche Beziehungen zuschreiben können. Wenn
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wir auf diese Art einmal angenommen haben, dass wir einem Ding verweigern können, dass es sich numerisch von sich selbst unterscheidet, ist es vergleichsweise einfach, uns selbst zu überzeugen, dass die Ablehnung sich auf andere Dinge erstreckt. Aber (3) wir können zwei numerisch unterschiedlichen Dingen einen begrifflichen Unterschied verweigern. Man könnte sagen, wir stellen fest, dass sie begrifflich identisch sind. In allen derartigen Fällen ist die Feststellung der Identität die Feststellung einer Beziehung zwischen zwei unterschiedlichen Dingen: Identität impliziert tatsächlich Unterschied. Die festgestellte Beziehung kann gemäß dem, was oben gesagt worden ist, entweder die Beziehung zweier partikulärer Dinge zu derselben Universalie sein oder die Beziehung einer Universalie zu einem partikulären Ding oder die Beziehung eines partikulären Dings zu einer Universalie. Alle drei Beziehungen sind unterschiedlich, aber alle gleichen sich, indem sie die Ablehnung eines begrifflichen Unterschieds implizieren. Es ist offensichtlich, dass von derartigen Fällen es sehr leicht anzunehmen ist, dass, da wir Identität trotz eines numerischen Unterschieds feststellen, wir auch einen numerischen Unterschied bestreiten. Und wenn ein numerischer Unterschied im Falle von begrifflich Identischen bestritten werden könnte, würde es keinen Einwand hinsichtlich seiner Ablehnung im Falle von begrifflich unterschiedlichen Dingen geben, da sie kein bisschen numerisch unterschiedlicher sind als die anderen. (4) Des Weiteren haben Dinge, die sich voneinander zugleich begrifflich und numerisch unterscheiden, häufig eine Beziehung zueinander, die sehr leicht mit der Beziehung von partikulärem Ding zu partikulärem Ding verwechselt werden kann: Ich meine die Beziehung von Mitgliedern einer Klasse untereinander. Wenn von einer Anzahl von Rottönen derselben Schattierung gesagt wird, dass sie die Tatsache gemein haben, dass sie alle genau dieses Rot sind, sind wir geneigt, anzunehmen, dass eine Anzahl von Rottönen unterschiedlicher Schattierungen auf die gleiche Weise die Tatsache gemein hat, dass sie alle rot sind. Wenn von der ersten Gruppe gesagt wird, dass sie Identität des Inhalts aufweist, warum nicht auch von der zweiten? Und wenn von der zweiten, warum nicht auch von einer Reihe von Gruppen etc.? Es muss, denke ich, eingeräumt werden, dass von 2 und 3 manchmal gesagt wird, dass sie Identität in Differenz aus keinem anderen Grund aufweisen, als dass sie beide Zahlen sind. Es wird gedacht, dass ihr Sein als Zahlen zu ihrem Wesen als Einzelne hinzutritt in derselben Weise, wie sein Rotsein das Wesen von „diesem Rot“ bildet. Doch es muss darauf bestanden werden, dass 2 und 3
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begrifflich nicht identisch sind. Ihre Beziehung zur Zahl unterscheidet sich völlig von jener der beiden partikulären Dinge zu ihrer Universalie. Obwohl dies daher ein Fall ist, in dem Identität zugeschrieben wird, könnte diese Verwendung, denke ich, aufgegeben werden. Die Verwechslung, die durch sie verursacht wird, ist größtenteils für jenen Begriff des „Konkreten“ oder der „selbstdifferenzierenden Universalie“ verantwortlich, die so ein mächtiges Mittel ist, um die Überzeugung zu stärken, den numerischen Unterschied zwischen Einzelnen zu bestreiten. Wenn der Begriff „Zahl“ so angesehen wird, dass er zu den unterschiedlichen Zahlen die Beziehung wie eine Universalie zu ihren partikulären Dingen hat, dann wird er aufgrund ihres Unterschieds „selbstdifferenzierende Universalie“ genannt. Des Weiteren kann die Zahl „Zwei“ aufgrund ihrer Beziehung zu ihm als eine (partielle) konkrete Universalie bezeichnet werden. Und da es sehr leicht ist, den Klassenbegriff mit der Klasse zu verwechseln, warum sollte die gesamte Reihe der Zahlen (wenn sie bloß nicht unendlich wäre!) nicht als eine selbstdifferenzierende oder konkrete Universalie angesehen werden? (Ich weiß nicht, welcher Ausdruck, oder ob überhaupt einer dieser, in diesem Fall als angemessen angesehen werden würde.) Da wir hier eine Gruppe unterschiedlicher Dinge haben, jedes mit einer engen Beziehung zu einem gemeinsamen Begriff, hinsichtlich dessen die Identität im Unterschied, die für eine konkrete Universalie charakteristisch ist, so bemerkenswert ist, warum sollten wir nicht letztlich, wenn wir eine Gruppe unterschiedlicher Dinge haben, von denen jedes mit einem gemeinsamen Begriff verbunden ist, selbst wenn dieser gemeinsame Begriff nur ihre Mitgliedschaft in der Gruppe ist, jene Gruppe auch eine konkrete Universalie nennen? Folglich ist ein Staat eine konkrete Universalie, ein Mensch ist eine konkrete Universalie; nicht weil Staaten und Menschen gemeinsame Eigenschaften haben oder weil alle ihre Teile ein Mitglied einer einzigen Klasse sind, sondern weil von jedem ihrer Teile gesagt werden kann, dass es ein Mitglied des Staates, ein Teil des Menschen ist. Solche Übertreibungen werden völlig nüchtern von angesehenen Philosophen begangen. Aber der bedauernswerteste Punkt ist, dass sie, wenn sie so einer Gruppe den Titel einer konkreten Universalie oder eines Einzelnen (vielleicht sind dies dieselben?) verliehen haben, darauf zurückkommen, der Gruppe die Eigenschaften zu verleihen, die zu einer wirklichen Universalie gehören; wie dass ohne ihre Beziehung zur Universalie die partikulären Dinge nicht das sein würden, was sie sind; dass die Gruppe als Ganzes alle Attribute besitzt, die ihre partikulären Dinge einzeln haben; dass sie umgekehrt alle Attribute der Gruppe besitzen –€dass sie Mikrokosmen zu ihrem
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Makrokosmos sind. Durch solche Methoden ist es leicht zu beweisen, dass die Welt ein Einzelnes ist; dass alle Unterschiede in ihr transzendiert werden; dass ihre Fähigkeit, trotz ihnen eins zu bleiben, erstaunlich ist. Doch kehren wir zurück: (5) Wenn zwei numerisch unterschiedliche Dinge begrifflich dieselben sein können, können nicht zwei begrifflich unterschiedliche Dinge numerisch dieselben sein? Die Antwort ist bereits gegeben worden: Keine zwei Dinge können numerisch dieselben sein. Aber die Frage führt uns zur letzten Bedeutung von Identität, die ich betrachten möchte –€nämlich jene, in der Bedeutung komplexen Dingen zugeschrieben wird. Der Fall komplexer Dinge ist einer, in dem jene, die im Allgemeinen sehr bemüht sind, zu bestreiten, dass es ein solches Ding wie einen numerischen Unterschied gibt, ihn mit aller Kraft behauptet haben. Ihre Lehre besteht darin, dass der begriffliche Unterschied mit numerischer Identität vereinbar ist. Sie möchten behaupten, dass ein Ding mit sich selbst identisch sein kann (die alberne Proposition „Geist ist Geist“), obwohl sie unterschiedliche Prädikate haben; und dies geschieht, weil sie annehmen, dass das Subjekt durch seine Prädikate gebildet wird. Die erste Frage, die diesbezüglich zu beantworten ist, lautet: Kann eine Sammlung ein Einzelnes sein? Sie kann gewiss Ähnlichkeiten zu ihm aufweisen. So können wir Dinge einer Menge von Teilen zuschreiben, die andere Wahrheiten sind als jene, die jedem durch sich selbst zugeschrieben werden kann; wie dass sie so viele sind oder dass sie eine derartige Form haben. Des Weiteren haben wir bereits eingeräumt, dass eine Art eines komplexen Dings, eine Wahrheit, als ein Ganzes sich numerisch von einem anderen unterscheiden kann; und wo zwei Wahrheiten dieselben Prädikate von begrifflich gleichen Dingen feststellen, können sie sogar begrifflich identisch sein. Komplexe sind dazu fähig, Subjekt zu sein, sowohl als Ganze als auch in dem, dass gewiss Prädikate all ihren Teilen anhaften, die nicht jedem einzeln anhaften. Aber es ist sehr wichtig, diese Fälle von jenen zu unterscheiden, in denen eine bloße Beziehung zwischen den Teilen festgestellt wird. So kann ich, wenn ich sage, mein Jackett ist schwarz, verstanden werden, dass ich behaupte, dass, wenn nicht alle, so doch ein großer Teil von ihm, seine Teile so sind. Aber die Feststellung, dass jedes von ihnen schwarz ist, soll nicht als eine Feststellung einer Beziehung von partikulären Dingen zu einer Universalie verstanden werden, sondern von schwarzen partikulären Dingen zu partikulären Dingen. Wenn dementsprechend von einem von ihnen festgestellt wird, dass es schwarz und aus Wolle ist, ist dies nicht als eine Feststellung zu verstehen, dass ein Einzelnes zwei Prädikate hat, sondern dass zwei Einzelne eine gewisse Beziehung
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haben. Die Teile meines Jacketts sind nun in dem Sinn zu verstehen, dass sie weder eine begriffliche noch numerische Identität haben. In jedem Fall ist es möglich, ein Einzelnes zu unterscheiden, das zu einem begrifflich unterschiedlichem Einzelnen in Beziehung steht; und es sind diese Beziehungen, die festgestellt werden, wenn von ihnen allen gesagt wird, dass sie schwarz sind. Die Feststellung von Identität durch Änderung und von personaler Identität beinhaltet immer Beziehungen dieser Art. Wenn von demselben identischen Ding gesagt wird, dass es fortdauere, ist immer gemeint, dass zwei oder mehr partikuläre Dinge, die begrifflich identisch sind, in der Zeit andauern; und die Änderung löst sich selbst in der Tatsache auf, dass jedes der beiden begrifflich unterschiedlichen Dinge dieselbe Beziehung zu einer anderen Zeit hat. So kann von der „materiellen Identität“ eines Dings gesagt werden, dass sie in der andauernden Existenz begrifflich identischer partikulärer Dinge besteht, die zu verschiedenen Zeiten dieselbe Beziehung zu unterschiedlichen partikulären Dingen haben.
Kapitel 7 McTaggarts Studies in Hegelian Cosmology Erstveröffentlichung in Proceedings of the Aristotelian Society n.â•›s.€2 (1901–1902), 177–214.
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ieses Buch besitzt eine Verbindung von Vorzügen, die so selten wie wertvoll ist. McTaggart versucht uns direkt zu beweisen, dass das gesamte Universum von einer bestimmten Art ist; und er definiert mit äußerst ungewöhnlicher Klarheit, wie seine Schlussfolgerung lautet und welches die Prämissen und Argumente sind, durch die er seinen Beweis führt. Die Theologie könnte uns sogar eindeutigere Schlussfolgerungen liefern, die sich mehr auf die Vorstellungskraft beziehen; aber dieser Vorteil kann nur auf Kosten entweder einer schnöden Argumentation oder grundlegender Annahmen erlangt werden, die gänzlich willkürlich und aufgrund von Autorität akzeptiert werden. Philosophen wiederum können von selbstverständlichen Prämissen ausgehen; aber sie können selten eine Schlussfolgerung erreichen, die eindeutiger ist, als dass die Welt „rational und gerecht“ sei, und so wie ihre Schlussfolgerungen gewichtig sind, neigt der Beweis für sie dazu, schwer verständlich zu sein. McTaggarts Argumentation ist von seinen Anlagen her nicht schwächer als andere einzustufen; seine grundlegenden Prämissen sind nicht willkürlich, und seine Schlussfolgerungen sind eindeutig; und er lässt uns nicht zweifeln hinsichtlich der genauen Art seines Beweises, den er anzubieten hat. Ich kenne kein philosophisches Werk, das diese Vorzüge in gleichem Maß verbindet. Die Frage „Was ist das Wesen des Universums?“ wird direkt nur in drei Kapiteln behandelt –€II „Human Immortality“ (Unsterblichkeit des Menschen), III „The Personality of the Absolute“ (Persönlichkeit des Absoluten) und IX „The Further Determination of the Absolute“ (Die weitere Bestimmung des Absoluten)€–, und ich möchte mich nur mit diesen drei Kapiteln befassen. Sie sind in keinem Sinn historisch, wie der Titel des Buches vermuten lassen könnte. Ihre einzige Verbindung zu Hegel besteht darin, dass McTaggart Hegel als jenen ansieht, der einen großen Teil der Argumente
John McTaggart Ellis McTaggart, Studies in Hegelian Cosmology. Cambridge: University Press, 1901. Die im Text angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf diese englische Originalausgabe [A.€d.€Ü.].
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entdeckt hat, auf denen seine Schlussfolgerungen beruhen, und der nichts Widersprüchliches bezüglich dieser Schlussfolgerungen gesagt hat. Doch ob McTaggart wirklich mit Hegel übereinstimmt oder nicht, ganz unabhängig davon ist es sein Ziel zu beweisen, dass seine Schlussfolgerungen wahr sind; und es mag gewiss angezweifelt werden, ob Hegels eigenes Werk die Vorzüge besitzt, die ich McTaggarts zugeschrieben habe, außer dass seine Prämissen nicht willkürlich zu sein scheinen, soweit es ihre Unbestimmtheit zu beurteilen erlaubt. Wir haben nun in diesen drei Kapiteln einen eigenständigen Versuch, die wichtigste aller philosophischen Fragen zu beantworten –€die Frage, was existiert anderes als die Dinge oder zusätzlich zu den Dingen, die die Gegenstände unserer alltäglichen Erfahrungen bilden; und dieser Versuch wird mit einer sehr seltenen Verbindung von Vortrefflichkeiten ausgeführt. Die Schlussfolgerungen, zu denen er gelangt, können wie folgt zusammengefasst werden: Kapitel II kann in zwei verschiedene Teile unterteilt werden. Nur einer davon behandelt die Frage: „Was ist das Wesen der Realität?“ Und er gelangt zu dem Ergebnis, dass Realität sich ausschließlich aus einer Pluralität endlicher Personen, uns selbst eingeschlossen, zusammensetzt. Dieses Argument wird von McTaggart bloß als Teil notwendiger Prämissen für seine Schlussfolgerung hinsichtlich dessen dargestellt, das Thema des Kapitels „Human Immortality“ auszudrücken; und mit der Unsterblichkeit des Menschen befasst sich der zweite Teil des Kapitels. McTaggart versteht Unsterblichkeit in ihrer üblichen Bedeutung, wie ich versuchen werde zu zeigen, obwohl er ausdrücklich das Gegenteil aussagt; er versteht darunter die Fortdauer unseres Selbst durch die Zeit hinweg und nicht bloß, wie er sagt, ewige oder nicht-temporale Existenz. Daher unterscheidet sich dieser zweite Teil grundlegend in der Wesensart seiner Ergebnisse vom ersten. Der erste hat bewiesen, falls er etwas beweist, dass wir real sind und nicht in der Zeit existieren. Dieser zweite Teil versucht andererseits zu zeigen, dass wir durch die Zeit hinweg in demselben Sinn existieren, in dem wir jetzt existieren, d.€h. gemäß McTaggart nur „als Erscheinung“, was, soweit ich es verstehen kann, gleichbedeutend mit der Aussage ist, dass wir überhaupt nicht existieren. In der Tat ist es offensichtlich, dass, wenn mit „unserer Existenz“ nur eine Tatsache gemeint ist und diese Tatsache ewig und nicht innerhalb der Zeit ist, die Schlussfolgerung, dass wir zu überhaupt einer Zeit existieren, geschweige denn „durch die Zeit hinweg“, dann falsch sein muss. McTaggart würde sagen, so nehme ich an, dass die letztere Schlussfolgerung eine gewisse „rela-
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tive Wahrheit“ besitzt, d.€h. zutreffender wäre als die Aussage, dass wir nur für eine begrenzte Zeitdauer existieren; obwohl es gewiss unmöglich ist zu erklären, wie das, was einer absoluten Wahrheit direkt widerspricht, in überhaupt einem Sinn gewiss sein kann. Auf jeden Fall befasst sich dieser zweite Teil des Kapitels II, gemäß McTaggarts Sichtweise, nur mit dem, was Phänomenologie genannt worden ist, und unterscheidet sich so wesentlich von dem ersten Teil, den man vielleicht mit dem Begriff Kosmologie am besten beschreiben könnte, da er versucht, uns zu zeigen, was die Welt wirklich ist, nicht bloß, wie sie erscheint. Jedoch für jene, die nicht McTaggarts Ansicht teilen, dass das Temporale nicht real ist, kann die Frage nach unserer Unsterblichkeit genauso wichtig wie jede andere Frage erscheinen, die McTaggart bespricht. McTaggarts Ergebnisse hinsichtlich dieses Themas bestehen hauptsächlich darin, dass bestimmt wird, was mit der Aussage gemeint ist, dass wir fortdauern, und in der Betrachtung, dass ein solches Fortbestehen, selbst wenn es vieles auslässt, was wir nun wertschätzen, einen großen Wert hat. Kapitel III und IX schließen die Bestimmung des Wesens der Realität ab. III schlussfolgert, dass die Pluralität der Personen, aus denen Realität besteht, nicht auch eine Person (einem personalen Gott) bilden kann; und IX besagt, dass die einzige Beziehung zwischen diesen Personen nicht in ihrer Kenntnis voneinander, sondern in ihrer Zuneigung zueinander besteht. Auf welche Grundlagen stellt nun McTaggart diese wichtigen Ergebnisse? Zunächst erachtet er es als durch Hegels Logik bewiesen oder als möglich, durch andere ähnliche Ansätze bewiesen zu werden, dass das gesamte Universum ein derartiges Wesen besitzt, dass es in jedem seiner Teile ist, neben dem, dass es das Ganze von dem ist, was seine Teile sind, und dass dies nur der Fall sein kann, wenn das Ganze „nicht nur in den einzelnen Teilen ist, sondern auch für die einzelnen Teile“: Auf diese Weise interpretiert Â�McTaggart Hegels unzweifelhafte Lehre, dass das Universum perfekte Einheit mit perfekter Differenzierung verbinden muss. Und hinsichtlich der Methode, durch die diese Schlussfolgerung erreicht wird, kann kein gültiger Einwand erhoben werden. Es wird in McTaggarts früherem Buch Studies in the Â�Hegelian Dialectic ausführlich dargelegt und verteidigt. Kurz gesagt, bedeutet es Folgendes: Wenn angenommen worden ist (was jeder einräumen muss), dass das gesamte Universum „Sein“ hat, kann durch eine Anzahl von Schritten rigoroser logischer Folgerung gezeigt werden, dass „Sein“ „ein Ganzes, das nicht nur in jedem, sondern für jedes seiner Teile ist“ impliziert, in einem ähnlichen Sinn wie jenem, in dem 2€+€2 4 impliziert, sodass das, von dem auch vielleicht gefolgert wird, dass es ein Ganzes einer sol-
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chen Art ist, wie gewiss auch von einem Paar eines Paares gefolgert werden kann, dass es eine Vierergruppe ist. Nun kann nicht bestritten werden, dass es eine Implikation einer solchen Art geben könnte; aber das, was vielleicht selbst McTaggart und gewiss niemand anderes glauben kann, ist, dass alle Schritte in einer vollkommen überzeugenden Form dargelegt worden sind. McTaggart selbst hat nur den dritten Teil des Arguments veröffentlicht (Mind 1897, S.€164€ff., 342; 1889, S.€35; 1900, S.€145), und selbst in diesem Teil wäre es überraschend zu hören, dass jemand durch eine sorgfältige Untersuchung erklären könnte, dass alle Schritte einen demonstrativen Beweis darzustellen scheinen. Die Geschicklichkeit, die in der Diskussion offenbart wird, ist in der Tat genauso groß wie jene, die üblicherweise von Philosophen gezeigt wird, wenn sie ihre wichtigsten Thesen beweisen, und kann daher ein Gefühl der Wahrscheinlichkeit bei jenen erzeugen, die die entgegenkommende Haltung einnehmen, jedes Argument zu akzeptieren, das sie nicht deutlich widerlegen können; und es kann kein Zweifel bestehen, dass McTaggart genauso viel Geschick in den zwei unveröffentlichten Dritteln der Darlegung zeigen wird. In der Zwischenzeit ist es jedoch gewiss, dass keine vernünftige Person dafür verantwortlich gemacht werden kann, wenn sie der Schlussfolgerung, dass das Universum ein Ganzes ist, das nicht nur in jedem seiner Teile, sondern für jedes seiner Teile ist, die Zustimmung gänzlich verweigert. Aber selbst wenn bewiesen wäre, dass das Universum ein Ganzes ist, das nicht nur in jedem seiner Teile, sondern für jedes seiner Teile ist, was bedeutet diese Feststellung genau? Und folgt, dass diese Teile bewusste Personen wie wir selbst sind? In Bezug auf den letzteren Punkt äußert McTaggart Zweifel, der, wenn er berechtigt ist, keine Wahrscheinlichkeit für seine Hauptfolgerung –€dass bewusste Personen völlig real sind€– zurücklassen würde. Er gibt uns eine sehr komplizierte Ausführung hinsichtlich dieses Punkts, deren Betrachtung dazu dienen wird, die Bedeutung und die Gültigkeit der Schlussfolgerung der Logik zu erhellen. Die Daten, die uns McTaggart präsentiert, sind folgende: (1) Er nimmt selbst an, dass er bewiesen hat, dass wir als bewusste Personen Teile eines Ganzen sind, das zugleich in jedem von uns und für jeden von uns ist. Damit bei zwei Personen jede von ihnen zugleich sich selbst und der anderen bewusst ist, muss jede, so sagt er, ein Teil eines solchen Ganzen sein. Die Gültigkeit dieser Lehre werde ich bald betrachten: Was ich nun besprechen will, ist ihre Beziehung zu zwei anderen Feststellung McTaggarts. (2)€Er bestätigt „die Möglichkeit der Existenz auf andere Weisen, in denen das Ganze für den Teil
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stehen könnte –€Weisen, die gegenwärtig für uns unvorstellbar sind“ (S.€20). Und (3) versucht er diese Möglichkeit auszuschließen, indem er sagt, dass „unser Selbst Eigenschaften hat, die es nicht haben könnte, wenn es nicht grundlegende Unterscheidungen der Realität gäbe“ (S.€21–26). Die Verbindung dieser drei Behauptungen scheint mir eine sehr schwere Verwechslung zu beinhalten. Wenn, wie (1) uns bestätigt, die Kategorie der absoluten Idee –€das Sein eines Ganzen, das in jedem seiner Teile und für jedes seiner Teile ist€– tatsächlich auf zwei derartige bewusste Personen zutrifft, was kann die Bedeutung der Einlassung sein, dass diese Kategorie auf andere unvorstellbare Weisen realisiert werden könnte? Offensichtlich kann dies nur bedeuten, dass zwei solche Personen, obwohl sie die durch die Kategorie beschriebene Beziehung haben, auch andere Beziehungen, die sich hierauf beziehen, haben können, wie spezielle Unterschiede sich zur Gattung verhalten, zu der ihre Arten gehören. Die Beziehung zweier solcher Personen ist eine Art, die unter die Gattung, die durch die Kategorie bezeichnet wird, fällt; und McTaggart sagt uns in (2) nur, dass es unendlich viele andere Arten geben könnte, die unter dieselbe Gattung fallen. Doch betrachten wir nun (3). McTaggarts Argument zu zeigen, dass „unser Selbst Eigenschaften hat, die es nicht haben könnte, wenn es nicht“ Teile des Absoluten gäbe, hängt von zwei Prämissen ab: (a) (Welche er ausführlich zu beweisen versucht), dass das Wesen unseres Selbst in gewisser Hinsicht „paradox“ ist; (b) dass es ein hohes Maß an Realität besitzt. Kein Paradox, so nimmt er an, kann ernsthaft als wahr betrachtet werden, wenn es nicht durch einen Prozess wie den der Dialektik hergeleitet wird. Aber zuzugeben, dass unser Selbst ein hohes Maß an Realität besitzt, bedeutet, zuzugeben, dass es ein hohes Maß an Wahrheit besitzt; und folglich, so schließt er, gibt es eine große Wahrscheinlichkeit, bis die paradoxe Wesensart des Selbst auf eine andere Weise hergeleitet wird, dass dieses Paradox jenes ist, das durch die Dialektik hergeleitet worden ist. Gewiss sollte dieses Ergebnis überraschen! Denn wir haben bereits in (1) dargelegt, dass genau dasselbe Paradox, das durch die Dialektik hergeleitet worden ist, in unserem Selbst dargestellt ist! Wenn die spezielle Weise, in der das Selbst das Paradox aufweist, selbst auch paradox ist und wenn dieses zweite Paradox das ist, was durch „das Paradox des Selbst“ gemeint ist, ist es offensichtlich, dass das Paradox des Selbst unmöglich das sein kann, das durch die Dialektik abgeleitet worden ist; und McTaggarts Argument ist ein Versuch, einen Widerspruch zu beweisen –€dass das, was gemäß der Hypothese eine Art ist, mit ihrer eigenen Gattung identisch ist. Wenn andererseits das „Paradox des Selbst“ ein generisches Paradox ist, wis-
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sen wir bereits, dass dieses durch die Dialektik hergeleitet worden ist, und das gesamte Argument ist vollkommen unnötig. Tatsächlich steht die Schlussfolgerung des Arguments, „dass das Paradox des Selbst wahrscheinlich mit der Kategorie identisch ist“, im glatten Widerspruch zu der Einlassung, dass es möglicherweise andere unvorstellbare Weisen gibt, in denen die Kategorie realisiert werden kann. Selbst wenn das Paradox nur wahrscheinlich mit der Kategorie identisch ist, kann es unmöglich sein, dass es sich in spezieller Art von ihm unterscheidet. McTaggarts Argument kann unmöglich beweisen, dass ein spezielles Paradox des Selbst das aus der Dialektik hergeleitete Paradox ist; und da dies unmöglich ist, kann es nur wiederum beweisen, dieses Mal als eine mögliche Schlussfolgerung, was zuvor als gewiss bewiesen worden ist –€dass das Selbst das in der Dialektik hergeleitete Paradox aufweist. McTaggarts Begriff der Beziehung des Selbst zu der Kategorie scheint daher äußerst konfus zu sein. Und es ist einfach zu sehen, wo die Ursache hierfür liegt. McTaggart hat niemals genau erkannt, was mit der Kategorie „ein Ganzes, das in jedem seiner Teile und für jedes seiner Teile ist“ gemeint ist. Er spricht z.€B. von dem Wort „in“, das in verschiedenen Bedeutungen verwendet wird, aber er unterscheidet diese Bedeutungen nicht voneinander. Hätte er die Bedeutung der Kategorie genau erkannt, würde es bei unmittelbarer Betrachtung offensichtlich sein, ob die Beziehung, die damit gemeint ist, mit der Beziehung der beiden Selbst, von denen jede sich seiner selbst und der anderen bewusst ist, identisch wäre oder nicht. So wie es ist, lässt er uns im Ungewissen, wenn er uns sagt, dass die Kategorie auf zwei derartige Selbst zutrifft, ob die durch die Kategorie bezeichnete Beziehung tatsächlich als diese beiden Selbst vereinend erkennbar ist oder ob es nur die in dieser Kategorie verwendeten Worte sind, die auch auf diese Beziehung nicht nur spezifisch, sondern vollkommen verschieden zutreffen, die als Selbst vereinend erkennbar ist. Ähnliches gilt, wenn er von den „anderen unvorstellbaren Weisen“ spricht, so bestimmt er nicht genau, ob alle diese „Weisen“ eine genau bestimmte Beziehung gemeinsam haben und was diese Beziehung ist; oder ob sie vielleicht vollkommen andere Formen der Beziehung sind, die keine wirkliche Gemeinschaft haben, und keine Arten einer Gattung sind, sondern nur durch die Tatsache vereint, dass dieselben Worte „in und für“ auf sie alle zutreffen. Es scheint tatsächlich, dass, wenn Â�McTaggart von diesen anderen möglichen Weisen spricht, er sie nicht wirklich als Arten unter der Gattung der Kategorie wahrnimmt, sondern so, dass sie überhaupt nichts miteinander gemeinsam haben. Aber wenn dies so ist, kann seine Behauptung, dass die Kategorie tatsächlich auf das Selbst zutrifft,
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nur bedeuten, dass die Worte der Kategorie auf sie zutreffen, ihre Beziehung hat wirklich nichts mit diesen anderen „unvorstellbaren“ Beziehungen gemeinsam. In diesem Fall zerfällt sein gesamtes Argument hinsichtlich der Realität unseres Selbst in Stücke. Wenn wir uns andererseits vorstellen sollen, dass unser Selbst auch spezielle Unterschiede aufweist, während es wirklich die durch die Kategorie gemeinte Beziehung aufweist, hat McTaggart nichts gesagt, das nur dazu neigt zu zeigen, dass diese speziellen Unterschiede im Absoluten bewahrt werden; aber andererseits folgt sofort, dass unser Selbst, soweit es eine generische Beziehung aufweist, real ist, da durchweg angenommen wird, dass das, auf das die absolute Idee zutrifft, soweit es zutrifft, vollkommen real ist. Doch scheint McTaggart das Paradox des Selbst als derart spezifisch unterschiedlich von dieser Kategorie nicht wahrzunehmen. Er versucht nirgendwo zu unterscheiden, was in den Beziehungen des Selbst mit der durch die Kategorie bezeichnete Beziehung identisch ist und was nicht. Er gibt uns nur ein klar bestimmtes Paradox des Selbst, ohne zu versuchen, in ihm ein generisches und ein spezifisches Element hervorzuheben. Schließlich versucht er nie, die Bedeutung, die er der Kategorie zuschreibt, von jener zu unterscheiden, die er dem Paradox des Selbst zuschreibt. Daher schließe ich, dass die Beziehung des Selbst, die er ausführlich definiert, tatsächlich die einzige und richtige durch die Kategorie bezeichnete Beziehung ist und dass McTaggart sie nur aufgrund der eben dargelegten Konfusion zu unterscheiden scheint. Auf jeden Fall habe ich gezeigt, dass, wenn es nicht identisch ist, McTaggart keinen Hauch eines Grunds für seine Schlussfolgerung hat, dass unser Selbst eine „grundlegende Differenzierung der Realität“ ist. So erhalten wir letztlich einen deutlichen Begriff der Bedeutung „eines Ganzen, das zugleich in seinen Teilen und für seine Teile ist“. Es meint ein Ganzes, das die Beziehungen zu seinen Teilen hat, die McTaggart als zu zwei Personen gehörig beschreibt, von denen jede sich ihrer selbst und der anderen bewusst ist. Und es ist gewiss, dass, wenn die Dialektik begründet ist und wenn auch das Wesen des Bewusstseins so ist, wie McTaggart es wahrnimmt, das Absolute ausschließlich aus bewussten Personen gebildet ist. Aber wir haben bereits gesehen, dass wir keinen Grund haben, die Dialektik als begründet anzusehen; und diese Schlussfolgerung wird durch die neue, gerade entdeckte Tatsache gestärkt, dass McTaggart selbst die Beziehung nicht deutlich erkannt zu haben scheint (er scheint sie sogar bloß als eine Form von Worten erkannt zu haben), die er durch einen schlüssigen logischen Prozess ableiten muss. Und andererseits werden wir jetzt im Weiteren sehen, dass McTaggart das Wesen des Bewusstseins voll-
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kommen verkennt. Selbst wenn er schlüssig beweisen könnte, dass die Beziehung, von der er annimmt, dass sie im Bewusstsein veranschaulicht wird, das Wesen der Realität vollständig ausdrückt, müssen wir dennoch behaupten, dass diese Beziehung nicht im Bewusstsein veranschaulicht ist. McTaggarts Theorie besteht darin, dass, wenn ich meinen Freund kenne, er gleichzeitig innerhalb und außerhalb meines Verstandes ist: Dies ist, denkt er, die Beziehung, in der sich Bewusstsein immer zu seinem Objekt verhält. Dies ist der Grund, dass ein Universum bewusster Personen, von denen jede alles über die anderen weiß, seiner „Kategorie“ entsprechen würde: Solch ein Universum würde ein Ganzes sein, das nicht nur alle seine Teile beinhaltet, sondern auch selbst in jedem von ihnen enthalten ist. Von diesem Widerspruch (denn es scheint gewiss einer zu sein) könnte angenommen werden, dass er selbst ausreicht, um die Theorie des Wissens, aus der er hervorgeht, zu verurteilen; aber untersuchen wir noch ein wenig genauer die Darlegung, die McTaggart uns von dieser Theorie gibt. Er setzt zunächst meinen Freund innerhalb von mir mit „Vorstellung“, „Reproduktion“ oder „Abbild“ gleich; und da er auf der Unterscheidung zwischen diesem Abbild und dem Original besteht (S.€21), scheint es zunächst, dass mein einer Freund, wenn ich ihn kenne, zwangsläufig zu zweien wird, einer innerhalb von mir, der andere außerhalb. Aber später scheint es, dass McTaggart es vorzieht zu sagen, dass es ein und derselbe Freund ist, der zugleich innerhalb und außerhalb meiner ist. Dies scheint wiederum ein glatter Widerspruch zu sein; aber betrachten wir, diesen Einwand beiseite lassend, ob es eine wahre und notwendige Darlegung der Beziehung des Bewusstseins zu seinem Objekt ist. Bewusstsein von einem Ding bedeutet nichts anderes, so nehme ich an, als das Ding zugleich innerhalb und außerhalb meines Verstands zu haben. Selbst wenn es wahr ist, dass diese Beziehung eines Dings zu mir in meinem Bewusstsein von ihm beinhaltet ist, ist sicherlich auch etwas anderes darin beinhaltet –€etwas vollkommen Einzigartiges, das wir alle erkennen und das jenes ist, an das wir hauptsächlich denken, wenn wir von Wissen sprechen. Ich wüsste nicht, dass McTaggart dies bestreiten würde; auf jeden Fall trifft es zu. Und ich denke, die Falschheit der Ansicht McTaggarts kann am überzeugendsten dargestellt werden, indem man zeigt, dass, wenn er sagt, dass das, dessen ich mir bewusst bin, zugleich innerhalb und außerhalb meines Verstandes ist, er entweder gezwungen ist, dieses einzigartige Ding zu definieren, das wir hauptsächlich mit unseren Bewusstsein von einem Ding meinen, das in jedem Fall zugleich es selbst und etwas anderes meint (eine Definition, die die Eigenschaften der Widersprüchlichkeit und Zirkularität verbindet), oder
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er ist gezwungen, seine Existenz gänzlich zu bestreiten. Welche Seite dieses Dilemmas McTaggart gezwungen ist zu nehmen, lässt er uns wieder nicht entscheiden: Es hängt davon ab, ob die Innenobjekte oder die Außenobjekte oder (um die zweite Alternative, die er uns bietet, zu nennen) die Innenoder Außenaspekte ein und desselben Objekts, von dem er behauptet, dass es für das Bewusstsein notwendig ist, selbst als Objekte des Bewusstseins, eines von ihnen oder beide, angesehen werden oder ob keines so ist. Seine Ausdrucksweise lässt beide Alternativen zu, und beide sind für seine Theorie gleichermaßen verheerend. Im ersten Fall (1) zerlegt er meine Kenntnis von meinen Freund in entweder (a) meine Kenntnis über ihn als außerhalb von mir zusammen mit seiner Gegenwart innerhalb von mir, eine Definition, die offensichtlich zirkulär und widersprüchlich ist, als ob jemand sagen würde, „2“ bedeutet „2€+€1“, oder (b) meine Kenntnis über ihn als außerhalb von mir zusammen mit meiner Kenntnis über ihn als innerhalb von mir, hier treffen dieselben Einwände zu, als ob jemand sagen würde, „2“ bedeutet „2€+€2“. Im zweiten Fall (2) besteht die Kenntnis in der bloßen Existenz ein und desselben Dings innerhalb und außerhalb von mir oder in der Existenz zweier gleicher Objekte, eins innerhalb und eins außerhalb, was das völlig zunichte macht, was wir mit Kenntnis meinen, als ob jemand sagen würde, dass die Reflexion eines Objekts in einem Spiegel ein Fall von Bewusstsein von einem Objekt wäre. Und welche Grundlage hat Â�McTaggart, um diese Absurditäten zu behaupten? Keine außer der blanken Frage, die er als ein zwingendes Argument anzusehen scheint: „Wie kann [mein Freund] ein Objekt meines Bewusstseins sein, wenn er nicht auch innerhalb von mir ist?“ Die Antwort auf diese Frage ist simpel: „Ganz einfach“, da es eine Tatsache ist, dass wir uns zugleich dessen, was unser eigener Zustand ist, und dessen, was außerhalb von uns ist, bewusst sein können –€eine Tatsache, bei der überhaupt keine Schwierigkeit besteht, wenn wir nicht annehmen, dass die Beziehung des Bewusstseins zum Objekt nicht nur das ist, was sie in jedem Fall sein muss, eine einzigartige Beziehung, sondern dass sie auch eine Beziehung des Ganzen zum Teil sein muss. Dass das, dessen ich mir bewusst bin, tatsächlich innerhalb meines Verstandes sein muss, ist eine bloße traditionelle Annahme, für die kein Grund besteht, und diese führt in dem Sinn, in dem sie gemeint ist, d.€h. als eine Definition des Bewusstseins, zwangsläufig zu den oben beschriebenen Merkwürdigkeiten. Es wird im Allgemeinen angenommen, wie es auch Berkeley getan hat, dass es bei einer direkten Betrachtung offensichtlich ist, dass das, was ich weiß, immer in meinem Verstand ist; während das Einzige, was wirklich derart offensichtlich ist, darin
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besteht, dass mein Bewusstsein des Dings so ist. Die Geschichte der Philosophie weist ein gleichbleibendes Unvermögen auf, zwischen dem, dessen ich mir bewusst bin, und meinem Bewusstsein von ihm zu unterscheiden – ein Unvermögen, das ein Denkmal in dem Wort „Idee“ gefunden hat, das regelmäßig für beides steht. Die Lehre, dass, wenn ich mir eines Dings bewusst bin, immer ein Abbild von ihm in meinem Verstand sein muss, schuldet ihre Plausibilität der Missachtung dieser einfachen Unterscheidung. Die Existenz dieses Abbilds des Dings wird mit meinem Bewusstsein von ihm gleichgesetzt; während es unmittelbar deutlich ist, dass, wenn ich mir eines Dings bewusst bin und selbst wenn es ein Abbild von ihm in meinem Verstand gibt, dieses Abbild zusätzlich zu meinem Bewusstsein existieren muss und keinen Teil seiner Definition bilden kann, da immer angenommen werden muss, dass ich ein Bewusstsein von etwas in einem Sinn habe, der nicht bloß gleichbedeutend mit der Existenz eines Dings in mir ist, entweder von dem Abbild selbst oder von dem Ding oder (wie es McTaggart vorzuziehen scheint) von beidem. Die erste Proposition von McTaggarts Kosmologie –€dass das Universum nur aus bewussten Personen besteht€– hängt nun vollkommen von zwei Prämissen ab: (1) Eine unvollständige und zweifelhafte Argumentationskette, die, wenn sie vollständig und schlüssig wäre, zeigen würde, dass das Universum in sich widersprüchlich ist, da es ein Ganzes wäre, das auch ein Teil von jedem seiner Teile wäre; (2) eine offenkundig falsche und widersprüchliche Aussage, dass das, dessen ich mir bewusst bin, immer zugleich ein Teil und kein Teil von mir ist. Es ist offensichtlich, dass er uns keinen Anlass gegeben hat, seine erste Proposition zu glauben; und doch verdient sein Versuch, sie herzustellen, als große philosophische Leistung angesehen zu werden, die eine hervorragende Reductio ad absurdum aller Versuche darstellt, das zu konstruieren, was McTaggart „Idealismus“ nennen würde, d.€h. jegliche Philosophie, die behauptet, dass das Universum völlig „geistig“ und vollkommen gut ist. Sie qualifiziert sich, diesen nützlichen Dienst auszuüben, durch die Tatsache, dass, während ihre Argumente genauso gut sind wie jene, die im Allgemeinen in Erscheinung treten, sie und ihre Prämissen in einer so außergewöhnlich deutlichen Form dargelegt sind, dass ihre völlige Ohnmacht leicht offenbart werden kann. So viel zu dem, was ich gewagt habe, als kosmologische Schlussfolgerung des Kapitels II zu bezeichnen. Ich werde mich nun dem ausdrücklichen Thema des Kapitels zuwenden – der Unsterblichkeit des Menschen. Ein wesentlicher Schritt in McTaggarts Beweis unserer Unsterblichkeit ist, wie
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gesagt worden ist, das oben betrachtete Argument, dass wir „grundlegende Differenzierungen des Absoluten“ sind. Die Unzulänglichkeit von diesem ruiniert folglich das Argument. Doch der zweite Schritt ist wesentlich: Nehmen wir an, es trifft zu (was er nicht beweisen konnte), dass wir „grundlegende Differenzierungen des Absoluten“ sind. McTaggart fährt nun fort, zu behaupten, dass, da wir derart sind, wir „ewig“ sein müssen. Was bedeutet dies nun? McTaggart bestätigt ausdrücklich (S.€8), dass er nur beweisen will, dass wir eine „zeitlose Existenz“ haben. Doch wenn er seine Ansicht, dass wir unsterblich sind, gegen Bradley verteidigt, sehen wir, dass er annimmt, dass die Ansicht, die er verteidigt, darin besteht, dass wir zukünftig eine „weitere Gelegenheit“ haben; dass „eine unendlich verlängerte Dauer“ befriedigender sein würde als der Zeitraum eines einzigen Lebens (S.€44). Und ebenso scheint er bei seinem Argument gegen Lotze, obwohl er es nur eine wahrscheinliche Hypothese nennt, dass „die Gesamtheit der Realität, in sich selbst zeitlos, durch die Gesamtheit der Zeit gezeigt wird“, diese Wahrscheinlichkeit als nur notwendig zu betrachten, um unsere Prä-Existenz als „eine begründete Folgerung“ herzustellen, nicht um die „unendliche Verlängerung“ unserer Existenz in der Zukunft anzuzweifeln. Tatsächlich scheint unbestreitbar, dass McTaggart in seiner ganzen Diskussion des Wertes der Unsterblichkeit und des Wesens der personalen Identität, die das unsterbliche Selbst besitzt, annimmt, dass Unsterblichkeit eine unendliche Verlängerung unserer Existenz in der Zeit bedeutet; obwohl er ausdrücklich gesagt hat, dass er damit nur eine zeitlose Existenz meint, und obwohl er nirgends deutlich behauptet, dass eine zeitlose Existenz eine derartige unendliche Existenz in der Zeit beinhaltet. Diese Verwirrung hinsichtlich des bewiesenen Wesens der Unsterblichkeit ist im Beweis selbst widerlegt. Der Beweis richtet sich darauf, zu zeigen, dass wir uns weder verändern noch vergehen können. Aber von der Veränderung wird gesagt (S.€27), dass sie beinhaltet, dass das, was sich ändert, zu einem Zeitpunkt ein unterschiedliches Prädikat haben sollte als jenes, das es zu einem andern hat; und wir können ebenso annehmen, dass „vergehen“ existieren zu einem Zeitpunkt und nicht zu einem andern bedeutet. Wenn dies so ist, dann bedeutet zu beweisen, dass ein Ding sich nicht verändert und nicht vergeht, zu beweisen, dass es entweder dasselbe Prädikat hat und zu allen Zeiten selbst existiert oder dass es kein Prädikat hat und zu keinem Zeitpunkt existiert: Ein derartiger Beweis kann nicht zeigen, welche dieser beiden Möglichkeiten die wahre Schlussfolgerung ist, und daher hat McTaggart auch nicht bewiesen, dass unsere Existenz „zeitlos“ ist. Anderer-
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seits scheint er anzunehmen, dass wir und das Absolute existieren und zu gewissen Zeiten Prädikate haben, woraus folgt, dass er unsere Dauer durch die Zeit hinweg bewiesen hat und ebenso (so können wir hinzufügen), dass unsere Existenz nicht zeitlos ist, denn obwohl McTaggart offensichtlich annimmt, dass zeitlos zu existieren und durch die Zeit hinweg zu existieren zumindest vereinbar sind, müssen wir es (bis wir weiter unterrichtet sind) als einen Widerspruch betrachten, zu behaupten, dass ein und dasselbe zugleich in der Zeit existiert und nicht existiert; und wir können „zeitlose“ Existenz nur so verstehen, dass sie eine Existenz meint, die nicht in der Zeit ist. Dieser Widerspruch passt in der Tat genau zu seiner früheren Behauptung, dass das Objekt des Wissens zugleich in dem Wissenden und nicht in ihm ist; und durch die Tatsache wird erklärt, dass er stets, ohne zu versuchen, sich zu rechtfertigen, die „Teile“ oder „grundlegenden Differenzierungen“ des Absoluten mit Manifestationen jener Teile in der Zeit gleichsetzt (z.€B. S.€48). Fassen wir zusammen: Selbst wenn wir die widersprüchliche Gleichsetzung zulassen, zeigt McTaggarts Beweis, dass diese „Manifestationen des Selbst“ sich nicht verändern können und nicht vergehen, nur, dass es entweder zeitlos ist oder durch die Zeit hinweg existiert; und während er sagt, dass er das Erstere zu beweisen wünscht, scheint er zunächst eine Prämisse anzunehmen, die nur das Letztere beweisen könnte, und dann schließlich, dass er tatsächlich das Letztere bewiesen hat. Doch wenn McTaggarts Theorie von diesen Widersprüchen und Unvereinbarkeiten befreit ist, können wir sie wie folgt beschreiben: (1)€Unser wirkliches Selbst ist zeitlos, d.€h. es existiert nicht in der Zeit; (2) seine Manifestation, die wir unser Selbst nennen, wird gewiss (?) eine unendliche Verlängerung in der Zukunft haben und hatte wahrscheinlich auch eine in der Vergangenheit. Durch die Aufstellung dieser beiden Schlussfolgerungen gibt uns McTaggart nur eine Argumentation (S.€26–34): Was sollen wir über ihre Gültigkeit sagen? Dass sie gewiss nicht das Erstere begründet, da Veränderung zu bestreiten entweder nur Zeitlosigkeit oder Dauer beweist, aber auch nicht benötigt wird, um dies zu tun: Denn wenn wir grundlegende Differenzierungen des Absoluten sind
Sie sind tatsächlich in einem Sinn vereinbar; aber die Existenz in der Zeit kann nicht dasselbe sein wie die Existenz außerhalb der Zeit, und da wir, wenn wir von ein und demselben Objekt sprechen, für gewöhnlich seine Existenz in seiner Vorstellung mit einschließen, ist es ein Widerspruch, zu behaupten, dass ein Objekt, das in der Zeit existiert, auch zeitlos existiert. Dasselbe trifft auf meine auf S.€127 Aussage zu, dass „ein und dieselbe Person zugleich innerhalb und außerhalb von mir ist“ in sich widersprüchlich ist.
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(dies anzunehmen, haben wir aber keinen Grund), scheint sofort zu folgen, dass wir nicht in der Zeit existieren, da (dies verstehen wir als Prämisse) Zeit nicht real ist. Aber belegt sie die Existenz unserer Manifestation durch die Zeit hinweg? Sie versucht noch nicht einmal, dies zu tun, da sie mit der Unmöglichkeit beschäftigt ist, dass unser reales Selbst sich verändern oder vergehen sollte, was, da es nicht in der Zeit existiert, gewiss nicht tun kann. Und wir können keine Argumentation erkennen, die dies tun würde, da es keinen Grund zu geben scheint, warum die „Manifestation“ eines ewigen Teils des Absoluten, da er zeitlich ist, nicht auch zeitlich sein sollte. Aber McTaggart ist, wie gesagt worden ist, in diesem Kapitel nicht nur daran interessiert, eine Wahrscheinlichkeit oder Gewissheit aufzustellen, dass unsere Existenz nach dem Tod verlängert wird, er bespricht auch die Frage, wie viel von dem, was wir jetzt „unser Selbst“ nennen, erwartet werden kann, dass es fortdauert, und er betrachtet den Wert, der solch einer Fortdauer zugeschrieben werden könnte. Hinsichtlich des ersten Punktes behauptet er, dass, da unsere Prä-Existenz wahrscheinlich ist (er gibt keinen Grund an, warum sie nicht genauso gewiss sein sollte wie jene in der Zukunft) und wir uns doch gewiss nicht an unsere vergangenen Leben erinnern, es keinen Grund gibt, anzunehmen, dass wir uns in unseren zukünftigen Leben an dieses erinnern werden. Was bildet dann unsere personale Identität? McTaggart behauptet, dass das, was sie bildet, „Identität der Substanz“ ist, aus welcher auch eine Identität der Attribute folgt. Zu dieser identischen Substanz werde ich gleich mehr sagen. Hier genügt es nur anzumerken, dass sie als identisch mit dem zeitlosen Selbst betrachtet zu werden scheint, d.€h. als nicht existierend in der Zeit, obwohl sie, um unsere Identität zu bilden, offensichtlich etwas sein muss, das innerhalb und durch die Zeit hinweg existiert. Diese Anmerkung trifft auch auf die Attribute zu, aber hinsichtlich dieser gibt uns McTaggart eine weitere Information, die eine sehr viel wichtigere Bedeutung für das Wesen und den Wert der Unsterblichkeit besitzt, nämlich dass ihre Fortdauer vereinbar mit dem Verlust einer oder aller Eigenschaften ist, die wir tatsächlich bei uns selbst und bei anderen wahrnehmen; wir benötigen identische Attribute im nächsten Leben nur in dem Sinn, in dem ein Mensch, der ehrenwert war und ein Schuft geworden ist, sie zu beiden Zeiten in diesem Leben hat (S.€38). Außer unserer Substanz und diesen permanenten (oder zeitlosen) Attributen ist daher der Zusammenhalt der Identität, der unser gegenwärtiges mit dem zukünftigen Selbst verbindet, nichts mehr als das, was die vergangenen Tugenden eines Menschen mit seinen gegenwärtigen Lastern verbindet; und dies sieht McTaggart als eine kau-
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sale Beziehung an. „Identität der Attribute“, sagt er, „muss sich selbst in der Zeit als eine geordnete Abfolge von Veränderungen, von denen jede die nächste bestimmt, offenbaren. Sodass, indem wir zugeben, dass personale Identität in der Identität der Substanz liegt, unsere Art, zu bestimmen, ob zwei Zustände zu derselben Person gehören, darin bestehen würde, zu versuchen, eine kausale Beziehung zwischen ihnen aufzuspüren.“ (S.€40) Es ist daher eine Abfolge von Zuständen in diesem Leben, die mit jenen, die wir als unsere bezeichnen, kausal verbunden sind, die unsere zukünftigen Leben bilden werden; und nur im Verhältnis, wie die zukünftige Existenz einer Reihe, die so mit unserem gegenwärtigen Selbst verbunden ist, befriedigend erscheint, werden wir Grund haben, die Hoffnung auf Unsterblichkeit zu schätzen, die McTaggart uns bietet. McTaggart geht, so denken wir, um nun zu versuchen, es zufrieden stellend erscheinen zu lassen, in drei Aspekten über seine Grundlagen hinaus: (1) Er gibt zu, dass unsere Zustände kausal verbunden sind, nicht nur miteinander, sondern auch zugleich als Ursache und Wirkung gegenüber unseren „Umständen“ und den Zuständen anderer Personen; und er erklärt nicht auf welche Weise die kausale Verbindung zwischen unseren Zuständen, die zeigt, dass es unsere sind, sich von jener unterscheidet, die zwischen ihnen und jenen von anderen Menschen bestehen kann. Nun möchte ich nicht bestreiten, dass es eine derartige besondere Verbindung zwischen den Zuständen von jedem von uns gibt –€eine Verbindung, die dazu dienen kann, das Leben von jedem als eine einzigartige Reihe zu definieren; aber es scheint mir, dass, solange wir nicht gemeinsam mit Leibniz behaupten, dass jede Reihe vollkommen unabhängig vom Rest ist, wir nicht bestreiten können, dass im Fall von zwei Zuständen eines Menschen, die durch eine Zeitspanne von, sagen wir, 40 Jahren getrennt sind, der frühere der beiden einen weit weniger starken Einfluss auf das Wesen des zweiten gehabt haben mag, als die kumulative Wirkung externer Ursachen. Wenn dies so ist, dann könnte der Einfluss unserer Vergangenheit auf unseren gegenwärtigen Charakter im Laufe der Zeit äußerst gering werden, selbst wenn er nicht gänzlich verschwindet; sie wird zweifellos ihre Wirkung auf das Universum gehabt haben, doch der Hauptteil, wenn nicht sogar das Ganze dieser Wirkung, könnte jetzt in Zuständen von anderen bestehen, und umgekehrt könnte unser gegenwärtiger Zustand hauptsächlich den vergangenen Zuständen von anderen geschuldet sein. McTaggart gibt uns keinen Anlass zu bestreiten, dass dies auf jeden Fall so sein könnte: Ebenso kann nicht bestritten werden, wenn wir (wie er es tut) unseren eigenen Zustand zu einem gegebenen Zeitpunkt als eine unterschiedliche Wirkung und Ursache
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von Zuständen von anderen zu diesem Zeitpunkt unterscheiden und annehmen, dass unsere Zustände und jene von anderen in der Vergangenheit interagiert haben und auch in der Zukunft interagieren werden. Des Weiteren scheint es gewiss, dass solche Dinge passieren, z.€B., um sein Beispiel anzuführen, „wenn eine persönliche Beziehung über viele Jahre hinweg existiert hat, sind viele der Ereignisse, die ihren zeitlichen Inhalt gebildet haben, ... vollkommen vergessen. Aber wir sehen sie nicht als verloren an, denn wir erkennen an, dass jedes von ihnen seinen Teil dazu beigetragen hat, die Beziehung, die gegenwärtig besteht, zu formen ... Als Faktoren der Disposition sind sie durchweg real.“ (S.€54) Gewiss können wir zugeben, dass unsere gegenwärtige Beziehung zu einer Person in diesem Leben nicht gänzlich so, wie sie ist, sein könnte, wenn nicht unsere vergangenen Beziehungen so gewesen wären, wie sie waren: Aber kann bestritten werden, dass unsere gegenwärtige Beziehung hauptsächlich ganz anderen Umständen geschuldet ist, z.€B. langer Vertrautheit mit jemanden, der einen völlig unterschiedlichen Charakter besitzt? Nichts scheint empirisch gewisser, als dass die Wirkung einer persönlichen Beziehung in der Vergangenheit auf uns mit der Zeit nicht nur anders, sondern auch im Ausmaß sehr viel kleiner werden kann, als sie einmal war: Und es muss daran erinnert werden, dass wir hier von Attributen sprechen, die empirisch beobachtbar sind und der Veränderung unterliegen, nicht von jenen, von denen McTaggart sagt, dass sie vollkommen permanent und immer dieselben sind. Kurz gesagt, obwohl „jedes Ereignis“ „seinen Teil“ für die Bildung unserer gegenwärtigen Beziehungen geleistet hat, mag „sein Teil“ beim Formen dieser Gegenwart sehr viel kleiner sein als sein Teil beim Formen eines Teils, der dem ursprünglichen Ereignis zeitlich näher ist. Daher denken wir, dass McTaggart uns stark in die Irre führt, wenn er auf der Grundlage dieser kausalen Beziehung sagt: „Es ist gewiss, dass welche Änderungen im Wesen (des Selbst) in einem Leben auch immer stattgefunden haben, diese im nächsten reproduziert werden.“ (S.€50) Denn es könnte trotz einer derartigen kausalen Beziehung nach einer Zeit kaum irgendein Attribut in uns bleiben, dass als eine Wirkung von Beziehungen angesehen werden kann, die, als sie existierten, sich auf eine äußerst wichtige Weise auf fast unser gesamtes geistiges Leben ausgewirkt haben. Aber (2) die zuletzt zitierte Versicherung bestreitet die Tatsache, dass, selbst wenn die Wirkungen eines Dings andauern, es selbst nicht reproduziert werden muss. McTaggart scheint hier vollkommen vergessen zu haben, dass eine Wirkung nicht immer ihrer Ursache gleicht, sei es in der Qualität oder im Wert; sodass, selbst wenn unser Zustand in einer weit entfernten Zukunft
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sehr viel mehr durch unsere gegenwärtigen Beziehungen bestimmt wäre, als wir Grund haben zu erwarten, nicht folgen würde, dass er irgendeine Ähnlichkeit zu jenen Beziehungen hat oder den Wert von ihnen bewahrt. McTaggart selbst erkennt später (S.€53), dass die Reproduktion einer Ursache nicht aus der Fortdauer ihrer Wirkungen folgt, und um die Wahrscheinlichkeit des Ersteren herzustellen, wendet er sich nun einem zweiten Prinzip zu, dessen Annahme der dritte Punkt ist, in dem er über seine Grundlagen hinauszugehen scheint. (3) Dieses Prinzip besteht darin, dass es eine „Entwicklung“ in der Zeit geben muss – eine Entwicklung „auf ein Ende zu gemäß einer endgültigen Kausalität“ (S.€50). „Alle Veränderung in der Zeit“, sagt er, „für das Individuum genauso wie für das Universum, muss als gesamter Inhalt der zeitlosen Realität angesehen werden, der endgültig durch das Ende der Entwicklung als Reihe bestimmt ist.“ Nun ist offensichtlich, dass McTaggart auf Seite 54, auf der auf das Prinzip verwiesen wird, unter einer solchen Entwicklung die Hinzufügung von neuen wertvollen Attributen zu den alten, die fortdauern, in der Zukunft versteht. „Entwicklung“ bedeutet dann „Fortschritt“, und wir sind eher überrascht, das, was auf Seite 44 nur „die wahrscheinlichere Schlussfolgerung“ genannt worden ist (ohne einen Grund anzugeben), hier so angenommen vorzufinden, als wäre es gewiss –€nämlich dass „Fortschritt genauso real wie die Unvollkommenheit ist, für deren Beseitigung er benötigt wird.“ McTaggart trifft dann zwei unterschiedliche Annahmen; für keine von beiden können wir erkennen, dass er einen Grund angeführt hätte oder anführen könnte: (a) Er scheint es als Gewissheit anzunehmen, dass „jede Hinzufügung zu einer Reihe von zeitlichen Ereignissen aus dieser Reihe eine vollständigere Manifestation der zeitlosen Realität machen muss.“ Nun verstehen wir, dass die zeitlose Realität selbst absolut perfekt ist und dass daher keine Manifestation eine Hinzufügung zur Perfektion des Universums darstellen kann; und da dies so ist, ist es offensichtlich, dass eine vollständigere Manifestation (obwohl McTaggart sagen könnte, besser als eine Manifestation) keinen Deut besser ist als jede andere. Doch können wir das „machen muss“ und „ein Ende gemäß einer endgültigen Kausalität“ nur so verstehen, dass eine vollständige Manifestation der zeitlosen Realität durch die Perfektion des Universums gefordert ist –€d.€h. wir müssen annehmen, dass jede Hinzufügung zu einer Reihe von zeitlichen Ereignissen es zu einer vollständigeren Manifestation macht, nur weil eine vollständigere Manifestation ein perfekteres Universums ergeben wird als eine weniger vollständigere. Es ist tatsächlich für jede Philosophie unmöglich, die wie jene McTaggarts zwischen einer perfekten zeitlosen Realität und
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ihren Manifestationen oder Erscheinungen in der Zeit unterscheidet, der Existenz von irgendetwas in der Zeit irgendeinen Wert dauerhaft zuzuschreiben; und dies aus zwei zwingenden Gründen: (1) Dass sie behaupten muss, dass nichts wirklich in der Zeit existiert, und (2) dass sie nicht vertreten kann, dass die Existenz von irgendetwas in der Zeit irgendeinen Unterschied hinsichtlich der Perfektion des Universums machen kann. Selbst wenn sie gestatten würde, dass Dinge tatsächlich in der Zeit existieren, könnte sie einer solchen Existenz keinen wirklichen Wert zusprechen; und so wie es ist, muss die gesamte Ethik darin bestehen, Dingen, die nicht existieren, einen Wert zuzuschreiben, den sie nicht haben können. McTaggart urteilt somit einfach, indem er seine Unsterblichkeit betrachtet, dass es besser ist, dass er zu gewissen zukünftigen Zeitpunkten existieren sollte, als dass er es nicht tun sollte. Aber wenn, wie er ebenso behauptet, das, was zeitlos existiert, in sich selbst absolut perfekt ist, dann ist alles mögliche Gute durch die zeitlose Existenz des Absoluten realisiert, und dass eher ein Ding als ein anderes in der Zeit existieren sollte, kann für überhaupt nichts gut sein. Somit widerspricht McTaggarts Ethik zwangsläufig seiner Kosmologie. Aber es kann vertreten werden, dass seine Kosmologie hier Unrecht hat; dass wir wirklich unsterblich sind und dass das Universum mehr oder weniger perfekt sein wird gemäß dem, wie wir es sind oder nicht. Und folglich lohnt es sich, McTaggarts Vorstellung des Werts einer Unsterblichkeit zu betrachten, die vom Wesen her dieselbe sein wird, ob sie nun als real oder nicht real angesehen wird. (b) Selbst wenn man annimmt, dass alle Teile einer zeitlichen Reihe dazu beitragen, aus ihr eine vollständigere Darstellung der Realität zu machen, gibt es keinen Grund anzunehmen, wie McTaggart es tut, dass die Reihe ein Fortschritt sein würde –€d.€h. eine Reihe, deren zukünftige Mitglieder besser als ihre vergangenen sind. Doch dieses sieht McTaggart, wie wir gesehen haben, an einer Stelle als gewiss an, an einer anderen als „wahrscheinlicher“. Doch viele Alternativen sind möglich: Selbst wenn es bei demselben Niveau des Werts durch die Zeit hinweg bliebe oder regelmäßige oder unregelmäßige Schwankungen auftreten würden, könnte das Ganze doch notwendig sein, um Realität so vollständig wie möglich zu manifestieren; angenommen, es gäbe Grund zur Annahme, dass es eine regelmäßig zu- oder abnehmende Reihe des Werts aufweist, so ist es genauso möglich, dass diese Reihe in Richtung Vergangenheit wie in Richtung Zukunft zunimmt. Warum ist es dann „wahrscheinlicher“, dass sie in der Zukunft wachsen sollte? Selbst wenn sie es tut, so gibt McTaggart zu, dass die frühen Phasen, die geringer im Wert wären und die Realität weniger vollständig manifestier-
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ten, für die größtmögliche Perfektion des Ganzen notwendig wären. Wenn dies so ist und man nimmt den gegenteiligen Fall an, dass die Manifestation der Realität dazu verurteilt ist, in der Zukunft zunehmend unvollständiger zu werden, dann könnten doch alle diese unvollständigen Phasen, obwohl in sich selbst geringer, durch eine Parität in der Logik dem Zweck dienen, die Manifestation, die in der ganzen Reihe beinhaltet ist, vollständiger zu machen. Kurz gesagt, McTaggarts optimistische Sicht, dass jedes Ereignis in der Zeit zu der Perfektion der gesamten zeitlichen Reihe beiträgt (eine Ansicht, die, wie wir gesehen haben, geradewegs seinen Prämissen widerspricht), ist im Weiteren völlig vereinbar mit einer ausgesprochen pessimistischen Sicht unserer gesamten Zukunft: Wenn es vereinbar mit der größtmöglichen Perfektion des Ganzen wäre, dass unsere vergangenen Charaktere schlechter als unsere gegenwärtigen und unsere zukünftigen gewesen sein sollten, ist es ebenso mit jener Perfektion vereinbar, dass unsere zukünftigen Charaktere schlechter sein sollten als unsere gegenwärtigen und unsere vergangenen. Es ist genauso wahrscheinlich, dass alle Perfektionen, von denen McTaggart annimmt, dass wir sie haben, wenn wir uns dem Ende unserer Existenz in der Zeit nähern, tatsächlich von uns besessen worden sind, als sie zuerst begonnen hat, und sie seitdem in unseren aufeinanderfolgenden Leben allmählich verloren gegangen sind und fortfahren werden, dies zu tun. Ebenso kann kein empirisches Argument dazu dienen, dies weniger wahrscheinlich erscheinen zu lassen. Soweit solche Argumente dazu neigen, hinsichtlich der gesamten zeitlichen Reihe alles zu zeigen, wird es durch sie wahrscheinlich, dass diese Reihe einen bloßen Wechsel von Zeiträumen mit mehr Wert mit Zeiträumen mit weniger Wert aufweist, z.€B. eine Abwechslung der Existenz mit der Nichtexistenz von menschlichen Leben, und wenn McTaggart trotzdem behauptet, dass es einen kontinuierlichen Fortschritt Richtung Zukunft gibt, so ist eine kontinuierliche Abnahme im Wert Richtung Zukunft zumindest genauso mit den Tatsachen vereinbar. Um es nun zusammenzufassen: Es scheint nicht, dass eine Reihe von zukünftigen Leben, die bloß durch kausale Beziehungen derselben Art wie jene, die die verschiedenen Zeiträume unserer gegenwärtigen Leben an sich selbst binden, aneinander und an unsere gegenwärtigen Leben gebunden sind, auf jeden Fall eine so wünschenswerte Aussicht bietet, wie McTaggart versucht, uns davon zu überzeugen, dass sie es tut. Wenn er sagt (S.€54): „Wir wissen, dass nichts verloren gehen kann“, besteht das Höchste, was er berechtigt ist zu sagen, dass es immer Wirkungen geben wird, irgendwo und irgendeiner Art, die ursächlich mit dem verbunden sind, das uns jetzt
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passiert. Aber dies ist auf keinen Fall alles, was er meint, und für jemand anderen wird diese Versicherung auch nicht derart unproblematisch klingen. Wie wir versucht haben zu zeigen, meint er ebenso, (a) dass die Wirkung unserer Vergangenheit in jedem von uns immer sehr groß sein wird; (b) dass diese Wirkung zu ihrer Ursache eine beträchtliche Ähnlichkeit nicht nur im Wert, sondern auch in der Qualität haben wird; und die Argumente, die er uns für diese beiden Folgerungen liefert, können sie nicht beweisen, wie wir gesehen haben. Das Höchste, das er berechtigt ist anzunehmen, besteht darin, dass die Mitte unseres nächsten Lebens eine genauso enge kausale Beziehung zum Ende dieses Lebens haben wird wie das Ende dieses zu der Mitte dieses Lebens. Aber es scheint gewiss, dass die wertvollsten Zustände und Beziehungen des mittleren Lebens aufgehört haben könnten, die geringste Wirkung auf unseren Zustand im Alter zu haben: Es kann gewiss einen großen Unterschied zwischen den beiden geben, und die Veränderung kann sich deutlich zum Schlechteren auswirken. Da dies so ist, ist es genauso wahrscheinlich oder auch nicht, dass nach zwei oder drei Leben die Wirkung unserer gegenwärtigen Leben auf uns völlig vernachlässigbar geworden sein wird und dass unser Charakter und Wert sich so stark von dem, was sie jetzt sind, unterscheiden werden, wie jene von zwei lebenden Menschen sich voneinander unterscheiden. Unter diesen Umständen scheint uns Unsterblichkeit nur sehr wenig Vorteil zu versprechen. Nur ein Argument, das Â� McTaggart zu ihren Gunsten hervorbringt, scheint im Prinzip schlüssig zu sein. Es besteht darin, dass die unendliche Verlängerung unserer Existenz die Möglichkeit einer Vollendung oder Erneuerung persönlicher Beziehungen, die in diesem Leben von Missgeschicken betroffen sind, steigern würde (S.€44); aber ich bedauere, dass selbst die so erhaltene Möglichkeit sich als so gering herausstellen würde, dass sie kaum erwähnenswert ist; und auf jeden Fall muss ihr die gestiegene Möglichkeit von Missgeschicken für jene, die im diesem Leben vom Glück begünstigt gewesen sind, entgegengesetzt werden. Bis hierher haben wir den Wert solcher zukünftigen Leben betrachtet, wie McTaggart in Übereinstimmung mit seinen Prämissen berechtigt ist, uns zu versprechen. Und es ist wichtig, sich an zwei Punkte zu erinnern: (1) Dass seine Argumente, zu beweisen, dass wir sogar solche zukünftigen Leben wie diese haben könnten, gänzlich unhaltbar sind: Wir haben keinen Grund zur Annahme, dass wir selbst in seinem Sinn unsterblich sind; und (2) dass wir nur das „tatsächliche“ Wesen jener Leben betrachtet haben und dabei einerseits die Substanz und die unveränderbaren Attribute außer
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Acht gelassen haben, hinsichtlich welchen Zweifel zu bestehen scheint, ob sie überhaupt nicht in der Zeit existieren oder dauerhaft durch die Zeit hinweg existieren, und andererseits jene „potenziellen“ Charaktere, worunter wir McTaggarts Annahme von jedem vergangenen oder zukünftigen Charakter ein und derselben Person verstehen, die diese Person zu der entsprechenden Zeit nicht besitzt. Wie wir gesehen haben, gründet McTaggart selbst seine Begründung für den Wert der Unsterblichkeit auf den tatsächlichen Charakteren, von denen er beweisen kann, so denkt er, dass wir sie besitzen werden; und es kann kein Zweifel bestehen, dass unser Wunsch nach Unsterblichkeit hauptsächlich auf ihnen beruht; niemand kann großen Wert auf die Hoffnung auf eine zukünftige Perfektion legen, die er gemäß McTaggart bereits besitzt –€eine Perfektion, die für ihn und andere gänzlich nicht wahrnehmbar ist und sein wird; noch auf ein zukünftiges Leben, in dem das, was er in diesem verloren hat, genauso verloren und vergangen sein wird, wie es jetzt ist, selbst wenn er glauben könnte, dass es potenziell jetzt gegenwärtig ist und es dann sein wird. Bis hierher haben wir nun gesehen, dass McTaggart behauptet (ohne vernünftigen Grund), dass etwas fortdauern wird, das Wir genannt werden könnte; und dass er diesem Etwas einen Charakter zuschreibt, der sehr viel wertvoller ist, als seine Prämissen es rechtfertigen. Aber er stellt auch eine andere Frage, die wichtig genug ist, um erwähnt zu werden. Nehmen wir an (wobei ich keinen Weg sehe, dies zu bestreiten), dass eine gewisse Art von kausaler Beziehung zwischen einer Reihe mentaler Zustände ausreicht, um die Aussage zu rechtfertigen, dass sie zu derselben Person gehören. So bleibt doch die Frage: Ist eine Reihe von Zuständen, die eine kausale Beziehung haben, alles, was wir mit unserem Selbst meinen? Ist die Fortdauer einer solchen Reihe das, was wir wünschen, wenn wir wünschen, dass unser Selbst nach dem Tod fortdauern sollte? Ich denke, McTaggart hat diesen Fragen nicht genügend Beachtung beigemessen. Seine Definition von personaler Identität ist vielleicht in einem Sinn, in dem das Wort verwendet wird, angemessen: „Personale Identität“ kann manchmal in der Philosophie verwendet werden, und dies zu Recht, und nicht mehr als dieses bedeuten; und es kann gewiss nicht zu Recht etwas zugeschrieben werden, das die Eigenschaften nicht besitzt, durch die es von McTaggart definiert wird. Aber es ist eine ganz andere Frage, ob wir, wenn wir die andauernde Existenz von unserem Selbst oder das anderer wünschen, nicht die Existenz von etwas ganz anderem wünschen, und ich denke, dass McTaggarts Argument dazu neigt, den trügerischen Eindruck zu vermitteln, dass dies keine andere Frage
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ist: Seine Definition der „personalen Identität“ ist, so sagt er, die richtige, und es scheint zu folgen, wenn wir die Fortdauer unserer Person überhaupt wünschen, dass wir das wünschen müssen, was er definiert. McTaggart hat zweifelsohne sich selbst das Recht gegeben zu antworten, dass das, was wir mit unserem Selbst meinen, nicht nur eine solche kausale Reihe von Zuständen ist, sondern das Ganze, das durch eine solche Reihe zusammen mit der identischen Substanz, von der sie Attribute sind, gebildet wird. Aber er hat in diesem Kapitel selbst zugegeben, dass es nicht die SubÂ� stanz, sondern die Attribute sind, die bei einem solchen Ganzen den Hauptteil dessen ausmachen, was wir mit „personaler Identität“ meinen. „Alle Substanzen“, sagt er (S.€37), „sind, wenn sie von ihren Attributen abstrahiert werden, völlig ununterscheidbar, und die Unterscheidung zwischen Personen würde nicht existent sein.“ Und später sehen wir (S.€39): „Scheint auch personale Identität keine große Bedeutung zu haben, wenn sie ihre Verbindung zu dem besonderen und einzigartigen Interesse verliert, das wir an unserer eigenen Zukunft haben und als unterschiedlich zu dem von allen anderen erkennen?“ Aus diesen beiden Abschnitten geht hervor, dass laut McTaggart (1), wenn wir von „derselben Person“ sprechen, der Ausdruck keine „große Bedeutung“ hat, wenn er sich nicht auf das bezieht, was die entsprechende Person von allen anderen Personen unterscheidet; (2) dass das, was jeden von uns von allen anderen unterscheidet, nicht unsere Substanz ist. Hier mögen wir hinzufügen, dass das, was unserer eigenen Zukunft „besonderes und einzigartiges Interesse“ verleiht, nicht die permanenten und unveränderbaren Attribute sein können, mit denen uns McTaggart ausstattet, da sie uns laut Definition unbekannt sind. Es folgt, dass das, was uns so interessiert und daher das Einzige ist, der personalen Identität „große Bedeutung“ verleiht, irgendwo in der kausal verbundenen Reihe sich ändernder Zustände liegen muss. Und unsere Frage lautet: Besteht das, was uns an dieser Reihe von Zuständen interessiert und was der personalen Identität allein „große Bedeutung“ verleiht, aus der bloßen Tatsache, dass sie kausal mit unserem gegenwärtigen Zustand verbunden sind? Falls es darin nicht besteht, dann ist das, durch das McTaggart personale Identität definiert, nicht das, was laut seinem eigenen Eingeständnis der personalen Identität allein „große Bedeutung“ verleiht. Nun kann ich mir nicht vorstellen, dass das, was unserer eigenen Zukunft ein besonderes und einzigartiges Interesse für uns verleiht, nicht die bloße Tatsache ist, dass es eine besondere und einzigartige kausale Beziehung zu unserer Gegenwart hat. Und zugleich stimme ich mit McTaggart überein,
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dass das, was unserer eigenen Zukunft dieses besondere Interesse verleiht, das ist, was unseren Hauptgrund ausmacht, es unsere zu nennen: Wenn wir an eine zukünftige Person denken, die mit uns identisch ist, besteht der Hauptteil dessen, was wir damit meinen, darin, dass sie diese Beziehung zu unserem gegenwärtigen Selbst hat, die sie für uns einzigartig interessant werden lässt. Was ist nun in unserer eigenen Vergangenheit und Zukunft, was uns zugleich veranlasst, sie als unsere zu bezeichnen, und uns ein einzigartiges Interesse an ihr verleiht? Dies ist eine sehr schwierige Frage und eine, bei deren Beantwortung wir froh sein sollten, mehr Hilfe gehabt zu haben, als McTaggart uns gibt. Seine Behandlung des Themas scheint fast vollständig von dem Wunsch bestimmt zu sein, zu beweisen, dass dieses wertvolle Element, das unser „Selbst“ bildet, nicht die Erinnerung ist, was auch immer es sein mag. Sein Argument, dass wir wieder leben werden, muss ebenso beweisen, so erkennt er, dass wir auch zuvor gelebt haben; und da wir uns gewiss an unsere früheren Leben nicht erinnern, erkennt er, wie wir gesehen haben, eine Unwahrscheinlichkeit, dass wir uns in der Zukunft an dieses Leben erinnern werden. Da dies so ist, muss er entweder zugeben, dass das, was er uns verspricht, von geringem Wert ist, oder er muss behaupten, dass „Erinnerung“, die er uns nicht verspricht, nicht das wertvolle Element in der personalen Identität ist. Daher versucht er das Letztere zu beweisen; aber er scheint, da er die Ansprüche der Erinnerung zurückgewiesen hat, sofort anzunehmen, dass es keine anderen Kandidaten außer seiner „kausalen Beziehung“ geben kann, um das zu sein, was wir an der „personalen Identität“ wertschätzen, und das, was wir damit meinen, wenn wir ihr „große Bedeutung“ verleihen. Ich denke, er unterschätzt deutlich den Wert, der der Erinnerung zugesprochen wird und werden sollte, und erkennt auch nicht, welche anderen Elemente es gibt, für die wir uns selbst zu Recht schätzen. „Angenommen, einem Menschen,“ sagt McTaggart (S.€40), „wird versichert, dass er bald seine gesamte Erinnerung an die Vergangenheit für immer verlieren wird. Würde er dies als Vernichtung ansehen und nicht mehr Interesse an der Person mit gleichem Charakter haben, die seinen alten Körper einnimmt, als an einem Unbekannten? Oder würde ein Mensch, der sich dem Höllentor nähert, jedes selbstsüchtige Bedauern für seine Position verlieren, wenn ihm versichert würde, dass die Erinnerung genauso wie die Hoffnung bei seinem Eintritt zurückgelassen werden müssen? Ich denke, es trifft nicht zu, dass an die Seelenwanderung Glaubende nach ihrem nächsten Tod ihrem Schicksal gleichgültig gegenüberstehen. Und doch glauben
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sie in einem Großteil der Fälle, dass der nächste Tod, für diese Zeit zumindest, die Erinnerungskette genauso vollständig zerbricht wie der letzte es tat?“ Angenommen, all dies wäre wahr. Beweist es entweder, dass der Besitz der Erinnerung nicht wesentlich für die personale Identität ist, die „große Bedeutung“ für uns haben soll, oder dass eine kausale Beziehung zu uns selbst das Einzige ist, das für dieses wesentlich ist? Sicherlich nicht; und dies ist hauptsächlich der sehr elementaren psychologischen Tatsache geschuldet, von der wir annehmen könnten, dass McTaggart sie nie bemerkt hat, nämlich dass ein Mensch völlig überzeugt sein kann, in dem üblichen Sinn der Überzeugung –€dass er sogar bereit ist, für die Wahrheit seiner Auffassung zu sterben€–, dass ein gewisses Prädikat nicht an ein gewisses Subjekt gebunden ist, und doch, wann immer er sich dieses Subjekt vorstellt, wie er es tun muss, wenn er von seiner Wünschbarkeit beeindruckt ist, er ganz unbewusst in ihm dieses Prädikat mit einschließt, von dem er zuvor und zu allen anderen Zeiten bereit war und ist, seine Abwesenheit zu beteuern. Dies kann gewiss der Fall bei an die Seelenwanderung Glaubenden sein; und wenn es selbst der sein kann, von dem McTaggart sagt, dass er kein Jota an Unterstützung für seine Folgerung bietet. Aber ich bin geneigt, anzunehmen, dass es nicht nur der Fall sein kann, sondern er es ist; und in der Hoffnung, diese Auffassung plausibel erscheinen zu lassen und zugleich Licht auf das zu werfen, was wir wirklich mit unserem „Selbst“ meinen, werde ich ein wenig Zeit auf die psychologische Analyse der angenommenen Fälle verwenden. Ein Mensch sagt: „Ich werde es sein, den der Teufel quälen wird“, und er fühlt sofort für den Leidenden Mitleid, das nicht in ihm durch die Vorstellung eines sehr viel besseren Menschen, der die gleichen Qualen erleidet, hervorgerufen würde. Ein solches Interesse wird gewiss normalerweise hervorgerufen, wann immer das entsprechende Subjekt als „ich“ oder „mein“ wahrgenommen wird. Aber da dies der Fall ist, wird dieses Interesse nicht aufhören, hervorgerufen zu werden, nur weil ich zu einer logischen Überzeugung gelangt bin, dass „ich“ nur etwas einschließen kann, an dem ich kein Interesse habe. Hume war nicht gefeit, dieselben selbstsüchtigen Gefühle wie McTaggart zu haben, aufgrund der Tatsache, dass er annahm, dass sein Selbst eine ganz andere Art von Ding sei als jenes, von dem dies McTaggart annimmt. Wenden wir seine Theorie auf denjenigen an, der an die Seelenwanderung glaubt. McTaggart versichert, dass er die zukünftige Seele als „seine“ wahrnimmt. Da dies so ist, wird das Schicksal der Seele dieselben Gefühle hervorrufen, wie das Schicksal von alldem, was als „seines“ wahrgenommen wird; und selbst wenn er eine falsche philosophische Analyse
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bezüglich dessen vorgenommen hat, was dieses „seines“ beinhaltet –€obwohl er z.€B. die Erinnerung davon ausschließt€–, wird diese Auffassung, wie stark sie auch sein mag, ihn nicht daran hindern, von den Elementen beeinflusst zu sein, die wirklich dem angehören, was er mit „selbst“ meint“, und die sehr viel stärker in seinem Geist mit dem Wort „ich“ verbunden sind, als es eine philosophische Definition sein kann. Die Auffassung eines Materialisten, dass sein Körper alles ist, worum er sich kümmert, bietet nicht den geringsten Beweis, dass seine Seele nicht das nahezu ausschließliche Objekt seiner Aufmerksamkeit sein könnte: Ein guter Beweis besteht darin, dass seine Analysefähigkeiten fehlerhaft sind. Und da die Bedeutung von „selbst“ bekanntermaßen eines der schwierigsten Analyseprobleme darstellt –€ein so großes, dass selbst die fähigsten Köpfe stets über seine Bedeutung unterschiedliche Meinungen haben€–, kann es gewiss keinen Grund zur Annahme geben, dass es der breiten Masse, selbst denjenigen, die an die Seelenwanderung glauben, geglückt sein sollte, das zu entdecken, was sie damit meinen –€zu wissen, was es in der Vorstellung von ihnen selbst ist, das die Gefühle tatsächlich beeinflusst. Wenn ein Buddhist denkt, „die Seele in jenem Tier werde ich selbst sein, aber sie wird sich nicht an ihren gegenwärtigen Zustand erinnern“, kann es einen Grund zur Annahme geben, dass, wenn er sie als sich selbst vorstellt, er sie sich nicht so vorstellt, dass sie sich an seinen gegenwärtigen Zustand erinnert? Anders gesagt, dass der Gedanke, der durch den ersten Teil des Satzes ausgedrückt wird, offensichtlich dem widersprechen kann, was durch den zweiten Teil ausgedrückt wird, ohne die geringste Unbehaglichkeit in ihm zu verursachen? Woran denken wir dann tatsächlich, wenn wir an unser zukünftiges Selbst denken oder wenn wir sagen, „angenommen, ich wäre du gewesen“? Unsere Gefühle mögen gewiss durch den Gedanken an unseren Körper oder unseren Charakter beeinflusst werden. Die Bedeutung von diesen beiden Überlegungen wird durch McTaggart impliziert, wenn er in dem soeben zitierten Abschnitt sagt: „Würde er ... nicht mehr Interesse an der Person mit gleichem Charakter haben, die seinen alten Körper einnimmt, als an einem Unbekannten?“, und doch berücksichtigt er, wie wir gesehen haben, in seiner Beschreibung, was der personalen Identität „Bedeutung“ verleiht, den Körper nicht, während er sich in der Annahme irrt, dass die Charaktergleichheit aus dieser Beschreibung hervorgeht. Doch trotz allem ist es weder das Wesen unseres Körpers noch das unseres Charakters, was uns hauptsächlich an uns selbst interessiert. Dies kann offenkundig erkannt werden, wenn man einen Fall betrachtet, der gewiss vorstellbar ist, obwohl McTaggart abstreitet, dass
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er möglich ist (S.€51): jener eines exakten Doppelgängers, der uns hinsichtlich Körper und Charakter exakt gleicht. Solch ein Doppelgänger würde, so impliziert McTaggart, wenn er möglich wäre, dieselbe Person wie wir sein; denn, so sagt er, identische Attribute implizieren identische Substanz; aber es ist offensichtlich widersprüchlich, es als dasselbe anzunehmen, und kann folglich, wenn es aus McTaggarts Theorie der personalen Identität hervorgeht, nur dazu dienen, die Theorie zu widerlegen. Der imaginäre Fall eines Doppelgängers widerlegt tatsächlich die Theorie völlig, dass das, was uns an unserer Vergangenheit und Zukunft interessiert und uns dazu veranlasst, sie unser zu nennen, Identität der Attribute ist; aber ich denke, dass McTaggart in diesem Abschnitt seiner eigenen Theorie Unrecht tut, da es scheint, dass er die Identität der Attribute mit ihrer Fortdauer verwechselt, obwohl er an anderer Stelle erklärt hat, dass Fortdauer kausale Verbindung bedeutet, was etwas völlig anderes ist. Ein Doppelgänger von uns, der zeitgleich mit uns existiert, könnte offensichtlich nicht jene kausale Verbindung haben, die, wie wir festgestellt haben, eine notwendige Bedingung der personalen Identität ist; und folglich könnte die Abwesenheit dieser Verbindung erkennbar das sein, was wir ihr zuschreiben sollten, wenn wir sie als eine andere Person bezeichnen. So könnte es sein, aber es würde gewiss nicht so sein: Die Betrachtung dieses Falls widerlegt tatsächlich die Theorie, dass entweder Identität oder Fortdauer, oder beide zusammen, das sind, was wir mit personaler Identität meinen. In der Tat können wir uns eine zukünftige Reihe geistiger Zustände vorstellen, die zugleich kausal fortdauernd und identisch im Charakter mit unseren sind und die nicht das sind, was wir meinen, wenn wir sie unsere nennen: Die Hypothese eines neuen Selbst, das so ist wie wir und das zu irgendeinem Zeitpunkt entsteht und anstatt unseres gegenwärtigen Selbst fortdauert, hat in der Tat eine Bedeutung für uns, wie McTaggart in seiner Argumentation zeigt, dass dieses tatsächlich unmöglich ist. Es ist, so gebe ich zu, tatsächlich unmöglich: Solch eine Reihe von Zuständen würde in der Tat auch das sein, was wir mit uns selbst meinen; es würde kein neues Selbst sein; aber dass diese Aussage bedeutsam sein sollte, dass wir die Proposition verstehen sollten, dass eine Reihe von Zuständen, die zugleich kausal fortdauernd und identisch im Charakter mit unserem gegenwärtigen Selbst sind, in der Tat kein neues Selbst sein würde, sondern unser eigenes Selbst, zeigt schlüssig, dass das, was wir mit personaler Identität meinen, weder kausale Fortdauer noch Identität des Charakters noch beides zusammen ist. Was ist es dann, was wir damit meinen? Ich kann mir wohl vorstellen, dass
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eine Person, die mir exakt gleicht, körperlich und im Charakter, jetzt auf dem mir gegenüberliegenden Stuhl sitzen könnte; und es ist gewiss keine bloße Tatsache, dass sie auf jenem Stuhl und ich auf diesem sitze, was den grundlegenden Unterschied verursacht, den ich zwischen dem Interesse an ihrem Schicksal und an meinem wahrnehme. Wenn ich bestimmte Eigenschaften habe, die ich bewundere und die andere nicht haben, könnte ich mich geringfügig mehr für sie interessieren als für andere Personen, denn sie besitzt diese Eigenschaften, und ich könnte denken, dass sie ihr einen größeren Anspruch auf Unsterblichkeit verleihen. Nur insofern ich ihr diesen Vorzug gebe, kann angenommen werden, dass der Charakter meines Körpers und mein Geist das ist, was mich an mir selbst interessiert; und tatsächlich ist der Vorzug, den ich ihr diesbezüglich einräume, sehr viel geringer im Vergleich zu jenem, den ich mir über andere Personen einräume. Um die Wahrheit zu sagen, fühle ich ihr gegenüber eine eindeutige Abneigung; und auf jeden Fall ist mein Wunsch für ihre Unsterblichkeit unermesslich geringer als der Wunsch für meine eigene. Das Gleiche würde offensichtlich für meinen Freund in jeder Hinsicht gelten, wenn ich sofort vernichtet werden würde und er fortführe, zu existieren; und es würde gewiss dieselbe Wirkung auf die gesamte Welt haben; und doch kann ich dieses Ereignis nicht mit der geringsten Genugtuung betrachten. Nun muss sicherlich das, was ich hauptsächlich mit mir selbst meine, was das Objekt meiner Selbstliebe ist, das sein, was mich von ihr unterscheidet. Es ist tatsächlich absurd anzunehmen, dass das, wenn es gleichzeitig mit uns existiert und ihm das besondere und einzigartige Interesse für uns vollkommen fehlt, was uns die Bedeutung für das „Selbst“ verleiht, durch die bloße Tatsache einer besonderen kausalen Beziehung zu uns dieses Interesse erlangen würde. Wir schätzen unsere Vergangenheit und Zukunft nicht bloß, weil sie wie wir und mit uns kausal verbunden sind. Was für uns dem „Selbst“ Bedeutung verleiht, ist das, was unser gegenwärtiges Selbst von jedem wahrnehmbaren, gleichzeitig Existierenden unterscheidet, wie sehr es uns auch gleichen mag; und wir schätzen die Zustände, die mit unserem gegenwärtigen Selbst kausal verbunden sind, nicht weil sie derart verbunden sind, sondern weil sie Zustände dessen sind, was so unser gegenwärtiges Selbst unterscheidet: Es ist das, was wir meinen, wenn wir sie als unsere Vergangenheit und Zukunft bezeichnen. Das permanente Selbst muss auf jeden Fall als eine kausale Reihe definiert sein, die mit unserem gegenwärtigen Selbst verbunden ist: Unser Selbst kann nur mit dem Verweis auf das definiert werden, was uns jetzt zu uns macht. Dieses, was uns im gegenwärtigen Moment
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von jedem anderen Ding oder jeder anderen Person unterscheidet, ist gewiss das, was das Hauptelement der Bedeutung des Selbst bildet; und da dies so ist, scheint es äußerst unwahrscheinlich, dass wir, wenn wir an uns selbst als in der Vergangenheit oder Zukunft fortdauernd denken, wenn wir tatsächlich personale Identität durch die Zeit hinweg betrachten, mit diesem fortdauernden Selbst etwas meinen sollten, das bloß kausal mit unserem gegenwärtigen Selbst verbunden ist. Da das „Selbst“ für uns hauptsächlich unser gegenwärtiges Selbst bedeutet, ist es nahezu unvermeidbar, dass wir, wenn wir an unser Selbst an einem anderen Zeitpunkt denken, unser gegenwärtiges Selbst an diesem Zeitpunkt meinen; und dies scheint mir tatsächlich der Fall zu sein. Was ist es dann, was uns dieses besondere und einzigartige Interesse an unserem gegenwärtigen Selbst verleiht? Was ist das gegenwärtige Selbst, dessen fortdauernde Existenz wir wünschen? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir, denke ich, zwei unterschiedliche Punkte in Erwägung ziehen. (1) Wenn wir unser gegenwärtiges Selbst betrachten oder durch seinen Wert beeindruckt sind, sind wir gewiss selbst-bewusst. Aber wir müssen beachten, dass diese Bewusstheit von unserem Selbst eine völlig unterschiedliche Art der Erfahrung ist als unsere Bewusstheit von irgendeiner anderen Person. Wir kennen niemals Bewusstheit einer anderen Person auf dieselbe Weise, in der wir unsere eigene, nämlich durch direkte Wahrnehmung, kennen. Das heißt, das Objekt unseres Bewusstseins ist, wenn wir uns unseres Selbst bewusst sind, in seiner Art nicht dasselbe, wie wenn wir irgendein anderes Selbst denken; und dieser Unterschied in der Art ist genauso groß trotz der völligen Identität im Charakter, Gefühlen oder anderen Objekten des Bewusstseins. Aber (2) wir wissen, dass jede andere Person sich eines genau gleichen Objekts, und nur eines solchen Objekts, bewusst ist –€seiner selbst. Und dies zu wissen, bedeutet zu wissen, dass unser Selbst tatsächlich in seiner Art identisch mit jedem anderen Selbst ist. Das Selbst, das wir wahrnehmen, ist in seiner Art dasselbe wie das Selbst, das jemand anderes wahrnimmt, obwohl es sich in seiner Art von jedem anderen Selbst, an das wir oder eine andere Person denken, unterscheidet. Das bedeutet, es unterscheidet sich tatsächlich nur numerisch von einem anderen Selbst, obwohl seine Wahrnehmung von ihm sich in der Art von seinem Denken an ein anderes Selbst unterscheidet.
Für eine Erklärung der Bedeutung dieses Ausdrucks siehe meinen Aufsatz „Identity“, Proceedings of Arist. Soc., 1900–01.
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Wenn man diese beiden Punkte zusammenfügt, erhalten wir als Ergebnis, dass das, was wir an uns selbst schätzen, (1) von der Art ist, welche uns im Selbst-Bewusstsein dargestellt wird, und (2) sich nur numerisch von allen anderen, die von derselben Art sind, unterscheidet. Wenn wir daher wünschen, dass wir selbst fortdauern sollten und uns anderen dabei vorziehen, wünschen wir, dass ein einziger Fall einer gewissen Art, der sich in keiner Hinsicht von anderen Fällen unterscheidet, außer dass er der eine ist und sie die anderen, fortdauern und dabei anderen vorgezogen werden sollte: Das heißt, wir legen den Wert auf unseren bloßen numerischen Unterschied zu anderen. Aber andererseits wünschen wir nicht deutlich, dass dieses numerisch einzige Selbst fortdauern sollte, nur wie es vorgestellt wird oder wie an es gedacht wird, sondern wie es tatsächlich wahrgenommen wird; und es ist dieser zweite Punkt, der mir die Wichtigkeit der Erinnerung in unserer Vorstellung der personalen Identität zu zeigen scheint. Wir müssen natürlich zugeben, dass dieses einzigartige Ding, das die an ihm wahrgenommenen Eigenschaften besitzt, selbst zu Zeiten fortfahren könnte zu existieren, wenn diese Eigenschaften in ihm nicht wahrgenommen werden. Es könnte sich auch selbst zu solchen zukünftigen Zeiten wahrnehmen. Aber der Gedanke an jede dieser Möglichkeiten beeinflusst die Vorstellung nicht: Wir nehmen es nur wahr, wenn wir so an es denken. Und dieser Mangel wird durch Erinnerung und nur durch Erinnerung behoben. Der einzige Sinn, in dem wir personale Identität mit „großer Bedeutung“ verwenden –€der einzige Sinn, in dem wir es wünschen€–, besteht darin, dass das, was mit dem vergangenen oder zukünftigen Selbst gemeint ist, dieselbe Beziehung zu dem gegenwärtigen Selbst hat wie das gegenwärtige Selbst zu sich selbst. Und diese Beziehung ist durch die Erinnerung dargestellt. Wenn wir uns an unsere vergangenen Zustände erinnern, haben wir zu ihnen dieselbe einzigartige Beziehung, wie wir sie zum gegenwärtigen Objekt-Selbst haben, und wenn wir an unser zukünftiges Selbst denken, wie es sich an unser gegenwärtiges erinnert, ist es wieder nicht bloßes Denken, da wir es als Subjekt mit dem gegenwärtigen Objekt-Selbst, das tatsächlich wahrgenommen wird, in Beziehung setzen. Natürlich sprechen wir davon, unsere personale Identität zu behalten, ohne damit zu meinen, dass das zukünftige Selbst zu jedem Zeitpunkt eine Erinnerung an unser gegenwärtiges Selbst haben wird; aber wir fühlen eine Unentschlossenheit, selbst wenn wir davon in dieser Art sprechen, wenn wir es nicht als möglich erachten, sich so zu erinnern, wie es in diesem gegenwärtigen Leben ist. Und mit dieser Möglichkeit meinen wir nicht bloße Wahrscheinlichkeit: Wir meinen eine wirklich reale Beziehung, die zwischen den
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verschiedenen Zeiträumen unseres gegenwärtigen Lebens existiert und die nicht zwischen diesem und einem zukünftigen Leben, wie McTaggart es uns verspricht, existieren würde. Selbst wenn wir uns an keinen vergangenen Zustand erinnern, ist unser gegenwärtiger Zustand ein Zustand, an den sich wahrscheinlich erinnert wird zusammen mit einem anderen Zustand, an den jener Zustand sich jetzt nicht erinnert. Und wenn wir an einen zukünftigen Zustand denken, der sich nicht an unseren gegenwärtigen erinnert, wird es wahrscheinlich einer sein, der sich an einen anderen erinnert, der sich an unseren gegenwärtigen erinnert oder an das, woran sich unser gegenwärtiger jetzt erinnert. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird der zukünftige Zustand ein Zustand sein, der sich an einen anderen erinnert, der sich wiederum an einen anderen erinnert, der sich wiederum an den gegenwärtigen erinnert oder dieser erinnert sich an ihn. Solche Erinnerungsbeziehungen haben natürlich eine Vielzahl von Schritten. Aber es scheint mir, dass, wie viele Schritte es auch geben mag, sie keine wichtigen Bestandteile unserer Vorstellung von personaler Identität sind. Denn es muss betont werden, dass jeder Schritt eine Beziehung beinhaltet, die im Gegensatz zur kausalen Beziehung nur zwischen zwei Zuständen einer Person möglich ist; und dass durch eine Reihe von solchen Schritten jeder Zustand in unserem gegenwärtigen Leben wahrscheinlich auf eine Weise mit unserem gegenwärtigen Selbst verbunden ist, auf die kein Zustand einer anderen Person jemals so verbunden ist. Um nun abzuschließen, werde ich die wichtigsten Punkte zusammenfassen, in denen die Theorie dessen, was der personalen Identität „Bedeutung“ verleiht, mir als eine Verbesserung jener McTaggarts erscheint. (1)€McTaggart scheint einer kausalen Verbindung zwischen unseren Zuständen oder Charakteren viel zu viel Bedeutung in dem Sinn zuzuweisen, in dem diese oder eine Kombination von diesen sich in ihrer Art von jenen von anderen Personen oder untereinander unterscheiden. In seiner eigenen Sprache legt er in diesem Kapitel zu viel Betonung auf die Verbindung unserer „Attribute“ als von unserer Substanz unterschiedlich. Aber in der Tat scheint es offensichtlich, dass unsere gegenwärtigen Attribute hauptsächlich von uns geschätzt werden, weil es unsere sind; und jene, die kausal mit ihnen verbunden sind, nicht wegen dieser Verbindung, sondern teilweise wegen der indirekten Verbindung, die sie so mit unserem gegenwärtigem Selbst erlangen, und noch mehr weil sie mit einem vergangenen und zukünftigen Selbst in Beziehung stehen, das direkt und außer ihnen mit unserem identisch ist. Somit ist die kausale Verbindung, auf die McTaggart so viel Wert legt, nur
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wichtig, weil sie eine partielle Erklärung bietet, wie einige unserer Attribute als unsere gedacht werden: Sie erklärt keineswegs, was wir meinen, wenn wir sie als unsere bezeichnen. Die Beziehung der Attribute und der Substanz im Bezug auf den Wert besteht darin, dass, obwohl die Attribute in sich selbst einen Wert haben können und die Substanz vielleicht überhaupt keinen, die beiden zusammen doch einen viel größeren Wert haben als die Attribute selbst haben könnten; und die Attribute können nur diesen Wert haben, nicht indem sie kausal mit einem Attribut verbunden sind, das ihn hat, sondern nur indem es mit dem substanziellen Selbst auf dieselbe Weise verbunden ist, auf die das Attribut mit ihm in Beziehung steht. (2) Aber McTaggart betont auch die Notwendigkeit der Identität der Substanz für die personale Identität; und ich habe angeführt, wie weit man annehmen kann, dass er mit der Ansicht übereinstimmt. Tatsächlich leidet seine Ansicht der SubÂ� stanz des Selbst an dem Mangel, der derselben Ursache wie seine Betonung der Attribute geschuldet ist. McTaggart betont wahrscheinlich den Teil, der von den Attributen in der Vorstellung des Selbst eingenommen wird, weil er denkt, dass zwei Dinge, wenn sie sich überhaupt unterscheiden, sich in der Art unterscheiden müssen: Dass dies die einzige Art des Unterschieds ist, ist in der Tat eine fast allgemeingültige Annahme aus der philosophischen Tradition. Er muss, so denkt er, die Einzigartigkeit von jedem Selbst dadurch erklären, dass es eine alleinige Beziehung hat, die kein anderes Selbst hat, da es als Selbst –€d.€h. hinsichtlich seiner Substanz€– in seiner Art mit jedem anderen identisch ist. Im oben genannten Zitat äußert er dementsprechend, dass „alle Substanzen vollkommen ununterscheidbar sind“. Dies stellt einen sehr wichtigen Unterschied zwischen seiner Ansicht und der Ansicht dar, die ich nun vertrete. Ich war gezwungen, nach dem einzigartigen Interesse zu suchen, dass wir an uns selbst haben, nicht an unseren Attributen, sondern an der Tatsache, dass sie unsere sind. Aber dies kann (außer einem Teufelskreis) nur bedeuten: an der Tatsache, dass sie zu unserer Substanz gehören. Wenn man dann mit McTaggart anerkennt, dass „alle Substanzen“ in ihrer Art „vollkommen ununterscheidbar sind“, so folgt, dass wir an uns selbst interessiert sind, indem wir uns von anderen unterscheiden, allein weil es uns möglich ist, ein Interesse an etwas, das sich nur numerisch von anderen unterscheidet, und aufgrund seiner numerischen Einzigartigkeit zu haben. Hinsichtlich der Richtigkeit dieser Wertung müssen wir natürlich gestatten, dass wir nicht wirklich wertvoller als andere sind; aber wir müssen darum nicht bestreiten, dass der Verlust unseres Selbst ein Verlust sein würde, den die Existenz von keinem ande-
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ren ersetzen könnte. Dieses nicht zu bestreiten, erkennt an, dass der bloße numerische Unterschied einem Ding einen Wert verleihen kann; und dieses Prinzip, so scheint mir, ist in unserer bevorzugten Bewertung von uns selbst impliziert. (3) Letztlich bedenkt McTaggart das nicht genügend, was mit der Fortdauer einer identischen Substanz durch die Zeit hinweg gemeint ist. Es ist bereits hervorgehoben worden, dass er nicht deutlich unterscheidet, ob die Substanz, die wir selbst sind, zeitlos oder durch die Zeit hinweg existiert. Aber wenn wir auf diesen Punkt verzichten und annehmen, was er gewiss impliziert, dass das identische Selbst fortdauern könnte, muss beachtet werden, (1) dass diese Fortdauer nicht als eine bloße kausale Verbindung zwischen der Existenz des Selbst zu einem Zeitpunkt und seiner Existenz zu anderen Zeitpunkten betrachtet werden kann und (2) dass die bloße Existenz des Selbst zu allen Zeiten nicht alles zu sein scheint, was wir mit personaler Identität meinen noch was wir hauptsächlich schätzen. Es scheint mir, dass wir, wenn wir ein vergangenes und zukünftiges Selbst als wirklich identisch mit uns selbst ansehen sollen, es nicht nur als eine identische Substanz mit unserem gegenwärtigen Selbst ansehen sollen noch als eine einzigartige kausale Beziehung zu ihnen besitzend, sondern als durch eine Beziehung des Selbst-Bewusstseins an sie gebunden –€eine Wahrnehmungsbeziehung, die wir zu unserem gegenwärtigen Selbst haben. Dass eine derartige Beziehung in unserem gegenwärtigen Leben existiert, habe ich versucht zu zeigen; und auch dass McTaggarts Versuch, uns zu überzeugen, dass wir ihr keinen großen Wert beimessen, seinen Standpunkt nicht bestätigt. Ich persönlich kann sagen, dass das zukünftige Leben, das er uns verspricht –€ein Leben, in dem ich überhaupt keine Erinnerung an dieses Leben habe€– meinem Gefühl nach kaum von der zukünftigen Existenz einer anderen Person unterscheidbar ist. So viel nun zu dem ersten der kosmologischen Kapitel McTaggarts. Ich habe meine Kritik in zwei Teile gegliedert und werde jetzt kurz zusammenfassen, was ich versucht habe zu beweisen. I. McTaggart versucht zu beweisen, dass Realität ausschließlich aus Geist besteht, ähnlich und einschließlich unserem. Dieser Beweis bildet das, was ich den eigentlichen kosmologischen Teil des Kapitels genannt habe; und seine Gültigkeit ist für die Bedeutung der beiden anderen kosmologischen Kapitel wesentlich, die nur versuchen, hinsichtlich des Wesens und der Beziehungen zwischen dem Verstand verschiedener Personen, der allein real ist, zu unterscheiden. Offensichtlich werden sie sich nicht der Kosmologie widmen, wenn nicht sicher ist, dass Verstand die gesamte Realität bildet.
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Aber da es weit davon entfernt ist, sicher zu sein, habe ich gezeigt, dass McTaggart uns nicht den geringsten Grund gegeben hat, es als wahrscheinlich anzunehmen. Denn der Beweis hängt teilweise von einer ausgesprochen langen Argumentationskette ab (von der McTaggart annimmt, dass sie in Hegels Logik beinhaltet ist), von deren vollständiger Gültigkeit niemand jemals rational oder auf eine andere Weise überzeugt gewesen war oder sein wird. Und wenn dies nicht genügen würde, die Schlussfolgerung als eine der unbegründetsten Mutmaßungen zu verurteilen, gibt es des Weiteren, für die Demonstration notwendig, eine falsche und in sich widersprüchliche Theorie hinsichtlich des Wesens des Bewusstseins und seiner Beziehung zum Objekt. II. Behandelt wird die Unsterblichkeit. Soweit wie es die übliche Bedeutung der Existenz durch die Zeit hinweg innehat, denke ich, dass McTaggart seine Diskussion deutlich von der eigentlichen Kosmologie hätte unterscheiden sollen, da er vertritt, dass nichts, was in der Zeit existiert, real ist, und folglich die Frage, ob wir durch die Zeit hinweg existieren, bloß eine Frage der Phänomenologie ist –€eine Frage, was, obwohl gewiss falsch, (wem?) als wahr „erscheint“. Jenen, die vertreten, dass das, was in der Zeit existiert, real ist, mag diese Diskussion wichtiger als die andere und genauso kosmologisch erscheinen. Daraufhin habe ich die folgenden Punkte hervorgebracht: (1) McTaggart impliziert gewiss, obwohl er das Gegenteil sagt, dass er nicht nur unsere „zeitlose“ oder „ewige“ Existenz bewiesen hat, sondern auch unsere Fortdauer durch die Zeit. (2) Er erkennt nicht, dass beides unvereinbar ist; und da seine Argumente nur beweisen (falls sie überhaupt etwas beweisen), dass entweder das eine oder das andere zutrifft, hat er uns gewiss nicht den geringsten Grund zur Annahme gegeben, dass wir durch die Zeit hinweg fortdauern werden. (3) Er schreibt unserer Fortdauer durch die Zeit hinweg verschiedene wertvolle Eigenschaften zu, die seine Prämissen gänzlich nicht rechtfertigen können (besonders jene, die die Beziehung zwischen den aufeinanderfolgenden Zuständen derselben Person definieren). (4) Er irrt in der Annahme, dass das, was er als personale Identität bildend oder als ein Zeichen von ihr definiert, das ist, was wir wirklich unter diesem Wort verstehen oder unter diesem Namen wünschen. Er lässt im Gegenteil von seiner Beschreibung des nächsten Lebens viel von dem aus, was unsere Fortdauer in diesem Leben wirklich wertvoll macht, und fast alles von dem, was uns veranlasst, es zu wünschen.
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Wir werden dann mit der Überzeugung zurückgelassen, dass wir keinen Grund zur Annahme haben, dass wir selbst in McTaggarts Sinn unsterblich sind; und dass, selbst wenn wir es wären, eine solche Unsterblichkeit in allen wichtigen Punkten von der zukünftigen Existenz anderer Personen ununterscheidbar ist, und diese würden sich nach allem, was uns McTaggart sagen kann, stetig verschlechtern. Die zwei verbleibenden kosmologischen Kapitel müssen nun äußerst knapp abgetan werden. Das erste von ihnen (Kapitel III) versucht zu zeigen, dass die Realität, von der das letzte Kapitel gesagt hat, dass sie aus einer Anzahl von Personen zusammengesetzt ist, nicht auch selbst eine Person ist; daraus folgt, dass, da das Wort Gott eindeutig auf eine Person hinweist, das Absolute nicht Gott ist, wenn McTaggart hinsichtlich des Wesens des Absoluten Recht hat, und auch dass (da das Wort ebenso auf ein höheres Wesen hinweist) „es keinen Gott gibt“. Diese letztere Folgerung hängt natürlich von der Richtigkeit jener ab, zu der man in Kapitel II gelangt ist; und wir können ihr daher nicht die geringste Gültigkeit zugestehen. Das Kapitel kann keinen direkten Einfluss auf die Ansicht nehmen, die wir vom Wesen der Realität als ein Ganzes oder der übersinnlichen Realität haben. Die philosophisch interessanteste Frage, die für McTaggarts Argument relevant ist, ist die Frage, ob und in welchem Sinn eine Person ein Teil einer anderen sein kann. Aber selbst diese Frage behandelt McTaggart nicht direkt, indem er sich darauf beschränkt, einige verwirrende Argumente von Lotze zu kritisieren, die dafür gedacht sind, dass es der Fall ist. Die Bedeutung der Schlussfolgerungen des Kapitels IX hängen auch hauptsächlich von der Gültigkeit des Kapitels II ab. Wenn es keinen Grund zur Annahme gibt, wie ich versucht habe zu zeigen, dass Realität ausschließlich aus bewussten Gedanken zusammengesetzt ist, verliert McTaggarts Ansicht hinsichtlich dessen, wie diese Gedanken untereinander verbunden sind, jedes tiefere Interesse. Das Hauptinteresse dieses Kapitels liegt in der ethischen Schlussfolgerung, dass die Liebe von Personen zueinander nicht nur das größte, sondern das alleinige Gute ist. Aber McTaggart versucht, diese Schlussfolgerung nicht direkt zu beweisen. Er nimmt als ein Ergebnis der Dialektik an, dass das Universum perfekt ist, und versucht dann, durch eine Kombination der Ergebnisse des Kapitels II mit der Dialektik zu beweisen, dass das Universum aus liebenden Personen besteht. Dass daher ein derartiges Universum perfekt sein würde, folgt nur als ein Ergebnis aus einem Argument, das uns nicht dargestellt wird, in Verbindung mit einer
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weiteren Entwicklung von anderen, bei denen wir, wie wir gesehen haben, allen Grund haben, ihnen zu misstrauen. Diese weitere Entwicklung, die hauptsächlich aus der Besprechung des Wesens des Wissens und des Willens besteht und aus den Fragen, ob (1) sie real sein können, (2) ob sie nicht „ein Ideal postulieren, das sie niemals erreichen können, solange sie sie selbst bleiben“; (3) ob dieses Ideal Liebe ist, was an sich von beträchtlichem Interesse ist, aber wofür ich keinen Raum mehr habe, um es zu besprechen.
Kapitel 8 Erfahrung und Empirismus Erstveröffentlichung in Proceedings of the Aristotelian Society n.â•›s.€3 (1902–1903), 80–95.
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ahezu alle Philosophen stimmen heutzutage darin überein, respektvoll von „Erfahrung“ zu sprechen. Vor Kant waren Philosophen geteilt in Empiristen auf der einen Seite und auf der anderen Seite jene, die vertraten, dass viele und wichtige Schlussfolgerungen allein aus „angeborenen Wahrheiten“ abgeleitet werden könnten, sodass sie die Hilfe der „Erfahrung“ verschmähten. Heutzutage sind „angeborene Wahrheiten“ völlig aus der Mode; und obwohl vom „reinen Denken“ noch angenommen werden kann, dass es viel erreicht, ist seine Funktion im Allgemeinen auf die „Interpretation der Erfahrung“ beschränkt. Diese Änderung ist Kant geschuldet, und seine gesamte Bedeutung wird, denke ich, kaum wahrgenommen. Die Aussage, dass Kant „Erfahrung“ zur einzigen Prämisse unseres gesamten Wissens gemacht hat, wird vielen wahrscheinlich merkwürdig vorkommen; und es mag noch merkwürdiger sein, zu hören, dass jene, die seine Schlussfolgerung zurückweisen, dass unser Wissen auf „mögliche Erfahrung“ beschränkt ist, sich größtenteils nicht von ihm unterscheiden, wenn sie Erfahrung zu ihrer einzigen Prämisse machen. Doch denke ich, es ist einfach zu erkennen, dass Kant dies getan hat. Kant versucht, die Wahrheit der „synthetischen apriorischen Urteile“ zu verteidigen, indem er zeigt, dass sie „Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung“ sind. Dies kann er nur tun, indem er zeigt, dass sie in der tatsächlichen Erfahrung beinhaltet sind. Aber zu zeigen, dass A in B beinhaltet ist, beweist nicht, dass A wahr ist, wenn nicht angenommen wird, dass B wahr ist. Dass Geometrie einen Anspruch auf Gültigkeit hat, die Spinozas „geometrisch bewiesene“ Ethik nicht hat, ist für Kant der Tatsache geschuldet, dass die Erstere in der „Erfahrung“ enthalten ist und die Letztere nicht. Spinozas System könnte genauso gut nichts weiter als die „Bedingungen der Möglichkeit“ beinhalten; aber der Geltungsunterschied zwischen ihm und der Geometrie würde für Kant weiterhin bestehen. Daher ist es nur die Tatsache, dass die tatsächliche Erfahrung wahr ist, die Kant Anlass gibt, die Gültigkeit des „Transzendentalen“ zu behaupten und jene des „transzendenten“ Wissens zu bestreiten. Erfahrung ist wahr, und
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Geometrie ist in ihr enthalten; daher ist Geometrie wahr. Derart gestaltet sich Kants Logik. Den Anspruch der Geometrie allein auf ihrer Evidenz zu gründen, hätte ihn nicht befriedigt; denn die „transzendente“ Metaphysik, die er für „unwissenschaftlich“ erklärt, könnte genau dasselbe behaupten. Er denkt, dass er die Gültigkeit der Geometrie bewiesen hat und die Möglichkeit der transzendenten Metaphysik widerlegt hat; und für diesen Beweis ist „Erfahrung“ seine einzige Prämisse. Die nachfolgenden nicht-empirischen Philosophen unterscheiden sich größtenteils nur von Kant, indem sie behaupten, dass mehr in der „Erfahrung“ enthalten ist, als er es angenommen hat. Sie beanspruchen nicht mehr, als er es tut, andere und unabhängige Prämissen für ihre Schlussfolgerungen zu haben wie jene, die vorkantische Dogmatiker angenommen haben. Aber diese Tatsache lässt auf zwei Fragen schließen, die der vorliegende Aufsatz zu beantworten versucht: I. Wie viel nehmen Philosophen an, wenn sie „Erfahrung“ als ihre einzige Prämisse annehmen? II. In welchem wesentlichen Punkt unterscheiden sich Kant und nicht-empirische Post-Kantianer von solchen Philosophen wie Hume und Mill, die zu Recht „empirisch“ genannt werden? Um die erste Frage zu beantworten, werde ich versuchen zu zeigen, dass Philosophen, indem sie „Erfahrung“ als eine Prämisse annehmen, die Wahrheit einer Vielzahl von Propositionen annehmen, von denen sie im Anschluss folgern, dass sie falsch sind. Um die zweite zu beantworten, werde ich versuchen zu zeigen, dass sich Empiristen nicht durch irgendeine Theorie über die Herkunft des Wissens unterscheiden, sondern durch die Tatsache, dass sie stets implizieren, dass alle bekannten Wahrheiten von derselben Art wie Erfahrungen sind, obwohl sie tatsächlich das Wissen über Wahrheiten annehmen, die nicht von derselben Art sind. I. Erfahrung in ihrer allgemeinen philosophischen Bedeutung scheint auf eine Summe tatsächlicher Erfahrungen hinzudeuten. So bedeutet „meine Erfahrung“ oder „Ihre Erfahrung“ eine Summe meiner oder Ihrer Erfahrungen; und „Erfahrung“ ohne derartige Voraussetzung bedeutet im Allgemeinen die Summe der menschlichen Erfahrungen. „Erfahrung“ deutet jedoch auf den allgemeinen Charakter hin, aufgrund dessen tatsächliche Erfahrungen zusammengefasst werden; und es ist offensichtlich, dass nur
Die Proposition „Geometrie ist in Erfahrung enthalten“ ist keine Prämisse für die Schlussfolgerung „Geometrie ist wahr“ in der oben erwähnten logischen Argumentation. (See Lewis Carroll in Mind n.â•›s. 14, S.€278.)
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dieser allgemeine Charakter eine Definition zulässt, da die Anzahl und Unterschiedlichkeit der tatsächlichen Erfahrungen zu groß ist, um erschöpfend behandelt zu werden. „Erfahrung“ weist nun auf eine Art der Erkenntnis hin; und wie „Erkenntnis“ und „Wissen“ selbst steht das Wort für eine doppelte Tatsache: (a) einen mentalen Zustand und (b) das, worauf sich dieser mentale Zustand bezieht. Somit kann „eine Erfahrung“ wie auch „eine Beobachtung“ entweder für das Beobachten von etwas stehen oder für das, was beobachtet wird. Die Art des mentalen Zustands, auf den durch die Erkenntnis oder das Bewusstsein hingewiesen wird, ist selbst von einer zu einfachen Natur, um eine Definition zu gestatten: Es ist etwas, das leicht als ein und dasselbe erkannt werden kann, in allen Fällen der Erkenntnis existiert und sich von vielen Objekten unterscheidet, von denen es die Erkenntnis ist. Es wird jedoch nicht bestritten, dass Erkenntnisse sich auch von allen anderen Arten von mental Existierendem, wenn es solche gibt, durch die Tatsache unterscheidet, dass sie immer in einer einzigartigen Art von Beziehung zu etwas anderem stehen –€nämlich etwas, von dem sie Erkenntnisse sind; und die Arten der Erkenntnisse werden gewöhnlich durch die Arten der Objekte unterschieden, von denen sie Erkenntnisse sind. Dass sie sich auch untereinander unterscheiden, scheint durch die Tatsache bewiesen zu sein, dass eine Erkenntnis die Ursache einer anderen Erkenntnis sein kann, obwohl das Objekt der ersten die Ursache für etwas ist, das sich vollkommen von dem Objekt der zweiten unterscheidet –€z.€B. im Fall der Assoziation durch Ähnlichkeit. Aber dass es trotzdem keinen Einwand dagegen gibt, die Arten der Erkenntnis durch die Arten ihrer Objekte zu unterscheiden, scheint durch die Tatsache bewiesen zu sein, dass in allen Fällen, in denen wir die Wirkungen einer Erkenntnis kennen, sie durch ein einheitliches Gesetz mit dem Wesen des Objekts dieser Erkenntnis verbunden sind. Es scheint dann, dass, obwohl Erkenntnisse sich durch intrinsische Unterschiede voneinander unterscheiden, diese Unterschiede immer mit einem Unterschied im Wesen ihres Objekts korrespondieren. Und indem wir sie nun gemäß der Natur der Objekte aufteilen, teilen wir sie richtig auf; und kein anderer Weg scheint uns offen zu sein, da es niemand bisher gelungen ist, hervorzuheben, worin der intrinsische Unterschied zwischen einer Erkenntnis und einer anderen liegt. (1) Die erste große Einteilung zwischen Objekten des Bewusstseins findet zwischen jenen, die wahr sind, und jenen, die falsch sind, statt; und „Erfahrung“ ist im Allgemeinen und zu Recht auf die Klasse der Erkenntnisse dessen, was wahr ist, beschränkt: Eine „falsche Erfahrung“ würde im Allgemei-
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nen als ein Widerspruch in sich angesehen werden. Das Wort „Erkenntnis“ selbst wird manchmal auf, wie seine Etymologie vermuten lässt, Bewusstsein dessen beschränkt, was wahr ist, in diesem Fall ist sie ein Äquivalent zu „Wissen“. Aber eine „falsche Erkenntnis“ würde im Allgemeinen nicht wie „eine falsche Erfahrung“ oder „falsches Wissen“ als ein Widerspruch in sich angesehen werden; und da das Wort grammatisch angenehmer ist als „Bewusstsein“, habe ich es oben verwendet und werde es weiter als ein Äquivalent dafür verwenden. „Eine Erfahrung“ ist nun eine wahre Erkenntnis; und es muss bemerkt werden, dass es keinen Beweis gibt, dass eine wahre Erkenntnis sich intrinsisch von einer falschen unterscheidet, da keine der Objekteigenschaften, mit denen die psychologischen Gesetze der Abfolge verbunden zu sein scheinen, generell ein Kennzeichen von Wahrheit ist. So kann eine wahre Erkenntnis ohne Weiteres durch die Gesetze der Assoziation eine falsche verursachen, oder eine falsche Erkenntnis eine wahre, genau wie jede entsprechend eine von ihrer Art hervorrufen kann. Jede Erkenntnis, deren Objekt ist, „dass ein Ding wahr ist“, unterscheidet sich in der Tat intrinsisch von jeder Erkenntnis, deren Objekt ist, „dass ein Ding falsch ist“; aber die Erkenntnisse der Dinge selbst unterscheiden sich nicht derart. In Wahrheit haben wir nun ein Kennzeichen für alle Objekte der Erfahrung, die, soweit bekannt ist, keiner intrinsischen Eigenschaft in den Zuständen des Verstandes entspricht, die ihrer bewusst sind, obwohl jede wahre Proposition sich von einer falschen unterscheidet. (2) Aber nicht alle Erkenntnisse sind wahre Erfahrungen. Die Objekte der Erfahrung fallen alle in die Kategorie der wahren Propositionen über existierende Dinge; und Existenz ist ein Kennzeichen, von dem wir Grund zur Annahme haben, dass ihm etwas im Zustand des Verstands entspricht –€d.€h. Zustände des Verstands, die Kenntnis von existentiellen Wahrheiten haben, unterscheiden sich intrinsisch von jenen, die Kenntnis von jeder anderen Klasse von Wahrheiten haben, obwohl sie sich intrinsisch nicht von jenen unterscheiden, die Kenntnis von falschen existentiellen Propositionen haben. (3) Aber genau dieselben existentiellen Wahrheiten, die wir erfahren, können uns zu einer anderen Zeit durch die Erinnerung bekannt sein, oder zur gleichen Zeit, wenn wir sie erfahren, könnte ein anderer Verstand durch Herleitung oder bloße Vorstellung Kenntnis von ihnen erlangt haben. Was ist es, das unsere Erfahrung von ihnen von der Kenntnis von ihnen unterscheidet,
Im Englischen „cognition“ und „consciousness“ [A.€d.€Ü.].
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die wir mit diesen Namen bezeichnen? Die Unterscheidung, die wir suchen sollten, ist jene, die in Humes Ausdrucksweise „Impressionen“ von „Ideen“ unterscheidet. Er vertrat, dass diese Unterscheidung bloß in der größeren „Lebendigkeit“ der Eindrücke besteht; und es scheint wahr zu sein, dass meistens, wenn wir erfahren, ein Teil dessen, was wir erfahren, mit einer größeren „Lebendigkeit“ als jene erkannt wird, die zu den meisten unserer Erinnerungen und Vorstellungen gehört; sodass die bei Weitem größere Anzahl unserer „lebendigen“ Erkenntnisse Erfahrungen sind. Aber (a) man muss bedenken, dass wir zu jedem Zeitpunkt normaler Erfahrung die Erfahrung einer großen Vielfalt von Objekten machen, und es scheint gewiss zu sein, dass, was immer auch diese „Lebendigkeit“ sein mag, nur eine vergleichsweise geringe Menge aus dieser Vielfalt –€nämlich jene, die nahe am Zentrum der Aufmerksamkeit ist€– mit mehr Lebendigkeit als die meisten Vorstellungen erkannt wird; doch werden alle gewiss erfahren. Und (b) scheint es keinen Grund zu geben, daran zu zweifeln, dass wahre Vorstellungen wie Halluzinationen ein genauso hohes Maß an Lebendigkeit wie jede Erfahrung besitzen können. Daher scheint es keine intrinsische Eigenschaft entweder in einer Erfahrung oder in ihrem Objekt zu geben, die dazu dient, sie von allen Vorstellungen zu unterscheiden. Wir gelangen zu der Schlussfolgerung, dass eine Erfahrung selbst vollkommen ununterscheidbar von einer wahren Vorstellung, Erinnerung oder Herleitung ist und, wenn sie von diesen unterschieden werden soll, kann dies nur durch die Umstände, unter denen sie auftritt, geschehen. Aber die Sprache verlangt gewiss eine solche Unterscheidung; es wird im Allgemeinen empfunden, dass der Ausdruck „Erfahrung“ etwas bezeichnen sollte, das noch nicht einmal in einem einzigen Fall identisch mit dem sein kann, was durch bloße Vorstellung bezeichnet wird: Und folglich müssen wir sagen, dass genau dieselbe Erkenntnis, wenn sie unter gewissen Umständen auftritt, zu Recht eine Erfahrung genannt wird und, wenn sie unter anderen Umständen auftritt, eine bloße Vorstellung. Wenn man so erkannt hat, dass eine Erfahrung nicht nur durch ihre intrinsischen Eigenschaften oder die ihres Objekts definiert wird, sondern auch durch ihre Umstände, ist es einfach, sie von Erinnerung und Herleitung zu unterscheiden. Der einzige Unterschied, der diese von ihr in allen Fällen differenziert, ist einer dieser extrinsischen Art –€nämlich (a) im Fall der Erinnerung, dass sie unter ihren Ursachen eine vorhergegangene Erkenntnis desselben Objekts hat, während ein Objekt nur einmal erfahren werden kann; und (b) im Fall der Herleitung, dass sie unter ihren Ursachen einen mentalen Prozess einer besonderen Art hat, der niemals unter den Ursachen
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einer Erfahrung ist. Des Weiteren ist diese Methode, Erfahrung zu definieren, häufig übernommen worden; von einer Erfahrung ist im Allgemeinen angenommen worden, dass sie sich von anderen Erkenntnissen durch ihren Ursprung oder ihre Begleiterscheinungen unterscheidet. Jedoch ist der Fall gewisser wahrer Vorstellungen noch offen. Welche Art von Umständen werden diese immer von Erfahrungen unterscheiden? 1. Es ist vorgeschlagen worden, Erfahrung als „unmittelbares“ Wissen zu definieren. Dies ist eine negative Definition, die sich auf die Abwesenheit mentaler Ursachen bezieht. Aber es gibt gewiss einige Vorstellungen, deren mentale Ursachen wir nicht kennen. Wir können daher nicht eine bestimmte Klasse mentaler Ursachen benennen, die unter den Ursachen einer Vorstellung unveränderlich gefunden wird und unter den Ursachen einer Erfahrung unveränderlich fehlt; und zu sagen, was wahrscheinlich wahr ist –€nämlich dass Vorstellungen immer eine Art mentaler Ursache haben, die Erfahrungen nicht haben€–, bedeutet nur zu sagen, dass sie durch ihre mentalen Ursachen definiert werden können: Dies bildet selbst nicht diese Definition. Vielleicht kann gesagt werden, dass unter den Ursachen jeder Vorstellung eine vorhergegangene Erfahrung ist; aber selbst wenn dies wahr wäre, ist eine unabhängige Definition der Erfahrung erforderlich, bevor sie selbst als eine Definition der Vorstellung verwendet werden kann. Letztlich sind wir auch nicht berechtigt, zu behaupten, dass Erfahrungen keine mentalen Ursachen haben, weil wir von keinen wissen. Dementsprechend haben wir in einem Sinn, in dem wir berechtigt sind, zu behaupten, dass Erfahrungen unmittelbar sind, außer jenem, der Verursachung durch vorhergegangene Erfahrungen Unmittelbarkeit abspricht, das gleiche Recht, eine Vorstellung unmittelbar zu nennen. 2. Es ist vielleicht wahr, dass alle Erfahrungen durch Erkenntnisse von Objekten begleitet werden, die eng verbunden mit ihren eigenen sind –€dass ihre Objekte immer Teile eines gleichzeitig erkannten Kontinuums sind. Aber es ist gewiss, dass einige Vorstellungen, wenn nur ihre Objekte wahr sind, so zu Erfahrungen und Vorstellungen, die gleichzeitig auftreten, in Beziehung stehen können. 3. Es scheint nun, dass die einzige Methode, um eine Erfahrung von einer Vorstellung zu unterscheiden, darin besteht, Vorausgegangenes oder Begleitendes, das nicht mental ist, zu betrachten. Nehmen wir den Fall, in dem dasselbe Objekt gleichzeitig von einem Menschen erfahren und von einem anderen vorgestellt wird. Die gesamten vorausgegangenen und begleitenden Dinge sind dieselben. Wenn sie durch die vorausgegangenen Dinge unter-
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schieden werden, muss dies bedeuten, nicht dass sie verschiedene vorausgegangene Dinge haben, sondern dass der eine zu einigen ihrer gemeinsamen vorausgegangenen Dinge eine Beziehung haben muss, die der andere nicht hat. Diese Beziehung kann auch nicht mit einem unveränderlichen Antezedenz identifiziert werden, da in diesem Fall die Vorstellung und die Erfahrung die entsprechende Beziehung zu unterschiedlichen vorausgegangenen Dingen haben, und folglich kann von keiner Anordnung von vorausgegangenen Dingen gesagt werden, dass sie der Erkenntnis, die in einem Fall eine Erfahrung und in dem anderen eine Vorstellung ist, unveränderlich vorausgehen. Wir müssen dann die Aussage verstehen, dass eine identische Vorstellung und Erfahrung durch die Umstände unterschieden werden, unter denen sie auftreten; dies bedeutet, dass das eine dieselbe Beziehung zu seinen Umständen hat, die das andere zu anderen hat, und dass dies eine Beziehung ist, die keines von ihnen zu allen hat; und diese Beziehung scheint durch die Tatsache ausreichend definiert zu sein, dass man aus den entsprechenden Umständen die zukünftige Existenz einer Erkenntnis herleiten könnte, obwohl man aus der Existenz der Erkenntnis nicht herleiten könnte, welche Anordnung von Umständen ihr vorhergegangen wäre. Wenn wir diese Beziehung „kausal“ nennen, können wir sagen, dass eine Erfahrung sich immer von einer wahren Vorstellung durch das Wesen ihrer physischen Ursachen unterscheidet; und es scheint tatsächlich eine Klasse von Ursachen zu geben, die zu einer exakten Definition fähig sind, und einige ihrer Elemente immer unter den Ursachen einer Erfahrung sind, aber niemals unter jenen einer Vorstellung. Jede unterschiedliche Erfahrung hat in der Tat eine unterschiedliche Ursache; doch die Klasse, der alle derartigen Ursachen angehören, kann folgendermaßen definiert werden: Jedes Ereignis, und folglich jede Erfahrung, hat diese kausale Beziehung zu einer Anordnung von Umständen zu jedem vorausgegangenen Zeitpunkt, und die Anordnung wird größer und größer, je mehr man, ausgehend von dem betroffenen Ereignis, in der Zeit zurückgeht. Unter diesen Anordnungen (von denen jede als eine der Ursachen von einer gegebenen Erfahrung bezeichnet werden kann in einem unterschiedlichen Sinn zu jenen, von denen jedes Element von jedem von ihnen als eine ihrer Ursachen bezeichnet werden kann) wird es immer eine geben, in der das Ding oder Ereignis, dessen Existenz das Objekt der Erfahrung ist, ein Element ist. Andererseits wird bei den Ursachen einer Vorstellung das Ding oder Ereignis, dessen Existenz ihr Objekt ist, niemals derart mit eingeschlossen. Daraus folgt, dass unter den begleitenden Dingen einer Erfahrung es immer einige geben wird, die zu
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ihr die besondere Beziehung haben werden, dass ihre Existenz aus der Existenz der begleitenden Dinge hergeleitet werden kann und dass sie für eine Erfahrung anders sein werden, als sie für eine Vorstellung sein würden; aber mit diesem Unterschied ist es nicht möglich, eine Definition zu erhalten, die zugleich allgemein und genau ist, da die Bedingung, die solch eine Definition im Fall der begleitenden Dinge möglich macht –€nämlich die Identität zwischen einem Teil des Objekts der Erfahrung und einem Teil einer ihrer Ursachen€–, nicht für ihre begleitenden Dinge gilt. Es muss beachtet werden, dass in Fällen, in denen das Objekt der Erfahrung die Existenz von etwas Mentalem darstellt –€d.€h. in dem Fall, der „Erfahrungen des inneren Sinns“ genannt worden ist€–, die Ursachen, durch die sie als eine Erfahrung charakterisiert wird, gemäß der Hypothese etwas Mentales mit einschließen wird. Aber es kann nützlich sein, zu beachten, dass in diesem Fall eine alternative Definition abstrakt möglich ist, wenn, wie wahrscheinlich scheint, jede Art von mentalem Vorkommnis zugleich eine besondere Art von physischem Ereignis unveränderlich begleitet und von diesem unveränderlich begleitet wird –€nämlich dass jede Erkenntnis eines mentalen Vorkommnisses, bei deren Ursachen das physische Ereignis mit eingeschlossen ist, das zu diesem Vorkommnis eine derartige Beziehung hat, eine Erfahrung ist. (4) Indem man so den Unterschied zwischen der Erfahrung und allen anderen Arten, dasselbe Objekt zu erkennen, definiert hat, muss noch etwas mehr hinsichtlich der Arten von Objekten gesagt werden, von denen zu Recht gesagt wird, dass sie erfahren werden. Es ist oben dargelegt worden, dass alle derartigen Objekte wahre und existentielle Propositionen sein müssen. (i) Aus der ersten dieser Bedingungen folgt, dass jedes Objekt der Erfahrung komplex sein muss. Dass dies so ist, wird von allen Philosophen impliziert, die vertreten, wie alle es tun, dass Folgerungen aus dem Gegenstand der Erfahrung gezogen werden können; aber es könnte angenommen werden, dass dies mit der äußerst verbreiteten Theorie in Widerspruch steht, dass Empfindungen und Sinneseindrücke Erfahrungen sind. Von „Empfindungen“ wird häufig so gesprochen, als ob sie oder ihre Objekte einfach sein könnten; sie werden derart angesehen, dass sie Elemente des Wissens sind oder diese liefern. Jedoch scheint diese Schwierigkeit nur der Tatsache geschuldet zu sein, dass „Empfindung“ im Allgemeinen verwendet wird, um zwei völlig unterschiedliche Formen der Erkenntnis zu bezeichnen, die normalerweise nicht deutlich voneinander unterschieden werden. Die eigentliche und übliche Bedeutung von „Empfindung“ ist jene, die eine Erkenntnis der Existenz einer einfachen Eigenschaft bezeichnet; ein Sinn, in dem
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„Empfindungen“ Erfahrungen sind. Aber es wird im Allgemeinen angenommen, dass dies mit der Erkenntnis einer einfachen Qualität, eine Form der Erkenntnis, identisch ist, was zweifelsfrei möglich ist, aber was keineswegs so wichtig ist. (ii) Einigen mag es merkwürdig erscheinen, dass das Objekt der Erfahrung eine Proposition genannt werden sollte. Doch solch ein Objekt kann zweifelsohne „die Existenz von diesem oder jenem Ding“ sein, und es scheint unmöglich, die Erkenntnis von diesem von der Erkenntnis zu unterscheiden, „dass dieses oder jenes Ding existiert“. Das Objekt der Erfahrung ist darüber hinaus zweifelsfrei wahr und gestattet, dass aus ihm gültige Folgerungen gezogen werden; beide Eigenschaften scheinen charakteristisch für Propositionen zu sein. (iii) Welche Typen von Propositionen zu Recht unter die Bezeichnung „Propositionen über existierende Dinge“, und somit als Objekte der Erfahrung, eingeordnet werden können, ist eine schwierigere Frage. Im Alltag schließen wir bei den Objekten, von denen wir sagen, dass wir sie erfahren, zweifelsohne Abfolgen und Koexistenzen mit ein; und der Gebrauch der Philosophen scheint im Allgemeinen mit diesem Gebrauch des Begriffs übereinzustimmen. Von uns könnte z.€B. gesagt werden, dass wir die Bewegung eines farbigen Punktes erfahren. Es scheint nun, dass diese Proposition in folgender Form richtig interpretiert würde: „Diese oder jene existierenden Dinge, die diese oder jene räumliche Position zu diesem oder jenem Zeitpunkt haben, sind voneinander durch diese oder jene räumliche Entfernung und diese oder jene zeitliche Entfernung getrennt.“ Aber dies ist, streng genommen, keine existentielle Proposition, noch kann ihre Bedeutung jemals durch irgendeine Anzahl von solchen erschöpfend behandelt werden; sie stellt nicht die Existenz von etwas fest: Sie stellt fest, dass zwei oder mehr existierende Dinge gewisse Beziehungen haben. Sie ist höchstens zur Analyse fähig, ob „die Position im Raum, nun durch dieses eingenommen, diese oder jene räumliche Entfernung zu der Position hat, die vorher von jenem eingenommen worden ist“ und ob „die Position in der Zeit, die durch dieses hier eingenommen wird, diese oder jene zeitliche Entfernung von der Position hat, die von jenem dort eingenommen worden ist“. Aber damit solche Propositionen Objekte der Erfahrung sein können, muss eine zweifache Modifikation an unserer Definition vorgenommen werden. (a) Wir müssen die Definition der „existentiellen Propositionen“ erweitern, um die Feststellung einer Beziehung zwischen Existierenden mit einzuschließen, deren Existenz das Objekt der Erfahrung sein kann. Durch solch eine Einbeziehung von
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Beziehungen zwischen Existierenden wird die Wahrnehmung von der „Empfindung“ unterschieden; und Wahrnehmungen werden im Allgemeinen als Erfahrungen angesehen. (b) Wir müssen ebenso gestatten, dass die Existenz einer Position im Raum oder in der Zeit ein Objekt der Erfahrung sein kann. Doch es würde paradox sein, zu behaupten, dass Positionen im Raum oder in der Zeit Ursachen für irgendetwas sein könnten. Daher müssen wir die Definition der Erfahrung erweitern, indem wir hinzufügen, dass die Existenz eines Dings, das selbst nicht unter den Ursachen einer Erfahrung ist, doch wenn es in die Proposition mit eingeschlossen wird, aus der die Wirkung gefolgert werden kann, ein Objekt der Erfahrung sein kann. Diese Erweiterung unserer Definition wird gewiss gestatten, die Existenz von Positionen im Raum und in der Zeit bei den Objekten der Erfahrung mit einzuordnen. Denn jede kausale Herleitung reicht von der Tatsache, dass ein Ding zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort existiert, bis zu der Tatsache, dass etwas anderes zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort existieren wird. Obwohl wir daher im normalen Sprachgebrauch den Begriff Ursache auf das Ding, das so existiert, beschränken, besteht doch die notwendige Verbindung, die in dem Begriff beinhaltet ist, nicht zwischen ihrer Existenz und der ihrer Wirkung, sondern zwischen beider Existenz an ihren entsprechenden Positionen in Zeit und Raum. Dieselbe Erweiterung unserer Definition wird uns jedoch auch gestatten, bei Erfahrungen Erkenntnisse mit einzuschließen, dass diese oder jene Eigenschaft existiert ohne Spezifizierungen von Zeit und Ort. Wir sehen nun, dass eine empirische Proposition entweder (a) wirklich die Existenz eines oder mehrerer Mitglieder einer der folgenden Klassen der Entität feststellen muss –€Klassen, von der keine mit irgendeiner anderen oder der Summe von anderen identisch ist€–: nämlich (α) dieses Hier jetzt, (β) dieses Jetzt, (γ) dieses Hier, (δ) dieses, (ε) dieser Ort jetzt, (ζ) dieser Ort, (η) diese Zeit; oder aber (b) eine Beziehung zwischen einigen Mitgliedern nicht von diesen Klassen feststellen muss, sondern von neuen Klassen, die in jedem Fall durch alle existierenden Mitglieder von jeder von ihnen gebildet werden; oder schließlich (c) etwas gemeinsam von einigen Mitgliedern der zuletzt definierten Klassen feststellen muss. Die Klassen (b) und (c) sind vielleicht auf die folgende Weise klarer definiert –€nämlich dass nur jene unter den relationalen und kollektiven Propositionen Objekte der Erfahrung oder empirisch sein können, in denen die in Beziehungen stehenden oder gruppierten Begriffe Propositionen der Klasse (a) voraussetzen. (5) In der oben genannten Art (3) muss eine Erfahrung definiert sein, wenn sie von jedem Fall wahrer Vorstellung unterschieden werden soll. Es
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muss jedoch gesehen werden, dass die Verwendung des Worts im Allgemeinen erweitert wird, um Fälle der Vorstellung mit einzuschließen, die Erfahrungen in einer Hinsicht ähneln, die nur mit Hilfe der obigen Definition definiert werden können. Zum Beispiel wenn wir sehen, dass dieser Tisch aus Holz ist, würde dies im Allgemeinen als ein Fall der Erfahrung bezeichnet werden, obwohl ein Teil der Eigenschaften, die wir mit „aus Holz“ meinen, gewiss nicht unter den Objekten irgendeiner Erkenntnis ist, die die Wirkung des Tisches auf unsere Augen verursacht hat. In einem derartigen Fall muss gestattet werden, dass unser Wissen über die Existenz dieser Eigenschaften, die eine gewisse räumliche Beziehung zu jenen haben, die unter den Objekten des Anblicks sind, eine bloße Vorstellung ist, da es seine Objekte nicht unter den Ursachen hat; aber wir nennen es eine Erfahrung, weil sein Objekt existiert gleichzeitig mit dem Objekt einer Erfahrung, das gleichzeitig mit ihm existiert. Wenn daher eine Vorstellung einer gleichzeitigen Erfahrung ähnelt, indem sie dieselbe zeitliche Beziehung zu dem Objekt hat, ordnen wir sie im Allgemeinen als eine Erfahrung der Klasse (a) ein; und Erkenntnisse, an denen sie auf dieselbe Weise beteiligt ist, wie wahre Erfahrungen der Klasse (a) an Erkenntnissen der Klasse (b) und (c) beteiligt sind, können auch wahre Erfahrungen genannt werden. II. Nachdem wir so für „Erfahrung“ eine präzise Bedeutung erkannt haben, können wir jetzt fragen, in welchen Sinn, falls es überhaupt einen gibt, Empirismus definiert werden kann, dass er impliziert, dass „Erfahrung der Ursprung all unseres Wissens ist“. Als Erstes ist es offensichtlich, dass es nicht bedeuten kann, dass Erfahrung ihre eigene Herkunft ist; und dass wir daher unter „all unser Wissen“ alles verstehen müssen, was nicht selbst Erfahrung ist. Aber in Bezug auf den Teil unseres Wissens, der nicht selbst Erfahrung ist, ist es gewiss, dass (i) nicht jeder Empirist die Tatsache bestreiten muss, oder die Verneinung implizieren, dass das Gehirn mit der Erfahrung kooperiert, um zu bestimmen, welche Herleitungen, Vorstellungen und Erinnerungen wir haben werden, genauso wie es mit dem Objekt zusammenarbeitet, um zu bestimmen, welche Erfahrungen wir haben werden. Es ist nun für den Empirismus nicht essentiell, zu vertreten, dass Erfahrung die alleinige Ursache allen Wissens außer ihr selbst ist. Und (ii) wenn unsere Definition bloß besagt, dass Erfahrung eine der Ursachen all solchen Wissens ist, dann wird dies nicht bestritten, sondern stetig impliziert von vielen Philosophen, die keine Empiristen sind: z.€B. wenn gestattet wird, dass Erfahrung als eine Veranlassung für das Wissen einer notwendigen Wahrheit notwendig ist.
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Es bleibt nun noch zu fragen, in welchem Sinn, wenn überhaupt, diese Definition gilt, angenommen dass mit „Ursprung“ „Prämisse“ gemeint ist und mit „Erfahrung“ und „Wissen“ nicht unsere mentalen Zustände, sondern die Wahrheiten, von denen sie Kenntnis haben. Wenn sie in diesem Sinn verstanden wird, muss die Definition bedeuten, dass Erfahrung die alleinige Prämisse für jede Wahrheit ist, die wir kennen und die nicht selbst erfahren worden ist. Aber diese Theorie kann nicht, wie wir oben gesagt haben, Empiristen von Kant und von post-kantischen, nicht-empiristischen Philosophen unterscheiden; da sie auch implizieren, dass wir kein Anrecht haben, die Wahrheit einer Proposition festzustellen, die nicht in der Erfahrung beinhaltet ist. Es scheint nun, dass keine Implikation in Bezug auf die Position der Erfahrungen als Ursachen oder als Prämissen all unseres Wissens ausreichen wird, um Empirismus zu definieren. Doch impliziert Empirismus zweifelsfrei die Zuschreibung einer Art von Vorrangstellung der Erfahrung hinsichtlich der Wahrheit. Es scheint nur einen Weg zu geben, wie dies geschehen kann –€nämlich indem impliziert wird, dass alle Wahrheiten, die wir kennen, als Objekte der Erfahrung von derselben Art sind. Aus diesem Prinzip würde folgen, dass in einem Sinn die tatsächliche Erfahrung der alleinige Test für all unser Wissen wäre, da es wahr wäre, dass wir nichts wissen könnten außer das, was erfahren werden könnte, und dass demzufolge jedes Stück Wissen durch eine mögliche Beobachtung oder ein Experiment widerlegt werden könnte. Andererseits ist es charakteristisch für nicht-empiristische Philosophen, zu vertreten, dass wir einige Wissensteile besitzen, die keine mögliche Erfahrung widerlegen kann, obwohl fast alle genügen, um sie zu beweisen. Es würde zweifelsohne wahr bleiben, dass der Empirist implizieren muss, dass wir Wissensteile haben, die niemals durch tatsächliche Erfahrung geprüft werden und die es (menschlich gesehen) auch nicht können –€z.€B. dass der Mond kugelförmig ist. Aber genau diese Tatsache hilft uns zu erklären, warum von der Theorie, dass „Erfahrung der Ursprung all unseres Wissens ist“, im Allgemeinen angenommen worden ist, dass sie Empirismus definiert. Denn diese Theorie gibt durch genau diese Begriffe zu, dass wir mehr wissen, als wir tatsächlich erfahren, und zeigt doch zugleich den Wunsch, zu behaupten, dass Erfahrung gewisser ist, wahrhaftigeres Wissen ist, als alles andere, was wir wissen. Diese Inkonsistenz kann äußerst selbstverständlich aufgrund der Tatsache angenommen werden, dass das, was von derselben Art wie ein Objekt der Erfahrung ist, genau das ist, was (in einem Sinn) erfahren werden kann, obwohl es tatsächlich niemals (in einem anderen Sinn) erfahren werden kann.
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Es scheint nun genügend Grund zu geben, die Implikation, „dass wir nichts wissen können außer das, was wir erfahren konnten, d.€h. was von derselben Art wie das ist, was wir erfahren“, zu verwenden, um Empirismus zu definieren, und dies entspricht, wenn unsere Definition der Erfahrung richtig gewesen ist, genau der Definition –€dass Empirismus durch die wiederholte Implikation unterschieden wird, dass alle bekannten Wahrheiten Wahrheiten über das sind, was zu einem oder mehr Zeitpunkten existiert. Und die Richtigkeit der Definition wird weiter durch die Tatsache bestätigt, dass die allgemeinsten und offensichtlichsten Eigenschaften der empiristischen Systeme aus dieser Voraussetzung selbstverständlich zu folgen scheinen. (1) So sind Empiristen immer durch ihre Behandlung von so genannten notwendigen Wahrheiten charakterisiert, wovon die Wahrheiten der Arithmetik ein extremes Beispiel sind. Diese Wahrheiten sind keine existentiellen Wahrheiten, und folglich sehen wir, dass Empiristen dazu neigen, entweder (a)€ihre Wahrheit zuzugeben, aber sie als analytisch oder unbedeutend zu interpretieren, oder (b) sie als allgemeingültig zu interpretieren und zu bestreiten, dass wir von ihnen wissen können. Durch den ersten Kunstgriff ist es ihnen möglich, zu vertreten, dass solche Wahrheiten bloße Teile dessen sind, was wir erfahren, aber dadurch nicht widerlegt werden können. Auf der anderen Seite ist der Kunstgriff, alle derartigen Wahrheiten als allgemeingültig zu interpretieren, einem Versuch geschuldet, sie den existentiellen Wahrheiten der Form, „alle diese Dinge haben diesen Charakter“, anzugleichen und sie somit zu möglichen Objekten des Wissens zu machen. Und die Verneinung, dass wir sie kennen können, ist der Tatsache geschuldet, dass sie ein begrenzender Fall sind, in dem es unmöglich ist, die Unvereinbarkeit des möglichen Wissens in dem einen Sinn mit dem in dem anderen nicht zu erkennen. Es scheint offensichtlich absurd zu sein, zu behaupten, dass wir jeden Fall einer gegebenen Klasse beobachten können; während es nicht offensichtlich ist, dass dieselbe Absurdität, falls es eine Absurdität ist, in der Behauptung beinhaltet ist, dass wir einige Fälle beobachten können, die wir nicht beobachten. Der Empirist erkennt nicht den Unterschied zwischen den Feststellungen „alle diese Dinge haben diesen Charakter“ und „so viele Dinge dieser Klasse haben diesen Charakter“. Wenn er sagt, „alle Dinge dieser Klasse innerhalb der Grenzen der Beobachtung haben diesen Charakter“, kann er noch annehmen, dass er eine empirische Proposition aufstellt, eine Proposition in Erweiterung, weil er meint, eine Behauptung nicht über die ganze Klasse zu machen, sondern über einen Teil einer Klasse. Seine Behauptung, dass wir nur generelle und mögliche, keine allgemeingültigen und notwen-
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digen Propositionen kennen können, scheint nun der Tatsache geschuldet zu sein, dass er auf alle Wahrheiten den Konformitätstest hinsichtlich des Typs des Objekts der Erfahrung anwendet und nur jene als gewiss wahr annimmt, die ihm so erscheinen, dass sie eine solche Konformität haben, weil er diesen Test mit dem Test der tatsächlichen Erfahrung verwechselt. (2) Ein zweites Charakteristikum der Empiristen, das auch selbstverständlich aus dieser Voraussetzung zu folgen scheint, ist die Neigung, alle Folgerungen als entweder analytisch oder kausal anzusehen. Die Ansicht, dass es analytisch ist, passt zu ihrer Voraussetzung auf dieselbe Weise wie die Ansicht, dass notwendige Wahrheiten analytisch sind, und das Charakteristikum der kausalen Folgerung besteht darin, dass es eine Folgerung aus der Existenz von einem Ding auf die Existenz eines anderen ist.
Kapitel 9 McTaggarts Ethik Erstveröffentlichung in International Journal of Ethics 13 (April 1903): 341–370.
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as Thema dieses Aufsatzes sind die allgemeinen ethischen Prinzipien, die in McTaggarts letztem Buch mit dem Titel Studies in Hegelian Â�Cosmology vertreten werden. Vier Kapitel dieses Buches sind ethischen Themen gewidmet; und alle beinhalten gewiss wertvolle Beiträge zu dem Thema, das sie behandeln. Doch drei von ihnen, jene über Bestrafung, Sünde und den Begriff der Gesellschaft als ein Organismus, kann ich aus Platzgründen nicht besprechen. Das Kapitel „The Supreme Good and the Moral Â�Criterion“ (Das höchste Gut und das moralische Kriterium) zeigt uns McTaggarts grundlegende Prinzipien; und dieses Kapitel liefert selbst genug Material, um ungeteilte Aufmerksamkeit zu verdienen. Von den fünf metaphysischen Kapiteln, die den größeren Teil des Buches bilden, genügt es hier zu sagen, dass ihr Hauptinhalt ein sehr ausgearbeitetes und eigenständiges Argument zugunsten der ungewöhnlich bestimmten Schlussfolgerung darstellt, dass das Universum ausschließlich aus einer Menge endlicher Personen, uns eingeschlossen, besteht, die zeitlos existieren und deren Bewusstsein allein mit Zuneigung zueinander beschäftigt ist. Es war notwendig, die Schlussfolgerung zu benennen, weil McTaggarts zwei grundlegende Prinzipien in den Behauptungen enthalten sind: (1) Dass dieser Zustand, den McTaggart als einzige Realität ansieht, auch das höchste Gut ist und (2) dass die besten Mittel, um zu entscheiden, welcher Handlungsverlauf richtig ist, um von uns verfolgt zu werden, in der Mehrzahl der Fälle darin besteht, zu betrachten, welcher Verlauf das Überwiegen der Freude über den Schmerz „unmittelbar oder in vergleichweise naher Zukunft“ bringen wird, „den wir mit angemessener Gewissheit vorhersagen können“ (S.€99).
Von John McTaggart Ellis McTaggart, M.€A., Fellow und Dozent des Trinity College in Cambridge. Cambridge: At the University Press, 1901. [Die im Text angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf diese englische Originalausgabe. A.€d.€Ü.]
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Es sollte nun zuerst erkannt werden, dass diese beiden Propositionen so verbunden sind, dass, wenn die eine wahr ist, die andere falsch sein muss. Dies folgt aus McTaggarts metaphysischer Folgerung, dass die einzige Realität zeitlos ist. Denn zu sagen, dass ein Handlungsverlauf besser als ein anderer ist, bedeutet, zu implizieren, dass er entweder selbst ein wirkliches Gut ist oder verursacht, dass es existiert, das sonst außer aufgrund des Handlungsverlaufs nicht existiert hätte. Aber gewiss können unsere Handlungen weder selbst etwas sein noch etwas produzieren außer der Existenz von etwas in der Zeit. Dementsprechend können, wenn das, was zeitlos existiert, die einzige Realität ist, weder unsere Handlungen noch das, was sie produzieren, real sein; und die nichtreale Existenz von einem Ding eher als von einem anderen, selbst wenn es eine Bedeutung hat, kann keinen Wert haben. McTaggart verdeckt vielleicht diesen Widerspruch durch die Tatsache, dass er, indem er dem üblichen Gebrauch folgt, von dem Ding, das real ist oder existiert, als das Gut, das erreicht werden soll, spricht und nicht von dessen Existenz oder Realität, während er es gewiss als möglich erachtet, dass ein und dasselbe Ding zugleich zeitlos und in der Zeit existieren kann. Aber ich denke, es ist offensichtlich, dass das, was wir als gut erachten, immer darin besteht, dass ein Ding einer gewissen Art real sein oder existieren sollte; und es ist gewiss nur die Existenz gewisser Dinge in der Zeit, nicht diese Dinge, wie sie ohne Existenz oder in ihrer zeitlosen Existenz sind, die entweder unsere Handlungen darstellen oder bewirken. Dieser Punkt könnte vielleicht besonders deutlich werden mit Bezug auf die andere Form, in der McTaggart seine Lehre ausdrückt, dass das, was zeitlos existiert, auch in der Zeit existiert –€nämlich dass es sich selbst in der Zeit „manifestiert“. Denn es sind gewiss nur die Manifestationen als solche, die unsere Handlungen bewirken können; und ich behaupte, dass keine Manifestation besser als eine andere oder überhaupt gut sein kann, da keine, da sie von der Realität, von der sie eine Manifestation ist, unterschieden wird, irgendeine Realität hat. Und selbst wenn das Prinzip, dass ein Ding real sein muss, um gut zu sein, nicht ausreichend schlüssig ist, wird der Widerspruch dennoch aus der Tatsache hervorgehen, dass McTaggart das höchste Gut im Sinne des einzigen oder vollständigen Guten verwendet. Denn wenn die zeitlose Realität in sich selbst das einzig Gute ist, so folgt, dass die Tatsache, dass sie auch eher eine Manifestation als eine andere hat oder überhaupt eine Manifestation (selbst wenn diese Annahmen sich selbst nicht widersprechen), nicht gut sein kann. Jedoch besteht dieser Widerspruch nur zwischen McTaggarts Metaphysik und seiner Ethik; und es kann sein, dass es seine Metaphysik ist, die
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falsch ist. Es ist nur die metaphysische Feststellung, dass das einzig Gute zeitlos existiert, die keine Möglichkeit lässt, dass die Existenz von etwas in der Zeit irgendetwas Gutes sein könnte. McTaggarts ethische Feststellung über das höchste Gut, nämlich dass es in der Existenz dessen bestehen würde, von dem er tatsächlich vertritt, dass es das einzige Existierende ist, könnte dennoch wahr sein, ob es existiert oder nicht; und sie ist zumindest vereinbar mit seinem zweiten ethischen Prinzip über das Wesen des moralischen Kriteriums. Wir müssen nun die ethische Feststellung betrachten, dass die Existenz einer Menge von Personen, die einander vollkommen zugeneigt sind, vollkommen gut sein würde und dass nichts anderes gut sein kann. Und es mag sofort wieder angemerkt werden, dass, wenn dies wahr ist, keine Handlung richtig oder falsch sein kann, außer wenn sie dazu neigt, die Existenz solcher Zustände herzustellen oder zu verhindern. Nichts, das geschieht, bis dieser Zustand vollkommen realisiert ist, kann selbst gut sein; es kann nur einen Wert als ein Mittel für solch eine vollkommene Realisierung haben. Als ein derartiges Mittel könnte es tatsächlich Wert haben; und daher ist Â�McTaggarts zweites ethisches Prinzip mit seinem ersten vereinbar. Aber McTaggarts Ansicht dessen, was tatsächlich unsere Handlungen richtig macht, ist damit nicht vereinbar. Denn er vertritt, dass wir nicht sagen können, ob ein Handlungsverlauf eher als ein anderer dazu neigt, „die letztendlich vollkommene Realisierung des vollkommen Guten voranzubringen oder zu verzögern“ (S.€98–99); während wir sagen können, dass ein Handlungsverlauf besser als ein anderer ist; und dies ist so, wenn er in der oben definierten nahen Zukunft „den Zustand hervorbringt, der so nah wie möglich dieser Perfektion entspricht“ (S.€99). McTaggart vertritt nun, dass die unmittelbare Realisierung von etwas, das mehr oder weniger dem gleicht, was er als das einzige Gute feststellt, in sich selbst gut ist; und wenn dies wahr ist, folgt, dass das, was er als das einzige Gute feststellt, nicht das einzige Gute ist. Dementsprechend zwingt uns das grundlegende Prinzip McTaggarts praktischer Ethik, dass nämlich eine Handlung besser als eine andere ist, wenn sie in einer nahen Zukunft den Zustand, der so nah wie möglich der Perfektion entspricht, hervorbringt, (1) seine beiden metaphysischen Lehren, (a)€dass nur das Absolute real ist und (b) dass nur das Absolute gut ist, und (2) seine ethische Lehre, dass nur die letztendliche Realisierung des Absoluten gut sein würde, zu bestreiten. Jedoch haben wir noch die ethische Feststellung, dass der beschriebene Zustand in einem Sinn, der nicht bestreitet, dass andere
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Dinge auch gut sind, vollkommen gut wäre, aber andererseits das Korollar impliziert, dass sie mehr oder weniger gut sind gemäß dessen, wie sie ihm mehr oder weniger ähneln. In dieser Feststellung haben wir das grundlegende Prinzip der Ethik McTaggarts –€seine Lehre des höchsten Gutes€–; und es ist keine Feststellung, bei der von uns erwartet werden kann, dass wir sie ohne Argument akzeptieren. Noch verlangt McTaggart von uns, sie so zu akzeptieren. Er verspricht uns Gründe für sie zu geben. Aber während die Feststellung selbst nur zweifelhaft ist, zeigen die Gründe, die er anführt, die größte Verwirrung hinsichtlich der wesentlichsten Punkte für ein ethisches Denken. Es ist zunächst bemerkenswert, dass McTaggart annehmen sollte, dass solch eine Proposition in drei Sätzen bewiesen werden kann. Aber wenn wir den angenommenen Beweis untersuchen, erkennen wir noch weitere Gründe für eine Verwunderung. Der Beweis gestaltet sich wie folgt: „In der so definierten Realität wird jedes bewusste Wesen –€und es gibt keine anderen€– seine Individualität in einem Ziel ausdrücken, das sie wahrlich und angemessen ausdrückt. Die Erfüllung eines solchen Ziels würde eine Befriedigung geben, die nicht partiell und zeitlich ist, sondern vollkommen und ewig. Und da jedes Individuum erkennt, dass das gesamte Universum mit seinem Ziel übereinstimmt, wird zwangsläufig folgen, dass das Ziel erfüllt ist.“ (S.€96). McTaggart behauptet nun, dass das Absolute vollkommen gut sein muss, weil es jedem Wesen in ihm vollständige Befriedigung geben würde. Das bedeutet, er nimmt als sein grundlegendes Prinzip an, dass ein Universum, das allen Wesen in ihm vollständige Befriedigung geben würde (egal womit sie befriedigt sind), vollkommen gut sein würde. Dieses Prinzip scheint weit davon entfernt, selbstverständlich zu sein; und des Weiteren widerspricht es direkt dem, was in dem Prinzip impliziert ist, was es beweisen soll, dass nämlich das Absolute besser als jedes andere vorstellbare Universum ist. Wir sind nun natürlich veranlasst, zu fragen, welche Überlegungen McTaggart dazu gebracht haben, mit so einem außergewöhnlichen Stück logischen Denkens zufrieden zu sein; und Hinweise fehlen nicht. (1) Die natürliche Bedeutung des Arguments würde sein, dass die vollständige Befriedigung selbst das einzige Gute wäre; da, wenn wir sagen, dass ein Ding gut ist, weil es eine gewisse Eigenschaft hat, wir im Allgemeinen bloß meinen, dass es, da es diese Eigenschaft beinhaltet, etwas beinhaltet, dass einen intrinsischen Wert besitzt. Es ist natürlich möglich, dass alle Dinge, die eine gewisse Eigenschaft beinhalten, als Ganze selbst gut sind;
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aber wenn dies gemeint ist, ist es ein Fehler zu sagen, dass sie allein gut sind, weil sie diese Eigenschaft besitzen. Es wird dann wahr, zu sagen, dass sie nicht gut sein würden, wenn sie sie nicht besäßen; aber aus demselben Grund wird es auch wahr, zu sagen, dass sie nicht gut sein würden, wenn sie nicht auch ihre anderen Konstituenten besäßen: Da in beiden Fällen das Urteil auf der Tatsache beruht, dass es das Ding als ein Ganzes ist, das gut ist, und dass es nicht das Ganze, das es ist, sein würde, wenn es nicht alle Teile hätte, die es hat. Nun ist offensichtlich, dass McTaggart uns zu verstehen geben möchte, dass sein Absolutes als ein Ganzes gut ist: Er fährt unmittelbar fort: „Das höchste Gut ist nicht Freude als solches, sondern dieser besondere angenehme Zustand“ (S.€96), und später sehen wir, das er eine Sprache benutzt, die impliziert, dass es nicht nur gut ist, weil es vollkommene Befriedigung enthält, sondern auch weil die Ideale, die es befriedigt, vollkommen sind (S.€119). Da dies der Fall ist, ist es zumindest irreführend, hier zu behaupten, dass es gut ist, weil es vollkommene Befriedigung enthält; obwohl ein solcher Ausdruck entschuldigt werden könnte, wenn es eine selbstverständliche Wahrheit wäre, dass alle Universen, die vollkommene Befriedigung enthielten, gleichermaßen gut wären und dass alle gute Universen diese und keine anderen Eigenschaften gemeinsam hätten. Aber es wird unentschuldbar, wenn wir annehmen, dass McTaggart uns zu verstehen geben möchte, dass das Absolute besser ist als jedes andere vorstellbare Universum: Wenn von zwei Ganzen, die ein gemeinsames Element enthalten, eines besser als das andere ist, ist es offensichtlich absurd, zu behaupten, dass das erstere all seine Güte der Tatsache schuldet, dass es das Element besitzt, das auch das letztere besitzt. Wir sind daher, denke ich, berechtigt, anzunehmen, dass McTaggart durch die Idee beeinflusst war, dass vollkommene Befriedigung selbst das einzige Gute ist; umso mehr, da er an anderer Stelle ausdrücklich sagt, dass „es nur hinsichtlich des Elements des Gefühls in ihm ist, dass von einem Zustand angenommen wird, dass er einen intrinsischen Wert hat“ (S.€261). McTaggart ist sich offenbar nicht bewusst, dass dies mit der Lehre unvereinbar ist, dass das Absolute besser ist als jedes andere vorstellbare Universum, das dasselbe Element des Gefühls beinhalten könnte, weil die Ideale, die in ihm realisiert sind, auch vollkommen sind. (2) Aber es gibt Grund zur Annahme, dass McTaggart auch durch eine andere grundlegende Verwechslung hinsichtlich der Prinzipien des ethischen Denkens beeinflusst ist. Es ist möglich, dass er will, wenn er sagt, das Absolute sei vollkommen gut, weil es vollkommene Befriedigung geben würde,
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dass das Argument von uns vervollständigt wird, indem „und weil nichts anderes es könnte“ hinzugefügt wird. Der Sprachgebrauch scheint zu gestatten, plausibel zu behaupten: Da vollkommene Befriedigung für Perfektion notwendig ist, muss das einzige Ding, das sie geben kann, besser sein als alles, was dies nicht tun würde. Und McTaggart beruft sich tatsächlich auf diesen Grund für ein Prinzip, das er in Kapitel IX besonders hervorhebt und das, streng genommen, in Widerspruch zu dem Argument steht, das wir nun betrachten. In Kapitel IX wird uns gesagt, dass es nicht die Befriedigung aller Wünsche ist, sondern nur derjenigen, die „grundlegende Forderungen und Aspirationen unserer Natur sind“ (S.€259 und 266), dies ist für die Vervollkommnung des Universums notwendig. Nun ist es offensichtlich, dass hier McTaggart wieder seinem Prinzip widerspricht, dass alle Universen, die allen Wesen in ihnen vollkommene Befriedigung geben, vollkommen und gleichermaßen gut wären, und die Annahme, dass ein Universum, das eine Art von Wünschen vollkommen befriedigt, besser als eines wäre, das andere befriedigt. Aber anstatt anzunehmen, dass die Befriedigung einiger Wünsche besser ist als die von anderen, weil die Ersteren auf vollkommenere Ideale gerichtet sind, scheint er zu vermuten, dass es besser ist, weil sie grundlegender sind. Er versucht auch nicht zu beweisen (was äußerst schwierig sein würde), dass alle Wünsche von dem, was gut ist, tatsächlich grundlegend (was immer dies auch bedeuten mag) sind und dass alle grundlegenden Wünsche tatsächlich Wünsche von dem sind, was gut ist. Aber er behauptet, dass der Grund, warum die grundlegenden Wünsche bevorzugt werden sollen, darin besteht, dass „ihre Realisierung für eine permanente Harmonie wesentlich ist“ (S.€266); oder anders gesagt, weil wir mit den Objekten von anderen nicht vollständig und permanent befriedigt werden könnten (S.€259). Es scheint nun, dass McTaggart durch das plausible Argument beeinflusst ist, dass das einzige Ding, das vollkommene Befriedigung geben könnte, daher besser als alles andere ist. Und doch ist dieses Argument bloß ein Fall genau des Irrtums, gegen den er an anderer Stelle in sehr eindringlicher Weise zu Recht protestiert hat (S.€96, 266) –€eine direkte Folgerung vom „Sein“ zum „Sollen“! Da das Wesen des Universums derart ist, dass nur gewisse Arten von Dingen vollkommene Befriedigung geben können, sind wir „daher“ berechtigt, zu sagen, dass es besser ist als andere, in denen ein anderes Naturgesetz uns gestatten würde, mit anderen Arten von Dingen vollkommen befriedigt zu sein! Wir können genauso gut sagen, dass, weil in dieser Welt gewisse Übel die einzigen Mittel sind, um gewisse Güter zu erlangen, daher ist diese Welt besser als alle anderen, in denen dasselbe Gut
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ohne die Hilfe von irgendeinem Übel erlangt werden könnte! Es ist natürlich als ein Mittel besser, dass wir die größten Übel durchleben sollten, wenn der Aufbau des Universums so schlecht ist, dass wir durch diese Mittel ein größeres Gut erhalten können als durch andere: Aber es kann nur als ein Mittel besser sein. Und gleichermaßen kann die empirische Wahrheit (und es kann nicht mehr als das sein), dass nur gewisse Wünsche dauerhaft befriedigt werden können, ein Grund dafür sein, die Befriedigung jener Wünsche als das Beste anzusehen, das wir erreichen können; aber es kann kein Grund sein, ein Universum, in dem nur jene Wünsche dauerhaft befriedigt werden, daher als unvergleichlich gut anzusehen. (3) Aber schließlich müssen wir bedenken, dass McTaggart auch durch einen dritten Fehler beeinflusst worden ist. Seine Worte können so interpretiert werden, dass sie nicht bedeuten, dass, da das Absolute uns vollkommene Befriedigung geben würde, es daher auch unvergleichlich gut ist; sondern dass es als unvergleichlich gut zu bezeichnen, einfach eine andere Art zu sagen ist, dass es vollkommene Befriedigung gibt. Und tatsächlich scheint einer der vielen Fehler, auf der sein gesamtes Argument in Kapitel IX beruht, die schlechte traditionelle Annahme, dass die Unterscheidung zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll, identisch mit jener zwischen dem, was bekannt ist, und dem, was gewollt wird, zu sein –€dass „der Bedeutungsunterschied zwischen den Prädikaten ,wahr‘ und ,gut‘“ derselbe ist wie jener zwischen den Prädikaten „bekannt“ und „gewollt“ (S.€268). So sehen wir, dass die beiden Aussagen so behandelt werden, als wären sie identisch (S.€266–7): „Wenn keine Menge von ,soll‘ das geringste ,ist‘ hervorbringen kann, ist es nicht weniger wahr, dass keine Menge von ,ist‘ das geringste ,soll‘ hervorbringen kann“, und: „Während unsere Wünsche im Reich des Wahren dienen müssen, herrschen sie im Reich des Guten.“ Es ist schwer vorstellbar, dass McTaggart, als er diesen Abschnitt geschrieben hat, sich eines Unterschieds zwischen den Propositionen „dies ist gut“ und „dies ist gewünscht“ deutlich bewusst war; da es, wenn es einen solchen Unterschied gibt, nur zu offensichtlich scheint, dass das, was wir wünschen, genauso leicht schlecht wie irreal sein kann. McTaggarts Behandlung der grundlegenden Frage der Ethik, der Frage „War es das Beste in sich selbst?“, kann nun kaum streng genug getadelt werden. Er scheint nicht erkannt zu haben, dass es überhaupt eine schwierige Frage ist. Seine Antworten sind zugleich doppeldeutig und einander widersprechend; und die Gründe, die er für sie anführt, sind beide wechselseitig widersprüchlich und irreführend.
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Aber sein Argument zugunsten der Lehre, dass eine Berechnung der Freuden und Schmerzen uns im Allgemeinen ein richtiges Kriterium für das geben wird, was wir tun sollen, verdient erheblich mehr Respekt. Es ist hier eher die Wahrheit der Prämissen McTaggarts als die Stichhaltigkeit seiner logischen Argumentation, die in Frage gestellt werden könnte. Ein Teil seines Arguments ist darauf gerichtet (S.€180–118), hervorzuheben, was gewiss wahr ist, dass Quantitäten von Freude mit Erfolg verglichen werden können. Es ist möglich, behauptet McTaggart, zu wissen, dass die Summe der Freude, die wir von einem Ding erhalten, größer ist als jene, die wir von einem anderen erhalten, und nicht nur dieses, sondern auch dass die Summe, die wir von einem Ding erhalten, so viel größer ist als jene, die wir von einem anderen erhalten, dass wir, selbst wenn wir die Letztere zweimal erhielten, nicht so viel Freude gehabt hätten, als wenn wir die Erstere nur einmal erhalten hätten. Dies ist alles zweifellos wahr, was auch immer die Schwierigkeiten sein mögen, genau zu entscheiden, was mit der Aussage gemeint ist, dass eine Freude mehr als zweimal so groß ist wie eine andere oder größer als die Summe von fünf anderen; und McTaggart hebt zu Recht hervor, dass mit genau denselben Schwierigkeiten bei jedem System der Ethik zu rechnen ist, da ein solches System vertreten muss, dass wir wissen, dass der Wert eines Dings oder einer Anordnung von Dingen größer ist als die Summe der Werte einer anderen Anordnung. So viel muss nun eingeräumt werden; aber dies ist nur ein Vorspiel. McTaggart drückt die Hauptthese in diesem Kapitel in dem Verhältnis aus: Dass die Berechnung der Freuden und Schmerzen im Allgemeinen zugleich ein richtiges Kriterium dessen ist, wie wir handeln sollen, und auch das einzige verfügbare Kriterium (S.€127). Die Frage, ob diese These wahr ist, ist gewiss von höchster Wichtigkeit; und ich beabsichtige nun diese Frage ausführlich zu betrachten. Zunächst ist große Sorgfalt gefragt, um genau zu unterscheiden, was es ist, das McTaggart behaupten möchte. Denn er vertritt nicht, wie seine Worte implizieren könnten, dass, wo immer ein Handlungsverlauf ein größeres Übergewicht an Freude als ein anderer herstellen wird, die Ergebnisse dieses Verlaufs die besten sein werden. Er behauptet, (1) dass selbst dort, wo wir den Verlauf, der die größte Freude geben wird, wählen sollen, die Gesamtergebnisse dieses Verlaufs schlechter sein können (S.€124); (2) dass es in einigen Fällen unmöglich ist zu entscheiden, ob wir den Verlauf, der die größte Freude geben wird, wählen sollen oder nicht (S.€124). Dementsprechend kann seine These sehr genau in den folgenden Propositionen ausge-
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drückt werden: (1) dass es niemals offensichtlich ist, dass wir einen Verlauf wählen sollen, der die wenigste Freude geben wird, (2) dass in allen Fällen, in denen ein Verlauf größere Freude geben wird, wenn wir überhaupt entscheiden können, welcher Verlauf richtig ist, dieser richtig ist, (3) dass wir oftmals entscheiden können, dass ein Verlauf zugleich größere Freude geben wird und richtig ist. Nun sollte beachtet werden, dass, falls dies alles ist, die Aussage, dass Freude „das einzig verfügbare Kriterium“ ist, völlig unrichtig ist. Â�McTaggart versäumt völlig, einen Fall zu betrachten, von dem er offensichtlich eingesteht, dass er möglich ist. Denn anzunehmen, dass ein Verlauf offensichtlich weniger andere Güter als Freude verursachen wird (S.€124) und dass die Mengen der Freude, die durch beide Verläufe hervorgebracht werden, anstatt dem zuvor Genannten auch weniger Freude geben (wie Â�McTaggart hier annimmt), soweit wie wir beurteilen können, auch gleich sind. In einem derartigen Fall würde es offensichtlich unsere Pflicht sein, den Verlauf zu wählen, der die meisten anderen Güter hervorbringt. Hier haben wir daher einen Fall, in dem ein anderes Kriterium als Freude aufgrund McTaggarts Eingeständnis verfügbar sein würde. Und McTaggart hat nicht zu zeigen versucht, dass solche Fälle nicht auftreten oder sogar selten sind: Er hat anscheinend einfach nicht an sie gedacht. Dass eine der Bedingungen für ihr Auftreten, nämlich die anscheinende Gleichheit der Freude, die durch beide Verläufe hervorgebracht wird, keineswegs selten ist, werde ich sogleich feststellen. McTaggart hat nun gewiss nicht zeigen können, dass Freude das einzig verfügbare Kriterium moralischen Handelns ist. Er hat es versäumt, eine Klasse von Fällen zu bemerken, in denen, vorausgesetzt, sie treten auf, ein anderes Kriterium gemäß seiner eigenen Lehre verfügbar sein würde. Aber diese Fälle sind nur jene, in denen es, weil die Menge der Freude, die durch alternative Verläufe hervorgebracht werden würde, gleich zu sein scheint, kein Gleichgewicht der Freude gibt, um überhaupt als Kriterium zwischen ihnen zu dienen. Wie sollen wir die wichtige Proposition verstehen, die noch übrig ist, nämlich dass, wenn ein Verlauf mehr Freude als ein anderer verspricht, diese Tatsache im Allgemeinen ein korrektes Kriterium für seine Richtigkeit ist? Es sollte genau beachtet werden, was mit der Einschränkung „im Allgemeinen“ gemeint ist. Sie ist eingefügt worden, um jene Fälle zu berücksichtigen, die oben erwähnt worden sind und von denen McTaggart zugibt,
McTaggart selbst gesteht ein, dass dies vorkommt. (S.€134)
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dass sie auftreten, in denen der Verlauf, der die größere Freude verspricht, auch einen entscheidenden Verlust an anderen Gütern verspricht. „In diesem Fall“, sagt McTaggart (S.€124), „gibt es keine vernünftige Lösung.“ Ein Gleichgewicht der Freude ist dementsprechend in diesem Fall kein korrektes Kriterium. Der Verlauf, der dies hervorbringt, könnte derjenige sein, der auch die größte Summe an Gütern hervorbringt, aber wir können nicht sagen, ob er es ist oder nicht. Aber McTaggart vertritt, dass solche Fälle nur einen kleinen Teil derer ausmachen, bei denen wir tatsächlich entscheiden müssen. Er verweist darauf, dass sie „den gelegentlichen Fehler des einzigen verfügbaren Kriteriums“ darstellen (S.€127). Sie hindern ihn daher gemäß seinen Prinzipien daran, dass er vertritt, dass Freude immer ein richtiges Kriterium ist, aber lassen ihm die Berechtigung, zu vertreten, dass es im Allgemeinen so ist. So viel zur Verdeutlichung, was McTaggarts These darstellt. Seine generellste Proposition ist die erste der drei oben genannten: Dass in keinem Fall der Verlauf, der am wenigsten Freude hervorbringen würde, einfach der richtige ist. Die nächste hinsichtlich der Allgemeingültigkeit ist die zweite dieser drei: Dass in den meisten Fällen der Verlauf, der mehr Freude bringen würde, einfach der richtige ist. Diese beiden Propositionen beinhalten die Hauptpunkte des Prinzips, die ich zu bestreiten beabsichtige: Und ich beabsichtige, diese zuerst zu behandeln. Die Betrachtung der dritten, nämlich: Dass wir oftmals sagen können, welcher Verlauf mehr Freude geben würde, in Fällen, in denen dieser richtig ist, kann aufgeschoben werden, bis die Hauptfragen des Prinzips behandelt worden sind. Und als Erstes beabsichtige ich die Proposition zu betrachten: Dass in den meisten Fällen der Verlauf, der mehr Freude bringen würde, einfach der richtige ist; weil, obwohl sie zusammen mit der ersten eine, wie ich es nennen werde, der beiden Hauptprämissen McTaggarts beinhaltet, nämlich dass Freude im Verhältnis zu ihrer Menge gut ist, sie überwiegend wegen eines Einwands zurückzuweisen ist, der Bestand haben wird, ob diese HauptÂ� prämissen wahr oder falsch sind. Dieser Einwand lautet wie folgt: Die „meisten Fälle“, in denen der Verlauf, der ein Gleichgewicht der Freude hervorbringt, der richtige Verlauf ist, werden durch McTaggart in drei Klassen eingeteilt, die vielleicht genauso knapp und deutlich in seinen eigenen Worten beschrieben werden können wie in allen anderen. Er sagt (S.€124):
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„Im ersten [Fall] beinhaltet die Handlung, zu der uns das hedonistische Kriterium führt, in unserem Urteil eine größere Entwicklung an Idealen. In diesem Fall wird deutlich, dass wir diesen Verlauf nehmen sollten, da beide Elemente des Gutes gesteigert sind. Im zweiten Fall wird unsere Handlung, auf welche Weise wir auch handeln, keinen Unterschied für die Entwicklung der Ideale machen, soweit wir erkennen können. Auch hier können wir sicher dem hedonistischen Kriterium folgen, da dieses das einzige Element des Gutes misst, bei dem erkannt werden kann, dass unsere Entscheidung sich darauf auswirkt. Im dritten Fall kann unsere Handlung einen erheblichen Unterschied für die Entwicklung unserer Ideale ausmachen, aber uns ist es nicht möglich, zu sagen, ob sich der Unterschied zum Guten oder zum Schlechten auswirkt. Einmal mehr tun wir gut daran, dem hedonistischen Kriterium zu folgen. Denn dann gewinnen wir auf jeden Fall hinsichtlich eines Elements des Gutes. Wir können in der Tat viel mehr hinsichtlich der Entwicklung verlieren. Aber dann können wir auch hinsichtlich dieses Elements gewinnen. Da die Wirkung auf die Entwicklung unbekannt ist, muss der einzige rationale Verlauf, wenn wir handeln müssen, durch die Wirkung auf die Zufriedenheit, die bekannt ist, gelenkt werden.“
Im ersten dieser drei Fälle ist es offensichtlich, dass der Verlauf, der die größte Freude verspricht, der richtige ist, der angenommen werden soll, nur vorausgesetzt, dass mit „unserem Urteil“ hinsichtlich der Wirkung, dass er auch die größte Menge von anderen Gütern beinhaltet, ein Urteil gemeint ist, um die Richtigkeit dessen zu gewährleisten, von dem alle vernünftigen Vorsichtsmaßnahmen stammen. Einen Vorbehalt dieser Art müssen wir durchweg verstehen. Hier muss nur gesagt werden, dass, falls es offensichtlich ist, dass ein gewisser Verlauf einen Gewinn für das Gesamte in allen anderen Aspekten genauso wie hinsichtlich der Freude bringen wird, McTaggart berechtigt ist, wenn Freude gut ist, diesen Verlauf als den richtigen anzusehen. Jedoch ist es wichtig zu erkennen, dass diese Versicherung, dass wir an dem Gesamten in allen anderen Aspekten gewinnen werden, genau das ist, was McTaggart zuvor behauptet hat, dass es „in den meisten Fällen, wenn nicht in allen, unmöglich ist“ (S.€101). Gemäß McTaggart wird dann diese erste Klasse von Fällen, in der Freude entsprechend McTaggarts Prinzipien ein richtiges Kriterium ist, sehr selten sein. Aber die zweite und dritte Klasse von Fällen weist mehr Schwierigkeiten auf. Wie unterscheiden sich diese beiden Fälle zunächst voneinander? Zuerst ist es nur, „soweit wir erkennen können“, dass unsere Handlung keinen Unterschied macht: Daher wird hier nicht bestritten, dass unsere Handlung „einen erheblichen Unterschied ausmachen kann“, wie es der Fall im zweiten ist. Es ist unmöglich, genau zu entdecken, welche Unterscheidung McTaggart
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treffen wollte: Aber drei Alternativen sind möglich. (1) Er könnte gemeint haben, dass der erste Fall jener ist, in dem wir zweifeln, ob unsere Handlung überhaupt einen Unterschied macht, und der zweite jener, in dem wir, wissend, dass es einen Unterschied machen wird, zweifeln, ob der Unterschied sich zum Guten oder zum Schlechten wendet. Wenn wir annehmen, dass er dies gemeint hat, wie wirkt sich das auf sein Argument aus? Wir können uns nicht weigern, zuzugeben, dass McTaggart, wenn die Wirkungen zweier Verläufe sich in keiner Hinsicht unterscheiden, soweit wir erkennen können, außer in der Menge der Freude, Recht hat, wenn Freude gut ist, dass das, was mehr Freude gibt, vorgezogen werden sollte. Der erste dieser beiden Fälle scheint nun, wenn dies damit gemeint ist, zugunsten McTaggarts zu sein. Aber –€der Fall tritt niemals auf; denn unsere Handlungen bewirken immer einen offensichtlichen Unterschied, einen anderen als einen Gewinn oder Verlust an Freude: Und die Frage, ob dieser Unterschied eine „Entwicklung der Ideale“ ist oder nicht, ist bloß, unter einem anderen Namen, die Frage, ob er sich zum Guten oder zum Schlechten wendet –€die Frage, die in dem anderen Fall behandelt werden sollte. (2) McTaggart kann gemeint haben, dass der erste Fall jener ist, in dem wir erkennen können, dass unsere Handlung keinen Unterschied zum Guten oder Schlechten bewirkt, und der zweite jener, in dem wir nicht erkennen können, ob sie einen solchen Unterschied bewirkt oder nicht. Wenn dies so ist, können wir wieder zugeben, dass McTaggarts Schlussfolgerung hinsichtlich dessen, den richtigen Verlauf zu verfolgen wie im ersten Fall, theoretisch richtig ist. Aber es ist auch wieder ganz selbstverständlich, dass solche Fälle niemals auftreten können. Wir können niemals mit Sicherheit urteilen, dass die Gesamtwerte von zwei alternativen Anordnungen von Gütern völlig gleich sind; denn ein solches Urteil würde eine vielfach größere Genauigkeit erfordern als jene, von denen McTaggart selbst feststellt, dass sie sehr selten sind –€nämlich dass ein solches Gesamtes größer und kleiner als ein anderes ist. (3) Es ist aber möglich, dass Â�McTaggart mit dieser ersten Klasse Fälle meint, bei denen wir erkennen können, nicht dass zwei alternative Gesamtheiten gleich im Wert sind, sondern dass sie im Wert sich nicht sehr stark unterscheiden, und mit der zweiten Klasse Fälle, in denen, obwohl wir nicht erkennen können, was größer ist, wir auch nicht sicher sein können, dass der Wertunterschied nicht sehr groß ist. Beide Fälle können ausgedrückt werden, indem man sagt, dass die entsprechenden Gesamtheiten, „soweit wir erkennen können, gleich“ sind; da wir bei beiden nicht sicher sein können, dass sie nicht gleich sind: Und doch gibt es einen sehr wichtigen Unterschied zwischen den beiden, da wir bei dem
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einen sicher sind, dass die Abweichung von der Gleichheit, falls sie existiert, nicht groß ist, während wir bei dem anderen nicht sicher sind, außer was eine sehr große Abweichung ist. Fälle dieser beiden Arten treten gewiss auf; und es scheint äußerst wahrscheinlich, dass dies die Unterscheidung ist, an die McTaggart gedacht hat. Was können wir nun von McTaggarts hedonistischer Schlussfolgerung hinsichtlich dieser Interpretation seiner Bedeutung sagen? Ich denke, wir müssen sagen, dass der Einwand, der hinsichtlich jeder der drei Interpretationen gegen sein Urteil im zweiten Fall (sein „dritter Fall“) Bestand gehabt hätte, auf Grundlage dieser Interpretation Bestand gegen beide hat. Die beiden Fällen sind nun in dem gleich, dass wir bei beiden nichts sagen können, außer dass die Ergebnisse beider Verläufe im Wert in jeder Hinsicht gleich sein werden außer in der Menge der Freude; und McTaggart stellt es als eine allgemeingültige Regel dar, dass wir in allen derartigen Fällen des Verlaufs wohl daran tun, den Verlauf zu bevorzugen, der die größere Freude gibt. Diese allgemeingültige Regel können wir, denke ich, gewiss als falsch ansehen. Die Gegebenheiten, die wir betrachten müssen, sind folgende: Wir haben zwei Verläufe, von denen einer gewiss mehr Freude hervorbringt als der andere, während ihre Ergebnisse in anderer Hinsicht, obwohl sie sich sehr in der Art unterscheiden, soweit wir erkennen können, im Wert gleich sind. Es scheint gewiss plausibel zu folgern, wie McTaggart es tut, dass, wenn man annimmt, dass Freude gut ist, es vernünftig ist, den Verlauf zu wählen, der mehr Freude gibt. Aber diese Plausibilität ist gewiss irrig. Denn mit der Gegebenheit, dass die anderen Ergebnisse, soweit wir erkennen können, im Wert gleich sind, ist nur gemeint, dass wir nicht mit Sicherheit feststellen können, dass diese Gesamtheiten ungleich sind. Und da dies der Fall ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich gleich sind, so gering, dass sie vernachlässigt werden kann: Es ist viel wahrscheinlicher, dass eine in einer der vielen möglichen Abstufungen größer oder kleiner als die andere ist. Die Anzahl der Fälle, in denen der Verlauf, der größere Freude gibt, richtig ist, weil die anderen Ergebnisse gleich sind, ist daher so gering, dass sie vernachlässigt werden kann, und in allen anderen Fällen liegen wir wahrscheinlich genauso richtig, wenn wir die geringere Freude vorziehen. Nun gibt dies eine winzige Wahrscheinlichkeit, dass wir uns richtig entscheiden, wenn wir den Verlauf wählen, der die größere Freude bringen wird; aber dass diese winzige Wahrscheinlichkeit Grundlage für eine rationale Lösung derartiger Fälle
Dies gesteht McTaggart selbst ein (Anmerkung S.€126).
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bietet, kann nicht behauptet werden, weil dieselbe Wahrscheinlichkeit zugunsten jedes anderen Kriteriums vorhanden ist. Nehmen wir ein Beispiel, das McTaggart verwendet (S.€103–104): Es wird genauso rational sein, HeimÂ� unterricht dem Schulunterricht auf Grundlage dessen vorzuziehen, dass er eine entscheidende Überlegenheit hinsichtlich der Kultur liefert, oder den Schulunterricht dem anderen auf Grundlage dessen vorzuziehen, dass er eine entscheidende Überlegenheit hinsichtlich der Originalität liefert, wie jeden auf Grundlage dessen vorzuziehen, dass er eine entscheidende Überlegenheit hinsichtlich der Freude liefert. Kurz gesagt, auf Grundlage der Prinzipien, die McTaggart hier zugunsten des hedonistischen Kriteriums verwendet, wird es immer gleichermaßen rational sein, jeden der beiden sich vereinbarenden Verläufe anzunehmen, wenn nur jeder dem anderen in einer Hinsicht überlegen ist: Das bedeutet, es wird keine rationale Lösung in diesen Fällen geben; genau das Prinzip, das McTaggart zugunsten des hedonistischen Kriteriums verwendet, ist entschieden gegen es. Stellen wir uns selbst die Frage: Soll ich meinen Sohn in eine Schule schicken oder ihn zu Hause unterrichten? McTaggart sagt, dass wir hier nicht zwischen den entsprechenden Werten, die außer Freude erlangt werden, entscheiden können; aber wenn das Prinzip, das wir nun betrachten, wahr wäre, könnten wir gewiss zwischen ihnen entscheiden –€wir könnten rational zugunsten von jedem entscheiden. Denn McTaggart gibt zu, dass der erste Verlauf eine entscheidende Überlegenheit über den zweiten in einem der vielen beinhalteten Punkte hat –€nämlich dass er mehr „Originalität“ gibt. Betrachten wir alle Punkte außer den beiden Abstufungen der Originalität. Können wir sagen, dass bei den anderen Punkten der Heimunterricht der entscheidend bessere ist? Laut McTaggart nicht; denn dies ist noch eine der Fragen –€ein Vergleich der Summen der Güter außer Freude€–, „die in den meisten Fällen, wenn nicht in allen, unmöglich zu entscheiden ist“. Wir sehen nun, dass von zwei Verläufen, die, soweit wir erkennen können, in anderer Hinsicht gleich sind, einer im Gut der Originalität entscheidend überlegen ist: Daher würde McTaggart auf Grundlage seiner gegenwärtigen Prinzipien gezwungen sein, zu sagen, wähle diesen. Aber unglücklicherweise sind wir aufgrund einer genauen Gleichheit der logischen Argumentation auch gezwungen, den Heimunterricht zu wählen. Denn dieser hat laut McTaggart die entscheidende Überlegenheit hinsichtlich der Kultur. Betrachten wir nun alle Ergebnisse außer dem Maß an Kultur, natürlich jetzt das Maß an Originalität bei jedem eingeschlossen. Diese
Im Englischen „genuineness“ [A.€d.€Ü.].
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beiden Gesamtheiten sind aller Wahrscheinlichkeit nach, soweit wir erkennen können, gleich. Daher ist von den zwei Gesamtheiten, die in anderer Hinsicht offensichtlich gleich sind, eine im Gut der Kultur entscheidend überlegen: Und wir sind gezwungen, diese zu wählen. Natürlich sind wir nicht gezwungen, mit McTaggart übereinzustimmen (noch McTaggart mit sich selbst), dass, wenn wir die beiden Gruppierungen von Ergebnissen in allen Aspekten außer einem betrachten, in dem eine Gruppierung eine entscheidende Überlegenheit hat, diese anderen Aspekte, soweit wir erkennen können, im Wert gleich sein werden. Das Einzige, was wir fordern, besteht darin, dass, falls sie so sind, diese entscheidende Überlegenheit in einem Aspekt keine Grundlage bietet, den Verlauf, der diese besitzt, vorzuziehen; da, wenn es so wäre, wir einen gleichermaßen guten Grund haben, beide Verläufe vorzuziehen. Die Tatsachen können auf eine andere Weise ausgedrückt werden, die die Tatsachen, sobald sie sie hervorhebt, ausreichend verdeutlicht. Wenn bei zwei Gesamtheiten, über deren relative Werte wir nicht entscheiden können, zu der einen eine größere, zu der anderen eine kleinere Menge an Freude hinzugefügt wird, werden die beiden neuen, so gebildeten Gesamtheiten im Allgemeinen noch Gesamtheiten sein, über deren relative Werte wir nicht entscheiden können: Wir werden weiterhin unfähig sein, zu sagen, ob die eine größer als die andere ist oder nicht, und folglich auch unfähig sein, zu sagen, welche die größere ist; sodass wir offensichtlich keine Grundlage für eine rationale Wahl haben. Dass McTaggart vertreten muss, dass diese beiden neuen Gesamtheiten immer, „soweit wir erkennen können, gleich“ sind, folgt aus seiner Behauptung, dass wir niemals den relativen Wert irgendeiner Menge von Freude oder einem anderem Gut entscheiden können: Denn die eine könnte gewiss nur größer als die andere sein, wenn der Unterschied zwischen der Menge an Freude, die in der einen enthalten ist, und jener, die in der anderen enthalten ist, gewiss größer wäre als jeder mögliche Unterschied im Wert zwischen den beiden Anordnungen der verbleibenden Bestandteile. McTaggart kann nicht vertreten, dass dies immer der Fall ist. Es mag jedoch zugestanden werden, wenn wir annehmen, dass eine gewisse Menge an Freude als größer als eine gewisse Menge an anderen Gütern angesehen werden kann, dass es manchmal im letzten der beiden Fälle, die wir nun betrachten, vorkommen kann –€nämlich wenn wir erkennen können, dass der Unterschied zwischen den gesamten Werten der beiden Anordnungen anderer Bestandteile nicht sehr groß ist. McTaggart hat sich selbst vom Recht zur Annahme ausgeschlossen, dass die Unterscheidung, die er zwischen diesem und dem anderen Fall trifft, Auswirkungen auf die Rich-
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tigkeit des hedonistischen Kriteriums hat. Aber wir können zu seinen Gunsten Folgendes eingestehen: Dass dort, wo der Wertunterschied zwischen den anderen Gütern sehr klein ist und jener zwischen den Mengen an Freude sehr groß, es richtig sein kann, den Verlauf vorzuziehen, der die größere Freude gibt. Aber solche Fälle sind gewiss nicht sehr verbreitet: Und bei Weitem erreicht die Einlassung darauf die pauschale Behauptung Â� McTaggarts nicht, dass wir, wenn wir nicht erkennen können, welche Anordnung der verbleibenden Ergebnisse den größeren Wert hat, berechtigt sind, den Verlauf, der die meiste Freude gibt, als den besten zu beurteilen! Ich schließe nun, dass McTaggarts Versuch, zu zeigen, dass der Verlauf, der die meiste Freude verspricht, in den meisten Fällen der richtige ist, gänzlich gescheitert ist. Auf Grundlage seiner eigenen Prinzipien wird er nur im ersten der drei Fälle, die er unterscheidet, der richtige sein –€nämlich wenn wir auch erkennen können, dass die anderen Ergebnisse des zufriedenstellendsten Verlaufs auch besser als jene des anderen sind. Und es ist offensichtlich, dass es wenig Sinn macht, eine Menge an Freude ein Kriterium zu nennen, wenn es nur sicher ist, ihm zu folgen, wenn wir auch direkt erkennen können, dass die Gesamtergebnisse besser sind. Bei den anderen beiden Fällen, auf die McTaggart sich stützen muss, um seine Mehrheit herzustellen, habe ich versucht zu zeigen, dass McTaggarts allgemeingültige Schlussfolgerung einfach irrig ist. Es kann nur eingestanden werden, dass in einer Unterabteilung der ersten von diesen der Verlauf, der die größere Freude gibt, offensichtlich der richtige sein könnte. Aber auch hier ist es müßig, von der Menge an Freude als einem Kriterium zu sprechen, da wir, um zu zeigen, dass der zufriedenstellendste Verlauf der beste ist, in jedem einzelnen Fall einen Vergleich zwischen dem Unterschied der Menge an Freude und des Unterschieds der Menge der anderen Güter aufstellen müssen. Es ist jedoch nur gezeigt worden, dass die Proposition: Der Verlauf, der die meiste Freude gibt, ist im Allgemeinen der richtige, nicht durch die Gründe, die McTaggart hierzu anführt, gestützt wird. Die Eigentümlichkeit der Versuche McTaggarts, sie zu beweisen, besteht in der Tatsache, dass sein Beweis, wenn er schlüssig ist, Bestand hätte, welche Ansicht wir auch vom Wert der Freude relativ zu anderen Dingen einnehmen. Meine Widerlegung dieses Beweises zeigt, dass, wenn wir nicht den Wert der Freude relativ zu anderen Dingen schätzen können, jede rationale Wahl in drei der vier Klassen, in die McTaggart alle praktischen Fälle einteilt, unmöglich ist. Â�McTaggart vertritt, dass wir niemals eine Schätzung des Wertes der Freude relativ zu anderen Dingen bilden können; und es scheint mir bewiesen zu sein, dass,
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wenn dies so ist, in jedem Fall, in dem es ein Gleichgewicht an Freude auf einer Seite gibt, außer McTaggarts erstem Fall –€nämlich in dem es auch ein Gleichgewicht der anderen Güter auf derselben Seite gibt€–, uns keine rationale Wahl offen steht. Von dieser ersten Klasse von Fällen muss McTaggart, wie wir gesehen haben, vertreten, dass sie vergleichweise selten ist; und wir erhalten daher das Ergebnis, dass auf Grundlage seiner Ansicht eine rationale Wahl in den meisten Fällen unmöglich ist. Aber McTaggart könnte hinsichtlich der Seltenheit dieser Fälle auch Unrecht haben. Unsere Entscheidung hinsichtlich der tatsächlichen Wahrheit der Proposition, dass in den meisten Fällen der zufriedenstellendere Verlauf der beste ist, muss, so ist jetzt deutlich, von Folgendem abhängen: (1) von der Ansicht, die wir vom Wesen der meisten praktischen Fälle haben, (2) von der Ansicht, die wir vom Wert der Freude relativ zu anderen Dingen haben. Die erste dieser Fragen beabsichtige ich, zu verschieben; auf die zweite wird Licht geworfen werden durch die Betrachtung der generellsten Proposition McTaggarts, nämlich: Dass es niemals offensichtlich ist, dass wir einen Verlauf wählen sollten, der weniger Freude gibt. Zu dieser Betrachtung werde ich nun übergehen. Die Proposition würde gewiss aus dem folgen, was ich, wie ich gesagt habe, als Â�McTaggarts zwei Hauptprämissen bezeichnen sollte. Diese sind, (1) dass Freude gut ist und eine größere Quantität an Freude immer proportional besser als eine kleinere ist, (2) dass kein anderes Gut gewiss jemals größer ist als die kleinste offensichtlich Quantität an Freude. Die erste dieser Prämissen ist auch in der Proposition enthalten, die wir soeben betrachtet haben; und wir werden keinen Grund erkennen, um daran etwas auszusetzen. Auf der anderen Seite ist die zweite äußerst wichtig, da sie, wenn McTaggarts Sicht der praktischen Fälle auch richtig ist, beweisen würde, dass uns in der Mehrzahl der Fälle keine rationale Wahl offen steht. Was sollen wir über diese beiden Prämissen sagen? Die erste von ihnen ist nun Teil dessen, was McTaggart durch seine Behandlung der Frage des höchsten Gutes nicht beweisen konnte. Â�McTaggart hat uns keinen Grund zur Annahme gegeben, dass Freude überhaupt gut ist. Selbst wenn das Absolute als ein Ganzes sehr gut wäre (und dieses ist nicht bewiesen worden) und wenn auch seine Güte teils davon abhängig wäre, dass es Freude enthält, würde nicht folgen, dass Freude überhaupt gut ist. Denn es ist durchaus möglich, dass ein Ganzes umso besser ist, da es ein gewisses Element enthält, und dass doch dieses Element selbst überhaupt keinen Wert besitzt. Und neben der Frage des Beweises scheint es sehr wahrscheinlich, dass Freude überhaupt keinen Wert hat; obwohl wir sogar
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eingestehen, dass gewisse Zustände des Verstands umso besser sind, da sie Freude enthalten. Und selbst wenn wir einräumen, dass Freude einen Wert hat (und es würde voreilig sein, dies zu bestreiten), würde nicht folgen (wie Â�McTaggart annimmt), dass eine größere Quantität an Freude immer auch proportional größer im Wert ist. Trotzdem scheint, selbst wenn diese erste Behauptung McTaggarts, dass eine größere Quantität an Freude immer proportional besser ist als eine kleinere, falsch ist, der Fehler nicht sehr schlimm zu sein; aber er scheint nicht schlimm zu sein, nur weil der in seiner zweiten Behauptung beinhaltete Fehler so gewaltig erscheint. Es scheint so weit davon entfernt zu sein, zuzutreffen, dass kein anderes Gut jemals gewiss größer ist als die kleinste Quantität an Freude, dass die größte Quantität an Freude einen fast nicht wahrnehmbaren Wert im Vergleich zu vielen anderen Dingen zu haben scheint. Diese zweite Behauptung McTaggarts ist die Prämisse, die am meisten fraglich erscheint. Ob sie grotesk ist oder nicht, muss letzten Endes der Überprüfung überlassen werden. Ich kann ein Beispiel nennen, das mir ihre Absurdität so offen wie jede andere zu zeigen scheint. Es scheint mir gewiss, dass der Zustand des Verstands einer Person, die mit großer Freude jene Art der Zuneigung fühlt, die McTaggart als das andere Element in seinem Absoluten ansieht, viel mehr als zweimal so gut ist wie jener eines Trunkenbolds, der zweimal so viel Freude beim Zerschlagen von Geschirr empfindet. Die endgültige Entscheidung muss, wie ich gesagt habe, von der Sichtweise abhängen, die wir von Fällen wie diesen haben: Aber es kann nützlich sein, gewisse Mängel in den Argumenten hervorzuheben, die McTaggart verwendet, um seiner Ansicht Plausibilität zu verleihen. (1) Es ist nicht völlig offensichtlich, dass McTaggart alle Konsequenzen erkennt, die seine Ansicht mit sich bringt. Was er sagt, lautet wie folgt (ich wähle die deutlichste Aussage, aber dieselbe Ansicht wird auf S.€124 zum Ausdruck gebracht): Die Position, dass „eine große Veränderung zum Guten in einem Element eine moderate Veränderung zum Schlechten in einem anderen ausgleichen wird, ist theoretisch unhaltbar. Sie impliziert, dass wir Mittel haben, um in sehr weiten Grenzen zu wissen, wie viel Glück es mehr wert ist, zu haben, als ein gegebenes Maß an Entwicklung. Und es ist unmöglich, dies herauszufinden“ (S.€123, meine Hervorhebung). Dies beinhaltet offensichtlich, dass von keinem Verlust bei anderen Gütern angenommen werden kann, dass er jeden offensichtlichen Gewinn an Freude aus dem Gleichgewicht bringen kann. Aber McTaggart wendet seine Lehre nicht
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auf sein höchstes Gut an und sagt, angenommen, die Freude im Absoluten nimmt merklich ab und das andere Element bleibt dasselbe, so können wir nicht sagen, ob es einer Welt überlegen wäre oder nicht, in der Personen diese merklich größere Freude genießen, aber deren Verstand sich sonst nur mit dem Nachsinnen über Misthaufen beschäftigt. Das Argument, mit dem, wie wir gesehen haben, McTaggart geneigt wäre, zu erwidern, nämlich dass die Freude in seinem Absoluten nicht weniger sein könnte, als es ist, und dass das Nachsinnen über Misthaufen nicht so viel geben könnte, ist, wie wir ebenso gesehen haben, irrelevant. (2) McTaggart erkennt nicht, dass er die Möglichkeit eingesteht, hinsichtlich zweier Güter, die so heterogen wie Freude und z.€B. Liebe sind, zu wissen, dass eines größer als das andere ist. Dass er dies tut, wird durch die Tatsache verschleiert, dass er alle anderen Güter so behandelt, als ob sie bloß eines unter dem Namen „Entwicklung der Ideale“ wären. Doch es ist offensichtlich, dass, wenn er sagt, „die Ideale eines Menschen können geringer sein als die eines anderen“, meint er nicht nur, dass der eine Mensch dieselben Dinge bewundert, nur weniger stark oder seltener als der andere, sondern dass eine Art von Dingen zu bewundern schlimmer ist als eine andere zu bewundern. Da dies so ist, scheint es übertrieben willkürlich, zu behaupten, dass wir nur in Bezug auf Freude kein Urteil dieser Art treffen können. Freude selbst ist bloß eines unter Idealen; und es scheint keine größere Schwierigkeit zu geben, indem man entscheidet, dass ein Mensch, dessen Bildung ihn dazu veranlasst, bloße Freude als das höchste Gut anzusehen anstatt, sagen wir, McTaggarts Absolutes, eine Verschlechterung erlitten hat, als dasselbe Urteil von einem Menschen zu treffen, dessen Bildung ihn dazu veranlasst hat, „Banausentum“ der „Kultur“ vorzuziehen. (3) McTaggart zeigt eine erhebliche Verwirrung hinsichtlich der Grundlagen seiner Behauptung, dass kein anderes Gut gewiss jemals größer ist als jede Menge an Freude. Ich habe soeben hervorgehoben, dass er sich seiner Einlassung nicht bewusst zu sein scheint, dass wir die Werte heterogener Güter vergleichen können. Trotz dieser Einlassung scheint er seine Behauptung hinsichtlich der Freude auf der Proposition zu gründen, dass wir es nicht können. Und er sagt, dass wir es nicht können, tatsächlich in der nachdrücklichsten Weise: Es ist „unmöglich“, sagt er (S.€123), irgendwelche zwei „Elemente des Gutes zu vergleichen in der Hoffnung, zu entdecken, welches das wünschenswerteste ist“. Diese Aussage ist gewiss ein offener Widerspruch zu seiner Einlassung, dass wir nicht sagen können, ob unsere Ideale entwickelt worden sind oder nicht; und doch ist es nur in Bezug darauf, dass er die
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Lehre stützt, dass Freude nicht mit anderen Gütern verglichen werden kann: Er fügt nur hinzu, dass Freude und Entwicklung „die größte Heterogenität“ aufweisen, was in sich selbst keineswegs offensichtlich ist (S.€123). Aber die Verwirrung, auf die ich hier aufmerksam machen möchte, besteht darin, dass er sich auf diese Lehre bezieht, dass wir heterogene Güter nicht als etwas vergleichen können, das „wir oben gesehen haben“; während das Einzige, was er versucht hat, vorher zu zeigen, etwas ganz anderes ist. Er muss sich auf das lange Argument beziehen, in dem er behauptet, zu zeigen, „dass die Idee der Perfektion uns kein Kriterium für moralisches Handeln geben kann“ (S.€99–107). Aber alles, was er in diesem Abschnitt zu zeigen versucht, ist, dass es dort, wo wir zwei komplizierte Summen von Gütern betrachten, „in den meisten Fällen, wenn nicht in allen, unmöglich“ ist, zu sagen, welche vorgezogen werden soll. In Bezug auf zwei derartige Summen (er führt als Beispiel „Ehe“ und „freie Liebe“ an, S.€102) versucht er offensichtlich, uns zu veranlassen, zu sehen, dass wir ihrer entsprechenden Vorzüge nicht sicher sein können. Aber sein Argument zugunsten dieser Behauptung impliziert, dass wir in Bezug auf gewisse Elemente dieser Summen ein sehr entschiedenes Urteil treffen können. Um zu erkennen, dass dies so ist, genügt es, sich wieder auf McTaggarts zweites Beispiel zu beziehen –€die relativen Vorzüge von Schul- und Heimunterricht (S.€103–104). „Sind wir dem Himmel näher“, fragt McTaggart, „wenn wir in diesem Moment Originalität mit Banausentum oder Kultur mit Schwärmerei kaufen?“ Dass diese Frage, wie Â�McTaggart sagt, schwer zu beantworten ist, kann eingeräumt werden. Aber es ist offensichtlich, dass ihre Schwierigkeit von der Leichtigkeit abhängt, mit der wir diese andere Frage beurteilen können –€von der Leichtigkeit, mit der wir urteilen können, dass „Kultur“ besser als „Banausentum“ und „Originalität“ besser als „Schwärmerei“. Es ist nur schwierig, weil wir auf jeder Seite ein vergleichweise gutes Ding mit einem vergleichweise schlechtem Ding Â�erkauft haben. Die Schwierigkeit würde nicht auftreten, wenn es nicht offensichtlich wäre, dass eine Kombination von „Originalität“ mit „Kultur“ nicht tatsächlich mehr als zweimal so gut wäre wie eine Kombination der Übel von „Banausentum“ mit jenen der „Schwärmerei“. Wenn daher McTaggart auf diesen Abschnitt zugunsten seiner Feststellung verweist, dass es unmöglich ist, irgendwelche zwei Elemente von Gütern in der Hoffnung zu vergleichen, zu entdecken, welches wünschenswerter ist, ist es offensichtlich, dass die Tatsachen, auf die er verweist, etwas völlig anderes zeigen: Sie beinhalten sogar
Im Original wird ebenso der deutsche Ausdruck verwendet [A.€d.€Ü.].
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das Gegenteil seiner Feststellung. In diesem Abschnitt versucht er nur zu zeigen, dass es hinsichtlich dieser komplizierten Summen von Gütern, die in praktischen Fällen auftreten, sehr schwer zu entscheiden ist: Während es für seinen späteren Punkt wesentlich ist, dass er von einem einzelnen Gut „jede gegebene Menge an Freude“ zeigen sollte, dass sie gewiss niemals weniger an Wert ist als jedes andere einzelne Gut. Mir erscheint es völlig offensichtlich, dass ein Leben in Originalität gewiss im Wert der Freude überlegen ist, die durch den Genuss einer Schildkrötensuppe in einem Moment erlangt wird: Und meine Aussage besteht darin, dass McTaggart, während er zu denken scheint, dass er gezeigt hat, dass es gewiss nicht überlegen ist, nichts gesagt hat, dass selbst dazu neigt, dies zu zeigen. Dass solche Urteile nicht durch sich selbst genügen, um praktische Fälle zu entscheiden, muss natürlich eingeräumt werden. Aber die Frage, ob praktische Fälle lösbar sind, unterscheidet sich vollkommen von der Frage, welche Gegebenheiten wir haben, um über ihre Lösbarkeit zu entscheiden; und wir haben gezeigt, dass Â�McTaggart aufgrund einer Verwechslung dieser beiden Fragen, bei der Â� letzteren zu einer falschen Schlussfolgerung gelangt ist. Wir können nicht spontan entscheiden, wie er es bei seinem „vierten Fall“ tut (S.€124), dass, wenn ein Gewinn an Freude gewiss durch einen Verlust an anderen Gütern begleitet wird, es „keine vernünftige Lösung“ gibt. Wir könnten zur Schlussfolgerung gezwungen werden, dass es weder eine vernünftige Lösung in diesem noch in McTaggarts zweiten und dritten Fällen gibt: Aber alle drei Fragen müssen auf Grundlage derselben Prinzipien behandelt werden, und wir können diese nicht auf Grundlage dessen entscheiden, dass keine Freude jemals gewiss weniger an Wert ist als irgendein anderes Gut. Dieselbe Verwechslung zwischen praktischen Fällen und unseren Gegebenheiten für ihre Lösung wird äußerst auffallend durch ein anderes Charakteristikum des Arguments McTaggarts gezeigt –€ein Charakteristikum, das erwähnt werden sollte, weil es ebenso eine andere Schwäche in Â�McTaggarts hedonistischer Position aufzeigt. McTaggart denkt offensichtlich, dass wir in wichtigen praktischen Fällen oftmals entscheiden können, welcher Verlauf die meiste Freude hervorbringen wird: Sein gesamtes Argument ist darauf ausgerichtet, zu zeigen, dass Freude ein anwendbares und korrektes Kriterium der Moral ist, nicht nur jener Fälle, „in denen wir Moral ins Spiel bringen“ (S.€111). Aber es ist äußerst bemerkenswert, dass alle von ihm angeführten Beispiele, die zeigen sollen, dass wir den relativen Wert der Freuden schätzen können, aus Fällen der letzten Art bestehen; während er bei jenen Problemen, „die die wirklichen ethischen Schwierigkeiten des Lebens sind“
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(S.€105), nicht zu zeigen versucht, dass es offensichtlich ist, welcher Verlauf die größere Freude geben würde. Er bildet sich tatsächlich ein, dass der Grund, warum die meisten unabhängigen Denker zugunsten der Ehe argumentiert haben, darin besteht, „weil sie ein praktischeres Kriterium verwenden. Wenn wir den Gewinn oder Verlust des Glücks schätzen, das aus der Abschaffung der Ehe hervorgehen würde, könnten wir vielleicht vorzügliche Gründe finden, um von der Veränderung Abstand zu nehmen“ (S.€103). Aber er führt diese vorzüglichen Gründe nicht an; und dass die „meisten unabhängigen Denker“ tatsächlich durch die Verwendung des hedonistischen Kriteriums zu ihren Schlussfolgerungen veranlasst worden sind, kann mit Sicherheit als bloße Einbildung aufgefasst werden. Hedonistische Argumente sind in der Tat häufig erfolgreich verwendet worden, um einer Behauptung Plausibilität zu verleihen, von der der Denker bereits stark überzeugt war; aber dass eine unparteiische Betrachtung des hedonistischen Beweises jemals allein genügt hat, um eine starke Überzeugung hinsichtlich einer wichtigen Frage herzustellen, ist keineswegs gewagt, zu bestreiten. Wie dem auch sei, Â�McTaggarts Argument zugunsten der Nützlichkeit der Freude als ein Kriterium weist genau den umgekehrten Irrtum gegenüber jenem auf, der in seinen Argumenten gegen die Anwendbarkeit anderer Güter erscheint. Im Fall der Freude zeigt er nur, dass wir manchmal entscheiden können, dass eine Summe an Freude größer ist als eine andere; und dann schließt er ohne weitere Vorführung, dass wir so über die höchst komplizierten Summen, die in praktischen Problemen beinhaltet sind, entscheiden können. Im Fall anderer Güter versucht er nur zu zeigen, dass wir bei den in der Praxis vorhandenen, komplizierten Summen nicht entscheiden können; und dann schließt er ohne weitere Vorführung, dass wir nicht entscheiden können, dass irgendein Element des Gutes einem anderen vorzuziehen ist. McTaggart hat uns daher keinen Grund gegeben, um seine Meinung zu stützen, dass wir nicht mit Gewissheit äußern können, dass irgendein anderes Gut größer als die kleinste Quantität der Freude ist; und dementsprechend konnte er auch nicht seine generellste praktische Proposition beweisen, nämlich dass es niemals offenkundig richtig ist, einen Verlauf vorzuziehen, der weniger Freude geben würde: Er hat uns keinen Grund zur Annahme gegeben, dass in seinem „vierten Fall“ keine vernünftige Lösung möglich sein würde; in jedem von McTaggarts drei letzten Fällen sollten es uns nur möglich sein, zu entscheiden, welcher unser richtiger Verlauf wäre, wenn ein Verlauf eine entscheidende Überlegenheit zugleich an Freude und an anderen Gütern zeigen würde; Freude würde ein korrektes Kriterium sein, nur
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wenn in den meisten Fällen ein Gewinn an Freude mit einem Gewinn an anderen Gütern zusammenfiele. Aber ich habe bereits gesagt, dass mir diese Meinung nicht nur bloß inkorrekt erscheint, sondern grotesk; und ich habe ein Beispiel gegeben, das mir dieses selbstverständlich erscheinen lässt. Wenn jedoch die Meinung inkorrekt ist, wenn wir in weiten Grenzen den Wert der Freude relativ zu anderen Gütern schätzen können, haben wir gesehen, dass eine rationale Lösung zugleich im zweiten und vierten von McTaggarts Fällen möglich sein kann: Unsere Entscheidung wird vom Wert abhängen, den wir der Freude relativ zu anderen Gütern zuschreiben werden. Daher verlangt die Behauptung, dass McTaggarts Meinung inkorrekt ist, eine erneute Betrachtung der praktischen Fälle, in denen die Frage, wie viel Wert die Freude hat, wahrscheinlich nicht unwichtig sein wird. Nur aufgrund einer solchen erneuten Betrachtung können wir entscheiden, ob nun Freude im Allgemeinen ein korrektes Kriterium ist; und wenn nicht, mit welchen anderen Prinzipien wir unsere Handlungen führen können. Und zunächst erscheint mir, wie ich bereits gesagt habe, dass der Wert selbst einer sehr großen Menge an Freude im Vergleich zu jener von anderen Güter sehr klein ist: Denn es kann ohne Widersprüchlichkeit gefragt werden, ob Freude überhaupt einen Wert hat. Dass solch ein Zweifel nicht widersprüchlich ist, kann, so denke ich, gezeigt werden, wenn wir auf ein Prinzip verweisen, das McTaggarts seltsamerweise übersieht. McTaggart nimmt an, dass der Wert eines Ganzen immer derselbe wie die Summe der Werte seiner Teile sein muss (z.€B. S.€115) –€eine Ansicht, die vielleicht die einzige in der gesamten Bandbreite der Philosophie ist, auf die sein eigener Ausdruck „Atomismus“ zu Recht als Schimpfwort angewendet werden kann. Wenn wir im Gegenteil daran denken, was gewiss wahr ist, dass der Wert eines Ganzen sehr viel größer sein kann als die Summe der Werte seiner Teile, wird deutlich, dass wir aus der Tatsache, dass die Anwesenheit von Freude sehr stark den Wert gewisser Gesamtheiten erhöht, nicht schließen können, dass Freude überhaupt einen Wert hat. Aber es ist nur diese Proposition –€dass die Subtraktion von Freude von gewissen Gesamtheiten ihren Wert sehr stark beeinträchtigen€–, die zu bestreiten paradox ist. Es gibt gewiss eine sehr allgemeine Neigung zur Annahme, dass die Anwesenheit von Freude in gewissen Zuständen des Bewusstseins sehr viel zu ihrem Wert beiträgt; und aus dieser Tatsache wird im Allgemeinen geschlossen, wie bei McTaggart, dass Freude selbst einen hohen Wert besitzt. Doch wenn es selbst nur möglich ist, dass der Wert eines Ganzen sich von der Summe der Werte seiner Teile unterscheiden sollte, ist die Herleitung vollkommen ungültig.
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Und kann eine andere Tatsache als diese, dass Freude oftmals sehr zum Wert eines Ganzen beiträgt, zur Verteidigung der Proposition, dass große Freude zugegebenermaßen großen Wert hat, hervorgebracht werden? Im Gegenteil, die Anhänger dieser Proposition haben bekanntermaßen große Schwierigkeit, ihre Meinung mit dem Urteil des gesunden Menschenverstandes in Einklang zu bringen, dass viele Zustände, die äußerst starke Freude beinhalten, trotzdem von geringem Wert sind, wenn nicht sogar schlecht. Es wird natürlich keine solche Schwierigkeit geben, wenn das Prinzip, dass der Wert eines Ganzen sich von der Summe der Werte seiner Teile unterscheiden kann, eingeräumt wird, aber dann verliert auch die Behauptung, dass Freude einen sehr großen Wert hat, all ihre Plausibilität. Die Frage muss nun durch die Betrachtung geklärt werden, ob die Existenz der Freude selbst neben allem anderen, das wir von ihr unterscheiden können, selbst in den größten Quantitäten irgendeinen großen Wert haben würde; und es ist gewiss nicht paradox, dies zu bestreiten. Es scheint im Gegenteil selbstverständlich zu sein, dass ihr Wert, falls sie welchen hat, in der Tat sehr klein sein würde. Unter der Annahme, dass der Wert der Freude selbst in großen Mengen sehr klein ist, können wir zu unserer zweiten Frage übergehen und fragen: Ist es wahr, dass in den meisten praktischen Fällen, der Verlauf, der die meiste Freude geben wird, auch insgesamt das höchste Gut geben wird? Ist Freude nach allem ein korrektes Kriterium der Moral? Was ist das Wesen praktischer Fälle im Allgemeinen? Ich denke, die erste Antwort, die auf diese Fragen gegeben werden sollte, ist eine Einlassung auf eine sehr ausgeprägte Unwissenheit. Bis das Thema nicht sehr viel schlüssiger, als jemals zuvor unternommen worden ist, erforscht worden ist, sollte keine Schlussfolgerung als dogmatisch angenommen werden. Ich selbst werde mich auf gewisse Allgemeinheiten beschränken, die sich gegen die Schlussfolgerung zu wenden scheinen, dass Freude das beste verfügbare Kriterium ist. Zunächst scheint mir, dass es in den meisten Fällen, in denen ein Mensch sich tatsächlich mit Sorge fragt: „Welches ist der richtige Weg?“, unmöglich ist, mit irgendeiner Gewissheit festzustellen, entweder welcher Verlauf in der unmittelbaren Zukunft das höchste Gut in Bezug auf das Ganze hervorbringen wird oder welcher die meiste Freude. Beim ersten Punkt ist, wie wir gesehen haben, McTaggart bei mir; und beim zweiten habe ich, wie wir ebenso gesehen haben, seinen bemerkenswerten Fehler, um irgendein gegenteiliges Beispiel zu geben. Aber diese Sachlage (falls es eine Sachlage ist) mag der Tatsache geschuldet sein, dass solche Fälle die einzigen sind, in denen der
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gesunde Menschenverstand keine klare Entscheidung trifft. Nur wo dies der Fall ist, wird sich im Allgemeinen ein Mensch die Frage stellen; und wenn wir annehmen, dass die Moral des gesunden Menschenverstands bei den meisten Fällen richtig entschieden hat, wo unsere Unwissenheit ein richtiges Urteil gestattet, wird folgen, dass in den Fällen, die wir nicht entscheiden können, der Wertunterschied zwischen den alternativen Ergebnissen wahrscheinlich nicht sehr groß sein wird. Dass der gesunde Menschenverstand im Allgemeinen dort, wo er entschieden hat, richtig entschieden hat, kann, so denke ich, bewiesen werden: Und es kann zumindest hier angenommen werden, da die meisten Moralisten darin übereinstimmen, auf jeden Fall was den gesunden Menschenverstand des Christentums betrifft, und McTaggart ist gewiss keine Ausnahme. Es bleibt nun nur zu fragen, ob in der enormen Anzahl von Fällen, in denen der gesunde Menschenverstand klar ist, und in den wenigen, in denen vielleicht eine Schlussfolgerung durch eine philosophische Untersuchung des gesunden Menschenverstands gezogen werden kann, der vorgezogene Verlauf die meiste Freude geben wird und ob daher in den wenigen Fällen, in denen wir vielleicht einen Überschuss an Freude auf der einen Seite und keinen Überschuss des Gutes erkennen können, Freude sicher als ein Kriterium verwendet werden kann. Nun ist die Frage der Beziehung des hedonistischen Kriteriums zum gesunden Menschenverstand sehr ausführlich von Professor Sidgwick diskutiert worden im Interesse der Ansicht, bei der McTaggart mit mir übereinstimmt, sie abzulehnen, und der Unrichtigkeit, von der ich gesagt habe, dass es offensichtlich ist, dass Freude das einzige Gut ist. Es scheint nicht wahrscheinlich zu sein, dass ein viel besserer Fall für die Übereinstimmung hedonistischer Urteile mit denen des gesunden Menschenverstands ausgemacht werden könnte, als Professor Sidgwick ihn uns gegeben hat; und es muss zugegeben werden, dass selbst bei diesem Fall das Urteil sehr proÂ� blembehaftet bleibt. Aber angenommen Professor Sidgwicks Urteil ist richtig, was genau besagt es? Nicht mehr als Folgendes: Dass in den meisten Fällen es keine sehr deutliche Abweichung zwischen dem Verlauf gibt, der die meiste Freude geben würde, und jenem, den der gesunde Menschenverstand empfiehlt. Diese Schlussfolgerung ist gewiss problematisch; aber wenn sie wahr wäre, würde es für Professor Sidgwicks Auffassung genügen: Denn sie würde zeigen, dass der gesunde Menschenverstand in einer Mehrzahl der Fälle nicht im Konflikt mit hedonistischen Urteilen stehen würde. Aber selbst wenn sie wahr wäre, genügt es, um zu zeigen, dass Freude ein sicheres Kriterium ist, wenn Freude zugegebenermaßen nicht nicht nur das einzige
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Gut ist, sondern auch das geringste unter den Gütern? Dies ist ein ganz andere Frage; und es scheint mir, dass für diesen Zweck Professor Â�Sidgwicks Schlussfolgerung nicht ausreichend ist. Denn sie stellt nicht fest, dass in einer Mehrzahl der Fälle die hedonistischen Urteile offenkundig mit jenen des gesunden Menschenverstands übereinstimmen: Wir können im Gegenteil richtig annehmen, dass die Anzahl der Fälle, in denen die beiden offensichtlich übereinstimmen, nicht größer als jene ist, in denen sie offensichtlich nicht übereinstimmen; oder anders gesagt, dass McTaggarts vierte Klasse von Fällen in der Anzahl ungefähr gleich mit seiner ersten Klasse ist. Daher kann er nicht behaupten, dass es, da das Freude-Kriterium in einer Mehrzahl der Fälle, die klar sind, richtig ist, sicher sein wird, es in jenen, die ungewiss sind, zu verwenden; denn Professor Sidgwicks Schlussfolgerung behauptete nicht, dass es selbst in einer Mehrzahl der Fälle, die klar sind, richtig ist. Wir müssen dann die große Anzahl der Fälle selbst betrachten, in denen wir aus diesem oder jenem Grund nicht sagen können, ob ein Verlauf, der die meiste Freude gibt, mit jenem, von dem der gesunde Menschenverstand sagt, dass er insgesamt der beste ist, übereinstimmt oder nicht: Nur durch das Hinzufügen dieser zu den Fällen, in denen die beiden gewiss übereinstimmen, erhält Professor Sidgwick eine so große Mehrheit unter allen Fällen, in denen es keine offensichtliche Uneinigkeit zwischen Hedonismus und dem gesunden Menschenverstand gibt. Unter diesen Fällen wird nun gewiss eine große Anzahl aus dem Grund unbestimmt sein, dass es nicht offensichtlich ist, welcher Verlauf einen Überschuss an Freude bringt; und diese können sich offensichtlich überhaupt nicht auf unser Urteil hinsichtlich der Richtigkeit des hedonistischen Kriteriums auswirken. Es bleiben nur die Fälle, die, obwohl sie einen Überschuss an Freude auf der einen Seite aufweisen, unklar sind, weil der gesunde Menschenverstand nicht sagt, welcher insgesamt der beste ist. Dies sind die Fälle, die McTaggarts zweite und dritte Klasse bilden; und es ist offensichtlich, dass die Wahrscheinlichkeit in Bezug auf sie darin besteht, dass die Anzahl der Fälle, in denen der hedonistische Verlauf, und jene der Fälle, in denen er nicht mit dem übereinstimmt, der insgesamt der beste ist, in der Anzahl gleich sein werden. Es ist hervorgehoben worden, dass es in diesen Fällen gemäß McTaggarts Prinzipien keine rationale Lösung gibt, da, wo immer ein Verlauf eine entscheidende Überlegenheit in einem Gut aufweist (sei es Freude oder ein anderes), der andere Verlauf eine entscheidende Überlegenheit in einem anderen aufweisen wird. Dass es aus diesem Grund keine rationale Lösung gibt, muss, denke ich, weiterhin zugeben werden; aber wenn wir nun die Tatsache in Betracht ziehen, dass Freude
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ein sehr geringes Gut ist, denke ich, dass gesehen werden kann, dass Freude wahrscheinlich ein schlechteres Kriterium ist als viele andere. Denn wenn wir als unser Kriterium eine Überlegenheit in einem Gut, das wertvoller ist als Freude, verwenden, werden die Chancen, dass unsere Wahl mit dem Verlauf, der insgesamt der beste ist, übereinstimmen werden, weiterhin gleich sein; aber in den Fällen, in denen es nicht übereinstimmt, ist die Schwere unseres Fehlers wahrscheinlich erheblich geringer, da wir auf jeden Fall ein Gut von erheblichem Wert gesichert haben. Natürlich kann gesagt werden, dass der Verlauf, der eine Überlegenheit an Freude aufweist, im Allgemeinen auch eine Überlegenheit in einem wertvolleren Gut aufweisen wird. Aber es kann nicht angenommen werden, dass dies immer der Fall ist. Und aus praktischen Gründen besteht der wichtige Punkt darin, dass wir, wenn Freude ein vergleichsweise geringes Gut ist, nicht sicher zufrieden sein können, dass wir einen Verlauf gewählt haben, der so gut ist, wie wir erkennen können, dass es ein anderer ist, wenn wir auf Grundlage dessen gewählt haben, dass er einen Überschuss an Freude bietet. Denn Freude als ein Kriterium auf Grundlage dessen anzunehmen, dass es wahrscheinlich genauso richtig ist wie jedes andere, bedeutet, dass wir in zweifelhaften Fällen, in denen wir mit großem Zögern entscheiden, dass es wahrscheinlich eine Überlegenheit an Freude auf einer Seite gibt, jener Entscheidung den Vorzug geben werden gegenüber einem gleichermaßen zweifelhaften Urteil, dass es wahrscheinlich eine Überlegenheit in anderen Gütern auf der anderen Seite gibt. Die überwältigende Mehrheit von Fällen sind Fälle eines solchen zögernden Urteils; und wenn Freude ein geringes Gut ist, ist es gewiss, dass es wahrscheinlich falsch ist, den Vorzug dem zögernden hedonistischen Urteil zu geben. Wenn dies nun so ist, wenn wir überhaupt irgendein Kriterium annehmen müssen, wird uns wahrscheinlich die Annahme eines solchen großen Gutes richtiger leiten als die Annahme von Freude. Es kann sein, dass es bei keinem anderen einzelnen Gut so oft eine deutliche Überlegenheit auf einer Seite wie bei der Freude geben wird. Aber selbst wenn dies so ist, wird es weiterhin besser sein, verschiedene Arten von Gütern als Kriterien in den unterschiedlichen Fällen zu verwenden, in denen sie anwendbar sind, als Freude in allen zu verwenden. Und schließlich kann angezweifelt werden, ob die Berechnungen der Freuden uns ein bestimmtes Ergebnis in mehr Fällen liefern wird als der Versuch, die Gesamtheit der Güter auf jeder Seite abzuwägen. Dass es so gehandhabt wird, wird im Allgemeinen auf der plausiblen Grundlage festgestellt, dass die Gründung der Wirkungen unserer Handlungen auf eine einzige Art von Gut einfacher sein muss als die Bestimmung der Wirkungen
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auf alle zusammen. Aber wir haben gesehen, dass McTaggart uns keinen Grund zur Annahme gibt, dass die Berechnung der Freude in den meisten Fällen uns ein bestimmtes Ergebnis liefert; und gegen das apriorische Argument, dass eine derartige Berechnung weniger kompliziert sein muss als die andere, müssen wir die Tatsache anführen, die im Allgemeinen übersehen wird, dass wir bei dieser anderen mit Quantitäten arbeiten, von denen die meisten einen sehr entscheidenden Unterschied in der Größe aufweisen. Die größere Anzahl der Begriffe, die wir in Betracht ziehen, kann gut durch die Größe ihrer Unterschiede hinsichtlich der relevanten Art der Quantität ausgeglichen werden –€nämlich der Quantität des intrinsischen Werts. Und tatsächlich scheint es in der Praxis genauso leicht zu sein, zu entscheiden, dass zwei gesamte Anordnungen von Ergebnissen im Gesamtwert fast gleich sind, wie zu entscheiden, dass sie im Freude-Wert fast gleich sind: Und in praktischen Fällen ist, wie wir gesagt haben, ein derartiges Urteil alles, auf das wir hoffen können. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle, Fälle, in denen wir keine Frage stellen, hat der gesunde Menschenverstand keine Zweifel, dass die Gesamtheit des Guts auf der einen Seite fraglos größer ist als auf der anderen; und der Philosoph, der behauptet, dass es eine Überlegenheit der Freude auf derselben Seite gibt, kann nicht verhindern, die Klarheit seines Urteils zu bezeugen, und er bezeugt im Allgemeinen auch seine eigene Überzeugung, dass das Urteil richtig ist. McTaggart selbst versäumt es nicht, Hinweise auf die Leichtigkeit zu geben, mit der er die Gesamtheit eines anderen Gutes als Freude beurteilen kann: „Das Glück, das ein Mensch gibt, ist“, so kann er erkennen, „im Allgemeinen enger an die Entwicklung seiner Ideale angepasst, als das Glück, das er genießt, es ist“ (S.€125). Auf jeden Fall, ob es leichter ist oder nicht, geschieht es durch die Bemühung, Gesamtheiten verschiedener Güter und nicht nur der Freude zu vergleichen, dass Menschen ihre praktischen Fälle immer in Frage gestellt haben und es weiterhin tun; und die meisten Menschen finden es leicht, eine entscheidende Überlegenheit auf einer Seite zu erkennen. Sie können vielleicht genauso oft falsch wie richtig liegen; aber es gibt keinen Grund zur Annahme, bis eine weitere philosophische Untersuchung diesen Punkt geklärt hat, dass sie, da der Wert der Freude gering ist, wenn sie falsch liegen, weniger falsch liegen, als wenn sie Freude als Führung genommen hätten.
Kapitel 10 Kants Idealismus Erstveröffentlichung in Proceedings of the Aristotelian Society n.â•›s. 4 (1903–1904): 127–140.
„B
isher nahm man an“, sagt Kant, „alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll. Es ist hiermit ebenso, als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. In der Metaphysik kann man nun, was die Anschauung der Gegenstände betrifft, es auf ähnliche Weise versuchen. Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müßte, so sehe ich nicht ein, wie man a priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen. Weil ich aber bei diesen Anschauungen, wenn sie Erkenntnisse werden sollen, nicht stehen bleiben kann, sondern sie als Vorstellungen auf irgend etwas als Gegenstand beziehen und diesen durch jene bestimmen muß, so kann ich entweder annehmen, die Begriffe, wodurch ich diese Bestimmung zustande bringe, richten sich auch nach dem Gegenstande, und dann bin ich wiederum in derselben Verlegenheit, wegen der Art, wie ich a priori hiervon etwas wissen könne; oder ich nehme an, die Gegenstände oder, welches einerlei ist, die Erfahrung, in welcher sie allein (als gegebene
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner, 1993, S.€19€f. Meine Hervorhebung.
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Gegenstände) erkannt werden, richte sich nach diesen Begriffen, so sehe ich sofort eine leichtere Auskunft, weil Erfahrung selbst eine Erkenntnisart ist, die Verstand erfordert, dessen Regel ich in mir, noch ehe mir Gegenstände gegeben werden, mithin a priori voraussetzen muß, welche in Begriffen a priori ausgedrückt wird, nach denen sich also alle Gegenstände der Erfahrung notwendig richten und mit ihnen übereinstimmen müssen.“ In diesem Abschnitt legt Kant ausreichend klar einen seiner Punkte dar, in dem sein Idealismus sich von Berkeleys Idealismus unterscheidet, über dessen Verwechslung mit seinem eigenen er so erbost war. Und dieser Aspekt ist jener, wie er selbst erklärt, auf den er sich bezieht, wenn er seine Theorie als transzendentalen Idealismus bezeichnet. Er versteht unter diesem Begriff, dass er bloß ideale Existenz oder Existenz im Verstand bestimmten Entitäten zuschreibt, die tatsächlich nicht transzendental sind, da sie keine Objekte sind, aber die auch nicht Teile der Erfahrung oder bestimmter Erfahrungen sind, da sie, wie er sagt, Bedingungen für eine mögliche Existenz sind. Diese Entitäten sind keine Objekte –€substanzielle Individuen oder Dinge€–, sondern bloß „Formen“, in denen die Objekte der Erfahrung angeordnet sind: Sie sind die Formen der Anschauung, des Raums und der Zeit und die Formen des Denkens, Begriffe des Verstandes oder „Kategorien“, ein Beispiel von diesen ist „Kausalität“. Kants Idealismus ist transzendental und unterscheidet sich von Berkeleys darin, dass Kant, während Berkeley nur die „Idealität“ oder die mentale Existenz bestimmter Objekte feststellt, die Idealität der Formen behauptet, in denen diese Objekte angeordnet sind. Berkeley und andere vor Kant haben nicht die Notwendigkeit erkannt, so deutlich zwischen Sinneseindrücken, „Gegenständen des Wissens“ und den Formen, in denen alle derartigen Eindrücke immer angeordnet sind, zu unterscheiden. Dann gibt uns Kant einen Aspekt, in dem sein Idealismus sich von Berkeleys unterscheidet; er vertritt, was Berkeley nicht ausdrücklich behauptet, dass Raum und Zeit und Kausalität nur in und für den Verstand existieren. Und er nennt uns auch einen der Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, anzunehmen, dass seine bestimmte Sichtweise wahr ist. Wenn, so sagt er, wir nur sähen, dass bestimmte Objekte geometrische Eigenschaften hätten, könnten wir unmöglich berechtigt sein, festzustellen, dass alle Objekte sie immer haben würden. Es ist nur, wenn der Verstand so gebildet ist, dass, wann immer etwas ihm gezeigt wird, er diesem Ding geometrische Eigenschaften verleiht, von denen wir berechtigt sein können festzustellen, dass
Meine Hervorhebung.
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alles, was wir jemals erfahren, diese Eigenschaften haben wird. Kurz gesagt, Kant bietet seine Theorie als eine Erklärung an, wie wir wissen können, dass gewisse Dinge auf alle Objekte zutreffen. Wenn, so sagt er, wir wissen, dass der Verstand diese Prädikate immer allem zuschreibt, was ihm gezeigt wird, dann können wir wissen, dass alles Gezeigte diese Prädikate haben wird. Daher, so schließt er, sind die einzigen Prädikate, die allen Dingen angehören –€formale Prädikate€–, ihnen durch den Verstand verliehen. Kants transzendentaler Idealismus ist so mit dem verbunden, was gewiss eine seiner großen Entdeckungen gewesen ist. Er hat entdeckt, dass alle mathematischen Propositionen das sind, was wir „synthetisch“ nennen –€wie er hier sagt, dass sie „unser Wissen erweitern“. Sie sagen uns nicht nur, dass ein gewisses Prädikat ein Teil dessen ist, dem wir es zuschreiben: Sie sagen uns, dass A das Prädikat B hat, obwohl B weder mit A identisch ist noch ein Teil von A ist; sie sind weder identisch noch analytisch. Hume hatte Kant überzeugt, dass die Proposition „jedes Ereignis hat eine Ursache“ nicht analytisch ist; und indem er an diese Tatsache dachte, entdeckte Kant, was niemand zuvor deutlich erkannt hatte, dass 2€+€2€=€4 auch nicht analytisch ist. Hume hatte gefolgert, dass wir keinen Grund zur Annahme haben, dass jedes Ereignis eine Ursache hat; aber Kant dachte, es sei offensichtlich absurd, dies von 2€+€2€=€4 zu behaupten: Es ist absurd, zu sagen, dass wir keinen Anspruch haben, festzustellen, dass „2€+€2 immer 4 ist“, und zuzugeben, dass 2€+€2 manchmal 4 ergeben können und manchmal nicht. Aber andererseits vertraten alle vorherigen Philosophen, die sagten, dass wir universelle Propositionen kennen, dass sie analytisch seien; dass es nur daher kam, dass sie behaupteten, „B sei ein Teil von A€B“ oder „A“ sei identisch mit „A“ , dass wir von ihnen wissen könnten, dass sie immer wahr sind. Kant hat daher eine völlig neue Schwierigkeit gesehen. Er hat infolgedessen, was Hume sagte, gesehen, dass 2€+€2€=€4 synthetisch ist; doch er ist immer überzeugt gewesen (Hume hätte ihn dies bestreiten lassen), dass 2€+€2€=€4 immer wahr ist – in jedem Fall wahr ist. In seinen eigenen Worten hat er zum ersten Mal erkannt, dass es „a priori synthetische Propositionen“ gibt. Er hat sich die Frage gestellt: Wie sind synthetische apriorische Propositionen möglich? Und der transzendentale Idealismus ist seine Antwort gewesen. Sie sind möglich, weil Raum, Zeit und die Kategorien „ideal“ sind –€Weisen, in denen der Verstand Dinge ordnet. Ich habe so Kants transzendentalen Idealismus als einen Versuch dargelegt, die Frage zu beantworten: Wie können wir wissen, dass universelle synthetische Propositionen wahr sind? Dies ist gewiss ein Teil der Bedeutung
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des Abschnitts, den ich zitiert habe: Kant behauptet gewiss dies, was er auch daneben noch behaupten mag. Und es ist nur diese Theorie, die ich betrachten möchte. Ich könnte vielleicht erklären (da ich eine zweideutige Ausdrucksweise verwendet habe), dass ich unter einer universellen Proposition jede Proposition verstehe, die entweder behauptet, „alle Fälle von A haben das Prädikat B“, oder „alles, was das Prädikat A hat, hat das Prädikat B“. Ich könnte ebenso hinzufügen, dass ich keinen Zweifel habe, dass die Fälle solcher Propositionen, die ich angeführt habe, nämlich mathematische Propositionen und die Proposition „jedes Ereignis hat eine Ursache“, wie Kant annahm, synthetisch sind. Ich beabsichtige nicht, diesen Punkt darzulegen. Ich betrachte es als eine außerordentlich wichtige Entdeckung Kants –€eine Entdeckung, die allein vielleicht genügen würde, ihm den Rang zuzuweisen, den er normalerweise unter den Philosophen einnimmt. Mein gegenwärtiges Anliegen ist jedoch der transzendentale Idealismus. Ich beabsichtige, zu erörtern, ob der transzendentale Idealismus eine befriedigende Antwort auf die Frage „Wie sind apriorische Propositionen möglich?“ gibt und zugleich ob der transzendentale Idealismus wahr ist. Und zu diesem Zweck werde ich zunächst versuchen, in den einfachsten möglichen Ausdrücken mit weniger Bezug auf Kants eigene Ausdrucksweise, als ich es bis hierher gemacht habe, genau festzustellen, was die Frage ist, bei der ich bezweifle, dass der transzendentale Idealismus eine befriedigende Antwort auf sie ist. Kant mag, wie ich gesagt habe, versucht haben, auch andere Fragen zu beantworten; die Bedeutung seiner Ausdrücke ist viel komplexer als jene, die ich verwenden werde: Aber er gibt gewiss vor, die Schwierigkeit gelöst zu haben, die ich darlegen werde –€was eine der Schwierigkeiten, die er im Sinn hatte, war€–, und ich beabsichtige nur, diesen Teil seiner Lehre zu betrachten. Wir haben nun die Tatsache vor uns, dass wir Urteile der folgenden Art treffen. Wir glauben: Wenn es zwei Gruppen von Objekten gibt und jeder von ihnen wirklich zugeschrieben werden kann, dass es zwei Objekte in der Gruppe gibt, dann kann dem Gesamten wirklich zugeschrieben werden, dass es eine Gruppe mit vier Objekten ist: Dies ist universell, es betrifft alle Gruppen der genannten Art. Und wir haben ähnliche geometrische Annahmen. Wir glauben: Jedem Objekt, dem wir wirklich gewisse geometrische Beziehungen zuschreiben können, können wir auch wirklich andere unterschiedliche geometrische Beziehungen zuschreiben. Schließlich können wir zumindest Folgendes annehmen, ob wir es glauben oder nicht: Jedem Ereignis in der Zeit ist ein anderes Ereignis in einem gewissen Zeitabstand vor-
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ausgegangen, und zwar ein solches, dass, wann immer ein Ereignis genau dieser zweiten Art existiert, ein Ereignis der ersten Art nach ihm in genau der zeitlichen Distanz existieren wird; d.€h. jedes Ereignis hat eine Ursache. Dies sind alles universelle Propositionen, sie stellen alle fest, dass ein gewisses Prädikat, das Kant als formale Art bezeichnet, allen Objekten anhaftet, denen ein gewisses anderes Prädikat anhaftet. Und da sie universell sind, sind sie alle von der Erfahrung im folgenden Sinn unabhängig: Sie stellen alle fest, dass gewisse Prädikate auf Dinge zutreffen, die wir niemals gesehen haben und niemals sehen werden –€auf Dinge, an die noch nicht einmal jemand von uns gedacht hat€–; sie besagen, dass gewisse Prädikate auf alle Objekte einer gewissen Art zutreffen, ob sie nun tatsächlich erfahren werden oder nicht. Hierin bestand Kants Schwierigkeit. Wie können wir wissen, dass gewisse Prädikate Dingen anhaften, die wir niemals erlebt haben? Wie können wir wissen, dass jede universelle Proposition wahr ist? Und seine Antwort lautet wie folgt: Weil der Verstand derart beschaffen ist, dass er diese Prädikate allem zuschreibt, was er auch immer jemals erlebt. Dies ist die Lehre des transzendentalen Idealismus. Was ich nun zunächst hervorheben möchte, ist, dass Kants Frage zweideutig ist. Er stellt zwei ganz verschiedene Fragen, als ob sie eine wären. Zwei Fragen werden immer gestellt, wenn wir fragen: Wie können wir von einem Ding wissen oder wie wissen wir von einem Ding?, aus dem einfachen Grund, da Wissen ein komplexer Begriff ist. Wenn wir sagen, dass wir von einem Ding wissen, meinen wir zugleich, dass wir glauben, dass wir eine gewisse mentale Haltung gegenüber der entsprechenden Proposition haben und auch dass wir annehmen, dass die Proposition wahr ist. Wenn wir folglich fragen: Wie weiß man das?, fragen wir zugleich: (1) Wie kommt man zu der Annahme, was ist die Ursache, es anzunehmen?, und (2): Wie weiß man, dass das, was man annimmt, wahr ist? Welchen Anspruch hat man, zu sagen, dass die Annahme Wissen ist und nicht bloße Annahme? Was beweist, dass das Objekt der Annahme wahr ist? Es ist nun offensichtlich, dass die zweite dieser Fragen sehr viel wichtiger ist; und es ist ebenso offensichtlich, dass Kant beabsichtigte, diese zweite Frage zu beantworten. Er wollte die Gültigkeit universeller Propositionen erklären, nicht nur was uns veranlasst, sie zu glauben, sondern wie sie gültig sein können. Nur so konnte er Humes skeptischer Schlussfolgerung widersprechen. Hume stellte fest: Wir haben keinen Anspruch, anzunehmen, dass jedes Ereignis eine Ursache hat; und Kant antwortet: Wir haben einen Anspruch darauf; ich kann beweisen, dass es wahr ist, dass jedes Ereignis eine Ursache hat.
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Daher versucht Kant die Gültigkeit universeller Propositionen zu beweisen –€dass wir einen Anspruch haben, sie festzustellen. Und er erachtet seinen transzendentalen Idealismus als diesen Anspruch erfüllend. Sein Argument ist folgendes: Jedes Objekt wird gewisse formale Prädikate haben, weil der Verstand einem Objekt immer diese Form gibt. Ich möchte zwei völlig schlüssige Einwände gegenüber diesem Argument hervorheben: (1) Kant sagt: Aus der Tatsache, dass der Verstand so beschaffen ist, dass er jedem Objekt eine gewisse Form gibt, können wir folgern, dass jedes gezeigte Objekt diese Form haben wird. Und diese Argumentation ist vollkommen gültig; die Schlussfolgerung folgt aus der Prämisse. Aber der erste Einwand, den ich gegen das gesamte Argument vorbringen möchte, besteht darin, dass die Prämisse selbst eine universelle Proposition von genau jener Art ist, die sie beweisen soll. Die Prämisse lautet: Der Verstand handelt immer in einer gewissen Weise gegenüber allem, was ihm gezeigt wird, bzw. ordnet es in einer gewissen Weise. Das bedeutet, der einzige Beweis, den Kant liefert, um die Gültigkeit universeller Propositionen zu beweisen, ist: bloß eine andere universelle Proposition. Es ist dann vollkommen gewiss, dass er nicht das getan hat, was er tun wollte –€uns eine Berechtigung zu geben, alle universellen Propositionen zu glauben. Es gibt zumindest eine universelle Proposition, die er einfach angenommen hat, für die er keinen Grund angegeben hat. Wenn man ihn fragt: Wie kann man wissen, dass der Verstand immer in dieser Weise handelt?, kann er keine Antwort geben. Er nimmt einfach an, dass diese Proposition wahr ist und dass es nicht nötig ist, sie zu beweisen. Auf der anderen Seite ist es gewiss, dass sie eines Beweises bedarf genauso wie 2€+€2€=€4; wenn wir eine Berechtigung benötigen, zu glauben, dass 2€+€2€=€4 ist, benötigen wir gewiss eine, um anzunehmen, dass der Verstand immer auf eine gewisse Weise gegenüber jedem gezeigten Objekt handelt. Ich sage nun nicht, dass diese universelle Proposition Kants nicht wahr ist; ich werde sogleich versuchen zu zeigen, dass sie wahr ist. Mein gegenwärtiger Punkt ist nur dieser völlig gewisse: Dass es zumindest eine universelle Proposition gibt, zu der uns Kant keinen Grund gegeben hat, sie zu glauben; dass Kant daher nicht „die Möglichkeit aller synthetischen Propositionen a priori erklärt hat“. Aber (2) gibt es einen sehr viel schwerwiegenderen Einwand gegen Kants Argument. Ich habe soeben gesagt, dass eine gewisse Schlussfolgerung aus Kants Prämisse folgen wird, wenn man annimmt, dass die Prämisse wahr ist; und es ist, denke ich, diese Tatsache –€die Tatsache, dass diese Schlussfolgerung aus der Prämisse folgt€–, die Kants transzendentalem Idealismus die Plausibilität verleiht, die er besitzt. Aber was ist die Schlussfolgerung, die aus
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der Prämisse folgt? Die Prämisse lautet: „Der Verstand gibt allem, das ihm gezeigt wird, eine gewisse Form.“ Und die Schlussfolgerung, die folgt, lautet: „Alles, was gezeigt wird, wird immer die formalen Prädikate haben, die der Verstand ihm gibt.“ Und ich möchte nun hervorheben, dass diese Schlussfolgerung, die tatsächlich aus Kants Annahme folgt, nicht die Schlussfolgerung ist, die Kant beweisen wollte. Erinnern wir uns, was die universellen Propositionen waren, von denen Kant die Möglichkeit beweisen wollte. Eine von ihnen war: Die gesamte Zahl der Objekte in zwei Gruppen, zwei in jeder, ist 4. Und diese Schlussfolgerung wird nicht aus Kants Prämisse folgen. Nur diese wird folgen: Wann immer zwei Gruppen von 2 wahrgenommen werden, dann hat die gesamte Gruppe das durch den Verstand gegebene Prädikat 4. Das bedeutet, es berechtigt uns nicht zu sagen, dass alle 2 Gruppen von 2 4 ergeben; sondern nur dass alle zwei präsentierten Gruppen in der Zeit, wenn sie gezeigt werden, 4 ergeben. Kants Prämisse berechtigt ihn zu nichts mehr als Folgendem: Er hat uns keinen Grund gegeben, etwas anderes anzunehmen, als dass im Moment, wenn 2 Gruppen von 2 aufhören, präsentiert zu werden, genau dieselben Objekte in denselben beiden Gruppen, die die Gesamtzahl 4 hatten, als sie gezeigt worden sind, die Gesamtzahl 7 oder 5 oder Hundertmillionen haben könnten. Anders gesagt, Kants Prämisse beweist nicht, dass in jedem Fall 2€+€2€=€4: Im Gegenteil, sie gestattet, dass 2€+€2 öfter 5 oder eine andere Zahl ergeben kann. Das bedeutet, dass Kants transzendentaler Idealismus keine Antwort auf diesen Skeptizismus, der weitreichender als derjenige Humes ist, gibt, was er eigentlich beabsichtigte. Aber so weit habe ich Kants Argument die Interpretation gegeben, die für ihn in einer Hinsicht die günstigste ist: Ich habe angenommen, dass sein Prinzip darin besteht, dass der Verstand Objekten wirklich die entsprechenden formalen Prädikate verleiht, sodass, wenn sie präsentiert werden, sie wirklich und wahrhaftig diese Prädikate haben; ich, indem ich seine Prämisse angenommen habe, gestatte, dass folgen würde, dass 2 und 2 manchmal 4 ergibt; und dies ist gewiss die günstigste der möglichen Interpretationen: Seine Prämisse wird uns gewiss nicht berechtigen, festzustellen, dass 2 und 2 immer oder selbst im Allgemeinen 4 ergibt. Aber selbst diese Schlussfolgerung –€dass 2 und 2 manchmal 4 ergibt€– wird nur folgen, wenn wir annehmen, dass er wirklich meint, dass der Verstand Objekten diese Prädikate verleiht, sodass sie für den Moment wirklich zu ihnen gehören: Und ich glaube, dass diese Hypothese ein Teil dessen war, was Kant vorschwebte. Doch ich glaube auch, dass er niemals auch nur für einen Moment solch eine Annahme gehegt hätte, wenn er sie nicht mit einer anderen verwechselt hätte, die vollkommen ver-
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schieden und viel plausibler ist. Niemand, denke ich, hat jemals ausdrücklich die Proposition behauptet, dass der Verstand Dingen tatsächlich Eigenschaften verleiht: dass z.€B. er ein Ding zur Ursache eines anderen macht bzw. er veranlasst, dass 2 und 2 =€4 ist. Was plausibel zu behaupten ist, ist, dass die Natur unseres Verstands uns zu denken veranlasst, dass ein Ding die Ursache eines anderen ist und dass 2 und 2 4 ergibt. Dies ist, denke ich, gewiss ein Teil dessen, was Kant mit seinem transzendentalen Idealismus gemeint hat; obwohl er ihn mit der anderen Theorie verwechselt hat, dass der Verstand Objekten diese Eigenschaften verliehen hat. In der Tat denke ich, dass es lohnenswert sein kann, hervorzuheben, dass diese Interpretation direkt aus einer Lehre Kants folgt, deren genaue Bedeutung nicht die gesamte Beachtung erhalten hat, die sie verdient. Kant vertritt nämlich, dass wir überhaupt nicht wissen können, welche Eigenschaften zu „Dingen an sich “ gehören. Ich möchte hervorheben, dass, wenn wir sorgfältig die Bedeutung der Aussage untersuchen, es bloß auf Folgendes hinausläuft: Dass wir niemals wissen können, dass ein Ding, wie es an sich ist, wirklich auch nur für einen Moment irgendeine Eigenschaft hat. Daher würde folgen, dass gemäß Kants Sicht, wenn ich denke, dass „die Finger an dieser Hand fünf sind“, ich nicht wirklich weiß, dass diese Finger, wie sie an sich sind, fünf sind; und wenn ich das nicht weiß, besteht die einzige Alternative darin, dass ich gemäß Kants Sicht nur denke, dass es fünf sind. Ein Großteil dieser Verwirrung ist, denke ich, aus dem Versäumnis entstanden, zu erkennen, dass die einzige Möglichkeit für das Eingeständnis, dass wir wissen, wie Dinge an sich sind, das Eingeständnis ist, dass wir überhaupt kein Wissen haben. Wir können diesem Dilemma nicht entfliehen, indem wir „Dingen-an-sich“ „Objekte der Erfahrung“ gegenüberstellen: Denn wenn wir etwas über die Objekte der Erfahrung wissen, dann wissen wir, welche Eigenschaften die Objekte der Erfahrung haben, wie sie an sich sind. Selbst zu wissen, was wir über sie denken, bedeutet, ein Ding-ansich zu kennen. Denn wenn wir wissen, dass wir überhaupt ein Ding denken, dann wissen wir, dass unser Denken, wie es an sich ist, wirklich ein Denken an das Ding ist. Insofern Kant ein mögliches Wissen über „Dinge-an-sich“ bestreitet, besteht Grund zur Annahme, dass er nicht wirklich denkt, dass der Verstand Objekten Prädikate verleiht, sodass diese Objekte selbst nur für einen Moment diese Prädikate haben: Seine Theorie ist, dass wir nicht wissen, welche Eigenschaften etwas wirklich an sich hat. Nehmen wir nun an, dass sein transzendentaler Idealismus bedeutet, dass der Verstand so beschaffen ist, dass er uns immer veranlasst zu denken, dass die Objekte, die ihm gezeigt werden, gewisse Prädikate haben. Kann er aus die-
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ser Prämisse die Gültigkeit universeller Propositionen herleiten? Im Gegenteil, er kann nun nicht einmal herleiten, dass 2 und 2 selbst in irgendeinem Fall 4 ergeben: Er kann nur folgern, dass wir immer denken werden, dass sie so sind. Aus der Tatsache, dass wir immer ein Ding annehmen, folgt gewiss nicht, dass das, was wir annehmen, wahr ist. Ich habe nun zu zeigen versucht, dass bei keiner von zwei möglichen Interpretationen von Kants transzendentalem Idealismus aus dieser Lehre folgen wird, dass universelle Propositionen gültig sind: Bei der ersten wird nur folgen, dass 2 und 2 manchmal 4 ergeben, bei der zweiten wird nicht folgen, dass 2 und 2 jemals 4 ergeben, sondern nur dass wir dieses immer nur annehmen. Und davor habe ich hervorgehoben, dass Kants transzendentaler Idealismus selbst eine universelle Proposition ist und dass daher, selbst wenn er die Gültigkeit von anderen beweisen sollte (wie wir jetzt sehen, tut er dies nicht), so beweist er nicht die Gültigkeit von allen. Ich beabsichtige nun, folgende Frage kurz zu behandeln: Ist diese universelle Proposition selbst wahr –€die Proposition, dass der Verstand Dingen immer gewisse formale Prädikate zuschreibt oder uns veranlasst, zu denken, dass Dinge diese Prädikate haben? Und zu allererst: Welchen Grund gibt Kant dafür an? Hier sehen wir merkwürdigerweise, dass sein Hauptgrund die angenommene Tatsache ist, dass andere universelle Propositionen wahr sind: Er folgert, dass es vom Verstand wahr sein muss, aus der angenommenen Tatsache, dass mathematische Propositionen und das Kausalitätsprinzip wahr sind. Was er sagt, ist Folgendes: Sie könnten nicht wahr sein, wenn nicht der Verstand diese Prädikate beisteuern würde; wir hätten keine Berechtigung, zu behaupten, dass alle Dinge Ursachen hätten, wenn der Verstand ihnen nicht diese Prädikat gäbe. Da daher alle Dinge Ursachen haben und 2 und 2 immer 4 ergibt, muss der Verstand diese Prädikate haben. Diese Argumentationskette wird offensichtlich den transzendentalen Idealismus nicht beweisen. Aus der bloßen Tatsache, dass die Zahl der Objekte in zwei Gruppen von zwei 4 ist, können wir nicht folgern, dass der Verstand sie dazu veranlasst, dieses Prädikat zu haben; wir können aus dieser Tatsache auch nicht schließen, dass der Verstand uns veranlasst, zu denken, dass sie 4 seien. Daher gibt es bis jetzt keinen Grund zur Annahme, dass der transzendentale Idealismus wahr ist; und mir ist nicht bekannt, dass Kant einen anderen Grund dafür anführt. Er behauptet nicht, durch eine empirische Beobachtung des Verstands entdeckt zu haben, dass er immer Ereignisse veranlasst, Wirkungen zu haben, oder uns veranlasst zu denken, dass 2 und 2 4 ergibt. Noch weiß ich von irgendwelchen Tatsachen, die dazu neigen, zu
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zeigen, dass dies der Fall ist. Es mag wahr sein, dass jedes mentale Ereignis eine mentale Ursache hat; und wenn so der transzendentale Idealismus nur behauptete, dass unser Glaube an universelle Propositionen eine mentale Ursache hätte, könnte der transzendentale Idealismus möglicherweise wahr sein. Aber selbst dies ist äußerst zweifelhaft; ich kann nur gegenüber einer Form der Theorie sagen, dass ich keinen Beweis finden kann, dass, wenn ich erfasse, dass 2 und 2 4 ergibt, diese Auffassung nicht mehr der Aktivität meines Verstands geschuldet ist, als wenn ich die Farbe dieses Tischtuchs sehe. Ich kann so passiv erfassen, dass 2 und 2 4 ergibt, wie ich irgendetwas erfassen kann. Der transzendentale Idealismus kann möglicherweise wahr sein, wenn er als diese vergleichsweise unwichtige psychologische Proposition verstanden wird; sicher ist, dass er die Möglichkeit der Erfahrung nicht erklärt, wenn damit gemeint ist, dass er uns eine Berechtigung verleiht, universelle Propositionen festzustellen, und nicht bloß dass er feststellt, dass unser Glaube an sie eine mentale Ursache hat. So viel nun zu Kants Idealismus, insofern er den Punkt betrifft, in dem er sich, wie ich gesagt habe, offensichtlich von dem Berkeleys unterscheidet, nämlich in der Behauptung, dass unser Wissen von universellen Propositionen der Konstitution unseres Verstands geschuldet ist. Dies scheint mir die einzige idealistische Behauptung zu sein, für die Kant Argumente anführt, und ich habe hinsichtlich jener Argumente zu zeigen versucht, dass (1) es nicht die Gültigkeit universeller Propositionen erklären wird, d.€h. uns keine Grundlage dafür liefern wird, anzunehmen, sie seien wahr, und (2)€dass es aus ihrer Gültigkeit nicht folgen wird und höchstens nur eine zweifelhafte psychologische Annahme ist. Aber ich muss nun gewisse idealistische Meinungen erwähnen, für die Kant keine Argumente anführt, aber die er gewiss vertritt und die sich in keiner Weise von jenen Berkeleys unterscheiden. Kant vertritt nämlich, dass räumliche und zeitliche Eigenschaften, dass Geräusche und Farben und dass Kausalität nur im Verstand desjenigen existieren, der ihrer bewusst ist. Er vertritt, dass Raum und Zeit selbst Formen des Bewusstseins sind, dass Geräusche und Farben Empfindungen sind, dass Kausalität eine Vorstellung ist. In all diesem stimmt er mit Berkeley überein; Berkeley hat ebenso vertreten, dass alles, dessen wir uns bewusst sind, eine Idee oder Vorstellung ist –€d.€h. ein Teil dessen, was unseren Verstand bildet. Kant selbst hat heftig bestritten, dass er mit Berkeley übereinstimmt; er sagt, er vertrete, dass wir wissen, dass Objekte tatsächlich im Raum existieren; und wenn er dies vertreten hätte, hätte er gewiss nicht mit Berkeley übereingestimmt. Aber ich werde versuchen zu zeigen, dass er selbst nicht wusste,
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was er vertrat; dass er zumindest gewiss vertreten hat, dass Objekte nicht im Raum existieren. Es ist oftmals hervorgehoben worden, dass Kant an einem Punkt sagt, dass sein Unterschied zu Berkeley darin besteht, dass er die Existenz der Dinge-an-sich feststellt, während Berkeley sie bestreitet; und zu einem anderen Punkt sagt er, dass sein Unterschied darin besteht, dass er die Existenz der Dinge im Raum feststellt, während Berkeley dieses bestreitet. Bezüglich des ersten Punktes unterscheidet er sich gewiss nicht von Berkeley, da auch Berkeley vertritt, dass Dinge-an-sich existieren, obwohl er sagt, dass es keine außer Gott und andere Verstandeswesen gibt. Aber dass Materie existiert, bestreitet Berkeley gewiss: Und was ich nun zeigen muss, ist, dass auch Kant dies bestreitet. Betrachten wir, was Kants Theorie der Erfahrung ist. Er vertritt, dass Objekte der Erfahrung, z.€B. Stühle und Tische, aus „Materie der Empfindung“, Farbe, Geräusch und anderen Qualitäten bestehen, die in den „Formen“ des Raumes und der Zeit angeordnet sind und durch die Kategorien oder Formen des Verstehens verbunden sind. Hinsichtlich der ersten dieser Entitäten vermittelt er niemals den Eindruck, dass er unter ihnen etwas anderes als mentale Tatsachen versteht: Im Gegenteil, er besteht wiederholt darauf, dass das, worüber er spricht, Vorstellungen sind, d.€h. wenn er „blau“ sagt, meint er die Bewusstheit des Blaus; wenn er „hart“ sagt, meint er die Empfindung der Härte. Es sind nun diese mentalen, rein subjektiven Elemente, aus denen laut ihm, wenn sie in Raum und Zeit angeordnet sind, Materie und alle materiellen Objekte zusammengesetzt sind. Wenn wir ein Objekt im Raum wahrnehmen, ist das, was wir wahrnehmen, gemäß ihm bloß unsere eigenen Empfindungen, die in Raum und Zeit angeordnet sind und durch die Kategorien mit anderen Dingen verbunden sind. Das bedeutet, die Subjekte dessen, was ich seine formalen Prädikate genannt habe, sind ausschließlich unsere eigenen Empfindungen: Wenn ich sage, dass es dort 4€Stühle gibt, versteht er mich so, dass ich 4 Gruppen von Empfindungen habe –€es sind meine Empfindungen, denen das Prädikat 4 anhaftet. Es ist nun offensichtlich, dass die Materie der Empfindung laut ihm nur in meinem Verstand ist. Aber es ist ebenso offensichtlich, dass Zeit und Raum und die Kategorien es auch sind: Seine große Entdeckung besteht darin, so sagt er oft, dass die Ersteren Weisen sind, auf die das Subjekt affiziert, und dass die Letzteren Weisen sind, in denen es handelt. Wenn er nun behauptete, dass Materie wirklich existiert, anders als ein Teil des Verstands, würde er behaupten, dass sich aus drei subjektiven Dingen, Dingen in meinem Verstand, irgendwie ein zusammengesetztes Ding ergäbe, dass objektiv und
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nicht in meinem Verstand wäre. Aber dies behauptet er niemals: Was er behauptet, besteht darin, dass zu sagen, dass Anschauungen räumliche Prädikate haben und durch die Kategorien verbunden sind, dasselbe ist wie zu sagen, das sie objektiv existieren. Und wenn dies so verstanden wird, ist es offensichtlich, warum er dachte, dass er mit Berkeley nicht übereinstimmte. Wenn zu sagen, dass Materie existiert, einfach gleichbedeutend mit der Aussage ist, dass die Kategorien auf sie zutreffen, vertritt er, dass Materie existiert. Aber Tatsache ist, dass die beiden Aussagen nicht gleichbedeutend sind: Ich kann ganz klar erkennen, dass, wenn ich denke, dass dieser Stuhl existiert, das, was ich denke, nicht darin besteht, dass gewisse Empfindungen von mir durch Kategorien verbunden sind. Was ich denke, ist, dass gewisse Objekte der Empfindungen wirklich im realen Raum existieren und wirklich Ursachen und Wirkungen andere Dinge sind. Ob das, was ich denke, wahr ist, ist eine andere Frage: Was gewiss ist, ist, dass wir, wenn wir fragen, ob Materie existiert, diese Frage stellen; wir fragen nicht, ob gewisse Empfindungen von uns durch Kategorien verbunden sind. Und ein anderes Ding ist auch gewiss, nämlich dass Farben und Geräusche keine Empfindungen sind; dass Raum und Zeit keine Formen der Anschauung sind; dass Kausalität kein Denken ist. All diese Dinge sind Dinge, deren wir uns bewusst sind; sie sind in keinem Sinn Teile des Bewusstseins. Daher ist Kants Idealismus, insofern er feststellt, dass Materie aus mentalen Elementen zusammengesetzt ist, gewiss falsch. Insofern er dies feststellt, unterscheidet er sich in keiner Hinsicht von dem Berkeleys, und beide sind falsch. Ob nun Kants weitere Behauptung, bei der er ebenso mit Berkeley übereinstimmt –€nämlich, dass das, was wir wirklich mit Materie meinen, etwas, das nicht aus mentalen Elementen zusammengesetzt ist, nicht existiert€–, auch falsch ist oder nicht, ist, wie ich gesagt habe, eine ganz andere Frage.
Stichwortverzeichnis Absolute, das
4, 88, 123, 125, 129, 130€f., 135, 151, 169, 170€f., 173, 183€ff. Absolute Idee 123 Agnostizismus 113 52 Aposteriorisch 47€f., 51–54 Apriorisch Aristoteles 24€f. Arnold, Matthew 77, 79, 80, 82, 91–94 Balfour, Arthur 82, 91, 94 40, 42–47, 50–54, 57€f. Begriff apriorischer 53 53 empirischer Berkeley, George 127, 196, 204–206 126€ff., 145 Bewusstsein Bosanquet, Bernard 2–7 77 Bradlaugh, Charles Bradley, F. H. 3, 5€f., 35, 39, 40€f., 44, 45, 57, 99, 111, 129 77€ff., 81€f., 88 Christentum Clifford, Professor 11, 21 56, 73 „cogito“ Determinismus Ding an sich
9–12, 19, 22 7, 36, 202, 205
91 Eingebung Einheit in der Differenz 96 160€ff. Empfindung Empirismus 55€f., 153 Erfahrung 153–166, 153
Erscheinung 11€ff., 18, 23, 28–32, 34, 36, 111, 120, 128, 135, 153–166 Ethik grundlegende Frage der 173 Kantische 37 167–194 McTaggarts Ethik Ewigkeit 66€ff. Existenz, 44 siehe auch Proposition, existentielle 22 Fischer, Kuno Freiheit 9–37 Freiheit der Indifferenz 9, 17 kosmologische 27 27–31, 33€f., 36 praktische transzendentale 13€f., 29, 31, 33, 36€f. Freude als Gut an sich 185–190 als Kriterium der richtigen Verhaltensweise 174–194 Geometrie 56, 71, 153€f. siehe auch Propositionen, mathematische Gesetz des Widerspruchs 65–71 Gesunder Menschenverstand 190€ff., 194 89 Glaube 34, 77–84, 91–94 Gott allgemeiner Glaube 87 Argumente für 85, 87€f. die Existenz Erste Ursache 85 Geordnetsein 85–87 Wunder 89, 90
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Hegel, G. W. F.
32, 47, 108€f., 119€ff., 150 Hodgson, Shadworth H. 1–5 4, 17, 20€f., 23€f., Hume, David 55€f., 62–65, 67, 75, 141, 154, 157, 197, 199, 201 17, 77 Huxley, Thomas Idealismus 47, 128, 195–206 196–204 transzendentaler Identität 95–117 Bedeutung der 108–117 begrifflicher Unterschied und 98–99, 101–103, 114–115 108–111 Gesetz der 131 Identität der Substanz Identität des Ununterscheidbaren 99, 102 96, 114 Identität in Differenz 117 materielle 102, 117 numerisch numerischer Unterschied und 98€f., 101–107, 112–116 117, 129, 131€f., personale 138–150 Kant, Immanuel
3, 7, 9–16, 19, 22–37, 40, 47–57, 64, 68, 71, 73, 85, 153€f., 164, 195–206 Kantische Ethik 37 55 transzendentale Deduktion 53 Transzendentalismus 14€f., 33 Kategorischer Imperativ Kausalität 74
Leibniz, G. W. 99, 102, 132 10, 12, 19€ff. Libertarismus Locke, John 20€f. Logische Priorität 72–75 London School of Ethics and Social Philosophy 77 2€ff., 7, 35, 129, 151 Lotze Materialismus McTaggart, J. E. M. Mill, John Stuart Milton, John Monadismus Monismus Naturalismus natürliche Theologie Newton, Sir Isaac Notwendigkeit Organische Einheit Paradox des Selbst Partikuläre Dinge
113 119–152, 167–194 154 6 14 14 91, 94 85€f. 16 59–79 96
123€ff. 104–108, 110, 114–117 Plato 42, 98, 102, 104€f. Proposition 42–48, 154, 156, 161€f., 164, 166 apriorische 47, 53€f. arithmetische 69€f. empirische 47, 49, 51, 53€f., 56 existentielle 46, 50€ff., 54€ff., 156, 160€f. mathematische 197€f., 203 notwendige 48€f., 52–56 siehe auch aposteriorisch, apriorisch und Urteil
Stichwortverzeichnis
Raum Realität
51, 55€f. 2, 5€ff., 12€f., 27, 35€f., 39€f., 42€f., 57, 104, 106, 111, 120€f., 123, 125, 126, 134€ff., 149, 151, 167€f., 170 Russell, Bertrand 99
Satz vom zureichenden Grund 99 Schopenhauer, Arthur 22 140€ff. Seelenwanderung Sidgwick, Henry 10€f., 13, 19, 191€f. Spinoza 111, 153 113 Spiritualismus 49, 51, 54, 56, 111€f., Substanz 131, 137, 139, 147€ff. Synthetisch, apriorisch 153,€197€f., 200 siehe auch Kausalität, Notwendigkeit und Proposition, mathematische Universalie 105–108, 110, 113–116 115 konkrete Urteil 39–58 apriorisches 47 73 empirisches 57 existentielles siehe auch Propositionen Wahrheit 44 existentielle 62 163, 165 notwendige 66 synthetische, notwendige 162 Wahrnehmung
209
114, 115 Zahlen siehe auch Propositionen, mathematische und synthetisch, apriorisch Zeit 1–7, 35, 54€ff.
Ontos
George Edward Moore in drei Bänden
George Edward Moore
Ausgewählte Schriften George Edward Moore (1873 – 1958) gehört mit Bertrand Russell, Ludwig Wittgenstein und ihren Vorläufern Bernard Bolzano, Franz Brentano und Alexius Meinong zu den Begründern der analytischen Philosophie. Während die anderen genannten Philosophen auch in Deutschland stets große Beachtung gefunden haben, war dies bei G. E. Moore nicht der Fall. Dies ist um so erstaunlicher als Moore in einem ganz besonders gut verständlichen Stil schreibt und seine Philosophie stets vom common sense ihren Ausgang nimmt. Die historischen Grundlagen der Philosophie G. E. Moores liegen im englischen Empirismus und besonders bei Franz Brentano und Alexius Meinong. Der ontos verlag veröffentlicht bis 2008 eine dreibändigen Ausgabe in deutscher Übersetzung insbesondere der frühen Schriften Moores, die vor allem erkenntnistheoretische und metaphysische Themen behandeln.
Grundprobleme der Philosophie
ISBN 978-3-938793-53-4 Hardcover, 419 Seiten, EUR 98,00
Philosophische Studien
ISBN 978-3-938793-54-1 Hardcover, 283 Seiten, EUR 89,00
Die frühen Essays
ISBN 978-3-938793-55-8 Hardcover, ca. 350 Seiten, EUR 89,00
ontos verlag Frankfurt x Paris x Lancaster x New Brunswick 2007 bis 2008. 3 Bände, ca. 1000 Seiten. Format 14,8 x 21 cm Hardcover EUR 199,00 ISBN 978-3-938793-56-5
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