Aus Taulers Tagen: Erzählung [Reprint 2019 ed.]
 9783111639932, 9783111257280

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Veröffentlichungen des Wissenschaftlichen Instituts der Eisast-Lothringer im Reich

Slsaß-Lothringische Hausbücherei

Band y: Friedrich Lienhard Aue Täufers Tagen

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vormal» ©. 3. Göschen'sche Derlageljaudlung / 3. ©uttentag, Verlags­ buchhandlung / Georg Reimer / Karl 3. Trübn« / Veit & Comp.

Berlin und Leipzig 1Y2Z

Aus Taulers Tagen Erzäh l u n g von

Friedrich Lienhard

Walter d c

6 r u y t e r & Co.

vormals ö. I. Söschen'sche Verlagsh ondlung/9. ©uttcntog, Verlags­ buchhandlung / Georg Reimer / Karl 3. Trübner / Veit & Comp.

Berlin und Leipzig 1925

Diese Erzählung ist mit des Verfassers Erlaubnis seiner VoveUensammlung „Der Einsiedler und sein Volk" entnommen. (Stuttgart, Verlag Ereiner & Pfeiffer).

Erstes Kapitel.

Ls geschah eines Nachts im Sahr des Unheils 1349, daß Mei Bettler im Winkel einer Taste lagen, in denselben zerlumpten Mantel gewickelt. Um sie her stand mit ihren Lürmen, Kirchen Klöstern, mit ihren Giebeln und eckigen Häusern, mit ihren vielen Wassern, Brücken und Holzstegen die mittelalterliche Stadt Straßburg. Ls war im Herzen der Stadt, unsern vom Domini­ kanerkloster. Dort irgendwo lagen diese zerlumpten Gesellen, die niedrigsten ihrer Gattung, Geschöpfe, die auf blutigen Sohlen vor dem schwarzen Lod geflohen waren, ob­ wohl ihnen wahrlich nicht viel zu nehmen war. Denn selbst der dunkelrote Wollmantel, unter dem sie nun lagen, war noch vor drei Lagen einem andren ge­ wesen: einem Toten, den sie bei Basel aus offenem Selb gefunden hatten. Vor jenem großen Sterben hat­ ten die lebenshungrigen Landstreicher die Slucht er­ griffen. Nun hielten sie hier in Straßburg die Köpfe aus diesem einzigen Mantel herausgestreckt. Sie waren anzusehen wie ein zwieköpfiges Ungetüm. Der eine dieser jZwillingsköpfe hing schlaff herab und schien zu schlafen; der andre schaute mit so stieren Augen um sich, daß zwei Hunde, die in der Nähe in Abfällen und Unrat knabberten, knurrend beiseite wichen.

„Marlin," murmelte der Wachende. „Was willst?" „Schau' einmal die vielen Menschen!" Die Stabt war totenstumm. Ls war um Anfang Hornung; graue, stumpfe Nacht ohne Mond. „Die vielen Menschen, die an uns vorüberziehen," murmelte Ruprecht. Lr, stöhnte; sein Bruder brauste aus. „Trübseliger Gespenstergucker, was schaust denn wieder?" „Die vielen Menschen," stöhnte der andere, und feine krankhaft schauenden Augen wanderten langsam und entsetzt die Gasse hinauf und hinab. „Sie kommen gan? still, sie riehen zwei und zwei ... sie haben graue Spinnweben an und eine Kapuze über den Kopf ge­ zogen ... sie halten eine brennende Kerze in der rech­ ten Hand . . . und man sieht von ihnen nur die Hand und die zwei Augen . . . Ls will gar kein Lude neh­ men, es sind viele Tausende . . . Oh!" Martin brummte und schalt so laut, daß die Hunde mit ihren Knochen davonliefen. Dafür aber lag nun Ruprecht stumm und hatte eine tiefe Ohnmacht, so sehr hatte ihn sein gespenstisches Schauen angegriffen. „Da schlafe der Satan weiter!" grunzte der andre Landstreicher und reckte nun seinerseits das borstige Haupt aus dem Schildkrötenrumpf. „Die Stadt ist stumm wie ein Kirchhof. Nur zwei Lichter brennen. Möcht' wissen, was dort im Kloster so spätes Licht brennt? Betet er? Das kann der Pfaff auch ohne Oel und Unfchlitt besorgen. Zählt er die Almosen, die ihm die Stadtweiber zutragen? Kann schon eher sein. Und der andere dort in dem großen Hause — der hat Geld genug, das sieht man dem Bau schon von weitem an. Will doch einmal zusehen: — wessen Licht brennt län­ ger? Tät's am Wams abzählen, hab' aber keine Knöpfe mehr dran. Oder tät' würfeln drum, aber die

Stabtbüttel zu Bafel haben uns die falschen Karten und Würfel abgeprügelt, die Schufte. Line elende Welt! Und ist an der Zeit, daß einmal wieder durch Leuchen und Erdbeben die Gerechten von den Unge­ rechten gesichtet werden!" Er brummte, seufzte und schalt vor sich hin. Dann spähte er beharrlich nach den beiden Lichtern. Lines dieser Lichter brannte in einer Klosterzelle, das andre aber in einem reichen Bürgerhause. Endlich erlosch das Licht im Hause des Ammeisters Berthold Lwarber. Aber die Ampel des Dominikaners «Zohannes Lauler brannte durch die ganze Nacht bis an den Morgen. -r-

*

*

Mitternacht war vorüber. Der Mond wagte sich langsam höher herauf. ön einem Spittelhause keiften zwei alte Weiber, wüst und gellend; es währte nicht lange, so kamen die zahnlosen Drachen aneinander und verprügelten sich klatschend; Zensier gingen, Holzschuhe klapperten, Menschen schimpften und kreischten, Wasser wurde ausgeleert — dann war wieder Stille. Hustende, schwatzende, lachende Bürger trotteten feist und schwerfällig von einem Zestessen heim; ihre Stimmen waren heiser. Liner von ihnen stellte die Laterne auf den Boden und erklärte umständlich die Beschießung der Zeste Lchwanau: wie sie dem Raub­ ritter Zässer voll Unrat hineingeschleudert und ihm die Luft verpestet; wie sie mit zwei guten Kriegsmaschinen, dem Büffel und der Katze, die Mauern bearbeitet; wie der Werkmeister Klaus Karle die ritterliche Wohnung in Brand geworfen — „ja, ja, die Straßburger lassen

keine Possen mit sich treiben!" Dann wanderten sie weiter. Ls waren fette, schwere Männer. Zwei Bettelmönche schlürften vorüber. Lin Ritter und seine Gesellen, von der Trinkstube laut und lachend heimkehrend, ließen sich vorleuchten. Lin Beghinchen im grauen Schwesternkleid kam von einer Kranken und huschte eilig und gebückt ihres Weges dahin. Dann war wieder Stille. Der Mond trat über die Giebel. Lr war eine große runde Silberscheibe. Schön standen um ihn her die kleinen Sterne.