August Wilhelm Schlegel und die Episteme der Geschichte: Eine Ringvorlesung zum 200jährigen Jubiläum der Universität Bonn und der »Observations sur la langue et la littérature provençales« (1818) [1 ed.] 9783737013314, 9783847113317


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August Wilhelm Schlegel und die Episteme der Geschichte: Eine Ringvorlesung zum 200jährigen Jubiläum der Universität Bonn und der »Observations sur la langue et la littérature provençales« (1818) [1 ed.]
 9783737013314, 9783847113317

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Sprache in kulturellen Kontexten / Language in Cultural Contexts

Band 5

Herausgegeben von Franz Lebsanft, Klaus P. Schneider und Claudia Wich-Reif

Franz Lebsanft (Hg.)

August Wilhelm Schlegel und die Episteme der Geschichte Eine Ringvorlesung zum 200jährigen Jubiläum der Universität Bonn und der »Observations sur la langue et la littérature provençales« (1818)

Mit 3 Abbildungen

V&R unipress Bonn University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen der Bonn University Press erscheinen bei V&R unipress. © 2022 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Abdruck des Briefs Schlegels vom 9. Mai 1818 an Raynouard mit freundlicher Genehmigung der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB)/Deutsche Fotothek. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2365-7847 ISBN 978-3-7370-1331-4

Inhalt

1. Die Observations im Überblick Franz Lebsanft »Nicht unwichtig für Diez war übrigens auch…«: Die Observations sur la langue et la littérature provençales August Wilhelm Schlegels, die Episteme der Geschichte und die Entstehung der Romanistik . . . . .

11

2. Sprachwissenschaftliche Zugänge zu Schlegels Observations Martin Becker August Wilhelm Schlegels Theorie der Grammatikalisierung und ihr wissenschaftsgeschichtlicher Stellenwert . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

Daniela Pirazzini Le discours polémique: Die Polemik gegen die langue romane (August Wilhelm von Schlegel vs. François-Just-Marie Raynouard) . . . .

73

Claudia Wich-Reif Die germanischen Sprachen bei August Wilhelm Schlegel . . . . . . . . .

89

Fabio Zinelli August Wilhelm Schlegel et la découverte du provençal. Enjeux linguistiques et esthétiques . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Isabel Zollna August Wilhelm Schlegel und die Anfänge der Sprachtypologie: Adam Smith, Friedrich Schlegel und Franz Bopp . . . . . . . . . . . . . . 135

6

Inhalt

3. Literaturwissenschaftliche Zugänge zu Schlegels Beschäftigung mit den romanischen Literaturen Mechthild Albert August Wilhelm Schlegels Übersetzungen aus der spanischen Literatur: »Morayzela, Sultanin von Granada. Eine mohrische Erzählung« . . . . . . 155 Michael Bernsen August Wilhelm Schlegels Urteile über Zeugnisse der romanischen Literaturen und ihr zeitgenössischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . 171 Kai Kauffmann Formenkanon oder Seelendrama. Die Trobadors-Dichtung in den literatur- und kulturpolitischen Programmen August Wilhelm Schlegels und Rudolf Borchardts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Christoph Strosetzki August Wilhelm Schlegels Geschichte der spanischen Literatur vor dem Hintergrund zeitgenössischer Geschichtstheorien . . . . . . . . . . . . . . 219 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Vorwort

Man sage nicht, die Bonner Universität würde das Andenken August Wilhelm Schlegels (1767–1845) nicht ehren. Die Beratungen der Philosophischen Fakultät finden in einem Saal des Hauptgebäudes statt, an dessen Stirnseite eine Kopie des von Adolf Hohneck um 1830 angefertigten, großformatigen Porträts hängt, dessen Original die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden aufbewahrt. Der Blick Schlegels wendet sich freilich von seinen Betrachtern ab. An der gegenüberliegenden Seite findet sich, in einer Reihe weiterer gelehrter Köpfe der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität, die kaum weniger bekannte, kleinformatige Lithographie Schlegels von Christian Hohe. Mehr noch, in einem anderen Raum des Hauptgebäudes, dem historischen Festsaal, schaut bei Veranstaltungen die Gäste nicht nur die Marmorbüste Niebuhrs, sondern auch diejenige Schlegels unverwandt an, die er selbst einst der Universitäts- und Landesbibliothek testamentarisch vermacht hatte.1 Und schließlich beruft sich die Universität auf Schlegel, indem sie im Rahmen der Exzellenzinitiative sogenannte »Schlegel Chairs« (»Schlegelprofessuren«) als herausragende Lehrstühle einrichtet. Im Festsaal der Universität fand 2017 ein vom ehemaligen Bonner Rektor Jürgen Fohrmann zusammen mit Kai Kauffmann und Matthias Buschmann (beide Bielefeld) veranstaltetes Kolloquium zu Ehren des 250. Geburtstags Schlegels statt. Es feierte den Kenner der »Literatur seiner Gegenwart, der philologischen Aufarbeitung der griechisch-römischen, der indischen, der romanischen und der deutschen Literaturgeschichte«, wie es im seinerzeitigen Einladungsflyer hieß.2 Schlegels Beiträge zur Kenntnis der romanischen Literaturen wurden in diesem Zusammenhang indes nicht näher beleuchtet. Auch die kaum zu überschätzende Bedeutung August Wilhelm Schlegels für die Sprachtypologie und die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft – neuere Forschungen 1 Mein Dank gilt meinem Kollegen Georg Satzinger für Hinweise zur Schlegel-Ikonographie. 2 Die Akten des Kolloquiums erschienen 2018 als von M. Buschmann und K. Kauffmann herausgegebenes Sonderheft (Band 137) »August Wilhelm Schlegel und die Philologie« der Zeitschrift für deutsche Philologie.

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Vorwort

haben ihn längst aus dem Schatten seines jüngeren Bruders Friedrich Schlegel (1772–1829), in den er sich erstaunlich bescheiden selbst gestellt hatte, heraustreten lassen – kam nicht zur Sprache. So war es naheliegend, diese beiden Aspekte des Schlegel’schen Werks in einer anderen Veranstaltung näher zu beleuchten. Den Anlass dazu bot eine Ringvorlesung des Wintersemesters 2018/2019 im Rahmen der Feiern der Bonner Universität zu ihrem 200. Geburtstag, der zugleich das 200jährige Jubiläum des Erscheinens der epochemachenden Observations sur la langue et la littérature provençales ist, die 1818 in Paris nur wenige Monate, bevor ihr Autor seine Lehrtätigkeit in Bonn aufnahm, erschienen. Die Website der Universität Bonn zur Zweihundertjahrfeier charakterisiert August Wilhelm Schlegel, den – angeblich – »eitlen Romantiker«, als »Literaturwissenschaftler, Kritiker, Übersetzer, Altphilologen und Indologen«. Das wird seiner gewichtigen Rolle für die romanische Literaturwissenschaft immerhin implizit gerecht, nicht jedoch für die Begründung der romanischen bzw. der vergleichenden und der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft. Heute können zwar die Bonner Romanistik und Germanistik Schlegels Wirken für die romanische und auch die germanische Sprach- und Literaturwissenschaft würdigen, doch vermag das die Bonner allgemeine und vergleichende Sprachwissenschaft nicht: Sie existiert in Bonn als professoral vertretenes wissenschaftliches Fach heute schlicht nicht mehr, denn sie wurde ausgerechnet in einer Zeit, in der, in Kooperation mit verschiedenen Naturwissenschaften, die Fragen von Sprachgeschichte und Sprachevolution auf die Tagesordnung der Disziplin mit gewaltiger Macht und innovativer Kraft zurückkehren, ohne jegliche disziplinäre Weitsicht sang- und klanglos über Bord geworfen. Dass dies keine bloße Redensart ist, beweist die Tatsache, dass ihr im Rahmen des Bonner Jubiläums nicht einmal ein Lied nachgesungen und an ihrem Grab auch keine Kränze niedergelegt wurden.3 Es bleibt dem Herausgeber, allen zu danken, die an dem Zustandekommen der Ringvorlesung und dieses Bandes mitgewirkt haben – dem Rektorat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität, der Fakultät, den Vortragenden, deren Beiträge hier versammelt sind, und Ulrike Franke sowie Felix Tacke für die organisatorische Hilfe. Last but not least danke ich dem Verlag V&R unipress (Bonn University Press) für die verlegerische Betreuung sowie Thea Göhring, Judith Harzheim und Judith Strunck für die wie immer gewissenhafte und sorgfältige Hilfe bei der Manuskripteinrichtung und Drucklegung. Bonn, im Februar 2021

Franz Lebsanft

3 Die Linguistik gehört jedenfalls nicht zu den »exemplarischen Fachgeschichten«, welche in Th. Becker, Ph. Rosin (Hg.) (2018): Die Buchwissenschaften. Geschichte der Universität Bonn 3. Mit 30 Abbildungen. Göttingen: V&R unipress, Bonn University Press, erzählt werden.

1. Die Observations im Überblick

Franz Lebsanft

»Nicht unwichtig für Diez war übrigens auch…«: Die Observations sur la langue et la littérature provençales August Wilhelm Schlegels, die Episteme der Geschichte und die Entstehung der Romanistik »So erklärt und ergänzt die alte Zeit die neue, und umgekehrt« (Tieck 1803: iv)1

1.

August Wilhelm Schlegel, die Episteme der Geschichte und die Entstehung der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft

Dass die Entstehung der Romanistik als »das vorwiegend historisch-vergleichende Studium der romanischen Sprachen und Literaturen« (Tagliavini 1973: 1)2 eng mit den Observations sur la langue et la littérature provençales (Schlegel 1818) verbunden ist, gehört zum bereits über ein Jahrhundert lang gepflegten Wissen über die Geschichte dieses Fachs. Tagliavini führt dazu in seinem klassischen Lehrwerk aus: Und es war wohl mehr als reiner Zufall, daß sein [d. h. Friedrich Schlegels] Bruder August Wilhelm Schlegel (1767–1845) nach der metrischen Übertragung italienischer, spanischer und portugiesischer Dichtungen ins Deutsche (seit 1790) die Observations sur la langue et la littérature provençales (Paris 1818) verfaßte, die bei ihrer

1 Das Motto aus Tiecks Vorwort zu den Minneliedern bezieht sich auf die »Poesie« und es wird, natürlich zu Recht, üblicherweise im Kontext der Hermeneutik des Mittelalters gelesen. Man kann ihm aber auch, wie hier, eine viel allgemeinere Bedeutung im Rahmen der Episteme der Geschichte geben. Schlegel schreibt am 9. November 1803, vermutlich an Wilhelm von Burgsdorff, er möge Tieck »viel schönes über seine Vorrede zu den Minneliedern sagen« (; alle im folgenden zitierten Digitalisate finden sich in Strobel/Bamberg 2014–2020). Von den Bearbeitungen der Minnelieder selbst distanziert er sich freilich, wie er Tieck am 2. Juni 1803 schreibt (Lohner/Lüdeke 1972: 134). Und auch Friedrich Schlegel lässt kein gutes Haar daran. Nach der Rückkehr aus Paris schreibt er seinem Bruder am 26. März 1804: »ich begreife in der That gar nicht wie er [d. h. Tieck], da er sonst das Altdeutsche so liebte, diese schönen Lieder so ganz schonungslos tot modernisiren und verstümmeln können« (Körner 21969: 67). 2 Tagliavinis Einführung war auf Italienisch erstmals 1948 erschienen; die deutsche Übersetzung beruht auf Tagliavini 61972.

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Franz Lebsanft

großen Bedeutung für die Geschichte der Sprachwissenschaft zumindest ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger für die Geschichte der Romanischen Philologie sind, und zwar so sehr, daß sich F. Diez […] später beklagte, A. W. Schlegel habe, »mit Studien anderer Art beschäftigt, seine Hand von einer Literatur abgezogen, die durch seine Bearbeitung ein ganz besonderes Interesse gewonnen haben würde« (Diez 1826: xii; 2 1883: xiii). Und U[go] A[ngelo] Canello […] behauptet dann sogar, daß A. W. Schlegel »derjenige gewesen sei, der Diez den bei solchen Untersuchungen zu beschreitenden Weg gewiesen habe« (Canello 187[2]: 13) (Tagliavini 1973: 2).

Tagliavinis These von August Wilhelm Schlegel (1767–1845) als dem Geburtshelfer der von Friedrich Diez (1794–1876) begründeten Romanistik ruft mit Canello (1848–1883) einen Zeitzeugen auf, der bei Diez 1870 studiert und noch zu dessen Lebzeiten eine Würdigung der wichtigsten Werke des Lehrers publiziert hatte.3 Bei ihm findet sich bereits der von Tagliavini vermerkte Verweis auf Diez’ in Die Poesie der Troubadours ehrerbietig formuliertes Bedauern, dass Schlegel, dem Diez das Werk widmet, seine provenzalischen Studien nach der Publikation der Observations nicht weiter verfolgt habe: Die Observations sur la langue et la littérature provençales des Hrn. A. W. von Schlegel, welche bei Gelegenheit des Raynouardischen Werkes (1818) erschienen, sind in der gelehrten Welt zu rühmlich bekannt, als daß es hier einer neuen Anerkennung ihres Werthes bedürfte. Nur zu sehr müssen die Freunde der Poesie des Mittelalters bedauern, daß der berühmte Verfasser, mit Studien anderer Art beschäftigt, seine Hand von einer Litteratur abgezogen, die durch seine Bearbeitung ein ganz besonderes Interesse gewonnen haben würde (Diez 1826: xiif.) (Canello 1872: 13).

Auf Canello beruft sich der von Tagliavini zweifellos rezipierte Gustav Gröber (1844–1911), dem wir an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die erste profunde Geschichte der Romanistik verdanken. Die Observations, »in mehrfacher Hinsicht ein Entwurf für die romanische Philologie«, betrachtet Gröber als »Forderungen«, deren Erfüllung »zur Lebensaufgabe für F. Diez« wurde (Gröber 1888a: 90; Gröber 21904–1906a: 104). In der ersten Hälfte der 1970er Jahre, in der Reinhard Meisterfeld und Uwe Petersen ihre Tagliavini-Übersetzung anfertigten, hielt ihr Lehrer und Meister Eugenio Coseriu (1921–2002) sechs Vorlesungen über die Geschichte der romanischen Sprachwissenschaft, die inzwischen, seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts, nach und nach postum publiziert werden (Coseriu/Meisterfeld 2003; 3 Canello 1872 (so die richtige Datierung des Werks auf der ersten Titelseite) wurde zunächst in der monatlich erscheinenden Florentiner Zeitschrift Rivista europea in mehreren Lieferungen von November 1871 bis Februar 1872 veröffentlicht. In der von Google Books digitalisierten separaten Veröffentlichung fehlen die Seiten 486–487 des ersten Teils der Darstellung in der Zeitschrift (Canello 1871–1872); aus dieser geht hervor, wann Canello nach eigenem Bekunden in Bonn studiert hat (Canello 1871–1872: Teil 1, 485): »ebbi la fortuna di poter ascoltare [Diez] nell’anno passato all’università di Bonn«.

»Nicht unwichtig für Diez war übrigens auch…«

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Coseriu 2020). Die von Coseriu in bewusster, allerdings modifizierender Anknüpfung an Gröber vorgeschlagene Periodisierung wählt mit dem Publikationsjahr der Observations das Jahr 1818 als den Einschnitt, der die dritte Epoche – von 1601 bis 1818 – von der vierten Epoche – von 1818 bis 1890 – scheide (Coseriu/Meisterfeld 2003: 8).4 Coseriu bezeichnet das Werk Schlegels geradezu provokativ als »die erste Synthese der romanischen Sprachwissenschaft« (Coseriu/Meisterfeld 2003: 11) und begründet inhaltlich den Einschnitt mit der »zweiten ausdrücklichen Formulierung des Begriffs ›Vulgärlatein‹« (Coseriu/ Meisterfeld 2003: 9).5 Tatsächlich hat Schlegel einen Begriff des Vulgärlateins, verwendet den Ausdruck latin vulgaire jedoch nicht. Gunter Narr, dem wir in dem skizzierten Tübinger Umfeld eine Neuausgabe der Observations verdanken (Schlegel 1818/ 1971), formuliert, vielleicht etwas vage, dass Schlegel die »richtige Ansicht« vertrete, »nämlich die, daß die romanischen Sprachen aus einer späten Phase des Lateins entstanden sind, die heute mit dem nicht sehr glücklich gewählten, aber anerkannten Terminus Vulgärlatein bezeichnet wird« (Narr 1971: iv). Schlegel (1818: 5, 13, 17) betrachtet vergleichend die romanischen nicht nur als gemeinsam vom Latein abgeleitete Sprachen (ebd.: 5, 13: »idiomes dérivés du latin«; ebd.: 17, 24, 38, 61: »langues dérivées du latin« usw.), sondern er macht als historische Grundlage der romanischen Sprachen, deren Substanz lateinisch und deren Form germanisch sei (ebd.: 20),6 ein durch germanisch-lateinisch bilinguale, ungebildete Sprecher radikal verändertes Latein aus, das schließlich von lateinischen Muttersprachlern übernommen worden sei: Les conquérans barbares (ils adoptèrent eux-mêmes ce nom qu’ils croyoient honorables, puisqu’il signifioit l’opposé de romain) trouvans dans les pays conquis une population toute latine, ou, selon l’expression du temps, romaine, furent en effet forcés d’apprendre aussi le latin pour se faire entendre, mais ils le parloient en général fort incorrectement; surtout ils ne savoient pas manier ces inflexions savantes, sur lesquelles repose toute la construction latine. Les Romains, c’est-à-dire les habitans des provinces, à force d’entendre mal parler leur langue, en oublièrent à leur tour les règles, et imitèrent le jargon de leurs nouveaux maîtres (Schlegel 1818: 24).

Für den hier zu erörternden Zusammenhang ist die Tatsache, dass Schlegel die von Diez nur wenig später in der Poesie der Troubadours (Diez 1826) zurück4 Lüdtke 2001: 4 nimmt dieselbe Periodisierung wie Coseriu vor, merkwürdigerweise ohne sich an dieser Stelle in irgendeiner Form auf seinen Lehrer zu beziehen. 5 Lüdtke 2001: 4 formuliert inhaltlich identisch und in der Wortwahl überraschend ähnlich: »August Wilhelm Schlegel (1818), der den Beweis der vulgärlateinischen Herkunft der romanischen Sprachen unter anderen Voraussetzungen als Cittadini und Raynouard ein zweites Mal erbringt«. 6 Canal 2017: 100 weist diesen Gedanken bereits im ersten Teil »Die Kunstlehre« der 1801/1802 gehaltenen Berliner »Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst« nach (KAV I: 421).

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Franz Lebsanft

gewiesene, im Übrigen durchaus alte ›Superstrat‹-These vertritt,7 weniger wichtig als die fundamentale Einsicht in die Geschichtlichkeit der Sprach(en)bildung, und zwar nicht nur was deren äußere Bedingungen, sondern gerade auch die inneren Entwicklungen betrifft. Tatsächlich beschließt Schlegel die Observations mit einem Bekenntnis zur Forderung nach genauer Kenntnis der Geschichte: Tout le monde se croit en état de juger les anciens temps d’après des connoissances superficielles; les bien connoître, est autrement difficile. Le moyen le plus sûr de ne tirer aucun parti de l’histoire, c’est d’y porter un esprit d’hostilité. Si nous dédaignons nos ancêtres, prenons garde que la postérité ne nous le rende (Schlegel 1818: 81).

Es ist diese Schlegel’sche conclusio, um die herum Gröber die »geschichtliche Betrachtung« als das Fundament der Wissenschaft von den romanischen Sprachen und Literaturen herausarbeitet (Gröber 1888a: 89; Gröber 21904–1906a: 103). Im selben Zusammenhang spricht er zuvor von der »Geschichtsauffassung, die das Miterleben der Vergangenheit vor deren Beurteilung« stelle, die »Wiederbelebung überwundener Bildungszustände« für möglich halte, der »Achtung vor der eigenen Vergangenheit« das Wort rede (Gröber 1888a: 60; Gröber 21904– 1906a: 66f.).8 In Hegel’scher Diktion definiert Gröber schließlich den Gegenstand der Philologie als (moderne) Wissenschaft, wobei er freilich erst in der zweiten Auflage den geschichtlichen Aspekt akzentuiert: Die Erscheinung des menschlichen Geistes in der [nur mittelbar verständlichen] Sprache und seine Leistungen in der künstlerisch behandelten Rede [der Vergangenheit] bilden den eigentlichen Gegenstand der Philologie (Gröber 1888b: 146; in eckige Klammern gesetzte Ergänzungen: Gröber 21904–1906b: 194).

Was nun in der »neueren romanischen Sprachforschung« (Gröber 1888a: 90; Gröber 21904–1906b: 104), d. h. in dem, was bereits die Gründerzeit der neueren Philologien die historisch-vergleichende Methode nennt, den Zusammenhang zwischen August Wilhelm Schlegel und Diez betrifft, so nennt Gröber chronologisch noch vor der Grammatik (Diez 1836–1844) die bereits mehrfach erwähnte Poesie der Troubadours (Diez 1826): 7 Im ersten Band der Grammatik der romanischen Sprachen relativiert Diez seine Ablehnung (Diez 1836–1844 [1836]: 1, 5). Aus der später uferlos gewordenen Literatur zur Germanenthese sei die Stellungnahme des Bonner Romanisten Harri Meier (1905–1990) herausgehoben: »Wolfgang Hunger bezeichnet in seiner Vindicatio linguae germanicae das Lateinische als die Mutter der romanischen Sprachen, die germanischen als ihren Vater, und bis zu August Wilhelm Schlegels Aufsatz über die Provenzalische Sprache und Literatur und von Schlegel bis in unsere Tage hat diese Auffassung ihre Vertreter – und ihre Gegner gefunden« (Meier 1941: 15). Meier dürfte sich bei Schlegel auf die Aussage beziehen, nach der in den modernen romanischen Sprachen »le fond est latin, et la forme germanique« (Schlegel 1818: 20). In größerem Zusammenhang stellen LRL II,1 und RSG I, Abschnitt V die heutigen Kenntnisse zum komplexen Verhältnis von Latein und Romanisch dar. 8 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch Selig 2013: 287f.

»Nicht unwichtig für Diez war übrigens auch…«

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Hier wird, in Anlehnung an W. von Humboldts sprachwissenschaftliche Untersuchungen und an J. Grimms Deutsche Grammatik, die vergleichende Betrachtung des Italienischen, Rumänischen, Altprovenzalischen, Altfranzösischen, Französischen, Spanischen, Portugiesischen eingeleitet und die Entstehung und Veränderung ihrer »Form«, der Lautgestalt, Wortbeugung und -bildung und der Satzfügung der romanischen Sprachen auseinandergesetzt. Die neue Lehre vom Lautwandel (die mit der Entdeckung der deutschen »Lautverschiebung« beginnt) ist hier bereits als die Grundlage der geschichtlichen Sprachlehre und der Wortherleitung bezeichnet (Gröber 21904– 1906a: 105; vgl. Gröber 1888a: 91).

Offensichtlich bezieht sich Gröber bei dieser Charakterisierung auf den manchmal übersehenen Abschnitt »Über die provenzalische Sprache« (Diez 1826: 283– 328), der eine über diese spezifische Sprache hinausgehende »Herleitung des romanischen Sprachzweigs« (ebd.: 285–291) enthält und die Betrachtung des Provenzalischen stets in einen romanischen Gesamtzusammenhang einbettet. Unmittelbar an Schlegel (1818) knüpft Diez zweifellos bei der Betrachtung der Grammatik an (Diez 1826: 293–312);9 doch bei der Lautlehre – Diez spricht vom »Princip der provenzalischen Mundart« (ebd.: 291–293), das freilich für alle romanischen Sprachen gelte, – ist sein Vorbild nicht der ältere Schlegel, sondern, wie Gröber richtig feststellt, Grimm (1819; 1822). Dieser letztere Gesichtspunkt begründet die Tatsache, dass die traditionelle Darstellung der Entstehung der romanischen Sprachwissenschaft als einer historisch-vergleichenden Disziplin, trotz der die Bedeutung der Observations hervorhebenden Bekundungen eines Gröber, Tagliavini oder Coseriu, August Wilhelm Schlegel übergeht oder allenfalls am Rande erwähnt. Die Romanistik als – um es noch einmal zu sagen – »das vorwiegend historisch-vergleichende Studium der romanischen Sprachen und Literaturen« (Tagliavini 1973: 1) ist sich, wie Schlegels Denken und Gröbers Interpretation desselben belegen, im 19. Jahrhundert ihrer epistemischen Grundlage völlig bewusst. Man kann diese mit der Hegel’schen Formel »Das Dasein ist gewordenes, bestimmtes Sein« auf den Begriff bringen (Hegel 1840: 96). Im 20. Jahrhundert nennt Michel Foucault (1926–1984) bekanntlich diese sich von ca. 1775 bis 1825 formierende Epoche, in der in den verschiedensten Disziplinen das theoretische Wissen durch einen solchen Blick auf die Empirie der Dinge ›geordnet‹ worden sei, »L’Age de l’Histoire« (Foucault 1966: 229). Die Geschichte sei damals »l’incontournable de notre pensée« geworden (ebd.: 231), wobei die Sprachwissenschaft ein herausragendes, doch in seiner Bedeutung angeblich unterschätztes Beispiel bilde (ebd.: 293f.).10

9 Zu dem von Gröber auch erwähnten Humboldt, s. unten, Abschnitt 4.2, S. 35f. 10 In gewisser Weise ist in der Gegenwart Foucault der »unumgehbare« Theoretiker dieser Wissenschaftsepoche geworden. Gauger (1981: 25–28), auf den ich weiter unten zu sprechen

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Franz Lebsanft

Die Heroen der Sprachwissenschaft, welche die historisch-vergleichende Methode herausbilden, um verlässlich Auskunft über die durch gemeinsame Herkunft begründete Ähnlichkeit, d. h. also die Verwandtschaft von Sprachen geben zu können, heißen bei Foucault – Rasmus Kristian Rask (1787–1832) findet nur eine recht kurze Erwähnung – Friedrich Schlegel (1772–1829), Franz Bopp (1791–1867) und Jacob Grimm (1785–1863; Foucault 1966: 292–313, Kap. »Bopp«). Der französische Wissenschaftstheoretiker, der sich notorisch über die Quellen seines eigenen Wissens ausschweigt, dürfte für diese Genealogie bei dem großen, zeitgenössischen Historiker der frühen Indogermanistik, Theodor Benfey (1809–1881), fündig geworden sein. Allerdings stellt Benfey der Ahnengalerie11 noch den bei Foucault (1966: 247) nur recht kurz gestreiften William Jones (1746–1794), dessen Bedeutung gleichwohl schon von ihm und nicht erst in unseren Tagen relativiert wird,12 mit seiner berühmt gewordenen Vermutung der Verwandtschaft des Sanskrit mit dem Griechischen und Lateinischen voran (Benfey 1869: 346f.). Für die Methodengeschichte der »Umgestaltung, ja vollständigen Revoluzion der Sprachwissenschaft« (Benfey 1869: 100) spielt die Romanistik eine völlig untergeordnete Rolle: Der ältere Schlegel, der Benfey vor allem als Begründer der »indischen Philologie« etwas gilt (ebd.: 379–382), findet mit den Observations als Erforscher des Provenzalischen ebenso kurze Erwähnung wie Diez (ebd.: 653), der zusätzlich für seine Grammatik immerhin gelobt wird (ebd.: 650). Die Verortung der Konstellation von Schlegel (1818) und Diez (1836–1844) – Diez (1826) findet keine Erwähnung – und die ›Leichtgewichtigkeit‹ von Diez innerhalb der Geschichte der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft bekräftigt ein komme, bezieht sich bei der Analyse des historischen Bewusstseins als Entstehungsbedingung der Sprachwissenschaft auf die Philosophie von Walter Schulz (Schulz 1972). 11 Zu Friedrich Schlegel: Benfey 1869: 357–369; zu Bopp: ebd.: 370–379 und 470–515; zu Grimm: ebd.: 427–470. Den heutigen Stand der Historiographie der Indogermanistik fassen Swiggers 2017a und Swiggers 2017b zusammen. 12 In diesem Zusammenhang spricht Swiggers 2017b: 173 von dem »unjustly forgotten memoir of the Jesuit [Gaston-]Laurent Cœurdoux (1691–1779)«, das er in Swiggers 2017a: 160 näher beschreibt. Die Historiographie hat Cœurdoux keineswegs vergessen: Benfey 1869: 340f. berichtet bereits über ihn: »Im Jahr 1767 wurde vom Pater Cœurdoux in Pondichery [sic] dem Abbé Barthélémy [sic] für die französische Akademie eine Abhandlung eingesandt, in welcher zuerst das Verhältniß des Sanskrit zum Griechischen und Latein eindringender betrachtet und der richtige Grund desselben: die ursprüngliche Verwandtschaft der Inder, Griechen und Lateiner ausgesprochen ward. Wie wenig aber die Zeit trotz des damals so lebendigen linguistischen Eifers für die Anerkennung dieses wichtigen Resultates vorbereitet war, läßt sich daraus ermessen, daß diese Abhandlung, obgleich schon 1768 in der französischen Akademie vorgelesen, erst 40 Jahre später im Druck erschien, zu einer Zeit, wo es durch Engländer und Deutsche schon in die Wissenschaft Eingang gefunden hatte.« Benfeys Quelle ist wiederum Michel Bréals ausführliche Einleitung (Bréal 1866: xvi–xviii) zum ersten Band seiner Übersetzung von Bopp 21857; Bopp 1866. Seitdem erinnern französische Gelehrte recht oft an Cœurdoux; so auch Foucault 1966: 247.

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»Nicht unwichtig für Diez war übrigens auch…«

gutes Jahrhundert später eine moderne Darstellung der »Entstehung der romanischen Sprachwissenschaft« (Gauger 1981), die auf diese Weise skizziert wird (ebd.: 18):13 Grimm (1819) Raynouard (1816) Schlegel (1818)

Pott (1833)

Diez (1836)

Miklosich (1852)

Zeuss (1853)

Curtius (1858)

Gauger kann sich (wie viele andere) auf Diez selbst berufen (Tobler 1912: 454), um die griffige Formel »Diez = Raynouard (Stoff) + Grimm (Methode)« aufzustellen, seine Grammatik als eine »Anschlußarbeit« zu charakterisieren und Schlegel (1818) auch bildlich an den Rand zu stellen, mehr nicht: »Nicht unwichtig für Diez war übrigens auch das Werk von August Wilhelm Schlegel Observations sur la langue et la littérature provençales (1818)« (Gauger 1981:18; vgl. Gauger 1991: 26). Allerdings wird es entgegen alle Erwartung keine tour de force sein zu zeigen, dass diese Darstellung der Konstellation von Schlegel und Diez aus einer anderen Perspektive sich ganz anders darstellt, und zwar dann, wenn man den Standpunkt der Lautlehre, den die z. B. von Gauger (1981; 1991) repräsentierte communis opinio ausschließlich einnimmt, verlässt und denjenigen der Grammatik einnimmt.

2.

Die Entstehung und Publikation der Observations sur la langue et la littérature provençales (1818) und ihr Verhältnis zum ersten Band des Choix (1816)

Die Observations erscheinen in Paris im Mai 1818. Von dort schreibt Schlegel am 9. Mai 1818 an Raynouard (1761–1836), der das Büchlein erwartet haben dürfte: Monsieur J’ai l’honneur de Vous envoyer ci-joint un exemplaire de mes observations sur papier velin et deux sur papier ordinaire. […] Je dois vous faire mes adieux, Monsieur, étant au moment de partir pour l’Allemagne; mais j’espère que Vous voudrez bien entretenir avec moi quelque relation litteraire. Je vous prie, Monsieur, d’agréer l’assurance de ma consideration la plus distinguée. 13 »Raynouard 1816« meint bei Gauger den ersten Band von Raynouard 1816–1821. S. dazu die folgenden Abschnitte; Pott 1833–1836 steht für die Anwendung der Grimm’schen Methode auf die Indogermanistik insgesamt, Miklosich 1852–1874 für die Slavistik, Zeuss 1853 für die Keltistik, Curtius 1858–1862 für die Gräzistik. Eine Raynouard und A. W. Schlegel weglassende Skizze, welche zugleich die wissenschaftlichen ›Ahnen‹ Grimms von Jones bis Rask nennt, findet sich in Gauger 1991: 27.

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Franz Lebsanft

Paris ce 9 Mai 1818 V.[otre] tr.[ès] h.[umble] & tr.[ès] ob[éissan]t serviteur A. W. de Schlegel Mon adresse est toujours chez Mr. le Duc de Broglie Rue de Bourbon 76 (Körner 1930: 321f.)14

Neun Monate zuvor, am 5. September 1817, hatte Schlegel Raynouard bestätigt, dass er nach seiner Rückkehr aus der Schweiz, wo er an der Beisetzung der am 14. Juli in Paris verstorbenen Madame de Staël teilgenommen hatte, eine Buchsendung von ihm vorgefunden habe und mit ihm sich darüber austauschen wolle: Monsieur […] Seulement depuis mon retour j’ai pu trouver assez de tranquillité pour étudier avec l’attention qu’ils méritent les excellents ouvrages que Vous avez eu la bonté de m’envoyer. Vous avez porté la lumière dans un chaos, Monsieur, Vous avez fait faire un pas de géant à l’étude trop long-temps négligée de la langue provençale, et Vos travaux remplissent une vaste lacune dans l’histoire littéraire du moyenage. Je désirerois bien avoir un entretien avec Vous sur ce sujet. Je craindrois d’empiéter sur les droits de votre retraite savante en allant Vous faire une visite à Passy, mais si vous vouliez me donner un rendez-vous à Paris, soit à la Bibliotheque de l’Institut, soit ailleurs, je m’y rendrois avec le plus grand empressement. Veuillez agréer, Monsieur, l’assurance de ma considération la plus distinguée. V.[otre] tr.[ès] h.[umble] & tr.[ès] ob.[éissan]t serviteur A. W. de Schlegel Paris 5 Sept. 1817 Faub.[ourg] St. Honoré Rue d’Anjou N° 8 (ebd.: 314f.)15

Auf welchen Teil des vielbändigen Raynouard’schen Werks bezieht sich Schlegel im Jahr 1818? Aus den Observations können wir erschließen, dass Raynouard ihm zu diesem Zeitpunkt – wenn überhaupt – nur den ersten, 1816 erschienen Band des Choix des poésies originales des troubadours hatte zukommen lassen, der drei, ursprünglich separat publizierte »écrits« umfasst: Les écrits que nous avons sous les yeux servent d’introduction. Dans le premier, l’auteur remonte à l’origine de la langue romane, en rassemblant toutes les traces éparses qui nous en restent. Dans le second, il la saisit, pour ainsi dire, au moment même d’une formation plus régulière, et analyse les monumens les plus anciens conservés jusqu’à nos jours. Dans la grammaire enfin il développe les inflexions, les règles, les idiotismes de cette langue, telle qu’elle a été parlée et écrite à son époque la plus florissante, c’est-àdire dans le douzième et le treizième siècle (Schlegel 1818: 2f.).

14 Vgl. das Digitalisat der Hs., [konsultiert am 10. 11. 2020]. 15 Vgl. das Digitalisat der Hs., [konsultiert am 10. 11. 2020].

»Nicht unwichtig für Diez war übrigens auch…«

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In der dazugehörigen Anmerkung bibliographiert Schlegel diese drei Schriften in einer Form, die nicht mit dem Titelblatt von Raynouard (1816–1821 [1816]) identisch ist: Choix […]. Tome Premier, contenant I. Recherches sur l’ancienneté de la langue romane. II. Elémens [sic] de la grammaire de la langue romane avant l’an 1000, précédés de recherches sur l’origine et la formation de cette langue. III. Grammaire romane, ou Grammaire de la langue des Troubadours. Ces trois écrits sont réunis en un seul volume, sous le titre: Choix des poésies originales des Troubadours, T. I, Paris 1816. (Schlegel 1818: 84)

Les Preuves historiques de l’ancienneté de la Langue romane; – Des Recherches sur l’origine et la formation de cette langue; les Éléments de sa grammaire, avant l’an 1000; – La Grammaire de la langue des Troubadours (Raynouard 1816–1821 [1816]: 1, iii)

Der Grund liegt darin, dass Schlegel – was selten bemerkt wird – sich in der Tat auf die zeitgleich erfolgten separaten Publikationen bezieht (und auch nach ihnen zitiert), die Raynouard im ersten Band des Choix dann zusammengefügt hat. In Raynouard (1816a) führt der französische Gelehrte dazu aus: Ces Recherches et ces Éléments servent d’introduction à l’ouvrage qui s’imprime en ce moment, ayant pour titre: Choix des poésies originales des Troubadours. La grammaire détaillée de la langue romane, l’histoire de ses anciens documents, les preuves de l’identité des langues de l’Europe latine avec la langue romane primitive, un dictionnaire où chaque mot offrira des exemples tirés des manuscrits, accompagneront l’édition de ces poésies originales (Raynouard 1816a: ii).

Paratextuell gibt es Unterschiede, die ich kurz angebe: Raynouard (1816a): Recherches sur l’ancienneté de la langue romane. – Paris: Firmin Didot, 31 S.: Nach einer Einleitung (1816a: 5) folgt ein Text (ebd.: 6–31), der Raynouard (1816–1821 [1816]: 1, i–xxxi) entspricht. In Raynouard (ebd.: xxxi–xxxii) folgt eine Überleitung, die mit »Mais quel était le mécanisme« beginnt und mit »les écrits de ces illustres poëtes.« endet. Raynouard (1816b): Eléments [sic] de la grammaire de la langue romane avant l’an 1000, précédés de recherches sur l’origine et la formation de cette langue. – Paris: Firmin Didot, iv + 105 S.: Das Werk beginnt mit einem »Avertissement« (ebd.: i–iii) und einer »Indication des principaux monuments de la langue romane, cités dans ces recherches » (ebd.: iv). Der folgende Text (ebd.: 1–105) entspricht Raynouard (1816–1821 [1816]: 1, 1–105). Die »recherches« umfassen jeweils die Seiten 1–16, die »éléments« die Seiten 17– 105. Die zusätzlichen 31 S. eines der Digitalisate von Google Books enthalten ein vermutlich angebundenes Exemplar von Raynouard (1816a). Raynouard (1816c): Grammaire romane, ou Grammaire de la langue des troubadours. – Paris: Firmin Didot, 351 S.: Das Werk beginnt mit einer »préface« (ebd.: 5–12). Es folgt

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(ebd.: 13) ein Verzeichnis der Kapitel der folgenden Grammatik, die auf derselben Seite mit ihrem ersten Kapitel beginnt. Der Text der Grammatik von Raynouard (ebd.: 14– 342) entspricht Raynouard (1816–1821 [1816]: 1, 110–438). Sowohl in Raynouard (1816c: 343–351) als auch in Raynouard (1816–1821 [1816]: 1, 439–447) folgt ein »appendice« mit dem Verzeichnis der handschriftlichen Quellen und textkritischer Eingriffe. Sowohl in der »préface« als auch zu Beginn des ersten Kapitels der Grammatik von Raynouard (1816c) bezieht sich der Verfasser auf Raynouard (1816b). Raynouard (1816–1821 [1816]: 1, 109) enthält eine in Raynouard (1816c) nicht enthaltene Leseanweisung für die Grammatik. Da die Seitennummerierung in Raynouard (1816–1821 [1816]: Bd. 1) gegenüber Raynouard (1816c) verändert ist, sind Seitenverweise angepasst worden wie z. B. in Raynouard (1816–1821 [1816]: 1, 442) gegenüber Raynouard (1816c: 346).

Gleichwohl gibt Schlegel in seinem Werk bereits Hinweise auf die Gesamtarchitektur des Choix des poésies originales des troubadours, indem er nicht nur den ersten Band, sondern auch noch eine Vorschau auf die folgenden Bände des Raynouard’schen Werkes bietet (Schlegel 1818: 3f.). Nur drei Monate nach Empfang der Raynouard’schen Sendung, am 5. Dezember 1817, legt Schlegel seine »Beobachtungen« dem Verfasser vor: Monsieur J’ai l’honneur de soumettre à Votre examen mes observations. Je me suis laissé entrainer par l’intérêt du sujet: mon article est devenu trop long pour être inséré dans un journal, et je pense le donner séparément. Je rejetterai les notes à la fin, elles ne sont pas encore achevées, parce que je n’ai pas eu le temps de vérifier toutes les citations aux bibliothèques publiques. Je vous ai fait quelques objections: je serois charmé, si elles pouvoient Vous engager à revenir à la même matière avec un plus grand développement, et je ne demande pas mieux que d’être refuté. Si Vous avez une heure à m’accorder pour causer sur les sujets de nos recherches, je serai fort empressé d’accepter le rendez-vous que Vous voudrez m’assigner. Veuillez agréer, Monsieur, l’hommage de ma considération la plus distinguée. V.[otre] tr.[ès] h.[umble] & tr.[ès] ob[éissan]t serviteur A. W. de Schlegel Paris 5 Dec. 1817 Rue de Bourbon N° 76 (Körner 1930: 318f.)

Und nach gut drei weiteren Wochen bedankt sich Schlegel wiederum für die Rückgabe seines Manuskripts: Paris 28 Dec 1817 Monsieur J’ai retrouvé mon manuscrit sur mon bureau, j’ai appris que Vous aviez eu la bonté, de le rapporter Vous même, et j’ai d’autant plus regretté d’avoir manqué l’honneur de Votre visite, que je n’étois point sorti, et que le portier auroit dû m’avertir dans l’appartement

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de Mr. de Broglie. Depuis j’ai été plusieurs fois été [sic] à la Bibliothèque de l’Institut dans l’espérance de Vous y rencontrer; je suis faché d’apprendre que Vous étes retenu chez Vous par une cause aussi désagréable. Je demanderois la permission d’aller Vous voir à Passy, si je ne craignois pas de Vous importuner dans Votre retraite savante. En tout cas je ne voudrois pas livrer mon essai à l’impression, sans avoir entendu Votre avis. Je n’ai pas encore eu le temps de rediger les notes. Je serois bien curieux de voir le manuscrit du poème sur Boèce, afin de pouvoir parler de la date qu’il faut lui assigner d’après ma propre inspection. J’aurois une foule de questions à Vous faire; Votre entretien, Monsieur, est toujours pour moi une source d’instruction: mais votre temps est trop précieux pour que j’ose souvent prétendre à cet avantage. Veuillez agréer, Monsieur, l’hommage de ma considération la plus distinguée. V. tr. h. & tr. obt serviteur AW de Schlegel A Monsieur Monsieur Raynouard secrétaire de l’Academie françoise à Passy16

Aus der überlieferten Korrespondenz mit Raynouard wird nicht klar, ob bzw. wann Schlegel den französischen Gelehrten im Kontext seiner provenzalischen Studien auch persönlich getroffen und ob bzw. wie Raynouard auf das Manuskript der Observations reagiert hat. In einem Brief vom 23. September 1817 an den in Genf weilenden Freund Guillaume Favre (1770–1851), also nach dem Empfang der Raynouard’schen Texte, berichtet Schlegel: »J’ai eu un long entretien avec Raynouard, il a très-bien accueilli mes observations« (Adert 1856: ci), doch dürfte es sich so wenige Wochen nach dem Empfang der Raynouard’schen Sendung wohl kaum schon um einen bereits ausformulierten Text gehandelt haben. Über diesen berichtet er Favre am 17. Dezember 1817, also knapp zwei Wochen, nachdem er das Manuskript der Observations Raynouard zugeleitet hatte: Ce sont des Observations sur la langue et la littérature provençales relatives aux recherches de M. Raynouard. Cela fera une centaine de pages; tout est déjà achevé, aux notes près, dans lesquelles je compte reléguer l’érudition. Voyant que je n’aurais pas le loisir de terminer pendant cet hiver mon Essai sur la formation de la langue française, qui fera peut-être un gros volume, j’ai anticipé sur ce sujet, voulant donner une bagatelle qui pût intéresser les hommes instruits en France, avant de quitter ce pays, qui sait? pour longtemps. Cela me fera, j’espère, un moins mauvais renom. J’ai communiqué mon

16 Transkription von Gesa Steinbrink und Olivia Varwig, [konsultiert am 10. 11. 2020].

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manuscrit à M. Raynouard, mais je ne l’ai pas encore vu depuis. Il est toujours à Passy, et absorbé par ses travaux (ebd.: cvi).17

Tatsächlich hat Raynouard das gedruckt publizierte Werk, Schlegel (1818), bereits im Jahr von dessen Erscheinen im Journal des savans angezeigt (Raynouard 1818), worauf ich im Folgenden genauer zurückkomme.18

3.

Die Observations im Überblick und im Kontext

3.1

Eine sehr lang geratene Rezension

Am 22. Januar 1817 hatte Schlegel Marc-Auguste Pictet (1752–1825) auf die Publikation der Éléments (Raynouard 1816b) aufmerksam gemacht: Mr Raynouard est occupé d’un grand travail sur la langue et littérature provençale [sic]. Jusqu’ici il n’a donné qu’un excellant traité; Elémens [sic] de la Grammaire de la langue Romane avant l’an 1000, etc. Ses recherches vont jeter un nouveau jour sur l’histoire de la formation de la langue Française et sur la littérature du moyen âge (Körner 1958: 557).

In einem weiteren Brief vom 1. September 1817 bietet er Pictet »une revue des excellents travaux de Mr Raynouard sur la langue et littérature provençale [sic]« für dessen Zeitschrift an (Körner 1958: 560), doch dann entschließt sich Schlegel, wie wir im Brief an Raynouard vom 5. Dezember 1817 gesehen haben, angesichts des für eine »revue« zu großen Umfangs zu einer selbständigen Publikation. Zu diesem Zeitpunkt sind die Anmerkungen zu dem Text, der im Druck 81 Seiten umfassen wird, noch nicht redigiert. Die »Notes« werden noch einmal 41 Seiten füllen. Gleichwohl behält das Werk den Charakter einer Besprechung. Was bietet Schlegel nun seinen Lesern? Ich fasse die von ihm betrachteten und durchaus geordneten Gegenstände in insgesamt sieben Punkten zusammen, wobei die Punkte eins bis vier recht kurz, die Punkte fünf bis sieben weit ausführlicher abgehandelt werden. Erstens äußert sich Schlegel zur Verbreitung des Provenzalischen, das sich nach seiner Auffassung von Norditalien bis nach Katalonien erstreckt (Schlegel 1818: 1f.). An anderer Stelle macht er deutlich, dass er das Katalanische nicht als eine eigenständige Sprache, sondern als eine ›Varietät‹ des Provenzalischen (Okzitanischen) betrachtet (ebd.: 40).19 Es folgt, zweitens, eine Übersicht über Raynouards Studien, nicht nur der bereits erschienenen, sondern, wie wir bereits 17 Vgl. das Digitalisat der Hs. [konsultiert am 10. 11. 2020]. 18 S. unten, Abschnitt 3.2, S. 26–28. 19 Ob das Katalanische eine eigenständige, vom Okzitanischen wie dem Kastilischen unabhängige Sprache sei, wird noch in Meyer-Lübke 1925 diskutiert.

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gesehen haben, auch der im Druck befindlichen und weiterhin geplanten (ebd.: 3f.). An der Arbeitsweise des französischen Gelehrten hebt er, drittens, den ›empirischen‹, d. h. philologischen Charakter hervor, die »critique lumineuse« (ebd.: 4), die, wie er später im Text sagt, sich an der klassischen Philologie orientieren müsse (ebd.: 62).20 Mit der von Raynouard geleisteten Dechiffrierung der Handschriften müssten die Interpretationskünste häufig hermetischer Texte – Schlegel verwendet noch nicht den Begriff des trobar clus (Mölk 1968; Mölk 1982: 73–82) – Schritt halten (Schlegel 1818: 5), und dies bei einer Sprache, die noch kaum erschlossen (ebd.: 5–7), deren Regelhaftigkeit (»analogie«, ebd.: 6) vor Raynouard noch nicht erkannt worden sei. Viertens folgen grundsätzlichere Überlegungen zur Bedeutung des Provenzalischstudiums, das einer bedeutenden Literatur gelte, deren Qualitäten und historischen Wert man nur in der Originalsprache, nicht jedoch in etwaigen Übersetzungen erfasse (ebd.: 7–13).21 Das Gewicht dieser Literatur werde, wie er schon in den Berliner Vorlesungen bemerkt hatte (Schlegel 1803–1804 = KAV II/1: 143), durch die Zeugnisse Dantes und Petrarcas beglaubigt (ebd.: 10).22 Im Anschluss erörtert Schlegel die Bedeutsamkeit des eigentlichen Sprachstudiums, das Aufmerksamkeit im Hinblick auf die allgemeine Sprachtheorie, die Geschichte der aus dem Lateinischen hervorgegangenen Sprachen und die ästhetischen Qualitäten des Provenzalischen selbst beanspruchen dürfe (ebd.: 13). Mit diesen letzteren Hinweisen werden die Punkte fünf bis sieben der Observations benannt. Der fünfte, ausführlich entwickelte Punkt betrifft die Ausführungen zur allgemeinen Sprachtheorie (ebd.: 17–39), welche die in der Linguistik berühmt gewordene Unterscheidung von drei Sprachtypen – Schlegel (ebd.: 14) spricht von »classes« – enthält.23 Bei der Einteilung der Sprachen der Welt in »les langues sans aucune structure grammaticale, les langues qui emploient des affixes, et les langues à inflexions« (ebd.: 14) beruft er sich auf seinen Bruder Friedrich (Friedrich Schlegel 1808) und auf Adam Smith (Schlegel 1818: 85, mit Verweis auf

20 Vgl. zu diesem Aspekt Gröber 1888a: 89; Gröber 21904–1906a: 103; Christmann 1985: 13f.; Gramatzki 2008: 152. 21 Zu diesem vermeintlich überraschenden Befund s. Ulbrich 2008: 128–131 und Strobel 2010: 168. Tatsächlich hat Schlegel keine Übersetzungen aus dem Provenzalischen angefertigt. Höltenschmidt 2000: 166, Anm. 828 macht immerhin auf die Übertragung einer bei Raynouard 1816–1821 (1820): 5, 74 gefundenen Alba (P.-C. 76, 23) unsicherer Zuschreibung (Bertran d’Alamanon oder Gaucelm Faidit) aufmerksam, die Schlegel 18 Jahre nach den Observations, 1836, als »Tagelied nach dem Provenzalischen des Bertrand de Lamanon« im Deutschen Musenalmanach publizierte (Schlegel 1836: 20–22); s. auch SW I: 298f., wo das Gedicht, nunmehr ohne Autorennennung ein »Tagelied frei nach dem Provenzalischen«, zu den Schlegel’schen »Lieder und Romanzen« gezählt wird. Die Alba ist bis ins späte 20. Jahrhundert ein beliebtes Anthologiestück geblieben, s. z. B. Rieger 1980: 140–145. 22 Vgl. dazu Bernsen 2021 und Kauffmann 2021 (in diesem Band). 23 Vgl. dazu Zollna 2021 (in diesem Band).

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die französische Übersetzung Smith/Friedrich Schlegel 1809),24 und zwar ohne seine eigenen Verdienste ins rechte Licht zu rücken, wie man später zwar nicht überall, aber doch immer wieder, immerhin von Benfey (1869: 366f.) bis Coseriu (2015: 2, 163f.), festgestellt hat. Innerhalb des dritten Sprachtyps unterscheidet Schlegel (1818: 16), auch dies eine berühmte Differenzierung (Hoinkes 2003: 127f.; Jacob 2003: 141f.), bei der er sich, wenn auch sehr indirekt, auf Smith bezieht (Schlegel 1818: 25), die »langues synthétiques« von den »langues analytiques«. Das sind zunächst einmal systematische Unterscheidungen. Gleichwohl spielt das geschichtliche Denken insofern eine wichtige Rolle, als Schlegel der Überzeugung ist, dass sich synthetische zu analytischen Sprachen entwickeln (Schlegel 1818: 16, 86f.). Insofern hat man zu Recht sagen können, dass Schlegel der »fondateur de la typologie diachronique« sei (Bossong 2001a: 719). Als Beispiel (unter mehreren) nennt er die romanischen Sprachen (Schlegel 1818: 17), wobei er sich historisch ausschließlich auf das weströmische Reich bezieht, in dem – wie ich bereits erwähnt habe –25 unter dem Einfluss der Germanen die romanischen Sprachen, d. h. für Schlegel das Provenzalische, Italienische, Spanische, Portugiesische und Französische (ebd.: 20; vgl. auch ebd.: 51), entstanden seien. In diesem Zusammenhang nennt er eine Fülle romanischer, vom klassischen Latein abweichender Sprachphänomene (ebd.: 28–39). Eingebettet in diese innersprachlichen Betrachtungen finden sich exkursartig an Raynouard und Smith sich abarbeitende und in der über beide hinaus gehenden Tradition der Aufklärungslinguistik zu situierende Überlegungen (Monreal-Wickert 1977: 58– 69)26 zur Bewertung des synthetischen gegenüber dem analytischem Sprach-

24 Monreal-Wickert 1977: 69 verweist noch auf ältere Übersetzungen von Smith 1761/1970. Auf die kontroversen, von Coseriu 1968 ausgelösten Diskussionen über die Beziehungen zwischen Smith und Schlegel kann ich hier nicht eingehen; s. dazu die Überlegungen von Zollna 2021 (in diesem Band). 25 S. oben, Abschnitt 1, S. 13. 26 Die zusammenfassende Darstellung von Haßler 2009b erwähnt die glänzende Pionierarbeit der bei Hans Helmut Christmann angefertigten und Coseriu 1970 in manchem widersprechenden Dissertation von Monreal-Wickert 1977 leider nicht. Doxographisch Kurioses offenbart in diesem Zusammenhang eine vergleichende Lektüre von Bossong 2001b: 251 (»Die Entdeckung einer Vorgeschichte der Sprachtypologie ist in erster Linie ein Verdienst von Hans Helmut Christmann. Seine Schülerin Irene Monreal-Wickert [Monreal-Wickert 1976, 1977; vgl. Coseriu 1976] hat gezeigt, daß bereits in der Linguistik der europäischen Aufklärung ein Sprachdenken vorliegt, das als typologisch bezeichnet werden kann.«) mit der auf der Homepage des Zürcher Emeritus veröffentlichten Vorversion (?) dieses Textes (»Bossong_117 PDF«): »Die Entdeckung einer Vorgeschichte der Sprachtypologie ist in erster Linie ein Verdienst von Eugenio Coseriu und seiner Schule. Er und seine Schülerin Irene MonrealWickert (vgl. besonders Coseriu 1970 [= Coseriu 1968], Monreal Wickert 1976, 1977) haben gezeigt, dass bereits in der Linguistik der europäischen Aufklärung ein Sprachdenken vorliegt, das als typologisch bezeichnet werden kann.«

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›Denken‹ (Schlegel 1818: 25–28), die, wie Bär (2002: 89) zeigt, unmittelbar in »Wertmustern seiner [d. h. Schlegels] frühromantischen Weltsicht« gründen.27 Es folgt, sechstens, eine Darstellung des Entwicklungsgangs der romanischen Sprachen (Schlegel 1818: 39–56). Diese enthält die berühmte Zurückweisung der Raynouard’schen Theorie der »langue romane« als eines vermeintlichen Mittelglieds zwischen dem Lateinischen und den übrigen romanischen Sprachen. Wie man immer wieder hervorgehoben hat – seit Gröber sogar mit Verweis auf die angebliche, tatsächlich nur sehr bedingt zutreffende zeitgenössische Zustimmung in Frankreich (Gröber 1888a: 72; Gröber 21904–1906a: 82)28 –, sieht Schlegel wie schon zuvor Bouterweck (1817: 1593f.; Rettig 1976: 254f.) richtig, dass die »langue romane«, d. h. das Provenzalische chronologisch nicht vor, sondern neben den anderen romanischen Sprachen existiert.29 Allerdings nimmt er durchaus an, dass das Französische sich weiter vom Lateinischen entfernt habe als das Provenzalische (Schlegel 1818: 41), sodass man in moderner Diktion sagen könnte, dass sich für Schlegel das Französische aus einer provenzalisch geprägten 27 Vgl. ebd. »Die analytischen Sprachen sind für ihn depravierte synthetische, die es zu resynthetisieren (das heißt: zu repoetisieren) gilt.« Zu Schlegels Konzept der Repoetisierung vgl. Kauffmann 2021: 194–196 (in diesem Band). 28 Unverständlich ist mir daher die Behauptung von Lüdtke 2001: 31, dass »diese wichtige Klarstellung« im Fach »selten zur Kenntnis genommen« worden sei. Noch unverständlicher erscheint mir allerdings die Bemerkung von Swiggers 2001: 99, dass Schlegel in dieser Hinsicht »se montre peu critique«. Um Schlegels Dezidiertheit gegenüber der Raynouard’schen These – »bei dem gegebenen Wissensstand eine durchaus fundierte These« (Hoinkes 2003: 129) – richtig einzuschätzen, genügt ein vergleichender Blick in die Rezension des vierten Bands des Choix (Raynouard 1816–1821 [1819]) des von Gröber genannten Daunou (1823). Der Rezensent, der Schlegel nicht nennt, aber zu Kenntnis genommen haben dürfte, laviert: »Lors même qu’on ne voudroit considérer la langue provençale que comme l’une des cinq qui sont nées du latin dégénéré, comme il est incontestable qu’elle avoit fait avant l’an 1200 plus de progrès qu’aucune des quatre autres, ce seroit encore elle qu’il conviendroit de prendre pour terme de comparaison; en sorte que, sans accorder à la langue provençale la qualification de mère des quatre autres, on trouveroit toujours dans les ouvrages de M. Raynouard la plus véritable, la plus méthodique et la plus savante histoire de tous les idiomes de l’Europe latine« (Daunou 1823: 89f.). 29 Der jüngere Schlegel hatte interessanterweise von »dieser ältesten romantischen Sprache« in seinem frühen Bericht über die Pariser provenzalischen Handschriften gesprochen (Friedrich Schlegel 1803: 71; 1975: 34). Der ältere Schlegel (1803–1804 = KAV II/1: 137f.) formuliert zeitgleich in den Berliner Vorlesungen noch völlig unsicher tastend, das Provenzalische »scheint die Sprache, welche unter allen neulateinischen zuerst zur Reife gedieh, auch die vielseitigste gewesen zu seyn, welche alle nachher einzeln ausgebildete Charaktere verschiedner unter ihnen, vereinigt, wenigstens im Keime in sich enthielt, und daher recht eigentlich zu einer Muttersprache der Europäischen Poesie geeignet war. So wie die Provinzen wo sie gesprochen wurde, in der Mitte zwischen dem nördlichen und südlichen Europa liegen, so glaube ich auch in der Sprache Ähnlichkeiten mit den südlichsten und nördlichsten Dialecten des Neulateinischen zu finden.« Man kann Schlegel so interpretieren, dass für ihn das Provenzalische synchronisch eine Mittelstellung innerhalb der romanischen Sprachen einnimmt, was eine diachronische Mittelstellung zwischen dem Lateinischen und den anderen romanischen Sprachen, wie sie Raynouard annimmt, nicht einschließt.

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Romanität ›ausgegliedert‹ hätte. Die vorgebrachten Argumente sind inner- bzw. außersprachlicher, historischer Natur und beinhalten auch eine Raynouard korrigierende Bedeutungsgeschichte des Ausdrucks lingua romana, der sich auf alle romanischen Sprachen und gegebenenfalls auch auf das Lateinische beziehen könne (ebd.: 40, 100–102). Den Abschluss von Schlegels Observations bildet, siebtens, die Darstellung des Provenzalischen selbst (ebd.: 56–81).30 Hier entwirft er – philologisch, nicht mehr poetisch wie in Schlegel (1798), wo das Provenzalische nur am Rande genannt wird,31 – eine conjectural history, in der er das Provenzalische im ›Wettstreit‹ mit dem Französischen obsiegen lässt, weil es gegenüber der stark reglementierten nördlichen Nachbarsprache32 den Vorteil habe, eine »langue flexible« zu sein (Schlegel 1818: 56f.). Schlegel erörtert die Rekonstruktion der Lautung des Provenzalischen im Zusammenhang mit der nach seinem Empfinden sehr uneinheitlichen Schreibung, er vermerkt die Varianz der Morphologie, die dank Raynouard besser bekannt sei als die des Altfranzösischen (ebd.: 59), er fordert die Erstellung einer Metrik der Troubadourlyrik und stellt Überlegungen zur Entstehung und Charakterisierung dieser Dichtung an, wobei er die ›arabische‹ These, die er auf den »père Andrès«, d. h. auf Juan Andrés y Morell (1782: 297) zurückführt, ablehnt (Schlegel 1818: 67–74). Schlegel beschließt sein Werk mit Ausblicken auf das Verhältnis der Troubadoure zu den Minnesängern und zur mittelhochdeutschen im Vergleich mit der altfranzösischen Dichtung, deren Erfolg den Untergang der provenzalischen Dichtung schließlich besiegelt habe (ebd.: 74–81).

3.2

Rezensionen einer Rezension: Die Kontroverse um die »langue romane«

Die Observations haben sehr rasch ein größeres Echo hervorgerufen. Der rezensierte Raynouard wird nun selbst zum Rezensenten (Raynouard 1818),33 und natürlich erkennt er, auch wenn er für Schlegels rhetorische Schmeicheleien sehr empfänglich ist, die Brisanz von dessen Kritik an seiner Theorie der »langue romane«. Er geht darauf ein und versucht die vorgebrachten Einwände zu ent30 Vgl. dazu Zinelli 2021 (in diesem Band). 31 Schlegel 1798: 66: »Die Minnesänger borgten schon von unsern Provenzalen« (s. dazu Zinelli 2021: 129, in diesem Band); vgl. Tieck 1803: vi: »so waren ohne Zweifel die Dichter der Provence die Vorbilder der Deutschen, Franzosen und Italiäner.« 32 Man vgl. Strosetzki 2021 (in diesem Band) zu den antifranzösischen Ressentiments der frühen Romanistik. Zu Schlegels negativen Urteilen über das Französische als einer erstarrten, ja ›toten‹ Sprache s. Bär 1999: 253, zu Schlegels Kritik an der französischen Literatur s. Kauffmann 2021: 196 (in diesem Band). 33 Die hervorragend orientierte Untersuchung von Rettig 1976 berücksichtigt diese Rezension nicht.

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kräften, indem er weder die eigene Theorie noch Schlegels Kritik daran korrekt wiedergibt, im Gegenteil. Man reibt sich die Augen, wenn man bei Raynouard nunmehr liest: Parmi ces discussions, j’en choisirai d’abord une dont le résultat ne change en rien les principes et les règles de la langue romane, et qui pourtant présente un intérêt grammatical: c’est l’examen de la question s’il a existé une langue romane primitive, intermédiaire entre la langue latine, et le provençal, le français, l’italien, l’espagnol, le portugais; ou si ces divers idiomes se sont formés chacun isolément sans le secours d’un type commun. J’ai adopté l’opinion de l’universalité de la langue romane primitive en convenant qu’elle a été successivement modifiée par chacun des peuples, de manière à établir ces divers idiomes. M. de Schlegel regarde l’hypothèse de la langue intermédiaire comme contraire aux analogies qu’on observe dans l’histoire des langues (ebd.: 589).

Raynouard lässt schlicht unter den Tisch fallen, dass er die »langue romane primitive« mit dem Provenzalischen identifiziert und Schlegel sich gegen diese These gewendet hatte. Diese Identifikation gibt er in der Schlegel-Rezension auf, um im Anschluss zu behaupten, Schlegels Kritik hätte die nunmehr modifizierte These der »universalité de la langue romane primitive« betroffen – was gar nicht der Fall ist. Sein angeblich ursprüngliches Vorgehen beschreibt Raynouard so: J’ai vu cinq idiomes conformes dans les principes généraux, et différens par quelques détails, qui, la plupart, ne sont que de simples inflexions. J’en ai conclu qu’ils avoient eu une source commune, et il m’a paru bien plus vraisemblable que cinq idiomes, ayant entre eux des rapports fondamentaux d’identité, et tous les cinq produits évidemment de la corruption de la langue latine avec les formes de laquelle ils ne conservent presque pas de rapport, aient été dérivés d’un type commun et unique, plutôt que de s’être créé chacun isolément un type qui seroit le même (ebd.).

In der Folge charakterisiert er die gemeinsame romanische Morphologie in einer Weise, wie sie Schlegel nicht hätte besser darstellen können und wie sie dann in die historischen Grammatiken der romanischen Sprachen systematisch aufgenommen wurde: J’appelle type de ces idiomes les combinaisons et les règles qui ont produit l’absence des désinences des cas latins; l’emploi des prépositions pour suppléer les cas; la formation et l’application des articles; l’admission auxiliaire des verbes avoir et être; les formes particulières des conjugaisons, telles que l’infinitif toujours en re ou r final, le futur formé par l’infinitif et l’adjonction du présent du verbe avoir, le conditionnel formé du même infinitif en y ajoutant la désinence caractéristique de l’imparfait du même verbe avoir; la structure des adverbes terminés en ment; la modification des autres adverbes, des prépositions, conjonctions, soumise à des règles presque générales et uniformes; enfin un très-grand nombre de combinaisons pareilles et d’idiotismes communs (ebd.: 589f.).

Dies alles hindert Raynouard freilich nicht, in seiner Grammaire comparée des langues de l’Europe latine, dans leurs rapports avec la langue des troubadours

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(Raynouard 1816–1821 [1821]: Bd. 6) zu seiner ursprünglichen und irrigen Theorie zurückzukehren (vgl. Schlegel 1842/1846: 6). Eine weitere Rezension von Schlegel (1818), welche auch eine Rezension von Raynouard (1816–1821 [1816]: Bd. 1) enthält, stammt bekanntlich aus der Feder des jungen Diez (1820; Rettig 1976). Auch Diez attackiert die Theorie der »langue romane«, allerdings in weit weniger pointierter und argumentativ untermauerter Form als Schlegel. Möglicherweise deutet Diez an, dass er sich bei seiner Kritik auf Schlegel beruft: Einiger Tadel trifft des trefflichen Sprachforschers Behauptung in der Einleitung, daß die romanische Sprache sonst außer Frankreich auch in Spanien, Portugal und Italien geherrscht habe und erst etwa im zehnten Jahrhundert aufgegeben worden sey, ferner, daß die fränkische Sprache gleich nach dem Tod Karls des Großen, vielleicht noch früher, sich verloren habe. Wie sollten wir uns überreden, daß in Ländern, die nach der Völkerwanderung so verschiedenartige Einflüsse erfuhren, und die weder eigentlich politische, noch litterärische Bande verknüpften, eine und dieselbe Sprache gewaltet habe, ohne übrigens läugnen zu wollen, daß der Entwicklungsprozeß aller dieser südlichen Sprachen übrigens große Ähnlichkeiten darbot, zumal in den ältesten Zeiten, bevor einige einen ganz besonderen Charakter anzunehmen begannen, während das Provenzalische, so frühe schon das Organ ausgezeichneter Dichter, so weit ausgebildet war (Diez 1820: 680f.)? (ebd.: 256).

Diez’ Sammelrezension legt entschieden den Schwerpunkt auf das Werk Raynouards; von der Schlegel’schen Kritik greift sie explizit nur die Argumente gegen Raynouards Bedeutungsgeschichte von langue romane auf. Und schließlich interessiert Diez an Schlegels Werk darüber hinaus fast nur die Sprachtypologie, die er knapp referiert (Rettig 1976: 682). Die beiden Schlegel’schen Momente – Zurückweisung des Provenzalischen als »langue romane« und das Romanische als analytischer Sprachtyp – spielen, wie wir noch sehen werden,34 in der Poesie der Troubadours (Diez 1826) erneut eine bedeutende Rolle.

4.

Die Geschichtlichkeit der Sprache in den Observations

4.1

Historische Phonetik

Die Gauger’sche Formel »Diez = Raynouard (Stoff) + Grimm (Methode)« fokussiert als das wesentliche Merkmal der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft die Theorie des regelgeleiteten Lautwandels, die zur historischen Phonetik ausgearbeitet wird. Bereits in Bopps Auseinandersetzung mit Grimm (1819; 1822) scheint der später, mit den Junggrammatikern (Schneider 1973), für 34 S. unten, Abschnitt 4.2, S. 33–37.

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die Theorie so zentral gewordene Ausdruck Lautgesetz erstmals gewählt worden zu sein (»Laut-Gesetze«, Bopp 1825/1828: 195; Wechssler 1900: 52). Demgegenüber verfügt etwa zeitgleich Schlegel (1818) in der Tat noch nicht über eine Theorie des Lautwandels. Davon scheint er meilenweit entfernt zu sein, denn er spricht davon, dass die ›Ableitung‹ der romanischen Sprachen vom Lateinischen auf »altération« (›Veränderung, Verschlechterung‹; vgl. Neis 2009) beruhe. Dafür möchte er die klimatischen Verhältnisse verantwortlich machen, denen die Sprecher ausgesetzt seien (Schlegel 1818: 53f.).35 Wie wenig er richtige, philologische Beobachtungen als regelgeleiteten Lautwandel zu begründen weiß, zeigen etwa diese Ausführungen: M. Raynouard suppose que quelques parties du verbe roman aver, avoir, nommément le singulier du present, ai, as, a, et la première personne du prétérit simple, aig ou aic, n’ont pas été pris du latin, mais du verbe gothique Aigan. Le savant étymologiste suédois, Ihre, avoit déjà fait la même conjecture. Je ne saurois être de l’avis de ces deux savans. On trouve dans les manuscrits quelquefois l’aspiration du verbe latin, ha, il a. A la place de aig, j’eus, on a dit aussi agui, ce qui vient manifestement de habui. Les lettres G et C sont introduites en roman assez arbitrairement dans des verbes ou elles ne sont point radicales; par exemple: cug, je pense, de cuidar; aug, j’ouis, de auzir; etc. Agues, j’eusse, est formé de habuissem, de la même manière que tenguès de tenuissem. Ai n’est pas plus différent de habeo, que fai de facio, sai de sapio, vei de video, dei de debeo. Les mots qui étoient d’un très-frequent usage, ont subi les plus grandes altérations (ebd.: 35f.).

Anders als Raynouard sieht Schlegel zwar richtig, dass man für die Erklärung der Formen kein Etymon einer anderen Sprache als das Lateinische bemühen muss; doch unter welchen ›gesetzmäßigen‹ Bedingungen sich im Provenzalischen das auslautende [k] in aig oder aic aus lt. habu˘ı¯ entwickelt, vermag er nicht zu sagen – im Gegenteil, er sieht hier, unter Heranziehung von weiteren Beispielen mit z. T. ähnlichen, z. T. aber auch ganz anderen lautlichen Bedingungen, den Zufall am Werk.36 Allerdings findet auch Diez nicht gleich die vermutlich richtige Lösung. ˘ IT (3. Pers. Sg. Ind.) Diez (1826: 306f.) weiß sich das aus der Perfektform -U gewonnene [k] nur strukturell – in seiner Diktion: ›analogisch‹ –, nicht lautlich zu erklären: Es diene der Gegenüberstellung zur Präsensform (a aus habet vs. ac ˘ it). In der ersten Auflage der Grammatik der romanischen Sprachen aus habu ˘ ¯ı) findet sich als zweite Erklärung, das (sekundär) auslautende [v] (*dolv < dolu hätte »nach dem Lautgesetz« durch [f] dargestellt werden müssen. Doch »dieser Buchstabe scheint der Sprache als Flexionszeichen zuwider gewesen zu sein und an die Stelle desselben trat factisch das unverwandte c« (Diez 1836–1844 [1838]: 2, 176); eine alternative Erklärung leitet es aus dem flexivischen [i] her (Diez 1836– 35 Zum Einfluss des Klimas auf die Sprache bei Schlegel s. Bär 2000: 210–212. 36 Man vgl. noch Humboldts 1827–1829/1907: 283f. (§ 141) Auseinandersetzung mit dem Problem, der sich auf die Seite Schlegels schlägt (Trabant 1988: 35). Diez waren Humboldts Überlegungen nicht zugänglich.

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1844 [1838]: 2, 176). Erst in der zweiten Auflage der Grammatik findet Diez als dritten Vorschlag die Lösung, welche bis heute die Lehrmeinung bildet:37 Am schwierigsten war die Flexion ui zu behandeln; nur in caup (capui f. cepi), saup (sapui), receup (recipui f. recepi), ereup (eripui) trat die uns aus dem Spanischen bekannte Attraction ein. Die übrigen Fälle zeigen die Endung c oder g für ui, d. h. aus dolui doluisti entstand zuerst dolgui dolguist, worin tonloses u wie ein deutsches w behandelt ward, da es in dieser Verbindung in der That denselben Laut ausdrückte, endlich dolc, und so aus habui hagui (Diez 21856–1860 [21858]: 2, 197).

In der Serie der im Text folgenden Beispiele findet sich auch »aic (habui)« (ebd.: 197). Es ist klar, warum Diez’ dritte Erklärung, in der das Germanische dann doch wieder eine Rolle spielt, die überzeugendste ist: Sie erläutert den Wandel von der Ausgangs- bis zur Zielform in der kleinschrittigsten Weise, sodass die Veränderungen geschichtlich plausibilisiert werden können. Das entspricht der Forderung nach dem Nachweis von »Mittelgliedern«, die August Wilhelm Schlegels Bruder Friedrich bereits ein Jahrzehnt vor der Ausarbeitung der historischen Lautlehre, 1808, aufgestellt hatte: Wir erlauben uns dabei [d. h. bei der Feststellung von Sprachverwandtschaft] keine Art von Veränderungs- oder Versetzungsregel der Buchstaben, sondern fodern [sic] völlige Gleichheit des Worts zum Beweise der Abstammung. Freilich wenn sich die Mittelglieder historisch nachweisen lassen, so mag giorno von dies abgeleitet werden, und wenn statt des lateinischen f im Spanischen so oft h eintritt, das lateinische p in der deutschen Form desselben Worts sehr häufig f wird, und c nicht selten h, so gründet dieß allerdings eine Analogie auch für andre nicht ganz so evidente Fälle. Nur muß man, wie gesagt, die Mittelglieder oder die allgemeine Analogie historisch nachweisen können; nach Grundsätzen erdichtet darf nichts werden, und die Übereinstimmung muß schon sehr groß und einleuchtend sein, um auch nur geringe Formverschiedenheiten gestatten zu dürfen (Friedrich Schlegel 1808: 6f.).38

August Wilhelm Schlegels zitierte Beobachtungen stellen allein eine Reihe vermeintlich analoger Fälle von Perfekt- und Präsensformen dar; Diez hingegen gelingt es im dritten Anlauf, für einen bestimmten Typ von Perfektformen »Mittelglieder« zwischen einem provenzalischen aic und dem lateinischen habui zumindest plausibel anzusetzen.

37 S. z. B. Schultz-Gora 61973: 100 (§ 150): »Das Charakteristische ihrer Perfektbildung besteht darin, daß hier das nachtonige Hiatus-u wie germanisches w behandelt worden ist, also zu g wurde und, nach Abfall des auslautenden i in den Auslaut gelangend, sich zu c verhärtete«. Man vgl. noch Lafont 1991: 12 (§ 3.10) und, ohne nähere Erklärung, Zufferey 2008: 3010: »parfait fort à occlusive vélaire ou labiale venant de -ui avec un part. faible en -ut (type e: venc, vengut; saup, saub-ut).« 38 Das »Mittelglied« zwischen lt. die¯s und it. giorno ist diu˘rnum, s. REW 31935: 243 (Nr. 2700).

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Wenn man so will, so ist Raynouards Annahme einer »langue romane« der Versuch, durchaus im Sinne Friedrich Schlegels ein makroskopisch betrachtetes Mittelglied zwischen dem Lateinischen und den romanischen Sprachen Italienisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch zu postulieren. Das ist geschichtlich gedacht. Wenn Schlegel (1818) Raynouard gleichwohl widerspricht, so deswegen, weil er zumindest in dem als Gegenargument vorgelegten Beispiel die Theorie der Mittelglieder seines Bruders mikroskopisch und dadurch überzeugender anwendet und auf diese Weise zumindest ansatzweise eine richtige Intuition in Bezug auf den Lautwandel unter Beweis stellt. Zunächst teilt Schlegel mit Raynouard die Ansicht, dass das Französische eine Weiterentwicklung des Provenzalischen sei: Il me semble aussi avoir établi, avec une grande probabilité, que le dialecte qui s’est conservé jusqu’a nos jours dans le midi de la France, a été jadis commun à la France entière. Il n’y a point de difficulté à admettre cela. Le françois, même le plus ancien que l’on connoisse, est à une distance beaucoup plus grande du latin que le provençal. Le françois paroit donc devoir son origine à une seconde altération du langage populaire […] (ebd.: 41).

Er bestreitet jedoch, dass man dasselbe für das Verhältnis des Italienischen und des Spanischen zum Provenzalischen annehmen dürfe, denn diese beiden Sprachen seien dem Latein näher als das Provenzalische (ebd.: 42; vgl. Rettig 1976: 256). Den schlagenden Beweis sieht er in Formen wie diesen: L’imparfait du verbe tener est en provençal tenia, en toscan teneva; ce qui, à la dernière lettre près, est le latin tenebat. Cependant, dans la supposition de M. Raynouard, on auroit dit anciennement, en Toscane comme en Provence, tenia, et la forme teneva se seroit introduite postérieurement. Les langues ne reviennent pas sur leurs pas. Comment le peuple, après avoir oublié le latin pendant une longue suite de générations, l’auroit-il deviné tout-à-coup de nouveau, et s’en seroit-il rapproché sans avoir aucun motif de changer d’habitude? (Schlegel 1818: 43f.).

Natürlich verfügt Schlegel auch für den angeführten Fall nicht über eine historische Lautlehre (-ebat > -eva > *-éa > -ía). Aber er sieht richtig, dass erstens einem teneva eine ältere lateinische Form zugrunde liegt als einem tenía, und dass zweitens ein solcher Prozess einer Chronologie folgt, die geschichtlich nicht umkehrbar ist. Vor dem Hintergrund von Friedrich Schlegels Postulat ist das it. teneva ein ›Mittelglied‹ zwischen dem lt. tene¯bat und dem pr. tenía.

32

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4.2

Historische Grammatik

Betrachtet man nun die Morphologie, dann zeigt Schlegel auf diesem Gebiet ein weit tiefergehendes geschichtliches Verständnis als bei der Phonetik. Im Rahmen seiner »diachronen Typologie« (Bossong) stellt er das Prinzip dar, nach dem die romanische aus der lateinischen Grammatik entsteht: C’est une invention en quelque façon négative, que celle qui a produit les grammaires analytiques, et la méthode uniformément suivie à cet égard peut se réduire à un seul principe. On dépouille certains mots de leur énergie significative, on ne leur laisse qu’une valeur nominale, pour leur donner un cours plus général el les faire entrer dans la partie élémentaire de la langue. Ces mots deviennent une espèce de papier-monnoie destiné à faciliter la circulation (Schlegel 1818: 28).

Schlegel beschreibt hier in Grundzügen das, was wir Grammatikalisierung nennen, sodass er heute zu Recht als ein oder der scharfsinnige Begründer dieser Forschungsrichtung angesehen wird (Becker 2021, in diesem Band). Der wesentliche Gesichtspunkt, den Schlegel mit einer Fülle von romanischen Beispielen untermauert (ebd.),39 scheint mir zu sein, dass er ganz richtig sieht, dass eine bestehende Grammatik im Sprechen gewissermaßen umgedeutet wird, indem die Sprecher Elemente des Wortschatzes in die Grammatik überführen. Zentral ist dabei der Gedanke des Verlusts an »Bedeutungskraft«, – ein wichtiges Konzept der frühneuzeitlichen Sprachwissenschaft, mit dem die mehr oder weniger starke Affizierung der Sinne durch den sprachlichen Ausdruck bezeichnet wird (Haßler 2009c), – was dem semantic bleaching der heutigen Grammatikalisierungsforschung entspricht (Becker 2021: 61). Den semantischen Verlust betrachtet Schlegel zwar als Entwertung – das Papiergeld hat einen nur nominalen Wert, weil er nicht mehr gegen den ursprünglichen, ›echten‹ Wert des Münzgelds eingetauscht werden kann –,40 er stellt jedoch zugleich einen Gewinn an Zirkulation dar: Unbegrenzt herstellbares Papiergeld erleichtert und vermehrt ökonomische Transaktionen ebenso, wie die Grammatik die Kommunikation 39 Zu Schlegels Betrachtung der germanischen Sprachen in diesem Zusammenhang, s. WichReif 2021 (in diesem Band). 40 Man vgl. etwa einen Brief Schlegels an den Heidelberger Verleger Zimmer, der gerade die berühmte Schrift seines Bruders (Friedrich Schlegel 1808) herausgebracht hatte: »Ferner: wären Sie geneigt, meine verwichenen Frühling in Wien gehaltenen Vorlesungen über dramatische Kunst und Geschichte des Theaters in Verlag zu nehmen? Ich wünsche sie in Wien drucken zu lassen, wo ich unstreitig, wie im Österreichischen überhaupt viele Leser finde, da ich schon über drittehalb [hundert] Zuhörer hatte; allein es ist mit den Wiener Buchhändlern nichts anzufangen, sie wollen mit Papiergeld handeln, worauf man sich bey dessen ungewissem Stande nicht einlassen kann. Bey einer Auflage von 1200 Exemplaren würde ich für den Bogen, im Format der Schrift meines Bruders, 2½ Carolinen fodern. Das Buch wird sich nach einem ungefähren Überschlag auf 25 bis 30 Bogen belaufen (Jenisch 1922: 22f.).« Der Karolin ist eine süddeutsche Goldmünze.

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entlastet, indem sie dem Wortschatz allgemeinere und häufigere Bedeutungs›aufgaben‹ abnimmt. Freilich, was aus heutiger Perspektive eine positive Bewertung zu sein scheint, war es für Schlegel zweifellos nicht. In einem Brief vom 20. Mai 1829 an Humboldt, der sich um das Problem der orthographischen (synthetischen) Wortzusammenschreibung bzw. (analytischen) -trennung dreht, findet sich nicht nur die Bemerkung, daß gerade in den gebildetsten und vollkommensten Sprachen die Worttrennung erst aufgekommen sey, als die schöpferische Periode vorüber war, und der analytische Verstand über die concrete Anschauung die Oberhand gewonnen hatte (Körner 1927/ 1928: 8),41

sondern auch eine bezeichnende Abwertung ökonomischen Denkens: Die modernen Sprachen Europa’s erscheinen mir ebenfalls als solche bequeme Hülfswerkzeuge, Patentkorkzieher für die Gedanken, weswegen ihnen auch der Ökonom Adam Smith entschieden den Vorzug vor den classischen giebt (ebd.: 9).

Selbst dort, wo Schlegel die Entstehung einer neuen Grammatik als einen kreativen Prozess betrachtet, versieht er dieses positive Urteil mit klaren Einschränkungen: […] la formation d’une nouvelle grammaire peut paroître ingénieuse; mais, d’un autre côté, elle trahit l’incapacité de comprendre tout ce qui renfermoit un mot latin. On se croyoit obligé d’entasser plusieurs mots, quand un seul suffisoit pour exprimer la même idée. Au lieu d’aliquis on disoit aliquis-unus; au lieu de quisque, quisque-unus: ce qui s’est contracté ensuite en aucun, chacun […]. Il y a une foule d’exemples de cette espèce, et qui ne laissent pas de sentir un peu la barbarie (Schlegel 1818: 30).

Die expressiven Formen mündlichen Sprachgebrauchs erkennt er als solche ohnehin nicht. Wie wenig unwichtig (Gauger) für Diez Schlegel (1818) in der Tat ist, zeigt die Schlegel gewidmete Poesie der Troubadours. Zwar hat Diez einen weit klareren Blick als Schlegel in Bezug auf die Form des Lateins, welche die Grundlage der romanischen Sprachen ist. Doch was die Beschreibung des »Sprachsinns« – vielleicht ein Herder’sches Konzept, das Humboldt später aufgreifen wird (Roscher 2006: 61) – der neulateinischen Sprachen betrifft, knüpft er im Bereich der Morphologie ganz eng an Schlegel an. Der Germanenthese Schlegels allerdings widerspricht Diez bereits hier und plädiert für die Annahme eines »niederen Latein[s] des Volkes«:42 41 Vgl. das Digitalisat der Hs. [konsultiert am 10. 11. 2020]. 42 Anders Gramatzki 2008: 155: Diez sei erst in einem langen Prozess zu der Auffassung gelangt, dass die romanischen Sprachen aus dem Vulgärlatein entstanden sind. Sie zitiert die Passage, wonach die romanischen Sprachen »aus der spätlateinischen Volksmundart« entstanden

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Indessen ist es gewiss, daß die Völkerwanderung die Entwicklung des Romanischen beschleunigte. Allein nicht die Grammatik der Eroberer war es, welche sie herbeiführte, denn diese hat wenige Spuren in den romanischen Mundarten hinterlassen, sondern die politischen Verhältnisse, welche die Eroberung begleiteten. Bis dahin hatte sich das höhere Latein als Sprache des Staates und im Munde der Gebildeten behauptet, allein von nun an wurde es, da die Fremden ihre eigene Mundart vorzogen, schlechterdings vernachlässigt, und so dem niederen Latein des Volkes freie Bahn geschafft, welches nun, ohne äußere Hemmung, seine Richtung rascher verfolgte (Diez 1826: 286f.; vgl. Diez 1836–1844 [1836]: 1, 4).43

Diez weiß im Übrigen, dass die Diskussion über die diastratische (und diaphasische) Variation des Lateinischen und die Entstehung des Italienischen auf eine lange Tradition zurückblickt. Er verweist auf die von Leonardo Bruni (1369– 1444) und Celso Cittadini (1553–1627) ausgelösten Kontroversen und kennt die neueren Arbeiten von Pierre-Nicolas Bonamy (1694–1770; Diez 1826: 288).44 Bezüglich der Grammatik greift Diez Schlegels diachrone Typologie explizit auf: Die lateinische gehört unter diejenigen Sprachen, welche man Flexionssprachen zu nennen pflegt, weil sie verschiedene Begriffsverhältnisse vermittelst der Flexion bezeichnen, ein Verfahren, worin sich Energie und Geschmeidigkeit zugleich ausdrückt. Allein die Sprachen dieser Gattung können dem allgemeinen Schicksale der menschlichen Dinge nicht entgehen, sie sind, wie diese, dem Wechsel unterworfen. Ein Theil der seien, nach Diez 51882: 1, 1. Die Passage findet sich allerdings bereits in Diez 31870–1875 [1870]: 1, 3. Diez’ Formulierung: »Alle haben ihre erste und vornehmste Quelle in der lateinischen. Aber nicht aus dem classischen Latein, dessen sich die Schriftsteller bedienten, flossen sie, sondern, wie schon vielfach und mit Recht behauptet worden, aus der römischen Volkssprache oder Volksmundart, welche neben dem classischen Latein im Gebrauche war, und zwar, wie sich versteht, aus der spätlateinischen Volksmundart.« verdeutlicht, dass er nur nachdrücklicher formuliert, was er schon früher festgestellt hatte. 43 Das Konzept des »Sprachsinns« findet sich ebenfalls in der Grammatik, s. Diez 1836–1844 [1838]: 2, 3 und 56. Daneben verwendet Diez den in der frühneuzeitlichen französischen Sprachtheorie verwurzelten Begriff des »Genius der Sprache« (fr. génie de la langue), s. Diez 1826: 286; Diez 1836–1844 [1836]: 1, iv (»der Genius, welcher Sprachen schafft und umbildet«), 124, 175. Zusammenfassend zum génie de la langue, s. Haßler 2009a. 44 Er spricht dabei m. E. anerkennender von Bonamy, als das der Herausgeber einiger Schriften des französischen Gelehrten, Jörn Albrecht, meint (Albrecht 1975: 13). Gauger 1991: 28 bemerkt, dass in einer Anmerkung über die bisherige Forschung zum Ursprung der romanischen Sprachen Diez 31870–1875 [1870]: 1, 4 Bonamy »nicht nennt oder kennt, der ihm wohl am nächsten stand in seiner Auffassung des Vulgärlateinischen«. In der Tat, an dieser Stelle nennt Diez Bonamy, den er in Diez 1820; 1826 erwähnt, nicht mehr. Allerdings schätzt Gauger die Anmerkung ohnehin nicht richtig ein, die angeblich die gesamte frühere Forschung als nicht weiter erwähnenswert ›abräumt‹. Soll das z. B. auch für den von Diez (und Gauger) genannten Hugo Schuchardt gelten, dessen Vokalismus des Vulgärlateins, seinen Bonner Lehrern Diez und Ritschl gewidmet, wenige Jahre zuvor erschienen war (Schuchardt 1866– 1868)? In einem Brief vom 1. Dezember 1869 dankt Schuchardt jedenfalls Diez für die Erwähnung in der dritten Auflage der Grammatik, s. Hurch 01. 10. 2020, [konsultiert am 10. 11. 2020].

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Flexionssylben schleift sich durch den Gebrauch ab, wird sich ähnlicher und verschwindet endlich als überflüssig. Der Sprachsinn sucht sich indessen durch ein anderes Mittel zu helfen; er bedient sich eigener Verhältnißwörter, um den Abgang der Flexion zu ersetzen, und bildet sich dergestalt eine Methode, durch deren Fortschritte die ältere immer mehr von ihrer Wirksamkeit verliert. Man hat diese sehr schicklich die synthetische, jene die analytische Methode genannt (Diez 1826: 288f.; vgl. Diez 1836–1844 [1838]: 2, 3).

Worin Diez über Schlegel weit hinausgeht, ist einerseits die Beachtung des Zusammenhangs zwischen historischer Phonetik und historischer Grammatik, andererseits die Tatsache, dass er den nach Schlegel beschriebenen Verlust an »Energie und Geschmeidigkeit« in der romanischen Grammatik wieder ausgeglichen sieht. Die analytische Methode sei nämlich »sinnlich, und muß daher im gemeinen Leben leicht Eingang finden« (Diez 1826: 289). Diese Feststellung bezieht sich offensichtlich darauf, dass Grammatikalisierungsvorgänge zwar – in der Diktion Schlegels – die Bezeichnungskraft der grammatisch verwendeten Wortschatzelemente vermindern, die Grammatik selbst jedoch ›versinnlichen‹: Die analytische Periphrase *ama¯re habeo¯ ist motivierter als ein synthetisches ama¯bo¯ – allerdings nur so lange, bis eine neue synthetische Form entsteht, wie Diez an anderer Stelle bemerkt: Auf eine eben so einfache und natürliche Weise ward das Futur durch das Präsens oder Imperfect von aver in Verbindung mit dem Infinitiv ersetzt, und beide Bestandtheile wuchsen allmählich so fest zusammen, daß man sie als eine synthetische Bildung betrachten kann, so ward amarai aus amar ai, und amaria aus amar avia (ebd.: 303).

Anders als Schlegel ist sich Diez also nicht nur des Ab-,45 sondern auch des Wiederaufbaus synthetischer Formen bewusst, und zwar so, wie er das, ohne den Autor namentlich zu nennen, durch Bopps Darstellung des gothischen Präteritums (Bopp 1816: 151; vgl. Grimm 1819: 563) gelernt hatte (Diez 1820: 679). Den grundsätzlichen Gedanken der grammatischen Synthetisierung von lexikalischen Periphrasen – der Schlegels »Wertmustern« (Bär) eigentlich hätte willkommen sein müssen – dürfte Diez bei Humboldt (1822/1825) bestätigt gefunden haben, eine Arbeit, auf die er sich in der Grammatik (Diez 1836–1844 [1836]: 1, iii; vgl. Trabant 1988: 27) explizit bezieht. In der Tat beschreibt Humboldt (1822/1825) das »Entstehen der grammatischen Formen« als einen konstruktiven und gerichteten, in der Flexion gipfelnden Prozess:46

45 Selig 2013: 290–292 deutet dies bei Schlegel als Element eines Diskurses über den Sprachverfall; man vgl. dazu den Hinweis von Christmann 1977: 16 auf Grimm und Rousseau. 46 S. dazu Coseriu 2015: 2, 410–422, der sich auch kritisch mit Humboldts Teleologie auseinandersetzt. Ebd.: 414 stellt Coseriu die Sprachtypologien Friedrich Schlegels, August Wilhelm Schlegels und Humboldts vergleichend und schematisch dar.

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Das Zusammenwachsen des Ganzen bringt die Bedeutung der Theile in Vergessenheit, die feste Verknüpfung derselben unter Einem Accent verändert zugleich ihre abgesonderte Betonung, und oft sogar ihren Laut, und nun wird die Einheit der ganzen Form, die oft der grübelnde Grammatiker nicht mehr zu zergliedern vermag, die Bezeichnung des bestimmten grammatischen Verhältnisses. Man denkt als Eins, was man nie getrennt findet; man betrachtet als wahren, einmal fest organisirten Körper, was man nicht auseinandernehmen, und in andere beliebige Verbindungen bringen kann; man sieht nicht als selbständigen Theil an, was auf diese Weise sonst nicht in der Sprache erscheint. Wie dies entstanden, ist für die Wirkung gleichgültig. Die Bezeichnung des Verhältnisses, wie selbständig und bedeutsam sie gewesen seyn mag, wird nun, wie sie soll, zur bloßen Modification, die sich an den immer gleichen Begriff heftet. Das Verhältniß, das zu den bedeutsamen Elementen erst bloß hinzugedacht werden mußte, ist nun in der Sprache, eben durch das Zusammenwachsen der Theile zum festen Ganzen, wirklich vorhanden, wird mit dem Ohre gehört, mit dem Auge gesehen (Humboldt 1822/1825: 417).

Die Poesie der Troubadours (Diez 1826) greift schließlich die in der Doppelrezension von 1820 angeschnittene Raynouard-Schlegel’sche Kontroverse um die »langue romane« auf. Diez lässt es nämlich nicht bei dem bereits erörterten Hinweis auf das »Latein des Volkes« (ebd.: 287) als Grundlage der romanischen Sprachen bewenden. Er stellt vielmehr die einander entgegengesetzten Thesen in dem Abschnitt »Geschichtliches« (ebd.: 318–328) noch einmal dar, um dann trotz gegenteiliger Bekundung in eine Diskussion einzusteigen: Mit Beiseitesetzung dieses gelehrten Streites, welchen weder umständlich darzulegen, noch zu würdigen hier der Ort ist, mögen hier einige einfache Bemerkungen über den fraglichen Gegenstand folgen (ebd.: 319).

Mir scheint nun, anders als Rettig (1976) zu beweisen versucht, dass nicht nur Diez (1820), sondern eben auch Diez (1826) sich gegen den Raynouard der Schriften von 1816 entscheidet. Im Sinne der Raynouard’schen Selbstkorrektur (Raynouard 1818),47 die der französische Gelehrte nicht aufrechterhalten hat, nimmt Diez für alle romanischen Sprachen einen »gemeinschaftlichen Typus« an (Diez 1826: 319), der eine »frühere romanische Nationalsprache, von welcher sich die verschiedenen Mundarten allmählich entfernt haben«, darstellte (ebd.: 319). Zugleich postuliert Diez, dass auch die früheste Romanität »bei der großen Ausdehnung des römischen Reiches« – modern formuliert – diatopische Variation aufweise (ebd.: 319). Es sei, und das spricht eben klar für seine gegen Raynouard gerichtete Haltung, nicht anzunehmen, dass »der Italiäner und Spanier anfangs nicht orecchio und oreja, sondern wie der Provenzale aurelha gesprochen habe« (ebd.: 321). Wenigstens seit »beendigter Völkerwanderung« dürfe man »drei Hauptmundarten annehmen, die italische, gallische, welche 47 S. oben, Abschnitt 3.2, S. 27.

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auch in dem Nordosten von Spanien herrschte, und die hispanische« (ebd.: 321). Und schließlich sei auf dem Gebiet der Gallia – das hatte ja auch Schlegel Raynouard konzediert –die ursprüngliche Einheit, die das Provenzalische noch repräsentiere, »im Norden […] in das Französische ausgeartet« (ebd.: 322).

5.

Schlegels Berufung nach Bonn und die Abwendung von einer möglichen Schlegel’schen Romanistik

Am 15. Januar 1803 schreibt Friedrich Schlegel aus Paris an seinen in Berlin weilenden älteren Bruder, der in dieser Zeit in seinen »Vorlesungen über die romantische Literatur« erstmals »über die Provenzalen« spricht (Schlegel 1803– 1804 = KAV II/1: 130–143; vgl. Mölk 1982: 11): Nun möcht ich Dich um Rath fragen über ein Projekt. Sollte mans nicht zu Stande bringen können auf Subscription mit so viel Grammatik, Noten u Vocabularium als nothwendig eine tüchtige Masse provenzalischer Gedichte drucken zu lassen? – Ich könnte mich dazu vielleicht mit einem gebohrenen Provenzalen assoçiiren, der viel Liebhaberei dafür hat; und für die Erklärung ist das jetzige Provenzalisch eigentlich das beste Hülfsmittel Ich liesse dann das Werk auch in Italien, England, Spanien und Portugal promulgiren. Das Vocabularium, die grammatische Einleitung, und die Noten müßten dann wohl französisch oder lateinisch abgefaßt sein. Aber von allem diesem würd’ ich nur das Wesentlichste u Unentbehrlichste in aller Kürze geben, und übrigens so viel Text als möglich; wenigstens 4 Alphabet, großformat und eng gedruckt. Es ist doch eigentlich nicht erlaubt, daß die Quellen der romantischen Poesie so ungehindert ihrem sonst gewissen baldigen Untergang entgegen gehen sollen (KFSA 26/1.1: 78).48

Weder verwirklichte Friedrich jemals sein »ehrgeiziges Projekt« (Mölk 1982: 16)49 noch übernahm das August Wilhelm Schlegel, als er mehr als zehn Jahre später, im Winter 1814/15, unterbrochen durch Napoleons Cent-Jours, sich in Paris dem Studium provenzalischer Handschriften widmete (Schlegel 1818/1846: 5). Ein Brief vom 4. Februar 1815 an Guillaume Favre zeigt ihn wenig ›fokussiert‹, weil ihn neben dem Provenzalischen das Sanskrit zu interessieren beginnt: Depuis un mois à peu près, je me débats contre les difficultés de la langue et de la poésie provençales; je pâlis sur les manuscrits, et j’emporterai un recueil assez nombreux de chansons des poëtes les plus célèbres, copiées avec le plus grand soin sur les originaux, et non pas d’après les papiers de Lacurne de Sainte-Palaye. Je verrai ensuite à loisir ce que je 48 Vgl. das Digitalisat der Hs., [konsultiert am 10. 11. 2020]. 49 In der Europa publizierte Friedrich nur die gleichwohl als Beginn der provenzalischen Philologie berühmt gewordenen »Beitrage zur Geschichte der modernen Poesie und Nachricht von provenzalischen Manuskripten« (Friedrich Schlegel 1803/1975); vgl. dazu Al-Taie 2017 und Zinelli 2021: 120 (in diesem Band).

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pourrai tirer de cela; mais enfin j’ai voulu le posséder. Ceci se lie à mes recherches précédentes. Mais figurez-vous cet enfantillage à mon âge? je n’ai pu résister au désir d’apprendre la langue sanscrite; j’étais ennuyé de ne savoir que des langues que tout le monde sait, et me voilà depuis deux mois écolier zélé des Brahmes (Adert 1856: lxxvi).50

In dieser Situation kommt ihm Raynouard mit dem gewaltigen Choix des poésies originales des troubadours als Provenzalist zuvor (Raynouard 1816–1821). So fließt Schlegels eigenes Provenzalischstudium eben ›nur‹ in die Rezension der Observations ein (Schlegel 1818). Die Übersendung des fertiggestellten Werks an Raynouard am 9. Mai 1818 zeigt Schlegel, wie wir gesehen haben,51 auf dem Sprung nach Deutschland.52 Bereits am 28. Dezember 1817 hatte Schlegel Alexander von Humboldt die Annahme eines Rufs nach Berlin mitgeteilt (Lenz 1918: 336f.);53 nunmehr, am 20. Juli 1818, informiert Altenstein ihn über die Ernennung als ordentlicher Professor (Körner 1930: 328).54 Nur eine Woche später, am 28. Juli, bringt Schlegel dem Staatsminister den Wunsch vor, nicht in Berlin, sondern in Bonn lehren zu dürfen (Lenz 1918: 342f.), am 16. September berichtet er seiner im August geehelichten Frau Sophie – »ein unbedachtes, törichtes Unterfangen« (Paulin 2017: 266) –, dass seinem Wunsch entsprochen werde (Reichlin-Meldegg 1853: 203),55 und so beginnt Schlegel im November 1818 in Bonn Vorlesungen zu halten (Renger 1982: 222). Die feste Anstellung in Bonn erfolgt schließlich 1822 (ebd.: 219).56 In diesen Jahren vollzieht sich die vollständige Abwendung des ›indischen Philologen‹ Schlegel von einer möglichen historisch-vergleichenden Romanistik, die sich aus seinem Provenzalischstudium hätte ergeben und für die die Observations durchaus eine Grundlage hätten bilden können. Wie lau die philologische Liebe zu den Troubadours inzwischen geworden war, zeigt bereits ein Brief aus Bonn an Claude Fauriel vom 21. September 1821: Faites moi la grace de dire à Mr Raynouard ce qui suit. D’abord mes admirations – je n’ai pas été le voir cet hiver parce que je n’en étois pas digne, ayant abandonné les troubadours pour les brahmins. Les volumes qu’il m a destinés ont été par erreur adressés à

50 Vgl. das Digitalisat der Hs., [konsultiert am 10. 11. 2020]. 51 S. oben, Abschnitt 2, S. 17. 52 S. dazu auch das Kapitel »Bonn und Indien (1818–1845)« in der Biographie von Paulin 2017: 257–314. 53 Vgl. das Digitalisat der Hs. [konsultiert am 10. 11. 2020]. 54 Vgl. das Digitalisat der Hs., [konsultiert am 10. 11. 2020]. 55 Vgl. das Digitalisat, [konsultiert am 10. 11. 2020]. 56 Vgl. noch Baumann/Wich-Reif 2018: 487.

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Fréderic Schlegel à Vienne, ils sont restés des années en chemin je ne sais par quelle negligence […]57

– was Schlegel nicht hindert, wie schon in den Berliner Vorlesungen (Schlegel 1803–1804 = KAV II/1: 131) weit größer als der große Provenzalist Raynouard zu denken. Am 3. Dezember 1821 schreibt er Fauriel: Parlez de ma part à Mr Raynouard – ses IV–VI Volumes des Troubadours me rendroient fort heureux – il pourroit les envoyer seulement à M. de Staël qui m’expediera prochainement une caisse de livres. Il est toujours à déplorer qu’il n’ait pas étendu davantage son plan – il falloit non pas un choix, mais tout ce qui nous reste des troubadours classiques. Maintenant j’ai déjà des pièces inédites fort intéressantes qui ne sont pas dans son recueil.58

Gleichwohl ist die Provenzalistik die Wiege der institutionalisierten Romanistik als historisch-vergleichende Sprachwissenschaft: Statt sich selbst – auch wenn Sprache und Dichtung der Provenzalen in den Bonner Vorlesungen, unter anderem im Zusammenhang mit dem Minnesang, noch Erwähnung finden (Schlegel 1818–1819/1913: 138f.)59 – als Romanist weiter zu betätigen, unterstützt Schlegel die Bemühungen Friedrich Gottlieb Welckers, dessen Schüler Friedrich Christian Diez für die junge Bonner Universität zu gewinnen. Diez, 1821 ernannt, nimmt im Sommersemester 1822 seine Tätigkeit als »Lektor« in Bonn auf (Renger 1982: 227, 229; Hirdt 1993: 725). Im Sommer 1824 erhält der 1823 zum außerordentlichen Professor avancierte Diez ein mehrmonatiges Stipendium für ein vor allem provenzalistisches Handschriftenstudium in Paris, bei dem er auch einen eher abweisenden Raynouard trifft, worüber er Schlegel, der den jungen Bonner Kollegen mit einem Empfehlungsschreiben ausgestattet hatte, ausführlich berichtet (Richert 1914: 59–62). Auf der soliden Grundlage der intensiven Pariser Studien schafft Diez schließlich mit den provenzalistischen Schriften der folgenden Jahre (Diez 1825; 1826; 1829) die Voraussetzung für seine 1830 erfolgte Ernennung zum ordentlichen Professor »für die Geschichte der mittleren und neueren Literatur« (Renger 1982: 230). Und etwas mehr als ein halbes Jahrzehnt später wird er mit dem Beginn der Publikation der Grammatik der romanischen Sprachen (Diez 1836–1844) und mit der von Auflage zu Auflage erfolgten, kon-

57 S. das Digitalisat [konsultiert am 10. 11. 2020]. 58 S. das Digitalisat [konsultiert am 10. 11. 2020]. 59 Dies zeigt sich auch in der als KAV V/1 (Text) in Vorbereitung befindlichen Edition der Mitschriften der Vorlesung über »Geschichte der Deutschen Sprache und Poesie« von Moritz Eduard Pinder (1826/1827) und Johann Freudenberg (1826/1827). Für die generös ermöglichte Einsicht in die Edition danke ich ganz herzlich Edith Höltenschmidt und (in alter Tübinger und Regensburger Verbundenheit) Georg Braungart.

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tinuierlichen Verbesserung des Werks (postum Diez 51882) den Grundstein60 für seinen früh gefestigten Ruhm als Begründer oder »Erfinder61 der Romanistik legen, den dank intensiver romanistischer Traditionspflege auch manche neueren und klugen Perspektivierungen und Relativierungen im Ergebnis nur wenig in Frage stellen – ein Thema, das allerdings in unserem Zusammenhang nicht weiter verfolgt werden kann und soll.

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60 Prosaischer und kaum positive Assoziationen erweckend ist gesagt worden, dass der »Diez’sche ›Zement‹« bis heute das Fach Romanistik zusammenhalte (Kalkhoff 2010: 266). 61 S. dazu den Titel von Hirdt 1993. Das umfangreiche und immer noch grundlegende Werk enthält eine faktengesättigte biobibliographische Darstellung und Dokumentation zu Diez (Baum 1993). Zahlreiche – nicht alle – der hier wieder zugänglich gemachten Diez’schen Texte können heute dank Google Books und anderer Datenbanken bequem im Internet konsultiert werden.

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versität Bonn und der »Observations sur la langue et la littérature provençales« (1818), 51–72. Göttingen: V&R unipress (in diesem Band). Benfey, Theodor (1869): Geschichte der Sprachwissenschaft und orientalischen Philologie in Deutschland seit dem Anfange des 19. Jahrhunderts mit einem Rückblick auf die früheren Zeiten. – München: Cotta. Bernsen, Michael (2021): August Wilhelm Schlegels Urteile über Zeugnisse der romanischen Literaturen und ihr zeitgenössischer Hintergrund. – In: F. Lebsanft (Hg.): August Wilhelm Schlegel und die Episteme der Geschichte. Eine Ringvorlesung zum 200jährigen Jubiläum der Universität Bonn und der »Observations sur la langue et la littérature provençales« (1818), 171–191. Göttingen: V&R unipress (in diesem Band). Bopp, Franz (1816): Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. – Frankfurt am Main: Andreä. Bopp, Franz (1825/1828): Vergleichende Zergliederung des Sanskrit und der mit ihm verwandten Sprachen, II. Abhandlung: Über das Reflexiv. – In: Abhandlungen der historisch- philologischen Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin aus dem Jahre 1825, 191–200. Berlin: Dümmler. Bopp, Franz (21857): Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Send, Armenischen, Griechischen, Lateinischen, Litauischen, Altslavischen, Gothischen und Deutschen. – Berlin: Dümmler; Paris: Klincksieck. Bopp, François (1866): Grammaire comparée des langues indo-européennes comprenant le sanscrit, le zend, l’arménien, le grec, le latin, le lithuanien, l’ancien slave, le gothique et l’allemand. – Paris: Hachette. Bossong, Georg (2001a): Sprachtypologie. – In: LRL I,2, 718–730. Bossong, Georg (2001b): Die Anfänge typologischen Denkens im europäischen Rationalismus. – In: M. Haspelmath, E. König, W. Oesterreicher, W. Raible (Hg.): Sprachtypologie und sprachliche Universalien. Ein internationales Handbuch. Berlin, New York: De Gruyter, Bd. 1, 249–264. Bouterweck, Friedrich (1817): Rezension von Raynouard 1816b. – In: Göttingische Gelehrte Anzeigen 3 (06. 10. 1817), 1593–1598. Bréal, Michel (1866): Introduction. – In: Bopp 1866, i–lvii. Canal, Héctor (2017): Romantische Universalphilologie. Studien zu August Wilhelm Schlegel. – Heidelberg: Winter. Canello, Ugo Angelo (1871–1872): Il prof. Federigo Diez e la filología romanza nel nostro secolo. – In: Rivista europea 2, 4, 3; 485–512 (Teil 1); 3, 1, 1; 55–64 (Teil 2); 3, 1, 2; 331–345 (Teil 3); 3, 1, 3; 485–514 (Teil 4). Canello, Ugo Angelo (1872): Il prof. Federigo Diez e la filología romanza nel nostro secolo. – Firenze: Tipografia dell’Associazione. Christmann, Hans Helmut (Hg.) (1977): Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts. – Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Christmann, Hans Helmut (1985): Romanistik und Anglistik an der deutschen Universität im 19. Jahrhundert. Ihre Herausbildung als Fächer und ihr Verhältnis zu Germanistik und klassischer Philologie. – Stuttgart: Steiner. Coseriu, Eugenio (1968): Adam Smith und die Anfänge der Sprachtypologie. – In: H. E. Brekle, L. Lipka (Hg.): Wortbildung, Syntax und Morphologie. Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans Marchand am 1. Oktober 1968, 46–54. Den Haag: Mouton.

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2. Sprachwissenschaftliche Zugänge zu Schlegels Observations

Martin Becker

August Wilhelm Schlegels Theorie der Grammatikalisierung und ihr wissenschaftsgeschichtlicher Stellenwert

1.

Einleitung – ›blinde Flecken‹ in der Wissenschaftsgeschichte

Die Rezeption von August Wilhelm Schlegels (1767–1845) sprachtheoretischem und sprachphilosophischem Denken fokussiert sich vor allem auf zwei wesentliche Momente, wie auch jüngere Publikationen zu seinen linguistischen Schriften noch einmal deutlich machen: Zum einen richtet sich das Interesse insbesondere auf A. W. Schlegels sprachtypologische Reflexionen, welche der universalistisch-kognitiv orientierten Typologie der Aufklärung eine genealogisch-historische Wendung verleihen (siehe v. a. Selig 2013 und Coseriu 2015: 163f.). Zum anderen befasst sich die Forschung mit sprachphilosophischen Überlegungen zum Verhältnis von Dichtung und Sprache sowie dessen Rolle für die Sprachursprungsfrage (Jesinghaus 1913 und jüngst Bär 2002 sowie Coseriu 2015: 176f.). Mit der Fixierung auf diese beiden zentralen Aspekte des Schlegel’schen Sprachdenkens geriet aber ein ganz wesentlicher Beitrag des Philosophen aus dem Blick – grundlegende und zudem originelle Überlegungen zur Grammatikalisierung und damit die Begründung der Grammatikalisierungstheorie. Dieser wissenschaftsgeschichtliche ›blinde Fleck‹ muss zunächst in Erstaunen versetzen, wenn man bedenkt, dass die Geschichte des linguistischen Denkens in den letzten Jahrzehnten eigentlich recht gut erforscht und dokumentiert worden ist. Verwiesen werden kann in diesem Zusammenhang etwa auf das u. a. von Sylvain Auroux herausgegebene mehrbändige Handbuch zur Geschichte der Sprachwissenschaften (Auroux/Körner/Niederehe/Versteegh 2000– 2006) sowie die zweibändige von Marcelo Dascal betreute Geschichte der Sprachphilosophie (Dascal 1992–1995). Dass nun jedoch August Wilhelm Schlegels Überlegungen zur Grammatikalisierung ein ›blinder Fleck‹ in der Geschichte des linguistischen Denkens – ja mehr noch: im Bewusstsein der einschlägigen Grammatikalisierungsforscher ist, zeigt nichts deutlicher als das Oxford Handbook of Grammaticalization (Narrog/ Heine 2011).

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In diesem – eine ›Summa‹ der Grammatikalisierungsforschung darstellenden – Werk wird auch auf die Anfänge der Grammatikalisierungstheorie verwiesen. In praktisch allen Beiträgen der einschlägigen Grammatikalisierungsforscher und -forscherinnen – etwa von Olga Keller, Martin Haspelmath, Elisabeth Closs Traugott und David Lightfood – wird Antoine Meillet als Begründer und entscheidender Referenzpunkt der Grammatikalisierungstheorie angesehen. August Wilhelm Schlegel findet lediglich in einem einzigen Artikel des gesamten Handbuchs Erwähnung, in dem seine Überlegungen zudem in einem kritischen Licht erscheinen. Adam Ledgeway, der sich in seinem Artikel »Grammaticalization from Latin to Romance« (Ledgeway 2011) auf Schlegel bezieht, schreibt ihn in eine eher ungute Tradition ein, welche vermeintlich blind gewesen ist für die zentrale Rolle der Grammatikalisierung in der Herausbildung der romanischen Sprachen, und zwar durch eine einseitige Fixierung auf typologische Fragestellungen und insbesondere den Gegensatz von synthetischen und analytischen Sprachen. Ledgeway resümiert: Nonetheless, the role of grammaticalization within historical treatments of Romance has tended to be eclipsed by, and hence subsumed within, a tradition which has, somewhat simplistically, viewed the principal morphosyntactic differences between Latin and Romance as two opposite poles of a syntheticity–analyticity continuum (Schlegel 1818/1846; Harris 1978: 15–16; Schwegler 1990) […] (Ledgeway 2011: 1).

Die Herausgeber Narrog und Heine erwähnen Schlegel in ihrem Einleitungskapitel überhaupt nicht, lediglich den Linguisten Franz Bopp, Franz Wüllner und Georg von der Gabelentz wird die Ehre zu teil, als Vorläufer der Grammatikalisierungsforschung im 19. Jahrhundert immerhin namentlich erwähnt zu werden (Narrog/Heine 2011: 1). Angesichts dieses Befundes möchte ich in meinem Beitrag aufzeigen, dass wir August Wilhelm Schlegel sehr wohl als einen zentralen Impulsgeber für die Grammatikalisierungsforschung schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts ansehen dürfen, dessen durchaus originelle Überlegungen zur Grammatikalisierung bislang aber praktisch außerhalb des Aufmerksamkeitsfokus der Forschung lagen, weil diese bislang August Wilhelm Schlegel ausschließlich durch eine typologische Brille wissenschaftsgeschichtlich rezipiert hat. Nach einer allgemeinen wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung der Observations A. W. Schlegels (Kap. 2) möchte ich genauer aufzeigen, wie die originellen und pionierartigen Gedanken Schlegels zur Grammatikalisierung und sein typologisches Interesse untrennbar zusammenhängen bzw. einander durchdringen (Kap. 3.1). Bei der Würdigung des innovativen Beitrags Schlegels zu einer Theorie der Grammatikalisierung muss es vor allem darum gehen, diesen in seinen wissenschaftsgeschichtlichen Kontext, d. h. im Hinblick auf die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen sowie das leitende Erkenntnisinter-

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esse, einzuordnen (Kap. 3.2). Beides war natürlich noch ganz anders gelagert als fast ein Jahrhundert später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bei Antoine Meillet und erst recht in den 1980er Jahren bei Christian Lehmann, der bekanntermaßen mit seiner einflussreichen Monographie Thoughts on Grammaticalization (vgl. Lehmann 1982; 1995) eine Standardtheorie der Grammatikalisierung vorlegte. Ich möchte im Rahmen dieser Kontextualisierung Schlegels Beitrag auch zu wenigstens einigen zentralen Überlegungen Antoine Meillets in Bezug setzen (Kap. 4), zumal der französische Sprachwandeltheoretiker nicht nur den Terminus der Grammatikalisierung (grammaticalisation) in seinem berühmten Aufsatz von 1912 geprägt hat, sondern von der wissenschaftsgeschichtlichen Tradition als eigentlicher Begründer und zentraler Referenzpunkt der Grammatikalisierungstheorie angesehen wird. Diese Gegenüberstellung mit Meillet soll einerseits den Blick für die Originalität des Schlegel’schen Ansatzes schärfen, und damit deutlich hervortreten lassen, welche Aspekte der Grammatikalisierungstheorie dieser schon explizit formuliert oder doch zumindest vorgezeichnet hatte. Andererseits sollen aber auch Grenzen seines Ansatzes deutlich werden, die eben dem spezifischen Erkenntniszusammenhang bzw. -interesse zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschuldet sind, und über die dann die spätere Grammatikalisierungsforschung hinausgegangen ist. Ein abschließendes Fazit mit einer kurzen wissenschaftsgeschichtlichen Würdigung der Observations soll den Beitrag beschließen.

2.

Wissenschaftsgeschichtliche Verortung der Observations

Schlegel entfaltet seine Gedanken zur Grammatikalisierung ausschließlich in den Observations sur la littérature provençale, einem Beitrag aus dem Jahre 1818, der weit mehr ist als – wie es auf den ersten Blick scheinen mag – eine Rezension des ersten, ausschließlich sprachlichen Themen gewidmeten Bandes von François Raynouards (1761–1836) umfassender Darstellung der altokzitanischen Literatur, die unter dem Titel Choix des poésies originales des troubadours von 1816 bis 1821 in 6 Bänden erscheint. Schlegel würdigt in seinen Observations nicht nur das Werk Raynouards kritisch, sondern er präsentiert auch ganz eigene Überlegungen zu Struktur und Geschichte der romanischen Sprachen. Wie gemeinhin bekannt ist, bildet Schlegels Kritik an sowie die Widerlegung des Postulats einer einheitlichen langue romane als Zwischenglied zwischen dem Lateinischen und den späteren romanischen Sprachen ein Kernelement der Observations. Schlegel lehnt im Rahmen seiner Argumentation insbesondere die Identifizierung des Provenzalischen mit der sogenannten langue romane als der »romanische[n] Ur- bzw. Ausgangssprache« ab. Völlig zu Recht wendet er ein, dass das Italienische und Spanische in ihrer lautlichen Entwicklung dem Latei-

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nischen deutlich näherstehen als das Provenzalische (Schlegel 1818/1846: 180). Klarsichtig – und im Übrigen sehr viel deutlicher als noch der junge Diez (vgl. Gramatzki 2008: 155) – argumentiert er dafür, dass alle romanischen Sprachen gleichermaßen aus einer späteren Phase des Lateins entstanden sind. Dabei schreibt er dem Sprachkontakt mit dem Germanischen einen hohen Stellenwert zu, insbesondere mit Blick auf den Wandel der morpho-syntaktischen Struktur des Lateinischen hin zu einer ›romanischen Struktur‹. Es muss betont werden, dass Raynouard Schlegels Observations als eine sehr wertschätzende, seine Arbeit würdigende Kritik verstand, die ihn ermutigte, seine Forschungen zum Provenzalischen fortzusetzen. Raynouard unterhielt zeitlebens einen Briefkontakt mit Schlegel, in dessen Nachlass sich sogar noch ein Brief Raynouards aus dem Todesjahr 1845 befindet (vgl. Richert 1914: 48). August Wilhelm Schlegel plante im Übrigen selber eine historische Abhandlung über die Herausbildung der französischen Sprache, deren Titel sogar schon feststand. Allerdings gab er dieses Vorhaben mit dem Erscheinen von Raynouards Choix des poésies originales des troubadours auf, die zudem einen ausführlichen sprachhistorisch-grammatischen Teil enthielt (vgl. Gramatzki 2008: 149). Recht freimütig offenbart Schlegel in seinen Observations: »J’avois préparé depuis plusieurs années les matériaux d’un Essai historique sur la formation de la langue françoise: je suis charmé d’avoir été prévenu« (Schlegel 1818/1846: 165). Nach seinen Observations bezog Schlegel lediglich noch einmal, im Jahre 1827, Stellung zur romanischen Sprachwissenschaft in seiner Schrift De l’étymologie en général. Darin bemühte er sich in erster Linie um die Rehabilitierung der Etymologie, die, in ihrem ursprünglichen Sinne verstanden, neben grammatischen Aspekten wie der Derivationsmorphologie auch historische (Untersuchung früherer Sprachstufen) und sprachphilosophische (v. a. eine Theorie vom Ursprung der Sprache) behandelte. Kommen wir damit zum wissenschaftstheoretischen Kontext der Überlegungen, die in den Observations entfaltet werden. Schlegels linguistisches Erkenntnisinteresse bzw. seine Sicht auf Sprache spiegeln einen einschneidenden Paradigmenwechsel zu Beginn des 19. Jahrhunderts wider (vgl. für das Folgende u. a. Bossong 1990: 286ff. sowie 303ff.): Wie andere Sprachdenker der Frühromantik lässt Schlegel den Universalismus der Aufklärung hinter sich und richtet seine Aufmerksamkeit auf die typologische Einordnung und Analyse der Einzelsprachen auf der Grundlage morphologischer bzw. morpho-syntaktischer Charakteristika. Schlegel selber war sehr gut mit der Linguistik der Aufklärung vertraut, unter anderem unterhielt er eine persönliche Freundschaft mit dem französischen Sprachphilosophen Abbé Sicard. Großes Interesse zeigt er an dessen Taubstummen-Experiment, das er in den Observations ausführlich kommentiert. Dieses Experiment scheint einen Hinweis darauf zu geben, dass Taubstumme offenbar eine ›natürliche Syntax‹ besitzen, die dem erlernten ordre logique, der logischen Satzanordnung nach

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Subjekt-Prädikat-Objekt zuwiderläuft. Diese ›natürliche Syntax‹ nähert sich zudem der lateinischen Satzstruktur, mit der Möglichkeit verschiedener Inversionskonstruktionen, an. Das erstaunliche Ergebnis des Experiments kommentiert Schlegel mit folgenden Worten: M. l’abbé Sicard, que ses travaux méritoires ont engagé à méditer beaucoup sur la nature des langues, m’a communiqué à ce sujet une observation fort intéressante. Il enseigne à ses élèves sourds-muets l’emploi des signes selon l’ordre logique. Mais lorsque, dans les heures de délassement, ils communiquent entre eux par la même voie, ils arrangent les mots de leur langage muet d’une toute autre manière: ils se rapprochent de la construction latine sans la connoître, et ils font les inversions les plus hardies. Ne pourroit-on pas en conclure que ces inversions, que nous considérons comme des ornemens de rhétorique, sont plus naturelles que nous ne pensons, parce que nous avons contracté une habitude opposée? (Schlegel 1818/1846: 168).

Schlegels Deutung des Experiments nimmt am Ende aber interessanterweise eine typologische Wendung: »Disons-en autant des langues synthétiques en général« (ebd.). Stand in der Zeit der Aufklärung mithin noch das universalistische Interesse an Sprache überhaupt, an der langage, im Vordergrund, so ging es mit dem Übergang zur Sprachbetrachtung der Romantik um die Einzelsprache als Exponent des Volksgeistes im Spiegel der Zeiten. Dieses Interesse an den nationalen Einzelsprachen verband sich zudem mit Versuchen der Klassifikation und typologischen Beschreibung von Sprachfamilien, die ihrerseits Sprachtypen exemplifizieren. Diese sprachtypologische Tradition ist nicht völlig neu – auch in der Sprachphilosophie des 18. Jahrhunderts finden sich erste Typologisierungsversuche. So hatte schon der Abbé Girard in seinen Les vrais principes de la langue françoise von 1747 eine dreigliedrige sprachtypologische Klassifikation, die zwischen langues analogues, langues transpositives und langues amphilogiques ou mixtes unterschied,1 erarbeitet, die neben bzw. in Korrelation zur Satzanordnung auch die morphologische Struktur von Sprachen (etwa den Artikelgebrauch oder das Vorhandensein einer reichen Flexionsmorphologie) in die linguistische Betrachtung mit einbezog (vgl. Hoinkes 1991: 430f.). Allerdings befeuerte William Jones’ Entdeckung des Sanskrits, das mit seinem ausdifferenzierten, geradezu vollkommen anmutenden Flexionssystem wie eine Art mythische Ursprache erschien, das Interesse an verschiedenen Sprachtypen. 1 Während sich die sog. langues analogues wie das Französische oder Spanische durch die als natürlich empfundene SVO-Satzanordnung sowie ein Artikelsystem auszeichnen, scheinen langues transpositives wie das Lateinische eine freie Satzanordnung zu erlauben, die mit dem Vorhandensein einer reichen Flexionsmorphologie (v. a. Kasusmorphologie) in Verbindung steht. Das Griechische und das Deutsche sind demgegenüber langues amphilogiques ou mixtes, die sowohl Kasusmorphologie als auch ein Artikelsystem aufweisen. Vgl. Hoinkes 1991: 430f.

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Dabei war dieses Interesse nicht auf eine synchrone Betrachtung, als vergleichende Typologie von Sprachfamilien und ihren strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschieden, gerichtet, sondern es war ganz wesentlich diachron orientiert. Auf einer noch höheren Abstraktionsstufe wurden nationale Einzelsprachen und sprachtypologische Differenzierungen mit dem ›Denken‹, und mehr noch: mit dem ›Geist‹ der verschiedenen Völker und Nationen in Beziehung gesetzt. Die untrennbare Verbindung zwischen Sprache und Denken steht auch für A. W. Schlegel außer Frage – sie wird als selbstverständlicher Ausgangspunkt jeglicher Sprachbetrachtung präsupponiert: »puisque le langage est l’instrument, ou, pour mieux dire l’organe, de toutes les fonctions et de la plupart des jouissances intellectuelles; […]« (Schlegel 1818/1846: 107). Aber das allgemeine menschliche Sprachvermögen wird immer zugleich mit seinen konkreten einzelsprachlichen Realisierungen gedacht. Die verschiedenen Einzelsprachen legen Zeugnis von der Denkgeschichte einer Sprachgemeinschaft ab; in ihnen ist gewissermaßen die Denkgeschichte der unterschiedlichen Sprachgemeinschaften ›sedimentiert‹. So wechselt auch Schlegel bruchlos zur Ebene der Muttersprache über: on devrait croire que tout ce qui sert à nous faire approfondir l’essence de ce merveilleux don de la nature ou de la divinité, à nous faire connaître comment notre langue maternelle, ce précieux héritage, nous a été transmis et s’est accru par les soins des générations précédentes, est fait pour intéresser au plus haut point les hommes qui pensent (ebd.).

Ihren intellektuellen Höhepunkt wird die theoretische Auseinandersetzung bezüglich des Verhältnisses von Sprache (›Sprachvermögen‹), Einzelsprachen und Denken zweifellos in Wilhelm von Humboldts linguistischem Hauptwerk Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts aus dem Jahre 1836 erreichen (vgl. Humboldt 1836/1960).

3.

Schlegel als Pionier der Grammatikalisierungstheorie: die Aufeinanderbezogenheit von Typologie und Grammatikalisierung

3.1

Diachrone Typologie als Voraussetzung für Schlegels Überlegungen zur Grammatikalisierung

Kommen wir nach dieser allgemeinen Kontextualisierung von Schlegels Sprachdenken nun zu den Observations und ihren zentralen linguistischen Überlegungen:

August Wilhelm Schlegels Theorie der Grammatikalisierung

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Schlegels Ausgangspunkt ist auch in den Observations zunächst ein diachrontypologischer: Er unterscheidet – ähnlich wie sein Bruder Friedrich – eine frühe ›synthetische‹ Sprachepoche, die von Sprachen wie dem klassischen Latein und dem Altgriechischen geprägt ist, von einer moderneren Epoche der eher analytischen Sprachen wie das Englische oder die romanischen Sprachen. In dieser typologischen Perspektive erweist sich das Deutsche als ein Misch-Typ. Als Maßstab aber gilt das in seiner strukturellen Perfektion gewissermaßen im ›goldenen‹ Zeitalter verortete Sanskrit (vgl. auch Hoinkes 2003: 128). Die diachrone Entwicklungslinie der Sprachen weist mithin eine Abwärtsdynamik auf, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich Sprachen mit synthetischer Struktur in einem Prozess der Dekadenz zu analytischen Sprachen wandeln. Selig (2013) spricht in diesem Zusammenhang von einem »genealogischen Essentialismus«, welcher der Sprachen-Typologie der Brüder Schlegel eigen ist und die Vorstellung einer Idealschöpfung wie etwa im Falle des Sanskrits mit einem VerfallsSzenario verbindet (vgl. Selig 2013: 290). Vertiefen und konkretisieren wir die hier angedeuteten Überlegungen noch weiter: August Wilhelm Schlegel unterteilt – an den typologischen Dualismus seines Bruders Friedrich anknüpfend und diesen durch die Einbeziehung von Smiths typologischen Überlegungen überwindend (vgl. Renzi 1976: 647) – die Sprachen der Welt zunächst in drei große Klassen: – »les langues sans aucune structure grammaticale«, später als isolierende Sprachen bezeichnet und mit dem Chinesischen als typischen Vertreter, – »les langues qui emploient des affixes«, später als agglutinierende Sprachen bezeichnet und mit dem Türkischen als Beispiel, – »les langues à inflexions«, die sich wiederum in synthetische und analytische Sprachen aufgliedern. Bezeichnenderweise verwendet Schlegel bei seiner Charakterisierung dieser Sprachtypen eine Vegetationsmetaphorik, wobei dem Konzept der Wurzel – zugleich naturhaft-biologisch als auch morphologisch verstanden – eine Schlüsselrolle zukommt. Diese metaphorische Verschränkung von linguistischer Begrifflichkeit und biologisch-organismischer Metaphorik tritt besonders deutlich bei der Charakterisierung des isolierenden Sprachtyps hervor: Les langues de la première classe n’ont qu’une seule espèce de mots, incapables de recevoir aucun développement ni aucune modification. On pourrait dire que tous les mots y sont des racines, mais des racines stériles qui ne produisent ni plantes ni arbres. Il n’y a dans ces langues ni déclinaisons, ni conjugaisons, ni mots dérivés, ni mots composés autrement que par simple juxta-position, et toute la syntaxe consiste à placer les élémens inflexibles du langage les uns à côté des autres (Schlegel 1818/1846: 139).

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Die später als agglutinierender Sprachtyp bezeichnete zweite Klasse wird nur beiläufig behandelt – sie zeichnet sich durch die besondere Rolle der Affixe mit distinkter Bedeutung aus, welche dazu dienen, lexikalische Einheiten mit grammatischer Information zu versehen. Dagegen räumt Schlegel der Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sprachen einen großen Raum in seiner Systematik ein, wobei sie im weiteren auch die relevanten Bezugsgrößen im Rahmen seiner Theorie der Grammatikalisierung bilden. Les langues à inflexions se subdivisent en deux genres, que j’appellerai les langues synthétiques et les langues analytiques. J’entends par langues analytiques celles qui sont astreintes à l’emploi de l’article devant les substantifs, des pronoms personnels devant les verbes, qui ont recours aux verbes auxiliaires dans la conjugaison, qui suppléent par des prépositions aux désinences des cas qui leur manquent, qui expriment les degrés de comparaison des adjectifs par des adverbes, et ainsi du reste (ebd.: 160).

Die Liste von Merkmalen analytischer Sprachen umfasst eine Reihe typischer Charakteristika: die obligatorische Verwendung eines definiten Artikelmorphems vor dem Nomen sowie eines Personalpronomens vor dem Verb, die Verwendung von Auxiliarverben in bestimmten Tempora (wie etwa dem Perfekt) oder zur Realisierung der Diathese (z. B. des Passivs). Des Weiteren: der Rückgriff auf Präpositionen anstelle von Kasusmorphologie sowie von quantifizierenden Adverbien im Rahmen der Komparation, nicht aber eigener Komparativformen (plus grand que und nicht wie noch im Altfranzösischen graignour). Die synthetischen Sprachen werden hingegen ex negativo definiert: »Les langues synthétiques sont celles qui se passent de tous ces moyens de circonlocution« (ebd.). Die von August Wilhelm Schlegel in den Observations vorgeschlagene typologische Differenzierung der Sprachen geht auf das von seinem Bruder entwickelte sprachtypologische Modell zurück, das sich allerdings durch einen strikten Dualismus von analytischen und synthetischen Sprachen auszeichnete (vgl. etwa Bossong 1990: 302). Im Gegensatz zu Friedrichs dichotomischem Verständnis der Sprachtypen entwickelt August Wilhelm ein gradualistisches Panorama bzw. erkennt in dem Oppositionspaar analytisch vs. synthetisch eher Pole eines Kontinuums denn kategoriale Scheidungen von Sprachtypen. So betont er: La ligne de division entre les deux genres n’est pas tranchée. Les langues où prédomine le système synthétique ont cependant adopté, sous quelques rapports particuliers, la méthode des langues analytiques (Schlegel 1818/1846: 161).

Entscheidend ist nun, dass nicht nur die Differenzen zwischen den Sprachtypen herausgehoben werden, sondern auch eine deutliche Hierarchie konstruiert wird.

August Wilhelm Schlegels Theorie der Grammatikalisierung

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Die Anfänge der synthetischen Sprachen verlieren sich im mythischen Dunkel der Vorzeit, die analytischen Sprachen sind hingegen Erscheinungen der Moderne: L’origine des langues synthétiques se perd dans la nuit des temps; les langues analytiques, au contraire, sont de création moderne: toutes celles que nous connoissons, sont nées de la décomposition des langues synthétiques (ebd.: 160).

Vor allem aber – so die pointierte Wendung des letztzitierten Satzes – sind sie Erscheinungen der Dekomposition, also letztlich Produkte einer Dynamik des Niedergangs. Mehrfach bezieht A. W. Schlegel Stellung zur Qualität der Sprachtypen und stellt den schon angedeuteten Zusammenhang zum Denken, zum Geistigen – heute würden wir sagen: zur Kognition – her. So bezieht er dezidiert gegen Raynouards Auffassung von der Superiorität der analytischen Sprachen Stellung (vgl. auch Bär 2002: 87–89), die jener im Übrigen mit dem Ökonomen und eben auch Sprachtheoretiker Adam Smith teilte (vgl. Selig 2013: 286): »Il me semble cependant que M. Raynouard exalte un peu trop les avantages des langues analytiques« (Schlegel 1818/1846: 167). Und er hebt explizit hervor: »Je l’avoue, les langues anciennes sous la plupart des rapports, me paraissent bien supérieures« (ebd.). Detailliert arbeitet er die Vorzüge der synthetischen Sprachen heraus und sieht hierin ihre besondere Eignung und Befähigung für die Zwecke der Dichtkunst (vgl. auch Coseriu 2015: 175f.). Synthetische Sprachen sind geeignet, so Schlegel, die Vorstellungskraft und die Empfindung der Hörer auf immer neue und originelle Weise anzusprechen: Un brillant avantage des langues anciennes, c’est la grande liberté dont elles jouissent dans l’arrangement des mots. La logique était satisfaite, la clarté assurée par des inflexions sonores et accentuées; ainsi, en variant les phrases à l’infini, en entrelaçant les mots avec un goût exquis, le prosateur éloquent, le poète inspiré, pouvaient s’adresser à l’imagination et à la sensibilité avec un charme toujours nouveau (Schlegel 1818/1846: 167f.).

Im Gegensatz dazu scheinen die modernen – analytischen – Sprachen den Erfordernissen der Rationalität des diskursiven Denkens unterworfen zu sein: Les langues modernes, au contraire, sont sévèrement assujetties à la marche logique, parce qu’ayant perdu une grande partie des inflexions, elles doivent indiquer les rapports des idées par la place même que les mots occupent dans la phrase. Ainsi une infinité d’inversions, familières aux langues anciennes, sont devenues absolument impossibles; encore fait-il employer le petit nombre d’inversions qui sont permises, avec une grande sobriété: car les inversions étaient contraires au système général, deviennent facilement prétentieuses et affectées (ebd.: 168).

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Schlegel buchstabiert seine Überlegungen zum Verhältnis von Sprachtyp und Spezialisierung auf kognitive Leistungen aus. Mehr noch: Er spitzt seine Überlegungen zu der Aussage zu, dass die beiden fundamentalen Sprachtypen, der synthetische und der analytische, gewissermaßen unterschiedlichen Epochen der menschlichen Denkgeschichte (oder besser: der Geschichte der menschlichen Kognition) angehören. Disons-en autant des langues synthétiques en général. Elles appartiennent à une autre phase de l’intelligence humaine: il s’y manifeste une action plus simultanée, une impulsion plus immédiate de toutes les facultés de l’âme que dans nos langues analytiques. A celles-ci préside le raisonnement, agissant plus a part des autres facultés, et se rendant par conséquent mieux compte de ses propres opérations. Je pense qu’en comparant le génie de l’antiquité avec l’Esprit des temps modernes, on observera une opposition semblable a celle qui existe entre les langues. Les grandes synthèses créatrices sont dues à la plus haute antiquité: l’analyse perfectionnée était réservée aux temps modernes (ebd.: 169).

Gerade der letztgenannte Gedanke kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden: Die schöpferische Synthese als Kennzeichen des synthetischen Typs steht der rationalen Analyse als Markenzeichnen des analytischen Typs gegenüber. An dieser Stelle setzt nun die ›eigentliche Grammatikalisierungstheorie Schlegels‹ an: Denn die beiden Sprachtypen sind in dieser Perspektive eben nicht primär strukturelle, synchrone Typen, sondern sie repräsentieren Stufen oder Etappen der diachronen Entwicklung – mit anderen Worten: Schlegels Typologie ist im Kern eine diachrone Typologie. Hieraus ergibt sich auch die Funktion der Grammatikalisierungstheorie Schlegels, die nämlich erklären soll, wie im Rahmen des skizzierten diachronen Szenarios analytische Grammatiken aus synthetischen Grammatiken entstanden sind. Die Leitfrage lautet also: Nach welchen Prinzipien und Mechanismen des sprachlichen Wandels hat sich der Übergang vom synthetischen zum analytischen Typ vollzogen?

3.2

Überlegungen Schlegels zu einer Theorie der Grammatikalisierung

A. W. Schlegel sieht in der grammatischen Entwicklung die Wirkung eines einzigen Mechanismus am Werke, den er auf ein Grundprinzip zurückführt: C’est une invention en quelque façon négative, que celle qui a produit les grammaires analytiques, et la méthode uniformément suivie à cet égard peut se réduire à un seul principe. On dépouille certains mots de leur énergie significative, on ne leur laisse qu’une valeur nominale, pour leur donner un cours plus général et les faire entrer dans la partie élémentaire de la langue. Ces mots deviennent une espèce de papier-monnaie destiné à faciliter la circulation (Schlegel 1818/1846: 169).

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Mit diesen Worten beschreibt A. W. Schlegel erstmals das Grundprinzip der Grammatikalisierung, und zwar interessanterweise mithilfe ökonomisch-monetärer Metaphorik. Wörter verlieren demnach ihre spezifische Bedeutungskraft, ihre »énergie significative«, und sie nehmen eine allgemeinere Bedeutung an, wodurch sie in den ›grundlegenden Bereich‹ der Sprache übergehen. Die Modernität und Aktualität der Schlegel’schen Einsichten hinsichtlich des Verfahrens der Grammatikalisierung wird noch deutlicher, wenn wir die von ihm verwendeten Begriffe in heutige Terminologie übersetzen: Der Prozess des »dépouillement de l’énergie significative«, der Entzug von konkret-lexikalischem Bedeutungspotential, entspricht dem, was die moderne Grammatikalisierungstheorie mit dem Terminus semantic bleaching bezeichnet hat (vgl. Diewald 1997: 51). Besonders anschaulich wird das Resultat dieses ›Ausbleichungsprozesses‹ in der Metapher des monetären Nominalwerts konzeptualisiert. Der die Grammatikalisierung kennzeichnende Übergang von einer lexikalischen zu einer grammatischen Morphem-Bedeutung wird charakterisiert als ein Prozess der Generalisierung und des Übergangs in den Bereich der elementaren, sprich: der grammatischen Grundstruktur der Sprache – noch einmal im Wortlaut: »donner un cours plus général et les faire entrer dans la partie élémentaire de la langue«. Wiederum metaphorisch ist die Charakterisierung des Resultats: »Ces mots deviennent une espèce de papier-monnaie destiné à faciliter la circulation«. Dieses Bild veranschaulicht eine wesentliche Intuition über ein grundlegendes Charakteristikum bzw. Merkmal der Grammatikalisierung, nämlich die sog. context extension. Die Elementarisierung des semantischen Gehalts von morphologischen Elementen und die damit verbundene Zunahme an abstraktgrammatischer Funktionalität führen zu einer Ausdehnung des Verwendungsradius grammatikalisierter Elemente auf immer weitere kombinatorische Klassen. Diesen Prozess hat die Grammatikalisierungsforschung als »host-class expansion«, jüngst etwa Himmelmann in einem Beitrag (Himmelmann 2004: 36), bezeichnet. Die Verfügbarkeit als grammatisches Element in sich ausweitenden kombinatorischen Kontexten wird durch eine Statusanalogie mit daraus ableitbarer Funktionalität konzeptualisiert: »papier-monnaie destiné à faciliter la circulation«. A. W. Schlegel erhärtet und veranschaulicht seine Theorie der Grammatikalisierung anhand einer Vielzahl von Beispielen des Übergangs vom Lateinischen zu den romanischen Sprachen. Seine beeindruckende Liste enthält schon fast alle klassischen Fälle der Grammatikalisierung, die von der späteren Grammatikalisierungsforschung aufgegriffen und dann immer wieder aufs Neue diskutiert werden sollten. Herausgegriffen werden im Einzelnen: 1.) die Entstehung des definiten Artikels (etwa frz. le oder la) aus einem Demonstrativpronomen (aus ille und illa): »Par exemple, un pronom démonstratif quelconque se transforme en article« (Schlegel 1818/1846: 170).

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An diesem Beispiel erläutert Schlegel den Abstraktionsvorgang im Prozess der Grammatikalisierung und operiert im Übrigen schon mit einem erweiterten Grammatikalisierungsbegriff, der auch Fälle der Weitergrammatikalisierung von schon grammatikalisierten Elementen mit einschließt: Aus dem Demonstrativpronomen, einem grammatischen Element mit deiktischer Verweisfunktion, wird ein reiner Genus- und Numerusmarker, ja letztlich ein Marker der Wortklassenzugehörigkeit (bzw. ein Substantivmarker): »Le pronom démonstratif dirige l’attention vers un objet dont il annonce la présence réelle; comme article, il indique seulement que le mot qu’il possède est un substantif« (ebd.: 170). 2.) Das Zahlwort unus wird zum unbestimmten Artikel (»Le nombre un, en perdant son rang numérique, devient l’article indéfini«, ebd.). 3.) Das lexikalische Verb tenere mit Possessivbedeutung wird zum Auxiliar für die Bildung der Tempusform Perfekt. Wiederum wartet Schlegel mit zwei scharfsichtigen Beobachtungen auf: Auf der Bedeutungsseite sind Grammatikalisierungsprozesse häufig mit einem semantischen (metaphorischen oder metonymischen) Transfer verbunden. So drückt beispielsweise das ehemalige Possessivverb habere abstrakte – oder wie Schlegel schreibt: »ideale« – Possession eines vergangenen Ereignisses (bzw. seines Resultats-Zustands) aus: »Un verbe qui signifie la possession, en s’attachant à un autre verbe comme auxiliaire n’exprime plus que la possession idéale du temps passé« (ebd.). Zudem führen Grammatikalisierungsprozesse zu semantischen Differenzierungs- und paradigmatischen Verschiebungsprozessen – strukturalistischfunktional orientierte Grammatikalisierungstheorien werden dazu ein Jahrhundert später mehr zu sagen zu haben: »En espagnol, le verbe latin habere a si bien perdu sa signification réelle, que, pour exprimer l’idée de la possession, il a fallu recourir au verbe tenere, qui en présente une image sensible« (ebd.). 4.) Ein weiterer klassischer Kandidat der späteren Grammatikalisierungsforschung ist auch die Herausbildung von Futurformen auf der Grundlage von deontischen (devoir) und boulomaischen (vouloir) Verben. Die spätere Grammatikalisierungsforschung, so etwa Bybee/Perkins/Pagliuca (1994: 254ff.), wird im Hinblick darauf von Grammatikalisierungspfaden des Futurs sprechen, die auf »modal auxiliaries« bzw. »agent-oriented modal expressions« beruhen. »Ce que nous devons ou voulons faire est toujours dans l’avenir; c’est pourquoi, dans plusieurs langues, les verbes devoir et vouloir, comme auxiliaires, indiquent le futur« (Schlegel 1818/1846: 170). Schlegel bietet im Hinblick auf das Futur sogar mehrere Erklärungshypothesen für die Entstehung einer zunächst periphrastischen Futurform auf der Grundlage eines Grammatikalisierungsprozesses an:

August Wilhelm Schlegels Theorie der Grammatikalisierung

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– Er nennt etwa die Verwechslungsmöglichkeit von Futur- und Imperfektmorphologie bei den Verben der 1. und 2. Konjugation (amabam/docebam vs. amabo/docebo); – des Weiteren die Homophonie bzw. den Synkretismus von 1. Person Konjunktiv und 1. Person Futur bei der 3. und 4. Konjugation (audiam, dicam); er nimmt hier schon Erklärungshypothesen vorweg, die später bei Thielmann (1885: 158) und in Fleischmans Standardwerk The Future in Thought and Language (Fleischman 1982: 41) wieder aufgegriffen werden. Vor allem führt Schlegel den Sprachkontakt mit dem Germanischen als weiteren Erklärungsansatz an. Er betont in diesem Kontext, dass im Germanischen zunächst keine Futurmorphologie existiert habe. Die Bildung periphrastischer Konstruktionen hätte diese morphologische Lücke gefüllt und das Bildungsmuster sei dann ins gesprochene Latein übernommen worden: Mais quelquefois ils ont essayé de former un futur composé avec l’infinitif et plusieurs verbes auxiliaires, entre autres celui d’avoir. […]. Ainsi c’est précisément le plus ancien germanisme qui s’est introduit dans tous les dialectes romans (Schlegel 1818/1846: 174).

Wir wissen heute, dass diese Hypothese eines grammatischen calque (bzw. in heutiger Terminologie: einer grammatical replication, vgl. Heine/Kuteva 2005: 3) nicht richtig ist. Vielmehr stellt die analytische Futur-Konstruktion des Typs Infinitiv + habere eine autonome post-klassische Entwicklung des Lateinischen dar, die sich – wie Fleischman in ihrer Futur-Monographie aufzeigt – erstmals bei Cicero sowie bei Lukrez nachweisen lässt und später dann bei den Kirchenlehrern starke Verbreitung fand (vgl. Fleischman 1982: 52). Allerdings ist Schlegel, so scheint es, der erste Sprachforscher, der ein in einschlägigen Beiträgen zum Futur regelmäßig angeführtes (vgl. etwa Company Company 1985: 52, aber auch wiederum Fleischman 1982: 68) frühestes Zitat für die sich synthetisierende Futurform zitiert, welche bekanntlich durch die Verschmelzung von Infinitivstamm und phonologisch reduzierten Formen von habere entstanden ist. Das berühmte, von dem Historiker Aimoin von Fleury in dessen Gesta regum Francorum (bzw. Historia Fancorum) Kaiser Justinian zugeschriebene Zitat wird von Schlegel im Fließtext zunächst paraphrasiert und dann in den nachgestellten Anmerkungen im Original vollständig wiedergegeben: Justinien, dit-il, devient empereur. Aussitôt il rassemble une armée contre les barbares; il part, leur livre bataille, les met en fuite, et il a le plaisir de faire leur roi prisonnier; l’ayant fait asseoir à côté de lui sur un trône, il lui commande de restituer les provinces enlevées à l’empire. Le roi répond: je ne les donnerai point: non, inquit, dabo; à quoi Justinien réplique: tu les donneras, daras (Schlegel 1818/1846: 182, zudem: Anm. 26, 227: Aimoin, Lib. II, 5: »Cui ille, non, inquit, dabo. Ad haec Justinianus respondit: daras«).

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5.) Als weitere relevante Fälle führt Schlegel auch die Grammatikalisierung des Existenzverbs esse für die romanische Passivkonstruktion sowie des Positionsverbs stare im Rahmen der Herausbildung von Progressivkonstruktionen in den romanischen Sprachen an. 6.) Einen weiteren zentralen Aspekt der Sprachentwicklung von synthetischen Strukturen des Lateinischen zu analytischen Konstruktionen in den romanischen Sprachen, den Schlegel wie selbstverständlich nennt, dessen Tragweite für eine Theorie der Grammatikalisierung er aber noch nicht ganz ermisst, stellt die Weitergrammatikalisierung der lateinischen Präpositionen de und ad zu Kasusmarkern dar – eine Entwicklung, die in enger Verbindung zum Abbau und schließlich Zusammenbruch des lateinischen Kasussystems steht. Diese Einsicht formuliert Schlegel sehr klarsichtig in der folgenden Einlassung: On distinguait donc en romain le régime de sujet par la désinence; mais, pour distinguer le régime direct du régime indirect, ou, pour me servir d’une expression plus connue, l’accusatif du génitif, du datif et de l’ablatif, on eut recours, comme dans les autres langues dérivées du latin, aux deux prépositions de et ad (Schlegel 1818/1846: 172).

Die Behandlung der Grammatikalisierung als Mechanismus und Entwicklungsprinzip wird am Ende dieses Abschnitts schließlich wieder auf den diachron-typologischen Hauptstrang der Argumentation zurückgeführt. Die Ausbildung neuer grammatischer Strukturelemente beschränkt sich nicht nur auf den Bereich der Auxiliarverben, sondern er betrifft auch andere Elemente – Pronomina, Präpositionen und Adverbien haben ihren Anteil an dem Verfahren, das Schlegel in dem folgenden Zitat auch ganz explizit als »formation d’une nouvelle grammaire« bezeichnet: On a tort de ne parler que de verbes auxiliaires; il se trouve, dans les langues analytiques, des mots auxiliaires de plusieurs espèces, pronoms, prépositions, adverbes. À cet égard, la formation d’une nouvelle grammaire peut paraître ingénieuse; mais, d’un autre côté, elle trahit l’incapacité de comprendre tout ce que renfermait un mot latin. On se croyait obligé d’entasser plusieurs mots, quand un seul suffisait pour exprimer la même idée. Au lieu d’aliquis, on disait aliquis-unus ; a lieu de quisque, quisque-unus: ce qui s’est contracté ensuite en aucun, chacun (ebd.: 170f.).

Wie die Wendung des Zitats deutlich macht, steht am Ende doch wieder die Hierarchisierung der typologischen Alternativen. Was auf den ersten Blick als Zeichen der vermeintlichen ingéniosité der neuen (analytischen) Grammatik erscheint, ist in Wirklichkeit Zeugnis eines Mangels (»incapacité de comprendre tout ce que renfermait un mot latin«) und einer Verschlechterung hin zu einem minderen sprachstrukturellen Zustand (»on se croyait obligé d’entasser plusieurs mots, quand un seul suffisait pour exprimer la même idée«). So enden seine Ausführungen zur Grammatikalisierung mit einem abschließenden typologisch wertenden Urteil, das den Rangunterschied zwischen dem synthetischen

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und dem analytischen Sprachtyp deutlich herausstellt: »Il y a une foule d’exemples de cette espèce, qui ne laissent pas de sentir un peu de barbarie« (ebd.: 171). Im Resümee lässt sich festhalten, dass Grammatikalisierung für Schlegel vor allem das grundlegende Verfahren der ›Analytisierung‹ – oder wie er es auch nennt: der »décomposition« – von synthetischen grammatischen Strukturen ist, oder anders gewendet: der Vorgang der Restrukturierung einer ehemals synthetischen Grammatik mit den Mitteln und den Formen einer analytischen Grammatik. Dieser Prozess ist diachroner Natur und hinsichtlich seiner Entwicklungsrichtung ein abwärts-orientierter. Er repräsentiert letztlich eine Dynamik der Dekadenz und Dekomposition, der von den Höhen des idealen synthetischen Typs grauer Vorzeit (»dans la nuit des temps«) zu den gegenwärtigen analytischen Sprachstrukturen führte. Im Rahmen dieses Argumentationszusammenhangs ordnet Schlegel auch dem Provenzalischen, der angeblichen langue romane ihren Platz, d. h. ihren typologischen Status sowie das ihr entsprechende Entwicklungsstadium, zu: La langue romane étant le premier essai en son genre s’est, sous plusieurs rapports, arrêtée à moitié chemin dans le passage de la grammaire synthétique à la grammaire analytique. On n’avait pas encore appris à observer toutes les précautions nécessaires pour obtenir la même clarté que le latin doit aux inflexions, lorsque ces inflexions étaient ou tronquées ou omises. C’est là ce qui forme le caractère distinctif de la langue romane. Il en est résulté des avantages et des inconvénients: cette langue est d’une brièveté étonnante; mais elle pèche quelquefois par l’obscurité (ebd.: 171).

Die langue romane nimmt folglich eine Zwischenstellung zwischen einer synthetischen Grammatik (und zugleich Stadium) und einer analytischen Grammatik/Stadium ein. Sie ist gewissermaßen noch unfertig – prägnant im Ausdruck zwar, aber zugleich noch dunkel in ihren Ausdrucksmitteln. Nicht unerwähnt bleiben soll am Ende dieses Kapitels schließlich noch eine weitere wichtige Beobachtung Schlegels, welche die Ausdrucksseite der sprachlichen Elemente betrifft, jedoch noch nicht direkt in seine Grammatikalisierungstheorie integriert wird. So betont Schlegel auch schon eine wichtige Entwicklungstendenz auf der sprachlichen Ausdrucksseite, nämlich die lautliche Reduktion, die praktisch regelhaft bei besonders häufig verwendeten sprachlichen Formen auftritt. Schlegel illustriert dieses lautliche Phänomen anhand einer Reihe von einschlägigen Beispielen: Ai n’est pas plus différent de habeo, que fai de facio, sai de sapio, vei de video, dei de debeo. Les mots qui étaient d’un très fréquent usage, ont subi les plus grandes altérations. Par la même raison, plusieurs noms de saints ont été étrangement défigurés, parce qu’ils étaient constamment dans la bouche du peuple. Beaucoup de particules et de pronoms ont aussi été altérés et contractés d’une manière étonnante (ebd.: 175).

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Spätere Grammatikalisierungstheorien werden auch die lautliche Seite und insbesondere die ausdrucksseitige Reduktion sowie die dahinterstehende Sprecher-Motivation in eine Modellierung des Grammatikalisierungsprozesses integrieren (verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf Diewalds Einführung in die Grammatikalisierungstheorie, vgl. Diewald 1997: 14–19). Auch an dieser Stelle bedient sich Schlegel wiederum ökonomisch-monetärer Metaphorik, um den Vorgang der lautlichen Reduktion zu veranschaulichen, aber vor allem auch zu motivieren: Ces mots, qui reviennent sans cesse dans le langage populaire, ressemblent à la petite monnaie d’argent: elle perd son empreinte à force de passer d’une main à l’autre, tandis que les gros écus la conservent (Schlegel 1818/1846: 175f.).

4.

›Begründer‹ der Grammatikalisierungstheorie: Antoine Meillet und sein Verhältnis zu A. W. Schlegel

In diesem Kapitel soll ein kleiner Seitenblick auf die Beziehung von Schlegels Grammatikalisierungstheorie zu Überlegungen Antoine Meillets geworfen werden. Zum einen schärft dies die wissenschaftshistorische Kontextualisierung und Einordnung Schlegels als Vordenker der Grammatikalisierungstheorie, zum anderen ergeben sich interessante und sogar unerwartete Einblicke in Meillets eigenes Verhältnis zu den Vorläufern der klassischen Grammatikalisierungstheorie. Es ist zunächst zu betonen, dass es Meillet selber war, der den Terminus Grammatikalisierung, zudem seinerseits noch in Anführungszeichen gesetzt, in den linguistischen Diskurs eingeführt hat und zudem erstmalig eine systematische Theorie unter dieser Bezeichnung formuliert hat. Da an dieser Stelle keine ausführliche Darstellung der Meillet’schen Grammatikalisierungstheorie möglich ist, wollen wir uns im Folgenden auf einige Schlaglichter beschränken. Zunächst muss – erstens – die deutlich anders gewendete linguistische Forschungsperspektive Meillets herausgestellt werden. Seine Perspektive bzw. sein Forschungsinteresse ist nicht diachron-typologisch, sondern rein sprachwandeltheoretisch orientiert. In diesem Rahmen ist die Grammatikalisierung neben der Analogie einer der beiden Mechanismen des sprachlichen Wandels, der zur Erneuerung grammatischer Strukturen, zu einer rénovation, oder zur Neuschöpfung eben solcher, der innovation, führt. Als Beispiel für die rénovation lässt sich die Schaffung neuer analytischer Futurformen anstelle des synthetischen Futurs, also facere habere anstelle von faciam, anführen. Eine echte innovation stellt die Herausbildung des definiten Artikels im Übergang vom Spätlatein zu den romanischen Sprachen dar.

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Zweitens: Die treibende Kraft, das Movens der Grammatikalisierung, ist in Meillets Ansatz nicht wie bei Schlegel eine irgendwie abwärtsorientierte typologische Entwicklungsdynamik, die vom Pol einer synthetischen Idealstruktur zum Gegenpol analytischer sprachlicher Strukturbildung verläuft. Die Erklärungsgrundlage wird vielmehr in einer kommunikativen Dynamik gesehen, die sich als Widerspiel des Sprecherwunsches nach Expressivität einerseits und der dem häufigen Gebrauch geschuldeten Abnutzung expressiver Strukturen andererseits darstellt. Meillet beschreibt den doppelten Prozess der semantischen ›Ausbleichung‹ (semantic bleaching) und der dazu parallel verlaufenden lautlichen Reduktion oder Erosion der jeweiligen Ausdruckseinheit im Prozess der Grammatikalisierung mit den Termini »affaiblissement du sens« et »affaiblissement de la forme« und analysiert diesen wie folgt: L’affaiblissement du sens et l’affaiblissement de la forme des mots accessoires vont de pair; quand l’un et l’autre sont assez avancés, le mot accessoire peut finir par ne plus être qu’un élément privé de sens propre, joint à un mot principal pour en marquer le rôle grammatical. Le changement d’un mot en élément grammatical est accompli (Meillet 1912/21926: 139).

Wie Meillet hervorhebt, ist der Auslöser für den Grammatikalisierungsprozess sprecherseitig-pragmatischer Natur, nämlich der Wunsch des Sprechers nach maximaler Expressivität. Diese Vorstellung wird in dem folgenden Zitat besonders pointiert formuliert: La constitution de formes grammaticales par dégradation progressive de mots jadis autonomes est rendue possible par les procédés qu’on vient de décrire sommairement, et qui consistent, on le voit, en un affaiblissement de la prononciation, de la signification concrète des mots et de la valeur expressive des mots et des groupes de mots. Mais ce qui en provoque le début, c’est le besoin de parler avec force, le désir d’être expressif (ebd.).

Meillet sieht im Rahmen seiner Grammatikalisierungstheorie nun – drittens – eine zyklische sprachliche Entwicklungsdynamik am Werk und eben nicht wie Schlegel eine abwärtsorientierte Dynamik der ›Dekomposition‹. Am Beispiel der Geschichte der französischen Negation formuliert Meillet seine Auffassung von einer zyklischen Dynamik der sprachlichen Entwicklung. Wie bekannt, wurde dem ursprünglich exklusiven Negationsoperator non bzw. ne aus Gründen der Expressivität das postverbale Negationselement passum/pas hinzugefügt, welches im Zuge der Grammatikalisierung zum eigentlichen Negator wurde. Die zyklische Entwicklungsdynamik, »le développement en spirale«, beschreibt er mit den folgenden Worten: Les langues suivent ainsi une sorte de développement en spirale: elles ajoutent des mots accessoires pour obtenir une expression intense; ces mots s’affaiblissent, se dégradent et tombent au niveau de simples outils grammaticaux; on ajoute des nouveaux mots ou des

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mots différents en vue de l’expression; l’affaiblissement recommence, et ainsi sans fin (ebd.: 140f.).

Viertens: Es fällt nun auf, dass sich nicht en détail und ad personam bestimmen lässt, was Antoine Meillet von den Sprechdenkern des 19. Jahrhunderts übernommen hat, denn Meillet ist äußerst wortkarg, was seine Inspirationsquellen anbelangt. Lehmann (1995: 4) etwa deutet in seiner großen grammatikalisierungstheoretischen Synthese Thoughts on Grammaticalization an, dass Meillet zum Beispiel Humboldts und von der Gabelentz Agglutinationstheorie gekannt haben dürfte, sich aber offensichtlich über seine Quellen ausschweigt. Völlig unzweifelhaft scheint mir, dass Meillet auf Schlegels Grammatikalisierungsbeispiele zurückgegriffen hat (vgl. auch Lehmann 1995: 4). So stehen bei Meillet die Entwicklung der französischen Negation sowie des romanischen Perfekts und Futurs im Zentrum seiner Theorie und ihrer ausführlichen Exemplifizierung. Dabei liegt der Fokus jedoch auf dem schon genannten zyklischen Charakter der Entwicklungen. Dies ist Meillets Hauptdenkfigur bei der Beschreibung und Analyse der Dynamik des Sprachwandels und seines Hauptmechanismus (neben der Analogie), der Grammatikalisierung. Diese Dynamik lässt sich erfassen als ein unendlicher Zyklus expressivitätsgeleiteter Erneuerung sprachlicher Struktur, ihrer Abschwächung durch Abnutzung in der Usualisierung sowie ihrer anschließenden Etablierung als neue grammatische Kategorie (oftmals unter Verdrängung einer älteren Form), was dann wieder die Notwendigkeit einer sprachlichen Neuschöpfung zum Ausdruck des ursprünglichen Bedeutungsgehalts nach sich zieht. Dass nun aber Meillet seinen Schlegel auch inhaltlich gekannt haben muss, verraten die folgenden, bislang in der Forschung nicht zur Kenntnis genommenen, Ausführungen Meillets, die sich ein wenig unvermittelt an die Darlegung seiner Theorie der zyklischen Sprachwandeldynamik anschließen. Dort führt er nämlich aus: Dès lors on voit combien peu il est légitime de parler de langues synthétiques et de langues analytiques. Ce n’est pas pour analyser qu’on emploie les formes composées; c’est en vue de l’expression; et ce n’est pas pour synthétiser qu’on a des formes unies: les formes unies résultent du rapprochement qui a lieu en fait entre mots groupés d’une manière habituelle. Quand on veut s’exprimer avec force, on donne à chaque notion une expression séparée; on ne dit pas »je ferai«, mais »j’ai la volonté de faire« ou »il fait que je fasse« ou »je suis sur le point de faire«; il ne s’agit pas ici de logique, mais de sentiment à rendre et d’action à exercer sur un interlocuteur (Meillet 1912/21926: 146f.).

Und nachdem er die pragmatische Motivation für die Grammatikalisierung der Ausdrücke je veux faire, je dois faire, je vais faire herausgestellt hat, legt er noch einmal gegen den ungenannten Schlegel und seine diachron-typologische Perspektive nach:

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Le Romain qui disait facere habeo ne faisait pas d’analyse, pas plus que le Français qui dit je ferai ne fait de synthèse. Analyse et synthèse sont des termes logiques qui trompent entièrement sur les procès réels. La »synthèse« est une conséquence nécessaire et naturelle de l’usage qui est fait de groupes de mots (ebd.: 147).

Meillet wendet sich also deutlich gegen die Verwendung der typologischen Begriffe synthetisch und analytisch bei der Analyse der Grammatikalisierungsprozesse, nämlich so, wie sie von Schlegel vorexerziert worden ist – und zwar mit der Begründung, sie seien in ihrer Eigenschaft als ›logische Termini‹ völlig ungeeignet, Mechanismen und die Dynamik des sprachlichen Wandels zu beschreiben. Zudem kann der Verweis darauf, dass »ce n’est pas pour analyser qu’on emploie les formes composées«, als eine Replik auf Schlegels weiter oben herausgestellte Vorstellung gelesen werden, die analytischen Sprachen und die ihr eigenen grammatischen Strukturen seien mit der Dominanz analytischer kognitiver Fähigkeiten und Operationen in Verbindung zu bringen (siehe oben: »a celles-ci préside le raisonnement […], et se rendant par conséquent mieux compte de ses propres opérations« sowie »l’analyse perfectionnée était réservée aux temps modernes«, Schlegel 1818/1846: 169). Hier tritt auch die von Meillet mit vollzogene Abwendung von abstrakt-kognitiven Analysekategorien zugunsten eines sozio-kommunikativen, in der Sprecher-Hörer-Realität verankerten Ansatzes zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich hervor. Ein letzter Punkt in Meillets Grammatikalisierungstheorie soll – fünftens – der Vollständigkeit halber noch genannt werden: Meillet subsumiert erstmals auch die Fixierung der Satzanordnung, etwa die Herausbildung der kanonischen SVOAnordnung im Französischen, unter das Konzept der Grammatikalisierung. Die Behandlung des Phänomens der Herausbildung neuer Konjunktionen unter dem Begriff der Grammatikalisierung folgt dann in dem wenig später veröffentlichten Artikel »Le renouvellement des conjonctions« (Meillet 1915/21926) und dehnt den Anwendungsradius der neu gefassten Grammatikalisierungstheorie noch weiter aus.

5.

Fazit und abschließende wissenschaftsgeschichtliche Würdigung von A. W. Schlegels Observations

Wie der Beitrag deutlich gemacht haben dürfte, hat Schlegel tatsächlich das Wesen der Grammatikalisierung klar erfasst, angemessen exemplifiziert und in einen theoretischen Zusammenhang gebracht. Ihm gebührte also eigentlich das Privileg, als Begründer der Grammatikalisierungstheorie in die linguistische Wissenschaftsgeschichte einzugehen.

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Sein origineller Beitrag zur Grammatikalisierungstheorie wurde allerdings dadurch verdunkelt und möglicherweise deshalb auch so gut wie gar nicht bemerkt, weil seine Grammatikalisierungsüberlegungen in den diachron-typologischen Sprachdiskurs des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts eingebettet waren, dessen zentrale Motive – die Kontrastierung von synthetischen und analytischen Sprachen und Sprachstrukturen sowie die Bestimmung des Verhältnisses von sprachlichem Typ und der Entwicklung des ›menschlichen Geistes‹ – die Debatten der Zeit zunächst vollständig beherrschten, und weil diese Perspektive später dann von Junggrammatikern und Strukturalisten grundsätzlich abgelehnt wurde. Es konnte zudem Evidenz dafür beigebracht werden, dass Antoine Meillet August Wilhelm Schlegels Ideen zur Grammatikalisierung rezipiert hat. Er stützt sich bei der Analyse und Exemplifizierung seiner eigenen Theorie der Grammatikalisierung auf absolut zentrale Grammatikalisierungsfälle, die Schlegel in seinen Observations vorgestellt und schon ansatzweise analysiert hat. Vor allem aber: Er kritisiert – scheinbar out of the blue – Schlegels diachron-typologische Einbettung der Grammatikalisierungsproblematik, ohne jedoch den Adressaten seiner Kritik sowie seine Quelle explizit zu nennen. Mehr noch: Die diachrontypologischen Einlassungen Schlegels dienen gewissermaßen als Kontrastfolie, vor dessen Hintergrund Meillet seine eigene Grammatikalisierungstheorie entwickelt, die von einer unendlichen zyklischen Sprachwandeldynamik ausgeht, welche sozio-kommunikativ fundiert ist. Demnach beruht diese die Grammatikalisierung befördernde Sprachwandeldynamik zum einen auf einer sprecherseitig-pragmatischen Motivation, dem Wunsch nach Expressivität, zum anderen auf dem Prinzip der Sprachökonomie, d. h. einem durch stete kommunikative Verwendung expressiven Sprachmaterials einsetzenden Prozess der Abnutzung und – wie wir heute sagen würden – ›Routinisierung‹. Am Rande sei auch noch auf unterschiedliche Versprachlichungsstrategien der beiden Ansätze hingewiesen: Während A. W. Schlegel Grammatikalisierungsprozesse anhand von monetär-ökonomischer Metaphorik veranschaulicht und damit auf den Aspekt der grammatischen Funktionalisierung lexikalischer Elemente fokussiert, rekurriert Meillet auf psychologische Ausdrücke (»l’expressivité«, »le besoin de parler avec force«, »le désir d’être expressif«), die den Grammatikalisierungsprozess in den kommunikativen Bedingungen und Prozessen der Sprecher-Hörer-Realität verankern. Schließlich wird am Beispiel der grammatikalisierungstheoretischen Überlegungen August Wilhelm Schlegels einmal mehr die Notwendigkeit und Relevanz der wissenschaftsgeschichtlichen Aufarbeitung und Kontextualisierung linguistischer Ideen bzw. Theorien deutlich. Diese Überlegungen zeigen auch, welchen zentralen Stellenwert die linguistische Reflexion für die europäische Denkgeschichte, für das Verhältnis von Sprache und geistiger Kultur, besitzt.

August Wilhelm Schlegels Theorie der Grammatikalisierung

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Le discours polémique: Die Polemik gegen die langue romane (August Wilhelm von Schlegel vs. François-Just-Marie Raynouard)

1.

Le combat par la plume

August Wilhelm Schlegel veröffentlicht im Jahre 1818 das Buch Observations sur la langue et la littérature provençales. Der Begriff der Überschrift observations bezeichnet zwei verschiedene Betrachtungen zur provenzalischen Sprache und Literatur. Das französische Wort observations besagt, dass es sich um einen procédé scientifique d’investigation handelt. Das Wort observations wird aber auch in seiner Bedeutung von remarques, d. h. von kritischen Anmerkungen, verwendet.1 Denn Schlegels Überlegungen zur provenzalischen Sprache und Literatur resultieren aus seinen kritischen Anmerkungen zur Lektüre von François-Just-Marie Raynouards Choix des poésies originales des troubadours (im gleichen Jahre 1818 erschienen). Es wird nun aus diesem aussagekräftigen, sehr gut durchdachten Titel schon deutlich, dass der vorliegende Text nicht nur Schlegels Überlegungen zur provenzalischen Sprache und Literatur darstellt. Vielmehr will Schlegel bereits im Titel strategisch zu erkennen geben, dass sich der Gegenstand seiner philologischen Beobachtungen gegen Raynouards Auffassungen zum gleichen Thema positionieren wird. Wenn nun zwei Sprecher oder Schreiber ihre (philologische) Aufmerksamkeit auf den gleichen Gegenstand richten und einer der beiden das kritische Augenmerk auf die Überlegungen des anderen richtet, dann ist der daraus resultierende Text als discours polémique zu verstehen. Denn charakteristisch für den discours polémique – der insbesondere in der französischen Linguistik im Anschluss an Kerbrat-Orecchioni seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts weltweit untersucht wird –2 ist »l’existence de deux ›débatteurs‹ au moins, c’est-à-dire de 1 Vgl. die Definition von observation im TLFi, [konsultiert am 05. 01. 2021]. 2 Zu den in der Sprach- und Kommunikationsforschung zahlreichen Publikationen zum discours polémique vgl. Brilliant/Housiel (o. J.).

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deux énonciateurs, occupant dans un même champ spéculatif deux positions antagonistes« (Kerbrat-Orecchioni 1980: 8f.). Das Adjektiv polémique, aus dem griechischen Wort πολεμικός, polêmikôs (qui concerne la guerre) abgeleitet, »qualifie la production discursive de l’une seulement des parties en présence, mais dans laquelle nécessairement s’inscrit le discours de l’autre« (ebd.: 9). Es soll daher im Folgenden der Versuch unternommen werden, den Aufbau der polemischen Struktur in Schlegels Observations sur la langue et la littérature provençales anhand von ausgewählten Textabschnitten systematisch zu beschreiben. Im Anschluss an Greimas/Courtés Erläuterung des Begriffs structure polémique werden wir nun im Folgenden unsere Aufmerksamkeit auf die »structure sur lesquels repose l’organisation narrative du discours quand elle est faite de confrontations d’idées« (Greimas/Courtés 1979) lenken. Unser Augenmerk richtet sich hier insbesondere auf die jeweiligen Positionen Raynouards und Schlegels zur Auffassung des Begriffs langue romane. Damit möchten wir dem Rezipienten die Möglichkeit bieten, zwei verschiedene Betrachtungen zum gleichen Objekt, la langue romane, gegenüberzustellen und vergleichend abzuwägen. Denn eine der zugrunde liegenden Funktionen des discours polémique ist, den Rezipienten mit Tatsachen zu überzeugen oder ihn emotional zu überreden. Darauf macht insbesondere Roux aufmerksam: Le discours polémique, littéraire ou non, est caractérisé, sur le plan énonciatif, par une situation d’énonciation tripolaire: le discours se déploie dans le cadre de l’opposition entre deux adversaires, le polémiste et sa cible, opposition portée à la vue d’un tiers, le destinataire, qui joue le rôle de témoin et d’arbitre (Roux 2013: 26).3

So kann der heutige Rezipient selber die Entscheidung treffen, ob Schlegel seinen Leser im Jahre 1818 überzeugen konnte und insbesondere ob es ihm gelingt, Raynouards Argumentation zur Auffassung der langue romane zu entkräften. Der damalige Rezipient hätte sich vielleicht aber auch für keine der beiden Positionen entscheiden können, da beide Gesichtspunkte bei näherer Betrachtung ein gewisses Maß an Wahrheit an sich haben, da gestern wie heute gilt: »Sur tout sujet à propos duquel une différence d’opinions est possible, la vérité ne s’obtient que par un équilibre à établir entre deux séries de raisonnements conflictuels« (Mill 1859: 98, zit. n. Felman 1979: 189).

3 Für eine ausführliche Analyse der mode de discours polémique vgl. insbesondere Amossy/ Burger 2011. Nach Amossy 2014 sind proposant, opposant und un tiers die drei Aktanten des polemischen Sprachspiels, die wechselseitig aufeinander bezogen sind und den polemischen Ablauf wesentlich beeinflussen.

Le discours polémique: Die Polemik gegen die langue romane

2.

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Le discours polémique

Le discours polémique wird allgemein in der heutigen Sprachforschung als kommunikatives und strategisches Handeln definiert, das in dialogischer bzw. mono-dialogischer Form erscheint. Im Falle einer polemischen Handlung richtet sich der Sprecher gegen den Standpunkt eines anderen Sprechers zu einem bestimmten Sachverhalt oder einer bestimmten Handlung, und zwar mit dem Ziel, den Standpunkt des anderen infrage zu stellen oder zurückzuweisen. Allgemein betrachtet kann man sagen, dass ein discours polémique ein Angriff ist, und zwar ein verbaler Angriff, der sich gegen die Worte eines anderen richtet. Jede Form des sprachlichen Angreifens beruht auf gesellschaftlich geltenden Werten und Normen, die mit der rhetorischen Diskurstradition einer Sprach- bzw. Kulturgemeinschaft verbunden sind. Am Anfang des 19. Jahrhunderts, d. h. zur Zeit der Veröffentlichung der Observations sur la langue et littérature provençales im Jahre 1818, hat sich nach Felman die Tradition des discours polémique als Textgattung noch nicht konstituiert: Le mot polémique, d’autre part – une personne qui pratique la polémique –, n’est forgé, à partir du mot polémique, qu’en 1845: c’est dire que la conscience théorique de la polémique comme genre ne naît, en France, qu’au XIXe siècle (Felman 1979: 179).

Es ist aber anzumerken, dass die Diskurstradition der Debatte, per definitionem eines lebhaften, energisches Streitgesprächs, in Athen entsteht. Seit Platon, aber auch seit den Stoikern, ist die Feststellung trivial, dass jede Form der wissenschaftlichen Diskussion dialogisch und dialektisch geführt wird. Mit Recht schreibt Weinrich (1976: 75): »Die Strategie des Neinsagens im Gespräch und Streitgespräch findet die Aufmerksamkeit der Dialogiker und Dialektiker«. Dies bedeutet, dass die gegenseitigen Positionen der Kontrahenten grundsätzlich oppositiv zum Ausdruck gebracht werden. Es hängt insbesondere mit der Rechtfertigung der Wahl zusammen, ob die Opposition in energischer, lebhafter Form erfolgt oder nicht. So werden etwa in Platons Kratylos die gegensätzlichen sprachphilosophischen Auffassungen zur Richtigkeit von Namen und Bezeichnungen insbesondere kontrovers und »arrogant« (Szlezák 1985: 208) diskutiert, wenn einer der Kontrahenten sich für seine eigene Wahl gegen die Position des anderen ausspricht. Der direkte Angriff lässt sich besonders deutlich auch in Platons Gorgias nachweisen. Das Hauptthema ist hier die Frage, worin der Sinn und Zweck der Rhetorik besteht. Gerade weil es hier zu keiner Einigung kommt, denn weder kann Sokrates seine Gesprächspartner überzeugen, noch gelingt es ihnen, seine Argumentation zu entkräften, erfolgt die Dialogführung recht häufig in polemischer Form. Dies ist nicht verwunderlich, da ein verbaler Angriff recht häufig ausgelöst wird, wenn es dem Sprecher nur schwer gelingt, den eigenen Gesichtspunkt durchzusetzen. Felmans Feststellung, »que la conscience

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théorique de la polémique comme genre ne naît, en France, qu’au XIXe siècle«, stimmt nun nicht ganz. Denn eine Diskurstradition kann sich nur dann etablieren, wenn sie von Sprecher zu Sprecher wiederholt und wiedergegeben wird. Weiterhin ist noch zu bemerken, dass der Begriff discours polémique als Form der stark emotionalen verbalen Aggression gemeint wird. So stellt z. B. KerbratOrecchioni (1980: 12) fest, dass »la polémique s’inscrit dans un contexte de violence et passion« und dass es sich um einen »discours dicté par les affects et les pulsions émotionnelles« (ebd.: 20) handelt. Auch für Angenot, der sich mit den verschiedensten Formen des discours agonique beschäftigt, »[le discours polémique] suppose une présence forte et explicite de l’énonciateur dans l’énoncé« und »une présence plus grande du pathos […], c’est-à-dire d’intensités affectives« (Angenot 1982: 35). Man könnte nun aus dem Begriff polémique die Folgerung ableiten, le discours polémique sei nichts anderes als eine absichtliche feindselige verbale Aggression. Dies wäre aber äußerst reduktiv. Denn eine Polemik entsteht und konstituiert sich aus einer gegensätzlichen Interaktion zwischen Gesprächspartnern, wie Cobby zu Recht feststellt: En voyant la polémique uniquement dans les interventions passionnées et agressives, on se méprend sur ce qu’il y a de plus fondamental dans l’activité discursive: la dimension interactionnelle. Aussi m’est-il nécessaire de revisiter cette notion. La polémique doit être envisagée comme fonction fondamentale de l’activité langagière. Qui dit discours dit nécessairement polémique (Cobby 2009: o. S.).

Es scheint uns daher nicht zu gewagt, an dieser Stelle den Begriff discours polémique als Grundbegriff der dialektischen Sprachhandlungen zu verwenden, durch den alle anderen dialektischen Handlungen und Begriffe (wie etwa Kritik, Einwand oder Auseinandersetzung) definiert werden können. Aus diesem Grund ist die Rezension von Schlegel ein discours polémique gegen Raynouard.

3.

Der Aufbau der Polemik

Der Aufbau einer Polemik, insbesondere einer schriftlichen Polemik, ist meist komplex gestaltet. Dies liegt insbesondere daran, dass es sich um eine »production discursive de l’une seulement des parties en présence, mais dans laquelle nécessairement s’inscrit le discours de l’autre« (Kerbrat-Orecchioni 1980: 9) handelt. Damit eine polemische Sprechhandlung zustande kommt, muss sie der Schreiber nun initiieren. Man kann daher davon ausgehen, dass ihr mindestens ein Standpunkt (gesprochen oder geschrieben) vorausgehen muss. Dieser Ablauf der polemischen Handlung bestimmt die Kommunikationsrolle. Der Sprecher oder Schreiber, der einen Standpunkt zu einem Sachverhalt oder einer Handlung zu einer bestimmten Zeit zum Ausdruck gebracht hat, bekommt

Le discours polémique: Die Polemik gegen die langue romane

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– in der Terminologie der dialogischen Logik – die Rolle des Proponenten zugewiesen, während der Sprecher, der sich gegen den Standpunkt des Proponenten zum Sachverhalt oder der Handlung richtet, in die Rolle des Opponenten schlüpft.4 In den Observations ist Raynouard der Proponent und Schlegel der Opponent. Der Opponent (Schlegel) kann nur bestimmte Textteile des Proponenten (Raynouard) in seinen Text einfließen lassen. Zu diesem Zweck muss der Opponent (Schlegel) die Entscheidung treffen, welche inhaltlichen Aspekte des Diskurses des Proponenten er in seinen Text integrieren und welche er weglassen bzw. in den Hintergrund stellen will. Von dieser Entscheidung hängt der thematische Inhalt der Polemik ab. Schlegel verfasst seine Polemik Observations sur la langue et la littérature provençales auf 81 Seiten; daran schließen auf den Seiten 82 bis 122 die sogenannten Notes (Erläuterungen) an. Raynouard verfasst den ersten Band des Choix des poésies originales des troubadours (1816–1821) auf 579 Seiten.5 Es liegt auf der Hand, dass nur bestimmte Aspekte des discours des Proponenten Raynouard von dem Opponenten Schlegel berücksichtigt werden (können). Sprachlich betrachtet kann der Opponent (Schlegel) den Standpunkt des Proponenten (Raynouard) wörtlich oder paraphrasierend wiedergeben. Die Formen der direkten sowie der indirekten Rede bzw. der gemischten Rede dienen der Vermittlung verschiedener Authentizitätsgrade der Originaläußerung. Weiterhin muss der Opponent die Entscheidung treffen, wie er seinen Proponenten im Text präsentieren will. Denn in einem polemischen Diskurs, schreibt AuthierRevuz (1995), wird der Proponent nie als Freund in den Text des Opponenten ›eingeladen‹ (invité), sondern als Gast ›vorgeladen‹ (convoqué), und zwar mit dem Ziel, dem Leser zu zeigen, dass die referierte Meinung nicht unhinterfragt Geltung hat. Auf diesen besonderen Aspekt der ›Vorladung‹ Raynouards in den Text August Wilhelm Schlegels möchten wir unsere Aufmerksamkeit richten und mit der Beschreibung des Aufbaus der Polemik beginnen.

Das Lob für das Werk Schlegel beginnt seine Observations sur la langue et la littérature provençales mit einem großen Lob für Raynouards Werk: 4 Zur dialogischen Logik vgl. u. a. Walton 2013: 239. Zu den Begriffen Opponent/Proponent im Allgemeinen vgl. Prechtl 2008. In Schopenhauers Eristische Dialektik. Die Kunst Recht zu behalten (1830) wird der Opponent als Gegner bezeichnet. 5 Der erste Band des Choix des poésies originales des troubadours enthält 1. Historische Beweise vom Alter der romanischen Sprache (32 S.), 2. Untersuchungen über den Ursprung und die Bildung dieser Sprache mit den Grundsätzen der Sprachlehre vor dem Jahre 1000 (105 S.) und 3. die Sprachlehre der späteren Zeit (342 S.).

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(1) Les travaux de M. Raynouard sont destinés à remplir une grande lacune dans l’histoire littéraire du moyen âge. Tout le monde parloit des Troubadours, et personne ne les connoissoit (1).6

Schlegels Bemerkung, dass zu jener Zeit niemand die Troubadours wirklich kannte, ist ein wenig übertrieben. Zumal Schlegel selbst in seinem Text auf zahlreiche Autoren hinweist, die sich mit der Literatur der Troubadours beschäftigt haben. Diese Autoren sind insbesondere in der zweiten Erläuterung dargestellt, die fast drei Seiten umfasst. Diese Informationen hat kein geringerer als Friedrich Diez aufgegriffen und erweitert, und zwar in seiner eigenen Studie, die beide Werke, das Raynouards und das Schlegels, gemeinsam rezensiert. Diez schreibt: Unter den Gelehrten, die sich mit Geschichte und Literatur der Troubadours beschäftigten, zeichnete sich ganz besonders Antonio Bastero, † 1737, durch Kenntniss seiner Muttersprache aus: denn er war ein Catalonier von Geburt, und brachte so lang in Italien zu, um die provenzalischen Handschriften studiren zu können; allein von seinem Unternehmen ist nur der erste Band (la Crusca provenzale 1724) erschienen, der als Einleitung sehr schätzbare Beyträge zum Leben der Troubadours enthält. Ungleich weniger Quellenstudium und gelehrte Sprachkenntniss hatte der ältere Nostradamus, dessen »Leben der provenzalischen Dichter« nach alten Biographen schon 1575 erschien; die Uebersetzung dieses Werkes von Crescimbeni in seinen Commentari alla sua istoria della volgar poesia. Venezia [2. Ausg.] 1730. (V. II. p. 1. S. 1–248) ist von einigen Originalgedichten begleitet, die Salvini [1710] äusserst fehlerhaft übersetzte (Diez 1883: 40).

Diez erwähnt noch weitere Namen, aber dieser Auszug genügt, um zu zeigen, dass Schlegels Bemerkung »Tout le monde parloit des Troubadours, et personne ne les connoissoit« (1) eine rein rhetorische Funktion erfüllt.

Das Lob für die Person Nach diesem Lob ad rem (für die Sache, für das Werk) fährt Schlegel mit einem großen Lob ad hominem (d. h. für die Person) fort. Gepriesen werden Raynouards Gelehrsamkeit, seine soliden Kenntnisse und sein Scharfsinn: (2) L’érudition de M. Raynouard est aussi étendue que solide; mais ce qui est bien plus admirable encore, c’est la critique lumineuse, la méthode vraiment philosophique qu’il apporte dans toutes ses recherches. Il n’avance rien sans avoir les preuves à la main; il remonte toujours aux sources, et il les connoît toutes (4). 6 Wir benutzen die Gallica-Ausgabe der Observations sur la langue et la littérature provençales (Schlegel 1818). Die Ziffern am Ende der Belege bezeichnen jeweils die Seitenzahl dieser Ausgabe.

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Gemeinsam ist all diesen Lobformen (ad rem und ad personam), dass sie im gesamten Text zu finden sind. Nur einige Beispiele, die wir recht beliebig zur Illustration ausgewählt haben: (3) M. Raynouard a commencé le premier à défricher ce champ inculte (2). (4) M. Raynouard, dans ses Recherches sur l’origine et la formation de la langue romane, nous en donne une explication très-satisfaisante (22). (5) Les recherches de M. Raynouard m’ont fourni beaucoup de lumières (22). (6) M. Raynouard a développé ce point de grammaire romane avec une grande précision (32). (7) M. Raynouard, si célèbre comme poète, si honorablement connu comme citoyen, […] (80).

Nach diesen zahlreichen Worten des Lobes für das Werk und für die Person geht Schlegel zum Angriff über.7 Schlegel fährt gewöhnlich mit einem mais fort. (8) Or, d’après la supposition de M. Raynouard, le second changement dans les idiomes de ces pays auroit eu lieu beaucoup plus tôt. Mais cette hypothèse est contraire aux analogies que nous pouvons observer dans l’histoire des langues (42).

Oder er fährt mit einer polemischen Äußerung fort, wie etwa der nachfolgenden, die wir kursiv markieren: (9) Je remarque cela en passant, pour m’opposer à la thèse de M. Raynouard que la grammaire théotisque n’a exercé aucune influence sur les dialectes romans. Cela seroit croyable, si, comme il le suppose, les peuples conquérans avoient tout de suite abandonné leur langue. Mais comme ils ont, pendant nombre de siècles, continué de parler les deux langues, il seroit étrange qu’ils n’eussent pas fait passer les locutions de l’une dans l’autre (34f.).

Oder: (10) En exposant la formation des substantifs et adjectifs romans, M. Raynouard veut les dériver de l’accusatif latin. Je n’en vois pas la raison: il me paroît difficile de prouver que caritat vient plutôt de caritatem que de caritate. Les langues dérivées du latin ont suivi différentes analogies à cet égard (37; meine Kursivierung).

Nun ist das Zusammenspiel von Lobformen und Angriffsformen ein Beispiel für das, was man in der klassischen Rhetorik concessio oder Zugeständnis nennt. Umberto Eco beschreibt, wenn auch in einem anderen Kontext, den rhetorischen Aufbau der concessio wie folgt:

7 Zur Funktion des Arguments ad hominem im discours polémique vgl. Amossy 2003 und 2010.

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Man beginnt damit, etwas Gutes über den Gegner zu sagen und sich mit einer seiner Ansichten einverstanden zu zeigen, und dann geht man zum Angriff über. […] was dabei herauskommt, ist, dass man immer Verdacht schöpfen muss, wenn jemand mit einem rhetorischen Zugeständnis beginnt. Wenn jemand mit einem rhetorischen Zugeständnis beginnt, seien wir auf der Hut. In der Coda steckt das Gift (Eco 2007: 2).

Die Verwendung der concessio gehört seit der Antike zu den stratégies polémiques: L’intérêt stratégique que peut avoir la concession est multiple. […] En termes d’ethos, la concession contribue à créer une image favorable du locuteur, en lui associant les traits d’ouverture d’esprit, d’impartialité ou d’objectivité (Doury/Kerbrat-Orecchioni 2011: 68).8

Mit der Verwendung der konzessiven Struktur gelingt es Schlegel, die Gelehrtheit und Scharfsinnigkeit von Raynouard in Zweifel zu stellen. So sieht es etwa der bekannte Romanist Jens Lüdtke: August Wilhelm Schlegel würdigt Raynouards Kenntnis der Quellen und seine textphilologischen Leistungen in außerordentlich positiver Weise. Aber auch in diesem Bereich scheint er doch dessen Editionstätigkeit etwas weniger zu schätzen, als er vorgibt. Denn er stellt lapidar, wenn auch ohne weitere Entwicklung dieses Gedankens fest: »Pour faire avancer la philologie du moyen âge, il faut y appliquer les principes de la philologie classique« (1971, 62) (Lüdtke 2001: 32).

Mit dem Aufbau der Polemik nach dem rhetorischen Modell der concessio, das sich im ganzen Text herausarbeiten lässt, bringt Schlegel zum Ausdruck, dass die Thesen und die Argumente des gelehrten und scharfsinnigen Raynouard zwar eine gewisse Plausibilität besitzen, tatsächlich jedoch für das behandelte Thema nicht als grundlegend einzustufen sind.

4.

Gegenstand der Polemik: la langue romane

Erst auf Seite 39 kommt Schlegel auf die Frage nach dem Umfang und Inhalt des Begriffs langue romane deutlich zu sprechen. Sein Standpunkt wird hier in polemischer Form gegen den von Raynouard positioniert: (11) M. Raynouard emploie le nom de langue romane d’une manière générale et absolue. Il n’en admet qu’une seule. Il soutient que, lors de l’altération du latin, cette langue, telle qu’il nous la fait connoître, a été parlée d’abord dans toute l’étendue de l’empire occidental, et que ce n’est que plusieurs siècles après cette

8 Zur Verwendung der concessio als argumentative Strategie vgl. insbesondere Moeschler/De Spengler 1982: 11; Ducrot 2004: 29; Herman 2018: 6; ferner auch Perelman/Olbrechts-Tyteca 1958: 646.

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époque que, dans les différentes provinces, l’italien, l’espagnol, le portugais et le françois ont commencé à prendre leur caractère particulier. Il considère donc la langue romane comme un intermédiaire entre le latin et les diverses langues modernes qui en dérivent. Je l’avoue, à cet égard ses argumens ne m’ont pas convaincu (39).

Der Textabschnitt beginnt mit einer negativen Feststellung: »Il n’en admet qu’une seule«. Diese nachdrückliche Feststellung richtet sich gegen Raynouards Auffassung der langue romane als einheitliche Sprache, die über einen langen Zeitraum in dem weiten Gebiet des Römischen Reichs gesprochen wurde. Damit wird auch die spätere Entstehung der romanischen Sprachen als eine Fortsetzung der langue romane in Frage gestellt. Der ganze Textabschnitt kann nun als négation polémique aufgefasst werden. Die négation polémique ist eine Negation besonderer Art, in der ein Sprecher sich gegen »un point de vue susceptible d’être soutenu par un être discursif« (Nølke 1992: 49) richtet, und zwar mit dem Geltungsanspruch einer ausdrücklichen Feststellung. Denn es handelt sich dabei um »la réfutation d’un contenu positif exprimé antérieurement par un énonciateur différent du locuteur ou l’instance énonciative qui produit cet acte« (Ducrot 1973: 123). Schlegel verwendet hier die négation polémique als stratégie argumentative. Indem er nämlich seine Gegenthese nicht explizit zum Ausdruck bringt und nur durch die Verneinung von Raynouards These implizit auf sie hinweist, wird er vorerst von der Verantwortung entbunden, die Geltung seiner Gegenfeststellung argumentativ zu verteidigen, d. h. sie zu begründen und etwaige Einsprüche abzulehnen (vgl. dazu Weinrich 1993: 183). Ergibt sich die Gegenthese des Opponenten lediglich aus der Negation des Standpunktes des Proponenten, kann der Opponent seine Gegenthese hinter den Auffassungen des Proponenten verstecken und in seiner Argumentation lediglich gegen die Argumente des Proponenten Stellung nehmen. Leider muss man hier feststellen, dass Raynouards Argumente in dem Textabschnitt nicht bekannt werden: »Je l’avoue, à cet égard ses argumens ne m’ont pas convaincu«, so dass der Leser, der hier keine textuellen Informationen zur Verfügung hat, hierfür notwendigerweise auf die vorausgehenden Seiten angewiesen ist. Nun sollten die Argumente, die der Leser auf den vorausgehenden Seiten zu finden habe, die Schlussfolgerung der Argumentation stützen. Schlegels Schlussfolgerung lautet: »Il considère donc la langue romane comme un intermédiaire entre le latin et les diverses langues modernes qui en dérivent.« Die argumentative Beziehung zwischen Begründung und Folgerung wird hier mit dem argumentativen Konnektor donc gekennzeichnet, der nach Anscombre/Ducrot (1976) das wichtigste Sprachsignal zum Ausdruck einer Folgerung ist.

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Der Status der langue romane als Zwischensprache wird aber auf den vorausgehenden Seiten nicht behandelt. Denn Schlegel gibt hier Raynouards Auffassung des Begriffs langue romane etwa zwanzigmal wieder, ohne den Status der langue romane als Zwischensprache zu erwähnen. Schlegel richtet seine Aufmerksamkeit vorwiegend auf »l’origine et la formation de la langue romane«, wie folgender Textabschnitt deutlich zeigt: (12) Et voici la plus grande singularité que nous présente la formation des langues latines mixtes: du concours de deux langues qui toutes les deux avoient une grammaire synthétique, sont nées des langues dans lesquelles le système analytique a pris le plus grand développement. Comment ce changement s’est-il opéré? M. Raynouard, dans ses Recherches sur l’origine et la formation de la langue romane, nous en donne une explication très-satisfaisante: il a suivi la marche de l’esprit humain dans cette époque mémorable, en penseur et en historien érudit tout ensemble. J’avois préparé depuis plusieurs années les matériaux d’un Essai historique sur la formation de la langue françoise: je suis charmé d’avoir été prévenu. Les recherches de M. Raynouard m’ont fourni beaucoup de lumières: elles ôtent à mes observations une partie de leur nouveauté, mais elles ne les rendent peut-être pas entièrement inutiles. Car je me propose de traiter le sujet dans une plus grande étendue, et de donner, autant que cela est possible, l’histoire des diverses langues qui ont été parlées simultanément ou successivement dans les Gaules, dans le pays compris entre les Pyrénées et le Rhin. D’ailleurs je ne suis pas d’accord avec M. Raynouard sur plusieurs points qui demandent à être discutés plus à fond que je ne puis le faire en ce moment (21f.).

Auch hier zeigt sich deutlich, dass Raynouards Argumente nicht explizit wiedergegeben werden: »D’ailleurs je ne suis pas d’accord avec M. Raynouard sur plusieurs points qui demandent à être discutés plus à fond que je ne puis le faire en ce moment«. Es handelt sich dabei also um einen discours polémique, in dem Schlegel einen festen Geltungsanspruch für seinen verbalen Angriff gegen Raynouard erheben möchte, ohne ihn mit argumentativen Mitteln zu verteidigen. Eine solche argumentative Handlung bleibt aber ein fiktives Spiel, da der Leser die Stichhaltigkeit der Argumentation nicht überprüfen kann. Es stellt sich nun die Frage, weshalb Schlegel erst auf Seite 39 mit der Behandlung des Hauptthemas la langue romane beginnt. Wir versuchen es zu erklären. Die Abschnitte vor Seite 39 beinhalten verschiedene grundsätzliche Observations: Schlegels typologische Überlegungen, die Rekonstruktion einiger Aspekte der Grammatik der langue romane, die Rolle der germanischen Sprache für die Entstehung der romanischen Sprachen: »On pourroit dire que, dans les langues modernes de l’Europe méridionale, le fond est latin, et la forme germanique; mais cet énoncé auroit plus d’apparence que de solidité« (20). Schlegels typologische Überlegungen dienen der Differenzierung zwischen drei Sprachtypen: dem isolierenden, dem agglutinierenden und dem flektierenden. Der flektierende Sprachtypus

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wird weiterhin in den analytischen und den synthetischen Sprachtypus unterteilt. Zu den synthetischen Sprachen zählt er u. a. das Griechische und das Lateinische. Zu den analytischen das Französische und das Englische, während das Deutsche eine analytisch-synthetische Mischsprache bleibt. Erkennbar ist der analytische Charakter des Französischen für Schlegel vor allem am Gebrauch des Artikels vor dem Substantiv und des Personalpronomens vor dem Verb. Diese Unterscheidung zwischen synthetischen und analytischen Sprachen und insbesondere die These, dass die romanischen Sprachen prinzipiell zum analytischen Typus gehören (z. B. frz. plus haut, it. più alto, sp. más alto) und deswegen Produkte einer sprachlichen Verfallserscheinung sind, ist eine der wichtigsten Grundlagen für Schlegels Argumentation. Seine Rekonstruktion gezielter Aspekte der Grammatik der langue romane basiert ebenso hierauf wie seine Anfechtung der Thesen Raynouards. Nach Schlegel ist die Grammatik der langue romane im Übergang von synthetisch zu analytisch gewissermaßen auf halber Strecke steckengeblieben. Auf Seite 30 schreibt er: (13) La langue romane étant le premier essai en son genre, s’est, sous plusieurs rapports, arrêtée à moitié chemin dans le passage de la grammaire synthétique à la grammaire analytique. On n’avoit pas encore appris à observer toutes les précautions nécessaires pour obtenir la même clarté que le latin doit aux inflexions, lorsque ces inflexions étoient ou tronquées ou omises. C’est là ce qui forme le caractère distinctif de la langue romane. Il en est résulté des avantages et des inconvéniens: cette langue est d’une brièveté étonnante; mais elle pèche quelquefois par l’obscurité (30f.).

Es ist nun erkennbar, warum Schlegel erst auf Seite 39 mit seiner Argumentation zum Begriff der langue romane beginnt: Nur erst nach den vorausgehenden Überlegungen zur Unterscheidung zwischen synthetischen und analytischen Sprachen und insbesondere zur These, dass die romanischen Sprachen prinzipiell zum analytischen Typus gehören, eröffnet sich für Schlegel die Möglichkeit, auf die Frage nach dem Umfang und Inhalt des Begriffs langue romane einzugehen. Raynouard hat mit langue romane eine einzige Sprache bezeichnet, die seines Erachtens von dem Lateinischen abstammt, das (Alt-)Okzitanische. Das Okzitanische gelte demnach als Zwischenstufe zwischen dem Latein und den von dieser Sprache abstammenden Sprachen, nämlich »l’italien, l’espagnol, le portugais et le françois«. Dies ist der Grund, warum er den Sprachennamen im Singular verwendet. Wenn Schlegel feststellt, »Il n’en admet qu’une seule«, wird deutlich erkennbar, dass der Begriff langue romane für Schlegel mehr als eine Sprache zu bezeichnen hat, wie das folgende Zitat belegt: (14) Arrêtons-nous d’abord à ce nom de langue romane. M. Raynouard en donne une grammaire; M. Roquefort a publié un glossaire qui porte également pour titre:

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Glossaire de la langue romane. J’ouvre les deux livres, et je vois qu’il s’agit d’idiomes essentiellement différens: la grammaire se rapporte à la langue des Troubadours; le glossaire, au vieux françois parlé, au nord de la Loire seulement, pendant les douzième, treizième et quatorzième siècles. Lequel de ces deux savans a donc eu tort ou raison d’employer le nom de langue romane? Ils ont eu raison l’un et l’autre; mais ce nom est générique, et demande des déterminations ultérieures (39f.).

Die Bemerkung, dass beide Gelehrte (Roquefort und Raynouard) Recht haben, lässt deutlich erkennen, dass für Schlegel die Trennung zwischen Altfranzösisch und Altokzitanisch zwar notwendig ist, beide jedoch zur langue romane gehören. Zur Stützung dieser These bringt er folgende Argumente zum Ausdruck: (i) Die Barbaren haben alle Bewohner des Reiches Romanen (Romains) genannt, demzufolge trägt l’idiome populaire (die Volkssprache) den gleichen Namen, nämlich roman. (ii) Dieser Name fand anschließend selbst in Gedichten sowie in Büchern Verwendung, die in der langue vulgaire verfasst waren, und diente auch der Bezeichnung der französischen Ritterromane sowie der romances espagnoles. (iii) Als die lateinischen Schriftsteller des Mittelalters schließlich von der lingua romana sprachen, verstanden sie darunter eine Gesamtheit stark voneinander abweichender Dialekte, jeweils abhängig davon, in welcher Epoche und welcher Gegend sie lebten. (iv) Nachdem diese Dialekte in der Literatur ihren Niederschlag gefunden hatten, erfolgte ihre Bezeichnung jeweils mit dem Namen der Provinz, in der sie eine Bereinigung und Verfeinerung erfuhren, welche als Hauptsitz ihrer Korrektur und Eleganz angesehen werden konnten: langue provençale, langue toscane, langue castillane. (v) Es besteht eine gewisse Schwierigkeit darin, die langue des Troubadours richtig zu bezeichnen. Ihre Benennung als langue provençale, limousine oder catalane ist zu eng, da sie jeweils nur eine der Provinzen erfasst, in denen sie gesprochen wurde, und somit nicht das gesamte Territorium abdeckt, auf dem die Sprache verwendet wurde. Die Argumentation scheint stringent, es bleibt aber ein Problem. Mit den Worten von Lüdtke: Leider verwendet August Wilhelm Schlegel in seiner freundlichen Argumentation in seinem Text, den Terminus von Raynouard aufnehmend, stets den Ausdruck »langue romane«. Dadurch verliert sein Hauptargument an Schärfe. So kommt es auch, dass er für die romanischen Sprachen wie Raynouard »langues dérivées du latin« (1971, 61) gebraucht, daneben auch »dialectes« und »dialectes romans« (1971, 34, 41). Der klärende Neologismus »langues romanes«, den er mit seinem Bruder Friedrich gemeinsam hat, bleibt den Anmerkungen vorbehalten (1971, 108, 109) (Lüdtke 2001: 31).

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5.

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Fazit

Schlegels Observations sur la langue et la littérature provençales (1818) lassen sich als eine bestimmte Form der Tradition des discours polémique beschreiben. Bei der Textuntersuchung zeigt sich deutlich, dass es Techniken von polemischer Tradition gibt, wie etwa die négation polémique, die argumentation polémique oder die concession polémique. Das Ziel jeder Disputation ist es, Recht zu behalten (per fas et nefas) (vgl. Schopenhauer 1830). Wir lassen hier die Frage offen, ob Schlegels Observations sur la langue et la littérature provençales den damaligen Rezipienten argumentativ überzeugen konnten. Sicher ist nur, dass Raynouard (der Gegner) seinen eigenen Standpunkt zum Umfang und Inhalt des Begriffs langue romane nie geändert hat. Mit den Worten von Varvaro: A lui [Raynouard] si oppose subito August Wilhelm Schlegel, nelle sue Observations sur la langue et la littérature provençales che per quanto non scendano a precisi accertamenti linguistici, mostrano l’apertura mentale ed il più sicuro senso storico della grande generazione romantica. Schlegel crede di aver dimostrato che l’idioma oggi limitato alla Francia meridionale si estendeva un tempo anche al nord; per lui infatti (come già per gli umanisti) le lingue romanze sono lingue miste risultanti dall’impatto del germanico sul latino: in Gallia il primo urto, causato dalle invasioni di Goti, Burgundi e Franchi avrebbe prodotto il provenzale, parlato dovunque, un secondo urto, causato dalle invasioni normanne limitate al nord, avrebbe generato, nel sec. X, il francese. Le altre lingue romanze avrebbero invece origini simili sì, ma diverse e comunque autonome. Né queste critiche né il contemporaneo apparire in Germania dei primi esempi di linguistica comparata indussero il Raynouard a cambiar parere (Varvaro 1968: 36).

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Claudia Wich-Reif

Die germanischen Sprachen bei August Wilhelm Schlegel

1.

Einführung

Wie bei den anderen Themen in diesem Band geht es auch im Beitrag zu den germanischen Sprachen bei August Wilhelm Schlegel um ein Wissensfeld, mit dem er sich auch, aber nicht zentral beschäftigte.1 Will man es in unterschiedlichen Facetten und verschiedenen Nuancen fassen, bietet sich in einem ersten Schritt die Edition der Briefe von und an Schlegel an. Beginnen möchte ich medias in res, jedoch in etwas ungewöhnlicher Weise: mit einem Brief, den Schlegel am 9. Mai 1815 an Friedrich Wilken (1777–1840), Professor für Geschichte und Bibliothekar an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, richtet. Daran anschließend werden die verschiedenen Ausprägungen sprachgeschichtlichen Denkens im frühen 19. Jahrhundert vorgestellt und es wird der Versuch einer Einordnung des Polyhistors unternommen. Der zentrale Teil des Beitrags beschäftigt sich mit dem Deutschen, darüber hinaus insgesamt mit den germanischen und anderen Sprachen bei Schlegel – mit einer Sprache allein befasst er sich selten, wie schon in diesem ersten Abschnitt deutlich wird. Im Einzelnen geht es zuerst um die Darstellung in den Observations sur la langue et la littérature provençales. Es folgen Ausführungen zu ›schönen‹ und ›weniger schönen‹ Sprachen, zum Wettstreit zwischen Klopstock und Schlegel, zu Sprachen als Zielsprachen von Übersetzungen, zum Deutschen als Metasprache und zur deutschen Grammatik. Wie in der Einführung wird dafür die Schlegel’sche Korrespondenz als zentrale Quelle verwendet. Beschlossen wird der Beitrag mit einem Resümee.

1 Dennoch erscheint es ungerechtfertigt, ihn als Übersetzer abzutun, wie das im Vorwort einer Ausgabe der Kritischen Schriften und Briefe aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschieht: »August Wilhelm Schlegel (1767–1845), der ältere Bruder Friedrichs, ist heute vorwiegend nur noch als Übersetzer bekannt, aber auch hier weniger als Übersetzer Dantes, Petrarcas, Calderóns, sondern, und mit Recht, als der unvergleichliche Übersetzer der Werke Shakespeares« (Lohner 1962: 5).

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Der Brief von Schlegel an Wilken gibt uns Einblick in seinen Arbeitsalltag. Er ist geeignet, in das Thema einzuführen, weil der Anlass des Schreibens das Angebot betrifft, eine Rezension zu einer der Publikationen der Brüder Grimm zu verfassen, die zu den Begründern einer wissenschaftlichen Germanistik gehören: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Coppet den 9ten Mai 1815 Erlauben Sie mir, werthester Herr Professor, nach so langer Unterbrechung unseres Briefwechsels Sie wieder einmal zu begrüßen, und mich nach Ihrem und der Ihrigen Befinden zu erkundigen. Seit dem Frieden habe ich mich wieder den gewohnten Beschäftigungen ergeben: allein ich brachte den größten Theil der Zeit in Frankreich zu, wo ich von dem was in litterarischer Hinsicht in Deutschland vorgeht, wenig erfuhr, und mir die neuen Erscheinungen gar nicht verschaffen konnte. Dieß hat mich auch bisher abgehalten, Ihnen Beyträge zu den Heidelbergischen Jahrbüchern anzubieten. Falls ich den Sommer hier ruhig zubringen kann, was ich jedoch mehr wünsche als hoffe, werde ich mir ein Vergnügen daraus machen, Ihnen einiges zu liefern. Ich schlage zum Anfange die altdeutschen Wälder der Brüder Grimm vor. In diesem Fache möchte ich überhaupt am liebsten etwas übernehmen. Zwar gestehe ich Ihnen im voraus, daß meine Urtheile etwas anders ausfallen werden, als wenn die Herren Grimm und Görres einander gegenseitig anzeigen. HE. Jakob Grimm ist ein eifriger Forscher, er schüttet aber das gesammelte zu eilfertig aus, und ist daher oft auf einem Irrwege sowohl in der Geschichte als in der Auslegung und Etymologie. HE. Görres hat nun vollends eine Gabe, alles durcheinander zu wirren, daß einem wirklich schwindlich dabey wird. Am wenigsten kann ich ihm folgen, wenn er von den Indischen Alterthümern ohne alle Kenntniß der Sprache Rechenschaft zu geben unternimmt. Ich habe jetzt das Sanskritanische zu erlernen angefangen, und dieß ist nicht so entlegen von meinen bisherigen Studien, als es auf den ersten Blick scheinen möchte; vielmehr gehe ich dabey auf eine grammatische und etymologische Zusammenstellung des Indischen mit dem Griechischen und Lateinischen nicht nur, sondern mit den sämtlichen altdeutschen Mundarten aus: eine Arbeit, die von den Englischen Orientalisten schwerlich geliefert werden dürfte. Die Ereignisse haben meinen Aufenthalt in Paris abgekürzt, und mich bey einer großen Arbeit über die provenzalischen Dichter unterbrochen; doch habe ich eine nicht unbeträchtliche Ausbeute mitgebracht. Geben Sie mir doch vor allem Nachricht von Ihren gelehrten Arbeiten. Ist die Fortsetzung Ihres Handbuchs der Deutschen Geschichte erschienen? Was Sie über die Gesetze sagen, war mir besonders merkwürdig und ließ mich eine ausführlichere Behandlung des Gegenstandes wünschen. Wir bedürfen in Deutschland einer vollständigen Quellensammlung nach dem Plane der großen Werke von Muratori und Bouquet. Aber dieß kann freylich nur durch Begünstigung einer oder mehrerer Regierungen geschehen. Melden Sie mir doch, wie es mit dem Flore Ihrer Universität steht. Sie liegen dort nahe an der Gränze, und werden die Wirkungen des Krieges zunächst erfahren. Es scheint unvermeidlich, und ich glaube, es ist nothwendig, allein es ist doch hart, daß Deutschland der errungenen Siege so wenig hat froh werden können. Es war noch so vieles zu ordnen, und der Fortschritt zum Besseren findet immer nur langsam Statt. Wird die innere Verfassung sich neben dem äußeren Kampfe ausbilden können? Leben Sie recht wohl, und erfreuen Sie mich bald durch einige Zeilen. Meinen herzlichen Gruß an Ihre Gattin. Mit ausgezeichneter Hochachtung

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Ew. Wohlgeb. Ergebenster A. W. von Schlegel2

Schlegel äußert sich zu mehreren Themen: Er macht ein Rezensionsangebot für die seit 1807 erscheinenden Heidelbergischen Jahrbücher der Litteratur, zu deren neun Herausgebern Wilken gehört (Z. 7–10), er nimmt Bezug auf die Zeitgeschichte (Z. 7, 23–24, 32–37) und auf seine Arbeiten (Z. 4–7, 18–23, 24–25). Er äußert sich über seine Kollegen, zu denen er eine klare Meinung hat, sowohl was ihre wissenschaftlichen Leistungen als auch ihre Persönlichkeit betrifft. Wilhelm (1786–1859) und Jacob Grimm (1785–1863), Joseph von Görres (1776–1848) – auf den sich Schlegel im Brief auch bezieht (Z. 15–18) – sowie Friedrich Carl von Savigny (1779–1861) publizieren regelmäßig in den Heidelbergischen Jahrbüchern. Offensichtlich nimmt Wilken das Angebot gerne an: Die 16-seitige Anzeige erscheint noch im selben Jahr (Schlegel 1815). Mit seinem Urteil über die Inhalte der Altdeutschen Wälder – hauptsächlich handelt es sich dabei um Quellenerschließung – ist Schlegel übrigens nicht allein: Von der Zeitschrift gibt es nur drei Ausgaben. Der Brief ist auch Zeugnis davon, wie (unterschiedlich) Wissenschaft betrieben wurde: Die einen lasen die Texte, die anderen lasen über Texte und schrieben darüber (Z. 16–18 zu Görres). Für Schlegel wie für Christian Gottlob Heyne (1729–1812) etwa, einem Lehrer und Vorbild, stand fest, dass zur Erforschung der Geschichte volkskundliche, mythologische und literarische Quellen ebenso nötig waren wie die Sprachgeschichte (vgl. Strobel 2017: 25). Das Fehlen einer soliden philologischen Ausbildung machte Schlegel später u. a. seinem schärfsten Konkurrenten in der Indologie, dem in Berlin tätigen Kollegen Franz Bopp (1791–1867) zum Vorwurf, der einen Forschungsschwerpunkt in der Sprachwissenschaft hatte. Am 2. August 1829 schrieb er an Johannes Schulze (1786– 1869), der im Preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinangelegenheiten unter Minister Karl vom Stein zum Altenstein die Leitung des gesamten höheren Unterrichtswesens einschließlich der Universitäten und Bibliotheken innehatte – und übrigens einen maßgeblichen Anteil an der Berufung Schlegels an die Universität Bonn gehabt hatte: Bopp scheint mir, im Vertrauen, seit einigen Jahren rückwärts zu gehen. Doch nein! er bleibt wohl nur auf derselben Stelle stehn; aber eben dadurch kommt er zurück, weil die Sache selbst vorrückt. Ich schenke ihm gern sein schülerhaftes Latein und seine kauderwelschen Übersetzungen ins Deutsche; aber er ist wirklich schwach in der Interpretation, und zur philologischen Kritik hat er vollends kein Talent. Dieß kommt von

2 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020.

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dem Mangel an classischer Bildung. Am meisten Werth haben seine grammatischen Arbeiten.3

Das Lob wird sofort relativiert, indem er nachsetzt: »Indessen sucht er auch hier Originalität anzubringen, wo sie nicht hingehört«. Schlegel ist die systematische Bearbeitung mikroskopisch abgegrenzter Fragestellungen, welche die positivistisch geprägten Arbeiten von Bopp über Jacob Grimm bis Friedrich Diez (1794– 1876) charakterisieren, fremd. Und so fällt auch sein nicht weniger scharfes wie klares Urteil über die Brüder Grimm aus dem eingangs zitierten Schreiben aus.4 Wie in dem Brief spricht Schlegel auch in der Besprechung der Altdeutschen Wälder vieles an. Er lobt und tadelt, und er äußert sich nicht nur zum Inhalt der Texte der Zeitschrift, sondern auch zum Stil der Verfasser, die zumeist die Brüder Grimm sind. Das erscheint mir wesentlich, denn es zeigt an, dass sich Schlegel nicht nur mit Sprachen als solchen wissenschaftlich auseinandergesetzt hat, sondern auch mit ihrer Funktion: Die Hrn. Gr. haben in den Altdeutschen Wäldern, wie in ihren früheren Arbeiten, einen nicht geringen Scharfsinn, eine ausgebreitete Belesenheit, einen unermüdlichen Fleiß in Aufspürung auch des Unbemerktesten bewährt. Weniger ist der Vortrag zu rühmen. Sie schreiben ausschließend für Kenner; sie setzen vieles als bekannt voraus, was auch dem Gedächtnisse des Kenners nicht immer gegenwärtig ist; sie begnügen sich mit eilfertigen Andeutungen, wo eine ausführliche Entwicklung nöthig wäre. Indessen jeder Schriftsteller hat das Recht, den Kreis seiner Leser nach Gutdünken zu beschränken. Hier aber geht die Nachlässigkeit in der ungefälligen Schreibart bis zu wirklichen Sprachfehlern. Uns dünkt, der Bewunderer der frühen Denkmale unsrer Sprache sollte doppelt genau auf die Richtigkeit seiner Wortfügungen achten, damit man ihm nicht vorwerfe, über dem alten sey ihm das heutige Deutsch abhanden gekommen. Oft scheint es uns an Klarheit des Ausdrucks zu mangeln weil die Verfasser nicht bis zur Klarheit des Begriffs durchgedrungen sind (Schlegel 1815: 722).

Inhaltlich wird u. a. bemerkt, dass die Brüder Grimm Dichtung und Wahrheit, also »die Sage und die urkundliche Geschichte nicht gehörig zu sondern« (ebd.: 727) wüssten, dass sie den Sagen-Begriff zu weit fassten (vgl. ebd.: 728). Ganz wesentliche Kritik wird an einigen Etymologien der Grimms geübt. Als Beispiel wählt Schlegel einen Stellenkommentar zu Wolframs von Eschenbach Parzival: Bei dieser Gelegenheit hat nun Hr. J. Gr. allen Schnee aufgestöbert, auf den jemals in der Welt Blutstropfen gefallen seyn sollen. Allein dies gibt nur zwey Farben; um die geheimnisreiche Zusammenstellung der drey Farben, weiß, roth und schwarz, vollständig zu machen, muß irgend ein Rabe oder wenigstens eine Krähe herzugeflogen kommen,

3 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020. 4 Zum unterschiedlichen Verständnis der Brüder Schlegel und der Brüder Grimm von einer wissenschaftlichen Germanistik vgl. Janota 1980.

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welche dann das böse Principz vorstellt. Der Verf. hat wirklich so viel weiß, roth und schwarz angehäuft, daß einem dabey grün und gelb vor den Augen wird (ebd.: 731).

Einen Teil der Kritik deutet Schlegel aufgrund des begrenzten Raumes einer Anzeige nur an: Den etymologischen Dithyrambus [griech. Chorgesang] S. 15 über die Verwandtschaft der Begriffe und Benennungen von Blut, Wasser, Regen, Thau, Schnee, Eis, Seim, Laich, Milch u. s. w. können wir nicht im einzelnen durchgehn. Es würden zehn Seiten nöthig seyn, um wieder zu sondern, was der Verf. auf einer einzigen in einander wirrt (ebd.: 734).

So wie er hier scharfe Kritik übt, erkennt er an anderer Stelle die Leistung Jacob Grimms als Verfasser der Deutschen Grammatik an (vgl. dazu Abschnitt 3.6). Neben der Information, dass Schlegel 1815 »das Sanskritanische zu erlernen angefangen« und die Arbeiten an den Observations (vgl. dazu Abschnitt 3.1) erst einmal unterbrochen hat – die dann aber im Jahr 1818 erschienen sind –, teilt er in dem Brief an Wilken mit, was ihn an Sprachen interessiert: In seinen eigenen Worten ist er auf eine »grammatische und etymologische Zusammenstellung des Indischen mit dem Griechischen und Lateinischen nicht nur, sondern mit den sämtlichen altdeutschen Mundarten aus« mit der Begründung, dass eine solche Forschung »von den Englischen Orientalisten schwerlich geliefert werden dürfte«. Damit zeigt er an, wie er die germanischen Sprachen sieht: wie auch die anderen, jüngeren Sprachen als Weiterentwicklungen einer indischen Ursprache. Und es war sein Ziel, alle diese Sprachen etymologisch aus dem Sanskrit herzuleiten.

2.

Verschiedene Ausprägungen sprachgeschichtlichen Denkens im frühen 19. Jahrhundert

Deutsche Sprachgeschichtsforschung lässt sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts drei Dimensionen zuweisen (vgl. Sonderegger 1998: 449): 1. historische Dimension Quellen erschließende und Quellen auswertende Sprachwissenschaft mit Textedition und Textkritik, Etymologie und historischer Sprachvergleichung, historischer Grammatik, eigentlicher Sprachgeschichtsschreibung, historischer Lexikologie und mit der historischen Sprachforschung eng verbundener Altertumskunde 2. heimatlich-volkstümliche Dimension eine die Volksmundarten darstellende Dialektologie mit Dialektlexikographie auf dem Hintergrund historischer Wortforschung, Dialektgrammatik und den Anfängen einer Dialektgeschichtsschreibung

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3. nationale Dimension Nationalliteraturgeschichtsschreibung, Bereich von Sprache und Nation, Bewusstsein von der Schriftsprache als einigendem Band dazu, nationaleinverleibende Übersetzungen aus älteren deutschen und germanischen Sprachstufen, nationalsprachliche Lexikographie Oft genug verbinden sich diese drei Dimensionen, wie sie überhaupt in einem engen gegenseitigen Verhältnis zu verstehen sind, in welche auch die historischen Nachbardisziplinen (allgemeine Nationalgeschichte, Rechtsgeschichte, Kulturgeschichte, Literaturgeschichte, Mythengeschichte und historische Volkskunde) einbezogen werden.5 St. Sonderegger (1998) zeigt mit einer Übersicht (Abb. 1) auf, wie vielfältig August Wilhelm Schlegels wissenschaftliche Interessen und wie diese ausgeprägt waren, aber auch, welche Perspektiven er nicht eingenommen hat, sodass sich zwangsläufig Reibungsflächen ergaben, wenn die Forscher im Austausch miteinander standen. Dabei findet die Auseinandersetzung miteinander und übereinander in der brieflichen Kommunikation statt, aber auch in Anzeigen bzw. Rezensionen, die üblicherweise anonym verfasst werden.6 Die unterschiedlichen Ausprägungen allein mögen andeuten, dass es großen Diskussionsbedarf und vielfach dann auch Kontroversen gab, und diese wurden recht unverblümt ausgetragen, wofür exemplarisch der Ausschnitt eines Briefs von Ludwig Tieck (1773–1853) vom 30. Mai 1803 an August Wilhelm Schlegel stehen kann, in dem Tieck auf »Verbesserungsvorschläge« von Schlegel eingeht: Da ich selber heut in Eil bin, kann ich dir nicht umständlicher über die vorgeschlagenen Verbesserungen sprechen, ich danke Dir für Deine Mühe, Die du Dir gegeben, indessen mußt Du auch nach unsrer Uebereinkunft und freundschaftlichen Vertraulichkeit nicht böse werden, wenn ich sie nicht annehme und Dich nur bitte, ganz genau, und ohne Abweichung bei dem von mir gemachten Texte zu bleiben, da wir hierüber auf einem verschiedenen Standpunkte stehn. Nach dem unbestimmten, den du angenommen hast, müste eigentlich jeder Vers verändert werden, und da du einmal annimmst, ich habe die Sache nicht genau genug genommen, ich verstehe die Sprache nicht genug, muß Dir alles Geänderte willkührlich erscheinen, und darum liegt es eben nahe, alles zu ändern: ich bin aber für mich überzeugt, daß ich die Sache nicht leichtsinnig, sondern weit eher zu schwerfällig getrieben habe, so daß ich viele Gedichte 6 bis 7 mal abgeändert 5 Dies spiegelt sich ganz gut in der Geschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn wider: August Wilhelm Schlegel findet in der Geschichte der Philosophischen Fakultät in mehreren Disziplinen Erwähnung, aber auch in der der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät (vgl. Becker/Rosin 2018). 6 Als August Wilhelm Schlegel seine Mitarbeit in der Allgemeinen Literatur-Zeitung aufkündigt und sich als Autor zahlreicher Rezensionen nennt, sorgt das für einen Skandal (vgl. Fambach 1958: 487).

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Die germanischen Sprachen bei August Wilhelm Schlegel Ausgangspunkt im 18. Jh.: Johann Gottfried Herder (1744-1803) Naturwissenschaften Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung Johannes von Müller (1752-1809) Georg Heinrich Pertz (1795-1876)

Historische Volkskunde Justus Möser (1720-1794) Literaturgeschichtsschreibung Friedrich Schlegel (1772-1829) August Wilhelm Schlegel (1767-1845) Georg Gottfried Gervinus (1805-1871) Wilhelm Wackernagel (1806-1869)

Literatur- und Sprachwissenschaft der Romantiker Friedrich Schlegel (1772-1829) August Wilhelm Schlegel (1767-1845) Ludwig Tieck (1773-1853) Joseph Görres (1776-1848) Clemens Brentano (1778-1842) Achim von Arnim (1781-1831) Ludwig Uhland (1787-1862)

Rechtsgeschichte und Rechtswissenschaft Friedrich Karl von Savigny (1779-1861) Karl Friedrich Eichhorn (1781-1854)

Übersetzung, Nachdichtung und Volkskunde Ludwig Ettmüller (1802-1877) Karl Simrock (1802-1876) Wilhelm Wackernagel (1806-1869)

Symbolik und Mythologie Georg Friedrich Creuzer (1771-1858) Johann Arnold Kanne (1773-1824) Joseph Görres (1776-1848) Jacob Grimm (1785-1863)

Germanisch-deutsche Altertumskunde neben den Brüdern Grimm Friedrich David Gräter (1768-1830) Johann Gustav Büsching (1783-1829) Franz Joseph Mone (1796-1971) Johann Kaspar Zeuß (1806-1856)

Germanische Philologie Jacob Grimm (1785-1863) Wilhelm Grimm (1786-1859) Rasmus Kristian Rask (1787-1832) Textkritik und Editionstechnik neben den Brüdern Grimm Georg Fried(e)rich Benecke (1762-1844) Friedrich Heinrich von der Hagen (1780-1856) Eberhard Gottlieb Graff (1780-1841) Bernard Joseph Docen (1782-1828) Karl Lachmann (1793-1851) Johann Andreas Schmeller (1785-1852) Hans Ferdinand Maßmann (1797-1874) August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) Ludwig Ettmüller (1802-1877)

Indogermanistik und Indologie William Jones (1746-1794) Friedrich Schlegel (1772-1829) August Wilhelm Schlegel (1767-1845) Rasmus Kristian Rask (1787-1832) Franz Bopp (1791-1867) Johann Kaspar Zeuß (1806-1856)

Allgemeine Sprachwissenschaft und Sprachtheorie Wilhelm von Humboldt (1767-1835) Karl Ferdinand Becker (1775-1849) August Friedrich Pott (1802-1887)

Klassische Philologie und Textkritik Friedrich August Wolf (1759-1824) Karl Lachmann (1793-1851)

Deutsche Dialektologie Franz Joseph Stalder (1757-1833) Johann Andreas Schmeller (1785-1852)

Abbildung 1: Die Anfänge der historischen Sprachwissenschaft im frühen 19. Jahrhundert (aus: Sonderegger 1998: 450)

und abgeschrieben habe, ich zweifle auch, daß einer jezt so viele altteutsche Dichter mit der Aufmerksamkeit wird gelesen haben, da ich seit länger als 2 Jahren nichts andres getrieben habe. Diesen Codex des Maneße aber habe ich vollends so durchstudirt, daß Du künftig bei der Vergleichung erst mehr einsehn wirst, wie sehr: Fehler sind gewiß darinn, diese sind kaum zu vermeiden, indessen halte dich nur überzeugt, daß die meisten Abweichungen vorsätzliche sind.7

Damit mag auch kurz angerissen sein, wie man Texte älterer Sprachstufen, hier des Mittelhochdeutschen, ediert hat. Hier geht es um die Edition des Codex 7 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020.

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Manesse (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 848), der berühmtesten Lieder-Sammlung des Mittelalters. Der Brieftext zeigt, dass Tieck einen Spagat zwischen ›Texttreue‹ und für den zeitgenössischen Leser verständliche sprachliche Gestalt macht, ein Ansinnen, das auch heute noch sehr kontrovers diskutiert wird. Dem einen, Tieck, geht es darum, die Minnelieder dem Laien näherzubringen, dem anderen, Schlegel, geht es um eine wissenschaftliche Edition für die Hörer seiner Vorlesungen, für die man den Text schon modifizieren könne – aber Tieck geht ihm klar zu weit. Dass Schlegel und Tieck, die schon Ende des 18. Jahrhunderts miteinander bekannt waren, einen guten Weg fanden, sich über Fragen des Übertragens in eine andere Sprachstufe bzw. eine andere Sprache auszutauschen, wird in Abschnitt 3.4 gezeigt.

3.

Deutsch, germanische und andere Sprachen bei August Wilhelm Schlegel

3.1

In den Observations sur la langue et la littérature provençales

Die Observations sur la langue et la littérature provençales sind Vorstellungen über die romanischen Sprachen wie Sprachen überhaupt und damit auch die germanischen Sprachen.8 Sie sind die Reaktion auf Schriften von François-JustMarie Raynouard (1761–1836). Die Ausführungen zu germanischen Sprachen, die August Wilhelm Schlegel in den Observations macht, schließen an Überlegungen seines Bruders Friedrich (1772–1829) an (Schlegel 1818: 14–30). Die germanischen werden stets im Vergleich mit anderen Sprachen behandelt und typologisiert. Schlegel (1818: 14) stellt drei ›Klassen‹ von Sprachen auf, wobei Flexion sich auf die lautliche Veränderung des Stamms bezieht, also (noch) eine ganz enge Bedeutung hat: 1. Sprachen ohne jegliche grammatische Struktur, 2. Sprachen, die Affixe verwenden, 3. Sprachen mit Flexion.9 Typ 1 hat keine Flexionsmorphologie, Typ 2 hat Prä- und Suffixe, die lexikalische Bedeutung tragen, Typ 3 hat Prä- und Suffixe, die grammatische Bedeutung tragen. Schlegel (1818: 15) beschreibt diesen dritten Typ als organisch und setzt ihn in einer Rangfolge an die erste Stelle. Die flektierenden Sprachen unterteilt Schlegel (1818: 16) in synthetische und analytische (vgl. auch Bär 2002) und beschreibt sie anhand von Wortarten und grammatischen Kategorien und ihrer Relation zueinander: Die Entstehung der synthetischen Sprachen ist unbekannt, die analytischen entstehen zu histo8 Vgl. auch Bär 2012: 534–538. 9 Als typische isolierende Sprache gilt das Vietnamesische, als agglutinierende Sprache Türkisch, als flektierende Sprache Latein.

Die germanischen Sprachen bei August Wilhelm Schlegel

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rischer Zeit aus synthetischen. Zwischen dem synthetischen und dem analytischen Typ besteht ein fließender, auch im Sprachwandel nachweisbarer Übergang (Schlegel 1818: 16f.). Die altindogermanischen Sprachen, besonders Sanskrit, in abnehmendem Grade auch Griechisch und Latein, sind synthetisch. Dann folgen in Richtung auf den analytischen Bau mehrere germanische Sprachen, zuletzt Romanisch und Englisch (ebd.: 17). Derselbe Übergang findet von Germanisch zu Deutsch und von Altgriechisch zu Neugriechisch statt (ebd.: 19). Die synthetischen Sprachen haben freie Wortstellung und sind damit sehr viel geschmeidiger im Ausdruck, während die analytischen Sprachen Beziehungen durch Wortstellung ausdrücken müssen (ebd.: 26). In Schlegels Vorlesung über die Geschichte der deutschen Sprache und Poesie findet sich eben diese Unterscheidung wieder. Man kann nicht nur hier sagen, dass er Forschung und Lehre auf vorbildliche Weise verbindet:10 Die synthetischen Sprachen leisten den Foderungen logischer Bestimmtheit und Deutlichkeit schon durch die Flexionen Genüge, und können in der freyeren Wortstellung die Einbildungskraft und das Gefühl ganz anders in Anspruch nehmen (Schlegel 1818–1819/ 1913: 64).

Zu den synthetischen Sprachen zählt Schlegel, wie erwähnt, neben dem Lateinischen das Griechische und das Sanskrit, zu den analytischen Sprachen neben dem Englischen die romanischen Sprachen. Deutsch wird mit den weiteren germanischen Sprachen zwischen diesen Extremen angesetzt. Mit den Sprachtypen ist dann auch ein spezifisches Denken verknüpft, synthetisch bündelt »unterschiedliche Aspekte in einem Punkt« (Gardt 1999: 275), analytisch verteilt unterschiedliche Aspekte auf mehrere Wörter. Schließlich liefert Schlegel in den Observations eine Erklärung für die Entwicklung des analytischen Baus: Er beruhe auf einer Desemantisierung der Wörter (Schlegel 1818: 28), ein Prozess, der in der modernen Linguistik als Grammatikalisierung bezeichnet wird. Als Beispiele nennt Schlegel (1818: 29) die Entwicklung des Demonstrativums zum definiten Artikel, das Zahlwort eins zum indefiniten Artikel, das possessive Verb haben zum Perfekthilfsverb, Verben des Müssens oder Wollens zu Futurhilfsverben, das Verb sein bzw. die Kopula zum Hilfsverb. Außerdem geht Schlegel (1818: 30) noch auf die ›Verstärkung‹ ein. Später nimmt er Bezug auf die Bibelübersetzung des ostgotischen Bischofs Wulfila (311–383) sowie auf die Schriften Notkers des Deutschen (um 950–1022) (ebd.: 34f.). Auch geht es noch um den Übergang der deutschen Dichtung vom Stabreim zum Endreim mit Otfrids von Weißenburg (800–870) Evangelienbuch (ebd.: 69) und um die Straßburger Eide (ebd.: 118), indem in aller Kürze dargestellt wird, wie Karl der Kahle (823–877) 10 Zur Programmatik der Verbindung von Lehre und Forschung im 19. Jahrhundert und bei bzw. von Schlegel vgl. Baumann/Wich-Reif 2018: 488f., 493–496.

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und Ludwig der Deutsche (um 806–876), nachdem sie siegreich aus dem Erbfolgekrieg gegen ihren Bruder und Kaiser Lothar (795–855) herausgegangen waren, in der Volkssprache des je anderen am 14. Februar 842 in Gegenwart ihrer Heere die Eide ablegten.11 Wie viele andere beschäftigen August Wilhelm Schlegel auch die in den Observations angesprochenen Themen weiter: In einem Brief an Wilhelm von Humboldt (1767–1835) beschreibt Schlegel, dass sowohl synthetische als auch analytische Strukturen in je einzelnen Sprachen bzw. Sprachstufen vorkommen: In solchen Fällen half man sich nun nach derselben Methode, welcher die neueren Analytischen Sprachen Europa’s ihr Daseyn verdanken, wie ich in der Schrift über das Provenzalische gezeigt habe. […] Ist nicht das Schwedische passivum auf s auf ähnliche Weise entstanden wie man im Italiänischen sagt si dice für dicitur? Den Untergang des organischen Passivums im Deutschen haben wir ja so zu sagen erlebt. Denn im Ulfilas findet es sich noch, und zwar, was selbst Grimm übersehn hat, nach einer doppelten Hauptform. […] Die Deutsche Sprache hat von jeher, so lange wir sie kennen, kein Futurum gehabt, und ermangelt dessen bis auf den heutigen Tag. Haben nun die Germanier ihr altes Futurum vergessen, oder haben die Stammväter der Griechen und Indier das ihrige erst seit der Trennung von jenen erfunden? Wie denn dem auch sey, die alten Deutschen fragten wohl nicht viel nach der Zukunft, oder sie betrachteten sie rüstig, als wäre sie wirklich schon gegenwärtig. Wiewohl der Gebrauch des praes. für das futur. wie wir ihn noch im Notker sehen, unaufhörliche Misverständnisse verursachen mußte, haben sie sich über sechs Jahrhunderte so beholfen, ehe sie sich entschieden zu den Auxiliaren bequemten; so eingefleischt war ihre Abneigung vor jenem Zusammenbacken der Begriffe zum Ausdruck einer einfachen Thatsache, welches Bopp zum Grundprincip unsrer und der sämtlichen verwandten Sprachen erheben will.12

Während Jacob Grimm für das eine kritisiert, aber auch für das andere anerkennend gelobt wird – etwa für die Beschreibung der Präteritopräsentien13 –, kommt Bopp bei Schlegel nie gut weg.

3.2

Als ›schöne‹ und ›weniger schöne‹ Sprachen

In seinen Vorlesungen über philosophische Kunstlehre (1798–1799) hält August Wilhelm Schlegel basierend auf der sog. Klimatheorie fest: Nach der allgemeinen Analogie der klimatischen Einflüsse auf die menschliche Organisation läßt sich voraussetzen, daß die gemäßigten milderen Himmelsstriche für die

11 Dargestellt ist das in den Historiarum libri quattuor (III,5) des Nithard (ca. 800–845). 12 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: BBAW 2004–. 13 Verben, deren Präteritumform Präsensbedeutung hat (warf – Prät.form, Prät.bed.; aber: darf – Prät.form, Präs.bed.) und von denen heute viele Fortsetzer als Modalverben haben.

Die germanischen Sprachen bei August Wilhelm Schlegel

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Bildung schöner Sprachen am günstigsten sind und dies bestätigt auch die Erfahrung. Die gemäßigten Klimate haben im ganzen genommen die schönsten und geistvollsten Menschen und auch die schönsten Sprachen hervorgebracht, so die griechische und späterhin zum Teil die lateinische, italienische und französische Sprache und einen großen Teil der orientalischen Sprachen, und so auch bei ungebildeten Sprachen (KAV I: § 49).

Damit ist auch etwas über die germanischen Sprachen und so auch das Deutsche gesagt. Während der südliche Sprachtyp als sinnlich, geistvoll, flexibel und ästhetisch ansprechend gilt, gilt der nördliche als bestimmt und markant (vgl. auch Gardt 1999: 240f.). Damit liegt dann der Entwurf einer vergleichenden Grammatik als Zusammenstellung der Sprachen nach ihren gemeinsamen und unterscheidenden Zügen nicht mehr fern.14 Schlegel formuliert diesen in einer Anzeige der Sprachlehre August Ferdinand Bernhardis (1769–1820), die Humboldt und Bopp beeinflussen sollte: An die allgemeine Sprachlehre kann sich die specielle Grammatik für einzelne Sprachen mit großem Vortheile anschließen. Ehe jene nach philosophischen Principien aufgestellt ist, bleibt für diese der Sprachgebrauch eine todte Gedächtnißsache. Ist man hingegen über den gesetzmäßigen Organismus der Sprache überhaupt im klaren, so können die hinzukommenden besondern Bestimmungen als das Individuelle historisch begriffen und charakterisirt werden. Bei den Meistern des Styls ist das Gefühl für die Individualität ihrer Sprache sehr rege, allein von Grammatikern ist bis jetzt für die Charakteristik wenig geleistet worden. Die vergleichende Grammatik, eine Zusammenstellung der Sprachen nach ihren gemeinschaftlichen und unterscheidenden Zügen, würde dazu ungemein behülflich seyn. So müßte man das Griechische und Lateinische; die Sprachen deutschen Stammes: das Deutsche, Dänische, Schwedische und Holländische; die neulateinischen mit deutschen und andre[n] Einmischungen; das Provenzalische, Französische, Italiänische, Spanische, Portugiesische; dann das in der Mitte liegende Englische; endlich wieder alle zusammen als eine gemeinschaftliche Sprachfamilie nach grammatischen Uebereinstimmungen und Abweichungen und deren innerm Zusammenhange vergleichen. Eben so die orientalischen erst unter sich, hernach mit den occidentalischen. Leichter ist es zwar diesen Plan zu entwerfen, als ihn auszuführen; doch würde solchergestalt die Philologie immer mehr zur Kunst werden, und auch die Ausbildung der lebenden Sprachen kunstmäßiger fortschreiten können (Schlegel 1801/1803: 203f.).

14 Vgl. Bär 2012: 526: »Die frühesten deutschen Anregungen und Ansätze zu einer historischen Grammatik im Sinne des 19. Jahrhunderts stammen nicht von Franz Bopp oder Jacob Grimm, die dann die Disziplin im eigentlichen Sinn konstituierten, sondern von den Brüdern Schlegel. Der Terminus vergleichende Grammatik ist im romantischen Diskurs zuerst bei A. W. Schlegel nachzuweisen«.

100 3.3

Claudia Wich-Reif

Im Wettstreit: Klopstock und Schlegel

Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803) verfasst als letzte theoretische Schrift im Jahr 1794 ein poetologisches Werk, das er mit dem Titel Grammatische Gespräche versieht. Geführt werden die Gespräche von personifizierten Kategorien der Grammatik und der Poesie: Neben der Grammatik treten das Urtheil, die Einbildungskraft und die Empfindung auf; später kommen weitere Gesprächspartner hinzu. In ›Zwischengesprächen‹ erscheinen nationale Sprachinstanzen des Deutschen, Französischen, Lateinischen und Griechischen, die ihre literarische Leistungsfähigkeit insbesondere mittels Übersetzungen miteinander vergleichen, wobei es nur dazu kommt, dass sich das Deutsche beweisen muss, indem es antike Literaturstücke übersetzt, »[t]reu dem Geiste« (Klopstock 1794: 60) und im sprachlichen Ausdruck mindestens so »kurz« wie die Originale, Homer, Horaz und andere (ebd.: 230–233). Erreicht werden könne das u. a. durch »prächtige Wortgebäude« (ebd.: 214), also Nominal- und Verbalkomposita. Ziel ist es auch, Anerkennung der eigenen »klassischen« (ebd.: 230) Literatursprache zu gewinnen. Vier Jahre später, 1798, erscheint im Athenaeum, der Zeitschrift, die August Wilhelm Schlegel zusammen mit seinem Bruder Friedrich herausgibt, August Wilhelms Beitrag Die Sprachen. Ein Gespräch über Klopstocks grammatische Gespräche. Auch bei Schlegel sind die Hauptfiguren die Poesie und die Grammatik. Der Text beginnt folgendermaßen: Poesie: Soll ich meinen Augen trauen? Du lebst also wirklich? Grammatik: Ja, es ist mir selbst wunderlich dabey zu Muthe. Vor Klopstocks grammatischen Gesprächen ist es mir niemals begegnet. Poesie: Ganz recht! Klopstocks grammatische Gespräche. Derentwegen bin ich eben herbeschieden. Aber sage mir, was habe ich mit ihnen zu schaffen? Ich trete ja nicht darin auf. […] Grammatik: Die alten und neuen Sprachen sind höchlich entrüstet: sie behaupten, Klopstock habe die Vorzüge der seinigen weit überschätzt, und herabwürdigend von ihnen gesprochen. Poesie: Und da sollen wir den Streit schlichten. Wie schlau sie doch sind! Sie befürchteten, wir möchten beyde, aus alter Freundschaft Klopstocks Sachwalterinnen werden; um uns zur Unparteylichkeit zu nöthigen, haben sie uns das Richteramt anvertraut. Grammatik: Wie ist mir? Du bist ja gar nicht, wie ich dich mir aus der Ferne vorgestellt habe. Du redest so schlicht. Poesie: Ich muß wohl, um mich von der poetischen Prosa zu unterscheiden. Doch still! dieß sind vermuthlich die Parteyen. Grammatik: Weswegen kommt ihr? wer seyd ihr?

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101

Deutscher: Die andern um Klopstock anzuklagen, ich um ihn zu vertheidigen. Wir sind Repräsentanten unsrer Sprachen (Schlegel 1798: 3–5).

Bei Schlegel treten alle Sprachen auf und vergleichen ihre Ausdrucksfähigkeit auf über 64 Seiten miteinander, wobei sich herausstellt, dass die Sprachen auch vieles gemeinsam haben. Gegen Ende tritt eine neue Figur auf: Deutscher: Die wissenschaftlichen Ausdrücke nehmen wir meistens von den Römern und Griechen; mit den Namen der gesellschaftlichen Thorheiten versehen uns unsre Nachbarn. Franzose: Die feineren Thorheiten und ihre Beobachtung zeugen auch von Bildung: sie machen das Leben liebenswürdig. Doch nun ist die Reihe an mir, über die ausgezeichnete Feindseligkeit zu klagen, daß in den grammatischen Gesprächen aus einer einzelnen Grille meiner Sprache eine eigne Person, die Wasistdaswasdasistwashaftigkeit, gemacht wird – Grammatik: Was erhebt sich da draußen für ein Geräusch? Poesie: Da tritt eine seltsame Figur herein. Wer bist du? Grille: Eine mächtige Fee. Ich nenne mich, wie es mir einfällt und es euch beliebt. Oft herrsche ich über dich, Grammatik, und nicht selten auch über dich, Poesie (ebd.: 66).

Noch bevor die Figur der Grille auftritt, verwendet der Franzose das Lexem Grille, und zwar in der metaphorischen Bedeutung ›schrulliger Einfall‹,15 möglicherweise eine Vorausdeutung auf den Schluss. Die Grille hat das letzte Wort und löst das Ganze auf: Grille: Sie haben sich wirklich schrecken lassen, und mein Zweck ist erreicht, diese Zusammenkunft zu trennen, wobey ich, ohne daß sie es wußten, den Vorsitz führte (Schlegel 1798: 69).

Mit dem Ende wird das Ganze als naiv und bedeutungslos dargestellt; Schlegel kann die Frage nach dem Wettstreit der Sprachen nicht ernst nehmen. Gleichwohl enthält Schlegels Darstellung sachrichtige Informationen und es lässt sich auch der Ansatz einer morphophonologischen Sprachtypologie finden, mit der Frage, ob und wie Inhalt und Ausdruck sprachlicher Formen zusammenhängen. Mit Abschnitt 3.1 und dem vorliegenden lässt sich gut demonstrieren, wie ein sprachwissenschaftliches Thema auf zwei ganz unterschiedliche Arten dargestellt werden kann.

15 Es kommt in dieser Bedeutung auch in Klopstocks Grammatischen Gesprächen vor (vgl. Klopstock 1794: 61), was Schlegel auf die Idee gebracht haben mag, mit dem Wort zu spielen.

102 3.4

Claudia Wich-Reif

Als Zielsprachen von Übersetzungen

Eine nicht unwesentliche Domäne, in denen das Deutsche für Schlegel eine Rolle spielt, sind die Übersetzungen. Seine Berliner und Wiener literatur- und kunsthistorischen Vorlesungen wurden ins Englische, Französische und Italienische übersetzt und waren auch im europäischen Ausland bestens bekannt. Als Übersetzer, vor allem Shakespeares, Dantes und Calderóns, wirkte Schlegel bahnbrechend. Noch im Jahr 2008 empfiehlt Marcel Reich-Ranicki die SchlegelTieck-Übersetzung: Zunächst: Ich bin kein Anglist, und bei der Entscheidung, welche Shakespeare-Übersetzung den deutschen Lesern (und auch den Regisseuren) besonders zu empfehlen sei, haben die Anglisten unbedingt ein Wörtchen mitzureden. Aber ich will mich nicht drücken. Also: Ich empfehle dringend die sogenannte Schlegel-Tieck-Übersetzung (Reich-Ranicki, in: Hildebrandt 28. 08. 2008).

Das bedeutet nicht, dass Schlegel und Tieck an einer Übersetzung zusammen gearbeitet haben; wohl aber haben sich beide schon früh zu Übersetzungsfragen ausgetauscht, wie ein Brief August Wilhelm Schlegels vom 11. Dezember 1797 zeigt. Offenbar sind die beiden zu der Zeit noch nicht lange miteinander im Kontakt: Jena, den 11ten December [1797]. Es ist schön, daß unsre Briefe einander auf halbem Wege entgegen gekommen sind. Die Correspondenz ist also nun förmlich eingerichtet, bis zur persönlichen Bekanntschaft, auf die ich mich lebhaft freue.16

Vier Absätze später schreibt Schlegel Folgendes, und er kommt dann auch schnell nach einer kritischen Empfehlung auf Shakespeare zu sprechen: Sie verzeihen, theuerster Freund, daß ich Ihnen mein Urtheil so unbefangen sage, als ob wir schon Jahre lang mit einander umgegangen wären. Lassen Sie mich doch auch einmal Ihre Meynung über meine Gedichte im Almanach erfahren, wenn es Ihnen nicht mühselig ist, und Sie es in der Kürze können. Auf Ihre Briefe über Shakspeare bin ich sehr begierig. Wie sind Sie mit meinem Aufsatze über Romeo zufrieden gewesen? Ich hoffe, Sie werden in Ihrer Schrift unter anderm beweisen, Shakspeare sey kein Engländer gewesen. Wie kam er nur unter die frostigen, stupiden Seelen auf dieser brutalen Insel? Freylich müssen sie damals noch mehr menschliches Gefühl und Dichtersinn gehabt haben, als jetzt. […] Die Englischen Kritiker verstehen sich gar nicht auf Shakspeare.

Nun gut, August Wilhelm Schlegel hat zu allem, meistens nicht unbegründet, eine sehr klare Meinung. Im zweiten Teil seiner Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst, in dem es um die Geschichte der klassischen Literatur (1803– 16 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020.

Die germanischen Sprachen bei August Wilhelm Schlegel

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1804) geht, begründet der geniale Shakespeare-Übersetzer die Eignung des Deutschen als Zielsprache: Was die deutsche Sprache besonders für Übersetzungen geeignet macht, sei ihre ›Biegsamkeit‹. Diese sei darin begründet, dass ihre Sprecher eine besondere »Bereitwilligkeit« zeigten, »sich in fremde Denkarten zu versetzen und ihnen ganz hinzugeben« (KAV I: 480). Erneut bietet die Klimatheorie den Erklärungsansatz: Die geographisch-klimatische Mittelposition der Deutschen zwischen Nord und Süd gilt als Ursache dieser Eignung. Sie bringt mit sich, dass die Nation keine einseitigen Nationaleigentümlichkeiten aufweist, sondern alle Züge ihrer Nachbarn in sich vereinigt. Ihre Nationalität besteht darin, »sich derselben willig entäußern zu können« (ebd.). Die deutsche Sprache wird damit »zur geschicktesten Dolmetscherin und Vermittlerin für alle übrigen« (ebd.). Dass nicht alle seine Übersetzungen immer und gleichermaßen Anerkennung gefunden haben, mögen zwei Briefausschnitte von Wilhelm von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker (1784–1868) zeigen. Schlegels Kollege, Vertreter der Klassischen Philologie, kam ein Jahr nach Schlegel an die Rheinische FriedrichWilhelms-Universität. Am 7. Mai 1821 schreibt Humboldt ihm: In dem neulich durch Schlegel übersetzten Stück scheint mir schon ein gewisses Accomodationssystem zu seyn, das ich nicht billigen kann. Selbst der Hexameter giebt, ohne daß etwas Einzelnes geändert sey, einen Griechischen, der Eigenthümlichkeit schädlichen Anklang. Dennoch ist es sehr gut, daß gerade Schlegel sich bei uns des Indischen angenommen hat. Er wird ein allgemeineres Interesse dafür erwecken, als eine bloß sprachgelehrte Behandlung gethan hätte.17

Erst geht es ums Übersetzen und dann um Schlegel als Indologen. Wenige Monate später, am 6. November 1821, wird Schlegel von Humboldt gelobt. Wieder ist Welcker der Briefpartner: Auch der Callimachus [Schwenck, Conrad (1821): Kallimachos Hymnen, Bonn] hat mir sehr gut gefallen. Nur wäre doch dem Hexameter mehr Strenge u. Feile zu wünschen. Bei diesem vermisse ich, wie ich nicht läugne, noch viel. Allein auch darüber ist das Urtheil verschiedner verschieden, u. so möchte ich nicht entscheiden. Die besten Hexameter, die wir bis jetzt besitzen, sind, meinem Gefühl nach, die Schlegelschen u. die 100 die Wolf [Wolf, Friedrich August] in den Analecten aus der Odyssee übersetzt hat.18

Wie bei August Wilhelm Schlegel fällt bei Wilhelm von Humboldt und bei anderen Zeitgenossen auf, dass die Kritik oft sehr scharf ist, auch persönlich wirken mag, aber letztlich normalerweise ganz sachbezogen ist.

17 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: BBAW 2004–. 18 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: BBAW 2004–.

104 3.5

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Deutsch als Metasprache

Neben der Funktion als Übersetzungssprache dient Schlegel die deutsche Sprache als Metasprache. Wenn er am 23. Juli 1821 an Wilhelm von Humboldt einen Brief schreibt, in dem er dessen Fragen zur ›Sprache der Indier‹ beantwortet, so zieht er die ältere deutsche Sprache zum Vergleich heran, um Fremdes verständlich zu machen: Das mit den Veda’s [Vedische Gesänge] ist meines Erachtens anders zu verstehen, nämlich als eine Art von canto fermo [festgelegte Melodie], Hebungen und Senkungen der Stimme nach ganz musikalischen Intervallen, womit der Überlieferung gemäß die heiligen Bücher vorgetragen werden sollen. Auf ähnliche Art hat unser Otfrid seine Lieder accentuirt: die Accente treffen immer mit den grammatischen zusammen, stehen aber nur da, wo die Stimme die Höhe erreicht, und sich wieder zu senken anfängt.19

Damit geht Schlegel ganz selbstverständlich davon aus, dass Humboldt das in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts geschriebene Liber evangeliorum des Weißenburger Mönchs Otfrid nicht nur kennt, sondern sich auch mit dem Otfrid’schen Akzentuierungssystem vertraut gemacht hat. Die die vier Evangelien kompilierende Darstellung des Lebens und Wirkens Jesu ist eine der ersten end(silben)gereimten Großdichtungen. Besonders hervorzuheben für die Zeit ist die Verwendung einer germanischen Sprache, des Deutschen, anstelle des Lateinischen bzw. des Griechischen. In den Widmungsbriefen skizziert Otfrid selbst die Probleme der Verschriftung wie der Verschriftlichung des Fränkischen, die ihn jedoch nicht daran hindern, den Dignitätsstatus der lingua rustica dem der heiligen Sprachen, den edilzungun (Kleiber/Heuser 2004: 11v Brief an Luitbert, I,1,53) Griechisch und Latein gleichzusetzen. Tatsächlich wurde das von Schlegel angesprochene Akzentsystem in der Wiener Handschrift erst in jüngster Zeit im Rahmen einer Neuedition durch Wolfgang Kleiber typologisiert: Es gibt rhythmische Akzente, phonetische Akzente, Interpunktions- und Gliederungszeichen sowie Korrekturzeichen. Das Akzentuierungssystem bedurfte nach Kleiber »einer neuen Gesamtdarstellung, vor allem im Blick auf die Geschichte der altdeutschen Metrik und Rhythmik« (Kleiber/Heuser 2004: 122) und einer spezifischen Rezipientensituation. Dabei sind die Akzentkorrekturen durch die Hand Otfrids von ganz besonderem Interesse. Mit Blick auf diese ›Lässigkeit‹, mit der Schlegel die Akzente beschreibt, mag man Wilhelm von Humboldt folgen wollen, wenn er ihn in dem zitierten Briefausschnitt vom 7. Mai 1821 als etwas oberflächlich beschreibt. Gleichwohl ist einzuräumen, dass Schlegel Otfrids Akzente offenbar en passant mit in den Blick genommen hat, während sich die Heraus-

19 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020.

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105

geber und Mitarbeiter der Neuedition des Evangelienbuchs jahrelang mit diesem einen Textexemplar beschäftigt haben.

3.6

In Grammatiken

Auch das Interesse an Grammatikschreibung spiegelt sich in der Schlegel’schen Korrespondenz gut wider. Am 1. Dezember 1822 fragt er, der mittlerweile Professor für Schöne Literatur und Kunstgeschichte ist, einen Brief an Humboldt beschließend: »Haben Ew. Excellenz schon die neue chinesische Grammatik von Remusat gesehen? und wie urtheilen Sie über Grimms Deutsche Grammatik?«.20 Die Grammatik von Abel Rémusat (1822) ist in französischer Sprache verfasst, die Grammatik von Jacob Grimm (1822) auf Deutsch. Schlegel geht davon aus, dass Humboldt Letztere nicht nur gesehen, sondern auch schon eingesehen hat. Humboldt antwortet umgehend,21 und tatsächlich irrt Schlegel nicht. Während die chinesische Grammatik noch nicht besorgt werden konnte – der Bruder Alexander ist gerade nicht in Paris –, besitzt Wilhelm von Humboldt die Grimm’sche Grammatik, allerdings hat er sie »leider viel zu wenig studirt«: Es hängt damit zusammen, daß, wie ich zu meiner Schande gestehn muß, der Deutsche Sprachstamm mir gerade der unbekannteste ist. Die Einleitung aber habe ich mit großer Befriedigung gelesen.22

Auch Schlegel antwortet umgehend, diesmal mit einer Bewertung: Ich schätze diese Arbeiten so hoch, wegen der rein historischen Behandlung und des unendlichen Fleißes im Einzelnen, bey einer durchgeführten Idee im Ganzen. Er hat gezeigt, wie viel durch beharrliche Prüfung mit Fragmenten auszurichten ist.23

20 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020. 21 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020. Der Brief beginnt folgendermaßen: »Ew. Hochwohlgebohrnen mir gestern zugekommenes Schreiben vom 1. dieses hat mir eine wirklich unerwartete Freude gemacht. Ihr so über alle meine Hofnungen günstiges Urtheil über meinen Aufsatz ist mir mehr, als ich es Ihnen sagen kann, schmeichelhaft gewesen, und wenn ich mir auch nicht verhehle, wieviel ich darin Ihrer freundschaftlichen Nachsicht zuschreiben muß, so überlasse ich mich doch gern der angenehmen Täuschung. Ich eile daher, den morgen nach Frankfurt abgehenden Courier nicht zu versäumen, um Ihnen sogleich meinen Dank abzustatten, und Ihre gütigen Anfragen zu beantworten«. – Wir erfahren etwas über die Zustelldauer von Briefen und über kollegial-freundschaftlichen Stil. 22 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020. 23 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020.

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Schlegel kündigt an, diese Wertung auch publik zu machen, da er Jacob Grimm in Bezug auf die Etymologien hart kritisiert habe.24 Bezug nehmend auf Humboldt führt er zur deutschen Sprache aus: Die Familiengeschichte des Deutschen Sprachstammes scheint mir besonders deswegen so wichtig, weil sie durch 14 Jahrhunderte hindurch den Beweis liefert, daß Flexionssprachen, wofern sie nicht durch künstliche Mittel fixirt werden, sich mit dem Fortgange der Zeit, grammatisch betrachtet, nicht bilden sondern entbilden, indem das verlohrne Organische25 immerfort nur durch Mechanisches ersetzt wird; daß also das in jener Art ursprünglich vorhandene einer ganz andern Epoche und Gestaltung des menschlichen Geistes angehört.

Dies wiederum veranlasst Humboldt, dem Kollegen und Freund26 sofort in der Sache als solcher zustimmend zu antworten: »Die Flexionen des Deutschen Sprachstammes so viele Jahrhunderte hindurch zu verfolgen, ist allerdings ungemein wichtig«.27 Er fährt fort: Allein die Folgerung, die Sie aus dieser Erscheinung zu ziehn scheinen, möchte ich nicht ganz zugeben. Es scheint mir daraus noch gar nicht zu folgen, daß der Flexionszustand der ursprüngliche war. Darin bin ich noch voller Zweifel. Sie reden von »Flexionssprachen«, für mich aber bedarf es noch einer ganz neuen, und viel tiefern Untersuchung, als man bisher angestellt hat, ehe ich wagen würde, einen solchen Ausdruck zu brauchen. […] Ich bin […] ganz überzeugt, daß sich dies nicht historisch ausmachen läßt, d. h. daß sich nicht überzeugend nachweisen läßt, daß die Flexionen, auch nur zum größten Theil, anfangs agglutinirt waren. Indeß erhebt man dagegen auch bisweilen Argumente, die mich nicht überzeugen.

Der Umgang mit Grammatiken bei Schlegel, bei Humboldt und auch ihren Zeitgenossen deckt sich mit den vorausgehenden Beobachtungen und unterstreicht, dass die Perspektive auf Sprache(n) eine universalistische ist und keine, die von einer Sprachfamilie oder gar von einer Einzelsprache ausgeht.28 Es geht auch in Bezug auf die Grammatik weniger um die systematische Beschreibung der verschiedenen Ebenen einer Einzelsprache als um die Frage nach den Ursprüngen und damit nach einer Ursprache. 24 Zum Beispiel in der Anzeige zu den Altdeutschen Wäldern (Schlegel 1815); vgl. dazu Abschnitt 1. 25 Vgl. dazu die Typologisierung der Sprachen in den Observations sur la langue et la littérature provençales, Abschnitt 3.1. 26 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020. Am Ende des Briefes schreibt Humboldt: »Ich bin so ausführlich geworden, daß ich nun auch schlechterdings keinen neuen Bogen anfangen will, und bitte Sie, die Versichrung meiner herzlichsten und hochachtungsvollsten Freundschaft anzunehmen«. 27 [konsultiert am 07. 07. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020. 28 Vgl. dazu Bär 2012, bes. 499–506.

Die germanischen Sprachen bei August Wilhelm Schlegel

4.

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Resümee

Wie aus den Ausführungen hervorgegangen ist, hat es sich August Wilhelm Schlegel nie zum Ziel gesetzt, speziell die germanischen Sprachen zu beschreiben. Er hat sich immer auch mit Sprache beschäftigt und sprachwissenschaftliche Werke eingehend studiert, insbesondere auch Grammatiken, war aber kein Sprachwissenschaftler. Gleichwohl hatte er zu sprachwissenschaftlichen Publikationen und auch zu Sprachwissenschaftlern eine klare Meinung. Und damit war er in seiner Zeit nicht allein. Für Schlegels Vorgänger, ihn selbst, aber auch noch seine Nachfolger verließ ein Absolvent die Universität mit einer möglichst umfassenden Allgemeinbildung. Die Vernetzung unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen war es, die zu spezifischen Forschungsergebnissen führte, die auch die germanischen Sprachen, speziell das Deutsche, mit einschlossen. Zu den germanischen Sprachen und speziell dem Deutschen lässt sich für Schlegel resümierend Folgendes sagen: Deutsch ist für Schlegel eine der Sprachen, in der Forschungsergebnisse an bestimmte Rezipientengruppen weitergegeben werden. Dass ihm sowohl Inhalt als auch Form wichtig sind, wurde mit dem Exzerpt aus der Anzeige zu den Altdeutschen Wäldern gezeigt. Er hat sich in den Observations Sprachstrukturen, darunter die germanischen, genau angeschaut und diese miteinander verglichen. Dass er dies in einem Werk tut, in dem es laut Titel um Literatur geht, ist zeitgemäß. Sein Bruder Friedrich und in der Folge er selbst beschreiben die Strukturen der Sprachen, nicht ohne diese auch zu bewerten. Dabei gehen sie auch auf ganz spezifische Ausprägungen und Wandelerscheinungen ein, wie etwa auf die Ausbildung des deutschen Futurs. Im Kontext der Klimatheorie werden die germanischen Sprachen nach ihrer ›Schönheit‹ beschrieben und mit den Menschen, die diese Sprachen sprechen, und mit dem Raum, in dem diese Menschen leben, in Bezug gesetzt. Speziell das Deutsche wird dann als Zielsprache für Übersetzungen als besonders geeignet herausgestellt. Um Übersetzung geht es auch, wenn Fragen der Edition von Texten älterer Sprachstufen behandelt werden. Die klare Position in Bezug auf spezifische Sprachen und ihren Wert führt dann auch zu der Replik auf Klopstocks Grammatische Gespräche in der Form eines Gesprächs über Klopstocks grammatische Gespräche. Schließlich dienen Schlegel ältere Stufen germanischer Sprachen und da speziell des Deutschen für einen Deutsch lesenden Rezipientenkreis als Metasprache, um Phänomene anderer älterer Sprachstufen bzw. alter Sprachen zu erläutern; er bezeichnet letztere als ›klassisch‹ und grenzt sie von den ›modernen‹ seiner Zeit ab. Das moderne Deutsch wiederum ist die Sprache, in der August Wilhelm Schlegel scharf, klar und zielgerichtet für unterschiedliche Adressatenkreise formuliert.

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Die germanischen Sprachen bei August Wilhelm Schlegel

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Fabio Zinelli

August Wilhelm Schlegel et la découverte du provençal. Enjeux linguistiques et esthétiques

1.

Critique

L’activité ‹ critique ›, pour August Wilhelm Schlegel, comme pour une partie de ses contemporains (en bons héritiers de Lessing), est de nature à embrasser à la fois érudition philologique et critique littéraire, activité, cette dernière, aussi susceptible de porter un discours de type philosophique. Le portrait consacré à F. J. M. Raynouard dans les Observations est éloquent: L’érudition de M. Raynouard est aussi étendue que solide; mais ce qui est bien plus admirable encore, c’est la critique lumineuse, la méthode vraiment philosophique qu’il apporte dans toutes ses recherches (Schlegel 1818: 4).

Cet hommage flatteur est avant tout un acte de courtoisie envers l’auteur du Choix des poésies originales des troubadours, dont les Observations constituent un long compte rendu.1 Au demeurant, en s’adressant en français à un public à la fois ‹ hexagonal › et européen, Schlegel pouvait compter sur le sens pris par l’adjectif philosophique au siècle des Lumières: une attitude de l’esprit faite d’observation et justesse et propice au savoir vivre en société.2 Le geste critique qui guide les Observations, lui, est clair. Il s’agit, par l’étude de la langue, d’accéder à la poésie des troubadours, objet aussi inconnu que mythique et pièce maîtresse dans le développement de cette ‹ poésie romantique › revendiquée par la jeune école allemande. L’étude de la « langue provençale » doit s’effectuer « sous le triple rapport de la théorie générale des langues; de l’étymologie de la langue françoise et des autres idiomes dérivés du latin; enfin, de ses propres beautés et de ses qualités distinctives » (Schlegel 1818: 13). En mettant en avant la portée théorique de son étude, Schlegel se situe dans la continuité avec le 1 En particulier de Raynouard 1816–1821 (1817): vol. 2. 2 On ne peut pas non plus exclure que l’équivalence établie entre critique, philologie et philosophie conserve un écho du projet d’une herméneutique nouvelle conçu par Friedrich Schlegel dans son essai Philosophie der Philologie (demeuré à un état fragmentaire) sur lequel v. Eicheldinger 2017 et Reents 2017.

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livre de son frère cadet Friedrich Sur la langue et la sagesse des Indiens (Schlegel 1808) dont les Observations contribuent à vulgariser les idées.3 Comme le sanscrit dans le groupe qu’on commençait à concevoir comme la famille des langues indoeuropéennes, le provençal constitue un point d’observation privilégié pour la reconstruction du passage d’une langue flexionnelle, comme le latin, aux langues romanes et il a une importance certaine pour l’histoire même du français. D’autre part, le problème des ‹ beautés › de la langue ou de sa dimension esthétique, loin de représenter une simple concession aux catégories littéraires de l’époque, constitue un enjeu d’importance primordiale. Comme nous le verrons, il correspond pleinement à l’intérêt porté par Schlegel – depuis ses cours tenus à Jena en 1798 et quelques années plus tard dans ses leçons berlinoises – au processus de formation d’une langue poétique.4 Trois disciplines majeures se trouvent investies par le travail critique déployé dans les Observations: la linguistique, la philologie et l’esthétique, à laquelle revient le dernier mot. L’espace réservé à la théorie est occupé principalement, comme il se doit, par la linguistique. Parmi les conceptualisations les plus marquantes, la distinction entre langue et dialecte, ouvrant la voie à l’étude du changement linguistique (§ 2), permet de saisir les conditions de formation de la langue écrite médiévale, marquée par une grande variété graphique et morphologique (§ 3). Le polymorphisme propre du provençal dévoilé par l’accès direct aux textes conservés par les manuscrits entraine toutefois un jugement réservé sur la valeur de la poésie des troubadours (§ 4). Le bilan du livret sera alors en partie décevant, éloignant le destin du provençal du parcours glorieux du sanscrit. À partir de cette même année 1818, date de parution des Observations, depuis sa chaire à l’Université de Bonn, l’activité d’August Wilhelm sera moins celle d’un critique littéraire animé par des intérêts de romaniste que celle d’un linguiste et d’un philologue consacrant désormais l’essentiel de ses énergies scientifiques aux études d’indologie.

2.

Linguistique: langue, dialectes, changement linguistique

Aux 17e et 18e siècles, un dialecte n’était considéré que comme une variante d’une langue principale.5 Dans l’Encyclopédie de d’Alembert et Diderot, le concept est illustré par la situation particulière de la France:

3 Pour l’impulsion donnée par les recherches autour du sanscrit aux études romanes naissantes, v. Bossong 1990: 293–296. 4 Sur l’évolution du concept de langue poétique à travers l’œuvre de Schlegel, on verra Becker 1998: 53–92. 5 V. Haßler/Neis 2009: 1, 866ss.

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[…] nous pourrions dire que nous avons la dialecte picarde, la champenoise; mais le gascon, le basque, le languedocien, le provençal, ne sont pas des dialectes: ce sont autant de langages particuliers dont le françois n’est pas la langue commune, comme il l’est en Normandie, en Picardie & en Champagne (Chesneau Du Marsais 1754: 934).

De même, et dans une perspective fortement ‹ centraliste ›, s. v. Langue, on lit: Si une langue est parlée par une nation composée de plusieurs peuples égaux & indépendans les uns des autres, tels qu’étoient anciennement les Grecs, & tels que sont aujourd’hui les Italiens & les Allemans; avec l’usage général des mêmes mots & de la même syntaxe, chaque peuple peut avoir des usages propres sur la prononciation ou sur les terminaisons des mêmes mots: ces usages subalternes, également légitimes, constituent les dialectes de la langue nationale. Si, comme les Romains autrefois, & comme les François aujourd’hui, la nation est une par rapport au gouvernement; il ne peut y avoir dans sa maniere de parler qu’un usage légitime: tout autre qui s’en écarte dans la prononciation, dans les terminaisons, dans la syntaxe, ou en quelque façon que ce puisse être, ne fait ni une langue à part, ni une dialecte de la langue nationale; c’est un patois abandonné à la populace des provinces, & chaque province a le sien (Beauzée 1765: 249).6

La séparation entre ‹ langue nationale › et dialectes/patois est nette. Les dialectes tirent toutefois une sorte de légitimité de leur subalternité à la langue alors que les patois sont la manifestation d’une sorte d’anarchie linguistique soumise à un processus de corruption perpétuelle.7 Parallèlement, une langue avec des dialectes, comme on le voit dans la première citation, semble plus forte que des ‹ langues › coupées de toute structure politique telles celles qu’on parle dans le Midi de la France. Chez Schlegel, lecteur avisé du De vulgari eloquentia de Dante,8 l’opposition langue/dialectes, dépouillée de toute perspective centralisatrice, s’appuie sur des considérations de type historique et, pour reprendre une dénomination actuelle, sociolinguistique. La langue ‹ nationale › correspond à la langue littéraire. Il s’agit d’une précision essentielle si l’on pense que le provençal n’a jamais été la langue d’une nation au sens politique du terme. Un dialecte, lui, est une ‹ langue › dans un état historiquement non encore développé ou tout simplement non standardisé.9 Dans leur phase de formation, les langues romanes doivent être considérées comme des dialectes: 6 Sauf si indiqué autrement, les italiques dans cette citation et dans celles qui suivent sont miens. Le mot langue est ici déjà en italique dans l’original. 7 Des observations similaires se lisent fréquemment, à la même époque, notamment au sujet de l’allemand et de l’italien et de leurs dialectes respectifs, v. Haßler/Neis 2009 s.v. Dialekt. Sur l’évolution du concept de ‹ patois ›, v. Courouau 2005. 8 Cité dans Schlegel 1818: 105 s., n. 30. 9 On a l’impression que les deux termes sont parfois superposables (comme, plus tard, Mundart et Sprache chez Diez 1826). August Wilhelm – comme Friedrich Schlegel 1808: 33 s. – emploie par exemple le terme dialectes pour les langues germaniques anciennes (y compris si elles disposent, comme le gothique, d’attestations littéraires). Quand on lit des affirmations comme la suivante « Les plus anciens monuments écrits de la langue francique datent du huitième et

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[…] quand ces dialectes furent cultivés littérairement, ils prirent le nom des provinces qui étoient le siége principal de leur correction et de leur élégance: langue provençale, langue toscane, langue castillane. Il y a quelque difficulté à bien désigner la langue des Troubadours. Les noms de langue provençale, limousine, catalane, qu’on lui a donnés, sont trop étroits, parce qu’ils n’embrassent qu’une des provinces où elle étoit indigène, et qu’elle avoit un territoire beaucoup plus vaste (Schlegel 1818: 40).

En rejetant l’idée promue par Raynouard d’une ‹ langue romane › originelle, mère de toutes les langues néolatines et coïncidant avec le provençal (v. ibid.: 50), Schlegel cautionne néanmoins l’idée, reconnue aussi par le savant français, de l’existence d’un « dialecte central » formé par « le provençal, le limousin, le catalan » (ibid.: 51).10 Schlegel considère ainsi les dialectes occitans comme le reste d’un état primordial de la langue (désigné à son tour comme dialecte ou comme langue mère) commun à la France du Nord et au Midi. La « séparation des deux dialectes », le provençal et le français (ou « dialecte du nord » et « dialecte du midi », ibid.: 41),11 daterait du 10e s. Ce qui restait du dialecte « central », lui, entouré par des « langues dominantes » telles « le françois, l’italien et l’espagnol », devait ensuite entrer en pleine régression en se trouvant « condamné à n’être plus qu’un patois » (ibid.: 51). Retenons que l’emploi du mot dialecte (« dialecte central ») se justifie, une fois de plus, parce qu’il réfère à une phase ancienne non standardisée. Quant aux dénominations revenant à cet ensemble ‹ provençal, limousin, catalan ›, il faut y voir moins de sous-articulations dialectales que le reflet d’appellations issues de positions identitaires et historiquement déterminées. Schlegel, sans cautionner la perspective soutenue dans la Crusca provenzale d’Antonio Bastero, faisant de la Catalogne le berceau du provençal (v. Bastero 1724: 5, 7),12 ne s’oppose toutefois pas à l’idée que « parmi les provinces où l’on a parlé jadis la langue des Troubadours, c’est en Catalogne qu’elle a été le moins altérée » (Schlegel 1818: 83). Le même Raynouard avait d’ailleurs trouvé dans le catalan un appui en faveur de l’existence d’une lengua romana originaire commune aux populations romanes et coïncidant avec le provençal.13

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du neuvième siècle. Le dialecte y est fort différent de celui d’Ulfilas, mais les formes grammaticales se rapprochent encore beaucoup des siennes » (Schlegel 1818: 21), il faut supposer que langue correspond à la langue écrite, dialecte à sa forme et substance linguistique propres. Raynouard, lui, n’emploie que très rarement le mot dialecte lui préférant, en bon jacobin, patois. Il faudra attendre l’article de Suchier 1891 dans le Grundriss pour trouver un classement des principaux dialectes occitans. Le français doit son origine à une « seconde altération du langage populaire » attribuée à l’établissement des Normands en France, alors que la première avait impacté le latin des Gaules « par l’établissement des Goths, des Bourguignons et des Francs » (ibid.). Sur cette figure singulière, on verra l’article de Verlato 2021 (travail précieux, entre autres, pour l’étude du contexte érudit constituant l’arrière-plan du travail de Bastero et du même Schlegel). En citant Luitprand de Crémone (10e s.), « racontant des faits historiques relatifs à l’an 728 », il pouvait affirmer « qu’alors la langue romane existait dans une partie de l’Espagne » et que

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Dans son rejet de la théorie de Raynouard, et par conséquent de l’identité originelle des dialectes romans dans les diverses provinces de l’empire (v. Schlegel 1818: 50), Schlegel est bien conscient que la question du classement des dialectes de l’Italie du Nord devient centrale. Nous savons aujourd’hui qu’ils appartiennent au groupe gallo-roman. Ils en partagent plusieurs spécificités dont la chute des voyelles finales du latin (à l’exception du -a), un trait qui pouvait légitimement les faire rentrer parmi les témoins du « dialecte central » dont parle Schlegel. Ce dernier risquait cependant, en élargissant à l’Italie (qu’on percevait encore comme une région linguistiquement unitaire) l’étendue de la ‹ langue romane › d’empreinte provençale, de donner raison à Raynouard. C’est un point qui justifie aussi la prudence de Schlegel au sujet de la littérature des vaudois:14 Mais ces poésies religieuses ont-elles été composées dans le Piémont même, comme paroît l’admettre M. Raynouard, ou furent-elles transmises aux Vaudois par les Albigeois? C’est une question historique à éclaircir (Schlegel 1818: 51).

Si une exception isolée était possible (d’autant plus que l’emploi littéraire du provençal en Italie était bien attesté), Schlegel (1818: 105) affirme pourtant avec netteté avoir « beaucoup de peine à croire que jamais, dans aucun district de l’Italie proprement dite, l’idiome vulgaire ait été un dialecte du provençal ».15 Il est ainsi curieux d’observer comment Schlegel lui-même semble avoir cautionné un argument qui refera surface plus tard chez Raynouard (1816–1821 [1821]: 6, lvi– lvii). Il s’agit de la vieille théorie formulée au 16e s. par les florentins Giambullari, Leonardo Salviati et Benedetto Varchi, d’après laquelle la chute des voyelles finales du latin (sauf -a), aurait non seulement touché les dialectes de l’Italie du Nord – et l’ensemble du groupe gallo-roman dont le provençal – mais aussi le toscan. Ce dernier aurait réintroduit des ‹ voyelles euphoniques › par la suite. Or, dans la Wettstreit der Sprachen (réfutation en forme de dialogue, paru dans le premier fascicule d’Athenaeum 1798, des Grammatische Gespräche de Friedrich Gottlieb Klopstock de 1794) on retrouve précisément cette ancienne théorie (Schlegel 1798: 24). Le personnage de Grammaire observe que les peuples ont exprimé leur caractère national propre (le « Karakter der Nazionen », ibid.) dans la recherche du « Wohlklang » (ibid., la ‹ douceur › d’une langue, v. ici-bas en § 4). celle-ci coïncidait avec « la langue Valencienne » et « la langue Catalane » (Raynouard 1816–1821 [1816]: 1, xii–xiii.). Raynouard revient d’ailleurs plusieurs fois sur les strictes affinités entre catalan et provençal, v. Raynouard 1816–1821 (1816): 1, xxv et (1821): 6, xxxvi– xl, li–lii. 14 Raynouard 1816–1821 (1816): vol. 1 tire de ces textes (qu’il éditera dans Choix des poésies originales des troubadours, vol. 2 [1817]) plusieurs exemples grammaticaux. 15 Il utilise un peu plus haut (Schlegel 1818: 50s.) une formulation dubitative au sujet d’une diffusion du « dialecte central » en Italie. En affirmant pourtant que « [l]’idiome provençal paroît avoir été parlé jadis dans quelques parties de l’Italie supérieure » (ibid.: 2), Schlegel pense surtout à un emploi véhiculaire et littéraire du provençal dans l’Italie médiévale.

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Certains (les français et les provençaux)16 ont éliminé des consonnes, d’autres, les italiens et les espagnols, ont ajouté des voyelles (« G r a m m a t i k . Andre setzten Vokale hinzu. I t a l i e n e r . Diess wir und die Spanier meistens, doch auch jenes nicht selten », ibid.). On peut se demander si Schlegel a pris une telle théorie au sérieux ou si elle se situait ici – étant donnée la nature du texte – tout simplement sur le plan de la littérature. Dans les Observations on voit bien toutefois qu’il lui reconnait une validité au moins partielle: « cela [l’‹ ajout › de voyelles] est même incontestable à l’égard des mots qui ont une syllabe de plus que dans le latin » (Schlegel 1818: 43, par ex. intendunt donnant intendon et ensuite intendono). Les deux ensembles (dialectes du Nord et Toscan) se trouvant ainsi réunis dans une seule famille linguistique ‹ italienne › originairement touchée par cette même chute des voyelles finales du latin qu’on observait en provençal, Schlegel pouvait croire que le risque de toute coïncidence foncière avec ce dernier s’en trouvait ainsi éliminé. Cette unité originaire des langues romanes à l’ombre du provençal proclamée par Raynouard se trouverait ainsi brisée par le biais d’un argument plus tard revendiqué par le savant français à l’appui de sa propre théorie. Le regard porté par Schlegel sur la « variété infinie de dialectes et de patois » (ibid.: 51) a comme effet de générer des réflexions importantes sur le plan de la « théorie générale des langues ». Les dialectes constituent, en particulier, un terrain idéal pour mesurer les enjeux du changement linguistique. Au concept moderne de ‹ changement › correspond chez Schlegel le mot d’altération. Parmi les causes (« causes locales ») faisant que tous ces « idiomes divers » passent « par gradations nuancées les uns dans les autres » (ibid.: 52), la cause principale réside dans l’intensité de la présence germanique. Le superstrat bien plus que les substrats – peut-être disqualifiés par certaines théories fantaisistes encore en vogue au 18e s. voyant par ex. l’italien naître de l’étrusque – serait à l’origine de la différentiation des dialectes. L’apport des « conquérans barbares » (ibid.) – acteurs historiques venant remplacer le peuple ‹ romantique › de l’esprit duquel (par ex. chez Herder) nait une langue – revient à admettre l’Einmischung des langues comme le facteur principal du changement. On trouve d’ailleurs à trois reprises le syntagme langues mixtes (Schlegel 1818: 37; 86, n. 8; 97, n. 21). C’est un point d’autant plus intéressant qu’il entre en résonnance avec la théorie de l’Einmischung qui expliquerait pour Friedrich Schlegel la formation des langues indoeuropéennes alors que, pour August Wilhelm, elles sont le résultat d’un développement « graduel » et respectueux de la « pureté » de leur structure grammaticale.17 L’influence des dialectes germaniques, loin d’être limitée au 16 Il révisera en majeure partie sa position concernant le provençal (encore trop riche en consonnes finales) dans les Observations, voir ici-bas, § 4. 17 V. Timpanaro 1972/2005: 36 s. et Schlegel 1833/1846: 66–68 (v. Timpanaro 1973/2005: 63). Dans la Wettstreit der Sprachen, le rôle joué par les langues mixtes et par l’influence des

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lexique, serait avant tout de type morphologique et syntaxique.18 La construction analytique du futur et la construction impersonnelle par on (un ‹ calque › du germanique man) en seraient autant de preuves.19 La réduction/disparition des cas du latin serait le résultat le plus éclatant d’une telle situation de ‹ contact ›. C’est par un régime de bilinguisme prolongé20 que le mauvais latin ou jargon des « conquérans barbares » ne sachant pas « manier ces inflexions savantes, sur lesquelles repose toute la construction latine » (Schlegel 1818: 24), fit oublier aux habitants des provinces romaines les règles du latin en provoquant l’abandon du système synthétique latin.21 C’est une explication déjà fournie dans des termes expéditifs mais similaires dans les Vorlesungen berlinoises consacrées à la poésie romantique.22 La description du passage d’une langue flexionnelle ou synthétique comme le latin aux langues romanes ‹ analytiques › représente au demeurant le point où la vision linguistique des Observations se fait le plus ambitieuse et rivalise avec le schéma de la répartition des langues du monde en langues flexionnelles et langues agrammaticales/agglutinantes proposé par Friedrich Schlegel.23 Si le rôle réservé au superstrat donne une image moderne de la linguistique d’August Wilhelm Schlegel, il ne faut cependant pas oublier que dans les Observations une cause ultérieure du changement linguistique est à chercher dans la vieille théorie sensualiste des effets du climat:

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dialectes germaniques sur les langues romanes est illustré par l’exemple de l’italien: « Da das Lateinische aus den ältesten Mundarten des Griechischen, das Italienische aber aus der Vermischung von jenem mit dem Gothischen und Longobardischen entstanden ist, welches Deutsche Sprachen waren, so haben sich ja in uns die beyden Zweige der Familie wieder vereinigt » (Schlegel 1798: 12). On rappellera comment la linguistique comparative à ses débuts fait une place importante à la morphologie (bien plus qu’à l’étude des faits phonétiques): c’est le principe même qui régit le chef d’œuvre de Franz Bopp 1816 Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache, paru deux ans avant les Observations. Sur le plan du lexique, en rapprochant les occitans aiga, auzir à la fois des mots latins (aqua, audire) et gotiques (Ahva, Hausjan), Schlegel admet la présence de phénomènes correspondant à la catégorie sociolinguistique de ‹ convergence ›: « Ne pourrait-on pas admettre que le souvenir des deux langues mères se soit quelquefois confondu dans l’esprit de ceux qui parlaient les nouvelles langues vulgaires? » (Schlegel 1818: 99). C’est un point pour lequel il renvoie à son Essai sur l’origine de la langue française resté inédit. Marcello Barbato me fait observer que l’idée d’un mimétisme réciproque entre les populations romanes et germaniques fit long feu; elle se retrouve encore chez Walther von Wartburg 1950: 102 s., 106. La phrase « Les conquérants barbares […], trouvant dans les pays conquis une population toute latine, ou, selon l’expression du temps, romaine, furent en effet forcés d’apprendre aussi le latin pour se faire entendre […] » traduit « die Deutschen Eroberer durch die Überzahl der Lateinischen oder Latinisirten Einwohner sich genöthigt sahen das Lateinische nach und nach zu lernen » (KAV II/1: 21). Le modèle est repris et développé par August Wilhelm selon un schéma triparti distinguant les langues flexionnelles, agrammaticales et agglutinantes.

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L’altération des consonnes et des voyelles dont se composent les mots latins, tient en grande partie à la prononciation, et la prononciation est soumise aux influences climatiques. […] On sait que les montagnards ont, en général, un accent plus rude que les habitans des plaines et des côtes. Mais comment expliquer, par exemple, les ressemblances que le dialecte de Gènes offre avec le portugais, et qu’on ne sauroit attribuer assurément ni à la communication des peuples ni à l’imitation réciproque? (Schlegel 1818: 54).

Ce passage est important parce qu’il permet d’identifier une ‹ source cachée › des Observations dans les travaux de l’abbé Carlo Giovanni Maria Denina (1731– 1813).24 Piémontais, auteur d’un ouvrage historique célèbre, l’Histoire des Révolutions d’Italie (1769–1770), Denina avait été appelé à Berlin en 1782 par Frédéric II de Prusse pour devenir membre de l’Académie royale des sciences. Il dédiera plus tard son ouvrage La Clef des langues à Napoléon.25 Bibliothécaire de l’empereur, il s’installera à Paris en 1804. Une rencontre directe entre Denina et Schlegel, qui séjourna à Berlin de 1801 à 1804, ne semble pas documentée mais il est pratiquement certain que ce dernier connaissait la Clef des langues mentionnée dans une lettre qui lui est adressée par le philologue Heinrich Carl Abraham Eichstaedt le 19 janvier 1804.26 Dans son ouvrage, Denina, en soulignant comment, sous l’influence du climat, deux dialectes distincts et lointains peuvent présenter des affinités, se sert déjà de la comparaison du génois avec le portugais passée ensuite chez Schlegel:27 […] c’est moins par le voisinage que par d’autres rapports également physiques que les langues diffèrent plus ou moins entr’elles. […] le Bolonois diffère du Romain et du Toscan presque plus que le Piémontois; et le Gênois qui n’est séparé du Latium que par la Toscane, est plus différent des idiomes romain et toscan que n’est le Portugais, avec lequel au reste il a beaucoup de rapport (Denina 1804: 2, 34 s.).

La vision des faits linguistiques chez Denina est conforme à sa sensibilité d’historien. Se détachant de la conception des dialectes comme dépendants de la langue nationale, il soutient qu’ils « ne sont pas fils de la langue à laquelle ils appartiennent, mais plutôt ses frères; puisqu’ils existoient avant que la langue dont on pourroit les supposer sortis, fût formée elle-même » (ibid.: 30). Le 24 V. Marazzini 1983; 1984; 2001; Storost 2008. 25 Denina 1804: 2, article VIII, p. 35. Faut-il chercher dans l’adhésion de Denina au champ bonapartiste la cause de la non-explicitation de la citation de ses travaux chez Schlegel, ami fidèle de Mme de Staël, ennemie jurée de l’empereur? 26 Eichstaedt le priait de jouer les intermédiaires auprès d’August Ferdinand Bernhardi pour que ce dernier rédige un compte-rendu du livre pour la Allgemeine Literatur-Zeitung de Jena (v. l’édition en cours de la correspondance de Schlegel dans Strobel/Bamberg 2014–2020). 27 Ces mêmes considérations avaient déjà été énoncées presque mot à mot par Denina dans un essai publié dans les Mémoires de l’Académie royale de Prusse (Denina 1797/1800: 67 s.). Raynouard 1816–1821 (1821): 6, 52, n. 2 (qui aurait pu connaître Denina à Paris) citera ce dernier texte.

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« langage intermédiaire entre la langue italienne, la françoise et l’espagnole » (ibid.: 56) s’étendant des Alpes aux Pyrénées (incluant les dialectes de l’Italie du Nord, la langue des Grisons et des vaudois)28 joue un rôle analogue à celui du « dialecte central » chez Schlegel. Le mot qui désigne les transformations provoquées par « l’influence physique de l’air sur la formation du langage » est d’ailleurs celui même d’altération (ibid.: 57, 58) employé dans le passage des Observations tout juste cité.29 De plus Denina admet l’influence germanique dans le lexique et il croit à une « même disposition organique » (ibid.: 57) de toutes ces langues et dialectes vis-à-vis des facteurs du changement. Ce dernier est un point qui rappelle la conceptualisation, bien plus sophistiquée, qu’on retrouvera chez Friedrich Schlegel (1808) et dans les Observations où on lira que langues et dialectes sont soumises à un développement organique comparable à celui du monde naturel.30 On retrouve de plus chez August Wilhelm et chez Denina l’idée que l’altération agit surtout au niveau de la phonétique. Elle est déterminée par la prononciation (dite aussi accent par Denina), à son tour soumise aux causes climatiques (par ex. « L’accent des Grisons change comme le Languedocien non seulement l’a en o mais l’n en r. D’anima dont les troubadours ont fait alma et arma le Grison fait orma », Denina 1804: 2, 58).31 Ces altérations de sons ne peuvent d’ailleurs pas demeurer sans conséquences sur la graphie (la frontière entre phonèmes et lettres de l’alphabet n’étant pas toujours nette pour les linguistes de l’époque, héritiers en ceci des grammairiens de l’Antiquité).32 Un 28 La mention de la val Varaita, où l’occitan est encore parlé de nos jours, montre que le piémontais Denina était conscient de la présence d’un dialecte provençal au Piémont. Schlegel place lui-même dans la famille du provençal (dans le premier cas avec quelque raison) les dialectes de la Suisse romande (dont il avait une expérience directe par son séjour à Coppet chez Mme de Staël), et en partie, le rumantsch. 29 Chez Denina, altération et corruption sont employés souvent comme synonymes du changement, le deuxième étant le terme courant dans la pensée linguistique de l’époque (qui percevait tout phénomène d’évolution de la langue en termes de décadence ou Verfall v. Haßler/Neis 2009, s. v. Korruption); v. Denina 1804: 3, 96: « comme il n’est pas juste non plus d’appeler corruption ce qui n’est qu’altération, et quelquefois même perfection ou du moins réparation » (à propos de mots créés pendant la latinité tardive). 30 V. par ex. « die Bestandheit und Dauerhaftigkeit dieser Sprachen, von denen man wohl sagen kann, dass sie organisch entstanden sein, und ein organisches Gewebe bilden » (Schlegel 1808: 51); c’est un thème sur lequel on verra Timpanaro 1972/2005: 27–31. Dans les Observations, les langues organiques sont « les langues à inflexions »: « elles renferment un principe vivant de développement et d’accroissement » et ont seules « une végétation abondante et féconde » (Schlegel 1818: 15). Le rôle central de la nature, considérée comme un tout organique, dans l’esthétique romantique d’August Wilhelm Schlegel, est souligné par Becker 1998: 163 s., 189. 31 C’est une acception du mot accent qu’on retrouve chez Mme de Staël, De l’Allemagne, deuxième partie, chapitre 9, Du style et de la versification dans la langue allemande, où il est question des effets climatiques sur la langue et en particulier sur « l’accent » qui « devient plus fort » chez les populations montagnardes, v. De Staël 1813/2017: 256. 32 La presque identité, sur le plan descriptif, de sons et de Buchstaben, régit encore la partie consacrée à la phonétique dans le premier volume de la Grammatik der romanischen Sprachen

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« chapitre sur la prononciation et l’orthographe » du provençal est notamment l’un des desiderata formulés dans les Observations (Schlegel 1818: 59). C’est un souhait qui a une origine précise: il nait directement de la rencontre de Schlegel avec la langue foisonnante des chansonniers.

3.

Philologie: les manuscrits des Troubadours

Pendant des siècles, l’étude de l’occitan avait buté contre les difficultés posées par la lecture des manuscrits. Les chansonniers ayant conservé les poèmes des troubadours étaient un continent presque encore inconnu. Conscient qu’ils renfermaient l’une des clés pour la définition même de la nouvelle poésie romantique, Friedrich Schlegel s’était déjà livré à une exploration du contenu de trois de ces manuscrits – des Liedersammlungen « [s]ehr sorgfältig geschrieben, und zum Theil auch schön und zierlich » (Schlegel 1803: 69) – à l’occasion d’une description rapide des ms. romans de la Bibliothèque royale envoyée à August Wilhelm et publiée dans la revue Europa en 1803.33 Avec l’œil du philologue, le cadet des frères Schlegel observait que la copie des mêmes poèmes dans des ms. différents était de nature à favoriser l’établissement d’un texte fiable. Friedrich avait même pensé d’entreprendre l’étude de la poésie et de la langue des troubadours avec l’aide d’un provençal de naissance qui n’était pas autre que le même Raynouard (v. Richert 1914: 13).34 Malgré les mérites acquis entretemps par Raynouard – dûment soulignés dans les Observations – d’avoir le premier pénétré l’obscurité des chansonniers, ces derniers étaient encore loin d’avoir livré tous leurs secrets. Les difficultés à résoudre pour August Wilhelm sont non seulement

de Friedrich Diez (alors que Wilhelm Meyer-Lübke, dans sa Grammatik der romanischen Sprachen, distinguera clairement, au sujet de la phonétique, entre vocalisme et consonantisme, v. François 2017: 138). 33 Il est difficile d’identifier avec certitude les trois ms. consultés. D’une remarquable qualité esthétique et organisés chronologiquement et par genres poétiques, ils renfermeraient 68 et 120 poètes. Ces chiffres ne correspondent pas au contenu des chansonniers parisiens. Il faut toutefois tenir compte de la difficulté d’identifier, à une lecture rapide, les troubadours présents dans un chansonnier (les mêmes poètes revenant à distance de plusieurs feuillets et figurant souvent parmi les auteurs des tensos, débats entre deux, parfois trois, troubadours différents). On pourrait néanmoins suggérer qu’il s’agissait des chansonniers EIK (fr. 1749 et fr. 854 et 12473), d’autant plus que le contenu de IK étant à peu près le même, les deux ms. s’approchent du chiffre 120 donné par Schlegel (qui ne donne, remarquons-le, en ce qui concerne le nombre des poètes, que deux et non pas trois chiffres différents). 34 Il est intéressant de rappeler que quelques années plus tôt, lors de son séjour parisien de 1797– 1801, Wilhelm von Humboldt avait lui-même commencé à s’intéresser au ‹ provençal › d’un point de vue strictement linguistique tout en récoltant des informations auprès de l’érudit aixois Jules Antoine Alexandre Fauris de Saint Vincent, v. Chambon/Swiggers 1994.

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d’ordre paléographique et orthographique, mais dépendent aussi des artifices de la langue poétique: On est arrêté à chaque pas dans la lecture de ces manuscrits, par des traits indistincts ou à demi effacés, par les abréviations, par le manque de fixité dans l’orthographe; enfin, par l’absence totale de ponctuation, souvent même par l’omission des intervalles entre les mots, ou par la séparation d’un seul mot en deux portions. Mais je suppose qu’on les ait exactement déchiffrés; ce n’est rien encore: il s’agit de les comprendre. La poésie, en général, n’est pas ce qu’il y a de plus facile dans une langue; les chants des Troubadours sont souvent composés avec un artifice très-recherché, dans un style extrêmement concis, énigmatique à dessein […] (Schlegel 1818: 4 s).

Plus loin Schlegel constate que « quelques morceaux d’Arnaud Daniel et de Marcabrus, resteront peut-être toujours indéchiffrables » (ibid.: 7).35 Quant à l’orthographe, alors que Raynouard semble pencher pour une interprétation dialectale des nombreuses fluctuations qu’on rencontre dans les manuscrits,36 Schlegel les attribue à un flottement qu’on pourrait imputer à la position centrale du provençal entre le français au Nord et les langues méridionales: M. Raynouard rapporte en partie les variations de l’orthographe dans les manuscrits des Troubadours, aux diversités de la prononciation qu’il suppose avoir eu lieu dans les différentes provinces. J’objecte à cela que ces manières différentes d’écrire le même mot se rencontrent souvent non seulement dans le même manuscrit, mais aussi dans la même pièce de vers. Je distingue deux espèces de variations dans l’orthographe. Quelques-unes marquent en effet des prononciations différentes; je crois cependant que ces différences n’étoient pas locales, mais admises partout où l’on parloit la même langue, et je les attribue à cette fluctuation dans les formes du provençal, dont je viens de parler. Ainsi, le même poète disoit tantôt chantar et tantôt cantar, tantôt douz et tantôt dolz, se rapprochant ainsi à volonté du françois ou des langues méridionales, et cette latitude se comprend par la position centrale du provençal et par son manque de fixité (Schlegel 1818: 60s.).

35 En matière de difficulté, la poésie des troubadours jouissait d’une réputation solide. Avec une exagération certaine, mais qui en dit long sur le fond, l’érudit et homme politique méridional Pierre Gallaup s’ouvrait, dans une lettre de 1711 à Pauline de Simiane, sur la difficulté de la langue des troubadours: « j’aimerois mieux traduire la langue chaldéenne ou syriaque, ou même l’iroquoise que notre ancienne langue provençale […] » (citation provenant du mémoire inédit d’habilitation – en cours de publication – présenté par Douchet 2018: 207). 36 Schlegel considère insuffisante l’observation de Raynouard 1816–1821 (1816): 1, 175, pour qui « ces légères dissemblances [entre formes et graphies des pronoms personnels] provenaient du système d’orthographe que les copistes adoptaient, ou des variétés de la prononciation modifiée selon les pays ». Observons que Diez 1826: 314–316 se range du côté de la thèse de Raynouard faisant toutefois preuve d’une attitude nuancée. S’il admet que les oscillations dans l’écriture du provençal (pour la plupart d’ordre phonétique) découlent des exigences de la poésie (notamment en matière de rime), il pense néanmoins qu’elles sont redevables de l’Einmischung de formes dialectales.

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La scripta des chansonniers est rarement ‹ orthographique › et nous savons désormais que, dans la langue de la poésie, certains phénomènes porteurs d’une marque régionale (par ex. la palatalisation du /k/ devant /a/ – propre à la partie septentrionale du domaine – représentée, parmi les mots cités, par chantar) perdent toute valeur en vue d’une localisation. D’autre part, l’étude spécifique des chansonniers a montré que la cause principale d’une telle instabilité orthographique réside dans la stratification des sources utilisées par les compilateurs.37 Schlegel (1818: 61 s.), quant à lui, distingue déjà pertinemment des variantes graphiques équivalentes dans leur rendu phonétique. Il observe par exemple que le « copiste provençal écrivoit à son gré salvaie, salvage, salvatie, salvatge » pour « le même son » (/dʒ/) (ibid.: 61). Une solution pratique et radicale des problèmes posés à la lecture par une telle fluctuation lui semble envisageable: […] je pense qu’on pourroit se permettre de régler l’orthographe des Troubadours, c’està-dire de choisir parmi les variations des manuscrits une seule manière d’écrire les mêmes mots et les mêmes sons, en préférant celle qui rappelle le mieux l’étymologie. Je pense aussi qu’on pourroit employer avec avantage les accents, soit pour diriger la prononciation, soit pour distinguer les homonymes. Une seule petite marque orthographique que M. Raynouard [1816–1821 (1816): 1, 442] admet, l’apostrophe, devient un moyen prodigieux de clarté dans une langue remplie d’élisions (ibid.: 61 s.).

En soulignant la nécessité pour l’éditeur de faire preuve « d’une grande exactitude dans ces détails en apparence minutieux » (ibid.: 62), Schlegel ne préconise pas seulement un emploi renforcé des signes diacritiques; il ouvre la voie à la pratique lachmannienne de reconduire le texte édité à une forme orthographique standardisée. Le passage cité reprend de fait l’exigence exprimée en 1815 dans un compte rendu du recueil Altdeutsche Wälder édité par les frères Grimm. Schlegel y soulignait comment la rédaction d’une grammaire de l’allemand médiéval doit se frotter à l’obstacle constitué par la « regellosen Schreibung ungelehrter Abschreiber » responsable d’une « gewisse Verwilderung in grammatischer und orthographischer Hinsicht » (SW XII/6: 405). Ces quelques lignes font déjà état de la même sensibilité qui nourrira la discussion autour de la Höfische Dichtersprache, question qui se hissera au rang d’un véritable ‹ mythe › historiographique (v. Durrell 2000). Karl Lachmann lui-même – chez qui le problème de la forme linguistique du texte édité va de pair avec la reconstitution du texte original – en parlera dès 1820 dans son anthologie du Minnesang.38 La pratique éditoriale courante dans la Altgermanistik d’uniformiser les graphies des ms. (frouwe > vrouwe; chonig > konig; laid > leid, etc.) est encore de nos jours la conséquence directe de ces débats. C’est d’ailleurs la voie suivie en 1857 par K. Bartsch – ger37 V. Zufferey 1987; pour la langue de la poésie lyrique, v. Mölk 1998. 38 Lachmann 1820: viii–x; et on lira l’Introduction signée de sa plume dans Benecke/Lachmann 1827.

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maniste et romaniste – dans son édition de Peire Vidal, la première édition d’un troubadour qu’on peut définir comme scientifique.39 La position du Schlegel ‹ germaniste › est certainement moins ‹ nationaliste › que rationaliste. Son intérêt, dans les Observations, est tout aussi tourné vers les implications réciproques de la grammaire et de la philologie. Il salue l’éclaircissement des règles du système bi-casuel par Raynouard (et par Bastero avant lui) parce qu’il facilite la compréhension des textes (Schlegel 1818: 31 s.). Il montre comment la comparaison des manuscrits, par l’étude des variantes synonymiques, revêt un intérêt particulier pour la lexicographie (ibid.: 117). Surtout, en se penchant le premier sur les problèmes posés par l’existence d’une altprovenzalische Schriftsprache qui devait faire couler beaucoup d’encre, Schlegel considère le problème de l’orthographe non pas en fonction des aléas de la tradition manuscrite; il en fait bien plus une condition structurelle du provençal, en le situant sur le plan de la synchronie. C’est le signe d’une sensibilité poétique et rhétorique encore classicisante qui porte Schlegel à voir dans le foisonnement de formes et graphies moins une richesse qu’une faiblesse de la langue.

4.

Questions esthétiques

D’un bout à l’autre, l’étude du provençal dans les Observations est surtout soustendue par une visée esthétique. L’éloge même des « langues à inflexions » (Schlegel 1818: 15) qui sert d’introduction à la distinction entre langues synthétiques et analytiques, a une forte connotation esthétique. Il s’agit d’un véritable hymne à leur structure organique, c’est-à-dire, comme nous l’avons rappelé, à leur capacité presque biologique de création grammaticale et lexicale. La beauté des langues classiques (v. ibid.: 17) n’est pas niée même aux langues analytiques comme les langues romanes et l’anglais (« ces belles langues », ibid.) qui possèdent des littératures importantes.40 Les beautés du provençal sont d’ailleurs incontestables malgré ses quelques faiblesses, notamment dans la substance phonétique de la langue: Si, par un autre concours d’événemens, par l’établissement du centre de la monarchie dans le midi, le provençal fût resté ou devenu la langue dominante en France; si cette belle langue se fût maintenue au même degré de faveur dont elle jouissoit autrefois, jusqu’à la 39 Cette pratique connaîtra un succès certain chez les éditeurs allemands des troubadours; elle sera ensuite abandonnée à la faveur de la confiance accordée, pour la présentation graphique du texte critique, à un manuscrit pris comme base de l’édition. 40 August Wilhelm Schlegel a été d’ailleurs le traducteur de Shakespeare. La prise en considération conjointe de l’anglais et des langues romanes (l’anglais étant encore considéré comme une langue intermédiaire entre ces dernières et les langues germaniques) conduira en Allemagne à la création des premières chaires en littérature anglaise et romane.

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renaissance des lettres et l’invention de l’imprimerie, et qu’elle eût reçu alors une culture plus savante, la littérature nationale eût pris un tout autre caractère. Le provençal du temps classique réunit, jusqu’à un certain point, la rapidité légère du françois avec les teintes chaudes et l’harmonie sonore du midi. Sous le rapport musical, on pourroit désirer cependant qu’il y eût moins de monosyllabes et moins de consonnes finales (Schlegel 1818: 56).

Le destin de la littérature provençale est ainsi lié au destin d’une langue dotée de plusieurs atouts mais qui n’était pas exempte de « rudesse » (ibid.). Une histoire politique différente, par un apport savant, aurait donné vie à une littérature plus ‹ philosophique ›, alors que la littérature provençale s’identifie essentiellement avec la poésie, seule garante des beautés de la langue: […] langue flexible, et qui prêtoit beaucoup à l’harmonie imitative: on aperçoit une douceur insinuante dans les poésies amoureuses, et, d’autre part, dans les chants guerriers de Bertrand de Born, on croit entendre le fracas des armes. Arnaud Daniel a souvent fait exprès des vers durs, mais qui étonnent par la brièveté des sentences (ibid.: 56 s.)

La ‹ flexibilité › de la langue est ici à prendre au sens plastique (plutôt que comme une allusion aux traces de la flexion latine conservées par le système bi-casuel) et est à mettre en relation avec sa capacité de s’adapter aux exigences de la langue de la poésie.41 Schlegel identifie chez Arnaut Daniel le défaut d’un emploi massif de mots monosyllabiques. C’est une remarque qui ne correspond pas à notre sensibilité ‹ moderniste ›: c’est précisément dans l’emploi des monosyllabes que résidait pour Ezra Pound la manifestation du génie d’Arnaut Daniel.42 Schlegel, dont l’œil critique est toujours avisé, est néanmoins conscient qu’un tel ‹ défaut › avait été cultivé à escient par le troubadour pour mettre en relief le contenu de ses poèmes (les sentences). Une longue tradition scientifique, mesurant la qualité d’une langue non seulement à partir de sa structure logique mais aussi par le son, constitue l’arrièreplan de ces considérations.43 Dans la terminologie médiévale on parlait de dul41 Dans l’Encyclopédie de d’Alembert/Diderot, entrée Prononciation (non signée) on lit: « On appelle prononciation ornée celle qui est secondée d’un heureux organe, d’une voix aisée, grande, flexible, ferme, durable, claire, sonore, douce & entrante; car il y a une voix faite pour l’oreille, non pas tant par son étendue, que par sa flexibilité, susceptible de tous les sons depuis le plus fort jusqu’au plus doux, & depuis le plus haut jusqu’au plus bas » (N. N. 1765: 456; à part pour prononciation ornée, le soulignement est mien). 42 Pound 1954/1968: 114 qualifie sa traduction de L’aura amara comme un exemple de « clear sound, with staccato »; par staccato, Pound pointe l’emploi de chaines de mots monosyllabiques, v. Eastman 2014. 43 Il en restera une trace curieusement anachronique dans l’édition italienne de la Romanische Sprachwissenschaft de Heinrich Lausberg où la présentation de chaque langue romane est accompagnée d’un ‹ jugement › esthétique considérant son rendu des émotions via son propre rythme et son « armonia fonetica » (Lausberg 1956/1971: 50). Lorenzo Tomasin, qui a aussi

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cedo. C’est une idée qui revient dans les Observations, outre que pour la « douceur insinuante des poésies amoureuses » qu’on vient de citer, à propos de l’ajout supposé en italien et en espagnol de voyelles finales « par voie d’adoucissement » (Schlegel 1818: 43). La perte du « tact étymologique » chez les populations romanes expliquerait comment des langues si douces ont pu se former du latin dont les désinences en consonnes sont assez dures, et de l’ancien théotisque, qui avoit des désinences sonores, mais beaucoup d’âpreté dans le concours des consonnes, et plus encore dans les aspirations (ibid.: 37).

Le climat est, lui, la deuxième cause principale du changement.44 La question de la dulcedo, traitée dans les Observations sous l’angle de l’histoire de la langue et du changement linguistique, a son pendant littéraire dans la poétique du Wohlklang (ou ‹ mélodie de la langue ›) très en vogue au 18e siècle.45 Elle avait fait l’objet, chez Schlegel, d’un long développement dans les leçons d’esthétique de Jena (contemporaines de la Wettstreit der Sprachen). Il y admettait aussi l’origine naturelle du langage à travers l’onomatopée,46 idée qu’il trouvait chez Rousseau. Ce dernier est d’ailleurs cité lorsqu’est affirmée l’importance du facteur climatique qui fait que les sanfteren Sprachen (les langues les plus douces, dont l’italien, la plus musicale des langues) naissent spontanément sous les climats méridionaux.47 Voici d’après Schlegel la liste complète des facteurs ‹ poétiques › faisant la beauté d’une langue: Die poetischen Vorzüge der Sprache lassen sich einteilen 1. in allgemeine, dergleichen sind der Wohlklang, Lebendigkeit, Bildlichkeit, Klarheit, Kürze, Reichtum und Freiheit. 2. in besondere, d. h. ausgezeichnete Anlagen zu einem bestimmten Gebrauche, Würde,

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remarqué cette singularité de l’édition italienne de l’œuvre de Lausberg, prépare une publication sur la question. « Sous un ciel favorable au sentiment musical, tel que celui d’Italie, il en est résulté des soins délicats d’euphonie que peu de langues ont égalés » (Schlegel 1818: 37). V. Haßler/Neis 2009, s. v. Wohlklang. Rappelons que Diez 1826: 312 s. fera, lui aussi, encore une place à la question du Wohlklang, avant de conclure, prudemment, que notre ignorance de la prononciation exacte des consonnes finales, induit à suspendre tout jugement au sujet de leur prétendue dureté. V. KAV I: 10, § 28 (Vorlesungen über philosophische Kunstlehre) et, encore, dans les leçons berlinoises, KAV I: 403 (Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst [Berlin 1801–1804], Erster Teil. Die Kunstlehre [1801–1802]). V. KAV I: 16, § 52 (Vorlesungen über philosophische Kunstlehre). Quelques observations au sujet du Wohlklang avaient déjà été formulées dans les Briefe über Poesie, Silbenmass und Sprache de 1795 (SW VII/1: 98–154) et, dans des termes encore plus proches des leçons de Jena, dans un autre texte de la même époque, les Betrachtungen über Metrik an Friedrich Schlegel (SW VII/1: 155–196, 158). Il est intéressant de rappeler que ces considérations ont été fidèlement reprises dans De l’Allemagne de Mme de Staël dans le passage (II, 9) cité plus haut dans la note 31.

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Edelheit (Adel), Stärke, Lieblichkeit, Leichtigkeit, Drolligkeit und alle eigentümliche Charaktere, insofern sie etwas Poetisches haben (KAV I: 16, § 52).

Loin d’être un simple élément décoratif (« ein zufälliger Nebenzierrat der Sprache », ibid.), le Wohlklang est quelque chose qui touche la couche la plus intime de la langue (« greift überall in das innerste Wesen der Sprache », ibid.). Un certain avantage revient aux langues qui abondent en voyelles, plus représentatives du son de la voix humaine et plus agréables (« angenehmer », ibid.) à l’oreille que les consonnes, qui à elles seules ne produisent qu’un bruit sourd (« Die Konsonanten würden ohne diese Hilfe eines Vokales dumpfes Geräusch machen, nichts Stimmähnliches haben », ibid.: 18, § 57). Suivent des exemples touchant la prononciation des voyelles (en incluant la question du hiatus)48 et des consonnes ou groupes de consonnes dans les langues principales. On ne trouve, à ce stade, encore rien sur le provençal. Il fera sa première apparition dans les leçons berlinoises où est traitée la question du Wohlklang. Il y fait figure (ce qui sonne comme une pique ‹ anti-française ›) d’une langue belle et mieux formée que l’ancienne langue de la France du Nord.49 Les critères énoncés dans les leçons de Jena se retrouveront surtout encore à la base des réserves exprimées dans les Observations sur la tenue du provençal en termes de Wohlklang: comme le français, il est moins abondant en voyelles que les langues méridionales; tel l’allemand, il présente des groupes de consonnes difficiles à prononcer. Voici, clairement formulée, ‹ la loi › sur laquelle butera le provençal:50 Alle Konsonanten sind vor den Vokalen leichter auszusprechen und folglich angenehmer als nach denselben. […] Mehrere Völker haben die Konsonanten vom Ende verdrängt, so die Griechen, Römer, außer r, n, c, x, b und h; im Italienischen auch so. Die Römer waren weniger delikat (zartsinnig) darin, so amant usw. Bei uns kommen alle Konsonanten am Ende vor (KAV I: 19).

Quant à l’autre faiblesse du provençal, consistant dans la présence d’un grand nombre de monosyllabes, elle est mise en évidence dans ces propos sur la Kürze 48 Des observations sur les bienfaits esthétiques du hiatus dans la versification italienne et dans les « vers provençaux » se lisent dans les Observations (Schlegel 1818: 64). 49 « Das Nordfranzösische hat sich überhaupt spät ausgebildet, und ist im Vergleich mit seiner Schwester, der schönen und im Mittelalter allbeliebten Provenzalischen Sprache lange eine unförmliche Mundart geblieben » (KAV I: 424); la citation fait partie d’un excursus (ibid.: 416 s.) consacré à une comparaison des principales langues anciennes et modernes où il est abondamment question du Wohlklang (dont les spécificités sont définies, plus rapidement que dans les leçons de Jena, ibid.: 412 s.). 50 La recette gagnante consiste dans un mélange de voyelles et de consonnes (KAV I: 20, § 61). La question du Wohlklang se retrouve aussi dans quelques passages de la Wettstreit (Schlegel 1798: 17 s., qui à son tour reprend les considérations développées dans les Grammatische Gespräche). La critique faite à l’allemand trop riche en consonnes finales remonte au moins à Klopstock comme on l’apprend par les Betrachtungen über Metrik (SW VII/1: 158).

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(‹ brièveté ›, catégorie de l’expression particulièrement prisée par Klopstock) tirés des leçons de Jena: Es ist eine falsche aber herrschende Vorstellung von der Kürze, daß sie durch Einsilbigkeit der Wörter, also auf Kosten des Wohlklanges erreicht werde. Die schöne Kürze ist vielmehr mit der Vielsilbigkeit sehr verträglich und beruht auf der Zusammenfassung von mehreren Hauptbegriffen und einer Menge von Nebenbestimmungen in der größern Masse einzelner Wörter, dann auf der Befugnis zu kühnen Auslassungen, welche wiederum durch die genaue Bezeichnung der Verhältnisse an den Wörtern bestimmt wird (KAV I: 30, § 79).

Une telle aversion pour les mots monosyllabiques, déjà stigmatisés chez Arnaut Daniel, maître de la brièveté, peut s’appuyer sur des considérations rhétoriques remontant au moins à Quintilien (Institutio oratoria, IX 4 « Etiam monosyllaba, si plura sunt, male continuabuntur »).51 Elle pourrait chez Schlegel (qui admettait pourtant le rôle de l’onomatopée) se doubler d’une veine polémique naissante contre les thèses concernant l’origine naturelle du langage à partir exclusivement d’exclamations et monosyllabes.52 Une dernière faiblesse du provençal réside dans sa polymorphie: Un défaut du provençal qui lui est commun avec le françois, c’est l’abondance des homonymes. […] Ces petits mots de liaison qui remplissent les intervalles entre les mots essentiels, doivent attirer l’attention le moins possible: or, s’ils varient sans cesse, ils vous distraient; il est donc utile qu’ils soient toujours les mêmes. Mais, dans le provençal, il y a trois ou quatre formes différentes, quelquefois davantage, pour les articles, les pronoms personnels et possessifs, et une foule de particules qui reviennent à chaque instant. Les anomalies des verbes aussi sont très-grandes. On ne sauroit blâmer une langue d’avoir un certain nombre de verbes anomaux: trop de régularité deviendroit monotone. Cependant il suffit bien d’une seule anomalie pour chaque inflexion d’un verbe; en provençal, on trouve assez souvent deux ou trois manières différentes, toutes anomales, de former la même personne du même temps. Cette multiplicité superflue rend une langue plus difficile à apprendre, sans que la peine soit rachetée par une véritable perfection (Schlegel 1818: 57 s.).

51 On verra aussi l’entrée monosyllabe dans l’Encyclopédie: « Une langue qui abondera en monosyllabes sera prompte, énergique, rapide, mais il est difficile qu’elle soit harmonieuse; on peut le démontrer par des exemples de vers où l’on verra que plus il y a de monosyllabes, plus ils sont durs » (N. N. 1751: 669). La même idée se trouve déjà dans la Wettstreit der Sprachen où le Romain dit: « Soll die Sprachkürze dichterischen Werth haben, so muß sie der Schönheit nicht Eintrag thun. Das thut aber die Einsylbigkeit. Zur Würde gehört ein gewisser Umfang der Worte. Die Schönheit liebt tönende und durch den Wohlklang beflügelte Vielsylbigkeit » (Schlegel 1798: 55). 52 On pourra aussi rappeler que parmi les langues agrammaticales, bien moins estimées par les frères Schlegel que les langues flexionnelles, on compte le chinois dont déjà Friedrich Schlegel 1808: 45 avait souligné la singulière Einsylbigkeit.

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Tout lecteur de la poésie provençale a dû s’habituer à un tel foisonnement de formes que les anciens grammairiens avaient cherché à réduire.53 Schlegel, pendant l’hiver 1814/1815, avait copié suffisamment de poèmes à partir des manuscrits de la Bibliothèque Royale pour s’en rendre compte (v. Schlegel 1842/ 1846: 5).54 Il suffit d’ailleurs de parcourir la grammaire de Raynouard (1816–1821 [1816]: vol. 1), pour tomber sur des séries pronominales comme Ela, ella, elha; lei, leis, lieis, lyeis, lieys (ibid.: 175, où les différences sont pour l’essentiel graphiques), ou bien pour constater que la P1 du présent de l’indicatif peut exhiber un morphème ‹ zéro ›, -e ou -i (ibid.: 303), et que pour la P3 du parfait de faire on trouve trois formes distinctes: fis, fez, fe (ibid.: 315). Il n’échappe pas à Schlegel (1818: 58) que le « seul avantage qui en résulte » c’est « la facilité de la versification ». Ces « tours de force […] qu’on imiteroit difficilement dans aucune autre langue » (ibid.) restent surtout sans postérité à défaut, comme nous allons le voir, de pouvoir irriguer significativement la nouvelle poésie romantique.

5.

La poésie romantique et le provençal: une impasse

Les conséquences esthétiques des découvertes de Raynouard et de Schlegel sont à double tranchant. On reste, en lisant les Observations, dans le doute si la découverte de la littérature provençale justifiait pleinement les espoirs placés en elle par les savants. L’étude de l’occitan visait à percer le mystère de la poésie des troubadours qui est, pour les frères Schlegel, un moment fondateur de la poésie romantique (« ce sujet si important pour les origines de la poésie moderne », Schlegel 1818: 1). Il suffira de citer – en raison de sa résonnance européenne – un passage de De l’Allemagne de Mme de Staël (deuxième partie, chapitre 11, De la poésie classique et de la poésie romantique) rédigé sous le contrôle du même Schlegel: Le nom de romantique a été introduit nouvellement en Allemagne pour désigner la poésie dont les chants des troubadours ont été l’origine, celle qui est née de la chevalerie et du christianisme. Si l’on n’admet pas que le paganisme et le christianisme, le nord et le midi, l’antiquité et le moyen âge, la chevalerie et les institutions grecques et romaines, se sont partagé l’empire de la littérature, l’on ne parviendra jamais à juger sous un point de vue philosophique le goût antique et le goût moderne (de Staël 1813/2017: 269).

53 Diez 1826: 311 considère aussi la richesse de formes homonymes du provençal un défaut. 54 Ces transcriptions sont conservées dans le Nachlass de August Wilhelm Schlegel de la Sächsische Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden; voir le catalogue manuscrit de Helmut Deckert de 1981 (unité n. LXI), consultable dans le site [consulté le 19. 11. 2020].

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La formulation de Mme de Staël est d’autant plus intéressante que, se faisant le héraut de la nouvelle école, elle essaie de ménager un certain penchant pour le classicisme enraciné dans le goût du public français. Le qualificatif de romantique avait été réservé d’emblée à la seule poésie romane par Friedrich Schlegel, l’inventeur même de la formule dans Über das Studium der griechischen Poesie (1798).55 Il y plaçait déjà la poésie médiévale (avec une mention particulière pour Dante) aux origines de la poésie moderne.56 Dans le texte paru dans Europa cité plus haut, il parle encore de cette « schönen, südlichen Poesie, die wir vorzugsweise die romantische zu nennen gewohnt sind » (Schlegel 1803: 50). Il revient pourtant à August Wilhelm Schlegel, dans les Berliner Vorlesungen (1803– 1804), d’élargir le champ en essayant d’écrire « eine Geschichte und Charakteristik der eigenthümlichen Poesie der Hauptnationen des neueren Europa » (KAV II/1: 1).57 Il y déclare ouvertement la poésie des provençaux comme mère de la poésie italienne, cette dernière étant à son tour la mère de la poésie des Nations européennes (ibid.: 130–143).58 Un tel paradigme évoluera encore dans le temps en incluant tout naturellement la poésie allemande médiévale, ce qui ne sera pas sans poser un problème d’ordre critique. Pour Friedrich Schlegel, l’esprit germanique a laissé son empreinte sur l’ensemble de la poésie européenne, y compris sur l’art des troubadours.59 Il distinguera ensuite un développement en parallèle des lyriques allemande et romane médiévales en niant toute influence de cette dernière sur la première.60 August Wilhelm, dans la Wettstreit, avait pourtant fait dire malicieusement au personnage représentant la langue française que « Die Minnesinger borgten schon von unsern Provenzalen, und noch jetzt » (Schlegel 1798: 66). Dans les Observations il conclut toutefois que chez les anciens poètes allemands « un autre caractère domine dans l’expression des mêmes sentiments » (Schlegel 1818: 75).61 Ce faisant, il ne tient pas compte de ce qu’avait soutenu Johann Jakob Bodmer (1763: 78–98) affirmant la dépendance des poètes allemands des provençaux. Bodmer avait été suivi par J. Görres qui concluait en

55 Sur l’évolution du terme romantique et sur le concept de poésie romantique chez Friedrich Schlegel, v. Belgardt 1967 et Köppe 2017. 56 Pour le rôle joué par Dante, v. Bartuschat 2011. 57 À partir des leçons berlinoises, l’emploi du terme romantique devient strictement historique. Il est néanmoins intéressant d’observer comment, dans les leçons de Jena, le terme prend la valeur de ‹ langue du peuple ›: « Romantische Volkspoesie. Romanze, Ballade. Romanze ist die passendste Benennung, weil sie in romantischer Sprache, das ist Volkssprache, abgefaßt sind » (KAV I: 117, § 253; l’italique en fin de citation est le mien). 58 Über die Provenzalen, dont les sources principales sont encore Jean de Nostredame, l’Abbé Millot et Jean-Baptiste de La Curne de Sainte-Palaye. 59 On verra les considérations, sur un ton très fortement nationaliste, contenues dans les Grundzüge der gotischen Baukunst (Schlegel 1804/1805: 227). 60 Dans les leçons viennoises de 1812; v. KFSA VI: 184. 61 Le même avis est exprimé dans les leçons tenues à Bonn en 1818/1819, v. Schlegel 1913: 138.

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faveur de l’existence d’une Geistesverwandtschaft entre les deux poésies.62 Diez (1826: 256, 262), en bon élève de Schlegel, verra principalement dans les ressemblances – à l’exception des cas d’imitation avérée (notamment de Folquet de Marselha par Rudolf von Fenis) – l’expression du Character der Zeit. Sur le terrain de la critique, la promotion au niveau européen du concept métahistorique de poésie romantique ne pouvait probablement pas tolérer une suprématie affichée de la poésie provençale qui aurait donné à la France (cette dernière se retrouvant à la fois un bastion du classicisme et le berceau de la poésie romantique) un avantage important. Le bilan de la découverte de la poésie provençale dressé à la fin des Observations est donc mitigé. Sur un ton presque mondain, Schlegel semble même suggérer qu’une telle découverte est de nature à intéresser surtout les historiens:63 « A une époque où tous les esprits sont tournés vers des nouvelles idées, il est peut-être particulièrement utile de réveiller le souvenir d’un passé déjà lointain » (Schlegel 1818: 81). Les Observations, l’œuvre qui aurait pu lancer définitivement la poésie provençale, sembleraient ainsi se réduire à une expertise de haut vol. En retard par rapport à Raynouard et loin des bibliothèques parisiennes, il aurait été difficile pour Schlegel, désormais impliqué dans la vie de l’Université de Bonn et occupé par ses études philologiques sur le sanscrit, de continuer le travail en profondeur. Le flambeau allait être repris, toujours du côté allemand, par Friedrich Diez qui devait en bonne partie à Schlegel son élection à cette même Université de Bonn (v. Richert 1914: 58–62).64 La dédicace de Die Poesie der Troubadours (1826) à Schlegel (« dem gelehrten und geistvollen Beurtheiler der Sprache und Litteratur der Provenzalen »), scelle l’héritage en même temps qu’elle indique la voie de sortie par rapport aux pratiques de la science romantique. De plus, Schlegel lui-même reconnait, en justifiant auprès de Claude Fauriel une visite manquée à Raynouard lors d’un voyage parisien, avoir « abandonné les troubadours pour les brahmins ».65 Il dira, en employant une expression semblable, d’avoir aussi abandonné la critique littéraire: « Je suis un Brahme qui s’est retiré de la littérature: mes gymnosophistes 62 V. la Vorrede dans Görres 1817 et Schultz 1902: 141–143. 63 Il pensait, entre autres, probablement à Claude Fauriel avec qui il entretint des relations étroites et qui devait plus tard publier une Histoire de la poésie provençale, 1845 (cours tenu en Sorbonne en 1830–1831). 64 Diez, déjà nommé professeur extraordinaire en charge de l’enseignement des langues romanes méridionales depuis 1823 (Richert 1914: 58 cite un rapport d’évaluation rédigé par Schlegel en faveur de Diez précédent cette élection), devint professeur ordinaire en 1830. Il est intéressant de rappeler qu’il faillit se retrouver comme concurrent ou comme collègue Giacomo Leopardi, sondé en 1826 par Christian Karl Josias von Bunsen en vue d’occuper à Berlin ou plus probablement à Bonn une chaire consacrée à l’enseignement de la littérature italienne (lettre de Bunsen du 27. 01. 1826 et réponse de Leopardi du 01. 02. 1826, dans Brioschi/Landi 1998). 65 Lettre à Claude Fauriel du 21. 09. 1821, [consulté le 05. 10. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020.

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vont avant tout ».66 La perte de souffle de la première génération romantique aidant, c’est la participation au débat visant la création de « nouvelles idées » qui paraît reléguée désormais au passé. Le temps de la poésie (une poésie reposant sur le socle de la philologie) cède ainsi la place à la philologie en tant que science purement historique, la recherche des racines romantiques de l’Europe à l’étude de l’Inde et de sa littérature.

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Isabel Zollna

August Wilhelm Schlegel und die Anfänge der Sprachtypologie: Adam Smith, Friedrich Schlegel und Franz Bopp

1.

Vorgeschichte: Von den Sprachsammlern zum génie-Begriff

Sprachtypologische Überlegungen und der mehr oder weniger systematische Sprachvergleich tauchen relativ früh auf. So zählt man zu den ersten typologischen Klassifizierungen von Sprachen die Gegenüberstellung des Spanischen, Provenzalischen (Okzitanischen), Italienischen und Französischen von Dante Alighieri (1265–1321) aus dem frühen 14. Jahrhundert (De vulgari eloquentia, 1304), der anhand der Ausdrücke für ja die für ihn wichtigsten Sprachen unterscheidet. Er spricht für den Süden von den lingua de si, lingua de oc, lingua de oïl und für den Norden von den Sprachen, die mit jo bejahen: »nam alii oc, alii oïl, alii sì affirmando locuntur, ut puta Yspani, Franci et Latini« (Dante Alighieri 1304, zit. n. Coseriu/Meisterfeld 2003: 131). Wie bei vielen anderen Sprachsammlern auch werden als Vergleich – und vor allem zur Betonung der Verwandtschaft – bis in das späte 18. Jahrhundert Ähnlichkeiten im Wortschatz herangezogen. Für Dante sind dies die Ausdrücke für ›Gott‹, ›Himmel‹, ›Liebe‹, ›Meer‹, ›Erde‹, ›ist‹, ›lebt‹, ›stirbt‹, ›liebt‹ (»Deus, celum, amorem, mare, terram, est, vivit, moritur, amat, alia fere omnia […]«), die einen gemeinsamen Ursprung annehmen lassen (ebd.: 132). Nach den Sprachensammlungen1 seit Gessners (1516–1565) Mithridates (1555) ist es Lorenzo Hervás y Panduro (1735–1809), ein Jesuit, der 1785 ca. 40 Grammatiken von Indianersprachen veröffentlichte und als erster den Fokus vom reinen Wortvergleich auf die Grammatik, also die Struktur lenkt. Erst 1800–1805 wird eine spanische Ausgabe (6 Bände) möglich;2 Hervás musste als Jesuit Spanien verlassen und ging nach Rom ins Exil. Anhand von ca. 300 Sprachen vergleicht er die Syntax des Vater Unser. Erst mit Lorenzo 1 Hierzu zählen vor allem Scaliger (1540–1609): Thesaurus temporum (1610) mit einer Einteilung in 11 Hauptklassen nach dem Ausdruck für ›Gott‹, Pallas (1741–1811): Linguarum totius orbis vocabularia comparativa (1786) mit einem Vergleich von ca. 200 Sprachen. Vgl. Bodmer 1943/1997: 163. 2 Catálogo de las lenguas de las naciones conocidas y numeración, división, y clases de éstas según la diversidad de sus idiomas y dialectos, Madrid 1800–1805, Nachdruck Madrid: 1979.

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Hervás y Panduro wurde in Sprachensammlungen die Rolle der Grammatik – die Syntax – als Unterscheidungs- bzw. Vergleichskriterium hervorgehoben. Er ist der Erfinder der Interlinearübersetzung, um die syntaktischen Besonderheiten zeigen zu können. Diese neue Methode des Sprachvergleichs anhand von Satzstrukturen und ganzen Sätzen wird dann auch von Adelung übernommen: Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser in beynahe fünfhundert Sprachen und Mundarten. Er konnte durch die Missionarssammlungen auf ca. 500 Sprachen/Texte zurückgreifen. Als einer der ersten Sprachdenker, dem es nicht um Sammlungen möglichst vieler Sprachen geht, sondern der Sprachtypen ausschließlich anhand der grammatischen Struktur des Satzes – der Wortstellung – aufstellt, ist Abbé Girard3 (1677–1748) zu nennen, der allerdings im engen Rahmen des Interesses an den Prinzipien des Französischen gerade nicht die Vielfalt zeigt, sondern das Gleiche, Universelle hervorhebt. Mitte des 18. Jahrhunderts teilt er die Sprachen in drei Klassen ein, wobei diese Klassen das »génie de la langue« repräsentieren: die langues analogues (Girard 1747: 24), die ohne Deklination (Kasus) und mit Artikel die Stellung Subjekt-Verb-Objekt haben und damit die sogenannte ›natürliche‹ oder ›logische‹ Struktur des analytischen Denkens aufweisen. Sprachen wie das Lateinische gehören zur zweiten Klasse der langues transpositives; sie haben eine freie Wortstellung, keine Artikel, brauchen daher die Kasusflexion. Die dritte Klasse nennt er die langues mixtes (oder amphilogiques, vgl. ebd.: 25): Sie besitzen einen Artikel und eine freie Wortstellung wie das Griechische. Zu den Sprachen mit der ›natürlichen, logischen‹ Satzstellung – im 18. Jahrhundert überwiegend als besonders positives Qualitätsmerkmal angesehen – gehören natürlich das Französische, aber auch das Spanische und Italienische. Zu den transpositives zählt er »le Latin, l’Esclavon & le Moscovite« (ebd.), bei denen es sich wohl um die slawischen Sprachen handelt. Das heißt, wir haben es bei Abbé Girard zwar mit weniger Sprachen und vor allem sehr vertrauten Sprachen zu tun, dafür aber liefert er eine Klassifizierung nach einem prägnanten Merkmal der syntaktischen Konstruktion. Damit kann er als ein früher oder ›verfrühter‹ Vorläufer in der Geschichte der Sprachtypologie gesehen werden, der im frühen 19. Jahrhundert nicht rezipiert wird, zumal der Titel seines Werks eigentlich nur auf eine für das 18. Jahrhundert typische philosophische Analyse des Französischen (und seiner Vorrangstellung als langue philosophique) schließen ließ. Festhalten muss man jedoch, dass der Begriff des génie de la langue oder des genius, wie es dann 1761 bei Adam Smith heißt, ein Vorläufer oder eine frühe Form des Begriffs des Sprachtyps ist. Adam Smith kannte die Les vrais principes von Gabriel Girard (vgl. Coseriu 1970: 15). 3 Les vrais principes de la langue françoise ou La Parole réduite en méthode, conformément aux lois de l’usage. Paris 1747. 2 Bde.

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2.

Der Beginn der Sprachtypologie

2.1

Adam Smith, Considerations Concerning the First Formation of Languages, and the Different Genius of Original and Compounded Languages, London 17614

Mit Adam Smith, so Eugenio Coseriu (1980), beginnt die Sprachtypologie, da er grundlegende Unterschiede in den »Verfahren«, also Bildungsprinzipien oder der Struktur der Sprachen annimmt. Auch er verwendet den Genie-Begriff (genius), um das ›Typische‹ oder die ›typologischen‹ Merkmale der Einzelsprachen zu bezeichnen. Wobei allerdings zu beachten ist, dass das Typologische im modernen Sinne ja eine Klassifizierung ist, die nach spezifischen Gemeinsamkeiten mit anderen Sprachen sucht und nicht unbedingt beim Partikularen stehenbleibt. Bei Adam Smith handelt es sich erstmals um morphologische Prinzipien und nicht nur um einen Wörter- oder Syntaxvergleich. In den Analyseschritten und Vergleichsparametern erleben wir also eine graduelle Verfeinerung: Von der Lexik über die Satzstruktur dringt man zur Wortstruktur, zur Silbe vor. Adam Smith unterscheidet die Sprachen zudem aus einem historischen Blickwinkel, der die vorhandene Wortstruktur als Ergebnis eines Bildungsprozesses auffasst, der genealogisch vom Anschaulich-Einfachen zum Abstrakt-Komplexen voranschreitet (1. Teil). Er analysiert die genetische Entwicklung der einzelnen Wortarten in der Ausbildung von Sprache überhaupt (vgl. Smith 1761/ 1861: 510–531). Im ersten Teil seiner Schrift findet man viele Anklänge an die sensualistische Sprachphilosophie; so nimmt er ein universelles Verb zum Ausdruck der Existenz an, das verbe substantif (»There is in every language a verb, known by the name of the substantive verb«, ebd.: 531), das in der Grammaire générale-Tradition auf die Funktion der Kopula reduziert ist.5 Im zweiten Teil der Abhandlung finden wir dann die typologischen Erörterungen. Er schlägt eine grundsätzliche Unterscheidung der Sprachen in »uncompounded« (›unzusammengesetzte‹) und »compounded languages« vor. Die ›unzusammengesetzten‹ Sprachen sind ursprünglicher, weil sie nicht durch Sprachkontakt bzw. Kultur4 Zit. nach der Ausgabe Tübingen: Narr von 1970, der die Ausgabe von 1861 (London edition) zugrunde liegt. 5 Diese Auffassung des Verbs sein (esse) als Ausdruck der Existenz kritisiert Bopp 1816 und sieht in ihm nur die Kopula: »Unter Zeitwort oder Verbum im engsten Sinne ist derjenige Redetheil zu verstehen, welcher die Verbindung eines Gegenstandes mit einer Eigenschaft, und deren Verhältnisse zu einander ausdrückt. – Das Verbum, nach dieser Bestimmung, hat für sich gar keine reelle Bedeutung, sondern ist blos das grammatische Band zwischen Subjekt und Prädikat […]. Es giebt unter diesem Begriffe nur ein einziges Verbum, nämlich das sogenannte Verbum abstractum, S e y n, esse« (Bopp 1816: 3) Er sieht sich aber immerhin verpflichtet, diesen sprachlogischen Gedanken aus der Tradition der Grammaire générale aufzugreifen.

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kontakt vermischt wurden. So wäre eine dieser »original languages« das Griechische, da die Griechen, so Smith, ihre Sprache aus sich selbst heraus geschaffen hätten: »The Greeks formed their language almost entirely among themselves« (Smith 1761/1861: 533). Das Lateinische hält er für »less complex than Greek« (ebd.) – und zu den zusammengesetzten »compounded languages« gehören moderne Sprachen wie Französisch und Italienisch: »French, Italian […] are each of them compounded« (ebd.). Für Adam Smith – und da ist er sehr modern – ist der letztlich bestimmende Faktor für die Ausdifferenzierung der Sprachen der konkret historische Sprachkontakt, womit er über einen rein typologischen Vergleich hinausgreift.

2.2

Die Rolle der Entdeckung des Sanskrit – Paris (1803–1818)

Keine andere Sprache hat wohl je einen solchen Schub an typologischen Fragestellungen und Forschungen ausgelöst wie das Sanskrit, das 1786 schon von William Jones als Kandidat für einen gemeinsamen Ursprung vieler europäischer Sprachen angesehen wurde: Er ging davon aus, dass »[…] die klassische Sprache des alten Indien, […] unzweifelhaft mit den klassischen Sprachen und höchst wahrscheinlich auch mit den meisten modernen Sprachen Europas verwandt [sei]« (Jones 1786, zit. n. Robins 1973: 29). Jones ist wie alle Sprachforscher nach ihm beeindruckt von der ›vollkommenen‹ Struktur dieser Sprache und den offensichtlichen Analogien zu den europäischen Sprachen was den inneren Aufbau der Wörter, ihre morphologische Struktur, angeht. Damit entsteht der Gedanke einer Ursprungssprache für eine sehr große Sprachfamilie, die des Indogermanischen oder Indoeuropäischen: Wie alt das Sanskrit auch sein mag, es hat einen wundervollen Aufbau; es ist vollkommener als das Griechische, reichhaltiger als das Lateinische und übertrifft beide an erlesener Verfeinerung; jedoch ähnelt es in den Verbwurzeln und den grammatischen Formen den beiden anderen Sprachen zu sehr, als das es sich um Zufall handeln könnte; die Ähnlichkeit ist so stark, daß kein Philologe das Sanskrit, das Griechische und das Lateinische untersuchen könnte, ohne zu glauben, daß diese Sprachen einer gemeinsamen Quelle entsprangen, die es vielleicht nicht mehr gibt. Ebenso berechtigt ein wenn auch vielleicht nicht so zwingender Grund zu der Annahme, daß auch das Gotische und Keltische derselben Herkunft sind wie das Sanskrit (ebd.).

Man kann sich natürlich fragen, warum nicht gleich 1786 ein ›Sanskrit-Boom‹ ausgebrochen ist. Ohne den Anspruch auf eine vollständige Herleitung zu erheben, kann man sicher festhalten, dass mehrere Faktoren zusammenkamen, um die Relevanz dieser Entdeckung wirklich zu erkennen und entsprechende Forschungsprogramme zu entwickeln, die um 1800 einen Paradigmenwechsel in der Beschäftigung mit Sprachen bewirken: War das 18. Jahrhundert geprägt von der

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Perspektive auf die universalistischen logischen Grundprinzipien der Sprachen und der Suche nach einer universellen Syntax, in der der Satz als logisches ›Urteil‹ aufgefasst wird, so blicken die neuen Denker auf die unterschiedlichen Silbenstrukturen und morphologischen Prinzipien des inneren Aufbaus einzelner Wörter, um in konkreten Details des Partikularen historische Verwandtschaft zu finden. Sie sind damit der konkreten Sprachanalyse näher und interessiert an konkreten (historischen) Texten. Das gesamte 19. Jahrhundert wird im Gegensatz zum 18. Jahrhundert von einem grundsätzlich historischen Denken und Forschen gekennzeichnet. Dies steht auch in Zusammenhang mit der aufkommenden Romantik und ihrem Interesse an Traditionen und nationalen Besonderheiten.6 ›Modern‹ ist nun, sich den konkreten alten Dokumenten zu widmen, um aus den aufgefundenen Formen und Strukturen Erkenntnisse über die Entstehungsgeschichte der Sprachen und ihre Verwandtschaft untereinander zu gewinnen.7 Dazu werden die exotischsten Sprachen studiert und gelernt, was z. B. einem französischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts als Zeitverschwendung und Vergeudung wertvoller Ressourcen erschienen wäre. In den Naturwissenschaften entstehen Mitte/Ende des 18. Jahrhunderts die vergleichende Anatomie und die allgemeine Morphologie der Pflanzen. Aus diesem Bereich werden die neuen Sprachdenker Analogien und Metaphern schöpfen, die die ›Wurzeln‹ und die ›organischen‹ Entwicklungen konkreter Sprachstufen beschreiben sollen; dies steht im Gegensatz zu den in Frankreich dominierenden universalistischen Sprachbetrachtungen des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, bei denen die Suche nach einer neuen perfekten Zeichensprache im Vordergrund steht. In der neuen Ära dominiert ausschließlich das Arbeiten an alten Texten und Sprachdenkmälern in philologischer Perspektive, die ihrerseits durchaus auch das Ästhetische einbezieht. Dieses neue methodische Vorgehen ist vor allem von der Idee einer konkreten ›Ursprache‹, der Suche nach dem ›missing link‹ zwischen den modernen Sprachen und den klassischen wie Latein geprägt. So betont Bossong die Relevanz der Entdeckung des Sanskrit für die sich neu

6 Dieses Interesse wird noch durch die expansive, aggressive Europapolitik Napoleons bestärkt, der den Machtanspruch Frankreichs (als modernstes und fortschrittlichstes Staatsgebilde nach der Revolution) überallhin ›exportieren‹ will. Die anfängliche Napoleonbegeisterung schlägt mit den kriegerischen Aktivitäten des Generals, der sich dann auch noch zum Kaiser krönen lässt, in Abscheu um und fördert die Rückbesinnung auf die eigene Nation. Außerdem führt das Konkret-Politische, hier die Kontinentalsperre durch Napoleon, zu einem ›Zwangsverweilen‹ der aus Indien kommenden Engländer (z. B. Hamilton), die die SanskritTexte in die britische Nationalbibliothek bringen wollen. Diese sitzen nun in Paris fest und unterrichten Sanskrit. 7 Die Anfang des 19. Jahrhunderts erschienene Sprachlehre von August Ferdinand Bernhardi, die universalistische Grundprinzipien von Sprache (und Denken) überhaupt ausmachen will, wird von Grimm als zu »abstract« kritisiert (vgl. Dräxler 1996: 46, Anm. 83).

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konstituierende historisch-vergleichende Sprachwissenschaft und entstehenden philologischen Disziplinen wie die Romanistik: Ohne das Sanskrit keine historisch-vergleichende Romanistik; und ohne das Sanskrit keine romanische Ursprache, nämlich nicht die Idee des Provenzalischen als konkretes Urbild der romanischen Einzelsprachen (Bossong 1990: 295).

Man kann hier hinzufügen: noch eine Indologie, als deren Begründer August Wilhelm Schlegel gilt, oder eine Indogermanistik. Durch die Kontinentalsperre Napoleons entwickelt sich Paris, das Zentrum Frankreichs, zum Zentrum für fast alle Sprachinteressierten, die sich nun mit den durch die Engländer aus Indien mitgebrachten Manuskripten beschäftigen können. Sie alle fahren nach Paris, um diese außerordentlich alte und komplexe Sprache zu studieren, die durch ihre Formen einen gemeinsamen Ursprung sehr vieler Sprachen nahelegt und damit die Sprachursprungsfrage in eine ganz andere Dimension rückt. Mit der Neugründung und -strukturierung des Hochschulwesens im Laufe des 19. Jahrhunderts wird es dann die »deutsche Provinz« sein, die viele Zentren sprachwissenschaftlicher Forschung und Lehre hervorbringt: »Paris wurde bald von so provinziellen Orten wie Bonn, Gießen, Marburg und Tübingen abgelöst« (Bossong 1990: 292). Weitere »Zentren« werden Jena, Berlin, Heidelberg, Bonn und Göttingen (ebd.).

2.3

Friedrich Schlegel in Paris – Über die Sprache und Weisheit der Indier (1808)

Friedrich Schlegel (1772–1829) befindet sich ab 1802 in Paris und hält, um der ständigen Geldnot zu entkommen,8 Vorlesungen zu deutscher Literatur und Philosophie und lernt nebenbei Sanskrit und Persisch. So schreibt Friedrich an seinen Bruder über seine Fortschritte beim Sanskritlernen unter der Anleitung von Hamilton: Sonst ist mirs aber vortreflich ergangen. Denn vieles, vieles hab’ ich erlernt. Nicht nur im Persischen Fortschritte gemacht, sondern endlich ist auch das große Ziel erreicht, daß ich des Samskrit [sic!] gewiß bin. Ich werde binnen vier Monaten die Sakontala in der Urschrift lesen können, wenn ich gleich alsdann die Uebersetzung wohl auch noch brauchen werde. Ungeheure Anstrengung hat es erfordert, da eine grosse Complication und eine eigne Methode des Divinirens und der Mühe; da ich die Elemente ohne 8 Dazu der Brief an seinen Bruder aus Paris vom Mai 1803: »Es hat allen Anschein, daß ich um den Rest des Vermögens meiner Frau kommen werde, zu einer Zeit da ich gerade am meisten Ursache hatte darauf zu rechnen; und so wenig bedeutend es an sich, so hing doch nun für den jetzigen Augenblick meine Ruhe und Ungestörtheit an den 1000 oder 2000 F mehr oder weniger. Die Sorge hat mir nicht nur viel Zeit gekostet sondern auch oft alle Lust am Guten und Erfreulichen vergällt« ( [konsultiert am 29. 01. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020).

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Elementar-Bücher erlernen mußte. Zulezt ist mir noch sehr zu Statten gekommen, daß ein Engländer Hamilton, der einzige in Europa ausser Wilkins der es weiß, und zwar sehr gründlich weiß, mir mit Rath wenigstens zu Hülfe kam.9

Sanskrit studieren viele Interessierte, darunter Wilhelm von Humboldt, nicht nur bei Hamilton, sondern ab 1806 im Collège de France auch bei Sylvestre de Sacy: »[il] y anime […] un véritable centre de recherches« (Mounin 1967/31974: 161), und Franz Bopp ist von 1812 bis 1817 in Paris sowie Antoine Léonard de Chézy, der Begründer der Indologie in Frankreich. Bei Hamilton, der als Kriegsgefangener in Paris lebt, nimmt Friedrich Schlegel täglich 3 Stunden in Sanskrit (vgl. Windisch 1917/1992: 57). Er schreibt dazu an seinen Bruder: Herzlich geliebter Bruder, Wie soll ich Dir genug danken für alle die Beweise von Deiner fortdauernden Theilnahme und Freundschaft, die Du mir seither gegeben hast? Besonders da ich es so schlecht erwiedert und so wenig habe von mir hören lassen. Ich muß deshalb recht sehr auf Deine Nachsicht rechnen. Die Ursache war, daß ich am Ende des Winters und im Frühling in der That sehr verdrießlich und gestört, und mir es schlecht ging. Dabei war ich sehr fleißig, dieses leztere hat immer noch fortgedauert. Ich habe unausgesetzt im Samskrit gearbeitet und nun schon einen recht festen Grund gewonnen. Ich habe nun wenigstens schon eine Hand hoch Manuscript was ich mir copirt, liegen. Jezt bin ich bei dem 2ten Lexikon was ich mir copire. 3–4 Stunden Tags Samskrit geschrieben, und noch 1 oder 2 Stunden es mit Hamilton wieder durchgearbeitet; und wenn ich dann Abends aufgelegt war, fand ich immer auch noch Arbeit von 2–3 Stunden genug; so ist mir bei den weiten Wegen hier kaum Zeit zu den nothdürftigsten Geschäften geblieben und wie oft bin ich dabei noch durch andre Dinge gestört worden.10

Um den nachhaltigen Eindruck nachvollziehen zu können, den die SanskritFormen hervorgerufen haben, sei hier nur auf die Zahlen von eins bis zehn verwiesen, deren Ähnlichkeit zu Formen des Lateinischen und Griechischen oder slawischen Sprachen ins Auge springt: éka, dva, tri, catúr, páñcan, sás, saptán, ˙ ˙ astá, návan, dás´an.11 Diese Ähnlichkeiten führten dazu, dass die Forscher, vor ˙˙ allem auch August Wilhelm Schlegel, analog zu einer indogermanischen Ursprache eine Zwischenstufe zwischen Latein und den romanischen Sprachen annahmen. Fasziniert von den Ähnlichkeiten und vor allem der komplexen Morphologie verfasst Friedrich Schlegel die Schrift Über die Sprache und Weisheit der Indier, die 1808 in Heidelberg erscheint. Er hebt hervor, dass das Sanskrit nicht nur viele

9 [konsultiert am 29. 01. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020. 10 [konsultiert am 29. 01. 2020]. – In: Strobel/Bamberg 2014–2020. 11 Die Information verdanke ich Herrn Professor Hanneder.

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»Wurzeln« mit der »römischen und griechischen sowie mit der germanischen und persischen Sprache« gemein habe, sondern dass sich die Ähnlichkeit […] bis in die innerste Structur und Grammatik [erstreckt]. Die Übereinstimmung ist also keine zufällige, die sich aus Einmischung erklären liesse; sondern eine wesentliche, die auf gemeinschaftliche Abstammung deutet (F. Schlegel 1808: 3).

Die Betonung der »inneren Structur« und der quasi strukturelle Sprachvergleich ist der Ausgangspunkt für ein neues methodisches Vorgehen, deren Vorbild in der Naturwissenschaft schon begonnen hatte: für eine vergleichende Grammatik, welche uns ganz neue Aufschlüsse über die Genealogie der Sprachen auf ähnliche Weise geben wird, wie die vergleichende Anatomie über die höhere Naturgeschichte Licht verbreitet hat (ebd.: 28).

Bezüglich der Abstammung der romanischen Sprachen vom Lateinischen hält F. Schlegel die Möglichkeit, dass sich Griechisch und Latein zum Sanskrit verhalten würden wie die romanischen Sprachen zum Latein, zwar für »zu viel gesagt« (ebd.: 40), leitet aber aus der »regelmäßigen Einfachheit der indischen Sprache« ein »untrügliches Kennzeichen des höheren Althertums« (ebd.: 41) ab. Die »Perfektion« oder Vollkommenheit des Sanskrit liegt für Friedrich Schlegel und die damalige Auffassung neben der »Einfachheit« vor allem in der morphologischen Flexibilität, die als untrügliches Merkmal für eine hochentwickelte Sprache steht, die sich quasi »organisch« ausgebildet und verfeinert hat: […] daß die Structur der Sprache durchaus organisch gebildet, durch Flexionen oder innre Veränderungen und Umbiegungen des Wurzellauts in allen seinen Bedeutungen ramificiert, nicht bloß mechanisch durch angehängte Worte und Partikeln zusammengesetzt sei, wo denn die Wurzel selbst eigentlich unverändert und unfruchtbar bleibt (ebd.: 41f.).

2.4

Sprachvergleich und Sprachbewertung

Der historische Blick und die Perspektive auf die Genealogie als Ausdifferenzierung führt zur Annahme von Stufen, die die Sprachen durchlaufen (müssen) und die von einem primitiven Ursprung zu einem fein verästelten und organisch gewachsenen Gebilde führen, das sich vor allem in der Integration von grammatischen Markierungen in der Flexion, also einer reichen morphologischen Durchstrukturiertheit, ausdrückt. Sprachen stellen je nach morphologischer Komplexität und Durchdringung, also dem Grad einer Art Syntheseleistung, Stufen eines organischen Reifungsprozesses dar. Das Kriterium für die Bewertung von Sprachen ist die lose Nebeneinanderstellung, ein rein »mechanisches«

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Anhängen (F. Schlegel 1808: 41f.) gegenüber einem »organischen Gewebe« (ebd.: 51): Der Stufengang der Sprachen, welche dieser Grammatik folgen, wäre also dieser. Im Chinesischen sind die Partikeln, welche die Wesensbestimmung der Bedeutung bezeichnen, für sich bestehende von der Wurzel ganz unabhängige einsylbige Worte. Die Sprache dieser sonst so verfeinerten Nation stünde also grade auf der untersten Stufe; vielleicht, weil eben durch das so äusserst künstliche Schriftsystem die Kindheit derselben zu frühe fixirt worden. In der baskischen und koptischen, so wie in den amerikanischen Sprachen wird die Grammatik ganz und gar durch Suffixa und Präfixa gebildet, die fast überall noch leicht zu unterscheiden sind und zum Theil auch noch für sich eine Bedeutung haben; doch fangen die angefügten Partikeln schon an, mit dem Worte selbst zu verschmelzen, und zu coalesciren. Noch mehr ist dies der Fall im Arabischen und allen verwandten Mundarten, die zwar dem größeren Theile ihrer Grammatik nach unläugbar zu dieser Gattung gehören, während doch manches andre nicht mit Sicherheit zurückgeführt werden kann (ebd.: 49).

Das isolierte ›Nebeneinanderher‹ ist für F. Schlegel ein Zeichen für eine untere Entwicklungsstufe, die im Falle des Chinesischen auch nicht überschritten werden kann.12 Diese Sprachen sind in gewissem Sinne blockiert, festgefahren. Nur das Vorhandensein eines »lebendigen Keims«, also einer organisch wachsenden inneren Kraft, kann letztlich zur höchsten Form oder Stufe der Sprachentwicklung führen: Der indischen oder der griechischen Sprache ist jede Wurzel wahrhaft das, was der Name sagt, und wie ein lebendiger Keim, denn weil die Verhältnissbegriffe durch innre Veränderung bezeichnet werden, so ist der Entfaltung freier Spielraum gegeben, die Fülle der Entwicklung kann ins Unbestimmbare sich ausbreiten, und ist oftmals in der That bewunderungswürdig reich (F. Schlegel 1808: 50).

Bei den organisch gebildeten Sprachen kann man die historische Entwicklung in besonderer Weise nachvollziehen, während die anderen Sprachen durch die 12 Eine heftige Kritik des Chinesischen als blockierte oder gar den Fortschritt des Denkens blockierende Sprache findet sich bei Destutt de Tracy im zweiten Band seiner Elémens d’Idéologie (Grammaire 1803). Auch er führt diese ›Blockade‹ auf das Schriftsystem zurück, allerdings nicht hinsichtlich einer zu frühen Fixierung, sondern bezogen auf den Bildcharakter der Schrift (vgl. Zollna 1990 und Zollna 2020). F. Schlegel wendet sich auch gegen »bildernde« Schriftsysteme und insistiert auf der entscheidenden Relevanz der Lautrepräsentation als Ausdruck für das »feine Gefühl« einer Sprache für »den unterscheidend eigenthümlichen Ausdruck, für die ursprüngliche Naturbedeutung […] der Buchstaben […]« (F. Schlegel 1808: 42): »Dieß seine Gefühl mußte dann mit der Sprache selbst zugleich auch Schrift hervorbringen; keine hieroglyphische nach äussern Naturgegenständen mahlende oder bildernde, sondern eine solche, welche den inneren Charakter der Buchstaben [zu verstehen als Laute; Anm. d. Vf.], wie er so deutlich gefühlt ward, nun auch in sichtlichen Umrissen hinstellte und bezeichnete« (ebd.: 42f.). Nicht nur hier, auch im Kapitel über den Sprachursprung klingt Herders Schrift über den Sprachursprung an (vgl. neben der These der ursprünglichen Lautmalerei den Begriff der »lichten Besonnenheit« auf S. 61 und 63).

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losen und ›beliebigen‹ Verknüpfungsmöglichkeiten diese genealogische Rekonstruktion nicht zulassen. Schlegel verbannt sie aus dem Bereich der Natur in den der Physik, der reinen Mechanik: Daher der Reichthum einestheils und dann die Bestandheit und Dauerhaftigkeit dieser Sprachen, von denen man wohl sagen kann, daß sie organisch entstanden sein, und ein organisches Gewebe bilden; so daß man nach Jahrtausenden in Sprachen, die durch weite Länder getrennt sind, oft noch mit leichter Mühe den Faden wahrnimmt, der sich durch den weitentfalteten Reichthum eines ganzen Wortgeschlechtes hinzieht, und uns bis zum einfachen Ursprunge der ersten Wurzel zurückführt. In Sprachen hingegen, die statt der Flexion nur Affixa haben, sind die Wurzeln nicht eigentlich das; kein fruchtbarer Same, sondern nur wie ein Haufen Atome, die jeder Wind des Zufalls leicht aus einander treiben oder zusammenführen kann; der Zusammenhang eigentlich kein andrer, als ein bloß mechanischer durch äußere Anfügung (ebd.: 51).

Das Interesse für Flexion (Morphologie), angeregt durch die Fortschritte in der vergleichenden Anatomie, in der die Körperstrukturen als Grundgerüst des menschlichen Körpers analysiert werden, führt zur Herausbildung der Vorstellung der Sprache als Organismus, weniger als logische Struktur wie bei Girard oder der sensualistischen Sprachphilosophie. Der Weg geht weg vom Satzbau zur Analyse der Wortstruktur (Silben: Morpheme, und dann später Phoneme). Je reicher eine Sprache an sich durchdringenden Formen ist (Deklination, Flexion), umso wertvoller, weil durchgebildeter erscheint sie. Die Naturmetaphorik, die die Metaphern der mechanistischen Systemauffassungen des 18. Jahrhunderts ablöst,13 verführt allerdings zu einem Organismus-Begriff der Sprache, der später dominieren und das Kulturelle der Sprache verleugnen wird (vgl. die Kontroverse Whitney – Schleicher in Christmann 1977) und durch die an sich fortschrittliche Gleichsetzung von Denken und Sprechen darwinistisch missbraucht werden kann. Die einen Sprachen bleiben steril, unfruchtbar, die anderen entwickeln sich und entfalten sich zur Blüte, was unmittelbar mit intellektuellen Fähigkeiten korreliert wird. Friedrich Schlegel verdankt die Sprachtypologie die erste systematische Terminologie zur Klassifizierung der Sprachtypen: flektierend (Sanskrit, Griechisch, Latein), agglutinierend (worunter er neben dem Baskischen auch das Arabische versteht) und isolierend (Chinesisch). Diese drei Typen werden absteigend hierarchisiert: Die flektierenden Sprachen repräsentieren einerseits die ältere, aber auch die ›reichhaltigere‹ Form oder Stufe; die agglutinierenden sind noch nicht so weit; das Chinesische wie alle isolierenden Sprachen kann sich nicht

13 So versieht La Mettrie seine Schrift, die eine durchaus moderne psychosomatische Auffassung des Verhältnisses von Mensch/Biologie und Geist darstellt und 1748 als atheistisches Manifest einen Skandal auslöste, mit dem heute missverständlichen Titel L’homme machine.

August Wilhelm Schlegel und die Anfänge der Sprachtypologie

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entwickeln und stellt die unterste Stufe der ›sterilen‹ und rein ›mechanischen‹ losen Aneinanderreihung von Partikeln dar.

2.5

Franz Bopp (1791–1867) und das Indogermanische: Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache (1816)

Franz Bopp, der Begründer der Indogermanistik, der selbst den Begriff indoeuropäisch vorzieht, hält sich 1812 zu Sanskritstudien in Paris auf. Da ist er einundzwanzig.14 Die Idee des Indogermanischen oder Indoeuropäischen als Ursprung einer sehr großen Sprachfamilie ›liegt in der Luft‹ und ist zum Greifen nahe. Es fehlen die detaillierten Text- und Sprachanalysen anhand der Serien alter Schriften. Franz Bopp publiziert schneller als der Däne Rasmus Rask, der zwar schon 1814 eine genaue Systematik der Sprachverwandtschaft und Entwicklung aus dem Indogermanischen in Dänemark vorträgt, aber seinen Vortrag erst 1818 publiziert. Die Schrift von Bopp erscheint zwei Jahre früher, und damit gilt Franz Bopp als Begründer der historisch-vergleichenden Methode und der Indogermanistik. Methodisch ist neu, dass systematisch die Konjugationssysteme verschiedenster Sprachen historisch verglichen werden. Die Beschäftigung mit alten deutschen (germanischen) Texten wird – zumindest von Windischmann – als Möglichkeit der Erforschung eines ›deutschen Denkens‹ gesehen. So lobt er in der Vorrede die Analyse des Gothischen als »uns Deutschen umso werther und wichtiger«, da dadurch die »Verschiedenheit in Gesinnung und Denkart« erkannt werden könne (Windischmann 1816: x). Sicherlich auch vor dem Hintergrund der Kriegserfahrung mit den Franzosen und der Publikation von De Staëls De l’Allemagne wird die Gleichung von Denken und Sprechen, die im 18. Jahrhundert universalistisch gedacht ist und eine allen Menschen und ihren Sprachen gleiche (logische) Denkstruktur annimmt, ›ethnisiert‹ – die Völker und Nationen sind verschieden, denken und fühlen verschieden und das muss sich dann auch in den Verschiedenheiten der sprachlichen Ausdrucksformen zeigen.15 Diese Idee wird 14 Windischmann, der Verleger der Schriften Friedrich Schlegels und Bopps, Arzt und Philosoph, sieht in Bopps Studien die Erforschung des menschlichen Geistes und bescheinigt ihm die »Bedürfnislosigkeit eines ächten Brahmanen« (Windischmann 1816: iv), denn Bopp studiert ruhig in Paris, während um ihn herum Napoleon Krieg führt. Der Förderer Windischmann hält sehr große Stücke auf ihn und hält es für »wünschenswerth, wenn er mit dem großen Reisenden, Hrn. Alex. v. Humboldt, nach Tibbet gehen und von da erstarkt in dem, was dieses Urgebirg annoch vom Heiligthum der Vorwelt besitzt, herab zu den Brahmanen gelangen könnte« (ebd.: v). 15 In der Philosophie wird bei Fichte Germanisch-Deutsch als originärer, reiner Typ vorgestellt, der ohne Sprachmischung entstanden ist (sozusagen uncompounded) und der daher ›un-

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auch Wilhelm von Humboldt beschäftigen, allerdings immer noch unter universalistisch-aufklärerischen Vorzeichen. Franz Bopp wird 1825 durch Wilhelm von Humboldt auf den Lehrstuhl für Orientalische Literatur und Allgemeine Sprachwissenschaft nach Berlin berufen. Er führt keine neue Terminologie der Sprachtypen ein. Man findet bei ihm die Organismus-Idee ebenso wie die Hierarchisierung der Sprachtypen. Die Ursprache ist vollkommen, die späteren Formen sind ›dekadent‹.

2.6

August Wilhelm Schlegel (1767–1845) und der Beginn der Indologie und Romanischen Philologie – Die Observations sur la langue et la littérature provençales (1818)

Auch August Wilhelm trifft zu »Studienreisen« in Paris ein (Knödler 2017: 116, und Höltenschmidt 2017: 170–176). Hier studiert er zunächst in den Bibliotheken die altdeutsche, altfranzösische und ›provenzalische‹ Literatur. Vor allem diese Beschäftigung mit den alten Manuskripten der provenzalischen Troubadoure in der Bibliothèque Nationale zeigt das starke romantische Interesse am Mittelalter und an konkreten historischen Texten. Im Unterschied zur Beschäftigung mit genealogischen Fragen eines Condillac oder Destutt de Tracy, die durch Spekulation und logische Ableitung die grundsätzliche Evolution von menschlichem Zeichengebrauch und Sprache konstruieren wollen und sich nicht mit den ›zufälligen‹ Formen und Ausprägungen befassen, ist die philologische Textanalyse typischer Ausdruck des Paradigmenwechsels in den Forschungsprogrammen von der Aufklärung hin zur Philologie und Romantik. August W. Schlegel zählt zu den für die Zeit typischen Universalgelehrten, die sich neben ästhetischen und literarischen Fragen der Erschließung alter Texte durch Übersetzung und Vergleich auch mit sprachwissenschaftlichen Analysen und systematischen Sprachvergleichen befassen. A. W. Schlegel arbeitet bis 1804 an einer romantischen Kunsttheorie, ist von 1804 bis 1817 – bis zu ihrem Tod – Hauslehrer bei Madame de Staël. In enger Auseinandersetzung mit seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Friedrich befasst er sich mit dem Sanskrit und übernimmt Friedrichs typologische Einteilung der Sprachen in flektierende, agglutinierende und isolierende. Die agglutinierenden erweitert er um das Finnische und Eskimo. In den Observations übernimmt er neben den Begriffen aus Friedrichs Sanskrit-Schrift – fast wortgleich – auch die Wertung über den Entwicklungsstand dieser Sprachen: mittelbarer‹ zu den Inhalten führen würde; dem Franzosen ist alles ein lateinisches Fremdwort, dem Deutschen erschließe sich der Inhalt direkt. Steinthal und Lazarus werden dann Ende des 19. Jahrhunderts mit der Gründung der Zeitschrift für Sprachwissenschaft und Völkerpsychologie die ethnisch-genetische Ausrichtung vertiefen.

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Isolierende Sprachen sind »[l]angues sans aucune structure«, Sprachen »qui emploient des affixes« sind die agglutinierenden und die »langues à inflexions«, also die flektierenden, haben den »premier rang« in den möglichen Stufen (Schlegel 1818: 15). Allerdings geht er weiter als sein Bruder und entwickelt die bis heute gültige Einteilung der flektierenden Sprachen, die ja eine typologische Unterscheidung zwischen Latein und z. B. dem Französischen nicht bietet, weiter in die Untertypen der synthetischen (Latein) und analytischen Sprachen. Dabei bezieht er sich auf die Merkmale Artikelgebrauch, Personalpronomen vor dem Verb, Gebrauch der Hilfsverben, der Präpositionen statt einer Deklination, der Adjektivsteigerung durch Adverbien usw.: Les langues à inflexions se subdivisent en deux genres, que j’appellerai les langues synthétiques et les langues analytiques. J’entends par langues analytiques celles qui sont astreintes à l’emploi de l’article devant les substantifs, des pronoms personnels devant les verbes, qui ont recours aux verbes auxiliaires dans la conjugaison, qui suppléent par des prépositions aux désinences des cas qui leur manquent, qui expriment les degrés de comparaison des adjectifs par des adverbes, et ainsi du reste. Les langues synthétiques sont celles qui se passent de tous ces moyens de circonlocution (ebd.: 16).

Zur Veranschaulichung seien hier die typischen Merkmale für synthetische (Latein) und analytische Sprachen sowie für agglutinierende vorgestellt: SYNTHESE: lat.: amabit/amavit (›er wird lieben‹/›er hat geliebt‹) ANALYSE: amabit (›er wird lieben‹) wird interpretiert als ›er hat zu lieben‹ > amare habet; amare habeo (›ich habe zu lieben‹ > ›ich werde lieben‹); eine Synthese zweiten Grades entsteht durch die Verschmelzung der zum Hilfsverb ›entleerten‹ haben-Desinenz mit dem Verb: aimer + ai, as, a = aimerai, aimeras, aimera.

Rein analytisch bleibt die Auflösung der Genetivkonstruktion/Deklination domus Petri in die typisch romanische Präpositionalkonstruktion = la maison de Pierre, la casa de Pedro. Agglutination liegt im Finnischen vor: taloissani = in meinen Häusern talo/ i/ ssa/ Ni Haus/ Plural/ in/ Possessiv 1. Pers. Sg.

Nach Frederick Bodmer werden heute folgende Typen angenommen: agglutinierend, agglutinierend-flektierend, wurzelflektierend, isolierend und klassifizierend (Bantu). Die agglutinierend- und wurzelflektierenden würden ein Kontinuum darstellen; sie sind schwer abgrenzbar und beinhalten sowohl synthetische als auch analytische Prinzipien und viele Mischformen (vgl. Bodmer 1943/1997: 183). Den Ursprung der synthetischen Sprachen könne man nicht mehr auffinden, er »se perd dans la nuit des temps« (Schlegel 1818: 16); die analytischen sind

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moderner, alle bekannten sind aus der »décomposition des langues synthétiques« (modern: Reanalyse und Grammatikalisierung) entstanden. A. W. Schlegel spricht ebenfalls von den ›sterilen Wurzeln‹ der isolierenden Sprachen »qui ne produisent ni plantes ni arbres« und die für die Entfaltung der intellektuellen Fähigkeiten ein großes Hindernis darstellten: »de grands obstacles au développement des facultés intellectuelles« (ebd.: 14). Die Annahme, dass die Geschichte der Sprachen die Entwicklung des menschlichen Geistes darstellt, teilt auch er (vgl. ebd.: 18). Die analytischen Sprachen haben ihren Perfektionsgrad erreicht, die germanischen Sprachen stehen ein bisschen zwischen Synthese und Analyse (vgl. ebd.: 17).

3.

Zusammenfassung

Die Systematisierung und Klassifizierungen der Sprachen bewegt sich vom reinen Wortvergleich über syntaktische Merkmale (Abbé Girard) hin zu strukturellen Kriterien, die den inneren Aufbau der Wörter (Morphologie) betreffen. Bei Adam Smith ist das Einteilungskriterium der vorhandene oder fehlende Sprachkontakt, der für den Unterschied von reinen (original) und gemischten (compounded) Sprachtypen verantwortlich ist. Enger auf die Verwandtschaften und Analogien zwischen neu entdeckten Sprachen (Sanskrit) und den bekannten Sprachen zielt die von Friedrich Schlegel vorgeschlagene Einteilung nach Bildungsprinzipien des inneren Aufbaus der Wörter: Flexion stellt die höchste Stufe dar, Isolation die niedrigste. August Wilhelm Schlegel übernimmt und verfeinert diese Einteilung und kann mit der Aufstellung der Kriterien für analytische und synthetische Sprachen einige romanische Sprachen (vor allem Französisch) vom Latein trennen. Die meisten anderen romanischen Sprachen teilen die gleichen analytischen Prinzipien, brauchen aber keine Personalpronomen vor dem Verb. Franz Bopp hatte den Blick auf germanische Sprachen erweitert und mit dem Indoeuropäischen eine ›Ursprache‹ gefunden, mit der die historisch-vergleichende Methode ihren Siegeszug in der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts antrat und zur Etablierung der vielen Philologien führte. Bei Wilhelm von Humboldt ist die Einteilung A. W. Schlegels etabliert. Es sind Friedrich und August Wilhelm Schlegel, die die Grundlagen für die Terminologie der Sprachtypologie legen. Mit Franz Bopp beginnt die historischvergleichende Sprachwissenschaft und die Indogermanistik, die die gesamte Sprachwissenschaft entscheidend prägen werden. Die Annahme Friedrich Schlegels, Sanskrit sei die Ursprache aller Sprachen der Welt, ist nicht haltbar. Die Universitätsgründungen und Lehrstuhlgründungen im 19. Jahrhundert bescheren der deutschen Sprachwissenschaft einen so großen Erfolg, dass die angesagten Forschungszentren nun in Leipzig, Bonn und anderen ›Kleinstädten‹

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August Wilhelm Schlegel und die Anfänge der Sprachtypologie

liegen, nicht mehr in Paris. Saussure wird in Leipzig historisch-vergleichende Sprachwissenschaft studieren. Es ist dann an ihm, die fast ausschließlich historische Perspektive der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts durch den Strukturalismus abzulösen, der seinerseits wieder an die universellen Fragen des 18. Jahrhunderts anknüpft. Nach dem genealogischen (historischen) Prinzip werden heute die romanischen Sprachen als Ausdifferenzierungen des Italischen und dann Lateinischen gesehen. Hier wird sehr deutlich, dass die romanischen Sprachen sehr jung sind und eine sehr abwechslungsreiche Geschichte – vor allem durch Sprachkontakt – haben. Sprachtypologie hat also zum Ziel (frei nach Coseriu), einzelne innere Gestaltungsprinzipien von Sprachen aufzudecken, ihren Konstruktionsprinzipien auf den Grund zu gehen. Hier haben die beiden Brüder Schlegel den entscheidenden Grundstein gelegt und Prinzipien formuliert, die bis heute gültig sind.

Keltisch

German.

Italisch

Latino-Faliskisch

Lateinisch

Baltisch

Slavisch

Albanisch

Griech.

Hethitisch

Iranisch

Indisch

Osko-Umbrisch

Faliskisch

Vulgärlatein

Romanische Sprachen

Abb. 1: Indoeuropäische Sprachfamilie (nach Geckeler/Dietrich 42007: 15)

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150

Isabel Zollna

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August Wilhelm Schlegel und die Anfänge der Sprachtypologie

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3. Literaturwissenschaftliche Zugänge zu Schlegels Beschäftigung mit den romanischen Literaturen

Mechthild Albert

August Wilhelm Schlegels Übersetzungen aus der spanischen Literatur: »Morayzela, Sultanin von Granada. Eine mohrische Erzählung«

Ein Meilenstein in August Wilhelm Schlegels Bemühungen um die Dichtung der Romania ist zweifellos die im Jahre 1803, d. h. fünfzehn Jahre vor seiner Berufung auf den Lehrstuhl für Indologie an der neu gegründeten Universität Bonn, publizierte Anthologie Blumensträuße italienischer, spanischer und portugiesischer Poesie. Die spanische Dichtkunst ist in dieser Sammlung mit drei Romanzen vertreten sowie mit ausgewählten Gedichten aus der Celestina, der Diana und verschiedenen Werken des ›Nationaldichters‹ Cervantes. Diese Reihe repräsentativer lyrischer Kompositionen beschließt ein Prosastück, dessen Übersetzung Schlegel bereits einige Jahre zuvor, 1796, im Almanach Erholungen publiziert hatte: »Morayzela, Sultanin von Granada. Eine mohrische Erzählung«. Diese bislang kaum beachtete Erzählung – Gerhart Hoffmeister (1990: 117) spricht von einer »little known short story« – steht im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags, der sich des Weiteren auf Christoph Strosetzkis (2010) Beitrag »August Wilhelm Schlegels Rezeption spanischer Literatur« sowie die Untersuchung von Raphaela Braun (2016) »›Spanische Poesie‹ = ›Romantische Poesie‹? August Wilhelm Schlegel als Literaturvermittler in Spanien und Deutschland« stützen kann. Im Anschluss an eine kurze Einführung zur Bedeutung August Wilhelm Schlegels als europäischer Kulturvermittler der Romantik soll zunächst sein spanischer Quellentext präsentiert und dessen Überlieferung im Kontext der deutschen Spanienbegeisterung des ausgehenden 18. Jahrhunderts situiert werden und anschließend Schlegels Version der maurischen Erzählung in Auseinandersetzung mit Bertuchs Fassung (1780) zu analysieren und mit einigen resümierenden Betrachtungen zu schließen. Nachdem er, im Unterschied zu seinem Bruder Friedrich, lange Zeit als »Außenseiterfigur« der Germanistik und Komparatistik galt (Mix/Strobel 2010a: 2), wird August Wilhelm Schlegel erst seit Jüngerem als herausragender Akteur eines europäischen Kulturtransfers im Geiste der Romantik gewürdigt und erforscht, vor allem dank der Initiative von York-Gothart Mix und Jochen Strobel (Mix/Strobel 2010b; Strobel 2016). Dabei erschließen die Fokussierung transkultureller Netzwerke und ein geschärftes Verständnis für Hybridisierungs-

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phänomene einen neuen Zugang zu diesem Gelehrten als zentraler internationaler Vermittlungsinstanz (vgl. Mix/Strobel 2010a: 1), der als Autor zugleich die disziplinären bzw. kategorialen Grenzen zwischen Poesie, Ästhetik und Wissen in Frage gestellt hat (vgl. Strobel 2010: 160). Indem er im Rahmen seiner schriftstellerischen Praxis die ehemals getrennten Tätigkeiten des Gelehrten, Dichters, Übersetzers und Kritikers miteinander verbindet (vgl. ebd.), praktiziert er ein romantisches und insofern modernes Verständnis von Autorschaft, in dem die Übersetzung als interkulturelle und zugleich intertextuelle Tätigkeit einen zentralen Platz einnimmt. Im Einklang mit den Idealen der Romantik ist das Ziel seiner Übersetzungstätigkeit »die als romantisch idealisierte Approximation an die ›Volkspoesie‹ bei maximaler poetischer, inhaltlicher und formaler, vor allem metrischer Treue« (Mix/Strobel 2010a: 4). Im Hinblick auf diese Rezeptionsprozesse ist die Adäquatheit der Übersetzungen, Aneignungs- und Transformationsmodalitäten in den Blick zu nehmen, die zugleich – bewusst oder unbewusst – immer auch einen Selektions- und Kanonisierungsprozess bedeuten, wie etwa, im vorliegenden Fall, durch die Favorisierung der italienischen und iberischen Literaturen. Nicht zuletzt sind dabei die epochentypischen Modi, Formen und Formate der Vermittlung zu berücksichtigen, hier etwa die Vorlesung und der Almanach. Die Anthologie der Blumensträuße erscheint nämlich in Form eines kleinformatigen Almanachs anlässlich der Leipziger Herbstmesse 1803, als illustrativer Begleittext zu den Berliner Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst (1801–1804), der zugleich die damit verfolgten Bestrebungen einer von Novalis’ Europa-Konzept inspirierten (vgl. Mix/Strobel 2010a: 4) gesamteuropäischen literarischen Kanonbildung unterstützt: In den Berliner Vorlesungen würdigt Schlegel den literarischen Kanon als ›Vorrath von Werken‹, der Auskunft über das poetische System und die Anschauung einer Nation gebe. […] ein solcher Vorrat fehle den Deutschen – doch bei den Italienern, Spaniern und Portugiesen sei das Vorbild der alten Meister noch präsent (Strobel 2010: 164).

Im gleichen Jahr, kurz vor der Italienreise mit Mme de Staël, veröffentlicht Schlegel darüber hinaus, neben seinem Aufsatz »Über das spanische Theater«, unter dem Titel Spanisches Theater I eine Sammlung mit Dramen Calderóns – La devoción de la cruz/Die Andacht zum Kreuze, El mayor encanto amor/Über allen Zauber Liebe, La banda y la flor/Die Schärpe und die Blumen –, wodurch man diesen Moment in der Tat als Phase einer besonders intensiven Rezeption spanischer Lyrik und Prosa bei Schlegel bezeichnen kann. Ziel der Blumensträuße, »die in ihrer Kanonisierungs- und Anregungsfunktion Mustergültigkeit und literarische Aktualität beanspruchten« (Mix/Strobel 2010a: 4), war die Erschließung und Kanonisierung romanischer Autoren aus dem Italienischen, Spanischen und Portugiesischen (d. h. mit Ausnahme des

August Wilhelm Schlegels Übersetzungen aus der spanischen Literatur

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Französischen) durch modellhafte Übersetzungen in chronologischer Ordnung, angefangen bei den ›Tre Corone‹ des Trecento als »›Stifter‹ der romantischen Kunst« (Strosetzki 2010: 149) über die Dichter des Cinque- und Seicento wie Ariost, Tasso und Guarini bis hin zum iberischen Siglo de Oro mit Camões und Montemayor, Cervantes und anderen. Neben der Herausbildung eines romanisch dominierten europäischen Literaturkanons dienen sie auch als Sammlung exemplarischer Vorbilder für das Repertoire lyrischer Gattungen wie Sonett, Kanzone und Madrigal, Sestine und Stanze. Die mustergültige Anthologie erweist sich als unmittelbar wirkmächtig, sind ihre Spuren doch u. a. bei Tieck, Chamisso und Eichendorff, Uhland, Platen und Rückert zu finden. Im Folgenden steht jedoch nicht die Lyrik, sondern das einzige Prosastück der Blumensträuße im Mittelpunkt, »Morayzela, Sultanin von Granada. Eine mohrische Erzählung«, das darum nicht weniger einflussreich und symptomatisch für die romantische Ästhetik sein wird. Die Begebenheit aus der Spätzeit der Maurenherrschaft in Granada veranschaulicht beispielhaft die interkulturellen Stereotypen, die sich im Rahmen der seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutschland zu verzeichnenden Spanienbegeisterung ausprägten. Sie entspricht in besonderer Weise Schlegels Faszination für die spanische Kultur als Inbegriff einer im Mittelalter erlangten Synthese aus »brennender Leidenschaftlichkeit« (Strosetzki 2010: 143), christlichem Rittertum und der Begegnung zwischen Orient und Okzident mit ihren Gegensätzen und Gemeinsamkeiten. Im Spannungsfeld zwischen ›armas y letras‹ bezieht der Dichter dabei Position in der Konfrontation zwischen Christentum und Islam, wobei er unter dem gemeinsamen Nenner der Ritterlichkeit die transkulturellen und transkonfessionellen Gemeinsamkeiten betont. Mit dieser repräsentativen Erzählung trägt Schlegel seinerseits dazu bei, die romantische Mode der Maurophilie und das Paradigma des Orientalismus zu begründen (vgl. Hoffmeister 1990), wie ein knappes Résumé des Inhalts verdeutlicht: Kurz vor Ende der Reconquista im Januar 1492 liegen im Königreich Granada unter der Herrschaft von Boabdil el Chico zwei Fraktionen von muslimischen Adelsfamilien miteinander im Zwiestreit, die Abencerrajes und die Zegríes, mit ihren jeweiligen Verbündeten. Um die dominante Dynastie der Abencerrajes mit dem Sultan zu überwerfen, hinterbringen die intriganten Zegríes dem Herrscher die Nachricht vom vorgeblichen Ehebruch der Sultanin mit einem angesehenen Mitglied der Abencerrajes. Aus dieser Intrige resultiert zunächst ein grausames Gemetzel an den Abencerrajes im Patio de los Leones der Alhambra sowie die Gefangenschaft der Sultanin, deren Schicksal sich in einem Gottesurteil entscheiden soll. Eine ihrer Damen, eine Christin namens Esperanza, bewirkt ihre Konversion zum Christentum sowie die erfolgreiche Verteidigung ihrer Ehre durch christliche Ritter.

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Die Herkunft des Stoffes seiner Erzählung gibt Schlegel unumwunden zu erkennen, wobei er zwei entscheidende Quellen benennt, deren erste ins Spanien des Siglo de Oro verweist, während sich die zweite auf einen der herausragenden Akteure der deutschen Spanienbegeisterung des 18. Jahrhunderts bezieht: Der Stoff dieser Erzählung ist aus der Historia de las guerras civiles de Grenada por Gines Perez entlehnt, welche man unter uns schon aus den darin vorkommenden Romanzen kennt, die Herder in seinen Volksliedern zum Theil übersetzt hat. Den Ton und Stil des Originals kann man aus einem übersetzten Fragment in Bertuchs Magazin der spanischen und portugiesischen Litteratur I. B. S. 275. u. f. kennen lernen (SW IV: 245).

Die Historia de las guerras civiles de Granada des Ginés Pérez de Hita erschien in den Jahren 1595 und 1619 in zwei Bänden unter dem vollständigen Titel Historia de los bandos de los zegríes y abencerrajes, caballeros moros de Granada, de las civiles guerras que hubo en ella y batallas particulares que hubo en la Vega entre Moros y Christianos, hasta que el rey don Fernando quinto la ganó (Zaragoza, Cuenca). Der erste Band dieser fiktionalisierten Chronik wurde bereits kurz nach seinem Erscheinen 1595 ins Französische übersetzt (1608) und anschließend, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in Form höfischer Bearbeitungen durch Mlle de Scudéry, Mme de La Fayette und Mme de Villedieu und andere weiter verbreitet. Ein Jahrhundert später, d. h. bereits im Vorfeld der Romantik, wurden 1765 zwei in den narrativen Prosatext interkalierte Romanzen von Thomas Percy separat ins Englische übersetzt. Diese entdeckte wiederum Johann Gottfried Herder, der daraufhin den vollständigen Text von Pérez de Hita konsultierte und zwanzig der darin enthaltenen 36 Romanzen in seinen Volksliedern (1778; 1779) übersetzte (vgl. Hoffmeister 1990: 116). In diesen Jahren befasste Herder sich intensiv mit dem Spanischen, das er als »fast heilige Kirchensprache« (Briesemeister 2004: 147) betrachtete, und nahm Sprachunterricht bei Bertuch. Einige der in die Volkslieder aufgenommenen Romanzen versieht er mit Anmerkungen, wie etwa »Alcanzor und Zaida. Eine Maurische Geschichte. Englisch«, die ihn, in Anspielung auf seinen eigenen Rezeptionsweg, dazu veranlasst, die Notwendigkeit einer Übersetzung aus dem Original zu betonen: Aus den Reliq. of anc. Poetry Vol. I, p. 342. Die schöne Romanze ist schon dreimal übersetzt, daß ich wünschte, sie erschiene jetzt zum letztenmale. Im Englischen ist sie nur Nachahmung; das Spanische Original (Herder 1778: 87–91, Nr. 7).

Beginnend in den 1770er Jahren wird der spiritus rector der Weimarer Klassik – nicht zuletzt durch seine posthum publizierte Übersetzung des Cid (Der Cid. Nach spanischen Romanzen besungen. Tübingen: Cotta 1805) – einer der bedeutendsten Repräsentanten der deutschen Spanienbegeisterung seiner Zeit und zugleich Initiator der romantischen Romanzen-Mode, die sich, neben der produktiven Rezeption dieser lyrischen Gattung in der Dichtung von Eichendorff, Brentano und Uhland bis hin zu Heine, vor allem auch in philologischen Bei-

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trägen niederschlägt, so z. B. der von Jacob Grimm im Jahre 1815 publizierten Silva de romances viejos, der ersten kritischen Ausgabe des Cancionero de Amberes (1555). Und noch vor seinen Studien zur Poesie der Troubadours widmet sich der spätere Kollege Schlegels und Begründer der Romanistik an der Universität Bonn, Friedrich Diez, der Gattung der Romanze mit den von ihm zusammengestellten und ins Deutsche übersetzten Anthologien Altspanische Romanzen (Frankfurt am Main 1818) und Altspanische Romanzen besonders vom Cid und Kaiser Karls Paladinen (Berlin 1821). Vor diesem Hintergrund ist Herders Anmerkung zu »Zaida an Zaid« in den Volksliedern wegweisend für sein Verständnis der Romanze als lyrische Urform: »Die spanischen Romanzen sind die simpelsten, ältesten und überhaupt der Ursprung aller Romanzen« (Herder 1779: 317). Schlegel, dessen Blumensträuße im Todesjahr des großen Weimarer Gelehrten erscheinen, wird Herder in diesem Punkt widersprechen, insofern er die spanischen Romanzen vielmehr als abgesunkenes Kulturgut betrachtet, in dem sich die Poesie bewahrt, »als sie sich mehr und mehr gegen das Ende des sogenannten Mittelalters aus den höheren Ständen verlor, unter dem Volke einen Zufluchtsort fand« (KAV II/1: 124). In der deutschen Rezeptionsgeschichte der Guerras de Granada folgt auf die von Herder ausgekoppelten und in den Volksliedern (1779) abgedruckten Romanzen ein Jahr später die Präsentation einer ganzen Episode unter dem Titel »Fragment aus der Geschichte von Granada. Aus einem Briefe« im ersten Band von Bertuchs Magazin der spanischen und portugiesischen Literatur. Friedrich Justin Bertuch (1747–1822), der oben bereits als Herders Spanischlehrer Erwähnung fand, war eine facettenreiche Persönlichkeit, deren vielfältige Aktivitäten im Hinblick auf Sozial-, Kultur- und Mediengeschichte repräsentativen Charakter für die ›Sattelzeit‹ zwischen Früher Neuzeit und Moderne besitzen (vgl. Hohenstein 1999). Im vorliegenden Zusammenhang ist er vor allem als deutsch-spanischer Kulturmittler von Bedeutung (für das Folgende siehe Briesemeister 2004), der mit seiner Übersetzung des Don Quijote (1775) und seinem Handbuch der spanischen Sprache für Anfänger (1790), einer Anthologie von Lyrik und Prosa, historischen, theoretisch-philosophischen und landeskundlichen Textauszügen, die Spanienbegeisterung der Generationen zwischen Klassik und Romantik befeuert hat. Für den nachhaltigen Einfluss seines Wirkens steht insbesondere auch das kurzlebige, aber darum nicht weniger wirkmächtige Magazin der Spanischen und Portugiesischen Literatur (1780–1782), wie nicht zuletzt die Entstehungsgeschichte der Schlegelschen »Morayzela« beweist. Die Gestaltung der von Bertuch ausgewählten Episode, welche den innermaurischen Machtkampf zwischen Abencerrajes und Zegríes fokussiert, zeichnet sich durch mehrere signifikante Elemente aus, so etwa die im Titel signalisierte Einbettung in den narrativen Rahmen einer Brieffiktion, die durch ihren fingiert persönlichen Charakter ganz wesentlich zur Rezeptionslenkung beiträgt. Dies demons-

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triert sogleich der einleitende Passus, der eine Situation geselliger, gemeinsamer Lektüre evoziert und zugleich eine ganze Reihe eindeutiger, antithetischer Wertungen vermittelt, nicht nur was die affektiv aufgeladene Parteinahme für die Abencerrajes und gegen die Zegríes sowie den schwachen ›König‹ Boabdil el Chico betrifft, sondern auch hinsichtlich der literatur- und kulturgeschichtlichen Einordnung durch die im Sinne der Romantik exemplarische Komplementarität von Ritterlichkeit und Liebe oder die erstaunliche transkulturelle Parallele zwischen den Mauren von Granada und den Römern der frühen Republik: Lieber **, Sie haben Recht; frohe, gute Stunden waren’s, da wir vorigen Winter die Geschichte der Bürgerkriege von Granada zusammen lasen. Ich kenne kein Volk, das, außer den Römern in der Kindheit der Republik, größere Züge von persönlicher Tapferkeit, Kühnheit, Edelmuth und Stärke, uns süßere Gemälde von Liebe, Ritter-Galanterie und Delikatesse der Gefühle lieferte, als eben die Moren in Granada. Wissen Sie noch, wie lieb Sie den tapferen Muza und den edlen Gazul hatten, und wie frohlockend wir oft einen oder den anderen kühnen Abencerragen zum Elvirathore muthig hinausziehen sahen, wenn der Lanze steckte und Kampf begehrte? Nimmer hab’ ich Sie so erbittert gesehen, als wie die verfluchten Zegris ihre höllische Verrätherey gegen die edlen Abencerragen, und die reine, unschuldige Königin-Sultanin auf den Alijaren anzettelten! Mit Füßen, glaub’ ich, hätten Sie diese Teufel getreten, dem schwachen kaseligen Könige Chico auf der Stelle die Krone heruntergerissen, und für die Ehre der armen Königin selbst eine Lanze gebrochen (Bertuch 1780: 275f.).

Es nimmt daher nicht wunder, dass Bertuch die maurische Erzählung charakterisiert durch ihren »hohen romantischen Geiste, der so lieblich darüber wehet« (ebd.: 280). Ein entscheidender Aspekt des Texts, der sich im Untertitel ausgibt als spanische Übersetzung eines arabischen Originals – »Agora nuevamente sacado de un libro Arauigo, cuyo autor de vista fue un Moro llamado Aben Hamen, natural de Granada. Tratando desde su fundacion. Traduzido en castellano por Gines Perez de Hita, vezino de la ciudad de Murcia« –, ist für Bertuch die Frage der Authentizität des geschilderten historischen Geschehens, die in zahlreichen Fußnoten diskutiert wird. Dabei dienen ihm an erster Stelle die interkalierten Romanzen als Beweis sowohl für die Zuverlässigkeit der geschichtlichen Begebenheiten als auch für den arabischen Ursprung der Überlieferung: Meinen Glauben an die Aechtheit dieser Geschichte der Morischen Bürgerkriege gründete ich damals auf verschiedene innere Kennzeichen, die für sie sprachen; unter andern auf die Menge eingewebter historischer Volks-Romanzen, womit der Verfasser Schritt vor Schritt seine Facta beweißt, und die wahre ächte Volkslieder sind; denn die meisten davon stehen schon, theils wörtlich, theils mit Varianten, in dem Cancionero de Romances, welches der Herausgeber wohl funfzig Jahre früher, als die Hist. de las guerr. civ. de Granada erschien, aus mündlicher Tradition sammelte. Selbst der eigene orientalische Styl, und das höchstfleißige Ausmalen der einzelnen Begebenheiten, sprechen für die Wahrscheinlichkeit ihrer Aechtheit (ebd.: 277).

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Neben der literarischen Überlieferung der Romanzen ist es jedoch vor allem eine pragmatische Quelle, die Bertuch im Hinblick auf die Historizität der Guerras de Granada konsultiert, und zwar der aktuelle, 1779 in zwei Bänden ins Deutsche übersetze Reisebericht des Briten Francis Carter: Reise von Gibraltar nach Malaga im Jahr 1772 (Leipzig: Crusius). Der Abgleich mimetischer Elemente zur (letztlich affirmativen) Überprüfung des Realitätsgehalts betrifft u. a. die identische Landschaft, gekennzeichnet durch die fruchtbare Vega und die Alameda sowie die markante Architektur der Schauplätze, speziell der Alhambra mit Generalife und Löwenhof. Die dort, so heißt es, noch zu findenden Spuren von Blutflecken (vgl. Bertuch 1780: 291) legen Zeugnis ab von den geschilderten Ereignissen und auch die weiterhin kultivierten Zypressen und weißen Rosen (vgl. ebd.: 284) fungieren als Erinnerungsorte. Überzeugt vom maurischen Ursprung der Romanzen wie der Guerras civiles de Granada1 und ihrer historischen »Ächtheit« als Chroniken, »denn Chronik ists immer« (ebd.: 318), glaubt Bertuch aufgrund der weltanschaulichen Ambivalenzen der Erzählung überdies auf die Autorschaft eines Morisken schließen zu können: Aus dem ganzen Gange der Erzählung in den Guerras civ. de Granada […] erhellet, daß der Verfasser ein zur christlichen Religion übergegangener Mor seyn mußte; denn Partheygeist für die Christen und Liebe zu seinem Vaterlande, seiner Nation und ihren Sitten und Gebräuchen, kämpfen immer bey ihm miteinander (ebd.: 293, Anmerkung).

Gerade »die kleinliche Umständlichkeit und das erstaunliche Detail« in der Darstellung der historischen Wirklichkeit macht dabei die ästhetische Qualität des Textes aus, »würkt eine wundernswürdige poetische Darstellung, zaubert den Leser auf den Kampfplatz hin, und giebt ihm die wärmste Theilnehmung« (ebd.: 317f.). Dementsprechend betont Bertuch abschließend, als Übersetzer dem Geist »dieser alten Morischen Chronik« treu gefolgt zu sein: Ich habe völlig den geradlinigen Styl und die holzschnittartige Manier dieser alten Morischen Chronik, (denn Chronik ists immer) in dem hier gelieferten Fragmente, beybehalten, und nichts verbessern oder verschönern wollen; denn ich bin sehr der Meynung, daß man Werken dieser Art durch Modernisierungen gewaltig schadet, und fast all ihr Verdienst raubt (ebd.: 318).

1 »Sehen Sie hier mit einemmale zwoo meiner Vermuthungen bestättigt; nemlich, daß die Spanischen Volks-Romanzen Morischen Ursprungs, und die Guerras civ. de Granada arabischer Herkunft seyen. Wohlan! da dieser Glaubenspunkt berichtigt ist: so haben Sie dann, Freund, hier daraus das längstversprochne interesante Bruchstück von der Verrätherey gegen die edlen Abencerragen und die Sultanin-Königin, deren allenthalben gedacht wird, weil diese fatale Katastrophe die noch unglücklichere, nemlich den ganzen Untergang des morischen Reichs in Spanien, nach sich zog. Ich werde es auch ins Magazin einrücken. Frommt und behagt es den Lesern, so liefere ich vielleicht in einem der folgenden Bände das ganze Büchlein mit all seinem hohen romantischen Geiste, der so lieblich darüber wehet« (Bertuch 1780: 279f.).

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Paradigmatisch zeigt sich an dieser Stelle, dass Schlegel eine antithetische Position gegenüber Bertuch einnimmt. Der gleiche Befund hinsichtlich der Stilmittel, nämlich »die kleinliche Umständlichkeit und das erstaunliche Detail«, führt bei beiden zu gegensätzlichen Schlussfolgerungen, denn wo Bertuch die realitätsnahe Authentizität des Chronisten wahrnimmt, erkennt Schlegel Verfahren der Fiktionalität: Ein großer Theil des Erzählten hingegen muß schon nach der Beschaffenheit des Stoffes für Dichtung gehalten werden. Es wird umständlich geschildert, was jeder Ritter und jede Dame bei all den Festen für Kleidung und Putz getragen, wie bei den Zweikämpfen jeder Hieb oder Stoß geführt worden, wie die Verliebten, die hier in großer Anzahl sind und sich alle auf das Vollkommenste ähnlich sehen, geseufzt und gesprochen nicht nur, sondern auch was sie bei jeder Gelegenheit empfunden haben. Alles dieß sind offenbare Ritterbuchsgemeinplätze, und der Verfaßer verweilt mit seiner naiven und populären Weitschweifigkeit nur zu oft auf der Gränze, wo Einfalt in Albernheit übergeht (SW IV: 246).

In Abwägung der Chronik-These Bertuchs und der Gegenthese des Literaturhistorikers Nicolás Antonio, »diese angebliche Geschichte sei nur ein Roman« (ebd.: 245), schließt Schlegel sich eindeutig letzterer an, nicht zuletzt auch aufgrund einer differenzierten Kritik an Pérez de Hitas vorgeblichen Quellen und seiner Selbstinszenierung als Übersetzer eines »libro Arauigo, cuyo autor de vista fue un Moro llamado Aben Hamen, natural de Granada«. Damit legt er den hybriden Konstruktcharakter der Guerras civiles de Granada offen und legitimiert zugleich seine eigene produktive Rezeption im Sinne einer bewussten Fiktionalisierung: Es schien mir also um so eher erlaubt, die Geschichte auf meine Weise zu behandeln, nicht nur sie abzukürzen und anders zu stellen, sondern auch Nebenumstände zu erfinden, um ihr mehr Zusammenhang und innere Wahrscheinlichkeit zu geben. In allem, was irgend historisch bedeutend scheinen könnte, habe ich mich an meine Quellen gehalten (ebd.: 247).

Diese metaliterarischen Reflexionen legt er in einer ausführlichen Fußnote am Ende seiner »Morayzela« dar. Seine eigene gattungstheoretische Entscheidung, die Guerras civiles nicht als realitätstreue Chronik zu verstehen und den Stoff weiter im Sinne einer dezidierten Literarisierung zu bearbeiten, erübrigt denn auch Fußnoten zur Überprüfung der Referenzialität, wie sie sich bei Bertuch finden. Die Ausgestaltung zur »Erzählung« wird auch durch eine Erweiterung der Textgrundlage begünstigt, denn während Bertuchs »Fragment« sich auf Kapitel 13 der Guerras stützt, das im Wesentlichen die blutigen Parteikämpfe zwischen Abencerrajes und Zegríes zum Thema hat, bezieht sich Schlegel auf die Kapitel 13 bis 15. Und obwohl er deren Inhalte – Zweikämpfe, Liebe, Empfindungen –, wie oben gesehen, als »offenbare Ritterbuchsgemeinplätze« abzutun

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scheint, ermöglichen just diese ihm eine Literarisierung im Geist der Romantik durch die Herausarbeitung der weiblichen Charaktere, die Psychologisierung des Handlungsverlaufs und Personengeflechts unter Betonung von Affekten und Wertvorstellungen sowie die tragende Bedeutung von Ritterlichkeit und Christentum, was stets auch zum Kulturvergleich Anlass gibt. Dabei ist von Interesse, dass Schlegel die Erfahrung kultureller Alterität ausdrücklich problematisiert und deren Artikulation durch literarische Stereotype als solche kenntlich macht und zugleich als unzulänglich moniert – wenngleich er selbst wiederum dazu beiträgt: Wir haben Mühe, uns einen Helm unter einem weichen Turban, einen von Haupt bis zu den Füßen geharnischten Ritter auf einem schlanken arabischen Rosse vorzustellen. Die in den romantischen Dichtungen so häufigen saracenischen Ritter, Ferran, Sacripante, und wie sie weiter heißen mögen, machen uns mit jenen Bildern um nichts vertrauter. Ihre Schilderung läßt uns nur den Abstand der Sitten vergeßen, ohne ihn durch eine natürliche Vereinigung in denselben Personen auszugleichen; und überdieß gelten sie uns ja nur für fabelhafte Namen (ebd.: 206).

Durch die Fokussierung auf die titelgebende Sultanin (zumeist als ›Königin‹ bezeichnet) und ihre christliche Sklavin mit dem sprechenden Namen Esperanza verlagert sich mehr als die Genderperspektive. Neben die homosozial maskulinen Rivalitäten und Kämpfe, die bei Bertuch im Mittelpunkt stehen, rücken nicht nur heterosoziale Beziehungen zwischen Morayzela und ihrem Gatten bzw. ihren Rettern, den christlichen Rittern, in den Blick, sondern auch die homosozial feminine Beziehung zwischen Morayzela und Esperanza, eingebettet in den weiblichen ›Chor‹ der Zofen und Hofdamen (z. B. SW IV: 223, 241). Der gegen die Sultanin erhobene unerhörte Vorwurf des Ehebruchs wird sowohl in den kulturellen Kontext der islamischen Genderkonventionen als auch in den privaten Zusammenhang der Ehe gestellt und dadurch plausibilisiert bzw. als Skandalon markiert. Eine erste Digression betont, einmal mehr unter Berufung auf die Romanzen, das relativ freie Geschlechterverhältnis im muslimischen Spanien gegenüber dem im »Morgenlande« üblichen Besitzanspruch: In diesem Lande, vorzüglich an diesem Hofe, wußte man der Schönheit auf eine freiere Art zu huldigen als durch den hohen Werth, den man im Morgenlande auf ihren ausschließenden Besitz legt, und durch die mißtrauende Eifersucht, womit man ihn sich zu bewahren sucht. Weibliche Jugend war hier so wenig zu der Eingezogenheit eines Harems verdammt, daß die spanischen Romanzen noch lange nachher die Schönen von Granada, Zayda, Fatima, Galiana, Lindaraja und andre, und was Liebe sie für ihre Ritter, diese für sie thun hieß, zu besingen nicht aufhören konnten (ebd.: 207).

Nichtsdestotrotz ist die Ehe zwischen Morayzela und dem Sultan durch das Fehlen einer emotionalen Grundlage gekennzeichnet, ein vor dem Hintergrund

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des romantischen Liebescodes gravierendes Manko,2 das dem tödlichen Verdacht Vorschub leistet: Sie hatte den König als ihren Gemahl geehrt, ohne je die Art von Neigung für ihn zu hegen, die durch keine Pflicht geboten werden kann. Ihr reines Herz hatte ihn nie einer solchen Unthat fähig geglaubt. Oft lenkte sie zwar durch ihren milden Einfluß seine unbesonnene Schwäche zum Guten; aber erst jetzt erfuhr sie, daß diese bei großer Macht hinreiche, um in die tiefsten Abgründe zu stürzen. Die edlen Frauen des Hofes, die an ihr nicht wie an ihrer Gebieterin, sondern wie an einer Freundin hiengen, waren außer sich (ebd.: 216).

Das Auf und Ab der Gefühle zwischen der ahnungslosen Sultanin und ihrem als »unglückliche[r] Verbrecher« bezeichneten Gatten wird mit einer Fülle an rhetorisch ausgefeilten Affektschilderungen aufgeladen, die den Kontrast zwischen Hinterlist und Heuchelei einerseits (vgl. ebd.: 218, 220) und Unschuld, »Sitte und weiblich[r] Tugend« (222) andererseits in allen Nuancen ausfalten (vgl. ebd.: 218– 223). Schließlich dekretiert der Herrscher die Gefangennahme seiner Gattin »in furchtbarer Verlegenheit« (ebd.: 223), während die Hofdamen in »Thränen« und »lautes Weinen« ausbrechen und die »Gemüther« der Umstehenden »mannichfaltig bewegt und getheilt« sind, wobei sogar die betagten »Oheime der Königin«, parat zu ihrer Verteidigung, »Wehmut und Zärtlichkeit« beweisen (ebd.). Das Spektrum der im Lauf des Geschehens auf Seiten von Frauen und Männern heftig bewegten Gefühle, die nicht nur der psychologischen Dichte, sondern auch der Dramatisierung dienen, reicht dabei von der Rührung (u. a. ebd.: 223, 237) über die Verlegenheit (ebd.: 223) und »tausend peinliche Gemütsbewegungen« (ebd.: 214) bis zu Entsetzen (ebd.), Gewalt (ebd.: 226) und Rache (ebd.: 215). Dramatische Höhepunkte wie das Eintreffen der christlichen Ritter in türkischer Verkleidung, die bereit sind, Morayzela im Duell zu verteidigen (ebd.: 242), oder der von Posaunenklang untermalte Freispruch der Sultanin (ebd.: 244) markieren den befreienden Abschluss der Handlung. Status und Handeln des Sultans als Herrscher und Gatte nimmt Schlegel immer wieder zum Anlass für kulturvergleichende Betrachtungen, die u. a. den Topos des ›orientalischen Despotismus‹ verhandeln, ein gerade im Zeitalter der Aufklärung etwa durch Montesquieu und Boulanger weit verbreitetes Stereotyp. Zunächst ruft er diesen locus communis auf, um im Sinne einer womöglich von Herder inspirierten Völkerpsychologie die Unvereinbarkeit von orientalischem ›Volkscharakter‹ und idealer Ritterlichkeit zu postulieren: Nichts scheint dem ritterlichen Geiste mehr zu widersprechen, als der Charakter der morgenländischen Völker. Hier sehen wir feurige Kriegswuth, dort gestählte Herzhaftigkeit; hier asiatische Üppigkeit, dort nordische Zucht, hier gefühllose Unterdrü-

2 Vgl. z. B. Luhmann 1982.

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ckung der Frauen, dort sittsame Verehrung derselben. Nur in freien und stolzen Gemüthern konnten die Tugenden des Ritterthums, seine heiligen Gelübde, seine edlen Vorurtheile sogar gedeihen: und in Asien war unumschränkte Alleinherrschaft von jeher zu Hause (ebd.: 205f.).

Ausgenommen von dieser Antithetik wird daraufhin jedoch das späte Al Andalus, das gewissermaßen als kulturelle Synthese aus Orient und Okzident eine letzte Blüte des Rittertums und der höfischen Kultur hervorgebracht habe: Dennoch bezeugt die Sage und Geschichte, daß ein rühmlicher Rittergeist die Araber in Spanien, ihrer entferntesten westlichen Eroberung, wirklich beseelt habe, wie es auch mit seiner Bildung zugegangen sein mag. Granada blieb, nachdem die übrigen Königreiche wieder in die Hände der Christen gefallen waren, der einzige, aber immer noch glänzende Sitz desselben. Sein Einfluß adelte die barbarische Pracht jener Waffenspiele, worin Abu Abdallah die ganze Herrlichkeit des Reiches vor seinem nahen Untergange noch einmal zur Schau stellte. Die mohrischen Ritter ehrten sich durch Höflichkeit selbst in ihren Gegnern und indem sie sich durch Muth und Geschicklichkeit hervorthaten, warben sie zugleich um den Preis der feinen Sitten. Diesen konnte nur das Wohlgefallen edel gesinnter Frauen erhellen. Auch erschienen die Sultanin Morayzela und ihr reizendes Gefolge von Töchtern der Vornehmsten bei jedem öffentlichen Feste als Zuschauerinnen (ebd.: 206f.).

Die weitere Handlung dekonstruiert dann aber wiederum endgültig dieses Idealbild vom »rühmliche[n] Rittergeist [der] Araber in Spanien« und entlarvt die »barbarische« Gewalt unter dem Firnis der »feinen Sitten«. Der Alleinherrscher folgt dem »blutigen Plan« der Zegríes und stellt seine Allmacht in ihren Dienst, indem er das Gemetzel an den Abencerrajes zulässt und heimtückisch die Anklage seiner verleumdeten Gattin in die Tat umsetzt, »um sich auch für jene nothwendige Gewaltthat als eine gerechte Rache die allgemeine Billigung zu sichern« (ebd.: 213). Der Sultan entwickelt sich immer deutlicher zur Exempelfigur des ›orientalischen Despoten‹, der als solcher implizit wie explizit moralisch verurteilt wird. Wegen des »tyrannischen Mißbrauch[s] seiner Gewalt« wird er von seinem Bruder Muza zur Rede gestellt (ebd.: 218) und wenig später, als er nach dem Massaker an den Abencerrajes erstmals vor die Öffentlichkeit tritt, durch die Erzählinstanz als Heuchler entlarvt, dessen »künstliche Rede« (ebd.: 220) zur »gehäßige[n] Beschönigung einer gehäßigen That […] wenig Glauben« findet (ebd.: 221). Und letztlich ist es der Abschluss der Handlung, nämlich die Rettung der Sultanin durch christliche Ritter und ihre Konversion zum Christentum, der die Vorstellung eines arabischen Rittertums und muslimischen Frauendienstes endgültig diskreditiert, womit Schlegel im Kulturvergleich zwischen Orient und Okzident eindeutig Stellung bezieht. Neben der Intervention der christlichen Ritter, welche gewissermaßen als Dei ex machina die entscheidenden Duelle zur Rettung Morayzelas ausfechten, ist das Schlüsselmoment die Bekehrung Morayzelas zum christlichen Glauben, die durch ihre Sklavin Espe-

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ranza herbeigeführt wird. Während der Gefangenschaft wächst die Vertrautheit zwischen Herrin und Dienerin, nivelliert die Standesunterschiede3 und wandelt sich, im Rahmen der oben bemerkten Genderperspektive (die durchaus einen kritischen Kommentar verdiente), zur Freundschaft: »Das Unglück macht Könige und Sklaven einander gleich; und jene hatte in der Erniedrigung stets eine stille Würde behauptet, wie Morayzela auf dem Thron nie ihre bescheidene Sanftmuth verlernte« (ebd.: 227). Die in die Haupterzählung eingelassene Biographie Esperanzas hebt ihre religiöse Berufung und naive Frömmigkeit hervor, die sich u. a. in einem Marienlied äußert (ebd.: 230f.), das nur vorgeblich aus dem Kastilischen übersetzt ist,4 sondern vielmehr aus der Feder des Autors Schlegel selbst stammt. Eben dieses »heilige[…] und trostvolle[…] Lied« (ebd.: 232) löst das erste, rein affektiv motivierte Interesse der Sultanin am Christentum aus: »Die Königin fand Weise und Inhalt wunderbar zu ihrer Gemüthslage stimmend, und verlangte noch mehr von diesen Liedern zu hören« (ebd.). Und der autobiographische Bericht Esperanzas weckt Morayzelas Neugier, mehr über den »Dienst der Gottheit« unter dem Schleier (ebd.) zu erfahren. In der Notsituation werden die frommen »Gesänge der Christin das Wiegenlied ihres Kummers« und vermittelt Esperanza ihr die Inhalte ihres Glaubens als »einzigen Trost«: Doch war es nicht sowohl der Eifer der Bekehrung, was sie zu reden trieb, als der Wunsch, ihrer Gebieterin den köstlichen, den einzigen Trost zu verschaffen: selbst arm und hülflos hatte sie der Unglücklichen nichts zu geben, als ihr Herz und ihren Glauben (ebd.: 233).

Es ist vor allem das Leiden des unschuldigen Menschensohns, der den Tod »allen Menschen zum Besten gern erduldet« und seiner Mutter, des »leidende[n] Weib[s]«, welches ihre Affinität zum Christentum weckt, ja sie »mit ganzer Seele« ergreift: »Ihre verlaßne Lage machte es ihr zum Bedürfniß, mit jenen hülfreichen Wesen näher bekannt zu werden; bald lernte sie mit eben der Inbrunst, wie Esperanza, sich zu ihnen wenden« (ebd.: 233). Im Gebet findet sie Hilfe und Trost, so dass allmählich »ein erhebender Glaube, eine lindernde Zärtlichkeit das Gemüth Morayzelas ganz erfüllte« (ebd.: 234) und der Wunsch nach Konversion in ihr aufkeimt, »wenn sie aus ihrer jetzigen Noth gerettet würde« (ebd.). Eben dies wird sich – nach einem retardierenden Moment – erfüllen, vergleichbar den Bekehrungsmirakeln der Cantigas de Santa Maria, jedoch unterfüttert mit romantischer Gefühlsfrömmigkeit. Als sich die Lage der unschuldig des Ehebruchs angeklagten Sultanin weiter zuspitzt, da ihr Gatte ihr jede Unterstützung von Seiten der Muslime verwehrt, 3 Vgl.: »So lange der Schimmer des Glücks ihre Gebieterin umgab, hatte sie sich begnügt, sie aus der Ferne zu bewundern; in der Bedrängniß fieng sie an, sie zu lieben« (ebd.: 231). 4 Vgl.: »Einer dieser Gesänge, den sie fast an jedem Abend wiederholte, lautete in castilianischer Sprache dem Sinne nach etwa so: […]« (ebd.: 230).

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findet Esperanza die rettende Lösung, deren Bedingung und Ziel die Konversion Morayzelas zum Christentum ist: Sie kannte die Rittertugenden, wodurch der spanische Adel sich damals so allgemein auszeichnete, sie wußte, wie begierig ihre Landsleute nach außerordentlichen Thaten, wie eifrig sie wären, wo es den Schutz der unterdrückten Unschuld galt. Die Königin war im Herzen schon eine Christin: warum sollte ein christlicher Ritter nicht für sie fechten wollen? (ebd.: 238).

Aufgrund der schriftlichen Versicherung ihres Übertritts zum christlichen Glauben können am anberaumten Gerichtstag vier christliche Ritter im Duell gegen Vertreter der Zegríes die Ehre der Sultanin verteidigen. Die kastilischen Ritter, deren Namen aus mancher Romanze bekannt sind,5 besiegen ihre psychologisch geschwächten Gegner: Die Zegrí fochten wie Verzweifelte, aber nicht mit der gewohnten Geschicklichkeit in der Führung der Waffen, sei es nun, daß die Vorwürfe ihres Gewißens, oder die unerwartete Erscheinung der fremden, wie es schien, vom Himmel gesandten Gegner sie irrte (ebd.: 243).

Die Partei der Abencerrajes steht derweil untätig daneben, »beschämt über ihre unritterliche Gleichgültigkeit bei der Bedrängniß der schönen und tugendhaften Sultanin, deren Anblick Rührung und Ehrerbietung einflößen mußte« (ebd.: 241). Das vierfache Duell erweist sich insofern letztlich in doppelter Hinsicht als Gottesgericht, als es nicht nur die Unschuld Morayzelas beweist, ihre Rehabilitation und Freisprechung herbeiführt, sondern zugleich auch die Überlegenheit der christlichen Ritter und somit des Christentums als solchem demonstriert. Der Epilog berichtet von der schließlich vollzogenen Konversion Morayzelas, bei der keine Geringere als Isabel la Católica als Taufpatin fungiert. Ihre Zofe heiratet den tugendhaften Bruder des Sultans und beide nehmen ebenfalls den christlichen Glauben an, während Esperanza endlich den Schleier nehmen kann. Den Sultan jedoch, dessen »oft zweideutige, ja sogar erniedrigende Rolle« (ebd.: 245) beim Ende der Maurenherrschaft in Granada evoziert wird, ereilt seine gerechte Strafe: »Den schuldigen Abu Abdallah schien seitdem sein übriges Leben hindurch ein Unstern zu verfolgen« bis er »unter den Mohren in Afrika einen frühen gewaltsamen Tod fand« (ebd.). Mit seiner Entscheidung für eine freie Bearbeitung und Literarisierung der von ihm als Fiktion eingeschätzten spanischen Quelle trifft Schlegel den Geschmack seiner Zeit, wie eine anonyme Besprechung in der Neue[n] Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste des Jahres 1797 belegt, wo es heißt:

5 Vgl. z. B. die Romanze über Don Rodrigo Téllez Girón.

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Der aus Gines Perez Historia de las guerras civiles de Grenada entlehnte Stoff ist frey behandelt, und zu dem was eigentlich historisch ist manches hinzu erfunden worden, das der Geschichte mehr Zusammenhang und innere Wahrscheinlichkeit giebt (N. N. 1797: 186).

Allerdings enthält die Erzählung nach dem Urteil des Kritikers noch zu viele (pseudo-)chronikalische Relikte der Vorlage, moniert er doch »die unverhältnißmäßig lange historische Einleitung« und die weitschweifig geschilderten »Schicksale des Sultans«, wodurch der eigentlich »interessante[…] Punkt[…] der Geschichte, Morayzelas Gefahr und Rettung,« geschwächt würde (ebd.). Im Hinblick auf die Komposition der Erzählung würdigt der Rezensent das vielfältig genutzte Kontrastprinzip, nämlich als »Contrast der Sitten, […] Contrast der Charaktere und der Ereignisse« vor dem Hintergrund der »Verwirrungen eines anarchischen Staats« (ebd.). Ohne näher auf den religiösen Gehalt einzugehen, hebt er insbesondere die beiden Protagonistinnen hervor, deren »schönes Verhältnis« er mit Blick auf den Stil in Begriffe der romantischen Ästhetik fasst, wenn er die »sanfte und gefällige Farbengebung« betont und »das reizende Helldunkel, das sich aus der düstern Farbe des Unglücks und dem sanften Glanze einer schönen Schwärmerey mischt« (ebd.: 187). Einer wohlwollenden Rezeption »in jedem empfänglichen Gemüthe« könne Schlegel gewiss sein (ebd.). Zugleich mit den romantisierenden Verfahren der affektgeladenen Psychologisierung und Dramatisierung, der zentralen Rolle weiblicher Charaktere und der von ihnen vermittelten christlichen Frömmigkeit lässt sich in »Morayzela« auch das Weiterwirken der Romanzenrezeption beobachten, und zwar in zweierlei Weise: Einerseits sind in Schlegels Erzählung, nach dem Vorbild der Guerras de Granada, Romanzen und andere Dichtungen eingelassen, einige davon aus eigener Feder; andererseits konstatiert der Romantiker eine gattungsspezifische Affinität zwischen Romanze und Novelle, denen beiden u. a. das Prinzip des Kontrasts gemeinsam sei,6 was wiederum zur vorliegenden Form der Literarisierung beigetragen haben mag. Aufgrund seiner »mohrischen Erzählung« erhebt Hoffmeister Schlegel zum Initiator einer romantischen Mode. Und in der Tat manifestiert sich der »romantic revival of the idealized moor« (Hoffmeister 1990: 114) in der Wiederentdeckung der Guerras de Granada, die sich in einer langen Reihe moderner Übersetzungen des Werks von Pérez de Hita niederschlägt, beginnend 1803 in England, gefolgt von einer in Gotha publizierten spanischen Ausgabe (1805) und einer französischen (1809) bis hin zu einer deutschen Übersetzung (1821). Stoff und Motive der spanischen ›Chronik‹ werden integriert in Reiseberichte und 6 »Die spanischen Romanzen sind im schlichtesten einfachsten Volkstone, oft haben sie etwas von der Novelle, etwas Seltsames, Kontrastierendes, das den Vorfällen Reiz und Anlockung gibt. Die Romanze muß bei jeder Nation national sein« (KAV I: 117f.).

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verarbeitet in Romanen und Dramen. Auch wenn Schlegel insofern entscheidend zur Verbreitung weitreichender epochentypischer Strömungen wie der Maurophilie oder dem ›Alhambraism‹ beiträgt, beinhaltet »Morayzela« in interkultureller Hinsicht doch letztlich eine Apologie des Christentums und der christlichen Kultur des (ausgehenden) Mittelalters, was insofern denn auch der von Edward Said analysierten Dialektik des ›Orientalism‹ entspricht.

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Michael Bernsen

August Wilhelm Schlegels Urteile über Zeugnisse der romanischen Literaturen und ihr zeitgenössischer Hintergrund

»Bonn ist die Wiege der Romanistik«, so heißt es auf der Homepage der Bonner Romanistik, »denn hier wurde das Fach von Friedrich Diez zu Beginn des 19. Jahrhunderts etabliert« (Bonner Romanistik o. J. a). Die Romanische Philologie entstand aus der romantischen Begeisterung für die Kulturen der romanischen Länder und für die Literatur des Mittelalters zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Bonn: Urheber war der Philologe Friedrich Diez, ab 1825 Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Er verfasste bahnbrechende Arbeiten zur provenzalischen Literaturgeschichte (Die Poesie der Troubadours, 1826; Leben und Werke der Troubadours, 1829) und bewies mit seiner Grammatik der romanischen Sprachen (3 Bde., 1836–1844), dass alle romanischen Sprachen auf das sogenannte Vulgärlatein zurückgehen. Sein Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen (2 Bde., 1853) legte darüber hinaus den Grund zu vielfältigen sprachwissenschaftlichen Forschungen der Folgezeit (Bonner Romanistik o. J. b).

Mit seiner Grammatik der romanischen Sprachen von 1836 war Friedrich Diez zum Begründer der wissenschaftlichen Romanistik geworden. Bei dem Werk handelte es sich um eine historisch-vergleichende Grammatik, die die von Franz Bopp und Jacob Grimm entwickelte Methode des Sprachvergleichs auf der Basis der lautgesetzlichen Entwicklung auf die romanischen Sprachen anwandte. Die von Diez selbst als kritische Methode bezeichnete vergleichende Sprachanalyse hatte in der Folge institutionelle Auswirkungen: Sie führte zu einer Professionalisierung und Institutionalisierung der romanischen Philologie an zahlreichen Universitäten. Neben Diez hat allerdings auch August Wilhelm Schlegel eine erhebliche Gründungsleistung für die Romanistik erbracht. Schlegel war in der Zeit von 1818 bis 1845 als Professor an der Bonner Universität tätig, also schon sieben Jahre vor Friedrich Diez und später als dessen Kollege. Schlegel hat sich in sprach- und literaturwissenschaftlicher Perspektive mit der italienischen, der spanischen, der französischen sowie der mit Diez entstehenden Königsdisziplin der Romanistik befasst, der Dichtung der okzitanischen oder, wie man damals sagte, provenzalischen Trobadors. Ob Diez, der damals in Bonn promovierte, an den Veran-

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staltungen Schlegels teilgenommen hat und in welchem Austausch er mit Schlegel stand, ist nicht weiter bekannt. Schlegels Observations sur la langue et la littérature provençales aus dem Anfangsjahr seiner Bonner Zeit 1818 stellen die erste kritische Rezension der Ausgabe der Trobadordichtung des Franzosen François-Just-Marie Raynouard dar. Will man die Beschäftigung Schlegels mit den romanischen Literaturen in die Epoche der deutschen Frühromantik, also um die Zeit um 1800, einordnen, spielen zwei Dinge eine zentrale Rolle, die für die Systematik der philologischen Beschäftigungen Schlegels ausschlaggebend sind. Schlegel schreibt an einer epistemologischen Schnittstelle, die der französische Philosoph Michel Foucault in seinem epochemachenden Buch Les mots et les choses (1966) skizziert hat: Die bekannte Beschreibung Foucaults besagt, dass es vor allem in Frankreich eine ältere Art und Weise des Verarbeitens von Wissen gibt, die das klassizistische Zeitalter des 17. und 18. Jahrhunderts bestimmt. Dabei geht es um die Erlangung einer möglichst vollständigen Übersicht über alle Kenntnisse. Die einzelnen Wissensbereiche werden klassifiziert, um Identitäten und Differenzen festzuhalten. Die Ergebnisse dieser Taxonomie werden in einer Gesamtschau festgehalten. Besonders in Frankreich ist das Denken stark durch die Encyclopédie raisonnée geprägt, die der Philosoph Diderot und der Mathematiker d’Alembert von 1751 bis 1780 zusammen herausgeben. Enzyklopädisches Denken ist aber auch in Deutschland durch Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexikon (1732– 1750) und in England durch Chambers’ Cyclopædia, or an Universal Dictionary of Arts and Sciences (1728) prominent vertreten. Das enzyklopädische Denken prägt die Arbeiten von August Wilhelm Schlegel ganz wesentlich. Dieses Modell der Wissensorganisation, die Zusammenstellung des Wissens in Tableaux und seine Gesamtschau in Form der Enzyklopädie, wird gegen Ende des 18. Jahrhunderts durch eine neue Weise der Wissensorganisation abgelöst: das historische Denken. Das Denken wird nun, so Foucault in seiner Schrift L’Ordre du discours, als Folge, als eine Verkettung, als ein Werden organisiert. Man sucht nun nach der Quelle, dem Ursprung der Dinge und findet sie auf der einen Seite im transzendentalen Subjekt. Man sucht aber andererseits auch nach den Bedingungen der Möglichkeit der Dinge und ihrer Existenz. Es entstehen die Transzendentalphilosophie sowie die empirischen Wissenschaften vom Leben des Menschen wie die Biologie, die Erforschung der Sprache in der Philologie und die Ökonomie. Historisches Denken vom Entstehen und Werden orientiert sich an Vorstellungen wie der vom menschlichen Organismus und dessen Entwicklungsprozessen. Auch diese Vorstellungen bestimmen Schlegels Denken maßgeblich. Enzyklopädie und Historie, beide epistemischen Bedingungen, finden sich in seinem System in einer Zusammenschau. Dies ist die erste Besonderheit seines Denkens.

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Diese grundsätzliche Zusammenschau im systematischen Denken Schlegels ist jedoch durch eine weitere Entwicklung der Zeit, eine kulturpolitische, überformt. Und das stellt eine zweite Besonderheit dar. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist in Europa die französische Zivilisation das Maß aller Dinge. Der Glanz der Versailler Hofgesellschaft im 17. Jahrhundert sowie die maßgeblich von Frankreich ausgehende Aufklärung im 18. Jahrhundert haben europäische Dimensionen. Frankreich beansprucht für sich, als Erbe des Römischen Reichs das Mutterland der Zivilisation zu sein, deren Werte als universell angesehen wurden. So kann der Marquis Louis-Antoine Caraccioli 1777 eine in ganz Europa angesehene Schrift mit dem Titel Paris, le modèle des nations étrangères, ou l’Europe française vorlegen. In Deutschland findet sich um diese Zeit ein vorwiegend Französisch sprechender, nach französischen Mustern ›zivilisierter‹ Adel. Dem steht eine Deutsch sprechende, mittelständische Intelligenzschicht gegenüber, bestehend aus bürgerlichen Beamten, die in der ein oder anderen Form als Diener der Fürsten tätig waren. Dieses deutsche Bürgertum polemisiert gegen die an französischen Vorbildern orientierte Aristokratie. Mit Zivilisation bezeichnet das deutsche Bürgertum alles, was es am Adel nicht ausstehen konnte: Oberflächlichkeit, äußerliche Höflichkeit, Unaufrichtigkeit und Falschheit. Das eigene Selbstbewusstsein definiert man mit dem Begriff der Kultur. Kultur bedeutet für das deutsche Bürgertum wahre Tugend, aufrichtige Gefühle, feste Bildung und das Vollbringen kultureller Leistungen im Gegensatz zum Adel, der sich nicht über Leistung definiert. Der der französischen Zivilisation entgegengesetzte deutsche Kulturbegriff wird somit ein Fluchtpunkt jener, die sich gegen die herrschenden Schichten wenden. Im Bereich der Wirtschaft oder der Politik gibt es in den Fürstentümern keine Entfaltungsmöglichkeiten für das Bürgertum; dort stehen um 1800 keine konkreten Veränderungen an. Entfaltungsmöglichkeiten gibt es allein im kulturellen Bereich, vor allem dem der Universitäten und dem der Literatur. Man begibt sich auf die Suche nach einer Kultur, die der Herstellung einer spezifisch deutschen Identität dienen soll und der französischen Zivilisation entgegengestellt werden kann. Schlegels Berliner Vorlesungen über die Romantische Poesie über die »in ganz Europa gesprochen[e] und doch so borniert einseitige Französische Sprache« vermögen seinen Standpunkt mustergültig zu verdeutlichen: Allein fast alle Nationen haben […] mehr oder weniger einen geheimen oder offenen Haß auf sie, und wozu sie eigentlich gebraucht wird, die flache Geselligkeit der heutigen großen Welt, die in ganz Europa eine und dieselbe ist, drückt sie wirklich vollkommen aus (KAV II/1: 14).

Es ist dieser Gegensatz zu Frankreich, der Schlegels Denken entscheidend prägt und seine Aufnahme der im Umbruch befindlichen Bedingungen der Wissensorganisation beeinflusst hat. Schlegel favorisiert auf der einen Seite das enzy-

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klopädische Denken, das ja in Frankreich besonders ausgeprägt ist. Er lehnt jedoch jede Form der bloßen unzusammenhängenden Sammlung von Wissen ab. Ein enzyklopädisches Wissen, welches vor allem die Konversationsansprüche des bel esprit der gehobenen Gesellschaft befriedigen soll, ist nicht sein Modell. Enzyklopädisches Denken macht für ihn nur Sinn, wenn es letzten Endes durch organisches Denken bestimmt ist. Erst wenn man erkennt, dass die unterschiedlichen Wissensbereiche organisch miteinander verzahnt sind und dass sie ihre organische Entwicklung durchlaufen, ist das Denken für Schlegel auf der Höhe der Zeit. Die moderne Episteme vom organischen Werden und der organischen Verkettung gilt Schlegel vor allem als Erkenntnis der deutschen Kultur. Sie war mit Johann Gottfried Herder in dessen Hauptschrift Ideen zur Philoso phie der Geschichte der Menschheit (1784–1791) in die zeitgenössische Debatte gebracht worden. Herder hatte sich gegen die vor allem in Frankreich verbreitete aufklärerische Idee einer Universalgeschichte gewandt und die kulturelle Entwicklung eines jeden Volkes auf den ›Charakter‹ bzw. den ›Genius des Volks‹ sowie die physischen Bedingungen des ›Landes‹ oder ›Erdstrichs‹, in dem es lebt, zurückgeführt. Dass Schlegel sich diese Auffassungen zu eigen macht, hat weitgehende Einstellungen gegenüber den romanischen Literaturen und ihren Autoren zur Folge: Er legt eine große Reserviertheit gegenüber der französischen Literatur und Wissenschaft an den Tag. Große Teile der französischen Literatur lehnt er als statisch und zu regelhaft ab, wogegen er den italienischen Autor Dante, den spanischen Autor Calderón de la Barca sowie die Hochkultur der okzitanischen Autoren des Mittelalters als Wegbereiter einer europäischen Moderne ansieht, die letztlich für ihn durch die wiederentstehende deutsche Kultur geprägt sein wird. Vor einer Auseinandersetzung mit der Schlegel’schen Reflexion einzelner Beispiele der romanischen Literaturen sind jedoch noch einige grundsätzliche Betrachtungen zu seiner Philologie vorwegzuschicken. Erst so lässt sich die Beschäftigung mit den einzelnen romanischen Autoren und ihr Stellenwert, den sie für Schlegel haben, überhaupt erst verstehen. Nach einem Überblick darüber, wo, wann und wie Schlegel sich mit welchen romanischen Autoren beschäftigt hat, können dann einige prominente Beispiele zeigen, warum diese Autoren für den Autor der deutschen Romantik so bedeutsam waren. Der Kern der Schlegel’schen Philologie – folgt man den Darstellungen der sehr übersichtlichen Monographie von Héctor Canal (2017) mit dem glücklichen Titel Romantische Universalphilologie – liegt in seiner Beschäftigung mit der Sprache. Schlegel interessiert sich vor allem für die Ursprache des Menschen, wie gleich zu Beginn seiner frühesten Vorlesungen aus seiner Zeit in Jena 1798–1799 deutlich wird. Im Zuge der Entdeckung der Natur des Menschen in der Aufklärung hatten zahlreiche Autoren fiktive Szenarien eines Urzustandes entworfen, um daraus die Entwicklungen hin zur zivilisierten Gesellschaft des 18. Jahrhunderts ableiten

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zu können. Auf einer solchen spekulativen-philosophischen Betrachtung ruht auch das ganze System der Schlegel’schen Philologie, welches stark von Rousseaus Essai sur l’origine des langues (Untertitel: où il est parlé de la mélodie et de l’imitation musicale, 1755/1781) sowie dessen Dictionnaire de musique (1768) beeinflusst ist, auf die er immer wieder verweist. In Auseinandersetzung mit den Sprachursprungstheorien von Platons Kratylos bis hin zur Aufklärung ist die Sprache für ihn – so heißt es in den Jenaer Vorlesungen über Philosophische Kunstlehre – »ein erstes Losreißen von der Natur, wodurch der Mensch sich selbst konstituiert« (KAV I: 5, § 13). Im Naturzustand ist es der »dreifache Gebrauch der […] Stimmorgane«, der den Menschen auszeichnet: »Schreien, Singen und Sprechen« (ebd.: 7, § 23). Und weiter heißt es: Das erste [gemeint ist das Schreien] geschieht ruckweise, beim Singen findet Kontinuität, ein gewisses Verweilen und Schweben der Stimme, statt. Schreien ist tierisch und unwillkürlich. Sprechen, im strengsten Sinne artikulieren, ist ein Akt der Willkür, der ganz abgehoben von den tierischen Funktionen des Körpers, aus denen er hervorgeht, bewältigt wird (ebd.).

Dieser Betrachtung liegt eine dem organischen Denken der Zeit folgende Entwicklungsdynamik zugrunde, auf der das philologische System Schlegels und damit auch seine philologischen Betrachtungen der romanischen Literaturen basieren: Schreien ist Ausdruck eines Naturzustandes, die lautliche und rhythmische Umformung des Schreiens zum Gesang bildet den Übergang zum Charakteristikum des Menschen, der Sprache. Diese hebt den Menschen alsdann aus dem Naturzustand heraus. Im Sprechen, dem Alleinstellungsmerkmal des Menschen, ist dieser dem Naturzustand deshalb enthoben, da er über den aus seinem Inneren kommenden Gebrauch der Stimme – ein noch körperlicher Vorgang – »Gedanken und Begriffe haben [muss], die […] nur durch Zeichen festgehalten werden können« (KAV I: 6, § 19). Das sprachliche Zeichen ist somit nur noch bedingt natürlich, ein entfernter Reflex ursprünglicher Laute. Als Sprechender bedient sich der Mensch für Schlegel arbiträrer Zeichen. Es ist die Betrachtung der ersten Laute des Menschen im Zustand einer fiktiv angenommenen Urgesellschaft, mit der Schlegels philologisches Denken einsetzt und auf der sein Gedankengebäude basiert. Das Interesse für die Ursprache des Menschen beschäftigt ihn bis in die Zeit seiner Bonner Professur, in der er sich als Indologe mit dem Sanskrit befasst. Die – im gesamten Denken der deutschen Romantik so beliebte – Denkfigur des Dreischritts einer Entwicklung – hier vom Schreien zum Gesang zum Sprechen – begegnet bei Schlegel immer wieder. Mit dem Gesang setzt für Schlegel die Poesie ein, zunächst noch im Zustand einer stark an natürlichen Bedürfnissen ausgerichteten Naturpoesie. Prominentes Beispiel ist Homer, mit dessen Raumvorstellungen in der Odyssee und der Ilias sich Schlegel schon in einer preisgekrönten, lateinisch abgefassten Schrift am

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Ende seines Studiums in Göttingen 1787 beschäftigt hatte (vgl. Schlegel 1788). Schlegel zieht den Bogen seiner sprachgeschichtlichen Betrachtungen weiter. In der Geschichte der Sprachentwicklung beschreibt er drei Phasen: Die Ursprache geht durch ihren Übergang vom Schreien zum Singen in einen Zustand der Poetisierung über. Diese Poetisierung verliert im Laufe der Geschichte jedoch an ursprünglicher Kraft, da der Mensch sich zunehmend der Sprache bedient, für die er arbiträre Zeichen herausbilden muss und sich somit von kreatürlichen Formen der Äußerung verabschiedet. Die Welt wird prosaisch, ein Zustand, der besonders in der Epoche der Aufklärung zu Buche schlägt, die Schlegel vehement kritisiert. Die Gegenwart der Romantik wird als dritte Epoche angesehen, in der sich die Aufgabe stellt, ursprüngliche Energien der Sprache wiederzugewinnen. Ursprache, der Verfall im prosaischen Zeitalter und die zukünftige Aufgabe einer Repoetisierung der Sprache stellen das Basisgerüst der Systematik dar, die sich als eine – wie Canal zutreffend sagt – ›Universal-Philologie‹ versteht. An diese Trias einer historischen Entwicklung der Sprache lehnt Schlegel in den Jenaer Vorlesungen zur Kunstlehre die Beschreibung einer weiteren Trias der sogenannten ›Dichtarten‹ an. Die Dichtarten werden von ihren Charaktermerkmalen assoziativ mit den Entwicklungsstufen der Sprache verbunden. Die erste und einfachste der »ursprünglichen Hauptgattungen der Poesie« ist demnach das Epos, welches in fortschreitender Erzählung ruhig und besonnen – d. h. ohne erkennbare Einlassungen und Steuerungen des Erzählers mit einer gewissen Einfalt Begebenheiten aus der Menschenwelt darstelle (KAV I: 59f., § 167). Auf das Epos folgt für Schlegel die Lyrik, die von der Musik, der Lyra, ihren Namen hat, und weiter als das Epos auf die sprachhistorische Kategorie des Singens übergreift (vgl. ebd.: 69f., § 185) und der innerlichen Gemütsregung des Menschen Ausdruck verleiht. Eine ihrer höchsten Formen ist für Schlegel das Sonett, welches »durch die symmetrische Gebundenheit seiner Form einzig dazu gemacht [ist], eine romantische Situation aufs konzentrierteste und mit größter Rührung lyrisch darzustellen […]« (ebd.: 82, § 209). Auf die Lyrik folgt schließlich die modernste Gattung, das Drama, welches als eine – wie Schlegel sagt – »absolute Synthesis der beiden anderen entgegengesetzten Hauptgattungen, der epischen und lyrischen betrachtet werden kann« (ebd.: 83, § 212). In seiner höchsten Form, der Tragödie, ist das Drama deshalb modern, weil »der Streit zwischen der Menschheit und dem Schicksal in Harmonie aufgelöst« werde. »Der Mensch siegt«, so heißt es weiter, »wenn auch als physisches Wesen überwältigt, doch durch seine Intelligenz, durch die Freiheit seiner Gesinnung. Dies kann […] jene erhabene Stimmung in uns hervorbringen« (ebd.). Wie unschwer zu erkennen ist, steht dahinter die Theorie des Erhabenen aus Kants Kritik der Urteilskraft (1790), wonach das moderne Subjekt angesichts einer schrecklichen Katastrophe durch seine Vernunft gegenüber dem Geschehen eine innere Distanz aufbaut und sich selbst erhaben macht.

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Schlegels gesamtes System seiner Betrachtung der europäischen Literaturen, seiner Philologie, entwickelt er aus der Betrachtung der ersten Laute des Menschen. Die kleinsten Bestandteile der Sprache wie Laute und Rhythmus führen ihn schon recht früh zu minutiösen Beschäftigungen mit der Metrik. Ein längeres Zitat aus seinen Briefen über Poesie, Silbenmaß und Sprache, die ab 1795 in Schillers Horen veröffentlicht wurden, fasst die sprachlichen Kriterien zusammen, die auch für die Befassung mit den romanischen Literaturen maßgeblich sind. Dort heißt es von der Sprache, »der wundersamsten Schöpfung des menschlichen Dichtungsvermögens«, dem »gleichsam […] nie vollendete[n] Gedicht, worin die menschliche Natur sich selbst darstellt«: So wie sie auf der einen Seite, vom Verstande bearbeitet, an Brauchbarkeit zu allen seinen Verrichtungen zunimmt, so büßt sie auf der andern an jener ursprünglichen Kraft ein, die im nothwendigen Zusammenhange zwischen den Zeichen der Mittheilung und dem Bezeichneten liegt. So wie die gränzenlose Mannichfaltigkeit der Natur in abgezognen Begriffen verarmt, so sinkt die lebendige Fülle der Töne immer mehr zum todten Buchstaben hinab. Zwar ist es unmöglich, daß dieser jene völlig verdrängen sollte, weil der Mensch immer ein empfindendes Wesen bleibt, und ein angeborner Trieb, Andern von seinem innersten Dasein Zeugniß zu geben […] doch nie ganz verloren gehen kann. Allein in den gebildeten Sprachen […] wittern wir kaum noch einige verlorne Spuren ihres Ursprunges, von welchem sie so unermeßlich weit entfernt sind […]. Indessen liegt doch jene innige, unwiderstehliche, eingeschränkte, aber selbst in ihrer Eingeschränktheit unendliche Sprache der Natur in ihnen verborgen; sie muß in ihnen liegen: nur dadurch wird eine Poesie möglich. Der ist ein Dichter, der die unsichtbare Gottheit nicht nur entdeckt, sondern sie auch Andern zu offenbaren weiß […] (SW VII/1: 104f.).1

Schlegels Ziel ist die Repoetisierung der Sprache in der Periode der Romantik. Dabei geht es nicht um eine Wiederherstellung der Ursprache, sondern wie Rousseau es in einer weitgehend unbekannten Fußnote seines Contrat social gesagt hatte: »Réparerons par l’art ce que l’art a détruit«. Der Mensch hat sich – wie der Schweizer Autor in seiner frühen Preisschrift der Akademie von Dijon, dem Discours sur les sciences et les arts (1750), versucht zu zeigen – durch die Wissenschaften und Künste vom Naturzustand entfernt. Aber nur durch die Künste ist eine gewisse Reparatur dieser Entfremdung möglich. Für Schlegel bedeutet dies, dass die Romantik, und in dieser Epoche bevorzugt das totalisierende Drama, in dem »Worte, Töne und Gebärden« (KAV I: 4, § 8) zusammenspielen, mit Hilfe des Verstandes und seiner Fertigkeiten – der Kunst bei Rousseau – gegen die Vernunftepoche der Aufklärung eine dem Urzustand ähnliche Vagheit aus Gefühl und Verstand wiederherstellen muss. Semantische Uneindeutigkeiten über Wortneubildungen, Metaphern und Bilder, Wortspiele 1 Vgl. auch Canal 2017: 77f.

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und Allegorien, um die ursprüngliche Kraft der Sprache wiederzugewinnen, sind die Figuren, die Schlegels Vorstellungen beflügeln. Dies setzt einen genauen Sprachenvergleich voraus, den er an mehreren Stellen seiner Vorlesungen und sonstigen Schriften unternimmt, um die Möglichkeiten der Einzelsprachen auszuloten. Und vor allem steht ein Aspekt im Mittelpunkt: Die deutsche Sprache soll als führende Übersetzungssprache die Aufgabe der Erneuerung in Europa übernehmen, nachdem das vorherrschende Französische in Konventionen erstarrt ist. Die deutsche Sprache ist aufgrund ihrer sogenannten Biegsamkeit dafür besonders geeignet. Gemeint sind u. a. Möglichkeiten der Wortbildung im Deutschen, z. B. durch Komposita, die Schlegel auf den reflexiv-philosophischen Nationalcharakter der Deutschen zurückführt. Auch Dialektalismen und Archaismen der deutschen Sprache sieht er als Vorteile, sprachliche Eigenschaften, die durch die rhythmische Anlage der Sprache und die ausgebildete Metrik, das Sich-Fügen »in alle möglichen fremden Silbenmaße« (KAV I: 427) ergänzt werden. Über die Sprache hinaus ist aber ganz besonders die deutsche Kultur, insofern sie sich auf das Mittelalter und den Geist des Rittertums besinnt, in dem sich Feudalismus und Christentum zur ganzheitlichen Idee des ritterlichen Geistes vereinigen, für Schlegel geeignet, der europäischen Kultur neue ursprüngliche Kraft zu verleihen. Zwar sieht er in den Berliner Vorlesungen über Enzyklopädie von 1803 mit einer gewissen Reserve die Schwierigkeiten, die dem entgegenstehen: So umwölkt der Horizont aussieht, so unrühmlich die Rolle ist, welche die Deutschen jetzt in den Welthändeln gespielt haben, so ist es dennoch schwerlich zu kühn, von ihnen die künftige Rettung Europa’s zu hoffen. Dazu muß freylich die Nation selbst zuvor wieder auferstehen, und dieß kann, da die alte Verfassung dem Geiste der Zeiten nicht mehr angemessen, zerfallen mußte, zuvörderst nur durch Anhäufung großer politischer Massen vorbereitet werden (KAV III: 261).

Da aber »das heutige Europa ursprünglich durch deutsche Eroberer auf den Trümmern der Römischen Weltherrschaft gegründet war« (ebd.: 212), sieht er in der Vergangenheit des Mittelalters ein in die Zukunft gerichtetes Ideal einer deutschen Identität (vgl. Canal 2017: 121). Diese Grundgedanken sind die Messlatte der Beschäftigung Schlegels mit den romanischen Literaturen. Bereits in den Jenaer Vorlesungen über Philosophische Kunstlehre 1798–1799 und den sich thematisch daran anschließenden Berliner Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst 1801–1802 stellt er detaillierte Kenntnisse der Romania unter Beweis. Die einzelnen Autoren und ihre Texte werden hier jedoch nur beispielhaft für die Aspekte seiner Kunstlehre, besonders die Beschreibung der Gattungen, kurz erwähnt. Demgegenüber stellen die Berliner Vorlesungen über die romantische Literatur 1803–1804 eine systematische literarhistorische Auseinandersetzung mit den romanischen Literaturen dar.

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Diese systematische Auseinandersetzung wird in seinen Wiener Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur 1809, die er während seines 13-jährigen Aufenthaltes als Sekretär von Mme de Staël 1804–1817 zumeist im Schweizerischen Coppet verfasst hat, fortgesetzt. Ergänzt werden diese literarhistorischen Betrachtungen der diversen Vorlesungen durch zwei größere Schriften, die Comparaison entre la Phèdre de Racine et celle d’Euripide von 1807 und die Observations sur la langue et la littérature provençales von 1818. Aber auch auf einer weiteren Ebene setzt sich Schlegel mit den romanischen Literaturen auseinander: dem Feld der literarischen Übersetzung. Hier ragen vor allem seine Übersetzungen einzelner Theaterstücke von Calderón de la Barca heraus. Um die Beurteilung der einzelnen romanischen Literaturbeispiele durch Schlegel zu beschreiben, geht man am besten von seinen Urteilen über die französische Literatur aus. Schlegel kritisiert die modernen Zeiten des Verstandesgebrauchs, in denen durch eine zunehmend konventionalisierte Sprache im Namen der Klarheit von Zeichen und Bezeichnetem die Energie des Ursprünglichen des Naturzustands vollends verloren zu gehen scheint. Geradezu beispielhaft für diese Entwicklung steht für diese Situation die französische Literatur, bei der er vor allem der letzten großen, historisch entwickelten Gattung der Moderne, dem Drama, nachgeht. Seine Urteile über französische Tragödien und Komödien fallen dementsprechend oftmals sarkastisch aus. Durch die Herausarbeitung der negativen Aspekte dieser Literatur wird besonders deutlich, was Schlegel an der provenzalischen bzw. okzitanischen, der italienischen und der spanisch-portugiesischen Literatur schätzt und worauf er letztlich seine Philologie gründet. Schlegel arbeitet mit einem diffusen Nationenbegriff, der eigentlich eher die kulturellen Hochphasen der jeweiligen Länder bezeichnet, noch genauer jene historischen Momente, in denen sich so etwas wie eine Nationalsprache herausbildet. Frankreich hat demnach wie auch England erst spät, im 17. Jahrhundert, seinen nationalen Höhepunkt erreicht. »Frankreich und England«, so heißt es in den Berliner Vorlesungen über romantische Poesie, haben sich erst später in dem Europäischen Staatensystem zu ihrem jetzigen Vorrange erhoben und die von ihnen selbst anerkannten Epochen der höheren Ausbildung fallen in den Zeitpunkt, wo der große vom Mittelalter her mitgetheilte Schwung schon nachgelassen hatte (KAV II/1: 13).

Für einen Kritiker, der im mittelalterlichen Geist des Rittertums einen Höhepunkt der Naturpoesie sieht, ist die Epoche des 17. Jahrhunderts, in der sich die französische Sprache einheitlichen Regeln unterwirft, mit dem Postulat einer begrifflichen und konzeptuellen Klarheit bereits weit vom poetischen Naturzustand entfernt. In den Worten Schlegels aus den Wiener Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur liest sich das so:

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Es ist wahr, ihre Sprache hat sich erst in dieser Zeit aus einem unsäglichen Wust von Geschmacklosigkeit und Barbarei herausgearbeitet, während die harmonische Diktion der italienischen und spanischen Poesie sich längst zur schönsten Blüte freiwillig entfaltet hatte, und damals schon wieder auszuarten anfing (KAV IV: 182).

Daraus folgt, dass, angelehnt an diese Sprachentwicklung, die Dichtungen der Franzosen ebenfalls einer Regelhaftigkeit und Rationalität im Namen der Klarheit unterworfen werden: Es ist also nicht zu verwundern, dass die Franzosen einen so großen Wert auf alle negativen Vorzüge, auf die Vermeidung der Uebelstände legen, und daß dieses aus Furcht vor einem Rückfalle seitdem die allgemeine Richtung ihrer Kritik geworden ist (ebd.).

Schlegel untersucht in der Folge die französische Dramenproduktion seit dem 17. Jahrhundert und stellt in ungemein kenntnisreichen Einzelrezensionen die wichtigsten Stücke der französischen Dramenkunst vor. Die leitenden Aspekte seiner Betrachtungen sind zum einen formeller Art, da er zunächst der in Frankreich geradezu sklavenhaft befolgten Anwendung der vermeintlichen Theaterregeln des Aristoteles nachgeht. Sie sind aber auch inhaltlicher Art, wenn er überprüft, wie die Franzosen die aus der zumeist griechischen Tragödie übernommenen mythologischen Stoffe gestalten. Insbesondere die Anwendung der berühmten Regel der Einheit von Ort, Zeit und Handlung wird zum Zielpunkt von Schlegels scharfen und oft spöttischen Bemerkungen, vor allem in den Wiener Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. »Lustig genug ist es«, so schreibt er, daß Aristoteles ein für allemal seinen Namen zu diesen drey Einheiten herleihen muss, da er doch bloß von der ersten, der Einheit der Handlung, mit einiger Ausführlichkeit spricht, über die Einheit der Zeit nur einen unbestimmten Wink hinwirft, und über die Einheit des Ortes auch nicht eine Sylbe sagt (ebd.: 186).

Schlegels Überlegungen zur Einheit der Handlung fallen recht abstrakt aus, und er sieht dieses Kriterium aufgrund der Intrigenlastigkeit in den meisten Stücken der Moderne nicht gegeben. Was die Einheit der Zeit angeht, so formuliert Aristoteles gar kein Postulat, sondern stellt allein beobachtend fest, dass sich die Tragiker im Gegensatz zum Epos in der Regel auf einen Sonnen-Umlauf beschränken (vgl. ebd.: 193). Die daraus in Frankreich abgeleitete Forderung nach einer 24-Stunden-Regel für die Handlung der Tragödie kommentiert Schlegel so: Welch ein unpolitischer Zuschauer wäre das, der, statt mit seiner Theilnahme den Ereignissen zu folgen, wie ein Gefangenenwärter, die Uhr oder das Stundenglas in der Hand, den Helden des Trauerspiels die Stunden zuzählte, die sie noch zu handeln und zu leben haben! Ist denn unsere Seele ein Uhrwerk, das Stunden und Minuten unfehlbar angäbe, und hat sie nicht vielmehr ein ganz verschiedenes Zeitmaß für den Zustand der Unterhaltung und der Langeweile? (ebd.: 194).

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Besonders die Regel der Einheit des Ortes, die Ortswechsel und damit auch jede schauspielerische Bewegung auf der Bühne unterbindet, wird Gegenstand von Schlegels Kritik, die er dazu nutzt, sich satirisch zum französischen Publikum zu äußern. Da es üblich war, privilegierte Personen seitlich links und rechts auf der Bühne sitzen zu lassen, war den Schauspielern ohnehin eine Verlagerung ihres Standorts verwehrt, da der Platz fehlte. Zu dieser erzwungenen Einheit des Ortes, die den Akteuren »kaum eine Breite von zehn Schritten zu freyer Bewegung übrig ließen« (ebd.: 203), übermittelt Schlegel eine Bemerkung aus Jean-François Regnards Le Distrait von 1697, der in sein Stück eine Zuschauerschelte eingebaut hatte: Regnard macht in seinem Zerstreuten eine lustige Beschreibung von dem Lärmen und Unfug, den die modigen Stutzer seiner Zeit auf diesem bevorrechteten Platze trieben, wie sie hinter dem Rücken der Schauspieler laut schwatzten und lachten, und die Aufmerksamkeit der Zuschauer störten, oder auf sich, als die eigentliche Hauptsache beym Schauspiel, ablenkten. Diese üble Gewohnheit dauerte noch zu Voltaire’s Zeiten fort […] (KAV IV: 202).

Besonders sind die französischen Theaterstücke jedoch der Kritik Schlegels ausgesetzt, was die Art und Weise der Bearbeitung der antiken Stoffe angeht. »Der Dichter«, so stellt er fest, der eine alte mythologische, d. h. durch heiligende Ueberlieferung an den religiösen Volksglauben der Griechen angeknüpfte Fabel wählt, sollte sich und seine Zuschauer nun auch ganz in den Geist des Alterthums versetzen; er sollte uns die einfältigen Sitten des heroischen Zeitalters gegenwärtig erhalten, vermöge deren so gewaltsame Leidenschaften und Thaten glaublich sind […] (ebd.: 206).

Das französische Theater hat nun aber diese antiken Stoffe, die die ursprünglichen Sitten der Griechen erkennen lassen, sozusagen in ein höfisches Vorzimmer verlegt: »Die französischen Dichter hingegen haben den mythologischen Helden und Heldinnen die Verfeinerung der großen Welt und heutige Hofsitten geliehen […]« (ebd.). »Wie unähnlich ist der Achilles in Racine’s Iphigenia dem Homerischen!«, ruft Schlegel aus und fährt fort: »Aber die ihm zugeschriebene Galanterie ist nicht bloß ein Verstoß gegen den Homer, sondern sie macht die ganze Geschichte unwahrscheinlich« (ebd.: 207). Und ein besonders schönes Beispiel für die Unterwerfung antiker historischer Stoffe unter die Gebote höfischen Verhaltens in den französischen Stücken ist für Schlegel Racines Türkendrama Bajazet. Das Stück ist für ihn das Muster einer nicht gelungenen Übertragung des Geistes der Historie in das moderne Theater: »Bajazet«, so heißt es, liebt auf ganz europäische Weise; die blutdürstige Politik des despotischen Orients ist zwar in dem Vizier [gemeint ist der Wesir] recht gut geschildert: Aber das Ganze ist gleichsam eine auf den Kopf gestellte Türkey, wo die Weiber statt Sklavinnen zu seyn, das Regiment an sich gerissen haben, was denn so abscheulich ausfällt, daß man sich

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daraus die Lehre ziehen möchte, die Türken hätten wohl so Unrecht nicht, die Frauen unter Schloss und Riegel zu halten (ebd.: 209f.).

Zusammenfassend kann man also sagen: Die französische Literatur hat seit dem Höhepunkt der sprachlichen und kulturellen Entwicklung Frankreichs im 17. Jahrhundert versucht, das Trauerspiel strengen Regeln zu unterwerfen. Das französische Theater ist für Schlegel der Versuch, tragische Würde, tragische Situationen, Leidenschaften und Pathos nackt auf ihre Grundidee zu reduzieren. Dadurch verliert dieses Theater den Bezug zur Wirklichkeit; es fehlt Schlegel der »lebendige Reiz der Mannichfaltigkeit und einer freyen Ausmahlung« (KAV IV: 216). Auch ist die französische Sprache nach ihrer Reformierung im 17. Jahrhundert nur bedingt theatergeeignet: Die französische Sprache ist mancher Kühnheit durchaus unfähig, sie hat wenig dichterische Freyheit, und trägt die ganze grammatische Gebundenheit der Prosa in die Poesie über. Ihre Dichter haben dieß oft anerkannt und beklagt. Ferner ist der Alexandriner in seinen gepaarten Reimen, mit seinen gleichlangen Hemistichien ein sehr symmetrisches eintöniges Sylbenmaaß, welches sich weit besser zum Vortrag antithetischer Sprüche schickt, als zu einer musikalischen Malerey der Leidenschaft mit ihrem ungleichen, abgerißnen, irren Gedankengange (ebd.: 211).

Letztlich ist die französische Literatur seit dem 17. Jahrhundert für Schlegel nicht mehr als die französische Gartenkunst: Sie stehen in der Theorie der tragischen Kunst ungefähr auf dem Punkt, wo sie in der Gartenkunst zur Zeit des Lenotre standen. Das ganze Verdienst wird in einen der Natur durch die Kunst abgezwungenen Triumph gesetzt. Die Regelmäßigkeit begreifen sie bloß als eine abgezirkelte Symmetrie schnurgerader Baumgänge, beschnittener Hecken u.s.w. Vergeblich würde man sich bemühen, den Baumeistern solcher Gärten an einem englischen Park einen Plan eine versteckte Ordnung begreiflich zu machen, und ihnen zu zeigen, wie eine Reihe von Landschaftsgemählden, die durch ihre Stufenfolge, ihren Wechsel und ihre Gegensätze einander heben, alle auf Erregung einer gewissen Gemühtsstimmung abzwecken (ebd.: 216).

Letzterer Satz zeigt mustergültig, worauf es Schlegel bei der Repoetisierung der romantischen Epoche ankommt. Der englische Landschaftsgarten suggeriert eine Natürlichkeit, die dem modernen, durch Verstand und Vernunft von der Natur entfremdeten Menschen der Aufklärung wieder ein Stück weit die Ursprünglichkeit der Natur und die damit verbundene »Gemühtsstimmung«, wie es heißt, zurückbringt. In dieser Hinsicht sind die provenzalische, die italienische und die Literaturen der iberischen Halbinsel weit näher an diesem Ideal. Zu Schlegels Ehrenrettung sei jedoch gesagt, dass er die französische Literatur vor dem 17. Jahrhundert durchaus zu würdigen weiß. »Was die Franzosen betrifft«, so sagt er in den Berliner Vorlesungen über die romantische Poesie,

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so hoffe ich, was ich an den Neueren verschuldet haben mag, durch meine aufrichtige Verehrung der älteren Denkmäler ihrer Sprache und Literatur, so weit es mir bis jetzt möglich gewesen ist, sie kennen zu lernen, wieder gut zu machen (KAV II/1: 13).

Gemeint ist jene Literatur, die, wie es heißt, »alle europäischen Nationen besitzen, [ jene] Naturpoesie aus den Ritterzeiten« (ebd.: 212). Bei seiner positiven Würdigung des Ritterromans, vor allem der Artusromane, muss er sich jedoch weitgehend auf Textauszüge bzw. auf Schriften zweiter Hand stützen, namentlich die des antiquarisch arbeitenden Mediävisten Jean-Baptiste de La Curne de Sainte-Palaye, der 1753 seine Mémoires sur l’ancienne chevalerie und 1875–1882 seinen mehrbändigen Dictionnaire historique de l’ancien langage françois vorgelegt hatte, sowie die Histoire des Troubadours von Claude-François-Xavier Millot aus dem Jahr 1774. Ganz besonders stützt er sich jedoch auf die 1782 erschienenen vier Bände mit Auszügen aus mittelalterlichen Ritterromanen, den Corps d’extraits de romans de chevalerie, des Louis-Élisabeth de la Vergne de Tressan aus dem Umfeld der französischen Enzyklopädie. Die Nähe zum Geist des Rittertums ist somit ein entscheidendes Kriterium der Wertschätzung durch August Wilhelm Schlegel. 1803 hatte er eine eigene Vorlesung mit dem Titel Ueber das Mittelalter gehalten. Und was die mittelalterliche Literatur als Vorbild der Repoetisierungsbestrebungen der Romantik angeht, zählt naturgemäß zunächst einmal die altokzitanische Literatur, seinerzeit als provenzalische Literatur bezeichnet. Lange vor der Rezension der ersten Grammatik der altprovenzalischen Sprache sowie der Anthologie altprovenzalischer Literatur von François-JustMarie Raynouard mit dem Titel Choix des poésies originales des Troubadours von 1816, die Schlegel 1818 unter dem Titel Observations sur la langue et la littérature provençales vorlegt, äußert er sich zur mittelalterlichen Literatur der Okzitania. Während er sich in der Rezension der Arbeiten Raynouards detailliert mit der provenzalischen Sprache sowie der Reimkunst der Troubadours auseinandersetzt, geht er in dem Abschnitt »Über die Provenzalen« der Berliner Vorlesungen über die romantische Poesie auf die kulturhistorische Bedeutung dieser Dichtung ein. Er zeichnet eine literarhistorische Entwicklungslinie, die er zur Stützung seiner poetischen Ideale im Weiteren untersucht: Ihre Poesie [gemeint ist die der Provenzalischen Troubadours] ist anerkanntermaßen die Mutter der Italiänischen; die Italiäner sind aber in ausgebildeter, reifer, und daher in einem gewissen Grade bis zur Unveränderlichkeit fixierten Kunst den übrigen Europäischen Nationen vorangegangen, sie sind nachher Muster der Spanier und Portugiesen geworden, welche sich ihre sämmtlichen Formen angeeignet, und sie, mit Ausnahme eines kleinen, den einheimischen Formen vorbehaltenen Districtes durchgängig herrschend in ihren Sprachen gemacht haben (KAV II/1: 130).

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Das Provenzalische bezeichnet Schlegel als die »Sprache, welche unter allen neulateinischen zuerst zur Reife gedieh« (ebd.: 138). Sie war für ihn auch die »vielseitigste« und daher geeignet »zu einer Muttersprache der Europäischen Poesie« (ebd.). Dies gilt auch für die provenzalische Literatur, die vor allem als Minnedichtung in Erscheinung tritt: Die Provenzalische Poesie ist […] als die Mutter der gesamten modernen Verskunst zu betrachten, aus welcher die seitdem cultivierten Sprachen nur das ihnen anpassende entlehnt und es ausschließlich fixiert haben. Ich darf dreist behaupten, daß alles, was die Franzosen in ihrer beschränkten Versification von Kunstregeln besitzen, aus der Provenzalischen Schule erlernt ist (ebd.: 139).

Die Dichtung der Trobadors, die Schlegel zu diesem Zeitpunkt vor allem aus Jean de Nostradamus Zusammenstellung der Vies des plus célèbres et anciens poètes provençaux von 1575 kennt, zeugt für ihn von einem »Bewußtseyn der bis zur höchsten Meisterschaft geübten Kräfte«, »indem sie mit den Werkzeugen der Poesie, Sprache und Klang spielten, und die Künstlichkeit zum Zwecke machten« (KAV II/1: 141). Lange vor Robert Guiette und Paul Zumthor aus dem 20. Jahrhundert wird hier die These aufgestellt, die okzitanische Dichtung sei eine poésie formelle. Für die romantische Dichtung, so die erheblich spätere Rezension der Grammatik und der Anthologie provenzalischer Troubadours von Raynouard (1818), hat die provenzalische Trobadorlyrik aus mehreren Gründen eine universelle Bedeutung, deren Spuren Schlegel in den romanischen Literaturen nachgeht. Allein da ihre Autoren grenzüberschreitend aus ganz unterschiedlichen Ländern stammten und dennoch in der gleichen Sprache dichteten, hat sie es nicht verdient, so lange aus dem kulturellen Gedächtnis Europas verbannt gewesen zu sein: Un si long oubli est d’autant plus surprenant, que cette littérature doit intéresser non seulement les savans françois, mais aussi ceux d’Espagne et d’Italie, parce que plusieurs Troubadours célèbres sont nés dans leur pays, et que la poésie provençale, s’étant développée la première et ayant été fort répandue au dehors, n’a pu manquer d’avoir une grande influence sur la formation de la poésie espagnole et italienne (Schlegel 1818: 2).

Die universelle Bedeutung der Trobadorliteratur für die Repoetisierungsbemühungen der Romantik liegt aber vor allem in ihrer höchst reflektierten Kunsthaftigkeit der Verbindung von Sprache, Reim und Musik, was die Provenzalen selbst mit dem Begriff Fröhliche Wissenschaft belegt haben: On ne sauroit considérer les chants des Troubadours comme les effusions spontanées d’une nature encore toute sauvage. Il y a de l’art, souvent même un art fort ingénieux; surtout un système compliqué de versification, une variété et une abondance dans l’emploi des rimes qui n’ont été égalées dans aucune langue moderne. Les Troubadours appeloient eux-mêmes cet ensemble de poésie et de musique auquel ils exerçoient leurs talens, une science; mais c’étoit la science gaie (ebd.: 6f.).

August Wilhelm Schlegels Urteile über Zeugnisse der romanischen Literaturen

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In den zwei Jahrhunderten der Hochphase der provenzalischen Poesie, so Schlegel in den Berliner Vorlesungen über romantische Poesie, zehrte diese »unmittelbar vom Leben«. Ihre Sänger haben den »Kreis der Gefühle« und die »Mannichfaltigkeit von Individualitäten« durchlaufen (KAV II/1: 144). So ist es folgerichtig, dass diese Poesie auf Nachfahren übergeht, die sich nunmehr in Italien finden. Hier beobachtet Schlegel zunehmend Züge einer Modernisierung bedingt durch die reflexiven Einflüsse der Scholastik, welche der »in der modernen Lyrik vorhandene Anlage zu contemplativen Tiefsinn« bei den »ältesten Italiänern« eine unpoetische dialektische Wendung verliehen haben, eine für ihn »schwierige und unerfreuliche Lektüre« (ebd.). Gemeint sind die Dichtungen der Juristen am Hof des staufischen Kaisers Friedrich II, bekannt als scuola siciliana. Mit Dante, Petrarca und Boccaccio sind dann jedoch »die drey Häupter und Stifter Aller modernen Kunstpoesie« (ebd.) auf die literarische Bühne getreten. Schlegel geht es um die »organische Bildung und Construction eines poetischen oder überhaupt Kunstganzen« (ebd.: 147). Das schlimmste Kriterium moderner Literaturbetrachtung ist für ihn das ständige Zergliedern (ebd.: 148). Ihm kommt es auf die Zusammenschau, die große Vision an. Und da ist der »erste große romantische Künstler, Dante, und der letzte vor dem Erlöschen, Calderon« (ebd.): »Calderons Autos sind in der gedrängtesten Form gerade das, was Dantes Divina Commedia in ihrem majestätischen Umfang: christlich allegorische Darstellungen des Universums« (ebd.). Schlegel folgt dem Urteil des Literarhistorikers und Platonikers Gian Vincenzo Gravina aus dem 17. Jahrhundert, wenn er den politischen, moralischen und theologischen Zweck von Dantes Universaldichtung beschreibt. Demnach ist die Universalität des Gedichts […] eine zugleich historische und charakteristische, scientifische und poetische, indem, dem Inhalte entsprechend, alle Dichtarten die epische und dramatische, in dieser wieder die tragische und komische, dann die Satyrische, Lyrische und Elegische darin vereinigt seyen, ohne daß das Gedicht einer einzelnen angehört; wie sich dieß auch in der Mischung der Style, in der Sprachbereicherung aus den verschiedensten Quellen, den alten Classikern und den biblischen Propheten, dem Lateinischen und den Provinzial-Dialekten, der Wissenschaftlichen Terminologie und Sprache des gemeinen Lebens offenbare (KAV II/1: 150).

Die italienische Literatur ist deshalb für die romantische Poesie und das Ziel einer Repoetisierung der Sprache so bedeutend, weil die fiorentinischen tre corone, die drei Stifter der Romantik, alle Bereiche der Dichtung abdecken: Dante erhebt die Schönheit in den Sonnenglanz der geistigen Verklärung bis zum Erblinden der Sehkraft, Boccaccio zieht sie in die Region des sinnlichen Reizes herab und adelt diesen auf das erhabenste und mächtigste, als das Symbol der immer regen Natur. Beym Petrarca ist beydes im Gleichgewichte: die Göttlichkeit der Schönheit läßt sich zum Liebreiz herab, und der Reiz läutert sich zur sittsamsten Anmut herauf (ebd.: 176).

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Und auch eine Bemerkung zum genderverwöhnten Leser der Gegenwart findet sich bei Schlegel: Unläugbar ist es, dass alle drey auf ein Ideal der Weiblichkeit ausgehen, jeder auf seine Weise, und daß dieß ein Mittelpunkt ihrer Poesie ist. Daß die drey Häupter der romantischen Kunst hierin zusammentreffen, ist gewiss nicht zufällig, und man [darf] wohl für das Ganze der romantischen Poesie eine besondere Vorliebe des weiblichen Geschlechts hoffen, da diesem in der antiken Poesie immer Unrecht geschieht, indem die idealischen Darstellungen von Frauen (z. B. eine Elektra, Antigone) in den männlichen Charakter übergehen, die weiblichen aber nicht idealisch sind. – Dante’s Beatrice identifizirt sich fast mit dem Urbilde der Madonna; Boccaccios Fiammetta gehört in die Familie der antiken Götterbilde. […] Laura steht auf dem unaussprechlich rührenden Übergang zwischen Sterblichkeit und Verklärung, weniger als die himmlische Jungfrau, mehr als ein irdisches Weib (ebd.: 176f.).

Bemerkenswert ist es, dass Schlegel in den Berliner Vorlesungen über die romantische Literatur auf die spanische Literatur so gut wie gar nicht eingeht. Dies liegt daran, dass der spanischen Literatur der zweiten Hälfte des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine besondere Bedeutung zukommt. Dies gilt im Besonderen für die dramatische Literatur Spaniens, die Schlegel im Kontext der zeitgleichen englischen Literatur, namentlich Shakespeares, behandelt. Beide Literaturen haben bestimmte Vorzüge: Sie haben jeweils keine Vorbilder, an denen sie sich orientieren, und haben sich aus eigener »Kraftfülle« (KAV IV: 279) entwickelt, wie es in den Wiener Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur heißt. Sie haben zudem den Vorzug, dass sie »eine kühne Vernachlässigung der Einheiten von Ort und Zeit« praktizieren und darüber hinaus »komische und tragische Bestandtheile« vermischen (ebd.: 282). Shakespeare und Calderón, die Schlegel zum Abschluss seiner Wiener Vorlesungen in einem in der Zeit so beliebten parallèle gegenüberstellt, verkörpern das Wesen der romantischen Kunst par excellence, da ihre Stücke alles Entgegengesetzte[n]: Natur und Kunst, Poesie und Prosa, Ernst und Scherz, Erinnerung und Ahndung, Geistigkeit und Sinnlichkeit, das Irdische und Göttliche, Leben und Tod […] auf das innigste mit einander [verschmelzen] (ebd.: 283).

Bei Ihnen wird der Unterschied zwischen »classischer« und »romantischer« Literatur überdeutlich: […] die gesamte alte Poesie und Kunst ist gleichsam ein rhythmischer Nomos, eine harmonische Verkündigung der auf immer festgestellten Gesetzgebung einer schön geordneten und die ewigen Urbilder der Dinge sich abspiegelnden Welt. Die romantische hingegen ist der Ausdruck eines geheimen Zuges zu dem immerfort nach neuen und wundervollen Geboten ringenden Chaos, welches unter der geordneten Schöpfung, ja in ihrem Schooße sich verbirgt: der bestehende Geist der ursprünglichen Liebe schwebt hier von neuem über den Wassern (ebd.).

August Wilhelm Schlegels Urteile über Zeugnisse der romanischen Literaturen

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Warum neben Shakespeare vor allem Calderón, von dem Schlegel mehrere Stücke übersetzt, als besonderes Beispiel romantischer Literatur herausgehoben wird, liegt in der Entsprechung seiner Stücke zu dem, was Schlegel als Ideal des romantischen Dramas ansieht: Das romantische Drama denke man sich […] als ein großes Gemälde, wo außer der Gestalt und Bewegung in reicheren Gruppen auch noch die Umgebung der Personen mit abgebildet ist, nicht blos die nächste, sondern ein bedeutender Ausblick in die Ferne, und das alles unter einer magischen Beleuchtung, welche den Eindruck so oder anders bestimmen hilft (ebd.).

Calderóns Stücke sind aber auch deshalb eine ideale Verkörperung der romantischen Schauspielpoesie, weil sie in eine bestimmte historische Phase fallen. In einem langen Exkurs über die spanische Geschichte begründet Schlegel die herausragende Stellung der spanischen dramatischen Literatur des siglo de oro. »Nirgends«, so sagt er in der vierzehnten Wiener Vorlesung, »hat der ritterliche Geist die politische Existenz des Ritterthums länger überlebt als in Spanien« (ebd.: 415). Spanien verdankt seine Vorreiterrolle der romantischen Poesie seiner historischen Stellung: Die Spanier spielen in der Geschichte des Mittelalters eine glorreiche Rolle, welche der neidische Undank der neueren Zeit allzu sehr vergessen hat. Als eine verlohrne Vorwacht des bedrohten Europa gegen die Einbrüche der alles überschwemmenden Araber lagen sie auf ihrer Pyrenäischen Halbinsel wie im Felde, ohne fremden Beystand zu immer erneuerten Kämpfen bereit. Die Gründung ihrer christlichen Königreiche, Jahrhunderte hindurch, von der Zeit an wo die Abkömmlinge der Gothen in die nördlichen Gebirge zurückgedrängt, aus diesem Zufluchtsort wieder hervortraten, bis zur gänzlichen Verdrängung der Mauren aus Spanien, war ein einziges langes Abenteuer; ja die Rettung des Christenthums in diesem Lande gegen solche Übermacht schien das Wunderwerk einer höheren als bloß menschlichen Lenkung zu seyn (ebd.: 414).

In Spanien treffen somit Einflüsse des Nordens durch die Germanen, des Orients durch die Mauren, der nordischen Mythologie, des orientalischen Islam sowie des Christentums aufeinander, was die spanische Kultur so vielfältig macht. Hinzu kommt die spanische Sprache in Gestalt ihrer »castilischen Mundart, diese stolzeste Tochter der weltbeherrschenden lateinischen Sprache« (ebd.). Sie bringt für Schlegel die historischen Besonderheiten des Landes zu Gehör, wodurch sie sich als Vorbild romantischer Poesie par excellence qualifiziert: Sie ist weniger sanft als das Italiänische, wegen der Kehllaute und häufigen Endungen mit Consonanten, aber sie tönt wo möglich noch voller aus der Brust, und füllt das Ohr mit reinem Metallklange. Die rauhe Kraft und Treuherzigkeit der Gothen war in ihr noch nicht ganz verschollen, als orientalische Einmischungen ihr einen wunderbaren Schwung gaben, und ihre in aromatischen Düften gleichsam berauschte Poesie über alle Bedenklichkeiten des nüchternen Abendlandes hinweghoben (ebd.).

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Dass solche Einschätzungen ein großes Stück weit reine Theorielyrik darstellen und voller mythischer Zuschreibungen sind, ist auf den ersten Blick ersichtlich. Was diese Positionen für Auswirkungen auf Schlegels weitere Beschäftigung mit den romanischen Literaturen haben, soll abschließend kurz an einem Beispiel gezeigt werden. Schlegel ist einer der fleißigsten Übersetzer der deutschen Romantik: Neben Shakespeare übersetzt er aus der italienischen Literatur u. a. Dante, Petrarca, Boccaccio, Guarini, Ariost und Tasso, aus der portugiesischen Camões und aus der spanischen Cervantes, Montemayor und Calderón (vgl. dazu Canal 2017: 132). Die Kriterien dieser Übersetzungen sind die genannten literarhistorischen, wobei der sprachlich formale Aspekt eine besondere Rolle spielt. Im Fall Calderóns geht es ihm darum, bei der Auswahl der übersetzten Stücke ein möglichst vollständiges Bild von dessen dramatischer Produktion zu präsentieren. Eine Stelle aus einem der bekanntesten Stücke Calderóns, dem Principe constante, welches Schlegel als Prototyp des romantischen Dramas erachtet, vermag dies zu zeigen. Das Stück behandelt eine Episode der reconquista, in der zahlreiche der von Schlegel so geschätzten Aspekte des romantischen Dramas zusammenlaufen. Es geht um die Standhaftigkeit des portugiesischen Infanten Fernando von Portugal, der in maurische Gefangenschaft geraten ist, jedoch aus Standhaftigkeit seine Freilassung im Austausch gegen die von den Portugiesen gehaltene Stadt Ceuta verweigert. In das Stück sind die beiden berühmten Sonette Calderóns eingewoben, das Blumen- und das Sternensonett, die in einen Moment lyrischen Innehaltens die Schicksalhaftigkeit des Infanten in einem sentimentalischen Bild voller philosophischer Reflexion verdichten. Schlegel hatte die Gedichtform des Sonetts in seinen Bemerkungen zu Petrarca der Berliner Vorlesungen zur romantischen Literatur ausführlich beschrieben. Ihn faszinierte besonders die lyrische Form mit ihrem architektonischen Aufbau, die nicht nur Stimmungen in einzigartiger Form verdichten kann, sondern auch Denkbewegungen im Stil des Syllogismus erlaubt. Das Sternensonett wird von der Maurin Fenix vorgetragen; es bezeichnet nicht nur jene rinascimentale Beschäftigung mit der Vergänglichkeit, sondern auch jenen Glauben an den launischen Einfluss der Gestirne, den der Infant Fernando mit seiner christlichen Standhaftigkeit nicht vertritt. Esos rasgos de luz, esas centellas que cobran con amagos superiores alimentos del sol en resplandores aquello viven que se duele de ellas. Flores nocturnas son: aunque tan bellas, efímeras padecen sus ardores, pues si un día es el siglo de las flores, una noche es la edad de las estrellas.

August Wilhelm Schlegels Urteile über Zeugnisse der romanischen Literaturen

De esa, pues, primavera fugitiva, ya nuestro mal, ya nuestro bien se infiere; registro es nuestro, o muera el sol o viva. ¿Qué duración habrá que el hombre espere, o qué mudanza habrá que no reciba de astro que cada noche nace y muere? (Calderón de la Barca, El príncipe constante II, 15)

Eine moderne interlineare Übersetzung würde in etwa so lauten: Diese Eigenschaften des Lichts, diese Funken Welche mit erhabenen Anzeichen Glanz als Nahrung von der Sonne aufnehmen Sie leben dies so, dass man Schmerz mit ihnen empfindet. Nächtliche Blumen sind sie: obwohl so schön, vergänglich leiden ihre Gluten, denn, wenn ein Tag das Jahrhundert der Blumen ist, so ist eine Nacht das Zeitalter der Sterne. Aus diesem also flüchtigen Frühling, folgt mal unser Unglück, mal unser Glück; Das ist unsere Lebensspanne (Register), ob die Sonne auf- oder untergeht. Was für eine Dauer wird der Mensch erwarten können? Oder welchen Wandel wird es geben, dem er nicht unterliegen wird, Von einem Gestirn, das jede Nacht geboren wird und stirbt?

Demgegenüber lautet die Übersetzung Schlegels so: Die hellen Funken, welche dem Beschauer, Genährt von Strahlen, die der Sonn’ entsprühten, Wann sie versank, des Lichtes Blick vergüten, Sie leben selbst nur eine Blumentrauer. Nächtliche Blüten sind’s: in krankem Schauer Ermattet bald der Glanz, von dem sie glühten: Denn wenn ein Tag das Alter ist der Blüten, Ist eine Nacht der Sterne Lebensdauer. Nach dieser Lenze schnell verwelktem Prangen Muß unser Wohl, muß unser Weh sich färben, Ob Sonnen unter- oder aufgegangen. Was könnte dauerhaft der Mensch erwerben? Was wandelbar von Sternen nicht empfangen, Die jede Nacht, geboren, wieder sterben? (Schlegel 1813: 99)

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Schlegel kommentiert das Blumen- und das Sternensonett, deren Bedeutung er vor allem in ihrem weltanschaulichen Zusammenhang für den christlichen Schöpfungsgedanken sieht: Wenn er das Entfernteste, das Größte und Kleinste, Sterne und Blumen zusammenstellt, so ist der Sinn aller seiner Metaphern der gegenseitige Zug der erschaffnen Dinge zu einander wegen ihres gemeinschaftlichen Ursprungs, und dies entzückende Harmonie und Eintracht des Weltalls ist ihm wieder nur ein Widerschein der ewigen Alles umfassenden Liebe (SW VI: 397).2

Auffällig an der Übersetzung ist die möglichst genaue Nachbildung der formalen Elemente. Schlegel übersetzt in Verse und behält das Reimschema des Ausgangstextes ABBA ABBA CDC DCD bei, was vor allem eine dichterische und nicht so sehr übersetzerische Höchstleistung ist. Er bildet im Deutschen den spanischen Vers des endecasílabo de cinco acentos, also des Elfsilbers mit fünf Hebungen, nach, der im 15. Jahrhundert aus Italien nach Spanien importiert wurde. Die zahlreichen Zischlaute des ersten Verses werden bei ihm im Deutschen durch e-Assonanzen ersetzt. Nicht nachzubilden vermag er die a- und oAssonanzen des zweiten Verses, weil die vokalischen Verhältnisse des Spanischen gegenüber denen des Deutschen völlig anders gelagert sind. Über dieses Manko des Deutschen im Vergleich zum Spanischen im Bereich der Vokale und Konsonanten äußert sich Schlegel mehrfach an anderen Stellen. Die Betonung des Formalen geht auf Kosten der Klarheit der Übersetzung, deutlich zu sehen in der ersten Strophe. Zwar versucht er die für Calderóns Stil typischen conceptos und agudezas, hier die begrifflich scharfe Bildlichkeit der von der Sonne mit Glanz genährten Sterne, die auf diese Weise hoheitliche Zeichen erkennen lassen, zu übersetzen. Die Strophe wird dadurch aber höchst komplex und teilweise unverständlich, da er anders als das spanische Original versucht, interpretatorisch die Verbindung von Blumen- und Sternensonett mit in die Übersetzung hineinzunehmen. »Sie leben selbst nur eine Blumentrauer.« – heißt es im letzten Vers der Übersetzung, während in der Originalversion die Verbindung erst zu Beginn der zweiten Strophe gezogen wird. Allein diese wenigen Stellen zeigen, dass Schlegels Übersetzungstätigkeit von philologischen Interessen geprägt ist, die in die konkreten übersetzten Texte eingehen (vgl. auch Canal 2017: 190). Dabei kommt es ihm grundsätzlich auf die Übertragung der Musikalität des Originaltextes an, weil diese die Nähe zur Naturpoesie und Ursprache zum Ausdruck bringt. Dementsprechend werden vor allem die metrischen Formen Calderóns nachgebildet, was vielfach auf Kosten der inhaltlichen Verständlichkeit geht.

2 Vgl. auch Canal 2017: 283.

August Wilhelm Schlegels Urteile über Zeugnisse der romanischen Literaturen

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Die romanischen Literaturen liefern, so kann man zusammenfassend festhalten, jene Vorbilder und Bezugspunkte, über die August Wilhelm Schlegel sein Programm einer philologisch und poetologisch geprägten Dichtung formulieren kann. Dabei ist die französische Literatur seit dem 17. Jahrhundert das Musterbeispiel einer durch die Reflexionstätigkeit des Menschen sowie die gesellschaftlichen Konventionen der modernen Zivilisation abgegriffenen, in Denkschablonen erstarrten Sprache und Dichtung, gegen die sich die romantische Wiedererweckung der Poesie wendet. Die provenzalische, italienische und besonders die spanische Literatur stellen die Vorbilder, an denen sich die romantische Repoetisierung der Sprache orientieren kann.

Bibliographie Bonner Romanistik (o. J. a): 10 Gründe für das Bonner Romanistik-Studium, [konsultiert am 28. 01. 2020]. Bonner Romanistik (o. J. b): Historie, [konsultiert am 28. 01. 2020]. Calderón de la Barca, Pedro (1629/2002): El príncipe constante. Jornada II. Hg. von V. G. Williamsen, J. T. Abraham. – Association for Hispanical Classical Theater, [konsultiert am 29. 04. 2020]. Canal, Héctor (2017): Romantische Universalphilologie. Studien zu August Wilhelm Schlegel. – Heidelberg: Winter (GRM-Beiheft 80). KAV = August Wilhelm Schlegel. Kritische Ausgabe der Vorlesungen. Begründet von E. Behler in Zusammenarbeit mit F. Jolles, hg. von G. Braungart (1989-). Bd. I: Vorlesungen über Ästhetik I (1798–1803) [1989]. Hg. von E. Behler; Bd. II/1: Vorlesungen über Ästhetik II/1 (1803–1827) [2007]. Hg. von E. Behler; Bd. III: Vorlesungen über Encyklopädie (1803) [2006]. Hg. von F. Jolles, E. Höltenschmidt, E. Behler; Bd. IV: Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur (1809–1811) [2018]. Hg. von S. Knödler. – Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh. Schlegel, August Wilhelm (1788): De Geographia Homerica Commentatio Quae ln Concertatione Civium Academiae Georgiae Augustae lV lunii MDCCLXXXVll Ab lllustri Philosophorum Ordine Proxime Ad Praemium AccessissePronuntiata Est. – Hanoverae. Schlegel, August Wilhelm (1813): Schauspiele von Don Pedro Calderon de la Barca. Übers. von A. W. Schlegel. 2. Theil. – Wien: Anton Pichler. Schlegel, August Wilhelm de (1818): Observations sur la langue et la littérature provençales. – Paris: Librairie grecque-latine-allemande. SW = August Wilhelm von Schlegel’s sämmtliche Werke. Hg. von E. Böcking (31846). Bd. VI: Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Zweiter Theil; Bd. VII: August Wilhelm von Schlegel’s vermischte und kritische Schriften. 1: Sprache und Poetik. – Leipzig: Weidmann.

Kai Kauffmann

Formenkanon oder Seelendrama. Die Trobadors-Dichtung in den literatur- und kulturpolitischen Programmen August Wilhelm Schlegels und Rudolf Borchardts

1.

Vorbemerkung

August Wilhelm Schlegels Schrift Observations sur la langue et la littérature provençales gehört zu den Gründungsurkunden der europäischen Romanistik1 und ist insbesondere für Linguisten weiterhin von Interesse, wie einige Beiträge des vorliegenden Bandes zeigen. Ein germanistischer Literaturwissenschaftler, der weder die Fachgeschichte der Romanistik noch die Typologie des Provenzalischen im Sprachraum der Romania kompetent behandeln kann, muss den Observations andere Aspekte abgewinnen. Auf der Basis neuerer Forschungsarbeiten zu August Wilhelm Schlegel werde ich im ersten Teil dieses Aufsatzes die Observations im Zusammenhang mit seinem nach 1800 theoretisch begründeten und praktisch umgesetzten Programm einer ›Repoetisierung‹ oder ›Regeneration‹ von Sprache und Dichtung behandeln. Im zweiten Teil werde ich mich Rudolf Borchardt (1877–1945) zuwenden, der, sich selbst als Nachfolger Schlegels in Szene setzend, gut ein Jahrhundert später die Wiedergewinnung der provenzalischen Trobadors-Dichtung zum Teil seines eigenen Programms einer ›Schöpferischen Restauration‹ der europäisch-deutschen Kultur gemacht hat. In beiden Fällen geht es mir um die jeweilige Rolle, die der provenzalischen Sprache und Dichtung innerhalb einer zwar literatur- und kulturgeschichtlich angelegten, aber letztlich literatur- und kulturpolitisch motivierten und perspektivierten Konstruktion zugeschrieben wird.

1 In seinem Vorwort zum Neudruck der Observations sieht Gunter Narr 1971: i in Schlegel einen »wichtigen, wenn nicht Begründer, so doch Wegbereiter der Romanischen Philologie«.

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2.

Kai Kauffmann

August Wilhelm Schlegels Programm einer ›Regeneration‹ von Sprache und Dichtung in den Berliner Vorlesungen über schöne Literatur (1802/03)

Im Anschluss an die bereits 1999 veröffentlichte Monographie von Jochen Bär zur Sprachreflexion der deutschen Frühromantik sind in den letzten Jahren mehrere Studien erschienen, die das von A. W. Schlegel zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Angriff genommene Programm einer ›Repoetisierung‹ mit den dazu gehörenden Tätigkeiten und Praktiken unterschiedlicher Art genauer untersucht haben (vgl. Bär 1999; Kauffmann 2016; Canal 2017; Kauffmann 2018). Héctor Canal ist in seiner Dissertation Romantische Universalphilologie so weit gegangen, das gesamte Lebenswerk Schlegels als ein »organisches Ganzes« zu bezeichnen (Canal 2017: 319). Dagegen lässt sich einwenden, dass bei den immer weiter in die Sprach-, Literatur- und Kulturgeschichte der Menschheit zurückgreifenden Vorlesungen, Abhandlungen und Editionen des Bonner Professors die praktische Wirkungsabsicht auf die heutige Sprache und Dichtung nicht mehr erkennbar ist. Ein vollständiger Verzicht auf seine frühere Agenda scheint mir Schlegels Entscheidung, die Professur im Jahre 1818 anzunehmen, dennoch nicht zu sein, sonst wäre beispielsweise die in die Bonner Anfangszeit fallende LehrerSchüler-Beziehung zu Heinrich Heine, den Schlegel auch bei der dichterischen Anverwandlung traditioneller Versarten und Gedichtformen beriet (vgl. Kauffmann 2016: 15f.; Paulin 2017: 330), ein gegenseitiges Missverständnis gewesen. Man kann wohl eher von einer allmählichen, schon in den 1810er Jahren spürbaren Ablösung der historischen und philologischen Interessen von den sprach-, literatur- und kulturpolitischen Zielen der Gegenwart sprechen, einem Prozess, der durch unterschiedliche Faktoren vorangetrieben wurde.2 Aber zurück zu den Anfängen: In den Jahren 1801 bis 1804 hielt Schlegel jeweils in der Wintersaison öffentliche Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst vor einem Publikum aus der Berliner Gesellschaft.3 Bereits zu Beginn der ersten Vorlesungsreihe von 1801/02, die der Kunstlehre gewidmet war, hob Schlegel als Besonderheit seiner Methode hervor, dass er Theorie, Kritik und 2 Bereits durch die Verlagerung seines Lebensschwerpunktes nach Coppet schwächte sich Schlegels Verbindung zu den literarischen Zirkeln in Jena, Weimar und Berlin ab. Der Freundeskreis der Frühromantiker existierte nicht mehr, als er 1818 dauerhaft nach Deutschland zurückkehrte. Vieles von dem, was um 1800 zu seinem Programm gehört hatte, war inzwischen von anderen Dichtern, Künstlern und Forschern übernommen, umgesetzt und weiterentwickelt worden. Als Professor, der in Bonn unter anderem die Indologie begründet hatte, stand er unter dem Druck der rasch voranschreitenden Professionalisierung der historischen und philologischen Wissenschaftsdisziplinen. 3 Der folgende Abschnitt zu den Berliner Vorlesungen ist leicht verändert und gekürzt aus einem anderen Aufsatz übernommen, vgl. Kauffmann 2018: 8f.

Formenkanon oder Seelendrama

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Geschichte der schönen Künste nicht getrennt abhandeln, sondern sie so weit wie möglich miteinander vereinen und verschmelzen werde (vgl. KAV I: 181). Aber erst in der zweiten Vorlesungsreihe von 1802/03, die sich auf die schöne Literatur konzentrierte, gab er zu erkennen, dass er mit seiner ganzen Unternehmung ein literatur- und kulturpolitisches Bildungsprogramm verfolgte. Am Ende einer vernichtenden Kritik an dem gegenwärtigen, im Zeichen der Aufklärung stehenden Zustand der deutschen Literatur sprach er von seinem Ziel einer künftigen »Regeneration« unserer Sprache, Dichtung und Kunst: Da wir nun in der menschlichen Bildungsgeschichte überhaupt das Naturgesetz einer wechselnden Flut und Ebbe […] schon in mehreren Erfahrungen bestätigt wahrnehmen können: so sehe ich nicht, was in der Hoffnung auf Erneuerung, auf einen großen Umschwung in den Richtungen des geistigen Strebens, an sich so widersinniges seyn soll. Regeneration heißt der vermittelnde Begriff, zwischen der Vergänglichkeit des Einzelnen und der Unsterblichkeit des Allgemeinen, welches sich zu jenem wie die Seele zum Leibe verhält. Der Genius des Menschengeschlechts ist ewig und nur einer, er bildet sich nur von Zeit zu Zeit eine neue Gestalt an, wenn die vorige veraltet: sein Symbol ist der aus seiner eignen Asche wieder auflebende Phönix (KAV I: 537).

Betont Schlegel hier anthropologisch das in der Natur des Menschen angelegte Vermögen der Poiesis, schöpferischer ›Lebenskräfte‹, die immer wieder eine neue Blütezeit hervorbringen, so stellt er anschließend klar, dass die Menschheitsgeschichte gleichwohl nicht als immer gleicher Wechsel von Flut und Ebbe oder Blüte und Verfall aufgefasst werden darf. Nun stärker geschichtsphilosophisch argumentierend, macht er deutlich, dass eine »Regeneration« auf dem heute erreichten Bildungsstand der Menschheit nicht zu erreichen ist, indem sich die Dichter und Künstler auf niedrigere Entwicklungsstufen zurückfallen lassen, die wie etwa die griechische Antike weit weniger vom reflektierenden Bewusstsein geprägt waren. Im Gegenteil hält Schlegel in der gegenwärtigen Zeit ein Höchstmaß an philosophischer, wissenschaftlicher, historischer und ästhetischer Bildung für eine notwendige Voraussetzung, damit künftig neue, äußerst reflektierte Arten der »Kunstpoesie« entstehen können (vgl. KAV I: 541). In der dritten Vorlesungsreihe von 1803/04 über die Romantische Poesie wiederholt Schlegel, für uns sei »Universalität der Bildung« der »einzige Rückweg zur Natur« (KAV II/1: 65), legt dabei aber den Akzent auf die Notwendigkeit einer philologisch gelehrten Kunstbildung. Es heißt dort: Nicht deswegen häufen wir alle Schätze der Vorzeit um uns her, um in kalten todten Nachahmungen nur doppelte Exemplare von etwas schon vorhandenem zu liefern: sondern um die Gesamtheit der Mittel und Organe zu überschauen, durch deren eigenthümlichen Gebrauch es uns möglich wird, noch unberührte Geheimnisse des Gemüths auszusprechen, noch heiligere Mysterien der Natur zu offenbaren. […] Gelehrt muß unsre Kunstbildung seyn, so gelehrt, wie sie noch nie gewesen, aber von einer

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Kai Kauffmann

ächten Gelehrsamkeit, die alles meisterliche und unübertreffliche kennt, aber sich auch ausschließend an dieses hält (ebd.).

Die im Anschluss an die zeitkritische Diagnose vollzogene Hinwendung zur historischen Darstellung der ›klassischen‹ Literatur der griechischen und römischen Antike sowie der ›romantischen‹ Literatur mehrerer europäischer Nationen in den Perioden des Mittelalters und der Neuzeit war also ein folgerichtiger Schritt im Rahmen des von Schlegel entworfenen Programms der ›Repoetisierung‹ und ›Regeneration‹ der deutschen Sprache und Dichtung. Eine auf die Art der literaturgeschichtlichen Darstellung eingehende Analyse kann unter anderem am Beispiel des Sonetts zeigen, dass Schlegel besonders an Gattungsformen interessiert war und aus den Meisterwerken der größten Dichter – im Falle des Sonetts vornehmlich Petrarca – Idealmodelle abstrahiert hat, um durch ihre Vermittlung die poetische Produktion der heutigen Autoren anzuregen (vgl. Holmes 2006; Borgstedt 2009; Kauffmann 2018). Die von ihm betriebene Vermittlung von Gattungsformen, die aus anderen Literaturtraditionen stammen, beschränkte sich nicht auf seine historischen Vorlesungen und Abhandlungen. Neben seinen eigenen Dichtungen und Nachdichtungen, die wiederum zur Modellbildung beitragen sollten, sind seine Übersetzungen zu nennen. So erschienen 1804, zeitlich parallel zu den Berliner Vorlesungen über die romantische Literatur, die Blumensträuße italienischer, spanischer und portugiesischer Poesie. Diese Anthologie von Übertragungen in die deutsche Sprache ist auch im Hinblick auf das spezielle Thema des vorliegenden Aufsatzes von Belang.

3.

Die »Mutter der gesamten modernen Verskunst«. Die Positionierung der Provenzalen in der Konstruktion der Vorlesungen Über die romantische Poesie (1803/04)

Für die Blumensträuße wählte Schlegel meisterhafte Gedichte und Gesänge von Dante, Petrarca, Boccaccio, Ariost, Tasso, Guarini, Montemayor, Cervantes und Camões aus, die mehrere Gattungsformen der romanischen Literaturen in unterschiedlichen Gestaltungsvarianten repräsentieren sollten (Schlegel 1804/2007; vgl. Strobel 2007: 189–218). Dabei maß er Petrarca mit nicht weniger als 38 Sonetten die bei weitem größte Bedeutung zu. Dass er keine französischen Dichter berücksichtigte, war ein Akt der literatur- und kulturpolitischen Ausgrenzung, denn Schlegel hielt allgemein die französische Literatur für zu konventionell – darüber wird noch zu sprechen sein. Das Fehlen von provenzalischen Dichtern hatte einen ganz anderen Grund. Schlegel kannte zu diesem Zeitpunkt die provenzalische Poesie noch nicht im Original, sondern nur aus französischen

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und italienischen Quellen, die einzelne Gedichte in Übersetzungen und Paraphrasen wiedergegeben hatten.4 Eine durch andere Sprachen vermittelte Kenntnis der provenzalischen Poesie reichte ihm für eigene Übertragungen nicht aus. Sein literaturgeschichtliches Interesse war aber geweckt, wie der Abschnitt »Über die Provenzalen« in den an der Jahreswende 1803/04 gehaltenen Vorlesungen Über die romantische Poesie belegt. Dieses Interesse dürfte weniger durch die schon ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Neuen Critischen Briefe von Johann Jakob Bodmer, in denen der Zürcher Literaturkritiker als erster im deutschen Sprachraum den Einfluss der Provenzalen auf die romanischen Literaturen und den deutschen Minnesang hervorgehoben hatte (Bodmer 1749; vgl. Kauffmann 2021), als durch die rezenten Mitteilungen seines jüngeren Bruders über das Studium provenzalischer Handschriften in der Pariser Nationalbibliothek angeregt worden sein. Friedrich Schlegel, der in Briefen auch eine am besten gemeinschaftlich erarbeitete Edition der provenzalischen Handschriften vorgeschlagen hatte (daraus wurde nichts),5 veröffentlichte 1803 im zweiten Heft der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Europa einen an August Wilhelm Schlegel adressierten Bericht über seine Pariser Recherchen unter dem Titel Beiträge zur Geschichte der modernen Poesie und Nachricht von provenzalischen Manuscripten. Die Beiträge sind auch deshalb bemerkenswert, weil Friedrich Schlegel zu Beginn des Aufsatzes literatur- und kulturpolitische Leitsätze formuliert, die weitgehend mit dem oben skizzierten Bildungsprogramm aus den Berliner Vorlesungen des Winters 1802/03 übereinstimmen. Zwar verweist Friedrich zeitkritisch nicht auf den gegenwärtigen Zustand der deutschen Literatur, sondern auf die aktuelle Lage der deutschen Nation, deren politische Existenz zum Teil aufgehört habe, auch fehlt eine geschichtsphilosophische Grundlegung des literatur- und kulturpolitischen Bildungsprogramms, doch die Stoßrichtung der ins Auge gefassten Maßnahmen ist die gleiche wie bei August Wilhelm. Es sei hier gestattet, eine etwas längere Passage aus Friedrichs Aufsatz zu zitieren: So zeigt sich nun jetzt der hohe Geist der Deutschen in einer edlen Rastlosigkeit und Thätigkeit, die gleich unermüdet ist, neue Quellen der Wahrheit und der Schönheit zu entdecken und zu ergänzen, und auch die, welche schon in alten Zeiten bei andern Nationen sich ergossen haben, von neuem zu beleben und auf die vaterländischen Fluren zu leiten. Die deutsche Literatur wird, nach dem gegenwärtigen Anfange zu urtheilen, in nicht gar langer Zeit, alle andren ältern Literaturen verbannt [sic!], sich einverleibt und in sich aufgenommen haben. […] Eine gründliche Kenntniß jener schönen südlichen Poesie, die wir vorzugsweise die romantische zu nennen gewohnt sind, ist aber nothwendig, wenn dies Geschäft glücklich von statten gehen soll. […] 4 Vgl. den Kommentar von Stefan Knödler zu dem Abschnitt »Über die Provenzalen« in den Berliner Vorlesungen, in: KAV II/2: 739f. 5 Vgl. seinen Brief an August Wilhelm Schlegel vom 15. Januar 1803, in: Walzel 1890: 506f.

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Besonders aber wird mein Bestreben dahin gehen, die Bekanntschaft mit der provenzalischen Poesie und Sprache wenigstens vorzubereiten, so weit es bei den jetzt vorhandnen Hülfsmitteln möglich ist (F. Schlegel 1803: 50f.).

Obwohl sich die beiden Brüder in diesen Jahren kaum mehr gesehen und gesprochen haben, verfolgten sie ähnliche Ziele und unterstützten sich wechselseitig bei ihren Projekten. Als Friedrich auf die Bitte um einen passenden Beitrag zur Zeitschrift Europa von August Wilhelm eben jenen Abschnitt aus den Berliner Vorlesungen zugeschickt bekam, der den derzeitigen Zustand der deutschen Literatur beklagt und eine aus der älteren Poesie europäischer Völker schöpfende Kunstbildung fordert, äußerte er sich in einem Brief erfreut darüber, wie »auffallend ähnlich« doch ihre Ansichten seien.6 Als programmatisch gemeinter Beitrag erschien die Auskopplung aus den Vorlesungen unter dem Titel Ueber Litteratur, Kunst und Geist des Zeitalters im dritten Heft der Europa (vgl. A. W. Schlegel 1803: 3–95). In den Vorlesungen Über die romantische Poesie behandelte August Wilhelm Schlegel die Provenzalen im Übergang von der allgemeinen ›Volkspoesie‹ – Kanzonen, Balladen, Volkslieder vorwiegend in spanischer, schottischer, englischer, dänischer und deutscher Sprache – zu der individuellen ›Kunstpoesie‹ der größten italienischen Dichter Dante und Petrarca (sowie Boccaccio) mit ihren sprachlich durchbildeten und gedanklich reflektierten Gattungsformen der Kanzone und des Sonetts. Betrachtet man seine Konstruktion der Literaturgeschichte genauer, so erkennt man, dass die Provenzalen selbst nicht als Übergang dargestellt werden. Vielmehr erscheinen sie als Anfang, als die Geburt einer völlig neuen Art der Dichtkunst, die – und dies ist für Schlegel zugleich das Mysterium eines schöpferischen Ursprungs und das Problem künstlerischer Unreife – gerade nicht an frühere Perioden der europäischen Literaturgeschichte anknüpft. Pointiert gesagt: Mit den Provenzalen kommt die romantische Kunstpoesie zur Welt. Allerdings sieht Schlegel in den Provenzalen lediglich das Anfangsstadium einer Entwicklung, die erst bei den Italienern das höchste Niveau der Dichtkunst erreicht. Deswegen fällt sein Vergleich der Provenzalen mit ihren Nachfolgern nicht uneingeschränkt positiv aus. Nicht nur seien die Hervorbringungen der Trobadors weniger durch den geistigen Gehalt als durch die dichterischen Formen »Vorbilder für die romantische Kunst« (KAV II/1: 130) geworden. Vielmehr seien auch ihre Formen erst von den Nachfolgern künstlerisch vollendet worden: Ihre Poesie ist anerkanntermaßen die Mutter der Italiänischen; die Italiäner sind aber in ausgebildeter, reifer, und daher in einem gewissen Grade bis zur Unveränderlichkeit fixirten Kunst den übrigen Europäischen Nationen vorangegangen, sie sind nachher

6 Brief an August Wilhelm Schlegel vom 14. August 1803, in: Walzel 1890: 517.

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Muster der Spanier und Portugiesen geworden, welche sich ihre sämmtlichen Formen angeeignet, und sie, mit Ausnahme eines kleinen, den einheimischen Formen vorbehaltnen Districtes durchgängig herrschend in ihren Sprachen gemacht haben. Auf diese Weise hat die Provenzalische Poesie mittelbar beynahe die ganze südliche bestimmt […] (ebd.).

Für Schlegel, in dessen eigener Dichtungslehre die Metrik von zentraler Bedeutung ist, besteht die epochale Leistung der provenzalischen Trobadors in der lebendigen Ausprägung von verschiedenen gebundenen Versarten und gereimten Strophenformen, die anschließend von den italienischen Dichtern verfestigt und dann, immer weiter konventionalisiert, an andere Nationen überliefert worden seien. An einer späteren Stelle heißt es: Die provenzalische Poesie ist daher als die Mutter der gesamten modernen Verskunst zu betrachten, aus welcher die seitdem cultivirten Sprachen nur das ihnen anpassende entlehnt und es ausschließend fixiert haben. Ich darf dreist behaupten, daß alles, was die Franzosen in ihrer beschränkten Versification von Kunstregeln besitzen, aus der Provenzalischen Schule erlernt ist (ebd.: 139).

Zu beachten ist, dass Schlegel in diesem Zusammenhang zwar einerseits betont, der Ausdruck des individuellen Lebens müsse in den poetischen Formen gebunden sein, was nach seiner Auffassung erst Dichtern wie Dante, Petrarca und Boccaccio vollkommen gelungen sei, er aber andererseits vor einem »machinalen Gebrauch« konventionell gewordener Formen nach Art der französischen Literatur warnt (vgl. ebd.: 141). Mit dem individuell geprägten Charakter der provenzalischen Dichtungen ist ein zweites, wenn auch nicht ausgearbeitetes Motiv angesprochen, das Schlegel in den Berliner Vorlesungen dazu bringt, die Trobadors einerseits als den Anfang der romantischen Poesie darzustellen und ihnen andererseits einen Mangel an künstlerischer Bildung zu bescheinigen. Da er lediglich die aus anderen Quellen bezogenen Namen einiger Trobadors auflistet, ohne ein einziges Werk zu betrachten, bleibt es freilich bei der bloßen Behauptung, »daß die gesamte Poesie der Provenzalen vom subjectiven ausging und […] niemals eine objective Darstellung unternahm« (KAV II/1: 136). So wenig dieses Urteil auf einer kritischen Prüfung der Gedichte selbst beruht, so wichtig ist es für die literaturgeschichtliche Konstruktion der Vorlesungen und ihre literatur- und kulturpolitische Ausrichtung auf die Zeit der Gegenwart. Das wird deutlich, wenn Schlegel das Urteil über die Provenzalen zu Beginn des folgenden Abschnitts »Italiänische Poesie« wiederholt und danach skizziert, wie es Dante, Petrarca und Boccaccio vermocht hätten, ihren Dichtungen einen über das bloß Subjektive, den individuell bestimmten und auch national beschränkten Charakter, weit hinausgehenden geistigen Gehalt zu geben:

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Der Provenzalischen Poesie ist es ergangen, wie es jeder ganz subjectiven Poesie ergehen muß, die bloß unmittelbar vom Leben lebt, und ihre Nahrungsquellen nicht weiter zurück liegen hat, als in der allgemein ansprechenden Sitte und den persönlichen Leidenschaften der Sänger. Wenn der Kreis der Gefühle durchlaufen, die Mannichfaltigkeit von Individualitäten, welche in diesem Styl der Bildung Statt findet, ausgesprochen ist, so wiederhohlt sie sich oder artet aus. Wie eine durch eigne Fruchtbarkeit erschöpfte Mutter konnte die Provenzalische Poesie nur in Kindern fortblühen, die in anderen Ländern ihr Glück suchten. Sollte etwas neues und größeres zu Stande kommen, so mußten noch unbekannte Anschauungen die Geister befruchten, und dieß war in Italien der Fall. Die drey Häupter und Stifter Aller modernen Kunstpoesie, Dante, Petrarca und Boccaccio legten sich sämtlich mit großem Eifer auf das Studium der classischen Autoren und trieben es so weit, als in ihrer Zeit möglich war. Dante besonders hatte alles wissenswürdige in der Philosophie, Theologie, Physik, Mathematik und Geschichte in sich versammelt, was man damals ungefähr wissen konnte (KAV II/1: 144).

Auf merkwürdige, die Distanz eines halben Jahrtausends überspringende Weise erscheint an dieser Stelle besonders Dante als Vorbild für August Wilhelm Schlegels Programm einer gelehrten Kunstbildung, die Klassizität und Modernität in sich vereint. Insgesamt kommt wieder den italienischen Dichtern die meiste Beachtung zu. Dante und Petrarca werden als die Meister der Kanzone, des Sonetts und anderer Formen der roman(t)ischen Poesie ausführlich charakterisiert. Wie oben angedeutet, zielt die Darstellung auf die Konstruktion idealer Gattungsmodelle, die zusammen eine Art Formenkanon ergeben. Allerdings, und das muss noch einmal unterstrichen werden, verstand Schlegel diese Modelle nicht als Muster bloßer Nachahmung, sondern als ein Mittel, um heutige Dichter zu eigenen Schöpfungen anzuregen. Die neue deutsche Literatur sollte eben einen »eigenthümlichen Gebrauch« von den alten Formen der roman(t)ischen Poesie machen, was immer das in der kreativen Praxis heißen konnte. Einen Klassizismus französischer Prägung lehnte Schlegel auf jeden Fall entschieden ab.

4.

Provenzalische ›invention‹ gegen französische ›imitation‹ in den Observations sur la langue et la littérature provençales (1818)

Nach Abschluss der Berliner Vorlesungen des Winters 1803/04 nahm Schlegel das Angebot der Madame de Staël an, sie auf ihren Reisen durch Europa zu begleiten und ihre Kinder in Coppet zu unterrichten. Die verbleibende Zeit nutzte er zwar für die Vertiefung seiner sprach- und literaturgeschichtlichen Kenntnisse, das Studium der Provenzalen aber ruhte mehr als ein Jahrzehnt, zum einen, weil

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Schlegel durch die Verbannung von Madame de Staël an längeren Aufenthalten in Paris gehindert wurde, zum anderen, weil es weiterhin keine gedruckte Ausgabe provenzalischer Handschriften gab. Und auch der Bruder Friedrich konnte nicht mehr als Mittelsmann helfen, da er im April 1804 die französische Hauptstadt verlassen hatte und nur noch für einige Wochen im Frühjahr 1805 in sie zurückkehrte. Mit Napoleons Abdankung veränderte sich die Situation. Nur kurz durch die ›Herrschaft der hundert Tage‹ unterbrochen, lebte Schlegel von 1814 bis 1817 als Hausgenosse von Madame de Staël in Paris und beschäftigte sich dort intensiv mit der provenzalischen Sprache und Dichtung. Anfänglich hegte er offenbar die Absicht, die von ihm in der Pariser Nationalbibliothek abgeschriebenen Gedichte der Trobadors in gedruckter Form zu edieren (vgl. Schlegel 1846: 5), doch kam ihm François Raynouard im Jahre 1816 mit Schriften zuvor, die zum Teil in dem mehrbändigen Werk Choix de poésies originales des troubadours (1816–1821) erneut publiziert wurden. Ob Schlegel, der mit Raynouard in engem Austausch stand, über diese Veröffentlichungen tatsächlich so erfreut war, wie er nachträglich behauptet hat, bleibe dahingestellt. Jedenfalls setzte er sich in seinen 1818 erscheinenden Observations sur la langue et la littérature provençales sehr fair mit den Arbeiten des Kollegen auseinander. Dass Schlegel mit der Kritik an Raynouards Annahme, das Provenzalische sei der gemeinsame Ursprung aller romanischen Sprachen gewesen, Recht hatte, ist allgemein anerkannt und wird hier nicht mehr erörtert, ebenso wie andere sprachgeschichtliche und sprachtypologische Fragen ausgeklammert werden sollen. Stattdessen verfolge ich im Anschluss an die Berliner Vorlesungen die literaturgeschichtliche Argumentationslinie der Observations mit ihren literatur- und kulturpolitischen Implikationen. Schlegels Ausgangspunkt ist das Lob der provenzalischen Dichter bei Dante und Petrarca, ein aus den Stellenkommentaren zu den beiden Dichtern bekannter Topos, der für gelehrte Philologen nichts Überraschendes hat: Deux grands poètes du quatorzième siècle, le Dante et Pétrarque, ont parlé des Troubardours avec une haute estime. La langue provençale leur étoit presque aussi familière que leur langue maternelle, surtout à Pétrarque, qui a passé une grande partie de sa vie dans la France méridionale (Schlegel 1818/1971: 10).

Man könnte erwarten, dass Schlegel den Topos nutzt, um seine These aus den Berliner Vorlesungen darzulegen, die provenzalische Poesie sei die Mutter der italienischen Dichter gewesen und über diese und die nachfolgenden Dichter anderer romanischer Sprachen vermittelt zum Muster der gesamten modernen Verskunst geworden. Aber gegen die rhetorische Kraft einer solch einfachen Genealogie, die mit Raynouards Annahme eines gemeinsamen Ursprungs aller

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romanischen Sprachen zusammenstimmen würde, wenden sich die folgenden Sätze mit einer ganzen Reihe von Negationen und Differenzierungen: Le Dante et Pétrarque n’étoient point, dans leurs poésies amoureuses, imitateurs des Troubadours […]; ils étoient plutôt les riveaux de leur gloire. On ne sauroit attribuer non plus leur goût pour les Troubadours à cette prédilection qu’ont souvent les artistes pour leurs prédécesseurs dans le même genre, inférieurs en talent; car la poésie italienne, devenue adulte tout-à-coup par les créations du Dante et de Pétrarque, différoit dèslors de la poésie provençale autant par ses caractères essentiels que par les formes de la versification (ebd.: 10f.).

Freilich bietet Schlegel kein anderes, wissenschaftlich belastbares Konzept an, um das komplexe Verhältnis zwischen den provenzalischen Trobadors und den italienischen Dichtern mit ihren Unterschieden zu beschreiben. Das gilt auch für das an einer späteren Stelle der Observations erörterte Verhältnis zwischen den provenzalischen Trobadors und den deutschen Minnesängern, die umgekehrt viele nicht durch direkte Filiationen hinreichend zu erklärende Gemeinsamkeiten aufweisen. Genau betrachtet formuliert Schlegel literaturgeschichtliche Probleme, an denen er sich in der Schrift abarbeitet, ohne eine definitive Lösung zu finden. Eine zentrale Frage ist, wie auf einmal, ohne erkennbare Vorläufer in anderen Literaturen, die provenzalische Poesie mit ihren kunstvollen Formen entstehen konnte. Schlegel behilft sich mit einer Analogie zur Natur, die neue Arten hervorbringt, und vergleicht dabei die provenzalische Poesie mit den autochthonen Pflanzen in den Alpen, die nur in der Gebirgsluft prächtig blühen (vgl. ebd.: 9). Das betont den ursprünglichen Charakter der provenzalischen Poesie mit ihren nationalen Eigentümlichkeiten, macht aber andererseits ihren überbordenden Reichtum an artifiziellen Formen (wie auch die internationale Weitergabe und die produktive Nutzung dieser Schätze) zu einem noch größeren Rätsel: On ne sauroit considérer les chants des Troubadours comme les effusions spontanées d’une nature encore toute sauvage. Il y a de l’art, souvent même un art fort ingénieux; surtout un système compliqué de versification, une variété et une abondance dans l’emploi des rimes qui n’ont été égalées dans aucune langue moderne (ebd.: 8).

Die Zauberworte, die dieses Rätsel gegen Ende der Observations lösen sollen, lauten »puissance créatrice«, »l’originalité« und, last, not least, »l’invention« (ebd.: 72, 74, 78). Laut Schlegel ist es die schöpferische Kraft, die allgemein in der menschlichen Natur liegt, aber sich in unterschiedlicher Stärke und in differierender Weise bei den einzelnen Völkern äußert, welche bei den Provenzalen eigene Formen der Poesie gebiert. Gegenüber diesem Vermögen, das er auch in der deutschen Dichtung des Mittelalters mit ihrem von der Nachahmung der französischen »romans de chevalerie« unabhängigen Reichtum an »poésies

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héroïques indigènes« (ebd.: 75) am Werk sieht, seien die Einflüsse von einem Volk auf das andere von geringerer Bedeutung: Sans doute, dans l’historie de la civilisation, il faut suivre avec soin les traces des communications qui ont eu lieu entre différens peuples; mais il faut bien se garder de confondre les analogies qui ont leur source dans la nature humaine, avec les ressemblances dérivées de l’imitation (ebd.: 72).

Schlegel spricht den Provenzalen eine Überfülle an schöpferischer Kraft und, daraus erwachsend, die Gabe der künstlerischen Erfindung von zahlreichen Formen der Poesie zu. Damit spielt er sie indirekt gegen die Literatur eines Volkes aus, das für ihn das andere Extrem verkörpert, nämlich den Hang zur bloßen Nachahmung und zur endlosen Wiederholung konventionell gewordener Formen der Dichtkunst. Rhetorisch geschickt geht er aber erst ganz am Ende der Observations zum direkten Angriff auf die Literatur der Franzosen über, indem er bestreitet, dass die »romans de chevalerie« ihre eigene Erfindung gewesen seien. Hätten sie doch im Zuge der normannischen Eroberung von England die Tradition des Arthus-Stoffs aus dem Norden übernommen und zudem zahlreiche Ritter-Fabeln der provenzalischen Dichtung des Südens entlehnt. Aber es kommt in Schlegels Darstellung noch schlimmer: Dass es den Franzosen seit dem 12. und 13. Jahrhundert nicht gelungen sei, die unbefriedigende Versform ihrer »romans de chevalerie« zu perfektionieren, und sie ab dem 15. Jahrhundert sogar eine kunstlose Prosaform bevorzugt hätten, dient ihm als Beispiel für die Unfähigkeit dieses Volkes, eigene Formen der Dichtkunst auszubilden. Demnach bringen die Franzosen lediglich eine Literatur hervor, die den Mangel an schöpferischer Kraft und künstlerischer Erfindung durch die bloße Vermehrung konventioneller Produkte zu kompensieren sucht.7 Das Ende der Observations lässt keinen Zweifel daran, dass Schlegel mit seiner auf Französisch verfassten und in Paris gedruckten Schrift wieder literatur- und kulturpolitische Ziele verfolgte. Freilich war der Adressat dieses Mal nicht die literarische Öffentlichkeit in Deutschland, sondern die in Frankreich. Damit lässt sich ein ins Auge springender Gegensatz zu der Argumentation in den Berliner Vorlesungen erklären. Dort legte Schlegel den Akzent auf die von den Trobadors ausgehenden Formtraditionen der romanischen Dichtkunst, und zwar weil er der Überzeugung war, die deutsche Literatur müsse sich diese, ihr bis heute fremd gebliebenen Formtraditionen anverwandeln, um künftig zu einer neuen Blüte kommen. Dagegen betonte er in den Observations die eigenständige Schöpferkraft verschiedener Völker, weil er nämlich meinte, dass die französische Lite7 Schlegel 1818/1971: 79: »Les fictions originales y sont fort altérées aussi, ou du moins noyées dans la multiplicité des aventures. Je crois qu’on ne sauroit refuser aux poètes du midi l’invention de plusieurs fables chevaleresques, quoique le nord de la France ait été plus fécond en ce genre […]«.

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ratur durch die schon vor langer Zeit von den Italienern übernommenen Formkonventionen an einer neuen Fruchtbarkeit gehindert werde. Er attackierte damit das französische Festhalten an einem in der Gegenwart zur völligen Leblosigkeit erstarrten Klassizismus. Man sollte also nicht von einem Widerspruch in Schlegels Denken sprechen, das sich immer schon zwischen diesen beiden Polen der frühromantischen Ästhetik – der schöpferischen Kraft der Poesie und den geschichtlichen Formen der Kunst – bewegte, und sollte auch nicht voreilig aus dem Vergleich zwischen den Vorlesungen und den Observations schließen, dass Schlegel in der Zwischenzeit, ähnlich wie andere Romantiker, eindeutig auf eine nationale oder gar nationalistische Argumentation umgeschwenkt wäre. Vielmehr ist in Rechnung zu stellen, dass seine Berliner Vorträge und die Pariser Abhandlung auf unterschiedliche Situationen bezogen und an unterschiedliche Adressaten gerichtet waren, mithin auch andere literatur- und kulturpolitische Perspektiven entwickelt haben. Schlegel verfolgte in den Observations die gegen den französischen Klassizismus opponierende Linie weiter, die von seiner eine Welle der Empörung (vgl. Nagavajara 1966: 21–44; Rougemont 1986: 49–61; Paulin 2017: 181–186) auslösenden Comparaison entre la Phèdre de Racine et celle d’Euripide (1807) zu Madame de Staëls Buch De l’Allemagne (1813) geführt hatte, versuchte jetzt aber die französische Öffentlichkeit durch die Bevorzugung der provenzalischen Sprache und Dichtung des Mittelalters zu provozieren. Die erhoffte Debatte blieb allerdings aus. Das Feuilleton der französischen Zeitungen und Zeitschriften reagierte mit Stillschweigen, sei es, weil die Darstellung in den Observations dann doch zu philologisch gelehrt ausfiel, sei es, weil der Klassizismus nicht mehr als offizielle Kunstdoktrin herrschte oder weil der politische Konflikt zwischen Kaiser Napoleon und Madame de Staël, der früher das Interesse stimuliert hatte, inzwischen Geschichte war.8 Nach den Observations hat Schlegel keine weitere Schrift über die provenzalische Sprache und Dichtung veröffentlicht. Ob in seinen Bonner Vorlesungen zur »Geschichte der französischen Literatur« (1822/23) auch die Provenzalen behandelt worden sind, kann nicht mehr ermittelt werden. Schlegels Vorwort zur Sammlung der Essais littéraires et historiques (1842) bezeugt, dass er die Publikationen der französischen Spezialisten Raynouard, Rochegude und Fauriel aufmerksam zur Kenntnis nahm (vgl. Schlegel 1846: 5–8), während er die eigene Arbeitskraft überwiegend in den Aufbau einer Indologie investierte. Auf deutscher Seite blieb es dem Bonner Kollegen Friedrich Christian Diez überlassen, die 8 Schlegel schrieb Guillaume Favre am 1. Dezember 1819: »Les journaux français ont gardé sur mon écrit un silence dédaigneux ou modeste. M. Raynouard seul a parlé dans le ›Journal des Savants‹« (zit. n. Nagavajara 1966: 183). Die Ausführungen von Chetana Nagavajara zur geringen Resonanz auf die Schrift leiden daran, dass er beharrlich von den »Considérations sur la langue et la littérature provençales« spricht, also den Titel verwechselt. Vgl. Nagavajara 1966: 179–188.

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Sprache und Dichtung der Provenzalen weiter zu erforschen. Nach seiner 1826 mit einer hochachtungsvollen Widmung an August Wilhelm Schlegel erschienenen Studie Poesie der Troubadours veröffentlichte er 1829 das umfangreiche Buch Leben und Werke der Troubadours, das auch die ersten deutschsprachigen Übersetzungen ihrer Gedichte enthielt. 1830 wurde Diez auf einen Lehrstuhl für mittelalterliche und moderne Sprachen und Literaturen an die Universität Bonn berufen.

5.

Rudolf Borchardts Programm der ›Schöpferischen Restauration‹ und sein literatur- und kulturgeschichtlicher Zugang zu den provenzalischen Trobadors

Als Abschluss einer Redekampagne,9 die ihn zuvor nach Zürich, Basel, Freiburg, Marburg und Bremen geführt hatte, sprach Rudolf Borchardt am 9. März 1927 in München über Schöpferische Restauration. Zu Beginn dieser Rede erinnerte er an die öffentlichen Vorlesungen, die Schlegel vor etwas mehr als einem Jahrhundert in Berlin und in Wien gehalten hatte, und stellte sich damit selbst in die Nachfolge der Romantik: Ein volles Jahrhundert und ein Viertel, hundertfünfundzwanzig Jahre sind verflossen, seit August Wilhelm Schlegel mit den denkwürdigen Vorlesungen, die er vor dem Zusammenbruche in Berlin eröffnete, die er nach der Katastrophe des alten Europa in Wien abschloß, die beiden Hauptstädte Deutschlands und ihre vornehme Gesellschaft an dem erneuerten deutschen Geiste teilzunehmen, teils überlegen zwang, teils weltklug bestimmte […]: hundertfünfundzwanzig Jahre also verflossen, seit er durch den Übertritt dieser großen Zitadellen des älteren Geistes, der Aufklärung und des Barock, unter die neuen Paniere, die Romantik zur Weltmacht erhob (Borchardt 1955: 230).

Im Folgenden sprach er allerdings nicht nur Schlegel im Gegensatz zu Hamann, Herder, Wackenroder und Novalis die persönlichen Eigenschaften eines »geistigen Führers und Siegers, Schöpfers und Ahnders« (ebd.: 230f.) ab. Vielmehr attestierte er der gesamten Bewegung der Romantik, mit der versuchten Erneuerung des deutschen Geistes letztlich gescheitert zu sein, da die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur historischen Zerstörung und modernen Pervertierung romantischer Ideen und Formen – wie etwa der auf alten Traditionen basierenden Vorstellung des ›Volks‹ – geführt hätten. Deshalb forderte Borchardt am Ende seiner Redekampagne eine Radikalisierung des romantischen Programms, eben eine ›Schöpferische Restauration‹, bei der es vor allem darauf ankomme, die ver9 Vgl. die Dokumentation der Redekampagne in Schuster 1995: 215–232.

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schütteten Grundlagen und Grundfragen der europäisch-deutschen Geschichte forschend wiederzuentdecken und deren verlorene Seelenformen dichterisch wiederzubeleben. Es würde in diesem Aufsatz viel zu weit führen, die Redekampagne des Jahres 1927 mit den Konstruktionen und Phantasmagorien der borchardtschen Geschichtsrhetorik zu analysieren. Das ist an anderer Stelle geschehen (vgl. Kauffmann 2003: 166–191). Hier genügt es, auf die Schlüsselstellung des ausgehenden Mittelalters und die Bedeutung bestimmter Dichter und Künstler hinzuweisen. Nicht zufällig begann Borchardt seine Redekampagne in Zürich mit dem Vortrag Mittelalterliche Altertumswissenschaft / Giovanni Pisano und Arnaut Daniel als Schöpfer der modernen Seelenform Europas, auf den in Basel der Vortrag Der Kampf um den deutschen Dante folgte. Bereits der Doppeltitel des Zürcher Vortrags enthielt die ebenso spannungsreiche wie provokante, weil gegen die allzu einfache und gerade deswegen populär gewordene Epochenkonstruktion von Jacob Burckhardts Kultur der Renaissance in Italien (1860) gerichtete Grundthese, dass das Mittelalter aus seinen eigenen Gegensätzen und Widersprüchen heraus die moderne Seelenform Europas hervorgebracht habe. Ganz anders als August Wilhelm Schlegel sah Borchardt schon in der Dichtung, Kunst und Kultur der italienischen Renaissance mit ihrer oberflächlichen Nachahmung der römischen Antike einen Spannungs- und Niveauverlust, der sich im Formenkanon des französischen Klassizismus bis zur völligen Erschöpfung fortgesetzt habe. In der Marburger Rede Die geistesgeschichtliche Bedeutung des 19. Jahrhunderts machte er, Herder gegen Goethe ausspielend, diesen als letzten großen Erben der Renaissance dafür verantwortlich, dass sich August Wilhelm Schlegel und die Dichter der Romantik an den falschen Formtraditionen orientiert hätten. Dante statt Petrarca, das wäre der richtige Weg gewesen, freilich kein Dante übersetzt in die Formen von Goethes Verssprache. Borchardt hatte kurz nach der Jahrhundertwende begonnen, sich mit Dante zu beschäftigen. Nach dem Aufsatz Dante und deutscher Dante (1908) erschien eine erste Übersetzung von einzelnen Gesängen aus der Divina Commedia in dem als literatur- und kulturpolitische Programmschrift gedachten Jahrbuch Hesperus (1909), das Borchardt zusammen mit Rudolf Alexander Schröder und Hugo von Hofmannsthal herausgab.10 Im Gegenzug zu den zeitgenössischen Dante-Übersetzungen von Paul Pochhammer, Richard Zoozmann und Otto Hauser, die sich 10 Am 5. Februar 1908 fragte Borchardt bei Schröder an: »Sehen Sie also einen Anlass, unser hier mündlich festgelegtes wahrhaft grandioses Übersetzungsprogramm fallen zu lassen, mit dem der Hesperus die grossen Übersetzungstraditionen (gerade der herrschenden Hotelbankpraxis gegenüber) der Frühromantik wieder aufnehmen könnte? Von Ihnen ein Stück Shakespeare und ein Stück Homer, von Hofmannsthal alles was er von der Alkestis dahat, von mir das Stück Pindar das Sie kennen und Dante den Sie nicht kennen!« (Borchardt/Schröder 2001: 142).

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frei im Formenrepertoire der deutschen Klassik und Romantik bedient hatten, in Abgrenzung aber auch von der am französischen Symbolismus geschulten Übertragung der Göttlichen Komödie durch Stefan George schuf Borchardt ein weit hinter Goethe, ja Luther zurückgreifendes Kunstidiom des Deutschen. Durch diese vor allem an der mittelhochdeutschen Sprache und oberdeutschen Dialekten orientierte Fiktion wollte er die zur richtigen Zeit versäumte Aufnahme der bedeutendsten Dichtung des europäischen Mittelalters gleichsam nachholen und den eingetretenen Schaden für die geschichtliche Entwicklung des deutschen Geistes vermindern (vgl. Dewitz 1971; Wagner 1981; Kauffmann 2000; Westerwelle 2000). Neben der Divina Commedia, deren Übersetzung erst 1930 mit einer vollständigen Ausgabe ihrer drei Teile unter dem Titel Dante Deutsch zum Abschluss kam, war für Borchardt ein anderes Werk des Florentiners besonders wichtig. 1922 legte er eine eigene Übersetzung der Vita Nova vor, 1923 ließ er mit den Epilegomena zu Dante eine Einleitung folgen, die eigentlich eine große Kritik der Vita Nova ist und dieses Werk als das menschlich problematische und künstlerisch heterogene Zeugnis einer persönlichen Krisen- und geschichtlichen Übergangszeit deutet.11 Borchardt versteht die Vita Nova nämlich als eine autobiographische Verteidigungsschrift, mit der Dante versucht habe, seinen auf Grund von amourösen Abenteuern und literarischen Streitigkeiten beschädigten Ruf in Florenz wiederherzustellen. Durch eine gezielte Auswahl bestimmter Gedichte habe er den falschen Eindruck erwecken wollen, sein Leben und Dichten wäre allein der idealen Liebe zu der hohen Frau Beatrice gewidmet gewesen. Borchardt baut im Laufe der Kritik einen immer stärkeren Kontrast auf zwischen den weltlichen Leidenschaften, die tatsächlich das Leben des jungen Florentiners in seiner bürgerlichen Heimatstadt bestimmt hätten, und den himmlischen Idealen der Vita Nova, die lediglich aus der höfischen Dichtung der älteren Provenzalen übernommen worden seien. Freilich tut Borchardt das nur, um am Ende ein einziges Sonett Dantes als Vereinigung dieser Gegensätze und als Verwandlung des Alten in etwas Neues zu feiern: Im Herzpunkte des Buches, der Loda, gelingt es ihm; hier endlich hat er die gesamte, bis ins Absurde glühende und anspruchsvolle Transzendenz höfischer Verwindung der Brunst über der Lohe im Schmerze so tief erlebt, daß weder er noch der spätgeborene Leser weiß, ob er noch das Fremde darstellt oder sich selber. Die unschmeidige und verbrockte Materie des Buches schmilzt, die Träne, die strömt, ist wahrhaft geweint, das Lächeln lächelt, die Seele betet an und begehrt nicht. Hier ist nicht Dante derjenige, der borgt, die Vergangenheit diejenige, die leiht, sondern der lebendige Mensch leiht den 11 In dieser Hinsicht würde sich ein Vergleich mit seiner 1909 erschienenen Kritik des Siebenten Ring von Stefan George lohnen. Dass, wie so oft bei Borchardt, die Einleitung in die Vita Nova eine Spiegelung der eigenen Lebenskrise um 1900, mithin wieder ein Stück verkappter Autobiographie ist, sei am Rande bemerkt.

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Schemen seine Seele, die an sich glaubt, erlöst sie und schenkt ihnen durch Kampf und Leiden der eigenen Brust ewiges Leben. Hier erreicht das ganze Mittelalter sich selber und endet bei seinem durch zwei Jahrhunderte ausgeworfenen und geahnten Ziele (Borchardt 1923: 101).

Damit machte Borchardt die sogenannte ›Loda‹ aus der Vita Nova zum Paradigma jener mittelalterlichen Schöpfung der modernen Seelenform Europas, die man in Analogie zu Nietzsches Genealogie der antiken Tragödie auch die Geburt des modernen Seelendramas aus dem Geiste des Mittelalters nennen könnte. Von dieser Deutung der Vita Nova ausgehend, eröffnete sich Borchardt ein ebenso eigenwilliger Zugang zur Dichtung der Provenzalen. 1924 veröffentlichte er im Verlag der Bremer Presse den Band Die grossen Trobadors mit Übersetzungen von Guilhèm de Peitieus, Marcabrun, Jaufré Rudel, Bernart de Ventadorn, Giraut de Bornelh, Bertran de Born, Arnaut Daniel, Raimbout de Vaqueiras, Peire Vidal und Sordel. Das Nachwort beginnt damit, dass die provenzalische Poesie als »Schaukleinod« in der okzitanischen »Kulturkette« (Borchardt 1924: 65) bezeichnet wird, die sich im mediterranen Halbbogen von Katalonien bis Sizilien erstreckt habe. Borchardt zufolge ist dieses Kleinod aus einem geschichtlichen »Gemenge« unterschiedlichster Stoffe entstanden, die, um in der Bildsphäre des Nachwortes zu bleiben, durch die als göttliches Feuer vom Himmel kommende Schöpfungskraft der Poesie12 wie in einem Schmelztiegel vereint und geläutert worden seien: Die Provenzalen sind ein himmelbegünstigtes Gemenge gewesen, das nie wieder, auch in den ähnlich gemengten Brudernationen, der altcatalanischen und altsavoischen nicht, so herrlich läutete. Einmal und nicht wieder geriet den Mächten der Geschichte diese Glockenspeise der Geblüte. Gotische Elemente verbinden sie mit Spanien, burgundische mit den südwestlichen Burgdeutschen der Alpen bis zur Alb, lateinische mit dem Römerblute hinter den Seealpen-Pforten. Fränkisches fehlt, das keltische ist zwischen dem griechischen Feuer und den römischen Blasebälgen verschmolzen und zerdampft […] (Borchardt 1924: 65f.).

Entgegen der falschen Annahme, Borchardts Kulturkonservatismus basiere auf einem Konzept völkischer Ursprünglichkeit und Reinheit, ist zu betonen, dass er ganz im Gegenteil eine Kulturpoetik der Hybridität vertrat, die von den geschichtlich vorliegenden Gemengen und Gemischen ausgeht und auf die schöpferische Erzeugung neuer Arten und deren fortschreitende Veredlung zielt. Vielleicht am eindrücklichsten führte er diese Kulturpoetik in seinem 1937 niedergeschriebenen Buchfragment Der leidenschaftliche Gärtner vor, einer Geschichte der europäischen Gartenkultur, die auch eine indirekte Entgegnung auf die Rassenlehre der Nationalsozialisten und seine eigene Rubrizierung als Jude 12 Zu Borchardts Grundkonzeption der Poesie, des Dichters und des Dichterischen, die er in zahlreichen Reden und Essays dargelegt hat, vgl. Rizzi 1958; Kauffmann 2003: 255–263.

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war.13 Für ihn galt der Grundsatz, dass nicht die autochthonen Pflanzen am schönsten blühen, sondern die vom Gärtner aus verschiedenen Arten gezüchteten Blumen.14 Das europäische Mittelalter in seiner Gesamtheit fasste Borchardt hauptsächlich als ›Gemenge‹ von kulturellen Formen der Antike, die aus dem römischen Reich übernommen worden seien, und den seelischen Kräften der germanischen Völker auf. Diese Auffassung bestimmt im Nachwort zu den Grossen Trobadors seine Charakterisierung der provenzalischen Sprache. Er sieht in ihr einen spannungsvollen »Ausgleich« zwischen der lateinischen »Denkform« und der germanischen »Affektform« (Borchardt 1924: 66) oder, genauer auf ihre linguistische Struktur bezogen, zwischen der klassischen Ausbildung der lateinischen Grammatik und dem energetischen Ausdruck durch die germanische Hauchverstärkung, Wortverkürzung, Interjektion. Der Schlüsselsatz im Nachwort, »Schöpferisch ist nicht der Faktor, sondern die Geheimkraft des Gemisches« (ebd.), gilt in gleichem Maße für die provenzalische Dichtung. Hier wurde all das, was, vom fernen »Nachhall des dorischen und achäischen Volksliedes« an, aus anderen Ländern und Zeiten geschichtlich zusammenkam, zu »Zunder« und es reichte ein Blitzschlag der Poesie, um bei den Provenzalen die »neuen Flammen des Gesanges« zu entzünden und sofort, ohne längere Entwicklung, »grosse Dichter und unsterbliche Gedichte« (alle Stellen in Borchardt 1924: 69) zur Erscheinung zu bringen: Die provenzalische Poesie also ist die erste grosse Originalpoesie des Abendlandes und Mutter aller übrigen; die deutsche und die italienische, die catalanische und die portugiesische sind durch ihre Glut und Herzensmacht entzündet worden; nur eben in Frankreich sind ihre Keime im ungrossmütigen falschen Boden erstorben, in dem die gierigen Wurzeln des Unterhaltungsromanes, wie schon dem fränkischen Heldenliede, so dem lyrischen des Südens die Kost abstahlen. Die Folge ist, dass Frankreich erst eine Poesie zu haben beginnt, als die deutsche, italienische und catalanische hinter Riesengipfeln zu Thale gesunken war. Die Folge davon ist, dass die rheinfränkischen und rheinalemannischen Genies von Heinrich von Veldeke bis Hartman und Gottfried, an die französischen Völkerstrassen an- und von der Mutterquelle abgeschlossen, ihre

13 Aus seiner Sicht führte deshalb auch die ›Einschmelzung‹ (Assimilation) der Juden, die um 1800 in Ostpreußen begonnen habe, zu Glanzleistungen des deutschen Geistes. Umgekehrt habe das spätere Beharren von zionistischen Juden und rassistischen Deutschen auf ihrer jeweiligen Reinheit zum drohenden ›Untergang der deutschen Nation‹ im 20. Jahrhundert entscheidend beigetragen. Vgl. Kauffmann 2003, bes. S. 401–410. 14 Vgl. Borchardt 1968. Vgl. dazu Drews 2007. Vgl. auch die in die falsche Richtung gehende Deutung des Leidenschaftlichen Gärtners im Sinne der ›Reinhaltung‹ von Arten, die sich mit der Rassenpolitik des Nationalsozialismus vergleichen lasse, bei Voß 2015. Entsprechend falsch ist bei Voß die Subsumption von Borchardts Poetik unter den Begriffen des Ästhetizismus und des Klassizismus – das Gegenteil ist der Fall.

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schönste Kraft beirren und in der spitzen und blinzenden Armseligkeit der galloromanischen Amüsierfabel vergeuden (ebd.: 68).

In dieser Passage kehren die aus Schlegels Vorlesungen und den Observations bekannten Argumente samt der literatur- und kulturpolitischen Herabsetzung Frankreichs wieder, zu der auch der seit Schlegel beliebte Hinweis auf Wolframs von Eschenbach Kritik an der angeblichen Verfälschung einer Parzival-Dichtung des Provenzalen ›Kiot‹ durch Chrétien de Troyes gehört. Die mangelnde Originalität dieses antifranzösischen Topos verdeckt Borchardt mit einer Verschärfung des Tons. Er überbietet Schlegel allerdings auch dadurch, dass er die Frontlinie zwischen den Provenzalen und den Franzosen in den deutschsprachigen Kulturraum hinein verlängert. In den folgenden Sätzen teilt er Deutschland mit dem fränkischen Stamm in zwei Teile und behauptet anschließend, es sei kein Zufall, dass der von der französischen Kultur dominierte Rhein seitdem »keine grosse Dichtung hat und bekommt, nie wieder, bis zur zerrissenen Gestalt Stefan Georges« (ebd.: 69). Warum er sich selbst, in Königsberg geboren, vermittelt durch die ostpreußische Tradition eines Herder als heutigen Erben der provenzalischen Dichter verstehen kann, ist eine äußerst verwickelte Angelegenheit, die einen langen Exkurs zu Borchardts Rezeption von Josef Nadlers Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften erfordern würde (vgl. Kauffmann 2003: 361–368).

6.

Der »energische Ausdruck ungemeiner Seelen« und sein expressionistischer Widerhall

Konzentrieren wir uns zum Schluss darauf, wie Borchardt den Stil der provenzalischen Dichter charakterisiert, um von dort aus zum Stil seiner eigenen Übertragungen zu kommen. Im Nachwort heißt es: Der Stil der grossen Provenzalen ist nicht nur Sprache und nicht nur Kunst, sondern das erstere unbewusst, das letztere kaum ahnungsvoll, – er ist der erregte und energische Ausdruck ungemeiner Seelen und organischer Phantasien in kontrahierten Momenten, aus denen sie sich durch den Blitz des Gesanges und durch Wurf, Ausruf, Hyperbel und Bild, durch stürmende Häufung, Pause, Schimpf, Verzerrung, durch Lockruf, Liebesschrei und Lobgesang entladen. Der Graf von Peitau, Bernart von Ventadorn, Rudel, Giraut, Bertran de Born, Peire d’Alvernhe, Arnaut sind die ersten unverkennbaren, unvergesslichen, für die Ewigkeit zugeschnittenen Individuen des nachantiken Europa die sich ausgesprochen haben, fast alle, ausser durch selbstauferlegte Hemmungen, völlig ungehemmt, mit der ausgreifenden wagenden Freiheit des geborenen Genies, das auch in archaischen Motiven noch immer fester packt, schärfer kerbt und gediegener ausprägt als die Tröpfe von Spätzeiten, die in entwickeltsten Sprachen nichts auszudrücken vermögen (Borchardt 1924: 75).

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Die Trobadors waren also, das suggerieren die herderschen Schlüsselworte, die ersten Stürmer und Dränger der europäischen Literaturgeschichte. Borchardt betont die Leidenschaftlichkeit dieser Genies und »Originaldichter« (ebd.) so sehr, dass er ihre für Schlegel entscheidende Leistung, die Hervorbringung von gebundenen Versarten und Strophenformen, völlig zu vergessen scheint. Die rhetorische Emphase des Nachworts verdrängt damit auch den höfischen Zuschnitt ihrer Dichtkunst, den Borchardt doch selbst in seiner Einleitung zur Vita Nova im Kontrast zum jungen Dante hervorgehoben hatte. Aber gerade der Vergleich zwischen der Einleitung zur Vita Nova und dem Nachwort der Grossen Trobadors zeigt, worauf es ihm literatur- und kulturpolitisch in beiden Fällen ankommt, nämlich den leidenschaftlichen Seelenausdruck in einer gespannten Sprachform. Zugespitzt gesagt: Poesie als individuelles Seelendrama, für das der einzelne Dichter jeweils eine eigene Sprachform erschaffen muss, und nicht als konventionelle Gefühls- oder Stimmungslyrik im Sinne des 19. Jahrhunderts. Die kurzen Notizen zu den einzelnen Trobadors, die Borchardt den Übersetzungen ihrer Gedichte voranstellt, ergänzen den Aspekt des Seelendramas durch den von Schlegel her bekannten Aspekt der Formerfindung, der jetzt aber in einem völlig neuen Licht erscheint. Das wird bei den Stichworten zu den beiden von Borchardt ausgewählten Gedichten Arnauts besonders deutlich, die im ersten Fall lauten: »Ausgang der tragischen Individualpoesie Europas. Erfindung der Sestine. Ausgang von Dantes mittlerer Lyrik und ihrer Nachkommen« (Borchardt 1924: 46). Und im zweiten Fall: »Erfindung der leidenschaftlichen Widersinne. Ausgang der Petrarkischen Lyrik und ihrer Nachkommen« (ebd.: 48). Nach dem Gesagten versteht es sich, dass Borchardt für die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Übertragungen und erzählerischen Transformationen der provenzalischen Trobadors hauptsächlich Hohn und Spott übrig hat. Der von bloßen Dilettanten und Epigonen unternommene Versuch, so »dämonische Stücke wie die Sestine Arnauts und Bertrans Escondich […] in das erklaubte Schema Diezens oder Heysesche Süsslichkeiten umzusetzen« (ebd.: 75f.),15 konnte nur blamabel ausgehen. Allein ein echter Dichter, der von einer ähnlichen Anlage wie die Trobadors ist, vermag ihre Gedichte in einer anderen Sprache mit neuem Leben zu erfüllen, gilt doch: Der Dichter, der übersetzt, kann nur so übersetzen, wie er auch dichten müsste: er reproduziert keine Kunstwerke, sondern er erwidert auf den Hall der ihn getroffen hat, mit dem unwillkürlichen Widerhalle, auf die Gestalt die ihm auftaucht, mit dem Entwurfe der sie gestaltet. Mit anderen Worten, er bildet was er liebt, und liebt es weil es ihm lebt (ebd.: 76).

15 Mit den »Heyseschen Süsslichkeiten« ist die 1882 erschienene Sammlung der TroubadoursNovellen des späteren Nobelpreisträgers Paul Heyse gemeint.

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Es braucht also mehr als einen sprachbegabten, kongenialen Nachbildner (wie es Schlegel bei Shakespeare war), es braucht einen wahlverwandten Originaldichter. Und selbstverständlich ist es kein anderer als Borchardt selbst, der im Falle der Trobadors die »uralten Dichter eines untergegangenen Volkes […] wiedergeboren« (ebd.) hat. Nicht nur, weil Arnaut in der Divina Commedia als der »miglior fabbro del parlar moderno« (Purgatorio XXVI,117) bezeichnet wird, war er für Borchardt der größte unter den großen Trobadors. Borchardt sah in Arnaut Daniel eine dämonische Dichternatur, die im ›trobar clu‹ zum Ausdruck gekommen sei. Mit seiner Präferenz für den ›trobar clu‹ setzte er sich in bewussten Widerspruch zu Friedrich Diez, hatte dieser doch in seinem Buch Leben und Werke der Troubadours vehemente Vorbehalte gegenüber Arnaut Daniel geäußert. Allein das »glänzende Lob, welches ihm der große Dante bei mehreren Gelegenheiten spendet« (Diez 1829: 345), habe ihn, Diez, daran gehindert, Arnaut Daniel nur am Rande zu erwähnen. Denn der ›schwere Stil‹ sei – und hier benutzt Diez den abwertenden Begriff aus Goethes Aufsatz über Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil – in Wahrheit eine durch und durch »verkehrte Manier« (ebd.: 349): Räthselhafte Ausdrücke, neu gebildete Wörter, seltsame Wortspiele, schwierige Constructionen umziehen seine Gedanken oft mit Dunkelheit; übertriebene Alliterationen, schwere Reime, harte Formen und einsylbige Verse leiten des Lesers Aufmerksamkeit oft von dem Inhalt ab und setzen dem Vortrag Hindernisse entgegen (ebd.: 351).

Muss noch näher erläutert werden, warum Borchardt – entgegen der goetheschen und auch schlegelschen Vorstellung von Klassizität – genau dies nicht als bloß subjektive Manier, sondern als individuellen Stil betrachtete und darin einen epochalen Durchbruch zur »modernen Seelenform Europas« erkannte? Ähnlich wie beim Dante Deutsch revoltierte er im Falle der Grossen Trobadors gegen die konventionelle, an Goethe und den Romantikern orientierte Formensprache, die von Diez in Leben und Werke der Troubadours für die Übersetzung provenzalischer Gedichte verwendet worden war. Gerechterweise muss man freilich sagen, dass Diez keinen künstlerischen Anspruch erhoben, sondern die von ihm ausgewählten Stücke lediglich exemplarisch zur besseren Veranschaulichung in seinen literaturgeschichtlichen Charakteristiken eingesetzt hatte. Ein Vergleich zwischen den wenigen Strophen, die in seinem Buch von Arnaut Daniel mitgeteilt werden, und den entsprechenden Stellen in den Grossen Trobadors macht gleichwohl die gegensätzlichen Tendenzen der Auffassung und der Übersetzung deutlich. Das sei am Beispiel der ersten und der letzten Strophe aus Arnauts Sestine »Lo ferm voler q’el cor m’intra …« gezeigt:

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Arnaut16 Lo ferm voler q’el cor m’intra no·m pot ies becs escoissendre ni ongla de lausengier, qui pert per mal dir s’arma; e car non l’aus batr’ab ram ni ab verga, sivals a frau, lai on non aurai oncle, iauzirai ioi, en vergier o dinz cambra. […] C’aissi s’enpren e s’enongla mos cors en lei cum l’escorss’ en la verga; q’ill m’es de ioi tors e palaitz e cambra, e non am tant fraire, paren ni oncle: q’en paradis n’aura doble ioi m’arma, si ia nuills hom per ben amar lai intra.

Diez17 Sehnsucht, die ins Herz mir eingeht, Vermag nicht auszureißen Zahn noch Nagel Dem Kläffer, der durch Lug verliert die Seele. Darf ich ihn geißeln nicht mit Zweig noch Ruthe, Will ich mit List dort, wo mich hemmt kein Oheim, Der Liebe doch mich freun in Busch und Kammer. […] Denn es sitzt mein Herz als Nagel Und haftet fest an ihr wie Rind’ an Ruthe, Sie ist mir Burg der Lust, Palast und Kammer; Mehr lieb’ ich sie, als Vetter und als Oheim: Deß freut sich einst in Eden meine Seele, Wenn treuer Liebe halb der Mensch dort eingeht.

213 Borchardt18 Willen grimm, der in mich einfährt, mag nicht klau aus mir sprengen noch kein nagel des gleissnervolks, das sich lügt um die seele – wol, stäupen darf ichs nicht mit prüg∙l und rute: nur mehr auf borg, da mich betrifft kein oheim, lüst ich nach lust; im hag od∙r der kammer. […] Denn so verquickt mit dem nagel mein leib in sie, wie der kork um die rute – die∙st all mein wonnen pàlas, turm und kammer, und geht mir über bruder, sippen, oheim – denn zween himmel entschliesst sie meiner seele, so je durch feste minne ein mann dort einfährt.

Diez, der den ›trobar clu‹ Arnauts wie einen Vorläufer des italienischen Manierismus und des spanischen Barock beschreibt und als solchen verurteilt, mildert den ›schweren Stil‹ ab und nähert ihn so weit wie möglich an die Sprachformen und Seeleninhalte der deutschen Klassik und Romantik an. So tritt an die Stelle der ritterlich bestimmten Anfangsworte »Lo ferm voler« eine unbestimmte menschliche »Sehnsucht«. Dagegen bewahrt Borchardt die harten Fügungen, dunklen Bilder und gedrängten Reime Arnauts und hebt die ursprünglichen Seelenkräfte dieses dämonischen Dichters hervor, die sich kaum der zu ihrem Ausdruck und ihrem Ausgleich neu geschaffenen Sprachgestalt fügen wollen. Bei ihm lauten die Anfangsworte »Willen grimm«. Indem Borchardt, anders als Arnaut, die Sprache massiv archaisiert, verstärkt er ihre befremdliche Wirkung auf die eigenen Zeitgenossen, um so nicht nur die erstarrten Konventionen der heutigen Literatur, sondern auch die oberflächlichen Vorstellungen von Humanität in der modernen Kultur radikal in Frage zu stellen. Genau um eine solche Konfrontation ging es ihm seit den Anfängen seiner Dante-Übersetzung immer wieder. 16 Rieger 1980: 152–154. 17 Diez 1829: 354f. 18 Borchardt 1924: 46–48.

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Borchardt verwendete bei der Übertragung der Grossen Trobadors sehr ähnliche Stilmittel wie im Dante Deutsch. Die archaisierende Tendenz und der expressive, vor grellen Kontrasten, grotesken Übertreibungen und karikaturistischen Verzerrungen nicht zurückschreckende Charakter dieser Stilmittel sprechen für eine Verwandtschaft mit der ästhetischen Formensprache und den kunst- und kulturpolitischen Wirkungsabsichten von bildenden Künstlern nach der Jahrhundertwende, die sich zumindest teilweise dem Expressionismus zurechnen lassen. Borchardt selbst schlug 1912 eine Ausgabe seines Dante Deutsch mit Holzschnitten von Ferdinand Hodler vor, weil dieser »zur Sichtbarmachung eben des Gefühles von Dante, das meine Übersetzung zum ersten Male ausdrückt, gewissermassen praedestiniert«19 sei. Die Zusammenarbeit kam aus unbekannten Gründen nicht zustande. In einem Aufsatz zu den deutschen Übersetzungen und Illustrationen der Divina Commedia zwischen 1900 und 1930 habe ich Borchardts Dante Deutsch mit den expressionistischen Holzschnitten in Claus Wrages Dante-Blockbuch (1925) enggeführt (vgl. Kauffmann 2000: 148–152).

7.

Eingriffe in unsere Gegenwart: Zur Modernität von Schlegels und Borchardts Literatur- und Kulturpolitik

Wenn auch August Wilhelm Schlegel und Rudolf Borchardt, wie an ihrer unterschiedlichen Behandlung der provenzalischen Poesie zu sehen war, nicht dieselben Ziele verfolgt haben, so verkörpern sie doch den gleichen modernen Typus eines literatur- und kulturpolitisch agierenden Schriftstellers, der durch gezielte Angriffe auf die Konventionen der eigenen Gegenwart und durch ebenso gezielte Rückgriffe auf die Traditionen anderer Zeiten, Länder und Völker eine möglichst vollständige Erneuerung der Sprache, Dichtung, Kunst und Kultur in Gang zu setzen versucht. Gemeinsam ist ihnen nicht nur der revolutionäre Anspruch ihrer visionären Programme, sondern auch der strategische Bezug ihrer praktischen Maßnahmen auf die jeweilige Situation. Akzentverschiebungen zwischen den einzelnen Texten, wie sie sowohl bei Schlegel als auch bei Borchardt zu beobachten waren, lassen sich häufig aus den jeweiligen literatur- und kulturpolitischen Wirkungsabsichten erklären. Reden und Essays arbeiten mit Thesen und Antithesen, nehmen Setzungen und Wertungen vor, die zugleich Umsetzungen und Umwertungen sind. Auch Übersetzungen, die Dichtungen aus fremden Traditionen auswählen und interpretieren, lassen sich als bewusste Interventionen an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit be-

19 Brief an Josef Hofmiller vom 17. November 1912, in: Borchardt 1995: 428.

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zeichnen, auch wenn dieses Wort vielleicht zu sehr nach einem Begriff aus der Kunsttheorie des 21. Jahrhunderts klingt. Ein historisch signifikanter Unterschied zwischen der Zeit um 1800 und der Zeit um 1900 besteht in dem Grad der Freiheit oder, negativ ausgedrückt, der Willkür im Umgang mit den literarischen und kulturellen Traditionen. Im Vergleich zu Schlegel verfuhr Borchardt sehr viel eigenwilliger. Die Grundlage dafür, die Bereitstellung diverser Materialien, hatte die historische Forschungsund literarische Vermittlungsarbeit des 19. Jahrhunderts geschaffen. Ähnlich wie die aus dem Kreis um Stefan George kommenden Protagonisten der sogenannten Geistesgeschichte setzte sich Borchardt aber entschieden vom Positivismus und vom Historismus ab, weil diese Richtungen lediglich zur Anhäufung zahlloser Daten und zur Beliebigkeit unterschiedlicher Stile geführt hätten. Durch die um die Jahrhundertwende nicht nur im George-Kreis forcierte Erhebung des Dichters zum ›literarischen Souverän‹ (vgl. Pornschlegel 1994) fühlte er sich im Gegenzug zu einer eigenmächtigen Verfügung über alle möglichen Traditionen der europäischen Literatur- und Kulturgeschichte und zu einer dichterischen Sinngebung des Ganzen legitimiert. Das erweiterte die Lizenzen des Philologen, als der er sich zugleich verstand, ins Unermessliche und Unüberprüfbare. In dem triumphalen Nachwort zur vollständigen Ausgabe des Dante Deutsch beschrieb er seinen von der schulischen Einteilung der Epoche und der üblichen Bedeutung der großen und größten Namen unabhängigen Umgang mit dem Mittelalter und verglich sich dabei mit einem Schachspieler, der sich allerdings nicht einmal an die Grundregeln hält: [I]ch musste mir das Brett ganz neu stellen und wusste noch nicht, wer endlich Bauer werden würde und wer König. In den Tendenzen, in dem mächtigen Spiele der geschichtlichen Möglichkeiten, lebte ich, nicht in den zu Tage liegenden trümmerhaften Resultaten, jenen, nicht diesen lieh ich mich selber, hoffend, verstärkend, antreibend, ja an ihnen schon weiter dichtend, aus Andeutung herstellend, dies vor jenes, jenes vor dieses schiebend, die Voraussetzungen neuordnend (Borchardt 1930: 486).

Borchardt erhob keinen geringeren Anspruch, als durch die ihm eigene, auch die Methoden und Resultate der philologischen und historischen Wissenschaften verwandelnde Kraft des Dichterischen ein neues Gesamtbild des Mittelalters geschaffen zu haben, das er dem ›Untergang der deutschen Nation‹ in der gegenwärtigen Katastrophe der ›europäischen Menschheit‹ entgegenstellte. Im Nachwort zu den Grossen Trobadors berief er sich auf das Vorbild von Novalis’ Schrift Christenheit oder Europa (vgl. Borchardt 1924: 70) und machte damit zu Recht auf die Anfänge dieser Art der dichterischen Geschichtskonstruktion in der Romantik aufmerksam. Freilich darf man auch daran erinnern, dass vor allem August Wilhelm Schlegel, der Philologe, Bedenken gegen die historischen

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Ansichten und willkürlichen Folgerungen in Friedrich von Hardenbergs Schrift geäußert und deren Veröffentlichung mit Goethes Hilfe verhindert hatte.20 Ein mit der Berufung auf Novalis direkt in Verbindung stehender Satz sei am Ende noch aufgegriffen, nämlich die polemische Nebenbemerkung, »dass die provenzalische Poesie uns nicht nur so angeht wie Litaipe und Negerkunst, oder was sonst die allgemeine Halbbildung anblätternswert findet« (Borchardt 1924: 70). Mit ihr wandte sich Borchardt gegen den möglichen Eindruck, dass seine Ausgabe der provenzalischen Trobadors, die er wie Dante zum ewigen Vorrat der »abendländischen Christenheit« (ebd.: 76) zählte, irgendetwas mit Otto Hausers Übersetzungen21 (1906) und Klabunds Nachdichtungen (1916) des chinesischen Lyrikers Li-tai-pe oder Carl Einsteins Buch Negerplastik (1915) gemein haben könnte. Aus seiner konservativen Sicht waren derartige Unternehmungen nur ein weiterer Beweis für den kulturellen Selbstverlust des heutigen Europa. Und doch wirft der von Borchardt selbst angebotene und gleich wieder abgewehrte Vergleich ein Licht auf die zeitgenössische Modernität des eigenen Vorgehens: Eine mittelalterliche Poesie, die – trotz und wegen der verfehlten Annäherungsversuche des 19. Jahrhunderts – den heutigen Deutschen und Europäern so fern ist wie die chinesische Lyrik oder die afrikanische Plastik, wird als ›fremde Tradition‹ in die Kultur der Gegenwart eingeführt, um diese radikal aufzubrechen und kreativ zu beleben. Und blickt uns sein Arnaut, zum Dämon stilisiert, nicht ähnlich archaisch an wie eine afrikanische Maske?

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Kai Kauffmann

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Christoph Strosetzki

August Wilhelm Schlegels Geschichte der spanischen Literatur vor dem Hintergrund zeitgenössischer Geschichtstheorien

Im Folgenden soll in fünf Schritten auf Schlegels literaturwissenschaftliche Ansätze eingegangen werden, die durch ihre ideengeschichtliche Einordnung verständlich werden sollen. Zunächst seien einige Kontexte vorgeführt, z. B. das damalige Spanienbild, das Spanieninteresse und die Konzeption des Romantischen. Hier wie auch an anderer Stelle wird auf die pointierten Formulierungen von August Wilhelms Bruder Friedrich und weiterer Zeitgenossen zurückgegriffen. An zweiter Stelle stehen die Fragen, warum gerade das Mittelalter so wichtig erschien, warum der Volksgeist sich eben da spiegelte und warum das Mittelalter für das Rittertum, die Beurteilung der Araber und die Gattung der Romanze paradigmatisch war. An dritter Stelle folgen Anmerkungen zur allmählichen Institutionalisierung der Neuphilologien und der Romanistik in Schlegels Zeit an den Universitäten. Und schließlich folgen an vierter und fünfter Stelle Schlegels Betrachtung des spanischen Theaters, insbesondere Calderóns, und seine Würdigung des Don Quijote von Cervantes.1 August Wilhelm Schlegels Einschätzung der spanischen Literatur ist eng mit seinem Spanienbild verbunden. Spanien ist für ihn das Land, wo eine »brennende Leidenschaftlichkeit« jeden Gegenstand zum sinnlichen Genuss macht und adelt (KAV II/1: 211). Allgemein stellt Schlegel fest, dass die nördlichen Nationen nicht viel von den südlichen Völkern Europas hören, weil dort die Druckerpresse und der Buchhandel weniger aktiv seien. Dieser scheinbare Stillstand oder diese Lethargie sei aber ein Vorteil, so wie es ein Vorteil sein kann, die schlechte Witterung verschlafen zu haben. Da Schlegel damit die Aufklärung des 18. Jahrhunderts meint, ist es verständlich, dass er es ablehnt, dass die Spanier sich an der Autorität der Engländer und Franzosen orientieren. Die allgemeine Spanienbegeisterung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bedeutet einen Impuls für außeruniversitäre hispanistische Studien. Ansätze des im deutschen Sprachraum aufkeimenden Spanieninteresses belegen 1 Zurückgegriffen wurde im Folgenden auf Strosetzki 2010: 143–157 und Strosetzki 2013: 127– 143.

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allerdings schon frühere Übersetzungen, Anthologien und Studien.2 Als Beispiel seien genannt: Gotthold Ephraim Lessings Hamburgische Dramaturgie (1767– 1769),3 in der er die Mischung von Tragischem und Komischem durch den gracioso bei Lope de Vega als nachahmenswerte Alternative zum klassischfranzösischen Theater sieht, seine 1752 veröffentlichte Übersetzung von Juan Huartes Examen de ingenios para las ciencias, Johann Andreas Diezes 1769 veröffentlichte Bearbeitung der spanischen Literaturgeschichte des Luis José Velázquez, Friedrich Justin Bertuchs 1775–1777 herausgegebene Don QuijoteÜbersetzung und sein von 1780 bis 1782 herausgegebenes Magazin der spanischen und portugiesischen Literatur. Johann Gottfried Herder beschäftigte sich mit den spanischen Romanzen, da in ihnen gemäß seiner Vorstellung vom ›Volkslied‹ die Eigenart der Volksseele zum Ausdruck komme. So veröffentlichte er in seiner Sammlung der Volkslieder (1778/1779) neben Romanzen aus dem Mittelalter auch fünf von Góngora verfasste Romanzen. Auch im Don Quijote sah Herder die spezifische Denkweise des spanischen Volkes ausgedrückt. Ludwig Tieck übersetzte von 1799 bis 1801 Don Quijote und machte August Wilhelm Schlegel mit Calderón bekannt. Goethe hatte Cervantes gelesen und geschätzt. 1802 überreichte ihm August Wilhelm Schlegel seine Übersetzung von Calderóns Andacht zum Kreuze, ein Jahr später den ersten Band seiner Sammlung Spanisches Theater.4 Nach seiner Anstellung als Theaterdirektor in Weimar im Jahr 1791 lässt Goethe von Calderón 1811 den Standhaften Prinzen, 1812 Das Leben ein Traum und 1815 die Große Zenobia aufführen (vgl. Hoffmeister 1976: 109). Ihn fasziniert das Fremde, Mittelalterliche, Arabische bei Calderón: »Nur wer Hafis liebt und kennt / Weiß was Calderon gesungen« (Goethe 1819/1994: 66).5 Friedrich Schiller (1795/1954: 409) sieht in Cervantes’ Don Quijote und im Gegensatz zwischen dem edlen Idealisten Don Quijote und dem Vertreter der prosaischen Wirklichkeit Sancho ein Paradebeispiel für die sentimentalische Dichtung: »Der sentimentalische Dichter hat es daher immer mit zwei streitenden Vorstellungen und Empfindungen, mit der Wirklichkeit als Grenze und mit seiner Idee als dem Unendlichen zu tun«. Die Aufrechterhaltung der Spannung zwischen Wirklichkeit und Ideal sei charakteristisch für moderne satirische Dichtung. Es zeigt sich also bei den Autoren der deutschen Klassik und Romantik eine deutliche Bevorzugung des Mittelalters und des Siglo de Oro, also des 16. und 17. Jahrhunderts. Inwiefern beeinflusst die Konzeption des Romantischen das Verständnis von der romanischen Literatur? War man noch in der Aufklärung von einer allgemein 2 3 4 5

Vgl. Hoffmeister 1976: 86ff.; Tietz 1989; Schrader 1991. Zur Wiederentdeckung der spanischen Literatur bei Lessing vgl. Hoffmeister 1976: 89–91. Zu Schlegels Konzeption von Übersetzung vgl. Paulini 1985: 151–158. Zur französischen, orientalisch geprägten Vorstellung eines »andalusischen Paradieses« vgl. Wolfzettel 2002: 90–104.

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gültigen Rationalität überzeugt, geht man in der Romantik von regionalen Konzepten aus, deren Unterschiedlichkeit und Vergleichbarkeit man analysiert. Carl Voretzsch (1904: 2) sieht Germanistik und Romanistik in der Frühphase vereint unter dem Dach einer romantischen Wissenschaft: »Romantisch hiessen ja damals Mittelalter und Neuzeit im Gegensatz zum klassischen Altertum, die romantischen Literaturen umfassten germanische wie romanische Völker«. Jacob Grimm habe sich nicht nur mit der Erforschung des Volkstümlichen des eigenen Volks begnügt, sondern mit seinem Bruder Wilhelm nach dem Studium der deutschen Kinder- und Hausmärchen die vergleichende Märchenkunde begründet und sei so zu den Ursprüngen des deutschen Tierepos im altfranzösischen Roman de Renart gelangt. Und die Beschäftigung mit alten spanischen Romanzen führte ihn zu altfranzösischen und deutschen Heldengedichten. Friedrich Diez, der neben der romanischen Philologie auch Gotisch, Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch lehrte, sah in Grimms Deutscher Grammatik das Vorbild für seine Grammatik der Romanischen Sprachen. Das Romantische führt wie das Romanische durchaus zu komparatistischen Ansätzen. Dabei erscheint die Konzeption des Romantischen mit der der Poesie verwandt. Poesie ist nach August Wilhelm Schlegel etwas typisch Spanisches. Gerade bei den Spaniern könne die Poesie nicht aussterben, da die Spanier noch immer die Stücke ihrer alten großen Meister lesen. Klar ist aber für Schlegel, dass die Poesie sich in ihren materiellen Manifestationen im Laufe der Geschichte verändert und »aus den Nahrungsstoffen eines veränderten Zeitalters sich auch einen anders gestalteten Leib zubilden muss« (KSB VI: 110). Schlegel unterstreicht ihre Bedeutung und ihre Beziehung zu verwandten Wissenschaften: Sie sei den vier Elementen zu vergleichen. Die Religion ist das Feuer […] Die Sittlichkeit das Wasser […] Die Wissenschaft die Erde […]. Die Poesie endlich ist der Luft zu vergleichen, dem Anschein nach ein bloß spielendes und ergötzliches Element, das in gelinden Zephyrn Blumendüfte, die geistigen Ausflüsse zarter Körper, herbeiführt, aber im unbewußten Athmen zum Leben unentbehrlich ist (KAV II/1: 218).

Dante, Petrarca und Boccaccio sind für Schlegel die drei ›Stifter‹ der romantischen Kunst, bei der die Gattung des Romans dominiere, so dass auch die spanischen Komödien nicht nur romantisch, sondern auch romanhaft seien (vgl. Grosse-Brockhoff 1981: 223f.). Er beschreibt das romantische Drama als ein großes Gemälde, wo auch die nähere und weitere Umgebung der Personen unter einer magischen Beleuchtung mitabgebildet sei. Gerade in der romantischen Kunst und Poesie wirke die Fantasie unabhängig und nach eigenen Gesetzen (vgl. ebd.: 128). Zu den Gegensätzen von Nähe und Ferne, welche die romantische Kunst mischt, kommen weitere unauflösliche Mischungen:

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[A]lle Entgegengesetzten, Natur und Kunst, Poesie und Prosa, Ernst und Scherz, Erinnerung und Ahnung, Geistigkeit und Sinnlichkeit, das Irdische und Göttliche, Leben und Tod, verschmilzt sie auf das innigste miteinander (KSB VI: 112).

Hinzu kommen im romantischen Drama nach Schlegel die Mischung von Scherz und Ernst und die Mischung der dialogischen und lyrischen Bestandteile.6 Wichtiger Bezugspunkt für die romantische Geschichtskonzeption ist das von den Germanen geprägte Mittelalter. Schon bei den römischen Historikern galten die Germanen als Stamm von Riesen, ein Faktum, das nach Schlegel seine Bestätigung auch in der Größe der germanischen Rüstungen findet (vgl. KSB VI: 261). Da die Goten einen germanischen Stamm bilden, der in der spanischen Geschichte eine prägende Rolle hatte, lässt sich die Frühgeschichte der Spanier als deutsche Geschichte interpretieren. So könne man in der würdevollen kastilischen Sprache noch die Treuherzigkeit der Goten erkennen. Zwei Grundprinzipien Europas unterscheidet Schlegel: erstens das Christentum, »das andere Elementar war die Deutsche Stammesart. Aus diesem beydem zusammen mit den Trümmern des classischen Altertums muß die neuere Geschichte construiert werden« (KAV II/1: 67). Wann beginnt die »neuere Geschichte«? Auch hier bleibt Schlegel keine Antwort schuldig: »Die Völkerwanderung ist folglich, materiell genommen, die Epoche der neueren Geschichte« (ebd.). Die germanischen Völkerschaften, die bisher nördlich der Donau und östlich des Rheins gewohnt hatten, teilten sich nach Schlegel in zwei Richtungen: »die eine nach Süden, nämlich nach Italien, Gallien und Spanien; die andere nach Norden, wo ich zuerst Britannien rechne« (ebd.). Die Gotenherrschaft in Spanien, das sieht Schlegel durchaus richtig, endet im 8. Jahrhundert durch die Eroberungen der Araber, die das westgotische Königreich stürzten und ganz Spanien eroberten mit Ausnahme einiger Gebirgsgegenden im Norden, »und von wo aus bald durch Zurückdrängen der Araber die Königreiche Castilien und Aragon gestiftet wurden« (KAV III: 229). Für Spanien kämpfen hieß nun für das Christentum kämpfen (vgl. Reavis 1978: 134). Dennoch wird in einer heute schwer nachzuvollziehenden Weise das germanische Element hervorgehoben, das es erlaubt, in Spanien einen Zweig der deutschen Geschichte fortentwickelt zu sehen. Als Beispiele seien Friedrich Schlegel und Ludwig Uhland vorgeführt. In seinen Vorlesungen zur Universalgeschichte interpretiert Friedrich Schlegel die spanische Geschichte als Entwicklungsgeschichte der germanischen Verfassung in Spanien: Zunächst habe die germanische Verfassung den Geist des Römertums besiegt, sich trotz des arabischen Einflusses behauptet und christliche Wertvorstellungen hervorgebracht, die bis zum Siglo de Oro Bestand hatten und im 18. Jahrhundert durch den 6 »Der Kontrast von Scherz und Ernst, vorausgesetzt, daß sie im Grade und der Art ein Verhältnis zueinander haben« (KSB VI: 113).

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römischen Despotismus der französischen Hegemonie verdrängt worden seien. Wenn sich also Friedrich Schlegel mit der spanischen Literatur beschäftigt, dann meint er, das verstreute Eigene zu finden, und lobt die Naturpoesie des Cervantes und Calderóns Theater, das er 1811 als Verkörperung der Romantik schlechthin charakterisiert, da es Volkstümlichkeit, Christentum und Phantasie verbinde. Als zweites Beispiel seien die Ansichten Ludwig Uhlands vorgestellt. Obwohl 1801 mit 14 Jahren an der juristischen Fakultät immatrikuliert, interessierte er sich für die Literatur, vor allem für die volkstümlichen Gedichte des Mittelalters, die Heldensagen, Märchen und Volkslieder. Es sind dabei nicht nur ursprünglich deutsche, sondern auch Texte verwandter Völker, die von den Rittern der Tafelrunde, des Grals oder von Karl dem Großen handeln. Nachdem er sein Jurastudium 1810 abgeschlossen hatte, ging er nach Paris, wo er sich mit französischem Recht vertraut machen sollte, aber weiter altfranzösische Dichtungen und die Guerras civiles de Granada las. Am 3. Dezember 1810 schreibt er in seinem Tagebuch: Ich hatte morgens im ›Lope de Vega‹ die Romanze vom Kaiser Karl u.s.w. gelesen. Mit dem Gedanken an diesen Fabelkreis ging ich gegen die Notre-dame-Kirche, auf dem Pont St.-Michel vergeblich nach alten Büchern suchend, bis ich endlich ganz unerwartet beim Louvre den Volksroman von Karl dem Grossen fand (Uhland, zit. n. Fränkel 1888: 38).

Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass der in den französischen Epen herrschende Geist, »obwohl diese selbst in ihrer überlieferten Gestalt fest im französischen Boden wurzeln, vielfach germanische Herkunft verrate« (Fränkel 1888: 49). Im Alter äußert sich Uhland rückblickend: »In Paris habe ich den Aufsatz ›Über das altfranzösische Epos‹ geschrieben. Eigentlich ist es ein deutsches Epos aus Karls des Grossen Zeit« (Uhland, zit. n. Fränkel 1888: 57). Dass Uhland das Germanische in großen Zusammenhängen sah, belegt eine Bemerkung in einem Brief an Weckherlin vom 29. 07. 1812: Wenn ich irgend Musse und Gelegenheit hätte, so wäre meine liebste Beschäftigung das Verfolgen der germanischen Poesie einerseits in den Norden hinauf und bis in den Orient, andererseits durch die verschiedenen, von germanischen Nationen eroberten und besetzten Länder; im Mittelalter ist der Zusammenhang unverkennbar (ebd.: 59, Anm. 2).

Immer wieder also dient das Mittelalter als Paradigma. So auch bei Friedrich Schlegel, der in seinen Wiener Vorlesungen zur Geschichte der alten und neuen Literatur (1812) im Mittelalter die allen europäischen Nationalliteraturen gemeinsame Grundlage und das Spiegelbild der eigenen durch die Romantik geprägten Zeit erkennt:

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So lange die Fabel der Ritterzeit und die christliche Legende die Mythologie der Romantischen Poesie waren, ist die Ähnlichkeit des Stoffes und des Geistes der Darstellungen so groß, daß die nationelle Verschiedenheit sich beinahe in die Gleichheit der ganzen Masse verliert (KFSA I: 226).

Hier zeigt sich bereits die auch von Novalis vertretene mittelalterliche Einheit Europas,7 die sich in Reaktion auf die Auflösung des Kirchenstaates durch Napoleon gegen jegliche Säkularisierungstendenzen richtet. Der Rückgriff auf das Mittelalter war nicht zuletzt Reaktion auf die Emanzipation des dritten Standes in Frankreich, den Zerfall monarchischer Autorität und auf den politischen Niedergang des deutschen Reiches. Mittelalter wurde für Friedrich Schlegel zum Modell mit dem Anspruch, die altdeutsche Verfassung, d. h. das Reich der Ehre, der Freiheit, und der treuen Sitte wieder hervorzurufen, indem man die Gesinnung bilde, worauf die wahre freie Monarchie beruht, und die notwendig den gebesserten Menschen zurückführen muß zu dieser ursprünglichen und allein sittlichen und geheiligten Form des nationalen Lebens (KFSA III: 101).

Angesichts der tyrannisch empfundenen revolutionären Gleichheit beschwört er die Größe des deutschen Geistes im Mittelalter und meint: »aber alles, was notwendig ist, ist auch ewig und muß früher oder spät wiederkehren« (ebd.: 102). Zwar hat Schlegel die religiöse Intensität der Inder schätzen gelernt, doch sei der Orient zu weit entfernt. Und während die Griechen ihm nunmehr zu unmoralisch erscheinen, sieht er das Mittelalter als Ursprungs- und Orientierungspunkt, wenn er konstatiert, daß der tiefsinnige Geist des Mittelalters, auf den unsre ganze Verfassung und jetziges Leben sich gründen, und noch lange gründen werden, uns in der Geschichte, Dichtkunst und Sittenlehre vor allem am nächsten steht, und die Kenntnis desselben für das Leben am wichtigsten ist (KFSA VIII: 315).

Wenn nun das Mittelalter in Deutschland besonders ausgeprägt war, dann sieht es Schlegel als die »Aufgabe Deutschlands, die damit verbundenen Wert- und Orientierungsvorstellungen wiederherzustellen« (Behrens 1984: 237). Dabei ist das Mittelalter bei ihm eine lange andauernde Epoche, die mit der Ausbreitung des Christentums und mit dem Untergang des Römischen Reiches beginnt und erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit dem Ende des Dreißigjährigen 7 Nicht selten ist das Mittelalterliche ebenso wie das Romantische oder Ritterliche eine Metapher. Nicht weniger metaphorisch erscheint auch die Verwendung des ›Deutschen‹, wenn z. B. Novalis das Deutsche ins Universale und allgemein Menschliche überträgt: »Deutsche gibt es überall. Germanität ist so wenig wie Romanität, Gräcität oder Britanität auf einen besonderen Staat eingeschränkt. Es sind allgemeine Menschencharaktere – die nur hie und da vorzüglich allgemein geworden sind. Deutschheit ist echte Popularität und darum ein Ideal« (Novalis, zit. n. Meinecke 1908/1962: 65f.).

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Krieges und dem französischen Absolutismus endet. So ist zu erklären, dass Friedrich Schlegel im habsburgischen Vielvölkerstaat Karls V. den höchsten Ausdruck des Mittelalters sieht (vgl. ebd.: 246). Friedrichs Bruder August Wilhelm Schlegel urteilt differenzierter. Da durch das politische Übergewicht Spaniens im 16. Jahrhundert die Kenntnis der spanischen Sprache sehr verbreitet worden war, könne man noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts viele Spuren von Vertrautheit mit der spanischen Literatur in Frankreich, Italien, England und Deutschland konstatieren. Erst am Ende des 17. Jahrhunderts sieht Schlegel Spanien am Ende: »Das Gefühl der National-Ehre ging verlohren, die Regierung behandelte die Unterthanen nach den französischen Grundsätzen […], der französische Einfluss war seitdem vorwaltend« (KAV III: 230). Wobei er an anderer Stelle die Meinung vertritt, Spanien habe die Aufklärung verschlafen und diese sei »bloß eine nordische Eigenheit« (ebd.: 232). Jedenfalls mahnt Schlegel bei der Einschätzung der geschichtlichen Leistung der Spanier zur Vorsicht. Spanien sei keine schwächere Kopie der tonangebenden Europäischen Staaten. […] Die Geschichte Spaniens ist durch die protestantischen Historiker unglaublich entstellt und eigentlich keine Nation so schimpflich verläumdet worden (ebd.: 230f.).

August Wilhelm Schlegels Vorliebe gilt daher dem spanischen Mittelalter und dem mit ihm verbundenen Rittertum: »Nirgends hatte der ritterliche Geist die politische Existenz des Rittertums länger überlebt als in Spanien« (KSB VI: 262). Der Kampfgeist des Rittertums prägt folglich auch die Dichtung. Anders als im übrigen Europa waren die Dichter nicht Höflinge, Gelehrte oder Bürger, sondern kämpfende Ritter und verbanden »armas y letras« (ebd.). Der Ritter hatte einen Sinn für Gerechtigkeit und griff Schwächere nicht an (vgl. KAV II/1: 81). Da sich die spanischen Ritter nach Schlegel vom 8. bis zum 15. Jahrhundert gleichsam in einem großen Kreuzzug befanden, sollte das verloren gegangene Staatsgebiet durch den Krieg wiedererlangt werden und gleichzeitig der christliche Glauben verbreitet werden (vgl. ebd.: 231). Ein wichtiges Element im Tugendsystem der Ritter war daher die Frömmigkeit (vgl. ebd.: 80). Hinzu kam zu den Pflichten und Ehren die Ehrerbietung gegenüber der Geistlichkeit, Respekt gegenüber Höhergestellten und Untergebenen, besonders aber Höflichkeit gegenüber der Frau. An anderer Stelle nehmen die Spitzenpositionen bei den Tugenden die Tapferkeit und Tüchtigkeit des Mannes, verbunden mit Treue und Redlichkeit, ein. Die positiven Eigenschaften, die Schlegel den spanischen Rittern zuschreibt, sind eben diejenigen, die er auch bei seinen eigenen deutschen Vorfahren lobt (vgl. ebd.: 75f.). Dazu gehört das Gefühl für Gleichheit, die Tapferkeit im Krieg, die Lust an Kämpfen, seien dies Zweikämpfe zur Erlangung von Gottesurteilen oder Jagd und Waffenübung in der Friedenszeit.

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Angesichts der christlichen Prägung des Rittertums und der mittelalterlichen Orientkreuzzüge stellt sich für August Wilhelm Schlegel die Frage nach dem Gegensatz zwischen Morgenland und Abendland. Er ist für ihn in Politik, Mythologie und Literatur präsent: Die Entgegensetzung der Religionen war freylich in der Erscheinung oben auf, mit derselben verband sich aber eine politische: in Europa waren die Maximen republicanisch unter der Form der Feudalität, im Orient despotisch. […] Europa focht gegen die Saracenen, in denen es mit Wahrheit seine Erbfeinde erkannte, nicht nur für seine religiöse, sondern auch für seine politische Existenz. […] Dieser Gegensatz zwischen Christlich und Saracenisch spielte in der ganzen Rittermythologie eine große Rolle, er ist einer von den Cardinalpunkten, um die sich viele Begebenheiten drehen. […] In den spanischen Dichtern findet man den Contrast zwischen dem südlich Occidentalischen und dem Orientalischen […] sowohl in historisch erfundenen Darstellungen wunderwürdig benutzt, in vielen Novellen, Romanzen und Dramen, und diese nahe Gegenwart des beständigen Antagonisten erhöht das nationale Bewusstsein (ebd.: 70f.).

Die unversöhnliche Gegensätzlichkeit zeigt sich auch dort, wo Schlegel die Rolle der Spanier als Vorposten des bedrohten Europas gegen die Einbrüche der Araber betont. Er hält es daher auch für unmöglich, dass die feinere Bildung ritterlicher Sitten zuerst von den Arabern auf die Europäer übergegangen sey. Vielmehr mag der lange Aufenthalt jener im Occident, und ihr langer, wenn auch meistens kriegerischer Verkehr mit diesen bey den Arabern etwas von ritterlichen Tugenden geweckt, vielleicht auch die orientalische Sclaverey des anderen Geschlechts dort gemildert haben (KAV III: 231f.).

Systematisch allerdings erscheint Schlegel der Islam dem Christentum vergleichbar, als beyde gegen Heidentum, d. h. nationale Mythologie und symbolische Naturreligion gerichtet waren. Innerhalb dieser Gleichartigkeit bildeten sie aber wieder den vollkommensten Gegensatz: das Christentum ist der idealistische, der Mohamedanismus der realistische Monotheismus (ebd.: 69).

Damit nimmt Schlegel erneut eine aus seiner Perspektive negative Bewertung des Islam vor. Nach der Vertreibung der Araber kann Schlegel eine Blütezeit Spaniens im 17. Jahrhundert konstatieren: »Die verschiedenen Bildungsepochen der spanischen Blütezeit lassen sich mit den Namen dreier berühmter Schriftsteller, des Cervantes, Lope de Vega und Calderón bezeichnen« (ebd.: 253). Gerade mit letzterem hat nach Schlegel das romantische Schauspiel der Spanier den Gipfel der Vollendung erreicht (vgl. Reavis 1978: 133). Die Gattung der Romanze ist nicht mit dem Namen berühmter Autoren verbunden. Nach August Wilhelm Schlegel ist sie jedoch eine typische Gattung der Literatur Spaniens. Er betont zwar, dass es Volksromanzen auch bei den Engländern, den Schotten, den Dänen und den Deutschen gebe, bei den Spaniern

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aber seien sie von verschiedener und eigener Gestaltung. Auch der Name Romanze »dürfte auf die Gattung allerdings von den Spaniern zuerst angewandt worden sein« (KAV II/1: 125). Die Romanze hat nach Schlegel ihre Dominante und ihr bestimmtes Kolorit. Sie erscheint ihm romantisch und dem Ritterepos vergleichbar, nur dass sie sich auf einzelne Tatsachen beschränkt. Die spanischen Romanzen sind im schlichtesten, einfachsten Volkstone, oft haben sie etwas von der Novelle, etwas Seltsames, Kontrastierendes, das den Vorfällen Reiz und Anlockung gibt. Die Romanze muss bei jeder Nation national sein (ebd.: 117f.).

Schlegel stimmt nicht mit Herder überein, nach dem die spanischen Romanzen die ältesten seien. Ihm scheinen sie nicht hinter das 15. Jahrhundert zurückzugehen. Immerhin sind die Romanzen der Ort der Poesie, »als sie sich mehr und mehr gegen Ende des sogenannten Mittelalters aus den höheren Ständen verlor, unter dem Volke einen Zufluchtsort fand« (ebd.: 124). Bevor nun Calderón und Cervantes als die aus der Perspektive der Romantik wichtigsten Autoren Spaniens vorgestellt werden, sei ein Blick auf die Entstehung der universitären Literaturwissenschaft geworfen. Die ersten Professuren für deutsche Philologie wurden 1801 in Münster, 1805 in Göttingen und 1810 in Berlin besetzt, das erste Germanistische Seminar wurde 1858 in Rostock eingerichtet. In der frühen Germanistik standen wie in der Romanistik nach dem Vorbild der Altphilologie Quellensicherung und Textedition im Vordergrund. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war ›Germanistik‹ die Beschäftigung mit insbesondere mittelalterlichen Erscheinungsformen der germanischen Kultur in Geschichte, Rechtswesen, Literatur und Sprache. Sie entsprach dem politischen Wunsch, das Gefühl für eine nationale Identität, ein Nationalbewusstsein für ein jahrhundertelang in Kleinstaaten zerfallenes Deutschland zu schaffen. 1846 lösten sich die Historiker aus der Germanistenversammlung in Frankfurt und gründeten wie später die Juristen ihren eigenen Verband. Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich auch die Niederlandisten und die Skandinavisten aus der Germanistik verabschiedet, so dass die deutsche Philologie übrigblieb. Es war ein weiter Weg, der im 19. Jahrhundert zu dieser Position führte. Zu Beginn des Jahrhunderts waren die neuphilologischen Fächer untereinander und mit Fächern wie Geschichte und Jurisprudenz verbunden, hatten besondere Legitimationsstrategien und verfolgten nationale Interessen, was deutlich wird, wenn man auf die Germanistik blickt. Bekanntlich war es die erste Germanistenversammlung im Jahr 1846, für die Jacob Grimm den Beitrag »Über den Namen der Germanisten« verfasst hatte (vgl. Meves 1994: 27). Die in den Zeitungen publizierte öffentliche Einladung richtete sich an »Männer, die sich der Pflege des deutschen Rechts, deutscher Geschichte und Sprache ergeben« (ebd.:

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28).8 Unterzeichnet hatten die Einladung achtzehn Gelehrte, unter ihnen waren die Philologen Jacob und Wilhelm Grimm, Moriz Haupt, Karl Lachmann und Ludwig Uhland. Auf letzteren sind wir oben bereits eingegangen. Es kamen über zweihundert Gelehrte aus fast allen deutschen Universitäten. Von Jacob Grimm ist die Mahnung überliefert, es dürfe nur Deutsches, und nichts Undeutsches geschehen. Dass er schließlich einstimmig zum Vorsitzenden gewählt wurde, führte Grimm darauf zurück, dass er gleichermaßen über Recht, Geschichte und Sprache gearbeitet habe. Dabei zeigt sich für ihn auch eine Verbindung dieser drei Fächer, wie in seiner Berliner Antrittsvorlesung vom 30. 04. 1841 »Über die Alterthümer des deutschen Rechts« deutlich wird. Hier konstatiert er zwischen Recht und Sprache »eine eingreifende Analogie« und ein »gemeinschaftliches Wesen«, was er wiederum auf die »Volkssitte« bezieht (Grimm 1841/1966: 547f). Zwar erscheine bei einem Vergleich das römische Recht wissenschaftlich ausgebildet und das deutsche roh und bruchstückhaft überliefert, doch überwiegen nach Grimm die Gründe für das deutsche Recht: Während das römische Recht mit Justinians Kompilationen aus der Zeit des Verfalls des römischen Reiches stamme und schon byzantinische Einflüsse zeige, atme aus dem altdeutschen Recht ein noch roher und ungebändigter, aber edler Geist der Freiheit: es ist darin noch unser fleisch und blut, das wir fühlen. Die heimliche aber ergreifende stimme der vergangenheit ruft uns mahnend zu, dasz wir durch die erforschung des alten rechts uns selbst, unsre gegenwart und vergangenheit besser verstehen lernen werden (Grimm 1841/1966: 550).

Die Betrachtung des frühesten deutschen Rechts gewähre zugleich Einblicke »in die Beschaffenheit des frühesten volkslebens« (ebd.). Da das deutsche Recht zudem in weit höherem Maß als das römische von Poesie geprägt sei, ergibt sich also eine Korrelation zwischen Recht, Volksleben und Poesie, wobei als Beispiel für letztere das deutsche Epos des 12. und 13. Jahrhunderts angegeben wird. Wie entwickelte sich demgegenüber die Romanistik? Der Gründer der Romanischen Philologie, Friedrich Diez (1784–1876), erhielt in Bonn ab 1830 eine Professur, nachdem er dort seit 1821 als Lektor Spanisch, Italienisch und Portugiesisch lehrte. Während also im 19. Jahrhundert von einzelnen Neuphilologen an der Universität noch mehrere Nationalsprachen und Literaturen vertreten wurden, ist die weitere Entwicklung durch zunehmende Spezialisierung und Ausdifferenzierung gekennzeichnet. Auch die Romanistik entwickelte sich im 19. Jahrhundert. Getragen wurde die Romanistik wie auch die Germanistik vom Bildungsbürgertum, das auf kulturelle und ethische Wissenselemente mehr Wert legte als auf funktionale Wissensbereiche, die zur beruflichen Qualifikation dienen. Wilhelm von Humboldt, der die Berliner Universität gründete, propa8 Vgl. im Folgenden Meves 1994: 29–33.

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gierte eine Bildungsidee, nach der Wissenschaft etwas nie ganz Gefundenes, sondern immer Aufzusuchendes ist, so dass das problemorientierte Forschen im Mittelpunkt stehen soll, bei dem der Staat nur hinderlich sei, wenn er sich einmische. Der Staat solle von den Universitäten nichts fordern, sondern überzeugt sein, dass sie von einem höheren Gesichtspunkt aus optimal in seinem Sinn arbeiten, wenn er sich nicht einmischt. Durch Wilhelm von Humboldts Revolutionierung ist die Universität aus einer Zweckveranstaltung des Staats zum Raum zweckfreier Forschung ohne den bisherigen Schulcharakter geworden, ist ihre Würde die des Geltungsanspruchs des freien Geistes moderner Wissenschaft, wobei gerade die Philosophische Fakultät paradigmatischen Charakter hat. Ihr geht es nach Immanuel Kant in erster Linie um Wahrheitsfindung und Gelehrsamkeit, während in den anderen Fakultäten nützliche Zwecke im Vordergrund stehen: nach dem Tode selig, im Leben unter anderen Mitmenschen des Seinen durch öffentliche Gesetze gesichert, endlich des physischen Genusses des Lebens an sich selbst (d. i. der Gesundheit und langen Lebens) gewärtig zu sein (Kant 1798/1959: 23).

Was bedeutet das für die romanische Philologie? Gustav Gröber sieht sie in seinem Grundriss der Romanischen Philologie aus dem Jahr 1888 »an der Aufschliessung der geistigen Vergangenheit der Romanen, wie die deutsche Philologie an der der Germanen, die classische an der der Römer und Griechen« (Gröber 1888: 141) beteiligt. Sie führe die Lebenden zum rechten Verständnis der romanischen Dichter und Denker früherer Zeiten. Sie trägt in ihrem Teile dazu bei, den Zusammenhang der Bildung der Völker durch die Zeiten zu erhalten. Sie redet laut und deutlicher als andere geschichtliche Wissenschaften zur Gegenwart von der geistigen Mächtigkeit der Romanen, von ihren Schranken, Schwächen, Verirrungen und ruft ihnen zu und lehrt ihnen das gnoti seanton, dessen die Völker, wie der Einzelne bedürfen. Sie trägt, genötigt über die eigne Nation hinaus in fremde einzudringen, bei der Versöhnung der Völker, zur Beseitigung thörichter Vorurteile, zur Fernhaltung nationalen Eigendünkels. Sie wird zum Schutz, wo Unwissenheit oder Charlatanerie mit falschem oder fremden Glanze über die ererbten und eigenen Schätze zu verblenden suchen (ebd.: 153f.).

Wie gestaltet sich das Verhältnis der neu entstandenen Philologien wie Romanistik und Germanistik zur traditionsreichen jahrhundertealten klassischen Philologie? Nicht nur von den Gegenständen her greift die klassische Philologie auf die neuere über, sondern auch hinsichtlich der Methoden. Konsequent hatte Bernhard Docen 1813 gefordert, ein altdeutsches Gedicht solle nach den gleichen Regeln ediert werden wie ein Text aus der klassischen Antike. Bekanntlich hatten Karl Lachmann und Moriz Haupt gleichzeitig klassische und deutsche Philologie als Universitätsfach vertreten (vgl. Stackmann 1979: 241). Die kritische Edition der mittelalterlichen Texte unter Berücksichtigung der Regeln, denen die antiken

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Dichter bewusst oder unbewusst folgten, wurde dann auch zur Hauptaufgabe Lachmanns, der zunächst mit seiner Untersuchung »Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelunge Noth« (1816) hervortrat (vgl. Stackmann 1979: 143f.). Kategorisch und prinzipiell jedenfalls erscheint Karl Wilhelm Magers Warnung: »Auch sei Keinem, der sich Philologe nennen will, der Zugang zu einem anderen Volke gestattet, er habe denn seinen Weg dahin über Rom und Athen genommen« (Mager, zit. n. Friedemann 1847: 257). Wie ist innerhalb der Romanistik das Verhältnis zwischen Frankreich und Spanien? Dafür, dass es von der jeweiligen politischen Situation bestimmt ist, lässt sich Friedrich Diez (1784–1876) anführen. Dass er nicht auch das Französische vertrat, ist auf die antifranzösische Haltung seiner Zeit zurückzuführen, die sich gegen Napoleon wandte. Bereits 1808 griff Johann Gottlieb Fichte in seinen Reden an die deutsche Nation die »Neulateiner« an und meint damit die Franzosen, deren Wesen steril, oberflächlich, unernst und faul sei, während der germanische Charakter tief, gemütvoll, ernst und fleißig sei. Nur das Mittelalter sei in der Romania von Interesse, da es germanisch geprägt sei, wie die Ritterepik zeige, in Spanien aber noch stärker als in Frankreich. So ist es nicht erstaunlich, dass auch Diez in seiner Besprechung von Jacob Grimms Silva de romances viejos (1815) erfreut in den Romanzen den Sagenkreis über Karl den Großen und seine zwölf Genossen, den Geist der gotisch-germanischen Feudalordnung und tiefes deutsches Gemüt entdeckt, während er im spanischen Heldenepos Cid gar den Nibelungengeist verspürt. Nicht selten ist es in der Geschichte der Romanistik die Abwendung von Frankreich, die eine Hinwendung zu Spanien mit sich bringt. Bereits 1806/1807 hatte man in der Auseinandersetzung mit dem französischen Klassizismus, der französischen Aufklärung und mit der Französischen Revolution jene für Deutschland charakteristischen Stereotypen, wie Einfühlung, Naturgefühl, Drang ins Unendliche, Treue zum Alten, Arbeitsamkeit, Sachlichkeit, Heilung der Weiblichkeit, Freiheitsliebe und Schicksalsglaube entwickelt, die noch 1927 Eduard Wechssler in Esprit und Geist. Versuch einer Wesenskunde des Deutschen und des Franzosen den entsprechenden französischen entgegensetzte (vgl. Nerlich 1996: 404ff.). Es fällt auf, wie sehr einige dieser ›deutschen‹ Stereotypen jenen ähneln, die die deutsche Romantik den Spaniern zuschrieb. So ist es für August Wilhelm Schlegel ein Qualitätsmerkmal, wenn sich das spanische Theater ganz ohne Einflüsse aus fremden Ländern wie Italien oder Frankreich entwickelte (vgl. KSB VI: 107). Bei italienischen, französischen und englischen Dramatikern sei es vielmehr Sitte gewesen, aus spanischen Quellen zu schöpfen, meistens ohne sie explizit anzugeben, wenngleich sie deutlich zu erkennen sind: Sinnreiche Kühnheit mit leichter Klarheit in der Intrige vereinigt, ist den spanischen Dramatikern so ausschließend eigen, dass ich mich berechtigt halte, wo ich sie in einem

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Lustspiele finde, einen spanischen Ursprung zu vermuten, wenn auch der Verfasser selbst es nicht wusste, sondern ein Plagiat an einer nähern Stelle verübte (ebd.: 251).

Das englische Theater Shakespeares allerdings erscheint August Wilhelm Schlegel dem spanischen gleichrangig, wie er mehrfach hervorhebt. Manchmal sind für ihn Shakespeare und Calderón die einzig großen Dichter (vgl. ebd.: 109), manchmal aber gibt er Shakespeare den Vorzug (vgl. KAV II/1: 114). Das englische und spanische Theater verbinde nicht nur die Vernachlässigung der Einheiten und die Vermischung komischer und tragischer Bestandteile, die, wie bereits erwähnt, Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie hervorgehoben hatte (vgl. Paulini 1985: 254), sondern ein gemeinsamer innerster Gehalt, der sich auch als »der Geist der romanischen Poesie« (KSB VI: 111) bezeichnen lasse. Umso erstaunlicher sei es, dass bei der Theaterentwicklung zweier Völker, »die in physischer, moralischer, politischer und religiöser Hinsicht so weit voneinander abstehen, wie die Engländer und die Spanier« (ebd.: 110), ein gleichartiges Prinzip zugrunde liege, das weder Tragödien noch Komödien, sondern romantische Schauspiele hervorbringe. Cervantes, der sich als Theaterautor noch an den aristotelischen Regeln orientiert, geht nach Schlegel am Zeitgeschmack vorbei, wenngleich auch die Meinung vertreten werden könne, dass seine Schauspiele »Parodien und Satiren auf den verderbten Zeitgeschmack« (ebd.: 254) seien. Gemessen an Lope de Vega oder Calderón erscheint Cervantes als Theaterautor jedoch weniger talentiert. Lope de Vega wird von Schlegel als Wunder der Natur gelobt, jedoch kritisiert, da es seinen Werken »an Tiefe und an jenen feineren Beziehungen, welche eigentlich die Mysterien der Kunst ausmachen«, fehle (ebd.: 257).9 Größter Theaterautor Spaniens ist für Schlegel jedenfalls Calderón de la Barca. »In ihm hat das romantische Schauspiel der Spanier den Gipfel der Vollendung erreicht« (KSB VI: 260). Calderóns Biographie präge das 17. Jahrhundert: Beim Tod von Cervantes war er sechzehn Jahre alt und fünfunddreißig, als Lope starb, den er fast um ein halbes Jahrhundert überlebte. Zentrale Themen in Calderóns Comedias de capa y espada sind Ehre, Liebe und Eifersucht. Insgesamt lassen sich Calderóns Stücke nach Schlegel in folgende Untergattungen gliedern: Darstellungen heiliger Geschichten aus der Schrift und der Legende; historische; mythologische oder aus anderen erdichteten Stoffen gebildete; endlich Schilderungen des geselligen Lebens in modernen Sitten (KSB VI: 258).

Ein besonderer Reiz des Theaters bestehe darin, die schon halbverlorene, welterobernde Größe der spanischen Nation vorzuführen (vgl. Reavis 1978: 135).10 Calderón hat nach Schlegel das Theater so nachhaltig geprägt, dass noch lange 9 Vgl. auch Paulini 1985: 258. 10 Vgl. auch Paulini 1985: 257f.

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nach ihm »nur Nachklang des Vorhergehenden, […] nichts Neues, noch wahrhaft Eigentümliches zum Vorschein gekommen« sei (KSB VI: 267). Als in anderen Ländern Europas schon die aufklärerischen Tendenzen des 18. Jahrhunderts herrschten, blühte nach Schlegel in Spanien noch das Werk Calderóns: »Er ist folglich als der letzte Gipfel der romantischen Poesie zu betrachten« (ebd.: 266). Ein weiterer wichtiger Gipfelpunkt der spanischen Literatur ist für Schlegel Cervantes. So sehr war er Dichter, »daß selbst seine Vorreden und Zueignungen […] wahre dichterische Kompositionen sind« (Schlegel 1962: 299). Seine Dichtung ist »ein vollendetes Meisterwerk der höheren romantischen Kunst« (ebd.: 294). Cervantes’ Don Quijote ist nach Schlegel voller romantischer Darstellungen und hat Romantisches im Gehalt. Schnell und erfolgreich wurde das Werk in Deutschland und England verbreitet, wobei zunächst die Deutung als komisches Werk vorgeherrscht habe. Der verbreiteten Mode der Ritterbücher begegne Cervantes mit Spott. Indem der Dichter die abgeschmackte und kolossale Romanwelt der Ritterbücher zerstört, erschafft er auf dem Boden seines Zeitalters und einheimischer Sitten eine neue romantische Sphäre (ebd.: 295).

Zusammenfassend hält Schlegel fest, dass es im Roman darauf ankomme, dass die Episoden in ihrem Wechsel harmonisch und fantasievoll seien. Wenn je ein Roman dies auf das vollkommenste geleistet hat, so ist es Don Quixote. So erkennt man überall den besonnenen Künstler in der weisen Anordnung und Verteilung. Gleich bei Eintritt lässt er die überspannten Ideen des Ritters, um ihm gar keinen Schlupfwinkel zur Rettung übrigzulassen, gegen die gemeinste Wirklichkeit anstoßen (ebd.: 296).

Eben dieser Gegensatz zwischen den Ideen des Ritters und der gemeinen Wirklichkeit ist es, den die Philosophie des deutschen Idealismus aufgreift, um den Don Quijote zum philosophischen Mythos zu machen. Neuere Mythen sieht Schelling ganz allgemein im Roman: »Der Roman soll ein Spiegel der Welt, des Zeitalters wenigstens, seyn, und so zur partiellen Mythologie werden« (Schelling 1803–1817/1959: 327). Und so nennt Schelling Don Quijote, um zu zeigen, was der Begriff von einer durch das Genie eines Einzelnen erschaffenen Mythologie sagen will. Don Quijote und Sancho Pansa sind mythologische Personen über den ganzen gebildeten Erdkreis, sowie die Geschichte von den Windmühlen u.s.w. wahre Mythen sind, mythologische Sagen (ebd.: 330).

Thema des Don Quijote und damit Philosophem ist das Ideale im Kampf mit dem Realen. August Wilhelm Schlegels Bruder Friedrich, der in die philosophischen Diskussionen seiner Zeit eingegriffen hat, veröffentlichte ein Buch zur Transzen-

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dentalphilosophie, in dem er sich auch mit der Lehre Fichtes auseinandergesetzt hat.11 Als Fichtes Verdienst erkennt er 1808, dass er die in der Denkart des Zeitalters begründete empirische Beschränktheit, welche Kant noch hatte stehen lassen, die Kantianer aber noch weiter ausgedehnt und noch mehr befestigt hatten, bis auf die Wurzel zerstörte; und daß er zugleich zeigte, welche mächtige Wirkung ein freierer und kühnerer Gebrauch der Idee des Unendlichen hervorbringen könne (KSF III: 109).

Nach Friedrich Schlegel ist daher der Idealismus der Mittelpunkt und die Grundlage der deutschen Literatur, ohne ihn ist eine das Ganze der Natur umfassende Physik nicht möglich, und die höhere Poesie als anderer Ausdruck derselben transzendentalen Ansicht der Dinge ist nur durch die Form von ihm verschieden (KFSA III: 5).

Es gibt also eine gewisse Affinität zwischen der Deutung des Don Quijote als Verkörperung des Strebens nach Unendlichkeit und der idealistischen Philosophie, auf die kurz eingegangen werden soll. Deren Ausgangspunkt ist relativ einfach: So wie der absolute Geist die Welt geschaffen hat, so erschafft ganz analog das individuelle Subjekt seine Realität aus sich heraus und mit seiner geistigen Gestaltungskraft. Aktivität und Gestaltung gehen also vom Subjekt aus, sodass die Realisierung des Objekts dem Subjekt zu verdanken ist. Schelling (1830/1989: 68) formuliert das so: »Gott ist das, was keinen anderen Begriff voraussetzt, wie der Raum in der Geometrie. Die Welt hingegen kann nur als Folge von ihm begriffen werden«. Das göttliche Wollen wird zum Anfang der Natur, schafft also die Natur (vgl. ebd.: 86). So ist Gott jene Ursache im Weltprozess, »die dem Idealen über das Reale Übergewicht verleiht« (ebd.: 97). Was für Gott gilt, ist analog auch für die Geschöpfe richtig: »Die endlichen Wesen hingegen haben nur die Freiheit, sich ewig selbst zu setzen« (ebd.: 106). Dies bedeutet, dass die Realität explizit darstellt, was in der Idee implizit bereits vorgegeben ist. Die Natur entsteht dadurch, dass die in der Idee enthaltenen Momente auseinanderfallen und nebeneinander bestehen. »Die Natur ist nach dieser Lehre nichts, als die auseinandergefallene Idee,« (ebd.: 65) – »denn jedes Wesen verwirklicht sich nur dadurch, daß es das implizite Sein als expliciter setzt« (ebd.: 53). Die innere Welt hat also für Schelling Priorität vor der äußeren: [D]ie wahre Tatsache ist aber immer etwas Innerliches; die wahre Tatsache einer Schlacht z. B. liegt in dem Geiste des Feldherrn, nicht in den Angriffen oder Kanonenschüssen; die wahre Tatsache eines Buches kennt nur derjenige, welcher es versteht (ebd.: 37f.).

Zur Veranschaulichung führt Schelling Geometrie und Licht an. In beiden Beispielen geht etwas von einem Punkt aus und legt sich auf die Objekte der Realität, 11 Vgl. Schlegel 1800–1801/1991; KSF III: 109–125.

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seien es die geometrischen Modelle, seien es z. B. die Lichtstrahlen der Sonne. Das Licht könne nicht Materie sein, da es durchsichtige Körper durchbohre. »Das Licht ist doch wohl in der ausgedehnten Welt ein Analogon des Geistes, ja das Licht ist gar nichts anderes, als der denkende Geist, nur auf seiner tiefsten Stufe« (ebd.: 51). Charakteristisch für Hegels philosophischen Standpunkt ist nun, dass er nicht etwa das Subjekt durch die Ordnung der Dinge korrigiert wissen will, sondern am Subjekt festhält auf Kosten der Dinge. Hegel bezeichnet Don Quijote als edlen Charakter, hineinversetzt in den festen, bestimmten Zustand einer ihren äußeren Verhältnissen nach genau geschilderten Wirklichkeit. Daraus ergibt sich der Widerspruch einer verständigen, durch sich selbst geordneten Welt und eines isolierten Gemütes, das sich diese Ordnung und Festigkeit erst durch sich und das Rittertum, durch das sie nur umgestürzt werden könnte, erschaffen will. […] Don Quijote ist ein in der Verrücktheit seiner selbst und seiner Sache vollkommen sicheres Gemüt, oder vielmehr ist nur dies die Verrücktheit, daß er seiner und seiner Sache so sicher ist und bleibt (Hegel 1955: 566).

Die Sympathie Hegels gilt also dem isolierten ritterlichen Gemüt des Don Quijote, der durch das Rittertum eine eigene Ordnung schaffen und die vorhandene, durch sich selbst geordnete Welt umstürzen will. Don Quijote ist also ein Paradigma für das Subjekt, das sich das Objekt in seinem Geist erschafft. Bei der Wertschätzung des Rittertums, seiner Abenteuer und Kollisionen konnte Hegel auf Friedrich Schlegel zurückgreifen, für den das Rittertum ebenso spanisch wie romantisch ist. Da die spanische Dichtkunst überhaupt ohne allen fremdartigen Einfluß und durchaus rein romantisch geblieben ist, da die christliche Ritterpoesie des Mittelalters dieser Nation am längsten bis in die Zeiten der neueren Bildung fortgedauert, und die kunstreichste Form erlangt hat, so ist hier wohl der rechte Ort, das Wesen des Romantischen überhaupt zu bestimmen (KSF IV: 160).

Ritterpoesie, die Philosophie des deutschen Idealismus, Cervantes’ Satire und romantische Ironie versammeln sich in einem Sonett von August Wilhelm Schlegel über das Philosophem Don Quijote: Auf seinem Pegasus, dem magern Rappen Reit’ in die Ritterpoesie Quixote, Und hält anmuthiglich, in Glück und Nothe, Gespräche mit der Prosa seines Knappen. Erst, wie sie blind nach Abenteuern trappen, Trifft sie der Weltlauf mit gar harter Pfote; Dann kommt der Scherz als huldigender Bote, Und schüttelt schelmisch ihre Schellenkappen.

August Wilhelm Schlegels Geschichte der spanischen Literatur

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Und Liebe webt drein rührende Geschichten; Verstand der Menschen Sitten, Tracht, Geberden; Es gaukelt Phantasie in farb’ger Glorie. Ich schwör’es, und Urgande selbst soll richten: Was auch hinfüro mag ersonnen werden, Dieß bleibt die unvergleichlichste Historie! (SW I/1: 342)

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Personenregister

Abbé Barthélémy 16 Abbé Girard 55, 136, 144, 148 Abbé Sicard 54f. Abel Rémusat 105 Adert, Jules 21, 38 Aimoin von Fleury 63 Al-Taie, Yvonne 37 Albert, Mechthild 155 Albrecht, Jörn 34 Altenstein, Karl vom Stein zum 38, 91 Amossy, Ruth 74, 79 Andrés y Morell, Juan 26 Angenot, Marc 76 Anscombre, Jean-Claude 81 Antonio, Nicolás 162 Ariost, Ludovico 157, 188, 196 Aristoteles 180 Arnaut Daniel 121, 124, 127, 206, 208, 210– 213, 216 Arnim, Achim von 95 Auroux, Sylvain 51 Authier-Revuz, Jacqueline 77 Bamberg, Claudia 11, 91f., 95, 102, 104– 106, 118, 130, 140f. Bär, Jochen A. 25f., 29, 35, 51, 59, 96, 99, 106, 194 Barbato, Marcello 117 Bartsch, Karl 122 Bartuschat, Johannes 129 Bastero, Antonio 78, 114, 123 Baum, Richard 40 Baumann, Uwe 38, 97 Beauzée, Nicolas 113

Becker, Claudia 112, 119 Becker, Karl Ferdinand 95 Becker, Martin 32, 51 Becker, Thomas 8, 94 Behrens, Klaus 224 Belgardt, Raimund 129 Benecke, Georg Friedrich 95, 122 Benfey, Theodor 16, 24 Bernart de Ventadorn 208, 210 Bernhardi, August Ferdinand 99, 118, 139 Bernsen, Michael 23, 171 Bertran d’Alamanon 23 Bertran de Born 124, 208, 210f. Bertuch, Friedrich Justin 155, 158–163, 220 Boabdil, s. Muhammad XII. Abu Abdallah (Emir von Granada) Boccaccio, Giovanni 185f., 188, 196, 198– 200, 221 Bodmer, Frederick 135, 147 Bodmer, Johann Jakob 129, 197 Boethius 21 Bonamy, Pierre-Nicolas 34 Bopp, Franz 16, 28f., 35, 52, 91f., 95, 98f., 117, 135, 137, 141, 145f., 148, 171 Borchardt, Rudolf 193, 205–216 Borgstedt, Thomas 196 Bossong, Georg 24, 32, 54, 58, 112, 139f. Boulanger, Nicolas Antoine 164 Bouquet, Martin 90 Bouterweck, Friedrich Ludewig 25 Braun, Raphaela 155 Braungart, Georg 39 Bréal, Michel 16

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Personenregister

Brentano, Clemens 95, 158 Briesemeister, Dietrich 158f. Brilliant, Maria 73 Brioschi, Franco 130 Bruni, Leonardo 34 Bunsen, Christian Karl Josias von Burckhardt, Jacob 206 Burger, Marcel 74 Burgsdorff, Wilhelm von 11 Büsching, Johann Gustav 95 Buschmann, Matthias 7 Bybee, Joan L. 62

130

Calderón de la Barca, Pedro 89, 102, 156, 174, 179, 185–190, 219f., 223, 226f., 231f. Camões, Luís Vaz de 157, 188, 196 Canal, Héctor 13, 174, 176–178, 188, 190, 194 Canello, Ugo Angelo 12 Caraccioli, Louis-Antoine 173 Carstens, Henry 23 Carter, Francis 161 Cervantes, Miguel de 155, 157, 188, 196, 219f., 223, 226f., 231f., 234 Chambers, Ephraim 172 Chambon, Jean-Pierre 120 Chamisso, Adelbert von 157 Chesneau Du Marsais, César 113 Chézy, Antoine Léonard de 141 Chrétien de Troyes 210 Christmann, Hans Helmut 23f., 35, 144 Cicero, Marcus Tullius 63 Cittadini, Celso 13, 34 Cœurdoux, Gaston-Laurent 16 Cobby, Franck 76 Company Company, Concepción 63 Condillac, Étienne Bonnot de 146 Coseriu, Eugenio 12f., 15, 24, 35, 51, 59, 135–137, 149 Courouau, Jean-François 113 Courtés, Joseph 74 Crescimbeni, Giovanni Mario 78 Creuzer, Georg Friedrich 95 Curtius, Georg 17 D’Alembert, Jean Le Rond

112, 124, 172

Dante Alighieri 23, 89, 102, 113, 129, 135, 174, 185f., 188, 196, 198–202, 206f., 211– 216, 221 Dascal, Marcelo 51 Daunou, Pierre-Claude-François 25 De Spengler, Nina 80 Deckert, Helmut 128 Denina, Carlo Giovanni Maria 118f. Destutt de Tracy, Antoine Louis Claude 143, 146 Dewitz, Hans-Georg 207 Diderot, Denis 112, 124, 172 Dietrich, Wolf 149 Diewald, Gabriele 61, 66 Diez, Friedrich 11–17, 28–30, 33–36, 39f., 54, 78, 92, 113, 120f., 125, 128, 130, 159, 171, 204f., 212f., 221, 228, 230 Dieze, Johann Andreas 220 Docen, Bernhard Joseph 95, 229 Douchet, Sébastien 121 Doury, Marianne 80 Dräxler, Hans-Dieter 139 Drews, Jörg 209 Ducrot, Oswald 80f. Durrell, Martin 122 Eastman, Andrew 124 Eco, Umberto 79f. Eicheldinger, Martina 111 Eichendorff, Joseph von 157f. Eichhorn, Karl Friedrich 95 Eichstaedt, Heinrich Carl Abraham Einstein, Carl 216 Ettmüller, Ludwig 95 Euripides 179, 204

118

Fambach, Oskar 94 Fauriel, Claude 38f., 130, 204 Fauris de Saint Vincent, Jules Antoine Alexandre 120 Favre, Guillaume 21, 37, 204 Felman, Shoshana 74f. Ferdinand V. (König von Kastilien und León, der Katholische) 158 Fernando, Infant von Portugal 188 Fichte, Johann Gottlieb 145, 230, 233

241

Personenregister

Fleischman, Suzanne 63 Fohrmann, Jürgen 7 Folquet de Marselha 130 Foucault, Michel 15f., 172 François, Jacques 120 Fränkel, Ludwig 223 Freudenberg, Johann 39 Friedemann, Friedrich Traugott 230 Friedrich II. (König von Preußen) 118 Friedrich II. (staufischer Kaiser) 185 Gabelentz, Georg von der 52, 68 Gallaup, Pierre 121 Gardt, Andreas 97, 99 Gaucelm Faidit 23 Gauger, Hans-Martin 15, 17, 28, 33f. Geckeler, Horst 149 George, Stefan 207, 210, 215 Gervinus, Georg Gottfried 95 Gessner, Conrad 135 Giambullari, Pierfrancesco 115 Giraut de Bornelh 208, 210 Goethe, Johann Wolfgang von 131, 206f., 212, 216, 220 Góngora, Luis de 220 Görres, Joseph von 90f., 95, 129f. Gottfried von Straßburg 209 Graff, Eberhard Gottlieb 95 Gramatzki, Susanne 23, 33, 54 Gräter, Friedrich David 95 Gravina, Gian Vincenzo 185 Greimas, Algirdas Julien 74 Grimm, Jacob 15–17, 28, 35, 90–93, 95, 98f., 105f., 122, 139, 159, 171, 221, 227f., 230 Grimm, Wilhelm 90–92, 95, 122, 228 Gröber, Gustav 12–15, 23, 25, 229 Grosse-Brockhoff, Annelen 221 Guarini, Giovanni Battista 157, 188, 196 Guiette, Robert 184 Guilhèm de Peitieus (Wilhelm IX. von Aquitanien) 208, 210 Hagen, Friedrich Heinrich von der Hamann, Johann Georg 205 Hamilton, Alexander 139–141

95

Hanneder, Jürgen 141 Hartmann von Aue 209 Haßler, Gerda 24, 32, 34, 112f., 119, 125 Haspelmath, Martin 52 Haupt, Moriz 228f. Hauser, Otto 206, 216 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 14f., 234 Heine, Bernd 51f., 63 Heine, Heinrich 158, 194 Heinrich von Veldeke 209 Henschke, Alfred (Klabund) 216 Herder, Johann Gottfried 33, 95, 116, 143, 158f., 164, 174, 205f., 210, 220, 227 Herman, Thierry 80 Hervás y Panduro, Lorenzo 135f. Heuser, Rita 104 Heyne, Christian Gottlob 91 Heyse, Paul 211 Hildebrandt, Jan 102 Himmelmann, Nikolaus 61 Hirdt, Willi 39f. Hodler, Ferdinand 214 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 95 Hoffmeister, Gerhart 155, 157f., 168, 220 Hofmannsthal, Hugo von 206 Hofmiller, Josef 214 Hohe, Christian 7 Hohenstein, Siglinde 159 Hohneck, Adolf 7 Hoinkes, Ulrich 24f., 55, 57 Holmes, Susanne 196 Höltenschmidt, Edith 23, 39, 146 Homer 100, 175, 181, 206 Horaz 100 Housiel, Sylvie 73 Huarte, Juan 220 Humboldt, Alexander von 38, 105, 145 Humboldt, Wilhelm von 15, 29, 33, 35f., 56, 68, 95, 98f., 103–106, 120, 141, 146, 148, 228f. Hunger, Wolfgang 14 Hurch, Bernhard 34 Isabella I. (Königin von Kastilien und León, die Katholische) 167

242 Jacob, Daniel 24 Janota, Johannes 92 Jaufré Rudel 208, 210 Jesinghaus, Walter 51 Jones, William 16f., 55, 95, 138 Justinian I. (Kaiser) 63, 228 Kalkhoff, Alexander M. 40 Kanne, Johann Arnold 95 Kant, Immanuel 176, 229, 233 Karl der Große 28, 159, 223, 230 Karl der Kahle 97 Karl V. (Kaiser) 225 Kauffmann, Kai 7, 23, 25f., 193f., 196f., 206–210, 214 Keller, Olga 52 Kerbrat-Orecchioni, Catherine 73f., 76, 80 Klabund, s. Henschke, Alfred Kleiber, Wolfgang 104 Klopstock, Friedrich Gottlieb 89, 100f., 107, 115, 126f. Knödler, Stefan 146, 197 Köppe, Tilmann 129 Körner, E. F. K. 51 Körner, Josef 11, 18, 20, 22, 33, 38 Kuteva, Tania 63 La Curne de Sainte-Palaye, Jean-Baptiste de 37, 129, 183 La Mettrie, Julien Offray de 144 Lachmann, Karl 95, 122, 228–230 Lafont, Robert 30 Landi, Patrizia 130 Lausberg, Heinrich 124f. Lazarus, Moritz 146 Le Nôtre, André 182 Lebsanft, Franz 8, 11 Ledgeway, Adam 52 Lehmann, Christian 53, 68 Lenz, Max 38 Leopardi, Giacomo 130 Lessing, Gotthold Ephraim 111, 220, 231 Li-tai-pe 216 Lightfood, David 52 Liutprand von Cremona 114 Lohner, Edgar 11, 89

Personenregister

Lope de Vega 220, 223, 226, 231 Lothar I. (Kaiser) 98 Lüdeke, Henry 11 Lüdtke, Jens 13, 25, 80, 84 Ludwig der Deutsche 98 Luhmann, Niklas 164 Luitbert (Erzbischof von Mainz) 104 Lukrez 63 Luther, Martin 207 Mager, Karl 230 Mähl, Hans-Joachim 216 Marazzini, Claudio 118 Marcabrun 121, 208 Maßmann, Hans Ferdinand 95 Meier, Harri 14 Meillet, Antoine 52f., 66–70 Meinecke, Friedrich 224 Meisterfeld, Reinhard 12f., 135 Meves, Uwe 227f. Meyer-Lübke, Wilhelm 22, 120 Miklosich, Franz von 17 Mill, John Stuart 74 Millot, Claude-François-Xavier 129, 183 Mix, York-Gothart 155f. Mlle de Scudéry 158 Mme de La Fayette 158 Mme de Staël 18, 39, 118f., 125, 128f., 145f., 156, 179, 200f., 204 Mme de Villedieu 158 Moeschler, Jacques 80 Mölk, Ulrich 23, 37, 122 Mone, Franz Joseph 95 Monreal-Wickert, Irene 24 Montemayor, Jorge de 157, 188, 196 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, de 164 Möser, Justus 95 Mounin, Georges 141 Muhammad XII. Abu Abdallah (Emir von Granada; Boabdil) 157, 160, 165, 167 Müller, Johannes von 95 Muratori, Ludovico Antonio 90 Nadler, Josef 210 Nagavajara, Chetana

131, 204

Personenregister

Napoleon Bonaparte 37, 118, 139f., 145, 201, 204, 224, 230 Narr, Gunter 13, 193 Narrog, Heiko 51f. Neis, Cordula 29, 112f., 119, 125 Nerlich, Michael 230 Niebuhr, Barthold Georg 7 Niederehe, Hans-Josef 51 Nithard 98 Nølke, Henning 81 Nostradamus, Jean de 78, 129, 184 Notker der Deutsche 97f. Novalis 156, 205, 215f., 224 Olbrechts-Tyteca, Lucie 80 Otfrid von Weißenburg 97, 104 Pagliuca, William 62 Pallas, Peter Simon 135 Paulin, Roger 38, 131, 194, 204 Paulini, Hilde Marianne 220, 231 Peire d’Alvernhe 210 Peire Vidal 123, 208 Percy, Thomas 158 Perelman, Chäim 80 Pérez de Hita, Ginés 158, 160, 162, 168 Perkins, Revere D. 62 Pertz, Georg Heinrich 95 Petersen, Uwe 12 Petrarca, Francesco 23, 89, 185, 188, 196, 198–201, 206, 221 Pictet, Marc-Auguste 22 Pillet, Alfred 23 Pindar 206 Pinder, Moritz Eduard 39 Pirazzini, Daniela 73 Pisano, Giovanni 206 Platen, August Graf von 157 Platon 75, 175 Pochhammer, Paul 206 Pornschlegel, Clemens 215 Pott, August Friedrich 17, 95 Pound, Ezra 124 Prechtl, Peter 77 Racine, Jean

179, 181, 204

243 Raimbaut (Raimbout) de Vaqueiras 208 Rask, Rasmus Kristian 16f., 95, 145 Raynouard, François-Just-Marie 12, 13, 17–29, 31, 36–39, 53f., 59, 73f., 76–85, 96, 111, 114–116, 118, 120–123, 128, 130, 172, 183f., 201, 204 Reavis, Silke Agnes 222, 226, 231 Reents, Friederike 111 Regnard, Jean-François 181 Reich-Ranicki, Marcel 102 Reichlin-Meldegg, Karl Alexander von 38 Renger, Christian 38f. Renzi, Lorenzo 57 Rettig, Wolfgang 25f., 28, 31, 36 Richert, Gertrud 39, 54, 120, 130 Rieger, Dietmar 23, 213 Ritschl, Friedrich 34 Rizzi, Silvio 208 Robins, Robert Henry 138 Rochegude, Henri Pascal de 204 Roquefort, Jean-Baptiste-Bonaventure 83f. Roscher, Reinhard 33 Rosin, Philip 8, 94 Rougemont, Martine de 204 Rousseau, Jean-Jacques 35, 125, 175, 177 Roux, Pascale 74 Rückert, Friedrich 157 Rudolf von Fenis 130 Said, Edward 169 Salviati, Leonardo 115 Salvini, Anton Maria 78 Satzinger, Georg 7 Saussure, Ferdinand de 149 Savigny, Friedrich Carl von 91, 95 Scaliger, Joseph Justus 135 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 232f. Schiller, Friedrich von 177, 220 Schlegel, August Wilhelm passim Schlegel, Friedrich 8, 11, 16, 23–25, 30–32, 35, 37, 57f., 84, 92, 95f., 99f., 107, 111f., 113, 116f., 119f., 125, 127–129, 135, 140– 149, 155, 197f., 201, 219, 222–225, 232– 234

244 Schlegel, Sophie von 38 Schleicher, August 144 Schmeller, Johann Andreas 95 Schneider, Gisela 28 Schopenhauer, Arthur 77, 85 Schrader, Ludwig 220 Schröder, Rudolf Alexander 206 Schuchardt, Hugo 34 Schultz, Franz 130 Schultz-Gora, Oskar 30 Schulz, Walter 16 Schulze, Johannes 91 Schuster, Gerhard 205 Schwenck, Conrad 103 Selig, Maria 14, 35, 51, 57, 59 Shakespeare, William 89, 102f., 123, 186– 188, 206, 212, 231 Simiane, Pauline de 121 Simrock, Karl 95 Smith, Adam 23f., 33, 57, 59, 135–138, 148 Sonderegger, Stefan 93–95 Sordel 208 Stackmann, Karl 229f. Stalder, Franz Joseph 95 Steinbrink, Gesa 21 Steinthal, Chajim Heymann 146 Storost, Jürgen 118 Strobel, Jochen 11, 23, 91f., 95, 102, 104– 106, 118, 130, 140f., 155f., 196 Strosetzki, Christoph 26, 155, 157, 219 Suchier, Hermann 114 Swiggers, Pierre 16, 25, 120 Sylvestre de Sacy, Antoine-Isaac 141 Szlezák, Thomas Alexander 75 Tagliavini, Carlo 11f., 15 Tasso, Torquato 157, 188, 196 Thielmann, Philipp 63 Tieck, Ludwig 11, 26, 94–96, 102, 157, 216, 220 Tietz, Manfred 220 Timpanaro, Sebastiano 116, 119 Tobler, Adolf 17 Tomasin, Lorenzo 124 Trabant, Jürgen 29, 35 Traugott, Elisabeth Closs 52

Personenregister

Tre Corone 157, 185 Tressan, Louis Élisabeth de La Vergne de 183 Uhland, Ludwig 95, 157f., 222f., 228 Ulbrich, Daniel 23 Varchi, Benedetto 115 Varvaro, Alberto 85 Varwig, Olivia 21 Velázquez, Luis José 220 Verlato, Zeno 114 Versteegh, Kees 51 Voltaire 181 Voretzsch, Carl 221 Voß, Torsten 209 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 205 Wackernagel, Wilhelm 95 Wagner, Fred 207 Walton, Douglas 77 Walzel, Oskar F. 197f. Wartburg, Walther von 117 Wechssler, Eduard 29, 230 Weckherlin, Ferdinand 223 Weinrich, Harald 75, 81 Welcker, Friedrich Gottlieb 39, 103 Westerwelle, Karin 207 Whitney, William Dwight 144 Wich-Reif, Claudia 32, 38, 89, 97 Wilhelm IX. von Aquitanien, s. Guilhèm de Peitieus Wilken, Friedrich 89–91, 93 Windisch, Ernst 141 Windischmann, Karl Josef 145 Wolf, Friedrich August 95, 103 Wolfram von Eschenbach 92, 210 Wolfzettel, Friedrich 220 Wrage, Claus 214 Wulfila (Bischof der Gothen) 97f., 114 Wüllner, Franz 52 Zedler, Johann Heinrich 172 Zeuß, Johann Kaspar 17, 95 Zimmer, Johann Georg 32 Zinelli, Fabio 26, 37, 111

245

Personenregister

Zollna, Isabel 23f., 135, 143 Zoozmann, Richard 206

Zufferey, François 30, 122 Zumthor, Paul 184