Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern: Zur Zulässigkeit der Aufrechnung im deutschen und europäischen Mehrebenensystem [1 ed.] 9783428556793, 9783428156795

Die Aufrechnung als Instrument der Rechtsdurchsetzung findet nicht nur im Privatrechtsverkehr zahlreiche Anwendungsfälle

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German Pages 230 [231] Year 2019

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Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern: Zur Zulässigkeit der Aufrechnung im deutschen und europäischen Mehrebenensystem [1 ed.]
 9783428556793, 9783428156795

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1407

Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern Zur Zulässigkeit der Aufrechnung im deutschen und europäischen Mehrebenensystem

Von

Jan Christian Sahl

Duncker & Humblot · Berlin

JAN CHRISTIAN SAHL

Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1407

Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern Zur Zulässigkeit der Aufrechnung im deutschen und europäischen Mehrebenensystem

Von

Jan Christian Sahl

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahr 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p gmbh, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-15679-5 (Print) ISBN 978-3-428-55679-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-85679-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Für die motivierte Arbeit an einer Dissertation, die das Wort Aufrechnung im Titel trägt, ist es begrenzt förderlich, nach wenigen Wochen auf folgende Einschätzung eines anglo-amerikanischen Rechtswissenschaftlers zu stoßen: „Set-Off is a body of law that offers fearsome technicalities but few issues that really stir the blood“ (Rory Derham, Set-Off, 2nd edition, 1996, Seite 7), frei übersetzt: Die Aufrechnung ist ein Rechtsinstitut, das zwar furchterregende Förmlichkeiten aufweist, aber wenig, was das Blut zum Kochen bringt. Hilfreicher – für den Autor wie für den Leser – dürfte es hingegen sein sich zu vergegenwärtigen, dass die vorliegende Arbeit weniger die letzten dogmatischen Details der Aufrechnung, sondern einige „letzte Fragen“ von Staatlichkeit thematisiert. Es geht im Kern um Kompetenzkonflikte im Bundesstaat, um Bundesstaatsglieder, die das Recht nicht befolgen und um Zwangsmittel, die Hoheitsträger gegen andere Hoheitsträger anwenden können. Und um die Frage, ob das Rechtsinstitut der Aufrechnung in solchen auch in Zukunft hoffentlich weiterhin raren bundesdeutschen und europäischen Konfliktfällen zur Verfügung stehen kann. Die Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Mein sehr herzlicher Dank gilt Herrn Prof. Dr. Christian Waldhoff für die immer wohlwollende, geduldige Betreuung und Unterstützung dieser Arbeit. Frau Prof. Dr. Anna-Bettina Kaiser, LL.M. danke ich sehr für die zügige Erstellung des Zweitberichts. Besonderer Dank gebührt außerdem Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Josef Isensee für die Gewährung eines Stipendiums der Ernst und Anna Landsberg-Erinnerungsstiftung sowie Prof. Dr. Giovanni Biaginni für die Aufnahme als Gastforscher an seinen Lehrstuhl an der Universität Zürich. Meinen Freunden und Kollegen aus Wissenschaft, Staatsdienst und Privatwirtschaft danke ich für ihre Anteilnahme und vielfältige Unterstützung, ebenso den Mitarbeitern des Deutschen Bundestages, des Bundesministeriums der Finanzen sowie der Europäischen Kommission, die in praxisrelevanten Fragen Licht ins Dunkel bringen konnten. Nicht zuletzt hat meine Familie die Entstehung dieser Arbeit mit großem Interesse begleitet – für ihre stets liebevolle Unterstützung möchte ich ihr herzlich danken. Berlin, im Juni 2019

Jan Christian Sahl

Inhaltsverzeichnis Einleitung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1. Teil Aufrechnung als Rechtsdurchsetzungsinstrument

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A. Modelle, Funktionen und Rechtsnatur der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Modelle der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Terminologische Klärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 III. Funktionen der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 IV. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 V. Abgrenzung der Aufrechnung von verwandten Erscheinungen . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Aufrechnungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3. Kontokorrent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4. Drittaufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Aufrechnungsvoraussetzungen im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Aufrechnungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Gegenseitigkeit der Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Gleichartigkeit der Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Fälligkeit und Vollwirksamkeit der Aktivforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4. Erfüllbarkeit der Passivforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 5. Kein Aufrechnungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 a) Aufrechnungsverbot nach § 393 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 b) Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 c) Gesellschaftsrechtliche Aufrechnungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 6. Irrelevante Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Aufrechnungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Rechtsfolge der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

8

Inhaltsverzeichnis 2. Teil Möglichkeit der Aufrechnung im öffentlichen Recht zwischen Bürger und Staat

32

A. Abgrenzung der privatrechtlichen Aufrechnung von der öffentlich-rechtlichen Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 B. Ausschluss der Aufrechnung im öffentlichen Recht als Ausdruck vordemokratischen Staatsverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Keine unmittelbare Geltung der §§ 387 ff. BGB im öffentlichen Recht . . . . . . . . 35 II. Dogmatische Herleitung der Aufrechnung im öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . 36 1. Zum Begriff der Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Zum Begriff des allgemeinen Rechtsgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Aufrechnung im öffentlichen Recht als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 C. Modifikation der Aufrechnungsvoraussetzungen im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . 40 I. Gegenseitigkeit der Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Kassenidentität, § 395 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. § 395 BGB und das Abgabenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Gleichartigkeit der Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Fälligkeit und Vollwirksamkeit der Aktivforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Zeitliche Schranke: Fälligkeit von öffentlich-rechtlichen Forderungen . . . . . . . 43 2. Sachliche Schranke: Vollwirksamkeit der öffentlich-rechtlichen Forderung . . . 44 IV. Erfüllbarkeit der Passivforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 V. Aufrechnungseinschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Anwendbarkeit der bürgerlich-rechtlichen Aufrechnungsverbote . . . . . . . . . . . 46 2. Liquidität der Aktivforderung des Bürgers als Aufrechnungsproblem . . . . . . . 46 D. Aufrechnung und Handlungsformenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Aufrechnungserklärung des Bürgers als Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Qualifizierung der Aufrechnungserklärung der Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Kein Ausschluss eines Verwaltungsakts wegen fehlender Verwaltungsaktsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Qualifikation anhand der äußeren Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Auslegung der Aufrechnungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Tatbestandsmerkmale des § 35 S. 1 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Fehlende Regelungswirkung der Aufrechnungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Uneinheitlichkeit höchstrichterlicher Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 E. Sonstige Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Ex-tunc-Wirkung der öffentlich-rechtlichen Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

Inhaltsverzeichnis

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II. Auswirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage auf die behördliche Aufrechnungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 III. Rechtsschutz gegenüber einer behördlichen Aufrechnungserklärung . . . . . . . . . . 58

3. Teil Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

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A. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als vollstreckungsrechtliches Problem . . . . . . 61 I. Vollstreckung als Rechtsphänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Staatliches Vollstreckungsmonopol und private Selbsthilferechte . . . . . . . . . . . 62 2. Zweck, Mittel und Definition der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Abgrenzung Vollstreckung – Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Zum Sanktionsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 b) Unterschiede zwischen Sanktion und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 II. Vollstreckung in den verschiedenen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Überblick über die Zwangsvollstreckung nach der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Vollstreckung wegen Geldforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Vollstreckung wegen Nicht-Geldforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) Vollstreckung von Duldungs- und Unterlassungsansprüchen . . . . . . . . . . . . 71 d) Besonderheiten der Zwangsvollstreckung gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Zulässigkeit der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung gegen den Staat 72 bb) Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 cc) Norminhalt, insbesondere hinsichtlich der Pfändungsverbote . . . . . . . . 76 2. Vollstreckung in den drei Verwaltungsprozessordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Vollstreckung von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . 78 aa) Vollstreckung zugunsten des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 bb) Vollstreckung zulasten des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (1) Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Vollstreckung gegen den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (2) Vollstreckung von Gestaltungsurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (3) Vollstreckung von Leistungsurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (4) Vollstreckung weiterer gerichtlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . 83 b) Vollstreckung von finanz- und sozialgerichtlichen Entscheidungen . . . . . . . 84 3. Verwaltungsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Terminologische Klärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 b) Grundlagen der Verwaltungsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Struktur der Verwaltungsvollstreckungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (1) Selbsttitulierung und Selbstvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (2) Eingeschränkter Rechtswidrigkeitszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . 90

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Inhaltsverzeichnis (3) Historische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 bb) Voraussetzungen und Ablauf der Verwaltungsvollstreckung . . . . . . . . . 92 c) Vollstreckung von Geldforderungen: Die Beitreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 aa) Beitreibung gegenüber Privaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (1) Beitreibungsverfahren gemäß § 3 VwVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (2) Durchführung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Besonderheiten bei der Beitreibung gegenüber der öffentlichen Hand 95 d) Vollstreckung von „sonstigen Handlungen, Duldungen und Unterlassungen“ – der Verwaltungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 aa) Numerus clausus der Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Grundsätzlich kein Verwaltungszwang gegenüber der öffentlichen Hand 97 (1) Historischer Ursprung und heutige Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (2) Trennung von Erlass- und Vollstreckungskompetenz . . . . . . . . . . . . 98 (3) Subjektiver Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (4) Abweichende Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Zusammenfassung: Möglichkeiten und Grenzen der Vollstreckung gegen die öffentliche Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Zivilprozessuale Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Vollstreckung in den Verwaltungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Verwaltungsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 III. Keine Gleichsetzung der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern mit der Verwaltungsvollstreckung zwischen Hoheitsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Fehlende materielle Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Fehlende funktionale Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem . . . . . . . . . . . . . 106 I. Allgemeine bundesstaatliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Kompetenzverteilung und -verhältnis im Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Art. 37 GG – Bundeszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Voraussetzungen des Bundeszwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Rechtsfolgen des Bundeszwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 aa) Zulässige Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Unzulässige Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Bewertung hinsichtlich möglicher Aufrechnungseinschränkungen . . . . . . . . 114 3. Grundsatz der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Historische Entwicklung der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Bedeutung und Grundlage der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Adressaten der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 d) Inhalt und Grenze der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 e) Konkretisierungen der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Ergänzende Regeln für das intraföderative Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . 121

Inhaltsverzeichnis

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bb) Rechtebeschränkende Funktion der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (1) Verbot widersprüchlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (2) Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 cc) Pflichtenbegründende Funktion der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 f) Zur Justiziabilität der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 g) Erheblichkeitsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 h) Exkurs: Kein Zurückbehaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 i) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4. Zwischenergebnis: Bewertung hinsichtlich möglicher Aufrechnungseinschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Finanzverfassungsrechtliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Wesentliche Regelungsbereiche der Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Ausgabenverantwortung im Bundesstaat, Art. 104a GG . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Steuerliche Verwaltungskompetenz im Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Aufteilung der Steuererträge zwischen Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . 135 aa) Primärer vertikaler Finanzausgleich (Art. 106 Abs. 1 bis 7 GG) . . . . . . 136 (1) Bundes- und Landessteuern nach Art. 106 Abs. 1, Abs. 2 GG . . . . 136 (2) Gemeinschaftsteuern nach Art. 106 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Primärer horizontaler Finanzausgleich (Art. 107 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . 138 (1) Einkommen- und Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 cc) Sekundärer horizontaler Finanzausgleich – Länderfinanzausgleich (Art. 107 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 dd) Sekundärer vertikaler Finanzausgleich – Bundesergänzungszuweisungen und Mehrbelastungsausgleich (Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG) . . . . . . . . . 141 ee) Zwischenergebnis: Finanzausgleichsrechtliche Forderungsbeziehungen und ihr Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Abgestufte Aufrechnungseinschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Dogmatik und Struktur von Aufrechnungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Kategorien von Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Forderungen aufgrund des Finanzausgleichs i.S.d. Art. 106, 107 GG . . . . . . 145 b) Sonstige öffentlich-rechtliche Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 c) Privatrechtliche Forderungen zwischen Hoheitsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Möglichkeiten und Grenzen der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern . . . . . . 147 a) Eingeschränkte Aufrechnung bei Zahlungspflichten aus dem Finanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Finanzierungsfunktion finanzausgleichsrechtlicher Forderungen und staatliche Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Aufrechnung und Funktionsfähigkeit politischer Parteien . . . . . . . . . . . 149 cc) Aufrechnung und Grundsatz der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Privatrechtliche Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

12

Inhaltsverzeichnis c) Sonstige verfassungsrechtliche und öffentlich-rechtliche Forderungen . . . . . 151

4. Teil Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

153

A. Rechtsgrundlage der Aufrechnung im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Aufrechnung durch die Kommission gem. Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO . . . . . . . . . 154 II. Aufrechnung durch die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Aufrechnung als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts . . . . . . . . . . . 157 III. Voraussetzungen einer Aufrechnung im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Voraussetzungen einer unionsrechtlichen Aufrechnung durch die Kommission 159 a) Unionsrecht als anwendbare Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Eintritt der Aufrechnungswirkung durch Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Gegenseitig- und Gleichartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 d) Einredefreiheit und Fälligkeit der Passivforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 e) Vorherige Fristsetzung und Benachrichtigung des Schuldners . . . . . . . . . . . 161 2. Voraussetzung einer unionsrechtlichen Aufrechnung durch die Mitgliedstaaten 161 a) Eintritt der Aufrechnungswirkung durch Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Fälligkeit der Aktivforderung und Erfüllbarkeit der Passivforderung . . . . . . 163 d) Ex-nunc-Wirkung der Aufrechnungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 e) Erfordernis der Liquidität der Aktivforderung bei Prozessaufrechnung . . . . 163 f) Aufrechnungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene als vollstreckungsrechtliches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Keine Vollstreckung von Forderungen der Europäischen Union gegenüber Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Vollstreckung von Rechtsakten der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Vollstreckung von Entscheidungen des EuGH gegenüber Mitgliedstaaten? . . . 166 a) Keine Vollstreckung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Keine Vollstreckung durch Unionsrecht bzw. Unionsorgane . . . . . . . . . . . . . 168 3. Die unionsrechtlichen Vollstreckungsmöglichkeiten im Vergleich . . . . . . . . . . 169 II. Keine Gleichsetzung von Aufrechnung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Grundsatz der Unionstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Historische Entwicklung des Grundsatzes der Unionstreue . . . . . . . . . . . . . . . . 174

Inhaltsverzeichnis

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2. Bedeutung des Grundsatzes der Unionstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Anwendbarkeit und Adressaten der Unionstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Konkretisierungen der Unionstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Verpflichtung zur Rücksichtnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) Verbot des Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 bb) Gebot der schonenden Kompetenzausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 cc) Insbesondere: Schutz der Organ- und Finanzautonomie . . . . . . . . . . . . . 177 b) Verpflichtung zur Information und Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Exkurs: Kein Einwand des tu-quoque . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 III. Grundsatz des effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 IV. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 V. Grundsatz des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Voraussetzungen des unionsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes 184 a) Vertrauenslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Schutzwürdigkeit des Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 c) Vorrang des Individualinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Marginale Relevanz des Vertrauensschutzgrundsatzes für Aufrechnungseinschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 VI. Zahlungsströme zwischen EU und Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Finanzverfassung der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Zahlungen der Mitgliedstaaten an den EU-Haushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Eigenmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Traditionelle Eigenmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 bb) Mehrwertsteuer-Eigenmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 cc) BNE-Eigenmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 b) Bereitstellung der Eigenmittel in der mitgliedstaatlichen Praxis . . . . . . . . . . 193 c) Sonstige Einnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Zahlungen der EU an Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Zahlungen an Mitgliedstaaten aufgrund von EU-Fonds . . . . . . . . . . . . . . . . 195 aa) Zahlungen im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Agrarpolitik . . . . 195 (1) Forderungsbeziehungen im Rahmen des Europäischen Garantiefond für die Landwirtschaft (EGFL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (2) Forderungsbeziehungen im Rahmen des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER) 198 bb) Zahlungen im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Struktur- und Regionalpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (1) Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (a) Aufgaben des EFRE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (b) Zahlungsansprüche der Mitgliedstaaten gegen die EU im Rahmen des EFRE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (c) Europäischer Sozialfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

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Inhaltsverzeichnis (2) Kohäsionsfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Zahlungsansprüche der Mitgliedstaaten aus privatrechtlichen Verträgen . . . 202

D. Ergebnis: Abgestufte Aufrechnungseinschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 I. Forderungen der EU gegen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Forderungen auf Zahlung der Eigenmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Forderungen mit Sanktionscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3. Sonstige unionsrechtliche und privatrechtliche Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . 206 II. Forderungen der Mitgliedstaaten gegen die EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 1. Forderungen auf Zahlung aufgrund EU-Fonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Sonstige unionsrechtliche und privatrechtliche Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . 208 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

Einleitung und Gang der Untersuchung Bestehen zwischen zwei Parteien beidseitige Geldleistungspflichten, drängt es sich auf, die Forderungen der beiden Seiten miteinander zu verrechnen, anstatt jede Seite ihre Leistungspflicht isoliert erfüllen zu lassen. Dieses als Kompensation, Verrechnung oder Aufrechnung bezeichnete Instrument war schon im Römischen Recht bekannt1 und gehört, anders als manch andere Bereiche des heutigen Schuldrechts, zum Kernbestand des im Jahre 1900 erlassenen BGB. Das Instrument findet sich heute in allen europäischen Rechtsordnungen.2 Nach den §§ 387 ff. BGB besteht die Möglichkeit für jeden Forderungsinhaber, sich gegenüberstehende, gleichartige Forderungen durch eine einseitige Aufrechnungserklärung zum Erlöschen zu bringen. Eine Zustimmung des anderen Teils zur Aufrechnung ist keine Voraussetzung – vielmehr ist die Aufrechnung sogar gegen den Willen des anderen zulässig. Der Aufrechnungsgegner verliert durch die Aufrechnungserklärung des Aufrechnenden seine Forderung. Im Gegenzug ist er in derselben Höhe dem Aufrechnenden gegenüber nicht mehr zur Leistung verpflichtet. Bis auf wenige Situationen, in denen die Ausübung des Aufrechnungsrechts ausnahmsweise unbillig erscheint, hat der Aufrechnungsgegner diese mitunter unfreiwillige Erfüllung seiner Leistungspflicht hinzunehmen. Anders als im Privatrechtsverhältnis besteht im öffentlichen Recht keine ausdrückliche gesetzliche Normierung der Aufrechnung und ihrer Voraussetzungen. Nach anfänglich zögerlichen Stimmen hat sich aber auch für das Verwaltungsrecht die Ansicht durchgesetzt, eine Aufrechnung auch im Verhältnis Staat-Bürger anzuerkennen. Abgesehen von einigen verwaltungsrechtsdogmatisch bedingten Abweichungen zum Aufrechnungsmodell des BGB ist die Aufrechnung im Verwaltungsrecht durch privat- bzw. verwaltungsrechtliche Willenserklärung allgemein anerkannt. Bisher kaum untersucht hingegen ist die Aufrechnung im intrastaatlichen Bereich sowie im supranationalen Mehrebenensystem, d. h. in staatlichen Ordnungen, die sich durch komplex miteinander verflochtene Kompetenz- bzw. Entscheidungsglieder auszeichnen.3 Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern im deutschen oder europäischen Mehrebenensystem zu1

Vgl. Zimmermann, FS Medicus, S. 707 (711 f.). Beispielhaft genannt seien art. 1289 code civil (Frankreich), art. 1241 codice civile (Italien) sowie art. 1195 Ley de Enjuiciamento Civile (Spanien). 3 Zum Begriff des Mehrebenensystems vgl. Di Fabio, Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, S. 23; F. C. Mayer, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 229 (64 ff.); Marauhn, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 7 Rn. 2 m.w.N. 2

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Einleitung und Gang der Untersuchung

lässig ist, ist weder von der Rechtsprechung noch vom Schrifttum eingehend erörtert worden. Problematisch ist dies insbesondere im Hinblick auf die Funktion der Aufrechnung als Mittel der „Selbstvollstreckung“. Die Nähe der Aufrechnung zur Vollstreckung wirft die Frage auf, ob und inwiefern die nur sehr eingeschränkten – bzw. auf EU-Ebene gar nicht vorhandenen – Möglichkeiten einer Vollstreckung im hoheitlichen Verhältnis Auswirkungen auf die Möglichkeit zur Aufrechnung haben. So könnte sich aufgrund des numerus clausus der Vollstreckungsmöglichkeiten4 die Aufrechnung als eine unzulässige Umgehung von nicht vorhandenen Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten handeln. Darüber hinaus können verfassungsrechtliche Bestimmungen, insbesondere solche der Finanzverfassung und der Grundsatz der Bundestreue, Relevanz für die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern haben. Auf unionsrechtlicher Ebene gilt Ähnliches im Hinblick auf die dort primär- und sekundärrechtlich veranlassten typischen Finanzbeziehungen in Verbindung mit unionsrechtlichen Grundsätzen wie etwa dem Grundsatz der Unionstreue. Zur Untersuchung dieser Fragestellungen soll im ersten Teil der Arbeit die Aufrechnung als solche näher beleuchtet werden. Zu zeigen sein wird, welche verschiedenen Funktionen die Aufrechnung erfüllt, was ihr Sinn und Zweck ist. Es wird dargestellt, unter welchen zivilrechtlichen Voraussetzungen das Instrument der Aufrechnung angewendet werden kann und aus welchen Gründen der Gesetzgeber in bestimmten Situationen eine Aufrechnung – trotz Vorliegens der allgemeinen Anwendungsvoraussetzungen – ausgeschlossen hat. Der zweite Teil der Arbeit verlässt die privatrechtliche Ebene und konzentriert sich auf die Möglichkeiten der Aufrechnung im Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Es wird der Frage nachgegangen, ob die – im öffentlichen Recht nicht ausdrücklich geregelte – Aufrechnung auch im Über-Unterordnungsverhältnis zwischen Bürger und Staat anwendbar ist und ob die zivilrechtlichen Aufrechnungsvoraussetzungen für das öffentliche Recht modifiziert werden müssen. Im dritten Teil der Arbeit soll die Zulässigkeit der Aufrechnung zwischen deutschen Hoheitsträgern untersucht werden. Es wird die Frage zu beantworten sein, ob eine solche Aufrechnung stets ausgeschlossen, stets zulässig oder – differenzierend – grundsätzlich zulässig unter Beachtung bestimmter Aufrechnungseinschränkungen (bis hin zu Aufrechnungsverboten) ist. Dafür wird zum einen zu eruieren sein, wie sich die Nähe der Aufrechnung zur Vollstreckung auf die Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auswirkt. Zu diesem Zweck wird auf die Vollstreckung als Rechtsphänomen im Allgemeinen und auf die Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Staat im Speziellen (gemäß den Regeln der ZPO, der VwGO und insbesondere der Verwaltungsvollstreckung) eingegangen. Daran anschließend wird der Frage nachgegangen, ob sich aus verfassungsrechtlichen 4 Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 169 Rn. 95; Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 97; App, DÖV 1991, 415 (421).

Einleitung und Gang der Untersuchung

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Implikationen weitere, entscheidende Hinweise für die untersuchte Frage ergeben. So soll zum einen beleuchtet werden, ob sich aus dem (ungeschriebenen) Verfassungsgrundsatz der Bundestreue Erkenntnisse über die Zulässigkeit der Aufrechnung ergeben. Zum anderen werden die finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen der Art. 104a GG ff. dahingehend untersucht, ob und welche Wertungen für das bundesstaatliche (Finanz-)Gefüge und welche aufrechnungsgeeigneten Forderungen ableitbar sind. In einem vierten und letzten Teil soll die Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene beleuchtet werden. Hierfür werden, vergleichbar der vorangehenden bundesstaatlichen Prüfung, die Rechtsgrundlagen der Aufrechnung im Unionsrecht herausgearbeitet und die vollstreckungsrechtliche Problematik auf Ebene des Unionsrechts aufgezeigt. In einem letzten Abschnitt soll schließlich der Frage nachgegangen werden, ob und welche Erkenntnisse sich aus unionsrechtlichen Grundsätzen wie dem der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes, dem Prinzip des effet utile und insbesondere dem Grundsatz der Unionstreue für die zu untersuchende Frage ergeben. Abschließend werden typische Zahlungsströme zwischen der EU und den Mitgliedstaaten aufgezeigt und diese auf ihre „Aufrechnungsgeeignetheit“ hin untersucht.

1. Teil

Aufrechnung als Rechtsdurchsetzungsinstrument A. Modelle, Funktionen und Rechtsnatur der Aufrechnung I. Modelle der Aufrechnung Stehen zwei Parteien Geldforderungen jeweils wechselseitig zu, sind verschiedene rechtliche Lösungsmöglichkeiten zur Erfüllung der Ansprüche denkbar. Eine Möglichkeit wäre, auf der tatsächlichen Erfüllung beider Forderungen zu beharren. Die Unpraktikabilität dieses Vorgehens liegt jedoch auf der Hand: Ein Zustand sich gegenüberstehender gleichartiger Forderungen verlangt nach einer weiteren Möglichkeit, um ein umständliches, gegenseitiges Austauschen von Geldbeträgen zu vermeiden. Statt durch zwei Handlungen lässt sich das gleiche Ergebnis effektiver durch eine einzige Verrechnungshandlung erreichen. Diese Erkenntnis stößt auf breiten Konsens. Das Bedürfnis nach einer „Vereinfachung der Leistungserbringung“1 wird nicht nur von der deutschen, sondern von allen europäischen Rechtsordnungen anerkannt. Ein Verbot der Aufrechnung, nachdem beide Seiten stets ihre Leistungen isoliert zu erbringen hätten, existiert nicht.2 Das andere, einem Aufrechnungsverbot entgegenstehende Extrem ist das Modell der Aufrechnung ipso iure: Hierbei werden die beiden sich gegenüberstehenden Forderungen automatisch miteinander verrechnet.3 In dem dazwischen liegenden Bereich sind Modelle unterschiedlicher Nuancen vorstellbar. So kann die Aufrechnung etwa von dem Willen eines oder auch beider Beteiligter abhängig gemacht werden. Ebenso sind erschwerte Aufrechnungsbedingungen in der Form denkbar,

1

Coester-Waltjen, Die Aufrechnung, Jura 2003, S. 246 (246). Ganz so eindeutig unproblematisch wie heute wurde die Aufrechnung nicht immer gesehen. So war im frühen Römischen Recht die Aufrechnung zunächst unbekannt, da der strenge Formalismus nur die reale Leistungserbringung zuließ. Auch im frühen Gemeinen Recht und dem Recht der französischen Coutumes stieß die Aufrechnung noch überwiegend auf Ablehnung. Insgesamt zu den historischen und dogmatischen Wurzeln der Aufrechnung Berger, Aufrechnungsvertrag, S. 59 ff. 3 Dies sah etwa das Gemeine Recht vor Einführung des BGB vor, dazu Berger, Aufrechnungsvertrag, S. 61 f. 2

A. Modelle, Funktionen und Rechtsnatur der Aufrechnung

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dass die Geltendmachung der Aufrechnung erst im späten Stadium eines Gerichtsverfahrens möglich ist oder zumindest einer richterlichen Bestätigung bedarf.4 Das Recht kann schließlich auch auf unterschiedliche Weise bestimmen, zu welchem Zeitpunkt die Wirkung der Aufrechnung eintritt. Hier besteht die Möglichkeit, die Aufrechnung mit Zeitpunkt der Erklärung der Aufrechnung (ex nunc) oder mit dem der Aufrechnungslage (ex tunc) wirksam werden zu lassen oder dies dem Aufrechnenden bzw. den Parteien zu überlassen.5 Der deutsche Gesetzgeber hat sich in den §§ 387 ff. BGB dafür entschieden, die Tilgung gegenseitiger und gleichartiger Forderungen von der Erklärung eines der Beteiligten abhängig zu machen und diese Erklärung auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage rückwirken zu lassen.

II. Terminologische Klärungen Um die von vielen mit der Aufrechnung befassten Autoren beklagte Uneinheitlichkeit der Terminologie6 zu vermeiden, sollen zu Beginn der Arbeit die wesentlichen Begriffe festgelegt werden. Der „terminologische Wirrwarr“7 erklärt sich zum einen aus der Tatsache, dass eine starre Unterscheidung der Beteiligten in Gläubiger und Schuldner nicht möglich ist. Schließlich gibt es zwei sich gegenüber stehende Forderungen, sodass jeder Beteiligte gleichzeitig sowohl Gläubiger als auch Schuldner ist. Es bietet sich daher an, denjenigen, der die Initiative ergreift und die Aufrechnung erklärt als den „Aufrechnenden“ und den die Aufrechnungserklärung empfangenden Beteiligten als „Aufrechnungsgegner“ zu bezeichnen. Ebenso wichtig wie die korrekte Bezeichnung der Beteiligten ist eine genaue Bestimmung der sich gegenüberstehenden Forderungen. Um die beiden Forderungen eindeutig zu benennen, hat sich die Bezeichnung „Aktivforderung“ für die Forderung des Aufrechnenden sowie „Passivforderung“ für die des Aufrechnungsgegners durchgesetzt: Es wird mit der Aktivforderung gegen die Passivforderung aufgerechnet.8 4

Dies sieht etwa das englische Recht vor, vgl. Coester-Waltjen, Jura 2003, 246 (246). Vgl. Coester-Waltjen, Jura 2003, 246 (246) und Zimmermann, in: FS Medicus, S. 707 ff., zu Einzelheiten der Aufrechnungswirksamkeit in verschiedenen europäischen Ländern. 6 So etwa Berger, Aufrechnungsvertrag, S. 12; Gernhuber, Die Erfüllung, S. 225; CoesterWaltjen, Jura 2003, 246 (247). 7 Berger, Aufrechnungsvertrag, S. 16. 8 Zwar findet sich bisweilen auch die Bezeichnung „Gegenforderung“ für die Aktivforderung sowie „Hauptforderung“ für die Passivforderung. Die Begriffe Haupt- und Gegenforderung resultieren aber insbesondere aus der prozessualen Seite der Aufrechnung: Der Beklagte erklärt mit seiner Gegenforderung die Aufrechnung gegenüber der Hauptforderung des Klägers, hierzu Gernhuber, Die Erfüllung, S. 225 sowie Gursky in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Vorbem. zu §§ 387 ff, Rn. 2. Da prozessuale Aspekte der Aufrechnung in dieser Arbeit aber keine relevante Rolle spielen, wird das Begriffspaar der Aktiv- und der Passivforderung verwendet. 5

20

1. Teil: Aufrechnung als Rechtsdurchsetzungsinstrument

Eine wirksame Aufrechnung setzt ferner eine Aufrechnungserklärung voraus, die im Zustand einer Aufrechnungslage abgegeben werden muss. Die Aufrechnungslage9 beschreibt den Zustand, in dem sich die beiden Forderungen erstmalig aufrechenbar gegenüberstehen. Besteht eine Aufrechnungslage, wird mit der Aufrechnungserklärung10, die eine einseitige empfangsdürftige Willenserklärung ist, die Rechtswirkung der §§ 387 ff. BGB angeordnet.

III. Funktionen der Aufrechnung Auch wenn sich die Modelle der Aufrechnung in unterschiedlichen Rechtsordnungen unterscheiden, erfüllt die Aufrechnung stets die gleichen Funktionen. Im Vordergrund steht jeweils die Vereinfachung der Leistungserbringung. Das Bedürfnis, gleichartige gegenseitige Leistungen zu verrechnen und dabei Kosten bei der Übermittlung der jeweiligen Leistung zu sparen, liegt auf der Hand. Allerdings erschöpft sich die Funktion der Aufrechnung nicht bloß in der Funktion der Zahlungserleichterung.11 So kann der Aufrechnende als Schuldner der Passivforderung diese nicht nur durch die bloße Hingabe seiner Aktivforderung, also ohne reale Leistungserbringung erfüllen. Er hat zudem eine sichere Möglichkeit, die eigene Forderung durchzusetzen. Ähnlich einem ansonsten zu bestreitenden Prozess mit anschließender Vollstreckung kann der Aufrechnende im Wege der Selbsthilfe bzw. der „Selbstexekution“12 seine Forderung durchsetzen.13 Wer sich zudem einem leistungsschwachen Schuldner gegenübersieht, der seinerseits eine Forderung gegen einen selbst innehat, läuft Gefahr, nur einseitig seine Leistungspflicht zu erbringen. Diesen Risiken ist nicht ausgesetzt, wer seine gegen ihn gerichtete Forderung dadurch erfüllt, dass er seine eigene Forderung in der Höhe der des anderen durchsetzt. Er kann die Erfüllung mittels Aufrechnung „erzwingen“14. Diese der Aufrechnung neben der Befreiungsfunktion zukommende Befriedigungsfunktion rechtfertigt es daher, die Aufrechnung als eine Art „Selbstvollstreckungsrecht“ anzusehen. Da die Aufrechnung zum einen der Erfüllung der Passivforderung, zum anderen der

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Näheres zur Aufrechnungslage vgl. 1. Teil B. I. Siehe hierzu 1. Teil B. II. 11 Vgl. den Hinweis von K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 882, „Die Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB ist eben nicht nur, wie es sich Juristen gern vorstellen, ein unbares Zahlungsverfahren zur Vermeidung umständlichen Hin- und Herzahlens […]“, im Zusammenhang mit dem Aufrechnungsverbot eines Aktionärs gegen seine Einlagepflicht. 12 Der Begriff wurde geprägt von Bötticher, in: FS Schima, S. 95 (97), auch wenn er sich bereits in den Motiven zum BGB findet, vgl. Mot. II, S. 113. 13 Gursky in Staudinger, Kommentar zum BGB, Vorbem zu §§ 387, Rn. 6; Schlüter, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 387 Rn. 1; Grüneberg, in: Palandt, Kommentar zum BGB, § 387 Rn. 1. 14 Coester-Waltjen, Die Aufrechnung, Jura 2003, S. 246 (246). 10

A. Modelle, Funktionen und Rechtsnatur der Aufrechnung

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Durchsetzung der eigenen Aktivforderung dient, spricht man insoweit auch von der „doppelten Funktion“ der Aufrechnung.15 Die Aufrechnung wird zudem als konkretisierte Ausprägung von Billigkeitsrecht angesehen. Billigkeit bzw. der in § 242 kodifizierte Grundsatz von Treu und Glauben ist der entscheidende hinter der Aufrechnung stehende Gedanke. Er ist Grundlage sowohl der Existenz als auch der Grenzen der zivilrechtlichen Aufrechnung.16 Die Tatsache, dass es nicht nur unwirtschaftlich, sondern sogar rechtsmissbräuchlich wäre, etwas zu verlangen, obwohl es später wieder zurückgegeben werden muss, hat bereits das Reichsgericht zur Begründung einer Aufrechnungsnotwendigkeit herangezogen.17 Ein weiterer Vorteil der Aufrechnung für den Aufrechnenden zeigt sich am Beispiel des Insolvenzrechts: Hier besteht gem. § 94 InsO die Aufrechnungsbefugnis des Insolvenzgläubigers mit der Konsequenz weiter fort, dass dieser sich wegen seiner Forderung gegen den Insolvenzschuldner in voller Höhe befriedigen kann. Ohne Aufrechnungsmöglichkeit müsste er seine volle Leistung an die Masse erbringen, bekäme aber selbst nur den quotenmäßigen Anteil seiner eigenen Forderung.18 Die Möglichkeit der Aufrechnung ist damit ein Instrument, das vor einem Wertverlust der eigenen Forderung schützen kann.19 Ihr wird deshalb sogar ein eigenständiger Vermögenswert zugeschrieben.20

IV. Rechtsnatur Zivilrechtliche Rechtsgeschäfte lassen sich im Hinblick auf ihre Rechtsnatur unterschiedlichen systematisieren. Sie lassen sich insbesondere danach einteilen, ob es sich um ein einseitiges oder ein mehrseitiges Rechtsgeschäft handelt und ob ein Verpflichtungs- oder Verfügungsgeschäft vorliegt. Aus der Befreiungs- und Befriedigungsfunktion der Aufrechnung ergibt sich zunächst ihre Rechtsnatur als Er15

Schlüter, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 387 Rn. 1. Diese „Doppelnatur“ ist Konsequenz der herrschenden „Kombinationstheorie“, die betont, dass die Aufrechnung ein Geschäft sei, mit dem einerseits eine Schuld getilgt wird, andererseits aber auch die eigene Forderung durchgesetzt wird. Die Gegenauffassungen zu dieser Theorie (die „Tilgungstheorie“ und die auf die Sicherungs- und Vollstreckungsfunktion der Aufrechnung abstellende „Befriedigungstheorie“) stellen dagegen nur auf eine der beiden Funktionen ab und werden so der Aufrechnung in ihrer Gesamtfunktion nicht gerecht. Weitere Nachweise zu allen vertretenen Theorien bei Gursky, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Vorbem zu §§ 387 ff, Rn. 7. 16 So Zimmermann, FS Medicus, S. 707 (716) sowie Berger, Aufrechnungsvertrag, S. 65. Vergleiche zu den gesetzlichen Aufrechnungsverboten auch 1. Teil B I 5. 17 RGZ 42, 138, 141. 18 Zur Aufrechnung in der Insolvenz Adolphsen/Frotscher, in: Gottwald, InsolvenzrechtsHandbuch, Seite 897 ff. 19 Die Insolvenzquote liegt vielfach bei weniger als 10 % des eigentlichen Forderungswertes, Coester-Waltjen, Die Aufrechnung, Jura 2003, S. 246 (246). 20 Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 262.

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1. Teil: Aufrechnung als Rechtsdurchsetzungsinstrument

füllungssurrogat. Der Gläubiger erhält hierbei nicht den geschuldeten Leistungsgegenstand, sondern einen – wenn auch gleichwertigen – Ersatz, der das Erlöschen der Ansprüche, soweit sie sich zur Aufrechnung geeignet gegenüberstehen, bewirkt.21 Gleichzeitig ist die Aufrechnung ein Verfügungsgeschäft. Ein solches liegt, insbesondere in Abgrenzung zu einem Verpflichtungsgeschäft, immer dann vor, wenn ein Rechtsgeschäft unmittelbar auf ein bestehendes Recht einwirkt, indem es dieses inhaltlich verändert, überträgt, belastet oder aufhebt.22 Durch die Aufrechnung erlöschen die gegenseitigen Forderungen zumindest teilweise. Das Rechtsgeschäft Aufrechnung wirkt unmittelbar auf die Forderungen ein und hat damit den Charakter eines Verfügungsgeschäfts. Schließlich wird eine Aufrechnung nur durch eine Willenserklärung vorgenommen. Die Aufrechnung ist demnach, wie alle anderen Gestaltungsrechte auch,23 ein einseitiges Rechtsgeschäft.

V. Abgrenzung der Aufrechnung von verwandten Erscheinungen Abzugrenzen ist die Aufrechnung von ähnlichen, teilweise auch bloß ähnlich klingenden Instrumenten. 1. Anrechnung Die Gemeinsamkeit der Aufrechnung mit der Anrechnung beschränkt sich auf die sprachliche Ähnlichkeit. Während die Aufrechnung ein Erfüllungssurrogat ist, ist die Anrechnung eine Leistungszweckbestimmung,24 die im öffentlichen Recht auch unter dem Begriff der „Einbehaltung“ bekannt ist. Bei ihr stehen sich nicht wechselseitige Forderungen gegenüber, sondern einem Gläubiger steht eine Forderung zu. Bei der Bestimmung der Höhe dieses Anspruchs sind bestimmte Abzugsposten zu berücksichtigen bzw. „anzurechnen“.25 Die Anrechnung spielt daher besonders im Schadensersatzrecht unter dem Begriff der Vorteilsausgleichung eine Rolle. Dort sind im Rahmen der Feststellung der Schadenshöhe nach der Saldotheorie26 regelmäßig die Positionen von der Schadensersatzforderung des Geschädigten abzuziehen, die er sich billigerweise anrechnen lassen muss, weil sie ihm zum Vorteil ge-

21 Coester-Waltjen, Jura 2003, S. 246 (247); Gursky, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Vorbem zu §§ 387 ff, Rn. 9; Olzen, in: Eckpfeiler des Zivilrechts, S. 247. 22 Medicus, BGB AT, Rn. 208. 23 Medicus, BGB AT, Rn. 202 sowie Rn. 79 ff. 24 Gernhuber, Die Erfüllung, S. 226 f. 25 Gursky, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Vorbem. zu §§ 387 ff., Rn. 97. 26 Vgl. dazu Coester-Waltjen, Jura 2003, S. 246 (247).

A. Modelle, Funktionen und Rechtsnatur der Aufrechnung

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reichen.27 Die Anwendung der Aufrechnung scheidet in diesem Bereich aus, da der Anspruch direkt und schon im Vorfeld durch die Anrechnung gemindert wird. 2. Aufrechnungsvertrag Der Aufrechnungsvertrag ist gesetzlich nicht geregelt. Er entspricht jedoch Bedürfnissen der Wirtschaftspraxis und ist nach den Grundsätzen der Vertragsfreiheit auch zulässig. Der Unterschied zur Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB lässt sich bereits aus dem Wort selbst ableiten: Die Forderungen werden nicht durch einseitige Aufrechnungserklärung, sondern durch eine Vereinbarung miteinander verrechnet.28 Der Aufrechnungsvertrag hat zum einen den Zweck, eine einseitige Aufrechnungsmöglichkeit für einen der Beteiligten zu verhindern und eine Verrechnung der Forderungen nur im Einvernehmen beider Beteiligter zu ermöglichen. Durch Vereinbarungen über die Aufrechnung kann so dem partiellen Interesse der Wirtschaftspraxis an einer Barleistung Rechnung getragen werden. Zum anderen flexibilisiert ein Aufrechnungsvertrag die Möglichkeiten und Voraussetzungen einer Aufrechnung. Die Parteien können die gesetzlich vorgegebenen Tatbestandsvoraussetzungen der Aufrechnung modifizieren und ihren Bedürfnissen anpassen. So kann etwa durch vertragliche Übereinkunft bedingt oder befristet aufgerechnet oder dem Schutz des Aufrechnungsgegners dienende Aufrechnungsverbote außer Kraft gesetzt werden.29 3. Kontokorrent Das dem Aufrechnungsvertrag ähnliche sog. Kontokorrent ist ein „laufendes Konto“ (conto corrente). Es handelt sich um eine im Handelsverkehr, insbesondere bei Banken, stark verbreitete Einrichtung. Sie erfasst alle gegenseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten, die zwischen zwei Parteien im Zusammenhang mit einer Geschäftsbeziehung entstehen, § 355 Abs. 1 HGB. Beim Kontokorrent muss vereinbart sein, dass diese Forderungen in regelmäßigen Abständen so miteinander verrechnet werden, dass ein Saldo festgestellt wird. Die Forderungen gelten dann bis auf den festgestellten Saldo als getilgt. Daraus folgt als wesentliche rechtliche Wirkung eines Kontokorrents, dass die Forderungen weder gesondert geltend gemacht noch gepfändet werden können. Sie können auch nicht abgetreten oder ge27 Beispiele für Vorteilsausgleichungen sind etwa die ersparte Abnutzung des während der Reparatur nicht benutzten Autos oder Leistungen einer Lebensversicherung an Hinterbliebene. Diese Vorteile muss sich der Geschädigte auf den erlittenen Vermögensschaden anrechnen lassen, siehe dazu Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 606. 28 Gernhuber, Die Erfüllung, S. 326 f. Siehe zum Aufrechnungsvertrag insgesamt Berger, Aufrechnungsvertrag. 29 Beispiele nach Gernhuber, Die Erfüllung, S. 328 ff. Zu den Grenzen der Vertragsgestaltung siehe Gernhuber, Die Erfüllung, S. 332 f.

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1. Teil: Aufrechnung als Rechtsdurchsetzungsinstrument

sondert erfüllt werden.30 Das Kontokorrent unterscheidet sich insofern von der Aufrechnung, als dass es einer Vereinbarung zwischen den Parteien bedarf, eine einseitige Aufrechnungserklärung also gerade nicht ausreichend ist. Außerdem können nicht nur Forderungen, sondern auch Leistungen wie etwa Einzahlungen auf das Konto,31 miteinander verrechnet werden. Schließlich gehen die Wirkungen des Kontokorrents, insbesondere im Hinblick auf die Feststellung und Anerkennung der Saldoforderung, über die Aufrechnungswirkungen hinaus.32 4. Drittaufrechnung Im Rahmen einer Drittaufrechnung werden durch eine einseitige Erklärung zwei Forderungen getilgt, die sich allerdings nicht wechselseitig gegenüberstehen. Die Drittaufrechnung unterscheidet sich folglich von einer Aufrechnung gem. §§ 387 ff. BGB dadurch, dass auf das Kriterium der Gegenseitigkeit der Forderungen33 verzichtet wird. Drittaufrechnungen bedürfen wegen dieser nicht mit § 387 BGB übereinstimmenden Abweichung einer besonderen Legitimation. Diese kann sich aus einer gesetzlichen Regelung,34 aber auch durch privatautonome Vereinbarung zwischen dem Aufrechnenden und dem Aufrechnungsgegner ergeben. Rechtsgeschäftlich legitimierte Drittaufrechnungen sind allerdings selten und kommen fast nur in Gestalt von sog. Konzernverrechnungsklauseln vor. Hierbei erhalten konzerngebundene Unternehmen die Befugnis, mit Forderungen von anderen zum Konzern gehörenden Unternehmen aufzurechnen.35

B. Aufrechnungsvoraussetzungen im Zivilrecht Vor der Untersuchung, inwieweit die im BGB niedergelegten Anforderungen an eine wirksame Aufrechnung auf das öffentliche Recht übertragen werden können, sollen zunächst die relevanten zivilrechtlichen Anforderungen an eine rechtswirksame Aufrechnung im Überblick dargestellt werden. Nach den §§ 387 – 396 BGB ist 30

Brox/Henssler, Handelsrecht, Rn. 346 ff.; K. Schmidt, Handelsrecht, S. 740 ff. Coester-Waltjen, Jura 2003, S. 246 (247). 32 So hat die Anerkennung des Saldos durch den Vertragspartner den Wert eines abstrakten Schuldversprechens nach § 781 BGB, ist also eine unabhängig vom Schuldgrund bestehende Forderung, vgl. dazu Brox/Henssler, Handelsrecht, Rn. 353 ff. Ein nach Aufrechnung gem. § 387 ff. BGB verbleibender Differenzbetrag erreicht eine solche Qualität hingegen nicht. 33 Siehe zu dieser Aufrechnungsvoraussetzung 1. Teil B. I. 1. 34 So bestimmt etwa § 52 SGB I („Verrechnung“) für den Bereich des Sozialrechts, dass ein Leistungsträger gegen die Forderung eines Berechtigten mit der Forderung eines anderen Leistungsträgers unter dem Vorbehalt der Zustimmung aufrechnen kann. 35 Gernhuber, Die Erfüllung, S. 324 f.; Gursky, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Vorbem. zu §§ 387 ff., Rn. 95. 31

B. Aufrechnungsvoraussetzungen im Zivilrecht

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eine Aufrechnung wirksam, wenn eine Aufrechnungslage (I.) und eine Aufrechnungserklärung (II.) vorliegen.

I. Aufrechnungslage Eine Aufrechnungslage ist regelmäßig beim Vorliegen von fünf Voraussetzungen gegeben. Die beiden Forderungen müssen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen und ihrem Gegenstande nach gleichartig sein. Die Aktivforderung muss fällig und die Passivforderung erfüllbar sein. Schließlich darf der Aufrechnung kein Aufrechnungsverbot entgegenstehen. 1. Gegenseitigkeit der Forderungen Grundsätzliche Voraussetzung einer wirksamen Aufrechnung ist, dass zwei Personen „einander Leistungen schulden“, § 387 BGB. Diese Gegenseitigkeit36 der Forderungsbeziehungen bedeutet, dass der Aufrechnende Gläubiger der Aktivforderung und Schuldner der Passivforderung, der Aufrechnungsgegner Gläubiger der Passivforderung und Schuldner der Aktivforderung sein muss. Der sachliche Zusammenhang zwischen den beiden Schuldverhältnissen ist irrelevant, es genügt das bloße Gegenüberstehen der Forderungen. Gegenseitigkeit der Forderungen bedeutet nicht Konnexität der Forderungsrechte, Aktiv- und Passivforderungen müssen nicht etwa im selben gegenseitigen Vertrag ihren Ursprung haben37 oder wie beim Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB in rechtlichem Zusammenhang stehen38. Ausnahmen vom Erfordernis der Gegenseitigkeit hat der Gesetzgeber nur in einigen wenigen Ausnahmefällen geschaffen. So ist etwa nach § 52 SGB I die Aufrechnung mit einer Aktivforderung eines Dritten, nach § 35 VVG die Aufrechnung gegen eine Passivforderung eines Dritten möglich.

36 Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 263, spricht sich dafür aus, den Begriff der „Gegenseitigkeit“ durch den der „Wechselseitigkeit“ zu ersetzen, da diese Aufrechnungsvoraussetzung mit der Gegenseitigkeit der §§ 320 ff. BGB nichts zu tun habe und daher in die Irre führe. Diese vermeintliche terminologische Verquickung mit dem Recht der gegenseitigen Verträge ist jedoch ein spezifisch privatrechtliches Problem. In Übereinstimmung mit der Mehrzahl der anderen Autoren bleibt es in dieser Arbeit daher bei der Bezeichnung der „Gegenseitigkeit“ der Forderungen. 37 Dazu Gursky, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, § 387 Rn. 1: „Im Gegenteil: Gegenläufige Forderungen aus ein und demselben Vertrag werden regelmäßig schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil die jeweils zu erbringenden Leistungen ungleichartig sind.“ Zur Gleichartigkeit der Leistungen siehe 1. Teil B. I. 2. 38 BGH NJW 1993, 2753 (2754); Schlüter, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 387 Rn. 29.

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1. Teil: Aufrechnung als Rechtsdurchsetzungsinstrument

2. Gleichartigkeit der Forderungen Die geschuldeten Leistungen müssen außerdem „ihrem Gegenstand nach gleichartig“ sein. Da die Aufrechnung primär ein unwirtschaftliches Hin- und Herschieben von Leistungen überflüssig machen soll, ist die Voraussetzung der Gleichartigkeit ebenso wie die Voraussetzung der Gegenseitigkeit der Aufrechnung denklogisch immanent. Dieses Erfordernis beschränkt die Aufrechnung im Ergebnis im Wesentlichen auf beiderseitige Geldforderungen.39 Die Gleichartigkeit betrifft ausschließlich den Inhalt der beiderseits zu erbringenden Leistungen.40 Auf eine Gleichartigkeit der Rechtsnatur oder des Rechtsgrundes der Forderungen kommt es nicht an.41 Unterschiedliche Rechtswegzuständigkeiten für die beiden Forderungen stehen einer wirksamen Aufrechnung ebenso wenig entgegen wie unterschiedliche Rechts-42 oder Lebensverhältnisse43. Damit können grundsätzlich auch privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Forderungen miteinander aufgerechnet werden.44 Eine früher vertretene Auffassung, die Gleichartigkeit mit Gleichwertigkeit gleichsetzen wollte, konnte sich nicht durchsetzen.45 Da der Gesetzgeber mit Erlass der InsO weitgehend die Möglichkeit beseitigt hat, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Geldwert umgerechnete Forderungen zur Aufrechnung zu bringen (§ 95 Abs. 1 S. 2 InsO), ist auch die Ausnah-

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Olzer, in: Eckpfeiler des Zivilrechts, S. 250; Grüneberg, in: Palandt, Kommentar zum BGB, § 387 Rn. 9. Denkbar ist die Aufrechnung aber auch bei Gattungsschulden von vertretbaren Sachen. 40 Gursky, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, § 387 Rn. 54; Coester-Waltjen, Jura 2003, S. 246 (248). 41 BGHZ 16, 124 (127). 42 Anders etwa beim Zurückbehaltungsrecht gem. § 320 BGB, das eine Gegenseitigkeit der Forderungen verlangt. 43 Dieses, also eine Konnexität der Forderungen, verlangt z. B. das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB. 44 BGHZ 16, 124 (127); BVerwGE 66, 218 (221); Gernhuber, Die Erfüllung, S. 243 ff.; Gursky, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, § 387 Rn. 62. 45 Vgl. hierzu auch Pietzner, VerwArch. 73 (1982), S. 453 (453 ff.); Hartmann beschreibt in VerwArch. 25 (1917), S. 389 [403 f.] privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Forderungen als „völlig inkommensurable Größen“, weshalb eine Aufrechnung nicht in Frage käme. Diese Argumentation mit dem unterschiedlichen Rechtshintergrund der Forderungen und einem damit einhergehenden „Qualitätsunterschied“ der Forderungen ist nur mit dem damals herrschenden obrigkeitsstaatlichem Verständnis der Beziehung zwischen Staat und Bürger bzw. Untertan zu erklären und schon deshalb heute nicht mehr vertretbar; Gernhuber, Die Erfüllung, S. 243, spricht von einem „fast schon mythischen Vorrang“, den die Gegner einer Aufrechnungsmöglichkeit den öffentlich-rechtlichen Forderungen zugestehen. Vgl. hierzu auch 2. Teil B.

B. Aufrechnungsvoraussetzungen im Zivilrecht

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meregelung des Konkursrechts, das damals eine Einschränkung des Kriteriums der Gleichartigkeit der Forderungen mit sich brachte, weggefallen.46 3. Fälligkeit und Vollwirksamkeit der Aktivforderung Die Aufrechnung darf gem. § 387 BGB außerdem erst erfolgen, wenn der Aufrechnende „die ihm gebührende Leistung fordern“ kann. Die Aktivforderung muss demnach fällig sein. Ferner kann gem. § 390 BGB grundsätzlich nicht mit einer Forderung aufgerechnet werden, der eine Einrede entgegensteht. Die Forderung muss folglich auch vollwirksam, d. h. vor Gericht voll durchsetzbar und im Anschluss vollstreckbar sein.47 Dies folgt aus der Überlegung, dass, wer gerichtlich seinen Anspruch nicht durchsetzen kann, dies auch nicht über den Umweg einer Aufrechnung erreichen soll.48 Die Fälligkeit stellt die zeitliche Schranke der Aufrechnungsbefugnis dar49 und beschreibt den Zeitpunkt, ab dem die Leistung aus dem Schuldverhältnis gefordert werden kann. Sie tritt gem. § 271 Abs. 1 BGB im Zweifel sofort, d. h. mit Entstehen des Schuldverhältnisses, ein. Sachlich können Einreden gegen die Aktivforderung die Aufrechnung verhindern, § 390 BGB. Da einer einredebehafteten Forderung die Durchsetzbarkeit und damit auch die Vollstreckbarkeit fehlt, eignet sie sich in der Konsequenz – wegen der Vollstreckungsfunktion der Aufrechnung – auch nicht als Aktivforderung. Eine Ausnahme gilt für die Einrede der Verjährung, § 215 BGB. Danach schließt eine verjährte (Aktiv-)Forderung die Aufrechnung nicht aus, wenn der Anspruch in dem Moment noch nicht verjährt war, in dem erstmals aufgerechnet werden konnte. Es wird in dieser Situation auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage und nicht den der Aufrechnungserklärung abgestellt. Angesichts der ex-tunc-Wirkung der Aufrechnung erscheint diese gesetzgeberische Entscheidung auch konsequent.

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Nach § 69 KO konnte ein Konkursgläubiger damals Forderungen, die nicht auf Geld gerichtet waren, nach dem Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens mit dem geschätzten Wert geltend machen und zur Aufrechnung bringen, § 54 Abs. 1 KO. Nach dem heutigen Recht kann ein Insolvenzgläubiger zwar immer noch seine Forderung, die nicht auf Geld gerichtet ist, umrechnen, § 45 InsO. Er kann in der Praxis diese Forderung aber nur noch zur Tabelle anmelden. Eine Aufrechnung ist nur noch dann zulässig, wenn die umgerechnete Forderung des Gläubigers zeitlich vor der Forderung des Insolvenzschuldners fällig wird, § 95 Abs. 1 S. 3 InsO. Dies wird aber praktisch kaum vorkommen. Vgl. zu dieser gesetzgeberisch gewollten Einschränkung der Aufrechnungsmöglichkeiten Gottwald, in: Gottwald (Hrsg.), Insolvenzrecht, § 45 Rn. 65. 47 Grüneberg, in: Palandt, Kommentar zum BGB, § 387 Rn. 11. 48 Schmidt, JuS 1984, S. 28 (30); Gernhuber, Die Erfüllung, S. 247 („Die Aufrechnung soll Tilgungsmodus sein, nicht Erweiterung des Rechtszwanges.“). 49 Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 51.

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1. Teil: Aufrechnung als Rechtsdurchsetzungsinstrument

4. Erfüllbarkeit der Passivforderung § 387 BGB enthält auch Anforderungen an die Passivforderung: Der Aufrechnende muss die ihm obliegende Leistung bewirken können. Die Forderung des Aufrechnungsgegners muss erfüllbar sein.50 Die Erfüllbarkeit einer Forderung richtet sich zwar auch hier wieder nach der Auslegungsregel des § 271 Abs. 1 BGB, wonach die Forderung im Zweifel sofort ab Bestehen des Schuldverhältnisses erfüllbar ist. Fälligkeit und Erfüllbarkeit einer Forderung sind dennoch zu unterscheiden. Dies wird etwa an der Regelung des § 271 Abs. 2 BGB deutlich. Dieser bestimmt, dass bei Vorliegen einer Leistungszeitbestimmung der Gläubiger die Leistung nicht vorher fordern, der Schuldner sie aber sehr wohl vorher bewirken kann. Ratio des Kriteriums der Erfüllbarkeit ist es, den Gläubiger davor zu schützen, eine Leistung mit Erfüllungswirkung zu einem Zeitpunkt annehmen zu müssen, der seinen (berechtigten) Interessen widerspricht.51 Die denkbaren Situationen, in denen dies bei Geldforderungen als Hauptanwendungsfall der Aufrechnung der Fall ist, dürften indes begrenzt sein. 5. Kein Aufrechnungsverbot Sind diese Tatbestandsvoraussetzungen gegeben, kann einer wirksamen Aufrechnung nur noch ein Aufrechnungsverbot entgegenstehen. Aufrechnungsverbote können sich aus Gesetz, Vertrag oder auch aus der Eigenart des Schuldverhältnisses bzw. aus Treu und Glauben ergeben. Die wichtigsten kodifizierten Aufrechnungsverbote des BGB finden sich in §§ 393 – 395 BGB und einigen gesellschaftsrechtlichen Normen.52 Allen Aufrechnungsverboten gemeinsam ist der Gedanke, dass ein Erlöschen der Passivforderung in der jeweiligen Situation unbillig erscheint53 bzw. das Interesse des Aufrechnungsgegners an einer realen Leistungsbewirkung in Form einer tatsächlichen Zahlung überwiegt. Dies kann sich aus Gründen ergeben, die entweder in der Person des Schuldners oder aber in der Person des Gläubigers liegen. a) Aufrechnungsverbot nach § 393 BGB Das Aufrechnungsverbot des § 393 BGB besagt, dass eine Aufrechnung dann unzulässig ist, wenn die Passivforderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung stammt. Für dieses Aufrechnungsverbot gibt es zwei Gründe: zum einen soll § 393 BGB eine „sanktionslose Privatrache“54 verhindern. Ohne § 393 BGB, so 50

Schlüter, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 387 Rn. 38. Gursky, in: Staudinger, BGB, § 387 Rn. 116; Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 50 f. 52 Aufrechnungsverbote finden sich etwa in §§ 66 Abs. 1 Satz 2, 278 Abs. 3 AktG. § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, § 22 Abs. 5 GenG, § 26 VAG und § 96 InsO. 53 Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 54. 54 Deutsch, NJW 1981, S. 735 (735). 51

B. Aufrechnungsvoraussetzungen im Zivilrecht

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wird befürchtet, könnte ansonsten der Gläubiger einer nicht beitreibbaren Forderung dem Schuldner vorsätzlich einen Schaden in der Höhe der Schuld zufügen. Gegen dessen Anspruch aus § 823 BGB könnte er dann aufrechnen und müsste somit trotz seiner deliktischen Tat keine zivilrechtlichen Nachteile erdulden.55 Zum anderen soll die Aufrechnung gegenüber Ansprüchen aus unerlaubter Handlung generell deshalb ausgeschlossen sein, weil diese einen stark personalen Bezug haben. Der Schaden soll tatsächlich ausgeglichen werden und der Geschädigte soll durch die Barleistung in die Lage versetzt werden, die erlittenen Nachteile wieder auszugleichen.56 b) Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB Es ist gem. § 394 BGB unzulässig, gegen eine Forderung aufzurechnen, die gem. §§ 850 ff. ZPO unpfändbar ist. Das Verbot verhindert insbesondere, dass dem Gläubiger der unpfändbaren Forderung die Lebensgrundlage gänzlich entzogen wird.57 c) Gesellschaftsrechtliche Aufrechnungsverbote Weitere Aufrechnungsverbote bestehen im Gesellschaftsrecht. Für Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften finden sich in den Aufrechnungsverboten der § 66 Abs. 1 S. 2 AktG, § 19 Abs. 2 S. 2 GmbHG und § 22 Abs. 5 GenG weitgehend ähnliche Regelungen.58 Die Normen verhindern eine (einseitige59) Aufrechnung der Aktionäre, Gesellschafter und Genossen gegenüber Einlageforderungen der jeweiligen Gesellschaft. Dies soll gewährleisten, dass der Gesellschaft effektiv verwertbare Mittel zufließen.60 Hintergrund ist der Grundsatz der realen Kapitalaufbringung des Kapitalgesellschaftrechts61, der durch eine Aufrechnung nicht voll gewährleistet wäre. Das Vermögen einer Aktiengesellschaft etwa soll nicht durch Befreiung von Verbindlichkeiten, sondern durch versprochene Zahlungen hergestellt werden. Dies dient im Allge-

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Grüneberg, in: Palandt, Kommentar zum BGB, § 393 Rn 1. Glandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 54. 57 Grüneberg, in: Palandt, Kommentar zum BGB, § 394 Rn. 1. 58 § 66 Abs. 1 S. 2 AktG: „Gegen eine Forderung der Gesellschaft nach den §§ 54 und 65 ist die Aufrechnung nicht zulässig.“; § 19 Abs. 2 S. 2 GmbHG: „Gegen den Anspruch der Gesellschaft ist die Aufrechnung nicht zulässig.“; § 22 Abs. 5 GenG: „Gegen eine geschuldete Einzahlung kann der Genosse nicht aufrechnen.“ 59 Aufrechnungen seitens der Gesellschaft oder Aufrechnungsverträge sind möglich, wenn auch nicht bedingungslos, dazu Ulmer, in: Ulmer, Kommentar zum GmbHG, § 19 Rn. 77 ff. 60 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 881. 61 Ulmer, in: Ulmer, Kommentar zum GmbHG, § 19 Rn. 69; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 882, 1117. 56

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1. Teil: Aufrechnung als Rechtsdurchsetzungsinstrument

meinen der Liquidität der Aktiengesellschaft und im Speziellen dem Gläubigerschutz im Falle einer Insolvenz.62 6. Irrelevante Merkmale Diese genannten Voraussetzungen begründen die Aufrechnungslage. Nicht erforderlich, zur Klarstellung,63 ist zum einen eine Konnexität der Forderungen, wie sie etwa beim Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB gilt. Die beiden Forderungen müssen nicht demselben rechtlichen Verhältnis entspringen64, es genügt, dass sie wechselseitig und gleichartig bestehen. Ebenso wenig ist notwendig, dass die beiden zu verrechnenden Forderungen deckungsgleich und in identischer Höhe bestehen. Gem. § 389 BGB erlöschen die Forderungen einfach in der Höhe, in der sie sich decken. Schließlich ist auch die Liquidität der Aktivforderung keine Aufrechnungsvoraussetzung. Anders als dies noch bei der Prozessaufrechnung im Gemeinen Recht der Fall war,65 ist eine sofortige Beweisbarkeit bzw. eine rechtskräftig festgestellte oder unbestrittene Aktivforderung nicht erforderlich. Das Erfordernis der Liquidität spielt hingegen eine größere Rolle für die an späterer Stelle behandelte öffentlich-rechtliche Aufrechnung.66

II. Aufrechnungserklärung Liegt eine Aufrechnungslage vor, kann jeder an diesem Rechtsverhältnis Beteiligte die Aufrechnung durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung herbeiführen, § 388 S. 1 BGB.67 Gem. § 388 S. 2 BGB ist die Aufrechnungserklärung wegen ihrer rechtsgestaltenden Wirkung unwiderruflich und bedingungsfeindlich und kann auch nicht befristet werden. Wie bei gestaltenden Rechtsakten allgemein gilt auch bei der Aufrechnung ein Schwebezustand, in dem der Aufrechnungsgegner keine Gewissheit darüber hat, ob er noch fordern kann oder leisten muss, als unzumutbar. Zulässig ist hingegen die sog. Eventualaufrechnung. Hierbei wird im

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Hüffer, Kommentar zum AktG, § 66 Rn. 1. Die folgenden Aspekte werden dennoch des öfteren mit der Aufrechnung in Verbindung gebracht, vgl. dazu Ennecerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, S. 258. 64 Vgl. zur Konnexität von Forderungen Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 210 f. 65 Ennecerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, S. 285. 66 Siehe hierzu den Punkt C. V. 2. des 2. Teils. 67 Die Vertreter einer kraft Gesetzes unmittelbar eintretenden Aufrechnung („ipso iure compensatur“) konnten sich bei Verabschiedung des BGB im Jahre 1896 nicht durchsetzen. Hierzu Gernhuber, Erfüllung, S. 229, Larenz, Schuldrecht, S. 255 sowie Lehmann/Ennecerus, Schuldverhältnisse, S. 277. 63

B. Aufrechnungsvoraussetzungen im Zivilrecht

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Prozess für den Fall, dass das Gericht die Passivforderung für begründet hält, die Aufrechnung mit der Aktivforderung erklärt.68

III. Rechtsfolge der Aufrechnung Gem. § 389 BGB bewirkt die Aufrechnung, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind. Der Aufrechnung kommt somit eine extunc-Wirkung zu.

68 Es handelt sich dabei nicht um eine echte Bedingung i.S.v. § 388 S. 2 BGB, sondern um eine bloße Rechtsbedingung, Grüneberg, in: Palandt, Kommentar zum BGB, § 388 Rn. 3. Vgl. auch bereits Mot. II, S. 108.

2. Teil

Möglichkeit der Aufrechnung im öffentlichen Recht zwischen Bürger und Staat Ebenso wie im Privatrecht sind auch im öffentlichen Recht vielfältige aufrechnungsgeeignete Konstellationen denkbar, in denen zwischen Verwaltung und Bürger gegenseitige Geldforderungen bestehen. Anders als im bürgerlichen Recht finden sich jedoch im Verwaltungsrecht keine den §§ 387 ff. BGB vergleichbare Vorschriften zur Aufrechnung. Es kann daher die Frage gestellt werden, ob eine Aufrechnung im öffentlichen Recht ohne spezifische Rechtsgrundlage überhaupt zulässig ist. Grundsätzlich wird die Möglichkeit einer Aufrechnung im öffentlichen Recht heute nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt.1 Dafür mag bereits der pragmatische Grund sprechen, auch im öffentlichen Recht ein unwirtschaftliches, mehraktiges Hin und Her des Leistungsaustausches zu verhindern. Dennoch vermag Pragmatismus allein die Aufrechnung im öffentlichen Recht nicht zu begründen. Trotz Einigkeit über das Ergebnis besteht ein „buntes Bild methodischer Vorgehensweisen“2 hinsichtlich der Herleitung. Hierfür kann etwa die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als Beispiel gelten: Dieser wandte die §§ 387 ff. BGB zunächst unmittelbar3, dann analog4, später als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens5 und schließlich wieder unmittelbar6 an.

A. Abgrenzung der privatrechtlichen Aufrechnung von der öffentlich-rechtlichen Aufrechnung Bevor die grundsätzliche Zulässigkeit einer öffentlich-rechtlichen Aufrechnung untersucht wird, soll geklärt werden, wann eine Aufrechnung der öffentlich-recht-

1 de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschirften im Verwaltungsrecht, S. 443; Pietzner, VerwArch. 73 (1982), S. 453 (453 ff.); Gernhuber, Die Erfüllung, S. 243. Anders v. a. noch Hartmann, VerwArch. 25 (1917), S. 389 (403 f.). Vgl. hierzu auch sogleich 2. Teil B. 2 Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 59. 3 BFH, BStBl. 1961, Teil III, S. 296 (296). 4 BFH, BStBl. 1963, Teil III, S. 247 (247). 5 BFH, BStBl. 1973, Teil II, S. 513 (515). 6 BFH, BStBl. 1976, Teil II, S. 438 (439).

A. Abgrenzung der privatrechtlichen Aufrechnung

33

lichen und wann der bürgerlich-rechtlichen „Rechtsdomäne“7 zuzuordnen ist. Die Antwort auf die Frage kann nur von den beteiligten Forderungen und nicht von den beteiligten Forderungsinhabern abhängen. Denn der Staat kann sowohl öffentlichrechtlich als auch privatrechtlich handeln,8 sodass eine alleinige Fixierung auf die Beteiligten eine Einordnung der Aufrechnung nicht ermöglicht. Problemlos als öffentlich-rechtlich ist eine Aufrechnung zu qualifizieren, wenn beide Forderungen auf öffentlich-rechtlichen Anspruchsgrundlagen9 beruhen.10 Schwieriger wird es hingegen, wenn die beiden Forderungen unterschiedlichen Rechtsgebieten angehören. Hier könnte entweder die Rechtsnatur der Aktivforderung oder aber die der Passivforderung entscheidend sein. Denkbar ist es auf den ersten Blick auch, es ausreichen zu lassen, wenn eine der beiden Forderungen öffentlich-rechtlich ist.11 Ein solches Vorgehen ist jedoch zu undifferenziert. Es übersieht, dass die §§ 387 BGB in erster Linie dem Aufrechnenden dienen und die Aufrechnungserklärung entscheidend für die Zuordnung zum öffentlichen oder zum bürgerlichen Recht ist.12 Aus diesem Grund kann es auch nicht auf die Rechtsnatur der Passivforderung ankommen. Zwar hat eine Aufrechnung auch Auswirkungen im Rechtsgebiet der Passivforderung. Wird etwa eine öffentlich-rechtliche Forderung des Aufrechnungsgegners getilgt, so findet die Tilgungswirkung im Bereich des öffentlichen Rechts statt. Ausschlaggebend ist aber, dass die Gestaltungsmacht zur Aufrechnung an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen der Aktivforderung geknüpft ist. Die Gestaltungswirkung „Tilgung der Passivforderung“ steht aber normlogisch unter dem Gestaltungsgrund der Aufrechnung, der eben entscheidend von der Aktivforderung determiniert wird. Da es auf den Rechtsgrund der Gestaltungsmacht zur Aufrechnung ankommt, kann nur die Rechtsnatur der Aktivforderung für die Frage entscheidend sein, ob eine Aufrechnung als privatrechtlich oder als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren ist.13

7 Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 119. Von „Rechtsmassen“ spricht Zuleeg, VerwArch. 73 (1982), S. 384 (393). 8 Vgl. zum Verwaltungsprivatrecht etwa Maurer, Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 18 ff.; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 23 Rn. 1 ff. 9 Anspruchsgrundlagen sind dann öffentlich-rechtlich, wenn sie auf mindestens einer Seite ausschließlich einen Hoheitsträger berechtigen oder verpflichten, vgl. BVerwGE 96, 71 (73); Kopp/Schenke, VwGO, § 40 Rn. 6. 10 Ehlers, NVwZ 1983, S. 446 (446); Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 120. 11 Dafür etwa unter Hinweis auf § 226 AO Veitenthal, BayVBl. 1990, S. 615 (616). 12 de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 449 f.; Ehlers, NVwZ 1983, S. 446 (447). 13 de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 449 f. Ausführlich auch Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 118 ff.

34

2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

B. Ausschluss der Aufrechnung im öffentlichen Recht als Ausdruck vordemokratischen Staatsverständnisses Da eine Aufrechnungsbefugnis im öffentlichen Recht nicht gesetzlich geregelt ist, verwundert es nicht, dass es Stimmen gab, die eine solche Möglichkeit ablehnten. Die ablehnenden Auffassungen, die mittlerweile alle der Kategorie „Rechtsgeschichte“ zugeordnet werden können,14 lassen sich grundsätzlich in zwei Gruppen einteilen. Während Vertreter der einen Gruppe die Aufrechnung im öffentlichen Recht umfassend ablehnten, wollten andere die Aufrechnung zumindest unter gewissen Bedingungen ausnahmsweise zulassen. Die Vertreter der Gruppe der „Totalverweigerer“ begründeten ihre Ablehnung mit dem Hinweis, dass die Aufrechnung nur im BGB geregelt sei, welches eben auch nur privatrechtliche Beziehungen regele.15 Öffentliches Recht und Privatrecht seien getrennte Sphären. Es gebe keine „dem öffentlichen und dem Privatrecht gemeinsamen Rechtsinstitute. Was man so nennt, sind meist einfach privatrechtliche Rechtsinstitute, die man auf diese Weise in das jüngere öffentliche Recht hinüberschmuggeln will.“16 Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass öffentliches Recht und Privatrecht von unterschiedlichen Interessenlagen geprägt sind. Während der Staat bei seinem Handeln stets das Gemeinwohl zu beachten hat und sich nicht auf bloße Eigeninteressen berufen kann, ist dies für Private im Rahmen des Zivilrechts unproblematisch möglich und von der Rechtsordnung auch gewollt. Dies begründet allerdings noch nicht, warum Grundsätze des Zivilrechts nicht auch im öffentlichen Recht zur Geltung kommen können.17 Zudem wird angeführt, dass öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Forderungen „inkommensurable“, also unvergleichbare, Größen seien.18 Argumentiert wird auch mit einer angeblichen Absolutheit einer öffentlichen Pflicht zur Geldzahlung. Diese verbiete eine Aufrechnung des Bürgers gegenüber dem Staat prinzipiell.19 Forderungen des Staates gegen den Untertanen, die aus seiner hoheitlichen Machtbeziehung resultieren, seien überhaupt keine Forderungen im schuldrechtlichen Sinne. Das Staat-Untertan-Verhältnis sei nicht durch Rechts-, sondern durch Machtbeziehungen definiert.20 Dass eine solche Argumentation unter der grundgesetzlichen Ordnung der Bundesrepublik nicht mehr aufrecht zu erhalten ist, liegt auf der Hand. 14

Fn. 2. 15

Gernhuber, Die Erfüllung, S. 243; ebenso Schenke/Ruthig, NJW 1992, S. 2505 (2505),

Hartmann, VerwArch. 25 (1917), S. 389 (403). O. Mayer, Verwaltungsrecht I, S. 117 f. 17 Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 168 f.; umfassend auch Hardt, DÖV 1971, S. 685 (687 f.). 18 Hartmann, VerwArch. 25 (1917), S. 389 (403). 19 Tezner, AöR 9, S. 489 (520); vgl. zu diesem „privilegium fisci“ auch Pietzner, VerwArch. 73 (1982), S. 453 (453). 20 Hoheisel, Pr.VBl. 40 (1919), 570 (570). 16

B. Ausschluss der Aufrechnung im öffentlichen Recht

35

Die Vertreter der zweiten Gruppe hingegen ließen eine Aufrechnung zumindest teilweise zu. Dies solle etwa dann der Fall sein, wenn beide Forderungen aus dem öffentlichen Recht stammten.21 Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Forderungen seien hingegen nicht gleichartig, eine Aufrechnung damit unzulässig. Andere verlangten, dass eine Aufrechnung nur dann zulässig sein solle, wenn für beide Forderungen ein einheitlicher Gerichtsstand zuständig ist22 oder wenn beide Forderungen unbestritten oder rechtskräftig festgestellt wurden23 – eine Voraussetzung, die auch heute noch vereinzelt an die Aktivforderung des Bürgers gestellt wird.24 Auch diese Vertreter konnten im Ergebnis keine überzeugenden Begründungen für ihre Ansichten liefern. Die ablehnenden bzw. einschränkenden Auffassungen konnten sich im Ergebnis nicht durchsetzen.25 Es stellt sich daher die Frage, wie sich die Geltung der zivilrechtlichen Aufrechnungsregeln im öffentlichen Recht begründen lässt.

I. Keine unmittelbare Geltung der §§ 387 ff. BGB im öffentlichen Recht Eine unmittelbare Geltung der §§ 387 ff. BGB im öffentlichen Recht überzeugt nicht. Zwar werden etwa in § 394 S. 2 BGB sowie in § 395 BGB besondere Regelungen für die Aufrechnung gegen Forderungen von öffentlich-rechtlichen Körperschaften getroffen. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die §§ 387 ff. BGB eine Aufrechnung auch im öffentlichen Recht zuließen. Denn Normen können nur in dem Rechtsgebiet unmittelbare Geltung erlangen, in dem sie erlassen wurden. Die §§ 387 ff. BGB können über die Anwendbarkeit der Aufrechnungsregeln über das Zivilrecht hinaus keine Aussage treffen.26 Außerdem könnte die Regelung des § 395 BGB auch so ausgelegt werden, dass eine Aufrechnung zwischen Privaten und der öffentlichen Hand zwar möglich ist, dies aber nur für die Fälle gilt, in denen beide Forderungen privatrechtlichen und nicht öffentlich-rechtlichen Charakter haben.

21

Dies gesteht sogar Hartmann, VerwArch. 25 (1917), S. 389 (405) zu. Josef, VerwArch. 22 (1914), S. 369 (378 ff.) 23 Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 237 f. 24 So etwa bei § 226 Abs. 3 AO oder § 8 Abs. 1 S. 2 JBeitrO. Vgl. auch 2. Teil C. V. 2. 25 Eine ausführlichere Darstellung liefert Hartmann, Aufrechnung im Verwaltungsrecht, S. 5 ff. 26 Mit dem Hinweis auf die „Rechtsquellenlehre“ Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 56, Fn 39; vgl. auch de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 56; Josef, VerwArch. 22 (1914), S. 369 (372 ff.) und Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 285. 22

36

2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

Auch die vereinzelte Existenz öffentlich-rechtlicher Spezialvorschriften zur Aufrechnung etwa im Steuer-, Sozial- oder Beamtenrecht27 spricht noch nicht für deren generelle Zulässigkeit. So wird teilweise argumentiert, der Gesetzgeber habe in diesen einschränkende Abweichungen von den §§ 387 ff. BGB ausdrücklich geregelt und setze damit die Möglichkeit einer Aufrechnung implizit voraus.28 Hiergegen spricht aber bereits, dass diese ausdrücklichen Normierungen genauso gut als Beschränkung der Aufrechnung auf eben diese Fälle interpretiert werden können. Es lässt sich aus ihnen kein zwingender Rückschluss auf die An- oder Unanwendbarkeit der Aufrechnung im öffentlichen Recht ziehen.29 Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass gerade Verfahren nach der AO sowie Verfahren nach dem Sozialgesetzbuch30 vom Anwendungsbereich des VwVfG ausgenommen sind, § 2 Abs. 2 VwVfG. Spezialvorschriften aus den Sondermaterien des Finanz- und Sozialrechts können aber nur bedingt als „Rollenmodell“ für die allgemeine Verwaltungsverfahrensordnung nach dem VwVfG herangezogen werden.

II. Dogmatische Herleitung der Aufrechnung im öffentlichen Recht Da die §§ 387 ff. BGB nicht unmittelbar im öffentlichen Recht anwendbar sind, fragt es sich, wie ihre Geltung für das öffentliche Recht dennoch begründet werden kann. Es ist denkbar, dass die §§ 387 ff. BGB analog angewendet oder als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens verstanden werden können, der als solcher unmittelbare Geltung auch im öffentlichen Recht erlangt.31 1. Zum Begriff der Analogie Eine Analogie, verstanden als Übertragung des Sinn und Zwecks einer Norm auf einen Sachverhalt, der auch durch Auslegung der Norm nicht mehr unter ihren

27 So normieren einige Vorschriften die Aufrechnung oder setzen die Möglichkeit einer Aufrechnung voraus. Für den Bereich des Steuerrechts besteht mit § 226 AO ein solcher Rechtssatz („…gelten sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts…“). Bestimmte Vorschriften aus dem Sozialrecht (etwa § 51 Abs. 1 SGB I) und dem Beamtenrecht (§ 11 Abs. 2 BBesG, § 51 Abs. 2 BRRG oder § 84 Abs. 2 BBG) setzen eine Aufrechnung hingegen nur voraus, ohne sie ausdrücklich, wie § 226 AO, zuzulassen. 28 So Hartmann, Aufrechnung im Verwaltungsrecht, S. 9 f.; Pietzner, VerwArch. 73 (1982), S. 453 (454). 29 So auch Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 60. 30 Der verfahrensrechtliche Teil der Sozialverwaltung findet sich insbesondere im SGB X. 31 Grundsätzlich zu den unterschiedlichen Methoden der (privatrechtlichen) Lückenfüllung im öffentlichen Recht de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 53 ff.

B. Ausschluss der Aufrechnung im öffentlichen Recht

37

vorgesehenen Anwendungsbereich fällt,32 ist eine Möglichkeit zur Begründung der Anwendbarkeit der Aufrechnungsregelungen. Der Geltungsgrund einer Analogie, das Fehlen einer einschlägigen Norm zur Regelung eines Sachverhalts, ist mangels gesetzlicher Vorschriften zur Aufrechnung im öffentlichen Recht eindeutig gegeben. Fraglicher erscheint, ob die beiden zentralen Anwendungsvoraussetzungen zur Begründung einer Analogie vorliegen. So muss zum einen die Gesetzeslücke vom Gesetzgeber ungeplant und ungewollt sein. Denn sein Schweigen könnte auch als „beredtes“ Schweigen in dem Sinne gedeutet werden, dass er bewusst einen Sachverhalt nicht regeln wollte.33 Ob die Lücke vom Gesetzgeber gewollt ist, lässt sich etwa durch die historische Auslegung der Norm herausfinden. Ferner muss eine vergleichbare Interessenlage zwischen dem der Norm typischerweise zugrunde liegenden und dem nicht direkt unter den Anwendungsbereich der Norm fallenden Sachverhalt bestehen. Nur unter diesen Bedingungen lässt sich rechtfertigen, beide Fälle auf die gleiche Art zu behandeln. Folglich ist in einem ersten Schritt zu fragen, ob die im öffentlichen Recht bestehende Lücke einer Regelung der Aufrechnung vom Gesetzgeber unabsichtlich besteht. Sodann ist zu untersuchen, ob Aufrechnungskonstellationen im Zivilrecht und im öffentlichen Recht vergleichbar sind. 2. Zum Begriff des allgemeinen Rechtsgedankens Eine zweite Möglichkeit der Geltungsbegründung der Aufrechnung liegt darin, diese als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens zu begreifen. Das Institut des allgemeinen Rechtsgedankens ist nicht zu verwechseln mit den sog. Rechtsgrundsätzen oder den allgemeinen Verwaltungsrechtsgrundsätzen.34 Rechtsgrundsätze sind Fundamentalnormen wie die Achtung der Menschenwürde, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit oder der Gleichbehandlungsgrundsatz,35 die unmittelbar aus dem Gerechtigkeitsprinzip abgeleitet werden.36 Sie gelten, unabhängig von einer Positivierung, als ranghöchste Rechtsquellen, mit denen andere Normen nicht in Widerspruch stehen dürfen.37 Auf sie wird zurückgegriffen, um geschriebenes oder gewohnheitliches Recht auszulegen oder Lücken auszufüllen. Allgemeine Rechtsgedanken hingegen lassen sich nicht unmittelbar aus dem Gerechtigkeitsprinzip 32 Zu Begriff, Funktion und Voraussetzung der Analogie siehe etwa Zippelius, Methodenlehre, S. 52 ff. 33 Auf die Aufrechnung übertragen wäre es also grundsätzlich denkbar, dass der Gesetzgeber eine Aufrechnungsmöglichkeit im öffentlichen Recht deshalb nicht regelte, weil er keine Aufrechnungsmöglichkeit im öffentlichen Recht zulassen wollte. 34 Weber, JuS 1970, 169 ff. (170) spricht von allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die sich in bürgerlichrechtlichen Normen finden und die sich möglicherweise auf andere Rechtsgebiete erstrecken können. Ebenso spricht Maurer, Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 43, von allgemeinen Rechtsgrundsätzen des BGB, meint aber wohl allgemeine Rechtsgedanken. 35 Hardt, DÖV 1971, S. 685 (686). 36 Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 25, Rn. 2. 37 Wolff, GS Jellinek, S. 33 (37).

38

2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

ableiten. Sie sind vielmehr in Normen zu finden, die einen Gedanken enthalten, der in seiner Bedeutung über das Rechtsgebiet hinaus Geltung beansprucht. Im Unterschied zu den Rechtsgrundsätzen können allgemeine Rechtsgedanken somit nur dem geschriebenen Recht entnommen werden.38 Auch sind sie im Unterschied zu den Rechtsgrundsätzen vom Gesetzgeber abhängig, dessen legislatorischem Willen hingegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze als unmittelbar aus dem Gerechtigkeitsprinzip stammend entzogen sind.39 Allgemeine Rechtsgedanken stellen Klammern dar, die vor die einzelnen Teilrechtsordnungen gezogen werden können.40 Insbesondere dem BGB werden viele allgemeine Rechtsgedanken wie etwa die Bestimmungen zur Anfechtung (§§ 119, 123 BGB) oder zur Auslegung von Willenserklärungen (§ 133 BGB) entnommen.41 Die allgemeinen Verwaltungsgrundsätze schließlich sind von Rechtsprechung und Wissenschaft konkretisierte, auf das Verwaltungsrecht bezogene Rechtsgrundsätze.42 Sie sind spezielle Ausprägungen der Rechtsgrundsätze und haben vor allem eine größere Rolle zu der Zeit gespielt, als es noch kein allgemeines kodifiziertes Verwaltungsrecht gab.43 So lässt sich der Verwaltungsgrundsatz der „Selbstbindung der Verwaltung“ etwa auf die Rechtsgrundsätze des Treu und Glaubens oder des Gleichheitsprinzips gründen. Die Regelung der Aufrechnung in den §§ 387 ff. BGB stellt sich damit im Ergebnis nicht als Rechtsgrundsatz, sondern allenfalls als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens dar. Es würde die Bedeutung der Aufrechnung überhöhen, die §§ 387 ff. BGB auf ein derart grundlegendes Prinzip wie das der Gerechtigkeit zurückzuführen. In der Konsequenz würde dies auch bedeuten, dass die Regelungen über die Aufrechnung dem Willen des Gesetzgebers entzogen wären. Dass dies zu weit ginge, zeigt alleine schon die Tatsache, dass durchaus alternative Regelungen als die der §§ 387 ff. BGB möglich wären.44 So würde es wohl kaum gegen das Gerechtigkeitsprinzip verstoßen, wenn der Gesetzgeber den Eintritt der Aufrechnungswirkung von einem Aufrechnungsvertrag abhängig gemacht oder ipso iure, d. h. ohne das Erfordernis einer Aufrechnungserklärung, angeordnet hätte.45 Die Aufrechnung existiert weniger aus Gründen absoluter Gerechtigkeit als vielmehr aus Gründen praktischer Erwägungen. Angemessen ist hingegen, den hinter der Auf38

Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 25, Rn. 10. Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 61 Fn. 64. 40 Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 61. 41 Hardt, DÖV 1971, S. 685 (688). 42 Hardt, DÖV 1971, S. 685 (689). 43 Das VwVfG des Bundes trat erst zum 1. 1. 1977 in Kraft. 44 So auch de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 445 f. 45 So stellte sich die Rechtspraxis des gemeinen Rechts vor Erlass des BGB dar, Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 262. Vgl. auch Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 64. Eine Aufrechnungswirkung ipso iure findet sich etwa, wenn auch mit Modifikationen, in den Rechtsordnungen Frankreichs (art. 1290 code civil), Italiens (art. 1242 codice civile) und Spaniens (art. 543 Ley de Enjuiciamento Civile). 39

B. Ausschluss der Aufrechnung im öffentlichen Recht

39

rechnung stehenden Gedanken als einen über das Zivilrecht hinausgehenden und damit allgemeinen Rechtsgedanken anzuerkennen. Hauptzweck der Aufrechnung ist es, einen unwirtschaftlichen Austausch von Leistungen zu vermeiden. Es grenzt an Rechtsmissbrauch, eine Leistung zu fordern, die man, mit möglicherweise gleichem Wert, sofort wieder zurückerstatten müsste.46 Dieser Zweck der Vermeidung einer unwirtschaftlichen Vermögensverschiebung muss aber in allen Fällen gelten, in denen sich gleichartige, d. h. in der Regel Geldforderungen gegenüberstehen. Das BGB selbst stellt ausdrücklich fest, dass die Herkunft der Forderungen irrelevant ist und es nur auf die Gleichartigkeit der Forderungen ankommt. Wenn keinem der beiden Forderungsinhabern ein überwiegendes Interesse an der Barleistung zusteht, der „Quasi-Vollstreckungscharakter“ einer Aufrechnung nicht im Wege steht und ein unwirtschaftliches Hin und Her von gleichartiger Leistung und Gegenleistung droht, lässt sich der Grundgedanke der Aufrechnung als allgemeiner Rechtsgedanke interpretieren. Es ist nicht ersichtlich, weshalb im öffentlichen Recht derlei Zweckmäßigkeitserwägungen nicht berücksichtigungsfähig sein sollten.47 3. Aufrechnung im öffentlichen Recht als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens Abschließend bleibt zu klären, ob die Aufrechnung im öffentlichen Recht durch analoge Anwendung oder als allgemeiner Rechtsgedanke Anwendung findet. Hierfür ist das Verhältnis zwischen der Figur der Analogie und des allgemeinem Rechtsgedankens ausschlaggebend. Entscheidend für das Rangverhältnis von Analogie und allgemeinem Rechtsgedanken ist, ob dem allgemeinen Rechtsgedanken eine unmittelbare Geltung als Rechtsquelle zukommt. In diesem Fall erübrigte sich ein Rückgriff auf eine Analogie, da keine Lücke mehr bestünde, die geschlossen werden müsste. Zwar wird dem allgemeinen Rechtsgedanken vereinzelt eine solche direkte Geltung abgesprochen. Stattdessen solle er bei der Frage nach einer Analogie als Indiz für eine vergleichbare Interessenlage herangezogen werden.48 Eine nähere Auseinandersetzung mit der dogmatischen Herleitung findet hierbei jedoch nicht statt. Überzeugender erscheint es, dem allgemeinen Rechtsgedanken auch in solchen Rechtsgebieten eine unmittelbare Geltung als Rechtsquelle zuzuerkennen, in denen er nicht ausdrücklich kodifiziert ist. Wenn man davon ausgeht, dass die allgemeinen Rechtsgedanken in ihrer Gesamtheit den „Allgemeinen Teil des Rechts“49 bilden, sind diese strikt von der Analogie zu trennen und nicht – im Rahmen der vergleichbaren Interessenlage – mit ihr zu vermengen. Dies gilt insbesondere für das 46 Zum Einwand des „dolo facit, qui petit, quod rediturus est“ als Rechtsgedanken hinter der Aufrechnung vgl. etwa RGZ 42, 138, (141 f.); Zimmermann, FS Medicus, S 707 (716) m.w.N. 47 So auch Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 63 f. 48 So etwa Herbsleb, Die Aufrechnung im Verwaltungsrecht, S. 3 ff. 49 Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 168.

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2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

Verwaltungsrecht, das nach wie vor weitaus weniger dicht normiert ist als das Zivilrecht. Der dem Verwaltungsverfahrensrecht im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten eher ferne rechtspositivistische Charakter50 spricht für eine unmittelbare Rechtsquellenfunktion des allgemeinen Rechtsgedankens.51 Der allgemeine Rechtsgedanke ist damit prioritär gegenüber der Analogie. Die §§ 387 ff. BGB gelten daher im öffentlichen Recht nicht im Wege der Analogie sondern unmittelbar und direkt als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens.

C. Modifikation der Aufrechnungsvoraussetzungen im Verwaltungsrecht Wie soeben gezeigt, ist der hinter den §§ 387 ff. BGB stehende Gedanke verallgemeinerungsfähig und als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens grundsätzlich auch im öffentlichen Recht anwendbar. Trotzdem stellt sich die Frage, ob einige Aufrechnungsvoraussetzungen einer Modifikation bedürfen, um nicht in Konflikt mit Grundsätzen des Verwaltungsrechts zu geraten.

I. Gegenseitigkeit der Forderungen Der Grundsatz, dass Aktiv- und Passivforderung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen müssen, dass also der Aufrechnende Gläubiger der Aktivforderung und Schuldner der Passivforderung, der Aufrechnungsgegner Schuldner der Aktivforderung und Gläubiger der Passivforderung sein muss, gilt ohne grundlegende Besonderheiten zum Zivilrecht auch im Verwaltungsrecht. 1. Kassenidentität, § 395 BGB Zu beachten ist jedoch zunächst die Regelung des § 395 BGB zur Kassenidentität. Danach ist eine Aufrechnung gegenüber der öffentlichen Hand nur dann zulässig, wenn die Forderung an dieselbe Kasse zu leisten ist, aus der die Forderung des Aufrechnenden zu erfolgen hat. Es wird nicht nur verlangt, dass derselbe Rechtsträger bzw. dieselbe öffentlich-rechtliche Körperschaft, sondern sogar dieselbe Kasse des Rechtsträgers betroffen ist.52 Als Kasse i.S.d. § 395 BGB gilt jede 50 Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 167, bemerkt, „nirgendwo wurde das positivistische Dogma von der Lückenlosigkeit des Rechts eindeutiger ad absurdum geführt als hier [i. e. im Verwaltungsrecht]“ – dies allerdings im Jahre 1973, also vor Erlass des VwVfG des Bundes, das am 1. 1. 1977 in Kraft trat. 51 Wie hier neben Forsthoff auch Menger/Erichsen, VerwArch. 61, S. 82 ff. (89 f.). 52 Gundlach/Frenzel/Schirrmeister, DZWIR 2004, S. 145 (146). Der Hinweis von Gaa, Die Aufrechnung im Öffentlichen Recht, S. 6, der BGH habe in der Entscheidung BGHZ 16,

C. Modifikation der Aufrechnungsvoraussetzungen im Verwaltungsrecht

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Amtsstelle des Bundes, eines Landes oder einer Gemeinde, die Geldbestände selbständig verwaltet.53 Die Vorschrift erschwert damit dem Bürger die Aufrechnung gegenüber dem Staat – umgekehrt soll der Grundsatz der Kassenidentität demgegenüber nicht gelten. Eine öffentlich-rechtliche Körperschaft kann ihrerseits aufrechnen, auch wenn verschiedene ihrer Kassen zuständig sind.54 Begründet wird die Regelung in den Motiven zum BGB mit administrativen Zweckmäßigkeiten und der Organisation der Staats- und Kommunalbehörden.55 Im öffentlichen Kassen- und Rechnungswesen soll eine „Verwirrung“56 vermieden werden, die dann auftreten könnte, wenn die Forderung gegen die öffentliche Hand von dieser aus einer anderen Kasse zu begleichen ist als aus der Kasse, an welche die eigentliche Leistung zu erfolgen hat.57 Dieses Argument verliert allerdings im Zuge der Vernetzung der IT-Systeme der Kassen58 sowie der immer stärkeren Konzentration auf immer weniger Bundeskassen zunehmend an Gewicht. Auch ist nicht erkennbar, warum diese Schwierigkeiten nur bei Aufrechnungen gegen den Staat, nicht aber auch im umgekehrten Fall eintreten sollen.59 Im Übrigen trifft der hinter § 395 BGB stehende Grund, die Verrechnung zwischen mehreren Kassen verursache Arbeitsaufwand, ebenso auf größere (Privat-) Unternehmen zu. Vieles spricht demnach rechtspolitisch dafür, das Fiskusprivileg des § 395 BGB entweder abzuschaffen oder aber seinen Anwendungsbereich zu verallgemeinern.60 Abschließend bleibt nicht zuletzt wegen der grundlegenden strukturellen Veränderungen im Kassenwesen des Bundes in den letzten zehn Jahren darauf hinzuweisen, dass die Kassenidentität im Zeitpunkt der AufrechnungserS. 124 ff. Aufrechnungen im Verhältnis zwischen Bürger und ein und derselben öffentlichrechtlichen Körperschaft ohne Rücksicht darauf zugelassen, welche Kasse zuständig sei, erscheint nicht nachvollziehbar; in der zitierten Entscheidung ist weder Kläger noch Beklagter eine öffentlich-rechtliche Körperschaft. 53 Gursky, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, § 395 Rn. 5; Schlüter, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 395 Rn. 2. Die Kassenorganisation des Bundes etwa ist zweistufig: Auf der oberen Ebene findet sich die sog. Zentralkasse, § 79 Abs. 2 BHO. Sie ist beim Kompetenzzentrum für das Kassen- und Rechnungswesen des Bundes eingerichtet, das seit dem 1. Januar 2006 bei der Oberfinanzdirektion Köln angesiedelt ist, vgl. § 79 BHO. Der Zentralkasse nachgeordnet sind mittlerweile nur noch vier sog. Bundeskassen in Trier, Halle/Saale, Weiden/Oberpfalz und Kiel. Die Kassenorganisation der Länder ist, mit Ausnahme von Bremen und Berlin, ebenfalls zweistufig aufgebaut. Die Gemeindeordnungen gehen hingegen von der sog. „Einheitskasse“ aus, die die kommunalen Einzahlungen annehmen, Auszahlungen leisten und diese buchen. Aus diesem Grund hat § 395 BGB dort nur einen marginalen Anwendungsbereich; zu den Restproblemen, etwa aufgrund kommunaler Eigenbetriebe Gundlach/ Frenzen/Schirrmeister, DZWIR 2004, S. 145 ff. 54 Schlüter, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 395 Rn. 1. 55 Mot. II, S. 114. 56 Burmester, Verrechnung von Steuerforderungen, S. 61. 57 RGZ 82, 232 (237). 58 Dazu schon bereits im Jahre 1977 Burmester, Verrechnung von Steuerforderungen, S. 64. 59 Burmester, Verrechnung von Steuerforderungen, S. 61. 60 So auch Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 275.

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2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

klärung vorliegen muss, nicht bereits in dem Zeitpunkt, in dem sich die Forderungen erstmals gegenüberstanden.61 2. § 395 BGB und das Abgabenrecht Es war längere Zeit unklar, ob das Erfordernis der Kassenidentität auch im Steuerund Abgabenrecht gilt.62 Für diesen Bereich bestimmt § 226 Abs. 1 AO, dass für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis die Vorschriften der § 387 ff. BGB sinngemäß gelten. Es fragt sich allerdings, ob damit auch die Regelung des § 395 BGB mit umfasst ist. Eine Aufrechnung gegen eine Steuerforderung wäre dann nur möglich, wenn die Forderung des Bürgers auch gegen eben diese Kasse gerichtet wäre. Seit einem Grundsatzurteil des BFH63 ist jedoch allgemein anerkannt, dass § 395 BGB keine Anwendung bei der Aufrechnung gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis findet. Vielmehr ist im Bereich dieser Schuldverhältnisse das Kriterium der Gegenseitigkeit der Forderungen durch § 226 Abs. 4 AO gelockert. Dieser bestimmt, dass als Aufrechnungsgegner nicht nur diejenige Körperschaft in Frage kommt, die die Ertragshoheit über die Steuer innehat, sondern dass eine Aufrechnung auch gegenüber der verwaltenden Körperschaft möglich ist. Damit wird der Kreis der Aufrechnungsgegner zugunsten des Bürgers erweitert – eine der Erschwernis des § 395 BGB widersprechende Regelung. § 395 BGB findet damit keine Beachtung im Steuer- und Abgabenrecht, sondern wird von § 226 AO verdrängt.64

II. Gleichartigkeit der Forderungen Bei der Frage der Gleichartigkeit der sich gegenüberstehenden Forderungen ergeben sich keine relevanten Abweichungen von den zivilrechtlichen Voraussetzungen. Es wird auch hier auf den Leistungsgegenstand abgestellt, der in den meisten möglichen Fällen auf Geld lautet. Die Ansicht, die privatrechtliche und öffentlichrechtliche Forderungen nicht als gleichwertig und damit auch nicht als gleichartig ansehen wollte, hat sich, wie bereits gezeigt, zu Recht nicht durchgesetzt.65 Das Merkmal der Gleichartigkeit entfällt auch nicht dann, wenn ein Bürger gegen eine Forderung aufrechnet, die in einem forderungsbegründenden Verwaltungsakt66 61

Hierzu Gursky, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, § 395 Rn. 7 f. Damals für die Anwendung der Kassenidentität auch im Abgabenrecht etwa Bublitz, DStR 1988, S. 313 (315). 63 BFH, NVwZ-RR 1990, S. 523 ff. 64 So auch Rüsken, in: Klein, AO, § 226 Rn. 16; Gundlach/Frenzen/Schirrmeister, DZWIR 2004, S. 145 (146); Gursky, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, § 395 Rn. 9. 65 Vgl. hierzu 2. Teil B. 66 Zur Unterscheidung von forderungsbegründendem und forderungsfeststellendem Verwaltungsakt siehe 2. Teil C. III. 1. 62

C. Modifikation der Aufrechnungsvoraussetzungen im Verwaltungsrecht

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festgestellt wurde. Abstrakt ließe sich argumentieren, Leistungsgegenstand sei die Erfüllung der Pflicht aus dem Verwaltungsakt und nicht konkret die Zahlung einer bestimmten Geldsumme. Auf diese Weise würde jedoch der Schuldgrund mit dem Leistungsgegenstand verwechselt. Für die Frage der Gleichartigkeit ist aber stets auf den Gegenstand der Tilgungshandlung abzustellen.67

III. Fälligkeit und Vollwirksamkeit der Aktivforderung Das Merkmal der Fälligkeit und Vollwirksamkeit weist für den Fall, dass die Aktivforderung eine öffentlich-rechtliche Forderung ist, einige Besonderheiten auf. Vorangestellt sei, dass ebenso wie im Zivilrecht auch im öffentlichen Recht nur derjenige, der über eine durchsetzbare und vollwirksame Forderung verfügt, das Recht zur Aufrechnung hat. Auch hier bildet der Zeitpunkt der Fälligkeit die zeitliche, die Vollwirksamkeit der Forderung die sachliche Schranke der Aufrechnung. 1. Zeitliche Schranke: Fälligkeit von öffentlich-rechtlichen Forderungen Die eingangs erwähnten Besonderheiten gegenüber dem Zivilrecht betreffen insbesondere den Zeitpunkt der Fälligkeit öffentlich-rechtlicher Forderungen. Ausgangspunkt der Frage nach der Fälligkeit ist die Differenzierung hinsichtlich des Rechts- bzw. Schuldgrunds, um den Zeitpunkt der Entstehung des öffentlichrechtlichen Schuldverhältnisses zu bestimmen. Eine öffentlich-rechtliche Forderung kann entweder unmittelbar durch Gesetz oder erst konkretisiert durch einen Verwaltungsakt oder aufgrund eines öffentlichrechtlichen Vertrags entstehen. Möglich ist auch eine Kombination der Rechtsgründe aus gesetzlicher Anspruchsgrundlage und notwendiger konkreter Festsetzung durch Verwaltungsakt. Im Falle einer Forderungsentstehung aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Vertrags bestehen keine besonderen Schwierigkeiten: § 62 S. 2 VwVfG erklärt die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften für ergänzend anwendbar. Damit ist die Frage der Forderungsentstehung anhand der Regelung des § 271 BGB, d. h. Fälligkeit „im Zweifel sofort“, zu beantworten. Schwieriger wird es, wenn eine Forderung einseitig hoheitlich, also kraft Gesetzes oder durch Verwaltungsakt entsteht. Fraglich ist zunächst die Fälligkeit von unmittelbar aus dem Gesetz stammenden Forderungen. Zwar kennt das besondere Verwaltungsrecht vereinzelt Vorschriften, die ausdrücklich diese Frage regeln. So bestimmt etwa § 41 SGB I, dass Ansprüche auf Sozialleistungen mit ihrem Entstehen fällig werden, und gem. § 40 Abs. 1 SGB I entstehen 67

Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 91.

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diese Ansprüche, wenn ihre tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Fälligkeit der Forderung tritt also im Moment der Erfüllung des Tatbestands ein. Eine ähnliche Regelung findet sich in § 220 Abs. 2 S. 1 AO für das Steuerrecht. In den meisten Fällen existiert aber keine derart bestimmte Regelung. Dennoch ist auch bei fehlender gesetzlicher Bestimmung des Entstehungszeitpunkts davon auszugehen, dass sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende öffentlich-rechtliche Forderungen im Moment des Eintritts aller spezifischen Tatbestandsvoraussetzungen entstehen und fällig sind. Dies gilt zumindest für alle Fälle, in denen eine Norm das Entstehen einer Forderung nicht von einer behördlichen Ermessenentscheidung bzw. eines gestaltenden Verwaltungsakts abhängig macht.68 Somit ist nur noch die Frage nach der Fälligkeit von Forderungen offen, die erst einer Konkretisierung durch einen Verwaltungsakt bedürfen. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen einerseits forderungsbegründenden, konstitutiven und andererseits forderungsfeststellenden, deklaratorischen Verwaltungsakten. Als forderungsbegründend sind solche Verwaltungsakte zu verstehen, die am Ende einer Ermessensentscheidung stehen und etwa einen bestimmten Geldbetrag erst festsetzen. Feststellende Verwaltungsakte hingegen geben lediglich eine sich bereits aus dem Gesetz ergebende Rechtslage verbindlich wieder.69 Die Lösung der Fälligkeitsfrage liegt damit auf der Hand: Forderungsfeststellende Verwaltungsakte setzen einen Geldbetrag erst fest, der sich in der konkreten Höhe aus dem Gesetz nicht unmittelbar ergibt. Ein solcher Verwaltungsakt bringt die Forderung des Staates erst hervor. Die Fälligkeit der Forderung kann damit erst im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts eintreten. Bei lediglich feststellenden Verwaltungsakten fehlt aber eine Betätigung behördlichen Willens. Hier kann der Verwaltungsakt nur dann Fälligkeitsvoraussetzung der Forderung sein, wenn dies gesetzlich ausdrücklich so angeordnet ist. Er hat keinen Einfluss auf die Forderungsbegründung, sondern lediglich eine klarstellende Funktion.70 Es bleibt deshalb bei dem Grundsatz, dass unmittelbar kraft gesetzlicher Anordnung begründete Forderungen mit Erfüllung des Tatbestands fällig werden.71 2. Sachliche Schranke: Vollwirksamkeit der öffentlich-rechtlichen Forderung § 390 BGB ist insoweit entsprechend anwendbar, als auch bei der Aufrechnung im Verwaltungsrecht der Aktivforderung keine Einreden entgegenstehen dürfen. Einzig die Einrede der Verjährung steht einer Aufrechnung nicht entgegen, soweit die Forderung im Zeitpunkt der Aufrechnungslage noch nicht verjährt war, § 215 BGB.

68 69 70 71

Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 74. Randak, JuS 1992, S. 33 (37). Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 75. Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 76.

C. Modifikation der Aufrechnungsvoraussetzungen im Verwaltungsrecht

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Fraglich ist allerdings die grundsätzliche Existenz von Einreden im Verwaltungsrecht. So könnte man aus dem Untersuchungsgrundsatz im öffentlichen Recht72 folgern, dass Einreden schon begrifflich ausgeschlossen sind. Wo der Untersuchungs- und nicht der Beibringungsgrundsatz gilt, könnte die Behörde schon von Amts wegen alle Einreden des Bürgers gegen ihre Aktivforderungen berücksichtigen müssen. Die Verjährung könnte weniger als Einrede denn als Ausschlussfrist aufgefasst werden.73 Für diese Abweichung zum Zivilrecht sind allerdings keine überzeugenden Gründe ersichtlich. Dies ergibt sich bereits aus der Systematik der öffentlichrechtlichen Normen zur Verjährung. Denn der Gesetzgeber hat die Fälle geregelt, in denen er die Verjährung einer Forderung als Ausschlussgrund ansieht.74 Aus diesen Normen mit Ausnahmecharakter lässt sich jedoch keinesfalls schließen, dass generell die Verwaltung nicht mit einer verjährten Forderung aufrechnen darf.75 Im Gegensatz zur zeitlichen Schranke der Aufrechnung ergeben sich bei der sachlichen Schranke somit keine Unterschiede zum Zivilrecht.

IV. Erfüllbarkeit der Passivforderung Auch im öffentlichen Recht richtet sich die Frage nach der Erfüllbarkeit einer Forderung nach § 271 BGB. Zwar wurden vereinzelt Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer staatlichen Aufrechnungserklärung für den Fall geäußert, dass die Passivforderung des Bürgers gegen die öffentliche Hand eben nur erfüllbar, aber noch nicht fällig ist. Die Behörde erfülle nämlich in einem derartigen Fall etwas, was der Bürger von ihr noch gar nicht verlangen könne. Der Staat dürfe aber grundsätzlich nichts verschenken.76 Da die Fälligkeit in aller Regel jedoch ohnehin im Laufe der Zeit eintritt, ist es überzeugender, der öffentlichen Hand die Leistungserfüllung auch schon vor Eintritt der Fälligkeit zu ermöglichen, wenn ihr dies im Rahmen einer Aufrechnung angemessen erscheint.77

72 § 24 VwVfG für das Verwaltungsverfahren, § 86 VwGO für das verwaltungsgerichtliche Verfahren. 73 Dies scheint Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 193 so zu sehen. 74 So erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gem. § 47 AO mit dem Zeitpunkt der Verjährung. 75 So im Ergebnis auch Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 83. 76 So das Argument von Schmidt, JuS 1984, S. 28 (30). 77 Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 68.

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2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

V. Aufrechnungseinschränkungen 1. Anwendbarkeit der bürgerlich-rechtlichen Aufrechnungsverbote Die zivilrechtlichen Aufrechnungsverbote der §§ 393 f. BGB gelten auch im Rahmen der Aufrechnung durch die Verwaltung.78 Das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB, wonach unpfändbare Forderungen von der Aufrechnung ausgeschlossen sind, wird zwar teilweise in einigen Gesetzen spezieller geregelt, widerspricht dort inhaltlich aber nicht der ratio des § 394 BGB.79 2. Liquidität der Aktivforderung des Bürgers als Aufrechnungsproblem Als spezifisches Aufrechnungshindernis im Verwaltungsrecht wird zudem diskutiert, ob sich die Aufrechnungsbefugnis des Bürgers nur auf ihm sicher zustehende Forderungen beschränkt. Dieses mögliche Aufrechnungshindernis wird unter dem Begriff der „Liquidität“ der Aktivforderung diskutiert. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob der Bürger nur mit einer entweder gerichtlich festgestellten oder zumindest vom staatlichen Aufrechnungsgegner nicht bestrittenen Forderung aufrechnen darf. So sieht es etwa für das Steuerschuldverhältnis § 226 Abs. 3 AO vor.80 Danach darf der Steuerpflichtige gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten (privat- oder öffentlich-rechtlichen81) Gegenansprüchen aufrechnen. Ein vergleichbarer allgemeingültiger Verwaltungsrechtssatz zugunsten des Staates fehlt indes. Dennoch könnte man den Gedanke des § 226 Abs. 3 AO als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens oder zumindest als analogiefähig interpretieren.82 Denkbar wäre, die Liquidität der Aktivforderung für alle Aufrechnungskonstellationen zu fordern, in denen dem Staat über das Steuerschuldverhältnis hinaus eine sonstige abgabenrechtliche Forderung i.S.v. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO zusteht. Danach entfällt bei Widerspruch und Anfechtungsklage gegen öffentliche Abgaben- und Kostenbescheide die aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass der Bürger die Zahlungsforderung in jedem Fall zunächst erfüllen muss. Sinn und Zweck des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO ist es, die Finanzierung notwendiger öffentlicher Aufgaben nicht zu gefährden.83 Es soll eine geordnete Haushaltsplanung ermöglicht werden, für die der stetige Zufluss von 78 Vgl. de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 464 f.; Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 93; Pietzner, VerwArch. 73 (1982), S. 459 ff. 79 Vgl. etwa § 11 Abs. 2 BBesG zum Beamtenrecht oder §§ 51 ff. SGB I zum Sozialrecht. 80 § 8 Abs. 1 S. 2 JBeitrO sieht eine ähnliche Regelung vor: Hier muss die gegen die staatlichen Ansprüche gem. § 1 Abs. 1 JBeitrO gerichtete Aktivforderung anerkannt oder gerichtlich festgestellt sein. 81 Fritsch in: Koenig, AO, § 226 Rn. 31; Rüsken, in: Klein, AO, § 226 Rn. 38 f. 82 Angesprochen bei Pietzner, VerwArch. 74 (1983), S. 59 (60). 83 Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 56.

C. Modifikation der Aufrechnungsvoraussetzungen im Verwaltungsrecht

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kalkulierten Einnahmen eine wichtige Voraussetzung ist.84 Aus dieser Sonderstellung von öffentlich-rechtlichen Abgabenforderungen könnte gefolgert werden, dass die Idee des § 226 Abs. 3 AO auch für alle in § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO angesprochenen Kosten und Abgaben gelten muss und der Bürger nicht durch das Entgegenhalten von zweifelhaften Forderungen dem Staat dringende Einnahmen vorenthalten darf.85 Denn ansonsten träte die unerwünschte Verzögerung wieder ein. Ein solches umfassendes „privilegium fisci“86 als genereller Aufrechnungsschutz für die öffentliche Hand wird inzwischen nicht mehr vertreten. Zwar liegt der Auffassung der nachvollziehbare Gedanke zugrunde, dass der Staat die Barmittel erhalten soll, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Diese sollten ihm nicht durch bloße Forderungsbehauptungen des Bürgers entzogen bzw. vorenthalten werden. Problematisch daran ist aber bereits die Tatsache, dass der staatlichen Rechtsauffassung im Hinblick auf Bestehen und Umfang der Aktivforderung größere Bedeutung als der des Bürgers beigemessen wird.87 Die generelle Forderung nach der Liquidität der Aktivforderung läuft letztlich wieder auf den überholten Gedanken der inkommensurablen Größen beider Forderungen hinaus. Das Liquiditätserfordernis erweist sich im Übrigen insgesamt als praktisch nicht erforderlich und verspricht auf den ersten Blick mehr als es letztlich zu halten vermag. Denn der öffentlichen Hand erwächst bei genauerem Hinsehen kein Nachteil durch die uneingeschränkte Zulässigkeit der Aufrechnung. Zwar ist es von Vorteil für die Verwaltung, illiquide Aufrechnungseinwände kurzerhand aus dem Verfahren verweisen zu können.88 Wenn aber die Behörde die Aktivforderung des Bürgers für nicht rechtmäßig hält, kann sie ihre eigene Forderung trotz Aufrechnungserklärung des Bürgers weiterhin im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchsetzen. Dagegen wird sich zwar der Bürger unter Hinweis auf seine Aufrechnung womöglich zur Wehr setzen und der Behörde im Ergebnis die benötigten Barmittel vorenthalten. Diese Gefahr besteht aber immer, und zwar unabhängig davon, ob man die Aufrechnung zulässt oder nicht. Der Streit um das Bestehen der Aktivforderung wird somit ohnehin in einem späteren gerichtlichen Verfahren entschieden. Daran ändert es nichts, ob man die Liquidität der Aktivforderung als Aufrechnungsvoraussetzung ansieht oder nicht.89 Einer Übertragung des Gedankens des § 226 Abs. 3 AO auf alle staatlichen Geldforde-

84

Puttler, in: Sodan/Ziekow, Kommentar zur VwGO, § 80 Rn. 55. So etwa der BayVGH, BayVBl. 1973, 531 (531) zu § 124 RAO, der Vorgängernorm des § 226 AO. 86 Vgl. zum „privilegium fisci“ insbesondere Pietzner, VerwArch. 73 (1982), S. 453. Auch galt vor Erlass des BGB im Gemeinen Recht ein allgemeines Liquiditätserfordernis, Ennecerus/ Lehmann, Schuldverhältnisse, S. 285. 87 Siehe dazu Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 96. 88 Pietzner, VerwArch. 74 (1983), S. 60. 89 Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 100 f. 85

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2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

rungen bzw. auch nur auf alle dem Abgabenrecht unterfallenden Forderungen ist daher abzulehnen.90

D. Aufrechnung und Handlungsformenlehre Zu den umstrittensten Aspekten der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat gehört die Frage, ob die Erklärung der Aufrechnung im Verwaltungsrecht als Verwaltungsakt oder als bloße (verwaltungsrechtliche) Willenserklärung zu qualifizieren ist.91 Eine korrekte Einordnung ist nicht zuletzt von praktischer Relevanz, hängt doch die Frage nach dem richtigen Rechtsschutz des Bürgers entscheidend von ihr ab.

I. Aufrechnungserklärung des Bürgers als Willenserklärung Keine Schwierigkeiten bereitet die Einordnung einer öffentlich-rechtlichen Aufrechnung, wenn der Bürger gegenüber dem Staat aufrechnet. In diesem Fall kann die Aufrechnungserklärung ohnehin kein Verwaltungsakt, sondern nur Willenserklärung sein.

II. Qualifizierung der Aufrechnungserklärung der Behörde Ebenfalls unproblematisch stellt sich die Lage dar, wenn die Behörde mit einer privatrechtrechtlichen Forderung aufrechnet: Da die Verwaltung nur ihr aus dem öffentlichen Recht zustehende Ansprüche durch Verwaltungsakt durchsetzen kann, liegt im Falle einer behördlichen privatrechtlichen Aktivforderung stets eine Willenserklärung der Behörde vor. Größere Schwierigkeiten bereitet hingegen die behördliche Aufrechnung mit einer öffentlich-rechtlichen Forderung. 90

BGHZ 16, 124 (129); de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 450 f.; Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 100; Pietzner, VerwArch. 74 (1983), S. 63 ff. 91 Umfassend hierzu Hermann, Aufrechnung im Steuerrecht, S. 88 ff bzw. 103 ff. Die Verwaltungsaktsqualität bejahen etwa Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 204 Fn. 1; Schmidt, JuS 1984, S. 28 (32 f.); FG Hamburg, NVwZ 1984, S. 200; früher auch BVerwGE 8, 261 (262); 11, 282; ablehnend hingegen jetzt BVerwGE 66, 218 (220); Ehlers, NVwZ 1983, S. 446 (446); Rüsken, in: Klein, AO, § 226 Rn. 5; Robbers, DÖV 1987, S. 272 (279); Pietzner, VerwArch. 73 (1982), S. 453 (453 ff.); Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 127 ff.; Hartmann, Aufrechnung im Verwaltungsrecht, S. 119 ff.; Herbsleb, Die Aufrechnung im Verwaltungsrecht, S. 44.

D. Aufrechnung und Handlungsformenlehre

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1. Kein Ausschluss eines Verwaltungsakts wegen fehlender Verwaltungsaktsbefugnis Eine Einordnung der Aufrechnungserklärung als Verwaltungsakt scheitert nicht bereits daran, dass die Behörde nicht ausdrücklich die Befugnis zum Erlass einer Aufrechnungserklärung in Verwaltungsaktsform besitzt.92 Zwar wird teilweise mit dem Hinweis auf die Titel-93 oder die Individualisierungs- und Konkretisierungsfunktion94 eines Verwaltungsakts die Ansicht vertreten, dass eine Behörde nur dann den Verwaltungsakt als Handlungsform wählen darf, wenn sie dazu ausdrücklich ermächtigt ist. Der Einsatz der Handlungsform Verwaltungsakt weise einen eigenen Eingriffswert auf. Da Belastungen des Bürgers bzw. Eingriffe in Grundrechte nur auf Grund eines Gesetzes vorgenommen werden dürften, gälten der Vorrang und der Vorbehalt des Gesetzes nicht nur hinsichtlich des Inhalts, sondern auch hinsichtlich der Form des Verwaltungshandelns.95 Dem ist im Hinblick auf den Vorrang des Gesetzes zuzustimmen. Ge- oder verbietet eine Norm der Verwaltung den Gebrauch der Handlungsform des Verwaltungsakts, so hat sie sich fraglos danach zu richten. Schwieriger ist dies allerdings im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes im Sinne der Erforderlichkeit einer besonderen gesetzlichen Grundlage für das Verwaltungshandeln.96 Unproblematisch gilt der Vorbehalt des Gesetzes in Bezug auf den Inhalt des Verwaltungsakts. Es ginge allerdings zu weit, auch für den Gebrauch der Form des Verwaltungsakts stets eine spezielle gesetzliche Ermächtigung zu fordern. Es ist zwar richtig, dass die Aspekte der Bestandskraft und der Titelfunktion eines Verwaltungsakts Spezifika sind, die zugunsten des Staates und zulasten des einzelnen Bürgers wirken. Allerdings stellen diese weder bereits einen Eingriff in ein Grundrecht dar, noch unterliegt die Entscheidung über die Wahl eines Verwaltungsakts der Wesentlichkeitstheorie. Beide den Vorbehalt des Gesetzes stützende Begründungssäulen, die rechtstaatliche und die demokratische, kommen damit nicht zum Tragen. Die Eingriffsqualität eines Verwaltungsakts wird zwar zuweilen dadurch begründet, dass der Bürger gezwungen sei, sich auch gegen einen offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakt97 zur Wehr zu setzen, um die drohende Bestandskraft und damit dauernde Rechtswirksamkeit 92 Vgl. zur VA-Befugnis umfassend Schmidt-Aßmann, DVBl. 1989, S. 533 ff.; Druschel, Verwaltungsaktsbefugnis, S. 33 ff.; Fischer, VA als staatsrechtlich determinierte Handlungsform, S. 51 ff. 93 OVG Lüneburg, NJW 1996, S. 2947 (2947). 94 OVG Münster, DVBl. 1993, 1321 (1322); Arbeiter, Die Durchsetzung gesetzlicher Pflichten, S. 139. 95 So etwa U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 25; OVG Lüneburg, NJW 1996, S. 2947 (2947). 96 Vgl. hierzu O. Mayer, Verwaltungsrecht I, S. 69 f.; Schmidt-Aßmann in: HbdStR, Band II, § 26 Rn. 63 ff.; Ohler, AöR 131 (2006), S. 336 (341 ff.). 97 Der jedoch noch nicht die evidente Rechtswidrigkeitsgrenze des § 44 VwVfG erreicht und ansonsten bereits nichtig wäre.

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2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

des Verwaltungsakts zu verhindern.98 Die so dem Bürger auferlegte Anfechtungslast stelle dann einen Eingriff zumindest in Art. 2 Abs. 1 GG dar. Dagegen spricht aber bereits, dass ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG nur im Falle von belastenden Verwaltungsakten vorliegt. Bei begünstigenden Verwaltungsakten lässt sich die Argumentation schon nicht mehr aufrechterhalten. Ohnehin erscheint fraglich, den Verwaltungsakt per se als für den Bürger nachteilig zu interpretieren. So ist etwa dessen Rechtschutzschutzfunktion für den Bürger in der Regel von Vorteil. Danach hat die Verwaltung etwa vor Erlass des Verwaltungsakts den Bürger gem. § 28 Abs. 1 VwVfG anzuhören und zu beteiligen. Sie muss ihre Entscheidung schriftlich begründen, § 39 Abs. 1 VwVfG, und dem Bürger Akteneinsicht gewähren, § 29 VwVfG. Deshalb wird teilweise sogar eher dann von einem behördlichen Missbrauch bei der Handlungsformenwahl gesprochen werden können, wenn die Behörde den Verwaltungsakt gerade nicht wählt. Bisweilen verzichten Behörden bewusst auf die Wahl des Verwaltungsakts, weil sie mit anderen Handlungsformen wie etwa einer privatrechtlichen „Rechnung“ ihre Forderungen erfolgreicher und effektiver eintreiben können.99 Auch die Tatsache, dass der Verwaltungsakt nach wie vor die zentrale Handlungsform der Verwaltung ist, spricht eher gegen das Erfordernis einer speziellen „VA-Befugnis“. Denn die rechtsstaatliche Säule des Vorbehalts des Gesetzes soll insbesondere gewährleisten, dass das Verwaltungshandeln eindeutig und berechenbar ist.100 Es dürfte für den Bürger aber nicht überraschend sein, dass eine Behörde in Form des Verwaltungsakts handelt. Es erscheint vielmehr widersprüchlich, wenn die Verwaltung einerseits per Gesetz zum Handeln im konkreten Fall ermächtigt bzw. verpflichtet, andererseits aber mangels gesetzlicher Spezialbestimmung nicht zum Handeln in ihrer „ureigensten und primären Handlungsform“101 befähigt wäre. Es ist aus diesen Gründen davon auszugehen, dass die gesetzliche Ermächtigung der Verwaltung, kraft hoheitlicher Gewalt tätig zu werden und zu handeln, die Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt grundsätzlich einschließt.102 Gerade am Beispiel der Aufrechnungserklärung zeigt sich zudem, dass eine Argumentation mit der „lästigen“ Anfechtungslast nur auf den ersten Blick tragfähig ist. Auch bei einer Qualifikation der Aufrechnungserklärung als bloße Willenserklärung müsste der Bürger sich gegen die Erklärung wehren. Er müsste weiterhin und in letzter Konsequenz gerichtlich Zahlung verlangen. Eine Anfechtungslast obliegt ihm so oder so. Der Unterschied liegt allein darin, dass der Bürger im Falle des 98

So etwa Druschel, Die Verwaltungsaktsbefugnis, S. 54 ff. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 27b mit Beispielen. 100 Voßkuhle, JuS 2007, S. 118 (118). 101 Glose, DÖV 1990, S. 146 (147). 102 So auch Maurer, Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 5; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 28; Bull/Mehde, Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre, § 18 Rn. 680 f. Vorsichtig zustimmend auch Weidemann, DVBl. 1981, S. 113 (117), Fn. 54. 99

D. Aufrechnung und Handlungsformenlehre

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Widerspruchs gegen einen Verwaltungsakt an die Monatsfrist des § 70 VwGO gebunden ist, wohingegen im Falle der Aufrechnungserklärung als bloßer Willenserklärung er die Erfüllung seiner ursprünglichen Forderung noch bis zum Ablauf der üblichen Verjährungszeit von drei Jahren gem. § 195 BGB verlangen kann. 2. Qualifikation anhand der äußeren Form Versieht die Verwaltung ihre Aufrechnungserklärung mit Begriffen wie „Bescheid“ oder „Verfügung“ oder fügt sie die in § 58 VwGO für Verwaltungsakte vorgesehene Rechtsbehelfsbelehrung bei, so stellt sie damit klar, dass sie ihre Handlung als Verwaltungsakt verstanden wissen will. Die Handlung gilt dann zumindest formell als Verwaltungsakt, gegen den sich der Bürger mit Widerspruch und Anfechtungsklage zur Wehr setzen kann. Da Verwaltungsakte empfangsbedürftig sind, kommt es für ihre Auslegung auf den Empfängerhorizont an. Dies gilt sowohl für den Inhalt der Erklärung als auch für die Frage, ob eine behördliche Handlung Verwaltungsakt ist.103 Die Behörde muss sich den von ihr gesetzten Rechtsschein zurechnen lassen,104 sodass die Handlungsform zwar nicht materiell als Verwaltungsakt i.S.v. § 35 VwVfG aber dennoch als Verwaltungsakt i.S.d. VwGO gilt.105 Das Verwaltungsgericht hebt die als Verwaltungsakt erlassene Maßnahme dann auf, wenn sich im Rahmen der Begründetheitsprüfung ergibt, dass die Aufrechnungserklärung nicht die Tatbestandsmerkmale eines Verwaltungsakts i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG erfüllt.106 3. Auslegung der Aufrechnungserklärung Fehlt eine äußere Bezeichnung der Erklärung durch die Behörde, ist die Einordnung aufgrund des Inhalts der Aufrechnungserklärung vorzunehmen. Dabei sprechen sowohl die Auslegung einer Aufrechnungserklärung anhand der Tatbestandsmerkmale des § 35 S. 1 VwVfG107 als auch eine Qualifikation anhand der spezifischen Rechtswirkungen von Verwaltungsakten im Ergebnis für eine Einord-

103 BVerwGE 12, 87, 91; Ruffert, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 15. 104 U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 16. 105 U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 16. A.A. etwa (formelle, unter die VwGO fallende VA sind auch VA i.S.d. § 35 VwVfG) BVerwGE 84, 274 (275). 106 Dies ist ganz h.M., vgl. dazu BVerwGE 18, 1 (4 f.); Maurer, Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 8; ausf. auch U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 16 ff. Vgl. zur Finanzgerichtsbarkeit BFHE 149, 482 (489). 107 Die Definitionen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder weichen hiervon nicht ab, so dass im folgenden allein auf das VwVfG des Bundes abgestellt werden kann; die Begriffsbestimmungen in § 31 SGB X und § 118 AO sind ebenfalls gleichlautend.

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2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

nung der Aufrechnungserklärung als bloße verwaltungsrechtliche Willenserklärung.108 a) Tatbestandsmerkmale des § 35 S. 1 VwVfG Dass die Aufrechnungserklärung einer Behörde eine behördliche Maßnahme ist, die einen Einzelfall betrifft und über Außenwirkung verfügt, ist unbestritten. Fraglich ist allein das Merkmal der Regelung i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG. b) Fehlende Regelungswirkung der Aufrechnungserklärung Eine staatliche Maßnahme hat dann den Charakter einer Regelung i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG, wenn die Verwaltung einen Lebenssachverhalt derart einseitig, hoheitlich und verbindlich regelt, dass sie dabei eine Rechtsfolge setzt.109 Die Rechtsfolge kann darin bestehen, dass einzelne Rechte oder Pflichten begründet, geändert oder aufgehoben werden.110 Nach der bekannten Formel Otto Mayers soll der Verwaltungsakt festlegen, „was […] Rechts sein soll“.111 Durch das Kriterium der Regelung wird der Verwaltungsakt insbesondere abgegrenzt von den bloßen Realakten sowie von verfahrensrechtlichen Vorbereitungshandlungen. Eine Regelungswirkung wird von einigen mit der Gestaltungswirkung der Aufrechnung zu begründen versucht: Da die beiden gegenüberstehenden Forderungen erlöschen, regele die Behörde durch die Aufrechnungserklärung einen Lebenssachverhalt, entscheide über das Ob und die Höhe der Aufrechnung und setze somit eine verbindliche Rechtsfolge.112 Diese Argumentation überzeugt indes nicht. Denn die rechtsgestaltende Wirkung der Aufrechnung tritt ipso iure ein, ebenso wie dies bei der Aufrechnungserklärung durch den Bürger der Fall wäre. Die Erklärung der Behörde erfolgt nicht aus einer spezifisch hoheitlichen Position. Die Regelung i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG muss aber einen hoheitlichen Charakter haben, also von dem Träger öffentlicher Gewalt in Wahrnehmung seiner Zuständigkeit zu verbindlichem

108 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Begriffe „Verwaltungsakt“ und „verwaltungsrechtliche Willenserklärung“ kein Gegensatzpaar bilden. Der Verwaltungsakt ist vielmehr (auch) eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung, die nur bestimmte zusätzliche Merkmale aufweist, vgl. Ruffert, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 15; Burmester, Verrechnung von Steuerforderungen, S. 94. Kritisch zur Verbindung staatlichen Handelns mit Begriffen wie „Willen“, „Meinung“ oder „Wunsch“ der Verwaltung hingegen Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 205 ff. 109 BVerwG, NJW 1985, 1302 (1303); U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 141 f.; Weidemann, DVBl. 1981, 113 (115). 110 Maurer, Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 6; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 141; Bull/Mehde, Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre, § 18 Rn. 689. 111 O. Mayer, Verwaltungsrecht I, S. 92. 112 So etwa OVG Münster, ZBR 1966, S. 307 (308).

D. Aufrechnung und Handlungsformenlehre

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einseitigem Handeln getroffen werden.113 Auch die Kündigung oder die Anfechtung eines verwaltungsrechtlichen Vertrags durch die Behörde ist eine behördliche Maßnahme mit Gestaltungswirkung und trotzdem unstreitig kein Verwaltungsakt, sondern eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung. Das Merkmal der Gestaltungswirkung kann demnach nicht entscheidend sein.114 Ein weiterer Ansatzpunkt zur Begründung einer Regelungswirkung geht davon aus, dass jeder behördlichen Aufrechnungserklärung die Entscheidung vorausgehe, von der Möglichkeit einer Aufrechnung Gebrauch zu machen. Dieser Entscheidungsprozess mit dem am Ende gefundenen und dann dem Bürger gegenüber ausgeführten Ergebnis stelle die in § 35 S. 1 VwVfG gemeinte Regelung dar.115 Auch diese zweite Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Alle bewussten Handlungen beruhen auf einer vorausgehenden Entscheidung. Jeder behördlichen Maßnahme geht ein Entscheidungsprozess vor. Auch vor der Durchführung eines Realakts muss die Behörde sich vorher dazu entschließen. Die bloße Entscheidung, ob von einer Handlungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird oder nicht, kann daher niemals eine verwaltungsaktsbegründende Regelung sein.116 Die Rechtsfolgen eines Verwaltungsakts sprechen vielmehr gegen die Qualifizierung der Aufrechnungserklärung als Verwaltungsakt. Eine Aufrechnung wäre nämlich nach einem Monat bestandskräftig und die Forderung des Bürgers in Höhe der Aktivforderung erloschen, selbst wenn eine behördliche Forderung gar nicht bestanden hätte. Das Merkmal eines Verwaltungsakts, die Bestandskraft trotz Rechtswidrigkeit, wäre mit dem Sinn und Zweck einer Aufrechnung nur schwer zu vereinbaren.117 Zwar kommt es etwa in der Praxis des Sozial- und Beamtenrechts häufig vor, dass die Behörde gleichzeitig mit der Aufrechnungserklärung eine neue Höhe der Bezüge oder der Transferzahlungen, also weitere Rechtsfolgen festlegt. Der mögliche Verwaltungsaktcharakter dieser Entscheidung ist aber getrennt von der Frage nach dem Charakter einer isolierten Aufrechnungserklärung zu beurteilen.118

113 Ehlers, NVwZ 1983, S. 446 (448); Ruffert, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 17; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 138. 114 Ausführlich hierzu Weidemann, DVBl. 1981, S. 113 (115) m.w.N. 115 OVG Münster, OVGE 30, 48 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, VerwRspr 22, S. 410. Speziell für den Bereich des Sozialrechts vom Rath, DÖV 2010, 180 (182 f.). 116 Weidemann, DVBl. 1981, S. 113 (114); Ehlers, NVwZ 1983, S. 446 (448); Glose, DÖV 1990, S. 146 (148). 117 Vgl. dazu ausführlicher Ehlers, NVwZ 1983, S. 446 (449). Dieser Aspekt spricht auch gegen das Verständnis der Aufrechnungserklärung als „bloßer feststellender“ Verwaltungsakt. 118 Angedeutet aber offengelassen in BSGE 143 (146); vgl. auch de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 468 f.; Ehlers, NVwZ 1983, S. 446 (448); Ebsen, DÖV 1982, S. 389 (395 f.).

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2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

c) Uneinheitlichkeit höchstrichterlicher Rechtsprechung Auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung der drei Gerichtsbarkeiten für das öffentliche Recht war die Einordnung der behördlichen Aufrechnungserklärung lange Zeit unklar und ist teilweise noch bis heute uneinheitlich. Das Bundesverwaltungsgericht119 und in Folge der Bundesfinanzhof120 stufen die Aufrechnungserklärung der Behörde seit Anfang der 1980er Jahre nicht mehr als Verwaltungsakt ein. Grund für den stattgefundenen Rechtsprechungswandel dürfte eine gewisse „Ergebnisorientierung“ der Urteilsfindung im Zusammenhang mit dem eingetretenen Wandel der Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsakts sein.121 Denn bis in die 1960er Jahre tritt die Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsakts zunächst in den Mittelpunkt der Betrachtung der Verwaltungsaktfunktionen. Zu dieser Zeit war verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz vom Vorliegen eines Verwaltungsakts abhängig. Dieses Problem hatte sich im Laufe der Zeit marginalisiert, nachdem der Kerngehalt von Art. 19 Abs. 4 GG in der Gerichtspraxis angemessene Beachtung fand und der Rechtsschutz gegen Verwaltungshandeln sich weiter ausdifferenzierte. Ein „Hineinpressen“ von Verwaltungshandeln in Verwaltungsaktsform war nicht mehr nötig, um dem Bürger Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten zu gewährleisten.122 Dies mag auch immer noch die Erklärung dafür sein, warum das Bundessozialgericht von der Rechtsprechung der beiden anderen Bundesgerichte abweicht und behördliche Aufrechnungen im Sozialrecht immer noch als Verwaltungsakte qualifiziert.123 Denn das Bundessozialgericht begründet seine Auffassung mit der für den Bürger bzw. Leistungsempfänger positiven verfahrensrechtlichen Funktion eines Verwaltungsakts. So sei der Leistungsempfänger bei Erlass eines Verwaltungsakts vor einer Aufrechnungserklärung gem. § 24 Abs. 1 SGB X anzuhören. Weiterhin treffe den Leistungsträger die Pflicht, die Maßnahme schriftlich zu begründen, § 35 SGB X. Generell sei negativ zu beurteilen, dass der Rechtsschutz ansonsten auf die Leistungsklage verkürzt sei. Außerdem berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts explizit die Praxis der Sozialleistungsträger, die Aufrech119 Ständige Rechtsprechung seit BVerwGE 66, 218 (220). Anders noch BVerwGE 8, 261 (262); 13,24 (249). 120 Ständige Rechtsprechung seit BFHE 149, 482 (483 ff.). Anders noch BFHE 91, 518 (519). 121 Eine solche Ergebnisorientierung ist gerade bei der Frage nach dem Vorliegen eines Verwaltungsakts möglich. Vgl. dazu etwa Ruffert in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 25 oder auch Stelkens/Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG (6. Auflage), § 35 Rn. 3: „Die Qualifizierung einer Maßnahme als VA bedeutet nichts anderes als die Entscheidung, dass auf diese Maßnahme die Rechtsfolgen, welche das Gesetz an den Begriff des VA knüpft, gelten sollen. Deshalb dürfen diese Rechtsfolgen bei der Qualifizierung auch nicht außer Betracht bleiben.“ 122 Siehe hierzu auch Ruffert, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 2 ff. 123 Vgl. BSGE 64, 17 (22); 78, 132 (134).

E. Sonstige Fragen

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nungserklärung mit der Abänderung des eine Dauerleistung bewilligenden Verwaltungsakts zu verbinden. In der Praxis setzt der Träger gleichzeitig mit der Aufrechnungserklärung oftmals die Höhe der Zahlungen neu fest.124 Dem letzten Punkt ist indes entgegenzuhalten, dass eine Neufestsetzung der Zahlungen von der Erklärung der Aufrechnung – auch wenn eine solche Entscheidung einheitlich ergeht – zu trennen ist. Gegen die Argumentation des Bundessozialgerichts spricht außerdem, dass die Sozialleistungsträger nach § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X die Möglichkeit haben, bei einer Geringfügigkeit der Forderung vor der Aufrechnungserklärung auf eine Anhörung zu verzichten.125 Insgesamt vermag das Bundessozialgericht nicht überzeugend darzulegen, warum für den Bereich des Sozialrechts andere Maßstäbe und Wertungen gelten sollen als für die anderen Gebiete des öffentlichen Rechts. Erste Schritte des 4. Senats des Bundessozialgerichts126 in Richtung einer einheitlichen Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte hat der Gemeinsame Senat des Bundessozialgerichts127 inzwischen wieder zurückgenommen.128 Im Ergebnis sprechen die besseren Argumente dafür, der behördlichen Aufrechnungserklärung keinen Regelungscharakter zuzusprechen. Die Aufrechnungserklärung erreicht deshalb keine Verwaltungsaktsqualität, sondern ist eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung.

E. Sonstige Fragen Abschließend sind die Anwendbarkeit der ex-tunc-Wirkung auf die öffentlichrechtliche Aufrechnung (I.), die Auswirkung der Einlegung von Rechtsmitteln (II.) und die Frage nach dem Rechtsschutz (III.) zu klären.

124

Vgl. dazu die Zusammenfassung bei Giese, in: Giese/Kramer, SGB I, § 51, Rn. 6.2. Der Gesetzgeber hat § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X im Jahre 1994 vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BSG eingefügt, vgl. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 139. 126 BSG, SozR 4 – 1200, § 52, S. 1, 3. 127 BSGE 109, 81 – 86. 128 Besprechung bei Seewald, SGb 2012, 446 ff. Die Entscheidungen betrafen eine Verrechnung nach § 52 SGB I, die sich von einer Aufrechnung nach § 51 SGB I dadurch unterscheidet, dass das Merkmal der Gegenseitigkeit der Forderungen entfällt. Ein Sozialleistungsträger kann dadurch eine Forderung, die einem Leistungsberechtigten zusteht, mit der Forderung eines anderen Trägers verrechnen, wenn er von diesem dazu ermächtigt wurde, vgl. dazu Pflüger, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxis Kommentar SGB I, § 52 Rn. 6. 125

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2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

I. Ex-tunc-Wirkung der öffentlich-rechtlichen Aufrechnung Verschiedentlich wird die Frage aufgeworfen, ob die Regelung des § 389 BGB, wonach auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage und nicht der Aufrechnungserklärung abzustellen ist, mit Grundsätzen des Verwaltungsrechts vereinbar ist. Es wird insbesondere problematisiert, ob und wie sich die ex-tunc-Wirkung auf die Rechtmäßigkeit eines Leistungsbescheids auswirken könnte.129 Bedenken könnten sich in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Rückwirkung ergeben: Rechnet der Bürger mit einer eigenen Forderung auf, könnte der Forderungsbescheid rechtswidrig werden, da die Forderung rückwirkend zum Zeitpunkt des Erlasses des Leistungsbescheids und damit die Grundlage für den Leistungsbescheid entfallen könnte. Einem rechtswidrigen Leistungsbescheid wiederum müsste dann eigentlich nicht entsprochen werden, sodass es für den Bürger keine Pflicht gäbe, die Leistung zu erfüllen bzw. das Erfüllungssurrogat der Aufrechnung zu bemühen. Bei genauerer Betrachtung tritt dieser missliche Zirkelschluss aber weder bei forderungsbegründenden noch bei forderungsfeststellenden Leistungsbescheiden ein. Forderungsbegründende Leistungsbescheide sind konstitutiv. Erst mit Erlass des Verwaltungsakts entsteht die Forderung. Eine Leistungspflicht des Bürgers ist dabei zwar oft bereits abstrakt im Gesetz angelegt, die Pflicht muss aber von der Behörde konkretisiert werden. Der Verwaltungsakt ist die causa, also der (Rechts-)Grund für die Leistung.130 Anders stellt sich hingegen die Situation bei forderungsfeststellenden Verwaltungsakten dar, die einen deklaratorischen Charakter haben. Der Verwaltungsakt stellt nur die Rechtslage, also die Zahlungspflicht des Bürgers fest. Die Zahlungspflicht als solche ergibt sich aber bereits konkret aus dem Gesetz. Der Verwaltungsakt ist nicht die causa der Rechtspflicht.131 In beiden Fällen wirkt sich der rückwirkende Effekt der Aufrechnung nicht auf die Rechtmäßigkeit des Leistungsbescheids aus. Im Falle eines forderungsbegründenden Bescheids wird die Forderung erst in dem Moment wirksam, in dem die Wirksamkeit des Bescheids beginnt. Der Zeitpunkt, zu dem § 389 BGB die wechselseitige Tilgungsfiktion bestimmt, kann aber denklogisch nicht früher liegen als der Beginn der Existenz der Forderung, gegen die aufgerechnet wird.132 Daher kann eine Tilgung im Zeitpunkt seines Wirksamwerdens auch die Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit nicht tangieren. Dieses Ergebnis gilt, mit anderer Begründung, auch für forderungsfeststellende Bescheide. Der forderungsfeststellende Bescheid ist nicht die Grundlage der Forderung, sondern stellt diese nur autoritativ fest. Die Kehrseite dieser Leugnung eines rechtsgestaltenden Charakters muss dann nach einer sinn- und zweckentsprechenden 129 130 131 132

So z. B. BayVGH, KStZ 1958, 75 f. Glose, DÖV 1990, S. 146 (148); Ebsen, DÖV 1982, S. 389 (391). Hierzu U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 219 f. Ebsen, DÖV 1982, S. 389 (391).

E. Sonstige Fragen

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Auslegung sein, dass der Regelungsinhalt des Verwaltungsakts ebenfalls nicht durch die (Rück-)Wirkung der Aufrechnung berührt wird. Denn er gibt nur die Rechtslage wider. Der Bescheid ist rechtmäßig, wenn die Aussage wahr ist, und er ist rechtswidrig, wenn sie unwahr ist. Die Aufrechnung ändert aber nichts an der Wahrheit dieser Aussage hinsichtlich der gesetzlich determinierten Rechtslage.133 Es bleibt deshalb festzuhalten, dass die in § 389 BGB bestimmte ex-tunc-Wirkung der Aufrechnungserklärung keine spezifischen Schwierigkeiten im Bereich des öffentlichen Rechts provoziert und daher auch keiner Modifizierung bedarf.

II. Auswirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage auf die behördliche Aufrechnungserklärung Fraglich ist weiterhin, wie sich ein Widerspruch bzw. eine Anfechtungsklage gegen die durch Verwaltungsakt festgesetzte behördliche Forderung auf die Aufrechnungserklärung der Behörde auswirkt. Der Suspensiveffekt i.S.v. § 80 Abs. 1 VwGO könnte der behördlichen Aktivforderung ihre Wirksamkeit nehmen, sodass eine Aufrechnung mit ihr nicht mehr möglich wäre. Diese Frage ist insbesondere im Subventionsrecht von Relevanz. Sie tritt dann auf, wenn die Behörde eine Rückzahlung geltend macht und diese, wie in der Praxis üblich, gegen die neu festgesetzte Subventionsforderung aufrechnet, der Subventionsempfänger jedoch Widerspruch bzw. Anfechtungsklage gegen den Rückforderungsbescheid einlegt. Das Problem lässt sich nicht mit dem Hinweis darauf lösen, dass gegen die Aufrechnungserklärung mangels Verwaltungsaktqualität kein Widerspruch eingelegt, die Aufrechnungserklärung also nicht mit einer aufschiebenden Wirkung „belastet“ werden und der Suspensiveffekt einer Aufrechnung daher niemals entgegenstehen könne.134 Zwar ist richtig, dass der Suspensiveffekt sich direkt nur auf den behördlichen Leistungsbescheid und nicht auch auf die Aufrechnungserklärung bezieht. Allerdings könnte mit der auf den Leistungsbescheid bezogenen aufschiebenden Wirkung die Durchsetzbarkeit der staatlichen Forderung gehemmt sein und somit eine Voraussetzung einer wirksamen Aufrechnung135 entfallen. Diesen Punkt übersieht auch das BVerwG, wenn es urteilt, „die aufschiebende Wirkung ändert nichts an der bereits eingetretenen Fälligkeit der Gegenforderung“136. Es übersieht zudem den Unterschied zwischen der Vollstreckung und der bloßen Vollziehung eines Verwaltungsakts, indem es auch der Vollziehung generell zwangsweisen

133

So auch Ebsen, DÖV 1982, S. 389 (392 f.). So aber Glose, DÖV 1990, S. 146 (149). 135 Nämlich das Merkmal der Durchsetzbarkeit der Forderung, das auch im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Aufrechnung Anwendung findet, s. dazu 2. Teil C. III. 136 BVerwGE 66, 218 (221). Kritisch auch de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 458. 134

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2. Teil: Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Bürger und Staat

staatlichen Rechtsdurchsetzungscharakter attestiert.137 Unabhängig davon, ob die aufschiebende Wirkung nur die Vollstreck- bzw. Durchsetzbarkeit einer Forderung oder sogar deren Fälligkeit beseitigt,138 reicht schon eine Hemmung der Durchsetzbarkeit aus, um jene Aufrechnungsvoraussetzung entfallen zu lassen. Denn die aufschiebende Wirkung führt zu einem umfassenden Verwirklichungs- und Ausnutzungsverbots, das nicht nur Maßnahmen nach dem Verwaltungsvollstreckungsrecht betrifft, sondern bewirkt, dass während der Dauer des Schwebezustands jede Maßnahme zu unterlassen ist, die der Verwirklichung des Verwaltungsakts dient.139 Wer rechtlich nicht dazu in der Lage ist, seine Forderung durchzusetzen, darf sich auch nicht des Vollstreckungssurrogats der Aufrechnung bedienen. Wer nicht zur Leistung gezwungen werden kann, dem darf auch nicht die Aufrechnung aufgezwungen werden.140 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass ein Widerspruch bzw. eine Anfechtungsklage gegen den Leistungsbescheid einer wirksamen Aufrechnung durch die Behörde entgegensteht.

III. Rechtsschutz gegenüber einer behördlichen Aufrechnungserklärung Nachdem die Rechtsnatur der Aufrechnungserklärung als bloße verwaltungsrechtliche Willenserklärung feststeht, lässt sich auch der entsprechende vom Bürger einzulegende Rechtsschutz bestimmen. So ist zwar die Erhebung einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO denkbar, die darauf gerichtet ist festzustellen, dass die Behörde nicht zur Aufrechnung berechtigt ist. Aus dem Subsidiaritätsgedanken des § 43 Abs. 2 VwGO folgt aber, dass eine Feststellungsklage nur dann 137 So auch OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2007, 293 (294), mit zustimmender Anmerkung Vahle, DVP 2007, S. 345. Siehe zur Notwendigkeit der terminologischen Unterscheidung auch 2. Teil A II 3 a. 138 Letzteres ist der Fall, wenn für die aufschiebende Wirkung des § 80 Abs. 1 VwGO die Wirksamkeits- und nicht die Vollziehbarkeitstheorie gilt, vgl. dazu Schoch, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rn. 73 ff. 139 OVG Berlin, Beschluss vom 23. 3. 2005, Az. 4 B 29/04, Rn. 29 mit Verweis auf OVG Koblenz, NJW 1977, 595 (596). 140 So zu Recht Schmidt, JuS 1984, S. 28 (31), der das Urteil des BVerwG auch allgemein wegen „inhaltlich falscher Zitierungen und Verweise“ mit den Worten kommentiert, dass die Arbeitsweise dieses Urteils „dem juristischen Nachwuchs […] nicht empfohlen werden kann“, S. 32. Dem BVerwG gefolgt sind trotzdem VGH Mannheim, Beschluss vom 21. 10. 2005, Az. 4 S 740/05; OVG Bremen, Beschluss vom 16. 7. 1999, Az. 2 B 93/99; OVG Saarlouis, Beschluss vom 24. 2. 1989, Az. 1 W 36/89; OVG Magdeburg, Beschluss vom 27. 6. 2007, Az. 3 M 146/06. Andere Ansicht hingegen OVG Lüneburg, NvwZ-RR 1997, 655 ff. sowie OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. 3. 2005, Az. 4 B 29/04. Differenzierter jetzt allerdings BVerwG, NJW 2009, 1099 (1100), wonach eine Aufrechnung nunmehr dann ausgeschlossen sein soll, wenn Bestand oder Fälligkeit der staatlichen Gegenforderung von einem Verwaltungsakt abhängt, der seinerseits angefochten wurde (z. B. Widerruf oder Rücknahme eines Subventionsbescheids).

E. Sonstige Fragen

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zulässig ist, wenn das Klagebegehren nicht ebenso gut durch eine Leistungsklage erreicht werden kann. Dies ist hier der Fall, denn der Bürger kann eine Leistungsklage auf Zahlung des aufgerechneten Betrags erheben. Im Verfahren würde dann implizit geprüft, ob die Aufrechnung der Behörde rechtmäßig war. Somit ist nach erfolgter behördlicher Aufrechnungserklärung grundsätzlich die Leistungsklage das richtige Mittel, um die Passivforderung gegen die Behörde durchzusetzen.141 Etwas anderes ergibt sich nur für den Fall, dass die Behörde die Aufrechnungserklärung äußerlich in Verwaltungsaktform erlässt. Gegen diesen von der Behörde gesetzten Rechtsschein muss sich der Bürger auch deshalb mit der Anfechtungsklage wehren, weil die Rechtsprechung bei einer Divergenz zwischen Form und Inhalt eines Verwaltungsakts nicht zwischen formellem (nach der VwGO) und materiellem (nach dem VwVfG) Verwaltungsakt unterscheidet. Eine in Verwaltungsaktform ergangene Verwaltungshandlung kann damit, auch wenn die einen Verwaltungsakt konstituierenden Merkmale des § 35 VwVfG nicht vorliegen, in Bestandskraft erwachsen. Deshalb ist in diesem Fall und im Bereich des Sozialrechts, wo die behördliche Aufrechnungserklärung von der Rechtsprechung als Verwaltungsakt qualifiziert wird, nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO zu erheben.

141

So auch Grandtner, Aufrechnung als Handlungsinstrument, S. 160 f.

3. Teil

Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern Im dritten Teil der Arbeit steht nicht mehr die Aufrechnung zwischen Bürgern bzw. zwischen dem Bürger und dem Staat, sondern die Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern im Fokus. Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit Hoheitsträgern, d. h. Bund, Länder, Kommunen und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts,1 die Aufrechnung als Instrument zur Rechtsdurchsetzung gegenüber anderen Hoheitsträgern zur Verfügung steht. In dieser Konstellation rückt mit der Nähe der Aufrechnung zur Vollstreckung ein Aspekt in den Vordergrund, der einer Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern im Weg stehen könnte. So wird immer wieder die „funktionelle Nähe der Aufrechnung zur Vollstreckung“2 oder die Funktion der „Aufrechnung als Vollstreckung des kleinen Mannes“3 betont, die wegen ihres Charakters als Mittel der „Selbstexekution“4 vom Grundsatz des staatlichen Vollstreckungsmonopols5 abweicht und „starke Parallelen zur Zwangsvollstreckung aufweist“.6 Wenn aber eine solche Nähe der Aufrechnung zur Vollstreckung besteht, wirft dies grundsätzliche Fragen nach der Zulässigkeit einer Aufrechnung in dieser Konstellation auf. Denn wie im Folgenden darzustellen sein wird, ist eine Vollstreckung zwischen Hoheitsträgern grundsätzlich ausgeschlossen bzw. nur unter engen Voraussetzungen und in bestimmten Situationen möglich. Es wird die Frage zu beantworten sein, ob die Nähe der Aufrechnung zur Vollstreckung von solcher rechtssystematischer Qualität ist, dass die Aufrechnung von den Vollstreckungcharakteristika überlagert wird. Dies könnte zur Folge haben, dass eine öffentlich-rechtliche Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern ebenso wie eine Vollstreckung im Verhältnis Staat-Staat grundsätzlich unzulässig wäre. Im Folgenden ist deshalb zunächst übergeordnet die Funktion der Vollstreckung in der Rechtsordnung zu untersuchen (A.). Sodann wird konkreter dargestellt, inwieweit das geltende Recht in den unterschiedlichen Rechtsgebieten eine Vollstreckung von Ansprüchen von Hoheitsträgern untereinander zulässt (B.). Im Anschluss wird anhand dieser Erkenntnisse die Frage beantwortet, ob eine Aufrechnung zwischen 1

Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 34 Rn. 208. Pietzner, VerwArch. 73 (1982), S. 453 (457). 3 Waldhoff, Der Verwaltungszwang, S. 917. 4 Bötticher, in: FS Schima, S. 95 (97). 5 Das Bundesverfassungsgericht spricht in BVerfGE 61, 126 (136) vom Staat als Inhaber des „Zwangsmonopols“. 6 Gerhardt, Vollstreckungsrecht, S. 20. 2

A. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als Problem

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Hoheitsträgern einer Vollstreckung zwischen Hoheitsträgern gleichzusetzen ist und welche weiteren Konsequenzen hieraus zu ziehen sind (C.).

A. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als vollstreckungsrechtliches Problem I. Vollstreckung als Rechtsphänomen Die Vollstreckung ist der letzte, notfalls erforderliche Schritt eines aus drei möglichen Stufen bestehenden Rechtsverwirklichungsvorgangs. Dieser beginnt mit der Rechtsetzung und wird, nach dem Konkretisierungsvorgang der Rechtsanwendung, gegebenenfalls mithilfe eines Instruments der Rechtsdurchsetzung zwangsweise verwirklicht.7 Die zwangsweise Durchsetzung ist ein Nachfolgeverfahren zum Rechtserkenntnisverfahrens, das erforderlich wird, wenn das Gebot der Rechtsbefolgung nicht freiwillig erfüllt wird. Dieses Zwangselement im Recht begegnet gelegentlichen rechtstheoretischen und -philosophischen Bedenken. So erscheine der Zwang, wenn das Recht als reine Sollensordnung aufgefasst werde, als etwas mit dem Recht nicht Vereinbares. Zwang sei weniger eine Kategorie des Rechts als vielmehr eine Kategorie der Realität. Beide Bereiche seien nicht miteinander zu vermischen.8 Der Argumentation ist insoweit zuzustimmen, als dass eine Rechtsordnung nicht bloße Zwangsordnung sein kann, sondern primär auf die freiwillige Befolgung der Normen ausgerichtet sein sollte.9 Dies ist nicht zuletzt auch aus machttheoretischen Überlegungen sinnvoll: Denn Macht, verstanden als ein Medium, mit dem Gesellschaften ihre Komplexität bewältigen,10 muss gerade in modernen, vielschichtigen Gesellschaften primär durch die Potentialisierung von Macht ausgeübt werden. Die bloße Möglichkeit der Machtausübung muss hierbei im Mittelpunkt stehen, nicht unbedingt ihre tatsächliche Ausübung. Alle Macht auszuüben, würde den Machthaber überanstrengen.11 Die Vermeidung des Einsatzes physischer Gewalt zur staatlichen Rechtsdurchsetzung bei gleichzeitiger Effektivität des Rechtssystems ist deshalb ein wichtiges Organisationsmerkmal moderner Gesellschaften. Aber auch wenn der Rechtsordnung idealerweise das dem letzten Schritt des Zwangs immanente Drohpotential ausreicht bzw. sie auch ohne dieses Damokles7

Waldhoff, Staat und Zwang, S. 13. Henkel, Rechtsphilosophie, S. 119 mit Hinweis auf die Darstellung bei Binder, Rechtsphilosophie, S. 351 ff. 9 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 121. 10 Vgl. Poscher, VerwArch. 89, 111 (117) unter Bezugnahme auf Luhmann, Macht, S. 4 ff. 11 Luhmann, Macht, S. 25. Ähnlich auch Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 3: „Eine entscheidende Funktion von Vollstreckung […] liegt in ihrem hintergründigen Drohpotential, in ihrer Nichtanwendung.“ 8

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

schwert auf eine breite Grundakzeptanz der durch sie Verpflichteten treffen sollte,12 bliebe das Rechtssystem „ohne jede Möglichkeit der Erzwingung […] eine Farce“13. Das Recht muss auch gegenüber demjenigen gelten, der nicht von seiner Richtigkeit überzeugt ist. Es ist als Befehls- und Sollensordnung eben auf Verwirklichung, nicht bloß auf abstrakte Geltung angelegt.14 Fehlt einer Rechtsordnung die Durchsetzbarkeit, so kann diese nicht den ihr selbst inhärenten Anspruch erfüllen, im Sozialleben maßgebliche Ordnung zu sein.15

1. Staatliches Vollstreckungsmonopol und private Selbsthilferechte Die zwangsweise Durchsetzung von Rechten und Ansprüchen Einzelner ist zwar auch frühen Rechtsordnungen nicht fremd gewesen. Im Unterschied zu heute war es aber grundsätzlich Aufgabe und Recht des Einzelnen, seinen tatsächlichen, bisweilen auch nur vermeintlichen Anspruch zunächst selbst festzustellen und auch dessen Durchsetzung selbst zu betreiben. Erst in der frühen Neuzeit löste sich dieses durch Fehde und Selbstjustiz geprägte Rechtsverwirklichungssystem zugunsten eines Systems der Verrechtlichung von Konflikten auf, in dessen Rahmen die Streitschlichtung exklusiv der hoheitlichen Ebene anvertraut wurde. Der Beginn dieses langsamen Wandels wird zeitlich auf den ersten kirchlichen Gottesfrieden Ende des 11. Jahrhunderts datiert. Er vollzog sich über mehrere Jahrhunderte und fand seinen formalen Abschluss mit der Verkündung des Ewigen Landfriedens auf dem Reichstag von Worms von 1495. Es verging allerdings noch eine längere Zeit, bis sich die staatliche Rechtsdurchsetzung auch im Rechtsalltag der Menschen etablierte.16 Das staatliche Vollstreckungsmonopol förderte entscheidend das darüber hinausgehende staatliche Gewaltmonopol17 und ermöglichte damit auch den Übergang in ein modernes Staatswesen.18 Seitdem hat das Recht zum Zwang nur noch der Staat,19 der Bürger hingegen nur noch ein Recht auf den Zwang.20 12

Faller, in: FS Geiger, S. 15; Waldhoff, Staat und Zwang, S. 15 m.w.N. Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechts, S. 158. 14 Waldhoff, Staat und Zwang, S. 13. 15 Binder, Rechtsphilosophie, S. 351 ff.; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 117 ff.; Gaul, ZZP 112, S. 135 ff.; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, S. 16 ff. 16 Vgl. umfassend bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235 Gernhuber, Landfriedensbewegung. 17 Der Begriff des „Gewaltmonopol des Staates“ wurde geprägt von Max Weber in seinem im Jahre 1919 gehaltenen Vortrag vor dem Freistudentischen Bund an der Ludwig-Maximilians-Universität München, vgl. S. 8 f. der gedruckten Fassung von „Politik als Beruf“. Zur historischen Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols auch Faller in FS Geiger, S. 5 ff m.w.N. 18 Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 166 ff.; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 26 ff. 19 Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 24 ff. zum Vollstreckungsverfahren als „eines der seltenen notwendigen Staatsaufgaben […] mit einer gegen Null tendierenden Privatisierungselastizität“. 13

A. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als Problem

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Auch heute noch finden sich vereinzelt Vorschriften als „letzte Reservate privater Gewalt“21, die dem Einzelnen ein gewisses Recht zur Zwangsanwendung gegenüber anderen zubilligen und subjektives Recht und Erzwingbarkeit wieder in einer Person vereinen. Diese zumeist privatrechtlichen Selbsthilferechte stellen jedoch nur auf den ersten Blick eine Ausnahme vom staatlichen Vollstreckungsmonopol dar. Denn zum einen sind es bereits keine originären, sondern dem Bürger durch die Rechtsordnung übertragenen Rechte.22 Sie können demnach jederzeit wieder in die staatliche Kompetenzsphäre zurückgeführt werden. Zum anderen stellen sie auch insofern keine Ausnahme dar, als dass sie nicht die eigene Realisierung und Verwirklichung von Ansprüchen ermöglichen. So gewährt etwa § 229 BGB die Selbsthilfe und ermöglicht dadurch die Wegnahme einer Sache, wenn „obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert würde“. Diese Wegnahme ist aber nur zur vorläufigen Sicherung, als Vorstufe des danach unverzüglich zu beantragenden dinglichen Arrests zulässig, § 230 Abs. 2 und 3 BGB. Die Selbsthilfe nach § 229 BGB begründet also nur ein Besitzergreifungs- und kein Besitzrecht,23 sie ist ein „Zurückbehaltungsrecht […] auf Zeit“24, das noch nicht allein zur Befriedigung des Rechteinhabers führt. Auch die übrigen Selbsthilferechte25 sind nicht gleichzusetzen mit einer Anspruchsrealisierung im Falle der Vollstreckung.26 Ihre Berührungen mit der Vollstreckung sind gering. Sie sind deshalb auch nur in Grenzen als Ausnahmen vom staatlichen Gewalt- bzw. Vollstreckungsmonopol anzusehen.27 2. Zweck, Mittel und Definition der Vollstreckung Wie im Folgenden noch genauer zu zeigen sein wird, enthalten viele Teilrechtsordnungen wie das Zivilrecht oder das Verwaltungsrecht Normenkomplexe, die sich mit der Anwendbarkeit von Zwang bei nicht freiwilliger Befolgung von Anordnungen sowie mit der Organisation und dem Verfahren der Durchführung 20 Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem. § 167, Rn. 1 mit Hinweis auf Karl Binding als Urheber der Formulierung. 21 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 15. 22 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 15. 23 Repgen, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, § 229 Rn. 25. 24 Schünemann, Selbsthilfe im Rechtssystem, S. 113. 25 Vgl. hierzu den Überblick bei Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Fn. 15. 26 Hierzu Gerhardt, Vollstreckungsrecht, S. 19 f. m.w.N. 27 Schünemann, Selbsthilfe im Rechtssystem, S. 108 ff. Zur Rolle Privater bei der Rechtsdurchsetzung etwa im Bereich des Europa-, Wettbewerbs- oder Kartellrechts („Mehrspurigkeit der Rechsdurchsetzung“) vgl. Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 14.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

dieses Zwangs befassen.28 Trotz verschiedener sektoraler Besonderheiten29 sind Funktion und in weiten Teilen auch die Mittel der Vollstreckung identisch.30 Eine gemeinsame, allgemeingültige Definition der Vollstreckung ist daher möglich. Zweck der Vollstreckung ist stets die Rechtsverwirklichung. Die Vollstreckung ergänzt die im Erkenntnisverfahren gefundene Entscheidung für den Fall, dass die abstrakte Autorität des staatlichen Rechtsausspruchs nicht zur Befolgung des festgestellten Ge- oder Verbots durch den Entscheidungsadressaten ausreicht. Diesem Zweck der Rechtsverwirklichung ist immanent, dass ein Vollstreckungsverfahren sich in zahlreichen Fällen erübrigt: Viele Entscheidungen des gerichtlichen oder behördlichen Erkenntnisverfahrens haben bereits einen rechtsverwirklichenden Effekt oder müssen wegen freiwilliger Befolgung, sei es aus Gewohnheit, Überzeugung oder Furcht vor sozialen Zwängen, nicht vollstreckt werden.31 Die Vollstreckung besitzt demnach keinen Selbstzweck, sie dient vielmehr der Verwirklichung des materiellen Rechts. Das „höhere Ziel“ der Vollstreckung besteht folgerichtig im Versuch der Herstellung von materieller Gerechtigkeit und Rechtsfrieden. Die Vollstreckung trägt so zu einer gerechten Güter- und Lastenverteilung bei und stiftet Frieden und Sicherheit als Ordnungsfaktor im menschlichen Leben.32 Die Rechtsverwirklichung als Hauptfunktion der Vollstreckung wird durch Maßnahmen erreicht, die sich grob in drei unterschiedliche Kategorien einteilen lassen: Es sind dies die Vollstreckungsmittel der Beugung, Sicherung und Realisierung.33 Das Recht durch Willensbeugung durchzusetzen bietet sich immer dann an, wenn die Rechtsverwirklichung gerade am entgegenstehenden Willen des Rechtsunterworfenen scheitert bzw. zu scheitern droht. Hier kann das Inaussichtstellen und Auferlegen von persönlichen (Zwangshaft) oder finanziellen (Zwangs-/ Ordnungsgeld) Nachteilen zur Befolgung festgestellten Rechts beitragen.34 Die Rechtsverwirklichung durch Beugemittel ist allerdings, trotz des vergleichsweise harten Eingriffs in die Grundrechte des Schuldners durch die Zwangshaft,35 nur eine 28

Vgl. auch Henkel, Rechtsphilosophie, S. 120. Vgl. dazu 3. Teil A. II. 30 Vgl. Heckmann, Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, S. 34. 31 Zu denken ist hier etwa an Feststellungs- und Gestaltungsklagen oder eben das freiwillige Befolgen der Entscheidung durch den Verpflichteten. Zur sich in diesem Zusammenhang auch stellenden Frage nach dem Vorrang- bzw. Bedeutungsverhältnis von Erkenntnis- und Zwangsverfahren vgl. Gaul, ZZP 112 (1999), S. 136 ff. für das Zivilrecht. 32 Heckmann, Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, S. 34 f. unter Hinweis auf Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 201. 33 Heckmann, Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, S. 35. 34 Die einzelnen Bestimmungen zu Zwangsgeld und Zwangshaft werden in den jeweiligen Abschnitten über die Zwangsvollstreckung nach der ZPO, die Vollstreckung von verwaltungsgerichtlichen Titeln sowie die Verwaltungsvollstreckung gesondert behandelt. Vgl. aber auch ausführlich Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld. 35 Diese kann etwa nach § 913 ZPO bis zu sechs Monate betragen. Die ZPO folgt denn auch einem „Grundsatz der möglichst direkten Vollstreckung“. Sobald eine Möglichkeit des direkten Zwangs besteht, ist die Anwendung des mittelbaren, indirekten Zwangs nicht zulässig. Denn 29

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mittelbare, psychologisch wirkende Form der Rechtsverwirklichung. Letztlich liegt es nach wie vor am rechtsunterworfenen Schuldner, ob er sich der Rechtsdurchsetzung weiterhin widersetzt oder ob er sich beugt bzw. bestenfalls sein Unrecht einsieht. Effektiver sind daher die Vollstreckungsmittel der Realisierung: Maßnahmen wie die Verwertung gepfändeter Sachen, die Ersatzvornahme oder der unmittelbare Zwang realisieren das Recht besser als bloß psychologisch wirkende, mittelbare Zwangsmittel. Vollstreckungsregime verfügen auch jeweils über Maßnahmen der Sicherung der späteren Vollstreckung. Die zur Verfügung stehenden Sicherungsmittel gewährleisten im Regelfall, quasi als Vorstufen der Rechtsverwirklichung,36 dass die Rechtsverwirklichung nicht aufgrund der tatsächlichen finanziellen Umstände beim Schuldner vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Institute wie die Pfändung oder der dingliche Arrest dienen dazu, die späteren Durchsetzungschancen zu verbessern bzw. zu erhalten. Aus dem oben Gesagten lässt sich demnach eine Definition der Vollstreckung ableiten, die aus drei Elementen besteht: Zum einen ergibt sich aus dem Gewaltmonopol des Staates, dass Rechte und Ansprüche nicht privat, sondern nur in einem staatlichen Rahmen bzw. Verfahren durchzusetzen sind. Da eine staatliche Durchsetzung weiterhin nur dann in Betracht kommt, wenn sich der Rechtsunterworfene weigert, den Anspruch freiwillig zu erfüllen, umfasst der Vollstreckungsbegriff weiterhin das Merkmal der zwangsweisen Durchsetzung. Grundlage für die Durchsetzung eines Rechts ist schließlich, dass dieses überhaupt nach dem materiellen Recht besteht: Das Recht muss demnach vor der Vollstreckung verbindlich erkannt und festgestellt worden sein.37 Somit ist unter dem Vorgang der Vollstreckung die zwangsweise Durchsetzung einer rechtlichen Entscheidung im Rahmen eines staatliches Verfahrens zu verstehen.38 3. Abgrenzung Vollstreckung – Sanktion Die Vollstreckung ist, insbesondere im öffentlichen Recht, nicht das einzige Instrument der Rechtsdurchsetzung. Dieser Funktion dient ebenso die von der Vollwillensbeugende Zwangsmittel gegen den Schuldner sollen aus Gründen seiner Schonung nur eingreifen, wenn andere Zwangsmittel versagen, Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, S. 93. Die Ähnlichkeiten dieses zivilprozessualen Grundsatzes zum öffentlich-rechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind nicht zu übersehen. 36 Heckmann, Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, S. 36. 37 Dies ist primär Aufgabe der Rechtsprechung, zu den Abweichungen im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung vgl. 3. Teil A. III. 3. 38 Heckmann, Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, S. 34; Waldhoff, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 9; Miedtank, Zwangssvollstreckung, S. 1; ähnlich auch RGZ 82, 86.

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streckung abzugrenzende Sanktion. Als Sanktionsnormen werden diejenigen Vorschriften bezeichnet, die einen Verstoß gegen eine verwaltungsrechtliche Pflicht mittels Geldbuße unmittelbar ahnden.39 Das klassische Anwendungsgebiet des Sanktionsrechts ist das Recht der Ordnungswidrigkeiten. Durch dieses werden unzulässige Handlungen geahndet, die im Vergleich zu Straftaten eher Bagatellverstöße sind und zunächst40 durch die Verwaltung selbst sanktioniert werden.41 Die Sanktionierung nach dem OWiG dient damit der Entkriminalisierung42 von Normverstößen und auch der Entlastung der Justiz.43 Zusätzlich zu den Regelungen des OWiG findet sich in vielen Verwaltungsgesetzen des Bundes und der Länder in den Schlusskapiteln sog. „Verwaltungsunrecht“ in Form von Vorschriften über zu verhängende Bußgelder.44 Zwar dienen die beiden Zwangsinstrumente Vollstreckung und Sanktion dem gemeinsamen Zweck der Rechtsdurchsetzung. Die dogmatischen Unterschiede sind allerdings erheblich und werden nicht selten vermischt. Immer wieder ist zu lesen, dass viele Verwaltungsakte, wenn zwar nicht im Sinne der Verwaltungsvollstreckungsgesetze so doch jedenfalls im faktischen Ergebnis, durch Sanktionsdrohungen „vollstreckt“ würden.45

39 Vgl. Bohnert, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 17 Rn. 8 f. Neben einer Geldbuße (§§ 1, 17 OWiG) sind als Rechtsfolgen einer Ordnungswidrigkeit auch die Verwarnung bzw. das Verwarnungsgeld (§ 56 Abs.1 OWiG) sowie diverse Nebenfolgen (z. B. die Einziehung und der Verfall nach §§ 22, 123 bzw. 29a OWiG oder das Fahrverbot gem. § 25 StVG) vorgesehen. Zum System verwaltungsrechtlicher Sanktionen umfassend Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 147 ff. 40 „Zunächst“ deshalb, weil die Verwaltung nur das „erste Wort“, das „letzte Wort“ aber gem. Art. 19 Abs. 4 GG die Rechtsprechung hat, Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 65 Rn. 43. 41 Bohnert, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, Einleitung Rn. 1 f. 42 Zur (materiellen) Unterscheidung zwischen kriminellem Unrecht und Verwaltungsunrecht vgl. BVerfGE 22, 49, 73; Bohnert, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, Einleitung Rn. 50 ff. 43 Kritisch zur Praxis des Ordnungswidrigkeitenrechts insgesamt Thieß, Ordnungswidrigkeitenrecht. 44 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 147; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 65 Rn. 1. 45 Vgl. etwa Schenke/Roth, WiVerw. 1997, 81, 144 ff. Auch wird vertreten, dass das mit Sanktion regelmäßig verbundene Bußgeld ein weitaus effizienteres „Vollstreckungsmittel“ darstelle als die Instrumente des Vollstreckungsrechts, vgl. Thierfelder, DVBl. 1968, 138 (139); Schenke, JR 1970, 449 (450).

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a) Zum Sanktionsbegriff Zwar existiert kein legaldefinierter oder anderweitig vereinheitlichter verwaltungsrechtlicher Sanktionsbegriff.46 Im Allgemeinen lässt sich eine Sanktion jedoch dadurch beschreiben, dass sie darauf abzielt, einem Normverstoßenden eine negative Reaktion wegen eines von ihm zu verantwortenden Normbruchs spüren zu lassen.47 Sanktionen sind somit Rechtsnachteile bzw. belastende Rechtsfolgen: Wer gegen eine Rechtsregel verstößt, wird sanktioniert.48 Norm und Sanktion erweisen sich als die zwei Seiten derselben Medaille.49 Diese Dichotomie nimmt auch die Normlehre auf, die üblicherweise zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen unterscheidet. Während die Verhaltensnorm auf der ersten Ebene ein Ge- oder Verbot festlegt, legt die entsprechende Sanktionsnorm auf der zweiten Ebene Sanktionsmittel für den Normverstoß fest.50 b) Unterschiede zwischen Sanktion und Vollstreckung Ebenso wie die Vollstreckung dient die Sanktion als Mittel zur „Ahndung von Verwaltungsunrecht“51 der Durchsetzung verwaltungsrechtlicher Normen. Die Sanktion gewährleistet dadurch auch die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung.52 Sanktion und Vollstreckung unterscheiden sich jedoch zum einen im Hinblick auf ihre zeitlichen Anknüpfungspunkte. Während die Sanktion einen in der Vergangenheit liegenden Pflichtverstoß ahnden soll – und dadurch höchstens mittelbar, generalpräventiv einen erneuten Normbruch verhindert –, zielt die Vollstreckung auf die Beendigung eines gegenwärtigen rechtswidrigen und die Herstellung eines zukünftigen normgerechten Zustands ab.53 Zum anderen steht bei einer Sanktion nicht die Feststellung und Durchsetzung einer konkreten, individuellen verwaltungsrechtlichen Pflicht im Vordergrund. Vielmehr erfolgt bei ihr eine generelle Prüfung, 46 Der Begriff der Sanktion fungiert eher als Ober- bzw. Sammelbegriff verschiedener Instrumente zur Wahrung der (Verwaltungs-)Rechtsordnung, vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 65 Rn. 2. 47 Röhl/Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 218; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 65 Rn. 2. 48 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 10. 49 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 10. 50 Vgl. dazu etwa Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 25 f. m.w.N. Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 25, spricht auch einfach von „primären“ und „sekundären“ Normen. 51 Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 65 Rn. 1. 52 Verstanden in dem Sinne, dass Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung nicht nur die Pflicht der Verwaltung zur Beachtung von Recht und Gesetz im Rahmen ihres eigenen Handelns, sondern auch die Wahrung der Rechtsordnung durch Herbeiführung und Aufrechterhaltung rechtmäßiger Zustände bedeutet, vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 65 Rn. 1. 53 Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 53.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

ob die Voraussetzungen der bußgeldbewehrten gesetzlichen Verbotsnorm im Hinblick auf Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld vorliegen.54 Der Wirkungsbereich der Verwaltungssanktion ist insofern breiter und umfassender als im Falle der auf einen Einzelfall bezogenen Vollstreckung, geht aber als abstrakt-generelle Regelung im Einzelfall auch weniger in die Tiefe. Die Sanktion ist nicht im selben Maße „punktgenau wirkender Erfüllungszwang“55 wie die Vollstreckung. Sie wirkt durch die mit ihr verbundene Geldbuße über ein mehr oder weniger unwiderstehliches Drohpotential auf den Normadressaten ein. Sie ist weniger Florett denn Schwert der Rechtsdurchsetzung. Ihre Anwendung ist aus diesem Grund nicht an die Einhaltung zahlreicher einzelfallbezogener Durchführungsvoraussetzungen geknüpft, wie dies im Falle einer Vollstreckung der Fall ist. Die Sanktion erweist sich daher als ein Rechtsdurchsetzungsinstrument, das aufgrund ihrer geringeren Voraussetzungsdichte ein effektiverer weil breiter wirkender Zwangsmodus im Vergleich zur Vollstreckung sein kann. Auf der anderen Seite kann die Verwaltung komplexe und mehrstufige Einzelvorhaben nicht sinnvoll über bloße Sanktionsnormen steuern und kontrollieren, die kaum Flexibilität bei der Bestimmung der Rechtsfolge zulassen.

II. Vollstreckung in den verschiedenen Rechtsgebieten Um die Nähe der Aufrechnung zur Vollstreckung beurteilen und eine Aussage über die Zu- bzw. Unzulässigkeit der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern treffen zu können, soll im folgenden Abschnitt die Grundstruktur der Vollstreckung im Privatrecht und im öffentlichen Recht dargestellt werden. Dabei werden primär die Möglichkeiten einer Vollstreckung gegen Hoheitsträger untersucht. 1. Überblick über die Zwangsvollstreckung nach der ZPO Grundlegende Regelungen über die Vollstreckung enthält das 8. Buch der ZPO. Die §§ 704 ff. ZPO haben Vorbildcharakter für die gesamte Vollstreckungsrechtsordnung. Die Vollstreckungsordnungen zahlreicher anderer Rechtsgebiete verweisen vielfach auf die Vollstreckungsvorschriften der ZPO.56 Diese legen detailliert Voraussetzungen und Wege der Vollstreckung von zivilrechtlichen Ansprüchen fest. Neben den privatrechtlichen gilt die Zwangsvollstreckung nach der ZPO auch für solche öffentlich-rechtlichen Ansprüche, deren Vollstreckungstitel nach Maßgabe der ZPO erlassen wurden. Dies trifft insbesondere auf Ansprüche aus Staatshaftung zu, bei denen das Erkenntnisverfahren überwiegend in der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit liegt, Art. 34 S. 3 GG. 54

BVerwGE 89, 327 (331). Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 11. 56 So etwa § 167 Abs. 1 VwGO, § 198 Abs. 1 SGG, § 151 Abs. 1 FGO sowie zahlreiche Einzelvorschriften der AO. 55

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Die Vollstreckung nach der ZPO folgt einigen sie kennzeichnenden, übergeordneten Verfahrensgrundsätzen. So besteht, dem Dispositionsgrundsatz im zivilprozessualen Erkenntnisverfahren vergleichbar, eine weitreichende Verfügungsherrschaft der Vollstreckungsparteien über das Verfahren. So wird das Vollstreckungsverfahren nur auf Antrag des Vollstreckungsgläubigers hin eröffnet und durchgeführt, vgl. §§ 753, 887, 888, 890 ZPO. Der Vollstreckungsschuldner seinerseits kann durch Anträge Aufschub erwirken oder erfüllen, und beide Seiten können einvernehmlich die Vollstreckung beschränken.57 Das Verfahren der Zwangsvollstreckung ist außerdem durch eine weitgehende Abkopplung und Formalisierung gekennzeichnet. Die Vollstreckungsorgane prüfen die formalen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung, nicht jedoch die Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Titels. Auch eventuell verletzte Rechte Dritter werden nur eingeschränkt und formalisiert überprüft, vgl. §§ 808, 829 ZPO.58 Charakteristisch für das Zwangsvollstreckungsverfahren ist ferner auch, dass der Zugriff auf das Vermögen des Vollstreckungsschuldners nur eingeschränkt möglich ist, der Staat die Rechtsdurchsetzung also nicht in jedem Fall garantiert. Ein für vollstreckbar erklärter und zugestellter Titel bedeutet noch nicht, dass die Forderung auch zwingend zwangsweise durchgesetzt wird. Denn die Durchführung der Zwangsvollstreckung kann sich bei fehlendem Interesse des Gläubigers als unzulässig erweisen.59 Vor allem aber bestehen umfangreiche Schuldnerschutzvorschriften,60 die der Rechtsverwirklichung entgegenstehen, um den Schuldner bzw. sein Vermögen aus sozialen Gründen zu schützen.61 Systematisch unterscheidet die ZPO die Vollstreckung wegen Geldforderungen und die Vollstreckung wegen anderweitiger, nicht auf Geld lautender Ansprüche.62

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Vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vorbem. 704 Rn. 30. Vgl. etwa die §§ 808 und 829 ZPO. 59 Dies ist etwa der Fall i.R.d. § 803 Abs. 2 ZPO, nach dem die Zwangsvollstreckung (in das bewegliche Vermögen) mittels Pfändung zu unterbleiben hat, wenn zu erwarten ist, dass die Verwertung nicht mehr erbringen wird als ohnehin die Kosten der Zwangsvollstreckung betragen. 60 Vgl. etwa § 765a ZPO oder auch § 811 ZPO, der einen umfangreichen Katalog über unpfändbare Sachen enthält sowie § 850c ZPO, der Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen festlegt, in die nicht vollstreckt werden darf. 61 Umfassend zu den Prinzipien der Zwangsvollstreckung Stürner, ZZP 99 (1986), S. 291 ff. 62 Lackmann führt in Musielak, ZPO, Vorbem. 704, Rn. 4 abschließend Geldforderungen, Herausgabeforderungen, Forderungen auf Leistung vertretbarer Sachen, Forderungen auf Vornahme von Handlungen, auf Abgabe von Willenserklärungen, auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach bürgerlichem Recht sowie Forderungen auf Duldung und Unterlassung als nach der ZPO vollstreckbare Forderungen auf. 58

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

a) Vollstreckung wegen Geldforderungen Bei der Vollstreckung wegen einer Geldforderung stehen dem Vollstreckungsgläubiger zwei Kategorien von Zugriffsobjekten des Vollstreckungsschuldners zur Verfügung – solche des beweglichen (§§ 803 bis 863 ZPO) und solche des unbeweglichen Vermögens (§§ 864 bis 871 ZPO). Zum beweglichen Vermögen des Vollstreckungsschuldners gehören Sachen sowie Forderungen und andere Vermögensrechte, §§ 808 ff., 828 ff. ZPO. Zugriffsobjekte des unbeweglichen Vermögens sind Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte, §§ 864 ff. ZPO. Eine Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen erfolgt stets durch Pfändung, § 803 Abs. 1 S. 1 ZPO. Wegen der körperlichen Erfassbarkeit erfolgt eine Pfändung von Sachen durch den Gerichtsvollzieher63. Die Pfändung von Forderungen oder die Zwangsversteigerung von Grundstücken erfolgt hingegen durch das Vollstreckungsgericht.64 Bemerkenswert ist, dass die Wahl des Zugriffsobjekts umfassend dem Vollstreckungsgläubiger obliegt. Eine vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungsrechtlich geforderte Reihenfolge im Zugriff, wonach etwa Sachen vorrangig vor Grundstücken zu verwerten sind, soll nach überwiegender Meinung nicht bestehen, da der vollstreckbare Anspruch nicht das Verhältnis zwischen Staat und Bürger betreffe.65 b) Vollstreckung wegen Nicht-Geldforderungen Ansprüche, die nicht auf Geld, sondern auf Herausgabe von Sachen und sonstigen Handlungen und Unterlassungen lauten, können nicht durch die Verwertung des Schuldnervermögens vollstreckt werden. Hier ist in der Regel eine Tätigkeit bzw. Nichttätigkeit des Schuldners erforderlich. Soll eine Handlung des Schuldners durchgesetzt werden, kommt es für die Rechtsdurchsetzung darauf an, ob es sich um eine sog. vertretbare oder um eine unvertretbare Handlung handelt. Die Durchsetzung einer vertretbaren Handlung, d. h. einer Handlung, die auch ein anderer als der Schuldner in Person vornehmen könnte, ist mit größerer Wahrscheinlichkeit möglich. Denn im Zweifelsfall kann der Gläubiger die Handlung selbst oder durch einen Dritten auf Kosten des Schuldners vornehmen, § 887 Abs. 1 ZPO. Unvertretbare Handlungen hingegen können nur vom Schuldner persönlich vorgenommen werden. Ihre Vollstreckung kann vom Staat als Rechtsdurchsetzungsinstanz nicht mit Sicherheit garantiert werden. Die zur Verfügung stehenden Zwangsinstrumente sind 63 Zu Stellung und Aufgaben des Gerichtsvollzieher Schilken, DGVZ 1995, 133 ff. sowie Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 25. 64 Zu Rechtstellung und Zuständigkeit des Rechtspflegers, auf den die konkrete Ausführung der Vollstreckung in der Regel übertragen ist, siehe Schwab/Gottwald/Becker-Eberhard, Zivilprozessrecht, § 25 Rn. 13 ff. 65 Dies ist herrschende Ansicht, vgl. Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 1 Rn. 45 m.w.N. Vgl. aber etwa die a.A. im Sondervotum Böhmer, in: BVerfGE 49, 228 ff.

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das Zwangsgeld, § 888 ZPO,66 und die Zwangshaft nach den §§ 899 ff. ZPO67. Die Wahl zwischen Zwangsgeld und Zwangshaft steht dem Vollstreckungsgericht zu, das unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Regel zunächst das Instrument des Zwangsgelds zu wählen hat.68 Da es sich bei den Zwangsmitteln nicht um Strafen für einen vorausgegangen Verstoß des Schuldners sondern um Instrumente der Willensbeugung handelt, ist für die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Mittel ein irgendwie geartetes Verschulden des Schuldners nicht erforderlich.69 Durch diese Beugemittel kann jedoch nur auf den der Rechtsverwirklichung entgegenstehenden Willen des Schuldner eingewirkt werden. Recht kann in diesem Fall nicht ohne die Mithilfe des Rechtsunterworfenen durchgesetzt werden. Es kann im Falle der Durchsetzung unvertretbarer Handlungen folglich nur darum gehen, dem Schuldner bestimmte Rechtsnachteile anzudrohen und im Zweifel auch zuzufügen, um zu erreichen, dass er sich zur Vornahme der geschuldeten Handlung entschließt.70 c) Vollstreckung von Duldungs- und Unterlassungsansprüchen Ist der Schuldner zu einer Duldung71 oder Unterlassung verpflichtet, so ist auch dieser Anspruch der Zwangsvollstreckung zugänglich. Denn durch jede Zuwiderhandlung gegen das Duldungs- bzw. Unterlassungsgebot wird das Gläubigerrecht verletzt. Dabei erfolgt die Vollstreckung der Verpflichtung, passiv bzw. untätig zu bleiben, ähnlich den Regelungen zur Vollstreckung unvertretbarer Handlungen: Jeder Verstoß gegen die Verpflichtung wird gem. § 890 ZPO mit Ordnungsgeld oder Ordnungshaft geahndet.72 66 Dieses kann bis zu einer Höhe bis 25.000 EUR vom Gericht festgesetzt werden. Die Höhe des Zwangsgeldes muss bestimmt sein. Die Höhe des Zwangsgeldes ist am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen; hierbei ist insbesondere der Wert der Hauptsache ein geeigneter Maßstab, vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, § 888 Rn. 12 m.w.N. 67 Die Zwangshaft beträgt nach §§ 888 Abs. 1 S. 3, 913 ZPO maximal sechs Monate und ist nach §§ 888 Abs. 1 S. 3, 904 ff. ZPO auf Antrag des Gläubigers und aufgrund eines Haftbefehls des Prozessgerichts gem. § 171 StVollzG vollstreckbar. 68 Vgl. OLG Zweibrücken, JurBür 2003, 494 (494) m.w.N. 69 Gruber, in: Münchener Kommentar zur ZPO, § 888 Rn. 25. 70 Gruber, in: Münchener Kommentar zur ZPO, § 888 Rn. 1. 71 Vgl. den richtigen Hinweis von Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 78, wonach die Duldung als Unterlassung im weiteren Sinne einzuordnen ist. 72 Im Gegensatz zu Zwangsgeld und -haft im Falle der Vollstreckung von unvertretbaren Handlungen muss Ordnungsgeld und -haft vorher angedroht werden. Ordnungsgeld und -haft haben außerdem neben der Beugefunktion auch einen repressiven Strafcharakter – im Gegensatz zur Anwendung der Zwangsmittel bei unvertretbaren Handlungen ist demnach bei der Anwendung von Ordnungsgeld und -haft ein Verschulden des Vollstreckungsschuldners zwingende Voraussetzung. Der Sanktionsrahmen von Ordnungsgeld und Ordnungshaft ist schließlich weitaus höher als bei Zwangsgeld und Zwangshaft. Während Zwangsgeld gem. 888 Abs. 1 S. 2 ZPO nur bis zu einer Höhe von maximal 25.000 EUR festgesetzt werden

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d) Besonderheiten der Zwangsvollstreckung gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts Die Zwangsvollstreckungsregeln der ZPO sind nicht nur gegenüber Privatrechtssubjekten, sondern grundsätzlich auch gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts anwendbar. In Frage kommende Forderungen sind in erster Linie solche aus fiskalischer Tätigkeit. Möglich sind aber auch Ansprüche gegen den Staat, die sich aus seiner hoheitlichen Tätigkeit ergeben und die, wie etwa staatshaftungsrechtliche Streitigkeiten gem. Art. 34 S. 3 GG, der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind. Soll gegen eine juristische Person des öffentlichen Rechts wegen einer Geldforderung vollstreckt werden, ist die Regelung des § 882a ZPO zu beachten.73 Die Norm gilt aufgrund ihrer systematischen Stellung nur für Vollstreckungen nach den §§ 803 – 882 ZPO.74 aa) Zulässigkeit der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung gegen den Staat Vorab ist festzuhalten, dass die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung gegen den Staat keine Selbstverständlichkeit ist.75 Die untypische Rolle des Staates als Vollstreckungsunterworfener bereitet Schwierigkeiten, denn im Normalfall der Durchsetzung einer privaten Forderung ist die staatliche Rolle die des neutralen Rechtsverwirklichers, der im Interesse der Allgemeinheit handelnd die Rechtsfindung und -durchsetzung monopolisiert hat. Der Staat ist im Regelfall nicht Mitspieler sondern Schiedsrichter. Gegen eine Zwangsvollstreckung gegen den Staat wird vorgebracht, dass eine solche widersinnig sei. Mangels einer übergeordneten Gewalt müsse sich die „zwingende Staatsgewalt“76 letztlich selbst zwingen.77 Ein solcher Zwang sei darüber hinaus auch nicht erforderlich, weil staatliche Stellen ohnehin kann, findet sich im Falle des Ordnungsgeldes die Grenze erst mit 250.000 EUR beim zehnfachen Wert, § 890 Abs. 1 S. 3 ZPO. Die Ordnungshaft darf wie im Falle der Zwangshaft höchstens sechs Monate betragen, § 890 Abs. 1 S. 1 ZPO. Bei mehreren Zuwiderhandlungen bildet der Zeitrahmen von insgesamt zwei Jahren die Höchstgrenze der Ordnungshaft, § 890 Abs. 1 S. 2 ZPO. 73 Zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer Sonderstellung des Staates im Vollstreckungsverfahren Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 15 f. 74 Für Vollstreckungen, die etwa aus verwaltungs-, sozial- oder finanzgerichtlichen Entscheidungen resultieren, erfolgt eine Vollstreckung zwar nach Spezialvorschriften. Diese verweisen allerdings entweder auf die Vorschriften der ZPO (§ 198 Abs. 1 SGG) oder verfügen über weitgehend inhaltsgleiche Bestimmungen (vgl. § 170 VwGO und § 152 FGO). 75 Vgl. Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 22 ff. zum geschichtlichen Überblick über die Vollstreckung gegen Hoheitsträger aus zivilgerichtlichen Urteilen. 76 Gundlach/Frenzel/Schmidt, InVo 2001, 227 (228). 77 O. Mayer, Verwaltungsrecht I, S. 381 („Nun es ernsthaft an den Zwang geht, ergibt sich der Widersinn, daß der Hort des Rechtes im Namen dieses Rechtes mit äußerem Zwang dazu gebracht werden soll, sein Recht zu achten und ihm genug zu tun. Hier muss die Gleichstellung aufhören: gegen den Staat greifen die gewöhnlichen Zwangsmittel nicht.“)

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nach Art. 20 Abs. 3 GG zu gesetzestreuem Handeln verpflichtet seien. Anders als Privatrechtssubjekte, die sich – als Extremfall der Privatautonomie – der freiwilligen Erfüllung von rechtskräftig festgestellten Ansprüchen zu entziehen vermöchten,78 sei dies verfassungsrechtlich keine Handlungsoption für staatliche Stellen. Als weiterer Einwand gegen die Rolle des Staates als Vollstreckungsunterworfenen wird eine Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes genannt. Durch die Zwangsvollstreckung zwinge die Justiz die Verwaltung zur Vornahme einer Handlung, greife also in den Verwaltungsbereich ein und verstoße dadurch gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz.79 Gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung gegen den Staat wird außerdem eingewandt, dass die staatlichen Interessen als Belange der Allgemeinheit den privaten Interessen vorgehen müssten. Da eine Vollstreckung zulasten des Staates immer auch eine Vollstreckung zulasten der Allgemeinheit sei, müsse eine Zwangsvollstreckung gegen den Staat unterbleiben.80 Die aufgeführten Einwände vermögen im Ergebnis nicht zu überzeugen. Dies gilt zunächst für den Einwand, eine Zwangsvollstreckung gegen den Staat sei wegen des verfassungsrechtlichen Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung überhaupt nicht erforderlich. Zwar ist davon auszugehen, dass sich die Verwaltung in der Mehrzahl der Fälle tatsächlich rechtstreu verhält und ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommt. Für die anderen Fälle ist das Argument, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, nicht geeignet, die Zwangsvollstreckung gegen den Staat abzulehnen. Ein Verweis auf die vorhandenen zahlreichen Beispiele aus der Praxis genügt denn auch, um die Annahme einer vollständigen Kongruenz von staatlichem Sollen und staatlichem Handeln als „rechts-romantisch“81 zu bezeichnen. Auch der Einwand, der Staat müsse sich als Vollstreckungsunterworfener in widersinniger Weise selbst zur Rechtsdurchsetzung zwingen, ist nicht überzeugend. Dem Argument liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Staat ein einheitliches Gebilde sei, das Staatsgewalt zentral und einheitlich ausübe. Während dies vielleicht für Staatsformen absolutistischer Prägung zutreffen mochte, gilt ein solches Bild nicht für den ausdifferenzierten modernen, den Gewaltenteilungsgrundsatz verwirklichenden Staat unter dem Grundgesetz, in dem die unterschiedlichen Gewalten unterschiedliche (Rechts-) Ansichten haben können. Auch muss der Staat sich nicht selbst „zwingen“. Denn der staatliche Wille steht mit der verbindlich festgestellten Entscheidung der Gerichte fest. Die Entscheidung muss nicht gegenüber dem Staat, sondern gegenüber dem einzelnen, sich dem Staatswillen widersetzenden Organwalter bzw. Staatsorgan durchgesetzt werden.82 Mit ähnlicher Begründung greift auch der Einwand des Verstoßes gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung nicht durch. Eine ungerechtfertigte Einmischung der rechtsprechenden Gewalt in die Kompetenz der vollzie78

Loeser, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 882a Rn. 4 spricht von „Privatwillkür“. Angesprochen bei Forsthoff/Simons, Die Zwangsvollstreckung gegen Rechtssubjekte des öffentlichen Rechts, S. 8. 80 Angesprochen mit Hinweis auf die Staatsräson bei Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 6. 81 Loeser, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 882a Rn. 9. 82 Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 4 f.; Dagtoglou, VerwArch. 50 (1959), 165 (169). 79

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henden Gewalt ist durch die Vollstreckungsunterworfenheit nicht zu erkennen. Der Grundsatz der Gewaltenteilung hat nicht nur eine Trennung der Gewalten, sondern auch deren gegenseitige Kontrolle zum Gegenstand.83 Die Kontrolle des Verwaltungshandelns ist nach Art. 19 Abs. 4 GG gerade die verfassungsrechtliche Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt. Es ist ihr Verfassungsauftrag, verbindlich festzulegen, was für die Verwaltung rechtens sein soll. Verweigert sich die Verwaltung in ihrem Handeln der gerichtlichen Entscheidung, handelt sie unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG verfassungswidrig. Dass sie durch eine grundsätzliche Vollstreckungsunterworfenheit im Notfall zu verfassungsgemäßem Handeln gezwungen werden kann, ist daher nicht zu beanstanden.84 Schließlich vermag auch der Einwand, dass staatliche den privaten Interessen vorzugehen haben, eine Zwangsvollstreckung gegen den Staat vollständig auszuschließen. Zwar ist anerkannt, dass die Vollstreckung aus Gründen ausgeschlossen werden kann, die auf der Abwägung widerstreitender Interessen beruhen. Eine solche Abwägung zwischen dem Privatinteresse des Gläubigers einerseits und dem Sozialinteresse der Allgemeinheit andererseits ist etwa Gegenstand der Unpfändbarkeitsvorschriften des § 811 ZPO oder der Pfändungsfreigrenzen der §§ 850 ff. ZPO. Der Durchsetzung einer Geldforderung kommt nach der Entscheidung des Gesetzgebers kein absoluter Rang zu. Vor dem Hintergrund des Staatsverständnisses des Grundgesetzes liegt es auf der Hand, dass eine Zwangsvollstreckung gegen den Staat nicht generell unterbunden werden kann. Denn zum einen ist die Forderung des Gläubigers Bestandteil seines durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsrechts.85 Zum anderen hat der Staat die Möglichkeit, die Art und Weise der Zwangsvollstreckung so zu regeln, dass die Interessen der Allgemeinheit so weit wie möglich berücksichtigt und die Interessen der Gläubiger so wenig wie möglich eingeschränkt werden.86 Die so als inhaltsbestimmende Regelungen i.S.v. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG anzusehenden einschränkenden Vollstreckungsregeln können und müssen dabei so ausgestaltet werden, dass nicht eine vollständige bzw. regelmäßige Negierung des Zahlungsanspruchs die Folge ist. Wo keine zwingenden Gründe für eine generelle Nichtanwendbarkeit der Zwangsvollstreckung gegen die öffentliche Hand sprechen, muss der Gesetzgeber sie in einer Weise ermöglichen, die sie nicht de facto unmöglich macht. Im Übrigen erweckt die Argumentation mit „höherwertigen Interessen der Allgemeinheit“ den Anschein, als ob der Staat bzw. das Staatsorgan nur deshalb nicht die festgestellte Verpflichtung erfüllt, weil höherwertige Belange ihn von der Befolgung abhielten. In Wirklichkeit kann aber

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BVerfGE 34, 52 (59); 95, 1 (15). Loeser, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 882a Rn. 10; Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 10 f. 85 BVerfGE 83, 201 (208); BVerfGE 115, 111. Vgl. auch Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 201. 86 Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 6. 84

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festgestellt werden, dass solche Leistungsverweigerungen in aller Regel auf Nachlässigkeit und Pflichtwidrigkeiten zurückzuführen sind.87 Sinn und Zweck des diese Konstellation regelnden § 882a ZPO ist es damit einerseits, die Erfüllung der im Gemeinwohlinteresse liegenden öffentlichen Aufgaben des staatlichen Schuldners zu sichern und ihm Gelegenheit zur freiwilligen Leistung bzw. Zeit zum Einlegen eines Rechtsbehelfs zu geben. Gleichzeitig wird aber das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Forderungsrecht des Gläubigers anerkannt und dieser in seinem berechtigten Interesse an Rechtsdurchsetzung nicht mehr als nötig eingeschränkt.88 bb) Persönlicher Geltungsbereich Der Anwendungsbereich des § 882a ZPO umfasst neben dem Bund89 und den Ländern auch Stiftungen des öffentlichen Rechts, öffentlich-rechtliche Anstalten wie Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Körperschaften des öffentlichen Recht, wobei auch die als solche organisierten Kirchen und Religionsgemeinschaften mitumfasst sind.90 Für Gemeinden und Gemeindeverbände gilt hingegen aufgrund vorgetragener verfassungsrechtlicher Bedenken des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren zu § 882a ZPO91 das Kommunalrecht der Länder gem. § 15 Nr. 3 EGZPO,92 sodass die Bestimmungen des § 882a ZPO für diese nicht gelten.93 Die Bestimmungen der Länder zur Zwangsvollstreckung gegen Gemeinden entsprechen allerdings weitgehend den Schutzbestimmungen des § 882a ZPO.94 § 882 Abs. 3 S. 2 ZPO stellt außerdem klar, dass die Sondervorschriften aus wettbewerbsrechtlichen Gründen auch keine Anwendung bei öffentlich-rechtlichen Bank- und Kreditanstalten finden.95 Umstritten ist schließlich, ob die Privilegierung des § 882a ZPO auch ausländischen Staaten und juristischen Personen zukommt.96 87

Überzeugend Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 6, 8 f. Siehe auch die zusammengetragenen Beispielsfälle bei Bücking, Die öffentliche Hand als Partei in zivil- und arbeitsgerichtlichen Prozessen, S. 8 ff. 88 Vgl. insg. umfassend Gundlach/Frenzel/Schmidt, InVO 2001, 227. 89 Dessen selbständiges Sondervermögen ist ebenfalls mitumfasst, Becker, in: Musielak, ZPO, § 882a Rn. 2. 90 Becker, in: Musielak, ZPO, § 882a Rn. 2; Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 45. 91 Vgl. hierzu Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 40 ff. 92 Diese haben auch entsprechende Regelungen in ihren Gemeinde- und Landkreisordnungen getroffen, vgl. etwa § 128 GO NRW oder Art. 77 GO Bayern. 93 Eickmann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, § 882a Rn. 4. 94 Zu den einzelnen Unterschieden siehe Gundlach/Frenzel/Schmidt, InVo 2001, 227 (231). 95 Loeser, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 882a Rn. 50; Becker, in: Musielak, ZPO, § 882a Rn. 2. 96 Für eine analoge Anwendbarkeit KG, KGR Berlin 2002, 356. Ablehnend etwa Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, 882a Rn. 5; offengelassen in BVerfGE 46, 359.

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cc) Norminhalt, insbesondere hinsichtlich der Pfändungsverbote Die Vorschrift des § 882a ZPO enthält einige abweichende Sonderregelungen zugunsten des staatlichen Schuldners. So muss etwa der Gläubiger dem Schuldner zunächst seine Absicht der Zwangsvollstreckung mitteilen. Erst vier Wochen nach dieser Ankündigung darf die Zwangsvollstreckung erfolgen, § 882a Abs. 1 S.1 ZPO.97 Eine größere Einschränkung aus Gläubigersicht stellt die Regelung des § 882a Abs. 2 ZPO dar: Denn auch nach Ablauf der vierwöchigen Wartefrist bleibt eine Zwangsvollstreckung in solche Sachen ausgeschlossen, die für die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe unentbehrlich sind oder deren Veräußerung ein öffentliches Interesse entgegensteht. Ob diese Eigenschaft auf die jeweilige körperliche Sache98 zutrifft, ist im Zweifelsfall durch das Rechtsschutzverfahren der Erinnerung gem. § 766 ZPO zu klären, § 882a Abs. 2 S. 2 ZPO. Als unentbehrlich für die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe gelten Sachen, die zum einen zum Verwaltungsund nicht zum Finanzvermögen99 des Gläubigers gehören und bei denen zum anderen eine besondere Dringlichkeit des Bedarfs besteht, weil die Aufgabenerfüllung sonst unmöglich oder unzumutbar wäre.100 Die Norm ist eng auszulegen. Ohne diesen Gegenstand muss die Aufgabenerfüllung „objektiv gänzlich unmöglich oder völlig unzumutbar sein“.101 Unzulässig ist außerdem die Zwangsversteigerung von Sachen, deren Veräußerung ein öffentliches Interesse entgegensteht. In der Gesetzesbegründung werden etwa Kunstgegenstände aus öffentlichen Sammlungen oder Archiv- und Bibliotheksbestände genannt.102 Die Frage kann sich jedoch auch bei Sachmitteln der Polizei oder der Bundeswehr stellen, an denen ein Geheimhaltungsinteresse be-

97 Die Absichtserklärung ist bei einer Zwangsvollstreckung gegen den Bund oder ein Land gegenüber der zur Vertretung des Schuldners berufenen Behörde anzuzeigen. Soll die Zwangsvollstreckung in ein von einer anderen Behörde verwaltetes Vermögen erfolgen, ist sie auch dem zuständigen Finanzminister anzuzeigen, § 882a Abs. 1 S.1 ZPO. Bei Zwangsvollstreckungen gegen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts treten an die Stelle der Behörde die jeweiligen gesetzlichen Vertreter, § 882a Abs. 3 S. 1 ZPO. 98 Da als Sachen nur körperliche Gegenstände in Betracht kommen, unterfallen Forderungen von vornherein nicht den Unpfändbarkeitsregelungen des § 882a ZPO, Gundlach/ Frenzel/Schmidt, InVo 2001, 227 (229). 99 Während Verwaltungsvermögen haushaltsrechtlich dasjenige im Eigentum der öffentlichen Hand stehende Vermögen bezeichnet, das unmittelbar der Erfüllung bestimmter Verwaltungsaufgaben dient (Schulen, Straßen, Verwaltungsgebäude), ist diese unmittelbare Zweckbestimmung beim Finanzvermögen nicht der Fall. Dieses dient vielmehr dazu, nur mittelbar durch Erträge bzw. den ihm innewohnenden Kapitalwert die Leistungsfähigkeit des Staates zu verbessern. Aufgrund der Volatilität der Staatsaufgabendiskussion kann eine Zuordnung allerdings nicht immer eindeutig erfolgen, vgl. hierzu insg. kritisch Gundlach/Frenzel/ Schmidt, InVo 2001, 227, (229 f.). 100 BVerfGE 64, 1 (44); Eickmann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, § 882a Rn. 17. 101 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 882a Rn. 11. 102 BT-Drs. 1/3284, S. 23 f.

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steht.103 Kommt es in einem Streitfall zu einer richterlichen Entscheidung i.S.v. § 766 ZPO über die Eigenschaft der Sache, so ist in diesem Verfahren deshalb der zuständige Bundes- oder Landesminister zu hören, § 882a Abs. 2 S. 3 ZPO. Auch Gegenstände der kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind gegen Pfändung geschützt. Dies betrifft nicht nur die sakralen, sondern alle Gegenstände, die für die kirchliche Tätigkeit insgesamt unentbehrlich sind.104 Die Pfändungsverbotsregelung des § 882a Abs. 2 ZPO entspricht dogmatisch der Bedeutung des Katalogs des § 811 ZPO, allerdings mit dem Unterschied der nicht abschließenden, detaillierten, sondern der einzelfallbezogenen Regelung. 2. Vollstreckung in den drei Verwaltungsprozessordnungen Im folgenden Abschnitt soll nach der eben erfolgten Beschreibung der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung die Vollstreckung in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in der Sozialgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbarkeit kursorisch dargestellt werden. Vorangestellt sei, dass das Vollstreckungsregime der drei Gerichtsbarkeiten nicht vereinheitlicht und dementsprechend wenig übersichtlich ist.105 Die Vorschriften der drei Gerichtsbarkeiten über die Vollstreckungsverfahren enthalten zum einen eigene Regelungen, nehmen zum anderen aber Bezug auf die Vorschriften der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung. Ebenso verweisen sie teilweise auf das Vollstreckungsverfahren der Abgabenordnung, teilweise auf das des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes, das seinerseits wiederum in Teilen auf die Vorschriften der Abgabenordnung verweist. Nicht zuletzt aufgrund dieses reformbedürftigen „Verweisungskarussels“106 soll das Vollstreckungsrecht der drei Gerichtsbarkeiten in der gebotenen übersichtlichen Kürze dargestellt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Darstellung des verwaltungsgerichtlichen Vollstreckungsrechts. Die finanz- und sozialgerichtlichen Bestimmungen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der VwGO und werden nur flankierend erläutert.

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Dörndorfer, in: Münchener Kommentar ZPO, § 882a Rn. 18. So BVerfGE 66, 3. Nicht geschützt sind allerdings unter kirchlicher Aufsicht stehende Einrichtungen wie Krankenhäuser und Altenheime, die rein privatrechtlich als Verein oder als GmbH organisiertes Sondervermögen sind, Becker, in: Musielak, ZPO, § 882a Rn. 6 ZPO. 105 Zu den Bemühungen um eine Vereinheitlichung i.R.e. „Verwaltungsprozessordnung“ siehe Schmidt-Jortzig in: FS Offerhaus, S. 753 ff. 106 Leitherer, in: Meyer-Ladewig, SGG, § 198 Rn. 2. 104

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a) Vollstreckung von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen Die Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen107 findet grundsätzlich nicht nach der ZPO, sondern nach den Vorschriften des 17. Abschnitts der VwGO, den §§ 167 – 172 VwGO, statt. Die Bestimmungen der ZPO gelten allerdings nach § 167 Abs. 1 VwGO ergänzend, soweit sich aus der VwGO nichts Anderes ergibt. Allein der Umfang der Vollstreckungsregeln der §§ 704 – 945 ZPO im Vergleich mit den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften der §§ 167 – 172 VwGO macht deutlich, dass die Vorschriften der ZPO zu großen Teilen auch im verwaltungsgerichtlichen Vollstreckungsrecht Anwendung finden. Trotzdem darf die Verweisung in ihrer Wirkung nicht überschätzt werden. Sie bezieht sich insbesondere auf den „Allgemeinen Teil“ der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung, §§ 704 – 802 ZPO. Die VwGO enthält in diesem Bereich nur vereinzelte Vorschriften. Ansonsten treffen die §§ 169, 170 und 172 VwGO eigenständige Regelungen hinsichtlich der Durchführung der Vollstreckung und der Vollstreckungsmodelle.108 aa) Vollstreckung zugunsten des Staates Die Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Titel zugunsten des Staates ist nicht der gewöhnliche Weg der Durchsetzung von Verwaltungsrecht. Hierfür ist gerade das Instrument des Verwaltungsakts vorgesehen, das der Verwaltung das Recht zur Selbstvollstreckung gibt. Es ermöglicht der Verwaltung im Normalfall, verwaltungsrechtliche Pflichten der Bürger ohne Einschaltung der Gerichte nach den Vorschriften des VwVG durchzusetzen. Die verwaltungsgerichtliche Vollstreckung zugunsten des Staates gem. § 169 VwGO kommt deshalb nur für Fälle der Leistungsklage in Betracht, in denen der Verwaltung das Instrument des Verwaltungsakts nicht zur Verfügung steht.109 Materiellrechtlich erfolgt das verwaltungsgerichtliche Vollstreckungsverfahren zugunsten der öffentlichen Hand mit dem Verweis des § 169 Abs. 1 S. 1 VwGO auf die Vorschriften des VwVG zwar nach denselben Vorschriften wie im Fall der 107 Präziser ist die Formulierung „verwaltungsgerichtlicher Vollstreckungstitel“. Denn neben gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und einstweiligen Anordnungen können nach der VwGO auch Kostenfestsetzungsbeschlüsse und Schiedssprüche öffentlich-rechtlicher Schiedsgerichte vollstreckt werden, § 168 Abs. 1 Nr. 1 – 4 VwGO. Öffentlich-rechtliche Verträge werden in analoger Anwendung des VwVG vollstreckt, wenn eine Seite der Vertragsparteien eine Behörde ist, § 61 Abs. 2 VwVfG, vgl. auch Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 61, Rn. 24 ff. Eingehend zu den Vollstreckungstiteln Schmidt-Kötterer, VwGO, § 168 Rn. 6 ff. 108 Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem. § 167 Rn. 11. 109 Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem. § 167, Rn. 20. Steht sich die öffentliche Hand auf beiden Seiten als Vollstreckungsschuldner und -gläubiger gegenüber, so verdrängt § 170 VwGO, der die Vollstreckung gegen die öffentliche Hand regelt, den § 169 VwGO, vgl. Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, VwGO, § 169 Rn. 3; VGH Kassel, NJW 1976, 1766.

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Verwaltungsvollstreckung110 nach § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO die Durchführung der Vollstreckung in der Hand des Vorsitzenden des Gerichts des ersten Rechtszuges.111 Die gerichtliche Zuständigkeit in der Vollstreckung ist auch folgerichtig. Denn wenn der Verwaltung das Handlungsinstrument Verwaltungsakt nicht zusteht, kann es auch nicht angehen, dass der Verwaltung über den Umweg des Verweises ins VwVG doch wieder ein Recht auf Selbstvollstreckung zukommt.112 bb) Vollstreckung zulasten des Staates Die §§ 170 und 172 VwGO enthalten Regelungen zur Vollstreckung von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, die Geldforderungen betreffen (§ 170 VwGO) sowie von Entscheidungen, die Fälle des § 113 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 und § 123 VwGO betreffen. Darüber hinaus gehende tenorierte Nichtgeldleistungsverpflichtungen des Staates werden gemäß der Verweisung des § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO nach dem zivilprozessualen Vollstreckungsregime zwangsweise durchgesetzt. (1) Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Vollstreckung gegen den Staat Gegen die Vollstreckung von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zulasten des Staates lassen sich ähnliche Argumente anführen wie im Falle der zivilprozessualen Vollstreckungsunterworfenheit des Staates.113 Ähnlich kritisch wie § 882 a ZPO wurde auch die Regelung des § 172 VwGO, die eine Erzwingung hoheitlichen Handelns durch Verhängung von Zwangsgeld gegen die Behörde ermöglicht, als „Bankrotterklärung des Rechtsstaatsgedankens“114 beschrieben. Die Einwände gegen eine verwaltungsgerichtliche Vollstreckung greifen aber mit den gleichen Begründungen wie im Falle der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung nicht durch. Die Tatsache, dass vor den Verwaltungsgerichten nicht das fiskalische, sondern das eigentlich hoheitliche Tätigwerden des Staates Streitgegenstand ist, vermag nicht zu anderen Ergebnissen zu führen. Aus dem Gewalt- und Vollstreckungsverbot für Private ergibt sich auch in Bezug auf die Vollstreckung von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen die Justizgewährungspflicht des Staates als 110

Geldforderungen werden gem. § 5 Abs. 1 VwVG nach den Vorschriften der AO, Nichtgeldforderungen nach den §§ 9 ff. VwVG vollstreckt. Näheres zum Verfahren bei Troidl, in: Engelhardt/App, VwVG, § 3 Rn 9 f.; Kopp/Schenke, VwGO, § 169 Rn. 3 f.; SchmidtKötters, in: Posser/Wolff, § 169 Rn. 11 ff.; Hüttenbrink, in: Kuhla/Hüttenbrink/Endler, Verwaltungsprozess, S. 582 Rn. 14 ff. 111 Dies ist in der Regel der jeweilige Kammervorsitzende des Verwaltungsgerichts, vgl. Troidl, in: Engelhardt/App, VwVG, § 4 Rn. 4. 112 So auch Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorbem. § 167 Rn. 201. Ähnliche Argumentation auch bei Lerche, in: 100 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit II, S. 89. 113 Siehe hierzu 3. Teil A. II. 1. d) aa). 114 Uhle, DVBl. 1959, 537 (540).

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notwendiges Korrelat.115 Kritische Gedanken zur Einführung des § 172 VwGO etwa wehrte der Bundesgesetzgeber mit der Begründung ab, „der hiergegen erhobene Einwand, dass eine solche Vorschrift das Ansehen der Verwaltung schädige, greift nicht durch. Geschädigt wird das Ansehen der Verwaltung nur, wenn die Zwangsstrafe tatsächlich verhängt werden muß; dies zu vermeiden, liegt in der Hand der Verwaltung. Die Befolgung gerichtlicher Urteile müsste in einem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit sein; doch hat gerade die Nachkriegserfahrung gelehrt, dass es in Ausnahmefällen auch Behörden gegenüber nicht ohne Zwang geht“116. Die verschleppende Umsetzung oder gar gänzliche Missachtung gerichtlicher Entscheidungen ist zwar damals wie heute eine Ausnahme, die aber, vor allem bei kleineren Selbstverwaltungskörperschaften wie Gemeinden, Universitäten oder der verfassten Studentenschaft, immer wieder auftaucht und nicht ignoriert werden kann.117 Deshalb ist vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG, der dem Bürger einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gewährleistet, die Möglichkeit einer wirkungsvollen Vollstreckung auch gegen den Staat als Hoheitsträger erforderlich. So heißt es in der Gesetzesbegründung weiter, „eine wirkungsvolle Vollstreckung des verwaltungsgerichtlichen Urteils ist zwingende Voraussetzung eines konsequenten Rechtsschutzes. Die Möglichkeit, dass ein verwaltungsgerichtliches Urteil, sei es wegen passiven Verhaltens der Behörde oder wegen einer an sich lückenhaften Ausgestaltung der Vollstreckung, nicht vollzogen wird, widerspricht der Forderung des Art. 19 Abs. 4 GG nach umfassendem Rechtsschutz; soweit die Durchsetzung der Urteile nicht gewährleistet ist, ist der Rechtsschutz unvollkommen.“118 Bedenken gegen § 172 VwGO im Speziellen bzw. die Zulässigkeit einer verwaltungsgericht-

115 BVerfGE 54, 277 (292). Vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, Einleitung, Rn. 51. 116 BT-Drs. III/55, S. 49 zu § 168. 117 Roth, VerwArch. 91 (2000), 12 (13). Als Beispiele vgl. etwa OVG Berlin, NVwZRR 1999, 411; VGH München, NVwZ-RR 1999, 410; VG Frankfurt, NVwZ 1998, 545. Die Nichtbefolgung gerichtlicher Entscheidungen durch Behörden ist i.Ü. kein bloßes Problem der Nachkriegszeit. Die Datenbank juris listet für die Jahre von 2010 – 2014 alleine über 60 Entscheidungen auf, in denen gegenüber Behörden ein Zwangsgeld nach § 172 VwGO angedroht bzw. festgesetzt wurde. 118 BT-Drs. III/55, S. 48 zu § 164. Ähnlich bereits die Begründung zu den Vollstreckungsvorschriften des SGG in BT-Drs. I/4357 S. 22, Nr. 9 („Eine wirkungsvolle Vollstreckung eines Urteils ist zwingende Voraussetzung eines konsequenten Rechtsschutzes. Die Möglichkeit, daß ein Urteil, sei es wegen passiven Verhaltens der Behörde oder wegen einer an sich lückenhaften Ausgestaltung der Vollstreckung, nicht vollzogen wird, widerspricht der Forderung des Artikels 19 Abs. 4 GG nach umfassendem Rechtsschutz.“). So dann auch BVerfG, NVwZ 1999, 1330 (1331). („Der von Verfassungs wegen gebotene vorläufige Rechtsschutz liefe leer, wenn die VGe keine wirksamen Maßnahmen zur Durchsetzung der von ihnen erlassenen einstweiligen Anordnungen treffen dürften.“).

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lichen Vollstreckung auch gegen den Staat als Hoheitsträger im Allgemeinen bestehen aus heutiger Sicht nicht mehr.119 (2) Vollstreckung von Gestaltungsurteilen Die Vollstreckung aus einem Anfechtungsurteil ist nur im Hinblick auf die Kosten des Verfahrens denkbar. Aufgrund des Wesens der Anfechtungsklage als Gestaltungsklage, deren Wirkung „self-executing“ eintritt, ist eine Vollstreckung der materiellen Entscheidung ausgeschlossen. Denn der Verwaltungsakt ist mit der Rechtskraft des Urteils aufgehoben. Seine Nichtexistenz muss und kann demgemäß nicht mehr vollstreckt werden. Anderes gilt für die Vollstreckung aus einem Verpflichtungsurteil. Kommt die Behörde ihrer rechtskräftig festgestellten Verpflichtung zum Erlass eines Verwaltungsakts nicht nach120, so wird die Entscheidung nach § 172 VwGO vollstreckt. Die Vollstreckung beschränkt sich demnach auf eine mittelbare Rechtsdurchsetzung. Das Gericht kann gegen die Behörde nach § 172 S. 1 VwGO ein Zwangsgeld bis zu einer, eher symbolischen,121 Höhe von 10.000 EUR festsetzen.122 Eine direktere, unmittelbare Form der Vollstreckung, wie sie etwa die Ersatzvornahme darstellt, ist nicht vorgesehen. Das Gericht kann bei Weigerung der Behörde, den Verwaltungsakt zu erlassen, diesen nicht etwa stellvertretend selber erlassen. Die Beschränkung123 auf den Beugezwang soll den Besonderheiten der

119 Vgl. exemplarisch zu den Argumenten der Gegenansicht vor Einführung der VwGO Bachof, Verwaltungsgerichtliche Klage, S. 150 ff. aus dem Jahre 1950 sowie Dagtoglou, VerwArch. 50 (1959), S. 165 (168 ff.). 120 Die Frage, ob eine solche „grundlose Säumnis“ der Behörde vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und liegt im Ermessen des Vollstreckungsgerichts, vgl. SchmidtKötters, in: Posser/Wolff, VwGO, § 172 Rn. 21 ff. m.w.N. 121 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 69. 122 Einzelheiten bei Redeker/von Oertzen, VwGO, § 172 Rn. 6 f. Die Obergrenze des Zwangsgeldes i.H.v. 10.000 EUR wird in der Praxis oft als zu niedrig kritisiert (und war bereits in den Ausschussberatungen zur VwGO Gegenstand von Diskussionen, vgl. PA-DBT 4000 III/ 164 – 165 Bd. A2 (32) S. 29). Deshalb werden mittlerweile die gem. § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO im Bereich der verwaltungsgerichtlichen Vollstreckung grundsätzlich anwendbaren Zwangsvollstreckungsvorschriften der ZPO ergänzend hinzugezogen, wenn die Behörde aufgrund vorangegangener Erfahrung, aufgrund eindeutiger Bekundungen oder trotz mehrfach erfolgter, erfolgloser Zwangsgeldandrohungen klar erkennbar nicht einlenken wird, vgl. BVerfG, NVwZ 1999, S. 1330 (1331). Hierzu auch Hüttenbrink, in: Kuhla/Hüttenbrink/Endler, Verwaltungsprozessrecht, S. 585 Rn. 26. 123 Der Begriff „Beschränkung“ soll nicht die Bedeutung der Vorschrift kleinreden. So bemerkte Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 105 wenige Jahre nach Erlass der VwGO im Jahre 1965: „Mit dieser Bestimmung ist ein sorgfältig gehüteter Grundsatz aufgegeben worden, der – aus der Gewaltenteilungslehre abgeleitet – lange Zeit zum festen und unangetasteten Bestand der Staatsrechtswissenschaft gehört hatte. Die Gerichte besitzen nunmehr die Macht, die Verwaltung zu bestimmten hoheitlichen Maßnahmen zu zwingen. In größerem Maße kann

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Vollstreckung gegen die öffentliche Hand Rechnung tragen.124 Problematisch an der Effektivität der Verhängung von Zwangsgeld ist, dass dieses aus öffentlichen Mitteln zu entrichten ist, zugleich aber wieder in den öffentlichen Haushalt zurückfließt. Gehören die verurteilte Behörde und das Vollstreckungsgericht sogar demselben Rechtsträger an, wird aus dem Zwangsgeld ein Nullsummenspiel, dessen Druckwirkung bezweifelt werden kann. Zudem kann in einem solchen Fall mangels Schaden nicht einmal mehr das eigentliche Beugepotential des Zwangsgeldes, nämlich der Regress des Dienstherren bei seinem den Vollstreckungsfall auslösenden Beamten, Wirkung zeigen.125 (3) Vollstreckung von Leistungsurteilen Auf Geld lautende Entscheidungen gegen die öffentliche Hand werden gem. § 170 VwGO vollstreckt. Die Vorschrift ähnelt mit ihren Regelungen zu Vollstreckungsandrohung und spezifischen Pfändungsverboten der zivilprozessualen Norm über die Zwangsvollstreckung gegen die öffentliche Hand, § 882a ZPO.126 Über die Vollstreckung von anderen, nicht auf Geld lautenden unvertretbaren Handlungen sowie Unterlassungen finden sich in der VwGO hingegen keine Vorschriften. § 172 VwGO umfasst nur den Erlass eines Verwaltungsakts als Spezialfall einer unvertretbaren Handlung. Es besteht erheblicher Streit,127 ob § 172 VwGO auch auf die Fälle der Vollstreckung einer – vom Wortlaut des § 172 VwGO eindeutig nicht mitumfassten – sonstigen unvertretbaren Handlung angewendet werden kann. Die Frage hat weitreichende praktische Konsequenzen: Wenn § 172 VwGO nur bei den im Wortlaut aufgezählten Vollstreckungskonstellationen128 anwendbar ist, müssten folglich an-

sich ein Staat seiner eigenen Vollstreckungsgewalt nicht unterwerfen. Das ist die Vollendung des Justizstaates.“ 124 OVG Berlin, NwVZ-RR 1999, 411; Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, VwGO, § 172 Rn. 2. 125 Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 129. 126 Pietzner, in: FS Blümel, S. 443 (445). § 170 VwGO ist jedoch in seinem Anwendungsbereich insofern weiter als § 882a ZPO, als dieser nur Vollstreckungen gegen Bund, Land und Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, nicht jedoch auch gegen Gemeinden und Gemeindeverbände umfasst. Auch muss der der Gläubiger im Falle des § 882a ZPO mindestens vier Wochen nach seiner Vollstreckungsankündigung abwarten, ehe die Vollstreckung begonnen werden kann, § 882a Abs. 1 S. 1 ZPO. Die verwaltungsgerichtliche Vollstreckung kann hingegen schneller erfolgen: Hier beträgt die Vollstreckungsabwendungsfrist maximal einen Monat, § 170 Abs. 2 S. 2 VwGO. 127 Auf den Streit soll an dieser Stelle nicht umfassend eingegangen werden, vgl. dazu eingehend etwa Roth, VerwArch. 91 (2000), 12 ff einerseits sowie Pietzner, in: FS Blümel, S. 443 (447 ff.) andererseits. Umfassend zu Rechtslage und Diskussionen vor Erlass des § 172 VwGO sowie zu dessen Entstehungsgeschichte Miedtank, Zwangsvollstreckung, S. 105 ff. 128 Verpflichtungen nach § 123 VwGO sowie nach § 113 Abs. 1 S. 2 und Abs. 5 VwGO.

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dere gerichtlich festgestellten Verpflichtungen129 der Behörde, also etwa Ansprüche auf Auskunft oder Herausgabe von Sachen, gemäß der Verweisung des § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO nach dem Vollstreckungsregime der ZPO vollstreckt werden. Damit wären dann aber nicht nur sehr viel höhere Zwangs- und Ordnungsgelder130, sondern vor allem auch Zwangs- und Ordnungshaft bis zu zwei Jahren gegen die Behörde bzw. den zuständigen Amtswalter131 zulässige Vollstreckungsmittel, § 890 Abs. 1 S. 2 ZPO. Die Achtung von Wortlautgrenze132 und Entstehungsgeschichte der Norm133 sprechen im Ergebnis gegen eine extensive Auslegung des § 172 VwGO und für den Weg der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung.134 Dieser unter Umständen rechtspolitisch unerwünschte Weg über die ZPO kann nur durch den Gesetzgeber abgeändert werden.135 (4) Vollstreckung weiterer gerichtlicher Entscheidungen Weitere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen wie etwa einstweilige Anordnungen, Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO oder auch Prozessvergleiche werden im Einklang mit dem oben beschriebenen Muster vollstreckt. Damit werden Entscheidungen i.S.v. § 80 Abs. 5 VWGO nach § 172 VwGO,136 tenorierte Geldzahlungen nach § 170 VwGO zwangsweise durchgesetzt. Entscheidungen betreffend vertretbare Handlungen werden nach § 887 ZPO137, unvertretbare Handlungen

129 Für eine – an dieser Stelle nicht erfolgte – einschränkende Verwendung des Begriffs „Verpflichtung“ als verwaltungsprozessualer terminus technicus (ausschließlich Pflicht zum Erlass eines Verwaltungsakts) Roth, VerwArch. 91 (2000), 12 (18 f.). 130 Bis zu 250.00 EUR Ordnungsgeld nach § 890 Abs. 1 ZPO im Gegensatz zu max. 10.000 EUR Zwangsgeld gem. § 172 S. 1 VwGO. 131 Zwangsgeld ist gegen die Behörde, Zwangshaft im Zweifel gegen den Amtsleiter zu richten, vgl. Kopp/Schenke, § 172 Rn. 5; Roth, VerwArch. 91 (2000), S. 12 (39). 132 Larenz, Methodenlehre, S. 322 (343). 133 Roth, VerwArch. 91 (2000), 12 (31). Die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 172 VwGO (bzw. § 168 des Gesetzesentwurfs) besagt: „Diese Vorschrift soll die Ausführung der Verpflichtungsurteile auf jeden Fall sicherstellen“ (Hervorhebung nicht in Originaltext), Drs.-BT I/4278, S. 51. 134 So auch Roth, VerwArch. 91 (2000), 12 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 172 Rn. 1; Schmitt-Kötters, in: Posser/Wolff, VwGO, § 172 Rn. 6 ff.; Redeker/von Oertzen, § 172 Rn. 3; a.A. Pietzner, in; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 172 Rn. 11 ff. Dazwischen existieren zahlreicher differenzierte Meinungen, vgl. etwa Heckmann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 172 Rn. 30, der die Substituierbarkeit als systembildendes Unterscheidungsmerkmal der §§ 170, 172 VwGO herausstellt und dementsprechend unvertretbare Handlungen dem § 172 VwGO unterstellt, vertretbare Handlungen hingegegen nicht mehr vom Anwendungsbereich des § 172 VwGO umfasst sieht. 135 So auch Schmitt-Kötters, in: Posser/Wolff, § 172 Rn. 9.2. 136 VGH Kassel, NVwZ-RR 1999, 158. Zum Streit, ob Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO überhaupt vollstreckungsfähig sind, vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 63; Kopp/Schenke, § 80 Rn. 205. 137 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1998, 785.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

nach § 888 ZPO138 vollstreckt. Die Durchsetzung eines vergleichsweise vereinbarten oder einstweilig angeordneten Unterlassungsanspruchs geschieht auf Grundlage der § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 890 ZPO.139 b) Vollstreckung von finanz- und sozialgerichtlichen Entscheidungen Vorschriften zur Vollstreckung finanzgerichtlicher Titel finden sich in den §§ 150 bis 154 FGO. Die praktische Bedeutung der §§ 150 ff. FGO ist noch einmal geringer als die Bedeutung der §§ 167 ff. VwGO. Denn zum einen vollstreckt der Staat als Abgabenberechtigter140 im Falle einer ihm Recht gebenden Entscheidung nicht aus dieser Entscheidung, sondern nach wie vor aus dem streitgegenständlichen Verwaltungsakt.141 Zum anderen wird grundsätzlich noch nicht einmal hinsichtlich der Kosten vollstreckt: Denn nach § 139 Abs. 2 FGO sind die Verfahrensaufwendungen der Finanzbehörden nicht zu erstatten. Auch eine Beitreibung der Gerichtskosten, die der Kläger nach verlorenem Verfahren zu tragen hat, erfolgt nicht nach § 150 FGO, sondern nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 der Justizbeitreibungsordnung (JBeitrO).142 Die Anwendbarkeit des § 150 FGO beschränkt sich somit letztlich auf den Fall der Vollstreckung der außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen nach § 139 Abs. 4 FGO gegen den Kläger, wenn und soweit es sich bei diesem Beigeladenen um einen in § 150 FGO genannten Abgabenberechtigten handelt.143 Die Vollstreckung einer zulasten der öffentlichen Hand ergangenen finanzgerichtlichen Entscheidung nach §§ 151, 152 FGO weist keine Besonderheiten gegenüber der Vollstreckung nach der VwGO auf. Auffällig ist, dass die bereits geringe Zwangsgeldhöhe von 10.000 EUR gem. § 172 S. 1 VwGO im Falle der Vollstreckung von finanzgerichtlichen Entscheidungen, die zulasten der öffentlichen Hand 138

Redeker/von Oertzen, § 172 Rn. 3. Hüttenbrink, in: Kuhla/Hüttenbrinjk/Endler, Verwaltungsprozess, S. 588 f., Rn. 42, 44. 140 Abgabenberechtigte nach § 150 FGO können sein der Bund, ein Land, ein Gemeindeverband, eine Gemeinde oder eine Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts. Eine finanzgerichtliche Vollstreckung zugunsten der öffentlichen Hand umfasst damit die gleichen staatlichen Einheiten wie im Falle der verwaltungsgerichtlichen Vollstreckung nach § 169 Abs. 1 VwGO. 141 Kruse, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 150 FGO, Rn. 3; Rahn, BB 1974, 1434, 1434; Martens, DStR 1967, 274 (278). Ebenfalls noch aus dem Verwaltungsakt und nicht aus dem Urteil wird sogar vollstreckt, wenn das Gericht die Steuer nach § 100 Abs. 2 S. 1 FGO neu festsetzt, vgl. dazu Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 150 Rn. 2. Im übrigen sprechen die besseren Argumente dafür, dass nach Ergehen eines aufhebenden, aber noch nicht rechtskräftigen Urteils der Abgabenberechtigte den Verwaltungsakt nicht vollziehen darf, siehe dazu Rahn, BB 1974, 1434 (1435). 142 Die Finanzbehörden sind i.ü. von der Zahlung von Gerichtskosten befreit, § 2 GKG. 143 Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 150 Rn. 5; Rahn, BB 1974, 1434 (1435). Entgegen der Regelung des § 139 FGO will Kruse, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 150 FGO Rn. 4 auch den Fall der Klageabweisung und klägerseitigen Kostenauferlegung hinzuzählen. 139

A. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als Problem

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ergangenen sind, mit 1.000 EUR noch einmal auf ein Zehntel der Summe reduziert ist, § 154 S. 1 FGO. Ebenso wie VwGO und FGO verzichtet auch das SGG weitgehend auf eigene Vollstreckungsregeln. Nach § 198 Abs. 1 SGG richtet sich die Vollstreckung sozialgerichtlicher Entscheidungen grundsätzlich nach den Vorschriften der ZPO. In der Literatur häufig anzutreffen ist der Hinweis auf die geringe praktische Bedeutung der Vollstreckung im Sozialrecht, da Versicherungsträger und Behörden einer Verurteilung von sich aus folgten.144 Bei klageabweisenden Anfechtungsverfahren über die Leistungspflicht kommt oft ebenfalls eine Vollstreckung nach dem SGG nicht in Betracht. Denn die Bestätigung der Bescheide führt wie im finanzgerichtlichen Verfahren dazu, dass diese bestands- und rechtskräftig werden. Eine Vollstreckung erfolgt dann nicht aus dem Urteil oder Beschluss, sondern aus dem Leistungsbescheid selbst nach § 66 SGB X.145 Hinsichtlich der möglicherweise zu vollstreckenden Verfahrenskosten gilt im sozialgerichtlichen Verfahren § 183 SGG, der bestimmt, dass die Verfahren vor den Sozialgerichten für Versicherte und Leistungsempfänger grundsätzlich gerichtskostenfrei sind. Es kommt daher in der Regel auch keine Vollstreckung nur wegen der Kosten in Betracht.146 Vollstreckungen von sozialgerichtlichen Entscheidungen zugunsten und zulasten der öffentlichen Hand begegnen keinen methodisch-strukturellen Besonderheiten im Vergleich zu verwaltungs- und finanzgerichtlichen Entscheidungen. Wie bei § 154 S. 1 FGO kann auch im sozialgerichtlichen Verfahren nur ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR verhängt werden, § 201 Abs. 1 S. 1 SGG. 3. Verwaltungsvollstreckung Im Rahmen der Untersuchung der verschiedenen Vollstreckungsregime als Vergleichsfolie für die Vollstreckungsfunktion der Aufrechnung verdient die Untersuchung des Systems der Verwaltungsvollstreckung ausführlichere Betrachtung. Denn bei der vorliegend zu untersuchenden Frage, inwiefern eine Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern rechtssystematisch mit der Vollstreckung vergleichbar bzw. gleichzusetzen ist, kann es sich beim Gebrauch der Aufrechnung, wenn überhaupt, nur um eine Form der administrativen Rechtsdurchsetzung handeln.

144 Vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig, SGG, § 198 Rn. 1a; Krasney/Udsching, Handbuch SGG, S. 587 Rn. 2; Naumann, SGb 1972, S. 381. 145 Naumann, SGb 1972, S. 381 (382); Krasney/Udsching, Handbuch SGG, S. 587 Rn. 2; Groß, in: Lüdtke, SGG, § 198 Rn. 2. 146 Die Kosten der Gerichtshaltung trägt für die Landesgerichte (Sozialgericht und Landessozialgericht) das jeweilige Land, für das Bundessozialgericht der Bund, Leitherer, in: Meyer-Ladewig, SGG, Vor § 183 Rn. 2.

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a) Terminologische Klärungen Bevor auf die Einzelheiten der Verwaltungsvollstreckung eingegangen wird, soll vorab Klarheit über die Verwendung der Termini geschaffen werden. Die Begrifflichkeiten rund um die Vollstreckung im öffentlichen Recht sind geprägt von „terminologischer Disziplinlosigkeit“.147 In dieser Arbeit wurde bereits die Vollstreckung als die zwangsweise Durchsetzung einer rechtlichen Entscheidung im Rahmen eines staatliches Verfahrens definiert.148 Damit kennzeichnet die Vollstreckung die Anwendung von Zwang. Der Vollstreckung können zunächst die Begriffe „Vollzug“ bzw. „Vollziehung“ als Oberbegriff vorangestellt werden:149 Denn während ein Verwaltungsakt auch durch das freiwillige Befolgen des Adressaten vollzogen werden kann, setzt eine Vollstreckung immer die Anwendung staatlichen Zwangs voraus.150 Vollzug und Vollziehung beschreiben somit zwar auch die Endpunkte des Rechtsverwirklichungsvorgangs, sind aber nicht unbedingt mit dem Zwangselement verbunden sondern umfassen beide Arten, die freiwillige und die zwangsweise, der Rechtsverwirklichung. Zwar ist die Bedeutung von Vollzug und Vollziehung identisch, die Begriffe „sofortiger Vollzug“ und „sofortige Vollziehung“ werden vom Gesetz aber in unterschiedlicher Bedeutung gebraucht und sind deshalb streng voneinander zu unterscheiden.151 Die Verwirrung wird noch weiter dadurch komplettiert, dass der Gesetzgeber im Bereich des Verwaltungszwangs152 sowohl in § 6 Abs. 1 VwVG als auch in § 6 Abs. 2 VwVG jeweils den Begriff „sofortiger Vollzug“ benutzt, dabei aber unterschiedliche Vorgänge meint.153 Während § 6 Abs. 1 VwVG davon spricht, dass ein Verwaltungsakt dann mit den Zwangsmitteln nach § 9 VwVG durchgesetzt werden kann, wenn sein „sofortiger Vollzug“ angeordnet worden ist, definiert § 6 Abs. 2 VwVG den „sofortigen Vollzug“ als Anwendung von Verwaltungszwang „ohne vorausgehenden Verwaltungsakt“. § 6 Abs. 1 setzt aber im Gegensatz zu § 6 Abs. 2 den vorherigen Erlass eines Verwaltungsakts voraus. Einem Rechtsmittel 147

So in anderem Zusammenhang Brunner, Die Lehre vom Verwaltungszwang, S. 40 Fn. 2. Kritisch auch Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, S. 1236 ff.; Traulsen, Rechtsbehelfe im Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 49; Heckmann, Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, S. 29 f. 148 Vgl. 3. Teil A. I. 2. 149 „Vollzug“ und „Vollziehung“ stammen beide vom Verb „vollziehen“ ab und werden – wohl deshalb – weitgehend synonym gebraucht, Heckmann, Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, S. 29; Traulsen, Rechtsbehelfe im Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 53. 150 Traulsen, Rechtsbehelfe im Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 52; Heckmann, Vollzug staatlicher Geldforderungen, S. 29. 151 So auch Traulsen, Rechtsbehelfe im Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 53. Siehe hierzu den Beitrag von Sadler, Polizei 2005, S. 185 ff. 152 Verwaltungszwang bedeutet die Vollstreckung von Nichtgeldforderungen nach den §§ 6 ff. VwVG, siehe hierzu 3. Teil A. II. 3. d). 153 Sadler, § 6 VwVG, Rn. 131 zur Entstehungsgeschichte der Norm.

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gegen diesen Verwaltungsakt kommt dann aber wegen der behördlichen Anordnung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO, der Anordnung der sog. „sofortigen Vollziehung“, keine aufschiebende Wirkung zu. Die „sofortige Vollziehung“ ist deshalb auch keine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung, sondern bloß eine Vorstufe dessen. „Sofortiger Vollzug“ und „sofortige Vollziehung“ sind verschiedene Rechtsinstitute, die in keinem rechtlichen Verhältnis zueinander stehen.154 Für die Bezeichnung des „sofortigen Vollzugs“ in § 6 Abs. 1 VwVG bietet sich deshalb die Bezeichnung „sofortige Vollziehung“ an, denn dies entspricht der Terminologie des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO, auf den sich § 6 Abs. 1 VwVG bezieht.155 Die Begriffe „sofort vollziehbar“ bzw. „sofortige Vollziehbarkeit“ meinen dasselbe wie „sofortige Vollziehung“. In § 6 Abs. 2 VwVG ist die Begriffsverwendung dagegen nicht zu beanstanden, sodass hier der Gesetzeswortlaut übernommen werden kann. „Sofortiger Vollzug“ meint somit die ausnahmsweise156 direkte Anwendung von Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Grundverwaltungsakt.157 Der Begriff „Sofortvollzug“ ist identisch mit dem des „sofortigen Vollzugs“,158 ebenso soll „sofortiger Zwang“ die direkte Anwendung von Zwangsmitteln ohne Grundverwaltungsakt bezeichnen159. Im Polizei- und Ordnungsrecht der Länder ist schließlich auch die Bezeichnung „Unmittelbare Ausführung“ gebräuchlich für zwangsweise Rechtsdurchsetzung ohne Grundverwaltungsakt. Allerdings geht die „unmittelbare Ausführung“ im Unterschied zum „sofortigen Vollzug“ nicht unbedingt mit dem Bruch eines entgegen154

Sadler, Polizei 2005, S. 185 (186, 189). So auch Sadler, § 6 VwVG, Rn. 131. Gleiches gilt auch für den „sofortigen Vollzug“ in § 13 Abs. 2 S. 2 VwVG. Im Übrigen ist im Gesetzentwurf auch noch von „sofortiger Vollziehbarkeit“ die Rede. Während der Rechtsausschuss des Bundesrats keine Beanstandungen geltend machte, regte der Innenausschuss des Bundesrats als redaktionelle Änderung die Verwendung des Begriffs „sofortiger Vollzug“ ohne weitere Begründung an. Dem widersprach im weiteren Verfahren keiner mehr, so dass die missverständliche Formulierung Eingang ins Gesetz fand, vgl. PA-DBT 4000 I/415 Bd. A. Richtig wäre vielmehr das Gegenteil gewesen, nämlich die falsche Terminologie des Entwurfs in § 13 Abs. 2 S. 2 VwVG der korrekten des § 6 Abs. 1 VwVG anzupassen 156 Voraussetzung für den sofortigen Vollzug ist gem. § 6 Abs. 2 VwVG die bezweckte „Verhinderung einer rechtswidrigen Tat, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht“ oder die Notwendigkeit „zur Abwendung einer drohenden Gefahr“. Voraussetzung ist schließlich auch, dass „die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt.“ 157 Trotzdem wäre auch hier die Bezeichnung „Sofortige Vollstreckung“ noch genauer, denn schließlich geht es um die Anwendung von Zwang zur Rechtsdurchsetzung – der Begriff „Vollstreckung“ beschreibt präzise die zwangsweise Durchsetzung, während der Begriff „Vollzug“ bzw. „Vollziehung“ die Durchsetzung auch durch freiwillige Befolgung erfasst. 158 Anders aber der Gebrauch bei Heckmann, der Sofortvollzug als das tatsächliche Gebrauchmachen von der sofortigen Vollziehbarkeit auffasst, Heckmann, Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, S. 30. Der Begriff „Sofortvollziehung“ wäre dann allerdings angebrachter, würde aber als semantische Neuschöpfung die Unübersichtlichkeit wohl eher noch weiter vergrößern als beseitigen. 159 So bei Traulsen, Rechtsbehelfe im Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 49 (53) oder Becker, DKV 1991, 267. 155

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

stehenden Willens einher – so wird auch dann eine Maßnahme „unmittelbar ausgeführt“, wenn der Störer etwa gar nicht anwesend ist und die Maßnahme seinem mutmaßlichen Willen entspricht.160 Der Begriff „sofortige Vollstreckung“ wird fast ausschließlich in § 61 Abs. 1 VwVfG gebraucht, wonach sich „jeder Vertragsschließende […] der sofortigen Vollstreckung aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag“ unterwerfen kann. Die „sofortige Vollstreckung“ braucht deshalb hier nicht näher zu interessieren, da sie im speziellen Bereich der „Waffengleichheit“ des Verwaltungsvertragsrecht und nicht im subordinationsrechtlichen Verwaltungsverhältnis gebräuchlich ist.161 b) Grundlagen der Verwaltungsvollstreckung Die Verwaltungsvollstreckung kommt zur Anwendung, wenn der öffentlichrechtliche162 Anspruch des Hoheitsträgers in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren durch verbindliche Auferlegung einer Verpflichtung, in der Regel in Form des Verwaltungsakts,163 festgestellt worden ist.164 Verwaltungsvollstreckung meint somit die zwangsweise Durchsetzung öffentlich-rechtlicher, durch Verwaltungsakt begründeter Ansprüche von Hoheitsträger durch die Exekutive.165 Anders als für Verwaltungsgerichtsverfahren, existiert mangels Bundeskompetenz kein einheitliches Verwaltungsvollstreckungsrecht in Deutschland.166 Die Verwaltungsvollstreckung für Bundesbehörden ist grundlegend im VwVG des Bundes geregelt. Ergänzende Vorschriften bestehen für die Anwendung unmittel160 Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch Polizeirecht, E 153 ff.; Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 440. 161 Vgl. zur Unterwerfungserklärung und ihrer Bedeutung Bonk/Neumann, in: Stelkens/ Sachs/Bonk, § 61 Rn. 3 ff. m.w.N. 162 Zur Möglichkeit der Durchsetzung privatrechtlicher Forderungen im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung vgl. 3. Teil A. II. 3. c). 163 Zur Problematik, ob auch die Vollstreckung der Verwaltung aus öffentlich-rechtlichen Verträgen u. U. zur Verwaltungsvollstreckung zu zählen ist vgl. Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 113 ff. 164 Erichsen/Rauschenberg, Jura 1998, 31. Nicht unter den Begriff der Verwaltungsvollstreckung fällt die Durchsetzung von verwaltungsgerichtlichen Titeln zugunsten des Staates, auch wenn sich die Vollstreckung gem. § 169 Abs. 1 VwGO nach den Vorschriften des VwVG richtet, vgl. Brühl, JuS 1997, 926 (926). Ebenso wie bei der Vollstreckung von feststellenden und gestaltenden zivilprozessualen und verwaltungsgerichtlichen Titeln gilt auch für die Verwaltungsvollstreckung, dass feststellende und gestaltende Verwaltungsakte aufgrund ihrer ipso-iure Rechtswirkung nicht vollstreckungsfähig sind. 165 Kruse, in: Tipke/Kruse, Vorb. § 249 Rn. 10; Erichsen/Rauschenberg, Jura 1998, 31; Maurer, Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 1; Becker, LKV 1991, 204; Brühl, JuS 1997, 926 (926); Schwab, Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 7. 166 Diese Arbeit konzentriert sich auf die Untersuchung der Verwaltungsvollstreckung nach dem VwVG des Bundes. Anderweitige vollstreckungsrelevanten Bundes- und Länderregelungen von Interesse werden im Exkurs und Fußnoten beschrieben. Umfassend zu den Unterschieden der einzelnen Vollstreckungsgesetze App, DÖV 1991, 415 ff.

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baren Zwangs.167 In den einzelnen Bundesländern finden sich jeweils eigene Verwaltungsvollstreckungsgesetze. Grundlage der vorliegenden Untersuchung ist das VwVG. Sollten sich in einzelnen Landesgesetzen bedeutende Divergenzen zu den Regelungen des VwVG finden, wird auf diese hingewiesen.168 Für bestimmte Verwaltungsbereiche bestehen zudem Sondervorschriften über die Vollstreckung, so etwa auf dem Gebiet des Steuerrechts (§§ 249 ff. AO), des Sozialversicherungsrechts (§ 66 SGB X) und der Geldforderungen der Justizbehörden (§§ 1 ff. JBeitrO). aa) Struktur der Verwaltungsvollstreckungsgesetze Bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Vollstreckungsgesetze zieht sich dennoch das „duale Vollstreckungssystem“169 wie ein roter Faden durch die verschiedenen Vollstreckungsgesetze. Sie nehmen alle die Dichotomie auf, die auch schon im Rahmen der zivilprozessualen und der verwaltungsgerichtlichen Vollstreckung festgestellt wurde: Die grundlegende Unterscheidung der Vollstreckungsmaßnahmen nach Geldforderungen einerseits sowie sonstigen Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungsansprüchen andererseits.170 Im Verwaltungsvollstreckungsrecht wird die Vollstreckung wegen Geldforderungen als Beitreibung171, die Vollstreckung von sonstigen Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten als Verwaltungszwang bezeichnet172. Im Laufe der Zeit haben sich die beiden Vollstreckungsarten ohne gemeinsame Vorschriften isoliert voneinander entwickelt und in Teilen verselbständigt: So trifft das VwVG des Bundes im Hinblick auf die Beitreibung überhaupt keine eigenen Regeln, sondern verweist in § 5 Abs. 1 VwVG pauschal auf die Bestimmungen der Abgabenordnung. Der Verwaltungszwang ist in den §§ 6 ff. VwVG hingegen eigenständig normiert.

167 „Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes“ (UZwG), sowie das „Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen“. 168 Allgemein zu den Unterschieden vom VwVG und den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen der einzelnen Länder App, DÖV 1991, 415 (415 f.) m.w.N. 169 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 77; Vahle, DVP 2006, 89. 170 App, DÖV 1991, 415 (416); Vahle, DVP 2006, 89. 171 Erichsen/Rauschenberg, Jura 1998, 32. 172 Becker, LKV 1991, 204. Vgl. aber auch Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 8, der unter „Verwaltungszwang“ alle auf Zwang beruhenden Rechtsdurchsetzungsinstrumente, also zusätzlich zur Beitreibung auch noch die (Verwaltungs-)Sanktion, fasst.

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(1) Selbsttitulierung und Selbstvollstreckung Die Besonderheit der Verwaltungsvollstreckung im Vergleich zu den zuvor beschriebenen Verwaltungsregimen der zivilprozessualen und der verwaltungsgerichtlichen Vollstreckung besteht zum einen darin, dass die Verwaltung sowohl Grundlage als auch Durchführung der Vollstreckung ihrer Ansprüche selbst organisiert. So hat sie nicht nur das Privileg, sich mit dem der Vollstreckung zugrundeliegenden Verwaltungsakt selbst einen Vollstreckungstitel zu verschaffen. Sie hat zudem das Recht, diesen Titel zwangsweise durch ihr eigenes Personal173 zu vollstrecken. Beides sind Angelegenheiten, die üblicherweise in den Kompetenzbereich der Justiz fallen. Diese Privilegierung hat Anlass zu Kritik gegeben. Hierbei wird insbesondere ein Konflikt mit dem Richtermonopol nach Art. 92 GG sowie dem Rechtsstaatsprinzip gerügt.174 Überzeugen kann die Kritik im Ergebnis jedoch nicht. So ist es zum einen verfassungsrechtlich nicht zwingend, dass einem Vollstreckungsverfahren stets ein gerichtliches Erkenntnisverfahren vorgeschaltet sein muss. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt nicht die strikte Trennung, sondern die gegenseitige Kontrolle der Gewalten.175 Nach Art. 20 Abs. 3 GG ist neben der rechtsprechenden Gewalt in gleichem Maße die Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden. Die Verwaltung handelt, anders als ein Privatgläubiger, nicht in eigenem Interesse, sondern im Interesse der Allgemeinheit. Das dem Vollstreckungsverfahren vorausgehende Verwaltungsverfahren sieht zum anderen vor, dass vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts der Pflichtige Gehör findet und die Behörde ihre getroffene Verwaltungsentscheidung begründen muss, §§ 28, 39 VwVfG. Der vollstreckungsunterworfene Bürger hat zudem die Möglichkeit, sowohl den Verwaltungsakt als Vollstreckungsgrundlage als auch die Durchführung der Vollstreckung selbst gerichtlicher Kontrolle zu unterwerfen. Dies garantiert die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltungsvollstreckung.176 (2) Eingeschränkter Rechtswidrigkeitszusammenhang Eine weitere Besonderheit liegt zum anderen in der grundsätzlichen Trennung von materiellem Recht und Vollstreckungsverfahren, von „Rechtsinhaltsrecht und Rechtsdurchsetzungsrecht“177. Ein rechtmäßiges Vollstreckungsverfahren bedarf grundsätzlich nicht der Rechtmäßigkeit, sondern nur der Wirksamkeit der zu voll173

Ausgenommen hiervon ist die Besonderheit des Verfahrens der Vollstreckung wegen Geldforderungen in das unbewegliche Vermögen, das nur durch Einschaltung der Amtsgerichte durchgeführt werden kann. 174 Vgl. exemplarisch Gaul, JZ 1973, 473 (477 f.) sowie ders., JZ 1979, 496 (502 f.). 175 BVerfGE 95, 1 (15); Kruse, in: Tipke/Kruse, AO, Vorb. § 249 Rn. 13; Erichsen/Rauschenberg, Jura 1998, 31 (32). 176 Kruse, in: Tipke/Kruse, AO, Vorb. § 249 Rn. 13; Erichsen/Rauschenberg, Jura 1998, 31 (32). 177 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 1.

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streckenden Grundverfügung.178 Rechtswidrige Verwaltungsakte können vollstreckt werden, sofern sie unanfechtbar oder sofort vollziehbar sind.179 Dieser auf den ersten Blick möglicherweise unbillig erscheinende fehlende Rechtswidrigkeitszusammenhang spiegelt letztlich die verwaltungsrechtliche Dogmatik der Unterscheidung von Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts gem. §§ 43, 44 VwVfG wider. Sie ist auch kein Spezifikum der Verwaltungsvollstreckung. Denn so wie im Verwaltungsrecht der Verwaltungsakt, so wird im Zivilrecht die gerichtliche Entscheidung als Rechtserkenntnisakt zwischen das materielle Recht und seine Durchsetzung geschoben, um den Rechtsanwendungskonflikt zu neutralisieren. Erwächst das Urteil in Rechtskraft, spielen Rechtsmängel dieses „Zwischenakts“ grundsätzlich keine Rolle mehr bei der Durchsetzung desselben.180 Hier wie dort dient die Entkoppelung der Handlungsbefugnis der Vollstreckungsorgane von dem dem Anspruch zugrundeliegenden materiellen Recht der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden.181 (3) Historische Implikationen Diese Grundlagen der Verwaltungsvollstreckung sind ferner historisch bedingt. Eine „administrative Exekution“182 bestand in Preußen bereits, bevor diese zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine gesetzliche Grundlage erhielt.183 Durch die „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provincialpolizei- und Finanzbehörden“ vom 26. Dezember 1806 wurde neben einer die Gewaltenteilung konstituierenden Aufgabenverteilung zwischen Justiz und Verwaltung auch die Vollstreckung der Verwaltung geregelt, die sich unter Verweis auf die zivilprozessuale Zwangsvollstreckung an dieser orientierte.184 Bereits vor Erlass der Verordnung aber hatten sich Rechtsprechung und Verwaltung in Preußen als unterschiedliche Gewalten mit eigenen Aufgaben und Befugnissen entwickelt und das mittelalterliche System der „iurisdictio“, in der keine Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung stattfand,185 überwunden. Anders aber als beim französischen „régime judiciaire“, nach 178 Vgl. zur Trennung von materiellen Recht und Vollstreckungsrecht als Ausdruck einer allgemeinen „Verrechtlichungsstruktur“ Poscher, VerwArch. 89, 111 (113 ff.). 179 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 132; Selmer/Gersdorf, Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 34 ff., (vgl. zur verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit insb. S. 42 ff.); Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 (2). 180 Vgl. hierzu insg. Poscher, VerwArch. 89, 111 (115 f.). 181 Poscher, VerwArch. 89, 111 (119); Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 132; Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 (2); Selmer/Gersdorf, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 34. 182 PreuOVGE 5, 83 (86). 183 „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provincialpolizei- und Finanzbehörden“ vom 26. Dezember 1806. 184 Poscher, VerwArch. 89, 111 (115). Insb. § 48 der Verordnung betrifft die Zwangsbefugnisse der Exekutive, dazu umfassend Anschütz, VerwArch. 1 (1893), S. 394 ff. 185 Anschütz, VerwArch. 1 (1893), 394 (396).

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dem Vollstreckungsmaßnahmen grundsätzlich gerichtlicher Bestätigung bedurften,186 behielt in Preußen auch die Verwaltung Vollstreckungsbefugnisse. Denn im Laufe der Zeit hatten sich in Preußen bedeutende Militär- und Finanzbehörden entwickelt, die – den Bedürfnissen eines im Zentrum des Staatsinteresses stehenden Heeres entsprechend – im Sinne des „alten Rechts der Obrigkeit“187 über eigene Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung verfügten. Schon zu dieser Zeit erfolgte die administrative Exekution in Analogie zur gerichtlichen Zwangsvollstreckung und folgte den für diese geltenden Rechtssätzen.188 bb) Voraussetzungen und Ablauf der Verwaltungsvollstreckung Die administrative Vollstreckung eines Verwaltungsakts findet grundsätzlich in einem mehrstufig verlaufenden, dem sog. gestreckten Verfahren statt. Aus Gründen der Eilbedürftigkeit der Rechtsdurchsetzung kann das Verfahren des Verwaltungszwangs aber auch per sofortigem Vollzug in einem einstufigen Verfahren, d. h. ohne Erlass eines Grundverwaltungsakts, angewandt werden. Die Beitreibung, d. h. die Vollstreckung einer Geldforderung, bleibt hingegen auf das gestreckte Verfahren beschränkt. Da die in dieser Arbeit interessierende Frage nach der Zulässigkeit der Aufrechnung von Zahlungsansprüchen zwischen Hoheitsträgern nur eine Nähe zur Vollstreckung von Geldforderungen haben kann, bleibt vorliegend die Darstellung und Untersuchung der Verwaltungsvollstreckung auf das gestreckte Verfahren beschränkt.189 Das gestreckte Verfahren stellt den in § 6 Abs. 1 VwVG beschriebenen, normativen Regelfall dar. Die Verwaltungsvollstreckung beginnt mit dem Erlass eines Verwaltungsakts, an den sich bei Nichtbefolgung ein mehrstufiges, in der Regel aus drei Zwischenschritten bestehendes Verfahren anschließt. Kommt der Bürger der Verpflichtung aus dem Verwaltungsakt nicht nach, obwohl dieser entweder bestandskräftig oder von der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln ausgenommen ist, wird ihm von der Verwaltung zunächst die Anwendung von Zwangsmitteln nach Ablauf einer Frist angedroht. Ignoriert der Pflichtige auch diese Androhung, setzt die Behörde das zuvor angedrohte Zwangsmittel fest und wendet es an186 Brunner, Die Lehre vom Verwaltungszwang, S. 74 f. Auch heute noch ist nach französischem Verwaltungsrecht der Einfluss der Justiz auf die Verwaltungsvollstreckung weitaus größer als in Deutschland, vgl. Marsch in: Verwaltungsrecht in Europa, S. 138 ff. m.w.N. 187 Anschütz, VerwArch. 1 (1893), 446 f.; Poscher, VerwArch. 89, 111 (114). 188 Die gerichtliche Vollstreckung erfolgte damals aufgrund der 1793 in Kraft getretenen „Allgemeinen Gerichtsordnung“, einem Vorgänger der ZPO. Dazu Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 4 Rn. 26. 189 Zu Voraussetzungen und Ablauf der Verwaltungsvollstreckung im Sofortvollzug und zu den verwandten Instrumenten des abgekürzten Verfahrens und der unmittelbaren Ausführung vgl. Poscher, VerwArch. 89, 111, 129 ff.; Mosbacher, in: Engelhardt/App, VwVG, § 6 Rn. 22 ff.; Erichsen/Rauschenberg, Jura 1998, 31 (41 f.); Selmer/Gersdorf, Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 24 ff.

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schließend an.190 Die Mehraktigkeit des Verfahrens ist eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und schont die Entscheidungs- und Freiheitsräume des Bürgers. Es gibt dem Bürger an mehreren Stellen die Gelegenheit, seiner Verpflichtung freiwillig nachzukommen und auf diese Weise die Anwendung von hoheitlichem Zwang und Gewalt zu verhindern.191 c) Vollstreckung von Geldforderungen: Die Beitreibung Ausführlichere Betrachtung verlangt das Verfahren der Beitreibung, d. h. der zwangsweisen Durchsetzung von Geldforderungen der öffentlichen Hand. Denn bei der in dieser Arbeit zu untersuchenden Nähe der Aufrechnung zwischen Hoheitsträger zur Vollstreckung geht es um die Durchsetzung von Geldforderungen der öffentlichen Hand. Unter dem Begriff der Beitreibung wird die zwangsweise Durchsetzung von Geldforderungen der öffentlichen Hand verstanden. Die Geldforderungen sind in der Regel öffentlich-rechtlich und umfassen etwa Steuern, Gebühren, Beiträge, aber auch öffentlich-rechtliche Ausgleichsansprüche oder Geldbußen nach dem OWiG.192 Die Mehrheit der Bundesländer193 lässt zudem auch in Grenzen die Beitreibung privatrechtlicher Forderungen der Verwaltung zu.194 Das VwVG trifft aus Gründen der Gesetzesökonomie195 fast keine eigenen Bestimmungen zum Beitreibungsverfahren.196 Stattdessen richtet sich nach dem dynamischen197 Verweis des § 5 Abs. 1 VwVG die Beitreibung nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften der §§ 249 ff. Abgabenordnung, die wiederum eng an die Bestimmungen der ZPO an190 Zu Einzelheiten der Androhung, Festsetzung und Anwendung der Zwangsmittel vgl. Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 106 ff.; App/Wettlaufer, Verwaltungsvollstreckungsrecht, § 37 Rn. 2 ff., 14 ff., 20 ff.; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 298 ff., 332 ff.; 346 ff. 191 Vgl. hierzu die Ausführungen von Selmer/Gersdorf, Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 12, 14 zur „staatsdisziplinierenden und -domestizierenenden“ Funktion des Erfordernisses einer Grundverfügung im gestreckten Verfahren. Siehe dazu auch Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 128 ff. 192 Erichsen/Rauschenberg, Jura 1998, 32. 193 Überblick bei Stadler, VwVG, § 1 Rn. 14. 194 Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 95 ff.; App/Wettlaufer, Verwaltungsvollstreckung, § 3 Rn. 8; App, DÖV 1991, 415, 419. Kritisch Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 58 ff, der die Beitreibung von privatrechtlichen Forderungen ohne Verwaltungsbezug, also „außerhalb des Bereichs von Daseinsvorsorge und Verwaltungsprivatrecht“ für verfassungswidrig hält. 195 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. I/3981, S. 6, 8. 196 Einige Landesvollstreckungsgesetze enthalten eigene Regelungen, die denen der AO vergleichbar sind, siehe dazu den Überblick bei Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, § 64 Rn. 45. 197 So Stammberger, in: Engelhardt/App, VwVG, § 5 Rn. 2 m.w.N. Kritisch gegenüber der Verweisungstechnik wegen häufiger Überforderung der nicht juristisch vorgebildeten Vollstreckungsbeamten App, DÖV 1991, 415 (417).

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gelehnt sind. Die Regelungen der AO bestimmen die Beitreibung allerdings auch nicht vollständig, sondern nur in Bezug auf die Durchführung der Vollstreckung. Das VwVG selbst regelt in §§ 2 f., wegen welcher Forderungen die Beitreibung zulässig ist, wer als Schuldner in Anspruch genommen und unter welchen Voraussetzungen das Zwangsverfahren eingeleitet werden kann. Mit der Bestimmung des § 4 lit. a VwVG, wonach Bundesbehörden nur im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern als Beitreibungsbehörden bestimmt werden, sucht der Gesetzgeber der Möglichkeit vorzubeugen, dass sich eine Bundesverwaltung ohne Not einen eigenen umfangreichen Vollzugsapparat zulegt. Vielmehr soll nach § 4 lit. b) VwVG das Vollstreckungsverfahren von den Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung, d. h. den Hauptzollämtern, durchgeführt werden. Dadurch wird der historisch schon lange vorhandene, eingespielte Vollstreckungsapparat der Bundesfinanzverwaltung auch für die Vollstreckung der übrigen Ansprüche nutzbar gemacht.198 aa) Beitreibung gegenüber Privaten (1) Beitreibungsverfahren gemäß § 3 VwVG Die Vollstreckung einer Geldforderung der öffentlichen Hand im Wege der Beitreibung ist nur möglich, wenn die Verwaltung die Leistungspflicht zunächst durch Bescheid festgestellt hat. Zudem muss die Leistung fällig und mindestens eine Woche Zeit seit Bekanntgabe des Leistungsbescheids bzw. seit Eintritt der Fälligkeit verstrichen sein, § 3 Abs. 2 VwVG. Auch soll der Schuldner, bevor die die Vollstreckung einleitende Vollstreckungsanordnung erfolgt,199 mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden, § 3 Abs. 3 VwVG. Zu bedenken ist, dass, anders als im Falle des Verwaltungszwangs, ein bestandskräftiger oder zumindest sofort vollziehbarer Leistungsbescheid keine Vollstreckungsvoraussetzung ist. § 3 Abs. 2 lit. b) VwVG verlangt nur die „Fälligkeit der Leistung“. Diese besteht aber bereits im Moment des Wirksamwerdens des Verwaltungsakts.200 (2) Durchführung des Verfahrens Nach erfolglosem Ablauf der Fristen richtet sich das Beitreibungsverfahren nach den Vorschriften der AO, § 4 Abs. 1 VwVG. Das Vollstreckungsverfahren wegen Geldforderungen der AO ist eng an das zivilprozessuale Vollstreckungsverfahren 198

BT-Drs. I/3981, S. 6, 8. Diese erlässt die Anordnungsbehörde gegenüber der Vollstreckungsbehörde. Die Vollstreckungsanordnung selbst ist mangels Außenwirkung kein Verwaltungsakt, der angefochten werden könnte, BVerwG NJW 1961, 332 (333); Kopp/Schenke, VwGO, § 167 Rn. 17. 200 Vgl. Troidl in: Engelhardt/App, VwVG, § 3 Rn. 3. Einige Länder sehen allerdings die Bestandkraft bzw. sofortige Vollziehbarkeit des Leistungsbescheids als Vollstreckungsvoraussetzung auch für Geldforderungen in ihren Verwaltungsvollstreckungsgesetzen vor, vgl. etwa Art. 19 BayVwZVG, § 2 LVwVG BW. 199

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angelehnt201 oder verweist sogar – wie etwa § 322 Abs. 1 S. 2 AO, der die Vollstreckung wegen Geldforderungen in das unbewegliche Vermögen betrifft – direkt auf dieses. So erfolgt die Befriedigung des Gläubigers wegen einer Geldforderung auch hier mittels Pfändung und Verwertung von schuldnereigenem Vermögen. Das Verfahren ist in die aus der ZPO bekannten Systematik nach einer Vollstreckung in das entweder bewegliche (§§ 281 – 321 AO) oder das unbewegliche Vermögen (§§ 322 – 323 AO202) unterteilt, wobei eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen in Form von Sachen (§§ 285 – 308 AO) sowie Forderungen und anderen Vermögensrechten (§§ 309 – 321 AO) erfolgen kann. Die §§ 249 ff. AO bilden zwar ein eigenständiges Regelwerk, das die Anwendung des zivilprozessualen Vollstreckungsrechts dort ausschließt, wo die AO eigene Regelungen enthält.203 Es überwiegen aber die Gemeinsamkeiten der Zwangsverfahren nach ZPO und AO, sodass sich ein Rückgriff auf die ZPO bei der Anwendung und Auslegung der entsprechenden Bestimmungen der Abgabenordnung in der Regel empfiehlt.204 bb) Besonderheiten bei der Beitreibung gegenüber der öffentlichen Hand Für eine administrative Vollstreckung von Geldforderungen „auf Augenhöhe“, d. h. gegen staatliche Vollstreckungsschuldner, gilt die Vorschrift des § 255 AO. Danach ist eine Vollstreckung gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts zwar grundsätzlich möglich, § 255 Abs. 1 S. 2 AO. Allerdings schließt § 255 Abs. 1 S. 1 AO eine Beitreibung gegenüber dem Bund oder einem Land als unmittelbare Träger von Staatlichkeit ausdrücklich aus. Der Gesetzgeber wollte vermeiden, dass eine staatliche Stelle mit Zwangsmaßnahmen gegen die andere vorgeht und der Vollstreckungsvorgang die Behörde an der Erfüllung ihrer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben hindert.205 Die Vorschrift fügt sich ein in das System des Vollstreckungsverbots gegen Hoheitsträger, das auch in § 17 VwVG die Anwendung von Verwaltungszwang sogar gegenüber allen juristischen Personen des öffentlichen Rechts verbietet.

201

Erichsen/Rauschenberg, Jura 1998, 33. § 322 Abs. 1 S. 2 AO verweist dann wiederum auf die ZPO („Auf die Vollstreckung sind die für die gerichtliche Zwangsvollstreckung geltenden Vorschriften, namentlich die §§ 864 bis 871 der Zivilprozessordnung und das Gesetz über die Zwangsverwaltung anzuwenden.“). 203 BFH, BStBl. 96, 511. 204 Fritsch, in: Koenig, AO, vor §§ 249 ff., Rn. 4; Vahle, DVP 2006, S. 89; vgl. auch Tipke/ Kruse, AO, Vor § 249, Rn. 14, der Einzelheiten zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten nennt. Einzelheiten zum Vollstreckungsverfahren wegen Geldforderungen insb. bei Ax/Große/Melchior, AO/FGO, Rn. 2792 ff. 205 Fritsch, in: Koenig, AO, § 255 Rn. 2; Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 74. 202

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Damit ist nur eine Beitreibung zulässig, die sich gegen der Staatsaufsicht unterliegende juristische Personen des öffentlichen Rechts206 richtet, § 255 Abs. 1 S. 2 AO. Die betreffende Aufsichtsbehörde muss der Vollstreckung in diesem Fall vorab zustimmen, wobei auf die Erteilung der Zustimmung ein Rechtsanspruch besteht.207 Die Aufsichtsbehörde bestimmt sowohl den Zeitpunkt der Vollstreckung als auch die Vermögensgegenstände, in die vollstreckt werden kann, § 255 Abs. 1 S. 2, 3 AO. Unterliegt die juristische Person des öffentlichen Rechts keiner Staatsaufsicht, so kann ebenso direkt die Vollstreckung durchgeführt werden wie im Fall von öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten als Vollstreckungsschuldnern, die nach § 255 Abs. 2 AO, ähnlich wie bei § 170 Abs. 4 VwGO und § 882a Abs. 3 S. 2 ZPO, ausdrücklich vom „Vollstreckungsprivileg“208 ausgenommen sind. d) Vollstreckung von „sonstigen Handlungen, Duldungen und Unterlassungen“ – der Verwaltungszwang Ist Gegenstand der Rechtsdurchsetzung nicht eine Geldleistungspflicht, sondern eine sonstige Handlung, Duldung oder Unterlassung des Schuldners, so wird diese mit bestimmten, abschließend normierten209 Zwangsmitteln im Wege des Verwaltungszwangs durchgesetzt. Zwar liegt der Fokus der Arbeit auf der Untersuchung der Vollstreckung von Geldforderungen und der möglichen Nähe der Aufrechnung hierzu. Eine Untersuchung erfolgt aber nicht zuletzt deshalb, weil insbesondere die Regelungen des Verwaltungszwangs gegenüber der öffentlichen Hand Erkenntnisse über das generelle Kooperations- und Zwangsverhältnis von Hoheitsträgern im Bundesstaat zu vermitteln vermögen. aa) Numerus clausus der Zwangsmittel Will die Verwaltung einen solchen Anspruch durchsetzen, stehen ihr nur abschließend bestimmte, gesetzlich vorgeschriebene Instrumente zur Verfügung.210 Ihrem Erfindungsreichtum bei der Verwirklichung von Ansprüchen sind dadurch

206

Vgl. die Beispiele bei Fritsch, in: Koenig, AO, § 255 Rn. 2. Die als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Religionsgesellschaften und Kirchen genießen nicht das Fiskusprivileg, Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 75; Troidl, in: Engelhardt/App, VwVG, § 255 AO Rn. 2. 207 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 74. 208 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 74. 209 Erichsen/Rauschenberg, Jura 1998, 31 (33). 210 Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 169 Rn. 95; Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 97; App, DÖV 1991, 415 (421).

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Grenzen gesetzt.211 Während Geldforderungen durch die Verwertung von beweglichem und unbeweglichem Schuldnervermögen vollstreckt werden, erfolgt die zwangsweise Durchsetzung aller anderen Ansprüche der öffentlichen Hand im Wege des Verwaltungszwangs. Dieser beinhaltet die Zwangsmittel der Ersatzvornahme, des Zwangsgeldes und der Zwangshaft als psychisch wirkende Beugemittel sowie das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs als ultima ratio.212 Die genannten Zwangsinstrumente finden sich in der Struktur aller Verwaltungsvollstreckungs- und Polizeigesetze des Bundes und der Länder wieder.213 bb) Grundsätzlich kein Verwaltungszwang gegenüber der öffentlichen Hand Wie im Fall der Beitreibung, so bestehen auch für den Verwaltungszwang Sonderregeln für den Fall, dass die öffentliche Hand nicht nur auf der Gläubiger-, sondern auch auf der Schuldnerseite steht. Die Einschränkungen des Verwaltungszwangs gegen staatliche Stellen sind dabei umfassender als die bei der Beitreibung: Während nach § 255 AO eine Beitreibung gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts außer dem Bund und den Ländern zulässig ist, bestimmt § 17 VwVG die Anwendung von Verwaltungszwang gegenüber allen Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts für „unzulässig, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist“. (1) Historischer Ursprung und heutige Bedeutung Als geschichtlicher Ausgangspunkt der Regelung wird zum Teil das sog. Schießplatzurteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1877 herangezogen.214 In dem zugrundeliegenden Fall215 hatte die Ortspolizeibehörde aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der Militärverwaltung untersagt, auf einem bestimmten Platz innerhalb der Kommune Schießübungen durchzuführen und für den Fall des Zuwiderhandelns Zwangsgeld angedroht. Das Preußische Oberverwaltungsgericht hob die Verfügung auf und verneinte die Be211 Vgl. hierzu die möglichen Beispiele bei Vahle, DVP 2006, 90 (Verweigerung der Bearbeitung eines Antrags, Beschädigung eines falsch geparkten PKW u. ä.). 212 Die einzelnen Zwangsmittel entsprechen in ihrer Struktur den aus der ZPO bekannten Zwangsmitteln, vgl. hierzu 3. Teil A. II. 1. Näheres zu den einzelnen Mitteln des Verwaltungszwangs bei App/Wettlaufer, Verwaltungsvollstreckungsrecht, §§ 32 – 35; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, § 11; Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 129 ff. 213 Vahle, DVP 2006, 90. Weitere Druck- und Beugemittel wie etwa die Säumnis- und Verspätungszuschläge nach der AO werden nicht zu den Verwaltungszwangsmitteln gezählt, Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 97. 214 So etwa Sadler, VwVG, § 17 Rn. 1. 215 PreußOVGE 2, 399.

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fugnis zu derartigen „im polizeilichen Zwangsverfahren zu vollstreckenden Anordnungen“216. Seitdem gilt als anerkannt, dass eine Behörde gegen eine andere desselben oder eines anderen Verwaltungsträgers nicht mit Zwang vorgehen darf. Der hinter diesem Grundsatz stehende Sinn und Zweck erschöpft sich jedoch nicht in der Gesetzesbegründung zu § 17 VwVG, nach der Verwaltungszwang gegen Behörden ausgeschlossen werden soll, „weil es widersinnig und mit dem Ansehen der Behörden nicht vereinbar erscheint, wenn eine Behörde gegen eine andere vollstreckt“217. Das Argument erinnert an die bereits bekannten218 Begründungserwägungen des „Rechts des Staates auf Achtung und Ehre“, mit der die generelle Unzulässigkeit jeder zwangsweisen Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber dem Staat zu begründen versucht wurde. Das Recht erachtet aber die Vollstreckung gegen Behörden bereits an zahlreichen anderen Stellen wie etwa § 882a ZPO oder § 172 VwGO unter bestimmten Bedingungen für zulässig. Der tiefere Grund dafür, dass Staat und Verwaltung vor Vollstreckung und Zwang geschützt werden sollen, ist eher darin zu sehen, dass die Funktionsfähigkeit ihrer Organe aufrecht erhalten werden und die Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben sichergestellt sein sollen. Einseitige Zwangsausübungen sind durch eine organisationsrechtlich-hierarchische Kompetenz- und Weisungsausübung zu ersetzen, die die Rechtsdurchsetzung kooperativ und nicht zwanghaft gestalten.219 Abgesehen von diesem grundsätzlichen Verbot ist der sofortige Vollzug gegen Behörden in engen Ausnahmesituationen aus Gründen der Eilbedürftigkeit zulässig. Dies betrifft die Fälle der Amtsnothilfe, also den Schutz von Hoheitsträgern, deren Sicherheit von anderen bedroht wird,220 sowie den Fall des Eileingriffs für andere Behörden, von denen eine Gefahr ausgeht, die sie selber nicht rechtzeitig beheben können221. Die Zulässigkeit dieser eng umgrenzten Fallkonstellationen ergibt sich daraus, dass die eine Behörde in diesen Situationen nicht gegen, sondern im Interesse der anderen Behörden handelt. (2) Trennung von Erlass- und Vollstreckungskompetenz Die Befugnis, gegenüber einer anderen Behörde einen Verwaltungsakt zu vollstrecken, ist zu trennen von der Befugnis, gegenüber einer anderen Behörde einen Verwaltungsakt zu erlassen. Während Ersteres primär eine Kompetenzfrage darstellt, handelt es sich bei Letzterem um das Problem der formellen Polizeipflichtigkeit von

216

PreußOVGE 2, 399 (409). BT-Drs. I/3981, S. 9. Kritisch auch Sadler, VwVG, § 17 Rn. 13. 218 Vgl. 3. Teil A. II. 1. d) aa). 219 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 75. 220 Beispiel bei Sadler, VwVG, § 17 Rn. 29 ff. 221 Siehe hierzu etwa die Beispiele aus der Rechtsprechung BVerwG, NVwZ 1983, 474; BVerwG, NVwZ 2003, 1252; VG Kassel, NJW 1980, 305. 217

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Behörden.222 § 17 VwVG regelt nur die Kompetenzfrage. Es ist Behörden demnach nicht verwehrt, einen Grundverwaltungsakt gegenüber der Behörde eines anderen Hoheitsträgers zu erlassen. Bei Nichtbefolgung darf er allerdings nicht im Wege des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden. Trotz mangelnder Möglichkeit zur zwangsweisen Rechtsdurchsetzung haben Grundverwaltungsakte gegen Behörden ihre Berechtigung. Denn die Erfüllungsquote ist im Falle des Staates als Verwaltungsaktadressat zum einen ungleich höher als bei Privaten. Zum anderen kann es gerade auch bei Streitigkeiten zwischen Behörden von Bedeutung sein, eine Klärung des Verwaltungsstreits im Wege eines neutralen gerichtlichen Verfahrens durchzuführen.223 (3) Subjektiver Anwendungsbereich § 17 VwVG ist anwendbar bei allen Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden sowie bei juristischen Personen des Bundes und der Länder. Als Behörden sind dabei nicht nur die in Einzelgesetzen aufgeführten Behörden i.S.d. § 1 Abs. 4 VwVfG oder § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB zu verstehen,224 sondern vielmehr in einem allgemeinen verwaltungsorganisationsrechtlichen Sinne alle Einheiten des Verwaltungsträgers, einschließlich der Verfassungsorgane wie Parlament oder Rechnungshof anzusehen.225 Um eine Behörde gegenüber einer nur behördeninternen Stelle abzugrenzen, ist eine „gewisse organisatorische Verfestigung und Verselbständigung“226 erforderlich. Unerheblich für das Behördenprivileg ist hingegen, ob das Handeln der Stelle in privat- oder öffentlich-rechtlicher Form erfolgt. Es ist vielmehr auf die Behörden als hoheitlich organisierte Einheiten abzustellen, die nicht zwingend auch stets tatsächlich hoheitlich handeln müssen.227 Nicht vom Schutzbereich des § 17 VwVG umfasst sind die Kirchen und Religionsgesellschaften, auch wenn sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert sind. Zwar lassen sie sich als juristische Personen des öffentlichen Rechts noch unter den Wortlaut des § 17 VwVG subsumieren. Nach dem oben beschriebenen Sinn und Zweck der Norm, nämlich der Sicherstellung und Gewährleistung der Erfüllung ihrer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben, sind diese jedoch nicht in demselben Maße schutz-

222

Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 72. Vgl. zur Polizeipflichtigkeit Britz, DÖV 2002, S. 891 ff.; Isensee, HbdStR VI, § 126 Rn. 117 ff. 223 Sadler, VwVG, § 17 Rn. 22. 224 So aber Sadler, VwVG, § 17 Rn. 4. 225 Troidl, in: Engelhardt/App, VwVG, § 17 Rn. 2; Waldhoff in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46, Rn. 73. 226 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46, Rn. 73. 227 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46, Rn. 73; Sadler, § 17 Rn. 4.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

würdig wie staatliche Einrichtungen und fallen deshalb nicht unter das Verwaltungszwangsprivileg.228 (4) Abweichende Regelungen Das Behördenprivileg ist nach § 17 VwVG nur gewährleistet, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Die wenigen gesetzlichen Ausnahmen229 sind in der Rechtspraxis allerdings unbedeutend.230 4. Zusammenfassung: Möglichkeiten und Grenzen der Vollstreckung gegen die öffentliche Hand Es kann zusammenfassend festgestellt werden, dass die öffentliche Hand bei Rechtsstreitigkeiten zulässigerweise auf beiden Seiten eines (gerichtlichen) Rechtserkenntnisverfahrens stehen kann. Insoweit besteht kein Unterschied zu einer Privatperson. Je nach Rechtsgebiet ergibt sich jedoch ein differenziertes Bild im Hinblick darauf, ob der Staat auch Adressat eines anschließenden Vollstreckungsverfahrens sein kann. a) Zivilprozessuale Vollstreckung Zunächst ist die zwangsweise Rechtsdurchsetzung gegen die öffentliche Hand nach einem zivilprozessualen Erkenntnisverfahren mit den in § 882a ZPO niedergelegten Einschränkungen für Geldforderungen möglich. Der Anwendungsbereich umfasst den Bund und die Länder sowie deren juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Kirchen und Religionsgemeinschaften. Gemeinden werden von § 882a ZPO nicht mitumfasst. Für sie gilt gem. § 15 Nr. 3 EGZPO das Kommunalrecht der Länder, das allerdings dem Inhalt des § 882a ZPO nach gleichartige Regelungen enthält. Nach § 882a Abs. 1 S. 1 ZPO ist der staatliche Vollstreckungsschuldner über die bevorstehende Vollstreckung durch den Gläubiger zu unterrichten. Erst weitere vier Wochen nach der Mitteilung kann mit dem Vollstreckungsvorgang begonnen wer228

Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46, Rn. 75; Sadler, VwVG, § 17, Rn. 4. 229 Siehe hierzu die Übersicht bei Sadler, VwVG, § 17, Rn. 5. 230 Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46, Fn. 410. Von Interesse im Zusammenhang mit der Finanzkrise des Jahres 2008/ 2009 ist die Bestimmung des § 17 Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG), wonach die BaFin ihre Ge- und Verbote auch gegenüber Körperschaften des öffentlichen Rechts, also den Landesbanken, mit Zwangsmitteln durchsetzen kann, § 17 S. 3 FinDAG. Abweichend von § 11 Abs. 3 VwVG beträgt die maximale Höhe des Zwangsgeldes nicht 2.000 DM, sondern 250.000 EUR, § 17 S. 4 FinDAG.

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den. Auch unterliegt der Vollstreckungsgläubiger Einschränkungen hinsichtlich der Vollstreckungsobjekte. Eine Pfändung von Objekten des Verwaltungsvermögens ist dann nicht möglich, wenn der Behörde im Einzelfall ihre im öffentlichen Interesse liegende Aufgabenerfüllung ansonsten unmöglich oder unzumutbar würde. Bei anderen, nicht auf Geldzahlung lautenden Ansprüchen auf Handlung, Duldung oder Unterlassung existieren hingegen keine gesonderten Schutzregeln zugunsten des staatlichen Schuldners. Eine Vollstreckung erfolgt vielmehr nach den allgemeinen, auch für Private geltenden Vorschriften, sodass die Mittel der Ersatzvornahme, des Zwangsgelds und der Zwangshaft Anwendung finden können. b) Vollstreckung in den Verwaltungsprozessen Die VwGO enthält Vorschriften zur Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Titel gegen Bund, Länder und Gemeinden sowie ihrer juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Vollstreckungen gegen die öffentliche Hand wegen tenorierter Geldforderungen richten sich nach § 170 VwGO, der inhaltlich mit § 882a ZPO vergleichbar ist. Auch hier ist der staatliche Vollstreckungsschuldner durch den staatlichen Gläubiger über die Vollstreckungsabsicht zu informieren. Ihm ist eine Frist zur Leistungserfüllung zu gewähren. Im Gegensatz zu § 882a ZPO beträgt sie nicht im Regelfall, sondern im Höchstfall vier Wochen. Ebenfalls einem Pfändungsschutz unterliegen solche Sachen, die der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen. Kommt die Behörde einer verwaltungsgerichtlich festgestellten Verpflichtung in Bezug auf den Erlass eines Verwaltungsakts, § 113 Abs. 5 VwGO, bzw. auf die Beseitigung von Vollzugsfolgen eines aufgehobenen Verwaltungsakts, § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO, nicht nach,231 so kann gegen sie ein Zwangsgeld i.H.v. höchstens 10.000 EUR verhängt werden. Darüber hinausgehende verwaltungsgerichtlich festgestellte Verpflichtungen können nach nicht unumstrittener Ansicht über die Verweisung des § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO über das zivilprozessuale Vollstreckungsregime wegen Handlungen, Duldungen und Unterlassungen zwangsweise durchgesetzt werden. Die Vollstreckung finanzgerichtlicher Entscheidungen zulasten der öffentlichen Hand nach §§ 150 ff. FGG ist weitgehend identisch mit der verwaltungsgerichtlichen Vollstreckung. Einziger relevanter Unterschied ist die Beschränkung des Zwangsgeldes auf 1.000 EUR anstelle von 10.000 EUR nach § 154 S. 1 FGG. Liegt eine sozialgerichtliche Entscheidung auf Vollzugsfolgenbeseitigung bzw. Erlass eines Verwaltungsakts vor, so trifft § 201 SGG eine dem § 154 FGG entsprechende Regelung. Alle anderen gegen die öffentliche Hand gerichteten Ansprüche werden nach den Regelungen der ZPO vollstreckt.

231 Das gleiche gilt für diese Verpflichtungen in einem einstweiligen Verfahren nach § 123 VwGO.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

c) Verwaltungsvollstreckung Ein anderes Bild ergibt sich bei der administrativen Rechtsdurchsetzung: Hier ist zum einen eine Vollstreckung von Geldforderungen gegen den Bund und die Länder nicht möglich, § 5 Abs. 1 VwVG i.V.m. § 255 Abs. 1 AO. Gegenüber den sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist die Verwaltungsvollstreckung wegen Geldforderungen nur mit Zustimmung der jeweiligen Aufsichtsbehörde möglich. Die Aufsichtsbehörde kann sowohl Zeitpunkt als auch Gegenstände der Vollstreckung bestimmen, § 255 Abs. 1 S. 1, 2 AO. Zum anderen ist eine Vollstreckung von anderen Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen nach dem VwVG gegenüber allen Stellen der öffentlichen Hand gänzlich unmöglich. § 17 VwVG verbietet grundsätzlich die Anwendung von Verwaltungszwang gegen die öffentliche Hand, also sowohl gegen den Bund und die Länder als Hoheitsträger als auch gegen ihre juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Bei der Durchsetzung von Geldforderungen gegen Bund und Länder ist der hoheitliche Vollstreckungsgläubiger somit auf kooperatives Verhalten des anderen Hoheitsträgers und letztlich dessen freiwillige Leistungserfüllung angewiesen.

III. Keine Gleichsetzung der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern mit der Verwaltungsvollstreckung zwischen Hoheitsträgern Eine Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern ignoriert dieses Erfordernis der Kooperation. Der Forderungsschuldner Bund oder Land erfüllt als Aufrechnungsgegner die ihm obliegende Leistungspflicht gerade nicht freiwillig und aus eigenem Willen. Er erfüllt sie ohne eigenes Zutun durch eine Handlung seines aufrechnenden Gläubigers. Ein Widerstand bzw. -spruch gegen die „erzwungene“ Leistungserfüllung qua Aufrechnung ist wegen der Einseitigkeit der Aufrechnungserklärung ohne rechtliche Relevanz. Insofern ähnelt die Wirkung der Aufrechnung der Wirkung der Vollstreckung. Diese Nähe der Aufrechnung zur Vollstreckung ist aber nur dann problematisch, wenn die hoheitliche Aufrechnungserklärung als „Zwangsvollstreckung des kleinen Mannes“232 materiell oder funktional in das System der Verwaltungsvollstreckung einzuordnen wäre. Die Aufrechnung durch die Verwaltung müsste dann – wegen des numerus-clausus der Zwangsmittel – entweder generell für unzulässig erklärt werden, oder es müssten wenigstens die Verfahrensvoraussetzungen der Beitreibung, §§ 2 – 5 VwVG i.V.m. §§ 249 ff. AO, gelten. Das Instrument der Aufrechnung erweist sich allerdings weder in materieller noch in funktionaler Hinsicht als mit dem Instrument der Vollstreckung äquivalent. Richtig ist, dass die Aufrechnung in ihren Rechtswirkungen insofern gewisse Parallelen zur Beitreibung aufweist, als auch sie ein Instrument zur Forderungsdurch232

Waldhoff, Der Verwaltungszwang, S. 917.

A. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als Problem

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setzung ist.233 Die Aufrechnung ist als solche aber weder eine Maßnahme der Vollstreckung noch eine vollstreckungsähnliche Maßnahme, für die die Regelungen des Verwaltungsvollstreckungsregimes entsprechend gelten müssten. Denn sie weist in materieller Hinsicht gerade nicht die drei typischen Merkmale einer Vollstreckung auf, die durch die zwangsweise Durchsetzung einer rechtlichen Entscheidung im Rahmen eines staatlichen Verfahrens charakterisiert ist.234 Sie ist auch nicht aufgrund ihrer Wirkung mit der Vollstreckung gleichzusetzen.

1. Fehlende materielle Äquivalenz Zwar wird mit Hilfe der Aufrechnung ein Anspruch durchgesetzt. Dieser muss aber zuvor nicht verbindlich erkannt und festgestellt worden sein, also nicht auf einer rechtlichen Entscheidung beruhen. Das Instrument der Aufrechnung kann von jedem Forderungsinhaber genutzt werden, ohne dass der Anspruch – in der Regel gerichtlich – bestätigt worden ist. Auch wenn im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung ein gerichtlich verbindlich festgestellter Anspruch nicht Voraussetzung der Vollstreckung ist: Die Rechtsordnung hat der Verwaltung ausdrücklich das Recht zur Selbsttitulierung zugesprochen und die Entscheidung der Verwaltung einer gerichtlichen Entscheidung gleichgesetzt. Im Übrigen ist die Verwaltung, ebenso wie Gerichte und anders als Privatpersonen, unmittelbar gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden. Mit der Aufrechnung können aber auch Ansprüche von Privatpersonen durchgesetzt werden, die vorher nicht verbindlich festgestellt wurden. Zudem erfolgt die Durchsetzung nicht im Rahmen eines staatlichen, hoheitlichen Verfahrens. Die Forderungsdurchsetzung mittels Aufrechnung benötigt nicht das staatliche Gewalt- bzw. Vollstreckungsmonopol. Dieses ist aber nicht nur im Rahmen der Beitreibung, sondern generell in allen Vollstreckungsrechtsgebieten Grundlage der zwangsweisen Rechtsdurchsetzung. Die Vollstreckung ist eine hoheitliche Maßnahme zur Durchsetzung einer getroffenen Anordnung. Die Aufrechnung hingegen ist ein von der Privatrechtsordnung gewährtes Mittel zur Rechtsverteidigung und Rechtsdurchsetzung.235 Sie ist ein Gestaltungsrecht des allgemeinen Schuldrechts, das nicht nur dem Staat, sondern jedem Teilnehmer des Rechtsverkehrs zur Verfügung steht – und die dieser sogar gegenüber dem Staat selbst anwenden kann.236 Der Aufrechnung fehlt ferner auch jegliches Element des die Vollstreckung kennzeichnenden Zwangs. Bei der Vollstreckung geht es aber typischerweise darum, mit direkten oder indirekten Mitteln auf den entgegenstehenden Willen des Betroffenen einzuwirken und diesen zu „brechen“, um ein entsprechendes Verhalten des Schuldners zwecks Anspruchserfüllung zu erreichen. 233 234 235 236

Pietzner, VerwArch. 73, 453 (458 f.). Vgl. hierzu 3. Teil A. I. 2. BVerwG, DÖV 1972, 573, 574; BVerwGE 66, 218 (221). BVerwG, NJW 2009, 1099 (1100).

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

Zudem „erzwingt“ ein Hoheitsträger durch die Aufrechnung gerade nicht einseitig seinen ihm zustehenden Anspruch. Er opfert im Gegenzug seine eigene, gleichwertig bestehende Forderung.237 Der Staat gibt im selben Maße, in dem er nimmt. Der Aufrechnungsgegner erfüllt nicht bloß, sondern gewinnt in gleichwertiger Weise hinzu. Dies ist bei der Vollstreckung typischerweise nicht der Fall, in der es stets um die einseitige Durchsetzung einer Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht des Vollstreckungsunterworfenen geht. Die Aufrechnung durch die öffentliche Hand unterscheidet sich bereits deshalb fundamental von der Beitreibung im Speziellen bzw. der (Verwaltungs-)Vollstreckung im Allgemeinen.238 Schließlich lässt sich anführen, dass im Wege der Beitreibung stets Verwaltungsakte vollstreckt werden. Geldforderungen, die nicht auf einen Verwaltungsakt zurückzuführen sind, sind auch nicht der Beitreibung zugänglich. Zwar können nach Landesrecht auch in Ausnahmefällen privatrechtliche Forderungen im Wege der Beitreibung durchgesetzt werden. Diese mitunter vielfacher Kritik239 ausgesetzte Praxis ändert aber nichts an dem Grundsatz, dass die Verwaltungsvollstreckung der Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Pflichten dient.240 Die der Aufrechnung zugrundeliegende Aktivforderung muss aber nicht zwangsläufig durch öffentliches Recht bzw. einen Verwaltungsakt begründet sein, sondern kann sich aus allen möglichen denkbaren Rechtsverhältnissen ergeben. Dann müsste aber zur Beantwortung der Frage, ob der Aufrechnung der öffentlichen Hand Beitreibungscharakter zukommt, immer zuerst die zugrundeliegende, gegenüber dem Aufrechnungsgegner bestehende Forderung betrachtet werden. Dies widerspricht jedoch der Notwendigkeit, eine Qualifizierung der Aufrechnung abstrakt und losgelöst vom Einzelfall vorzunehmen. 2. Fehlende funktionale Äquivalenz Die Aufrechnung ist nicht nur in materieller Hinsicht nicht mit der Vollstreckung gleichzusetzen. Sie unterscheidet sich auch in funktionaler Hinsicht von der Vollstreckung. So ist Grund für die Einschränkungen der Vollstreckung von Geldforderungen gegen die öffentliche Hand die (mögliche) Wirkung der Vollstreckung. 237

Vgl. Bötticher, in: FS Schima, S. 95 (97). Eine Gleichsetzung der Aufrechnung mit der Aufrechnung mit der (Verwaltungs-) Vollstreckung im Ergebnis ebenfalls in st. Rspr. ablehnend BVerwG, DÖV 1972, 573, 574; bestätigend BVerwGE 66, 218 (221); BVerwG, NJW 2009, 1099 (1100). Abweichende Ansichten der Obergerichte bestehen, soweit ersichtlich, nicht, vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 21. 10. 2005, Az. 4 S 740/05; OVG Lüneburg, NvwZ-RR 1997, 656; OVG Berlin, Beschluss vom 23. 3. 2005, Az. 4 B 29/04; OVG Bremen, Beschluss vom 16. 7. 1999, Az. 2 B 93/ 99; OVG Saarlouis, Beschluss vom 24. 2. 1989, Az. 1 W 36/89; OVG Magdeburg, Beschluss vom 27. 6. 2007, Az. 3 M 146/06. 239 Vgl. etwa Waldhoff, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen Verwaltungsrecht, § 46 Rn. 75 ff. 240 Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 56. 238

A. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als Problem

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Sowohl im Falle der Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung gegen den Staat nach § 882a ZPO als auch im Falle der Beitreibung nach § 17 VwVG ist die Vollstreckung eingeschränkt, um nicht die staatliche Aufgabenerfüllung und damit die Funktionsfähigkeit des Hoheitsträgers zu gefährden. In beiden Fällen wird die Durchsetzung des Zahlungsanspruchs regelmäßig dadurch realisiert, dass auf Gegenstände des Hoheitsträgers zurückgegriffen wird. Dies kann vor allem dann problematisch sein, wenn Gegenstände der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen und sie im Falle der Pfändung dem Hoheitsträger nicht mehr zur Aufgabenerfüllung zur Verfügung stehen. Dem Zugriff auf solche funktionsrelevanten Sachen kann aber nicht das Nichtbewirken der tatsächlichen Leistung im Wege der Aufrechnung gleichgesetzt werden. Anders als in jenem Fall wird dem Hoheitsträger durch die Aufrechnung nichts genommen. Er erhält bloß nicht die tatsächliche Leistung in Form von Bargeld bzw. einer Überweisungsgutschrift, sondern ein Substitut. Dass diese Substituterfüllung eine nicht unerhebliche Störung der Funktionsfähigkeit des Hoheitsträgers zur Folge hat, ist nur in Ausnahmefällen denkbar. Wann das Ausbleiben einer tatsächlichen Zahlung als Folge der Aufrechnung eine nicht unerhebliche Gefährdung der Funktionsfähigkeit eines Hoheitsträgers nach sich zieht, ist eine Frage des Einzelfalls und abstrakt nur schwer zu bestimmen. Das Ausbleiben der tatsächlichen Zahlung müsste zur Folge haben, dass der Hoheitsträger deshalb, d. h. mangels vorhandener liquider Mittel, bestimmte Ausgaben nicht mehr tätigen kann. Diese Nichtleistung des Hoheitsträgers müsste wiederum zur Folge haben, dass die Gegenleistung nicht mehr erfolgt und diese Gegenleistung bzw. Aufgabenerfüllung für die Funktionsfähigkeit des Hoheitsträgers relevant ist. Für die Beurteilung, ob eine ausbleibende Zahlung die Funktionsfähigkeit des Aufrechnungsgegners nicht unerheblich beeinträchtigt, müsste zunächst dargelegt werden, welche konkrete Aufgabenerfüllung des Hoheitsträgers in Folge der nicht tatsächlich erfolgten Zahlung gefährdet ist. Daran anschließend ist zu bestimmen, ob die gefährdete konkrete Aufgabenerfüllung eher zum Kernbereich staatlicher Aufgabenwahrnehmung, etwa im Bereich der Gefahrenabwehr, oder eher zum Randbereiche, etwa im Bereich der Leistungsverwaltung, gehört. Je eher der Kernbereich betroffen ist, desto eher kann eine drohende Funktionsunfähigkeit vorliegen. Weiter zu berücksichtigen wäre, in welchem Umfang der Hoheitsträger die konkrete Aufgabenwahrnehmung im Kern- oder Randbereich einschränken müsste. Je intensiver und umfangreicher die Erfüllung der konkreten Aufgabe reduziert werden muss, desto eher könnte eine Störung der Funktionsfähigkeit vorliegen. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, ob der von der Aufrechnung betroffene Hoheitsträger sich kurzfristig anderweitig refinanzieren kann, um die Kosten der Aufgabenerfüllung zu begleichen und die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit dadurch abzuwenden. Je eher er dazu in der Lage ist, desto weniger droht im Ergebnis seine Funktionsfähigkeit gestört zu werden. Da die Rechtsdurchsetzung mittels Aufrechnung, anders als die Rechtsdurchsetzung mittels Vollstreckung, regelmäßig keinen Einfluss auf Funktionsfähigkeit des Hoheitsträgers hat, besteht keine Funktionsäquivalenz zwischen den Instru-

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

menten der Aufrechnung und der Vollstreckung. Auch aus diesem Grund besteht keine ausreichende Nähe der Aufrechnung zur Vollstreckung, um grundsätzliche Aufrechnungseinschränkungen oder -verbote zwischen Hoheitsträgern zu rechtfertigen. Sollte ausnahmsweise dennoch eine nicht unerhebliche Störung der Funktionsfähigkeit des Aufrechnungsgegners drohen, kann dies punktuell zu Aufrechnungseinschränkungen bis hin zu -verboten führen.241

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem Aus dem Charakter der Aufrechnung als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens einerseits242 und der ausreichenden Ferne der Aufrechnung von der Verwaltungsvollstreckung andererseits folgt, dass eine Aufrechnung grundsätzlich auch zwischen Hoheitsträgern möglich ist. Die eingangs dargestellten allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Aufrechnung243 sind entsprechend bei einer Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern anwendbar. Die gesetzlich geregelten Aufrechnungsverbote kommen bei einer Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern regelmäßig nicht in Betracht. Das nicht aus dem allgemeinen Rechtsgedanken abgeleitete, sondern in § 395 BGB geregelte Aufrechnungsverbot bei fehlender Kassenidentität ist in der Gegenwart nicht mehr zielfördernd.244 Eine Übertragung auf die Situation von Aufrechnungen zwischen Hoheitsträgern empfiehlt sich deshalb nicht. Auch die übrigen zivilrechtlich geregelten Aufrechnungsverbote spielen für Aufrechnungen zwischen Hoheitsträger keine entscheidende Rolle. Forderungen zwischen Hoheitsträgern aus unerlaubter Handlung (§ 393 BGB) oder die Erfüllung gesellschaftsrechtlicher Einlagepflichten (§ 66 Abs. 1 S. 2 AktG, § 19 Abs. 2 S. 2 GmbHG, § 22 Abs. 5 GenG) sind kaum denkbar. Auch das Verbot der Aufrechnung gegen unpfändbare Forderungen aus § 394 BGB stellt für die Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern kein grundsätzliches Problem dar. Zwar führt nach § 851 ZPO auch die Nichtabtretbarkeit zur Unpfändbarkeit des Anspruchs, sodass in der Folge nicht abtretbare Ansprüche auch nicht aufrechenbar sind. Die zivilrechtlichen Regelungen über die Abtretung von Forderungen, §§ 398 ff., gelten aber grundsätzlich auch im öffentlichen Recht, insbesondere bei Zahlungsansprüchen der öffentlichen Hand.245

241

Vgl. hierzu 3. Teil B. III. 3. Vgl. 2. Teil B. II. 243 Gegenseitig- und Gleichartigkeit der Forderungen, Fälligkeit und Vollwirksamkeit der Aktivforderung, Erfüllbarkeit der Passivforderung, vgl. hierzu 1. Teil B. I. 244 Vgl. hierzu die Kritik an der Regelung des § 395 BGB unter 2. Teil C. I. 245 BFH, BStBl. 73, 513; 89, 1004; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 46 Rn. 16; Ratschow, in: Klein, AO, § 46 Rn. 4. 242

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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Auch festgesetzte Steuerforderungen können von einem Hoheitsträger auf einen anderen Hoheitsträger übertragen werden.246 Dies bedeutet aber nicht, dass für Aufrechnungen zwischen Hoheitsträgern keine punktuellen Aufrechnungseinschränkungen, bis hin zu Aufrechnungsverboten, bestehen. Es können sich spezifische, nicht kodifizierte Aufrechnungseinschränkungen aus der allgemeinen bundesstaatlichen Kompetenzverteilung sowie aus finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben im Besonderen ergeben. Gegen punktuelle Einschränkungen der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern spricht nicht, dass sie gesetzlich nicht ausdrücklich normiert sind. Denn zum einen ist das Recht der Aufrechnung im höchsten Maße Billigkeitsrecht.247 Bereits die Aufrechnung als solche ist konkretisierter Ausfluss von Billigkeitsrechts. Der allgemeine Rechtsgedanke der Aufrechnung ist „immer dann und nur dann zulässig, wenn sie [die Aufrechnung] nicht unbillig ist“.248 Dies gilt im gleichen Maße auch für das Bestehen von Aufrechnungseinschränkungen bzw. -verboten. Das Recht der Aufrechnung ist somit flexibel hinsichtlich seiner Handhab- und Anwendbarkeit. Zum anderen gilt ohnehin, dass sich verfassungsrechtliche Wertungen, die einer Aufrechnung im staatlichen Binnenbereich entgegenstehen, aus normhierarchischen Gründen als konkrete Aufrechnungseinschränkungen durchsetzen müssen. Im folgenden Abschnitt wird daher im Überblick und mit der gebotenen Fokussierung auf die Grundsätze der bundesstaatlichen Ordnung eingegangen. Dabei werden nur die für die Beantwortung der Frage nach möglichen Aufrechnungseinschränkungen relevanten bundesstaatlichen Aspekte näher beleuchtet. Die relevanten Aspekte sind dabei diejenigen, die Regelungen über die Kompetenzen, die Rechtsdurchsetzung und die Mittelverteilung im Bundesstaat treffen. Insbesondere werden die Vorschriften über den Bundeszwang, der Grundsatz der Bundestreue und die Regelungen über Aufteilung der Steuererträge im Rahmen der Finanzverfassung näher untersucht.

I. Allgemeine bundesstaatliche Implikationen Aufrechnungseinschränkungen könnten sich aus dem in Art. 20 Abs. 1 GG niedergelegten Bundesstaatsprinzip ergeben, nach dem „die Bundesrepublik Deutschland […] ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ ist. Aus der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (1.), dem Grundsatz des Bundeszwangs (2.) und dem Grundsatz der Bundestreue (3.) können sich Er246 BFH, BStBl. 2000, 46. Zur Abgrenzung der übertragungsfähigen von den nicht übertragungsfähigen Rechten des Verwaltungsrechts de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 495. Vgl. zur Diskussion eines Aufrechnungsverbots der öffentlichen Hand gegenüber Zuwendungsansprüchen wegen Unpfändbarkeit Bergan/Martin, DÖV 2013, S. 268 ff. 247 Vgl. Zimmermann, in: FS Medicus, S. 707 (716); Berger, Aufrechnungsvertrag, S. 65. 248 Berger, Aufrechnungsvertrag, S. 65.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

kenntnisse über mögliche Begrenzungen einer Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern ergeben. 1. Kompetenzverteilung und -verhältnis im Bundesstaat Das Grundgesetz hat 1949 eine Staatskonstruktion wieder aufgenommen, die in Deutschland eine lange Tradition hat und nur durch die Jahre von 1933 – 1945 kurz, dafür jedoch mit äußerster Konsequenz unterbrochen war.249 Das Bundesstaatsprinzip des Grundgesetzes zählt seitdem zu den fundamentalen Staatszielbestimmungen und Verfassungskernen. Die herausgehobene Bedeutung des Bundesstaatsprinzips lässt sich an den Bezeichnungen „Bundesrepublik“ und „Bundesstaat“ in Art. 20 Abs. 1 GG ablesen, durch die die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes zweifach zum Ausdruck kommt. Das Grundgesetz konstruiert die Bundesrepublik dabei als einen Staat, der aus Staaten besteht. Nicht nur der Bund als Gesamtstaat, sondern auch die Länder als Gliedstaaten besitzen eine eigene, nicht bloß vom Bund abgeleitete Staatlichkeit. Die Verfassungsbereiche von Bund und Ländern stehen grundsätzlich selbständig nebeneinander.250 Das ursprüngliche Element der Bundesrepublik sind die Länder, nicht der Bund, auch wenn der Bund nicht durch seine Glieder, sondern durch einen „Akt des Gesamtvolkes“251 gegründet wurde. Neben dem Bund und den Ländern gibt es keine weitere bundesstaatliche Ebene: Die Bundesrepublik unter dem Grundgesetz ist ein zweigliedriges Staatsgebilde, bestehend aus dem Bund als Gesamt- und den Ländern als Gliedstaaten. „Bund“ und „Bundesrepublik“ sind insoweit synonyme Begriffe.252 Eine der wichtigsten Aufgaben einer bundesstaatlichen Verfassung253 liegt in der Ausarbeitung einer vertikalen Gewaltenteilung, d. h. der Aufteilung von Kompetenzen und Hoheitsrechten zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedstaaten. Das Grundgesetz trifft hierzu zum Teil sehr differenzierte Vorgaben für die drei Ho249 Isensee, in: Isennsee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 126 Rn. 4; Hanschel, Konfliktlösung im Bundesstaat, S. 36 ff.; Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S. 303, 308. 250 Hierzu bereits Zinn, AöR 75 (1949), 291 (296); vgl. auch die zahlreichen Feststellungen in BVerfGE 1, 14, (34); 4, 178 (189); 6, 367 (382); 22, 267 (270); 36, 342 (360 f.); 41, 88 (118); 72, 330 (385); 96, 345 (366). 251 Geiger, BayVBl. 1957, 301. 252 Dies ist inzwischen unwidersprochene Ansicht. Zu Anfangszeiten des Grundgesetzes wurde hingegen noch vertreten, dass die Bundesrepublik aus insgesamt 3 Ebenen bestehe: den Ländern als Gliedstaaten, dem Bund als Oberstaat und der Bundesrepublik als Gesamtstaat. Missverständlich etwa BVerfGE 6, 309 (364) („[…]wird die staatliche Einheit durch die Bundesrepublik Deutschland als Bundesstaat verwirklicht, deren Glieder der Bund und die Länder sind.“) Kritisch hierzu Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 6. Klarstellung dann in BVerfG, DVBl. 1961, 587 (590) („Es gibt nicht neben dem Bundesstaat als Gesamtstaat noch einen besonderen Zentralstaat […]“). 253 Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 20 sieht hierin das „Hauptproblem jeder bundesstaatlichen Verfassung“.

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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heitsbereiche der Gesetzgebung (Art. 70 – 74 GG), der Verwaltung (Art. 83 – 91 GG), der Rechtsprechung (Art. 93 – 104 GG) sowie für den Bereich der Staatsfinanzen (Art. 104a-115 GG)254. Programmatisch legt Art. 30 GG als Grundnorm der vertikalen Aufgabenverteilung zunächst umfassend fest, dass die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist, soweit das Grundgesetz nichts Abweichendes regelt. Dies tut es in teilweise erheblichem Maße. Für den Bereich der Gesetzgebung bestimmt zwar Art. 70 GG, dem RegelAusnahme-Prinzip zugunsten der Länder des Art. 30 GG folgend, dass die Gesetzgebung Sache der Länder ist, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. In den darauffolgenden Vorschriften stellt das Grundgesetz allerdings vielfältige Bereiche heraus, in denen dem Bund das ausschließliche oder das konkurrierende Recht zur Gesetzgebung eingeräumt wird.255 Trotz Inkrafttreten der Föderalismusreform I und der Rechtsprechungsänderung des Bundesverfassungsgerichts zur Erforderlichkeit einer einheitlichen Regelung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung gem. Art. 72 Abs. 2 GG lässt sich im Ergebnis nach wie vor festhalten, dass die große Mehrzahl der Gesetze der Bundeskompetenz unterliegt und die Bereiche der Kultur, der Bildung und des Ordnungsrechts bereits die wichtigsten Gebiete sind, auf denen den Ländern das Recht zur Gesetzgebung zusteht.256 Demgegenüber haben die Länder die umfassendere Verwaltungs- und Rechtsprechungszuständigkeit.257 Die bundeseigene Verwaltung ist eine Ausnahme, die Ausführung der Bundesgesetze ist gem. Art. 83 GG grundsätzlich Sache der Länder, soweit das Grundgesetz keine abweichende Regelung trifft. Im Gegensatz zur Gesetzgebung zeigt sich, dass die Staatspraxis der Regel-Ausnahme-Bestimmung des Art. 83 GG diesmal entspricht. Ob das administrative Kompetenzübergewicht bei den Ländern allerdings deren legislatives Kompetenzuntergewicht auszugleichen vermag, darf aus Ländersicht bezweifelt werden. Denn zum einen sind die Länder trotz Verwaltungskompetenz gezwungen, Gesetze auszuführen, die sie nicht selbst – höchstens über die Mitwirkung durch den Bundesrat – erlassen haben. Zum anderen 254 Für Hanschel, Konfliktlösung im Bundesstaat, S. 69 ff. sind Kompetenz-, Finanz- und Territorialkonflikte zwischen Bund und Gliedstaaten die drei zentralen Problembereiche eines Bundesstaats. 255 Siehe zur Gesetzgebungszuständigkeit nach dem GG umfassend Rengeling, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 135; Schneider, Gesetzgebung, S. 56 ff., 118 ff. 256 Wittreck, in: Dreier, GG, Art. 30 Rn. 15 ff.; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 30 Rn. 2. Dass die Föderalismusreform I nicht einmal ihre Reduktionsziele hinsichtlich der zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze erzielt habe, vertritt Höreth, ZParl 2007, 712 (731 ff.). 257 Zu den Verwaltungskompetenzen im Bundesstaat Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 136, zur Rechtsprechungszuständigkeit Hense, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 137. Während Konflikte im Bereich Gesetzgebung und Verwaltung häufiger vorkommen, spielen Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten keine wichtige Rolle im deutschen Bundesstaat, vgl. Hanschel, Konfliktlösung im Bundesstaat, S. 71.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

sind sie bei der Ausführung der Bundesgesetze nicht frei, sondern unterliegen einer ständigen Rechts- und teilweise auch Fachaufsicht durch den Bund. 2. Art. 37 GG – Bundeszwang Erkenntnisse über mögliche Aufrechnungseinschränkungen zwischen Hoheitsträgern könnten sich aus einer Betrachtung des den Bundeszwang regelnden Art. 37 GG ergeben. Art. 37 GG legt fest, unter welchen Voraussetzungen und auf welche Weise die Vollstreckung einer Zwangsmaßnahme eines Hoheitsträgers gegenüber einem anderen Hoheitsträger zulässig ist. Art. 37 GG ist damit die einzige verfassungsrechtliche Vorschrift, die Aussagen zur Vollstreckung zwischen Hoheitsträgern trifft. Allein aus diesem Grund ist eine Betrachtung dahingehend geboten, ob sich aus der Norm Ableitungen für die Frage nach möglichen Einschränkungen einer Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern treffen lassen. Das Institut des Bundeszwangs bzw. der Bundesexekution258 dient der Sicherung der bundesstaatlichen Ordnung. Es erlaubt dem Bund259 die Durchführung von Zwangsmaßnahmen gegenüber solchen Gliedern, die ihre Bundespflichten verletzen. Der Bundeszwang ist ein Instrument in den Händen des Bundes, mit dem einseitig bundesstaatliche Pflichten der Länder zwangsweise durchgesetzt werden können. In umgekehrter Richtung ist der Bundeszwang nicht anwendbar. Es gibt auch kein Äquivalent. Zwar ist der Bundeszwang, in erster Linie dank der Autorität des Bundesverfassungsgerichts,260 in der bisherigen verfassungspolitischen Praxis der Bundesrepublik noch nicht zur Anwendung gekommen. Trotzdem besitzt die Regelung eine Auffang- und Reservefunktion. Dass die Zwangsmöglichkeiten des Art. 37 GG nie eingesetzt wurden, spricht auch nicht gegen Bedeutung und Wirksamkeit der Vorschrift. Sie existiert gerade für Extremsituationen.261 Der Regelungsinhalt des Art. 37 GG erlaubt im Übrigen auch ohne Praxisrelevanz Einsichten in das bundesstaatliche Macht- und Kompetenzgefüge des Grundgesetzes.262 258

In Abgrenzung zur Bundesintervention, die Fälle der Hilfeleistung des Bundes gegenüber einem verfassungstreu handelnden Land meint, vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 2. 259 Der Bundeszwang wird von der Bundesregierung angeordnet und durchgeführt. Zur Kompensation der starken Eingriffsbefugnisse des Bundes hat der Verfassungsgeber allerdings die Zustimmung des Bundesrats zu den Maßnahmen vorgesehen, vgl. Gubelt, in: von Münch/ Kunig, GG, Art. 37 Rn. 10; von Danwitz, in: von Mangolt/Klein/Starck, GG, Art. 37 Rn. 26; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 55; Kruis, in: FS Lerche, S. 477. Umfassend zum Prozedere der Zustimmung des Bundesrats Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 73 ff. 260 So Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 1. 261 Vgl. hierzu die Ausführungen in 3. Teil A. I., wonach in Rechtsdurchsetzungssystemen moderner Staaten die „bloße Möglichkeit der Machtausübung“ im Mittelpunkt steht. 262 Bauer, in: Dreier, GG, Art. 37 Rn. 6; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 3. Erbguth, in: Sachs, GG, Art. 37, Rn. 3 spricht in diesem Zusammenhang von einer „Knüppel im Sack“-Funktion des Art. 37 GG.

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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a) Voraussetzungen des Bundeszwangs Die Voraussetzungen für die Anwendung des staatsrechtlichen Zwangs nach Art. 37 Abs. 1 GG liegen dann vor, wenn ein Land eine Bundespflicht nicht erfüllt. Zurechenbar sind dem Land nur – verschuldensunabhängig263 – die Verhaltensweisen des Gliedstaates, d. h. der Landesregierung und des Landesparlaments.264 Das Fehlverhalten öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder Anstalten eines Landes vermag den Bundeszwang nur dann auszulösen, wenn das Fehlverhalten einer nachgeordneten Körperschaft durch Untätigkeit der obersten Aufsichtsbehörde zu einem Fehlverhalten des Landes selbst wird.265 Zweitens muss dem Land die Verletzung einer Bundespflicht vorgeworfen werden können. Zu beachten ist, dass nicht jede Pflicht eines Landes nach Bundesrecht gleichzeitig auch eine Bundespflicht i.S.d. Art. 37 GG ist. Wann eine solche Bundespflicht vorliegt, ist eine Einzelfrage, die sich einer allgemeinen Beschreibung weitgehend entzieht.266 Die Bundespflicht muss sich jedenfalls gerade aus dem bundesstaatlichen Verhältnis ergeben. Sie muss für das geordnete bundesstaatliche Zusammenleben bedeutsam sein. Die Verletzung privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Pflichten, die das Land wie jeden anderen treffen können, sind jedenfalls nicht geeignet, den Bundeszwang auszulösen.267 Eine solche Pflicht, die dem Land gegenüber dem Bund oder auch einem anderen Land268 obliegen muss, kann sich aus dem Grundgesetz269 selbst oder aus einfachem Bundesrecht ergeben.270 263

von Danwitz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 37 Rn. 19. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 43 f. Eine Bundespflichtverletzung eines Landesparlaments ist im Prinzip nur in dem Fall denkbar, dass der Landesgesetzgeber es unterlässt, ein nach dem Bundesrecht notwendiges Gesetz zu beschließen, vgl. Klein, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 37 Rn. 41; von Danwitz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 37 Rn. 14. Siehe auch bereits für die Zeit des Deutschen Reichs Triepel, Reichsaufsicht, S. 499. 265 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 42; von Danwitz, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 37 Rn. 12. Als zwingende Folge der in Art. 97 GG verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit der Richter können Entscheidungen der Rechtsprechung keine Bundeszwangsmaßnahmen rechtfertigen. 266 Rühmann, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 37 Rn. 20. 267 Solche öffentlich-rechtlichen Pflichten können sich etwa aus dem Bau-, Polizei- oder Steuerrecht ergeben, vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 45. 268 Vgl. Rühmann, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 37 Rn. 19, der die „anderen Länder“ als Pflichtenbegünstigte überzeugend aus der Entstehungsgeschichte des Art. 37 GG herleitet. 269 So konstituieren etwa Art. 35 GG über die Pflicht zur Rechts- und Amtshilfe, Art. 84, 85 GG über die Rechts- und Fachaufsicht des Bundes über die Länder bei der Ausführung von Bundesgesetzen oder Art. 104a GG über die bundesstaatliche Ausgaben- und Lastenverteilung Bundespflichten der Länder, deren Nichtbeachtung Bundeszwangsmaßnahmen auslösen können, vgl. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 37 Rn. 10 m.w.N. 270 Eine im Folgenden erschöpfende Aufzählung der möglichen Bundespflichten ist nicht möglich, vgl. jedoch die von Mombaur, Bundestreue und Bundeszwang, 32 f., zusammengestellte Übersicht. Umstritten ist, ob nur formelle oder auch materielle Gesetze Grundlage von Bundespflichten i.S.d. Art. 37 GG sein können, dafür von Danwitz, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 37 Rn. 18; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 49; a.A. Bauer, in: 264

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

b) Rechtsfolgen des Bundeszwangs In Art. 37 GG findet sich weder ein abschließender Katalog noch eine beispielhafte Aufzählung konkreter Eingriffs- und Aufsichtsbefugnisse. So ist in Art. 37 Abs. 1 GG nur von „notwendigen Maßnahmen“ die Rede, die getroffen werden können, um das Land zur Erfüllung seiner Bundespflichten anzuhalten. Diese „augenfällige Kargheit“271 lässt sich indes mit der Intention des Verfassungsgebers erklären, die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Länder bei der Erfüllung ihrer Bundespflichten zu wahren und ihnen bei Erfüllung dieser Pflichten nicht permanent den Werkzeugkoffer der Zwangsmaßnahmen vor Augen zu führen. Gleichzeitig ist es dadurch der Bundesregierung möglich, auf jeden Einzelfall flexibel zu reagieren.272 Die Bundesregierung ist in der Wahl der zu treffenden Maßnahmen damit grundsätzlich frei und kann alle geeigneten und erforderlichen Maßnahmen treffen, sofern das Grundgesetz sie nicht ausdrücklich ausschließt.273 Wie auch für den Bereich des nicht-staatsrechtlichen Zwangs gilt auch im Rahmen des Art. 37 GG allerdings, dass Zwangsmaßnahmen zielgerichtet im Hinblick auf die Herbeiführung eines verfassungsmäßigen Zustands erfolgen müssen und ihnen nicht ein bloßer Strafcharakter zukommen darf. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit soll in diesem rein innerstaatlichen Verhältnis allerdings nicht zur Anwendung kommen.274 aa) Zulässige Zwangsmaßnahmen Wegen der fehlenden Staatspraxis sind eindeutige Möglichkeiten zulässiger Zwangsmaßnahmen nur schwer eindeutig zu bestimmen. Im Schrifttum werden aber regelmäßig bestimmte Zwangsmaßnahmen als zulässig erachtet. Dies betrifft etwa die Erteilung von Weisungen der Bundesregierung an das Land, seine bundesstaatlichen Pflichten zu erfüllen. Gemeint sind damit Weisungen als selbständige Maßnahmen und gerade nicht solche i.S.d. Art. 37 Abs. 2 GG. Dies ist die mildeste Maßnahme der Bundesexekution. Sie ist eigentlich noch nicht als „ZwangsmaßDreier, GG, Art. 37 Rn. 10; Gubelt, in: von Münch/Kunig, Art. 37 Rn. 6. Die Haushaltsnotlage eines Landes stellt nach überwiegender Ansicht keine Verletzung einer Bundespflicht dar. Die vereinzelt diskutierte Einsetzung eines „Sparkommissars“ des Bundes ist als Bundeszwangsmaßnahme nach Art. 37 GG nicht gerechtfertigt, vgl. Pauly/Pagel, DÖV 2006, 1028, 1032 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 37 Rn. 2. A.A. Sierck/Pöhl, Einsetzung eines Sparkommissars?, S. 7 ff. 271 Kruis, in: FS Lerche, S. 478. 272 Bauer, in: Dreier, GG, Art. 37 Rn. 13; Erbguth, in: Sachs, GG, Art. 37, Rn. 10. 273 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 GG Rn. 82. 274 Vgl. BVerfGE 7, 367 (372). Siehe auch von Danwitz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 37, Rn. 30 m.w.N. Allerdings unterliegt der Bund bei Ausübung des Art. 37 GG auch dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens, aus dem sich bestimmte Voraussetzungen und Schranken für die Kompetenzausübung ergeben, sodass es zu einem der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ähnlichen Ergebnis kommt, vgl. hierzu Klein, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 37 Rn. 65.

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nahme“ zu bezeichnen, da die Weisung von der Bundesregierung nicht durchgesetzt werden kann, sondern das Land den festgestellten Verstoß letztlich nur in eigener Verantwortung behebt.275 Weiterhin dürften alle Formen der Ausführung der pflichtwidrig unterlassenen Bundesverpflichtung durch die Bundesregierung zulässig sein. Denkbar sind hier die Ersatzvornahme durch die Bundesregierung selbst oder einen Dritten oder die Einsetzung eines Beauftragten, dem als sog. Bundeskommissar die Durchführung der von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats beschlossenen Maßnahmen im betreffenden Land obliegt.276 Auch die Ausübung von wirtschaftlichem oder finanziellem Druck wird als zulässig, jedoch nicht immer als erfolgversprechend angesehen. Zudem wird auf das Problem hingewiesen, dass von den Auswirkungen weniger die für die Nichterfüllung Verantwortlichen als vielmehr die Bevölkerung des Landes betroffen sein könnten. Ähnliches spricht auch gegen die ansonsten für zulässig erachtete Weigerung des Bundes, gleichsam als „Einrede der nicht erfüllten Pflicht“, seinerseits gegenüber dem Land bestehende Verpflichtungen auszusetzen.277 Nicht unumstritten ist hingegen die Frage, ob die Bundesregierung i.R.d. Art. 37 Abs. 1 GG auch Polizeikräfte zur Durchsetzung der Bundeszwangsmaßnahmen einsetzen darf. Einigkeit besteht zwar im Hinblick auf den Zugriff der Polizeikräfte des betroffenen Landes, die den übrigen Landesbehörden, auf die unzweifelhaft zurückgegriffen werden darf, gleichgestellt sind. Die besseren Gründe sprechen allerdings dafür, auch Polizeikräfte anderer Länder sowie die Bundespolizei einsetzen zu können.278 Denn der Rückgriff auf die Landespolizei kann unzureichend sein, da es sich um eine Einrichtung des unzuverlässigen Landes selbst handelt. Das Instrument des Bundeszwangs liefe aber leer, wenn die Bundesregierung, der der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des Bundeszwangs gem. Art. 87a Abs. 4 GG aus guten Gründen279 verwehrt ist, nicht zumindest auf die Bundespolizei und Polizeikräfte der loyalen Länder zugreifen könnte.280 Auch wenn es angesichts der vergangenen und gegenwärtigen bundesstaatlichen Realität schwer fällt, sich derartige Konfliktfälle zwischen dem Bund und einem Land vorzustellen: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee wollte den Bundeszwang „keinesfalls 275

Vgl. Rühmann, in: Umbach/Clemen, GG, Art. 37 Rn. 37. Solche Maßnahmen dürfen jedoch nur vorübergehenden, keinen irrevisiblen Charakter haben. Die Auflösung des Landtags oder die Absetzung der Landesregierung oder einzelner Regierungsmitglieder etwa wäre unzulässig, vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 96. 277 Diese Einrede, die im bundesstaatlichen Verhältnis grundsätzlich unzulässig ist (vgl. BVerfGE 8, 122, 140) soll im Falle des Art. 37 GG ausnahmsweise zulässig sein, Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 88 f. 278 So auch Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 37; von Danwitz, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 37 Rn. 9; Zinn, AöR 75 (1949), 291 (305); a.A. Stern, Staatsrecht I, S. 717; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 37 Rn. 14, der sogar einen Zugriff auf die Polizeikräfte des betroffenen Landes für unzulässig hält. 279 Überzeugend hierzu Waldhoff, Der Verwaltungszwang, S. 97 ff. 280 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 37 Rn. 37. 276

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schwächlich“281 ausgestalten. An der deutschen bundesstaatlichen Historie orientiert, sollte dieser im äußersten Notfall vielmehr den erforderlichen Einsatz von physischer Gewalt zulassen. bb) Unzulässige Zwangsmaßnahmen Nach übereinstimmender Ansicht sind jedoch auch eine Reihe von Zwangsmaßnahmen von vornherein ausgeschlossen. Dies betrifft zum einen solche Maßnahmen, die bereits wegen entgegenlautender Bestimmungen des Grundgesetzes unzulässig sind.282 Ausgeschlossen ist etwa der Einsatz der Bundeswehr, Art. 87a Abs. 2 GG, oder die Auflösung des Landes und Integration in ein anderes, Art. 29 GG. Zum anderen folgt aus dem Charakter der Bundesexekution als Erfüllungszwang, dass alle Maßnahmen zu unterlassen sind, die nicht zielgerichteter Erfüllung, sondern der Bestrafung des betroffenen Landes dienen. Ebenso scheiden Eingriffe der Bundesregierung in die Rechtsprechungsorgane des Landes wegen der durch Art. 97 Abs. 1 GG garantierten richterlichen Unabhängigkeit aus. c) Bewertung hinsichtlich möglicher Aufrechnungseinschränkungen Auffällig ist, dass im Bundesstaatsverhältnis nur eine Zwangskompetenz des Bundes gegenüber den Ländern, nicht aber auch eine solche gegenüber dem Bund besteht. Verletzt der Bund seinerseits Bundespflichten gegenüber den Ländern, müssen diese den Weg über die Verwaltungsgerichte wählen, deren Entscheidungen notfalls vollstreckt werden müssen.283 Die Vollstreckungsmöglichkeiten der Länder sind damit aber weitaus geringer und unflexibler. Dennoch kann hieraus nicht geschlossen werden, dass das Interesse des Bundes verfassungsmäßig höher einzustufen wäre als das Interesse eines Landes. Denn zum einen sorgt der Bund mit der Anwendung des Bundeszwangs nicht bloß dafür, dass eine gegenüber dem Bund bestehende Pflicht des verletzenden Landes durchgesetzt werden. Der Bundeszwang kommt auch dann zur Anwendung, wenn ein Land eine Bundespflicht, die gegenüber einem oder mehreren Ländern besteht, verletzt. Der Bundeszwang sichert also nicht nur Bundes-, sondern gleichermaßen Länderinteressen. Zudem handelt der Bund beim Bundeszwang nicht isoliert, sondern stets in Kooperation mit dem Bundesrat und damit der Ländergesamtheit. Auf ein Über-Unterordnungsverhältnis zwischen Bund und Ländern kann hieraus nicht geschlossen werden. Deshalb lassen sich aus den Vorgaben des Art. 37 GG noch keine Ableitungen für die Frage dieser Arbeit 281 So der „Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee“ des Verfassungsausschusses der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen, veröffentlicht in: Der Parlamentarische Rat, Akte und Protokolle, Band 2, Seite 564 f. 282 Unzulässig wäre etwa der Einsatz der Bundeswehr wegen Art. 87a Abs. 2 GG oder die Auflösung des Landes (und Integration in ein anderes) wegen Art. 29 GG. 283 Zu den Möglichkeiten der Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen vgl. 3. Teil A. II. 2. a).

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treffen, ob sich aus dem bundesstaatlichen Bund-Länder-Verhältnis punktuell Einschränkungen der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern ergeben. 3. Grundsatz der Bundestreue Aussichtsreicher hierfür ist eine Untersuchung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Bundestreue. Über die kodifizierten verfassungsrechtlichen Kompetenz- und Konfliktlösungsnormen hinaus284 werden die Rechte und Pflichten von Bund und Ländern durch ein zentrales bundesstaatliches Prinzip, das sog. Gebot der Bundestreue ergänzt.285 Das ungeschriebene Rechtsinstitut der Bundestreue dient der Festigung des Bundesstaates. Es greift dort ein, „wo die Interessen des Bundes und der Länder auseinanderlaufen, und zwar so, dass der eine Teil (und damit mittelbar das Ganze) Schaden nimmt, wenn der andere Teil seine Maßnahmen ausschließlich seinen Interessen entsprechend treffen würde.“286 Dieses Verfassungsgebot hat nicht bloß politische, sondern rechtlich-verbindliche Bedeutung. Es ist justiziabel287 und enthält die Forderung, dass Bund und Länder in ihrem Handeln stets die Interessen des jeweils anderen Teils zu berücksichtigen haben. Es darf im Bundesstaat „nichts geschehen, was das Ganze oder eines seiner Glieder schädigt“288. Aus dem Grundsatz der Bundestreue könnten sich daher Hinweise auf das Vorliegen ausnahmsweiser, verfassungsrechtlich begründeter Verbote einer Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern ergeben. a) Historische Entwicklung der Bundestreue Das Gebot der Bundestreue ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz erwähnt, gilt aber als ein „Paradebeispiel“289 ungeschriebenen Verfassungsrechts.290 Es verfügt über eine Tradition, die der Geltungszeit des Grundgesetzes vorausgeht291 – die Idee der Bundestreue ist „so alt wie der Bundesstaat“292 selbst. Trotz seiner Entwicklung 284 Umfassend zu den föderalen Konfliktlösungsmechanismen Hanschel, Konfliktlösung im Bunbdesstaat, S. 69 ff.; Smith, Konfliktlösungsmechanismen im Bundesstaat, S. 257 ff. 285 Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 118; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 126 Rn. 160; grundlegend Bauer, Bundestreue. Rechtsvergleichend zur Schweiz, USA und EU Egli, Bundestreue. 286 BVerfGE 31, 314 (355). 287 Zu den Einschränkungen der Justiziabilität siehe den Punkt B. I. 3. f) des 3. Teils. 288 BVerfGE 6, 309 (361). 289 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 126 Rn. 162. 290 Zu Geltung und Bindung von ungeschriebenem Verfassungsrecht Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 294 ff. 291 Vgl. die ersten Ausführungen hierzu aus den Zeiten des Kaiserreichs von Smend, in: FG O. Mayer, S. 245, 260 ff. Zu den historischen Implikationen insg. siehe Bauer, Bundestreue, S. 30 ff. 292 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 126 Rn. 161.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

aus der Staatspraxis des monarchisch-bundesstaatlichen Kaiserreichs während des 1. Weltkriegs heraus und trotz weitgehender Nichtbeachtung zu Zeiten der Weimarer Republik hat das Verfassungsgebot der Bundestreue seit Anbeginn der Bundesrepublik umfangreiche Anerkennung in Rechtsprechung und Schrifttum gefunden.293 Beide haben sich nicht von der Abneigung, auf ein staatsrechtliches Konstrukt aus der Zeit der Monarchie zu rekurrieren, sondern von dem Wunsch leiten lassen, ein „elastisches Regulativ“294 für den sich neu formenden Föderalismus wieder aufnehmen zu können. Die Bundestreue erinnerte zwar entfernt an die vordemokratische Kaiserzeit, widersprach aber umso stärker dem erst kurz zuvor erfahrenen Geist des Nationalsozialismus. Der Geburtstermin der Bundestreue zu Zeiten der Monarchie stand ihrer Einführung in Zeiten der Demokratie dadurch nicht im Wege. Der Grundsatz der Bundestreue hat schon früh umfassende Anerkennung unter dem Grundgesetz gefunden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundestreue schon in einer seiner ersten Entscheidungen anerkannt295 und später im Jahre 1961 darauf hingewiesen, dass das „gesamte verfassungsrechtliche Verhältnis […] durch den ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz von der wechselseitigen Pflicht des Bundes und der Länder zu bundesfreundlichem Verhalten beherrscht wird“296. Schon früh hatte das Bundesverfassungsgericht erkannt, dass letztlich die Funktionsfähigkeit eines Bundesstaats einen Grundsatz der Bundestreue erforderlich macht. Denn eine umfassende, lückenlose Regelung aller möglichen Konflikte zwischen den Bundesstaatsgliedern ist rechtstechnisch nicht umsetzbar. Das stets latent vorhandene Konfliktpotential zwischen dem Bund und seinen Gliedern verlangt nach einer flexibel anwendbaren Norm, die alle Beteiligten zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet.297 b) Bedeutung und Grundlage der Bundestreue Der Anwendungsbereich der Bundestreue ist in zweifacher Hinsicht möglich: Zum einen als originäre Streitentscheidungsnorm sowie zum anderen, dahinterstehend, als Auslegungshilfe bereits bestehender Streitentscheidungsvorschriften. Einigkeit besteht darüber, dass die Bundestreue nur subsidiär anwendbar ist. Speziellere Normen gehen ihr vor.298 Ist eine speziellere Norm für die Entscheidung über den föderalen Streitfall einschlägig, kann der Bundestreue aber noch Bedeutung im Rahmen der Normauslegung zukommen. Zahlreiche Vorschriften des Grundgesetzes 293 Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 118 m.w.N. Das BVerfG hat den Grundsatz der Bundestreue bereits in seiner seiner ersten Entscheidungen aufgenommen, vgl. BVerfGE 1, 299 ff. (Leitsatz 7.b). 294 Bauer, Bundestreue, S. 153. 295 BVerfGE 1, 299 ff. (Leitsatz 7.b). 296 BVerfGE 12, 205 (254). 297 Zu dieser „normativen Letztbegründung der Bundestreue“ Unruh, EuR 2002, 41 (53). 298 Bauer, Bundestreue, S. 371; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrecht VI, § 166 Rn. 166; Smith, Konfliktlösung im demokratischen Bundesstaat, S. 372.

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stehen, als originäre Konfliktlösungsmechanismen, in engem Zusammenhang mit dem Bedeutungsgehalt der Bundestreue. In einem solchen Fall kann die Bundestreue, d. h. insbesondere ihre Konkretisierungen299, zur Auslegung herangezogen werden, um die systematischen Zusammenhänge und den Sinn und Zweck der in Frage stehenden Einzelnorm besser zu erfassen.300 Über die Rechtsgrundlagen des Gebots bundesfreundlichen Verhaltens indes herrscht keine Einigkeit. Neben dem Wesen des Bundesstaats301 bzw. des Bundesstaatsprinzips302 wird insbesondere der allgemeine (bürgerlich-rechtliche) Grundsatz von Treu und Glauben303 herangezogen. Da die Geltung der Bundestreue jedoch trotz aller auch heute noch vorhandenen Vorbehalte und Unsicherheiten allgemein anerkannt ist,304 soll an dieser Stelle auf eine vertiefte Erörterung der normativen Zuordnung verzichtet werden.305 c) Adressaten der Bundestreue Übereinstimmung besteht jedoch zunächst im Hinblick auf den Adressatenkreis der Bundestreue. Entgegen dem möglicherweise falsch zu verstehenden Wortlaut verpflichtet der Grundsatz der Bundestreue nicht nur die Länder, sondern auch den Bund zur gegenseitigen Rücksichtnahme und zum Zusammenwirken. Die Bundestreue gilt zudem auch im Verhältnis der Länder untereinander.306 Somit sind die jeweiligen Bundes- bzw. Landesorgane an die Beachtung des bundesstaatlichen Treuegebots gehalten. Dies gilt jedoch nicht im Innenverhältnis der Organe unter299

Siehe hierzu 3. Teil B. I. 3. e). Bauer, Bundestreue, S. 372; Herzig/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 122; Smith, Konfliktlösung im Bundesstaat, S. 372 mit einem Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Finanzausgleich, BVerfGE 72, 330 (386 f., 397 f., 402). 301 So etwa Wipfelder, VBlBW 1982, 394 (396); Bayer, Bundestreue, S. 43. 302 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 126 Rn. 162; Herzog/ Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 121. 303 Bauer, Bundestreue, S. 243 ff. Vgl. auch Smend, in: FG O. Mayer, 245, 261: „wie neben den sonstigen Vorschriften über den Inhalt der einzelnen Schuldverhältnisse für den Geist ihrer Erfüllung der Grundsatz von Treu und Glauben rechtlich maßgebend ist, so für den Inhalt der Vorschriften der Reichsverfassung, soweit die Einzelstaaten irgendwie beteiligt sind, der Grundsatz der Vertragstreue und der bundesfreundlichen Gesinnung.“ 304 Vgl. aber insbesondere die Kritik an Konzept und Inhalt der Bundestreue bei Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 6 ff. Eine Zusammenstellung der kritischen Stimmen der Gegenwart findet sich bei Bauer, Bundestreue, S. 219 ff. 305 Vgl. die Beschreibung der in der Literatur vertretenen Rechtsgrundlagen der Bundestreue Bauer, Bundestreue, S. 234 ff. 306 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 126 Rn. 163; Bayer, Bundestreue, S. 59. Vereinzelt finden sich deshalb Formulierungsvorschläge wie „gemeinschaftsfreundliches Verhalten“, Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 119 oder „bündnisfreundliches Verhalten“, Stern, Staatsrecht I, S. 700. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet den Grundsatz der Bundestreue üblicherweise als die „Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten“. 300

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einander. Unterschiedliche Organe desselben Rechtsträgers sind nur über den ebenfalls ungeschriebenen Grundsatz der Verfassungsorgantreue aneinander gebunden.307 Treten sie hingegen für das Land bzw. den Bund nach außen hin gegenüber einem anderen Bundesstaatsglied in Erscheinung, nehmen sie dessen Rechte oder Pflichten wahr. In diesem Fall greift die Verpflichtung, das Verhalten im Einklang mit den Grundsätzen der Bundestreue auszuüben. Die Bindung der nachgeordneten Bundes- bzw. Landesverwaltung ist indes nicht eindeutig. Zwar urteilte das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung, dass „alle Träger öffentlicher Gewalt“ den Grundsatz der Bundestreue zu beachten hätten.308 Diese ohne nähere Begründung getroffene Feststellung ist allerdings auf Kritik in weiten Teilen der Literatur gestoßen, die angesichts der sich abzeichnenden Verwaltungsorgantreue befürchtete, die Bundestreue könne zu einer „vagabundierenden Generalklausel, der letztlich jeder dogmatische Halt und jede systematische Einbindung fehle“309, verkommen. Eine solche, weite Anwendung der Bundestreue auf die nachgeordneten Behörden wird insbesondere unter Hinweis auf die Nichtbindung der Gemeinden an diese abgelehnt.310 Aus der Ablehnung der Übertragung der bundesstaatlichen Treuepflicht auf Gemeinden lässt sich allerdings noch nicht schließen, dass dies auch für die gesamte nachgeordnete Landes- bzw. Bundesverwaltung gelten muss. Zwar sind Gemeinden aus bundesstaatlichem Blickwinkel ebenfalls „nachgeordnete“ Teile eines Landes und an die Beachtung des Landesrechts gebunden. Im Unterschied zu Landes- und Bundesbehörden stehen Gemeinden jedoch nicht ausschließlich im Dienst und zur Verfügung des jeweiligen Landes. Sie sind gleichzeitig Selbstverwaltungskörperschaften mit verfassungsrechtlich anerkannten eigenen Selbstverwaltungsrechten und Interessen, die nicht zwingend im Einklang mit den Interessen des Landes stehen müssen. Sie nehmen gegenüber dem Bund nicht derart auf Seiten des Landes am bundesstaatlichen Verfassungsleben teil, wie dies bei nachgeordneten Landesbehörden der Fall ist. Es erscheint deshalb überzeugender, auch die nachgeordneten Verwaltungseinheiten in den Anwendungsbereich der Bundestreue miteinzubeziehen. Denn wenn schon die exekutiven Verfassungsorgane des Landes als Fach- und Rechtsaufsicht über die Landesbehörden an die Bundestreue gebunden sind, ist nicht einzusehen, warum dies nicht auch auf unmittelbarem Wege für die nachgeordneten Behörden gelten soll. Die Tatsache, dass eine oberste Landesbehörde dann, wenn sie mit einem konkreten Sachverhalt im Rahmen ihrer Aufsicht befasst ist, die Interessen des Bundes zu berücksichtigen hat, die Ausgangsbehörde dies aber nicht in Erwägung ziehen müsste, führt zu widersprüchlichen Ergebnissen, die nicht zu rechtfertigen sind.311 307

Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 124; vgl. zur Verfassungsorgantreue Schenke, Verfassungsorgantreue. 308 BVerwG, DVBl. 1990, 46 (47). 309 So Bauer, Bundestreue, S. 296 m.w.N. 310 Vgl. beispielhaft Bauer, Bundestreue, S. 297 ff. m.w.N. 311 Vgl. auch BVerfGE 76, 1 (77). In der Entscheidung heißt es: „Die Art und Weise, in der die Ausländerbehörden das ihnen […] eröffnete Ermessen ausgeübt haben, verstößt nicht gegen

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d) Inhalt und Grenze der Bundestreue Von größerer Bedeutung für die Frage nach möglichen verfassungsrechtlich begründeten Aufrechnungseinschränkungen sind die konkreten, inhaltlichen Ableitungen aus dem Grundsatz der Bundestreue. Neben der Frage nach der normativen Grundlage der Bundestreue erweisen sich jedoch auch belastbare Aussagen über ihre Ausflüsse als problematisch. Es zeigen sich schnell Schwierigkeiten bei dem Versuch, den Inhalt der Bundestreue abstrakt und umfassend zu bestimmen. Seit Jahrzehnten gilt deshalb unverändert die Feststellung, dass „die Bundestreue […] von Natur aus inhaltlich ungewiss“312 ist. Das ist allerdings nicht per se problematisch. Auslegungsbedürftige, unbestimmte Rechtsbegriffe kommen in allen Teilen des Rechts, auch im Verfassungsrecht, vor. Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit oder der Gewaltenteilung geben in der Regel auch keine im Vorhinein feststehende, schematisch ableitbare Lösungen vor. Dass Entscheidungen unter Berücksichtigung der Bundestreue in Einzelfällen schwierig sein können, sollte deshalb nicht zu einer Geringschätzung oder Irrelevanz der Bundestreue führen.313 Im Hinblick auf inhaltliche Ableitungen besteht zumindest dahingehend Übereinstimmung, dass die Bundestreue die Akteure des Bundesstaatsrechts zwingt, einander die Treue zu halten. Die Bundestreue soll Bund und Länder stärker aneinander und an die verfassungsmäßige Ordnung binden, wodurch auch die bundesstaatliche Ordnung als Ganzes gefestigt wird. Die Bundestreue hilft, „Egoismen“314 des Bundes und der Länder zu verhindern, die das Ergebnis einer Ausübung von bestehenden Rechten und Kompetenzen eines Bundesstaatsmitglieds sein können. Das Gebot der Bundestreue beschränkt im Einzelfall Kompetenzen, um zu verhindern, dass ein Beteiligter auf seinen Rechten und Kompetenzen besteht, dadurch jedoch „das Ganze oder eines seiner Glieder schädigt“315. Diese Kompetenzen bzw. Rechtsbeziehungen müssen allerdings bereits bestehen. Die Bundestreue verschiebt weder das Kompetenzgleichgewicht, noch tastet es gar das bundesstaatliche Normengefüge an.316 Die Bundestreue „konstituiert oder begrenzt Rechte und Pflichten innerhalb eines bestehenden Rechtsverhältnisses zwischen Bund und Ländern, begründet aber nicht selbständig ein Rechtsverhältnis zwischen ihnen. Die

den Grundsatz der Bundestreue. Nach diesem Grundsatz dürfen die Organe eines Landes von ihren Kompetenzen nur so Gebrauch machen, dass die Belange des Gesamtstaates und der anderen Länder nicht in unvertretbarer Weise beeinträchtigt werden.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 312 Bayer, Bundestreue, S. 127. 313 BVerfGE 1, 299 (316); Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 126 Rn. 165. 314 BVerfGE 43, 291 (348). 315 BVerfGE 6, 309 (361). 316 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 126 Rn. 165.

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wechselseitigen rechtlichen Beziehungen, innerhalb derer die Treue zu wahren ist, müssen bestehen […]“.317 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine Rechts- bzw. Kompetenzbeschränkung durch die Bundestreue nicht nur im Bereich des hoheitlichen Staatshandelns, sondern bei jeder Maßnahme des Bundes oder eines Landes einschlägig ist.318 Bund und Länder müssen in ihrem sämtlichen Verhalten stets die Auswirkungen auf den jeweiligen anderen Teil mitbedenken. Sie sind als Mitglieder des permanenten bundesstaatlichen Rechtsverhältnisses niemals, auch nicht im Falle nichthoheitlich-fiskalischen Handelns, vollkommen frei von der Rücksichtnahme auf die Interessen des jeweils anderen.319 Zwar bezog sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, soweit ersichtlich, die Formulierung „bei jeder ihrer Maßnahmen“320 bislang nur auf den Erlass von Gesetzen sowie auf den Erlass von Regierungs- und Verwaltungsakten. Nach Sinn und Zweck des Gebots der Bundestreue muss dieses aber umfassend in jedem Bereich gelten. Dies umfasst damit u. a. auch den Bereich der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern, deren Erklärung nicht Verwaltungsakt, sondern (verwaltungsrechtliche) Willenserklärung ist.321 Es kann keinen Unterschied machen, ob die berechtigten Interessen eines Bundesstaatsglieds durch öffentlich-rechtliches oder durch privatrechtliches Handeln eines anderen Teils gefährdet werden. Zentraler Punkt ist die Beeinträchtigung eines schützenswerten Interesses eines Bundesstaatsakteurs, nicht der zur Beeinträchtigung führende Weg. Zudem besteht die Gefahr, dass die Qualifikation des „Wie“ der Beeinträchtigung nicht immer eindeutig ist322 und die Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Bundes oder eines anderen Landes im Wege der Bundestreue von nicht nachvollziehbaren Zufälligkeiten abhängen kann. e) Konkretisierungen der Bundestreue Obwohl die Bundestreue bereits in zahlreichen Sachzusammenhängen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entscheidende Bedeutung zukam,323 hat auch das Bundesverfassungsgericht bislang keine allgemeingültige Definition der Bundestreue in all ihren möglichen Facetten gefunden. Die der Bundestreue eigene 317

BVerfGE 13, 54 (75). Kritisch zu dieser Anwendungsvoraussetzung der Bundestreue mit überzeugenden Argumenten Bauer, Bundestreue, S. 335 ff. 318 BVerfGE 8, 122 (131). A.A. jedoch Bayer, Bundestreue, S. 60. 319 BVerfGE 42, 103 (117); 103, 81 (88): Vgl. auch Bauer, Bundestreue, S. 330; Maurer, Staatsrecht, § 10 Rn. 53. 320 Vgl. etwa BVerfGE 8, 122 (131); 42, 103 (117). 321 Vgl. 2. Teil D. II. 322 Vgl. etwa den Streit um die Aufrechnung einer behördlichen Willenserklärung im Allgemeinen oder das unterschiedliche Ergebnis im Bereich des Sozialrechts im Speziellen, 2. Teil D. II. 3. 323 Vgl. etwa die Zusammenstellung der bundesdeutschen Rechtsprechung zur Bundestreue bei Egli, Bundestreue, S. 75 ff.

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Entwicklungsoffenheit324 sowie der Rekurs auf den Grundsatz von Treu und Glauben bringen eine gewisse Anwendungsunsicherheit zwangsläufig mit sich, tragen damit aber andererseits auch wesentlich zur „Dynamisierung des Verfassungsrechts“325 bei. Das Bundesverfassungsgericht konkretisiert den rechtlichen Gehalt der Bundestreue erst regelmäßig mit der Entscheidung über den bundesstaatlichen Einzelfall.326 Anhand der mittlerweile zahlreichen Beispiele aus unterschiedlichen (Rechts-)Bereichen lassen sich aber zumindest typologisch drei konkretere Ausprägungen der Bundestreue ableiten, von denen die rechtebeschränkende Ausprägung (bb)) von besonderer Bedeutung für diese Arbeit ist.327 aa) Ergänzende Regeln für das intraföderative Vertragsrecht Zum einen kann der Grundsatz der Bundestreue dabei helfen, ergänzende Regelungen für Staatsverträge zwischen den Bundesländern zu gewinnen. Diese intraföderalen Verträge sind vom Grundgesetz weitgehend unbeachtet und ungeregelt und bieten sich daher für eine Konkretisierung durch die Bundestreue geradezu an. So werden aus der Bundestreue Vorgaben für Vertragsverbote ebenso wie für Kontrahierungszwänge gefolgert sowie Regelungen über die Vertragserfüllung, -anpassung oder -beendigung abgeleitet. Auch der Grundsatz des pacta sunt servanda sowie das Vertragsanpassungsrecht, die sog. clausula rebus sic stantibus, werden für Bundesstaatsverträge aus dem Gebot bundesfreundlichen Verhaltens abgeleitet.328 bb) Rechtebeschränkende Funktion der Bundestreue Von Relevanz für die Frage der vorliegenden Untersuchung, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern ausnahmsweise unzulässig sein kann, ist insbesondere die Fallgruppe der rechtebeschränkenden Funktion der Bundestreue. Denn das Recht auf Aufrechnung könnte in bestimmten Fällen durch das Verfassungsgebot der Bundestreue ganz oder teilweise begrenzt sein. 324

Vgl. hierzu Bauer, Bundestreue, S. 312 ff. Exemplarisch auch die Feststellung in BVerfGE 12, 205 (255): „Der vorliegende Fall gibt Veranlassung, den verfassungsrechtlichen Grundsatz von der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nach einer anderen Seite weiter zu entwickeln.“ 325 Schenke, JZ 1989, 653 (659). 326 So betont das Bundesverfassungsgericht in BVerfG 81, 310 (337) ausdrücklich: „Welche Folgerungen aus dem Grundsatz bundesfreundlichem Verhaltens konkret zu ziehen sind, kann nur im Einzelfall beurteilt werden.“ (Hervorhebungen nur hier.) Vgl. auch Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 261. 327 Für einen solchen induktiven Weg der Erfassung der Bundestreue auch Bayer, Bundestreue, S. 75. Die Typologisierung folgt der Systematik von Bauer, Bundestreue, S. 325 ff. 328 Vgl. etwa BVerfGE 34, 216 ff.; umfassend Bauer, Bundestreue, S. 359 ff.

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Anknüpfungspunkt für die Fallgruppe der Rechtebeschränkung ist auch hier wieder das Postulat, „dass das Maß, in dem [Bund und Länder] von formal bestehenden Befugnissen Gebrauch machen können, durch gegenseitige Rücksichtnahme bestimmt ist.“329 Die Akteure des Bundesstaatsrechts sollen nicht in eigennütziger Manier die Durchsetzung eigener, im Falle der Aufrechnung finanzieller Interessen verfolgen, sondern das Interesse des jeweils anderen einbeziehen und wahren. Die Beschränkung von an sich bestehenden Rechten wird von einigen als die wichtigste Ausprägung des Grundsatzes der Bundestreue angesehen.330 Sie lässt sich weiter systematisieren in das Verbot widersprüchlichen Verhaltens einerseits sowie das Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung andererseits. (1) Verbot widersprüchlichen Verhaltens Der Vorwurf des, bundesverfassungsgerichtlich soweit ersichtlich noch nicht entschiedenen, venire contra factum proprium liegt in der sachlichen Unvereinbarkeit des früheren mit dem aktuellen Verhalten.331 In einer Abweichung von früherem zu gegenwärtigem Verhalten stets einen unzulässigen Treueverstoß gegen den anderen Bundesstaatsteil zu sehen, ginge zwar zu weit. Eine solche Auslegung würde die im bundesstaatlich-politischen Bereich notwendige Flexibilität der Entscheidungsträger und Verhandlungsführer in einer Weise beschneiden, die verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wäre und die an der Verfassungswirklichkeit vorbei ginge. Trotzdem sind Einzelfälle denkbar, in denen eine „Pflicht zu konsistentem Handeln“ einforderbar sein kann.332 Dies gilt auch und vor allem dann, wenn die Beteiligten im Rahmen einer längerfristig angelegten Kooperation bereits administrative oder finanzielle Dispositionen getroffen haben und der eine Teil die weitere Zusammenarbeit ohne Nennung sachlicher Gründe einstellt.333 (2) Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung Relevant für die vorliegende Frage nach Aufrechnungsverboten ist insbesondere die Rechtebeschränkung aufgrund missbräuchlicher Ausübung. Grundgedanke ist auch hier wieder, dass jede Rechtsausübung eines Bundesstaatsteils unter dem Vorbehalt der Berücksichtigung der Interessen des anderen Teils steht.334 Eine allgemeine, abstrahierende Aussage über den Bedeutungsgehalt der missbräuchlichen Rechtsausübung zwischen Hoheitsträgern ist für die Bundestreue ebenso schwer zu 329

Bauer, Bundestreue, S. 355 mit Verweis auf BVerfGE 4, 115 (141 f.). Karpen/von Rönn, JZ 1990, 579 (584); vgl. auch Carl, AöR 118 (1989), 450 (482). 331 Bauer, Bundestreue, S. 358. 332 Bauer, Bundestreue, S. 358, der als Beispiel das im Jahr 1957 geschlossene „Lindauer Abkommen“ zwischen dem Bund und den Länder nennt, das die Vertragsabschlusskompetenz des Bundes im Völkerrecht für Bereiche regelt, die innerstaatlich den Länderkompetenzen zufallen. 333 Carl, AöR 114 (1989), S. 450 (482 f.). 334 Bauer, Bundestreue, S. 356. 330

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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definieren wie im Fall der Treu und Glauben-Klausel des Zivilrechts in § 242 BGB.335 Es ist im Einzelfall danach zu fragen, ob die an sich zulässige Rechteausübung als solche oder ihre an sich zulässige Ausführung ausnahmsweise missbräuchlich ist. Die bloße Ausübung eines Rechts aber vermag noch keinen Verstoß gegen die Bundestreue darzustellen. Es muss schon eine „besondere Erheblichkeitsschwelle“336 überschritten werden. Es gilt Ähnliches wie im Zivilrecht: Danach ist, anders als es die Formulierung „Missbrauch“ nahelegt, nicht zwingende Voraussetzung, dass der Rechteausübende das Recht bewusst zweckentfremdet, um primär den anderen Teil zu schädigen. Es reicht aus, dass der Rechteausübende berechtigte Interessen verfolgt, die Ausübung aber aus anderen Gründen, die insbesondere auf Seiten der Gegenpartei zu finden sind, zu missbilligen ist.337 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Fallpraxis verschiedene abstrakte Umschreibungen versucht, um eine Rechteausübung als im Einzelfall missbräuchlich und damit als Verstoß gegen die Bundestreue zu kennzeichnen. So spricht es von einer drohenden „unvertretbaren“ Beeinträchtigung,338 einer „schwerwiegenden“ Beeinträchtigung „elementarer“ Belange339 oder, etwas zurückhaltender, von der „missbräuchlichen Interessenwahrnehmung“340. Aus den Aussagen lässt sich zumindest schließen, dass das verfassungsrechtliche Missbrauchsverbot nicht schon bei jeder spürbaren Beeinträchtigung aktivierbar ist. Es müssen vielmehr hohe Anforderungen an die Beeinträchtigung des anderen Teils gestellt werden. Ein Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung lässt sich aus zwei unterschiedlichen Perspektiven annehmen. Zum einen rechtfertigt es eine Beschränkung der Rechtsausübung, wenn der Rechtsinhaber keine berechtigten Interessen verfolgt, die Ausübung aber zum Nachteil des anderen Teils erfolgt. Das Bundesverfassungsgericht hat hierunter etwa einen Fall gefasst, in dem ein Land einer Verständigung mit dem Bund und anderen Ländern im Rahmen der Verteilung von Bundesmitteln für den sozialen Wohnungsbau widersprach, diesen Widerspruch aber aus „sachfremden Motiven“ erhob und daher „unsachlich“ und „willkürlich“ handelte. Der Widerspruch blieb in Konsequenz als gegen das Gebot bundesfreundlichen Verhaltens verstoßend unberücksichtigt.341 Eine solche Konstellation drängt sich jedoch für Aufrechnungen zwischen Hoheitsträgern nicht gerade auf. Denn regelmäßig wird das Bundesstaatsglied, das einem anderen gegenüber seine Forderung im Wege der Aufrechnung durchsetzen will, nicht vorgeworfen werden können, die Forderungsdurchsetzung sei „unsachlich und willkürlich“.

335 336 337 338 339 340 341

Vgl. hierzu etwa Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242, Rn. 214 ff. Bauer, Bundestreue, S. 357. Vgl. Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242, Rn. 216. BVerfGE 34, 9 (44); 76, 1 (77). BVerfGE 34, 216 (232). BVerfGE 61, 149 (205). BVerfGE 1, 299 (316).

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

Von größerem Interesse dürfte die Beschränkung der Rechtsausübung sein, die aus der anderen, zweiten Perspektive heraus begründet wird. So ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass auch dann ein Rechtsmissbrauch vorliegen kann, wenn zwar berechtigte Interessen des Rechteinhabers vorliegen, der Ausübung des Rechts aber auf Seiten des anderen Teils überwiegende Interessen gegenüberstehen. Führt eine Rechteausübung beim anderen Teil zu gravierenden Störungen der bundesstaatlichen Ordnung, so kann die Bundestreue dem Bundesstaatsakteur gebieten, sein Recht nicht in der Art auszuüben, wie es formal gestattet ist. Beispiele für diese Fallgruppe haben oftmals einen finanziellen Bezug. So folgt aus der Bundestreue, dass die Bundesstaatsglieder „Rücksicht auf die finanziellen Auswirkungen [ihrer Maßnahmen] für die Lasten der weniger leistungsfähigen Länder und des Gesamtgefüges der öffentlichen Haushalte in Bund und Ländern“342 zu nehmen haben. Eine Rechtsausübung soll dann verwehrt sein, wenn die Folge eine „Erschütterung des gesamten Finanzgefüges von Bund und Ländern“343 oder eine „unzumutbare Belastung der Finanzkraft einzelner Länder (oder des Bundes)“ oder eine empfindliche Störung oder „Zerrüttung des Gesamtgefüges der Haushalte von Bund und Ländern“344 sein könnte.345 cc) Pflichtenbegründende Funktion der Bundestreue Auch wenn der Aus dem Grundsatz der Bundestreue nicht selbständig ein Rechtsverhältnis zwischen Bund und Ländern begründen kann, werden von Rechtsprechung und Literatur eine Reihe von akzessorischen Verhaltenspflichten von Bund und Ländern abgeleitet. Die Bundestreue zwingt die Adressaten demnach zu einem positiven Tun, das sich aus dem eingangs erwähnten grundsätzlichen Inhalt der Bundestreue ergibt, wonach Bund und Länder in ihrem Handeln stets die Interessen des jeweils anderen Teils zu berücksichtigen haben. Hieraus werden im Wesentlichen neben Verpflichtungen zu Hilfs- und Unterstützungsleistungen346 Verpflichtungen zur Information und Konsultation sowie zur Abstimmung und Zusammenarbeit abgeleitet.347 Die Verpflichtungen zu Information und Konsultation einerseits sowie zu Abstimmung und Zusammenarbeit andererseits sind zwei verfahrensrechtliche Ausprägungen der Bundestreue, die in einem Stufenverhältnis zueinander stehen. Gemeinsam ist beiden der Grundgedanke, dass ein funktionsfähiges Bundesstaatswesen den Austausch der Akteure über die Belange des jeweils anderen berührende Maßnahmen erfordert. Dabei ist das Erfordernis der Information die geringste 342 343 344 345 346 347

BVerfGE 32, 199 (218). BVerfGE 4, 115 (140). BVerfGE 31, 314 (355) (abweichende Meinung der Richter Geiger, Rinck und Wand). Beispiel nach Bauer, Bundestreue, S. 357. Hierzu gehört auch der Bereich des Finanzausgleichs, siehe hierzu 3. Teil B. II. 1. c). Einzelheiten bei Bauer, Bundestreue, S. 343 ff.

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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Verpflichtung: Sie umfasst die Pflicht zur bloß einseitigen Mitteilung. Der andere Teil nimmt die Mitteilung zur Kenntnis und kann sich gegebenenfalls auf das Ereignis einstellen.348 Die Konsultation geht darüber hinaus. Sie erfordert das Eintreten in einen Dialog, in dessen Verlauf der von der Maßnahme Betroffene die Möglichkeit hat, seine Anliegen und eventuellen Einwände zu äußern.349 Weder Information noch Konsultation umfassen aber die Pflicht zu einvernehmlichem Handeln. Eine solche Pflicht besteht erst auf der Stufe der Abstimmung und Zusammenarbeit. Während Zusammenarbeit die gemeinschaftliche Mitwirkung bei der Verwirklichung gemeinsamer, alle Beteiligten gleichermaßen betreffenden Anliegen meint, beschreibt die Pflicht zur Abstimmung „die wechselseitige Koordination mit dem Ziel, unter inhaltlicher Berücksichtigung der Belange aller Beteiligten zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen“350. Im Gegensatz zur Abstimmung betrifft die Zusammenarbeit Konstellationen, bei denen jeder der Beteiligten eigene Verantwortlichkeiten wahrnimmt. Sie kann folglich, anders als die Verpflichtung zur Abstimmung, in Aufrechnungssituationen, in denen das Recht nur eines Hoheitsträgers in Frage steht, nicht einschlägig sein. Feste und differenzierte Anwendungsschwellen, bei denen die genannten, einzelnen Bundestreuepflichten greifen, bestehen nicht. Einigkeit besteht immerhin dahingehend, dass nicht schon jeder irgendwie relevante Vorgang, sondern nur solche, die für den anderen von Bedeutung sind, pflichtenbegründend sein können. Dies gilt insbesondere für die besonders eingriffsintensiven Verpflichtungen zu Abstimmung und Zusammenarbeit. Wann dies der Fall ist, kann nur im Einzelfall festgestellt werden.351 Schließlich bleibt festzustellen, dass die pflichtenbegründende Konkretisierung der Bundestreue in Form von Verpflichtungen zu Abstimmung und Zusammenarbeit durch das Zustimmungserfordernis dogmatisch stark der rechtebeschränkenden Konkretisierung der Bundestreue ähnelt: Ist doch der eine Bundesstaatsakteur in seiner Rechtsausübung beschränkt, wenn der andere Teil keine Zustimmung erteilt. f) Zur Justiziabilität der Bundestreue Der Grundsatz der Bundestreue ist nicht in vollem Umfang justiziabel. Rechtsprechung und Literatur stimmen darin überein, dass die gerichtliche Kontrolldichte reduziert sein muss.352 Keine Einigkeit herrscht allerdings über die rechtsdogmatische Umsetzung und vor allem über das genaue Maß der richterlichen Zurückhaltung. Die Schwierigkeiten sind nachvollziehbar. Denn ähnlich wie der Versuch der 348

Bauer, Bundestreue, S. 346. Bauer, Bundestreue, S. 347. 350 Bauer, Bundestreue, S. 349. 351 Beispiele bei Bauer, Seite 347 ff. 352 Vgl. etwa BVerfGE 4, 115 (140 f.); Bayer, Bundestreue, S. 125; Bauer, Bundestreue, S. 366 m.w.N. 349

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

Definition des Inhalts der Bundestreue oder der Grenzen der Erheblichkeitsschwelle353, wirkt sich auch hier wieder die zuweilen oszillierende Lage der Bundestreue im Bereich von Verfassungspolitik und Verfassungsrecht aus. Aus ähnlichen Gründen wie in den genannten Bereichen – Elastizität und Entwicklungsoffenheit der Bundestreue – kann auch auf die Frage, wo genau die richterliche Selbstbeschränkung anfängt, nur schwer präzise, allgemein anerkannte Antwort gegeben werden.354 Ebenso wie in anderen Verfassungsrechtsbereichen stößt die „Grenzziehung zwischen justitiablem und nicht mehr justitiablem Streit“355 auch bei der Bundestreue auf enorme Abgrenzungsschwierigkeiten. Eine gewisse Hilfe vermag es zu bringen, wenn man sich den Grundsatz der Bundestreue als Funktionsnorm einerseits sowie als gerichtliche Streitentscheidungsnorm andererseits vergegenwärtigt.356 Diese Unterscheidung trägt der Tatsache Rechnung, dass es wegen der erforderlichen Elastizität der Bundestreue und ihrer Entwicklungsoffenheit vielfältig vertretbare Ansichten zu ihrem Anwendungsumfang gibt. Von dieser Grundannahme ausgehend sprechen sich verschiedene Stimmen in der Rechtswissenschaft dafür aus, die Konkretisierungen der Bundestreue im Einzelnen in erster Linie den direkt am Bundesstaatsrechtsverhältnis Beteiligten zu überlassen.357 Auch das Bundesverfassungsgericht führt in den Entscheidungsgründen mitunter an, dass es nur die äußersten Grenzen der Bundestreueverpflichtungen überprüft. Gleichzeitig erwähnt es aber, dass dennoch das Gebot bundesfreundlichen Verhaltens von den beiden übrigen Staatsgewalten genauso verbindlich einzuhalten sei wie andere, geschriebene verfassungsrechtliche Grundsätze.358 Auch setze die Feststellung eines Verstoßes durch das Bundesverfassungsgericht voraus, dass sich die Anforderungen der Bundestreue mit hinreichender Sicherheit konkretisieren lassen.359 Im Ergebnis bleibt damit der Anwendungsbereich der Bundestreue als gerichtliche Streitentscheidungsnorm hinter dem Anwendungsbereich zurück, der der Bundestreue als Funktionsnorm für die bundesstaatlichen Akteure zukommt. Damit kann festgehalten werden, dass das Gebot bundesfreundlichen Verhaltens den Bundesstaatsgliedern im Konfliktfall durchaus ein größeres Maß an Rücksichtnahme abfordern kann, als dies im Falle einer gerichtlichen Streitentscheidung durchsetzbar wäre. Zwar ist auch diese Erkenntnis nicht mit einer trennscharfen 353

Vgl. hierzu 3. Teil B. I. 3. g). Bauer, Bundestreue, S. 368. 355 Spanner, DÖV 1961, 481 (482). Siehe etwa zu einem Parallelproblem im Rahmen der Verfassungsorgantreue Schenke, Die Verfassungsorgantreue, 1977, S. 119, 140. 356 Die folgenden Ausführungen beruhen auf einem Ansatz von Bauer, Bundestreue, S. 368 ff., der seinerseits auf von Schenke, Die Verfassungsorgantreue, S. 119, 140 für den Bereich der Verfassungsorgantreue entwickelte Konstrukte verweist. 357 Bauer, Bundestreue, S. 366 ff. m.w.N. 358 BVerfGE 4, 115 (141). 359 BVerfGE 43, 291 (349). 354

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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Abgrenzungsfunktion verbunden. Immerhin vermag sie aber ein Hilfsmittel für Abgrenzungen im Einzelfall zu sein. g) Erheblichkeitsschwelle Schließlich ist eine allgemeine Erheblichkeits- bzw. Unzumutbarkeitsschwelle, die von einigen Stimmen ins Spiel gebracht wird,360 abzulehnen. Zwar betont auch das Bundesverfassungsgericht, dass es nur die „Einhaltung der äußersten Grenzen“361 überprüfe und die Bundestreue keine Schranke sei, „mit der man Nichtigkeiten inhibieren“362 könne. Diese Aussagen dürfen jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass eine solche Erheblichkeitsschwelle eine spezielle Anwendungsvoraussetzung der Bundestreue darstelle. Zwar ist der hinter dem Gedanken Zwar ist der hinter dem Gedanken Die Ratio einer Erheblichkeitsschwelle, den Spielraum der Politik nicht zu sehr einzuschränken und das Zusammenspiel im Verfassungsleben nicht komplett zu verrechtlichen, ist grundsätzlich zustimmungswürdig. Eine Einbeziehung dieser Überlegungen lässt sich aber bereits über andere Prüfungspunkte, etwa im Bereich der Missbrauchsqualität der Rechtsverletzung oder der Justiziabilitätsfrage, erreichen. Darüber hinaus ist nicht einzusehen, warum ein Verstoß eines Bundesstaatsglieds gegen den Grundsatz des pacta sunt servanda, der im Bundesstaatsrecht direkt aus der Bundestreue abgeleitet wird, nur dann relevant sein soll, wenn er eine gewisse Erheblichkeit überschreitet. Eine Erheblichkeitsschwelle könnte also ohnehin nicht für alle Konkretisierungen der Bundestreue einschlägig sein. Angesichts der Tatsache, dass das Postulat einer Erheblichkeitsschwelle ein weiteres Abgrenzungsproblem aufwirft, mit denen die Bundestreue, etwa im Bereich der Justiziabilität oder in der Einstufung einer Rechtsausübung als missbräuchlich bereits ausreichend gesegnet ist, sprechen die besseren Argumente dafür, auf ein Kriterium der Erheblichkeit zu verzichten.363 h) Exkurs: Kein Zurückbehaltungsrecht Ebenso wenig, wie es bei der Frage nach einem Verstoß gegen die Bundestreue auf ein Verschulden des bundesunfreundlich Handelnden ankommt,364 kann sich der Bund oder ein Land von seiner Pflicht zur Beachtung der Bundestreue nicht durch das Geltendmachen eines Zurückbehaltungsrechts freimachen. Der Grundsatz der 360

Angesprochen etwa bei Bullinger, AöR 87 (1962), 488, 489; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 104. 361 BVerfGE 4, 115 (140). 362 BVerfGE 34, 9 (45). 363 So auch Bauer, Bundestreue, S. 339 ff. 364 Vgl. etwa BVerfGE 8, 122 140); Geiger, BayVBl. 1957, 333 (340); Bauer, Bundestreue, S. 337.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

Bundestreue bindet zwar Bund und Länder und ist in diesem Sinne wechsel- bzw. gegenseitig, allerdings nicht im Sinne eines Synallagmas.365 Es kann sich „kein Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten mit der Behauptung oder dem Nachweis entziehen, dass auch der andere Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nicht nachgekommen sei; die Verletzung der Pflicht durch den einen entbindet den anderen nicht von der Beachtung dieser selben Pflicht.“366 Dieses Ergebnis ist konsequent, denn der Grundsatz der Bundestreue bezweckt die Festigung und Bewahrung der bundesstaatlichen Ordnung, nicht deren Lockerung.367 Im Falle des Bestehens einer solchen tu quoque-Einrede bestünde außerdem die Gefahr wechselseitiger Blockaden, die letztlich zu dem Gegenteil dessen führen könnten, was durch die Bundestreue eigentlich erreicht werden soll.368 Ein Zurückhalten von eigenen, etwa finanziellen Leistungen ist nur als Zwangsmittel im Rahmen des Bundeszwangs gem. Art. 37 GG denkbar. Dieses Mittel steht dann aber zum einen nur dem Bund gegenüber den Ländern zur Verfügung. Zum anderen kann der Bund mit einer Zurückhaltung eigener Verpflichtungen nicht gegenüber jeglicher Pflichtverletzung eines Landes reagieren. Bei der Pflichtverletzung des Landes muss es sich vielmehr um Verletzung von Bundespflichten, also für das geordnete Zusammenleben bedeutsamen Normen handeln. Dies dürfte im Fall einer ausbleibenden Zahlung eines Landes an den Bund oder an ein anderes Land nur in Ausnahmefällen, etwa im Bereich von finanzverfassungsrechtlich begründeten Zahlungsverpflichtungen, der Fall sein. Bezogen auf die vorliegende Untersuchung lässt sich demnach Folgendes festhalten: Sollte eine Aufrechnung eines Hoheitsträgers gegenüber einem anderen als Verstoß gegen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens zu qualifizieren sein, dann kann dieser Verstoß grundsätzlich nicht dadurch entschuldigt werden, dass der Aufrechnungsgegner seinerseits, etwa wegen des bisherigen Ausbleibens bzw. der Verweigerung der freiwilligen Zahlung, gegen die Bundestreue verstoßen hätte. Die Aufrechnung bliebe unzulässig, und zwar unabhängig von der Frage, ob dem Aufrechnungsgegner ebenfalls ein Treueverstoß vorzuwerfen ist. i) Rechtsschutz Abschließend ist zu beachten, dass ein Rechtsstreit über eine Aufrechnung zwischen dem Bund und einem Land nicht im Rahmen einer Bund-Länder-Streitigkeit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden kann. Denn Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Bund-Länder-Streitigkeit ist das Vorliegen eines Verfassungsrechtsstreitigkeit. Das Recht des Bundes 365 Geiger, BayVBl. 1957, 333 (340); Unruh, EuR 2002, 41 (55); a.A. mit prozessökonomischer Begründung Bayer, Bundestreue, S. 67 ff. 366 BVerfGE 8, 122, 140. 367 Geiger, BayVBl. 1957, 333 (340). 368 So Bauer, Bundestreue, S. 338.

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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oder eines Landes zur Aufrechnung einer Forderung entstammt jedoch nicht einer verfassungsrechtlichen Kompetenz, sondern ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens.369 Selbst wenn die Aktivforderung370 im Zusammenhang mit einer verfassungsrechtlichen Norm stehen sollte, ist das grundsätzliche Recht zur Aufrechnung nicht Ausdruck eines bestimmten verfassungsrechtlichen Verhältnisses. Zudem formt die Bundestreue nicht automatisch jedes Rechtsverhältnis, auf das es sich auswirkt, in ein verfassungsrechtliches um.371 Es fehlt für einen Bund-LänderStreit somit das verfassungsrechtliche Zulässigkeitselement.372 Etwas anderes ergibt sich nur dann, wenn der Aufrechnungsgegner seine – durch die Aufrechnung vermeintlich erfüllte – Passivforderung einklagt und diese wiederum einer verfassungsrechtlichen Anspruchsnorm entspringt.373 In einem solchen Verfahren ist dann zu fragen, ob die Forderung durch die Aufrechnung erloschen ist. An dieser Stelle kommt dann die Bundestreue zur Anwendung, die ausnahmsweise zu einer Unzulässigkeit der Aufrechnung und zu einer Zahlungsverurteilung führen kann. Resultiert die einzuklagende Passivforderung aus keiner verfassungsrechtlichen Norm, so ist die Klage des Bundes oder des Landes in der Regel vor einem ordentlichen oder einem Verwaltungsgericht zu erheben. Für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern oder zwischen verschiedenen Ländern besteht eine Sonderzuweisung zum Bundesverwaltungsgericht, § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Dieses müsste dann über die Anwendung der Bundestreue und ihrer Implikationen entscheiden. Eine Vorlage zum Bundesverfassungsgericht als konkrete Normenkontrolle gem. Art.100 Abs. 1 GG kommt nicht in Betracht, da es bei der Frage nach der Zulässigkeit einer Aufrechnung nicht um die mögliche Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geht, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt. Nur dieses kann aber Gegenstand einer konkreten Normenkontrolle sein. Da gegen eine letztinstanzliche fachgerichtliche Entscheidung mangels Verletzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten der beteiligten Prozessbeteiligten regelmäßig keine Verfassungsbeschwerde i.S.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG in Frage kommt, ist die Wahrscheinlichkeit einer

369

Vgl. 2. Teil B. 2. Auf diese kommt es an für die Qualifikation der Aufrechnung, vgl. den 2. Teil A. 371 BVerfGE 103, 81 (88). 372 So BVerfGE 104, 238 (247); Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 31; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rn. 1078 f.; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, S. 135 f. Die Zulässigkeit einer Bund-Länder-Streitigkeit generell bejahend (ohne auf die genannten Probleme einzugehen) Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, S. 150. 373 Denkbar ist hier eine (Regress-)Forderung des Bundes aus Art. 104a Abs. 5 S. 1 GG, dazu BVerfG, NVwZ 2007, 190 (192 f.). Restriktiver Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, S. 135, der nicht nur das Vorliegen einer Verfassungsstreitigkeit, sondern darüber hinaus fordert, dass die Streitigkeit „bundesstaats-spezifische“ Rechte und Pflichten von Bund und Ländern betrifft. 370

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Aufrechnung anhand der Bundestreue durch das Bundesverfassungsgericht bedauerlicherweise gering. 4. Zwischenergebnis: Bewertung hinsichtlich möglicher Aufrechnungseinschränkungen Aus der beschriebenen allgemeinen Kompetenzverteilung im Bundesstaat, dem Grundsatz des Bundeszwangs und dem Grundsatz der Bundestreue sind erste Ansatzpunkte für punktuelle Aufrechnungseinschränkungen zwischen Hoheitsträgern ableitbar. Verhältnismäßig wenig Erkenntnisse ergeben sich zunächst aus der allgemeinen Kompetenzverteilung im Bundesstaat. Insbesondere ist aus dieser kein generelles Über-Unterordnungsverhältnis zugunsten des Bundes oder der Länder ableitbar, das Aufrechnungseinschränkungen des unterlegenen Hoheitsträgers zur Folge haben könnte. Es besteht keine generelle „Gehorsamspflicht“ der Länder374 und auch kein generelles Überwiegen von entweder den Interessen der Gliedstaaten oder dem Interesse des Bundes zulasten des jeweils anderen. Aus den grundsätzlichen bundesstaatlichen Strukturen lassen sich demnach auch noch keine generellen Anhaltspunkte für Aufrechnungsverbote bzw. -einschränkungen zwischen Hoheitsträgern ableiten. Zwar existieren einzelne Bereiche, in denen der Bund den Ländern übergeordnet ist und dieser entsprechende Einwirkungsrechte hat. Hier sind, neben der Bestimmung des Art. 37 GG, insbesondere die Art. 84 Abs. 5, 85 Abs. 3 S. 1 und Art. 108 Abs. 7 GG zu nennen, die dem Bund das Recht gewähren, den Landesbehörden unmittelbar Weisungen zu erteilen.375 Andererseits bestehen ebenso Bereiche, die durch eine Überordnung der Länder gegenüber dem Bund gekennzeichnet sind. So sind etwa auch Bundesbehörden gem. Art. 20 Abs. 3 GG grundsätzlich an die Beachtung von Landesrecht,376 d. h. an die Befolgung von landesrechtlichen Verwaltungsakten oder Gerichtsentscheidungen, unmittelbar gebunden und in diesem Fall einfacher Normadressat wie der Bürger auch. Wieder andere Regelungsbereiche statuieren eine Gleichordnung zwischen dem Bund und den Ländern. Diese liegt etwa vor, soweit verfassungsrechtlich keine besonderen Re-

374 Hierzu statt aller Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 126 Rn. 92 ff. 375 Zu den Einzelheiten des Weisungsrechts der Bundesregierung Oebbecke, HbdStR VI, § 136 Rn. 37 ff. 376 Vgl. BVerwGE 44, 351, 357 f. Ausnahmen können bestehen, wenn die Bindung an das Landesrecht zu einer nicht unerheblichen Funktionsbeeinträchtigung bei der Bundesbehörde führt. Hier ist eine Abwägung im Einzelfall zu treffen, siehe hierzu etwa den Fall bei BVerwGE 82, 266.

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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gelungen für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern gegeben sind oder wenn Verfassungsnormen besondere gesamtstaatliche Einwirkungsrechte fordern.377 Ein Über-Unterordnungsverhältnis lässt sich auch nicht aus den Bestimmungen des Bundeszwangs ableiten. Auffällig ist zunächst, dass im Bundesstaatsverhältnis nur eine Zwangskompetenz des Bundes gegenüber den Ländern, nicht aber auch eine solche gegenüber dem Bund besteht. Verletzt der Bund seinerseits Bundespflichten gegenüber den Ländern, müssen diese den Weg über die Verwaltungsgerichte wählen, deren Entscheidungen notfalls vollstreckt werden müssen.378 Die Vollstreckungsmöglichkeiten der Länder sind damit weitaus geringer und unflexibler. Dennoch kann hieraus nicht geschlossen werden, dass das Interesse des Bundes verfassungsmäßig höher einzustufen wäre als das Interesse eines Landes. Denn zum einen sorgt der Bund mit der Anwendung des Bundeszwangs nicht bloß dafür, dass eine gegenüber dem Bund bestehende Pflicht des verletzenden Landes durchgesetzt werden. Der Bundeszwang kommt auch dann zur Anwendung, wenn ein Land eine Bundespflicht, die gegenüber einem oder mehreren Ländern besteht, verletzt. Der Bundeszwang sichert also nicht nur Bundes-, sondern gleichermaßen Länderinteressen. Zudem handelt der Bund beim Bundeszwang nicht isoliert, sondern stets in Kooperation mit dem Bundesrat und damit der Ländergesamtheit. Der Grundsatz der Bundestreue hingegen, insbesondere in seiner rechtebeschränkenden Funktion in Form des Verbots missbräuchlicher Rechtsausübung, liefert Anhaltspunkte für punktuelle Aufrechnungseinschränkungen zwischen Hoheitsträgern. Danach kommt ein Aufrechnungsverbot dann in Frage, wenn ein Bundesstaatsteil gegen eine Forderung eines anderen Teils aufrechnet, mit deren tatsächlicher Erfüllung der andere Teil fest gerechnet hat bzw. rechnen durfte. Das Ausbleiben der Erfüllung muss diesen Bundesstaatsteil finanziell in einer Weise belasten, die den oben beschriebenen Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts379 entspricht. Das Ausbleiben der Forderung muss eine Dramatik erreichen, die „einer unzumutbare Belastung der Finanzkraft“ dieses Bundesstaatsteils bzw. einer „empfindlichen Störung oder Zerrüttung des Gesamtgefüges des Haushaltes“380 gleicht. Es zeigt sich, dass diese allgemein-abstrakt gehaltenen Kriterien keine eindeutigen Subsumtionen zulassen. Immerhin lassen sich aus dem bisher Gesagten drei Schlüsse ziehen. Erstens: Die Frage, ob eine Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Bundestreue unzulässig ist, hängt nicht davon ab, ob dem Aufrechnungsgegner seinerseits ein Verstoß gegen die Bundes377 Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 102 ff, 112, mit Verweis auf Art. 29 (Neugliederung des Bundesgebiets), Art. 35 (Katastrophennotstand) oder Art. 91 GG (polizeiliche Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern). 378 Zu den Möglichkeiten der Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen vgl. 3 Teil A. II. 2. a). 379 Siehe 3. Teil B. I. 3. e) bb) (2). 380 BVerfGE 31, 314 (355).

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

treue vorzuwerfen ist. Zweitens stellt sich die Aufrechnung eines Landes gegenüber einer Forderung des Bundes tendenziell unproblematischer dar als im umgekehrten Fall. Denn das Ausbleiben einer Forderung zugunsten des Bundes ist für diesen in der Regel haushaltstechnisch weitaus besser zu verkraften als das Ausbleiben der Forderung in dieser Höhe für ein Land. Dies ergibt sich aus dem Umfang des Bundeshaushalts, der ein Vielfaches dessen eines einzelnen Landes beträgt. Er ist also durch das Ausbleiben einer Zahlung auch entsprechend schwerer unzumutbar zu belasten bzw. zu erschüttern. Zum dritten ergibt sich, dass das Interesse eines Landes als Aufrechnungsgegner je eher zu berücksichtigen ist, je kleiner das Land bzw. sein Haushalt und je größer die durch Aufrechnung erloschene Forderung ist. Um weitere, konkretere Aussagen über die „Aufrechnungsfestigkeit“ bestimmter Forderungen zu treffen, empfiehlt es sich, einen kursorischen Überblick über die Regeln der Finanzverfassung im Bundesstaat zu verschaffen und insbesondere die typischen Zahlungsströme im Bundesstaat zu betrachten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach die Bundestreue rechtebeschränkend im Bereich des bundesstaatlichen Finanzgefüges ins Spiel gebracht hat.381

II. Finanzverfassungsrechtliche Implikationen Der zehnte Abschnitt des Grundgesetzes über die Finanzverfassung, der vom Bundesverfassungsgericht immer wieder als „Eckpfeiler“ und „tragender Pfeiler der bundesstaatlichen Ordnung“ bezeichnet wurde,382 enthält in den Art. 104a-109 GG die für diese Arbeit relevanten Regelungen zur bundesstaatlichen Finanzverfassung.383 Kern der Finanzverfassung sind die Vorgaben der Art. 105 – 108 GG über die Verteilung der staatlichen Einnahmen. Sie sollen eine sachgerechte, d. h. gleichgewichtige384 Beteiligung von Gesamtstaat und Gliedstaaten am Gesamtertrag der Volkswirtschaft sichern und damit die Grundlage dafür bieten, dass die jeweiligen Ebenen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Ausgaben leisten können.385 Die Finanzverfassung trägt einen entscheidenden Teil dazu bei, dass Bund und 381

Vgl. etwa BVerfGE 1, 117 (131); 4, 115 (140 f.) sowie 3. Teil B. I. 3. e) bb). BVerfGE 55, 274 (300); 86, 148 (264); 105, 185 (194); 108, 1 (15). Vgl. auch Waldhoff in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 116 Rn. 57, der die „geradezu atypische Regelungsdichte der Finanzverfassung“ mit der beschriebenen bundesstaatlichen Bedeutung erklärt. 383 Aus den Vorschriften über die Haushaltswirtschaft und die Kreditaufnahme (Artt. 110 – 115 GG) ergeben sich keine für diese Arbeit relevanten Zahlungsströme zwischen Bund und Länder, weshalb auf diese nicht weiter eingegangen wird. Vgl. hierzu umfassend Knop, Verschuldung im Mehrebenensystem, S. 37 ff., 95 ff. sowie Ryczewski, Schuldenbremse im Grundgesetz, S. 139 ff. und Waldhoff/Dieterich, ZG 2009, 97 ff. 384 Vogel/Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts, Rn. 60 ff. 385 BVerfGE, 55, 274 (300); 72, 330 (388); Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 116 Rn. 2; Henneke, DVBl. 2009, 561 (562). 382

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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Länder nicht nur theoretisch, sondern tatsächlich dazu in der Lage sind, ihre eigene Staatlichkeit zu entfalten und zur Geltung zu bringen, dass also ihre Staatlichkeit real wird.386 Die finanzverfassungsrechtlichen Normen des Grundgesetzes sind „Ausdruck der im Bundesstaat bestehenden Solidargemeinschaft von Bund und Ländern und des bündischen Prinzips des Einstehens füreinander, das zur bundesstaatlichen Ordnung gehört“.387 Neben diesem solidarischen bündischen Prinzip ist das andere bestimmende Prinzip die Gewährleistung der Finanzautonomie aller Bundesstaatsglieder. Die finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben führen zu zahlreichen Forderungen zwischen Bund und Ländern, die im Folgenden beschrieben werden sollen. 1. Wesentliche Regelungsbereiche der Finanzverfassung Finanzielle Ansprüche zwischen den Bundesstaatsgliedern entstehen aus den Vorgaben über die Ausgabenverantwortung im Bundesstaat gem. Art. 104a GG sowie wegen des Auseinanderfallens von steuerlicher Ertrags- und Verwaltungskompetenz, Art. 106 – 108 GG. Bundesstaatliche Geldforderungen ergeben sich insbesondere aus den Regelungen zur Ertragskompetenz, d. h. der Aufteilung der Steuererträge zwischen Bund und Ländern gem. Art. 106, 107 GG. Aus den weiteren finanzverfassungsrechtlichen Vorschriften über die steuerlichen Gesetzgebungskompetenzen gem. Art. 105 GG und über die Haushaltswirtschaft gem. Art. 110 ff. GG ergeben sich hingegen keine solche Ansprüche. a) Ausgabenverantwortung im Bundesstaat, Art. 104a GG Finanzverfassungsrechtliche Zahlungsansprüche zwischen Bund und Ländern können sich bereits aus den Regelungen über die Ausgabenverantwortung im Bundesstaat nach Art. 104a GG ergeben. Art. 104a Abs. 1 GG legt fest, dass grundsätzlich388 Bund und Länder die Ausgaben tragen, die sich aus der Wahrnehmung ihrer jeweiligen, durch verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisungen ergebenden Aufgaben ergeben. Die Ausgabenverantwortung folgt in Konnexität zur Aufgabenverantwortung,389 wobei sich die Aufgabenverantwortung auf die Verwaltungskompetenz, nicht auf die Gesetzgebungskompetenz bezieht.390 Der

386 BVerfGE 72, 330 (383); Henneke, DVBl. 2009, 561 (562); Kesper, Bundesstaatliche Finanzorndung, S. 38 f. 387 BVerfGE 86, 148 (264). 388 Ausnahmen hierzu in Art. 91a und 91b GG, Art. 104a Abs. 2, 3 und 6 GG, Art. 104b GG, Art. 106 Abs. 4 und 8 GG, Art. 106a GG, Art. 120 GG und Art. 143c GG. 389 Dazu Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 74 ff. 390 H.M., vgl. BVerfGE 26, 338 (390); Heintzen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 104a, Rn. 13 m.w.N.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

Schwerpunkt der Finanzierungspflichten liegt somit bei den Kosten, die durch den Gesetzesvollzug entstehen.391 Zu diesem Grundsatz bestehen aber Ausnahmen, die jeweils bundesstaatliche Geldforderungen begründen können. So findet sich eine Durchbrechung des Konnexitätsgrundsatzes etwa in Art. 104a Abs. 3 GG. Danach können Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, bestimmen, dass die Geldleistungen ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden. Da die Länder bei diesen Gesetzen nur einen geringen Einfluss auf die Höhe der Verwaltungsausgaben haben, ist in diesem Fall eine Ausnahme vom Konnexitätsgrundsatz gerechtfertigt.392 Eine weitere Ausnahme vom Konnexitätsgrundsatz findet sich in Art. 104a Abs. 2 GG: Hiernach trägt der Bund die Ausgaben, die bei den Ländern im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG anfallen. Der Bund übernimmt dabei jedoch nur die anfallenden sog. Zweckausgaben, also die variablen Kosten, die durch die konkrete Verwirklichung der Verwaltungsaufgaben entstehen. Die fixen Kosten hingegen, die bei den Ländern in der Regel ohnehin, d. h. auch ohne die Last der Bundesauftragsverwaltung entstehen, werden vom Bund nicht erstattet. Diese sog. Verwaltungsausgaben umfassen insbesondere die Kosten für das Verwaltungspersonal und die Verwaltungseinrichtungen.393 Schließlich enthalten die Abs. 5 und 6 Ausgabenkompetenzen, die die Fälle einer bundesstaatlichen Haftung wegen Verletzung innerstaatlicher und überstaatlicher Rechtspflichten betreffen. b) Steuerliche Verwaltungskompetenz im Bundesstaat Aus der Inkongruenz der steuerlichen Verwaltungs- und der steuerlichen Ertragshoheit entstehen wechselseitige, potentiell aufrechnungsgeeignete Ansprüche auf Zahlung von Steuererträgen zwischen den Bundesstaatsgliedern. Bei der (Macht-)394Frage nach dem Recht und der Pflicht zum Vollzug der Steuer- und Abgabengesetze nimmt Art. 108 Abs. 2 GG den Grundgedanken der Art. 30, 83 GG auf. Danach fällt die Steuerverwaltung grundsätzlich in die Verwaltungskompetenz der Länder,395 die in Form der Bundesauftragsverwaltung tätig werden, soweit sie 391

Jarass/Pieroth, GG, Art. 104a, Rn. 2 f. Zur aus der Finanzierungspflicht spiegelbildlich folgenden (ausschließlichen) Finanzierungsbefugnis BVerfGE 26, 338 (390 f.); 39, 96 (108); Prokisch, in: Bonner Kommentar, Art. 104a Rn. 116 ff.; Henneke, DVBl. 2009, 561 (563). 392 Heintzen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 104a Rn. 42. 393 Vgl. zu Einzelheiten der Unterscheidung von Verwaltungs- und Zweckausgaben Heintzen, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 104a Rn. 19 m.w.N. 394 Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 139 Rn. 139. 395 Die Bundesfinanzverwaltung ist nach Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 139 Rn. 138 in quantitativer Hinsicht ein „Ausnahmefall“. Sie ist von Umfang und Bedeutung nicht mit den Länderfinanzverwaltungen, insbesondere im Hinblick auf die Höhe der vereinnahmten Steuererträge, vergleichbar. Außer den in Art. 108 Abs. 1 S. 1 GG genannten Abgaben werden alle anderen Steuern von den Landesfinanzverwaltungen

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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Steuern verwalten, die ganz oder zum Teil dem Bund zufließen, Art. 108 Abs. 3 GG.396 Wie im folgenden Abschnitt zu zeigen sein wird, steht dem Bund ein erheblicher Anteil an den von den Ländern vereinnahmten Steuererträgen zu. c) Aufteilung der Steuererträge zwischen Bund und Ländern Die Frage der Ertragskompetenz, d. h. der Verteilung der Gesamtsteuermasse auf Bund und Länder,397 nimmt einen zentralen Platz der Finanzverfassung ein. Dieser Finanzausgleich stellt den nach Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz zeitlich letzten, aus verfassungspraktischer Sicht aber zweifellos bedeutsamsten Regelungsaspekt dar.398 Als „Herzstück der bundesstaatlichen Finanzverfassung“399 legen die Art. 106, 107 GG fest, ob und wie viel die verwaltende Körperschaft von den vereinnahmten Steuergeldern einbehalten darf oder ob und in welcher Höhe sie Ansprüche gegen andere Bundesstaatsglieder hat. Die dort getroffenen Regeln über den Finanzausgleich sollen „eine Finanzordnung sicherstellen, die den Gesamtstaat und die Gliedstaaten am Gesamtertrag der Volkswirtschaft sachgerecht beteiligt.“400. Die Aufteilung der Steuererträge soll insbesondere gewährleisten, dass auch finanzschwache Länder über ausreichende Mittel verfügen, um ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen zu können.401 Die Akteure des Finanzausgleichs stehen in regelmäßigen Abständen vor der schwierigen Aufgabe, die Dichotomie zwischen finanzieller Eigenständigkeit der Länder einerseits und bundesstaatlicher Solidarität andererseits einem angemessenen Ausgleich zuzuführen. Die Suche nach dem Ausgleich birgt ein Konfliktpotential, über das auch das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach zu entscheiden hatte.402 Um die bundesstaatlichen Verteilungskonflikte zu rationalisieren, hatte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber in einer Entscheidung aus dem Jahre 1999 aufgegeben, durch Erlass eines Bundesgesetzes für mehr Objektivität und Transparenz beim Länderfinanzausgleich zu sorgen.403 Dem ist der Gesetzgeber vereinnahmt. Damit geht die Verwaltungshoheit der Länder weit über ihre Ertragshoheit hinaus. Diese starke Stellung kann auch als „Gegengewicht zur Dominanz des Bundes bei der Steuergesetzgebung“ gedeutet werden, Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 139 Rn. 142. 396 Dies betrifft insbesondere die ertragreichen Steuerarten der Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie die Umsatzsteuer. 397 Der hier behandelte Finanzausgleich bezieht sich nur auf die beiden Ebenen Bund und Länder. Die Finanzausstattung der Kommunen ist Sache der Länder und wird über den jeweiligen kommunalen Finanzausgleich in Landeskompetenz geregelt, vgl. Kesper, NdsBVl. 2002, 1, 2. 398 Vogel/Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrecht, Rn. 57. 399 Kesper, NdsVBl. 2002, 1, 1. 400 BVerfGE 55, 274 (300). 401 Kesper, NdsVBl. 2002, 1 (2). 402 BVerfGE 1, 117; 72, 330; 86, 148; 101, 158. 403 BVerfGE 101, 158.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

durch den Erlass des MaßStG und des FAG nachgekommen. Während das MaßStG die langfristigen Maßstäbe und Kriterien des Finanzausgleichs festlegt, trifft das FAG kurzfristige, (abrechnungs-)technische Regelungen zum Finanzausgleich.404 Die Verfassungsbestimmungen zur Ertragsverteilung wurden in ihren Grundzügen im Zusammenhang mit der Großen Finanzverfassungsreform von 1969 getroffenen und sind bis heute im Grundsatz unverändert geblieben.405 Sie legen in den Art. 106, 106a und 107 GG ein „mehrstufiges System zur Verteilung des Finanzaufkommens im Bundesstaat“406 fest, wobei die Reihenfolge dieser insgesamt vier aufeinander abgestimmten Schritte zwingend ist.407 In einem ersten Schritt werden im Rahmen des primären vertikalen Finanzausgleichs die Gesamterträge aus Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer zwischen dem Bund einerseits und der Ländergesamtheit andererseits verteilt, Art. 106 Abs. 3, Abs. 4 GG. Im zweiten Schritt des primären horizontalen Finanzausgleichs wird der Länderanteil an der Umsatzsteuer auf die einzelnen Länder verteilt, Art. 107 Abs. 1 GG. Ist die sich daraus ergebende Finanzkraft der Länder immer noch unangemessen unterschiedlich, sind diese Unterschiede im Rahmen des sekundären horizontalen Finanzausgleich, dem sog. Länderfinanzausgleich, durch Zahlungen von finanzstarken an finanzschwache Länder zu verringern, Art. 107 Abs. 2 S. 1, 2 GG. In einem letzten, vierten Schritt können besonders leistungsschwache Länder schließlich Empfänger von Bundesergänzungen nach dem sekundären vertikalen Finanzausgleich sein, Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG. aa) Primärer vertikaler Finanzausgleich (Art. 106 Abs. 1 bis 7 GG) Auf der ersten Stufe regelt Art. 106 GG die vertikale Steueraufteilung zwischen Bund und Ländergesamtheit. Sie hat keinen abschließenden Charakter, sondern wird durch anschließende ertragszuweisende und umverteilende Schritte modifiziert. (1) Bundes- und Landessteuern nach Art. 106 Abs. 1, Abs. 2 GG Die Erträge einiger Steuerarten sind von vornherein fest zugeteilt. So fließt das Aufkommen der in Art. 106 Abs. 1, Abs. 2 GG typologisierten, hergebrachten Steuerarten entweder alleine dem Bund, Art. 106 Abs. 1 GG, oder den Ländern, Art. 106 Abs. 2 GG, zu.408 404

Jung, Maßstäbegerechtigkeit im Länderfinanzausgleich, S. 12. Henneke, DVBl. 2009, 561 (568). Zur Geschichte der Finanzverfassung in Deutschland Vogel/Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrecht, Rn. 104 ff. 406 BVerfGE 72, 330 (383); 116, 327 (377). 407 BVerfGE 72, 330 (383); Korioth, Finanzausgleich, S. 419 ff.; Henneke, Finanzverfassung, Rn. 689; Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 116 Rn. 74. 408 Dem Bund stehen dabei die Erträge derjenigen Steuern zu, die entweder eng mit Bundesaufgaben verknüpft sind oder die keinen besonderen Bezug zu einem räumlich ab405

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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(2) Gemeinschaftsteuern nach Art. 106 Abs. 3 GG Eine wichtigere Rolle als die reinen Bundes- und Landessteuern spielen für den Finanzausgleich die Gemeinschaftssteuern des Art. 106 Abs. 3 GG. So steht das Aufkommen der in Deutschland ertragreichsten Steuern, der Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie der Umsatzsteuer,409 dem Bund und den Ländern gemeinschaftlich zu, Art. 106 Abs. 3 S. 1 GG. Für die Einkommen- und Körperschaftsteuer legt die Verfassung in Art. 106 Abs. 3 S. 2 fest, dass Bund und Länder am Aufkommen jeweils zur Hälfte zu beteiligen sind.410 Anders erfolgt die Verteilung der Erträge der Umsatzsteuer. Hier sind die Anteile von Bund und Ländern nicht statisch, sondern flexibel und werden durch zustimmungsbedürftiges Gesetz ausgehandelt. Die Staatspraxis versucht zwar, den konkretisierenden Verteilungsgrundsätzen des Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 1 und 2 GG entsprechend mithilfe der sog. Deckungsquoten den Verteilungskonflikt zu rationalisieren.411 Da Bund und Länder jedoch methodisch verschiedene Verfahren zur Berechnung verwenden, sind die festgestellten Deckungsquoten nicht als unmittelbare Vergleichsgrundlage geeignet. Auch die Verabschiedung des MaßStG, das nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts bei der vertikalen Umsatzsteuerverteilung für mehr Versachlichung und Verrechtlichung sorgen sollte, hat hieran nichts Entscheidendes ändern können.412 Der Raum für eine politische Entscheidung über die Anteile bleibt nach wie vor groß. Das Ergebnis der politischen Verteilungsentscheidung ist jeweils in § 1 FAG kodifiziert. Die in § 1 FAG geregelte Verteilung muss immer wieder neu festgesetzt werden, soweit dies erforderlich ist, um der unterschiedlichen Bedarfsentwicklung in Bund und Ländern Rechnung zu tragen, Art. 106 Abs. 4 S. 1 GG.413 Insgesamt lässt grenzbaren Teilwirtschaftsbereich (etwa eines Landes) haben. Den Länder sind hingegen Steuern zugeordnet, die einen Bezug zur Wirtschaft eines Landes und insgesamt eine geringe Konjunkturvolatilität haben, vgl. Henneke, DVBl. 2009, 561 (568). So sind etwa die Mineralöl-, die Kraftfahrzeug- oder die Tabaksteuer als Bundessteuern angelegt, wohingegen etwa die Erträge der Erbschaft- und die Biersteuer als Landessteuern ausschließlich diesen zustehen, Art. 106 Abs. 2 GG. 409 Die drei Gemeinschaftsteuern machen zusammen über 70 % des gesamten Finanzaufkommens im Bundesstaat aus, vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 106 Rn. 6. 410 Bei der Einkommensteuer ist vor der hälftigen Verteilung zwischen Bund und Ländern noch der Anteil der Gemeinden nach Art. 106 Abs. 5 GG abzuziehen, vgl. BVerfGE 72, 330 (383); Jarass/Pieroth, GG, Art. 106 Rn. 7. 411 Die Deckungsquote beschreibt das Verhältnis der Ausgaben zu den laufenden Einnahmen im Hinblick auf eine mehrjährige Finanzplanung. Eine Deckungsquote von 100 % bedeutet eine Übereinstimmung der Höhe von Ausgaben und Einnahmen. Die durchschnittliche Deckungsquote des Bundes in den Jahren 2000 – 2008 beträgt 89,5 %, die der Ländergesamtheit 95,5 %, vgl. BMF, Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 45. 412 Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 106 Rn. 18; Kienemund, in: Hömig, GG, Art. 106 Rn. 13; Kesper, NdsVBl. 2002, 1 (3 f.). 413 BVerfGE 72, 330 (384). Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 106 Rn. 74; Jarass/Pieroth, GG, Art. 106 Rn. 10.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

sich feststellen, dass die Berechnung der Umsatzsteueranteile auf Bund und Länder durch § 1 FAG mittlerweile eine Komplexität erreicht hat, die manche zu dem Schluss kommen lässt, dass die Norm „wegen Unlesbarkeit insgesamt bereits verfassungswidrig“414 sei. Festhalten lässt sich abschließend, dass durch die variable Ausgestaltung der Umsatzsteueranteile die primäre vertikale Ertragsverteilung nicht nur starre, sondern auch ausgaben- und bedarfsorientierte Elemente enthält.415 bb) Primärer horizontaler Finanzausgleich (Art. 107 Abs. 1 GG) Im Anschluss an die soeben dargestellte vertikale Ertragsverteilung zwischen Bund und Ländern enthält Art. 107 Abs. 1 GG Bestimmungen, wie der festgestellte Länderanteil an der Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer als zweiter Schritt horizontal auf die einzelnen Länder zu verteilen ist. (1) Einkommen- und Körperschaftsteuer Maßgebliches Kriterium für die horizontale Steuerertragsaufteilung ist das „örtliche Aufkommen“: Danach kann jedes einzelne Land die Steuererträge behalten, die in seinem Gebiet vereinnahmt wurden, Art. 107 Abs. 1 S. 1 GG. Die Länder partizipieren auf diese Weise an den in ihrem Gebiet erbrachten Leistungen.416 Modifikationen ergeben sich jedoch aufgrund von Zerlegung und Abgrenzung i.S.d. Art. 107 Abs. 1 S. 2 und 3 GG. Durch die Besteuerung von Konzernen am Konzernsitz oder die zentrale Lohnsteuerabführung bei Großunternehmen können Ertragsunterschiede zwischen Ländern entstehen, die nicht der wirklichen Steuerkraft der Länder entsprechen. Durch entsprechende gesetzliche Regelungen werden diese Verzerrungen vermindert und die „gerechtigkeitsbezogene Leitidee“417 der Steuerverwaltung gewährleistet.418 Während Abgrenzung bedeutet, dass Steuern einem anderen Land zur Gänze zugeschlagen werden, meint Zerlegung die Aufteilung von Steuererträgen unter mehreren Ländern.419 Dem Auftrag des Art. 107 Abs. 1 S. 2 GG im Hinblick auf eine gesetzliche Regelung für die Körperschaft- und die Lohnsteuer ist der Gesetzgeber durch Erlass des Zerlegungsgesetzes (ZerlG) nachgekommen. Forderungen aufgrund des ZerlG werden zwischen den beteiligten Ländern ohne Zwischenschaltung des Bundes direkt abgewickelt, 414

Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 106 Rn. 26. BVerfGE 72, 330 (384); Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 106 Rn. 70. 416 Vgl. Korioth, Finanzausgleich, S. 511; Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 107 Rn. 7. 417 BVerfGE 72, 330 (392). 418 Korioth, Finanzausgleich, S. 517 ff.; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 107 Rn. 33 ff.; Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 107 Rn. 10. Umfassend hierzu Pommer, Örtliches Aufkommen von Steuern und Zerlegung als Probleme des Finanzausgleichs und der Steuerrechtfertigung. 419 Jarass/Pieroth, GG, Art. 107 Rn. 3. 415

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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§ 9 ZerlG. Zahlungen erfolgen vierteljährlich. Sie sind spätestens am Ende des auf das jeweilige Kalendervierteljahr folgenden Monats zu tätigen. Eventuell wechselseitig bestehende Zahlungsansprüche werden im Rahmen eines Clearingverfahren gegeneinander aufgerechnet.420 (2) Umsatzsteuer Für den Anteil der einzelnen Länder an der Umsatzsteuer gilt hingegen nicht das Prinzip des örtlichen Aufkommens. Vielmehr bestimmt Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG, dass eine Berechnung des Landesanteils anhand der Einwohnerzahl zu erfolgen hat. Dies lässt sich mit der Qualifizierung der Umsatzsteuer als indirekte Steuer begründen. Denn eine indirekte Steuer wird häufig nicht an der Stelle vereinnahmt, an der auch der Verbrauch stattfindet. Auch wenn die Berechnung anhand der Einwohnerzahl im Ergebnis zu einer Begünstigung wirtschaftlich schwächerer Länder führt, ist die Berechnung mithilfe dieses Kriteriums als rechtmäßiger Steuerkraftund Bedarfsmaßstab anerkannt.421 Darüber hinaus eröffnet Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG einen möglichen Zwischenschritt, von dem die Staatspraxis durch § 2 Abs. 1 FAG in vollem Umfang Gebrauch macht: Bis zu einem Viertel des Länderanteils an der Umsatzsteuer kann durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz als sog. Ergänzungsanteil für steuerschwache Länder vorab bestimmt werden. Der Begünstigtenkreis umfasst diejenigen Länder, die im Rahmen der bis hierhin422 erfolgten Steuerverteilung nur einen unterdurchschnittlichen Wert aus „Ertrag pro Einwohner“ erzielen konnten.423 cc) Sekundärer horizontaler Finanzausgleich – Länderfinanzausgleich (Art. 107 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG) Der sekundäre horizontale wie vertikale Finanzausgleich hat die Aufgabe, Härten auszugleichen, die nach der Verteilung der Steuererträge nach der primären vertikalen und horizontalen Stufe noch bestehen. Der sekundäre horizontale Ausgleich zwischen den Ländern soll als dritte Stufe des Finanzausgleichs als sog. Länderfinanzausgleich im Sinne des „bündischen Einstehens füreinander“424 dafür sorgen, „dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird“, Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG. Der Verpflichtung zur bundesgesetzlichen Bestimmung der Verteilungskriterien ist der Gesetzgeber in FAG und MaßStG nachgekommen. 420 Pommer, Örtliches Aufkommen von Steuern und Zerlegung als Probleme des Finanzausgleichs und der Steuerrechtfertigung, S. 203. 421 BVerfGE 101, 158 (221); 116, 327 (379); vgl. auch Huber, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 107 Rn. 79 ff. m.w.N. 422 Berechnungsgrundlage sind die Erträge aus Landessteuern, Einkommen- und Körperschaftsteuer und des Ertragsanteils nach Art. 106b GG, Einzelheiten bei Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 107 Rn. 82 ff. 423 Hierzu Henneke, Finanzverfassung, Rn. 692, 742 ff. 424 BVerfGE 86, 148 (214).

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

Das bündische Prinzip ist aber nicht bloß Grundlage, sondern zugleich auch Grenze der Hilfeleistungspflichten. Unterschiede in der Finanzkraft der Länder dürfen durch den Länderfinanzausgleich nicht umfassend, sondern nur in gewissem Umfang ausgeglichen werden. Eine Nivellierung der unterschiedlichen finanziellen Ausstattung der Länder darf nicht das Ergebnis sein.425 Denn unter Berücksichtigung der Eigenstaatlichkeit und -verantwortlichkeit der Länder ist nicht die Herstellung von Gleichheit zwischen den Bundesländern, sondern nur die Befähigung zur Erfüllung der ihnen verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben Ziel des Länderfinanzausgleichs.426 Der sekundäre Finanzausgleich begründet Pflichten und Ansprüche der Länder untereinander, Art. 107 Abs. 2 S. 1 und S. 2 GG, §§ 6 ff. MaßStG, §§ 4 ff. FAG.427 Wesentliches Element zur Berechnung der Leistungspflicht oder des Anspruchs eines Landes ist das Verhältnis der Finanzausstattung eines Landes nach dem primären Finanzausgleich428 zur Einwohnerzahl des Landes.429 Dieser als „Finanzkraft“ bezeichnete Quotient der einzelnen Länder ist Grundlage für den Vergleich der Bewertung der finanziellen Ausstattung der Länder, der schließlich in Ausgleichsansprüchen und -pflichten mündet. Die Höhe des Ausgleichs wird dabei „in wertender Einschätzung“430 durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz festgesetzt. Eine Begrenzung finden die Zahlungen der ausgleichspflichtigen Länder dort, wo die Höhe der Zahlung eine Nivellierung der Finanzkraft (oder sogar eine Vertauschung der Rangfolge) zur Folge hätte oder wo die Fähigkeit des Landes zur Wahrnehmung der eigenen Aufgaben merklich geschwächt würde.431 Kalkulationsgrundlage sind die Gesamterträge eines Landes, die sich aus den reinen Landessteuern und dem Landesanteils an den Gemeinschaftssteuern zusammensetzen. Die genaue Berechnung der Ausgleichszahlungen folgt schließlich einer komplexen, in § 10 Abs. 1 FAG beschriebenen mathematischen Formel.

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BVerfGE 116, 327 (380); 86, 148 (214); 72, 330 (386 f.). Zum Nivellierungsverbot als Grenze bündischer Solidarität vgl. insb. Vogel/Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrecht, Rn. 78 ff. 426 Vgl. BVerfGE 72, 330 (383); 86, 148 (213). 427 Kube, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 107 Rn. 28. 428 Konkretisierung der ausgleichserheblichen Einnahmen in § 7 FAG, vgl. hierzu auch Kesper, NdsVBl. 2002, 1 (6 f.). 429 Vgl. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 107 Rn. 56. Die Einwohnerzahl der Stadtstaaten wird dabei nicht mit 100 %, sondern mit 135 % und damit zugunsten dieser Bundesländer gewichtet (sog. „Einwohnerveredelung“), vgl. § 9 Abs. 2 FAG. Damit soll der Tatsache der strukturellen Eigenart von Stadtstaaten Rechnung getragen werden, vgl. hierzu BVerfGE 72, 330 (415 ff.); Einzelheiten bei Kesper, NdsVBl. 2002, 1 (7 f.); Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 107 Rn. 113; ablehnend Heun, in: Dreier, GG, Art. 107 Rn. 30. Ähnliches gilt in abgeschwächtem Maße gem. § 9 Abs. 3 FAG auch für die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, § 9 Abs. 3 FAG. 430 Kesper, NdsVBl. 2002, 1 (6). 431 Kesper, NdsVBl. 2002, 1, (6).

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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dd) Sekundärer vertikaler Finanzausgleich – Bundesergänzungszuweisungen und Mehrbelastungsausgleich (Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG) Auf der vierten und letzten Stufe schließlich können noch immer leistungsschwache Länder Finanzhilfen des Bundes im Rahmen des sekundären vertikalen Finanzausgleichs fordern. Diese Bundesergänzungszuweisungen432 können entweder als allgemeine Bundesergänzungszuweisungen433 oder in Form von Sonderbelastungs-Bundesergänzungszuweisungen434 erfolgen. ee) Zwischenergebnis: Finanzausgleichsrechtliche Forderungsbeziehungen und ihr Vollzug Durch die finanzausgleichsrechtlichen Vorgaben entstehen verschiedene Zahlungsansprüche zwischen dem Bund und den Ländern sowie zwischen den Ländern untereinander. Es entstehen zunächst Forderungen auf Überweisung von Steuererträgen aufgrund der teilweisen Diskongruenz von Steuerverwaltungs- und Steuerertragshoheit. So hat etwa der Bund einen Anspruch gegen die Länder auf Zahlung der von diesen vereinnahmten Bundessteuer „Solidaritätszuschlag“435. Die Länder können vom Bund die Zahlung der von diesem verwalteten Bier- und Feuerschutzsteuer verlangen. Die jeweiligen Ansprüche sind sofort nach Vereinnahmung fällig. Bund und Länder erfüllen die jeweiligen Ansprüche in der Praxis auch unverzüglich nach der Vereinnahmung, d. h. auf einer im Zweifel täglichen Basis. Eine Aufrechnung findet, soweit ersichtlich, nicht statt.436

432

Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG, §§ 10 ff. MaßStG, § 11 FAG. Allgemeine Bundesergänzungszuweisungen sollen die Finanzkraft leistungsschwacher Länder allgemein anheben. Voraussetzung für die Gewährung einer allgemeinen Bundesergänzungszuweisung ist eine unangemessene, d. h. erkennbar unterhalb des Durchschnitts liegende Finanzkraft im Anschluss an die drei vorhergehenden Verteilungsstufen. Es ist bereits ausreichend, wenn im Anschluss an den Länderfinanzausgleich die Finanzkraft eines Landes weniger als 99,5 % des Durchschnitts beträgt, § 11 Abs. 2 S. 1 FAG. Umfassend hierzu Korioth, Finanzausgleich, S. 643 ff.; Wendt in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 139 Rn. 116 ff.; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 107 Rn. 134 ff. 434 Sonderbelastungs-Bundesergänzungszuweisungen dienen dazu, spezielle Sonderbelastungen nicht nur insgesamt leistungsschwacher Länder mitzufinanzieren, § 12 Abs. 2 MaßStG. Sie sollen Kostenersatz für teilungsbedingte Sonderlasten, hohe strukturelle Arbeitslosigkeit und politische Führung gewähren § 12 Abs. 3 und 6, § 11 Abs. 3, Abs. 4 FAG. Vgl. hierzu Kube, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 107 Rn. 39. Zum Sonderfall einer „extremen Haushaltsnotlage“ eines Bundeslandes vgl. BVerfGE 72, 330, (404 ff.); 86, 148; 101, 158, (232 ff.); 116, 327 sowie Korioth, Wirtschaftsdienst 2007, 3 ff. 435 Die „Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer“ i.S.v. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG. 436 Auskunft durch Mitarbeiter des Referats VA4 (Länderfinanzausgleich) des Bundesministeriums der Finanzen, Gespräch v. 5. 1. 2017. 433

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

Auf der Stufe des primären vertikalen Finanzausgleichs steht dem Bund ein Anspruch auf Zahlung seines Anteils an den Erträgen der Einkommen- und Körperschaftsteuer gem. Art. 106 Abs. 3 S. 1 GG zu. Jedes Land hat demnach an den Bund 50 % der in seinem Gebiet vereinnahmten Erträge zu überweisen.437 Auch diese Zahlungen werden von den Ländern unverzüglich nach Eingang an die Bundeskasse überwiesen. Aus dem primären horizontalen Finanzausgleich resultieren Ansprüche der Länder untereinander. Diese ergeben sich aus den Bestimmungen über die Zerlegung i.S.v. Art. 107 Abs. 1 S. 2 GG, nach denen Ausgleichzahlungen unter den Ländern aus den Erträgen der Lohn- und Körperschaftsteuer gemäß Zerlegungsgesetz zu tätigen sind. Nach § 9 ZerlG haben die zahlungspflichtigen Länder die Zahlungen bis zum Ende des auf das jeweilige Kalendervierteljahr folgenden Monats an die obersten Finanzbehörden der empfangsberechtigten Länder zu überweisen. Eventuell wechselseitig bestehende Zahlungsansprüche werden in der Staatspraxis im Rahmen eines Clearingverfahren gegeneinander aufgerechnet.438 Die ebenfalls auf der zweiten Stufe des (primären horizontalen) Finanzausgleich anfallenden Ansprüche der Länder aus dem Umsatzsteuerergänzungsanteil gem. Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG werden erst im Rahmen der folgenden dritten Stufe zusammen mit den Ausgleichsbeträgen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 Abs. 1, Abs. 2 GG abgerechnet. Auf dieser dritten Stufe entstehen, anders als der Begriff vermuten lässt, keine unmittelbaren Zahlungsansprüche zwischen den einzelnen Ländern. Vielmehr wird eine Gesamtrechnung erstellt, dessen Vollzug folgendermaßen über den Bund erfolgt: Nach § 14 Abs. 1 S. 1 FAG ist Ausgangspunkt für die – auf zunächst vorläufiger Basis erfolgenden – Zahlungspflichten oder Zahlungsansprüche der Länder der jeweils länderseitig abzuliefernde Bundesanteil an der Umsatzsteuer, der von den Landesbehörden vereinnahmt wird. Der abzuliefernde Bundesanteil wird dann um die Beträge der Umsatzsteuerergänzungsanteile und der Ausgleichsbeträge des Länderfinanzausgleich erhöht oder ermäßigt. Die genaue Berechnung erfolgt für jedes Land in der Regel in § 1 Abs. 1 der sog. Ersten Verordnung zur Durchführung des Finanzausgleichgesetzes („FinAusglGDV1“), die jährlich vom Bundesministerium der Finanzen für das jeweilige Ausgleichsjahr erlassen wird. Hierbei wird für jedes Land festgeschrieben, welcher Prozentsatz an der von den Landesfinanzbehörden vereinnahmten Umsatzsteuer an den Bund abzuführen ist. So legt für das Jahr 2016 die FinAusglG2016DV1 etwa fest, dass Berlin 17,9 % und Hamburg 85,1 % der von ihnen jeweils vereinnahmten Umsatzsteuer an den Bund abzuführen haben. Nach § 1 Abs. 2 FinAusglGDV1 überweisen die Länder auch hier unverzüglich, d. h. spätestens einen Arbeitstag nach dem Zugang der Steuerzahlungen der Bundeskasse 437 Bei der Einkommensteuer beträgt der Anteil von Bund und Ländern nur 42,5 %, da zunächst gem. Art. 106 Abs. 3, 5 GG der kommunale Anteil abzuziehen ist, der gem. § 1 Gemeindefinanzreformgesetz bei 15 % liegt. 438 Pommer, Örtliches Aufkommen von Steuern und Zerlegung als Probleme des Finanzausgleichs und der Steuerrechtfertigung, S. 203.

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

143

den Bundesanteil. Übersteigen die Ansprüche auf Umsatzsteuerergänzungsanteile und aus dem Länderfinanzausgleich die jeweils im Land vereinnahmten Umsatzsteuererträge, müssen überhaupt keine Umsatzsteueranteile an den Bund abgeliefert werden. Dies trifft im Ausgleichsjahr 2016 für die Länder Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu. In diesen Fällen überweist der Bund diesen Länder nach § 14 Abs. 1 S. 2 FAG den nicht gedeckten Teil in monatlichen Teilbeträgen. § 1 Abs. 3 FinAusglG2016DV legt sodann die konkreten, den Ländern zustehenden Zahlungsansprüche summenmäßig fest. Schließlich ermittelt das Bundesministerium der Finanzen nach Ablauf eines Ausgleichsjahres die tatsächlich bestehenden Ansprüche der Länder.439 Aus den in der sog. Zweiten Verordnung zur Durchführung des Finanzausgleichsgesetzes festgesetzten Summen ergeben sich dann entweder wieder Zahlungsansprüche des Bundes an einzelne Länder oder aber Zahlungsansprüche der Länder gegen Bund. Auf der letzten, der sekundär vertikalen Stufe des Finanzausgleichs können außerdem Zahlungsansprüche einzelner Länder aufgrund Bundesergänzungszuweisungen entstehen. Diese überweist der Bund den Ländern nach § 16 FAG jeweils in Teilbeträgen am 15. März, 15. Juni, 15. September und 15. Dezember eines Ausgleichsjahres.

III. Abgestufte Aufrechnungseinschränkungen Ebenso, wie die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern untereinander einer diffizil aufeinander abgestimmten Regelungssystematik folgen, empfiehlt es sich, eine differenzierte Betrachtung hinsichtlich der Möglichkeit der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern vorzunehmen. Die hier im Folgenden vorgeschlagene dreistufige Lösung ist dabei entscheidend vom Grundsatz der Bundetreue sowie von finanzverfassungsrechtlichen Implikationen des Finanzausgleichs geprägt. Je nach Art der Forderung sind unterschiedliche Anforderungen an eine Aufrechnung zu stellen: Diese reichen von der Gleichwertigkeit der Forderungen bzw. der Zustimmung des Aufrechnungsgegners zur Aufrechnungserklärung im Falle finanzausgleichsrechtlicher Forderungen (3. a)) über die Aufrechnung mit nur unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen bei sonstigen verfassungsrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Zahlungsansprüchen (3. b)) bis hin zu einfachen Informations- bzw. Anhörungspflichten bei privatrechtlichen Forderungen (3. c)).

439 Eine endgültige Abrechnung ist erforderlich, weil das für die Berechnung der Zahlungen wichtige Kriterium der Einwohnerzahl eines Landes vom Statistischen Bundesamt jeweils erst zum 30. Juni eines Jahres erfolgt.

144

3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

1. Dogmatik und Struktur von Aufrechnungsverboten Die verfassungsrechtlich begründete Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit lässt sich ohne größere Probleme mit der dogmatischen Struktur der Aufrechnung vereinbaren. Denn die Voraussetzungen einer Aufrechnungslage erschöpfen sich generell nicht im Vorliegen bestimmter positiver Tatbestandsmerkmale, sondern umfassen auch das Nichtvorliegen des (negativen) Tatbestandsmerkmals eines Aufrechnungsverbots.440 Eine Aufrechnungseinschränkung muss vor allem nicht zwingend ausdrücklich gesetzlich niedergelegt sein. Denn schon die Aufrechnung als solche ist Ausdruck von Billigkeitsrecht. Sie „ist immer dann und nur dann zulässig, wenn sie nicht unbillig ist“.441 Im Zivilrecht können sich Aufrechnungsverbote aus der Natur des Schuldverhältnisses ergeben. Das gleiche gilt für das öffentliche Recht. Die Aufrechnung ist dogmatisch in idealer Weise offen für andere Normen und Grundsätze, die, wie der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens, rechtebeschränkend wirken. Sie ist somit auch offen für neue Aufrechnungseinschränkungen bzw. -verbote. Bei der Betrachtung der bestehenden Aufrechnungsverbote zeigt sich zudem, dass Grund eines Aufrechnungsverbots stets das ausnahmsweise überwiegende Interesse an der tatsächlichen Leistungsbewirkung ist. Dies kann sich aus Gründen ergeben, die entweder in der Person des Gläubigers442 oder aber in der Person des Schuldners443 liegen. Diese Dichotomie kann ein wichtiger Anhaltspunkt für die im Folgenden zu klärende Frage nach verfassungsrechtlich begründeten Einschränkungen der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern sein. 2. Kategorien von Forderungen Zunächst müssen verschiedene Arten von Forderungen zwischen Hoheitsträgern unterschieden werden. Im bundesstaatlichen Gefüge existieren eine Vielzahl von Finanzbeziehungen, deren vollständige Auflistung an dieser Stelle nicht möglich, aber auch nicht erforderlich ist. Für die Beantwortung der Frage nach Möglichkeiten und Grenzen einer Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern ist eine systematische, generalisierende Darstellung der unterschiedlichen Forderungstypen ausreichend. Die zwischen Bund und Ländern bestehenden Forderungen lassen sich in drei Kategorien einteilen.

440

Vgl. hierzu 1. Teil B. 5. Berger, Aufrechnungsvertrag, S. 65. 442 Hierunter fallen etwa die gesellschaftsrechtlichen Aufrechnungsverbote oder das Verbot nach § 394 BGB. 443 So etwa das Verbot, gegen eine Forderung aus unerlaubter Handlung aufzurechnen, § 393 BGB. 441

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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a) Forderungen aufgrund des Finanzausgleichs i.S.d. Art. 106, 107 GG Die vom Volumen her bedeutendsten Forderungen zwischen den Hoheitsträgern resultieren aus den Vorschriften des Finanzausgleichs nach Art. 106 und 107 GG. So entstehen zum einen Forderungen aufgrund der Diskongruenz von Steuerverwaltungs- und Steuerertragshoheit, also auf der ersten, vertikalen Stufe des Finanzausgleichs: Die Länder schulden dem Bund die von ihnen vereinnahmten Bundessteuern wie etwa die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer („Solidaritätszuschlag“), umgekehrt schuldet der Bund durch seine Behörden ausnahmsweise vereinnahmte Landessteuern wie die Bier- oder die Feuerschutzsteuer. Auch eine Aufteilung der Erträge der Gemeinschaftsteuern zwischen Bund und Ländern gem. Art. 106 Abs. 3 GG findet auf dieser Ebene statt. Diese werden zunächst von den Landesfinanzverwaltungen gem. Art. 108 Abs. 3 GG vereinnahmt, was einen Zahlungsanspruch des Bundes gegenüber den Ländern zur Folge hat. Zum anderen entstehen auf der ersten Stufe Forderungen der Länder untereinander durch Zerlegung und Aufteilung der Erträge aus Einkommen- und Körperschaftsteuer, § 9 ZerlG. Auf der dritten Stufe des Finanzausgleichs, dem Länderfinanzausgleich, entstehen ferner weitere finanzausgleichsrechtlich begründete Ansprüche. An dieser Stelle des Finanzausgleichs wird festgestellt, ob ein Land ausgleichsberechtigt oder ausgleichsverpflichtet ist. Unter Berücksichtigung weiterer möglicher Ansprüche aus Bundesergänzungszuweisungen wird die Zahlungsberechtigung oder -verpflichtung des Landes mit dem Überweisungsbetrag verrechnet, den das Land dem Bund als dessen Anteil an der Umsatzsteuer schuldet, § 14 Abs. 1 S. 1 FAG. Übersteigt die Anspruchsberechtigung des Landes den Anteil des Bundes an der im Land vereinnahmten Umsatzsteuer, so verliert der Bund seinen Zahlungsanspruch und ist im Gegenteil zu einer finanzausgleichsrechtlich begründeten Zahlung an das Land verpflichtet, § 14 Abs. 1 S. 2 FAG. b) Sonstige öffentlich-rechtliche Forderungen Darüber hinaus bestehen weitere finanzverfassungsrechtliche Anspruchsgrundlagen zwischen Hoheitsträgern, die jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich der Art. 106 und 107 GG stehen. Dies betrifft etwa Zahlungsansprüche wegen der Haftung für eine ordnungsgemäße Verwaltung nach Art. 104a Abs. 5 S. 1 GG444 oder Regressforderungen wegen der Verletzung von supranationalen und völkerrechtlichen Verpflichtungen nach Art. 104a Abs. 6 S. 1 GG. Art. 104a GG enthält noch zwei weitere Anspruchsgrundlagen der Länder gegen den Bund: So bestimmt Art. 104a Abs. 2 GG, dass im Bereich der Bundesauftragsverwaltung der Bund die den Ländern im Rahmen der Gesetzesausführung 444 Die Norm ist unmittelbare Anspruchsgrundlage, BVerfGE 116, 271 (317); Kienemund, in: Hömig, Art. 104a Rn. 15; a.A. F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105 ff.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

entstehenden Zweckausgaben445 zu erstatten hat. Außerdem können nach Art. 104a Abs. 3 GG Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, bestimmen, dass die Geldleistungen ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden. Auch außerhalb des Abschnitts über die Finanzverfassung finden sich Grundlagen für verfassungsrechtlich begründete Zahlungsforderungen. Dies trifft im Besonderen auf den Bereich der Gemeinschaftsaufgaben der Art. 91a bis 91e GG zu. In diesem Bereich entstehen in der Regel Forderungen der Länder gegen den Bund auf Erstattung von Kosten.446 Anzumerken bleibt, dass eine verfassungsrechtlich begründete Forderung eines Hoheitsträgers gegen einen anderen nicht zwingend schon dann vorliegt, wenn sich die Anspruchsgrundlage der Zahlung in der Verfassung findet.447 Entscheidend ist vielmehr, dass ein föderaler Zahlungsanspruch in Frage steht, der auf Verfassungsvorschriften über das Bund-Länder-Verhältnis und nicht auf einfaches Gesetzesrecht gestützt werden kann.448 Schließlich bestehen weitere öffentlich-rechtliche Zahlungsansprüche, deren Grundlage sich nicht aus der Verfassung ableiten lassen bzw. deren Streitgegenstand nicht „entscheidend von Verfassungsrecht geformt“449 ist. Dies können einerseits verwaltungsrechtliche Streitigkeiten i.S.v. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO sein, wie sie in der Form auch zwischen Staat und Bürger vorkommen können. Zahlungsansprüche können aber auch Rechtsfolge einer Streitigkeit sein, „die sich in ihrem Gegenstand einem Vergleich mit den landläufigen Verwaltungsstreitigkeiten entzieht“,450 die vielmehr einen „föderalen Einschlag“451 aufweisen. Für diese Streitigkeiten hält § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO als lex specialis eine Sonderzuweisung zum Bundesverwaltungsgericht vor.452 c) Privatrechtliche Forderungen zwischen Hoheitsträgern Schließlich sind auch vielfältige privatrechtliche Zahlungsansprüche zwischen Hoheitsträgern denkbar, insbesondere im Zusammenhang mit fiskalischem Handeln der beteiligten Hoheitsträger.

445

Zum Begriff der Zweckausgaben vgl. 3. Teil B. II. 1. a). Vgl. etwa Kienemund, in: Hömig, Art. 91a Rn. 8. 447 Vgl. etwa zum Erstattungsanspruch wegen Übernahme von Kriegsfolgelasten durch den Bund aus Art. 120 GG, BVerwG, NVwZ 2004, 1125 f. 448 Bier, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 50 Rn. 9, auch zu Einzelheiten in Bezug auf Staatsverträge zwischen den Ländern. 449 BVerwGE 24, 272 (279); 36, 218 (227 f.). 450 BVerwG, NJW 1984, 817 (817). 451 BVerwG, DÖV 1976, 749 (750); VGH Mannheim, NJW 1969, 1365 f. 452 Zahlreiche Beispiele aus der Rechtsprechungspraxis bei Kopp/Schenke, VwGO, § 50 Rn. 3. 446

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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3. Möglichkeiten und Grenzen der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern Ausgehend von diesen drei unterschiedlichen Forderungskategorien liegt es nahe, jeweils unterschiedliche Aufrechnungsschwellen zu definieren. a) Eingeschränkte Aufrechnung bei Zahlungspflichten aus dem Finanzausgleich Eine Aufrechnung eines Hoheitsträgers gegen die Forderung eines anderen Hoheitsträgers, die in den Regelungen über den Finanzausgleich ihre Grundlage findet, darf nur erfolgen, soweit es sich bei Aktiv- und Passivforderung gleichermaßen um finanzausgleichsrechtliche Forderungen handelt oder soweit der Aufrechnungsgegner der Aufrechnung zustimmt. Zwar ist die Aufrechnung als allgemeiner Rechtsgedanke grundsätzlich auch im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern anwendbar. Aus dem Sinn und Zweck des Finanzausgleichs in Verbindung mit dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens folgt jedoch wegen der besonderen Bedeutung der Forderungen des Finanzausgleichs mit der eingangs genannten Ausnahme ein verfassungsrechtliches, ungeschriebenes Aufrechnungsverbot im Steuerstaat453. aa) Finanzierungsfunktion finanzausgleichsrechtlicher Forderungen und staatliche Funktionsfähigkeit Dieses Ergebnis ergibt sich zum einen aus der ratio des Finanzausgleichs. Dieser hat das Ziel, am Ende der ausdifferenzierten, mehrstufigen Berechnungen für eine exakt dem jeweiligen Finanzbedarf der Hoheitsträger entsprechende finanzielle Ausstattung mit Steuergeldern zu sorgen. Diese Finanzausstattung ist Grundlage der Autonomie von Bund und Ländern und ermöglicht erst deren Handlungs- und Funktionsfähigkeit. Die finanzausgleichsrechtlichen Regelungen der verschiedenen Verteilungsstufen sollen gewährleisten, dass die jeweilige Gebietskörperschaft genau in der Höhe mit finanziellen Mitteln ausgestattet ist, wie es die Erfüllung ihrer ihnen übertragenen Aufgaben verlangt. Die Nichtauszahlung der Finanzmittel droht, die zuvor sorgfältig vorgenommene Berechnung zur Makulatur werden zu lassen. Sie kann eine empfindliche Störung der Funktionsfähigkeit der Organe des Hoheitsträgers dadurch verursachen, dass notwendige, der Erfüllung des Gemeinwohls dienende staatliche Aufgaben nicht mehr oder nicht mehr ordnungsgemäß wahrgenommen werden können. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Pflicht zur Rücksichtnahme der bundesstaatlichen Akteure454 ist für eine Beschränkung der Aufrechnung aber aus453 454

Zum Steuerstaat als Staatsform vgl. Isensee, in: FS Ipsen, S. 409 ff. Hierzu sogleich unter 3. Teil B. III. 3. a) cc).

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

reichend, dass ein Vorenthalten der tatsächlichen Verfügbarkeit über die eingeplanten Finanzmittel generell geeignet ist, die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des Aufrechnungsgegners zu beeinträchtigen. Denn indem ein Hoheitsträger dem anderen durch seine Nichtleistung die diesem zustehenden Mittel in tatsächlicher Hinsicht vorenthält, verhindert er, dass der andere seine Zuständigkeiten gemäß seinen Rechten und Pflichten ausüben kann. Er greift dadurch gleichsam in die Kompetenz des anderen ein.455 Ein Eingriff in die Kompetenz eines anderen Hoheitsträgers durch Vorenthalten von finanzausgleichsrechtlich determinierten Steuermitteln kommt nicht nur durch bloße, rechtswidrige Nichtleistung in Betracht. Er ist ebenso denkbar für den Fall einer „berechtigten Nichtleistung“ im Wege der Aufrechnung. Durch die Aufrechnung gegen eine finanzausgleichsrechtliche Forderung steht die Geldsumme dem Aufrechnungsgegner nicht mehr zur Verfügung, obwohl sie in der Regel fest im Haushaltsplan und damit zur Finanzierung staatlicher Ausgaben eingeplant ist. Das Vorenthalten der Summe kann im Extremfall dazu führen, dass Ausgaben nicht mehr finanzierbar sind, weil die „Schuldenbremse“ des Art. 109 Abs. 3 GG die weitere, kurzfristige Beschaffung von Finanzmitteln verwehrt. Auch für die Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern trifft die für einen anderen Rechtsbereich getroffene Aussage zu, wonach „die Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB […] eben nicht nur, wie es sich Juristen gern vorstellen, ein unbares Zahlungsverfahren zur Vermeidung umständlichen Hin- und Herzahlens [ist]“456. Konstellation, in denen der Gläubiger einer Forderung auf die tatsächliche Leistungsbewirkung angewiesen ist bzw. hierauf bestehen darf, sind nicht auf das Zivilrecht beschränkt. Sie sind vielmehr auch im bundesstaatlichen Verhältnis vorzufinden. Dies trifft insbesondere auf die Zahlungsbeziehungen zwischen Bund und Ländern nach dem Finanzausgleich zu. Die besondere Bedeutung einer geordneten, stetigen Finanzierung der staatlichen Haushalte wird von der Rechtsordnung auch an anderer Stelle betont. So bestimmt § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO457, dass bei Streitigkeiten zwischen der Verwaltung und dem Bürger um dessen öffentlich-rechtliche Geldleistungspflichten, die der Finanzierung des staatlichen Haushalts dienen,458 ein Widerspruch gegen den Leistungsbescheid ausnahmsweise keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Die 455 Die Auffassung von „Kompetenz“ als Ausdruck von Zuständigkeitsverteilungsnormen folgt der Auffassung von Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, Rn. 61, Fn. 293 m.w.N. 456 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 882. 457 Parallelvorschriften bestehen für das Steuerrecht in § 361 Abs. 1 S. 1 AO, § 69 Abs. 1 S. 1 FGO. Der grundsätzliche Ausschluss des Suspensiveffekts im Sozialrecht (§§ 86 Abs. 2 – 4, 97 SGG a.F.) wurde im Jahre 2002 abgeschafft und die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage wieder gesetzlich angeordnet, § 86a Abs. 1 S. 1 SGG, vgl. hierzu Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, § 86a Rn. 1 f. m.w.N. 458 Hierunter fallen jedenfalls Steuern, Gebühren und Beiträge im herkömmlichen Sinne. Vgl. zu Meinungsstand und Einzelheiten Finkelnburg, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren, Rn. 697 ff. m.w.N.

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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Norm findet ihre Rechtfertigung darin, die Finanzierung notwendiger öffentlicher Aufgaben nicht durch im Ergebnis unzulässig zurückbehaltene Zahlungen zu gefährden, sondern für einen verlässlichen Zufluss staatlicher Einnahmen zu sorgen.459 In der Abwägung zwischen dem vorläufigen Rechtsschutz des Zahlungspflichtigen einerseits und des im Zweifel nicht rechtzeitig ausreichend finanzierten Hoheitsträgers andererseits hat der Gesetzgeber der „Sicherung der ordnungsgemäßen Haushaltsplanung“460 den Vorzug gegeben.461 Der Gedanke der Sicherung eines steten Zuflusses an Mitteln, die der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben dienen, hat die gleiche Gültigkeit wie beim hier in Rede stehenden (Bar-)Leistungsinteresse des hoheitlichen Gläubigers. bb) Aufrechnung und Funktionsfähigkeit politischer Parteien Wegen Störung der Funktionsfähigkeit aufseiten des Aufrechnungsgegners wurde die Rechtmäßigkeit einer Aufrechnung durch den Bund auch in einem anderen Fall bereits verneint. So hat im Jahr 2013 das Bundesverfassungsgericht dem Bund eine Aufrechnung wegen drohender Handlungsunfähigkeit des Aufrechnungsgegners untersagt.462 Gestützt auf § 31a Abs. 3 S. 2 PartG463, nach dem staatliche Rückerstattungsbeträge im Rahmen der Parteienfinanzierung mit Ansprüchen auf Abschlagszahlungen einer Partei zu verrechnen sind, hatte der Präsident des Deutschen Bundestags Rückerstattungsansprüche gegen die NPD mit einem Anspruch auf Abschlagszahlung verrechnet. Hiergegen wehrte sich die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung mit der Begründung, sie sei zur Finanzierung ihrer Parteiarbeit auf die staatlichen Mittelzuweisungen angewiesen und wäre ohne sie vor allem im Hinblick auf ihre Wahlwerbemöglichkeiten im anstehenden Bundestagswahlkampf erheblich in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Dem folgte das Bundesverfassungsgericht in seiner Abwägungsentscheidung und führte aus, dass ein tatsächliches Ausbleiben der Zahlungen die Partei

459

OVG Berlin, NVwZ-RR 2005, 304 (305); Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 56; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 55. Umfassend Heckmann, Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, insb. S. 59 ff. 460 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, S. 1209. 461 Siehe hierzu auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 3/55, S. 39 f., die sich allerdings in dem Hinweis auf die Steuergesetzgebung erschöpft, „die eine aufschiebende Wirkung nicht kennt“. Im Übrigen ist vorläufiger Rechtsschutz des Zahlungspflichtigen durch die Regelungen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO selbstverständlich nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern nur – sowohl verfahrens- als auch materiellrechtlich – im Vergleich zum Normalfall nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO erschwert. Der Betroffene hat im Falle seines Widerspruchs gegen die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten nach § 80 Abs. 4 VwGO die Möglichkeit des behördlichen bzw. nach § 80 Abs. 5 VwGO die Möglichkeit des gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes. 462 BVerfG, NVwZ-RR 2013, 625 f. 463 Die Vorschrift wurde im Zuge der Reform des PartG im Jahr 2002 eingeführt.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

im Wahlkampfjahr 2013 vor schwerwiegende finanzielle Probleme stellen könnte und die Abschlagszahlungen deshalb tatsächlich bewirkt werden müssten.464 Abgesehen davon, dass politische Parteien keine Hoheitsträger sind und das Bundesverfassungsgericht deshalb nicht zu einer bei dieser Arbeit im Fokus stehenden Konstellation entschied, eignet sich die Entscheidung noch aus einem anderen Grund nicht als höchstrichterliche „Blaupause“: Denn in dem vorliegenden Fall war die Rechtmäßigkeit der Rückforderung dem Grunde und der Höhe nach umstritten. Die NPD hatte Verfassungsbeschwerde gegen den Rückerstattungsbescheid eingelegt, die das Bundesverfassungsgericht nicht als offensichtlich unzulässig oder unbegründet verworfen hat und deren Hauptsacheentscheidung noch ausstand. Das Bundesverfassungsgericht hat die Aufrechnung demnach untersagt, weil es verfassungsrechtliche Zweifel am Bestehen der Rückerstattungsforderung gab. Dies unterscheidet den Fall von der vorliegend zu untersuchenden Konstellation, in dem die Rechtmäßigkeit der gegenseitigen Forderungen nicht in Frage steht und dennoch Aufrechnungseinschränkungen bestehen können. Trotzdem lässt sich festgehalten, dass die Funktionsfähigkeit von staatlichen oder „staatsnahen“ Einrichtungen durch eine Aufrechnung derart beeinträchtigt werden kann, dass nach von dieser im Zweifel abgesehen werden muss. cc) Aufrechnung und Grundsatz der Bundestreue Auch das Verbot der missbräuchlichen Rechtsausübung als Ausprägung des Grundsatzes bundesfreundlichen Verhaltens verlangt die Einschränkung des Aufrechnungsrechts eines Hoheitsträgers gegen eine finanzausgleichsbegründete Forderung eines anderen Hoheitsträgers.465 Denn aus diesem Verbot folgt, dass die Ausübung eines an sich bestehenden Rechts ausnahmsweise unzulässig ist, wenn der Haushalt eines Hoheitsträgers durch die Rechtsausübung empfindlich gestört wird bzw. es zu einer unzumutbaren Belastung der Finanzkraft des Hoheitsträgers führt. Jeder einzelne Hoheitsträger hat Rücksicht auf die finanziellen Auswirkungen seiner Maßnahmen bei anderen Hoheitsträgern zu nehmen und unter Umständen sein formal bestehendes Recht nicht auszuüben.466 Eine weitere – geringe – Einschränkung folgt aus der aus der Bundestreue ableitbaren Anforderung einer Informationspflicht. Die Pflicht zur Information ist Teil der pflichtenbegründenden Ausprägung der Bundestreue und stellt – neben der Pflicht zur Konsultation und zur Zusammenarbeit – den geringsten Eingriff dar. In Anbetracht der funktionalen Nähe der Aufrechnung zur Vollstreckung erscheint in Anlehnung an die Regelung des § 882a ZPO eine Frist von vier Wochen angemessen, die zwischen der Information des Hoheitsträgers über die beabsichtigte Aufrechnung und deren Durchführung liegen muss. 464 465 466

BVerfG, NVwZ-RR 2013, 625 (626). Vgl. 3. Teil B. I. 3. e) bb) (2). BVerfGE 32, 199 (218).

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern als staatsrechtliches Problem

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Im Ergebnis kann sich eine Ausnahme vom Aufrechnungsverbot nur ergeben, wenn der Aufrechnende seinerseits mit einer aus dem Finanzausgleich resultierenden Forderung aufrechnet. Denn dadurch setzt der Aufrechnende seinerseits eine Forderung durch, auf die er aus Gründen der Haushaltsstabilität in besonderem Maße angewiesen ist. Zudem besteht das Verbot der Aufrechnung gegenüber Forderungen, die ihre Grundlage im Bereich des Finanzausgleichs haben, zugunsten des Aufrechnungsgegners und zum Schutz seines Haushalts und seiner Finanzkraft. Eine Aufrechnung ist deshalb mit Zustimmung des Aufrechnungsgegners in Form eines Aufrechnungsvertrags möglich. b) Privatrechtliche Forderungen Rechnet ein Hoheitsträger gegen eine privatrechtliche Passivforderung eines anderen Hoheitsträgers auf, ist dies grundsätzlich wie die Aufrechnung zwischen Privaten zu behandeln. Begibt sich der Staat auf die Ebene des Privatrechts, ist er im Zweifel auch den Regeln des Privatrechts unterworfen. Allerdings können diese durch Verfassungsrecht überlagert und modifiziert werden. So ist der Grundsatz der Bundestreue auch im Bereich staatlicher Privatrechtsbeziehungen anwendbar. Denn Bund und Länder müssen in ihrem sämtlichen Verhalten stets die Auswirkungen auf den jeweiligen anderen Teil mitbedenken. Sie sind als bundesstaatliche Akteure auch bei nichthoheitlich-fiskalischem Handeln nicht vollkommen frei von der Rücksichtnahme auf die Interessen des jeweils anderen.467 Es kann keinen Unterschied machen, ob die berechtigten Interessen eines Bundesstaatsgliedes durch öffentlichrechtliches oder durch privatrechtliches Handeln eines anderen Teils gefährdet werden. Zentraler Punkt ist die Beeinträchtigung eines schützenswerten Interesses eines Bundesstaatsakteurs, nicht der zur Beeinträchtigung führende Weg. Sollte im Einzelfall die Aufrechnung gegen eine privatrechtliche Forderung eines Hoheitsträgers zu einer Erschütterung dessen Finanzgefüges bzw. zu einer Störung seiner Funktionsfähigkeit führen, müsste die Aufrechnungserklärung durch den aufrechnungswilligen Hoheitsträger unterbleiben. Zudem muss der Aufrechnende seine Aufrechnungserklärung in Anlehnung an § 882a Abs. 1 S. 1 ZPO mindestens vier Wochen vorher ankündigen. c) Sonstige verfassungsrechtliche und öffentlich-rechtliche Forderungen Für Aufrechnungen gegenüber sonstigen verfassungsrechtlichen und öffentlichrechtlichen Forderungen gilt hingegen ein zwischen finanzausgleichsrechtlichen und privatrechtlichen Forderungen liegender Erschwernismaßstab. Hier folgt aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens, dass in der Regel eine Aufrechnung nur gegenüber unbestritten oder rechtskräftig festgestellten Forderungen zulässig ist. 467 BVerfGE 42, 103 (117); 103, 81 (88). Vgl. auch Bauer, Bundestreue, S. 330; Maurer, Staatsrecht, § 10 Rn. 53.

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3. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern

Die Rechtsordnung kennt diese Einschränkung schon an anderen Stellen. So fordert § 226 Abs. 3 AO für die Vereinnahmung von Steuern oder § 8 Abs. 1 S. 2 JBeitrO für die Beitreibung von Zahlungsansprüchen der Justiz die Liquidität der Aktivforderung. Die Übertragung dieser zusätzlichen Anforderung zwischen Aufrechnungsverbot und Aufrechnungsfreiheit bietet sich für die vorliegenden Forderungen an, die qualitativ ebenfalls zwischen den einerseits besonders sensiblen Zahlungsansprüchen aufgrund Finanzausgleich und den andererseits eher einfachen, fiskalischen Privatrechtsansprüchen liegen. Dies folgt zum einen aus der abgeschwächten Bedeutung dieser Zahlungsansprüche als staatliche Finanzierungsquellen gegenüber finanzausgleichsrechtlich begründeten Forderungen. Sie sind in dieser Hinsicht weniger schutzwürdig als finanzausgleichsrechtlich begründete Forderungen. Anders als letztere dienen die sonstigen verfassungsrechtlichen und öffentliche-rechtlichen Zahlungsansprüche nicht primär, sondern höchstens mittelbar der Finanzierung des Staates. „Mittelbar“ dient aber jede Forderung des Staates der Erfüllung seines Finanzbedarfs. Hieraus kann noch kein Aufrechnungsverbots folgen, das eine Ausnahme zum Grundsatz der Zulässigkeit der Aufrechnung auch im staatlichen Bereich ist und deshalb besonders rechtfertigungsbedürftig ist. Zum anderen sind, im Hinblick auf die Anwendungstiefe der Bundestreue verfassungsrechtliche und sonstige öffentlich-rechtliche Forderungen zwischen Hoheitsträgern nicht mit privatrechtlichen Forderungen zwischen Hoheitsträgern gleichzusetzen. Stehen sich Hoheitsträger als Parteien eines verfassungs- oder auch nur öffentlichrechtlichen Schuldverhältnisses gegenüber, handeln sie – anders als im Privatrechtsverhältnis – gerade in ihrer Eigenart als Hoheitsträger. Sie bewegen sich deshalb näher am Legitimations- und Begründungskerns der Bundestreue als im Fall der Privatrechtsbeziehung. Aus diesem Grund kann sich die Anforderung an das Aufrechnungsrecht nicht in einer Pflicht zur bloßen Information erschöpfen. Wegen der mitunter besonderen Sensibilität, die etwa verfassungsrechtlich begründete Forderungen zwischen Hoheitsträgern mit sich bringen, ist zusätzlich zur vierwöchigen Informationspflicht die Aufrechnung auf rechtskräftig festgestellte oder unbestrittene Passivforderungen beschränkt.

4. Teil

Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene Aufrechnungssituationen zwischen Hoheitsträgern können sich nicht nur im bundesstaatlichen, sondern auch im europäischen Mehrebenensystem, nämlich zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten und den Mitgliedstaaten untereinander, ergeben. Die Untersuchung dieser Problematik ist Gegenstand des letzten, vierten Teils der Arbeit.

A. Rechtsgrundlage der Aufrechnung im Unionsrecht Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Frage nach der Rechtsgrundlage der Aufrechnung im Unionsrecht. Im Primärrecht der EU sind keine Regelungen über Zulässigkeit und Voraussetzungen einer Aufrechnung vorhanden. Allerdings finden sich Aussagen zur Aufrechnung im Sekundärrecht der Union. So ermöglicht Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 der Verordnung über die Haushaltsordnung der Union1 (nachfolgend „HO“) die Kommission und andere Organe2 ausdrücklich dazu, Forderungen der Europäischen Union mittels Aufrechnung einzutreiben. Die Norm gilt zwar nicht gleichfalls für eine Aufrechnungserklärung eines Mitgliedstaates gegenüber der Europäischen Union. Aber auch diesen steht ein Recht zur Aufrechnung zu. Das Institut der Aufrechnung ist, ähnlich seiner Stellung als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens im deutschen Recht,3 Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts.

1 Verordnung (EG, Euratom) Nr. 966/2012 des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, ABl. Nr. L 298/1 vom 26. 10. 2012. 2 Die Organe der Union sind gem. Art. 13 Abs. 1 EUV das Europäische Parlament, der Europäische Rat, die Europäische Kommission, der Rat, der Gerichtshof, der Rechnungshof und die Europäische Zentralbank. Die HO stellt für ihre Zwecke den Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen, den Bürgerbeauftragten und den Europäischen Datenschutzbeauftragten und den Europäischen Auswärtigen Dienst den Organen gleich, Art. 2 lit. b HO. 3 Siehe hierzu 2. Teil B. II.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

I. Aufrechnung durch die Kommission gem. Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO Die HO beruht auf Art. 322 AEUV. Art. 322 Abs. 1 lit.a AEUV ermächtigt das Europäische Parlament und den Rat, durch Verordnung Haushaltsvorschriften zu erlassen, „in denen insbesondere die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sowie die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung im Einzelnen geregelt werden“. Hiervon hat der Unionsgesetzgeber durch Erlass der HO Gebrauch gemacht und in Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO bestimmt, dass „Forderungen der Union gegenüber einem Schuldner, der selbst gegenüber der Union eine Forderung geltend macht, bei ihrer Einziehung vom Rechnungsführer verrechnet [werden.] Solche Forderungen müssen einredefrei, beziffert und fällig sein“.4 Anders als für den Fall deutscher Haushaltsgesetzes kommt der HO auch Außenwirkung zu, sodass diese eine taugliche Rechtsgrundlage für Aufrechnungen der Kommission gegenüber Mitgliedstaaten darstellt.5 Der Schuldnerbegriff des Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO umfasst grundsätzlich auch Mitgliedstaaten.6 Weitere Einzelheiten zur Aufrechnung finden sich außerdem in Art. 87 der Verordnung über die Anwendungsbestimmungen zur HO (im Folgenden „HHAB“).7 Bemerkenswert ist die erst im Laufe der Zeit eingeführte Regelung des Art. 87 Abs. 2 UAbs. 2 HHAB, wonach im Falle einer Aufrechnung gegenüber einem Mitgliedstaat dieser mindestens zehn Tage vor der Vornahme der Aufrechnungserklärung zu unterrichten ist.

II. Aufrechnung durch die Mitgliedstaaten Die Regelungen der HO über die Aufrechnung können nicht als Rechtsgrundlage einer Aufrechnung der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission oder gegenüber anderen Mitgliedstaaten gelten. Der eindeutige Wortlaut des Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO, der von einem Aufrechnungsrecht des „Rechnungsführers“, eines Beamten der 4

Vor Erlass der HO im Jahre 2002 war eine Aufrechnung durch die Kommission nicht gesetzlich geregelt. Das EuG hatte in einer Entscheidung aus dem Jahre 2000 hierzu einen deutlichen Auftrag an den Gesetzgeber formuliert: „Im übrigen wäre es vorzugswürdig, wenn die mit der Aufrechnung zusammenhängenden Fragen in allgemeinen Vorschriften durch den Gesetzgeber und nicht im Wege einzelner Entscheidungen der Gemeinschaftsgerichte in den bei ihnen anhängig gemachten Rechtsstreitigkeiten geregelt würden“, Rs. 105/99, (CCRE), Rn. 58. 5 So auch El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 96 f. m.w.N. In der Vergangenheit war umstritten, ob die Vorgängernorm der jetzigen HO überhaupt eine Verordnung i.S.d. Art. 288 AEUV (ex-Artikel 249 EGV) darstellte, vgl. Niedobitek, in: Streinz, EUV/EGV, (1. Aufl.), Art. 279 Rn. 8 m.w.N. 6 El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 98. 7 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 der Kommission vom 29. 10. 2012 über die Anwendungsbestimmungen für die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, Abl. L 362 vom 31. 12. 2012.

A. Rechtsgrundlage der Aufrechnung im Unionsrecht

155

Kommission8 spricht, steht einer solchen Auslegung entgegen. Trotzdem verfügen auch die Mitgliedstaaten über eine unionsrechtliche Aufrechnungsbefugnis. Denn wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist das Institut der Aufrechnung Teil der ungeschriebenen allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und steht den Mitgliedstaaten zur Einziehung einer unionsrechtlich begründeten Forderung grundsätzlich zur Verfügung. 1. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts Bereits zu Beginn der europäischen Integration war erkennbar, dass die Rechtsordnung der damaligen Gemeinschaft nicht vollständig durch die formellen Rechtsquellen des geschriebenen Primär- und Sekundärrecht ausgefüllt werden konnte. Darauf war und ist die unionale Rechtsordnung auch bewusst nicht angelegt. Sie hat keinen Eigenstand und ist kein „isoliertes, in sich geschlossenes Rechtsphänomen“9, sondern eines, das in Interaktion mit den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten steht und in dem die Notwendigkeit nach einem „wirksamen System der Lückenfüllung“10 besteht. Diese Funktion erfüllen unter anderem die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts. Sie sind, neben dem auch auf Ebene des Unionsrechts bestehenden Gewohnheitsrecht, Teil des ungeschriebenen Unionsrechts und haben bindenden Rechtssatzcharakter gegenüber Behörden und Gerichten.11 Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts werden in erster Linie durch den EuGH im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung in Bereichen entwickelt, in denen zwar keine positivrechtliche Norm, dennoch aber das Bedürfnis nach einer „normativen Antwort“12 besteht.13 Nach Art. 19 EUV sichert der Gerichtshof der Europäischen Union die „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“. Diese Wahrung des Rechts geht aber über die Auslegung und Anwendung des bloßen Vertragstextes hinaus. Teil des Rechts i.S.d. Art. 19 EUV sind auch die allgemeinen, ungeschriebenen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts.14 Ein Ansatzpunkt für die Vorgehensweise des EuGH findet sich in den Vorschriften über die außervertragliche Haftung der Union, Art. 340 Abs. 2 AEUV. Danach übernimmt die Union die Haftung für Amtshaftungsschäden „nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“. 8

Zu Aufgaben und Stellung eines Rechnungsführers der Kommission vgl. Art. 68 HO. Rodríguez Iglesias, NJW 1999, 1 (8). 10 Lecheler, ZeuS 2003, 337 (338). 11 Lecheler, ZeuS 2003, 337 (339). Zum Gewohnheitsrecht im Unionsrecht Oppermann/ Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 29 f. m.w.N. 12 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 34. 13 So GA Léger, Schlussanträge in der Rechtssache C-87/01 P (CCRE), Rn. 41 f. Vgl. auch etwa die Entscheidungen des EuGH in den Rs. 7/56 (Algera), Slg. 1957, 81 ff.; Rs. 78/77 (Luehrs), Slg. 1978, 169 ff.; Rs. 85/76, (Hoffmann-La-Roche), Slg. 1979, 677 ff. 14 Lecheler, ZeuS 2003, 337 (339); El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 99 f. 9

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

Die vertragschließenden Parteien haben es bei Formulierung dieser Regelung ausdrücklich Rechtswissenschaft und Rechtspraxis überlassen, Voraussetzungen und Haftungsmaßstab von Amtshaftungsansprüchen gegenüber der Union rechtsvergleichend zu ermitteln. In ihrer Bedeutung sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts nicht auf den Bereich der außervertraglichen Haftung begrenzt.15 Der EuGH hat in der Vergangenheit insbesondere allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts in Bezug auf unionsrechtliche Grundrechte entwickelt, da der Grundrechtsschutz auf Unions- bzw. Gemeinschaftsebene zu Beginn des europäischen Einigungsprozesses nur unzureichend entwickelt bzw. in den Verträgen angelegt war.16 Allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts finden sich darüber hinaus nicht nur auf primärrechtlicher, sondern auch auf sekundärrechtlicher Ebene. So hat der EuGH allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts im Rang einfacher Gesetze oder Verwaltungsvorschriften, etwa im Bereich des Dienstrechts der Union oder des Verwaltungsverfahrensrechts, herausgearbeitet.17 Zur Entwicklung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Unionsrechts bedient sich der EuGH der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten als Rechtserkenntnisquellen. So entstehen aus den mitgliedstaatlichen die unionsrechtlichen Prinzipien.18 Diese sind Ansatzpunkte sowohl für die Ermittlung der grundsätzlichen Notwendigkeit als auch für die konkrete Ausgestaltung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Unionsrechts. Im Wege einer „wertenden Rechtsvergleichung“19 und unter Beachtung von Struktur und Zielen der EU werden die Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten analysiert und gegebenenfalls zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrecht zusammengeführt. Der EuGH ist dabei nicht dahingehend beschränkt, den kleinsten gemeinsamen Nenner der nationalen Rechtsordnungen zu ermitteln. Er ist vielmehr frei, eine Lösung zu finden, die den Zielen und Strukturen der EU am besten dienen.20

15

Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 32. Die vom EuGH entwickelten bzw. ausgeformten Grundrechte sind in Art. 6 Abs. 3 EUV zusammen mit den Grundrechten der EMRK ausdrücklich genannt und zählen zusammen mit diesen und den in der Charta verbürgten Grundrechten zum unionsrechtlichen Grundrechtsbestand. 17 Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 16; GA Léger in der Rs.C-87/01 P (CCRE), Rn. 61. Vgl. etwa die Entscheidung des EuGH in den verb. Rs. 7/56, 3/57 und 7/57 (Algera), Slg. 1957, 83 ff. über den Widerruf von Verwaltungsakten, der gemeinschaftsrechtlich nicht eigenständig geregelt war. 18 Kotzur, in: Tsatsos, Die Unionsgrundordnung, S. 245 (246); Moser, ZfRV 2012, 4 (7). 19 Lecheler, ZeuS 2003, 337 (344). 20 Vgl. etwa die Ausführungen des GA Léger in der Rs.C-87/01 P (CCRE), Rn. 61. Siehe auch Kotzur, in: Tsatsos, Die Unionsgrundordnung, S. 245, 249; El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 100; Moser, ZfRV 2012, 4 (7), jeweils m.w.N. 16

A. Rechtsgrundlage der Aufrechnung im Unionsrecht

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2. Aufrechnung als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts Der EuGH hat sich in der Vergangenheit nicht zu der Frage geäußert, ob die Aufrechnung allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unions- bzw. Gemeinschaftsrechts ist.21 Die Notwendigkeit der Herleitung einer Aufrechnungsbefugnis aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz ist mit Erlass der positivierten Aufrechnungsbefugnis zugunsten der Kommission in Art. 80 Abs. 1 UAbs. 1 HO im Jahre 2002 inzwischen geringer geworden. So begründete etwa das Gericht in einer jüngeren Entscheidung22 die Aufrechnungsbefugnis der Kommission gegenüber einem Mitgliedstaat mit der Existenz des Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO, ohne weitere dogmatische Überlegungen anzustellen. Gleichwohl ist die Aufrechnung als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts anzuerkennen.23 Das Instrument der Aufrechnung findet sich in den drei wichtigsten europäischen Rechtskreisen, d. h. im deutschen, im englischen und im französischen Recht, wieder. Es gibt, soweit ersichtlich, keinen Mitgliedstaat der Europäischen Union, dessen Rechtsordnung eine Aufrechnung nicht vorsieht.24 Im Übrigen genügt für die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Unionsrechts nach der Rechtsprechung des EuGH ohnehin, dass die „meisten […] – wenn nicht alle – […]“ mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen das in Frage stehende Recht anerkennen.“25 Rechtsvergleichend hat die „Kommission für Europäisches Vertragsrecht“, die sog. Lando-Kommission, umfangreiche Untersuchungen zu Existenz und Voraussetzungen einer unionsrechtlichen Aufrechnung vorgenommen. Sie hat seit Beginn der 1980er-Jahre einen europäischen Kernbestand an zivilvertragsrechtlichen Regelungen herausgearbeitet und nach mehr als 20 Jahren Arbeit „Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts“ (nachfolgend „GEV“) formuliert.26 Die Arbeit der

21 Dennoch waren Aufrechnungserklärungen der Kommission und mitgliedstaatlicher Behörden häufiger Gegenstand von Entscheidungen, siehe etwa die Urteile in den Rs. 250/78 (DEKA), Slg. 1983, 421 ff.; Rs. 125/84 (Continental Irish Meat), Slg. 1985, 3441 ff.; Rs. C-87/ 01 P (CCRE), Slg. 2003, I-7617 ff. Zuletzt auch EuG, Rs. T-465/08 (Tschechsische Republik ./. Kommission). 22 Urteil des Gerichts vom 15. April 2011, Rs. T-465/08 (Tschechische Republik ./. Kommission). 23 So auch El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 99 ff.; GA Léger, Rs.C-87/01 P (CCRE), Rn. 51 ff. 24 Vgl. GA Léger in der Rs.C-87/01 P (CCRE), Rn. 45; Zimmermann in: FS für Medicus, S. 707 (707 ff.); El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 106 m.w.N. 25 Vgl. Urteil des EuGH in den verb. Rs. 56/74 bis 60/74 (Kampffmeyer u. a.), Slg. 1976, 711, Rn. 6. 26 Die Ergebnisse der Lando-Kommission sind im Internet abrufbar unter http://www.jus. uio.no/lm/eu.contract.principles.parts.1.to.3.2002/ (Stand: Januar 2017). Sie liegen, herausgegeben von von Bar/Zimmerann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, auch in gedruckter Form vor.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

Lando-Kommission gilt als „prominentestes Beispiel“27 wissenschaftlicher Rechtsvergleichung zum europäischen Vertrags- und Schuldrecht und als das am „gründlichsten vorbereitete und am weitesten fortgeschrittene Projekt der europäischen Rechtsvereinheitlichung“28. Die GEV als Arbeitsergebnis der Lando-Kommission sind „bereits fertige, rechtsvergleichend – wiewohl zugleich auch wertend – zusammengetragene Grundgedanken europäischen Privatrechts“.29 Die umfassende rechtsvergleichende Arbeit der Kommission hat auch Struktur und Tatbestand der Aufrechnung zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht und einen gemeinsamen europäischen Kernbestand der Aufrechnungsregelungen aus der Zusammenschau der Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten in Art. 13 GEV herausgearbeitet. Den Erkenntnissen der Lando-Kommision folgend kennen demnach die Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten das Instrument der Aufrechnung von Forderungen, wenn auch in unterschiedlicher Struktur und unterschiedlichen Voraussetzungen. Die Aufrechnung ist deshalb als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts anzuerkennen und damit Teil der Rechtsordnung der Europäischen Union. Sie steht als Rechtsdurchsetzungsinstrument den an einem unionsrechtlichen Rechtsverhältnis Beteiligten zur Verfügung, um Forderungen durchzusetzen. Damit steht sie grundsätzlich auch Mitgliedstaaten zur Verfügung, um unionsrechtliche Forderungen gegenüber der Europäischen Union oder anderen Mitgliedstaaten durchzusetzen.

III. Voraussetzungen einer Aufrechnung im Unionsrecht Die unionsrechtliche Regelungsdichte der Aufrechnungsvoraussetzungen ist geringer als im deutschen Recht. Unionsgesetzlich ausdrücklich geregelt ist nur die Aufrechnung durch die Kommission, Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO i.V.m. Art. 87 HHAB. Zur Aufrechnung durch die Mitgliedstaaten finden sich überhaupt keine geschriebenen unionsrechtlichen Bestimmungen. Struktur und Voraussetzungen der mitgliedstaatlichen Aufrechnung als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts sind demnach im Wege der wertenden Rechtsvergleichung zu entwickeln.

27 Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, § 12 Rn. 8. 28 Zimmermann, ZeuP 2003, 707 (712). 29 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 112.

A. Rechtsgrundlage der Aufrechnung im Unionsrecht

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1. Voraussetzungen einer unionsrechtlichen Aufrechnung durch die Kommission In Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO i.V.m. Art. 87 HHAB sind Anwendungsvoraussetzungen einer unionsrechtlichen Aufrechnung durch die Unionsorgane geregelt. Die dort genannten Voraussetzungen sind jedoch nicht abschließend. Die Verrechtlichung bzw. Transferierung der unionsrechtlichen Aufrechnung in das geschriebene Recht ändert grundsätzlich nichts am Charakter der Aufrechnung als allgemeinem Rechtsgrundsatz des Unionsrechts.30 Insbesondere dort, wo das geschriebene Recht schweigt, können also die „zusätzlichen“ Strukturmerkmale des jeweiligen allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Unionsrechts Anwendung finden. a) Unionsrecht als anwendbare Rechtsordnung Erste Voraussetzung einer unionsrechtlichen Aufrechnung durch die Kommission ist, dass die Aktivforderung, die die Kommission im Wege der Aufrechnung einzuziehen beabsichtigt, unionsrechtlich begründet ist und im Rahmen des Haushaltsvollzugs31 erfolgt. Es ist nicht erforderlich, dass auch die gegen die Europäische Union bzw. die Kommission gerichtete Passivforderung dem Unionsrecht entstammt. Entstammt sie aber einer anderen Rechtsordnung, so müssen auch die Aufrechnungsvoraussetzungen dieser anderen Rechtsordnung kumulativ gegeben sein.32 Entstammt die Forderung der Union nicht dem Unionsrechtskreis, so richtet sich die Zulässigkeit der Aufrechnung durch das Unionsorgan nach den Aufrechnungsvoraussetzungen der Rechtsordnung, dem die Forderung entstammt. Entstammt die Forderung der Union zwar dem Unionsrecht, ist sie allerdings nicht dem Haushaltsvollzug zuzurechnen, so ist Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO nicht einschlägig. Die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung richtet sich dann nach den Voraussetzungen, die in der Ausprägung der Aufrechnung als allgemeinem Grundsatz des Unionsrechts gelten. b) Eintritt der Aufrechnungswirkung durch Erklärung Die Aufrechnungswirkung, das Erlöschen der Forderungen in jeweils entsprechender Höhe, tritt nicht automatisch ein. Um sie herbeizuführen, bedarf es einer Aufrechnungserklärung als Willensakt seitens des zuständigen Rechnungsführers des Organs, Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO i.V.m. Art. 87 HHAB. 30

Lecheler, ZeuS 2003, 337 (345). Die Vorschriften über den Vollzug des Unionshaushalts gelten auch in Bezug auf die verschiedenen Fonds der EU, vgl. Art. 148 Abs. 1 HO für den Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft und Art. 155 Abs. HO für den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), den Europäischen Sozialfonds (ESF), den Kohäsionsfonds und den Europäischen Fischereifonds (EFF). 32 Vgl. EuGH, Rs. C-87/01 P (CCRE), Slg. 2003, I-7617, Tz. 61. 31

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

c) Gegenseitig- und Gleichartigkeit Zwingend erforderlich ist die Gegenseitigkeit und die Gleichartigkeit der Forderungen. Anders als im deutschen Recht, das in § 387 BGB nur die Gleichartigkeit der Forderungen verlangt, müssen die Forderungen nach Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO beziffert sein, um aufrechenbar zu sein.33 Ein dem § 395 BGB vergleichbares Erfordernis der Kassenidentität kennen weder Art. 80 HO noch Art. 87 HHAB. Damit gilt das Merkmal der Gegenseitigkeit als erfüllt, sobald der Schuldner eine Forderung gegenüber irgendeinem Unionsorgan hat. d) Einredefreiheit und Fälligkeit der Passivforderung Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO i.V.m. Art. 87 Abs. 1 HHAB setzen die Einredefreiheit34 und Fälligkeit der Passivforderung voraus. Die Voraussetzungen der Einredefreiheit und der Fälligkeit sind auch im deutschen Recht bekannt. Dort beziehen sich die Anforderungen allerdings auf die Aktivforderung. Im deutschen Recht steht es dem Aufrechnenden frei, ob er die Passivforderung durch Aufrechnung auch dann erfüllt, wenn diese noch nicht fällig oder einredebehaftet ist. Aus nachvollziehbaren

33 Die Vorgängerversion der aktuellen HO sprach noch davon, dass die Forderungen „auf Geld lauten“ müssten, vgl. Art. 73 Abs. 1 UAbs. 1 HO a.F. 34 El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Forderungen der EG, S. 136 legt den Begriff der „Einredefreiheit“ unter Zugrundelegung unterschiedlicher Sprachversionen der HO i.S.v. „Liquidität“ aus. Er legt seiner Auffassung insbesondere die französische Fassung der HO zugrunde, die eine Forderung des Aufrechnungsgegners verlangt, die „certaine“ ist. Anstatt an dieser Stelle wie El-Shabassy die Auslegung des Wortes „certaine“ anhand der Terminologie des französischen Zivilprozessrechts vorzunehmen, empfiehlt sich eine Auslegung in enger Anlehnung an das sekundärrechtliche Haushaltsrecht der Union. So findet sich der Begriff der „Einredefreiheit“ bzw. des „certaine“ in Art. 81 lit. a). HHAB (deutsche Version: „dass die Forderung einredefrei, d. h. nicht an eine Bedingung geknüpft ist“; französische Version: „caractère certain de la creance, en ce sens que celle-ci ne doit pas etre affectée d’une condition“; englische Version: „the receivable is certain, meaning that it is not subject to any condition“). Daraus wird deutlich, dass nach dem Willen des Verordnungsgebers Bedingung nicht sein kann, dass der Anspruch bewiesen, unbestritten oder unbestreitbar ist. Vielmehr genügt es für die Aufrechenbarkeit der Forderung, dass sich der Anweisungsbefugte vergewissert, dass die Forderung nicht wegen aufschiebender oder auflösender Bedingung noch nicht bzw. nicht mehr besteht. Diese hier vorgenommene Auslegung wird unterstützt durch die Entscheidung des EuG v. 15. April 2011 in der Rs. T-465/08 (Tschechische Republik ./. Kommission), Rn. 146 – 148: „146. Aus Art. 79 Buchst. A der Durchführungsverordnung ergibt sich, dass eine Forderung nicht als einredefrei betrachtet werden kann, wenn sie mit einer Bedingung verknüpft ist. 147. Zunächst macht die Tschechische Republik nicht geltend, dass die Forderung der Kommission mit einer Bedingung verknüpft sei. Sie trägt nur vor, dass sie deren Höhe bestreite. Auf alle Fälle ist festzustellen, dass die Forderung mit keiner Bedingung verknüpft ist. 148. Daher ist die Forderung einredefrei im Sinne von Art. 79 Buchst. A der Durchführungsverordnung.“ (Die Entscheidung ist (noch) nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht.)

A. Rechtsgrundlage der Aufrechnung im Unionsrecht

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haushaltsgrundsätzlichen Erwägungen ist der Spielraum des Rechnungsführers der Union hingegen eingeschränkter.35 Allerdings muss auch die Aktivforderung der EU die Anforderungen der Einredefreiheit und der Fälligkeit erfüllen. Dies folgt zwar nicht aus dem nur Anforderungen an die Passivforderung des Mitgliedstaats stellenden Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO.36 Das Erfordernis der Fälligkeit und Einredefreiheit der Aktivforderung ergibt sich aber bereits aus Art. 78 Abs. 2 HO i.V.m. Art. 81 lit. a und c HHAB. Liegen diese beiden Voraussetzungen nicht vor, gilt eine Forderung der Union als nicht festgestellt und nicht einziehungsfähig, Art. 79 Abs. 1 HO. Sie ist somit von vornherein nicht für eine Verrechnung mit einer anderen Forderung geeignet. e) Vorherige Fristsetzung und Benachrichtigung des Schuldners Vor Erklärung der Aufrechnung ist dem Schuldner die Möglichkeit einzuräumen, seine Schuld innerhalb einer Frist zu begleichen, Art. 87 Abs. 1 HHAB.37 Ist Aufrechnungsgegner eine mitgliedstaatliche Behörde, ist gem. Art. 87 Abs. 2 UAbs. 2 HHAB zusätzlich auch der Mitgliedstaat mindestens zehn Tage im Voraus von der beabsichtigten Aufrechnung in Kenntnis zu setzen.38 2. Voraussetzung einer unionsrechtlichen Aufrechnung durch die Mitgliedstaaten Die Aufrechnung durch die Mitgliedstaaten ist – wie bereits erwähnt – nicht Gegenstand des Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO. Dieser regelt nur die Modalitäten einer Aufrechnung durch die Kommission. Der eindeutige Wortlaut steht einer Einbeziehung von Mitgliedstaaten entgegen. Auch eine analoge Anwendung der Norm kommt nicht in Frage. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die fehlende Regelung einer Aufrechnung durch die Mitgliedstaaten planwidrig ist. Es ist davon auszugehen, dass der Unionsgesetzgeber nur Vorgaben für das Verhalten der Unionsorgane schaffen, 35

So könnte insbesondere ein Konflikt mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit bestehen, wenn die Europäische Union im Rahmen des Haushaltsvollzugs Forderungen von Gläubigern erfüllt, denen sie eine Einrede entgegenhalten könnte. Vgl. zu den Haushaltsgrundsätzen der Union Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 310 Rn. 20 ff.; Draheim, Verwaltung und Management 2003, S. 150, 153 ff. 36 A.A. El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Forderungen der EG, S. 135. 37 Ausnahmsweise kann die Forderung auch vor Ablauf der Frist durch Aufrechnung eingezogen werden, soweit der Schutz der finanziellen Interessen der Union dies erfordert. Der Schutz der finanziellen Interessen der Union ist dann betroffen, wenn es berechtigten Grund zu der Annahme gibt, „dass der [der Union] geschuldete Betrag verloren gehen könnte“, Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 HODB-VO. 38 Eine Aufrechnung vor Ablauf der Zehn-Tage-Frist kann nur mit Zustimmung des Mitgliedstaates bzw. der betroffenen Verwaltungsstelle erfolgen, Art. 87 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 HHAB.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

nicht hingegen auch den Spielraum der Mitgliedstaaten bestimmen wollte.39 Da die Aufrechnung Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts ist, steht sie jedoch auch den Mitgliedstaaten zur Verfügung. Die einzelnen Voraussetzungen einer unionsrechtlichen Aufrechnung liegen somit nicht auf der Hand. Zum einen kann nicht schlicht auf die Regelungen der Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO, Art. 87 HHAB zurückgegriffen werden. Zum anderen können auch wegen der Autonomie des Unionsrechts40 die für das deutsche Recht geltenden Regelungen nicht einfach übertragen werden. Das Unionsrecht entsteht vielmehr aus sich selbst heraus. Begriff und die Voraussetzungen der unionsrechtlichen Aufrechnung als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts sind eigenständig unionsrechtlich im Wege wertender Rechtsvergleichung zu entwickeln. Als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts müssen die einzelnen Tatbestandsund Strukturmerkmale der unionsrechtlichen Aufrechnung durch rechtsvergleichende Betrachtungen der Aufrechnungsvoraussetzungen in den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten herausgearbeitet werden. Bei der Bestimmung der einzelnen Aufrechnungsvoraussetzungen empfiehlt es sich auch an dieser Stelle wieder, auf die Erkenntnisse der Lando-Kommission und den von dieser formulierten „Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts“ zurückzugreifen. Die rechtsvergleichenden Erkenntnisse der Lando-Kommission in Bezug auf das Institut der Aufrechnung sind in Art. 13 GEV enthalten. a) Eintritt der Aufrechnungswirkung durch Erklärung Hiernach erfolgt, ebenso wie im deutschen Recht gem. § 388 BGB und in den Bestimmungen zur Aufrechnung nach Art. 80 Abs. 1 UAbs. 2 HO, der Eintritt der Wirkungen der Aufrechnung nicht ipso-iure, sondern durch eine Aufrechnungserklärung als Willensakt, Art. 13:104 GEV. b) Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen Nach Art. 13:101 GEV hat auch die unionsrechtliche Aufrechnung die Voraussetzung, dass sich wechselseitige und gleichartige41 Forderungen gegenüberstehen müssen. Art. 13:107 Abs. 2 GEV stellt klar, dass für den Fall der erfolgten Abtretung der Passivforderung der Schuldner der Passivforderung gegenüber dem neuen Gläubiger das Recht auf Aufrechnung geltend machen kann.

39 Dies wäre dennoch möglich gewesen, wenn auch sicher systematisch an einer besseren Stelle als im Abschnitt über die Einziehung von Unionsforderungen zum Zwecke des Haushaltsvollzugs. 40 Hierzu Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 5 ff. m.w.N. 41 Anders die Formulierung zur Gleichartigkeit in Art. 73 Abs. 1 UAbs. 2 HO, die nur auf Geld lautende Forderungen erfasst.

A. Rechtsgrundlage der Aufrechnung im Unionsrecht

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c) Fälligkeit der Aktivforderung und Erfüllbarkeit der Passivforderung Wie auch im deutschen Recht muss die Aktivforderung des Aufrechnenden fällig und einredefrei42 sein, Art. 13:101 lit. (b) GEV. Für die Passivforderung des Aufrechnungsgegners gilt Erfüllbarkeit als tatbestandliche Aufrechnungsvoraussetzung, Art. 13:101 lit. (a) GEV. d) Ex-nunc-Wirkung der Aufrechnungserklärung Die Aufrechnungsvoraussetzungen im Unionsrecht nach den GEV stimmen damit in wesentlichen Punkten mit den Erfordernissen im deutschen Recht überein. Dies gilt jedoch zum einen nicht für den Wirkungszeitpunkt der Aufrechnungserklärung. Während nach § 389 BGB die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen rückwirkend im Moment der Aufrechnungslage erlöschen, gilt dies nicht für die unionsrechtliche Aufrechnung. Nach Art. 13:106 GEV bewirkt die Aufrechnung das Erlöschen der Forderungen nicht ex-tunc sondern ex-nunc ab dem Zeitpunkt der Erklärung der Aufrechnung.43 e) Erfordernis der Liquidität der Aktivforderung bei Prozessaufrechnung Zum anderen gilt für die Aktivforderung einer unionsrechtlichen Aufrechnung in prozessrechtlicher Hinsicht das verschärfte Erfordernis der Liquidität. Art. 13:102 Abs. 1 GEV schreibt allgemein vor, dass nicht mit einem Anspruch aufgerechnet werden kann, „dessen Bestehen oder dessen Höhe unbestimmt ist, es sei denn, die Aufrechnung beeinträchtigt nicht die Interessen der anderen Partei“. Damit wären grundsätzlich Forderungen von der Aufrechnung ausgeschlossen, deren Bestehen der Aufrechnungsgegner dem Grunde oder der Höhe nach bestreitet. Eine Ausnahme soll nur für den Fall gelten, dass „die Interessen der anderen Partei“ durch die Aufrechnung nicht beeinträchtigt werden. Art. 13:102 Abs. 2 GEV stellt die Vermutungsregel auf, dass die Interessen der anderen Partei dann nicht beeinträchtigt sind, wenn die Ansprüche beider Parteien auf demselben Rechtsverhältnis beruhen, mithin eine Konnexität beider Forderungen vorliegt. Dadurch wird die prozess42

von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts III, S. 720. Dieses Ergebnis der ex-nunc-Wirkung wird von der Lando-Kommission in den Erläuterungen zu den GEV folgendermaßen – überzeugend – begründet: Eine Rückwirkung der Aufrechnung auf den Zeitpunkt, in dem sich die Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüberstanden, erscheint einleuchtend für diejenigen Rechtsordnungen, in denen die Aufrechnung ohne Willensakt ipso-iure eintritt. Dort, wo die Rechtsordnung aber eine Willenserklärung über die Aufrechnung fordere, sei die Wirkung für die Zukunft die „natürlichere Regel […], die auch zu vollkommen befriedigenden Ergebnissen führt“, siehe von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts III, S. 735. A.A. El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 130. 43

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

rechtliche Ratio des Art. 13:102 GEV deutlich: Art. 13:102 GEV soll dem entscheidenden Richter ein Ermessen einräumen, eine im Prozess als Verteidigungsmittel zur Aufrechnung gebrachte, aber unbestimmte Forderung im Verfahren zu berücksichtigen oder nicht. Die Formulierung des Art. 13:102 GEV intendiert, dass eine Berücksichtigung dann naheliegend ist, wenn Aktiv- und Passivforderung demselben Rechtsverhältnis entstammen.44 Dies erscheint aus prozessökonomischen Gründen auch sinnvoll, da kein neuer Sachverhalt bzw. Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt werden muss. Mit dieser Begründung bietet sich aber auch eine teleologische Reduktion des Art. 13:102 GEV dahingehend an, dass das Liquiditätserfordernis nur für Aufrechnungen während eines Gerichtsverfahrens gilt. In Aufrechnungssituationen, in denen kein Verfahren anhängig ist, sprechen die besseren Gründe dafür, die Zulässigkeit einer Aufrechnung nicht von der Liquidität der Aktivforderung abhängig zu machen. Denn zum einen erscheint das Erfordernis der Liquidität vor allem beim ipso-iure-Konzept einer Aufrechnung sinnvoll – was mit dem Erfordernis einer Aufrechnungserklärung nach Art. 103:104 EGV erkennbar nicht der Fall ist. Zum anderen wären bei einem Liquiditätserfordernis die Aufrechnungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten sehr viel stärker beschnitten als die Aufrechnungsmöglichkeiten der Kommission. Denn die HO und die HHAB sehen gerade kein solches Erfordernis für die Aktivforderung der aufrechnenden Kommission vor. Ein Grund für eine solche Ungleichbehandlung ist aber nicht ersichtlich. f) Aufrechnungsverbote Art. 13:107 GEV nennt schließlich drei Aufrechnungsverbote, die auch dem deutschen Recht bekannt sind. So kann eine Aufrechnung nicht herbeigeführt werden, wenn sie durch Vereinbarung zwischen den Parteien ausgeschlossen ist, Pfändungsschutz hinsichtlich der Passivforderung besteht oder die Passivforderung aus einer unerlaubten Handlung resultiert. Ebenso wie im deutschen Recht sind die geschriebenen unionsrechtlichen Aufrechnungsverbote nicht von größerer Bedeutung für die Frage, welche Konstellationen einer unionsrechtlichen Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern ausnahmsweise entgegenstehen können.

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene als vollstreckungsrechtliches Problem Wie schon bei der Untersuchung der Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern nach deutschem Recht ist vor der Untersuchung möglicher ungeschriebener unionsrechtlicher Aufrechnungseinschränkungen zwischen Hoheitsträgern ein Vergleich der unionsrechtlichen Aufrechnung mit dem unionsrechtlichen Vollstreckungsregime anzustellen. Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit eine Vollstreckung von 44

von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts III, S. 725 f.

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

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Unionsrecht gegenüber Staaten zulässig ist und ob eine unionsrechtliche Aufrechnung der unionsrechtlichen Vollstreckung gleichzusetzen ist.

I. Keine Vollstreckung von Forderungen der Europäischen Union gegenüber Mitgliedstaaten Dabei zeigt sich, dass das Unionsrecht eine Vollstreckung gegenüber Mitgliedstaaten nicht vorsieht. Anders als im deutschen Recht, nach dem eine Vollstreckung von Geldforderungen gegen Hoheitsträger nur im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung und nur unmittelbar gegenüber Bund und Ländern (nicht aber gegenüber der mittelbaren Staatsverwaltung sowie im Nachgang eines gerichtlichen Erkenntnisverfahrens) ausgeschlossen ist,45 braucht es im Unionsrecht stets ein kooperatives, mitgliedstaatliches Element. Gegen den Willen eines Mitgliedstaats bzw. ohne sein aktives, letztlich nicht zwangsweise durchsetzbares Handeln ist die Erfüllung eines Anspruchs der Europäischen Union nicht durchsetzbar. 1. Vollstreckung von Rechtsakten der Union Dies gilt zum einen für Rechtsakte46 des Rates, der Kommission oder der Europäischen Zentralbank (EZB), die eine Zahlung auferlegen. Zwar sind diese Rechtsakte gem. Art. 299 UAbs. 1 HS. 1 AEUV vollstreckbare Titel. Dies gilt aber nach Art. 299 UAbs. 1 HS. 2 AEUV nicht gegenüber Staaten. Unionsrechtsakte, die von den Mitgliedstaaten eine Zahlung an die EU verlangen, können somit ausdrücklich nicht zwangsweise durchgesetzt werden.47 Die Vorschrift ist Ausdruck des Respekts vor der mitgliedstaatlichen Souveränität.48 Sie spiegelt den gegenwärtigen Entwicklungs- und Integrationsstand der Europäischen Union wider und nimmt Rücksicht auf die Tatsache, dass auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon noch immer nicht von der Europäischen Union als einem Bundesstaat gesprochen werden kann. Es überrascht deshalb nicht, dass die Zwangsvollstreckung als eindrucksvolle Manifestation staatlichen Gewaltmonopols nicht in den Kompetenz45

Vgl. hierzu 3. Teil A. II. 4. Vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon war nur eine Vollstreckung von „Entscheidungen“ i.S.v. Art. 249 EGV (jetzt „Beschlüsse“, Art. 288 AEUV) möglich. Neben Beschlüssen sind vom Wortlaut jetzt auch Verordnungen, Richtlinien, Empfehlungen und Stellungnahmen umfasst, vgl. Art. 288 AEUV. Allerdings ist kaum vorstellbar, inwiefern finanzielle Ansprüche in Richtlinien, Empfehlungen oder Stellungnahmen enthalten sein können. 47 Andere Akte, wie etwa eine bloße Rechnungsstellung i.R.d. Haushaltsvollzugs sind als solche keine vollstreckbaren Titel. Sie können u. U. zu einer vollstreckbaren Entscheidung der Kommission „formalisiert“ werden. Dies ist jedoch nur möglich „gegenüber anderen Schuldnern als Mitgliedstaaten“, Art. 79 Abs. 2 HO. 48 Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 299 AEUV Rn. 8; Krajewski/Rösslein, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 256 EGV, Rn. 7; Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, Art 256 EGV, Rn. 7. 46

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

bereich der Europäischen Union gegenüber ihren Mitgliedstaaten fällt. Die fehlende Zwangsvollstreckungsbefugnis der Europäischen Union zeigt sich im Übrigen nicht nur bei ihren Ansprüchen gegenüber Mitgliedstaaten, sondern auch bei solchen gegenüber Individuen. Zwar sind auf Zahlung lautende Rechtsakte von Rat, Kommission und Europäischer Zentralbank vollstreckbare Titel. Die Zwangsvollstreckung an sich richtet sich allerdings nach den Vorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet sie stattfindet, Art. 299 UAbs. 2 S. 1 AEUV. Sie wird auch nicht von Organen der EU, sondern von den zuständigen mitgliedstaatlichen Vollstreckungsorganen ausgeführt.49 2. Vollstreckung von Entscheidungen des EuGH gegenüber Mitgliedstaaten? Neben den Rechtsakten von Rat, Kommission und EZB sind außerdem die Urteile50 des EuGH „gemäß Artikel 299“ vollstreckbar, Art. 280 AEUV. In diesem Zusammenhang ist umstritten, ob der Verweis auf Art. 299 AEUV auch die Exklusion der Mitgliedstaaten aus dem Kreis der Vollstreckungsschuldner nach Art. 299 Abs. 1 AEUV mitumfasst, ob also eine Vollstreckung von gegen Mitgliedstaaten gerichteten Entscheidungen ausgeschlossen ist.51 Virulent wird diese Frage insbesondere bei Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 260 Abs. 2 AEUV. Nach dieser Norm kann der EuGH einen Mitgliedstaat zur Zahlung eines Zwangsgeldes oder eines Pauschalbetrags durch Vertragsverletzungsurteil verpflichten, wenn dieser in einem vorhergehenden Vertragsverletzungsverfahren verurteilt

49

Umfassend zur Verteilung der Zuständigkeiten zwischen EU und Mitgliedstaaten beim Vollzug des Unionsrechts Suerbaum, Die Kompetenzverteilung beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts in Deutschland, S. 92 ff., 96 ff. 50 Der Begriff des „Urteils“ ist untechnisch zu verstehen. Die Norm gilt für alle Entscheidungen des EuGH mit vollstreckungsfähigem Inhalt, vgl. Geiger/Khan/Kotzur, EUV/ AEUV, Art. 280 AEUV Rn. 1, Heidig, Die Verhängung von Zwangsgeldern und Pauschalbeträgen gegen die Mitgliedstaaten der EG, S. 180 m.w.N. 51 Für eine Vollstreckung von Entscheidungen des EuGH gegenüber Mitgliedstaaten Thies, Europäisches Prozessrecht, § 5 Rn. 63; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 244 EGV Rn. 2, 6; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, EU-Recht, Art. 280 AEUV Rn. 2, 7; Stoll, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 244 EGV, Rn. 1, 5; Wegener, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 280 AEUV Rn. 1; Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 280 AEUV Rn. 3, 6; El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 82; Middeke/ Szczekalla, JZ 1993, 284 (288 f.); Spannowsky, JZ 1994, 326 (331); wohl auch Cornils, Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch, S. 163 ff. Dagegen Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 9 Rn. 35; Heidig, Die Verhängung von Zwangsgeldern und Pauschalbeträgen gegen die Mitgliedstaaten der EG, S. 180 ff.; Träbert, Sanktionen der EU, S. 203 ff.; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 318; Schwarze in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 280 AEUV Rn. 2; Schweitzer, in: FS Rengeling, S. 437 (442 ff.); Wägenbaur, in: FS Everling, Band II, S. 1611 (1621); Härtel, EuR 2001, 617 (620 ff.).

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

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worden ist und seinen aus der Entscheidung stammenden Verpflichtungen nicht nachgekommen ist.52 a) Keine Vollstreckung der Entscheidung Im Ergebnis sprechen die überzeugenderen Argumente dafür, eine Vollstreckung von Entscheidungen des EuGH gegenüber den Mitgliedstaaten abzulehnen. Zum einen kennt der Wortlaut des Art. 280 AEUV keine Begrenzung der Verweisung. Zum anderen gebietet die Ratio der Verweisungsnorm auch keine Ausnahme von der Vollstreckungsimmunität.53 Das Vollstreckungsverbot gegenüber Mitgliedstaaten ist Ausdruck des Respekts vor ihrer Souveränität und ihrer Stellung als Herren der Verträge. Die EU hat keine Staats- oder Bundesstaatsqualität. Sie ist auch noch im Jahre 2017 eine „Staatengemeinschaft, die sich im Prozess fortschreitender Integration befindet und damit maßgeblich auf die freiwillige Befolgung ihrer getroffenen Vereinbarungen angewiesen ist“.54 Die Vollstreckung markiert – immer noch – „die Grenze der Integrationsbereitschaft der Mitgliedstaaten“55. Das Unionsrecht geht vielmehr von der grundsätzlichen Bereitschaft der Mitgliedstaaten aus, das Unionsrecht aus freien Stücken zu befolgen.56 Sie ist eine wesentliche Funktionsvoraussetzung der EU. Mangelnder Rechtsbefolgungswille trifft die EU, die sich auch und vor allem als Rechtsgemeinschaft versteht, an ihrer empfindlichsten Stelle.57 Ohne eine grundsätzliche, durch rechtmäßiges und wohlwollendes Handeln gekennzeichnete Unterstützung durch die Mitgliedstaaten ist die Union „nicht lebensfähig“58. Zwar erweist sich die Vorstellung, dass die Mitgliedstaaten ihre unionsrechtlichen Verpflichtungen stets umfänglich beachten, nur allzu oft als „wishful thinking“59. Bereits die Einführung des auf die Verhängung von Zwangsgeld und Pauschalbetrag ausgelegten Sanktionsverfahrens nach Art. 260 AEUV sowie dessen 52 Umfassend hierzu Heidig, Die Verhängung von Zwangsgeldern und Pauschalbeträgen gegen die Mitgliedstaaten der EG. Das Sanktionsverfahren ist durch den Vertrag von Lissabon noch einmal verschärft worden: Nach Art. 260 Abs. 3 AEUV kann die Kommission jetzt bereits im ersten Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung einer Richtlinie die Verhängung eines Zwangsgeldes oder eines Pauschalbetrages gegen den Mitgliedstaat beantragen. Vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon musste stets ein zweites Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 260 Abs. 2 AEUV angestrengt werden, das die Nichtbeachtung der Entscheidung des EuGH aus dem ersten Vertragsverletzungsurteil zum Gegenstand hatte und entsprechend sanktionierte. 53 Schweitzer, in: FS Rengeling, S.437 (443). 54 Middeke/Szczekalla, JZ 1993, 284 (288). 55 Bünten, Staatsgewalt und Gemeinschaftshoheit bei der innerstaatlichen Durchführung des Rechts der Europäischen Gemeinschaften durch die Mitgliedstaaten, S. 199. 56 Heidig, Die Verhängung von Zwangsgeldern und Pauschalbeträgen gegen die Mitgliedstaaten der EG, S. 182. 57 Oppermann/Classen/Nettesheim, § 13 Rn. 57. 58 Schniewind, Vollstreckung und Vollstreckungsrechtsbehelfe im Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 42. 59 Wägenbaur, FS Everling, S. 1611 (1621).

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

nochmalige Verschärfung durch den Vertrag von Lissabon in Art. 260 Abs. 3 AEUV sind nichts anderes als Reaktionen auf die seit den 1980er Jahren zunehmende Realität der Nichtbefolgung von Entscheidungen des EuGH durch die Mitgliedstaaten. Dennoch hätte ein derartiger Eingriff in die mitgliedstaatliche Souveränität wie die Zwangsvollstreckung von Unionsrecht gegenüber Mitgliedstaaten eindeutig und ausdrücklich in den Verträgen angeordnet werden müssen. Dies gilt umso mehr, als dass den Rechtsordnungen einiger Mitgliedstaaten eine Zwangsvollstreckung gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts völlig unbekannt ist.60 Die fehlende Vollstreckbarkeit von Urteilen des EuGH gegenüber Mitgliedstaaten macht das Sanktionsverfahren auch nicht zwangsläufig ineffektiv und zu einem „Rechtsschutz zweiter Klasse“61. Vielmehr erhöht ein zweites Verfahren psychologisch den Druck auf den Mitgliedstaat, den Vorgaben des ersten Vertragsverletzungsurteils Folge zu leisten. Dies gilt umso mehr, wenn nicht nur erneut die Verletzung festgestellt wird, sondern der Mitgliedstaat auch finanzielle Nachteile in Form von Zwangsgeld und Pauschalbetrag befürchten muss. b) Keine Vollstreckung durch Unionsrecht bzw. Unionsorgane Die eingangs erwähnte Feststellung, dass eine Vollstreckung von Unionsrecht nicht gegen den Willen bzw. das Zutun eines Mitgliedstaats möglich ist, ergibt sich im Übrigen noch aus einem anderen Grund. Selbst wenn man der vollstreckungsfreundlichen Ansicht folgte, nach der Urteile des EuGH auch gegenüber Mitgliedstaaten vollstreckbar sind, ist die EU auf die Kooperation des Mitgliedstaats angewiesen. So richtet sich das Vollstreckungsverfahren gem. Art. 299 Abs. 2 bis 4 AEUV nach den Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Vollstreckung stattfindet. Die Vollstreckung erfolgt nach dem Vollstreckungsrecht und durch die Vollstreckungsorgane des jeweiligen Mitgliedstaats. Ein verurteilter Mitgliedstaat müsste im Falle der Zustellung der Entscheidung des EuGH diese gegenüber sich selbst vollstrecken. Ein solches Verfahren macht die Vollstreckung von Unionsrecht zu einem stumpfen Schwert,62 das allerdings von den Mitgliedstaaten so gewollt ist. Zwar ist, auf Deutschland bezogen, die Prüfungskompetenz des Bundesministers der Justiz auf die Feststellung der Echtheit63 des Titels beschränkt. Inhaltliche Überprüfungen, insbesondere solche im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung, sind dem Bundesminister verwehrt. Dennoch müsste in einem solchen Fall die Exekutive eines Mitgliedstaats, die der Verpflichtung aus der Entscheidung nicht 60 So bereits Schniewind, Vollstreckung und Vollstreckungsrechtsbehelfe im Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 41; Heidig, Die Verhängung von Zwangsgeldern und Pauschalbeträgen gegen die Mitgliedstaaten der EG, S. 182 Fn. 792 mit Verweis auf das Recht Frankreichs und Luxemburgs und weiteren Nachweisen. 61 Middeke/Szczekalla, JZ 1993, 284 (288). 62 So auch Middeke/Szczekalla, JZ 1993, 284 (289). 63 Zum Umfang der Echtheitsprüfung siehe El-Shabassy, Die Durchsetzung finanzieller Sanktionen der Europäischen Gemeinschaft gegen ihre Mitgliedstaaten, S. 84 m.w.N.

B. Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

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freiwillig nachgekommen ist, die Vollstreckung nun gegen sich selbst betreiben. Es liegt auf der Hand, dass Rechtsverwirklichung so nicht garantiert werden kann. Die Durchsetzung des Unionsrechts bleibt somit stets von der kooperativen Mitwirkung der Mitgliedstaaten abhängig. Zwar sind diese gem. Art. 4 Abs. 3 AEUV zur loyalen Zusammenarbeit und damit auch zur Durchführung einer Vollstreckung gegen sich selbst verpflichtet. Diese Verpflichtung kann in letzter Konsequenz aber nicht durchgesetzt werden. Es bleibt letztlich vom Willen des Mitgliedstaats abhängig, ob er die finanzielle Forderung der EU erfüllt oder nicht. 3. Die unionsrechtlichen Vollstreckungsmöglichkeiten im Vergleich Die unionsrechtlichen Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung gegenüber Hoheitsträger bleiben damit hinter den Möglichkeiten nach deutschem Recht zurück. Während eine Vollstreckung von Geldforderungen gegenüber Hoheitsträger im europäischen Mehrebenensystem ausgeschlossen ist, bleibt die Vollstreckung von Geldforderungen nach einem zivil- oder verwaltungsprozessualen Gerichtsverfahren im deutschen Mehrebenensystem zulässig. Hier bleibt sogar eine Vollstreckung von Geldforderungen gegen Träger der mittelbaren Verwaltung ohne Gerichtsverfahren im Wege der Beitreibung möglich. Die Vollstreckungsmöglichkeiten im europäischen Mehrebenensystem bleiben aber nicht nur hinter dem nach deutschem Recht, sondern auch hinter dem nach Völkerrecht Zulässigen zurück. Denn nach mittlerweile überwiegender Lehrmeinung und Gerichtspraxis64 gilt die Staatenimmunität nur bei hoheitlichen, nicht bei kommerziellen Handlungen.65 Diese Relativierung bezieht sich nicht nur auf das gerichtliche Erkenntnis-, sondern auch auf das nachfolgende Vollstreckungsverfahren. Eine Vollstreckung von Geldforderungen ist nur ausgeschlossen, soweit sie in hoheitlichen Bestimmungszwecken dienende Gegenstände erfolgt. Dient das Vollstreckungsobjekt hingegen kommerziellen Zwecken, ist das gerichtliche Vollstreckungsverfahren zulässig.

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Zu „richterlichen Entscheidungen und […] Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen“ als völkerrechtliche Rechtsquelle i.S.v. Art 38 Abs. 1 lit. d IGHStatut vgl. Ipsen, Völkerrecht, S. 508 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 623 f. 65 BVerfGE 46, 342 (388 ff.); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1168 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 13; Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 280 ff.; Schreuer, ÖJZ 1991, 41 (45 f.).

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

II. Keine Gleichsetzung von Aufrechnung und Vollstreckung Aus der Erkenntnis, dass unionsrechtlich nicht gegenüber Mitgliedstaaten vollstreckt werden darf, folgt aber nicht, dass gegenüber Mitgliedstaaten nicht aufgerechnet werden darf. Die unionsrechtliche Aufrechnung ist nicht mit der unionsrechtlichen Vollstreckung gleichzusetzen und auch nicht substantiell vergleichbar. Die Entscheidung des unionalen Normgebers, eine Vollstreckung gegenüber Mitgliedstaaten nicht zuzulassen, kann deshalb nicht auf die Aufrechnung übertragen werden. Die unionsrechtliche Aufrechnung gegenüber Mitgliedstaaten ist keine Umgehung des unionsrechtlichen Vollstreckungsverbots gegen Mitgliedstaaten und deshalb auch unionsrechtlich im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern grundsätzlich zulässig.66 Dies folgt aus Erwägungen, die denen der Nichtgleichsetzung der Aufrechnung und der Vollstreckung im nationalen Recht vergleichbar sind.67 Eine Übertragung der Argumentation bietet sich an, denn einerseits sind unionsrechtliche Aufrechnung und Aufrechnung nach deutschen Recht hinsichtlich Strukturen und Voraussetzungen weitgehend vergleichbar. Die Beschreibung der Aufrechnung als „Selbstexekution“68 bzw. „Vollstreckung des kleinen Mannes“69 gilt auch für die unionsrechtliche Aufrechnung.70 Andererseits deckt sich der Begriff der unionsrechtlichen Vollstreckung mit dem Vollstreckungsbegriff des deutschen Rechts: In beiden Fällen definiert sich die Vollstreckung als Durchsetzung des materiellen Rechts durch staatlich ausgeübte Zwangsmittel.71 Eine Gleichstellung von Vollstreckung und Aufrechnung im Unionsrecht scheitert insbesondere an der fehlenden staatlichen Zwangsgewalt. Zwar leistet der Aufrechnungsgegner im Zweifel ohne sein Wollen. Er leistet jedoch nicht aufgrund staatlicher Zwangs- und Machtmittel. Dieses Merkmal der Vollstreckung ist, als Vollstreckungsmonopol, jedoch konstitutiv für die Vollstreckung als Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols.72 Die Aufrechnung ist aber auch im Unionsrecht kein exklusives, der staatlichen Ebene vorbehaltenes hoheitliches Instrument der Rechtsdurchsetzung. Sie steht im Ge66 Wie hier auch Kemper, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 126 AEUV Rn. 40; Blumenwitz/ Schöbener, Stabilitätspakt, S. 39 ff.; Karpenstein, EuZW 2000, 537 (538); El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen, S. 88 f.; Huck/Klieve, EuR 2006, 413 (421 f.). A.A. Häde, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 104 EGV Rn. 75 (3. Auflage); Härtel, EuZW 2001, 617 (622). Auch Träbert, Sanktionen der EU, S. 206 ff., die allerdings Aufrechnungs- mit Zurückbehaltungsfragen vermengt. 67 Vgl. hierzu 3. Teil A III. 68 Bötticher in: FS Schima, S. 95 (97). 69 Waldhoff, Der Verwaltungszwang, S. 917. 70 Die grundsätzlichen Funktionen der Aufrechnung (wie etwa die Sicherungs- und Verrechnungsfunktion oder Funktion als Erfüllungssurrogat) sind nicht nur im deutschen und im Unionsrecht identisch, sondern gelten ebenso im Recht der anderen Mitgliedstaaten, ElShabassy, Die Durchsetzung finanzieller Sanktionen der Europäischen Gemeinschaften gegen ihre Mitgliedstaaten, S. 87 m.w.N. 71 Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze, EU/EG, Art. 256 EG Rn. 3 (6. Auflage). 72 Vgl. hierzu 3. Teil A. I. 2.

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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genteil allen Rechtssubjekten, auch gegenüber dem Staat als Hoheitsträger, zur Verfügung. Die Aufrechnung weist auch nicht den für eine Vollstreckung sonst üblichen Zwangscharakter auf. Merkmal des zwangsvollstreckungsrechtlichen Werkzeugkastens ist, dass der entgegenstehende Wille des Schuldners notfalls mit Gewalt gebrochen wird. Diese elementare Grenze, die zu den typischen Merkmalen eines Vollstreckungsregimes gehört, wird bei der Forderungsdurchsetzung durch Aufrechnung nicht überschritten. Gerade dieses Merkmal macht aber die Besonderheit der Vollstreckung aus, rechtfertigt die hohe Regelungsdichte des Vollstreckungsrechts und begründet Schutzvorschriften für den Vollstreckungsschuldner. Sie erklärt auch die Exklusion bestimmter Schuldner wie etwa die Mitgliedstaaten in Art. 299 Abs. 1 AEUV, deren Unversehrtheit bzw. Unantastbarkeit geschützt und respektiert wird.

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen Da es für die unionsrechtliche Aufrechnung durch die Kommission eine Rechtsgrundlage gibt bzw. diese als Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts Geltung beansprucht und diese auch nicht mit einer (unzulässigen) Vollstreckung gegenüber Mitgliedstaaten vergleichbar ist, steht ihrer Anwendung durch die Organe der EU, die Mitgliedstaaten und sonstiger Rechtssubjekte grundsätzlich nichts entgegen. Im Hinblick auf Aufrechnungseinschränkungen enthalten zwar weder Primär- noch Sekundärrecht ausdrückliche Vorschriften. Ebenso wie im deutschen Recht sind jedoch Konstellationen denkbar, in denen eine Aufrechnung zwischen den Hoheitsträgern EU und Mitgliedstaaten ausnahmsweise unzulässig bzw. nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein kann. Diese Konstellationen sind Gegenstand der nachfolgenden, die Arbeit abschließende Untersuchung über ungeschriebene Aufrechnungseinschränkungen im Unionsrecht.

I. Allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts Zunächst kann für die Bestimmung von Aufrechnungsverboten an die Erkenntnisse der Lando-Kommission angeknüpft werden.73 Danach kann gem. Art. 13:107 GEV eine Aufrechnung nicht herbeigeführt werden, wenn sie durch Vereinbarung ausgeschlossen ist oder wenn gegen eine pfändungsfreie Forderung oder einen deliktsrechtlichen Anspruch aufgerechnet wird. Damit finden sich die in §§ 393 f. BGB geregelten Aufrechnungsverbote auch auf Ebene der EU wieder.74 Die Ergebnisse sind aber in erster Linie für den Privatrechtsverkehr von Relevanz. 73

Vgl. hierzu die Ausführungen bei 4. Teil A. II. 2. Vgl. von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts III, S. 736 f. mit umfangreichen rechtsvergleichenden Hinweisen. 74

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

Eine besondere Bedeutung für die Prüfung der vorliegenden Frage nach der unionsrechtlichen Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern drängt sich indes nicht auf. So sind zwischen EU und Mitgliedstaaten zwar vertraglich vereinbarte Aufrechnungsverbote bzw. -einschränkungen zumindest denkbar.75 Dies ist bei Forderungen zwischen Staaten aus unerlaubter Handlung nur noch schwer, bei aus Gründen der Existenzsicherung pfändungsfreien Forderungen gar nicht mehr möglich.

II. Grundsatz der Unionstreue Anknüpfungspunkte für Aufrechnungseinschränkungen können sich auch aus dem Grundsatz der Unionstreue ergeben. Auch wenn die Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon aufgrund Art. 47 EUV mittlerweile ausdrücklich Rechtspersönlichkeit besitzt, so erfüllt sie (noch) nicht die Merkmale eines Staates. Die Union hat nur eine begrenzte Einzelermächtigung zum Handeln, keine umfassende Kompetenz-Kompetenz. Es fehlt ihr an umfassender Gebiets- und Personalhoheit.76 Trotz dieser fehlenden Bundesstaatsqualität kennt die Rechtsordnung der EU aber mit dem Prinzip der Unionstreue77 eine föderative, solidarische Treueklausel, wie sie vergleichbar auch im bundesdeutschen Verfassungsrecht existiert.78 Ein solches flexibles Konfliktlösungsprinzip erscheint auch auf Ebene der EU sinnvoll und erforderlich. Denn ähnlich einem Bundesstaat ist auch die EU ein Mehrebenensystem79, in dem die Hoheitsgewalt zwischen verschiedenen Hoheits-

75

Dies gilt umso mehr, als dass ein (einseitiger) Aufrechnungsverzicht auch durch konkludentes Verhalten einer Partei möglich ist, vgl. El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der Gemeinschaft, S. 143. 76 Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die EU als einen „Staatenverbund“, eine „enge, auf Dauer angelegte Verbindung souverän bleibender Staaten, die auf völkerrechtlicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt und in der die Völker – das heißt die staatsangehörigen Bürger – der Mitgliedstaaten die Subjekte demokratischer Legitimation bleiben“, BVerfGE 123, 267 (Leitsatz 1). Vgl. hierzu auch Heintschel von Heinegg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht, § 1 Rn. 3; Herdegen, Europarecht, § 5 Rn. 16 f.; Geiger/Khan/ Kotzur, EUV/AEUV, Art. 1 Rn 5; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 Rn 27 ff. m.w.N. 77 Vgl. im Hinblick auf abweichende Terminologie Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 29 ff. m.w.N. Der EuGH spricht soweit ersichtlich nicht von Gemeinschaftsoder Unionstreue, sondern vom „Grundsatz loyaler Zusammenarbeit“ (EuGH, verb. Rs. C-36/ 97 und C-37/97 (Kellinghusen und Kettelsen), Slg. 1998-I, 6337, Rn. 30), oder von „Verpflichtung zur (loyalen) Zusammenarbeit“ (EuGH, Rs. C-264/96 (ICI), Slg. 1998, I-4695 Rn. 31). 78 Zum bundesdeutschen Grundsatz der Bundestreue siehe 3. Teil B. I. 3. Zum Gedanken der Solidarität im Recht der EU vgl. Egli, Bundestreue, S. 469 f. m.w.N. 79 Zum Begriff des Mehrebenensystems vgl. Marauhn, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 7 Rn. 2 m.w.N.

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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trägern aufgeteilt ist.80 Auch hier ist eine lückenlose Regelung aller denkbaren Konflikte zwischen den verschiedenen Ebenen rechtstechnisch nicht erfüllbar. Wie der bundesdeutsche Grundsatz der Bundestreue geht aber auch der Grundsatz der Unionstreue in seiner Bedeutung und Funktion über das bloße formale Abgrenzen von Kompetenzen hinaus. Der Grundsatz der Unionstreue fordert von den EU-Organen und den Mitgliedstaaten als den relevanten Akteuren des europäischen Mehrebenensystems, dass bei der Ausübung bestehender Kompetenzen auch die Interessen der anderen Ebene berücksichtigt werden. Gegebenenfalls dürfen die bestehenden Kompetenzen nicht ausgeübt werden, sondern es muss auf die eigenen Ziele verzichtet werden.81 Demnach kann sich eine Aufrechnung grundsätzlich als unzulässig erweisen, selbst wenn sie durch Art. 80 Abs. 1 S. 2 HO zulässig ist. Normenhierarchisch setzt sich der Grundsatz der Bundestreue gegenüber dem Sekundärrecht durch.82 Im Unterschied zur deutschen Rechtsordnung ist der Grundsatz der Unionstreue in der Unionsrechtsordnung auch normativ verankert. Nach Art. 4 Abs. 3 EUV „achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben [nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit]“. Der Gehalt des Grundsatzes der Unionstreue wird aber nicht ausschließlich anhand einer Auslegung des Art. 4 Abs. 3 EUV gewonnen. Die Norm ist vielmehr nur lex generalis des auf Loyalität und Solidarität basierenden Grundsatzes der Unionstreue. Erst zusammen mit den zahlreichen anderen im Recht der EU vorhandenen Normen, die explizit zu gegenseitiger Rücksichtnahme, Beistand und Zusammenarbeit verpflichten,83 ergibt sich „aus dem Insgesamt“ des Unionsrechts die Bedeutung und der Inhalt der unionalen Treueverpflichtung.84 Die Positivierung unterstreicht aber, dass die Unionstreue, ebenso wie die Bundestreue, nicht bloß ein politischer Programmsatz, sondern eine rechtsverbindliche Konfliktlösungsnorm ist, die der Justiziabilität durch den EuGH unterliegt.85 Darüber hinaus finden sich an vielen Stellen des Unionsrechts Regelungen, die auf ein solidarisches und rücksichtsvolles Verhalten von Unionsorganen und Mitgliedstaaten 80 Dies ist nach Unruh, EuR 2002, 41 (57) der normative Geltungsgrund eines jeden föderativen Treuegedankens. Vgl. auch Egli, Bundestreue, S. 533 ff., 544. Zur Aufteilung der Hoheitsgewalt vgl. Zuleeg, NJW 2000, 2846 (2847 f.) m.w.N. 81 Marauhn, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 7 Rn. 15. Zu Pflichten, die aus diesem Rücksichtnahmegebot folgen können, vgl. 4. Teil C. II. 4. a). 82 Marauhn, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 7 Rn. 19. 83 Dies sind etwa Art.19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV, 24 Abs. 3 EUV, Art. 32 EUV oder Art. 117 AEUV. Weitere (auch sekundärrechtliche) Beispiele bei Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 Rn. 47. 84 Wille, Pflicht der EG-Organe zur loyalen Zusammenarbeit, S. 82; Egli, Bundestreue, S. 545; Marauhn, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 7 Rn. 8. In diesem „Insgesamt“, also der strukturellen Verfasstheit der Union, liegt nach h.M. auch der Geltungsgrund der Unionstreue, vgl. hierzu Egli, Bundestreue, Seite 536 ff. 85 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 42; Marauhn, in: Schule/Zueleeg/Kadelbach, Europarecht, § 7 Rn. 16; Egli, Bundestreue, S. 555 m.w.N.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

Bezug nehmen. Die Unionstreue ist deshalb keine bloße Kopie der Bundestreue, sondern ein eigenständiger Grundsatz, der seinen Geltungsgrund in der strukturellen Verfasstheit der EU selbst hat.86 1. Historische Entwicklung des Grundsatzes der Unionstreue Bereits vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Jahre 2009 war der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Art. 10 EG enthalten. Die Vorgängervorschrift unterscheidet sich materiell nicht wesentlich von Art. 4 Abs. 3 EUV. Es handelt sich vielmehr um klarstellende Kodifikationen. Neu in den Wortlaut aufgenommen wurde zum einen die Wechselbezüglichkeit der Treuepflicht. Art. 10 EG enthielt nur eine ausdrückliche Treueverpflichtung der Mitgliedstaaten, nicht auch der EU- bzw. EG-Organe. Zum anderen gilt die Treuepflicht durch Verankerung im EUV unmissverständlich für den gesamten Bereich des Unionsrechts. Die Vorgängervorschrift, die nicht im Bereich des EU-Vertrags, sondern im EG-Vertrag verankert war, ließ dies nicht eindeutig erkennen. Trotz fehlender Kodifikation entsprach die Wechselbezüglichkeit und die Ausdehnung auf das Unionsrecht ständiger Rechtsprechung des EuGH.87 2. Bedeutung des Grundsatzes der Unionstreue Der Unionstreue kommt im Mehrebenensystem der EU ähnliche Bedeutung zu wie der Bundestreue im Mehrebenensystem der Bundesrepublik. Sie wird vielfach als „grundlegendes Strukturprinzip“ und „Geschäftsordnung“88 der EU beschrieben, dessen Beachtung für das Funktionieren der Union „schlechterdings fundamental“89 sei und dessen Verletzung diese „bis in ihre Grundfesten“90 erschüttern kann. Durch die Unionstreue sollen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten Rücksichtnahme und gegenseitige Abstimmung gefördert und Konflikte vermieden werden. Sie dient damit insgesamt dem „rechtlichen Zusammenhalt“91 von EU und Mitgliedstaaten. Die Unionstreue erfüllt damit eine Funktion ähnlich der Bundestreue im deutschen Verfassungsrecht. Wie im Folgenden zu zeigen sein, bestehen auch zahlreiche dogmatisch-inhaltliche Übereinstimmungen zwischen der Unionstreue und der Bundestreue. Die Unionstreue wird deshalb auch als Gegenstück zur Bundestreue im 86

Vgl. hierzu Lück, Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip, S. 162. EuGH, Rs. C-2/88 (Zwartveld) Slg. 1990, I-3365; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 4 EUV, Rn. 25; von Bogdandy/Schill, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der europäischen Union, EU-Kommentar, Art. 4 EUV, Rn. 48 m.w.N. 88 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 23. Vgl. auch Unruh, EuR 2002, 42 (60 f.). 89 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 34. 90 EuGH, Rs. 39/72 (Kommission/Italien), Slg. 1973, S. 101, Rn. 25. 91 Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der EU, S. 45. 87

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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Unionsrecht angesehen. Die Diskussionen um sie entwickelten sich häufig derart parallel zu deutschen verfassungsrechtlichen Diskussionen um die Bundestreue, dass die Bundestreue von manchen als „Pate“92 der Unionstreue angesehen wird.93 Dennoch verbietet sich die pauschale, analoge Übertragung aller zur Bundestreue gefundenen Erkenntnisse. Es ist vielmehr im Einzelfall zu überprüfen, ob der in Frage stehende Aspekt der Bundestreue auch Geltung in einem föderalen Gebilde beanspruchen kann, das eben gerade keine Staatsqualität aufweist. Diese Tatsache vermag im Einzelfall einer inhaltlichen Gleichsetzung von Unionstreue und Bundestreue entgegen zu stehen.94 Im Ergebnis dürfte aufgrund der fehlenden Staatlichkeit der EU der Grundsatz der Unionstreue die Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten als „Gliedstaaten“ stärker betonen als der Grundsatz der Bundestreue die Eigenständigkeit der Bundesländer.95 3. Anwendbarkeit und Adressaten der Unionstreue Die Unionstreue gilt sachlich umfassend in sämtlichen Politikbereichen der EU.96 Sie findet subjektiv in dreierlei Hinsicht Anwendung: Auf Seiten der EU gegenüber ihren Mitgliedstaaten und umgekehrt sowie zwischen den Mitgliedstaaten untereinander.97 Sie hat damit ein der deutschen Bundestreue vergleichbares Anwendungsspektrum. Ebenso wie im Falle der Bundestreue bindet die Unionstreue alle drei Staatsgewalten.98 Damit hat die Verwaltung der EU und der Mitgliedstaaten in ihren Handlungen, mithin auch bei einer Entscheidung über eine Aufrechnung, die Implikationen des Grundsatzes der Unionstreue zu beachten. 92 93

105.

Zuleeg, NJW 2000, 2846 (2846). Unruh, EuR 2002, 41 (46); Constantinesco, in: Liber Amicorum Pierre Pescatore, S. 97,

94 So auch Unruh, EuR 2002, 42 (59 ff.). Vgl. auch Egli, Bundestreue, S. 533 ff.; Wille, Pflicht der EG-Organe zur loyalen Zusammenarbeit, S. 83 ff. Der Unionstreue insgesamt kritisch gegenüber wegen fehlender Bundesstaatlichkeit der EG/EU Kössinger, Durchführung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 89 ff.; Scheuner, in: FS Verdross, S. 229 (239 f.). 95 Hierauf weist zu Recht Wille, Pflicht der EG-Organe zur loyalen Zusammenarbeit, S. 86, hin. 96 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 24; Marauhn, in: Schule/Zuleeg/ Kadelbach, § 7 Rn. 25. 97 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 45; von Bogdandy/Schill, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Kommentar, Art. 4 EUV, Rn. 49; Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der EU, S. 57; Unruh, EuR 2002, 41, 62. Dass die Unionstreue auch die EU gegenüber ihren Mitgliedstaaten verpflichtet, ergibt sich jetzt auch unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV selbst. Dennoch wurde die Unionstreue (bzw. die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit) vom EuGH und der h.M. immer schon als wechselseitig anerkannt, EuGH, Rs. 230/81 (Luxemburg/Parlament), Slg. 1983, 255, Rn. 37; Rs. 44/84 (Hurd), Slg. 1986, 29, Rn. 38; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 104; Marauhn, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 7 Rn. 26. 98 Vgl. EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. C62/00 (Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325, Rn. 24.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

4. Konkretisierungen der Unionstreue Ebenso wie bei der Bundestreue lassen sich auch für die Unionstreue keine abschließenden Ausprägungen darstellen. Auch der Grundsatz der Unionstreue ist in einem Maße abstrakt, dass er einer weitergehenden Definition und insbesondere einer eindeutigen Subsumtion nur schwer zugänglich ist. Zwar spielte in vielen Entscheidungen des EuGH der Grundsatz der Unionstreue99 eine entscheidende Rolle.100 Dennoch hat der EuGH primär einzelfallorientiert und punktuell entschieden. Ein aus den Entscheidungen induktiv ableitbares Konzept der Unionstreue ist noch nicht erkennbar. Der Versuch einer Annäherung an deren Relevanz für die Beantwortung der dieser Arbeit vorliegenden Frage muss auch hier wieder entlang der vorhandenen Kasuistik erfolgen. Anhand der „dynamischen Rechtsprechung“101 des EuGH ist es möglich, verschiedene nicht ausschließliche Fallgruppen zu kategorisieren. Diese unterscheiden sich strukturell nicht wesentlich von den Fallgruppen, die sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bundestreue ableiten lassen.102 Zwar stehen die aktiven Handlungspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der Union im Vordergrund. So sind denn auch die Mehrzahl der Entscheidungen des EuGH zur Unionstreue zum Bereich der effektiven Umsetzung, Anwendung und Durchführung des Unionsrechts ergangen.103 Von Bedeutung für die Frage, ob eine unionsrechtliche Aufrechnung ausnahmsweise unzulässig sein kann, sind hingegen andere Fallgruppen. Weiterführende Erkenntnisse können sich hier insbesondere aus der Rechtsprechung des EuGH zu aus der Unionstreue abgeleiteten Verpflichtungen zur Rücksichtnahme (a)) und zur Mitwirkung und Zusammenarbeit (b)) ergeben. a) Verpflichtung zur Rücksichtnahme Zentrale Ausprägung der Unionstreue ist das Gebot der Rücksichtnahme, das den Akteuren unterschiedliche Unterlassungspflichten auferlegen kann. Der Grundsatz der Unionstreue wirkt sich hier in erster Linie als Kompetenzausübungsschranke aus, der bestehende Rechte der EU-Organe oder eines Mitgliedstaates im Einzelfall einzuschränken vermag.104 99

Der EuGH spricht anstelle von „Unionstreue“ soweit ersichtlich ausschließlich vom „Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit“. 100 Siehe die Nachweise bei Egli, Bundestreue, S. 483 ff. 101 Egli, Bundestreue, S. 483. 102 Vgl. hierzu 3. Teil B. I. 3. e). 103 Vgl. etwa die Entscheidungen EuGH, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 15; EuGH, Rs. 39/72 (Kommission/Italien), Slg. 1973, 101, Rn. 25; EuGH, Rs. 128/ 78 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg. 1979, 419, Rn. 9. Vgl. auch Lück, Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip, S. 25 ff.; Egli, Bundestreue, S. 484 ff.; Marauhn, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 7 Rn. 27. 104 Vgl. Unruh, EuR 2002, 41 (62 f.).

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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aa) Verbot des Rechtsmissbrauchs Soweit ersichtlich, hat der EuGH bislang nicht zu einem aus der Unionstreue ableitbaren Verbot des Rechtsmissbrauchs ausdrücklich Stellung genommen. Allerdings hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass eine Bindung an den Grundsatz von Treu und Glauben besteht.105 Hierauf aufbauend wird im Schrifttum ein „generelles Missbrauchs- und Umgehungsverbot“ angenommen.106 Im Ergebnis müssen sich EU-Organe und Mitgliedstaaten demnach stets fragen, ob die Erklärung einer ihnen eigentlich zustehenden Aufrechnung im Einzelfall ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich sein kann. Anhaltspunkte, wann eine rechtsmissbräuchliche unionsrechtliche Aufrechnung zwischen der EU und einem Mitgliedstaat bzw. zwischen den Mitgliedstaaten untereinander vorliegt, sollen im nächsten Kapitel erörtert werden.107 bb) Gebot der schonenden Kompetenzausübung Aus dem Gebot der Rücksichtnahme als einer zentralen Ausprägung der Unionstreue folgt zudem die Verpflichtung von EU-Organen und Mitgliedstaaten zur rücksichtsvollen Wahrnehmung ihrer Kompetenzen. Es besteht eine Verpflichtung aller Träger der öffentlichen Gewalt, ihre Kompetenzen schonend und mit Rücksicht auf die Interessen der anderen Ebene auszuüben.108 Gegebenenfalls muss aus Rücksicht auf die Belange der anderen Ebene sogar auf die Verwirklichung der eigenen, formal kompetenzgemäßen Ziele verzichtet werden.109 Diese Pflicht, die wechselseitig sowohl für die EU als auch für die Mitgliedstaaten gilt, wurde vom EuGH in erster Linie für Sachverhalte festgestellt, die die Beachtung des effet utile bei der Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung von Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten zum Gegenstand hatten.110 cc) Insbesondere: Schutz der Organ- und Finanzautonomie Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs haben die Mitgliedstaaten in Ausübung ihrer Kompetenzen außerdem die Auswirkung ihrer Handlungen auf das

105 EuGH, Rs. 192/84 (Kommission/Griechenland), Slg. 1985, 3967, Rn. 19; Egli, Bundestreue, S. 579. 106 Vgl. Egli, Bundestreue, S. 580 m.w.N. Kritisch Wille, Pflicht der EG-Organe zur loyalen Zusammenarbeit, S. 69. 107 Siehe hierzu 4. Teil D. 108 Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der EU, S. 46. 109 Marauhn, in: Schulte/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 7 Rn. 15. 110 Egli, Bundestreue, S. 577.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

ordnungsgemäße, interne Funktionieren der Unionsorgane zu beachten.111 Aus dem Grundsatz der Unionstreue folgt die Pflicht, „keine Maßnahmen zu erlassen, die den internen Funktionsablauf der Gemeinschaftsorgane behindern könnten.“112 Dies betrifft zunächst Fragen nach Arbeitsort und Arbeitsverfahren der Organe wie etwa des Europäischen Parlaments.113 Der interne Funktionsablauf kann nach Auslegung durch den EuGH aber auch dann gestört werden, wenn eine kompetenziell grundsätzlich zulässige Entscheidung eines Mitgliedstaates sich finanziell nachteilig auf den Unionshaushalts auswirkt und dieser Nachteil im Zweifel durch die anderen Mitgliedstaaten ausgeglichen werden muss.114 Hieraus lässt sich folgern, dass die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen zu unterlassen haben, die die Finanzautonomie der Union und ihr Budgetrecht beeinträchtigen.115 b) Verpflichtung zur Information und Zusammenarbeit Der EuGH hat zudem vielfach Entscheidungen getroffen, in denen nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gegenseitige Informations- und Zusammenarbeitspflichten von Mitgliedstaaten und EU-Organen im Zentrum standen. Dies betraf bislang insbesondere Fälle, in denen entweder die Umsetzung und Durchführung von Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten streitig war116 oder in denen Mitgliedstaaten eigene nationale Vorschriften in Bereichen der konkurrierenden Gesetzgebung erließen117. Hier besteht nach der Rechtsprechung des EuGH die „Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit und Unterstützung“118 für Mitgliedstaaten und EU-Organe. Der EuGH weist in seiner Rechtsprechung zudem darauf hin, dass die Verpflichtung zu Information und Zusammenarbeit wechselseitig besteht.119

111 Egli, Bundestreue, S. 501 ff. Vgl. etwa EuGH, Rs. 208/88 (Lord Bruce of Donnington), Slg. 1981, 2205; EuGH, Rs. 230/81 (Luxemburg/Parlament), Slg. 1983, 255; EuGH, Rs. 44/84 (Hurd), Slg. 1986, 29. 112 EuGH, Rs. 208/88 (Lord Bruce of Donnington), Slg. 1981, 2205, Rn. 14. 113 EuGH, Rs. 230/81 (Luxemburg/Europäisches Parlament), Slg. 1983, 255, Rn. 37. 114 EuGH, Rs. 44/84 (Hurd), Slg. 1986, 29, Rn. 42 ff. 115 Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 4 Rn. 71; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 4 EUV Rn. 73. 116 Vgl. dazu etwa EuGH, verb. Rs. 6 und 11/69 (Kommission/Frankreich), NJW 1966, 1627, Rn. 28, 31; EuGH, Rs. 94/87 (Kommission/Deutschland), Slg. 1989, 175, Rn. 9; EuGH, Rs. 52/84 (Kommission/Belgien), Slg. 1986, 89, 16; EuGH, Rs. C-382/99 (Niederlande/Kommission), Slg. 2002,I-5163, Rn. 92. Weitere umfangreiche Nachweise aus der Rechtsprechung bei Egli, Bundestreue, S. 528 f. 117 Vgl. etwa EuGH, Rs. 32/79 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg. 1980, 2403, Rn. 10; EuGH, Rs. 804/79 (Kommission/Vereinigtes Königreich), 804/79, Slg. 1981, 1045, Rn. 26 f. 118 EuGH, Rs. 44/84 (Hurd), Slg. 1986, 29, Rn. 45. 119 Vgl. hierzu insgesamt Egli, Bundestreue, S. 480 ff., 510 ff., 528 f.; Kahl, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV, Rn. 39 m.w.N.

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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c) Exkurs: Kein Einwand des tu-quoque Auch im Bereich der Unionstreue gilt nicht der Einwand des „tu-quoque“. Für die Unionstreue gilt mithin das Gleiche wir für die Bundestreue. In beiden Fällen fordert die föderative Treuepflicht objektive, nicht synallagmatische Rechtspflichten ein. Auf ein subjektives Element wie ein Verschulden oder das Verhalten des anderen Teils kann es daher nicht ankommen.120 Der EU als auch den Mitgliedstaaten ist es damit untersagt, auf die Nichterfüllung einer Forderung mit dem Zurückhalten einer eigenen Anspruchserfüllung zu reagieren.121

III. Grundsatz des effet utile Eine unionsrechtliche Aufrechnung kann sich ausnahmsweise auch dann als unzulässig erweisen, wenn sie im Einzelfall nicht mit dem Grundsatz des effet utile, d. h. mit dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts, vereinbar ist.122 Speziell im Falle von Aufrechnungserklärungen durch die Kommission mag auf den ersten Blick verwundern, dass der Grundsatz des effet utile auch gegen die Zulässigkeit einer Aufrechnung durch Unionsorgane in Stellung gebracht werden kann. Denn die Aufrechnung erscheint fast wie ein beispielhaftes Instrument des effet utile, mit dem sich – unrechtmäßig – nicht beachtete bzw. nicht erfüllte Geldforderungen der EU effektiv durchsetzen lassen. Allerdings kann sich in Einzelfällen die Forderungsdurchsetzung mittels Aufrechnung auch nachteilig auf die Durchsetzung von Unionsrecht auswirken. Dies trifft insbesondere auf die Fälle zu, in denen von der EU (teil-)finanzierte Projekte im Rahmen der Unionsfonds von den Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Infolge der fehlenden tatsächlichen Auszahlung des erforderlichen Geldbetrags durch die Kommission kann die Durchführung der gesamten Maßnahme, die gleichfalls Unionsziele verfolgt und deshalb auch Gegenstand der Anwendbarkeit des effet utile-Grundsatzes ist, gefährdet sein. Die EU (ko-)finanziert eine Vielzahl von Vorhaben in den Mitgliedstaaten, die in der Regel diesen zu Gute kommen und von ihnen durchgeführt werden. Die Vorhaben sollen zum einen den 120 So stellt der EuGH in der Verb. Rs. 52 und 55/65 (Deutschland/Kommision), Slg. 1966, 1627 (1630) fest, dass wenn die Kommission „die ihr gegenüber anderen Mitgliedstaaten obliegenden Verpflichtungen nicht erfüllt haben sollte, […] dies einen Mitgliedstaaten nicht von Verpflichtungen entbinden [kann], die ihm in Anwendung des Vertrages rechtmäßig auferlegt worden sind.“ Vgl. auch Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 53; Unruh, EuR 2002, 41 (62); Lück, Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip, S. 130; Egli, Bundestreue, S. 568 ff.; Träber, Sanktionen der Europäischen Union gegen ihre Mitgliedstaaten, S. 206 ff. 121 So auch Härtel, EuR 2001, 617 (623); El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 159 ff. 122 A.A. El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 149 ff. Zu Begriff und Bedeutung des effet utile EuGH, Rs. 8/55 (Fédéchar), Slg. 1995/1956, 297 (312); Rs. 9/70 (Leberpfennig), Slg. 1970, 825 (838); Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, 497 (517); Streinz in: FS Everling, S. 1491 ff.; Wegener, in: Calliess/Ruffert, Art. 19 EUV Rn. 15.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

Zusammenhalt unter den Mitgliedstaaten dadurch stärken, dass eine Annäherung unterschiedlicher sozialer und wirtschaftlicher Indikatoren der Mitgliedstaaten durch regionale Strukturmaßnahmen geschaffen wird. Zum anderen dienen sie der Durchführung der internen Politikbereiche der EU wie etwa der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) oder der Stärkung und Vereinheitlichung des Binnenmarktes. Zu diesem Zweck hat die EU eine Vielzahl verschiedener Strukturfonds und Aktionsprogramme aufgelegt.123 Zwar werden die Vorhaben in der Regel eigenverantwortlich durch die Mitgliedstaaten durchgeführt. Finanziert werden diese jedoch ganz oder teilweise durch Mittel aus dem EU-Haushalt. Dabei ist es üblich, dass die Vorhaben über Vorschusszahlungen von der Kommission vorfinanziert werden.124 Diese Vorschüsse fließen jeweils an die zuständige programmdurchführende Stelle der Verwaltung eines Mitgliedstaates, die die Mittel dann an die entsprechenden Endempfänger weiterleitet. Schuldet die Kommission die Zahlung eines Vorschusses zur Durchführung eines Vorhabens und rechnet sie diese Summe gegen eine ihr gegen den Mitgliedstaat zustehende Forderung auf, so wird der Vorschuss, obwohl die Kommission ihre Zahlungspflicht erfüllt hat, nicht tatsächlich bewirkt. Der Mitgliedstaat wurde zwar von seiner eigenen Zahlungspflicht befreit, er muss die Mittel zur Durchführung des Vorhabens jetzt aber aus seiner sonstigen Vermögensmasse bewirken. Es ist denkbar, dass das infolge der Aufrechnung fehlende tatsächliche Vorhandensein der Mittel dazu führt, dass der Mitgliedstaat das Vorhaben, das ein Ziel der EU verfolgt, nicht durchführen kann. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sich der Mitgliedstaat in akuten Zahlungsschwierigkeiten befindet und er nicht auf anderweitig vorhandene, eigene Mittel zur Durchführung und Finanzierung des durch die EU geförderten Vorhabens zurückgreifen kann. In einer solchen Konstellation kann der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit letztlich in beiden Richtungen zur Geltung kommen. Denn es besteht sowohl ein Interesse daran, dass die der Union zustehende Forderung eingetrieben als auch daran, dass die geförderte Maßnahme, die ein Unionsziel verfolgt, vom Mitgliedstaat durchgeführt wird. Es ist in einer solchen Konstellation Sache der Kommission zu beurteilen, welchem von beiden Unionsinteressen sie den Vorzug gibt, welches Interesse also „letztlich die größtmögliche Effektivität des [Union-]rechts zu gewährleisten vermag“.125 Die Kommission wird hierbei insbesondere die Solvenz des Mitgliedstaats in ihre Abwägungsentscheidung einbeziehen müssen. Im Rahmen ihres Abwägungsvorgangs wird sie beachten müssen, ob und inwiefern Aufrechnung und tatsächliche Auszahlung unterschiedliche (Rechts-)Wirkungen in rechtlicher und tatsächlich-wirtschaftlicher Hinsicht nach sich ziehen. Zwar unterscheidet sich eine Aufrechnung in rechtlicher Hinsicht nicht von einer tatsächlichen Auszahlung. In beiden Fällen gilt 123

Vgl. 4. Teil C. VI. 3. a) für einen Überblick über die wichtigsten EU-Fonds. Die Höhe der Vorschüsse variiert von 7 % etwa im Bereich der GAP, Art. 25 Abs. 1 Verordnung (EG) 1290/2005, bis zu 50 % etwa für Vorhaben im Bereich Transeuropäische Netze, Art. 11 Abs. 4 Verordnung (EG) 67/2010. 125 El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 150. 124

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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die Zahlung durch die Kommission als erfüllt. In beiden Fällen unterliegt der Empfänger auch rechtlich der Zweckbindung der Mittel.126 Während beim tatsächlichen Bewirken der Leistung der Empfänger die erhaltenen Mittel ausschließlich nur für den bewilligten Zweck einsetzen darf, muss er im Falle der Aufrechnung eben auf das anderweitig vorhandene Staatsvermögen zurückgreifen. Dies kann sich in wirtschaftlicher Hinsicht allerdings als schwierig herausstellen, nämlich dann, wenn ein Mitgliedstaat nicht über ausreichend eigene Mittel verfügt. Während vor einigen Jahren der Hinweis auf den wirtschaftlichen Unterschied zwischen Aufrechnung und tatsächlicher Leistung noch damit abgetan werden konnte, dass „im Falle der Mitgliedstaaten […] eine Insolvenz faktisch ausgeschlossen“127 ist, kann mit der Erfahrung der jahrelangen Staatsschuldenkrise im Euroraum inzwischen ein anderer Maßstab gelten. Es sind durchaus Situationen vorstellbar, in denen sich eine Aufrechnung als dem effet utile zuwiderlaufend und damit als unzulässig herausstellt. Dies gilt für den Fall, dass die Abwägung ergibt, dass ein möglicher Ausfall der Zahlung des Mitgliedstaates sich weniger schädlich für die Wirksamkeit des Unionsrechts herausstellt als ein Ausbleiben des – auch im Unionsinteresse – gewünschten Vorhabens. Dies ist etwa denkbar bei Mitgliedstaaten, in denen eine schwerwiegende wirtschaftliche und fiskalische Krise herrscht und in denen die betreffenden EU-Maßnahmen der Förderung des Wirtschaftswachstums dienen sollen. In diesem Zusammenhang ist die Förderung von Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck, sondern in der Regel notwendige Voraussetzung für eine Gesundung von Wirtschaft und Haushalt des Mitgliedstaats. Führt eine Aufrechnung durch das Ausbleiben der tatsächlichen Zahlung zu der Gefahr, dass der Mitgliedstaat das Vorhaben nicht finanzieren und durchführen kann, dürfte die Abwägungsentscheidung der Kommission regelmäßig auf ein Unterlassen der Aufrechnung hinauslaufen. Umgekehrt dürfte eine Aufrechnung durch die Kommission in dem Fall wahrscheinlicher sein, dass die Maßnahme bereits durchgeführt wurde und es nun nur noch um den Ersatz der dafür durch den Mitgliedstaat aufgewendeten Kosten geht. Denn die Aufrechnung kann nun nicht mehr die Durchführung der im Unionszweck liegenden Maßnahme gefährden.

IV. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Die Ausübung eines Aufrechnungsrechts durch ein Unionsorgan oder einen Mitgliedstaat kann außerdem durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt werden. Nachdem das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zunächst durch den EuGH als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts anerkannt wurde,128 ist es

126 127 128

Vgl. zur Zweckbindung etwa Art. 80 der Verordnung 1083/2006. El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 152. Vgl. die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei Kischel, EuR 2000, 380 (382).

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

inzwischen in Art. 5 Abs. 4 EUV (teil-)kodifiziert.129 Danach dürfen die „Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß“ hinausgehen, Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 EUV. Die Unionsorgane sind bei Maßnahmen der Gesetzgebung und der Verwaltung nicht nur gegenüber Privatpersonen, sondern auch gegenüber Mitgliedstaaten an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden.130 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt als „übergreifende Leitregel allen Gemeinschaftshandelns“131. Er ist als „allgemein übergreifendes Prinzip zur Begrenzung belastender gemeinschaftsrechtlicher Maßnahmen“132 nicht nur bei der Überprüfung grundrechtlich geschützter Positionen oder der Verletzung subjektiver Rechte einschlägig, sondern ist objektives Rechtsprinzip und eigenständiger Verfassungsgrundsatz.133 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip unionsrechtlicher Prägung bindet im Übrigen auch die Mitgliedstaaten, soweit durch ihre Maßnahmen unionsrechtlich geschützte Interessen berührt werden. Dies folgt aus dem über die Kodifikation in Art. 5 Abs. 4 EUV hinausgehenden Geltungsgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts.134 Der Vertragstext spricht allerdings nur von der Einhaltung der Erforderlichkeit, der aus deutscher verfassungsrechtsdogmatischer Perspektive vorletzten Stufe vor der eigentlichen Güterabwägung, der Angemessenheit.135 So wie im deutschen Recht bedeutet „Erforderlichkeit“ auch im Unionsrecht, dass das durch eine den Adressaten belastende Maßnahme verfolgte Ziel nicht durch andere gleich geeignete, mildere und die Interessen des Adressaten schonendere Maßnahmen erreicht werden kann.136 Es besteht jedoch Einigkeit, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Unionsrecht über die bloße Prüfung der Geeignetheit und der Erforderlichkeit 129 Teilweise wird im in Art. 5 Abs. 4 EUV normierten Verhältnismäßigkeitsprinzip nur ein kompetenziell ausgeformtes, d. h. nur auf das Verhältnis EU – Mitgliedstaaten beschränktes Prinzip gesehen, das anderen Strukturen und Anforderungen unterliege als etwa das bei der Überprüfung von Grundrechtseingriffen zu aktivierende Verhältnismäßigkeitsprinzip, das nicht kodifiziert sei, sondern als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts Geltung beanspruche. Da für die vorliegend Arbeit aber gerade das Verhältnismäßigkeitsprinzip in kompetenzieller Hinsicht von Interesse ist, soll an dieser Stelle nicht weiter auf eventuell bestehende Unterschiede eingegangen werden, vgl. hierzu etwa Streinz in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 5 Rn. 47 f. 130 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 45; Streinz, Europarecht, Rn. 173; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 178; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 6 EUV Rn. 17. 131 Pernice, Grundrechtsgehalte im EG-Recht, S. 234. 132 Ress, in: Kutscher/Ress/Teitgen, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, S. 5, 37 f. 133 Kischel, EuR 2000, 380, 384; Pache, NVwZ 1999, 1033 (1036). 134 Pache, NVwZ 1999, 1033 (1038). 135 Hierzu Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 308 ff.; Schlink, in: FS BVerfG II, 433 ff. Grundlegend Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht. 136 Pache, NVwZ 1999, 1033 (1036) m.w.N.

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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hinausgeht.137 So sollen die spezifischen Strukturen und Traditionen mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ebenso Beachtung finden wie die Frage, ob der Nachteil des von der Maßnahme Betroffenen noch in einem angemessenen Verhältnis zum Vorteil für das Unionsorgan bzw. die Union steht.138 So legt etwa Art. 5 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit fest, dass die Kommission bei der Vorlage von Gesetzentwürfen berücksichtigen muss, dass die „Belastung und der Verwaltungsaufwand […] so gering wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen müssen“.139 Allerdings lässt sich gleichfalls feststellen, dass die richterliche Kontrolldichte der Verhältnismäßigkeit gering ist. So wird zum einen den Unionsorganen in der Regel ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit zugestanden. In der Regel beschränkt der EuGH seine Überprüfung auf eine Evidenzkontrolle.140 Zum anderen erfolgt eine Prüfung der Angemessenheit einer Maßnahme durch den EuGH oftmals in unterschiedlicher Häufigkeit und Tiefe. Der Schwerpunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung liegt für den EuGH regelmäßig auf der Ebene der Erforderlichkeit.141 Der EuGH hält sich insbesondere bei der Beurteilung komplexer wirtschaftlicher, sozialer oder politischer Fragen bewusst zurück und belässt Legislative und Exekutive einen, aus deutscher staatsrechtlicher Sicht überraschend großen, nichtjustiziablen Spielraum.142 Dennoch kann das Verhältnismäßigkeitsprinzip grundsätzlich gegen eine Aufrechnung in Stellung gebracht werden. Denn die Tatsache, dass der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur eingeschränkt justitiabel ist, entbindet den Aufrechnenden nicht von der Pflicht, im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu handeln. Eine Aufrechnung würde sich dann als unverhältnismäßig erweisen, wenn der Erfolg des Aufrechnenden, die schnelle und effektive Einziehung seiner Forderung, nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Nachteil des Auf137 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 11 Rn. 33; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 176; Pache, NVwZ 1999, 1033 (1035); Lienbacher, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 5 EUV Rn. 38 mit umfangreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH. 138 EuGH, Rs. 265/87 (Schräder), Slg. 1989, S. 2237, Tz. 21 („ferner müssen die auferlegten Belastungen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen“, Hervorhebung durch Verfasser); Bast/von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 5 EUV Rn. 71; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 176. 139 Das Protokoll ist gem. Art. 51 EUV „Bestandteil der Verträge“ und damit normenhierarchisch Primärrecht. 140 Bast/von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 5 Rn. 73; Pache, NVwZ 1999, 1033 (1039). 141 Pache, NVwZ 1999, 1033 (1036); Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 45; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 11 Rn. 60 („[…] während die Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i. e.S.) eine zu vernachlässigende Rolle spielt“). 142 Kritisch hierzu Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 48 m.w.N. Differenzierender Pache, NVwZ 1999, 1033, 1040 und Kischel, EuR 2000, 380 (390 ff.).

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

rechnungsgegners, dem Ausbleiben der realen, fristgerechten Leistungsbewirkung, besteht. Da die Aufrechnung auch im Unionsrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrecht anerkannt ist, kann das Interesse des Aufrechnungsgegners an einem Aufrechnungsverbot aber nur ausnahmsweise überwiegen.

V. Grundsatz des Vertrauensschutzes Fraglich ist, ob Aspekte des Vertrauensschutzes, der auch im Verhältnis der Union zu ihren Mitgliedstaaten gilt,143 einer Aufrechnung entgegenstehen können. Der EuGH hat zu dieser Frage noch keine Stellung genommen. Ähnlich wie im deutschen Verwaltungsrecht, spielt der Grundsatz des Vertrauensschutzes auch im Unionsrecht eher im Rahmen der Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte bzw. Beschlüsse nach Art. 288 Abs. 4 AEUV eine Rolle.144 Darüber hinaus wird das Vertrauensschutzprinzip im Unionsrecht generell deutlich restriktiver angewendet als im deutschen öffentlichen Recht.145 Da der Grundsatz des Vertrauensschutzes aber in der Rechtssache CCRE vom klagenden Aufrechnungsgegner als Argument gegen die Zulässigkeit der Aufrechnung durch die Kommission vorgebracht wurde,146 soll an dieser Stelle die Bedeutung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes für mögliche Aufrechnungseinschränkungen überprüft werden. 1. Voraussetzungen des unionsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist unionsrechtlich nicht kodifiziert, aber als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts anerkannt.147 Auch wenn eine tiefere dogmatische Herleitung durch den EuGH im Prinzip nicht stattgefunden hat, herrscht dennoch Einigkeit über die Voraussetzungen des Vertrauensschutzgrund-

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EuGH, Rs. 14/88 (Italien/Kommission), Slg. 1989, 3677, Rn. 30; Borchardt, Der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 77 ff.; Dingemann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, S. 1 (20 ff.). A.A. mit der Begründung, dass sich die Position der Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ nicht mit einem Berufen auf Vertrauensschutz als „Rechtsunterworfene“ vereinbaren lässt Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im deutschen Recht, S. 49 ff. 144 Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 6 Rn. 31; Borchardt, EuGRZ 1988, 309 (310). 145 Borchardt, EuGRZ 1988, 309 (314 f.); Dingemann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, S. 1 (35); Frenz, EuR 2008, 468 (487). 146 EuGH, Rs. 105/99 (CCRE), Rn. 6. 147 Vgl. etwa EuGH, Rs. 1/73 (Westzucker), Slg. 1973, S. 723 (729 f.); Rs. 112/80 (Dürbeck), Slg. 1981, 1095, (1120 f.). Nachweise auch bei Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im deutschen Recht, S. 16 ff.; Borchardt, EuGRZ 1988, 309 (309); Dingemann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, S. 1 (4); Frenz, EuR 2008, 468 (471).

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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satzes.148 So muss zunächst eine Vertrauenslage vorliegen (a)), das Vertrauen muss sich außerdem als schutzwürdig erweisen (b)) und das Individualinteresse schließlich im Rahmen einer Abwägung dem Unionsinteresse vorgehen (c)).149 Liegen die Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Vertrauensschutzgrundsatzes vor, kommen als Rechtsfolge entweder Bestandsschutz, Schadensersatzansprüche oder Übergangslösungen in Betracht.150 a) Vertrauenslage Das Erfordernis der Vertrauenslage beschreibt die Grundvoraussetzung, wonach der von einer Unionsmaßnahme Betroffene auf den Bestand einer rechtlichen Regelung bzw. auf das rechtlich relevante Verhalten eines Unionsorgans vertraut. Die Vertrauenslage „setzt einen Sachverhalt voraus, der geeignet ist, in bestimmter Richtung rechtserhebliches Vertrauen zu entwickeln“151. Hierfür ist ein „vertrauensbildendes Verhalten“152 der Union erforderlich. Das Unionsorgan muss durch sein Verhalten eine Situation geschaffen haben, von deren Fortbestand der sich auf den Vertrauensschutz Berufende ausgeht.153 Die in Frage kommenden Handlungsformen sind vielfältig. Es kann grundsätzlich jede Maßnahme oder Äußerung eines Unionsorgans geeignet sein, die dem Einzelnen eine gesicherte Rechtsposition gewährt oder die zumindest die rechtserhebliche Erwartung weckt, dass rechtliche Rahmenbedingungen fortbestehen.154 Während gesicherte Rechtspositionen üblicherweise durch begünstigende Verwaltungsakte bzw. Beschlüsse nach Art. 288 Abs. 4 AEUV, unter Umständen auch durch Verordnungen und Richtlinien, gewährt werden, kann bei rechtserheblichen Erwartungen auch tatsächliches Verwaltungshandeln wie etwa (verbindliche) Zusagen oder (unverbindliche) Äußerungen und Erklärungen der Unionsorgane ausschlaggebend sein.155 Damit Zusagen bzw. Zusi148 Dingemann spricht in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, S. 1 (15) zutreffend von „Strukturmerkmalen“ des unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatzes. 149 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im deutschen Recht, S. 43; Borchardt, Der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 76 ff.; Dingemann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, 1, 15. A.A. Meesenburg, Das Vertrauensschutzprinzip im europäischen Finanzverwaltungsrecht, S. 67, der der Ansicht ist, dass wegen der differenzierten, nicht immer konsistenten Rechtsprechung des EuGH zum Vertrauensschutz keine allgemeingültigen Tatbestandsmerkmale eines unionalen Vertrauensschutzprinzips vorliegen. 150 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im deutschen Recht, S. 47. 151 Borchardt, Der Grundsatz der Vertrauensschutzes im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 77. 152 Dingemann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, S. 1 (15). 153 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im deutschen Recht, S. 43. 154 Borchardt, EuGRZ 1988, 309, 311; Dingemann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, S. 1, (16). 155 Dingemann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, S. 1 (16).

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

cherungen156 vertrauensschutzbegründend wirken können, verlangt der EuGH, dass diese „erstens […] präzise, nicht an Bedingungen geknüpft [und] von zuständiger und zuverlässiger Seite“ erfolgen, „zweitens müssen diese Zusicherungen geeignet sein, bei dem Adressaten berechtigte Erwartungen zu wecken“ und „drittens müssen die gegebenen Zusicherungen den geltenden Vorschriften entsprechen“.157 Einfaches Verwaltungshandeln, das nicht in verbindlicher Form erfolgt wie etwa bloße Äußerungen oder Erklärungen bedürfen zusätzlich einer ständigen, für Außenstehende erkennbaren Verwaltungspraxis. Nur dann kann eine Selbstbindung der Verwaltung eintreten, die geeignet ist, dem Betroffenen ein Recht auf Vertrauensschutz zu verleihen.158 Über dieses Verhalten eines Unionsorgans hinaus muss zur Begründung einer Vertrauenslage der sich auf den Vertrauensschutz Berufende zudem selber ein bestimmtes Verhalten aufweisen. So wird erst dann von einer Vertrauenslage ausgegangen, wenn sich die innere Einstellung des Vertrauens des Einzelnen auch nach außen hin manifestiert und somit objektivierbar ist. In der Regel wird dies die Vornahme von Dispositionen sein, die kausal im Vertrauen auf das Handeln des Unionsorgans vorgenommen wurden und die durch die Änderung entwertet werden. Ohne eine solche nach außen gerichtete Sichtbarkeit des Vertrauens liegt keine Vertrauenslage vor.159 b) Schutzwürdigkeit des Vertrauens Eine Vertrauenslage alleine ist jedoch noch nicht vertrauensschutzbegründend. Als subjektive Komponente muss sich das Vertrauen des Einzelnen darüber hinaus als berechtigt erweisen. Für den EuGH ist die Prüfung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens regelmäßig das wichtigste Kriterium bei der Frage, ob der Vertrauensschutzgrundsatz tatsächlich greift.160 Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob eine Änderung des Verhaltens der Unionsorgane vorhersehbar war. In diesem Fall ist die Schutzwürdigkeit zu verneinen.161 Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens entfällt 156 Die aus dem deutschen Verwaltungsrecht bekannte Unterscheidung einer (allgemeinen) Zusage eines Verwaltungshandelns und einer (speziellen) Zusicherung eines Verwaltungsakts findet sich in der Rechtsprechung des EuGH so nicht wieder. Vielmehr scheinen beide Begriffe synonym benutzt zu werden, vgl. Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im deutschen Recht, S. 81. 157 EuGH, Rs. T-203/97 (Bo Forvass), Slg. ÖD 1999, S. IA-129; II - 705 ff., Rn. 70 f. 158 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im deutschen Recht, S. 44. 159 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im deutschen Recht, S. 44; Dingemann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, S. 1 (17). 160 Vgl. etwa EuGH, Rs. 84/81 (Staple Dairy Products), Slg. 1982, S. 1763 (1776 f.); Rs. 98/78 (Racke), Slg. 1979, S. 69 (86 f.); Rs. 99/78 (Decker), Slg. 1979, S.101 (111 f.). Kritisch in Bezug auf die relativ niedrige Anforderungsschwelle des EuGH an die Informationen zu einer bevorstehenden Änderung Borchardt, EuGRZ 1988, 309 (313). 161 Vgl. etwa EuGH, Rs. 84/81 (Staple Dairy Products), Slg. 1982, S. 1763, Rn. 15; Rs. 98/ 78 (Racke), Slg. 1979, S. 69, Rn. 20; Rs. 99/78 (Dekker), Slg. 1979, S. 101, Rn. 8. Kritisch hierzu Borchardt, EuGRZ 1988, 309 (313).

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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auch dann, wenn die Rechtswidrigkeit der Maßnahme für den Betroffenen erkennbar war. Die insbesondere im Bereich des Binnenmarkts ergangenen Entscheidungen des EuGH zeigen, dass dieser in der Regel keine allzu hohen Anforderungen in Bezug auf die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit durch den Betroffenen stellt.162 Ist einfaches Verwaltungshandeln in Form von tatsächlichen Äußerungen Anknüpfungspunkt für den Vertrauensschutz, muss eine ständige Verwaltungspraxis erkennbar sein, die Bedingung einer Selbstbindung der Verwaltung ist und zu einer Schutzwürdigkeit des Vertrauens führen kann.163 c) Vorrang des Individualinteresses In einem letzten Schritt ist im Rahmen einer Abwägung zu prüfen, ob das Individualinteresse des sich auf den Vertrauensschutz Berufenden dem Unionsinteresse vorgeht. Auf Seiten des Betroffenen ist zu berücksichtigen, ob die Position rechtmäßig erlangt wurde. Ebenso spielt das Interesse des Betroffenen am Fortbestand der Rechtslage eine Rolle.164 Dem Betroffeneninteresse ist als Unionsinteresse regelmäßig der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das Interesse an der Verwirklichung der Unionsziele gegenübergestellt.165 Insbesondere in der Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Marktes liegt für den EuGH häufig das überwiegende Interesse, was der Bedeutung der ständigen Dynamik des Marktgeschehens und der damit einhergehenden flexiblen Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen Rechnung trägt.166 Im Übrigen spielt bei der Abwägung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine entscheidende Rolle, der, wie bereits beschrieben, auch gegenüber Mitgliedstaaten zur Anwendung kommen kann.167 2. Marginale Relevanz des Vertrauensschutzgrundsatzes für Aufrechnungseinschränkungen Es zeigt sich, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes nur in atypischen Sonderfällen geeignet ist, ein Aufrechnungseinschränkungen zu begründen. So wird die Anwendbarkeit des Vertrauensschutzprinzips in aller Regel bereits auf der ersten Stufe, dem Bestehen der Vertrauenslage, scheitern. Zwar ist es denkbar, dass etwa die Kommission einem Mitgliedstaat unter Beachtung der vom EuGH aufgestellten Kriterien zunächst verbindlich zusagt, dass eine dem Mitgliedstaat zustehende 162

Vgl. etwa EuGH, Rs. 24/95 (Alcan Deutschland), Slg. 1997, I-1591, Rn. 30 ff. Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im deutschen Recht, S. 44 m.w.N. 164 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im deutschen Recht, S. 46. 165 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Gemeinschaft und im deutschen Recht, S. 46 f.; Dingemann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, S. 1, (18). 166 Dingemann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, S. 1, (19). 167 Dingemann, in: Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 23, S. 1, (18). 163

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

Forderung nicht aufgerechnet, sondern ausbezahlt wird. Allerdings wird der Mitgliedstaat kaum die weitere Voraussetzung einer Vertrauenslage, die Manifestation des Vertrauen nach außen hin, erfüllen können. Hierfür müsste er darlegen, dass er kausal und im Vertrauen auf die Leistungsbewirkung der Kommission bereits eine Disposition vorgenommen hat, die er andernfalls nicht getätigt hätte. Dies ist allerhöchstens in Mitgliedstaaten vorstellbar, die sich in einer existenziellen Haushaltskrise befinden und die die getätigten Ausgaben nur deshalb vorgenommen haben, weil sie sich auf ihnen zur Verfügung stehende Mittel ausschließlich in Gestalt der Unionszahlungen verlassen haben. Sollte man dennoch von einer Vertrauenslage ausgehen können, so dürfte das Vertrauen unter Zugrundelegung der Kriterien des EuGH u. U. schutzwürdig sein. Denn dass die Kommission ihre Mitteilung, die Forderung nicht aufzurechnen, doch wieder ändern wird, dürfte im Normalfall für den Mitgliedstaat nicht vorhersehbar sein. Auch scheidet in der Regel ein Entfallen der Schutzwürdigkeit wegen Rechtswidrigkeit der Entscheidung aus. Beide Modi der Leistungsbewirkung, tatsächliche Auszahlung und Aufrechnung, sind rechtmäßige Alternativen. Fraglicher erscheint, ob das Interesse des Mitgliedstaats dem Interesse der Union vorgeht. Hier wäre das Interesse des Mitgliedstaats am Fortbestand der Entscheidung, die Forderung nicht aufzurechnen, mit dem Interesse der Union an einer ordnungsgemäßen und sicheren Haushaltsführung abzuwägen. Im Hinblick auf die ohnehin restriktive Rechtsprechung des EuGH zum Vertrauensschutz erscheint es nicht wahrscheinlich, dass das finanzielle Interesse eines Mitgliedstaats, der im Begriff ist, die seinerseits bestehende finanzielle Verpflichtung gegenüber der Union nicht erfüllen zu können, im Rahmen der Abwägung das Unionsinteresse überwiegt.

VI. Zahlungsströme zwischen EU und Mitgliedstaaten Bevor bestimmt werden kann, in welchen Fällen ausnahmsweise eine unionsrechtliche Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern unzulässig ist, soll im Folgenden ein Überblick über die wesentlichen Finanzbeziehungen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten und über die wesentlichen Forderungen erfolgen. 1. Finanzverfassung der EU Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind in finanzieller Hinsicht weniger eng verwoben, als dies in Deutschland bei Bund und Ländern der Fall ist. Ein vergleichbar komplexes Finanzausgleichssystem besteht nicht. Dies trifft sowohl auf die Tiefe der finanziellen Verflechtungen als auch auf die Höhe der jeweiligen Summen zu. Dennoch erfolgt auch auf der Ebene der EU ein in Ansätzen vorhandener Finanzausgleich, und zwar sowohl in vertikaler Hinsicht zwischen EU und Mitgliedstaaten

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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als auch horizontal auf der Ebene der Mitgliedstaaten.168 Zunächst besteht auch hier eine in den Art. 310 ff. AEUV geregelte EU-Finanzverfassung, aus der Zahlungen der Mitgliedstaaten an die EU resultieren (2.). Über diese finanzverfassungsrechtlich veranlassten Zahlungen hinaus bestehen weitere Forderungsbeziehungen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, die daran anschließend (3.) kursorisch erläutert werden. 2. Zahlungen der Mitgliedstaaten an den EU-Haushalt Die Einnahmen des EU-Haushalts, der im abgelaufenen Haushaltsjahr 2015 ein Volumen von rund 146 Mrd. Euro hatte,169 werden vollständig durch die sog. Eigenmittel bestritten, Art. 311 Abs. 2 AEUV. Der Begriff der Eigenmittel ist rechtlich nicht definiert und als solcher missverständlich. Denn die EU hat die Finanzierung ihres Haushalts gerade nicht eigenmächtig in der Hand.170 Sie besitzt insgesamt kaum finanzielle Autonomie.171 Für die Einführung eigener EU-Steuern fehlt ihr die Kompetenz-Kompetenz.172 Die Kreditaufnahme zum Zwecke der Haushaltsfinanzierung ist der EU nach Art. 14 Abs. 2 HO nicht gestattet. Traditionelle Eigenmittel, auf deren Höhe sie einzig Einfluss hat, machen mit etwa 10 – 15 % nur einen geringen Teil der Gesamteinnahmen des EU-Haushalts aus.173 Eigenmittel sind demnach nur Mittel, „die durch Unionsrecht bestimmt und daher insoweit der Autonomie der Mitgliedstaaten entwunden sind“.174 Bei der „Bestimmung durch Unionsrecht“ sind die Mitgliedstaaten aber wiederum gerade entscheidend an der Bereitstellung der Mittel beteiligt. Dennoch unterscheidet sich das heutige System der Eigenmittel zur Finanzierung des EU-Haushalts vom früheren System der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten. Bis zum Jahr 1970 erfolgte eine Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft ausschließlich über das für Internationale Organisationen typische System der Beitragsfinanzierung durch die Vertragspartner.175 Problematisch ist dabei, dass über einem solchen Finanzierungssystem stets das „Damoklesschwert der Beitragsverweigerung aus politischen Gründen“176 schwebt. Für Internationale Or168 Ebenso Häde, Finanzausgleich in der EU, S. 5 ff., der zumindest eine Umverteilung zugunsten der wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten in der Ausgabenpolitik der Union sieht. 169 EU-Finanzbericht 2015, S. 29. 170 Meermagen, Beitrags- und Eigenmittelsystem, S. 225 (231) spricht deshalb auch nicht von materiellen, sondern von nur formellen Eigenmitteln. 171 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 8 Rn. 2; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 5 Rn. 13. 172 Herdegen, Europarecht, §11 Rn. 5; Häde, Finanzausgleich, S. 457; Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 311 Rn. 16. 173 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 8 Rn. 17. 174 Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 311 Rn. 7. 175 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 8 Rn. 5 f. 176 Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 311 Rn. 3.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

ganisationen besteht durch dieses System der Beitragsfinanzierung die Gefahr, zum „Kostgänger“177 der Mitgliedsstaaten zu werden. Den Vereinten Nationen etwa werden regelmäßig seit den 1960er-Jahren von unterschiedlichen Staaten fällige Finanzierungsbeiträge vorenthalten. Das Ausbleiben der Zahlungen stürzt die Vereinten Nationen in Folge ebenso regelmäßig in Finanzkrisen.178 Die EU hat sich, im Einklang mit der immer weiter gehenden Integration und ihrer stets über den Zustand einer Internationalen Organisation herausgehenden Rechtspersönlichkeit, schrittweise für das jetzt bestehende Zwischenmodell der Finanzierung entschieden.179 Der EU-Haushalt wird nach Art. 311 Abs. 2 AEUV „unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert“. Bei der Ausstattung mit Eigenmitteln ist die Union auf das Handeln ihrer Mitgliedstaaten in Form von Überweisungen angewiesen. Nach Art. 311 Abs. 1 AEUV stattet sich die Union „mit den erforderlichen Mitteln aus, um ihre Ziele erreichen und ihre Politik durchführen zu können“. Zwar hat die EU damit nicht die Kompetenz-Kompetenz, sich die erforderlichen Mittel selbständig zu beschaffen. Die Mitgliedstaaten sind aber nach Art. 311 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit dem Grundsatz der Unionstreue dazu verpflichtet, der EU Mittel in erforderlicher Höhe zur Verfügung zu stellen.180 Wie der folgende Überblick zeigen wird, ist die EU inzwischen wieder zunehmend von Beiträgen aus den nationalen Budgets der Mitgliedstaaten abhängig, über deren Höhe sie verhandeln muss. Eine Kopplung der Zahlungen der einzelnen Mitgliedstaaten an das jeweilige Bruttonationaleinkommen (BNE) führt zwar aus Sicht der Mitgliedstaaten zu einer größeren Finanzierungsgerechtigkeit. Sie führt aber gleichzeitig zunehmend zu einem Verlust der finanziellen Autonomie der EU gegenüber den Mitgliedstaaten.181

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Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 8 Rn. 1. Vgl. hierzu Klein/Schmahl, in: Vitzthum, Völkerrecht, S. 341 f. m.w.N. 179 Vgl. zu den einzelnen Schritten Niedobitek, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 311 AEUV Rn. 6 ff. 180 Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 311 Rn. 2 f.; Rossi, in: Vedder/ Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht, Art. 311 Rn. 4; Niedobitek, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 311 AEUV Rn. 3. Niedobitek, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 311 AEUV Rn. 11, weist darauf hin, dass die Schlussfolgerung, der Übergang von Finanzbeiträgen zu Eigenmitteln bringe eine größere finanzielle Autonomie der EU mit sich, „bei näherem Hinsehen zu relativieren ist.“ In diese Richtung auch Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 311 Rn. 3. 181 Vgl. Lamassoure, Geschichte der Eigenmittel der EG, S. 6 f. Kritisch auch Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 311 Rn. 3: „Die Vorteile des Eigenmittelsystems der Union sind demgegenüber jedoch nur gradueller Natur, da die finanzwirtschaftlich wichtigen Eigenmittel nur kaschierte Mitgliedsbeiträge darstellen und die Union gerade hier auf Kooperation der Mitgliedstaaten angewiesen ist.“ (Hervorhebung nur hier). 178

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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a) Eigenmittel Der Haushalt der Europäischen Union wird vollständig aus Eigenmitteln finanziert, Art. 311 Abs. 2 AEUV. Die der EU zustehenden Eigenmittel sind im Eigenmittelbeschluss (nachfolgend „EMB“) bestimmt und näher festgelegt. Sie lassen sich systematisch in drei Kategorien einordnen. aa) Traditionelle Eigenmittel Die in Art. 2 Abs. 1 lit. a EMB aufgeführten sog. „traditionellen Eigenmitteln“ waren die erste und nach dem Vertrag von Rom aus dem Jahre 1957 die zunächst wichtigste Einnahmequelle der Gemeinschaft.182 Sie setzen sich zum einen aus Zöllen, zum anderen aus Abgaben aus dem Agrarhandel mit Drittstaaten zusammen. Sie sind nach wie vor die einzig originären, der Logik der Vergemeinschaftung bzw. des Gemeinsamen Marktes entspringenden Eigenmittel.183 Die Erträge werden zunächst von den Behörden der Mitgliedstaaten erhoben und dann an die Europäische Kommission weitergeleitet. Hierbei dürfen die Mitgliedstaaten inzwischen durchaus großzügige 205 % der Summe als Ausgleich für die Erhebungskosten einbehalten, Art. 2 Abs. 3 EMB.184 Aufgrund dieser Erhöhung sowie des in der Vergangenheit insgesamt stetig gestiegenen Umfangs des Gemeinschafts- bzw. Unionshaushalts machen die traditionellen Eigenmittel nur noch etwa 10 – 15 % der Gesamteinnahmen der EU aus.185 bb) Mehrwertsteuer-Eigenmittel Als die traditionellen Eigenmittel zur Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts nicht mehr ausreichten, wurden 1980 die Mehrwertsteuer-Eigenmittel eingeführt.186 Sie tragen mittlerweile etwa 10 – 15 % zur Finanzierung des EU-Gesamtbudgets bei. Die Berechnung der Zahlungspflichten der einzelnen Mitgliedstaaten erfolgt anhand

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Lamassoure, Geschichte der Eigenmittel der EG, S. 2. Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 311 Rn. 7. Seit dem EBM von 2007 wird nicht mehr explizit zwischen Agrarabschöpfungen und Zöllen unterschieden, sondern diese werden Art. 2 Abs. 1 a EBM zusammen aufgeführt. 184 Kritisch in Bezug auf diese Höhe Niedobitek, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 311 AEUV Rn. 21. Immerhin erhöht eine großzügige Summe die Motivation der die Verwaltungskompetenz innehabenden Mitgliedstaaten, Zollbetrug und andere Unregelmäßigkeiten wirksam zu bekämpfen. Zu dieser Problematik Meermagen, Beitrags- und Eigenmittelsystem, S. 227 f. 185 Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 311 Rn. 3. 186 Obwohl bereits durch den (ersten) Eigenmittelbeschluss 1970 gemeinschaftsrechtlich eingeführt, verzögerte sich die tatsächliche Anwendung aufgrund der erforderlichen Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage in den Mitgliedstaaten um knapp 10 Jahre, vgl. EP, Geschichte der Eigenmittel der EG, S. 2, Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 311 AEUV Rn. 3. 183

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

eines einheitlichen Berechnungssatzes in Höhe von 0,3 %, der der EU am Ertrag der Mehrwertsteuer jedes Mitgliedstaates zukommt.187 cc) BNE-Eigenmittel Die an das Bruttonationaleinkommen (BNE)188 der Mitgliedstaaten anknüpfenden Eigenmittel sind die dritte, jüngste und mit knapp 70 % Anteil am Budget der EU189 wichtigste Einnahmequelle. Die BNE-Eigenmittel sind keine Eigenmittel im engeren Sinne wie die traditionellen Eigenmittel, die direkt aus den Gemeinschaftsbzw. Unionspolitiken resultieren. Sie stellen eher Beiträge der Mitgliedstaaten dar, die, im Gegensatz zu den Mehrwertsteuer-Eigenmitteln, direkt aus dem Haushalt der Mitgliedstaaten stammen. Die BNE-Eigenmittel sind gem. Art. 2 Abs. 1 lit. c EMB definiert als „Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines im Rahmen des Haushaltsverfahrens unter Berücksichtigung aller übrigen Einnahmen festzulegenden einheitlichen Satzes auf den Gesamtbetrag der BNE aller Mitgliedstaaten ergeben“. Die Gesamthöhe der BNE-Eigenmittel wird demnach im Rahmen der Haushaltsverhandlungen nach Art. 314 AEUV ermittelt. Sie orientiert sich an dem Bedarf, der durch die Einnahmen aus traditionellen Eigenmitteln und Mehrwertsteuer-Eigenmittel im Hinblick auf die geplanten Haushaltsausgaben noch nicht gedeckt ist. Die BNE-Einnahmen sind somit eine ergänzende Einnahmequelle, die in ihrer Höhe variabel ist.190 Die Höhe der jeweiligen BNE-Mittel soll der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten gerecht werden. Aufgrund vielfältiger Sonderregelungen auch in diesem Bereich wird das System jedoch von vielen als insgesamt „inkohärent und in der konkreten Ausgestaltung unfair“ charakterisiert.191

187 Im Einzelnen bestehen hier einige Abweichungen. Zum einen ist die Berechnungsgrundlage auf 50 % des jeweiligen Bruttonationaleinkommens begrenzt, Art. 2 Abs. 1 lit. b S. 2 EMB. Zum anderen wurde Deutschland und einigen anderen Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2013 ein Rabatt gewährt, Art. 2 Abs. 4 EMB. Zugunsten Großbritannien wird zudem eine dauerhafte Korrektur der Berechnung vorgenommen, Art. 4 EMB. Die dadurch entstehenden Einnahmeausfälle werden in einem komplizierten Berechnungsverfahren von den übrigen Mitgliedstaaten getragen, Art. 5 EMB. 188 Zur volkswirtschaftlichen Definition des Bruttonationaleinkommens vgl. die Verordnung (EG) NR. 2223/96 des Rates zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung auf nationaler und regionaler Ebene der Europäischen Gemeinschaft. 189 Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 311 Rn. 5. 190 Sie ist dennoch nicht frei verhandelbar, da nach Art. 3 Abs. 1 EMB der „Gesamtbetrag der Eigenmittel, der den Gemeinschaften für die jährlichen Zahlungsermächtigungen zur Verfügung steht, […] 1,24 % der Summe der BNE der Mitgliedstaaten nicht überschreiten“ darf. Die Verpflichtungsermächtigungen sind nach Art. Art. 3 Abs. 2 EMB sind auf 1,31 % der BNE der Mitgliedstaaten begrenzt. 191 So Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 8 Rn. 21. Zu Reformperspektiven des Eigenmittelsystems vgl. Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 311 Rn. 13 ff. m.w.N.

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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b) Bereitstellung der Eigenmittel in der mitgliedstaatlichen Praxis Die Bereitstellung der Eigenmittel gewährleistet die Bundesrepublik Deutschland, die im abgelaufenen Haushaltsjahr 2015 mit etwa 28 Milliarden Euro etwas mehr als 20 % zum EU-Haushalts beigetragen hat,192 über ein zu diesem Zweck eingerichtetes Konto, das bei der Bundeskasse Halle/Saale geführt wird und das als einzigen Zugriffsberechtigten die Europäische Kommission ausweist.193 Die Bundesregierung kommt damit der Verpflichtung aus Art. 9 Abs. 1 der VO 609/2014/ EU194 (nachfolgend: Bereitstellungs-VO) nach. Danach schreibt jeder Mitgliedstaat die Eigenmittel „dem Konto gut, das zu diesem Zweck auf den Namen der Kommission bei der Haushaltsverwaltung oder bei der nationalen Zentralbank des Mitgliedstaats eingerichtet wurde“. Dem Konto werden monatlich Beträge in Höhe der fälligen Eigenmittel gutgeschrieben. Nach Eingang der gutgeschriebenen Eigenmittel auf das Konto ist die Kommission durch einen Kontoauszug bzw. Gutschriftsanzeige über den Geldeingang zu informieren, Art. 9 Abs. 2 lit. a Bereitstellungs-VO. Die Kommission kann sodann auf die Gutschrift zugreifen und den Betrag vereinnahmen. Auch der Zeitpunkt der Bereitstellung der Eigenmittel ist durch die Bereitstellungs-VO festgelegt. Hierbei wird zwischen MwSt.- und BNE-Eigenmittel einerseits und den traditionellen Eigenmitteln andererseits unterschieden. Die Gutschrift der MwSt.- und der BNE-Eigenmittel erfolgt gem. Art. 10a Abs. 1 Bereitstellungs-VO am ersten Arbeitstag jeden Monats in Höhe eines Zwölftels des entsprechend im EUHaushaltsplan aufgeführten Gesamtbetrags.195 Traditionelle Eigenmittel werden der Kommission hingegen gem. Art. 10 Abs. 1 UAbs. 1 Bereitstellungs-VO „spätestens

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EU-Finanzbericht 2015, S. 29. Auskunft durch Mitarbeiter des Referats EA2 (Haushalt der EU; EU-Eigenmittel; Regulierungs- und Exekutivagenturen der EU) des Bundesministeriums der Finanzen, Gespräch v. 30. 12. 2016. 194 Verordnung des Rates 609/201/EU, Euratom v. 26. Mai 2014 zur Festlegung der Methoden und Verfahren für die Bereitstellung der traditionellen Eigenmittel, der MwSt.- und der BNE-Eigenmittel sowie der Maßnahmen zur Bereitstellung der erforderlichen Kassenmittel, zuletzt geändert durch 195 In Ausnahmefällen kann die Kommission die Mitgliedstaaten auch ersuchen, ihr höhere Beträge bereitzustellen: So kann die Kommission im ersten Vierteljahr eines Haushaltsjahres für den spezifischen Bedarf im Zusammenhang mit agrarpolitischen Ausgaben (Zahlungen aufgrund des EGLF) die Mitgliedssaaten ersuchen, die Gutschrift eines Zwölftels um ein bis zwei Monate vorzuziehen, Art. 10a Abs. 2 UAbs. 1 Bereitstellungs-VO. Für spezifische Ausgaben im Zusammenhang mit den europäischen Struktur- und Investitionsfonds kann die Kommission in der ersten Hälfte eines Haushaltsjahres die Mitgliedstaaten ersuchen, Gutschriften von zusätzlich bis zur Hälfte der Zwölftels, die in den ersten sechs Monaten vorgesehen sind, vorzuziehen, Art. 10a Abs. 2 UAbs. 2 Bereitstellungs-VO. 193

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

am ersten Arbeitstag nach dem Neunzehnten des zweiten Monats, der auf den Monat folgt, in dem der Anspruch […] festgestellt wurde“196 zur Verfügung gestellt. c) Sonstige Einnahmen Zu den sonstigen Einnahmen i.S.d. Art. 311 Abs. 2 AEUV zählen insbesondere die (Lohn-)Steuerzahlungen der EU-Bediensteten, Beiträge von Drittländern zu besonderen EU-Programmen, Verwaltungseinnahmen aus Gebühren, Säumniszinsen, Zwangsgelder und Pauschalbeträge als Sanktionen im Zusammenhang mit Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH, wettbewerbsrechtliche Geldbußen, verfallene Kautionen sowie Haushaltsüberschüsse aus vorangegangenen Haushaltsjahren.197 Auch Schenkungen und sämtliche zivilrechtliche Forderungen fallen in diese Kategorie. Diese „sonstigen Einnahmen“ machen mit etwa 1,5 Mrd. EUR im Jahr 2015 nur etwa 1 % der Haushaltseinnahmen der EU bei einer Gesamthöhe von ca. 140 Mrd. EUR jährlich aus.198 Zahlungsansprüche der Union gegenüber Mitgliedstaaten können auch im Rahmen der Vorschriften des AEUV zur Vermeidung übermäßiger öffentlicher Haushaltsdefizite entstehen. So bestimmt Art. 126 Abs. 11 EUV, dass im Falle eines Verstoßes eines Mitgliedstaats gegen die Konvergenzkriterien dieser nach Ablauf eines mehrstufigen Verfahrens199 als ultima ratio zur Zahlung einer Geldbuße als Sanktion verpflichtet werden kann.200 Der Anspruch der Union auf Zahlung der Geldbuße stellt einen Forderungsanspruch der Union dar. Die Zahlung der Geldbuße gilt als Einnahme der Union.201 Der Anspruch auf Zahlung der Geldbuße ist somit ein weiterer Anknüpfungspunkt für eine Aufrechnung der Union.202 196

Festgestellt sind Ansprüche der Kommission auf traditionelle Eigenmittel gem. Art. 2 Abs. 1 Bereitstellungs-VO, „sobald die Bedingungen der Zollvorschriften für die buchmäßige Erfassung des Betrags der Abgabe und dessen Mitteilung an den Abgabenschuldner erfüllt sind“. 197 Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 311 Rn. 12. 198 Endgültiger Erlass des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2015 (2015/339/EU, Euratom). 199 Vgl. hierzu Hattenberger, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 126 AEUV Rn. 28 ff. 200 Eine solche Geldbuße ist bislang, obwohl Mitgliedstaaten in der Vergangenheit bereits mehrfach gegen die Konvergenzkriterien verstoßen haben, nie vom Rat verhängt worden. Generell kritisch zur Sinnhaftigkeit einer Geldbuße für Mitgliedstaaten, die sich in einer ohnehin finanziell angespannten Lage befinden, Kemper, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 126 Rn. 39; Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 126 Rn. 15; Häde, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 126 Rn. 63; Gumboldt, DÖV 2005, 499 (505) m.w.N. 201 Hattenberger, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 126 AEUV Rn. 56. 202 Kritisch gegenüber einer Aufrechnung durch einen Mitgliedstaat Häde, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 126 Rn. 66; Bark, Das gemeinschaftsrechtliche Defizitverfahren, S. 102; Heidig, EuR 2000, 782 (790 f.). Für die Möglichkeit der Aufrechnung hingegen Kemper, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 126 Rn. 40; Blumenwitz/Schöbener, Stabilitätspakt für Europa, S. 39 ff.; Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, S. 344 Fn. 1473.

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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3. Zahlungen der EU an Mitgliedstaaten Um darzulegen, welche Forderungen der Mitgliedstaaten den gerade eben beschriebenen Forderungen der EU aufrechenbar gegenüberstehen können, erfolgt im Folgenden ein kursorischer Überblick über die Geldforderungen, die die Mitgliedstaaten gegen die EU haben. Aufgrund der Vielzahl der jeweils möglichen finanziellen Beziehungen beschränkt sich der Überblick auf die regelmäßigen wiederkehrenden, wichtigsten Forderungen der Mitgliedstaaten. a) Zahlungen an Mitgliedstaaten aufgrund von EU-Fonds Zahlungsansprüche der Mitgliedstaaten gegenüber der EU machen den weit überwiegenden Teil der Ausgaben des EU-Haushalts aus. So betrug etwa im Jahr 2011 das Haushaltsvolumen insgesamt 142 Mrd. EUR. Davon entfielen etwa 125 Mrd. EUR und somit knapp 90 % aller Ausgaben auf Mittel, die in Form von Infrastruktur- und sonstigen Investitions- und Projektzuschüssen direkt in die Mitgliedstaaten zurückflossen. Etwa jeweils 40 % der Ausgaben entfielen auf Maßnahmen der Agrar- sowie der Strukturpolitik der EU.203 Als Instrumente zur Finanzierung der verschiedenen Aufgaben dienen dabei eine Vielzahl von Fonds, deren Verwaltungsverfahren durch hohe Komplexität, hohe rechtliche Durchdringung und einen hohen Kooperationsgrad zwischen mitgliedstaatlicher und unionaler Verwaltung gekennzeichnet sind.204. aa) Zahlungen im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Agrarpolitik Der lange Zeit größte Teil von Zahlungen der EU an die Mitgliedstaaten lag im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP).205 Sie hat nach Art. 39 Abs. 1 AEUV 203 Die Zahlen beziehen sich auf die Mittel für Verpflichtungen, nicht auf Mittel für Zahlungen des Haushalts 2011, Quelle: http://ec.europa.eu/budget/figures/2011/2011_de.cfm. 204 Umfassend zu den Verwaltungsverfahren der verschiedenen Fonds Schöndorf-Haubold, Die Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft, S. 127 ff. 205 Das Schlagwort der „Agrarlastigkeit“ des Unionshaushalts sorgt denn auch immer wieder für kontroverse, grundsätzliche europapolitische Auseinandersetzungen. Bei aller berechtigten Kritik an der Ausgestaltung des Unionshaushalts wird zum einen jedoch teilweise übersehen, dass bereits vor Beginn der europäischen Integration viele Länder Europas eine offensive, auch Interventionen des Staates umfassende Landwirtschaftspolitik betrieben, um die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten, vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Europarecht, § 24 Rn. 1. Außerdem ist festzustellen, dass seit dem Jahr 2009 die Ausgaben der EU für den Bereich „Nachhaltiges Wachstum“, der die Kohäsions- und Wettbewerbsfähigkeitspolitiken der EU umfasst, erstmals über den Ausgaben für die GAP liegen. Die GAP-Mittel für den EU-Finanzrahmen 2007 – 2013 machen mit einem durchschnittlichen Anteil von etwa 42 % am Gesamthaushalt der EU zwar immer noch einen erheblichen, aber nicht mehr den größten Teil der EU-Ausgaben aus, Quelle: http://ec.europa.eu/budget/figures/fin_fwk0713/fwk0713_de. cfm (Stand: August 2013).

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

das Ziel, die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern und die Versorgung der Verbraucher mit Lebensmitteln zu angemessenen Preisen zu gewährleisten.206 Die Finanzbeziehungen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten im Bereich der GAP werden grundlegend durch die GAP-VO207 bestimmt. Der bis zum Jahr 2007 bestehende Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) wurde durch die GAP-VO abgelöst und in zwei eigenständige Fonds gewandelt. Seitdem besteht zur Finanzierung der agrarpolitischen Unionsmaßnahmen zum einen der Europäische Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL), dessen Mittel insbesondere für produzenten- und produktbezogene Leistungen wie etwa marktbezogene Ausgaben und Direktzahlungen an die Landwirte bestimmt sind.208 Zum anderen besteht der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), dessen Mittel überwiegend zur „Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums“, d. h. zur Agrarstrukturpolitik, vorgesehen sind, Art. 5 GAP-VO. Die durch den ELER geförderten Maßnahmen sind inhaltlich eher dem Bereich der Regional- und Strukturförderung zuzuschreiben.209 Die Abwicklung der Finanzbeziehungen soll dennoch unter dem vorliegenden Punkt behandelt werden, da die beiden Fonds zusammen die zwei Säulen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU darstellen. Sowohl EGFL als auch ELER sind keine rechtlich selbständigen Einrichtungen. Sie sind Teil des Gesamthaushaltsplans der EU und werden von der Kommission im Rahmen des allgemeinen Haushaltsvollzugs verwaltet, Art. 3 Abs. 2 GAP-VO. Es finden daher grundsätzlich auch mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 HO die Bestimmungen der Haushaltsordnung der EU über die Aufrechnung Anwendung.210 Dennoch erfolgt die technische Abwicklung der Finanzierung der Ausgaben von EGFL und ELER auf unterschiedliche Weise. (1) Forderungsbeziehungen im Rahmen des Europäischen Garantiefond für die Landwirtschaft (EGFL) Ausgaben im Rahmen des EGFL werden von den Mitgliedstaaten vorfinanziert, Art. 17 Abs. 2 GAP-VO.211 Sie bekommen ihre Ausgaben nachträglich212 monatlich 206 Weiteres Ziel der GAP ist nach Art. 39 Abs. 1 AEUVeine Stabilisierung der Märkte und die Sicherstellung eines angemessenen Lebensunterhalts für die in der Landwirtschaft Beschäftigten. Die verschiedenen Ziele kollidieren teilweise miteinander. Sie sind, da sie gleichberechtigt nebeneinander stehen, vom Unionsgesetzgeber in einen Ausgleich zu bringen, der hierbei über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, vgl. Priebe, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 39 AEUV, Rn. 2 ff. m.w.N. 207 Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik. 208 Diese und die weiteren Ausgaben sind definiert in Art. 3 GAP-VO. 209 Magiera, in: Streinz, Euv/AEUV, Art. 174 Rn. 6, 9. 210 El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 111 ff. 211 Die Mitgliedstaaten benennen der Kommission hierfür eine oder mehrere sog. „Zahlstellen“, Art. 7 GAP-VO. Zahlstellen sind Dienststellen oder Einrichtungen der Mitgliedstaaten, die die finanziellen Beziehungen sowohl zu den Empfängern als auch gegenüber der

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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von der Kommission auf Grundlage der eingereichten Ausgabenerklärungen erstattet. Stellt die Kommission Unregelmäßigkeiten bei der Mittelverwendung durch die Mitgliedstaaten bzw. die Begünstigten fest, kann sie die monatlichen Zahlungen kürzen oder aussetzen, Art. 41 Abs. 1 GAP-VO. Die monatliche Entscheidung über die Höhe der EGFL-Zahlungen erfolgt durch Beschluss i.S.v. Art. 288 UAbs. 4 AEUV. Sie ist für die Adressaten verbindlich und begründet somit zum Zeitpunkt der Beschlussfassung einen Anspruch des Mitgliedstaates, der Anknüpfungspunkt für eine Aufrechnung der EU sein kann. Unabhängig von der regelmäßigen Prüfung der Ausgaben im Rahmen der monatlichen Zahlungen beschließt die Kommission einmal jährlich endgültig gem. Art. 51 GAP-VO über den Rechnungsabschluss der Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang trifft die Kommission einen Konformitätsabschluss über die Vereinbarkeit der mitgliedstaatlichen Zahlungen mit den Unionsvorschriften, Art. 52 GAP-VO. Nach einem mehrstufigen Verfahren gem. Art. 31 Abs. 2 – 5 GAP-VO213 entscheidet die Kommission, ob und welche Ausgaben nicht im Einklang mit Unionsrecht stehen. Sie weist in einem solchen Fall die Zahlstellen der Mitgliedstaaten an, die entsprechenden Beträge wieder einzuziehen und an den Unionshaushalt zu überweisen.214 Hierbei tragen die Mitgliedstaaten im Zweifel das finanzielle Risiko. Denn Ausgaben, die vom Begünstigten nicht wieder eingezogen werden können, können den Mitgliedstaaten angelastet werden. Insgesamt entstehen in diesem Bereich (auch) Forderungen der Union gegenüber den Mitgliedstaaten, die von diesen als Anknüpfungspunkt für eine Aufrechnung gegenüber der Europäischen Union dienen. Die Zahlungsansprüche der Mitgliedstaaten auf Erstattung ihrer vorab getätigten Ausgaben sind grundsätzlich dazu geeignet, von der Kommission im Wege der Aufrechnung erfüllt zu werden, in dem die Kommission diese gegen einen ihrerseits bestehenden Anspruch gegen den Mitgliedstaat aufrechnet. Gleiches gilt für die Rückforderungsansprüche der Union, gegen die die Mitgliedstaaten ihrerseits aufrechnen können. Kommission wahrnehmen. Benennt ein Mitgliedstaat mehrere Zahlstellen, so ist zugleich eine übergeordnete „Koordinierungsstelle“ einzurichten, die die Aktivitäten der einzelnen Zahlstellen gegenüber der Kommission bündelt, Art. 7 Abs. 4 GAP-VO. In Deutschland sind dies im Wesentlichen die Zahlstellen des Bundes, nämlich das Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung sowie das Hauptzollamt Hamburg-Jonas, vgl. Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 40 Rn. 32. 212 Art. 18 Abs. 2 GAP-VO bestimmt, dass „die monatlichen Zahlungen […] dem Mitgliedstaat spätestens am dritten Arbeitstags des zweiten Monats überwiesen [werden], der auf den Monat folgt, in dem die Ausgaben getätigt wurden.“ 213 Vgl. hierzu Kopp, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 40 AEUV, Rn. 28 f.; Bittner, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 40 AEUV, Rn. 87. 214 von Rintelen weist in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 40 AEUV Rn. 204 darauf hin, dass es keines Aktivwerdens der Kommission bedarf, der Mitgliedstaat vielmehr selbständig tätig wird. Dies kann allerdings nur die Fälle der Wiedereinziehung vom Begünstigten betreffen, nicht hingegen Rückforderungenansprüche der EU wegen festgestellten genereller Mängel der Mitgliedstaaten im Rahmen einer Systemprüfung, vgl. zu letzterem EuGH, Griechenland/Kommission, Rs. C-50/94, Slg. 1996, I-3331, Rn. 26 ff.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

(2) Forderungsbeziehungen im Rahmen des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER) Ausgaben im Rahmen des ELER hingegen unterliegen einem anderen Finanzierungskonzept. Hier erfolgt nicht zwingend eine Vorfinanzierung der Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten, wie dies im Rahmen der EGFL-Finanzierung der Fall ist. Maßnahmen im Rahmen des ELER müssen zunächst im Rahmen eines „Entwicklungsprogramms für den ländlichen Raum“ durch den Mitgliedstaat beantragt und dann von der Kommission angenommen werden, Art. 32 ff. GAP-VO. Die Annahme der Kommission gilt als Finanzierungsbeschluss im Sinne von Art. 76 Abs. 3 UAbs. 2 Strukturfonds-VO215 und begründet einen Rechtsanspruch des Mitgliedstaats auf Förderung. Die Kommission zahlt daraufhin in mehreren Tranchen Gelder an den Mitgliedstaat. Sie kann dies in Form von Vorschüssen, Zwischenzahlungen und Restzahlungen vornehmen, Art. 34 Abs. 1 GAP-VO. Alle diese Finanzierungsmodalitäten sind Geldforderungen der Mitgliedstaaten gegenüber der EU, die einem Zahlungsanspruch der EU aufrechenbar gegenüberstehen können. bb) Zahlungen im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Struktur- und Regionalpolitik Neben den Zahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik ist ein etwa vergleichbar großer, stetig wachsender und die GAP-Mittel seit 2009 übersteigender Teil der Mittel des Haushalts für die Finanzierung strukturpolitischer, insbesondere regionalpolitischer Maßnahmen in den Mitgliedstaaten vorgesehen.216 Die Mittel haben den Zweck, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der Union (Kohäsion) zu fördern, Art. 174 Abs. 1 AEUV, und, insbesondere regionalpolitisch, den Entwicklungsrückstand strukturschwacher Regionen zu verringern (Konvergenz), Art. 174 Abs. 2 EUV.217 Auch wenn die Strukturund Regionalpolitik der EU im Hinblick auf Breite und Tiefe nicht an die Regelungen des Länderfinanzausgleichs des Art. 107 Abs. 1 GG heranreicht, so findet durch sie dennoch horizontal ein Ausgleich zwischen den wirtschaftlich starken und den wirtschaftlich schwachen Mitgliedstaaten statt. Ansätze eines horizontalen Finanzausgleichs sind somit schon seit Jahrzehnten Teil der europäischen Integrationsrealität. Die Ausrichtung der EU auf Kohäsion und Konvergenz findet sich bereits in der Präambel des AEUV (Abs. 2 und 5) und in den in Art. 3 EUV niedergelegten Zielen der Union (Abs. 3 UAbs. 3 EUV). Kohäsion und Konvergenz gehören damit ge215 Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 12. 2013, ABl. L 347/320 vom 20. 12. 2013. 216 Die den drei Fonds EFRE, ESF und Kohäsionsfonds zugewiesenen Mittel betragen für den Zeitraum 2014 – 2020 etwa 322 Mrd. EUR, vgl. Art. 91 Abs. 1 Strukturfonds-VO. 217 Vgl. zu Aufgaben und Zielen der Strukturpolitik der Europäischen Union SchöndorfHaubold, Die Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft, S. 3 ff.

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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wissermaßen zu den „Staatszielbestimmungen“ der EU.218 Das Engagement der EU für eine aktive Wirtschafts- bzw. Regionalpolitik erscheint auch sinnvoll. Denn ein dauerhafter, spürbarer Unterschied der Lebensverhältnisse in den Mitgliedstaaten und ihren Regionen behindert insgesamt einen Erfolg des europäischen Integrationsprozesses.219 Die Bestimmungen der Art. 174 – 178 AEUV konkretisieren die Anforderungen an die Struktur- und Regionalpolitik der EU. Sie verpflichten sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten zur Erreichung der in Art. 174 AEUV genannten Ziele der Kohäsion und der Konvergenz, Art. 175 Abs. 1 AEUV. Den Zielen dienen insbesondere die drei in Art. 175 Abs. 1 AEUV genannten Strukturfonds der EU: der Europäische Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE)220, der Europäische Sozialfonds (ESF)221 sowie der Europäische Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) – Abteilung Ausrichtung. Die Aufgaben des letztgenannten Fonds werden seit der Aufteilung bzw. Auflösung des EAGFL seit 2007 vom Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) wahrgenommen. Eine Finanzierung regional- und strukturpolitischer mitgliedstaatlicher Vorhaben erfolgt dabei nur in seltenen Ausnahmefällen zu 100 % durch Mittel der Europäischen Union. In aller Regel ist Voraussetzung der (Ko-) Finanzierung durch die Union, dass auch der jeweilige Mitgliedstaat seinerseits öffentliche Mittel zur Finanzierung des Vorhabens bereitstellt.222 Der Beitrag der EU an den Vorhaben beträgt in der Regel zwischen 50 – 85 % der Gesamtkosten.223 (1) Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung Der Europäische Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) besteht seit 1975.224 Die Mitgliedstaaten waren schon damals zu der Erkenntnis gelangt, dass sich trotz Vollendung der Zollunion und Schaffung eines Gemeinsamen Marktes Kohäsion und Konvergenz nicht automatisch eingestellt hatten. Mit der damals bevorstehenden Süd-Erweiterung der EG um die Länder Portugal, Spanien und Griechenland stand zudem die Aufnahme eher strukturschwacher Staaten an. Der EFRE sollte deshalb

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So Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 3 Rn. 2. So auch Epiney, in: Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 27, Rn. 1. 220 Verordnung (EU) Nr. 1301/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, ABl. L 347/289 vom 20. 12. 2013. 221 Verordnung (EU) Nr. 1304/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Sozialfonds, ABl. L 347/470 vom 20. 12. 2013. 222 Schöndorf-Haubold, Die Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft, S. 118 f. 223 Magiera, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 177 Rn. 19. Vgl. auch Frenz, Handbuch Europarecht VI, Rn. 3815. 224 Der Fonds wurde durch die VO 724/75 EWG errichtet, die damals mangels spezieller Rechtsgrundlage auf die allgemeine Flexibilität- bzw. Vertragsanpassungsklausel des Art. 235 EWG (jetzt Art. 352 AEUV) gestützt wurde. 219

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

erstmals aktiv und durch gezielte Förderung von Infrastrukturvorhaben den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Gemeinschaft stärken.225 (a) Aufgaben des EFRE Der EFRE, der inzwischen in Art. 176 AEUV eine Grundlage im Primärrecht hat,226 hat zur Aufgabe, die wichtigsten regionalen Ungleichgewichte in der EU „durch [finanzielle] Beteiligung an der Entwicklung und an der strukturellen Anpassung der rückständigen Gebiete und an der Umstellung der Industriegebiete mit rückläufiger Entwicklung“ auszugleichen, Art. 176 AEUV. Der Fonds ist, ebenso wie die anderen nachfolgend beschriebenen Fonds der EU, eine unselbständige Einrichtung, die keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt und von der Kommission verwaltet wird.227 (b) Zahlungsansprüche der Mitgliedstaaten gegen die EU im Rahmen des EFRE Konkret erfolgt die (Mit-)Finanzierung von einzelnen Vorhaben durch die EU im Rahmen von sog. „Operationellen Programmen“. Diese sind von den Mitgliedstaaten ausgearbeitete, übergeordnete Programmpläne, in denen die Mitgliedstaaten darlegen, auf welche Weise und durch welche Vorhaben sie in ihrem Hoheitsgebiet die Ziele der Regional- und Strukturpolitik zu verwirklichen suchen.228 Die operationellen Programme müssen von der Kommission genehmigt werden, Art. 96 Abs. 10 Strukturfonds-VO. Ist die Genehmigung durch die Kommission erfolgt, hat der Mitgliedstaat Anspruch auf eine Beteiligung der EU an den Vorhaben, die 20 % bis ausnahmsweise 100 % der Kosten des Vorhabens betragen kann, Art. 120 Abs. 6, 7 Strukturfonds-VO. Die Zahlung der Unionsbeiträge für die mitgliedstaatlichen Vorhaben erfolgt abgestuft in Form von Vorschuss-, Zwischen- und Restzahlungen, Art. 77 Abs. 3 Strukturfonds-VO. Zunächst zahlt in der Regel die Kommission dem Mitgliedstaat einen Vorschuss aus, Art. 134 Abs. 1 StrukturfondsVO. Der Mitgliedstaat finanziert im Anschluss Vorhaben im Rahmen des operationellen Programms und macht die Ausgaben gegenüber der Kommission geltend. Die noch ausstehenden Unionsbeiträge werden dann von der Kommission in Form

225 Magiera, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 174 Rn. 4; Epiney, in: Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 27 Rn. 6 ff.; vgl. zur historischen Entwicklung der Strukturfonds Schöndorf-Haubold, Die Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft, S. 46 ff. 226 Art. 176 AEUV ist für den EFRE konstitutiv und setzt dessen Existenz voraus. Auf dieser Grundlage hat der Unionsgesetzgeber die VO 1080/2006/EG erlassen, die zusammen mit der Fonds-Rahmenverordnung 1083/2006 und der Durchführungsverordnung 1828/2006 die Ausgestaltung des EFRE im Einzelnen regelt. 227 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 1340. 228 Vgl. zu Einzelheiten Magiera, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 177 AEUV Rn. 26 ff.; Eggers, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 177 Rn. 56.

C. Implikationen für Aufrechnungseinschränkungen

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von Zwischen- und Restzahlungen vorgenommen, Art. 130 Strukturfonds-VO.229 Diese Ansprüche der Mitgliedstaaten auf Vorschuss-, Zwischen- und Restzahlungen stellen aufrechnungsrelevante Forderungen der Mitgliedstaaten dar, gegen die die Kommission mit einer eigenen Zahlungsforderung gegen den Mitgliedstaat aufrechnen könnte. (c) Europäischer Sozialfonds Der Europäische Sozialfonds (ESF) ist gem. Art. 175 Abs. 1 AEUV der zweite Strukturfonds der EU. Er dient dem wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der EU. Anders als der Name vermuten lässt, ist er kein umfassendes Instrument der Sozial-, sondern ausschließlich der Arbeitsmarktpolitik. Er existiert bereits seit den Gründungsverträgen von Rom und ist das wichtigste arbeitsmarktpolitische Werkzeug der EU.230 Der ESF hat seine Rechtsgrundlage in Art. 162 AEUV. Er dient der Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitskräfte im Binnenmarkt. Im Einzelnen soll dies durch eine Förderung der beruflichen Verwendbarkeit und der örtlichen und beruflichen Mobilität erreicht werden. Durch berufliche Bildungs- und Umschulungsmaßnahmen sollen die europäischen Arbeitskräfte zudem bei der Anpassung an industrielle Wandlungsprozesse bzw. an die Veränderungen der Produktionssysteme unterstützt werden. Im Gegensatz zum EFRE unterstützt der ESF nicht aktiv Investitionsmaßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen sondern flankiert mitgliedstaatliche Maßnahmen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik.231 Grundlage und Einzelheiten zur Vergabe der Mittel sind in der ESF-Verordnung und der Strukturfonds-VO geregelt. Nach Art. 163 Abs. 1 AEUV obliegt die Verwaltung des ESF als unselbständiger Teil des EU-Haushalts der Kommission. Die Abwicklung der Finanzierung von Vorhaben im Rahmen des ESF durch die EU erfolgt nach der für die Strukturfonds und den Kohäsionsfonds gültigen Strukturfonds-VO. Sie ist identisch mit der Finanzierung von Vorhaben im Rahmen des EFRE, sodass auf den vorher beschriebenen Ablauf verwiesen werden kann. (2) Kohäsionsfonds Ein weiteres, in Art. 177 Abs. 2 AEUV vorgesehenes strukturpolitisches Finanzierungsinstrument ist der im Jahr 1993 errichtete Kohäsionsfonds. Ebenso wie die Strukturfonds dient er der Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts. Im Unterschied zu EFRE und ESF fördert der Kohäsionsfonds allerdings nur Vorhaben in den Politikbereichen Umwelt, transeuropäische Netze und technische

229 Einzelheiten zu den Zahlungsmodalitäten Vorschuss-, Zwischen- und Restzahlungen bei Eggers, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 177 Rn. 64 ff.; Magiera, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 177 Rn. 32 f. 230 Coen, in: Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Vorb. Art. 162 – 164 AEUV, Rn. 2; Frenz, Handbuch Europarecht VI, Rn. 3808; Eichenhofer, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 162 Rn. 2. 231 Coen, in: Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Vorb. Art. 162 – 164 AEUV, Rn. 5.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

Hilfe, Art. 2 Abs. 1 Kohäsionsfonds-VO232. Förderfähig sind grundsätzlich nur Mitgliedstaaten, deren durchschnittliches Pro-Kopf-Bruttonationaleinkommen unter 90 % des Unionsdurchschnitts liegt, Art. 90 Abs. 3 Strukturfonds-VO.233 Der Kohäsionsfonds ist zwar nicht einer der in Art. 175 Abs. 1 AEUV genannten Strukturfonds. Das Finanzierungsverfahren und damit das Entstehen von Forderungsbeziehungen zwischen EU und Mitgliedstaaten folgt aber gem. Art. 1 Abs. 1 Strukturfonds-VO den Bestimmungen der Strukturfonds-VO und entspricht damit den Regelungen für EFRE und ESF, sodass auf den vorher beschriebenen Ablauf verwiesen werden kann. b) Zahlungsansprüche der Mitgliedstaaten aus privatrechtlichen Verträgen Schließlich sind auch Zahlungsansprüche der Mitgliedstaaten gegenüber der Union denkbar, die aus privatrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen den beiden Hoheitsträgern resultieren. Der Abschluss privatrechtlicher Verträge zur Ausübung ihrer Tätigkeiten ist der Union primärrechtlich nicht ausdrücklich erlaubt. Er wird aber an mehreren Stellen implizit vorausgesetzt und ist unumstritten mögliches Handlungsinstrument.234 Die Bedeutung privatrechtlicher Ansprüche der Mitgliedstaaten gegenüber der Union ist allerdings gering. Zwar schließt die Union in der Praxis in einer Vielzahl von Fällen privatrechtliche Verträge ab. Dies betrifft insbesondere Vertragsabschüsse zum Kauf oder zur Anmietung von Immobilien für die Dienstgebäude der EU oder Verträge über den Kauf von Büromaterial oder Gutachterverträge mit Dritten.235 Diese privatrechtlichen Verpflichtungen bestehen aber nur zu einem Teil gegenüber den Mitgliedstaaten. In vielen Fällen sind private Dritte Vertragspartner der Union. Zudem sind die privatrechtlichen Verträge im Hinblick auf die Volumina nicht vergleichbar mit den vorhergehend beschriebenen Zahlungsbeziehungen zwischen Union und Mitgliedstaaten aus Regional-, Struktur- und Agrarfonds. Auch wenn privatrechtliche Zahlungsansprüche der Mitgliedstaaten gegenüber der Union keine entscheidende Rolle spielen, kommen sie dennoch als Anknüpfungspunkt für eine Aufrechnung zwischen Union und Mitgliedstaaten in Betracht.236 232

Verordnung (EU) Nr. 1300/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über den Kohäsionsfonds. 233 Weitere Voraussetzung ist die Durchführung eines eigenen, nationalen Programms zur Beschleunigung der Konvergenz nach Art. 126 AEUV, vgl. Priebe, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 177 AEUV Rn. 11. 234 Vgl. von Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 340 AWUV Rn. 19; Grunwald, EuR 1984, 227 (233); Frenz, Handbuch Europarecht 5, Rn. 1697 f.; Schlette, Verwaltung als Vertragspartner, S. 60 m.w.N. 235 Frenz, Handbuch Europarecht 5, Rn. 1698. 236 So auch El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 119 ff. Zu beachten bleibt außerdem, dass die privatrechtliche Forderung des Mitgliedstaats in der Regeln seiner nationalen Rechtsordnung entstammt. Somit ist es grundsätzlich erforderlich, dass so-

D. Ergebnis: Abgestufte Aufrechnungseinschränkungen

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D. Ergebnis: Abgestufte Aufrechnungseinschränkungen Aus den oben beschriebenen Erkenntnissen folgt, vergleichbar dem Ergebnis des Kapitels zum deutschen Recht, eine differenzierte Antwort hinsichtlich möglicher Aufrechnungseinschränkungen einer unionsrechtlichen Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern. Bei der Kategorisierung der Forderungen ist zwischen Forderungen der EU gegen ihre Mitgliedstaaten und Forderungen der Mitgliedstaaten gegen die EU zu unterscheiden.

I. Forderungen der EU gegen Mitgliedstaaten Die Forderungen der EU gegen ihre Mitgliedstaaten lassen sich hinsichtlich Aufrechnungseinschränkungen systematisch in drei Kategorien einordnen. So sind „finanzverfassungsrechtliche“ Ansprüche der EU auf Zahlung ihrer Eigenmittel von Zahlungsansprüchen mit Sanktionscharakter sowie sonstigen unionsrechtlichen und rein privatrechtlichen Ansprüchen zu unterscheiden. Je nach Forderungskategorie ergeben sich unterschiedliche Einschränkungen für die Befugnis der Mitgliedstaaten, gegenüber diesen Ansprüchen der EU die Aufrechnung zu erklären. 1. Forderungen auf Zahlung der Eigenmittel Insgesamt sind die „finanzverfassungsrechtlichen“ Zahlungsgeflechte im europäischen Mehrebenensystem weniger komplex als im deutschen Finanzgefüge. Dies liegt vor allem daran, dass sich die Akteure im europäischen Mehrebenensystem nicht gegenseitig mit ihnen zustehenden Haushaltsfinanzierungsmitteln ausstatten. Es erfolgt nur ein einseitiger Zahlungsstrom von den Mitgliedstaaten an die EU. Diese stellen der Union die Eigenmittel i.S.v. Art. 311 AEUV, also die von ihnen vereinnahmten Zölle und Agrarabschöpfungen sowie die der Union zustehenden Anteile an den Mehrwertsteuereinnahmen und die BNE-Mittel zur Verfügung.237 Da die EU nur über eine sehr schwach ausgeprägte Finanzautonomie verfügt,238 ist ihre fristgerechte Ausstattung mit den erforderlichen Mitteln umso wichtiger. Die Union wohl die unionsrechtliche Forderung der EU gegenüber dem Mitgliedstaat die unionsrechtlichen Aufrechnungsvoraussetzungen erfüllt als auch, dass die privatrechtliche mitgliedstaatliche Forderung die jeweiligen Aufrechnungsvoraussetzungen erfüllt, vgl. hierzu El-Shabassy, Durchsetzung finanzieller Sanktionen der EG, S. 120. 237 Zum Eigenmittelsystem der EU vgl. 4. Teil C. VI. 2. a). Zum Modus der Bereitstellung der Eigenmittel Art. 9 ff. der VO 609/2014 (Verordnung des Rates zur Festlegung der Methoden und Verfahren für die Bereitstellung der traditionellen, der MwSt.- und der BNE-Eigenmittel sowie der Maßnahmen zur Bereitstellung der erforderlichen Kassenmittel). 238 Magiera, in: GS Eberhard Grabitz, S. 409, 417 f.; Meermagen, Beitrags- und Eigenmittelsystem, S. 230.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

braucht stabile und garantierte Einnahmen, um die gemeinsamen Politiken durchführen zu können.239 Sie muss über die „vorgesehenen Eigenmittel unter den bestmöglichen Bedingungen verfügen“240 können. Die Union ist auf den stetigen Zufluss kalkulierbarer Einnahmen umso stärker angewiesen, als sie gem. Art. 17 Abs. 2 HO nicht das Recht hat, Haushaltsausgaben über Kredite zu finanzieren. Aus diesem Grund überwiegt das Unionsinteresse an der tatsächlichen Leistungsbewirkung mit dem Ergebnis, dass eine Aufrechnung von Mitgliedstaaten gegen Eigenmittel-Ansprüche der EU abzulehnen ist. Diese Auslegung wird auch gestützt durch den in Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV verankerten Grundsatz der Unionstreue. Zentrale Ausprägung der Unionstreue ist das Gebot der Rücksichtnahme. Es legt der EU und den Mitgliedstaaten unterschiedliche Unterlassungspflichten auf und kann dadurch im Einzelfall kompetenzbeschränkend wirken.241 In diesem Zusammenhang haben die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EuGH die Auswirkung ihrer Maßnahmen auf das ordnungsgemäße, interne Funktionieren der Unionsorgane zu beachten.242 Der interne Funktionsablauf kann nach Auslegung durch den EuGH auch durch eine an sich zulässige Entscheidung eines Mitgliedstaates (wie eine Aufrechnungserklärung) gestört werden, wenn diese sich finanziell nachteilig auf den Unionshaushalt auswirkt.243 Mitgliedstaaten haben danach grundsätzlich alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Finanzautonomie der Union und ihr Budgetrecht beeinträchtigen.244 Da das Aufrechnungsverbot zum Schutz der finanziellen Leistungsfähigkeit der EU erfolgt, kann die Kommission nach ihrem Ermessen der Aufrechnungserklärung jedoch zustimmen und diese dadurch wirksam werden lassen.245 2. Forderungen mit Sanktionscharakter Eine zweite Gruppe von aufrechnungsfesten Ansprüchen der Union stellen die Zahlungsforderungen der Union mit Sanktionscharakter dar. Als Sanktionen im 239

Beschluss des Rates über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (2007/436/EG), Erwägungsgrund 2. 240 VO 609/2014 (Verordnung des Rates zur Festlegung der Methoden und Verfahren für die Bereitstellung der traditionellen, der MwSt.- und der BNE-Eigenmittel sowie der Maßnahmen zur Bereitstellung der erforderlichen Kassenmittel), Erwägungsgrund 3. 241 Vgl. hierzu 4. Teil C. II. 4. a). 242 EuGH, Rs. 208/88 (Lord Bruce of Donnington), Slg. 1981, 2205; EuGH, Rs. 230/81 (Luxemburg/Parlament), Slg. 1983, 255; EuGH, Rs. 44/84 (Hurd), Slg. 1986, 29. 243 EuGH, Rs. 44/84 (Hurd), Slg. 1986, 29, Rn. 42 ff. 244 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV, Rn. 99; Streinz, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 4 Rn. 71; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 4 EUV, Rn. 73. 245 Nach Auskunft durch Mitarbeiter des Referats BUDG.B2 (Revenue Management) der Generaldirektion Haushalt der Europäischen Kommission ist es bislang nicht zu mitgliedstaatlichen Aufrechnungen gegen Eigenmittelansprüche der EU gekommen. Das Unionsrecht erlaube aus ihrer Sicht eine solche Aufrechnung auch nicht, Gespräch v. 19. 1. 2017.

D. Ergebnis: Abgestufte Aufrechnungseinschränkungen

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unionsrechtlichen Sinne lassen sich solche Maßnahmen gegenüber rechtswidrigem Verhalten definieren, die nicht nur den rechtmäßigen Zustand wieder herstellen (sollen), sondern die darüber hinaus negative Folgen wie etwa Geldbußen nach sich ziehen.246 Dies trifft etwa zu auf Ansprüche auf Zahlung von Zwangsgeld und Pauschalbeträgen wegen Nichtbefolgung von Vertragsverletzungsurteilen oder Nichtmitteilung von Maßnahmen zur Richtlinienumsetzung, Art. 260 Abs. 2, 3 AEUV. Ob diese Sanktionen sogar einen repressiv-strafrechtlichen Charakter haben, ist umstritten.247 Sinnvollerweise müsste bei der Beantwortung der Frage zwischen Pauschalbetrag und Zwangsgeld unterschieden werden. Während der Pauschalbetrag als eine Art Strafe das unrechtmäßige Verhalten des Mitgliedstaats bis zum Urteil und damit für die Vergangenheit sanktioniert, wirkt das Zwangsgeld ab dem Urteil bis zum Abstellen des Verstoßes. Indem der Pauschalbetrag bereits begangenes Unrecht ahndet, weist er einen eher repressiven Charakter auf. Das Zwangsgeld hingegen als „Beugemittel, [das] auf den Willen des betreffenden Mitgliedstaats Druck [ausüben soll]“,248 bestraft nicht vergangenes Verhalten, sondern soll den Mitgliedstaat zur schnellstmöglichen Pflichterfüllung anhalten. Es wirkt damit eher präventiv als repressiv. Eine genaue Einordnung kann aber an dieser Stelle dahinstehen. Denn im Ergebnis erweisen sich Pauschalbeträge und Zwangsgelder i.S.v. Art. 260 Abs. 2, 3 AEUV als aufrechnungsfest. Auch wenn die mögliche repressive Rechtsnatur unklar ist, steht fest, dass die Zahlungsansprüche der Union aus Sanktionsnormen stammen. Die Verhängung der finanziellen Sanktionen hat eine Abschreckungswirkung gegenüber dem verstoßenden Mitgliedstaat und anderen Mitgliedstaaten. Sie wirkt spezial- und generalpräventiv.249 Durch die zumindest strafrechtsähnlichen Sanktionen bzw. Geldbußen soll das begangene Unrecht jedenfalls auch geahndet werden. Dieser Zweck würde aber geschmälert, wenn es den Mitgliedstaaten erlaubt wäre, ihre finanziellen Sanktionen einfach mit Ansprüchen gegen die EU aus den Unionsfonds aufzurechnen. Die öffentliche Abschreckungswirkung der finanziellen Sanktion darf aber nicht gefährdet werden. Die Nichtbefolgung von EuGH-Entscheidungen ist ein grober Verstoß gegen den Grundsatz der Unionstreue. Die Nichtbefolgung ist gerade deshalb so bedenklich, weil Entscheidungen des EuGH gegenüber Mitgliedstaaten nicht vollstreckt werden können. Ein solches „Schleifenlassen“, weil Entscheidungen des EuGH letztlich ohnehin nicht durchgesetzt 246 Vgl. Priebe, in: Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, S. 56 m.w.N. 247 So Schroth, in: GS Theo Vogler, S. 98 ff.; a.A. Karpenstein, in: Grabitz/Hilfs/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 260 AEUV, Rn. 26; Heidig, Die Verhängung von von Zwangsgeldern und Pauschalbeträgen gegen die Mitgliedstaaten der EG, S. 119 ff.; GA Ruiz-Jarabo Colomer in seinen Schlussanträgen in der Rs. C-387/97, Slg. 2000, I-5047, Rn. 30. 248 Heidig, Die Verhängung von Zwangsgeldern und Pauschalbeträgen gegen die Mitgliedstaaten der EG, S. 116. 249 Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 260 AEUV, Rn. 26; Schroth, in: GS Theo Vogler, S. 99; Heidig, Die Verhängung von Zwangsgeldern und Pauschalbeträgen gegen die Mitgliedstaaten der EG, S. 116 ff.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

werden können, trifft die Union, die sich als Rechtsgemeinschaft versteht, an ihrer empfindlichsten Stelle. Um insgesamt die Einhaltung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten zu festigen, empfiehlt es sich deshalb, die Aufrechnung gegen eine finanzielle Sanktion i.S.v. Art. 260 Abs. 2, 3 AEUV durch einen Mitgliedstaat nicht zuzulassen.250 Unter Umständen kann aber eine Aufrechnung mit Zustimmung der Kommission oder eine Aufrechnung mit dem Sanktionsanspruch durch die Kommission erfolgen. Zwar kann auch die Kommission nicht über die Begründungserwägung des Aufrechnungsverbots verfügen und ist verpflichtet, den strafähnlichen Ahndungszweck der Geldbußen aufrechtzuerhalten. Allerdings liegt es im Ermessen der Kommission, ob im Falle der Zahlungsverweigerung der wirksamen Durchsetzung bzw. der „praktischen Wirksamkeit“ des Unionsrechts eher mit der Aufrechnung und damit der Durchsetzung der Forderung oder dem (symbolischen) Aufrechterhalten und Weiterverfolgen des Zahlungsdrucks gedient ist. Mit derselben Begründung entfällt auch eine Aufrechnung gegen sonstige Forderungen der Union mit Sanktionscharakter wie etwa Geldbußen wegen übermäßiger öffentlicher Defizite i.S.v. Art. 126 Abs. 11 AEUV. 3. Sonstige unionsrechtliche und privatrechtliche Forderungen Aufrechnungen gegen sonstige unionsrechtliche und privatrechtliche Forderungen begegnen keinen besonderen Bedenken. Hier empfiehlt sich wegen der Pflicht zur Information und Zusammenarbeit als Ausprägung des Grundsatzes der Unionstreue allerdings eine Aufrechnung erst nach vorheriger Information bzw. Fristsetzung. Um einen Gleichlauf der Fristen bei Aufrechnungen durch die Kommission und Aufrechnungen durch die Mitgliedstaaten zu erreichen, empfiehlt sich eine Frist von zehn Tagen in Anlehnung an Art. 87 Abs. 2 UAbs. 2 HHABHHAB.

II. Forderungen der Mitgliedstaaten gegen die EU Die Forderungen der Mitgliedstaaten gegen die EU lassen sich hinsichtlich Aufrechnungseinschränkungen systematisch in zwei Kategorien einordnen. So sind Ansprüche der Mitgliedstaaten aufgrund der verschiedenen Unionsfonds von sonstigen unionsrechtlichen und rein privatrechtlichen Ansprüchen zu unterscheiden. Je nach Forderungskategorie ergeben sich unterschiedliche Einschränkungen für die Befugnis der Kommission, gegenüber diesen Ansprüchen der EU die Aufrechnung zu erklären. 250

In diesem Sinne auch Schroth, in: GS Theo Vogler, S. 106.

D. Ergebnis: Abgestufte Aufrechnungseinschränkungen

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1. Forderungen auf Zahlung aufgrund EU-Fonds Zahlungsansprüche der Mitgliedstaaten aufgrund EU-Fonds haben qualitativ nicht die gleiche Bedeutung wie Ansprüche der EU gegen die Mitgliedstaaten auf Zahlung ihrer Eigenmittel. Sie erfüllen nicht die zentrale und sensible Funktion von Haushaltsmitteln. Deshalb bietet sich auch kein generelles Aufrechnungsverbot gegenüber diesen Ansprüchen an. Dennoch gilt nach der hier vertretenen Ansicht, dass die Kommission gegenüber mitgliedstaatlichen Passivforderungen, die aus Unionsfonds resultieren, nur mit rechtskräftig festgestellten oder unbestrittenen Aktivforderungen aufrechnen darf. Auch wenn die Zahlungsansprüche aufgrund EU-Fonds nicht mit Budgetansprüchen vergleichbar sind, erfüllen sie dennoch wichtige finanz- und integrationspolitische Funktionen. Die Unionsfonds (ko-)finanzieren strukturpolitische bzw. regionalpolitische Maßnahmen in den Mitgliedstaaten. Sie fördern den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der Union und dienen regionalpolitisch dazu, den Entwicklungsrückstand strukturschwacher Regionen zu verringern. Zwar reicht die Struktur- und Regionalpolitik damit noch nicht an einen Finanzausgleich i.S.d. Art. 107 GG heran. Dennoch ist zu konstatieren, dass durch den horizontalen Ausgleich zwischen wirtschaftlich starken und wirtschaftlich schwachen Mitgliedstaaten Ansätze eines „Finanzausgleich light“ erkennbar sind. Die besondere Bedeutung der Unionsfondsmittel zeigt sich auch daran, dass sie sowohl in der Präambel des AEUV (Absätze 2 und 5) sowie in den in Art. 3 EUV niedergelegten Zielen der Union aufgeführt sind. Die mit den Unionsfondsmitteln verfolgten Ziele der Kohäsion und der Konvergenz bezeichnen deshalb einige schon als „Staatszielbestimmungen“ der Union.251 Mit Unionsfondsmitteln (ko-)finanzierte Projekte stellen zudem ein sichtbares, erkennbares Zeichen für als positiv aufgefasste EU-Maßnahmen für verhältnismäßig breite Teile der Bevölkerung dar. Sie erfüllen damit auch eine wichtige Funktion für die Akzeptanz der Politiken der EU und der EU insgesamt. Hieraus folgt, dass ein Ausbleiben der tatsächlichen Leistungsbewirkung, d. h. eine Aufrechnung, nur dann zuzulassen ist, wenn die dem Mitgliedstaat von der Kommission entgegengehaltene Forderung feststehend, d. h. gerichtlich festgestellt oder vom Mitgliedstaat unbestritten ist. Ausnahmsweise kann für Zahlungsansprüche der Mitgliedstaaten aufgrund EUFonds auch ein Aufrechnungsverbot gelten. Dies mag auf den ersten Blick verwundern – wirkt doch die Aufrechnung wie prädestiniert, um im Sinne des effet utile bei nichterfüllten Geldforderungen zu wirken. In Einzelfällen kann sich die Forderungsdurchsetzung mittels Aufrechnung aber auch nachteilig auf die Durchsetzung von Unionsrecht auswirken. Denn infolge der fehlenden tatsächlichen Auszahlung der erforderlichen Geldsumme kann die Durchführung der gesamten Maßnahme, die gleichfalls Unionsziele verfolgt und deshalb auch Gegenstand der Anwendbarkeit des effet utile-Grundsatzes ist, gefährdet sein. Unterbleiben etwa 251

So Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 3 Rn. 2.

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4. Teil: Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern auf Unionsebene

tatsächliche Vorschusszahlungen, müssen die Mitgliedstaaten die Mittel zur Durchführung des Vorhabens mit eigenen Mitteln bewirken. Dies kann in Einzelfällen dazu führen, dass Vorhaben, die ein Ziel der EU verfolgen, nicht mehr durchgeführt werden (können). Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn sich ein Mitgliedstaat in akuten Zahlungsschwierigkeiten befindet und er nicht auf anderweitig vorhandene, eigene Mittel zur Durchführung und Finanzierung des Vorhabens zurückgreifen kann. In einer solchen Konstellation ist der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit in beiden Richtungen anwendbar: Zum einen besteht ein Interesse daran, dass die der Union zustehende Forderung eingetrieben wird. Zum anderen liegt es im Unionsinteresse, dass die geförderte Maßnahme durchgeführt wird. Es liegt dann im Ermessen der Kommission zu beurteilen, welchem von beiden Unionsinteressen der Vorzug zu geben ist. Da inzwischen größte Haushaltsprobleme und auch Staatsinsolvenzen unter den Mitgliedstaaten nicht mehr kategorisch auszuschließen sind, sind durchaus Situationen vorstellbar, in denen eine Aufrechnung dem effet utile zuwiderläuft und damit unzulässig ist. Ein Ausbleiben der Forderung kann sich etwa gegenüber dem Ausbleiben der Maßnahme dann als weniger schädlich herausstellen, wenn in einem Mitgliedstaat, der sich in einer schweren wirtschaftlichen und fiskalischen Krise befindet, die betreffenden EU-Maßnahmen der Förderung des Wirtschaftswachstums dienen sollen. In diesem Zusammenhang kann die Förderung von Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck, sondern notwendige Voraussetzung für eine Gesundung von Wirtschaft und Haushalt des Mitgliedstaats sein. In einem solchen Fall dürfte die Abwägungsentscheidung der Kommission regelmäßig auf ein Unterlassen der Aufrechnung hinauslaufen. Hinzuweisen bleibt im Übrigen auf die Frist des Art. 87 Abs. 2 UAbs. 2 HH-AB, nach dem die Kommission den Mitgliedstaat mindestens zehn Tage im Voraus von ihrer Absicht, die Aufrechnung vorzunehmen, informieren muss. 2. Sonstige unionsrechtliche und privatrechtliche Forderungen Wie auch im Fall der Aufrechnung der Mitgliedstaaten gegen sonstige unionsrechtliche und privatrechtliche Forderungen der Union begegnet eine Aufrechnung der Union gegenüber sonstigen unionsrechtlichen und privatrechtlichen Forderungen der Mitgliedstaaten keinen größeren Bedenken. Es gilt die Frist des Art. 87 Abs. 2 UAbs. 2 HHAB.

Zusammenfassung Erster Teil

1. Schulden zwei Personen einander Geld, drängt sich eine Verrechnung der Forderungen auf. Dieser im deutschen Recht in den §§ 387 ff. BGB als Aufrechnung bekannte Vorgang findet sich in allen europäischen Rechtsordnungen. Neben der Vereinfachung der Leistungserbringung kommt der Aufrechnung die Funktion einer Art „Selbstvollstreckungsrecht“ zu, dient sie doch der Durchsetzung der eigenen Forderung ohne Mitwirkung – oder sogar gegen den Willen – des Schuldners. Nach deutschem Recht tritt die Aufrechnungswirkung erst nach erfolgter Erklärung der Aufrechnung durch eine der beiden Parteien (mit der Aktivforderung gegen die Passivforderung) und rückwirkend zum Entstehungszeitpunkt der Aufrechnungslage ein. 2. Eine Aufrechnungslage liegt vor, wenn sich gleichartige Forderungen gegenüberstehen, die Aktivforderung des Aufrechnenden fällig und einredefrei und die Passivforderung des Aufrechnungsgegners erfüllbar ist sowie keine Aufrechnungseinschränkung vorliegt. Aufrechnungseinschränkungen können sich aus Gesetz, Vertrag oder der Natur des Schuldverhältnisses bzw. Treu und Glauben ergeben und tragen der Tatsache Rechnung, dass die Möglichkeit der Aufrechnung nur dann zulässig ist, wenn sie nicht unbillig ist. Eine Konnexität der Forderungen ist ebensowenig erforderlich wie eine Liquidität der Forderungen. Zweiter Teil

3. Trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage findet die Aufrechnung als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens im öffentlichen Recht Anwendung. Mangels Vorliegens einer Regelungswirkung wird die Aufrechnungserklärung einer Behörde ganz überwiegend als verwaltungsrechtliche Willenserklärung und nicht als Verwaltungsakt qualifiziert. Zu beachten ist außerdem das Erfordernis der Kassenidentität, § 394 BGB. Ein allgemeines Liquiditätserfordernis an die Aktivforderung des Bürgers besteht im Steuerrecht, es ist aber nicht verallgemeinerungsfähig. Dritter Teil

4. Neben einer Aufrechnung im Verhältnis Bürger-Bürger und im Verhältnis Bürger-Staat kommt auch eine Aufrechnung im Verhältnis Staat-Staat, d. h. eine Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern, in Betracht. Die Nähe der Aufrechnung zur Vollstreckung erfordert hier eine genauere Untersuchung, da eine Vollstreckung zwischen Hoheitsträgern nur sehr eingeschränkt möglich ist. Zwar kann die öf-

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fentliche Hand bei Rechtsstreitigkeiten zulässigerweise auf beiden Seiten eines (gerichtlichen) Erkenntnisverfahrens stehen. Je nach Rechtsgebiet ergibt sich jedoch ein differenziertes Bild im Hinblick darauf, ob der Staat auch Adressat eines Vollstreckungsverfahrens sein kann. 5. Die Möglichkeiten aus einem Zivilrechtsstreit gegen den Staat zu vollstrecken sind am weitgehendsten. Geldforderungen gegen den Staat können gem. § 882a ZPO mit der Maßgabe vollstreckt werden, dass die Vollstreckung erst nach einer gewissen Frist und nur in Objekte erfolgt, die nicht der im öffentlichen Interesse liegenden staatlichen Aufgabenerfüllung dienen. Andere, nicht auf Geld lautende Ansprüche auf Handlung, Duldung oder Unterlassung werden nach den allgemeinen Vorschriften durch Ersatzvornahme, Zwangsgeld oder Zwangshaft vollstreckt. Verwaltungs-, finanz- und sozialgerichtliche Entscheidungen werden ohne nennenswerte Unterschiede auf dieselbe Weise vollstreckt. 6. Ein anderes Bild ergibt sich bei der administrativen Rechtsdurchsetzung. Hier ist zum einen eine Vollstreckung von Geldforderungen gegen den Bund und die Länder nicht möglich. Gegenüber den sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist die Verwaltungsvollstreckung wegen Geldforderungen nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde möglich. Zum anderen ist eine Vollstreckung von anderen Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen gegenüber allen staatlichen Stellen grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Vollstreckung von Geldforderungen zwischen Hoheitsträgern ist demnach nicht möglich. Stattdessen ist der staatliche Gläubiger auf das kooperative Verhalten des anderen Hoheitsträgers und damit letztlich auf dessen freiwillige Leistungserfüllung angewiesen. 7. Die nicht vorhandene Vollstreckungsmöglichkeit führt aber nicht dazu, dass eine Forderungsdurchsetzung mittels Aufrechnung auszuschließen ist. Denn das Instrument der Aufrechnung unterscheidet sich sowohl materiell als auch funktional signifikant von der Vollstreckung. Materiell lässt sich die Vollstreckung als die zwangsweise Durchsetzung einer rechtlichen Entscheidung im Rahmen eines staatlichen Verfahrens charakterisieren. Eine Aufrechnung erfüllt keines dieser drei die Vollstreckung kennzeichnenden Merkmale. Zwar wird durch die Aufrechnung mit der Geldforderung ein rechtlicher Anspruch durchgesetzt. Dies erfolgt aber nicht im Rahmen eines staatlichen, hoheitlichen Verfahrens, sondern mit einem Instrument, das auch im bürgerlichen Rechtsverhältnis genauso zur Verfügung steht. Der Aufrechnung fehlt außerdem das die Vollstreckung kennzeichnende Zwangselement. Zudem ist der durch die Aufrechnung durchgesetzte Anspruch vorher nicht verbindlich erkannt und festgestellt worden. Mit der Aufrechnung können vielmehr Ansprüche durchgesetzt werden, die vorher nicht verbindlich festgestellt wurden. Die Aufrechnung erfüllt materiell keines der konstitutiven Merkmale der Vollstreckung. Auch in funktionaler Hinsicht ist die Aufrechnung nicht mit der Vollstreckung vergleichbar. Da die Rechtsdurchsetzung mittels Aufrechnung, anders als die Rechtsdurchsetzung mittels Vollstreckung, regelmäßig keinen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit des Aufrechnungsgegners haben kann, besteht grundsätzlich

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keine Funktionsäquivalenz zwischen den Instrumenten der Aufrechnung und der Vollstreckung. Einer Aufrechnung zwischen Hoheitsträgern steht somit grundsätzlich nichts entgegen. 8. Punktuell können Aufrechnungseinschränkungen bis hin zu Aufrechnungsverboten bestehen. Diese ergeben sich insbesondere aus finanzausgleichsrechtlichen Erwägungen. Dogmatisch ist das Recht der Aufrechnung, das in hohem Maße Ausdruck von Billigkeitsrecht ist, offen für nicht positivierte Aufrechnungseinschränkungen und -verbote. Über den ungeschriebenen Grundsatz der Bundestreue ist außerdem anerkannt, dass im bundesstaatlichen Verhältnis formal bestehende Rechte eingeschränkt sein können, wenn andere bundesstaatliche Akteure durch die Rechteausübung Schaden nehmen. 9. Bei der Beurteilung von Aufrechnungseinschränkungen ist hinsichtlich unterschiedlicher Kategorien von Forderungen im Bundesstaat zu differenzieren. Systematisch kann zwischen Forderungen mit Finanzierungsfunktion aufgrund des Finanzausgleichs gem. Art. 106, 107 GG, sonstigen (finanz-)verfassungs- und öffentlich-rechtlichen Forderungen sowie privatrechtlichen Forderungen unterschieden werden. Eine Aufrechnung gegen eine finanzausgleichsrechtlich begründete (Steuer-)Forderung, die der Finanzierung der Haushalte von Bund und Ländern dient, ist nur mit einer ebenfalls aus dem Finanzausgleich resultierenden Forderung oder mit der Zustimmung des Aufrechnungsgegners möglich. Gegenüber sonstigen (finanz-)verfassungs- und öffentlich-rechtlichen Forderungen darf nur mit gerichtlich festgestellten oder unbestrittenen Forderungen aufgerechnet werden. Bei Aufrechnungen gegenüber privatrechtlichen Forderungen bestehen grundsätzlich keine besonderen Bedenken. In allen Fällen folgt aus dem Grundsatz des Bundestreue zudem, dass der Aufrechnende seine Aufrechnungserklärung mindestens vier Wochen vorher ankündigen muss. Vierter Teil

10. Aufrechnungssituationen können sich auch im europäischen Mehrebenensystem, zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten untereinander, ergeben. Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für eine Aufrechnung zugunsten der Europäischen Kommission findet sich sekundärrechtlich in der Verordnung über die Haushaltsordnung der EU. Eine mitgliedstaatliche Aufrechnungsbefugnis ergibt sich aus dem Geltungsgrund der Aufrechnung als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts. Eine wirksame Aufrechnung durch die Kommission und eine Aufrechnung durch einen Mitgliedstaat setzen jeweils (a) gegenseitige und gleichartige Forderungen, (b) Fälligkeit und Einredefreiheit der Aktivforderung, (c) Erfüllbarkeit der Passivforderung sowie (d) eine Aufrechnungserklärung voraus. Eine Aufrechnung durch die Kommission erfordert zudem die Fälligkeit der Passivforderung und, im Falle eines mitgliedstaatlichen Aufrechnungsgegners, eine Mitteilung über die geplante Aufrechnungserklärung mindestens zehn Tage im Voraus. Im Fall einer mitgliedstaatlichen Prozessaufrechnung

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liegt die Berücksichtigung der geltend gemachten Aktivforderung im Ermessen des Richters, wenn diese nicht rechtskräftig festgestellt oder unbestritten ist. 11. Auch im Unionsrecht stellt sich die Frage nach der Vergleichbarkeit der Aufrechnung und der Vollstreckung. Die Vollstreckungsmöglichkeiten zwischen Hoheitsträgern sind im Unionsrecht noch restriktiver als im deutschen Recht: Eine Vollstreckung von Ansprüchen gegenüber Mitgliedsstaaten – nach hier vertretener Auffassung – ausnahmslos nicht möglich. Dennoch folgt daraus auch hier nicht die grundsätzliche Unzulässigkeit der Aufrechnung. Denn auch im Unionsrecht fehlen der Aufrechnung mit dem Zwangselement und dem Element der Rechtsdurchsetzung im Rahmen eines staatlichen, hoheitlichen Verfahrens konstitutive Merkmale der Vollstreckung. Die Aufrechnung stellt somit auch im Unionsrecht keine unzulässige Umgehung der fehlenden Vollstreckungskompetenzen dar. 12. Trotz der grundsätzlichen Zulässigkeit der Aufrechnung ergeben sich auch im Unionsrecht punktuelle Aufrechnungseinschränkungen bis hin zu Aufrechnungsverboten. Dogmatischer Anknüpfungspunkt hierfür ist der Grundsatz der Unionstreue, der – ähnlich wie beim Grundsatz der Bundestreue – rechtebeschränkende und pflichtenbegründende Konkretisierungen kennt. Weitere aufrechnungseinschränkende Implikationen können sich aus dem Grundsatz des effet utile und – in geringerem Ausmaß – aus dem Verhältnismäßigkeits- und dem Vertrauensschutzgrundsatz ergeben. 13. Bei der Beurteilung von Aufrechnungseinschränkungen im Unionsrecht ist ebenfalls zwischen unterschiedlichen Kategorien von Forderungen zu differenzieren. Bei Ansprüchen der EU gegenüber Mitgliedstaaten sind Forderungen auf Zahlung der EU-Eigenmittel, die eine Finanzierungsfunktion für den Haushalt der EU haben, von Forderungen mit Sanktionscharakter und privatrechtlichen Forderungen zu unterscheiden. Bei Ansprüchen der Mitgliedstaaten gegen die EU sind Forderungen, die aus Unionsfonds wie Agrar-, Struktur- oder Regionalfonds resultieren, von privatrechtlichen Forderungen zu unterscheiden. 14. Forderungen der EU auf Zahlung ihrer Eigenmittels sind wegen der besonderen Bedeutung für die stetige Haushaltsfinanzierung der EU grundsätzlich aufrechnungsfest. Gegen diese Forderungen mit Finanzierungsfunktion kann ein Mitgliedstaat nur mit Zustimmung der Kommission aufrechnen. Forderungen der EU mit Sanktionscharakter, wie etwa Zwangsgelder und Pauschalbeträge im Rahmen von Vertragsverletzungs- oder Defizitverfahren nach Art. 260 Abs. 2 und Abs. 3 AEUV bzw. Art. 126 Abs. 11 AEUV, sind wegen der Ahndungs- und Abschreckungsfunktion ebenfalls aufrechnungsfest. Die Kommission kann nur ihre Zustimmung erteilen, wenn nach ihrem Ermessen die Durchsetzung der Forderung im Wege der Aufrechnung dem effet utile dienlicher ist als ein Bestehen auf der tatsächlichen Leistungsbewirkung. Die Aufrechnung gegenüber privatrechtlichen Forderungen unterliegt weder im Fall der Aufrechnung durch die Kommission noch im Fall der Aufrechnung durch die Mitgliedstaaten Besonderheiten. Gegenüber mitgliedstaatlichen Forderungen, die aus Unionsfonds resultieren, kann die Kom-

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mission nur mit einer rechtskräftig festgestellten oder unbestrittenen Aktivforderung aufrechnen. Ausnahmsweise kann sich ein Aufrechnungsverbot ergeben, wenn die Durchführung der durch den Unionsfonds (ko-)finanzierten Maßnahme durch den Mitgliedstaat aus finanziellen Gründen nicht gesichert ist und die Durchführung der Maßnahme nach dem Ermessen der Kommission dem effet utile dienlicher ist als die Durchsetzung der Unionsforderung. Eine Aufrechnungserklärung ist in allen Fällen mindestens zehn Tage im Voraus anzukündigen.

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Sachwortverzeichnis Aktivforderung 19, 27, 43, 46, 163 Analogie 36 Anrechnung 22 Aufrechnung – im Bundesstaat 60, 102, 130, 143 – im Bürgerlichen Recht 24 – im Verwaltungsrecht 40 – öffentlichrechtliche 32 – unionsrechtliche 153, 158, 170, 203 Aufrechnungseinschränkungen 143, 203 Aufrechnungserklärung 19, 30, 51, 57 Aufrechnungsverbot 28, 46, 144, 164 Aufrechnungsvertrag 23 Beitreibung 93, 95 Bundestreue 107, 115, 130 Bundeszwang 107, 110, 130 Drittaufrechnung 24 Effet utile 179 Erfüllbarkeit der Passivforderung 28, 45, 163 EU-Eigenmittel 191, 203 Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung 199 Europäischer Garantiefond für die Landwirtschaft 196 Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes 198 Europäischer Sozialfonds 201 Ex-nunc-Wirkung 19, 163 Ex-tunc-Wirkung 19, 27, 56, 163 Fälligkeit der Aktivforderung 27, 43, 160, 163 Finanzausgleich, primärer horizontaler 138, 142 Finanzausgleich, primärer vertikaler 136, 142 Finanzausgleich, sekundärer horizontaler 139

Finanzausgleich, sekundärer vertikaler 141, 143 Finanzautonomie 177, 203 Finanzverfassung 16, 107, 128, 132 Forderungsbeziehungen, bundesstaatliche 141, 144 Forderungsbeziehungen, europäische 188, 189, 195, 203, 206 Funktionsfähigkeit 98, 105, 147, 149 Gegenseitig von Forderungen 25, 40, 160, 162 Gleichartigkeit von Forderungen 26, 42, 160, 162 Hoheitsträger, Vollstreckung gegen 72, 79, 95, 97, 100, 165 Kassenidentität 40 Kohäsionsfonds 201 Kontokorrent 23 Liquidität 30, 46, 152, 160, 163 Mehrebenensystem 15 Passivforderung 19, 28, 45, 160, 163 Rechtsgedanke, allgemeiner 37 Rechtsgrundsatz, allgemeiner des Unionsrechts 155 Sanktion 65, 204 Sanktionscharakter, Forderungen mit 204 Selbsthilferechte, private 62 Selbsttitulierung 90, 103 Unionstreue 17, 172 Verhältnismäßigkeit 119, 182 Vertrauensschutz 184, 187

230

Sachwortverzeichnis

Verwaltungsakt, Aufrechnungserklärung als 15, 52 Verwaltungskompetenz, steuerliche 109, 133, 134 Verwaltungsvollstreckung 16, 85, 88, 92, 102 Verwaltungszwang 86, 89, 96 Vollstreckung 61, 65, 68, 93, 96, 100, 165, 170

Vollstreckungskompetenz 98 Vollwirksamkeit der Aktivforderung 27, 43 Willenserklärung, Aufrechnungserklärung als 15, 30, 48, 51, 54 Zurückbehaltungsrecht 25, 30, 63, 127 Zwangsmittel 65, 92, 96