Aspekte der Sprachkomik im Französischen: Studien zur Sprache des Humoristen Alphonse Allais, 1854–1905 9783111328522, 3484520337, 9783484520332


174 121 13MB

German Pages 174 [176] Year 1972

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
VORWORT
Inhalt
EINLEITUNG
ALLAIS' METASPRACHLICHE SPIELEREIEN
NORM UND SYSTEM
DIE STILISTISCHE NULLSTUFE
SPRACHKOMIK DURCH EXTRASTRUKTURALISMEN
SPRACHKOMIK DURCH STÖRUNGEN IN DER SYNTAXSTRUKTUR
KOMIK DURCH SPRACHLICHE VERDICHTUNG
KOMIK DURCH SPRACHERSATZ
NONSENSE
ZUSAMMENFASSUNG
ANHANG
BIBLIOGRAPHIE
SACH- UND WORTREGISTER
Recommend Papers

Aspekte der Sprachkomik im Französischen: Studien zur Sprache des Humoristen Alphonse Allais, 1854–1905
 9783111328522, 3484520337, 9783484520332

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

BEIHEFTE ZEITSCHRIFT

FÜR

ROMANISCHE

BEGRÜNDET FORTGEFÜHRT

ZUR

VON

GUSTAV

VON WALTHER

HERAUSGEGEBEN

128. Heft

GRÖBER

VON

VON KURT

PHILOLOGIE

WARTBURG

BALDINGER

RUDOLF ZIMMER

Aspekte der Sprachkomik im Französischen Studien zur Sprache des Humoristen Alphonse Allais 1854-1905

MAX N I E M E Y E R VERLAG T Ü B I N G E N 1972

ISBN 3-484-52033-7 Max Niemeyer Verlag Tübingen 1972 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Herstellung durch Bücherdruck Helms KG Tübingen Einband von Heinr. Koch Tübingen

MEINER

MUTTER

VORWORT

Am Zustandekommen dieser Arbeit hat Herr Prof. Dr. G. Ineichen maßgeblichen Anteil. Ihm verdanke ich wichtige Hinweise und Anregungen vorwiegend methodologischer Art. Des weiteren fühle ich mich meinem Freund Christian Charrière, Paris, verpflichtet, der mich während meines Studiums in Paris auf das Werk Allais' aufmerksam machte. Sehr viel verdanke ich auch meiner ehemaligen Kommilitonin von den „Langues 0 " , Madame José Montoloy, Chlichy-sous-Bois, die mir stets dann mit ihrem Rat zur Seite stand, wenn ich bei schwierigeren Textstellen auf das Sprachgefühl und die Kenntnisse des Muttersprachlers angewiesen war.

VI

Inhalt

Vorwort Einleitung

VII 1

Allais' metasprachliche Spielereien

6

Provokatorische Fußnote

16

Norm und System

20

Die stilistische Nullstufe

23

Sprachkomik durch Extrastrukturalismen

25

Archaismus

25

Passé simple

30

L'imparfait du subjonctif

32

Die Negation

34

Stilistisches Amalgam

35

Extrastrukturalismen sozialer Art

36

Der Argot

37

Vertikaler und horizontaler Stilbruch

39

Die Fremdsprache

40

Das Lateinische

42

Das Englische

45

Die Fachsprache

48

Sprachkomik durch Störungen in der Syntaxstruktur

50

Die Möglichkeiten der Wortstellung

50

Syntagmaspaltung

53

Syntaxkarikatur

54

Die Parenthese

54

Die inhaltliche Disjunktion

55

Die Disjunktion im Titel

58

Nachträgliche Präzisierung

58

Die Wiederaufnahme

60

Die Stellung des Epithets

60

Das einfache Epithet

64

Das einfache gebundene Epithet

65

Das einfache freie Epithet

66

VII

Das komplizierte E p i t h e l

71

Komik durch sprachliche Verdichtung

77

Wortallianzen (Lexemallianzen)

77

Hypallage

79

Komische Metapher

80

Morphemallianzen

85

Morphemallianzen d u r c h Suffigierung

86

O n o m a t o p o e t i s c h e Morphemallianzen

90

Kontextabhängige Morphemallianzen

90

Zwischen M o r p h e m - u n d Lexcmallianz ( F r e m d s p r a c h l i c h e s )

91

„Mots c o m p o s e s plaisants"

93

Allais' „ L o g i k "

93

Das minimale Paradigma N o r m - System -

94

Verständlichkeit

98

Syntagmatischc Allianzen

98

Das Zeugma

99

Der verdichtende Verbalanschluß

101

Wortspiclhafte V e r d i c h t u n g Z u m Verhältnis: Lautung - Schreibung -

102 Bedeutung

103

Synonymie

104

Allographie

105

Homophonie

105

Problem der W o r t d e f i n i t i o n

106

Die Aktualisierung sprachlicher Klischees

108

Aktualisierung d u r c h K o n t e x t e i n f l u ß

108

Präzisierung

110

Aktualisierung d u r c h Personifizierung

111

„Die sprachliche Eulenspiegelei" Aktualisierung d u r c h Modifizierung der phraseologischen Einheit Synonymcntausch

114 114

Synomymisierung

114

Umstellung des phraseologischen Gefiiges

115

Das Wortspiel Vertikales u n d h o r i z o n t a l e s Wortspiel

115 115

Das Ergänzungsspiel

117

Amphibolien

120

Verkappte Homonymenspiele

121

Ineinandergreifen von H o m o n y m i e u n d S y n o n y m i e

122

Interferenzen

122

Kontamination

123

Das Namen-Wortspiel

124

Le vers olorime S o n n e t olorime

VIII

112 ...

131 132

Komik durch Sprachersatz

133

Sprachersatz durch Gesten

133

Interpunktion als Element der Sprachkomik Die Majuskel

134 138

Nonsense Zusammenfassung Anhang: San Antonio und Alphonse Allais Bibliographie

139 144 148 158

IX

EINLEITUNG

François Caradec, der Herausgeber des allais'schen Gesamtwerkes, wagt die kühn klingende Behauptung 1 : „Alphonse Allais est incontestablement le plus grand et le plus fécond des humoristes français." 2 Dem fügt er etwas später hinzu 3 : „Alphonse Allais est un des plus grands écrivains français du XIX e siècle." Caradec zitiert André Breton, der über das Wesen des allais'schen Werkes sagte 4 : „II va sans dire que l'édification de ce mental château de cartes exige avant tout une connaissance approfondie de toutes les ressources qu'offre le langage, de ses secrets comme de ses pièges." Noch einige Zeitgenossen Allais' mögen mit kritischen Stellungnahmen zu Wort kommen. Alfred Capus5: „Son style a de la saveur et de l'invention: il est irréprochable et partant d'une allure toute nouvelle. On n'y rencontre jamais les épithètes voyantes et criardes des écrivains gâtés ( . . . ) . Alphonse Allais avait infiniment de goût." Jules Lemaitre 6 : „ . . . les écritures bizarres d'Alphonse Allais, par leurs tics, clichés et allusions, par le tour indéfinissable de leur rhétorique et de

1 2

3 4 5 6

Tout Allais I, S. VII. Alphonse Allais wurde am 20. 10. 1854 in Honfleux (Normandie) geboren; er studierte in Paris Pharmazeutik, versäumte es allerdings, das Abschlußexamen als Apotheker abzulegen. Seine literarische Tätigkeit begann er in verschiedenen humoristischen Zeitungen als Quartier Latin (Le Tintamarre"). Er war Mitglied des berühmten Kabaretts „Le chat noir". Nach dessen Verschwinden 1898 wechselte er zum , J o u r n a l " über, wo er unter der Rubrik „La vie drôle" schrieb. Um diese Zeit erschienen auch die ersten Sammlungen seiner „contes humoristiques". Später wurde er Chefredakteur des „Sourire" und hatte diesen Posten bis zu seinem Tode 1905 inne. Er schrieb einige Theaterstücke, einen Roman („L'afTaire Blaireau"), aber sein Bestes leistete er zweifellos auf dem Gebiet der „contes humoristiques", von denen er über 1000 publiziert hat. Die ausführlichste Biographie Allais' stammt aus der Feder Anatole Jankovsky's: „Alphonse Allais, ;le tueur à gags'", Paris (Les quatre Jeudis), 1955. Tout Allais I, S. VIII. Tout Allais I, S. V11I/IX. Tout Allais I, S. XI. Tout Allais II, S. XI.

1

leur „maboulisme", impliquent toute l'anarchie littéraire de ces quinze dernières années . . . " Diesen Stimmen schließt sich die eines modernen Allais-Kenners an, die an Enthusiasmus kaum zu überbieten ist7: „Les déchaînements humoristiques de la fin du XIX e siècle ont trouvé une sorte d'accomplissement en la personne d'Alphonse Allais. Tout converge vers lui. Les autres sont de fleuves. Il est la mer. Toutes les tendances . . . nous les retrouvons chez Alphonse Allais. Très souvent, elles y sont mieux exploitées que partout ailleurs. Il est l'humoriste par excellence, le numéro un." Gegen diese überaus positive Einschätzung scheint zu sprechen, daß man den Namen Allais in den meisten Literaturgeschichten vergeblich sucht. Walter Gottschalk tut Allais in seinem umfangreichen Werk über den französischen Humor mit einer halben Seite ab 8 . Die Behauptung Carrière's: „De tous les humoristes 1900, Alphonse Allais est le seul dont la langue n'ait pas vieilli"9 wird wiederum durch die gewaltige Popularität bestätigt, die Allais in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts in Frankreich — allerdings nur dort 10 — zuteil wird. In jüngster Zeit erzielten verschiedene Sammlungen allais'scher „contes humoristiques" als Taschenbuchausgaben Rekordauflagen11. Bemerkenswert ist, daß sich fast alle kritischen Aussagen über Allais früher oder später den Eigentümlichkeiten seiner Sprache zuwenden. Caradec greift einige der Hauptcharakteristika heraus12: „Alphonse Allais est un de nos rares stylistes, d'une profonde exigence envers lui-même. Écrivain très subtil, il se permet au cours de sa plume des parenthèses, des réflexions dont l'écriture est d'une virtuosité déconcertante. Et s'il lui arrive de se lancer dans une phrase qui met la syntaxe en péril, il sait, en une note de bas de page, se tirer de ce mauvais pas." Zwei Dinge fließen also in der Person Alphonse Allais' zu einer unauflösli7 Jean-Claude Carrière, Humour 1900, Paris 1963 (Collection: J'ai lu), S. 451. 8 Walter Gottschalk, Die humoristische Gestalt in der französischen Literatur, Heidelberg 1928, S. 342. 9 Humour 1900, S. 452. 10 Fremdsprachliche Übersetzungen Allais' sind meines Wissens bisher nicht veröffentlicht worden. Rein zufällig wurde ich Zeuge einer Radiosendung mit einigen Erzählungen Allais' aus der Gattung „schwarzer Humor", die der finnische Rundfunk (Suomen yleisradio) am 27. 5. 68 von 22.15 Uhr bis 22.45 Uhr ausstrahlte. Kürzlich erschien eine Auswahl allais'scher ,contes' in rumänischer Sprache: Alphonse Allais, Sä fim sobri! (schije umoristice), Bukarest 1971. 11 Hier eine Auswahl derartiger Taschenbücher: Alphonse Allais, Allais. . . grement, Coll. livre de poche, Bd. 1392. A. Allais, Le captain Cap, CoU. 10/18, Bd. 141. A. Allais, La barbe, et autres contes, ColL 10/18, Bd. 73. A. Allais, A l'oeil, ColL „J'ai lu, j'ai ri", Bd. 249, Paris 1966. 12 Tout Allais I, S. VIII.

2

chen Einheit zusammen: einmal gilt er als Humorist, zum anderen verfügt er über eine originelle Sprache, die im Dienste seines Humors steht, ja diesen oft ausschließlich trägt. Es kann nicht Aufgabe dieser Untersuchung sein, darzutun, was Humor ist, oder ob Allais den ihm von allen Seiten verliehenen Titel „Humorist" zu Recht trägt. Der Begriff „Humor" harrt bis auf den heutigen Tag einer zufriedenstellenden, allgemeinverbindlichen Definition; die Erforschung dieses Phänomens fällt jedoch eher in den Aufgabenbereich der Psychologie als in den der Linguistik. — Immerhin klingt Walter Gottschalks Urteil über den Versuch, Humor zu analysieren, wenig verheißungsvoll. Er hält den Humor fiir etwas Gefühlsmäßiges, das sprachlich nicht erfaßt und demnach auch nicht definiert werden kann, was ihn zu der pessimistischen Schlußfolgerung führt: „ . . . alle diejenigen, welche den Humor in kleinste Bestandteile zu zerlegen versuchen, müssen an dieser Aufgabe ohnmächtig scheitern"13. Dennoch soll hier der Versuch unternommen werden, die sprachlichen Mechanismen aufzudecken, die imstande sind, irgendwie Überraschung auszulösen. W. Beinhauer14 benutzt für die zu untersuchende Erscheinung den Terminus „Sprachhumor", was einmal mehr zu der problematischen Humordefinition fuhrt. Der Begriff „Sprachkomik" scheint mir zugleich anspruchsloser und treffender, da er eher das Medium als die Haltung bezeichnet; er impliziert also weniger und ist überdies konkreter als , .Humor" 15 . Da bei der Sprachkomik meist mehrere Faktoren konvergieren, besteht die Gefahr, daß Teilanalysen das Gesamtbild zerstören. Auf diesen Umstand weist auch Beinhauer hin16: , JE ine Gliederung im strengsten Sinne des Wortes war deshalb undurchführbar, weil in den meisten sprachhumoristischen Gebilden mehrere Tendenzen gleichzeitig wirksam werden." Einen brauchbaren methodischen Ansatz liefert die Einteilung, die Bergson in „Le rire" macht. Er unterscheidet zwischen Komik, die durch die Sprache lediglich vermittelt wird, und solcher, -die sprachimmanent ist17: „ M a i s il f a u t d i s t i n g u e r e n t r e le c o m i q u e q u e la l a n g u e e x p r i m e , e t c e l u i q u e la l a n g u e crée. Le premier pourrait, à la rigueur, se traduire d'une langue dans une autre, quitte à perdre la plus grande partie de son relief en passant dans une société

13 W. Gottschalk, op. cit., S. 3. 14 Wemer Beinhauer, spanischer Sprachhumor (Augenblicksbildungen), Kölner Romanistische Arbeiten V , 1932. 15 Analog hierzu hat „komisch" in dieser Arbeit durchweg die Bedeutung von frz. „comique". 16 op. cit., S. 9. 17 Zitiert nach Henri Bergson, Oeuvres, (Edition du centenaire), Paris 1959, S. 436.

3

nouvelle, autre par ses mœurs, par sa littérature, et surtout par ses associations d'idées. Mais le second est généralement intraduisible. Il doit ce qu'il est à la structure de la phrase ou au choix des mots. Il ne constate pas, à l'aide du langage, certaines distractions particulières des hommes ou des événements. Il souligne les distractions du langage lui-même. C'est le langage lui-même, ici, qui devient comique. " Hauptziel dieser Abhandlung ist die stilistische Analyse der allais'schen Sprachkomik. Dies setzt einige theoretische Bemerkungen voraus. Bei der Untersuchung der Sprache eines Autors stellt sich die grundsätzliche Frage, welche Wahl dieser Autor innerhalb des Systems der Sprache getroffen hat, um seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen, und wie stark die individuelle Ausdrucksweise — der Stil — von den Anforderungen der Information und Kommunikation abweicht. Pierre Guiraud kommt zu der knappen Definition18: „Un style est un écart qui se définit quantitativement par rapport à une norme." Eine neuere Definition lautet19: „Was verstehen wir unter dem „Stilwert" der sprachlichen Elemente (Zeichen), mit einem Fremdwort: unter ihrem „Stilisticum"? Man könnte es vielleicht wie folgt formulieren: Jene in der Ausdruckskraft, in der Expressivität auftretende Besonderheit, jenes „mehr", das das betreffende sprachliche Element von seinen „indifferenten" Synonymen bzw. den übrigen Elementen unterscheidet." Von diesen Definitionen leitet sich die Aufgabe ab, der eine Stiluntersuchung genügen muß. Es gilt, diesen Abstand, dieses „mehr" an Hand des zur Verfügung stehenden sprachlichen Materials zu bestimmen. Ausgangspunkt ist die Sprachnorm mit dem „usage", „lequel n'est en définitive que le choix fait par une majorité, ou celui de quelques fortes personnalités"20. Jeder Autor weicht von dieser doch recht vagen Größe „Sprachnorm" auf seine Weise ab. Hier stellt sich die Frage, auf welcher Artikulationsebene die größten Variationsmöglichkeiten bestehen. Dies ist ganz offensichtlich im Bereich der ersten Artikulation der Fall21. Auf den unterschiedlichen Grad der Kombinierbarkeit weist Roman Jakobson hin22: „Man kann also von einer fortschreitenden Skala der freien Kombinationsmöglichkeiten sprechen. Was die Kombination der distinktiven Merkmale zu Phonemen anbetrifft, so ist die Freiheit des individuellen Sprechers 18 Pierre Guiraud, La stylistique, Paris 1963 (4. Aufl.), S. 19. 19 I. Szathmari. Über den Stilwert der sprachlichen Elemente, Acta Linguistica, Tomus 18, S. 162-172, Budapest 1968. 20 Marcel Cressot, Le style et ses techniques, Paris 1963 (5. Aufl.), S. 6. 21 „La première articulation est celle selon laquelle tout fait d'expérience à transmettre, tout besoin qu'on désire faire connaître à autrui s'analyse en une suite d'unités douées chacune d'une forme vocale et d'un sens". (A. Martinet, Éléments de linguistique générale, § 1 - 8 . ) 22 Roman Jakobson/Morris Halle, Grundlagen der Sprache, Berlin 1960, S. 53.

4

gleich Null. Der Kode sieht bereits alle Möglichkeiten vor, die in einer gegebenen Sprache ausgenutzt werden können. Die Freiheit, Phoneme zu Wörtern zu kombinieren, ist eng begrenzt und bleibt auf die seltenen Fälle der Wortneuprägung beschränkt. Bei der Satzbildung aus Wörtern besitzt der Sprecher größere Freiheit." Der eigentliche Bereich stilistischer Nuancierungsmöglichkeiten ist also derjenige, in dem sich sprachliche Elemente am leichtesten kombinieren bzw. austauschen lassen: der auf Lexemen fußende syntagmatische Bereich. Der „usage", der allem Anschein nach mit Gesichtspunkten der Logik nicht erfaßt werden kann, räumt dem Verfasser zweifellos innerhalb der ersten Artikulation den größten Spielraum ein. Überschreitet ein Autor den eng gesteckten Rahmen der Phonologie und Morphologie, so liegt im allgemeinen der Verdacht nahe, daß er unbewußt die Norm durchbrochen hat; der Kritiker fühlt sich in diesem Falle berechtigt, ihm das anzukreiden. Häufen sich derartige Verstöße, so läuft der Autor Gefahr, bei den mittelmäßigen Vertretern seines Metiers eingeordnet zu werden. Die meisten Stiluntersuchungen beschäftigen sich fast ausschließlich mit dem, was auf der Ebene der ersten Artikulation bei einem Autor vor sich geht, d.h. sie erforschen, in welchem Maße der betreffende Autor mit Hilfe der gegebenen Lexik und Syntax expressiv wird. Allais geht weiter und ist nicht selten bemüht, die schwache Kombinationsfähigkeit der Phoneme bzw. Morpheme eigenmächtig zu erhöhen. Es gilt, zu untersuchen, inwieweit dieses Verfahren, das mit der oben zitierten bergson'schen Definition der sprachimmanenten Komik identisch ist, der Sprachkomik zugute kommt. Die zweite von Bergson erwähnte Seite der Sprachkomik, d.h. „le comique que la langue exprime", soll hier nicht erörtert werden, da in dieser Kategorie, die vor allen Dingen die Methoden der Intensivierung umfaßt (z.B. die Hyperbel), s p r a c h b e d i n g t e Mechanismen nicht wirksam werden. Dagegen ist es nicht uninteressant, Allais' Einstellung zur Sprache herauszufinden; denn Allais bedient sich nicht nur origineller Sprachmittel, sondern es gelingt ihm auch, den Blick der Fremdheit auf seine eigene Sprache zu werfen, d.h. sprachliche Gegebenheiten als solche in Frage zu stellen. Das Ergebnis dieser kritischen Einstellung zur Sprache sind seine metasprachlichen Spielereien. Als besonderem Aspekt der Sprachkomik gebührt auch dem sprachlichen Nonsense ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit, und schließlich soll Allais durch Einbeziehung eines modernen „Sprachkomikers" — San-Antonio — in einem größeren Rahmen gesehen werden.

5

ALLAIS' METASPRACHLICHE SPIELEREIEN

Allais ist imstande, das Französische als Außenstehender zu betrachten. In der fiir den Humoristen typischen Form des ironischen Eigenlobs äußert er seine lebhafte Anteilnahme am Schicksal seiner Sprache: „Tout ce qui touche à la langue française, d'ailleurs, ne me saurait demeurer indifférent. Mes lecteurs, mes bons petits lecteurs chéris, le savent bien, car pas un jour ne se passe sans que je sois consulté sur quelque philologique embarras, ou invité à consacrer de ma haute sanction telle nouvelle formule." 1 In Form eines fiktiven Briefes läßt er einen Leser folgendes „Problem" vortragen: Il s'agit aujourd'hui des différentes orthographes du mot „sang", qui ondoient suivant la qualité, la couleur, la temperature, etc., etc'. Quand, par exemple, vous parlez, dans le „Journal", de ce jeune esthète que vous appelez, je crois, Sarcisque Francey ou Sancisque Frarcey (ou un nom dans ce genre-là), vous dites: „Ce petit jeune homme détient le record du bon sens." Mais dès qu'il est question du chasseur Mirman, vous écrivez: „Le député de Reims se fait beaucoup de mauvais sang." Donc, s, e, n, s quand c'est bon; s, a, n, g quand c'est mauvais. De même l'ortographe de ce mot varie avec la couleur: Quoique le sang soit habituellement rouge, vous écrivez „faire semblant" s, e, m, et „sambleu!" s, a, m. Expliquez cela, s. v. p.! Ce n'est pas tout: Pourquoi écrivez-vous: „M. Barthou perdit son sang-froid s, a, n, g et „Don Quichote perdit son Sancho" s, a, n? (II, 42/43)

Dieses Problem, das unter dem anspruchsvollen Titel „Philologie" aufgerollt wird, ist kennzeichnend fur den Versuch, den Abstand zwischen Graphie und Lautung zu Zwecken der Sprachkomik auszunutzen. Hier wird in scheinbar seriöser Weise der Versuch vorgespiegelt, durch semantische Analyse auf Grund phonetischer Kriterien einen Sinn in die Graphie zu bringen 2 . Besonders der Frage der Orthographiereform widmet Allais seine Aufmerksamkeit; allerdings entspringen seine Vorschläge trotz ihrer Pseudowissenschaftlichkeit mehr einem schelmischen Vergnügen an diesem offenbar unlösbaren Problem als der ernsthaften Absicht, zur Lösung der Frage beizutragen. 1 11,42. 2 Näheres hierzu S. 102-105.

6

Allais nennt die Orthographie „une vieille tante à héritage" 3 . Bei der Kontroverse zwischen Anhängern des Status quo und radikalen Neuerern der Rechtschreibung stellt er sich diplomatischerweise auf die Seite beider Parteien. Den angestrebten Mittelweg zeichnet er mit einem kühnen Bild: „Ah! si l'on pouvait trouver un moyen terme, un ingénieux truc qui nous permît de violer la vieille douairière sans cesser néanmoins de la tant vénérer!" 3 Schließlich befürwortet er eine Reform, führt zu ihrer Rechtfertigung aber außersprachliche Gründe ins Feld: „II est difficile de se rendre un compte même approximatif, à moins d'avoir beaucoup pâli sur la question, de la place que pourront gagner les littérateurs, du jour où ils se décideront à écrire „ t é â t r " au lieu de „théâtre", „lètr" au lieu de „lettre" et „filandreu" au lieu de „philandreux". Environ trente pour cent! (P IV, 361)

Aus rein ökonomischen Gründen wäre also eine Vereinfachung von großem Nutzen. Die erreichbare Einsparung sähe dann etwa so aus: Les romans de 300 pages n'en compteront plus que 200, et, au lieu de les payer 3 francs, on les aura pour quarante sous! Si vous trouvez que cela n'est rien, vous!" (P IV, 361)

Die besondere Zielscheibe des allais'schen Spottes bildet der Kritiker Francisque Sarcey (1827—99), dessen Urteil vierzig Jahre lang den Geschmack des bürgerlichen Publikums lenkte 4 . Allais parodiert die von Platitüden wimmelnden Artikel Sarcey's in zahllosen mit „Francisque Sarcey" unterschriebenen Beiträgen 5 . So läßt er Sarcey in einem annähernd phonetisch geschriebenen Artikel auch für die Orthographiereform Partei ergreifen. Einen Eindruck soll folgende Kostprobe vermitteln: La kestion de la réform de lortograf est sur le tapi. Naturclman, il y a de gens qui se voil la fass kom sii sajicé de kelk onteu sacriléj. Dôt-z-o contrer trouv ça tré bien. Kom de just, je fu lun dé premié interviouvé. Mon cher met parci, mon cher met parlà, ke pancé vou de cett réform? (P II, 316)

Die Ökonomisierung der Orthographie wird unter dem Titel „Ancor la réform de l'ortograf" auf die Spitze getrieben: C'est que moi, je ne me contente pas de transformer „Hérault" en „Ero"; j'écris froidement „ R O " . Non moins froidement, j'écris „ N R J " pour „Energie" et „ R I T " pour „Hériter". Je me garde bien de mettre: „Hélène a eu des bébés." Combien plus court, grâce à mon procédé: J . N A U D BB." (P IV, 363) 3 4

5

P IV,360. Gustave Lanson äußert u.a. Folgendes über Sarcey (Hist. de la littér. franc., 20. Aufl., S. 1122): „Malheureusement, pas sa oompétence, par son esprit, par toute sa ronde, robuste et spirituelle personne, Sarcey s'était acquis sur le public une autorité incroyable." Die meisten Sarcey-Parodien finden sich in P II.

7

Wenn Allais diesen phantastischen Vorschlag auch als Leserbrief präsentiert, so steht doch außer Zweifel, daß er selbst bei der Konzeption dieser nur auf einen Bruchteil des Sprachmaterials anwendbaren Silbenschrift Pate gestanden hat. Aber auch andere Probleme, die unmittelbar die Sprache angehen, werden in ihrer Willkür aufgedeckt und ad absurdum geführt. In dem „Féminisme intégral" überschriebenen Artikel 6 beklagt sich eine Dame namens Léa bitter über die bisweilen absurd erscheinende ständige Priorität des genus masculinum in grammatischen Belangen. Allais, den sie mit ,4'intrépide réformateur de notre langue" anredet, soll zu ihrem Problem Stellung nehmen 7 : „Vous n'ignorez pas, cher monsieur, que lorsqu'un adjectif s'applique à deux noms dont l'un est masculin et l'autre féminin, cet adjectif doit se mettre au masculin."

Léa ist bemüht, die Lächerlichkeit dieser Regel nachzuweisen: „En certaines occurences même, ladite règle frise un ridicule qui le dispute à l'odieux. Exemple: „Ce monsieur et ces cent mille dames sont petits'" „Alors, parce que, dans cette énorme agglomération d'êtres vivants, un seul mâle, et tout chétif encore, s'est glissé (au moyen de quels louches procédés, on le devine), il faut que cent mille pauvres petites femmes empruntent le genre masculin! „C'est du propre! (P IV, 367)

Schließlich kommt sie zu ihrem persönlichen Anliegen und stellt nicht ohne Empörung fest: „J'ai vingt-sept ans, c'est-à-dire que je suis dans tout l'épanouissement de ma force. Grande, bien découplée, je pourrais, sans me vanter, tenir tête à maint être barbu (un léger duvet, d'ailleurs, très gentiment, ombrage ma lèvre). „Or, j'ai un petit garçon de vingt et un mois, assez vigoureux, mais pas plus gros que ça (il tient de son père, lequel est de la petite espèce). Or, voici la lettre que j'ai été forcée d'écrire ce matin, en réponse à une personne qui nous avait fait un cadeau: „Mon bébé et moi avons été „heureux" ... etc.! „Heureux! Au masculin! „Ainsi son sexe (!) confère grammaticalement à ce galopin le pas sur moi, sa mère!

Hier wird das Problem von „genre" und „sexe" (= genre naturel) in der Sprache angeschnitten, „qui suppose une correspondance, rarement réalisée, entre la grammaire et la nature" 8 . Die von Léa selbst skizzierte grammatische Regel läßt sich veranschaulichen:

6 P IV, 366-68. 7 Wie in den anderen Fällen handelt es sich auch hier um einen von Allais selbst verfaßten Brief. 8 J. Marouzeau, Lexique de la terminologie linguistique, S. 101.

8

(a)

Le jardin et la maison sont beaux

(maison)

Alle Substantive besitzen ein grammatisches, aber nur wenige darüber hinaus ein natürliches Genus. Die hier erwähnte Regel wirkt bei Substantiven mit nur grammatischem Genus als Automatismus ohne semantische Besonderheit (a). Tritt jedoch das natürliche Geschlecht hinzu, so erfährt diese Regel eine semantische Aktualisierung, d. h. auch das Adjektiv erhält scheinbar ein natürliches Geschlecht, es wird soz. „sexualisiert": (b)

L'oncle et la tante sont vieux.

(tante)

Während sich in (b) S m

»

pas point

Aus der Skizze geht hervor, daß „point" den größten komischen Wert besitzt, der sogar relativ meßbar ist als Summe von „pas" + „ne . . . point".

Extrastrukturalismen sozialer Art Bei den Extrastrukturalismen sozialer Art richtet sich die Aufmerksamkeit vor allen Dingen auf die sprachlichen Besonderheiten der sog. sozial niedrigeren Schichten. Wenn man die normative Sprache zum Maßstab nimmt, so entspricht dem Hinabsteigen auf der sozialen Leiter auch eine ganze Skala sprachlicher Nuancierungen von der Familiären Sprache über „le langage populaire"33 bis hin zum Argot, das nicht selten idiolektale Züge annimmt. In vielen Fällen weicht Allais nur unwesentlich von der stilistischen Nullstufe in die Trivialsprache ab: Je me suis donc envoyé les deux premiers actes de „Sigurd". (II, 227) Or, un jour que le diner avait été plus maigre que d'habitude (ce qui n'est pas peu dire) la petite femme : ! : (I, 467) Il vendait son étude 3000 francs - au bas mot - de plus qu'elle ne valait. (I, 548)

Die folgenden Beispiele sind schon um einige Nuancen derber: - Stanley n'a jamais f . • . les pieds en Afrique. (I, 518) L'homme, lui, s'en serait fichu pas mal, d'être pauvre - . . . - Tu ne parais pas heureux, pauvre Bougre? fit l'étranger - Oh non . . . pas des tas!

(I, 466)

(I, 266)

Die Vulgarismen Allais' sind jedoch nicht nur lexikalischer Art, sie stoßen auch in den morphematischen Bereich vor34 : 33 Vgl. Henri Bauche, op. cit., passim. 34 P. Guiraud, Le français populaire, S. 49: „Ce systeme forme une classe d'adverbes d'interrogation. . ., avec un générique ti, vide de tout contenu sémantique; . .

36

Il éclata: - En voilà-t-y-pas une affaire, de dresser des moules! Mon Dieu, c'est-y embêtant d'être aussi nécessiteux.

(II, 80) (I, 467)

Wie schon an anderer Stelle zu erkennen war, liebt Allais das Abweichen von der Nullstufe in zwei entgegengesetzte Richtungen, d. h. er läßt Extrastrukturalismen verschiedener Färbung aufeinanderprallen: Et, poussant du pied un bout de cigare que gisait près de la porte. - Ce mcgot-là? . . . C'est-y toi qui l'as fumé? (1,487) Des hardes, d'un ton plutôt pisseux, gisaient sur les meubles les moins faits pour les recueillir. (II, 171)

In den vorliegenden Fällen kontrastiert das vulgärsprachliche Element mit dem archaischen. Das doppelte Abweichen von der Nullstufe kann den qualitativen Aspekt (= Extrastrukturalismus) mit dem quantitativen Aspekt konfrontieren: La ruche parlemantaire rebourdonne à tour de bras et le sein des commissions repalpite, faut voir comme! (I, 547) plastisch-bildhaft
iscicoksque opération" 40 Sigmund Freud, Der Witz, S. 1 3 - 7 2 . 41 Wagenknecht, Das Wortspiel bei Karl Kraus, S. 9 - 2 2 .

115

Zwei Beispiele aus dem „Canard enchaîné" scheinen geeignet, die Hauptkategorien des Wortspiels zu veranschaulichen: In einem ironischen Bericht über den französischen Verteidigungsminister Michel Debré heißt es: 42 Dans son discours, le populaire ministre de la Dépense et de la

Mort...

Es ist offensichtlich, daß hier „ministre de la Dépense et de la Mort" für ministre de la Dé/ense et de Varméé" steht. Durch geringfügigen Austausch einiger Phoneme entsteht ein wortspielhafter Terminus, der vom offiziellen sich semantisch vielsagend abhebt, er ist semantisch akzentuiert. Dieses Wortspiel entsteht gleichsam durch leicht variierte Überlagerung über den Ausgangsterminus und rechtfertigt somit seine Benennung „vertikales Wortspiel". Daß die semantische Akzentuierung beim vertikalen Wortspiel entbehrlich ist, weist Wagenknecht überzeugend nach. 43 Das zweite Beispiel beschäftigt sich ebenfalls in kritischer Weise mit dem französischen Verteidigungsminister: 44 M. Debré, ministre . . . de la Défense Nationale de penser, . . .

Hier handelt es sich um ein verbales Spiel horizontaler Art, da die Sprachzeichen nicht überlagert gebraucht werden, sondern in linearer Folge. Die Erweiterung „de penser" aktualisiert in überraschender Weise eine semantische Virtualität des Signifiant „Défense", die durch „Nationale" schon eliminiert schien. Entsprechend seiner satirischen Einstellung sind die Wortspiele im „Canard enchaîné" durchweg s e m a n t i s c h a k z e n t u i e r t . Aber nicht jede Homonymenaktualisierung benötigt die semantische Akzentuierung. Henri Mürger macht beispielsweise ausgiebig Gebrauch von einer Art „calembour", die Bruneau als „plaisanterie particulièrement stupide" bezeich46

crains

crin

Beide liegen sowohl semantisch als auch morphologisch so weit auseinander, daß ein Homonymenkonflikt ausgeschlossen ist. Ein scheinbarer Homony-

42 43 44 45 46

Nr. vom 10.12.69, S. 1. Wagenknecht, op. cit., S. 17. Nr. vom 4.2.70, S. 8. Bruneau, Bd. XII, S. 414. Henri Mürger, Scènes de la vie de Bohème, zitiert nach der Ausgabe: Julliard (Littérature 4), Paris 1964, S. 179.

116

menkonflikt wird nun willkürlich herbeigeführt, indem ohne jegliche inhaltliche Motivierung „crains" ein Kontext zugeschustert wird, der nur auf „crin" paßt. In der traditionellen Terminologie bezeichnet man dieses seiner Qualität nach höchst zweifelhafte Wortspiel als „coq-à-1'âne". Linguistisch formuliert kann man von einem homonymenbedingten Umschwung in eine kontextfremde Sphäre sprechen. Elisabeth Kredel nennt diese Erscheinung Ergänzungsspiel , 47 An dieser Stelle scheint es mir geboten, den Rahmen der Untersuchung etwas zu erweitern, da sich so das Wortspiel bei Allais leichter einordnen läßt. Der Hauptvertreter des „Ergänzungsspiels" war M. de Bièvre ( 1 7 4 7 - 8 9 ) . Bei ihm wird diese Art Kalauer zum Selbstzweck. Dabei rechtfertigt er allen Ernstes sein Verfahren auf eine Weise, der ein gewisser naiver Charme nicht abgesprochen werden kann: 4 8 „Le style de nos meilleurs auteurs ne présentant les idées que sous un seul jour, doit moins flatter l'imagination et l'esprit que celui qui le montre sous plusieurs jours à la fois. Par exemple, le poème de Télémaque me tombe sous la main. A l'ouverture du livre je lis ces mots qui commencent la description de la grotte de la déesse: ,De-là on découvroit la mer quelquefois claire et unie comme une glace.' Ce but est noble, il est précis, le bon sens est certainement satisfait, mais l'esprit ne l'est pas, et l'imagination s'endort; un léger changement va tout réparer. Mettez à la place; ,De-là on découvroit la mer quelquefois claire et unie comme une glace à la crème: dès-lors l'esprit sourit, l'imagination se réveille, un rapport heureux nourrit et multiplie l'idée. Le mot ,glace' devient un foyer d'où s'élancent deux rayons divergents: le bon sens ne s'éloigne pas du rayon qui l'éclairé, et l'imagination s'égare avec celui qui lui plaît." Allein auf dieser Grundlage des homonymenbedingten Umschwungs verfaßt M. de Bièvre eine ganze Tragödie in Hexametern: „Vercingentorixe". 4 9 47 E. Kiedel, Studien zur Geschichte des Wortspiels im Französischen, S. 17. 48 Biévriana, ou Jeux de mots de M. de Bièvre, Paris 1800, S. 36/37. 49 Biévriana, S. 4 1 - 5 9 . Fast jeder Vers dieser Tragödie enthält einen Homonymenumschwung. Einige Beispiele: (a) P o l y s e m e L e x e m e : Qui, barbare, Tu croyais m'abuser par ton air ¡de guitare; (S. 46) Die Aussage ist an sich nach „air" zu Ende. Die aus dem Kontext klar hervorgehende Bedeutung des polysemen Signifiant „air", nämlich „Miene" wird durch das Hinzufügen von „de guitare" kompromittiert. Der polyseme Charakter von „air" wird in kontextwidriger Weise offenbart. (b)Homophone Lexeme: Je vais me retirer dans ma tente/ou ma nièce. Et j'attendrai la mort de la faim/de pièce. (S. 59) (c) L e x e m u n a b h ä n g i g e Homonyme: Les Romains furieux m'ont empcché/mortel (S. 57)

117

Es gibt keine Beweise dafür, daß M. de Bièvre einen unmittelbaren Einfluß auf Allais ausgebüt hat. 50 Viel eher darf unterstellt werden, daß der im Französischen schlummernde besonders starke Homonymenreichtum jedem Sprecher dieser Sprache in Situationen echter Homonymenkonflikte bewußt wird. Bièvre hat dieses Bewußtsein zum Tick entwickelt, und auch Allais ist nicht davon verschont geblieben, wie seine Eigänzungsspiele zeigen. So lautet der Titel einer seiner Geschichten Faits-divers et d'été

(I, 201)

Der Mechanismus dieser Konstruktion ist klar durchschaubar: die semantische Einheit „fait divers" bietet sich auf Grund ihrer lexikalischen Zweigliedrigkeit zur Analyse an. Der semantische Gesichtspunkt wird vollkommen außer acht gelassen, und nur die formale Struktur des Ausdrucks findet Berücksichtigung. Das Lexem „divers" ist phonetisch identisch mit der Morphem-Lexem-Verbindung „d'hiver", die eine Morphemfuge enthält. „D'hiver" läßt sich seinerseits mit „faits" kombinieren. An dieser Stelle

Nach / taucht jeweils das die Polysemie in kontextwidriger Weise aktualisierende Element auf. In folgendem Doppelvers sind (a) und (c) vertreten: Ce héros qui paroit votre cour/à fumier, (a) Tombé percé d'un coup de lance/du panier (c) (S. 56) M. de Bièvre exerziert diese Homonymenspielereien bis hinab auf die Stufe kleinster sprachlicher Einheiten vor: Sylvie, fondant en larmes. Ah!/b, c, d . . . und etwas später: Sylvie, dans le dernier accablement. Oh Oh! p, q . . .

(Interjektion)

(1. Buchstabe des Alphabets)

I

b, c, d . . .

Entsprechend verhält es sich mit „oh!". SO Auch François Caradec hält eine direkte Beeinflussung Allais' durch M.de Bièvre für unwahrscheinlich, wie er mir in einem Brief vom 22.12.69 mitteilt: „Tout d'abord, il est peut-être exagéré de rapprocher Allais du marquis de Bièvre, qu'il a peut être très mal connu. Cette forme de calembours est une vieille tradition française, . . .

118

wird der semantische Gesichtspunkt wieder relevant, der den Konträrbegriff „d'été" auslöst. Les yeux des spiritualistcs luisaient comme d'un feu intérieur et les matérialistes avaient, froidement, des haussements d'épaules (Nord). (I, 214)

Durch Verlagerung der Morphemfuge wird aus „d'épaules" der semantisch überhaupt nicht in den Kontext passende Begriff „des pôles", was seinerseits wiederum „(Nord)" nach sich zieht. Wenn auch hierdurch eine neue semantische Einheit entsteht, so kann dies im Satzzusammenhang doch nicht „d'épaules" ersetzen oder gar Zweideutigkeit hervorrufen. Das Homonym hat keine semantische Funktion mehr, hier wird hemmungslose Wortspielerei zum Selbstzweck. Nur selten kann bei diesen Ergänzungsspielen eine semantische Aktenzuierung, die meist mit kritisch-satirischer Intention gleichzusetzen ist, ausgemacht werden. Ich finde bei Allais nur eine Stelle, der diese Tendenz unterstellt werden könnte: . . . , sans compter qu'on n'aurait plus à ingurgiter les inconcevables mixtures de l'industrie privée (de scrupules). (III, 94)

In den meisten Fällen bleibt es bei der ästhetisch schwer zu verdauenden, linguistisch aber bemerkenswerten „plaisanterie stupide": -

Tu es fou à lier. Chef-lieu Moulins . . . En quoi donc suis-je tant fou?

(III, 224)

Hier besteht phonetische Kongruenz zwischen dem Syntagma „à lier" und dem Namen eines Departements: „Allier", dessen Hauptstadt ,.Moulins" ist. Desgleichen: Le lendemain, des l'aube (chef-lieu Troyes) tous nous étions réunis devant. . (II, 138)

In diesen beiden Fällen tritt indirekte Aktualisierung der Homonymie ein. Etwas verwirrender wird diese Technik in Folgendem: J'aurais pourtant eu grande joie à revoir ce chevelu, barbu et poilu Mage (d'Epinal). (P III, 41)

Hier ist die Morphemfugenverlagerung mit phonetischer Modifizierung verbunden: poilu Mage image d'Epinal

Daß das Ergänzungswortspiel der nichtinformativen Disjunktion nahesteht, geht vor allem aus dem nächsten Beispiel hervor, wo sogar die Syntax Schaden erleidet: Le jaguar le plus déterminé de la jungle ne se fût point approché en moins de temps (qu'il n'en faut pour écrire), que je le fis. (II, 102)

119

Vertikale Wortspiele mit der Möglichkeit eines Homonymenkonflikts nennt man Amphibolien.51 Folgende Stelle erhält erst durch die Fußnote wortspielhaften Charakter: une jeune femme occupée à manipuler un „Morse"* fébrilement. *

Pour éviter toute confusion, le „Morse" en question est un appareil de transmission télégraphique ainsi appelé du nom de son inventeur, et non pas un „veau marin". La présence de ce dernier, fréquente dans les mers glaciales, est, d'ailleurs, assez rare dans les bureaux de poste français. (I, 227)

„Morse" .Morseapparat' und „morse" ,Walroß' liegen semantisch so weit auseinander, daß die Assoziationshierarchie nie in Gefahr gerät. Erst Allais' Fußnote weist auf die theoretische Möglichkeit einer Verwechslung und das damit verbundene Wortspiel hin. Ein echter Homonymenkonflikt taucht im nächsten Beispiel auf: Ici Cap entra dans une réelle fureur: - J e vous demande deux „autres" citrons! . . . Entendez-vous?" Deux „autres" citrons! Deux „autres"! Non point „two more", mais bien ,,two other"! Des citrons „autres". Vous me f . . . là des limons de Sicile! alors que moi je rêve uniquement de citrons provenant de l'île de Rhodes. . . (II, 31)

Hier verdeutlicht die zwangsläufige Zuhilfenahme der Fremdsprache, daß der Oberflächenstruktur „deux autres citrons" zwei Tiefenstrukturen gegenüberstehen: deux autres citrons .encore deux citrons'

,deux citrons en échange'

Einen äußersten Grad an Verdichtung enthält folgendes auf Homophonie beruhendes Wortspiel. Ein graphologisch bewanderter Vater warnt seine Tochter vor einem jungen Mann: - Parce que, ma chérie, à sa façon de mettre les points sur les i, je devine qu'il ne tarderait pas à te mettre les siens sur la figure. (III, 186)

Es handelt sich hier um ein Wortspiel höheren Grades; denn wenn es hieße: *

. . . à sa façon de mettre les points sur les i, je devine qu'il ne tarderait pas à te mettre ses poings sur la figure,

müßte man schon von einem Wortspiel sprechen. In der Allais'schen Fassung tritt die Graphie völlig hinter die Lautung zurück. Der Verdichtungsprozeß verläuft folgendermaßen: 1) Homophonie (points — poings). 2) Homophonie - Homonymie [poe] 3) Homophonie-Ersatz (les siens) 51 Wagenknecht, op. cit., S. 21.

120

In einer Geschichte behauptet Allais, der Verzehr von Löwenherzen mache mutig, während die Verspeisung von Hasenherzen Feigheit zur Folge habe; schließlich sagt er: Pas de règle sans exception pourtant. Ainsi moi: Si on veut me faire plaisir, dans les maisons où on m'invite, on n'a qu'à m'offrir un joli maquereau sur le gril. Eh bien, je ne me souviens pas d'avoir sous aucun prétexte, accepté un sou d'une femme! (1,273)

„Maquereau" .Makrele' als Homonym des Argot-Wortes „maquereau" .Zuhälter' ist der Schlüssel zum Verständnis dieser Stelle. Höhepunkte der allais'schen Wortspiele sind seine verkappten Homonymenspiele. Un pavillon normand que Fernand eut l'idée baroque de baptiser „Bombay Cottage". Mes parents vinrent passer une quinzaine chez nous, et les parents de Fernand une autre quinzaine. Us étaient enchantés de notre installation: „Bombay Cottage" par ci, „Bombay Cottage" par là! Or, ce ne fut qu'à la fin de la saison qu'ils s'aperçurent du déplorable et charmant calembour, appellation de notre „home": „Bombay Cottage . . . bort bécotage!" . . . (11,76)

Hätte Allais dieses Wortspiel nicht selbst aufgedeckt, so würde man sicher darber hinweglesen, da der Calembour doppelter Natur ist: einmal beruht er wie auch die meisten anderen auf einer neuen Morphemeinteilung, zum andern spielt sich das Wortspiel zwischen zwei verschiedenen Sprachen ab. Außerdem läßt der Kontext kein Wortspiel erwarten. Dans les premiers temps, contait-il, la municipalité me chercha mille noix; je répondis au maire d'alors . . . (111,69)

Auch in diesem Falle weist der Kontext auf kein zu erwartendes Wortspiel hin. Erst beim Sprechen entdeckt man, daß „au maire d'alors" durch den absolut homonymen Ausdruck „oh, merde alors!" ersetzt werden kann. Allerdings leistet die Typographie Hilfestellung. Partielle Homonymie enthält folgendes Wortspiel zweifelhaften Geschmacks: A Londres, vous savez, ça n'est pas comme à Paris. Dans un sens particulier, dans le sens „chalet", Paris est une véritable petite Suisse.

Qu'importe, ô Helvétiei A propos d'Helvétie, c'était justement la mienne . . . qui se trouvait cruellement en jeu, ce jour-là.

„Chalet" erinnert zuerst an die Schweiz, ist jedoch in der Form „chalet de nécessité" auch ein Terminus für die in Paris in ausreichendem Maße vorkommenden „vespasiennes". Dann erfolgt der Sprung von „Suisse" zu dem pathetischen „Helvétie". Hier setzt dann der Calembour ein. Das semantisch 121

nicht weiter analysierbare „Helvétie" wird in zwei Submorpheme, d. h. in Lautgruppen ohne Eigenbedeutung, aufgeteilt: Helvétie



Hei -vétie

Das Submorphem-veY/e ist phonetisch fast identisch mit dem Lexem „vessie". Der Wortspielkreis schließt sich durch die Assoziation von „vessie" und „chalet". Wortspiele entstehen auch durch Ineinandergreifen von Homonymie und Synonymie, was zu idiolektalen Wendungen führt. So findet sich bei H. Mürger folgende Stelle 52 : - Rodolphe, donne-moi un hémistiche de Champagne. - Qu'est-ce qu'il dit donc, ton ami? demanda Mimi, qui ne comprenait pas, à Rodolphe. - C'est un mot, répondit celui-ci; Colline veut dire un „demi-verre".

Ausgangspunkt dieses sprachlichen Scherzes ist die phonetische Form [damiver]: [dam i v a ] „demi-vers"

„demi-verre"

hémistiche . Homonymenbezug reales Synonymenverhältnis : abgeleitetes idiolektales Synonymenverhältnis

53

Auch die approximativen Homonyme, die auch Interferenzen54 heißen, bilden einen festen Bestandteil der allais'schen Wortspieltechnik: Bref, les choses marchaient comme sur Déroulède, quand arriva le 14 juillet.

Die idiomatische Redewendung „marcher comme sur des roulettes" wird auf Grund ihrer Lautung in Zusammenhang mit dem Namen des Chauvinisten und 52 H. Mürger, Scènes de la vie de Bohème, S. 203. 53 Ein Beispiel für diese Technik des Wortspiels fand ich in einem Lokal des Quartier Latin, dessen Wirtin für „Bier" ausschließlich den Terminus „cercueil" verwendete: [bier] „bière"

Vgl. auch S. 39: raser



racler les côtelettes

54 Wagcnknecht, op. cit., S. 21.

122

Deutschenhassers Paul Déroulède gebracht, der mehrfach die Zielscheibe allais'schen Spottes bildet 5 5 . Dies ist zugleich eines der wenigen Beispiele für Wortspiele bei Allais, die nicht ausschließlich dem Sprachscherz ohne Hintergedanken entspringen, sondern zugleich eine satirische Spitze enthalten. 56 Weitere Beispiele für Interferenz: L'enquête révéla que le susnommé Pcrrin . . . vivait maritalement marmitalement, disent les mauvais plaisants - avec la victime. (1,420) C'est une simple image que j'entends employer là, un symbole, dirait Moréas. - Symbole, priez pour nousl (1,521)

Auch der Ausruf „Symbole, priez pour nous!" ist ein Produkt sprachlichen Übermuts. „Symbole" als annähernde Homonymie zu „Saint Paul" findet Aufnahme im Text, einfach deswegen, weil Allais auf diese Assoziation nicht verzichten will. Es wirkt befremdend im Kontext und erfüllt somit auch noch einen zweiten Zweck, nämlich denjenigen der Schockwirkung. Devinant de quoi il s'agissait, le jeune homme ne souffla mot, et même, se selon le procédé autruchien, enfouit sa tête emmy les linceux'. (1,277/78)

Bei diesem Spiel ist die Assonanz „autruche" (= Vogel Strauß) und „Autriche" (=österreich) von Bedeutung: Autriche

autruche

autrichien

+autruchien

Die Grenze zwischen Interferenz und Kontamination ist nicht immer eindeutig zu ziehen. Allais benutzt für die Bezeichnung „Fahrradmechaniker" den wortspielhaften verdichtenden Terminus „bécanicien" (111,206): mécanicien + bécane bécanicien

In diesem Beispiel kann man von Wortmischung = Kontamination sprechen, wenn auch der Wechsel m — • b eher als Interferenz auszufassen ist. Echte Kontamination zeigt folgende Stelle: . . . en matière éléphantaisistc.

(P V,342)

In der Fabel „Le crocodile et l'autruche" (11,461-62) sagt der Strauß zum Krokodil: — D'abord, vous commencez à me raser, vous, avec vos façons de parler allig à tort et à travers. (11,461)

Dies ist eine besonders witzige Kontamination: à tort et à travers allig a tor allig à tort et à travers 55 Vgl. II, 1 2 0 - 1 2 3 „Patriotisme économique" 56 Vgl. S. 147.

123

Hier findet sogar eine längere semantisch leere Lautkombination + allig Aufnahme im Text. Im Sinne seiner metasprachlichen Spielereien konstruiert Allais gelegentlich Situationen mit dem ausschließlichen Ziel, Wortspiele zur Geltung zu bringen. Voilà des pneux qui seront plus gais que les „pneux Mony", une bien détestable marque, principalement la nuit, sur route, par des temps humides. D'habitude, le Captain Cap se refusa à goûter les plaisanteries qui résident seulement en un jeu de mots. Cette fois, il ne broncha pas et même il ajouta - Tenez, un bon et solide pneu, c'est le pneu gordien. On n'en vient à bout qu'à coups de sabre. (II, 83)

Die Pseudo-Reifenmarke „pneu Mony" vertritt ihr absolutes Homonym „pneumonie" .Lungenentzündung'; der Reiz des Wortspiels wird dadurch erhöht, daß der hinzukonstruierte Kontext zu beiden Begriffen gleichermaßen paßt. Entsprechend verhält es sich mit „pneu gordien", das unschwer als Verballhornung der klassischen „noeud gordien" zu erkennen ist. Das Namen-Wortspiel. Schon in der antiken Komödie tragen die verschiedenen Personen Namen, die ihre typischsten Eigenschaften - sei es nun Geiz, Prahlerei o.a.m. — herausstreichen. Diese durchaus gebräuchliche „Nomenest-omen-Methode" findet, um nur einige Vertreter aufzuführen, über Rabelais und die englischen Humoristen hinaus bis in die Moderne fleißige Anwendung. Allais bedient sich dieser traditionellen Methode recht selten: M. Barreau, un jeune avocat de mérite, . . .

(I, 561)

Beliebter ist bei ihm schon die auf demselben Prinzip beruhende Namengebung „e contrario": M. DirtyfeHow, le grand savonnier de Clean-York (I, 597) Rose Sweet, acariâtre et sèche vieille lady, . . . (II, 66)

Hier konvergieren zwei Systeme: einmal besteht die Opposition „Fremdsprache — Französisch", zum anderen besteht der semantische Gegensatz zwischen dem durch den Namen angedeuteten Charakter bzw. Beruf und dem tatsächlichen Wesen des Namensträgers. Andere Namen klingen aus irgendwelchen Gründen - sei es, daß sie eine ungewöhnliche Lautung besitzen, sei es, daß sie veraltet wirken — an sich schon amüsant. Jules Dupaf (I, 459) Fortuné Bidard (I, 235) Bonaventure Desmachins (I, 186)

So auch einige fremdländische Namen:

124

M. Brokenface (I, 591) Van Barensprung (I, 282) Was die humoristische Namensgebung anbetrifft, so liegt das Verdienst Aliais' darin, eine Methode bis zur Perfektion entwickelt zu haben, deren Basis in dem unerhörten Mißverhältnis zwischen französischer Lautung und Schreibung einerseits und der Nichtidentifizierbarkeit der Wortfuge andererseits zu suchen ist. Hier greifen Homophonie und extreme Allographie ineinander. Auch dieses Verfahren findet sich schon bei M. de Bievre. S7 Das führt so weit, daß man hinter jedem Namen ein Wortspiel vermuten muß. Relativ harmlos und durchschaubar sind die Namen, in denen bloß irreführende Graphie den Leser überlisten könnte: M. Leroy-Datout = le roi d'atout (= Trumpf-König) (I, 175) M. Leneuf-Decoeur (= Herz Neun) (I, 577) M. Paule Norr = pole nord (1, 316) Elie Coidal = helico'idal (= schraubenförmig) (1, 60) Raffinierter wird das Verfahren schon bei phonetischen Wortenjambements. Hier erfreuen sich scheinbar ausländische Namen besonderer Beliebtheit. Allen voran das schottische Mac: M. Mac-Rynolinn = ma crinoline (I, 434) Mac Larinett = ma clarinette (I, 462) Mac Arroni = maccaroni le jeune Alexander Mac-Astrol (I, 433) Dieser Name ruft unweigerlich die Assoziation „ma casserole" hervor, das überdies vulgär mit Stützkonsonant „t" ausgesprochen wird, also „ma castrole". 57 Biévrina, S. 35-36: „Tous les religieux de son abbaye accompagnèrent le convoi dans l'ordre qui suit: Le père-Foreur commençoit la marche; venaient ensuite le pére-Suasif, le pcreIgord, le père-Manant, le père-Fide, le père-Se'verant, le père-Uquier, le père-Mcieux, et enfin le pèrz-Sécuteur. Le père-Ous suivoit de loin, à cause de ses infirmités, de même que le pcre-PendicuIaire, à cause de son grand âge. Lorsque le convoi fut arrivé, le pète-Sonnage fit retentir toutes les cloches, le pire-Messe commença le service, le père- Soreille toucha de l'orgue, et le père-Pétuel joua du basson; on chanta une hymne de la composition du père-Vers, et le pèreOquet prononça l'oraison funèbre. Le soir on donna un grand repas, où l'abbé-Daine et l'abbè-Gueule furent invités; on les pria d'amener avec eux l'abbé-Qzsîe et l'abbé-Cawme, sans oublier l'abbéQuée, l'abbé-7>flve et l'abbé-Toine. L'abbé-7ïîe et l'abbé- Vue, qui n'avoient point été priés, s'y trouvèrent cependant, ainsi que d'autres amis du défunt, tels que l'ami-rame, l'ami-Ato/e, Vami-Graine et l'ami-7>ai7/e. Après souper le père-Sifleur joua du flageolet, et l'abbévl ttitude dansa une allemande avec une jeune dame polonaise.

125

Auch sonstige britisch wirkende Namen zeigen die hämische Freude, mit der Allais den Leser aufs Glatteis zu führen versucht: Miss Kara Bynn = carabine

(I, 497)

Hierbei versucht er, abzulenken, indem er zunächst nicht den gesamten Namen preisgibt, sondern die betreffende Person nur durch den Vor- bzw. Zunamen vorstellt. Obiges Beispiel verdeutlicht dies im Kontext: — Et vous, miss Kara, fit quelqu'un, vous ne dites rien? Miss Kara Bynn, effectivement, durant tout cet entretien, . . . Ganz ähnlich verhält es sich mit folgendem Beispiel: Miss Sarah Vigott = ça ravigote („das erquickt")

(I, 159)

Hier wird der Name Sarah Vigott zwar kurz erwähnt; dann geht der Verfasser allerdings gleich zur Vorstellung des Vaters über, wobei der Zuname wieder isoliert und somit verharmlost wird. Hinter der Bezeichnung Tlic O'race Brothers

(III, 45)

steckt nichts anderes als Horace als Anspielung auf das gleichnamige Werk Corneille's. Ein weit mysteriöserer Calembour verbirgt sich hinter dem doch recht angelsächsisch anmutenden Namen Sir A. Kashtey

(11,99)

Französisch gelesen ergibt sich „cire à cacheter" (= Siegellack). Leicht modifiziert ist der Calembour im Namen „Miss Aline" (II, 127) = Messaline. Allais gelingt es mit den Mitteln der Allographie und durch die Verlagerung der Morphemfugen, auch Namen aus anderen, exotischeren Sprachen vorzutäuschen: . . . un vieux gentilhomme breton, le baron Kelkun de Kelkeparr

(II, 202)

K gehört zum graphischen System des Bretonischen, im Französischen ist es dagegen ein graphischer Extrastrukturalismus; hierdurch ist ein komischer Effekt schon durch minimale Modifikation möglich. Ein Russe erhält den Namen „lc général Sakapharine" = sac à farine

(I, 199)

Auch andere romanische Sprachen kommen zu ihrem Recht: Il y avait là le major Saligo . . . et Sinon, et Vero, et Ben Trovato, et quelques autres que j'oublie. (I, 294)

Saligo = saligaud. — Besonders interessant ist die sich anschließende Reihe. Hier ermöglicht es die Homophonie von ital. „e" — »ist* und franz. ,,et" — ,und', die italienische Redensart )rse non è vero è ben trovato" als Aufzählung von Personen vorzutäuschen. 126

Schließlich versucht sich Allais noch am Pseudo-Türkischen, was zu einem besonders komplexen Ergebnis führt. un aviculteur turc . . . Baldek-Hatzar,

au Vélo (Drômej

(II, 50)

Hinter dieser kaum noch zu überbietenden Allographie, in der die Aufmerksamkeit durch ein „h aspiré" von der verschobenen Morphemgrenze abgelenkt wird, verbirgt sich der berühmte Ball der Studenten der Beaux Arts: „bal des quat-z-arts". Zu dem Pseudotürken gesellt sich noch eine geographische Angabe in demselben Stil: „au Vélo (Drôme)". Normalerweise wird auf diese Weise Ort und Department angegeben. Hier ist das Ergebnis unschwer zu erkennen: „vélodrome". Das Namen-Wortspiel bezieht sich also nicht nur auf Personennamen, auch Ortsbezeichnungen werden wortspielhaft getarnt. So gibt es bei Allais u.a. die Orte Baisemoy-en-Cort Pourd-sur-Alaure

(I, 226) = baise-moi encore (I, 239) = pour sur alors

Auch gewisse Abkürzungen sind es nur dem Schein nach; bei genauerem Hinsehen erweisen auch sie sich als vollständige Einheiten: . . . une vieille dame d'origine polonaise, la veuve Mazur K. (I, 204)

. = mazurka

Eine noch raffiniertere und verschleiertere Art Abkürzungstechnik besteht in der Hinzufügung römischer Ziffern, z.B.: . . . du rude duc norvégien Polalek

VI

Hinter diesem eigenartigen Namen verbirgt sich niemand anderes als Paul Alexis. Dieses vermutlich von Allais erfundene Verfahren taucht in folgendem Abschnitt in Form einer langen Serie auf : Ils avaient formé une Société sécrète de treize membres dont chacun s'était affublé, non seulement d'un sobriquet, mais encore d'un numéro d'ordre, afin d'éviter des confusions toujours désagréables. Voici comment se désignaient entre eux ces treize mystérieux lascars: Kelk I, Douzaine II, Leudet III, Delhi IV, Toiturand V, Double VI, Lapin VII, Pitt VIII, Dupont IX, Lapin X (qu'il ne faut pas confondre avec Lapin VII), Alph XI, Tout XII et Léon XIII!" (II, 250)

Auch hier liegt ein Ablenkungsmanöver vor: „ . . . chacun s'était affublé . . . d'un numéro d'ordre, afin d'éviter des confusions toujours désagréables." Die einzige echte Nummer ist die letzte, die von Papst Leo XIII. Diesen Namen benutzt Allais als Ausgangspunkt und konstruiert davor die ganze Litanei von zwölf an sich absurd wirkenden Namen, die erst durch die Hinzufügung der Ziffern zu neuen phonetisch-semantischen Einheiten werden, aber dadurch ihren eigentlichen Namencharakter verlieren: 127

Keik I Douzaine II Leudet III Delhi IV Toiturand V Double VI Lapin VII Pitt VIII Dupont IX Lapin X Alph XI Tout XII Léon XIII

quelqu'un douzaine d'oeufs le détroit délicate toi, tu rends cinq double six (Terminus des Würfelspiels) la pincette pituite (= Schleim) du Pont Neuf l'appendice Alphonse tout douze

Aber nicht nur die obenerwähnten ausländisch anmutenden Namen, sondern auch die phantastischsten französischen Konstruktionen geben dem Leser immer neue Ratespiele auf. Auf Grund ihrer größeren Verballhornungsmöglichkeiten erfreuen sich die mehrgliedrigen Adelsnamen ganz besonderer Beliebtheit: le jeune et candide Amédée de Saint-Gapour (I, 514) = de Singapour Henri de Fondencomble (III, 23) = de fond en comble le baron Lagourde (II, 246) = la gourde („Kürbis, Dummkopf") Un lieutenant d'infanterie qui signe Guy de Surlaligne (très probablement un pseudonyme) (II, 134) = guide sur la ligne le jeune vicomte Raoul des Esbroufettes (I, 582) / esbrouffeur = Aufschneider, Wichtigtuer le jeune baron Lecoup de Lestrier (I, 531) = le coup de l'étrier le marquis de Marchaleuil (I, 530) = marche à l'oeil monsieur le baron Coudeuil de Travers (I, 150) = coup d'oeil de travers madame la baronne Patan de Rouspétance (I, 360) = pas tant de rouspétance (= nicht soviel Gemecker) Monsieur le baron Lelasset de Montbrodequint (P IV, 347) = le lacet de mon brodequin („Schnürsenkel meines Stiefels") Einige dieser adligen Damen und Herren tragen Namen, die sich als zumindest anstößige, wenn nicht gar obszöne Verballhornungen entpuppen: le marquis de Lachaise-Persay (I, 513) = la chaise percée, was bekanntlich im 17. Jahrhundert die euphemistische Bezeichnung für „Klosett" war. commandant baron Leboult de Montmachin (I, 182) = le bout de mon machin; auch dieser Titel ist nicht ganz unzweideutig. Monsieur le baron Labitte de Montripier (II, 155) = la bitte de mon tripier; das Argot-Wort „la bitte" ist allerdings eindeutig. Aber auch bürgerliche Namen, insbesondere Doppelnamen, bergen Anhaltspunkte zur Fallenstellung: le père Nul-s'y-Frotte

(III, 22)

mon oncle Alcide Toutaupoil (I, 91) / Hier erhält der Vorname „Alcide" = „Herkules" die Wirkung von „tout au poil" 128

le lieutenant de vaisseau Becque-Danlot la boutique du sieur Hume-Mabrize

(I, 294) = bec dans l'eau (I, 111) = hume ma brise

M. Lecoq-Hue (I, 87) = le cocu / Dieser Name verbindet die anfangs erwähnte „Nomen-est-omen-Methode" mit der typisch allais'schen Homonymie-Verballhornung. Signé: Tirouard-Delatable (de Nuits) „Nachttischschublade"

(I, 283) = tiroir de la table (de nuit)

Hinter dem scheinbar unkomplizierten Namen der jungen Dame Madeleine Bastye

(I, 369)

verbirgt sich immerhin die Buslinie, die die „église de la Madeleine" mit dem Place de la Bastille verbindet. Der Gipfel des Möglichen derartiger Namenskonstruktionen wird in folgenden Beispielen erreicht: I.-A. du Rabiot (I, 239) = y a du rabiot, was so viel bedeutet wie „es gibt Nachschlag" Monsieur Ousquémont-Hyatt mein Jacht? " le sieur Tätort (Victor) un sieur Cappaza

(II, 132) = ous qu'é mon yacht „wo ist

(I, 175) = t'as tord, Victor

(I, 179) = qui n'a pas de ça

In diesem Namen tritt ein neues extremes Element der Sprache hinzu, nämlich volkssprachlich Unkorrektes: y a = il y a, ous qu'é = où est. Und schließlich: Madame Cornélie Huss, née Pousse

(I, 155)

Wer würde auf Anhieb hinter diesem Monstrum den Namen des Cornelius Nepos vermuten? Ein weiterer Verschleierungstrick liegt in der Nachstellung des Vornamens. Erst diese scheinbar bürokratische Namensumstellung motiviert die Schaffung des Vornamens. Dabei geht Allais meist so vor, daß er unbefangen den an sich nicht bedeutenden Familiennamen erwähnt, danach mit unveränderter scheinbarer Gleichgültigkeit den Vornamen einstreut, der dann als Gesamtheit nach dem oben erwähnten Verfahren seine humoristische Krönung findet: . . . Jeudi dernier, je vais diner dans la famille Crauck, et je tombe éperdument amoureux d'Odile, l'ainée des jeunes filles... - Je la connais, la petite Crauck (Odile), charmante! dile la fille Azutat (Laure) (P III, 175) = ah, zut alors!

(II, 114) = croco-

Je m'appelle Hippolyte Cosmeau, pour vous servir, madame. - Vos amis ne vous ont-ils jamais appelé, pour se divertir, Cosmeau (Polyte)? (I, 509) = cosmopolite

Dieses Verfahren ist eine Analogiebildung zur „phrase segmentée". 129

Wie auch an anderer Stelle (Anhang) ist in dem heute so populären Werk des San A n t o n i o auch bezüglich der Namengebung unbestritten allais'scher Einfluß festzustellen, wie folgender Abschnitt aus dem Werk „Le Standinge" klar beweist : S 8 Tenez, si vous vous appeleriez Filmaseur, prénommez jamais votre chiare Jean, surtout, non plus que si votre nom est Pétarde, Culasec, Barasse ou Névudautre. J'ai connu un certain monsieur Térieur qui a eu deux jumeaux. Il les a appelés Alex et Alain, ça ne fait pas sérieux. C'est comme le dénommé Dupanié qui avait prénommé son fils Hans, ou comme mon copain Dondecourse que son vieux avait baptisé Guy. Die hier aufgeführten Namen sind folgendermaßen zu entschlüsseln: Jean Filmaseur Jean Pétarde Jean Culasec Jean Barasse Jean Névudautre Alex Térieur Alain Térieur Hans Dupanier Guy Dondecourse

= = = = = = = = =

j'enfile, ma soeur j'en pétarde j'encule à sec j'embarasse j'en ai vu d'autres à l'extérieur à l'intérieur anse du panier guidon de course

Dieses Verfahren des „Namen-Wortspiels" wird auf größere Namen-Syntagm e n erweitert. Meist sind es Firmennamen, die gewisse Redensarten in sich bergen: . . . il s'appelait Anatole Duveau et était le fils de M. Duveau et Cie, soieries en gros (ancienne maison Hondiret, Duveau et de) (I, 230) = on dirait du veau Celles des affiches murales que préféra Cap, annonçait à Urbi, Orbi and C., que . . . (II, 58) un excellent garçon nommé Jean Passe (de la maison Jean Passe et Desmeilleurs) (I, 369) = j'en passe et des meilleurs Je reçois d'un jeune homme qui signe „Foc" et qui - si mes pronostics sont exacts - doit être l'un des patrons de la célèbre maison Lou, Foc et Cie, . . . (II, 36) = loufoc ,crazy ,S9 Diese Tecjinik führt so weit, daß dieselbe Person situationsbedingt einen anderen Namen erhält: William Bott, que nous appelons fort spirituellement Henry Bott chaque fois qu'il abuse de cocktail. (III, 19) William Bott — » Henry Bott = en ribote. 6 0

58 San Antonio, Le Standinge, S. 102/103. 59 Vgl. S. 113. 60 M. Rat, Dictionnaire des locutions françaises, S. 341: être en ribote = être en débauche, en état d'ivresse.

130

Wenngleich man nicht von Wortspiel reden kann, so ist die Aufnahme folgender nonsensehafter Namenspiele an dieser Stelle gerechtfertigt. Die Technik besteht darin, daß voll ausgeschriebene Namen als Initialen angekündigt werden: . . . garçon d'infiniment de coeur et de beaucoup de talent, M. Raoul Oger, pour ne citer que ses initiales (II, 71) . . . (désignons-les par de discrètes initiales: MM. Depaquit, Delaw, Darbour et Prairial) (III, 50)

Als eine Variation dieser Gruppe könnte man folgendes Beispiel ansehen: . . . une charmante habitation de l'ile, se trouve possédé par trois amis à moi, l'excellent André H. . . . le grouillant Georges fi. . . f et le talenteux Jules P. . . t, plus connu sous le pseudonyme de M. . . x. (I, 482)

Nichts ist besser geeignet, den Mangel an demarkativen Kriterien, d.h. die Nichtidentifizierbarkeit des „Wortes", im Französischen zu demonstrieren als der sog. „veis olorime", 61 also ein homophones Reimpaar. Das berühmteste Muster dieser Gattung ist der Phantasie Victor Hugos entsprungen: 62 Gai, amant de la reine, alla, tour magnanime, Galamment de l'arènce à la tour Magne, à Nimes.

Auch die Humoristen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem die Mitglieder des „Chat noir" übten sich in Verbalakrobatien dieser Art. Von Allais stammt folgender „vers olorime", den er zudem noch mit einem Kommentar versieht: 63 Par le bois du Djinn, ou s'entasse de l'effroi, Parle! Bois du gin! . . . ou cent tasses de lait froid. (Le lait froid, absorbé en grande quantité, est bien connu pour donner du courage aux plus pusillanimes.)

Der folgende „vers olorime", der den Titel trägt „Exhortation au pauvre Dante" 6 3 gewinnt durch plötzlichen Synonymenumsprung („ennuyeuse" statt zu erwartendem „emmerdante") nonsensehaften Charakter. Er evoziert durch seinen an den Haaren herbeigezogenen Inhalt - natürlich nicht durch seinen strophischen Aufbau — den sog. ü b e r l a n g e n L i m e r i c k :M 61 aus griech. 5\