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German Pages [195] Year 2021
ARCHIVALISCHE ZEITSCHRIFT ARCHIVALISCHE ZEITSCHRIFT BAND 97
In diesem Band der Archivalischen Zeitschrift finden im Wesentlichen Vorträge des 1. Archiv wissenschaftlichen Fachgesprächs „Archivwis senschaft in Zeiten digitaler Transformation“ vom Herbst 2018 ihren Niederschlag.
ISBN 978-3-412-51988-9
9 783412 519889
97. Band
Herausgegeben von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns
2021 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN
ARCHIVALISCHE ZEITSCHRIFT BAND 97
ARCHIVALISCHE ZEITSCHRIFT 97. Band
Herausgegeben von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns
2021 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN
Archivalische Zeitschrift
1876 begründet und herausgegeben vom Königlich Bayerischen Allgemeinen Reichsarchiv, seit 1921 Bayerisches Hauptstaatsarchiv; ab 1972 herausgegeben von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. Schriftleitung: Margit Ksoll-Marcon Die Archivalische Zeitschrift pflegt das deutsche und internationale Archivwesen in allen seinen Zweigen einschließlich der Quellenkunde und der historischen Hilfswissenschaften, soweit sich diese auf Archivalien beziehen. Die Zeitschrift erscheint in Jahresbänden. Manuskripte sind möglichst nur nach vorheriger Anfrage an die Schriftleitung einzusenden. Für den Inhalt der Beiträge einschließlich der Bildrechte für die Abbildungen zeichnen die Verfasserinnen und Verfasser verantwortlich. Werbeanzeigen und Beilagen besorgt der Verlag (Brill Deutschland GmbH | Böhlau Verlag, Lindenstraße 14, D-50674 Köln). Schriftleitung und Redaktion der Archivalischen Zeitschrift: Margit Ksoll-Marcon. Mitarbeit: Claudia Pollach und Karin Hagendorn. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Schönfeldstraße 5, 80539 München Postanschrift: Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Postfach 22 11 52, 80501 München, E-Post: [email protected]
© by Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns Satz und Gestaltung: Karin Hagendorn ISSN 0003-9497 ISBN 978-3-412-519990-2
Inhalt Autorinnen und Autoren der Beiträge.....................................................7 Margit Ksoll-Marcon, Zur Einführung..............................................9 Joseph S. Freedman, The Origin and Evolution of the ius archivi concept in Early Modern Central Europe..............................................15 Bernhard Grau, Das Provenienzprinzip im Zeitalter der elektronischen Verwaltungsarbeit.....................................................................53 Hans-Joachim Hecker, Vom Arkanum zur Transparenz. Archive und Rechtsordnungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert.......................71 Hans-Georg Hermann, Digitale Authentizität als kategoriale Herausforderung...................................................................................89 Gerhard Hetzer, Von der Herrschaft der Büros und von der verhüllten Macht der Archive..............................................................107 Reinhard Stauber, Zum Wert des Originals......................................121 Michael Unger, Vom Archivale zum Archival Information Package. Digitales Archivgut als Herausforderung für die Archivwissenschaft? ................................................................................................129 Joachim Wild, Formale Strukturen des Archivguts: Hürden oder Wegweiser zum Verständnis?...............................................................147 Veronika Lukas, Echte und falsche Urkunden bei Arnold von St. Emmeram......................................................................................159 Zusammenfassungen...........................................................................173 Summaries..........................................................................................179 Résumés..............................................................................................184 České resumé......................................................................................189
Autorinnen und Autoren der Beiträge Freedman, Joseph S., Prof., Dr., Department of History and Political Science, Alabama State University, Montgomery/Alabama, USA (Kontakt über die Schriftleitung) Grau, Bernhard, Dr., M.A., Direktor des Hauptstaatsarchivs, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Schönfeldstraße 5, 80539 München Hecker, Hans-Joachim, Archivdirektor a.D. (Stadtarchiv München) (Kontakt über die Schriftleitung) Hermann, Hans-Georg, Prof., Dr., Leopold-Wenger-Institut für Rechtsgeschichte, Abteilung Bayerische und Deutsche Rechtsgeschichte, Prof.Huber-Platz 2, 80539 München Hetzer, Gerhard, Dr., Direktor des Hauptstaatsarchivs a.D., Karlsbader Straße 10b, 86356 Neusäß Ksoll-Marcon, Margit, Dr., M.A., Generaldirektorin der Staatlichen Archive, Schönfeldstraße 5, 80539 München Lukas, Veronika, Dr., Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Monumenta Germaniae Historica, Ludwigstraße 16, 80539 München Stauber, Reinhard, Dr., Univ.-Prof., Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Institut für Geschichte, Universitätsstraße 65–67, 9020 Klagenfurt am Wörthersee, Österreich Unger, Michael, Dr., M.A., Archivdirektor, Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Schönfeldstraße 5, 80539 München Wild, Joachim, Prof., Dr., Direktor des Hauptstaatsarchivs a.D., Frauen ornau 6, 84419 Obertaufkirchen
Zur Einführung Von Margit Ksoll-Marcon Welcher Archivar, welche Archivarin kennt nicht Johannes Papritz´ mehrbändiges Standardwerk „Archivwissenschaft“1, und doch kommt Gerhard Leidel 2001 zu der Feststellung: „Die Archivwissenschaft, auch Archivistik genannt, ist eine Wissenschaft, deren Vertreter – fast nur Archivare – nicht aufhören zu fragen, ob es ihre Disziplin überhaupt gebe, ob sie einen wissenschaftlichen Charakter habe und ob sie die erforderliche Eigenständigkeit besitze“.2 In Zeiten der digitalen Transformation müssen Archivarinnen und Archivare die Inhalte ihrer Wissenschaft, der Archivwissenschaft, reflektieren und weiterentwickeln. Gegenstand der Archivwissenschaft ist das Archiv als Institution und als Begriff für einen Informationsspeicher, das Archivgut und das Archivieren als Tätigkeit der Archivarin / des Archivars. Das Archivgut durchlief im Gang der Jahrhunderte unterschiedliche Entstehungs- und Verwaltungsbedingungen, angefangen von der mittelalterlichen Kanzlei bis hin zu institutionenübergreifenden komplexen DaJohannes Papritz, Archivwissenschaft, Bd. 1–4, 2. Auflage, Marburg 1983. – Vorliegend handelt es sich um die verkürzte und nur mit wenigen Anmerkungen versehene Einführung in das 1. Archivwissenschaftliche Fachgespräch „Archivwissenschaft in Zeiten digitaler Transformation“ vom 22. November 2018 in der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. Für Impulse und Anregungen danke ich Herrn Archivoberrat a.D. Dr. Gerhard Leidel und Herrn Archivdirektor a.D. Hans-Joachim Hecker. Die meisten Vorträge des 1. Archivwissenschaftlichen Fachgesprächs sind in dieser Archivalischen Zeitschrift abgedruckt. Zum Fachgespräch vgl. auch Margit Ksoll-Marcon, Bayerische Archivschule startet Reihe der Fachgespräche. In: Nachrichten aus den Staatlichen Archiven Bayerns Nr. 76/August 2019, S. 31f. und Laura Scherr, Fachgespräch „Archivwissenschaft in Zeiten digitaler Transformation“. In: Ebd. S. 32–34. – Der Aufsatz von Veronika Lukas basiert auf einem Vortrag, der beim Kolloquium „Entziffern, Forschen, Mitmachen. Das Kloster St. Emmeram in Regensburg und seine digitale Überlieferung“ gehalten wurde. S. dazu: Julian Holzapfl, Forschungsfragen und Zukunftsversprechen digitaler Quellenarbeit - ein Kolloquium zum Reichskloster Regensburg-St. Emmeram anlässlich der Digitalisierung und Onlinestellung des Urkundenbestandes. In: Nachrichten aus den Staatlichen Archiven Bayerns Nr. 76/August 2019, S. 36–38. 2 Gerhard Leidel, Zur Wissenschaftstheorie und Terminologie der Archivwissenschaft. In: Archivalische Zeitschrift 84 (2001) S. 9–89, hier S. 9. 1
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Margit Ksoll-Marcon
tenbanken. Aus der Analyse der abstrakten, rechtlichen und konkreten Entstehungsbedingungen des Archivguts in den Registraturen und seinen jeweiligen Erscheinungsformen in der theoretischen Archivwissenschaft ergeben sich die Grundlagen für die angewandte Archivwissenschaft, das Archivieren3 als die zentrale Berufstätigkeit der Archivarin / des Archivars. Für Angelika Menne-Haritz sind die „Typologisierung und Erläuterung der Formen von Aufzeichnungen aus Verwaltungsarbeit und ihrer inneren Strukturen, ... die Analyse ihrer Entstehungszusammenhänge“ sowie die Untersuchung der „Funktionen der verschiedenen Schriftgutformen ... in verschiedenen Zeiten und Staatsformen“ zentrale Inhalte der Archivwissenschaft.4 Krisenzeiten, Veränderungen im Staatsgefüge und in Staatsformen und Veränderungen im Verwaltungshandeln führen – man möchte sagen naturgemäß – bei Archivaren5 verstärkt zu einer Beschäftigung mit der Funktion der Registratur sowie mit dem Archivgut an sich und daraus resultierend mit der archivfachlichen Arbeit. Als um die Wende des 15. Jahrhunderts die territorialen Institutionen und der Gebrauch der Schriftsprache miteinander verschmolzen waren, konzipierte Jacob von Rammingen seine Registratur- und Renovaturtheorie6. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verfassten u.a. Georg August Bachmann7 und Philipp Ernst Spieß8 bedeutsame archivtheoretische Schriften. Als mit Beginn des 19. Jahrhunderts große Massen von Schriftgut in die Archive Der Begriff des Archivierens, der Archivierung ist in den Archivgesetzen des Bundes und der Länder definiert, siehe z.B. Art. 2 Abs. 3 BayArchivG: „Archivierung umfaßt die Aufgabe, das Archivgut zu erfassen, zu übernehmen, auf Dauer zu verwahren und zu sichern, zu erhalten, zu erschließen, nutzbar zu machen und auszuwerten.“ 4 Angelika Menne-Haritz, Schlüsselbegriffe der Archivterminologie, 2. überarbeitete Auflage, Marburg 1999, sub voce Archivwissenschaft, S. 46. 5 Es wird bewusst häufig nur die männliche Form verwendet, da bis in die 1960er/70er Jahre keine Frauen im höheren staatlichen Archivdienst tätig waren. S. dazu Gisela Vollmer, Archivarinnen gestern und heute. Zur Entwicklung des Frauenanteils insbesondere im staatlichen Bereich. In: Der Archivar 42 (1989) Sp. 351–374, zu Bayern s. Sp. 357, 358, 364. 6 Jacob von Rammingen, Von der Registratur, Vnd Iren Gebäwen Vnd Regimenten ..., Heidelberg 1571. – Ders., Summarischer Bericht, Wie es mit einer künstlichen vnd volkomnen Registratur Ein gestalt: ..., Heidelberg 1571. 7 Georg August Bachmann, Ueber Archive, deren Natur und Eigenschaften, Einrichtungen und Benutzung nebst praktischer Anleitung für angehende Archivbeamte, AmbergSulzbach 1801. 8 Philipp Ernst Spiess, Von Archiven, Halle 1777. 3
Zur Einführung
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kamen, sich in Folge der territorialen Neuordnung auch die Archivorganisation änderte und sich die Archive für die wissenschaftliche Forschung zu öffnen begannen, fand dies seinen Niederschlag u.a. in der Errichtung der Bayerischen Archivschule 1821 und in der Begründung einer eigenen „Zeitschrift für Archivkunde, Diplomatik und Geschichte“ durch den preußischen Archivdirektor Friedrich Ludwig von Medem 1834, der mit seinem Beitrag „Zur Archivwissenschaft“ einen Neuansatz lieferte9. Die 1876 durch Reichsarchivdirektor Dr. Franz von Löher begründete „Archivalische Zeitschrift“ konnte trotz Unterbrechungen während und nach den Weltkriegen und in den 1980er Jahren stetig fortgeführt werden und zählt damit zu den ältesten Archivfachorganen10. Auch die Schriftgutmassen, mit denen Archivare in Folge der aufgelösten Heeresstellen und von Verwaltungsveränderungen nach dem Ersten Weltkrieg konfrontiert wurden, führten zu einer intensiven Befassung mit der Tätigkeit der Archivare und dem Archivgut an sich, wie z.B. bei Ernst Müsebeck11. 1928 war von Eugenio Casanova „Archivistica“ erschienen.12 Ein wichtiger Schritt in der Verfestigung als Wissenschaft erfolgte, als sich eine 1929 eingesetzte Kommission, der auch der Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns, Dr. Otto Riedner, angehörte, der Präzisierung und Vereinheitlichung der archivfachlichen Termini annehmen sollte.13 In diesem Jahr wurde in Preußen die Archivarsausbildung im „Institut für Archivwissenschaft und geschichtliche Fortbildung“ institutionalisiert. Papritz (wie Anm. 1) Bd. 1, S. 19. – Friedrich Ludwig von Medem, Zur Archivwissenschaft. In: Zeitschrift für Archivkunde, Diplomatik und Geschichte 1 (1834) S. 1 ff. Band 2 dieser Zeitschrift erschien 1836, danach wurde das Erscheinen eingestellt. 10 Zu Erscheinungsweise und Zählung der Archivalischen Zeitschrift informiert kurz Monika Ruth Franz, Inhalts- und Verfasserverzeichnisse zu den Bänden 1–90 der Archivalischen Zeitschrift (1876–2008). In: Archivalische Zeitschrift 90 (2008) S. 144–295, hier S. 144. 11 Ernst Müsebeck, Der Einfluß des Weltkrieges auf die archivalische Methode. Vortrag des 20. Deutschen Archivtages in Danzig 1928. In: Archivalische Zeitschrift 38 (1929) S. 135–150. S. auch: Ernst Zipfel, Die Akten der Kriegsgesellschaften im Reichsarchiv, ihre Aufbewahrung, Sichtung und Nutzbarmachung. In: Archivalische Zeitschrift 36 (1926) S. 44–67. 12 Eugenio Casanova, Archivistica, Siena 1928. 13 S. dazu auch Johannes Papritz, Grundfragen der Archivwissenschaft. In: Archivalische Zeitschrift 52 (1956) S. 127–176. – Heinrich Otto Meisner, Unsere Berufssprache: I. Elemente der archivarischen Berufssprache. In: Archivalische Zeitschrift 39 (1930) S. 260– 273. – Ders., Archivarische Berufssprache. In: Archivalische Zeitschrift 42/43 (1934) S. 260–280. 9
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Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Archivare mit Bewertungsproblemen, mit neuen Quantitäten und Qualitäten des Archivguts befasst, weshalb Hermann Rumschöttel für die Archivwissenschaft den „großen Sprung“ hin zu einer selbstständigen wissenschaftlichen Disziplin erst in den 1950er Jahren sieht.14 Verwiesen werden muss in diesem Zusammenhang auf die grundlegenden Arbeiten, die in dieser Zeit entstanden sind, etwa die von Adolf Brenneke und Wolfgang Leesch15 und Heinrich Otto Meisner16, die umgehend zu Standardwerken in der Archivausbildung geworden sind. Auch der archivwissenschaftliche Diskurs in der DDR muss in den Blick genommen werden, wie z.B. die Arbeiten von Gerhart Enders17. Als Bodo Uhl 1990 die Bewertungsdiskussion neu entfachte18, entwickelte sich parallel dazu eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Berufsbild und eine neue Phase des archivwissenschaftlichen Diskurses begann, an dem sich vor allem Angelika Menne-Haritz, Robert Kretzschmar, Christian Keitel, Gerhard Leidel, Udo Schäfer und Hermann Rumschöttel beteiligten. Die elektronische Arbeitsweise bei den Registraturbildnern fand nun Eingang in die archivfachlichen Betrachtungen. Unterscheiden wir zwischen Archivtheorie und angewandter Archivwissenschaft mit ihren best practices, so zeigte sich an der Schnittstelle zur Archivierung digitalen Archivguts, dass die Archivtheorie in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu kurz gekommen war. So wurden keine grundsätzlichen Überlegungen zur technischen Beschaffenheit und zur Struktur eines digitalen Archivs angestellt, auch nicht zum digitalen Objekt selbst, arbeitete man doch darauf hin, dass elektronische Akten gebildet würden, die möglichst 1:1 den analogen entsprechen sollten, und übersah dabei die Realität, d.h. die Vielfalt digitaler archivwürdiger InHermann Rumschöttel, Die Entwicklung der Archivwissenschaft als wissenschaftliche Disziplin. In: Archivalische Zeitschrift 83 (2000) S. 7–21. 15 Adolf Brenneke, Archivkunde. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte des europäischen Archivwesens, bearbeitet nach Vorlesungsnachschriften und Nachlaßpapieren und ergänzt von Wolfgang Leesch, Leipzig 1953. 16 U.a.: Heinrich Otto Meisner, Forschungsfragen der Archivwissenschaft und der Urkunden- und Aktenlehre. In: Archivmitteilungen 7 (1957) S. 88–91. – Ders., Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Göttingen 1969. 17 Gerhart Enders, Archivverwaltungslehre (Archivwissenschaft und Historische Hilfswissenschaften 1), Berlin 1968. 18 Bodo Uhl, Der Wandel in der archivischen Bewertungsdiskussion. In: Der Archivar 43 (1990) Sp. 529–538. 14
Zur Einführung
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formationen in ihren unterschiedlichen Ablageformen, insbesondere die in Form von Datenbanken. Die Beschäftigung mit dem digitalen Objekt selbst, mit Fragen der Klassifizierbarkeit kam erst auf, als bereits digitales Archivgut übernommen wurde. Christian Keitel hat solange recht, solange nicht das Gegenteil bewiesen und zur öffentlichen Diskussion gestellt wurde, wenn er 2011 schreibt: „Digitale Unterlagen stellen die bislang von der Archivwissenschaft entwickelten Konzepte fundamental in Frage.“ Keitel fragte damals, wer denn Konzepte und Lösungen für die Archivierung digitalen Archivguts anbieten und wer diese Aufgabe in einen größeren wissenschaftlichen Kontext einbetten würde, und stellte ein Versagen der Archivwissenschaft fest. Zwei Jahre später, 2013, wollte Robert Kretzschmar mit seinem Beitrag „Quo vadis – Archivwissenschaft? Anmerkungen zu einer stagnierenden Diskussion“ einen Impuls liefern, um den Diskussionsprozess in Gang zu bringen und die Stagnation zu überwinden.19 Seitdem sind u.a. folgende wichtige archivwissenschaftliche Arbeiten erschienen: Von Gerhard Leidel 2017 „Untersuchungen zur Archivwissenschaft“20, 2018 Robert Kretzschmars Beitrag „Auf Archivgut bezogene Disziplinen. Praktische Überlegungen zu ihrer Entwicklung in archivischen und universitären Kontexten“21 und im selben Jahr von Christian Keitel „Zwölf Wege ins Archiv. Umrisse einer offenen und praktischen Archivwissenschaft.“22 Schon 2013 hatte Dietmar Schenk gefordert, dass die archivwissenschaftliche Diskussion über den Binnendiskurs von Archivarinnen und Archivaren hinaus geöffnet und in die Geschichtskultur hineingetragen werden müsse.23 Dies ist aufgrund der Schnittmengen zu anderen Disziplinen vor allem zu den historischen Wissenschaften, den historischen 19 Robert Kretzschmar, Quo vadis – Archivwissenschaft? Anmerkungen zu einer stagnierenden Diskussion. In: Archivalische Zeitschrift 93 (2013) S. 9–32. 20 Gerhard Leidel, Untersuchungen zur Archivwissenschaft. In: Archivalische Zeitschrift 95 (2017) S. 27–86. 21 Robert Kretzschmar, Auf Archivgut bezogene Disziplinen. Perspektivische Überlegungen zur ihrer Entwicklung in archivischen und universitären Kontexten. In: Sabine Graf – Regine Rössner – Gerd Steinwascher (Hrsg.), Archiv und Landesgeschichte. Festschrift für Christine van den Heuvel (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 300), Göttingen 2018, S. 55–70. 22 Christian Keitel, Zwölf Wege ins Archiv. Umrisse einer offenen und praktischen Archivwissenschaft, Göttingen 2018. 23 Dietmar Schenk, „Aufheben, was nicht vergessen werden darf“. Archive vom alten Europa bis zur digitalen Welt, Stuttgart 2013.
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Hilfswissenschaften (Grundwissenschaften), aber auch zu den Sprachwissenschaften, den Verwaltungswissenschaften und auch zur Informatik erforderlich. Hier wollen die Archivwissenschaftlichen Fachgespräche der Bayerischen Archivschule anknüpfen, die im Jahr 2018 mit dem Themenschwerpunkt „Archivwissenschaft in Zeiten digitaler Transformation“ begründet wurden. Ihr Ziel ist der archivspartenübergreifende Diskurs unter Einbeziehung anderer wissenschaftlicher Disziplinen. Dem trug das erste Fachgespräch Rechnung, indem es einen weiten Bogen archivwissenschaftlicher Themen spannte und die Geschichts- und die Rechtswissenschaften einbezog. Gerade in Zeiten, in denen der Archivbegriff an sich unscharf geworden ist und Archive als Teil der Gedächtnisinstitutionen anderen kulturgeschichtlichen Einrichtungen gleichgesetzt werden, gilt es umso mehr die Spezifika der wissenschaftlichen Disziplin und die rechtssichernde Funktion der Archive, die sich vor allem im Erhalt der Authentizität und Integrität der Informationen niederschlägt, deutlich herauszustellen. Dies ist umso wichtiger, als das Archivgut durch die digitale Arbeitsweise in den Archiven seine Gegenständlichkeit verliert und es künftig verschiedener Hilfsmittel bedarf, um die Informationen sichtbar und lesbar zu machen. Ich hoffe, dass die Archivwissenschaftlichen Fachgespräche wichtige Beiträge für die Entwicklung unserer Wissenschaft liefern.
The Origin and Evolution of the ius archivi concept in Early Modern Central Europe1 by Joseph S. Freedman I. One can venture to assume that individuals responsible for the management of archival information from ancient times onwards have theorized concerning issues pertaining thereto. However, our historical knowledge of archival theory – theorizing about archives and/or information that is found in archives – is best based on extant written records. Archival theory during the ancient and medieval periods is not accorded direct discussion here.2 However, relevant in the present context are the following two points. First, some medieval European jurists discussed the legal validity of documents located in archives.3 And second, many of those medieval discussions are cited or mentioned within legal writings published in Central Europe – regarded here as roughly corresponding to Holy Roman Empire
This article is a revised and slightly expanded version of a paper read in Munich on November 22, 2018 at the conference “Archivwissenschaft in Zeiten digitaler Transformation” organized by the Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. Quotations are given in the style followed by the author. – All writings published prior to the year 1835 are cited in full within the “Bibliography of Primary Sources”, pp. 39–52 and in abbreviated form within the footnotes. 2 Refer to the editions of the Justinian civil law corpus listed in footnote 6. The following two publications that discuss archives during the middle ages are cited here: Mark Mersiowsky: Die Urkunde in der Karolingerzeit. Originale, Urkundenpraxis und politische Kommunikation (Monumenta Germaniae Historica. Schriften), Wiesbaden 2015, Volume 2, pp. 903–938 (Karolingische Archivpraxis); Ellen Widder: Kanzler und Kanzleien im Spätmittelalter. Eine “Histoire croisée” fürstlicher Administration im Südwesten des Reiches (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in BadenWürttemberg 204), Stuttgart 2016. 3 One brief mention of archives made by a 15th century jurist, Joannes de Grassis (died 1473) can be quoted here in full: “De archivo publico. Probationem plenam tredecimam habemus per tredecimum florem et est illa que fit ex archivo publico/quod facit plenam probationem in.d.c. ad audientiam. Et est casus in c.1. de probatio. Et hoc dummodo appareat illud esse extractum de publico archivo per officialem archivi vel ex mandato.” Übelin (1510), fol. p2r; Tractatus (1584), fol. 25v, col. 2. 1
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Joseph S. Freedman
– during the 16th century and thereafter.4 Here the principal focus is on discussions concerning archives – archival theory – within Central European writings published from the year 1597 up to the end of the Holy Roman Empire in the year 1806. From the 16th through the first half of the 18th centuries discussions and mentions of archives were found in Latin-language, Central European publications on jurisprudence. This includes (usually brief ) entries on archives in published lexicons on jurisprudence; archives are mentioned there using a variety of terms, including archivum, chartophylacium, grammatophylacium, scrinium, tabularia, and tablina.5 Archives are also mentioned in 16th-, 17th-, and early 18th century Latin language editions of the Justinian civil law corpus.6 Extant Central European publications on registries during the 16th-, 17th-, and 18th centuries, on the other hand, were written in German. Influential during this period were two treatises on registries published in Heidelberg by Jacob von Rammingen in the year 1571.7 Two points For example, refer to Du Moulin (1539 and 1575); Ruland (1597); Schrader (1606); Schurff (1553). 5 For example, see Spiegel (1538), fol. C5v (Archivum); Duprat (1576), pp. 492-493 (scrinium); Schardius (1582), cols. 249 (Archiva), 2048–2050 (Scrinia); Novum lexicon Iuris (1597), pp. 114–115 (Archiote, Archivum, Archivum publicum), 714 (Scriniarii) and Kahl (1600) col. 205 (Archiva, grammatophylacia sive chartophylacia, tabularia, tablina). The Legal Lexicon of Johann Kahl (Calvinus) was republished in Frankfurt am Main (1610), in Hanau (1619), and at least eleven times in Geneva between 1612 and 1759. The 1600 and 1663 editions cited in the Bibliography. – Concerning Johann Kahl (died 1614), a professor in the Arts Faculty and later in the Jurisprudence Faculty at the University of Heidelberg, refer to Dagmar Drüll: Heidelberger Gelehrtenlexikon. 1386– 1651, Berlin et. al. 2002, pp. 61–62. 6 Widely utilized during this period were the (Latin language) editions of the Justinian civil law corpus published by Denis Godefroy (Dionysius Gothofredus), which was first published in 1583 (Lyon), and then in Frankfurt am Main (1587, 1663, 1688), Leipzig (1719, 1720, 1740), Lyon (1589), Antwerp (1726), and at least nine times in Geneva between 1595 and 1656. Here only the Frankfurt am Main 1587 and 1663 editions are cited in the Bibliography; archives are cited there in Godefroy (1663), 2nd Pagination, cols. 969–970 (Codex Lib. XII. Tit. IX. De magistris sacrorum scrinorum: 974–979 (De proximis sacrorum scriniorum, caeteris in sacris scriniis militant), 3rd Pagination, cols. 46–49 (Novella Constitutio XV, Caput 5, no. 2: 48, ... apud eos archivum ... ), 122–124 (Novella Constitutio XLIX, no. 2: 124, Si vero etiam ex publicis archivis proferatur ... ). – Concerning Godefroy, a jurisprudence professor at the University of Heidelberg (1600–1601, 1604–1621) see Drüll (footnote 5) pp. 182–183. 7 Refer to Rammingen: Bericht (1571) and Rammingen: Registratur (1571) as well as the edition (with English translation and commentary) by January Bo Lennart Daniel Ström4
The Origin and Evolution of the ius archivi concept
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from his treatises can be mentioned here. First, Rammingen distinguishes between two categories of documents: 1. what he refers to as instruments, as public instruments, and as Urkunden in contrast to 2. other writings (monumenta, aliae scripturae).8 And second, he apparently hesitates to equate a registry with an archive.9 One additional genre of Central European legal writings within which archives are mentioned or discussed were collections of legal counsel published by jurisprudence professors and other jurists during the 16th, 17th, and 18th centuries.10 One example thereof can be discussed here: archives as discussed in Counsel 90 in Volume 3 in a three-volume collection of legal counsel first published by Hieronymus Schurff (1481–1554) in the year 1553.11 Counsel 90 consists of 48 numbered segments, only some of which contain discussion of archives. In Segment 8 he states that a public archive (archivus publicus) is a place (locus) where public and (legally) authentic writings should be kept.12 In this connection Schurff notes that not all writings found in public archives are considered to be authentic; some are authentic while others are not.13 Discussed are the criteria for determining authenticity of such writings.14 Among these critieria are [i.] berg: The earliest predecessors of archival science. Jacob von Rammingen’s two manuals of registry and archival arrangement, printed in 1571, Lund 2010. 8 Rammingen: Bericht (1571), fol. B1r–B1v; Rammingen: Registratur (1571), fol. A4v. 9 “Quod a nobis alios (quamvis aliqualiter improprie) quo ad totam Operis atque structurae fabriam Archivum, alioquin unum corpus Registraturae, Charthophilatium, a, alterum vero Tabularium nuncupamus.” Rammingen: Registratur (1571), fol. B1r. 10 Four such publications in which archives are discussed are the following: Schrader: Consiliorum ... volumen primum (1606), pp. 518–543; Vultejus: Consiliorum ... volumen quartum (1631), pp. 777 (no. 270), 875 (no. 896), 1110 (no. 215); Stryckius: Johannis Brunnemanni ... Consilia (1677), fol. *Q2r–v (Index: Consilia 129, 131, 133, 148); Ludewig: Consilia (1733), pp. XXXIX–XL, cols. 449–458, 485–494, 879–894. 11 Schurff: Consiliorum ... centuria tertia (1553), pp. 453–487. – Concerning Hieronymus Schurff, a professor of jurisprudence at the Universities of Wittenberg (1507–1547) and Frankfurt an der Oder (1547–1553), see Andreas Otto Weber, Hieronymus Schurff, in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), pp. 760–761, https://www.deutsche-biographie. de/pnd104161884.html#ndbcontent (last accessed on April 30, 2021). Schurff was the legal consultant who accompanied Martin Luther to Worms in 1521. 12 “Archivus publicus ... est locus in quo reponi solent scripturae publicae & authenticae ...” Schurff: Consiliorum ... centuria tertia (1553), p. 458, lines 16–17. It can be assumed here that a public archive is connected to political authority, though it does not appear that specific political authorities are referred to here. 13 Schurff: Consiliorum ... centuria tertia (1553), p. 458 (lines 19–22). On page 460 (line 1) the archive is also referred to an armory (armario seu Archivo). 14 Schurff: Consiliorum ... centuria tertia (1553), pp. 457 (lines 24–37), 462 (lines 4–10).
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that a public archive should be presided over by a public official (officialis publicus)15 and [ii.] that it should be managed by an appointed caretaker (custos).16 In this context, the relevance of “customary practice” (consuetudo) and of “ancient” writings are also discussed.17 But apparently the most important criterion for the authority of writings found in public archives is “public testimony” (publicum testimonium) by a magistrate.18 II. The first known post-medieval mention19 of the concept of ius archivi (the legal right to establish and maintain an archive) in a discussion of archives is found within a treatise first published in the year 1597 – On Legal Consultants and Judicial Commissions at the (Holy Roman) Imperial Chamber Court / De commissariis et commissionibus camerae imperialis – by the German jurist Rutger Ruland.20 It is divided into two general parts. Part 1, Apparently in this connection Schurff mentions the magistrate, the prince, and the prince and his counselors on pages 457 (lines 30 and 31), 462 (line 33). 16 Schurff mentions notaries (notarii) twice – on pages 459 (lines 11–12) and 460 (line 1) in connection with archives but does not specifically refer to them as custodians thereof. Also noted (on page 457, lines 33–34) is that public and authentic writings should be “described and registered” (instrumenta publica & authentica descripta & registrata). This apparently indicates that (at least one) registry is to be used. 17 Schurff: Consiliorum ... centuria tertia (1553), pp. 461–462 (Segments 11 and 12 and p. 462, lines 15–24). 18 Schurff: Consiliorum ... centuria tertia (1553), p. 462 (lines 32–35) as well as p. 459 (lines 10–12). 19 No attempt here has been made to investigate any extant mentions of ius archivi found in medieval sources. The following literature pertaining to the ius archivi concept – which will also be cited in subsequent footnotes – has been utilized: Randolph C. Head: Documents, Archives, and Proof around 1700, in: The Historical Journal 56, 4 (2013) pp. 909–930; Friedrich Merzbacher: Ius Archivi. Zum geschichtlichen Archivrecht, in: Archivalische Zeitschrift 75 (1979) pp. 135–147; Ernst Pitz: Beiträge zur Geschichte des Ius Archivi, in: Der Archivar 16 (1963) cols. 279–286; Thomas Vogtherr: Archivtheorie und Archivpraxis im ausgehenden 17. Jahrhundert: Ahasver Fritsch, Jacob Bernhard Multz von Oberschönfeld und Georg Aebbtlin, in: Rainer Cunz (ed.): Fundamenta Historiae. Geschichte im Spiegel der Numismatik und ihrer Nachbarwissenschaften. Festschrift für Niklot Klüßendorf zum 60. Geburtstag am 10. Februar 2004 (Veröffentlichungen der Urgeschichtlichen Sammlungen des Landesmuseums zu Hannover 51), Hannover 2004, pp. 403–409. 20 Ruland (1597). His treatise was republished (from 1604 onwards in two separately published parts) in 1604, 1617, 1664, and 1724; his discussion of ius archivi is found in Part 2 in each of those republished editions. Only the editions of 1597 and 1724 are cited here in the bibliography. – Concerning Rutger Ruland / Rulant (1568–1630) see Otto 15
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which consists of eight Books, provides generic discussion of legal consultants, of judicial commissions, and of those consultants in commissions at the Imperial Chamber Court.21 Evident in both Part 1 and Part 2 in Ruland’s treatise is his caution with respect to the use of definitions.22 In Book 1 in Part 1, which is devoted to discussion of the commissarius, he notes that while definitions are useful and necessary, they are also “a very dangerous matter” (res periculosissima).23 There he states that he is defining – but then ends instead by providing a description of – the commissarius.24 Part 2 contains six Books, each of which discusses a specific category of commissions. Book 5 in Part 2 is devoted to written (legal) documents (literaria documenta), which includes discussion of archives. Book 5 is divided into 40 Chapters. The bulk of Ruland’s discussion on archives (as well as his other text that pertains directly or indirectly pertaining thereto) is found within the Chapters 1 through 11 of Book 5.25 The title of Chapter 326 in Book 5 is Concerning the Etymology and Definition of the Archive / De etymologia et definitio archivi. Most of Chapter 3 presents various terms used to denote archive and chancelleries.27 Chapter 3 concludes with a brief description of the archive as an “armory” (armarium) or a public repository (publicum receptaculum) of a prince, a magistrate, or of some common-
Beneke, Ruland, in: Allgemeine Deutsche Biographie 29 (1889) 635–636, https://www. deutsche-biographie.de/pnd142726370.html#adbcontent (last accessed on April 30, 2021); Rutger Ruland is mentioned there as a concillor (Rathgeber) and a imperial legal consultant (Kaiserlicher Commissar). 21 Ruland is mentioned together with a citation of his treatise in Günther (1608), pp. 64, 86, Ruland’s name is not included within the extensive personnel lists of the Imperial Chamber Court (Reichskammergericht) compiled within that same treatise by Günther. 22 Ruland was by no means alone is this regard. Refer to the views of Rudloff (1676) as quoted in footnote 60. 23 Ruland (1597), Part 1, cols. 17–18 (Pars 1, Liber 1, Caput 3, nos. 1–2). 24 Ruland (1597), Part 1, col. 18 (Pars 1, Liber 1, Caput 3, no. 5). – In 16th- and 17thcentury writings on logic description was often regarded as a sub-category of definition. According to Molitor (1590), p. 7 (no. 35) a description was a real definition as opposed to an essential definition, while description is regarded as an imperfect definition (definitio imperfecta) by Alstedius (1611), pp. 26, 29. 25 Archives are also mentioned in Chapter 18, no. 1 (col. 303, lines 16–28), Chapter 20 (col. 312, no. 3), and Chapter 24 (cols. 327–330, 332–333). Ruland and Book 5 (Part 2) of his treatise are briefly mentioned in Head (footnote 19), pp. 912, 917, 918. 26 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 3, cols. 237–240. 27 It is also noted here (col. 239, lines 5–7) that (some) Germans used the terms chancellery (Cantzley) and archive (archivum) interchangeably.
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wealth (respublica) that contains written (legal) documents.28 However, Ruland immediately adds – at the very end of Chapter 3 and also at the beginning of the text in Chapter 4 – that this description (definition) requires further explanation.29 Chapter 4 focuses on which political entities are permitted to have ius archivi: the legal right to establish and maintain an archive.30 On the basis of the extensive discussion given in Chapter 4 it is evident that – while allowing for some exceptions – ius archivi is only accorded to those political entities having a sufficiently important status within the political and administrative structure of the Holy Roman Empire.31 Most of Chapter 4 presents – in hierarchical order, beginning from the highest status on down – which political entities have ius archivi and which do not.32 In the case of some political entities, discussion is followed by a decision as to whether or not ius archivi is to be accorded to them.33 In Chapter 5 of Book 5 Ruland discusses and then supports34 the view that literary documents kept within an archive have legal validity outside of the territory belonging to a given political entity (having ius archivi) where those literary documents are kept.35 Chapter 6 focuses on public written documents of the magistrate and discusses the various categories thereof; it is noted there that legal validity is accorded to public written 28 “Expedito nomine, nunc descriptio breviter subnectenda: Est autem Archivum documentorum literariorum armarium, seu publicam receptaculum, sive Principis, sive Magistratus, sive reip. alicuius sit.” Ruland (1597), col. 240, no. 5, lines 1–6. – As a typographical error “receptatulum” is printed here (instead of “receptaculum”) within the copy of this publication by Ruland (1597) that is cited in the Bibliography. 29 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 4, cols. 240 (no. 5, lines 11–13), 242 (lines 1–9). 30 The title of Chapter 4 (col. 240) is “Quinam ius Archivi habeant.” On the first column of the Chapter 4 text (no. 2) Ruland presents four general criteria for according ius archivi and cites Du Moulin (1539 and 1575) when doing so. Du Moulin is an important authority for Ruland (and is cited on cols. 242, 258, 265, 270, 271, 273, and 276) in Chapter 4; he is also frequently cited in Central European publications that discuss ius archivi in the late 17th century. – Concerning Charles Du Moulin (1500–1566) see Franz Gamill scheg: Der Einfluss Dumoulins auf die Einwicklung des Kollisionsrechts (Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 25), Berlin-Tübingen 1955 and Donald Kelley: ‘Fides historiae’. Charles DuMoulin and the Gallican View of History, in: Traditio 22 (1966) pp. 347–402. 31 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 4, cols. 240–256. 32 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 4, cols. 242–256 (nos. 8–59). 33 For example, Ruland argues that individual free imperial cities can have what he refers to as an archivum speciale; this accords them with some legal rights but stops short of ius archivi; refer to cols. 242, no. 2, lines 1–4, 251–252 (nos. 43–46). 34 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 5, col. 258, nos. 10–11. 35 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 5, cols. 256–263.
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documents of a magistrate that pertain to private matters.36 Chapter 7 is devoted to a brief discussion of the “public writings” (scriptura publica)37 administered by notaries as well as a brief mention of the requisite qualities of notaries.38 Although not specifically mentioned as such, it would appear that notaries are regarded by Ruland to be responsible (at least in part) for the administration of archives.39 Chapter 1 in Book 5 (of Part 2) briefly discusses and describes literary documents, while Chapter 2 divides literary documents – which are equated here with legal instruments – into the categories of public, private, and mixed (a mixture between public and private) literary documents / legal instruments.40 Public instruments either [i.] are created by a public magistrate as writings in his public archive or [ii.] are private writings that are given the status of public writings; the (legal) instruments of magistrates have legal validity where instruments of notaries do not.41 Private instruments are made by private persons in the
Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 6, cols. 263–268 (De publicis literariis documentis Magistratuum). 37 Public writings (Scriptura publica) are either protocols (Prothocollum) or instruments (Instrumentum). The former becomes the latter when it is written in parchment. Ruland (1597), Part 2, Liber 7, Caput 7, cols. 269–270 (nos. 7–10). 38 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 7, cols. 268–270. This chapter is mislabeled in the text as Chapter 6. Notaries are also discussed (to some greater or lesser extent) in Chapters 6, 15, 16, 19, 24, 29, 32, 34, and 37 in Book 5 of Part 2. 39 However, the following text in Chapter 19 of Book 5 suggests that Ruland possibly did not (want to) give a specific title to the custodian of an archive: “Cum t[ame]n saepe privatae scripturae in archivis reperiuntur, quaeritur contra quem hoc casu petenda commissio, an contra ipsum Principem. an vero contra illum, qui praeest archivo? Et contra superiorem dirigendum putarem, cum alias ille inferior se excusare & sine licentia Principis non facere audere, praetendere possit: ...” Ruland (1597), cols. 310–311 (nos. 28–29). – This same phrase, “qui praeest archivo” (the person in charge of the archive) is used in Ruland (1597), col. 273, line 42. 40 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 1 (cols. 233–236) and Caput 2 (cols. 233–237 (Pars 1, Liber 5, Caput 1–2). – Ruland states here in Chapter 2 (col. 236, nos. 1 and 2) that his use of mixed documents as a category is based on the use of mixed (legal) causes (actions) within the Institutes in the Civil Law Corpus by Emperor Justinian (sacratissimus Imperator Justinianus); refer to the edition thereof by Godefroy (1587), cols. 100–101 (Institutiones, Liber 4, Titulus 4, nos. 19–20). 41 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 2 (col. 237, nos. 3–4). Chapter 6 (cols. 263–267) focuses on the public literary documents of magistrates (De publicis literariis documentis Magistratuum). There it noted – cols. 263 (no. 20) and 266 (no. 20) – that these literary documents make private writings legally valid (Literae publicae magistratuum apud privatos scriptae plenam fidem faciunt). 36
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absence of a judge or a notary.42 Instruments which have mixed causes are made by private persons but nonetheless have legal validity.43 Chapter 8 in Book 5, which is devoted to instruments having mixed causes that are deposited in archives, opens by stating (basically reaffirming what is stated in Chapter 5), that such instruments found in archives are private writings which nonetheless have the status (natura) of public instruments.44 In Chapter 9 instruments having mixed causes are also linked to the legal validity of that which has been customarily done / custom (consuetudo), which functions as (what is referred to here as) local public law (lex publica localis): Ruland also argues here in Chapter 9 that custom carries with it legal validity.45 Chapter 11 is devoted to general discussion of private instruments.46 Ruland describes a private instrument as a document written not by public (political) authorities, but rather by a private person that has – per se – little legal validity.47 However, there are conditions (qualities) which can give legal validity to private instruments; it is noted that writings that have antiquity are able to have legal validity.48 With regard to Ruland’s treatise the following summary comments can be made. First, Ruland clearly makes some distinctions between private Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 2 (col. 237, no. 5, lines 1–5). – Chapter 11 (cols. 277–279) of Book 5 of Part 2 focuses on private instruments. 43 “Mixtam causam habere videtur instrumenta, quae quidem a privatis personis fiunt, consuetudine tamen vel officii ratione, aut publica dispositione pro publicis habentur.” Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 2 (col. 237, no. 5, lines 5–10). 44 “Instrumenta in archivo reperta, recte mixtam causam habere dicuntur: reipsa enim sunt privata scriptura. Ex eo tamen quod in loco publico a partibus collocata sunt, publicam naturam afflumunt.” Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 8 (col. 271, first six lines of text). Analogously, in Chapter 11 (footnote 42) it is noted (col. 277, Summaria, no. 8) that private writings can have legal validity (“Ex conventione partium etiam privata scriptura probat.”) 45 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 9 (cols. 275–276). It is also noted here (col. 275, bottom three lines) that the private books of merchants (libri Mercatorum) can be made into public documents having legal validity. 46 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 11 (cols. 277–279). Discussed in Chapter 10 (cols. 276–277) writings by “officials” (officiales) of private associations (including guilds) that are not kept within archives. While these writings are (said to be) private, they also can be considered to be public writings, and therefore can have legal validity. 47 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 11, nos. 1–3 (cols. 277–278). 48 Ruland (1597), Part 2, Liber 5, Caput 11, nos. 4 (col. 278), 8–9 (col. 279). Also refer to the passages from Chapter 6 in Book 5 that are cited in footnote 41. Chapter 10 in Book 5 focuses on the (private) writings of (unnamed) officials (but including associations of colleagues such as guilds) that are not kept in archives yet which nonetheless have legal validity (cols. 276–277). 42
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and public written documents and between private, mixed, and public instruments. However, it would appear that most, almost all, or all of the documents and instruments kept in archives – meaning repositories that have ius archivi – can be accorded legal validity. For Ruland, the fact that a written document is kept in a repository having ius archivi is more important (for legal purposes), than the actual content of the individual documents that are kept there. And second, Ruland considers an archive to be public repository having ius archivi – insofar that the archive belongs to a political entity that has a sufficiently high status within the political and administrative framework of the Holy Roman Empire. Public law (ius publicum / Öffentliches Recht) emerged as an academic subject matter (in jurisprudence faculties) in the Holy Roman Empire in about the year 1600, that is, at about the same time as the initial publication of Ruland’s treatise in the year 1597.49 While a direct connection between the two might not be verifiable, Ruland’s concept of ius archivi appears to have fit well within the parameters of public law in the Holy Roman Empire. III. During the early 17th century some writings that mentioned or discussed archives continued to be published in Central Europe. A few examples can be mentioned here.50 Johannes Althusius briefly focuses on archives in his treatise on politics as well as in a treatise on jurisprudence.51 Christoph Besold very briefly mentions ius archivi in a treatise on politics and in more detail within his practical thesaurus (thesaurus practicus).52 Archives and ius archivi are briefly discussed in a treatise on legal instruments – also referred in its title as written documents (documentis literConcerning this emergence of public law as an academic subject-matter refer to Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Volume 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600–1800, 2nd Edition, München 2012, pp. 141–146. 50 These examples are in addition to the legal lexicons (e.g., by Johann Kahl), the collections of legal counsel, and the editions of Roman law (e.g., by Denis Godefroy) cited in footnotes 5, 6, and 10. 51 Althusius: Politica (1614), pp. 91–93–227–229, 248–254 and Althusius: Dicaelogicae (1617), pp. 342 (nos. 21), 732–733 (nos. 26–30), A7r (Index). – The Dicaelogicae was republished in 1649 (but is not cited in the Bibliography). 52 Besold (1618), pp. 163–164 and Besold (1629), pp. 49–50; substantially more attention is accorded to registries (Registratur) in Besold (1629), pp. 645–653. – Besold’s Thesaurus practicus was republished in 1641, 1659, 1666, 1679, 1697–1699, and 1740. 49
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ariis) – published by Jacobus Bornitius.53 And a short treatise on archives published in Venice in the year 1632 was cited in Central European legal publications and was republished in Central Europe in 1666, 1702, and 1715.54 IV. It was not until the second half of the seventeenth century that Central European writings specifically devoted to archives began to be published. Concurrent thereto was the apparent increase in Central European legal publications that discussed ius archivi beginning in about the year 1650.55 At least two publications devoted specifically to Holy Roman Imperial archives were also published.56 And a short inaugural publication with the title On the Archive of the Prince / De scrinio principis appeared in 1694.57 At least five writings published in Central Europe between 1664 and 1688 are devoted to the general subject-matter of ius archivi and archives. The first to be published was a treatise by Ahasver Fritsch in 1664.58 It was followed by the publication of four academic disputations / dissertations in Bornitius (1626), pp. 128–130, 251–252. Bonifacius (1632). For example, this treatise is cited in Rudloff (1676), fol.A3v (IV.) as well as in Engelbrecht – Rinckhamer (1688), fol. D3v. – It was the only treatise on archives that was included in the collection of writings on libraries by Maderus (1666 and 1702). It was also republished within Wenckerus (1715). 55 For example, see Zahn (1650), pp. 154–156 (Caput 54: De municipiorum iure archivi seu chartophylacii), Zahn (1657), pp. 154–156 (Caput 58: De municipiorum iure archivi seu chartophylacii); Myler (1658), pp. 368–372 (Caput 47: De iure archivi); Knip schildt (1657), pp. 409–413 (Caput 12: De iure archivi, Civitatibus imperialibus competente); Myler (1671), 430–435 (Cap. 47: De iure archivi); Schwederus (1685), 940–942 (14–15: Ius archivi); Multz (1690), pp. 246–247, 501, 856–866 (De iure cancellariae et archivi); Schilter (1696), pp. 367-371. The content from Multz (pp. 856-859, 863-866) and from Schilter (pp. 369-371) were republished in Wencker (1715), pp. 109–123 and 50–51, respectively. Concerning Multz also refer to Vogtherr (footnote 19) pp. 403, 406, and Merzbacher (footnote 19) pp. 137, 140. Concerning Schilter also see Head (footnote 19) p. 920, Merzbacher (footnote 19) pp. 138, 139, 141. A passage from Myler is cited at the beginning of Head (footnote 19) p. 909. 56 Wagenseil – Haller (1673); Lynckerus – Dancklufft (1686). 57 Wildvogel (1694). 58 Concerning Fritsch‘s treatise also refer to Head (footnote 19) pp. 912, 917–921; Merzbacher (footnote 19) pp. 135, 136, 141; Pitz (footnote 19) col. 286; Vogtherr (footnote 19) pp. 403–406. – Concerning Ahasver Fritsch (1629–1701) see Ernst Anemüller, Ahasver Fritsch, in: Allgemeine Deutsche Biographie 8 (1878) 108–109, https://www.deutschebiographie.de/pnd119285452.html#adbcontent (last accessed on April 30, 2021). 53 54
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the years 1668, 1676, 1681, and 1688.59 All five of these publications provide discussion on a number of common topics. First, they all mention a number of terms used to refer to archives.60 Second, all five of them define or describe what an archive is.61 In 1681 Georgius Radovius and Michael Mutterer62 define an archive as a place (locus publicus) in which writings, things worthy of remembrance (monumenta), and administrative records (acta) are kept.63 Third, all five of these publications discuss distinctions between two or more different Holy Roman Imperial archives; they all – except for Neveu (1668) – also include more general distinctions between
59 Neveu, Disputatio (1668); Rudloff (1676); Radovius – Mutterer (1681); Engelbrecht – Rinckhamer (1688). – The names of the presiders and the respondents are both mentioned in all of the disputations / dissertations that are cited and discussed here. Neveu (1668) is listed as a Disputatio solemnis and was also published as a tractatus. Rudloff (1676) and Radovius – Mutterer (1681) are both referred to as a disputatio inauguralis while Engelbrecht – Rinckhammer (1688) is a Dissertatio. – Concerning the use of the terms disputatio and dissertatio as well as authorship questions pertaining to these publications refer to the commentary and literature cited in Joseph S. Freedman: Book Review of Hanspeter Marti – Reimund B. Sdzuj – Robert Seidel (eds).: Rhetorik, Poetik und Ästhetik im Bildungssystem des Alten Reiches. Wissenschaftshistorische Erschließung ausgewählter Dissertationen von Universitäten und Gymnasien 1500–1800, Köln-Weimar-Wien 2017, in: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und der Wissenschaften / Yearbook for the History of Literature, Humanities, and Sciences 22 (2018), pp. 299–308. 60 Fritsch (1664), pp. 6–10, 39; Neveu, Disputatio (1668), pp. 3–8; Rudloff (1676), fol. A2v–A3r, C4r; Radovius – Mutterer (1681), fol. A3r–A4r; Engelbrecht – Rinckhammer (1688), A3r–A3v (IV–X). 61 Archive is described by Fritsch (1664), pp. 11–12, and Engelbrecht – Rinckhamer (1688), A3v; it is defined by: Neveu, Disputatio (1668), p. 8 (XI), and Rudloff (1676), A4v. However, the complexity involved at arriving a more fuller understanding of this definition provided by Rudloff is evident from his subsequent statement (fol. B1r, X.): “Caetera in Definitiones posita in sequentibus latius exponentur, ubi Causam Efficientem, Subjectum Archivi, Objectum, item Formam, Finem, & Effectum plenius examinabimus.” These individual points pertaining to the “definition” of archives are discussed in the remainder of Rudloff’s disputation. 62 This publication is stated on its title page to be the Doctor of Jurisprudence disputation submitted by Michael Mutterer, the secretary and archivist (archiota) in the service of the Duke of Mecklenburg. This is the earliest known Central European publication in which an archivist is stated to be the author or a co-author. 63 “... Archivum definitur locus publicus, in quo scripturae, monumenta, actaque principis, civitatis & universitatis reponi solent, ut ibi reserventur sub custodia Archiotae.” Radovius – Mutterer (1681), A3r (II., lines 7–10). The locus publicus here apparently refers to a repository which belongs to political authority. It is difficult to determine how individual terms in this definition are to be understood; refer to discussion in Kahl: Lexicon (1663), pp.19 (Acta), 86 (Archiva), 591–592 (monumenta), 835–836 (Scrinia, Scripta, Scriptura).
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various kinds of archives.64 Fourth, all five of these writings emphasize the necessity of archives.65 They provide method (methodus) and / or order (ordo).66 Otherwise confusion (confusio) or disturbances (perturbationes) might result.67 Fifth, all five of these writings discuss the caretaker of the archive in one or more ways, including various names for this caretaker as well as his required duties and qualifications.68 Sixth, all five of them also mention or discuss how the archive should be ordered; in this connection they all mention one of Jacob von Rammingen’s two treatises on registries and Ahasver Fritsch also includes a segment from one of Jacob von Rammingen’s treatises on registries as an appendix to his own treatise on archives.69 And seventh, all five of these publications make substantial use of Rutger Ruland’s treatise – On Legal Consultants and Judicial Commissions at the (Holy Roman) Imperial Chamber Court / De commissariis et commissionibus camerae imperialis – and adopt his ius archivi concept.70 But they appear to have departed from Ruland in two important ways. First, they accorded ius archivi to a broader group of authorities that Ru-
Fritsch (1664), pp. 28–37; Neveu, Disputatio (1668), p. 14 (X); Rudloff (1676), fol. B1r–C1r; Radovius – Mutterer (1681), fol. A3r–A4r (III–V); Engelbrecht – Rinckhamer (1688), fol. A3v–B4r. 65 “Magnam in quavis Rep. archivi necessitatem atque utilitatem esse, ex hactenus traditis, & experientia ipsa constat.” Fritsch (1664), p. 38. 66 Neveu, Disputatio (1668), p. 11 (XV–XVI); Rudloff (1676), fol. C1r (XXI); Radovius – Mutterer (1681), fol. B3 (XXI). 67 Fritsch (1664), pp. 17–18; Rudloff (1676), fol. A2r; Engelbrecht – Rinckhamer (1688), fol. A2r. 68 Names for and duties of the archivist are mentioned in Fritsch (1664), pp. 39–42. Names used for the caretaker of the archive are mentioned in Neveu, Disputatio (1668), p. 5 (VI), and in Radovius – Mutterer (1681), fol. B2v (XVII.). – The need for a qualified and faithful archive caretaker is mentioned in Rudloff (1676), fol. C1v (XXIIX). Required qualifications for (and names used to refer to) the archives caretaker are discussion in Engelbrecht – Rinckhamer (1688), fol. C4v (XIIX), D3r (XXII), D3v–D4r (XXIII). 69 Fritsch (1664), pp. 18, 40; Neveu, Disputatio (1668), pp. 11–12 (XVI–XVII); Rudloff (1676), fol. C1v (XXIIX); Radovius – Mutterer (1681), fol. B3r (XXI); Engelbrecht – Rinckhamer (1688), fol. D4r (XXIII). This Appendix is in Fritsch (1664), pp. 65–72. On page 65 he indicates that it is (from) Rammingen’s Summarischer Bericht (1571). However Fritsch has actually republished a section (fol. C1r–D1v) in Rammingen: Vor der Registratur (1571) consisting of 18 sub-sections. They are listed as numbers 1 through 19 by Rammingen because the number 9 was omitted; Fritsch has corrected Rammingen’s mistake and has listed them (correctly) as numbers 1 through 18. 70 Ruland is referred as cum laudato Rulando in Fritsch (1664), p. 26, lines 22–23 and as Rulandus noster in Neveu, Disputatio (1668), p. 25 (lines 12–13). 64
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land did: this broader group included the individual free imperial cities71 and it also included a wider scope of nobles than previously.72 To that could be added any special circumstances whereby ius archivi could be granted to individual entities.73 And second, the caretaker (and various names, including notary, for that caretaker) is accorded direct attention. And in some publications, the archbishop of Mainz, the arch-chancellor of the Holy Roman Empire, is also referred to as an archivist.74 The broader discussion of archives and their caretakers as well as the broader scope of ius archivi as understood in the second half of the 17th century within Central European legal writings appears to have fit well within the context of the politics pursued by the Holy Roman Emperor
71 Other authors granting ius archivi to the free imperial cities of the Holy Roman Empire included Knipschildt (footnote 52) as well as Vitriarius illustratus (1691), p. 843 (Liber 3, Tit. 17, § 38: “Hinc omnes Imperii Status, etiam Imper. Civitates, qua semper subintelligimus, agimus enim de Juribus, omnibus Imper. Statibus communibus, ius Archivi habent ... hoc enim necessarium est omnino”) as rendered into German by Merzbacher (footnote 19) p. 141. 72 Fritsch (1664), pp. 18–27 (Capitis tertii. Quibus ius archivale competat.); Rudloff (1676), fol. B2r (XV)–B4v (XXIV); Radovius – Mutterer (1681), fol. A4v (VIII)–B2r (XVI); Engelbrecht – Rinckhamer (1688), fol. B4r–C4r. Neveu only briefly comments (as follows) on this issue: “Operosius hic inquirunt nonulli; An Comites, Barones, Nobiles immediati, Civitates Hanseaticae &c. Jus Archivorum habeant, sive an eorum monumenta publicum quoque testimonium mercantur? ... Res dubitatione prorsus videtur carere. Cui enim Jus Magistratus, Jus Collegii concessum, non potest, non eidem Archivi jus quoque permissum esse.” Neveu, Disputatio (1668), pp. 29–30 (XLVII). Based on this comment, it would appear that he would accord ius archivi to a broad group of political entities. 73 Fritsch (1664), p. 27 (“nisi ex consuetudine contraria ... nisi alia adferunt”); Rud loff (1676), fol. B3r, XVIII, 6 (“nisi specialiter illis concessum, aut diuturna consuetudine acquisitum fuerit, habent”), B4r (XXII), B4v (XXIII); Radovius – Mutterer (1681), fol. B2 (“si tamen speciali consuetudine”); Engelbrecht – Rinckhamer (1688), fol. C4, XVII (“nisi ex consuetudine contraria ... nisi alia adminicula concurrant”). Special circumstances on which documents in monasteries can be granted legal validity are presented in Engel (1674), pp. 332–334 (nos. 21–23), including the following phrase (p. 333, lines 10–13): “... quia priore casu consuetudo dat authoritatem scripturae, & in antiquis in universum propter difficultatem probationis leviores probationes acceptantur.” 74 Rudloff (1676) refers to the Electoral Prince of Mainz as the Archivi custos (fol. A4r, VI) and as the supremus ... Archivista & Custos (fol. C2r, XXX). He is referred to as totius Archivi custos & Depositarius in Wagenseil-Haller (1673), pp. 8–9 (IIX) and as the Custos archivi Imperii in Scharschmidus (1677), p. 459, Cap. LXIX, I., § 2. The Elector of Mainz is referred to as Erzcanzler zugleich archicustos & depositarius archivi Imperii in De archivo imperii Moguntino (1752) col. 898.
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Leopold I (1658–1705).75 With regard to external threats to the empire, he wisely recognized conquests of the French King Louis XIV to the West; in the East he was successful, in large part by means of his military alliances, in neutralizing the military threat posed by the Ottoman Empire.76 Internally he was able to work effectively with the Mainz Electoral Prince Johann Philipp von Schönborn and more generally with the Roman Catholic political authorities within the Empire.77 Leopold I also successfully endeavored to gain increased support from the Empire’s minor political entities (that is, small imperial estates) and by endowing individuals with higher social status.78 The bestowal of ius archivi was apparently one means of doing so.79 It would appear that ius archivi – and archives as a whole – become closely linked with the political and administrative structure of the Holy Roman Empire during his reign. Publications on archives during the late 17th century were accompanied by a few publications devoted to registries.80 Georg Aebbtlin published Refer there to the discussion of the reign of Leopold I in Barbara Stollberg-Rilinger: The Holy Roman Empire, Translated and with a Preface by Yair Mintzer, PrincetonOxford 2018, pp. 109–114 [jüngste deutsche Ausgabe unter dem Titel: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806, 6., aktualisierte Auflage, München 2018]; Anton Schindling: Die Perpetuierung des Immerwährenden Reichtags in Regensburg und das Heilige Römische Reich um 1670, in: Joseph S. Freedman (ed.): Die Zeit um 1670. Eine Wende in der europäischen Geschichte und Kultur? (Wolfenbüttler Forschungen 142), Wiesbaden 2016, pp. 181–212; Joachim Whaley: Germany and the Holy Roman Empire. Volume 2: From the Peace of Westphalia to the Dissolution of the Reich, 1648–1806, Oxford 2012, p. 734 (Index) [jüngste deutsche Ausgabe unter dem Titel: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und seine Territorien. Band 2: Vom Westfälischen Frieden zur Auflösung des Reichs 1648–1806, durchgesehene Sonderausgabe der 1. Auflage 2014, Darmstadt 2018]. 76 Stollberg-Rilinger (footnote 75) pp. 111–112; Schindling (footnote 75) p. 199. 77 Schindling (footnote 75) pp. 188, 190, 191, 202. 78 “The enormous dependence of the many small Imperial estates on the protection of the emperor created a large ... clientele base for the emperor. Leopold I ... used this situation to strengthen his position in the Empire ...“ Stollberg-Rilinger (footnote 75) p. 109; also see page 112. 79 The bestowal of ius archivi apparently also could include Roman Catholic bishops; refer to the relevant texts in the following two published canon law collections: Engel (1674), pp. 331–332 (no. 20); Reiffenstuel (1729), pp. 437–438 (nos. 102–103), 439 (no. 113). The first edition of volume 2 by Reiffenstuel was published in 1702. Reiffenstuel’s Canon Law collection is also cited as the source of the following text: “Den Bischöfen kam wie weltlichen Herren, die in ihren Sprengeln die Reichsrechte und Regalien übten, das Archivrecht zu.” Merzbacher (footnote 19) p. 141. 80 Also worthy of note here is the discussion of registries found in two treatises that discuss (in alphabetical order) selected legal concepts. Editions of a treatise by Paul Matthias 75
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a short treatise on registries in 1669 which was republished in 1726.81 Another short treatise on registries was published by Theodor Reinking in 1687.82 Collections of (and excerpts from) previously published treatises on – and pertaining to – registries as well as archives were published by Jakob Wencker in the years 1713 (registries) and 1715 (archives), respectively. V. During the first half of the 18th century Central European publications on archives and ius archivi appear to have been almost completely limited to the republication of earlier writings.83 Rutger Ruland’s treatise On Legal Consultants and Judicial Commissions at the (Holy Roman) Imperial Chamber Court / De commissariis et commissionibus camerae imperialis was republished for the final time in 1724, while Friedrich Rudloff’s treatise On the Origin of Public Archives (1676) was republished in the year 1747.84 Such was not the case with writings on diplomatics, the breadth, depth, and volume of which steadily increased in Central Europe during the course of the 18th century.85 This increasing focus on diplomatics was accompanied by growing attention given to history within Central European legal publications.86 During the first half of the 18th century archives are Wehner (published in 1624, 1643, 1661, 1701, and 1735) include discussion of registries; refer to Wehnerus (1624 and 1661). Refer to footnote 52 concerning the treatise (Thesaurus practicus) by Christoph Besold (1629, republished in 1641, 1659, 1666, 1679, 1697–1699, and 1740) that contains a segment on registries. 81 Aebbtlin (1669 and 1726). This treatise is briefly discussed by Vogtherr (footnote 19) pp. 406–408. Aebbtlin distinguishes between (1) Haupt=Instrumenta und Documenta as opposed to (2) Acta publica in 1669, pp. 14–15, 17 and again in 1726, pp. 16, 18. 82 Reinking (1687). While Aebbtin’s treatise is theoretical, Reinking’s provides two classifications of archival documents (pp. 2–33) followed by some general comments (pp. 33–38). 83 At least two exceptions thereto can be mentioned here. A publication on ancient archives by Tobias Eckhardus and another on early Christian archives by Johann Carl Beheim: Eckhardus (1717) and Beheim (1722). 84 Ruland (1724); Rudloff (1747). 85 Widely cited and utilized in this connection was the De re diplomatica published by Jean Mabillon in 1681. Concerning Mabillon, the brief mentions of archives in Mabillon (1681 and 1704), and Mabillon’s impact on archival theory refer to the discussion in Head (footnote 19) pp. 909–913, 921–929. 86 In this connection see Notker Hammerstein: Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und im 18. Jahrhundert, Göttingen 1972. A few examples of pre-1750 publications on diplomatics
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mentioned in some publications that focus in whole or in part on diplomatics.87 Among them is an oration on diplomatics by Johann Christoph Gatterer that addresses the difficulty of that subject-matter.88 Archives are also discussed in some Central European legal publications during the first six decades of the century. Two examples can be given here. Johann Jacob Beck mentions ius archivi and cites publications thereupon while arguing that all “members” (membra) of the (Holy Roman) Empire – and the Free Imperial Knights in particular – should have the right to establish an archive within their own territories.89 And Johann Heumann cites, among other authors, Johann Jacob Beck as well as the treatise on ius archivi by Ahasver Fritsch, in presenting roughly the same general argument which Beck has presented.90 Of significance for the history of archival theory is the discussion of archives included in a treatise titled Introduction to the Practice of Law / Anleitung zur juristischen Praxi published by Johann Stephan Pütter in 1753; this treatise was republished thereafter into the beginning of the 19th century.91 Its text is divided into an introduction and three sections; Section 3 thereof is devoted to archives.92 The first two text segments (§ 447–§ 448) of Section 3 are indicative of the importance given to archives by Pütter.93 can be mentioned here (and in the following footnote): Conring (1672, republished in 1723); Leibniz (1693); Hertius (1699, republished in 1736); Schannat (1728); Baring (1737, republished in 1754). 87 Eisenhardt – Engelbrecht (1703), pp. 91–107, republished (by Eisenhart) in 1736 and 1759; Ludewig (1720), Pagination 1, pp. 15–16; Eckhart (1742), pp. 33–41, republished in 1753; Legipontius (1746), pp. 149–188, republished in 1747; Heumann (1753), pp. 383–384. 88 “Quid vero nunc tandem de Archivorum notitia commemorabimus? ... Huc quoque referendus et quem supra laudavimus, WENCKERI apparatus Archivorum.” Gatterer (1757), p. 22; Wencker (1713 and 1715) are cited on pp. 11–12. Writings on diplomatics by Mabillon (1681), Leibniz (1693), Ludewig (1720), Baring (1737), and Eckhart (1742) are also cited here (pp. 6, 12, 17) by Gatterer. 89 Beck (1738), pp. 98–113, which was republished in 1756. Apparently “members” (membra) refer to a substantial number of (large and small) political entities in the (Holy Roman) Empire. 90 See Heumann (1749), p. 41 (§ 31); Beck (1738), Fritsch (1664). 91 Pütter (1753) and republished in 1758, 1756, 1780, 1789, and 1802. – Concerning Johann Stephan Pütter (1725–1807) see Martin Otto, Johann Stephan Pütter, in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003) 1–2, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118742906. html#ndbcontent (last accessed on April 30, 2021). 92 Pütter (1753), pp. 1–22 (Vorbereitung), pp. 367–405 (Dritter Teil. Von Archiven). 93 “§. 447. Von allen Geschäfften, die auf Rechte und Verbindlichkeiten einige Absicht haben; ist rathsam, alle Urkunden und Schriften zum Gebrauch künftiger Zeiten aufzuhe-
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The content of Pütter’s discussion of archives focuses on registries and the categories of materials listed and described therein; ius archivi is not mentioned.94 Emphasized is the distinction between Urkunden and Akten (or: andere Schriften), that is, writings that are considered to have greater or lesser legal importance.95 Both are accorded additional discussion in this context.96 But it was the growing impact of publications on diplomatics in Central Europe – and the historical research pertaining thereto – that appears to have been largely responsible for some increasingly critical assessments of ius archivi during the course of the 18th century.97 Diplomatics focused on the authenticity of individual historical documents, not on the legal status of individual repositories in which such documents are housed. This increasingly came in conflict with the ius archivi concept (as formulated by Rutger Ruland in 1597) according to which the authenticity of documents ben, um auf jeden benöthigten Fall sich deren so wohl zu Beweisen, als zur Nachricht bedienen zu können. §. 448. Dieses trifft sowohl Privat=Personen als ganze Staaten, Höfe, Obrigkeiten, Beamten, Gesandtschaften, corpora und collegia. Man nennt aber solche Sammlungen von Urkunden und Schriften, die unter öffentlichem Ansehen (auctoritate publica) angestellt werden, insonderheit Archive.“ Pütter (1753), p. 369; also indicative of the importance of archives for Pütter is the following text in his Introduction (pp. 9–10, § 13): “Endlich bestehet die Juristische Praxis, wie aus dem bisherigen erhellet, nur aus schriftlichen oder mündlichen Handlungen, wodurch etwas vorgetragen, oder ein Geschäffte vollzogen wird. Es gibt aber noch eine Arbeit, die sich auf beydes beziehet. Man hebt alle Nachrichten und Urkunden sorgfältig auf. Daraus erwächst ein Archiv. Dieses hat wieder seine grosse Regeln und Vortheile. Also darf auch davon die Anleitung zur Juri stischen Praxi nicht schweigen.” 94 However, ius archivi is indirectly mentioned within a single-page bibliography that is placed immediately prior to the beginning of the text of Section 3. This single-page bibliography contains citations of Rammingen, Registratur (1571), Rammingen, Renovatur (1571), and Aebbtlin, Registratur-Kunst (1668) as well as editions of writings on registries and archives edited by Wencker (1713 and 1715), a treatise on archives (and ius archivi) by Rudloff (1676 and 1747) and a registry outline by Reinking (1687). 95 Pütter (1753), pp. 369–370 (§ 449–450). While the treatises on registries by Rammingen (1571) and Aebbtlin (1669 and 1726) also make this distinction, Pütter’s discussion in 1753 is the first known to me within a (section of a) treatise which (as indicated by its title) is on archives (von Archiven). 96 On Urkunden and Akten/andere Schriften see Pütter (1753), pp. 372–375 (§ 455– 463) and pp. 375–379 (§ 464–471), respectively. 97 This also was accompanied by critical assessments pertaining to Central European archives. Refer to the preface (dated February 23, 1753, with the title: De damnis detrimentisque archivorum quorundam Germaniae) by Christian Gottlieb Buder, a professor of law and history at the University of Jena, in: Schoettgenius – Kreysigius (1753), pp. I–X. Buder refers to the diplomatics treatise by Schannat on p. I of his preface.
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was determined – at least in large part – by the legal status of individual repositories (within the Holy Roman Empire) at which such documents were kept. Ius archivi continued to be accepted or defended in some Central European legal publications into the second half of the 17th century.98 This appears to have changed by the mid-1760s.99 Ius archivi is criticized, though not directly, in a published disputation held at the University of Wittenberg in 1765.100 Within 17th century Central European publications on archives and ius archivi registries are discussed but not equated with archives. In a treatise on registraries published in 1764 and again in 1765 Philip Wilhelm Fladt distinguished between registries and archives but considers the latter to be a component part of the former.101 More direct in its criticism of ius archivi is a short treatise published anonymously in 1767 on Thoughts Concerning the Establishment of Archives and Registries / Bedencken von Einrichtung der Archiven und Registraturen; this treatise begins with the assertion that registries and archives are equivalent.102 The text of the treatise concludes (§ 4) with a discussion of ius archivi.103 The bulk of Paragraph 4 focuses on the treatise on archives published by Praetorius (1746), pp. 81–102; Kreittmayr (1753), pp. 74–75; Kreittmayr (1754), pp. 152–154, 157–158, 164–165; Behlen (1760). – Concerning Wiguläus Aloys Freiherr von Kreittmayr (1705–1790) refer to Hans Rall, Aloysius Freiherr von Kreittmayr, in: Neue Deutsche Biographie 12 (1979) 741–743, https://www.deutsche-biographie.de/ pnd118566520.html#ndbcontent (last accessed on April 30, 2021); Richard Bauer – Hans Schlosser (eds.): Wiguläus Xaver Aloys Freiherr von Kreittmayr (1705–1790). Ein Leben für Recht, Staat und Politik, München 1991. 99 It is not clear the extent to which this more direct criticism of ius archivi can be linked to some or many then-contemporary views pertaining to the Holy Roman Empire following the conclusion of the Seven Years War in 1763. 100 Chladenius (1765), pp. 6, V (“Tolerari vix potest distinctio inter archivum publicum et privatum ...”), 8, VII (“Quamvis documento, quod ex archivo productum est, plena fides, ceteris paribus, habenda sit, tamen admitti non potest haec argumentandi ratio: quodcunque documentum non ex archivo, sed aliunde, profertur, illud vi probandi destituitur et suspicione quadam laborat.”) 101 Fladt (1764), pp. 11–12 (§ 9–10), 16–18 (§ 4–6) and Fladt (1765), pp. 18–21 (§ 9–10), 26–28 (§ 4–6). In a separate publication Fladt responded to a published review (by an unnamed person) of the 1764 edition of his treatise on registries; there Fladt defended – in part via citations of writings on diplomatics – his own distinction made between registraries and archives: Fladt: Erläuterung (1765), pp. 12–14 (§ 10). 102 “Bey vielen Fürstl. Regierungen nimmit man das Wort ARCHIV in so weitläufigem Verstand, daß auch alle übrige Registraturen ... mit darunter begriffen werden.” Beden cken (1767), p. 3 (§ 1). 103 Bedencken (1767), pp. 23–24 (§ 4). The text is followed (pp. 24–32) by a bibliography. 98
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Ahasver Fritsch in 1664. The seven individual chapters of his treatise are listed; both Fritsch and his treatise are praised. However, he and other contemporaries wrongly conclude that some political entities are not permitted to have ius archivi.104 The reason for this error is easy to find; during Fritsch’s time all they had to go by were instruments used to determine legal validity and at that time the academic discipline of diplomatics was not yet known in Germany.105 From the late 1770s onwards, Central European treatises on archives generally [i.] were published by archivists, [ii.] focused to a large extent on registries, [iii.] did not discuss ius archivi, and [iv.] were published in German.106 They also sometimes stressed the importance of diplomatics and / or history.107 A short publication on archives by Georg von ClemensMillwitz, a jurist and member (sodalis) of Johann Christoph Gatterer’s Historical Institute in Göttingen, focuses largely on diplomatics.108 In his treatise on archives, Philipp Ernst Spiess notes that the required qualifications for archivists (Archivarien) include knowledge of jurisprudence, history, geography, auxiliary historical sciences (Hülfs-Wissenschaften der Geschichte), genealogy, and diplomatics.109 Elsewhere in his treatise Spiess 104 “In ein paar Vorurtheilen ist er nach Beschaffenheit damahliger civilistischen Zeiten hängen geblieben. Z. E. in III. Cap. da er wie andere aus dem jure Archivi gar ein Regale machen, und solches nicht allen Heerschafften und Corporibus zugestehen wollen.” Bedencken (1767), p. 23. Here reference is made to Chapter 3 (Quibus jus Archivale competat) in Fritsch (1664), pp. 18–27. 105 “In VII. Cap. scheinet er wohl den fidem probationis Archivalis [Chapter 7 in Fritsch’s treatise], wie andere seiner Zeit zu hoch getrieben zu haben. Die Ursache ist leicht zu finden. Man hatte aus denen Pandecten: als dem damahligen Magazin aller Weißheit und Wissenschaften den Titulum de fide instrumentorum allein zum Augenmerck, und die Diplomatic war damahlen in Teutschland noch eine unbekannte Wissenschafft.” Bedencken (1767), p. 24. 106 Spiess (1777, 1783, 1785); Eckhartshausen (1786); Stuss (1799); Bachmann (1800); Zinkernagel (1800), Oegg (1804) Two exceptions thereto – Clemens-Millwitz (1774) and Layriz, Dissertatio (1796) – are (to be) discussed here. 107 Schmitt (1791) is a tabular outline on diplomatics the final segment (Tabelle 10) of which focuses on archives. 108 Clemens-Millwitz (1774). Almost all of the citations contained therein pertain to diplomatics, including publications by Jean Mabillon and by Gatterer. – Concerning Gatterer and his Historical Institute refer to Martin Gierl: Geschichte als präzisierte Wissenschaft. Johann Christoph Gatterer und die Historiographie des 18. Jahrhunderts im ganzen Umfang (Fundamenta historica 4), Stuttgart 2012; Lothar Graf zu Dohna, Johann Christoph Gatterer, in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964) 89–91, https://www.deutsche-biographie. de/pnd115367918.html#ndbcontent (last accessed on April 30, 2021). 109 Spiess (1777), pp. 8–9.
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also expresses his view that notaries should not be entrusted with archival materials.110 Although the increasing importance of diplomatics presented a challenge to the ius archivi concept by no later than the late 1760s, the latter was not yet completely eclipsed. One indication thereof are entries on archives found within an encyclopedia published in Frankfurt am Main in the year 1778.111 Two of these entries present a dichotomy.112 The first of these two entries focuses on archives as understood in the context of jurisprudence; it includes discussion of ius archivi and the archivist (archivarius).113 The second of these two entries, which is devoted to archives in the context of diplomatics, is over ten times as long as the first entry.114 Similiarly, while some Central European legal writings in the 1770s and 1780s presented views on archives that did not fit within the theoretical framework of ius archivi, those views were not unanimous. In a legal treatise published in 1772 Johann Jacob Moser supports the view that when considered in general terms, materials found in archives do not have more legal validity than do materials found in registries.115 Moser’s position is supported within a legal treatise authored by Ernst Christian Westphal.116 But Westphal also notes there that another jurist, Johann Ulrich von Cramer, does not agree with Moser.117 Moser and Johann Stephan Pütter, two prominent jurists during the late 18th century, both presented views on archives that did fit well within the framework of the ius archivi concept.
“Welche Notarius hat wohl die dazu erforderliche Wissenschaft in der Diplomatik und die zugleich nöthige Uebung und Erfahrung?” Spiess (1777), p. 48. Here Spiess apparently is implying that archives should not be administered (as often done in the past) by notaries. 111 Deutsche Encyclopädie (1778), pp. 729–735. 112 The remaining two (both of which are very brief ) are archium (p. 729, col. 1) and Archive der apostolischen Kirche (p. 735, cols. 1–2). 113 Deutsche Encyclopädie (1778), p. 730, col. 1 114 Deutsche Encyclopädie (1778), pp. 730, col. 1–735, col. 1 115 Moser (1772), pp. 340–341 (§ 5). – Concerning Johann Jacob Moser (1701–1785) see Karl Otmar Freiherr von Aretin: Johann Jakob Moser, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997) 175–176, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118737104.html#ndbcontent (last accessed on April 30, 2021). 116 Westphal (1784), pp. 92–98 (Neunte Abhandlung. Archivrecht und Glaubwürdigkeit derer im Archiv befindlichen Urkunden), 93–94 (§ 4), also refer to the following: Westphal (1783), pp. 126–133 (Eilfte Abhandlung. Von dem Archiv-Rechte eines Stadt-Rats. § 1. Grund des Archiv-Rechts. § 2. Ob nur die Landesherren dergleichen haben. § 3. Den Städten kommet dieses Recht ebenfalls zu.) 117 Westphal (1784), § 4, p. 94; Cramer (1772), pp. 206–207 (§ 56–61). 110
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But neither one of them directly refuted it.118 The following – at least partial – explanation can be ventured here. Ius archivi appears to have been so closely linked with the political and adminstrative structure of the Holy Roman Empire that a frontal attack against ius archivi could be regarded as an attack against the Empire itself. Neither Pütter nor Moser seem to have wanted to move in that direction.119 VI. It is apparently not until the year 1796 that a direct and frontal attack on the Central European ius archivi concept was published: a Doctor of Jurisprudence dissertation at the University of Altdorf by Friedrich Wilhelm Anton Layriz.120 In doing so, he focuses largely on the use of diplomatics, together with the use of history. His dissertation is divided into 19 segments (§ 1–§ 19). Following an Introduction (§ 1) general discussion of legal instruments (§ 2–§ 3) and archives (§ 4) is provided.121 Layriz then (§ 5) cites Rutger Ruland122 when briefly discussing and refuting (§ 5–§ 6) his concept of ius archivi.123 Ius archivi is to be accorded to all political
Refer to the writings by Pütter and Moser cited and discussed here (footnotes 91–96 and 115, respectively as well as the corresponding passages in the text). 119 Roughly this same point is made in John G. Gagliardo: Reich and Nation. The Holy Roman Empire as Idea and Reality, 1763–1806, Bloomington/Indiana-London 1980, pp. 42–44. 120 Layriz, Dissertatio (1796). 121 Layriz, Dissertatio (1796), pp. 3–7. On page 7 (§ 4), d) he cites a three-part discussion of the history of archives in a serial publication: Historiam Archivorum dedit Churpfalzbaier. Intelligenzblatt 1785. – There it is stated that “Alles Lob verdienen also in Ansehung der Archive die Geistlichen. Ihre Verdienste um die Geschichte, Rechtsgelehrtheit, Lehenwesen, Diplomatik, Litteratur, mit einem Worte um den größten Theil der Wissenschaften sind durch Erhaltung der alten Urkunden und Handschriften so groß, daß wir sie ihnen nie genug verdanken können.” Kurze Geschichte der Archiven, in: Kurpfalzbaierisches Intelligenzblatt (1785), pp. 129–132 (Stück 17 – 25.3.1785), pp. 142–145 (Stück 19 – 5.4.1785), pp. 150–154 (Stück 20 – 10.4.1785), here: Stück 19, p. 144 (left col., lines 14–22). This is very much in line with the importance that Layriz places on diplomatics and history. 122 Layriz, Dissertatio (1796), “Rulant de commissariis p. II, tit. V, cap. IV. no. 2.” It can be regarded as significant that Layriz chose here to mention Ruland, who can be regarded as the godfather of the ius archivi concept within the post-medieval Holy Roman Empire. Refer in this connection to footnote 70 and to the corresponding passage in the text. 123 Layriz, Dissertatio (1796), pp. 7–9; in his refutation, Heumann (1749), Moser (1772), and Westphal (1783 and 1784) are among the authors cited. 118
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entities; in § 7 he specifically accords it to monasteries and churches.124 In § 8 Layriz presents a view concerning the legal validity of archival documents that follows from ius archivi as understood in the 17th century.125 He then examines and refutes this view. In § 9 Layriz argues that Roman law has been misinterpreted by earlier (17th-century) authors.126 And in § 10 he refutes the earlier (17th-century) view concerning the validity of legal instruments from the vantage point of diplomatics.127 The remainder of this treatise (§ 11–§ 19) focuses on the use of diplomatics in the context of archives.128 Layriz cites (in § 12) the archival treatise published by Philipp Ernst Spiess as well as one additional publication by him.129 Also cited are some publications on history.130 VII. Published eight years later – very near the end of the Holy Roman Empire – was a treatise by Joseph Anton Oegg titled Ideen einer Theorie der Archivwissenschaft / Ideas for a Theory of Archival Science.131 The text of this treatise focuses on archival practice. It is preceded by a preface and Layriz, Dissertatio (1796), p. 10. Layriz, Dissertatio (1796), p. 11; in this connection, publications by Fritsch (1664), Myler (1658 / 1671), Schwederus (1685), and Wencker (1715) are cited. Also cited by Layriz is the publication on archives by Rudloff (1676 and 1747). 126 Layriz, Dissertatio (1796), pp. 12–13. Here Layriz cites the passage from Nov(ella Constitutio), cap. 2, § 2. This same passage is also cited by Fritsch (1664), p. 47 and by Rotteck (1834), p. 673, lines 8–10. 127 Layriz, Dissertatio (1796), pp. 13–17. 128 Layriz, Dissertatio (1796), pp. 17–36. Among the treatises on diplomatics cited on these pages are Eisenhardt (1703), Ludewig (1720), Mabillon (1681), Schannat (1728), and Gatterer (1765). 129 Cited are Spiess (1777 and 1783) by Layriz, Dissertatio (1796), pp. 19 and 35; on page 35 Spiess is referred to as SPIESIUS meus. The archival treatise by Spiess (1777) is also singled out for special praise in Kurze Geschichte der Archiven (see footnote 121) Stück 20, p. 151, right col., footnote p. 130 Among them is treatise on history by Johann Christian Siebenkees (1753–1841), a professor of jurisprudence at the University of Altdorf (when Layriz was a student there) and a member (sodalis) of Gatterer‘s Historical Institute. – Concerning him see August Ritter von Eisenhart, Johann Christian Siebenkees, in: Allgemeine Deutsche Biographie 34 (1892) 175–176, https://www.deutsche-biographie.de/pnd115367861.html#adbcontent (last accessed on April 30, 2021). Layriz also cites two legal publications by Siebenkees, one which – Siebenkees (1777) – begins (pp. III–IV) with a segment (§ 1) titled “Jurisprudentia est scientia historica.” Siebenkees is cited in Layriz, Dissertatio (1796), pp. 2, 3, 33. 131 Oegg (1804). 124 125
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and introduction, both of which present Oegg’s ideas pertaining to archival theory. Oegg begins this preface (dated the month of March 1803) by stating that important ecclesiastical states (bedeutende geistliche Staa ten) have ceased to exist, and that their archives have been relocated into major state archives.132 What is missing, Oegg emphasizes, is a general (theoretical) foundation for archival practice that takes into account these new conditions.133 Significant advances in diplomatics require a theoretical foundation that falls within the framework of what, Oegg states, might be given the name Archival Science (Archivwissenschaft).134 In his introduction Oegg equates the theory of archival science – in so far it is a teaching that is to be followed – to a collection of Urkunden which needs to be preserved and maintained in order.135 He then bases this theory on five ideas.136 But in the preface he also cautions that his ideas for a theory of archival science are not accompanied by any claim of completeness; he urges the “literary public” to examine and evaluate what he has presented.137 Ius archivi is nowhere mentioned in Oegg’s treatise. But his ideas and his theory may have been an attempt to replace ius archivi in whole or in part. What Oegg could not know is that Archivrecht would emerge as a concept (separate from ius archivi) following the end of the Holy Roman Empire.138 It could be argued that ius archivi – due to its close link to the Oegg (1804), pp. III–IV. Oegg’s treatise is mentioned in this connection by Markus Friedrich: The Birth of the Archive. A History of Knowledge, Ann Arbor, Michigan 2018, p. 202. [deutsche Ausgabe unter dem Titel: Die Geburt des Archivs. Eine Wissensge schichte, München 2013]. 133 “... so vermisst man dennoch allenthalben allgemeine Grundsätze, welche auf die Einrichtung eines jeden Archives, einer jeden Registratur anwendbar und dadurch geeigenschaftet sind ... Das practische Bedürfnis bewährt die Notwendigkeit einer Theorie derselben.” Oegg (1804), pp. IV–V. 134 Oegg (1804), p. V. 135 “Die ganze Theorie der Archivwissenschaft, in so ferne solche als Lehre – eine Sammlung von Urkunden zu bewahren und in Ordnung zu erhalten, genommen wird, gründet sich auf folgenden Ideen: ...” Oegg (1804), p. XVII. 136 Oegg (1804), pp. XVII–XVIII; here only the first idea is quoted (XVII): “I. Archiv nennt man im ausgedehnten Sinne – den in einem Staate bestimmten Verwahrungsort aller Urkunden, – welche irgend ein auf das nächste oder entferntere Staatsinteresse Bezug habendes Factum enthalten.” 137 Oegg (1804), p. VI. 138 “Heut zu Tage wird das Recht, ein Archiv anzulegen, nicht mehr als ein auschließendes Recht der Landeshoheit, und noch weniger als ein Ausfluß derselben betrachtet. Vielmehr ist die Anlegung eines Archivs lediglich als eine Sache der freien Willkür anzusehen ...” Rotteck (1834), pp. 671–675 (Archivrecht (jus archivi) ), pp. 671–672. – Among the 132
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the Empire itself – meant that Archivrecht would only really emerge after 1806.139 But discussion of the extent to which Archivrecht replaced ius archivi (and / or adopted portions thereof ) during the 19th century and beyond falls outside of the scope of this study.140
authors cited in this article on Archivrecht (jus archivi) are Behlen (1760), Chladenius (1765), Fritsch (1664), Layriz (1796), Moser (1772), Radovius – Mutterer (1681), Wencker (1715), Westphal (1783 and 1784) as well as Roman Law (see footnote 126). 139 Refer in this context to the following: “Die Formen des politischen Zusammenlebens (im Heiligen Römischen Reich) sind zwar merkwürdigerweise bis zum Schluß nicht in Frage gestellt werden, sie erwiesen sich aber als nicht reformierbar.” Karl Otmar von Aretin: Das Reich. Friedensgarantie und europäisches Gleichgewicht 1648–1806, Stuttgart 1986, p. 49. Also see Whaley (footnote 75), pp. 636–644 (Final Attempts at Reform and the Dissolution of the Reich, 1806). But here it should be noted that the term Archive:Rechte was also used prior to 1806, for example, in Westphal (1783), p. 126. 140 Concerning the history of Archivrecht see the brief discussion in Bartholomäus Manegold: Archivrecht. Die Archivierungspflicht öffentlicher Stellen und das Archivzugangsrecht des historischen Forschers im Licht der Forschungsfreiheitsverbürgung des Art. 5 Abs. 3 GG (Schriften zum Öffentlichen Recht 874), Berlin 2002, pp. 19–42. Here the following parallel can be posited: ius publicum (along with ius archivi) was replaced by Öffentliches Recht (along with Archivrecht) insofar as the latter two are understood as post-1806 developments.
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Bi b l i o g r a p h y o f Pr i m a r y So u r c e s ( p u b l i s h e d p r i o r t o t h e y e a r 1 8 3 5 ) 141 Aebbtlin, Georg: Anführung zu der Registratur-Kunst, Ulm: Gedruckt und verlegt durch Christian Balthsar Kühnen bestellten Buchtrucken, 1669. [Regensburg SB: 999/A. Diss. 27 a] Aebbtlin, Georg: Anführung zu der Registratur-Kunst, Franckfurth und Leipzig: Verlegts Johann Conrad Wohler Buchhändler in Ulm, 1726. [Göttingen SUB: DD 2000 A 112] Alstedius, Joh(annes) Henricus: Compendium I. Systematis logici ... II. Gymnasii logici ... in octo libros digestum, Herbornae Nassoviorum [Herborn] 1611. [Wolfenbüttel HAB: H: O 1.12°Helmst. (1)] Althusius, Johan(nes): Politica methodice digesta, Herbornae Nassoviorum [Herborn] 1614. [Regensburg SB: 999/Jur. 397] Althusius, Johannes: Dicaeologicae libri tres, totum & universum jus, quo utimur, methodice complectentes, Herbornae Nassoviorum [Herborn]: Apud Christophorum Corvinum, 1617. [Dresden SLUB: Encycl. jur. 191] Bachmann, Georg August: Ueber Archive, deren Natur und Eigenschaften, Einrichtung und Benutzung nebst praktischer Anleitung für angehende Archivsbeamte in archivalischen Beschäftigungen, Amberg und Sulzbach: Im Verlage der privilegierten Commerzienrath Seidelischen Kunst- und Buchhandlung, 1800. [München BSB: Bibl. Mont. 4883] 141 Library locations and call numbers / shelf marks are provided for those copies of the primary sources used and cited within inidividual footnotes. The following abbreviations are used for this purpose: BSB: Bayerische Staatsbibliothek (München), HAB: Herzog August Bibliothek (Wolfenbüttel), SB: Staatliche Bibliothek (Regensburg), Staatsbibliothek (Berlin), SLUB: Staats-, Landes- und Universitätsbibliothek (Dresden), SStB: Staats- und Stadtbibliothek (Augsburg), SUB: Staats- und Universitätsbibliothek (Göttingen), ULB: Universitäts- und Landesbibliothek (Düsseldorf, Halle). In the Primary Source Bibliography, square brackets are used to refer to information which is found neither on the title page nor in the text of a given publication but it added from an outside source. Round brackets are used to refer to information which is not found on the title of a given publication but which is found elsewhere therein (for example, in the colophon of a publication). In the case of some primary sources cited in the Primary Source Bibliography, additional editions (with their years of publication, and occasionally also with the place of their publication) of those same primary sources are mentioned in the footnotes only. With regard to the disputations / dissertations cited in this manuscript (in the Bibliopraphy and in the footnotes) refer to the comments in footnote 59.
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[Baring] Baringius, Daniel Eberhardus: Clavis diplomatica, Hanoverae [Hannover]: Sumptibus haeredum B. Nic. Försteri et filii, 1737. [München BSB: 4 Graph. 3] Beck, Johann Jodocus: Tractatus ... Von der ohnmittelbahren Vogteylichen Obrigkeit, Nürnberg: In Verlegung Johann Georg Lochners Buchhändlers, 1738. [Regensburg SB: 999/4 Jur. 908 (1/3)] Behlen, Ludovicus Philippus – Langen, Fridericus Laurentius: Dissertatio inauguralis juridica de probatione per documenta archivalia ... pro licentiatus in U. J. consequendo gradu ... die ___ Januarii 1760, Moguntiae [Mainz]: ... Ex typogr. Elect. Aulic. Acad. Privil. apud Haered. Haeffner per Joann. Benjam. Waylandt. [Regensburg SB: 999/A. Diss. 671]142 Bedencken von Einrichtung der Archiven und Registraturen, Frankfurth und Leipzig 1767. [München BSB: 4 J. pract. 230,4] Beheim, Johannes Carolus – Beheim, Georgius Christophorus: Dissertatio ex historia ecclesiastica de ΑΡΧΕΙΟΙΣ [archeiois] sive tabulariis sacris veterum Christianorum quam ... publico eruditorum examini ... ad d. 11. Septembris 1722 ... exponent praeses Iohannes Carolus Beheim ... et respondens Georgius Christophorus Beheim .... 1722, Altorfii Norimbergensium [Altdorf ]: Typis Magni Danielis Meyeri. [München BSB: 4 Diss. 5261 a#Beiband 17] [Besold] Besoldus, Christophorus: Politicorum libri duo, ... Prostat Francofurti [Frankfurt am Main]: In officina Johan. Alexandri Cellii typographi Tubingensis, 1618. [Augsburg SStB: 4 Stw 153] [Besold] Besoldus, Christophorus: Thesaurus practicus ... collectore Johanne Jacobo Speidelio, Tubingae [Tübingen]: Apud Philibertum Brunnium, 1629. [München BSB: 4 Jur. is. 7] Bonifacius, Balthassar: De Archivis liber singularis. Eiusdem praelectiones ... epitome, Venetiis [Venedig], Apud Jo. Petrum Pinellum typographum ducalem, 1632. [München BSB: 4 J. pract. 20m] Bornitius, Jacobus: De instrumentis sive documentis literariis tractatus methodicus et synopticus, ... Impensis Wolffgangi Seifferti Bibliopolae
The underscore indicates that the exact date in January of 1760 on which this disputation was to be defended had probably not yet been finalized at the time of publication. 142
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Dresdensis [Dresden], 1626. [München BSB: 4 J. publ. g. 981#Beiband 1] Chladenius, Ernestus Martinus – Schroeerus, Georgius Fridericus: Ex doctrina de archivis capita quaedam controversa ... 6 Junii ... 1765 ... publice ventilanda proponit ... Vitebergae [Wittemberg]: Prelo B. Ephraim Gott lob Eichsfeldii Acad. Typis. [München BSB: 4 Diss. 3093,9] Clemens-Millwitz, G[eorg von]: Zufällige Gedanken von Archiven derselben Nutzung und Einrichtung / von G. von Clemens-Millwitz der Rechte Doctor und Mitglied des Königlichen historischen Instituts zu Göttingen, Eisenach: im Verlag der Grießbachischen Hofbuchhandlung, 1774. [Göttingen SUB: 8 H SUBS 1704] [Conring] Conringius, Hermannus: Censura diplomatis quod Ludovico imperatori fert acceptum coenobium Lindaviense, Helmestadii [Helm stedt]: Typis & sumptibus Henningi Mulleri, 1672. [München BSB: 4 H. mon. 143] Cramer, Joannes Ulrich de: Observationum juris universi ex praxi recentiori supremorum imperii tribunalium haustarum ... Tomi 6 Pars 1, Ulmae [Ulm]: Impensis Johannis Conradi Wohleri, 1772. [Wien, Nationalbibliothek: 37. T. 10 (Vol. 6,1)] De Archivo Imperii Moguntino. Von dem Deutschen Haupt-Reichs-Archiv, In: Hannoverische Gelehrte Anzeigen vom Jahre 1752, 69tes Stück, cols. 897–916. [Bielefeld, Universitätsbibliothek: Digital Collections] Deutsche Encyclopädie oder allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften von einer Gesellschaft Gelehrten, Erster Band. A–Ar, Frankfurt am Mayn: bey Varrentrapp Sohn und Wenner, 1778. [München BSB: 20 Enc. 13-1] [Du Moulin, Charles] Molendineus, Carolus: Prima pars commentariorum in Consuetudines Parisienses. Parisiis [Paris]: Apud Poncetum le Preux, 1539. [München BSB: 2 J. gall. 31] [Du Moulin, Charles] Molinaeus, Carolus: Consuetudines sive constitutiones almae Parisiorum urbis, atque adeo totius regni Franciae principales. Francofurti [Frankfurt am Main]: Ex officina Nicolai Bassaei impensis Sigismundi Feyrabend, 1575. [München BSB: 2 J. gall. 34-1/2]
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[Duprat, Pardoux] Prateius, Pardulphus: Lexicon iuris civilis et canonici. Francofurti ad Moenum [Frankfurt am Main]: Per Martinum Lechler impendis Sigismundi Feyerabend, 1576. [München BSB: 2 Jur. is. 45a] [Eckhart] Eckhardus, Christianus Henricus: Introductio in rem diplomaticam praecipue Germanicam in qua regulae idoneae vera diplomata a falsis secernendi exponuntur, Jenae [Jena]: Ex officina Ritteriana, 1742. [München BSB: 4 Graph. 14] Eckhardus, Tobias: Schediasma De Tabulariis antiquis, Quedlinburgi [Quedlinburg]: Apud Theodorum Jeremiam Schwan, 1717. [München BSB: 4 Diss. 1562#Beibd. 8] Eckhartshausen, Karl von: Ueber praktisch-systematische Einrichtung fürstlicher Archiven überhaupt, München: Gedruckt bey Anton Franz, kurfl. Hof-, Akademie- und Landschaftsbuchdrucker, 1786. [München BSB: Graph. 18] Eisenhardt, Johannes – Engelbrecht Jun., Georgius: Dissertatio juridica inauguralis de jure diplomatum, d. 27. Septembris 1703, Helmaestadii [Helmstedt]: Typis Georg-Wolfgangi Hammii acad. typogr. [Wolfenbüttel HAB: M: Fc 11] Engel, Ludovicus: Collegii juris canonici in res, personas, et actiones ... Pars III. & ultima de actionibus, Salisburgi [Salzburg]: Sumptibus & typis Joannis Bapt. Mayr aulico-academici typogr. & bibliop., 1674. [München BSB: J. can. u. 63-3] Engelbrecht, Georgius – Rinckhamer, Friderich Ernst: Dissertatio de jure archivorum, submittet ... die 16. Junii 1688 ... , Helmstadii [Helmstedt]: Typis Georg-Wolfgangi Hammii Acad. Typogr. [München BSB: 4 Diss. 3481.1] Fladt, Philipp Wilhelm Ludwig: Anleitung zur Registratur-Wissenschaft und von Registratoribus deren Amt und Pflchten, Franckfurt und Leipzig: in der Knoch- und Eßlingerischen Buchhandlung, 1764. [Dresden SLUB: Process. 223,6] Fladt, Philipp Wilhelm Ludwig: Anleitung zur Registratur-Wissenschaft und von Registratoribus deren Amt und Pflchten ... nebst einer Erläuterung einiger hierin befindlicher Stellen. Franckfurt und Leipzig: in der Eßlingerischen Buchhandlung, 1765. [München BSB: J. pract. 72]
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[Fritsch] Fritschus, Ahasverus: Tractatus de jure archivi et cancellariae, Jenae [Jena]: Typis ac sumptibus Georgii Sengenwaldi, 1664. [München BSB: 4 Diss. 1096#Beiband 15] [Gatterer] Gattererus, Johannes Christophorus: Oratio de artis diplomaticae difficultate, quum munus publici professoris capesseret, biduo ante exitum a. 1756 in auditorio publico, quod Norimbergae ad D. Aegidii est, habita, nunc vero in usum praelectionum publicarum edita, multis que observationibus locupletata, Norimbergae [Nürnberg]: Typis Josephi Fleischmanni, 1757. [München BSB: 4 Diss. 5140#Beiband 2.a] [Gatterer] Gattererus, Joh(annes) Christophorus: Elementa artis diplomaticae universalis ... Volumen prius, Gottingae [Göttingen]: Apud viduam b. Vandenhoeckii, 1765. [Regensburg SB: 999/4 Hist. pol. 209h] [Godefroy, Denis] Gothofredus Dionysius: Corpus iuris civilis ... His omnibus adiectus est commentarius. Francofurti ad Moenum [Frankfurt am Main]: Ex officina Joannis Wecheli, 1587. [München BSB: 2 J. rom. f 100 a-1] [Godefroy, Denis] Gothofredus Dionysius: Corpus juris civilis ... Editio omnium novissima ... D. Leopoldo, Rom. Imp. PP. Aug. dicata, Francofurti ad Moenum [Frankfurt am Main]: Sumptibus Societatis Imprimebat Hieronymus Polichius, 1663. [Göttingen SUB: 4 J ROM 20/14] Günther, Karl Gottlob: Ueber die Einrichtung der Hauptarchive, besonders in teutschen Reichslanden, Altenburg: in der Richterischen Buchhandlung, 1783. [München BSB: J. pract. 98 t] [Günther, Simon]: Thesaurus practicantium. Omnibus in imperialis ca merae judicio postulantibus, caussasve agentibus, summè expetendus collectore Simone Günthero. In nobili Spira [Speyer]: Sumptibus authoris & Heliae Kembachij, 1608. [München BSB: J. pract. 99] Hertius, Jo. Nicolaus – Waldner de Freundstein, Frider. Ludovius: Dissertatio de diplomatis Germaniae imperatorum et regum ... Calend. Septembr. 1699 ... Gissae Hassorum [Gießen]: Excudit Joh. Reinhardus Vulpius Univ. Typ. [München BSB: 4 Diss. 5271#Beiband 8] [Heumann] Heumannus [von Teutschenbrunn], Johannes – Grundherr de Weierhaus et Altenthann, Christophorus Carolus: Dissertatio iuris publici de characteribus superioritatis territorialis caute designandis ... ad diem 4.
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Novembr. ... 1749, Altorfii [Altdorf ]: Ex officina Hesselia. [Regensburg SB: 999/D. Diss. 4469] [Heumann] Heumannus [von Tutschenbrunn], Johannes: Commentarii de re diplomatica imperatorum ac regum germanorum inde a Ludovici Germanici temporibus adornati, Tom. II., Norimbergae [Nürnberg]: Sumtibus Johannis Georgii Lochneri, 1753. [München BSB: 4 Graph. 28-2] [Kahl] Calvinus, Johannes: Lexicon juridicum juris romani simul, canonici: feudalis item, civilis, criminalis ... vocum penus, Francofurti [Frankfurt am Main]: Apud haeredes Andreae Wecheli, Claud. Marinum & Joan. Aubrium, 1600. [München BSB: 2 Jur. is. 19x] [Kahl] Calvinus, Johannes: Lexicon magnum iuris romani simul, canonici: feudalis item, civilis, criminalis ... vocum penus, Genevae [Genf ]: Sumptibus Johannis Antonii Chouët, 1663. [München BSB: 2 Jur. is. 21b] Knipschildt, Philippus: Tractatus politico-historico-juridicus de juribus et privilegiis civitatum imperialium, Ulmae Suevorum [Ulm]: Typis & Impensis Balthasari Kühnen reipubl. typogr. & bibliopolae, 1657. [München BSB: 2 J. publ. g. 215] [Kreittmayr, Wiguläus Xaver Aloys von]: Codex juris judiciarii de anno 1753. (München: Gedruckt bey Johann Jacob Vötter). [Regensburg SB: 999/Bav. 995] [Kreittmayr, Wiguläus Xaver Aloys von]: Anmerckungen über den Codicem Juris Bavarici Judiciarii, München: Gedruckt bey Johann Jacob Vötter, 1754. [München BSB: 2 Bavar. 152-4] Kurze Geschichte der Archiven, in: Kurpfalzbaierisches Intelligenzblatt zum gemeinnützigen Wohl in allen menschlichen und bürgerlichen Verhältnissen. Für das Jahr 1785, München: Verlegt im Intelligenzcomtoir, pp. 129–132 (Stück 17 – 25.3.1785), pp. 142–145 (Stück 19 – 5.4.1785), pp. 150–154 (Stück 20 – 10.4.1785). [München BSB: 4 Bavar. 3021 a-1785] Layriz, Fridericus Wilhelmus Antonius: Dissertatio inauguralis exhibens observationes de auctoritate diplomatum ex archivo depromtorum eorumque in juris scientia usu, quam in consensu ... jure consultorum ordinis in Academia Altorfina pro summis in jure honoribus ac privilegiis doctoris rite ... die 4. Aprilis 1796 publice defendet ... Layriz BaruthoFrancus ... Altorfii [Altdorf ]: Typis Hesselianis. [Halle ULB: Altdorf, Diss., 1778–1800 (29)]
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Layriz, Fridericus Wilhelmus Antonius: Observationes de auctoritate diplomatum ex archivo depromtorum eorumque in iuris scientia usu auctore ... Layriz philosophiae ac jurium doctore, Baruti [Bayreuth]: In officina libraria Luibeckiana, 1796. [Berlin SB: Gv 576 (2 an)]143 Legipontius, OSB, Oliverius: Dissertationes ... de adornanda ... Bibliotheca ... Ac etiam de Archivo in ordinem redigendo, veterumque diplomatum criterio ... In usum ... publicae luci commissae, Norimbergae [Nürnberg]: Impensis Pauli Lochneri, 1746. [München BSB: 4 N. libr. 56] [Leibniz, Gottfried Wilhelm]: Codex juris gentium diplomaticus ... Edidit G.G.L., Hannoverae [Hannover]: Literis & impensis Samuelis Ammonii, 1693. [München BSB: Res/2 J. publ. e. 20-1] Ludewig, Johann Peter: Reliquae manuscriptorum omnis aevi, diplomatum ac monumentum, ineditorum adhuc Jo. Petri Ludewig ... Poruss. Reg. consiliarii ... Fridericanae professoris et principalis tabularii archivarii, Francofurti – Lipsiae [Frankfurt am Main – Leipzig] 1720. [München BSB: H. misc. 188-1] Ludewig, Johann Peter von: Consilia Hallensium jureconsultorum, Halle im Magdeburgischen, Zu finden in der Rengerischen Buchhandlung, 1733. [München BSB: 2 Decis. 201-1] Lynckerus, Nic. Christophorus – Dancklufft, Henr. Sigismund.: De archivo imperii ... d. __ Sept. 1686, Jenae [Jena]: Typis Joh. Dav. Wertheri typographi ducalis. [München BSB: 4 Diss. 2288#Beiband 8]144 Mabillon, OSB, Johannes: De re diplomatica libri VI, Luteciae Parisiorum [Paris]: Sumtibus Ludovici Billaine, 1681. [Oldenburg, Landesbibliothek: Lit V 3 216] Mabillon, OSB, Johannes: De re diplomatica supplementum, LuteciaeParisiorum [Paris]: Sumptibus Caroli Robustel, 1704. [Berlin SB: Bibl. Diez, fol. 616 (2)] Maderus, Joachimus Johan[nes] (ed.): De bibliothecis atque archivis virorum clarissimorum, Helmestadii [Helmstedt]: Typis ac sumtibus The two publications by Layriz – Dissertatio (1796) and Observationes (1796) – each contain 36 pages of text (pages 1 through 36). In both publications, the content and layout in each of these pages (1 through 36) is identical. 144 The underscore indicates that the exact date in September of 1760 on which this disputation was to be defended had probably not yet been finalized at the time of publication. 143
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Henningi Mülleri Academiae Juliae typographi, 1666. [München BSB: 4 Diss. 90#Beiband 11] Maderus, Joachimus Joan[nes] (ed.): De bibliothecis atque archivis virorum clarissimorum ... secundam editionem curavit I(o.) A(ndr.) S(chmidt) D, Helmaestadii [Helmstedt]: Typis ac sumtibus Georg-Wolfgangi Hammii acad. typogr., 1702. [Regensburg SB: 999/4 Hist. lit. 37] Molitor, Joannes: Theses logicae de divisione et definitione in ... Ingolstadiensi Academia ... disputabuntur ... de {4} Aprilis, Ingolstadii [Ingolstadt]: Ex officina Davidis Sartorij, 1590. [München BSB: 4 Diss. 3408,18]145 Moser, Johann Jacob: Von der Landeshoheit in Regierungssachen, überhaupt, besonders auch in Ansehung derer landesherrlichen Raths-Col legien, Benamten Geseze, u.s.w. Franckfurt und Leipzig 1772, In: Mo ser, Johann Jacob: Neues Teutsches Staatsrecht, 1766–1775, 16. Band [München BSB: 4. J. publ. g. 786] Multz, Jacobus Bernhardus: Repraesentatio majestatis imperatoriae ... Literis Stephani Rolck typographi aulici Oetingae [Oettingen], 1690. [Göttingen SUB: 2 J GERM III, 295] Mylerus, Nicolaus [Myler ab Ehrenbach, Johann Nicolaus]: De principibus & statibus Imperii Rom. Germ. eorumvè praecipuis juribus succincta delineatio. Editio secunda & auctior, Stuttgardiae [Stuttgart]: Typis Johan. Wyrichii Rösslini sumptibus Wilhelmi Serlini, 1658. [München BSB: J. publ. g. 547] Mylerus, Nicolaus: De principibus & statibus Imperii Rom. German. succincta tractatio. Duplo, quam olim, auctior, Tubingae [Tübingen]: Apud Joh. Georg. Cottam, 1671. [München BSB: J. publ. g. 548] Neveu de Windtschleé, Franciscus Michael: Disputatio solemnis juridica de archivis ... in Argentinensis Universitate ... ad diem 9./19. Nov. 1668. Argentorati [Straßburg]: Literis Johannis Wilhelmi Tidemann, 1668. [München BSB: 4 Diss. 731#Beiband 29] Neveu de Windtschleé, Franciscus Michael: Tractatus brevis de archivis, disputationis loco conscriptus, & in ... JCtorum Universitatis Argentora145 The parentheses { } refer to the fact that the actual day on which this disputation was held (or: was to be held) was written by hand on title page of this copy, owned by the BSB, possibly because the exact date on which this disputation was to be defended had not yet been finalized at the time of publication.
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tensis ... defensus, Argentorati [Straßburg]: Apud Josiam Staedel, 1668. [München BSB: 4 J. rom. m. 219#Beiband 2]146 Novum lexicon iuris utriusque variorum autorum, Coloniae Agrippinae [Köln]: Apud Joannem Gymnicum, 1597. [München BSB: Jur. is. 113] Oegg, Jos[eph] Ant[on]: Ideen einer Theorie der Archivwissenschaft. Zur Leitung der Praxis bey der Einrichtung und Bearbeitung der Archive und Registraturen, Gotha: bey Carl Wilhelm Ettinger, 1804. [München BSB: J. pract. 192] [Praetorius, Johannes Philippus]: De jure archivi coenobiis ac civitatibus mixtis ... dissertatio, in: Neu-entdeckte oder in mehreres Licht gestellte Warheiten ... von Germano Sincero, Franckfurt am Mayn 1746. [Göttingen SUB: 8 H GERM IV, 1959] Pütter, Johann Stephan: Anleitung zur Juristischen Praxi, Göttingen: Im Verlag der Wittwe Vandenhoeck, 1753. [Dresden SLUB: PW 7500 P977] Radovius, Georgius – Mutterer, Michael: Disputatio inauguralis juridica, de archivis ... Pro summis in utroque jure honoribus ... submittit Michael Mutterer ... Duc: Mecklenburg: Secretarius & Archiota ... ad diem 20. Januarii horis ante & pomeridianis, Rostochii [Rostock]: Typis viduae B. Keilenbergii, Universit. Typogr., 1681. [Göttingen SUB: COLL DISS CELL 102 (34)] Rammingen, Jacob von: Summarischer Bericht, Wie es mit einer künstlichen und volkomnen Registratur Ein gestalt. Was auch für underschiedlicher Außtheilung und Classes, und sonst für Partitiones und Separationes derselben Gebäw erfordern und brauchen sey, Getruckt in der Churfürstlichen Statt Heidelberg durch Johannem Mayer, 1571. [München BSB: 4 J. pract. 170#Beiband 2] Rammingen, Jacob von: Von der Registratur. Vnd Jren Gebäwen vnd Regimenten, deßgleichen von jhren Bawmeistern vnd Verwaltern vnd jrer qualificationen vnd habitibus ... Getruckt zu Heidelberg durch Johannem Maior, 1571. [München BSB: 4 J. pract. 170#Beiband 1]
146 These two publications by Neveu – Disputatio (1668) and Tractatus (1668) – each contain 32 pages. In both publications, pages 3 through 32 contain the text. In both publications, the content and layout in each of these pages (3 through 32) is identical.
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Rammingen, Jacob von (Ramingen, Jacob von): Der rechten künstlichen Renovatur Eigentliche uund gründtliche Beschreibung, [Heidelberg]: [Jo. Mayer], 1571. [München BSB: 4 Feud. 45#Beibd.1] Reiffenstuel, OFM, Anacletus: Jus canonicum universum ... tomus secundus. Editio secunda. Ingolstadii [Ingolstadt]: Sumptibus Johannis Andreae de la Haye bibliopolae acad., 1729. [München BSB: 2 J. can. u. 181-2] Reinking, Theodorus: Politisches Bedencken / Wie ein Fürstliches Archivum in gewisse Classes und sedes materiarum ordentlich zuredigieren ... Jezo zum ersten mahl zum Druck befodert, Verlegts Hieronym. Frie derich Hoffmann / Buchhändl. in Zelle [Celle], 1687. [Göttingen SUB: 8 J GERM III, 291 (1)] Rotteck, Carl von – Welcker, Carl (eds.): Staats-Lexikon oder Ency klopädie der Staatswissenschaften, Erster Band, Altona: Verlag von Johann Friedrich Hammerich, 1834. [München BSB: Pol. g. 822 l-1] Rudloff, Fridericus: Disputatio inauguralis de archivorum publicorum, origine, usu atque autoritate ... in ... Academia ad Hieram [Erfurt] ... pro summis in utroque jure honoribus ... doctoralibus ... Ad diem 19. (29.) August 1676, Erphordiae [Erfurt]: Typis Kirschianis. [München BSB: 4 Diss. 173#Beibd. 35] Rudloff, Fridericus: Dissertatio inauguralis de Archivorum publicorum origine, usu, atque auctoritate in Academia Hierana [Erfurt] d. 29. Augs. 1676 ... exposita. Editio nova, Lipsiae [Leipzig]: Apud John Christ. Langenhemium, 1747. [München BSB: 4 Diss. 2356#/Beiband 3] [Ruland] Rulant, Rutgerus: De commissariis et commissionibus camerae imperialis, probationis receptionem concernentibus, libri quatuordecim duabus partibus comprehensi. Francofurti [Frankfurt am Main]: In officina Joan. Gymnici Iunioris, 1597. [München BSB: Cam. 608z] [Ruland] Rulant, Rutgerus: De commissariis et commissionibus camerae imperialis ... Pars II, Francofurti ad Moenum [Frankfurt am Main]: Apud Johann. Philipp. Andreae, 1724. [München BSB: 2 J. publ. g. 363-1/4] Schannat, Joannes Fridericus: Vindicae quorundam archivi Fuldensis di plomatum ... tum simul nova ad rem Germaniae diplomaticum subsidia ... subministrantur, Francofurti ad Moenum [Frankfurt am Main]: Prostat apud Joh. Benjamin Andreae & Henr. Nort., 1728. [München BSB: 2 H. mon. 205]
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Schardius, Simon: Lexicon iuridicum iuris Rom. simul et Pontificii ... penus, Basileae [Basel]: Per Eusebium Episcopium, 1582. [München BSB: 2 Jur. is. 55] Scharschmidus, Carolus: Systema juris publici Romano-Germanici, Francofurti & Lipsiae [Frankfurt am Main – Leipzig]: Sumptibus Christiani Weidmanni, 1677. [Regensburg SB: 999/Jur. 633] Schilterus, Jo[hannes]: Institutionum juris publici Romano-Germanici tomi duo, Argentorati [Straßburg]: Sumptibus Jo. Reinh. Dulsseckeri, 1696. [Halle ULB: AB 42 4/i, 2] Schmitt, Johann Adam: Systematischer Abriß der Diplomatik und Archivalpraxis, nach Oberlins Entwurf umgearbeitet und mit Zusaetzen vermehret zum Gebrauch bei Vorlesungen, von ... Schmitt Kurmainz. weltl. Gerichtsadsessor und Regierungsarchivar zu Erfurt, Erfurt: mit Gradelmüllers Schriften, 1791. [München BSB: Graph. 52 s#Beiband 2] Schoettgenius, Christianus – Kreysigius, Georgius Christophorus: Diplo mataria et scriptores historiae Germanicae medii aevi, cum sigillis aeri incisis ... accedit prefatio Chrstiani Gottlieb Buderi, D. Consil. Aul. Duc. Sax. Iur. Publ. Feud. et Hist. Prof. Facult. Juridicae Senioris in Academia Jenensi De damnis detrimentisque archivorum quorundam Germaniae, Tomus I, Altenburgi [Altenburg]: Typis et sumtibus Pauli Emanuel Richteri, 1753. [München BSB: 2 Germ. g. 114-11] Schrader, Ludolf – Brandis, Johannes: Consiliorum sive responsorum volumen primum. Nunc primum post obitum auctoris in lucem editum. Studio & opera Joannis Brandis, (Jenae [Jena]): (Tobias Steinman imprimebat sumptibus Henningi Grosii bibliopolae Lipsiensis), 1606. [Halle ULB: AB WW 1280 (1)] [Schurff] Schuirpf, Hieronymus: Consiliorum seu responsorum iuris ... centuria tertia, Francoforti ad Viadrum [Frankfurt an der Oder]: In officina Ioannis Eichorn, 1553. [München BSB: 2 Decis. 317] Schwederus, Gabriel: Introductio in jus publicum Imperii RomanoGermanici novissimum ... secunda hac editione revisa ac aucta, Tubingae [Tübingen]: Sumptibus Philiberti Brunnii bibliopol. typis Martini Rommeii, 1685. [Augsburg SStB: S 1494] Siebenkees, Johannes Christianus: De Studio chronologico iuris praesertim Germanici disquisitio ... Siebenkees Prof. Iur. ... et Instituti historici
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quod Gottingae floret sodalis, Altorfii [Altdorf ] Litteris Meyerianis, (9. Novembris 1777). [Halle ULB: Altdorf, Diss., 1778–1800 (2)] Spiegel, Jac[obus]: Juris civilis lexicon, Argentorati [Straßburg]: Jo[hannes] Schottus excudebat, 1538. [München BSB: 2 Jur. is. 64] [Spiess] Spieß, Philipp Ernst: Von Archiven, Halle: bey Johann Jacob Gebauer, 1777. [München BSB: J. pract. 280] [Spiess] Spieß, Philipp Ernst: Archivische Nebenarbeiten und Nachrichten vermischten Inhalts mit Urkunden ... Erster Theil, Halle: Bey Johann Jacob Gebauer, 1783. [München BSB: Germ. g 647 v-1/2] [Spiess] Spieß, Philipp Ernst: Archivische Nebenarbeiten und Nachrichten vermischten Inhalts mit Urkunden ... Zweiter Theil, Halle: Bey Johann Jacob Gebauer, 1785. [München BSB: 4 H. misc. 135 e-2] Stryckius, Samuel (ed): Johannis Brunnemanni ... Concilia sive responsa academica ... opus posthumum, Francofurti ad Viadrum [Frankfurt an der Oder]: Sumptibus Jeremiae Schrey Bibliopolae Francofurt., 1677. [München BSB: 2 Decis. 63x] Stuss, Just Christian Friedrich: Von Archiven und besonders von der Einrichtung eines deutschen-reichsständischen Regierungsarchives, Leipzig: Bey Johann Benjamin Georg Fleischer, 1799. [München BSB: J. pract. 284] [Tractatus universi iuris / 3.1] Tractatus illustrium in utraque tum pontificii tum caesarei iuris facultate iurisconsultorum, de iudicijs ... Tomi III Pars 1, Venetiis [Venedig] 1584. [München BSB: 2 Jur. opp. 76-3,1] [Übelin] Ubelin, Georgius (ed.): Refugium advocatorum. Summa Odofredi ... Summa Hermanni ... In arborem judiciariam Joannis de Grassis scriptum domesticum, (Argentorati [Straßburg]: Ex officina Joannis Schotti impensis ... 15. Kalendis Decembris 1510). [München BSB: 4 J. pract. 175] Vitriarius illustratus, h. e. Philip. Reinhar. Vitriarii ... Institutiones juris publici Romano-Germanici ... Editio correctior, Freiburgi [Freiburg im Breisgau]: Sumtibus Anthonii de Beck 1691. [München BSB: J. publ. g. 850] (Vultejus, Hermannus, ed.): Consiliorum sive responsorum doctorum et professorum facultatis in Academia Marpurgensi, volumen quartum,
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Francofurti ad Moenum [Frankfurt am Main]: Sumptibus Godefridi Tampachij Typis Caspari Rötelii, 1631. [München BSB: 2 Decis. 374-4] [Wagenseil – Haller] Wagenseilius, Joh. Christophorus – Bilibaldus Hallerus ab Hallerstein, Jacobus: Disputatio juridica Juris publici de imperii archivo, aurea bulla, et Lipsianis imperii ... Ante dem 14. Maii anni 1673, [Altdorfii] [Altdorf ]. [München BSB: 4 Diss. 3623,18] Wehnerus, Paulus Matthias: Practicarum juris observationum selectarum liber singularis, Francofurti ad Moenum [Frankfurt am Main]: Typis Johannis Friderici Weissij impensis Joh. Revalij, 1624. [Regensburg SB: 999/4 Jur. 480] Wehnerus, Paulus Matthias: Practicarum juris observationum selectarum liber singularis, Francofurti ad Moenum [Frankfurt am Main]: Cura & impensis Rulandiorum typis Hummianis, 1661. [Regensburg SB: 999/4 Jur. 13] Wenckerus, Jacobus: Apparatus & instructus archivorum ex usu nostri temporis, vulgo von registratur und renovatur, Argentorati [Straßburg]: Sumptibus Jo. Reinholdi Dulsseckeri, 1713. [München BSB: 4 J. pract. 217] Wenckerus, Jacobus: Collecta archivi et cancellaria jura, Argentorati [Straßburg]: Sumptibus Jo. Reinholdi Dulsseckeri, 1715. [Regensburg SB: 999/4 Jur. 749] Westphal, Ernst Christian: Das Teutsche und Reichsständige Privatrecht ... Erster Theil, Leipzig: In der Weygandschen Buchhandlung, 1783. [München BSB: J. germ. 224-1/2] Westphal, Ernst Christian: Das Teutsche Staatsrecht, Leipzig: In der Weygandschen Buchhandlung, 1784. [München BSB: J. publ. g. 886] Wildvogelius, Christianus: De scrinio principis ad L. XIX. C. de Testam. Programma inaugurale, Jenae [Jena]: Typis viduae Mullerianae, 1694. [München BSB: 4 Diss. 354#Beiband 20] Zahn, Balthasar-Conradus: Ichnographia municipalis. Sive De jure et jurisdictione municipiorum dissertatio politico-juridica, Francofurti [Frankfurt am Main]: Typis & sumptibus Joh. Fried. Weissi, 1650. [München BSB: J. publ. g 548#Beiband 1]
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Zahn, Balthasar Conradus: Ichnographia municipalis, Sive De jure et jurisdictione municipiorum dissertatio politico-juridica ... Editio secunda ab authore recognita & ad alterum pene tantum aucta, Francofurti [Frankfurt am Main]: Typis & sumptibus Caspari Rötelii, 1657. [Regensburg SB: 999/Jur. 1238] Zinkernagel, Karl Friedrich Bernhard: Handbuch für angehende Archivare und Registratoren, Nördlingen: bey Karl Gottlob Beck, 1800. [München BSB: 4 J. pract. 226a]
Das Provenienzprinzip im Zeitalter der elektronischen Verwaltungsarbeit Von Bernhard Grau Es ist eine Binsenweisheit, dass das Provenienzprinzip den Dreh- und Angelpunkt der modernen Archivwissenschaft darstellt.1 Es ist nicht nur Gegenstand der Archivtheorie und der archivarischen Ausbildung, sondern bestimmt auch das archivische Handeln auf fundamentale Weise. Ja man wird sagen müssen, dass gerade im Provenienzprinzip einige wesentliche Eigenschaften, Standards und Handlungsweisen zusammengefasst sind, die die Archive von den benachbarten Institutionen des kulturgutbewahrenden Sektors, also von Bibliotheken, Museen und Dokumentationsstellen auf grundsätzliche Art unterscheiden. Daher erscheint es sinnvoll, sich mit diesem Begriff immer wieder neu auseinanderzusetzen. Aktuell bedeutet dies insbesondere, darüber zu reflektieren, ob und gegebenenfalls wie sich unser hergebrachtes Begriffsverständnis mit den sich durch den digitalen Wandel rasch verändernden Rahmenbedingungen unseres Tuns in Einklang bringen lässt.
Siehe hierzu etwa Adolf Brenneke, Archivkunde. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte des europäischen Archivwesens, bearbeitet nach Vorlesungsniederschriften und Nachlass papieren und ergänzt von Wolfgang Leesch, Leipzig 1953, S. 61–104. – Gerhart Enders, Archivverwaltungslehre (Archivwissenschaft und Historische Hilfswissenschaften), Berlin 1968, S. 98–121. – Johannes Papritz, Archivwissenschaft, Band 3, Teil 1, 2. durchgesehene Aufl. Marburg 1983, hier insbesondere S. 8–29. – Eckart G. Franz, Einführung in die Archivkunde, 5. Aufl. Darmstadt 1999, S. 45–48. – Christine van den Heuvel, Kleine Niedersächsische Archivkunde. Eine Orientierungshilfe für die Ausbildung zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste – Fachrichtung Archiv (Kleine Schriften des Niedersächsischen Landesarchivs 1), Hannover 2007, S. 65–68. – Dietmar Schenk, Kleine Theorie des Archivs, Stuttgart 2008, S. 76–81. – Marcus Stumpf (Hrsg.), Praktische Archivkunde. Ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv, Münster 2018, S. 30–34. – Christian Keitel, Zwölf Wege ins Archiv. Umrisse einer offenen und praktischen Archivwissenschaft, Stuttgart 2018, S. 175–187. – Zur Durchsetzung des Provenienzprinzips im späten 19. Jahrhundert siehe zuletzt Klaus Neitmann, Ein unbekannter Entwurf Max Lehmanns von 1884 zur Einführung des Provenienzprinzips in den preußischen Staatsarchiven. In: Archivalische Zeitschrift 91 (2009) S. 59–108.
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D e r Pr ov e n i e n z g r u n d s a t z a l s z e n t r a l e r Ba u s t e i n der Archivtheorie Der Begriff Provenienz kommt aus dem Lateinischen und leitet sich von dem Verb „provenire“ ab, das mit „hervorkommen“, „erzeugt werden“, „entstehen“ und „hervorwachsen“ zu übersetzen ist.2 Provenienz bedeutet also zunächst ganz allgemein die Herkunft, den Ursprung einer Sache oder einer Person. Provenienz ist damit kein spezifisch archivischer Terminus, jedenfalls kein Begriff, auf den die Archivare einen Alleinanspruch geltend machen könnten. So wird der Begriff in der medialen Öffentlichkeit aktuell vor allem im Zusammenhang mit der verfolgungsbedingten Entziehung von Kulturgütern durch den NS-Staat beziehungsweise der kulturellen Ausplünderung der Kolonialgebiete diskutiert. Der Fokus der hierfür relevanten „Provenienzforschung“ liegt dabei auf Kulturobjekten aller Art, die ihren Eigentümern widerrechtlich entzogen oder ohne angemessenen Wertausgleich abgepresst worden sind. Auch wenn dabei Museen und Sammlungen unter besonderer Beobachtung stehen,3 sind bei diesem Thema die Archive gleichfalls betroffen, da in der NS-Zeit auch privates Archivgut eingezogen und an öffentliche Archive überstellt oder von diesen selbst unter Ausnutzung der NS-Verfolgungsmaßnahmen erworben wurde.4 So sah sich die bayerische Archivverwaltung im Jahr 2017 veranlasst, auf der Grundlage der Washingtoner Erklärung 41 Objekte aus den Beständen des Staatsarchivs Nürnberg an die Nachkommen des Münchner Orientalisten Professor Karl Süßheim zurückzugeben. Wie sich herausgestellt hatte, gehörten sie zu der NoricaSammlung, die Professor Süßheim von seinem älteren Bruder, dem Nürnberger Rechtsanwalt Dr. Max Süßheim geerbt hatte. Dass die bayerische Archivverwaltung die chronikalischen Quellen zu einem Bruchteil ihres Marktwertes erwerben konnte, hing mit der Zwangslage zusammen, der sich Professor Karl Süßheim im Rahmen seines Auswanderungsverfahrens ausgesetzt sah.5 Friedrich Adolph Heinichen, Lateinisch-Deutsches Schulwörterbuch, Leipzig-Berlin 1903, S. 691. 3 Marcel Lepper – Ulrich Raulff, Idee des Archivs. In: Dies. (Hrsg.), Handbuch Archiv. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, Stuttgart 2016, S. 1–9, hier S. 6f. 4 Michael Unger, Zwischen Routine und Raub: Archivalienerwerb im Nationalsozialismus. In: Archivalische Zeitschrift 96 (2019) S. 425–446. 5 Bernhard Grau, Rückgabe entzogenen Kulturguts – Das Staatsarchiv Nürnberg gibt 41 Archivalien an die Nachkommen von Prof. Karl Süßheim zurück. In: Nachrichten aus 2
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Es liegt klar zutage, dass es bei dieser Art von Provenienzforschung vor allem um Rechts-, das heißt um Besitz- und Eigentumsansprüche geht. Was die Archive anbelangt, sind daher fast ausschließlich Archivalien betroffen, die dem privaten Archivgut zuzurechnen sind, die also – im Falle Bayerns – nicht von öffentlichen Stellen des Freistaats Bayern oder von dessen Rechtsvorgängern übernommen wurden. Bei amtlichen Unterlagen, die den öffentlichen Archiven von den abgebenden Stellen aufgrund der geltenden Zuständigkeitsregelungen zur Übernahme angeboten wurden – und das sind in den staatlichen Archiven meist 90 und mehr Prozent aller verwahrten Unterlagen – stellt sich die Eigentumsfrage dagegen in aller Regel nicht. Vielmehr wird man davon ausgehen müssen, dass der Archivträger immer auch Eigentümer des Archivguts ist, das von einer der ihm zuzurechnenden Behörden, Gerichte oder sonstigen Stellen an das Archiv abgegeben wurde. Wenn der Archivar von Provenienz spricht, so geht es ihm – dies muss in aller Deutlichkeit betont werden – deshalb weniger um besitz- und eigentumsrechtliche Aspekte, als vielmehr um die Identifikation des Herkunfts- respektive des Entstehungszusammenhangs. Mit der Provenienz wird daher diejenige Institution oder natürliche Person bestimmt, bei der das Archivgut entstanden ist. Von einem späteren Besitz- beziehungsweise Eigentumsübergang, etwa im Zuge der Rechtsnachfolge, wird die Zuweisung zu einer bestimmten Provenienz im Regelfall nicht tangiert. Ausgangspunkt dafür ist der spezifische Charakter dieser Unterlagen als Geschäftsschriftgut, das im Rahmen der Aufgabenerledigung bei der dafür zuständigen Stelle erwächst und von dieser für Zwecke der Nachweisführung, Kontrolle und Beglaubigung bis zum Zeitpunkt der Entbehrlichkeit weiter aufbewahrt wird. Gerhard Leidel hat vor allem seit der Jahrtausendwende in mehreren archivwissenschaftlichen Beiträgen überzeugend dargelegt, dass das Spezifikum dieser Unterlagen in ihrer Adressatenbezogenheit besteht.6 Bei den Staatlichen Archiven Bayerns Nr. 73/Dezember 2017, S. 8f. – Unger (wie Anm. 4) S. 433–436. 6 Gerhard Leidel, Marginalien zur Bestimmung des Begriffs „Archiv“. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken 95 (1990–1991) S. 419–446, hier S. 423–437. – Ders., Zur Wissenschaftstheorie und Terminologie der Archivwissenschaft. In: Archivalische Zeitschrift 84 (2001) S. 9–89, hier S. 29–31. – Ders., Über die Prinzipien der Herkunft und des Zusammenhangs von Archivgut. In: Archivalische Zeitschrift 86 (2004) S. 91–130, hier S. 94–99. – Ders., Die amtliche Kartographie in Bayern bis zum Flurkartenwerk – Eine Einführung in den Ausstellungskatalog. In: Ders. unter Mitarbeit von
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Verwaltungsunterlagen handelt es sich demzufolge um den schriftlichen Niederschlag von Kommunikationsprozessen, bei denen Absender und Empfänger jeweils klar definiert sind. Diese Form der Kommunikation hat Leidel als gezielte Informationsübermittlung oder auch als Individualkommunikation bezeichnet und sie der gestreuten Information oder Massenkommunikation gegenübergestellt, wie sie uns etwa in Gestalt von Büchern oder anderen Druckwerken begegnet, die in großen Stückzahlen hergestellt, breit gestreut oder auf dem freien Markt gehandelt werden. Werke dieser Art werden daher im Regelfall nicht in die Archive übernommen, sondern von Bibliotheken gesammelt und als Bibliotheksgut verwahrt.7 Die Entstehung des Archivguts im Rahmen von Verwaltungsprozessen bedingt auch dessen Unikatcharakter. Die Reinschriften der im Rahmen von Geschäfts- und Verwaltungsprozessen ausgetauschten Dokumente finden dabei Eingang in die Akten und Registraturen des Empfängers. In denen des Absenders verbleiben die selbst verfassten Auslaufschreiben dagegen allenfalls in Form von Entwurfsfassungen oder als Abdrucke. Darüber hinaus enthalten die Akten einer Provenienzstelle auch die Dokumente des Binnenlaufs – etwa Protokolle oder Aktenvermerke –, die das eigene Haus in aller Regel nicht oder nur in vervielfältigter Form verlassen. Für das Behördenhandeln haben diese Dokumente eine steuernde und rechtswahrende Funktion. Sie dokumentieren die zugrundeliegenden Handlungen bzw. Geschäftsprozesse.8 Die geschäftsmäßige Bearbeitung der genannten Dokumente im Zuge der Aufgabenerledigung findet ihren Niederschlag bei öffentlichen Stellen in Ordnungs- und Registraturmerkmalen sowie in Geschäftsgangsvermerken. Erstere fixieren den festen Platz, der dem Einzeldokument im Schriftgutbestand der jeweiligen Stelle dauerhaft zukommt, letztere steuern den Bearbeitungsprozess. Damit wirkt das Provenienzprinzip – gleichsam subkutan – bis in die Akten hinein, die die Summe der zu einem Geschäftsvorfall, einer Kompetenz oder Aufgabe anfallenden, in aller Regel chronologisch abgelegten Einzeldokumente darstellen. Die in sich abgeschlosseMonika Ruth Franz, Von der gemalten Landschaft zum vermessenen Land. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs zur Geschichte der handgezeichneten Karten (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 48), München 2006, S. 11–24, hier S. 12–14. 7 Gerhard Leidel, Untersuchungen zur Archivwissenschaft. In: Archivalische Zeitschrift 95 (2017) S. 27–86, hier S. 35–39. 8 Leidel, Wissenschaftstheorie (wie Anm. 6) S. 99–81.
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nen Akten und Vorgänge sind dabei ihrerseits Teil eines übergeordneten Zusammenhangs, den die Summe der Akten und Vorgänge bildet, die bei dem jeweiligen Registraturbildner erwachsen und nach dem von diesem angewandten Aktenplan geordnet worden sind. In ein darüber noch einmal weit hinausreichendes Netz öffentlicher, öffentlich-rechtlicher, zum Teil aber auch privater Stellen fügen sich die amtlichen Unterlagen dadurch ein, dass in die Fallbearbeitung nicht nur der Antragsteller, sondern erforderlichenfalls auch weitere Einrichtungen und Stellen einbezogen werden, die deshalb korrespondierende Akten anlegen.9 Die Einhaltung des Provenienzprinzips im Archiv dient daher zuerst und vor allem dem Erhalt dieser „vorarchivischen Zweckordnung“.10 Nach der Logik der Archivare bleibt dabei diejenige Stelle, bei der die Unterlagen erwachsen sind, auch dann die Herkunftsstelle, wenn das Schriftgut im Zuge der Funktions- oder Rechtsnachfolge auf eine andere Einrichtung oder einen anderen Rechts- bzw. Archivträger übergegangen ist – jedenfalls dann, wenn es von diesem im Anschluss nicht mehr weitergeführt wurde. Dieses Provenienzverständnis ist auf andere kulturgutbewahrende Einrichtungen nur insoweit übertragbar, als diese ihrerseits Geschäftsschriftgut verwahren, sei es, weil sie aufgrund ihrer rechtlichen Stellung berechtigt sind, für die bei ihnen selbst erwachsenen Unterlagen ein eigenes Archiv einzurichten, sei es weil sie privates Geschäftsschriftgut, also Nachlässe, Verbands-, Vereins- oder Parteischriftgut erworben haben und diese Schriftgutkomplexe getrennt nach ihrer Herkunft in geschlossener Form dauerhaft aufbewahren. Auf Sammlungsgut, also auf Plakate, Flugblätter, Presseausschnitte, aber auch auf Fotoaufnahmen und audiovisuelle Medien, die Teil der Massenkommunikation sind, mehrfach existieren und gegebenenfalls frei gehandelt werden, ist dieses Begriffsverständnis dagegen nicht anwendbar. Wie Gerhard Leidel überzeugend dargelegt hat, handelt es sich dabei nämlich um gestreute Informationen, die keinem Empfänger fest zugerechnet werden können.11 Plakat-, Flugblatt- oder auch Fotosammlungen finden sich demzufolge auch keineswegs nur in Archiven, sondern grundsätzlich in kulturgutbewahrenden Institutionen aller Art. Ebd. S. 29–31. Ebd. S. 43f. 11 Leidel, Untersuchungen (wie Anm. 7) S. 35–37. – Vgl. Bernhard Grau, Sammlungsund Dokumentationsprofile – Eine Einführung aus Sicht der staatlichen Archive. In: Archive in Bayern 8 (2014) S. 157–175, hier S. 161–164. – Markus Friedrich, Sammlungen. In: Lepper – Raulff, Handbuch (wie Anm. 3) S. 152–162, hier S. 153. 9
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Die zentrale Bedeutung des Provenienzprinzips für Archivtheorie und Archivpraxis wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass die Provenienz für nahezu alle Aufgaben der Archive von Relevanz ist.12 So sorgen die darauf aufbauenden Zuständigkeitsregeln dafür, dass die abgebenden Stellen ihre Unterlagen zum Zeitpunkt der Entbehrlichkeit dem dafür bestimmten Archiv anbieten und übergeben. Auch bei der Bewertung der angebotenen Unterlagen spielen Provenienzgesichtspunkte eine wichtige Rolle, insofern Kriterien wie die Zuständigkeit, die Federführung und die paral lele Aktenführung sowie Eigenschaften wie die Evidenz, die Signifikanz beziehungsweise die Repräsentativität für das Behördenhandeln bei der Feststellung der Archivwürdigkeit zu berücksichtigen sind.13 Im Archiv orientiert sich die Bestandsbildung an der Provenienz, die damit als Organisations- und Ordnungsprinzip fungiert.14 Zugleich stellt die Provenienz ein Erschließungsmerkmal dar, das erforderlichenfalls auch auf der Ebene der einzelnen Archivalieneinheit erfasst wird. Wo immer möglich und sinnvoll werden die Registraturordnung und die vorarchivischen Aktentitel für die Strukturierung der Bestände und die archivische Betreffsbildung herangezogen, tragen diese doch gleichfalls dazu bei, den ursprünglichen Bearbeitungszusammenhang evident zu halten.15 Umgekehrt ermöglichen Provenienz- und Zuständigkeitsregelungen die gezielte Ermittlung des für ein Forschungsvorhaben einschlägigen Archivs, die Bestimmung der relevanten Bestände und damit die Eingrenzung der Suche auf die dafür einschlägigen Findmittel. Zumindest für den Archivar ist zudem evident, dass auch bei der Auswertung der übernommenen Unterlagen durch den Forscher Kenntnisse über Organisation, Zuständigkeit und Geschäftsprozesse des Registraturbildners von erheblichem Nutzen 12 Siehe etwa Brenneke (wie Anm. 1) S. 88f. – Bodo Uhl, Die Bedeutung des Provenienzprinzips für Archivwissenschaft und Geschichtsforschung. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 61 (1998) S. 97–121, hier S. 112f. 13 Siehe etwa Angelika Menne-Haritz, Das Provenienzprinzip – ein Bewertungssurrogat? Neue Fragen einer alten Diskussion. In: Der Archivar 47 (1994) Sp. 229–252. – Uhl (wie Anm. 12) S. 112–116. – Michael Hollmann, Bestandspolitik. In: Lepper – Raulff, Handbuch (wie Anm. 3) S. 199–206, hier S. 204f. 14 Hollmann (wie Anm. 13) S. 199–201. 15 Andreas Pilger, Archivlandschaft. In: Lepper – Raulff, Handbuch (wie Anm. 3) S. 77–90, hier S. 85. – Nils Brübach, Internationale Erschließungsstandards in der deutschen Erschließungspraxis. In: Heiner Schmitt (Redaktion), Archive im digitalen Zeitalter. Überlieferung – Erschließung – Präsentation. 79. Deutscher Archivtag in Regensburg (Tagungsdokumentationen zum Deutschen Archivtag 14), Neustadt a.d. Aisch 2010, S. 127–133, hier S. 127f.
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sind.16 Zwar steht das Archivgut ab dem Zeitpunkt seiner Übernahme für Forschungsvorhaben aller Art zur Verfügung, also auch für solche, die mit dem ursprünglichen Verwaltungszweck allenfalls am Rande zu tun haben.17 Dennoch bleibt das Schriftgut der Behörden, Gerichte und sonstigen staatlichen Einrichtungen Verwaltungsschriftgut, das zunächst nichts anderes dokumentiert als das zweckrationale Behördenhandeln oder die gerichtliche Entscheidungsfindung. Dies bestimmt nicht nur dessen Inhalt, sondern auch Art, Charakter und Reichweite der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die daraus abgeleitet werden können. So gesehen erscheint es mehr als berechtigt, mit Gerhard Leidel davon zu sprechen, dass im Provenienzprinzip die Archivwissenschaft ihr Erkenntnisprinzip und die Archivpraxis ihr Handlungsprinzip gefunden haben.18 D e r Pr ov e n i e n z g r u n d s a t z i n d e r Z e i t d e s d i g i t a l e n Wa n d e l s So unangefochten wie im 20. Jahrhundert war das Provenienzprinzip im öffentlichen Archivwesen allerdings nicht immer.19 Und in jüngerer Zeit gibt es wieder erste Wortmeldungen, die zumindest dessen Absolutheitsanspruch hinterfragen.20 Dies hängt nicht zuletzt mit der digitalen Transformation zusammen, die sich auch in den Archiven immer stärker bemerkbar macht. In Staat und Verwaltung hat sie einschneidende Veränderungen herbeigeführt, die die Archive in ihrer Eigenschaft als schriftgutübernehmende und -verwahrende Stellen nicht unberührt lassen. Einige der besonders relevanten Veränderung sind: die Loslösung der Information von ihrem Trägermaterial, die Trennung von Primär- und Metainformationen, die nahezu ubiquitäre Verfügbarkeit elektronischer Informationen, die fehlende Unterscheidbarkeit von Original und Kopie sowie – daraus Siehe dazu etwa die bei Bodo Uhl angeführten Belege: Uhl (wie Anm. 12) S. 103f. und S. 116f. 17 Leidel, Wissenschaftstheorie (wie Anm. 6) S. 42. 18 Leidel, Prinzipien der Herkunft (wie Anm. 6) S. 91. 19 Für Bayern siehe beispielsweise Walter Jaroschka, Reichsarchivar Franz Joseph von Samet (1758–1828). In: Archive. Geschichte – Bestände – Technik. Festgabe für Bernhard Zittel (Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern, Sonderheft 8), München 1972, S. 1–27. – Albrecht Liess, Geschichte der archivischen Beständebereinigung in Bayern. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 61 (1998) S. 123–145, hier insbesondere S. 124–133. – Siehe auch die dort zitierte Literatur! 20 Keitel (wie Anm. 1) S. 177–187. 16
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resultierend – die Flexibilisierung und Automatisierung von Arbeitsabläufen und das institutionenübergreifende kollaborative Arbeiten. In engem Zusammenhang mit diesen Veränderungen ist zu beobachten, dass die Grundprinzipien der zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelten modernen Behördenorganisation und der damit korrespondierenden Verwaltungsprozesse in jüngster Zeit zunehmend als antiquiert, unflexibel und ineffektiv wahrgenommen und durch neue Organisations- und Steuerungsmethoden ergänzt oder gar ersetzt werden. Eingeführte Prinzipien wie die Dreistufigkeit und die Einräumigkeit der Verwaltung stehen in einem erkennbaren Spannungsverhältnis zu den im Rahmen der Verwaltungsvereinfachung angestrebten Territorial-, Funktional- und Verwaltungsstrukturreformen.21 Welche Auswirkungen dies auf die Aufgabenwahrnehmung der Behörden und in der Konsequenz für die Arbeit der Archive haben kann, sei kurz an fünf Beispielen aus der bayerischen Verwaltungswirklichkeit erläutert: 1. Mit Blick auf Bayern könnte man einen neuen Trend der Verwaltungsreformen in der Zentralisierung von Zuständigkeiten sehen. Dies führte nicht zuletzt zur Errichtung neuer Landesämter mit bayernweiter Zuständigkeit. Als Beispiele seien genannt das Landesamt für Steuern (LfSt, errichtet im Jahr 2005),22 das Landesamt für Finanzen (LfF, 2005),23 Siehe etwa: Verwaltung 21. Reform für ein modernes Bayern. Regierungserklärung des Leiters der Bayerischen Staatskanzlei, Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Verwaltungsreform, Erwin Huber, 4. März 2005, hrsg. von der Bayerischen Staatskanzlei, Manuskriptfassung mit ergänzenden Grafiken, München 2005. – Verwaltung 21. Reform für ein modernes Bayern, hrsg. von der Bayerischen Staatsregierung, o.O., o.J., http:// www.flussmeister.de/Texte/Verwaltung_21.pdf (aufgerufen am 15.11.2019). – Bayern. Die Zukunft. Deregulierung und Bürokratieabbau in Bayern: Mehr Freiraum für Bürger und Unternehmen, hrsg. von der Bayerischen Staatsregierung (Stand: Oktober 2015), https:// www.bayern.de/wp-content/uploads/2015/12/Buerokratieabbau_Freiraum.pdf (aufgerufen am 15.11.2019). – Regierung von Unterfranken, Verwaltungsreform, https://www.regierung.unterfranken.bayern.de/aufgaben/Z/1/00028/index.html (aufgerufen am 15.11.2019). – Vgl. Markus Reiners, Verwaltungsstrukturreformen in den deutschen Bundesländern. Radikale Reformen auf der Ebene der staatlichen Mittelinstanz, Wiesbaden 2008, insbesondere S. 147–161. 22 Siehe etwa die Unterseite „Über das Bayerische Landesamt für Steuern (BayLfSt)“ auf der Homepage des Bayerischen Landesamts für Steuern, https://www.finanzamt.bayern.de/LfSt/ Ueber_uns/Ueber_das_BayLfSt/ (aufgerufen am 15.11.2019). – Vgl. Bayerisches Landesamt für Steuern. In: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Bayerisches_Landesamt_für_Steuern (aufgerufen am 15.11.2019). 23 Siehe etwa die Unterseite „Aufgaben/Entstehung“ auf der Homepage des Bayerischen Landesamts für Finanzen, https://www.lff.bayern.de/das_landesamt/aufgaben/index.aspx (auf21
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das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS, 2005),24 die Immobilien Freistaat Bayern (IMBY, 2006),25 das Landesamt für Datenschutzaufsicht (BayLDA, 2002/2011),26 das Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI, 2017),27 das Landesamt für Schule (LAS, 2017)28 oder zuletzt das Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR, 2018).29 Nach den auf dem Provenienzprinzip aufbauenden Zuständigkeitsregelungen ist klar, dass diese Behörden ihre Unterlagen dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv anzubieten haben. Dies hat aber zum Teil einschneidende praktische Konsequenzen, da die neuen Landesämter zumindest partiell Zuständigkeiten auf sich vereinen, die bisher bei Behörden des nachgeordneten Bereichs wahrgenommen wurden. Dabei handelt es sich nicht zwingend um Grundsatz- oder Querschnitts-, sondern vielfach um Vollzugsaufgaben im Einzelfall, was dazu führt, dass dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv in gerufen am 15.11.2019). – Vgl. Landesamt für Finanzen (Bayern). In: Wikipedia, https:// de.wikipedia.org/wiki/Landesamt_für_Finanzen_(Bayern) (aufgerufen am 15.11.2019). 24 10 Jahre ZBFS. Modern – sozial – für die Menschen. Eine Ausstellung zur Geschichte des ZBFS und seiner Vorgängerbehörden, o.O., o.J. (2015), https://www.zbfs.bayern. de/imperia/md/content/zbfs_intranet/hauptseiten/stabsstelle/wanderausstellung.pdf (aufgerufen am 5.1.2020). – Vgl. Zentrum Bayern Familie und Soziales. In: Wikipedia, https:// de.wikipedia.org/wiki/Zentrum_Bayern_Familie_und_Soziales (aufgerufen am 5.1.2020). 25 Siehe hierzu die Homepage der Immobilien Freistaat Bayern, https://www.immobilien. bayern.de/ueberuns/index.html (aufgerufen am 5.1.2020). – Vgl. das Gesetz über die Immobilien Freistaat Bayern vom 22. Dezember 2015 (GVBl S. 477, 490), zuletzt geändert am 26. März 2019 (GVBl S. 98), https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayIMBYG/ true?AspxAutoDetectCookieSupport=1 (aufgerufen am 5.1.2020). 26 Siehe etwa die Darstellung des Aufgabenzuschnitts auf der Homepage des Bayerischen Landesamts für Datenschutzaufsicht, https://www.lda.bayern.de/de/aufgaben.html (aufgerufen am 15.11.2019). – Vgl. Landesamt für Datenschutzaufsicht. In: Wikipedia, https:// de.wikipedia.org/wiki/Landesamt_für_Datenschutzaufsicht (aufgerufen am 15.11.2019). 27 Siehe etwa die Startseite des Bayerischen Landesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, https://www.lsi.bayern.de/lsi/index.html (aufgerufen am 15.11.2019). – Vgl. Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (Bayern). In: Wikipedia, https:// de.wikipedia.org/wiki/Landesamt_für_Sicherheit_in_der_Informationstechnik_(Bayern) (aufgerufen am 15.11.2019). – Bayerischer Rundfunk, 21.1.2019, Landesamt für IT-Sicherheit – ein Jahr nach der Gründung, https://www.br.de/nachrichten/bayern/landesamt-fuer-itsicherheit-ein-jahr-nach-der-gruendung,RFjCLzf (aufgerufen am 15.11.2019). 28 Siehe etwa die Startseite des Bayerischen Landesamts für Schule, http://www.las-bayern. de/index.html (aufgerufen am 15.11.2019). – Vgl. Bayerisches Landesamt für Schule. In: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Bayerisches_Landesamt_für_Schule (aufgerufen am 5.1.2020). 29 Bayern gründet Landesamt für Asyl und Abschiebungen. In: Bayernkurier, 3.5.2018, https://www.bayernkurier.de/inland/32862-bayern-gruendet-landesamt-fuer-asyl-und-abschiebungen/ (aufgerufen am 15.11.2019).
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wachsendem Umfang massenhaft gleichförmige Fallakten angeboten werden, die bisher üblicherweise bei den Staatsarchiven archiviert wurden. Es findet demnach nicht nur eine Ausweitung der Zuständigkeiten beim Bayerischen Hauptstaatsarchiv, sondern gleichzeitig eine Auszehrung des Aufgabenbereichs der Staatsarchive statt, noch dazu bei Unterlagen, die man gefühlsmäßig bei letzteren vermuten würde. Es ist daher durchaus zu fragen, wie die Archive mit einem solchen Trend – so er sich denn weiter fortsetzen sollte – auf Dauer umgehen sollen. 2. In enger Beziehung dazu ist eine weitere Entwicklung zu sehen, die in eine ähnliche Richtung weist. So ist zu beobachten, dass auch auf den nachgeordneten Behördenebenen Aufgaben inzwischen vermehrt im Verbund, das heißt nach dem Prinzip des „Einer für alle“ wahrgenommen werden. Dies gilt etwa für die Regierungen, bei denen inzwischen keineswegs nur Querschnittsaufgaben, sondern auch klassische mittelbehördliche Zuständigkeiten bei einer Stelle konzentriert werden.30 Ein anderes sehr bezeichnendes Beispiel sind die Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, deren Vollzugsaufgaben 2013 zum Teil sprengelübergreifend in sogenannten Fachzentren zusammengefasst wurden31, auch wenn in diesem Fall aktuell eine weitere Neuausrichtung bevorsteht, die diese Fachzentren wieder beseitigen wird. Wenn solche Entwicklungen Schule machen, wird es in Zukunft immer schwieriger festzustellen, bei welcher Stelle eine bestimmte Funktion zum fraglichen Zeitpunkt vollzogen wurde, vor allem dann, wenn die Aufgabenzuweisung flexibel gehandhabt, das heißt regelmäßig wieder geändert wird. Im Extremfall sind sogar Zuständigkeitsregelungen denkbar, bei denen eine Funktion einem Sachbearbeiter „ad personam“ zugewiesen wird. Dies kann dazu führen, 30 Sonderzuständigkeiten der Regierung von Oberbayern, die entweder für mehrere Regierungsbezirke oder sogar bayernweit wahrgenommen werden, sind derzeit unter anderem: Bergamt Südbayern (Zuständigkeitsbereich: Oberbayern, Niederbayern, Schwaben), Landesprüfungsamt (Bayern), Luftamt Südbayern (Oberbayern, Niederbayern, Schwaben), Oberversicherungsamt Südbayern (Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz, Schwaben), Vergabekammer Südbayern (Oberbayern, Niederbayern, Schwaben), Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern/Zentrale Passbeschaffung Bayern (Oberbayern, Niederbayern, Schwaben). Siehe dazu die Unterseite „Sonderzuständigkeiten der Regierung von Oberbayern“ auf der Homepage der Regierung von Oberbayern, https://www.regierung.oberbayern.bayern.de/behoerde/mittelinstanz/ (aufgerufen am 15.11.2019). 31 Siehe dazu die Unterseite „Struktur der Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten“ auf der Homepage des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, https://www.stmelf.bayern.de/ministerium/000964/index.php (aufgerufen am 15.11.2019).
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Quelle: https://www.stmelf.bayern.de/ministerium/000964/index.php
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dass Aufgaben im Zuge von Umversetzungen von einer Behörde auf eine andere übertragen werden.32 3. Die elektronische Arbeitsweise ermöglicht und befeuert diese Form der Flexibilisierung und Individualisierung von Verwaltungsprozessen. Sie führt außerdem dazu, dass Verwaltungsverfahren in rasch wachsendem Umfang unter Einsatz behördenübergreifend eingesetzter IT-Verfahren vollzogen werden, die von zentralen Fachverfahrenspflegestellen entwickelt und gepflegt sowie über zentrale Rechenzentren bereitgestellt werden. In vielen Fällen bleibt dabei allerdings die Zuweisung der Daten zu einem Registraturbildner nach dem Kriterium der datenproduzierenden bzw. datenhaltenden Stelle grundsätzlich weiter möglich. Als Beispiel seien an dieser Stelle die erstmals im Jahr 2017 übernommenen Daten aus dem Personalverwaltungssystem VIVA genannt, die vom Bayerischen Landesamt für Finanzen, der zuständigen Verfahrenspflegestelle, zentral an die bayerische Archivverwaltung übergeben wurden. Tatsächlich handelte es sich dabei aber um Personenstammdaten nahezu aller personalverwaltenden Dienststellen in Bayern. Letztere haben daher auch als die eigentlichen Provenienzbildner zu gelten. Dies hatte im konkreten Fall zur Konsequenz, dass die Daten von vorneherein in einer Form übernommen wurden, die eine Aufteilung auf die jeweils zuständigen staatlichen Archive ermöglichte. Voraussetzung dafür war allerdings die Entscheidung, die Personendatensätze als Ersatz für die beziehungsweise als Ergänzung zu den früher in den Personalakten geführten Personalstammblättern als jeweils separate Datensätze zu archivieren. Eine Übernahme der Datenbank als in sich geschlossener Einheit wäre mit dem Provenienzprinzip hingegen nur schwer in Übereinstimmung zu bringen gewesen und hätte dazu gezwungen, sie an zentraler Stelle, sprich beim Bayerischen Hauptstaatsarchiv zu archivieren. Um sie dort in die Tektonik integrieren zu können, wäre dann aber eine Zuweisung zum Bestand des Landesamts für Finanzen erforderlich
32 Ein Beispiel hierfür wäre die IuK-Koordinierungsstelle der bayerischen Polizei. Schon mit Wirkung vom 1. Oktober 1986 wurde vom Bayerischen Staatsministerium des Innern eine Arbeitsgruppe „Informationssystem der Bayerischen Polizei“ (AG IBP) eingerichtet, die die Arbeitsgruppe „Innerer Dienstbetrieb“ ablöste. Die Leitung lag bei einem Mitarbeiter, der zunächst beim Präsidium der Bayerischen Grenzpolizei beschäftigt war, der mit seiner Sonderzuständigkeit später aber an das Polizeipräsidium München wechselte. 2001 wurden die Aufgaben der AG IBP auf die Arbeitsgruppe „Fachlichkeit“ (AG Fach) übertragen, mit deren Leitung ein Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Niederbayern/Oberpfalz betraut wurde.
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gewesen, in dessen Aufgabenbeschreibung zwar die Bezügeabrechnung, nicht aber die Personal- und Stellenverwaltung genannt wird.33 4. Welche Probleme in Zeiten einer zunehmenden Flexibilisierung der Verwaltungsarbeit auf die Archive tatsächlich noch zukommen werden, illustriert ein weiteres Beispiel. Dabei geht es um die Daten aus dem länder übergreifend eingesetzten Fachverfahren zur Genehmigung von Schwerlasttransporten VEMAGS, welches – ungeachtet der Tatsache, dass die Archivwürdigkeit der darin gespeicherten Informationen letztlich verneint wurde – in unserem Zusammenhang eine Reihe grundsätzlicher Fragen aufwirft.34 Diese Fachanwendung wird von den Antragstellern sowie von allen am Genehmigungsverfahren beteiligten Stellen aller Behördenebenen gemeinsam genutzt. Betroffene staatliche Einrichtungen in Bayern sind insbesondere die Landratsämter und Kommunen sowie die zuständigen Polizei- und Straßenverkehrsbehörden. Benutzt wird das System aber auch von vorgesetzten Stellen der Länder, etwa den Kreisregierungen.35 Da Schwertransporte oft größere Strecken zurücklegen, sind in vielen Fällen mehrere Städte und Landkreise gleichzeitig betroffen, mitunter sind auch mehrere Bundesländer involviert. Und weil sowohl die Genehmigungsbehörden als auch die mitwirkenden Stellen ihre relevanten Daten fallbezogen in das einheitliche Verfahren einpflegen, ist es im Nachhinein kaum noch möglich, die einzelnen Datensätze zweifelsfrei einem einzelnen Registraturbildner zuzuweisen. Eine Aufteilung der Daten ist damit ausgeschlossen, wäre – genau betrachtet – auch sinnlos, da damit immer nur Teile des Genehmigungsverfahrens dokumentiert werden könnten. 5. Aber auch dort, wo die elektronische Vorgangsbearbeitung und die elektronische Aktenführung nach den klassischen Regeln praktiziert werden, verändern sich die Ausgangsbedingungen nicht unerheblich. Die Trennung der Information vom Schriftträger führt nämlich dazu, dass in den sogenannten eAkte-Verfahren eine Trennung zwischen Primär- und Metainformationen erfolgt. Finden sich Ordnungs- und Registrier-Merkmale der Schriftgutverwaltung sowie Geschäftsgangsvermerke bei analogen Akten in aller Regel auf den Dokumenten, so werden diese in elektronischen Vorgangsbearbeitungssystemen als Metadaten im Hintergrund 33 Siehe die Aufgabenbeschreibung auf der Homepage des Landesamts für Finanzen, https:// www.lff.bayern.de/das_landesamt/aufgaben/index.aspx (aufgerufen am 5.1.2020). 34 Siehe hierzu die allgemeinen Informationen auf der Homepage des VEMAGS-Verbundes, https://www.vemags.de/informationen (aufgerufen am 5.1.2020). 35 Siehe hierzu die Informationen zum Anwenderkreis auf der Homepage des VEMAGSVerbundes, https://www.vemags.de/anwender (aufgerufen am 5.1.2020).
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gespeichert. Dies wirft die Frage auf, wie der für die Rekonstruktion des Entstehungszusammenhangs und des Bearbeitungsprozesses bedeutsame Konnex zwischen inhaltsbezogenen Primärinformationen und ordnenden beziehungsweise steuernden Metadaten auch bei der Aussonderung und der weiteren Aufbewahrung im Archiv konsistent erhalten werden kann. Besonders komplex gestaltet sich dieses Problem dabei in den keineswegs seltenen Fällen, in denen die elektronische Akte lediglich als Speicherkomponente innerhalb einer komplexen Systemlandschaft betrieben wird. Da die E-Akten in diesen Fällen oft nur die Primärinformationen enthalten, während die Bearbeitung in speziell dafür entwickelten Fachverfahren stattfindet, ist regelmäßig zu fragen, welche Metadaten zur Vervollständigung der elektronischen Akte benötigt werden und in welchen IT-Anwendungen diese gespeichert werden. Beispiele für derartige Systemlandschaften stellen etwa die elektronische Leistungsakte der Bundesarbeitsverwaltung oder die elektronische Steuerakte der Finanzverwaltungen des Bundes und der Länder dar.36 Dies erhöht die Komplexität der zur Übernahme dieser Akten erforderlichen Aussonderungsschnittstellen ganz beträchtlich und muss – nicht zuletzt wegen der drohenden Inkonsistenzen – im Ergebnis als fehlerträchtig eingestuft werden. D a s Pr ov e n i e n z p r i n z i p a l s G a r a n t v o n Au t h e n t i z i t ä t u n d In t e g r i t ä t Die Herausforderungen, die die moderne Verwaltungssteuerung und die elektronische Arbeitsweise für die Archive mit sich bringen, sind beträchtlich und erfordern archivischerseits geeignete Antworten. Wie gezeigt, ergeben sich nicht zuletzt bei der Anwendung des Provenienzprinzips neuartige Fragen und Probleme, die sich nicht ohne weiteres in einem vollständig befriedigenden Sinne lösen lassen. Andererseits darf nicht verkannt werden, dass das Provenienzprinzip in der archivischen Praxis schon vor Beginn der digitalen Transformation Anwendungsschwierigkeiten produziert hat. Klärungs- und Abstimmungsbedarf konnte und kann 36 Zum eAkte-Einsatz bei der Bundesarbeitsverwaltung siehe Bernhard Grau, Die Einführung der digitalen Leistungsakte bei der Bundesagentur für Arbeit und ihre Auswirkungen auf Bewertung und Überlieferungsbildung. In: Schmitt (wie Anm. 15) S. 201–209. – Ralf Lusiardi, Der Einsatz von eAkte-Systemen und IT-Fachverfahren in der Verwaltung – und seine Auswirkungen auf die Überlieferungsbildung. In: Archive und die Herausforderungen des digitalen Zeitalters. Landesarchivtag Sachsen-Anhalt 2014; Referate des Landesarchivtags in Merseburg am 7./8. Mai 2014, hrsg. von Ralf Jacob, Fulda 2015, S. 34–44.
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sich beispielsweise bei den nicht immer einfach zu beantwortenden Fragen ergeben, welche Einrichtungen überhaupt als selbständige Provenienzbildner und welche als zentrale respektive als regionale Stellen zu behandeln sind.37 So gesehen wird man die vorstehend diskutierten Probleme nicht als völlig ungewohnt bezeichnen können. Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die elektronische Arbeitsweise durchaus neue Wege und Möglichkeiten bietet, um mit Problemen der hier aufgezeigten Art umzugehen. Wie am Beispiel der Personalstammdaten der staatlichen Bediensteten erörtert, besteht zumindest bei Daten aus Fachanwendungen im Rahmen der Aussonderung grundsätzlich die Möglichkeit, die angebotenen Informationen in einer den archivfachlichen Grundsätzen angepassten Form und Struktur zu übernehmen. Zu diskutieren wäre die Anregung von Christian Keitel, der in seinen „Umrissen einer offenen und praktischen Archivwissenschaft“ die Ausschöpfung der erweiterten IT-technischen Möglichkeiten im Rahmen der archivischen Erschließung vorgeschlagen und dabei explizit die Ordnung und Strukturierung der Bestände nach dem Provenienzprinzip angesprochen hat. Indem er die Provenienz als Kontextinformation kategorisiert, stellt sich ihm die Frage, ob dieses Metadatum nicht um weitere Kontext informationen ergänzt werden kann, um so die gewohnte monohierarchische Strukturierung der Archivbestände zu einer multiperspektivischen Verknüpfung von Erschließungsinformationen zu erweitern.38 Dass dabei der klassische Zugang über die Beständetektonik und die Bestandsklassifikation gewährleistet bleiben muss, sollte nach dem eingangs Gesagten aber außer Frage stehen. Deutlich wird damit aber zumindest, dass die mit der digitalen Arbeitsweise einhergehenden Veränderungen und Erwartungshaltungen auch vor den Archiven selbst nicht Halt machen. So stellt sich beispielsweise die Frage, wie weit bei mehrgliedrigen Archivverwaltungen wie der bayerischen die exklusive Zugänglichmachung von elektronischen Unterlagen bei einem bestimmten Archiv beziehungsweise an einem bestimmten Archivstandort mittelfristig überhaupt noch zwingend erforderlich ist. Da die ins Archiv übernommenen elektronischen Daten regelmäßig in einem gemeinsam genutzten Digitalen Archiv, das heißt auf zentralen Rechnern gespeichert und die dazugehörigen Findmittelinformationen auf zentralen Plattformen zur Verfügung gestellt werden, drängt sich zumindest die Fra37 38
Siehe etwa Uhl (wie Anm. 12) S. 107–110. Keitel (wie Anm. 1) S. 180–186.
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ge auf, ob nicht auch die Nutzung der elektronischen Unterlagen dezentral an jedem der bestehenden Archivstandorte erfolgen kann. Sind einmal die technischen Voraussetzungen für eine gesetzeskonforme Online-Bereitstellung geschaffen, haben archivische Zuständigkeitsregelungen für den Benützer wohl ohnehin nicht mehr dieselbe Relevanz wie heute. Mit diesem Beitrag sollte deutlich gemacht werden, dass das Provenienzprinzip kein Leitbegriff ist, der sich rein mechanisch auf alle Probleme anwenden lässt, die sich dem Archivar von heute in der Praxis stellen. Wie in der Vergangenheit wird es vielmehr auch in Zukunft in Einzelfällen erforderlich sein, möglichst unter Ausnutzung der durch die IT-Technik eröffneten neuen Möglichkeiten praxisnahe und praktikable Lösungen zu entwickeln. Dies darf allerdings keineswegs zu der Auffassung führen, dass das Provenienzprinzip als archivtheoretisches und archivpraktisches Paradigma ausgedient hat. Eher ist vom Gegenteil auszugehen. Gerade im Fall der elektronischen Unterlagen erscheint eine Rückbesinnung auf dieses Prinzip mehr denn je vonnöten.39 Dies hat vor allem damit zu tun, dass der Erhalt der Integrität und Authentizität elektronischer Unterlagen völlig neue Herausforderungen mit sich bringt, da die klassischen Methoden der Echtheitsbestimmung anhand dokumentimmanenter Kriterien bei digitalen Daten nur noch bedingt in der Lage sind, zuverlässige Ergebnisse zu liefern.40 Dies macht es umso dringlicher, sowohl durch geeignete als auch transparente technische, personelle und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass das elektronische Archivgut nicht verfälscht und in seiner Aussagekraft gemindert wird, damit seine Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit auf Dauer erhalten bleiben. Logische Konsequenz dieser Erkenntnis ist, dass extrinsische Kriterien beim Nachweis der historischen Authentizität von elektronischen Dokumenten eine wesentlich größere Rolle spielen werden, als dies bei analogem Schriftgut bislang der Fall war. Wichtige Anforderungen, die die Archivtheorie aus dieser Erkenntnis bereits abgeleiSiehe dazu bereits Uhl (wie Anm. 12) S. 117–119. Bernhard Grau, Original – Archive und historische Authentizität. In: Original! Pracht und Vielfalt aus den Staatlichen Archiven Bayerns. Eine Ausstellung der Staatlichen Archive Bayerns im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 59), München 2017, S. 11–26. – Bernhard Grau, Authentizität als neues Paradigma – Wert und Nutzen der traditionellen archivischen Methoden im digitalen Zeitalter. In: Tobias Herrmann (Redaktion), Verlässlich, richtig, echt – Demokratie braucht Archive! 88. Deutscher Archivtag in Rostock (Tagungsdokumentationen zum Deutschen Archivtag 23), Fulda 2019, S. 133–144. 39 40
Das Provenienzprinzip im Zeitalter der elektronischen Verwaltungsarbeit
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tet hat, sind etwa lückenlose, transparente und jederzeit nachvollziehbare Übernahme- und Erhaltungsprozesse, die Festlegung der signifikanten und auf Dauer zu erhaltenden Eigenschaften der archivierten Unterlagen, vor allem aber auch die Dokumentation des Entstehungs- und Herkunftszusammenhanges, der unter anderem durch die Registratur- und Geschäftsgangsvermerke sowie durch die den einzelnen Dokumenten übergeordneten Verknüpfungen gestiftet wird. Insofern die hierfür erforderlichen Metadaten in den Herkunftssystemen nicht bereits in elektronischer Form zur Verfügung stehen, ist es geboten, entsprechende Zusatzinformationen im Rahmen des Aussonderungs- und Übernahmeprozesses zu erheben und in geeigneter Form zu dokumentieren. Ohne Informationen dieser Art wird es in Zukunft kaum möglich sein, die Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Aussagekraft der in den Archiven verwahrten Archivalien sicher zu beurteilen. Es spricht deshalb alles dafür, dass der Provenienzgrundsatz auch in Zukunft nicht nur als Ordnungsprinzip von Bedeutung bleibt, sondern mehr noch als bisher dazu beiträgt, die Authentizität des elektronischen Archivguts auf Dauer zu erhalten. Seine von Gerhard Leidel pointiert herausgearbeiteten Funktionen als Erkenntnisprinzip der Archivtheorie und als Handlungsmaxime der archivischen Praxis stehen daher nicht ernsthaft zur Debatte.
Vom Arkanum zur Transparenz. Archive und Rechtsordnungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert Von Hans-Joachim Hecker Im vorgegebenen Rahmen lässt sich das Problem eines Wandels vom Arkanum zur Transparenz bezüglich der Archive im 19. und 20. Jahrhundert nur schlaglichtartig behandeln, zumal wenn dies auch vor dem Hintergrund des jeweiligen Staatsverständnisses gesehen werden soll.1 Inhaltlich soll sich der Beitrag anhand der bayerischen Rechtslage auf das „Dauerthema“ des Zugangs zu den Archiven beschränken, womit die sich wandelnde Funktion der Archive zwangsläufig mit angesprochen wird. Organisationsgeschichtliche Betrachtungen sind ausgeblendet, da diese für die gewählte Fragestellung zu kurz greifen würden. Es werden die im politischen Raum besonders strittigen Rechtsfragen der nichtstaatlichen Archivbenutzung im 19. Jahrhundert und im Kontrast hierzu die zeitgenössische Diskussion des Zugangs Privater zu den Archiven im Kontext des Zugangs zu staatlichen Informationen überhaupt gegenübergestellt. „Fragen des Archivs sind Fragen der Macht“2: So formuliert es treffend Ulrich Raulff in dem von ihm mitherausgegebenen „Handbuch Archiv“ in seinem programmatischen Beitrag „Gedächtnis und Gegengedächtnis: das Archiv zwischen Rache und Gerechtigkeit“. Wenn es um Machtfragen geht, gibt es Konflikte, und dann geht es auch um Rechtsfragen. Diese Rechtsfragen berühren im 19. und 20. Jahrhundert den Zugang zu den Archiven. Welcher Personenkreis darf wofür Einsicht in das Archivgut nehmen? Die jeweils unterschiedlichen Antworten hängen z.T. auch davon ab, welche Funktion die Archive jeweils für die Verwaltung ihres Trägers hatten. Mit dem pointierten Satz von Raulff sind die besonderen rechtlichen Verfasstheiten des Archivwesens für das 19. und 20. Jahrhundert insofern Grundlegend Bernhard Wegener, Der geheime Staat. Arkantradition und Informationsfreiheitsrecht, Göttingen 2006. 2 Ulrich Raulff, Gedächtnis und Gegen-Gedächtnis: das Archiv zwischen Rache und Gerechtigkeit. In: Marcel Lepper – Ulrich Raulff (Hrsg.), Handbuch Archiv. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, Stuttgart 2016, S. 117–124, hier S. 123. 1
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gut getroffen, als in diesen beiden Jahrhunderten gegenüber der Zeit vorher die Archive sich von der nahezu ausschließlich der Verwaltung, und damit im Prinzip dem Monarchen, dienenden Rolle emanzipierten und sich einem, allerdings zunächst sehr beschränkten, externen Benutzerkreis öffneten. Die Machtfrage über den Zugang zum staatlichen Wissen war gestellt, denn das Speichern und Sammeln von Wissen erfolgte im 19. Jahrhundert in Institutionen, die in diesem Jahrhundert entstanden oder neue Formen erhielten: etwa Museen, Archive, Nationalbibliotheken oder auch Einrichtungen der wissenschaftlichen Statistik. Daraus hat Jürgen Osterhammel, der diese Einrichtungen „Erinnerungshorte“ nennt, den Schluss gezogen: „Das 19. Jahrhundert war eine Epoche organisierter Erinnerung und zugleich gesteigerter Selbstbeobachtung.“3 Wie reagierte das Recht auf diese Entwicklung einer organisierten Erinnerung im 19. Jahrhundert? In seinen Abhandlungen über Archivrecht und Archivwesen von 1847 ging der bayerische Jurist und Archivar Nathanael von Schlichtegroll (1794–1859) auch auf die Archivbenutzung ein. Unter der Überschrift „Praktische Bemerkungen über die Normen zur Benutzung der Landesarchive für öffentliche und Privatzwecke“ stellte er fest, dass für die Registraturen der Gerichte und Ämter sowie für die Landesarchive das Amtsgeheimnis die Regel sei. Als rechtliche Begründung diente Schlichtegroll das Eigentumsrecht des Staates an Archiven und Registraturen, wie es Titel III der Verfassung von 1818 bestimmte. Archive und Registraturen waren unveräußerliches Staatsgut.4 Für die Benutzung der Archive weist Schlichtegroll deshalb auf das Amtsgeheimnis hin, damit „nicht durch unbefugte Mittheilung und Einsicht das öffentliche Wohl oder die Rechte der Privaten beeinträchtigt werden.“5 Nicht nur zulässig, sondern geboten sei die Benutzung durch den Staatsbürger aber, wenn dies „zum Schutz seiner Rechte ... und zur Realisirung des Rechtszustandes im Staate im Allgemeinen, so wie zur Erzielung einer höheren Wohlfahrt der sämmtlichen Staatsangehörigen, wie sie die Idee des Staats und der
Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2011, S. 26, 31. – Siehe auch die Qualifikation von Bibliothek und Archiv als „Wissensorte“ bei Markus Friedrich – Helmut Zedelmaier, Bibliothek und Archiv. In: Marianne Sommer – Staffan Müller-Wille – Carsten Reinhardt (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart 2017, S. 265–275, hier S. 273 f. 4 Nathanael von Schlichtegroll, Abhandlungen über Archivrecht und Archivwesen. In: Zeitschrift für die Archive Deutschlands 1 (1847) S. 205–244, hier S. 236. 5 Ebd. S. 236. 3
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Staatsverwaltung zur Pflicht macht“6, diene. Schlichtegroll lässt bei Akten und Urkunden, die nicht Privatrechtsverhältnisse betreffen, auch eine Benutzung zu historischen Zwecken zu.7 Bei den die Rechte Privater, der anderen Benutzergruppe, betreffenden Urkunden habe die Benutzung nicht nach Archivrecht, sondern nach den Regeln der Edition (also der Herausgabe) von Urkunden, wie es der Zivilprozesskodex Kreittmayrs in Kapitel 11 § 6 vorschreibe, zu erfolgen. Danach konnte eine Prozesspartei von einem Dritten, also auch von einem Archiv, eine Urkunde herausverlangen. Wenn man aber das Prozessrecht als alleinige Rechtsgrundlage ansah, war der Antragsteller wegen mehrerer Einschränkungen schlechter gestellt als andere Archivbenutzer. Denn die Urkunde musste nach den Regeln des Prozessrechts genau bezeichnet werden, weitergehendes Verlangen, also die Klärung, ob überhaupt prozessrelevante Archivalien vorhanden seien, galt als ein unzulässiger Ausforschungsbeweis. Daran hielt auch die bayerische Zivilprozessordnung von 1869 in den Art. 386 ff. fest.8 Heute ist Ebd. S. 236. Zur historischen Forschung des 19. Jahrhunderts in den Archiven jüngst: Philipp Müller, Das neue Gesicht aus dem alten Archiv. Geschichtsforschung und Arkanpolitik in Mitteleuropa ca. 1800 – ca. 1850. In: Historische Zeitschrift 299 (2014) S. 36–69. – Ders., Vom „Hauptzweck“ des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien. Joseph Knechtl über Leopold von Rankes Gesuch um Benutzung des zentralen Archivs der habsburgischen Monarchie. In: Archivalische Zeitschrift 93 (2013) S. 71–90, hier S. 89. – Ders., Geschichte machen. Historisches Forschen und die Politik der Archive, Göttingen 2019. – Siehe auch J. Friedrich Battenberg, Der Funktionswandel der Archive vom 18. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. In: 50 Jahre Verein deutscher Archivare. Bilanz und Perspektiven des Archivwesens in Deutschland. Referate des 67. Deutschen Archivtags 1996 in Darmstadt (Der Archivar, Beiband 2), Siegburg 1997, S. 101–114. – Ders., Der Funktionswandel des Archivwesens im frühen 19. Jahrhundert. Das Beispiel Hessen-Darmstadt. In: Volker Rödel (Hrsg.), Umbruch und Aufbruch. Das Archivwesen nach 1800 in Süddeutschland und im Rheinland (Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg Serie A, Heft 20), Stuttgart 2005, S. 281–297. – Reinhard Heydenreuter, Archive zwischen Staatsräson und Geschichtswissenschaft: Zur bayerischen Archivgeschichte zwischen 1799 und 1824. In: Hermann Rumschöttel – Erich Stahleder (Hrsg.), Bewahren und Umgestalten. Aus der Arbeit der Staatlichen Archive Bayerns. Walter Jaroschka zum 60. Geburtstag (Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern, Sonderheft 9), München 1992, S. 20–33, hier S. 29–33. – Peter Wiegand, Etappen, Motive und Rechtsgrundlagen der Nutzbarmachung staatlicher Archive. Das Beispiel des sächsischen Hauptstaatsarchivs 1834–1945. In: Archivalische Zeitschrift 91 (2009) S. 9–57. 8 Joseph Huggenberger, Die Pflicht zur Urkundenedition nach der Reichscivilprozeßordnung und dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Mit einer historischen Einleitung und einem Anhange: Die Archivbenützung, München 1889, S. 14 f. 6 7
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dies in den §§ 432 und 421 Zivilprozessordnung (ZPO) sowie in § 810 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit seinen engen Voraussetzungen für das Herausgabeverlangen geregelt.9 Schlichtegroll unterschied weiter unter Bezug auf Kreittmayrs Zivilprozesskodex zwischen dem aktiven und dem passiven ius archivi. Das erstere beinhalte das Recht, ein Archiv zu unterhalten, was nach Schlichtegroll, jedermann zustand. Das zweite gab der Urkunde „ein Vorzugsrecht im gerichtlichen Beweisverfahren“, aber nur wenn die Urkunde in einem öffentlichen Archiv, d.h. im Archiv des Staates oder im Archiv einer vom Staat anerkannten Behörde aufbewahrt wurde.10 Die Bedeutung des ius archivi nahm freilich ab, da die Beweiskraft einer Urkunde immer mehr von den Regeln ihrer Ausfertigung und nicht von ihrem Aufbewahrungsort abhing. Welche staatlichen Regelungen gab es für den Zugang zu den einzelnen Archiven in Bayern? Bei der Benutzung der Archive wurden in Bayern schon in dem Reglement von 1817 das Haus- und das (Geheime) Staatsarchiv ausgenommen. Für das Reichsarchiv gab es detaillierte Regelungen hinsichtlich der Benutzung durch Behörden und den Generalfiskalat. Eine Benutzung durch andere Stellen oder Private konnte zunächst nur vom Ministerium des königlichen Hauses und des Äußeren bewilligt werden.11 Durch Ministerialentschließung vom 20. November 186912 wurde geklärt, dass auch bei einer Beteiligung des Fiskus eine Versagung der Einsicht in Urkunden nicht in Frage kommt, wenn die betreffenden Urkunden und Akten gemeinschaftliche sind. Weiter bestünden keine Bedenken, wenn der Rechtsstreit erledigt sei oder wenn, bei älteren Akten, die neuere Christine Osterloh-Konrad, Der allgemeine vorbereitende Informationsanspruch. Zivilrechtliche Auskunfts- und Rechenschaftsansprüche und ihre Funktion im Zivilprozess (Münchener Universitätsschriften 214), München 2007, S.40–48. – Christiane Birr, §§ 809–811. Vorlegung von Sachen. In: Matthias Schmoeckel – Joachim Rückert – Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Band 3, Schuldrecht: Besonderer Teil §§ 433–853, 2. Teilband: §§ 657–853, Tübingen 2013, S. 2558–2577. – Siehe auch Hans Schlieckmann, Die Urkundenedition von Seiten Dritter nach der Reichs-Civilprozessordnung, Diss. jur. Halle a.S. 1896, S. 50–53. – Ernst Siegel, Die Vorlegung von Urkunden im Prozeß (Abhandlungen zum Privatrecht und Civilprozeß des Deutschen Reiches 12,2), Jena 1904, S. 236–240. 10 Schlichtegroll (wie Anm. 4) S. 210 f. 11 Karl Weber, Neue Gesetz- und Verordnungen-Sammlung für das Königreich Bayern, Band 1, Nördlingen 1880, S. 542 f. 12 Weber, Neue Gesetz- und Verordnungen-Sammlung (wie Anm. 11), Band 8, 1888, S. 425. 9
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Gesetzgebung „die betreffenden Rechtsverhältnisse inzwischen vollständig umgestaltet hat.“ Außerdem spiele die Verjährung eine Rolle, denn nach dreißig Jahren würden alle Klagen erlöschen, sehe man von der außerordentlichen Aquisitionsverjährung gegen Stiftungen ab. Eine hundertjährige Frist verlange nur das kanonische Recht bezüglich der Ersitzung bei Gütern der römischen Kirche. Durch die Verjährungsgesetze von 1811 und 1831 sei der Fiskus gegen „Ansprüche aus der Vorzeit“ geschützt. Dies erlaube eine „freiere Benützung der Archive zu historischen Arbeiten.“ Hintergrund dieser Fragen war, dass der Fiskus als eine in Vermögensfragen eigene Rechtspersönlichkeit – unabhängig vom Staat als Hoheitsträger – angesehen wurde.13 Nach der Ministerialentschließung von 1873 hatte das Reichsarchiv bei Gesuchen und der Auswahl der vorzulegenden Archivalien bei historischer Fragestellung „das Interesse der Religion, der Sittlichkeit und der Staatsordnung sorgsam zu wahren“ sowie Rücksicht auf lebende Personen und bestehende Familien zu nehmen. Besondere Sorgfalt war angezeigt, wenn es um Themen der letzten zweihundert Jahre oder um Rechtsverhältnisse des Staates ging. In solchen Fällen musste das Benehmen mit den zuständigen Stellen hergestellt werden.14 Für die Benutzung zu rechtlichen Zwecken durch „Private, Gemeinden und Stiftungen“ wurde 1876 bei „Ermittlung oder Klarstellung von Rechtsverhältnissen“ die Entscheidung dem Reichsarchiv überlassen. Die ministerielle Genehmigung war vorgeschrieben bei „Interessen des Staates politischer oder administrativer Natur.“ Bei einem fiskalischen Interesse des Staates war das zuständige Fiskalat einzuschalten.15 Gerade dieses fiskalische Interesse des Staates – weniger die historische Forschung – bei verwehrtem Archivzugang führte zu politischem Streit. 1878 beschäftigte diese Problematik die Kammer der Abgeordneten.16 EiJ. von Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 1 – Allgemeiner Teil §§ 80–89, Berlin, Neubearbeitung 2017, § 89 Rdnr. 9 (Rainer Hüttemann – Peter Rawert). – Julius Hatschek, Die rechtliche Stellung des Fiskus im Bürgerlichen Gesetzbuche. Eine Studie im Grenzgebiete des Privat- und öffentlichen Rechts. In: Verwaltungsarchiv 7 (1899) S. 424–480. – Zur älteren Entwicklung Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Band 1, Älteres gemeines Recht (1500 bis 1800), München 1985, S. 266 f. 14 Weber, Neue Gesetz- und Verordnungen-Sammlung (wie Anm. 11), Band 10, 1889, S. 137 f. 15 Weber, Neue Gesetz- und Verordnungen-Sammlung (wie Anm. 11), Band 11, 1889, S. 464. 16 Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten 1878/79 Stenographische Berichte III, Nr. 61, S. 45–56. 13
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ner Kirchengemeinde war auf Grund der ablehnenden Stellungnahme des Kreisfiskalats die Einsicht in Urkunden bezüglich bestimmter Hand- und Spanndienstpflichten vom Kreisarchiv verweigert worden. Sie wandte sich daher mit einer Petition an den Landtag. Die Frage stand im Raum, ob die zivilprozessrechtlichen Vorschriften allein maßgeblich seien und ob ein Archiv zwar für historische und literarische Forschungen offen sei, aber nicht für „Gegner des Staats“, die im Archiv Rechtsbehelfe und Rechtstitel gegen das (fiskalische) Interesse des Staats finden wollten. Da der Fiskus als Privatrechtssubjekt agiere, sei das Archiv wie das Archiv einer Privatperson anzusehen. Dies sah die Mehrheit des Petitionsausschusses anders. Hier gehe es nicht um eine bestimmte Urkunde, sondern darum, ob überhaupt relevante Urkunden vorhanden seien. Diese Benutzung müsse ermöglicht werden. Damit stand die Frage im Raum, inwieweit die Archive dem Staatsbürger allgemein zugänglich gemacht werden sollten und ob das Fiskalat dies verhindern könne. Kritisiert wurde, dass bei rein vermögensrechtlichen Interessen des Fiskus dieser die Archivbenutzung verhindern könne, auch wenn das Wohl des Staates als einer völkerrechtlichen Korporation nicht berührt sei. Die Versagung einer Benutzung aus letzterem Grunde wurde auch von den Abgeordneten als selbstverständlich angesehen. Der Staatsminister des Inneren, von Pfeufer, führte arbeitsökonomische Gründe an, da eine vorherige Prüfung von 213 Foliobänden erforderlich sei und verwies auf die zivilprozessrechtlichen Regelungen. Auch der Vertreter des Fiskus, Ministerialkommissär Bischoff, berief sich auf das Zivilprozessrecht, da der Fiskus hier als Privatrechtssubjekt agiere. Sein Hinweis auf eine bisherige liberale Praxis rief bei den Abgeordneten Heiterkeit hervor. Als er vom Fiskus sprach, erschollen die Zurufe „Staat“ und „Wir reden hier vom Staat.“ Der Dualismus Staat – Fiskus, wonach Staat und Fiskus zwei verschiedene juristische Personen seien, war inzwischen angesichts eines neuen Staatsverständnisses in Frage gestellt worden. Dem Antrag des Petitionsausschusses, dass die Staatsregierung Vorschriften erlassen solle, dass jeder Staatsangehörige die Archive benutzen könne, wie es auch dem Fiskus möglich sei, wurde zugestimmt. Dieser Auffassung trat der Jurist und Archivar Joseph Huggenberger in seiner juristischen Dissertation von 1889 mit dem Titel „Die Pflicht zur Urkundenedition nach der Reichscivilprozessordnung und dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich“ entgegen. Er widmete der Archivbenutzung ein eigenes Kapitel. Für ihn galt der Grundsatz: „Die Zulassung der Benützung durch einen Privaten ist
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dem Ermessen der Staatsregierung anheimgestellt.“17 Zwei Zwecke für die Einrichtung von Archiven durch den Staat gab es laut Huggenberger: 1) „Aufbewahrung und Erhaltung der eigenen Rechtsdokumente“ und 2) „Erfüllung derjenigen Aufgaben, welche ihm als modernem Kulturstaat obliegen.“ Für den ersten Archivzweck würden die zivilrechtlichen Vorschriften gelten, da auch der Privatmann nicht zur Offenlegung seiner Unterlagen verpflichtet sei. Die Dokumente in den Archiven seien Eigentum des Staates und würden vom Staat hauptsächlich aufgehoben, um seine eigenen Rechtsansprüche beweisen zu können. Die Staatsregierung habe nicht Archive errichtet, damit Dritte mit Hilfe der Archivalien „Ansprüche gegen das Staatsvermögen geltend machen können.“18 Dezidiert wandte er sich damit gegen die Auffassung der Kammer der Abgeordneten von 1878. 1876 erging eine neue Regelung bezüglich der Archivbenutzung durch Private, Gemeinden und Stiftungen zu rechtlichen Zwecken.19 Das Reichsarchiv konnte allein entscheiden, es sei denn, dass „Interessen des Staates politischer oder administrativer Natur berührt erscheinen.“ Unklar bleibt, wer gemeint ist, wenn es heißt: „Persönlichkeiten, welche hinsichtlich ihrer vollen Verlässigkeit Anlaß zu Bedenken geben, bleiben von der Benützung der Archive ausgeschlossen.“ 1899 kam es zu einer völligen Neuregelung, die den Beifall der deutschen Historiker hervorrief. Die Landesarchive standen nun generell auch Privaten für historische Forschungen und rechtliche Zwecke zur Verfügung. Für die Zeit vor 1801 konnte die Benutzung vertrauenswürdigen Personen nur versagt werden, wenn die Veröffentlichung das Staatswohl, den religiösen Frieden oder die gute Sitte verletzen könnte. Für die Zeit danach kam als zusätzlicher Versagungsgrund noch das Vorhandensein sonstiger erheblicher Gründe hinzu. Wenn eine weitere Stelle zustimmen musste, konnte die Zustimmung nur bei gewichtigen Ursachen versagt werden. Unzulässig war es, die Zustimmung zu verweigern, wenn aus der Einsichtnahme Rechtsansprüche gegen Fiskus oder prozessrechtliche Nachteile erwachsen könnten. Damit war die bisherige unbefriedigende Situation, die ja nicht nur Private, sondern auch Kommunen und Stiftungen betraf, im liberalen
Huggenberger (wie Anm. 8) S. 61. Ebd. S. 64 f. 19 Weber, Gesetz- und Verordnungen-Sammlung (wie Anm. 11), Band 11, 1889, S. 464. 17 18
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Sinn geklärt. Auch war es nicht zulässig, den Benutzer auf § 810 BGB als alleinige Möglichkeit zu verweisen.20 Im Folgenden soll die Gegenwart, geprägt durch ein anderes Verfassungs- und insbesondere Grundrechtsverständnis in den Blick genommen werden. Den Dualismus Staat – Fiskus gibt es nicht mehr. Der Staat hat lediglich verschiedene Handlungsformen, nämlich öffentlich-rechtliche und zivilrechtliche. Die Ablehnung einer Benutzung wegen fiskalischer Interessen ist ausgeschlossen. Es bestehen weiter, grundrechtlich sehr stark abgesichert, die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit sowie die Informationsfreiheit. Die sogenannte Informationsgesellschaft und die Digitalisierung des Verwaltungsablaufs haben neue Fragen und auch schon Antworten von juristischer Seite, sowohl von der Wissenschaft als auch von der Rechtsprechung, hervorgebracht. Eine traditionelle verwaltungsbezogene Auffassung konstatiert KarlHeinz Ladeur im Handbuch „Grundlagen des Verwaltungsrechts“. Er geht davon aus, dass immer noch die Vorstellung vorherrsche, dass Archive Herrschaftswissen speichern und deshalb dem Arkanbereich der Verwaltung zuzurechnen seien, obwohl angesichts des Übergangs zu einer Verwaltung der „Wissensgesellschaft“ der Gebrauch der Archive dynamisiert werden müsste.21 Ladeur sieht hier wohl ein vermeintliches Defizit der Archive und stützt sich dabei stark auf die Forschungen der Juristin und Medienwissenschaftlerin Cornelia Vismann.22 Bezeichnenderweise steht Ladeurs Beitrag zu den Archiven in dem genannten Handbuch im Abschnitt „Kommunikationsinfrastruktur der Verwaltung“, nicht etwa im Abschnitt „Informationsbeziehungen zwischen Staat und Einzelnen“. Ladeur kommt zu dem Ergebnis: „Die Archive werden für die Ziele der öffentlichen Verwaltung im Nachhinein wenig benutzt. Im Vordergrund steht aus administrativer Sicht die Verhinderung der Nutzung durch externe Dritte.“23 Und dies obwohl auch seiner Meinung nach heute eine
Weber, Gesetz- und Verordnungen-Sammlung (wie Anm. 11), Band 26, 1900, S. 670– 673. 21 Karl Heinz Ladeur, Die Kommunikationsstruktur der Verwaltung. In: Wolfgang Hoffmann-Riem – Eberhard Schmidt-Assmann – Andreas Vosskuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 2, 2. Aufl. München 2012, S. 35–105, hier S. 58. 22 Cornelia Vismann, Akten. Medientechnik und Recht (Fischer 14927), 3. Aufl. Frankfurt am Main 2011. 23 Ladeur (wie Anm. 21) S. 63. 20
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„allgemeine Zugänglichkeit für jedermann“ bestehen solle.24 Die Verfechter eines möglichst umfassenden Informationsfreiheitsanspruchs des Bürgers vertreten das ja ganz entschieden auch für den Zugang zu Archivgut. Vor allem Friedrich Schoch, Verfasser des maßgebenden Kommentars zum Informationsfreiheitsrecht, sieht in dem in den Archiven befindlichen Archivgut eine allgemein zugängliche Quelle im Sinne des Art. 5 GG.25 Hochrangige und für die öffentliche Verwaltung verbindliche Unterstützung hat Schoch in diesem Punkt durch das Bundesverfassungsgericht erfahren. Das Bundesverfassungsgericht hat dies unter Berufung auf Schoch ausdrücklich festgestellt (Beschluss vom 20. Juni 2017): „Informationsfreiheit schützt den Zugang zu allgemein zugänglichen Informationsquellen. ... Allgemein zugänglich ist eine Informationsquelle dann, wenn sie geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen. ... Das Grundrecht gewährleistet insoweit grundsätzlich nur das Recht, sich ungehindert aus einer solchen für die allgemeine Zugänglichkeit bestimmten Quelle zu unterrichten. Fehlt es an dieser Bestimmung, ist die Informationsbeschaffung in der Regel nicht vom Grundrecht der Informationsfreiheit geschützt. ... Dementsprechend umfasst das Grundrecht ein gegen den Staat gerichtetes Recht auf Informationszugang jedenfalls dann, wenn eine im staatlichen Verantwortungsbereich liegende Informationsquelle auf Grund rechtlicher Vorgaben zur öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist. ... Legt der Gesetzgeber die grundsätzliche Zugänglichkeit von staatlichen Vorgängen und damit zugleich deren Öffnung als Informationsquelle fest, wird in diesem Umfang auch der Schutzbereich der Informationsfreiheit eröffnet. ... § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG eröffnet demnach grundsätzlich einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 2 GG“. Dies gelte grundsätzlich, „sofern der Gesetzgeber nicht eine ‚bereichsspezifische strikte Begrenzung‘ des Informationszugangs vorgenommen hat.“26 24 Ebd. S. 60. – Ladeur selber vertritt hinsichtlich des Wissens die Theorie einer Netzwerkgesellschaft. Dazu Thomas Vesting, Staatstheorie (Juristische Kurz-Lehrbücher), München 2018, S. 179 ff. 25 Friedrich Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2. Aufl 2016, Einleitung Rdnrr. 283– 286; § 13 Rdnrr. 18–33. – So schon Jochen Frowein, Archive und Verfassungsordnung. In: Archive und Herrschaft. Referate des 72. Deutschen Archivtags 2001 in Cottbus. Redaktion: Jens Murken (Der Archivar, Beiband 7), Siegburg 2002, S. 9–26. 26 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Band 145 (2018), Beschluss vom 20. Juni 2017, S. 365–380, hier S. 372–373, Rdnrr. 20 f.
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Diese Rechtsprechung lässt sich auch auf die Archive übertragen. Zwar verlangen manche Archivgesetze immer noch das „berechtigte Interesse“, woraus man schließen könnte, dass der vom Bundesverfassungsgericht verlangte voraussetzungslose Anspruch für die Allgemeinzugänglichkeit nicht gegeben sei. Doch ist der unbestimmte Rechtsbegriff des „berechtigten Interesses“ zu Recht in der archivischen Praxis sehr eng ausgelegt worden. Denn diese Bestimmung ist ein Relikt aus der Zeit, als der Primärzweck der Archive Erhaltung und Bewahrung der Archivalien und die Nutzung durch Externe zweitrangig gewesen sind, während beim heutigen gesellschaftlichen und rechtlichen Verständnis die öffentliche Nutzung im Vordergrund steht, wie es die Rechtswissenschaftlerin Sophie-Charlotte Schönberger in ihrer Habilitationsschrift von 2012 „Öffentliches Kulturrecht“ sieht.27 Ansonsten würde vom Archiv eine rechtlich unzulässige Inhaltskontrolle vorgenommen. Demgemäß wird heute zutreffend argumentiert, dass das „berechtigte Interesse“ lediglich zur Verhinderung von Missbrauch diene.28 Die in den öffentlichen Archiven befindlichen Unterlagen sind daher im Prinzip als allgemein zugängliche Quellen im Sinne des Artikel 5 Grundgesetz anzusehen. Insofern ist der Archivbenutzungsanspruch im Anschluss an Johannes Masing als ein „prokuratorischer Anspruch“ anzusehen, bei dem auch bei einem Privatinteresse des Benutzers die Wahrnehmung eines öffentlichen Interesses vorliegt. Der Bürger übernimmt die Stellung eines Sachwalters und erhält den „status procuratoris“.29 Sophie-Charlotte Lenski (Schönberger), Öffentliches Kulturrecht. Materielle und immaterielle Kulturwerke zwischen Schutz, Förderung und Wertschöpfung (Jus Publicum. Beiträge zum öffentlichen Recht 220), Tübingen 2013, S. 260 f. (zugleich Habil.-Schrift 2012). – Siehe auch Peter Collin, Die archivrechtliche Regulierung des Zugangs zu öffentlichen Informationen. In: Thomas Dreier – Veronika Fischer – Anne van Raay – Indra Spiecker gen. Döhmann (Hrsg.), Informationen der öffentlichen Hand. Zugang und Nutzung (Studien zur Informationsfreiheit 3), Baden-Baden 2016, S. 209–228, hier S. 213 f. 28 Lenski (Schönberger) (wie Anm. 27) S. 260 f. – Bartholomäus Manegold, Archivrecht. Die Archivierungspflicht öffentlicher Stellen und das Archivzugangsrecht des historischen Forschers im Licht der Forschungsfreiheitsverbürgung des Art. 5 Abs. 3 GG (Schriften zum Öffentlichen Recht 874), Berlin 2002, S. 258. 29 Johannes Masing, Der Rechtsstatus des Einzelnen im Verwaltungsrecht. In: HoffmannRiem – Schmidt-Assmann – Vosskuhle, Grundlagen (wie Anm. 21) Band 1, 2. Aufl. München 2012, S. 437–542, hier S. 472, 499–502. – Hans-Joachim Hecker, Kommunales Archivrecht. In: Dorit-Maria Krenn – Michael Stephan – Ulrich Wagner (Hrsg.), Kommunalarchive – Häuser der Geschichte, Würzburg 2015, S. 367–379, hier S. 373. – In diese Richtung für das Bundearchivgesetz auch Christoph Partsch – Norman Ko27
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Der Rechtswissenschaftler Bardo Fassbender geht im von Josef Isensee und Paul Kirchhof herausgegebenen mehrbändigen „Handbuch des Staatsrechts“ auf die Bedeutung der Archive im Kapitel „Wissen als Grundlage des staatlichen Handelns“ und dort im Unterabschnitt „Der Zugang der Gesellschaft zum Wissen des Staates“ und im Kapitel „Instrumente und Ressourcen: Die Hervorbringung, Bewahrung und Aktualisierung staatlichen Wissens“ ein. Für Fassbender bedarf „jede Beschränkung des Zugangs der Bürger zum Wissen des Staates“ einer Begründung.30 Geheimhaltung müsse im freiheitlichen Staat auf das „unverzichtbare Maß“ beschränkt werden.31 Er unterscheidet dann drei Arten des Wissens: Das staatliche Wissen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Zwar behandelt er die Archive beim Wissen der Vergangenheit, betont aber, dass die Archive auch dem „Wissen der Zukunft im eigentliche Sinne“ dienen. „Denn niemand weiß, welche neue Antworten künftige Zeiten dem alten Material entnehmen werden.“32 Zwar ist der Staat zu einem rationalen Umgang mit seinem Wissen verpflichtet, dürfe aber nicht zu Geschichtsfälschung greifen, auch nicht zu vorgeblich „guten Zwecken“. Die Ansicht des französischen Philosophen Ernest Renan, historische Forschung könne gefährlich sein, weil sie die „auf Vergessen und historischen Irrtum beruhende nationale Identität in Frage stelle“, dürfe nicht dazu führen, eine staatliche Beeinflussung der Forschung zu legitimieren. Denn „welche Akten deutscher Staatsarchive etwa ein Historiker heranzieht und wie er sie interpretiert, ist ihm selbst überlassen, da von seiner Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) umfaßt.“33 Für Fassbender gibt es daher auch eine staatliche „Aufgabe der Bewahrung des Wissens im Wechsel der staatlichen Ordnung“, also eine Verbot der umfassenden Aktenvernichtung, wobei er beispielhaft die Jahre 1803/06, 1945 und 1989/90 nennt.34 Die heutige rechtliche Einordnung der Archive durch die Rechtswissenschaft greift z.T. einen kulturwissenschaftlichen Ansatz auf und sieht die Archive als einen Teil des kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft im schmieder, Der archivrechtliche Zugangsanspruch nach der Novelle des BArchivG. In: Neue Juristische Wochenschrift 70 (2017) S. 3416–3422, hier S. 3416. 30 Bardo Fassbender, Wissen als Grundlage staatlichen Handelns. In: Josef Isensee – Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 4: Aufgaben des Staates, 3. Aufl. Heidelberg 2006, S. 243–312, hier S. 283. 31 Ebd. S. 285. 32 Ebd. S. 287. 33 Ebd. S. 289. 34 Ebd. S. 264–267.
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Sinne von Alaida und Jan Assmann. Herangezogen werden auch die medientheoretischen Überlegungen der schon genannten Juristin und Medienwissenschaftlerin Cornelia Vismann sowie des Medienwissenschaftlers Wolfgang Ernst.35 Dabei schlagen die Juristen auch die Brücke zu Savigny mit seiner Volksgeistlehre, für den „der Sitz des Rechts das gemeinsame Bewusstseyn des Volkes“ ist, so dass Archiv und Recht gleichermaßen der Sitz des kulturellen Gedächtnisses sind, so die Rechtswissenschaftlerin Anna-Bettina Kaiser im schon genannten Handbuch Archiv.36 Letztlich sind wegen der sozialen Kontextgebundenheit bereits die juristischen Begriffe Erfahrungen in einem historischen Traditionszusammenhang, also auch Träger historischen Wissens.37 Für Ino Augsberg, Jurist und Philosoph, sind in seiner juristischen Ha bilitations-Schrift „Informationsverwaltungsrecht“ von 2013 Archive, Akten und Register schlechthin die Wissensspeicher der Verwaltung. „Das Gedächtnis der Verwaltung als Teil des administrativen Wissensmanage ment“38 fordere eine Bestimmung des Orts der Archive in diesem administrativen Wissensmanagement. Mit Thomas Groß, auf den Augsberg verweist39, kann man die Archive den Kategorien des behördlichen Informationsaustausches und gleichzeitig auch in die der staatlichen, d.h. öffentlichrechtlichen, Forschungseinrichtungen zuordnen.40 Augsberg konstatiert wegen der Digitalisierung gegenüber der herkömmlichen Speicherung des Wissens einen Paradigmenwechsel, der sowohl den „allgemeinen Gedächtnisbegriff erfasst“ als auch dessen „institutionelle Ausbildungen“, also auch Insbesondere Wolfgang Ernst, Das Gesetz des Gedächtnisses. Medien und Archive am Ende (des 20. Jahrhunderts), Berlin 2007. 36 Anna-Bettina Kaiser, Archiv und Recht. In: Handbuch Archiv (wie Anm. 2) S. 107– 117, hier S. 114 f. 37 Thomas Vesting, Das moderne Recht und die Krise des gemeinsamen Wissens. In: Wissen, was Recht ist. Nach Feierabend. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte 11 (2015) S. 61–81, hier S. 67. 38 Ino Augsberg, Informationsverwaltungsrecht. Zur kognitiven Dimension der rechtlichen Steuerung von Verwaltungsentscheidungen (Jus Publicum. Beiträge zum öffentlichen Recht 227), Tübingen 2014, S. 157 (zugleich Habil.-Schrift 2013). 39 Ebd. 40 Thomas Gross, Ressortforschung, Agenturen und Beiräte – zur notwendigen Pluralität der staatlichen Wissensinfrastruktur. In: Hans Christian Röhl (Hrsg.), Wissen – Zur kognitiven Dimension des Rechts (Die Verwaltung Beiheft 9), Berlin 2010, S. 135–155, hier S. 138–144. – Grundsätzlich zum Verhältnis Wissen und Recht jetzt: Laura Münkler (Hrsg.), Dimensionen des Wissens im Recht (Recht – Wissenschaft – Theorie 15), Tübingen 2019. 35
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die Archive.41 Denn die Digitalisierung bewirke, dass der primäre Gedächtnisprozess sich vom Speicher- zum Übertragungsvorgang wandele. Informationen werden im elektronischen Kommunikationsnetzwerk, so zitiert Augsberg den hier von Niklas Luhmann geprägten Wolfgang Ernst, „... nicht primär gespeichert, sondern auf der Basis autopoietischer Operationen jedes Mal neu erzeugt.“42 Damit gibt es kein „zu archivierendes Original“ mehr, was zur Auflösung einer Unterscheidung zwischen schriftlichen und audiovisuellen Archivgütern führe. Die Information ist nicht als fertige Sinneinheit im Archiv hinterlegt, sondern sie muss immer neu produziert werden.43 Dieser Befund erfordere auch, dass die entscheidende Aufgabe die Entwicklung intelligenter Suchstrategien sei. Anstelle einer scheinbar passiven Dokumentation müsse eine aktive und permanente Übertragung und Umschreibung der Wissensspeicherung erfolgen.44 Auch für Augsberg ist das Recht selber ein Speichermedium, ohne dass er freilich wie Kaiser auf Savigny und dessen Volksgeistlehre Bezug nimmt, doch auf Cornelia Vismann sowie Wolfgang Ernst, Jacques Derrida und Michel Foucault.45 Augsberg unterscheidet zwischen dem operativen Gedächtnis der Verwaltung, der Registratur, und dem Speichergedächtnis, also dem Archiv, und greift damit für die rechtliche Betrachtung einen Ansatz von Aleida und Jan Assmann auf.46 Mittelfristig sieht er, dass Archive und Register bei elektronischer Aktenführung stärker zusammenwachsen und durch variable Suchstrategien Zusammenhänge sichtbar gemacht werden, die man zunächst nicht vermuten würde. Augsberg sieht hier inzwischen auch verstärkt Gefahren, da im Rahmen einer administrativen Wissensgenerierung das Problem bestehe, dass Wissen, vor allem im Netz, vermeintlich „nur abgefragt werde und nicht erst unter Verwendung gespeicherter oder übersandter Daten jeweils neu generiert werden muss.“47 Schon 2008 hatte der Rechtshistoriker Peter Collin einen strukturellen Vergleich zwischen Archiv und Register vorgenommen. Beide sind für ihn Ino Augsberg (wie Anm. 38) S. 162. Ebd. S. 176. – Ernst (wie Anm. 35) S. 261. 43 Ino Augsberg (wie Anm. 38) S. 176. 44 Ebd. S. 39 f. 45 Ebd. S. 162, 166 f. 46 So auch Thomas Vesting, Die Medien des Rechts. Band 4: Computernetzwerke, Weilerswist 2015, S. 128 f. – Er unterscheidet zwischen „Funktionsgedächtnis“ und „Speichergedächtnis“. 47 Ino Augsberg, Die Verwaltung als Akteur gesellschaftlicher Wissensgenerierung. In: Die Verwaltung 51 (2018) S. 351–365, zur Archivierung S. 358 f., 360 f. 41 42
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„Informationsserviceeinrichtungen“ und „Ordnungsmodelle der Strukturierung und des Transfers von Informationen.“ Er sieht auf der einen Seite die Kontexterhaltung (Archive), auf der anderen Seite aber auch das Bedürfnis der Dekontextualisierung, also den Wunsch nach Einzelinformation beim Benutzer.48 Die Deutsche Digitale Bibliothek ist heute ein augenfälliges Beispiel für diese Entwicklung. Vier Komplexe werden von juristischer Seite in der Rubrik Reformbedarf genannt:49 1) Die Angleichung von Zugangsrechten nach den verschiedenen Informationsfreiheitsgesetzen, wobei der dort festgeschriebene voraussetzungslose Zugang zu Akten aktueller Verwaltungsvorgänge Maßstab sein muss. Dies dürfte angesichts der zahlreichen einfachgesetzlichen Einsichts- und Auskunftsrechte ein schwieriges Unterfangen sein.50 2) Eine Ausweitung der Anbietungspflicht auf Private, vor allem angesichts der Privatisierung bei der öffentlichen Aufgabenerfüllung. 3) Eine Anbietungspflicht etwa der politischen Parteien. Damit solle einem zunehmenden Bedeutungsverlust der öffentlichen Archive entgegengewirkt werden, weil politische Entscheidungsprozesse verstärkt außerhalb des staatlichen Bereichs stattfinden. 4) Des weiteren werden rechtliche Regeln verlangt, welche die Archivierung digitaler Unterlagen gewährleisten. Bei diesen Forderungen zeigt sich deutlich, dass von juristischer Seite die Sorge besteht, dass die Archive im Rahmen des Medienwandels der Verwaltung ihre Aufgaben nicht mehr im gebotenen Maße erfüllen könnten. Was die Archive Privater und der Parteistiftungen betrifft, könnten sich langfristig auf Grund EU-Rechts Änderungen ergeben. Nach dem Erwägungsgrund Nr. 158 der EU-Datenschutz-Grundverordnung heißt es: „private Stellen, die Aufzeichnungen von öffentlichem Interesse führen, sollten gemäß dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten rechtlich verpflichtet sein, Aufzeichnungen von bleibendem Wert für das allgemeine öffentliche Interesse zu erwerben, zu erhalten, zu bewerten, Peter Collin, Archive und Register. Verlorenes Wissen oder Wissensressourcen der Zukunft? In: Gunnar Folke Schuppert – Andreas Vosskuhle (Hrsg.), Governance von und durch Wissen (Schriften zur Governance-Forschung 12), Baden-Baden 2008, S. 75–86, hier S. 76 f. – Die Erhaltung des Kontextes muss aber auch und gerade im Interesse der Benutzer von den Archiven weiterhin gewährleistet werden. 49 Kaiser (wie Anm. 36) S. 113. – Collin (wie Anm. 27) hier S. 218–228. 50 Übersicht bei Thomas Troidl, Akteneinsicht im Verwaltungsrecht. Informationszugang gemäß VwVfG, VwGO, UIG, VIG, IFG u.a., München 2013. 48
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aufzubereiten, zu beschreiben, mitzuteilen, zu fördern, zu verbreiten sowie Zugang dazu bereitzustellen.“ Das hat zur Folge, dass etwa Unternehmensarchive, soweit deren Führung im öffentlichen Interesse liegt, der EU-Datenschutz-Grundverordnung unterliegen und auch am Archivprivileg des Artikel 89 der EU-Datenschutz-Grundverordnung teilhaben. Für die Archive der politischen Stiftungen dürfte dies auf alle Fälle gelten, da hier das geforderte öffentliche Interesse evident ist.51 Warum interessieren sich die Vertreter des Öffentlichen Rechts für das Verwaltungswissen und die Archive? Eine „Neue Verwaltungsrechtswissen schaft“52, die wieder Bereiche in das Blickfeld der Juristen nimmt, die als Verwaltungslehre einmal eine Domäne der Juristen gewesen waren und dann von Politologen, Soziologen und Wirtschaftswissenschaftlern okkupiert wurden, interessiert sich auch für das Verwaltungswissen, seine Generierung und seine Behandlung, selbst wenn es für aktuelle Probleme der Verwaltung nicht mehr benötigt wird. Die entstandenen Rechtsfragen des Datenschutzes und der elektronischen Verwaltung haben das Interesse am Verwaltungswissen noch verstärkt. Buchtitel wie „Governance von und durch Wissen“ zeigen dies. Archive sind danach Teil eines Wissensverbundes der öffentlichen Verwaltung. Da dieses Wissen grundsätzlich jedermann zur Verfügung stehen sollte, schwindet aber die herkömmliche Aufteilung in nicht zugängliches Registraturgut und zugängliches Archivgut. Damit entfällt das bisherige Alleinstellungsmerkmal der Archive, nämlich die Möglichkeit der Benutzung amtlicher Unterlagen für Externe. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht sind die Regeln des Archivzugangs daher nur noch ein Teil eines umfassenden Informationsfreiheitsrechts.53 Jürgen Kühling – Benedikt Buchner (Hrsg.), Kommentar zur Datenschutz-Grundverordnung / Bundesdatenschutzgesetz, 3. Auflage, München 2020, DS-GVO Art. 89 Rdnrr. 9 ff. mit Hinweis auf Vismann (wie Anm. 23) S. 26 f. – Eugen Ehmann – Martin Selmayr (Hrsg.), Datenschutz-Grundverordnung. Kommentar, 2. Auflage München 2018, Art. 89 Rdnr. 23. – Als Forderung bereits bei Friedrich Schoch – Michael Kloepfer – Hansjürgen Garstka, Archivgesetz (ArchivG-ProfE). Entwurf eines Archivgesetzes des Bundes (Beiträge zum Informationsrecht 21), Berlin 2007, S. 46 f., 120–128. – Eberhard Schmidt-Assmann, Die Ambivalenz des Wissens und die Ordnungsaufgaben des Rechts. In: Röhl, Wissen (wie Anm. 40) S. 38–61, hier S. 52, 57 f. 52 Dazu Andreas Vosskuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft. In: Hoffmann-Riem – Schmidt-Assmann – Vosskuhle (Hrsg.), Grundlagen (wie Anm. 21) Band 1, 2. Aufl. München 2012, S. 1–63. – Zur historischen Entwicklung Michael Stolleis, Entwicklungsstufen der Verwaltungsrechtswissenschaft. In: Ebd. S. 65–121. 53 Forderung nach Anpassung an diese Rechtsentwicklung schon bei Margit Ksoll-Marcon, Ist die Zugangsregelung zu Archivgut im Bayerischen Archivgesetz noch zeitgemäß? 51
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Archive sind also, was ihre Aufgaben und Funktion betrifft, in starkem Maße abhängig von den in Verfassung und Gesetzen festgelegten Aufgaben und Funktionen der öffentlichen Verwaltung überhaupt. Eine Sonderstellung nehmen die Archive freilich doch ein. Die wissenschaftliche Bearbeitung der historischen Grundlagen des Gemeinwesens, zu dem sie gehören, müssen sie frei von der Einflussnahme ihres Trägers gewährleisten. So stellte Steffen Augsberg schon 2007 fest, dass durch die Informationsfreiheitsrechte nicht nur amtlich erzeugtes Wissen, sondern auch ursprünglich privates Wissen, das für amtliche Zwecke erhoben wurde, den Informationsfreiheitsrechten unterliege. Dies sei ein „Gegenmodell zur Arkantradition des Staates“, die „zu einer Neudistribution privaten Wissens“ führe. Er kommt damit zu folgendem Ergebnis und erwähnt ausdrücklich die Archive: „Die staatlichen Behörden fungieren dabei als Informationsschaltstelle mit einer gewissen, allerdings bewusst zurückgenommenen Kontrollfunktion. Sie teilen keine Informationen bewusst zu und eigeninitiativ zu, sondern öffnen nur die Archive.“54 Die „bewusst zurückgenommene Kontrollfunktion“ erstreckt sich nur auf die Prüfung etwaiger gesetzlicher Versagungsgründe. Ausgeschlossen sind inhaltliche oder forschungslenkende Maßnahmen.55 Da die öffentlichen Archive in aller Regel eine Monopolstellung bezüglich der bei ihnen verwahrten Informationen haben, muss ein „diskriminierungsfreier Zugang“ gewährleistet sein.56 Es stellt sich daher die Frage, ob dieser Gewährleistungsauftrag nicht einer organisatorisch-institutionellen Absicherung bedarf, weil wegen der Monopolstellung „auch eine gewisse Strukturverantwortung“ besteht.57 Das könnte zu einer gesetzlich festgelegten Unabhängigkeit, wie sie etwa bei Rechnungshöfen besteht, führen.58 Allerdings muss auch die Benutzerseite entsprechend abgesichert sein. Dazu gehört, dass die Funktion der Geschichtswissenschaft, also der Archivbenutzer, geklärt ist. Ihre In: Archivalische Zeitschrift 90 (2008) S. 51–64, hier S. 64. – Siehe auch Hans-Joachim Hecker, Archive. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band 1, 2. Aufl. Berlin 2004, Sp. 285–293, hier Sp. 290. 54 Steffen Augsberg, Der Staat als Informationsmittler. Robin Hood oder Parasit der Wissensgesellschaft? In: Deutsches Verwaltungsblatt 122 (2007) S. 733–741, hier S. 738 f. 55 Hecker (wie Anm. 29) S. 373. 56 Steffen Augsberg (wie Anm. 54) S. 741. 57 Ebd. S. 741. 58 So auch Helge Kleifeld, Archive und Demokratie. Demokratische Defizite der öffentlichen Archive im politischen System der Bundesrepublik Deutschland (Beiträge zur Geschichte der Stadt Mönchengladbach, Beiheft 1), Essen 2018, S. 218–221.
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äußere, für den externen Benutzer grundrechtlich verankerte, aber auch ihre innere Unabhängigkeit, müssen ebenfalls garantiert sein. Bartholomäus Manegold hat zutreffend eine „wechselseitige historische und systematische Verschränkung von Geschichtswissenschaft und öffentlichem Archivwesen“ festgestellt.59 Daraus folgt neben der Abhängigkeit der Archive von der Funktion des Staates auch eine Abhängigkeit der Funktion der Archive von der Funktion der Geschichtswissenschaft. Die Archive verlieren ohne eine freie und unabhängige historische Forschung einen Großteil ihrer Bedeutung. Zusammenfassend lässt sich folgendes feststellen: Die von der Rechtsordnung und der Rechtswissenschaft registrierte und durch die Digitalisierung bedingte Aufweichung der traditionellen Grenzen zwischen den klassischen Speichern für historische Informationen, also Archiven, Bibliotheken und Museen, führt auch dazu, dass die den Archiven zugeschriebenen Aufgaben noch weniger als bisher von der Archivwissenschaft definiert werden, sondern dass auch andere Disziplinen, insbesondere die Rechtswissenschaft, das archivische Aufgabenfeld mit konturieren.60 Dabei greift die Rechtswissenschaft medientheoretische und kulturwissenschaftliche Ergebnisse auf, die auf diese Weise auch über den Umweg des Rechts auf die archivtheoretischen Überlegungen einwirken. Mit der Herausbildung und Anerkennung von Informationsfreiheitsrechten gewinnt die Rechtswissenschaft unmittelbaren Einfluss auf das Selbstverständnis der archivischen Aufgabenstellung. Denn das über einen langen Zeitraum bestehende Alleinstellungsmerkmal einer allgemeinen Zugänglichkeit ihrer Bestände für die Öffentlichkeit ist weggefallen. Archivrecht ist jetzt nur noch ein Teilgebiet des allgemeinen Informationsverwaltungs- und Informationsfreiheitsrechts und wird sich an diesem messen lassen müssen und sich auch in diesem Rahmen fortentwickeln. Die im 19. Jahrhundert und weit bis in das 20. Jahrhundert herrschende Einstellung, dass die Archive vornehmlich die politischen und vor allem die fiskalischen Interessen des Staates zu beachten haben, ist durch die heutige Rechtslage obsolet geworden.
Manegold (wie Anm. 28) S. 34–42, hier S. 41 f. Für eine Offenheit gegenüber anderen Fächern und Gedächtnisinstitutionen wie Bibliotheken und Museen – bei Wahrung der Eigenständigkeit der Archivwissenschaft – plädiert zu Recht Christian Keitel, Zwölf Wege ins Archiv. Umrisse einer offenen und praktischen Archivwissenschaft, Stuttgart 2018, S. 241. 59 60
Digitale Authentizität als kategoriale Herausforderung1 Von Hans-Georg Hermann Wer sich unter diesem Titel nicht sofort etwas vorstellen kann, ist vermutlich weder allein noch in schlechter Gesellschaft. Der Titel versucht zu fassen, was am Ende von knappen diskursiven Überlegungen zu einer profunden Frage steht, nämlich eine knappe Antwort auf die Frage: welches von zwei „gleichen“ digitalen Dokumenten ist „authentisch“? Welches ist das „Original“ und welches davon nur „Kopie“, sind doch in der digitalen Welt und deren Codierungen aus 0 und 1 diese Anordnungen zwar signifikant, aber jederzeit identisch erzeugbar und entsprechend so reproduzierbar. Es ist darum ausgesprochen schwierig zu entscheiden, welche der beiden Zeichenfolgen 010101010 und der gleichlautenden Zeichenfolge 010101010 für sich genommen „das Original“ sei. Jedenfalls sind digitale Dokumente bei Gleichheit ihrer Sequenzen von Spannungszuständen insoweit gleich und anscheinend authentisch. Dass das nur scheinbar so ist, wird zu zeigen sein. Das Grundproblem ist doppelt angelegt. Zum einen geht es darum, Original von bloßer Kopie zu unterscheiden, zum anderen, Echtes von Unechtem zu unterscheiden, um nicht der Täuschung oder Täuschungsgefahr über Urheberschaft, Inhalt oder Qualität zu unterliegen. Offensichtlich wichtig ist das, wo es um Urkunden geht, gilt aber auch cum grano salis für „technische Aufzeichnungen“, im weiten Sinn also für elektronische Dokumente jeglicher Art. Bekanntlich meint der Begriff der Urkunde für den Rechtsverkehr (mit gewissen Unterschieden bei weiteren Tatbestandsmerkmalen in den verschiedenen Rechtsgebieten) jedenfalls ein Beweismittel, das in Schriftzeichen (dauerhaft) eine Gedankenerklärung verkörpert (und den Aussteller erkennen lässt). Konsequenterweise sind elektronische Dokumente hingegen keine Urkunden, da bei ihnen jedenfalls die Verkörperung der Erklärung in Schriftzeichen fehlt. In der digitalen Welt zwischen memory-sticks und clouds gibt es keine „Originale“ der Zeichensequenzen, die sich über (dauerhafte) Trägermedien als Verkörperung und noch dazu als Schriftzeichen definieren ließen.
Vorliegend handelt es sich im Wesentlichen um eine etwas erweiterte und nur mit knappen Anmerkungen und Belegen versehene Vortragsfassung.
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Im Strafrecht lässt sich die Grenze am deutlichsten greifen und muss sie sich am deutlichsten greifen lassen, weil die Definition (im wörtlichen Sinn als „Abgrenzung“) hier über Strafbarkeit oder Straflosigkeit entscheidet, solange ein rechtsstaatlicher Grundsatz wie nulla poena sine lege (scripta) gilt2. Die digitale Revolution hat es aber genau deshalb auch erforderlich gemacht, zusätzliche neue Paragraphen zu erlassen, weil Urkunden und Daten sich zu sehr unterscheiden: Die einen sind physische Objekte (verkörperte Gedankenerklärungen), die anderen virtuelle (nichtverkörperte Gedankenerklärungen), die lediglich einen elektronischen Speicherzustand von Information darstellen. Der Schutz von Echtheit und Unverfälschtheit von Urkunden ebenso wie von – beweiserheblichen – Daten sind hier Ziele vor allem von zwei Paragraphen des Strafgesetzbuchs (StGB), die zum Thema eine gewisse Orientierung versprechen: weggelassen seien dafür alle soweit unnötigen Tatbestandsvarianten: § 267 Urkundenfälschung (1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 269 Fälschung beweiserheblicher Daten (1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr beweiserhebliche Daten so speichert oder verändert, daß bei ihrer Wahrnehmung eine unechte oder verfälschte Urkunde vorliegen würde, oder derart gespeicherte oder veränderte Daten gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Das Strafrecht zeigt mit aller Deutlichkeit, dass gewohnte alte systematische Unterscheidungen für den Bereich des digitalen Rechtsverkehrs und wenigstens bei beweiserheblichen Daten längst nicht mehr existieren, § 269 wurde schon 1986 deshalb eingeführt. Wie tiefgreifend die Verän-
Vgl. weiterführend etwa Michael Kubiciel, Artikel Nulla poena sine lege. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Auflage, hrsg. von Albrecht Cordes, Heiner Lück, Dieter Werkmüller und Ruth Schmidt-Wiegand als philologischer Beraterin. Redaktion: Falk Hess und Andreas Karg, 25. Lieferung, Band 4, 2017, Sp. 2–5; ders., Artikel Nullum crimen sine lege, ebd. Sp.6 f.; ders., Artikel Nullum crimen sine poena, ebd. Sp.7 f.; in klassischer Darstellung: Claus Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil, Band 1 Grundlagen. Der Aufbau der Verbrechenslehre, München 1992, § 5 S. 65–93, bes. S. 67 ff.
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derungen erscheinen müssen, lässt sich mit einem ebenso aussagekräftigen wie einschlägigen Zitat zu untermauern: „Hinfälligkeit der Unterscheidung zwischen Originalerklärung und Kopie. Wenn beweiserhebliche Daten iS von § 269 die von ihnen repräsentierte Erklärung nicht dadurch konservieren, dass sie in einem bestimmten körperlichen Medium fixiert sind, das vom Aussteller zum (idR einzigen) Original der Erklärung bestimmt wurde, sondern gerade dadurch, dass die jeweiligen Zeichensequenzen über technisch unvermeidbare Kopiervorgänge hinweg unverändert erhalten bleiben, dann wird die für § 267 grundlegende Unterscheidung zwischen Originalerklärung und Kopie bei der Datenurkunde hinfällig. Da der Empfänger einer elektronisch übermittelten Datenurkunde bei deren Betrachtung, Speicherung und Weiterleitung zwangsläufig Kopien des Datensatzes erzeugt, die an die Stelle der urprünglich in seiner EDV-Anlage eingegangenen Abfolge elektrischer Impulse treten, kann man den Schutz von § 269 sinnvollerweise auch nicht etwa auf die Wiedergaben der maßgeblichen Zeichenfolge beschränken, die vom Aussteller selbst veranlasst wurden. Jede maschinell gefertigte Kopie der Speicherzustände, in denen sich die originäre Zeichenfolge widerspiegelt, die als solche die Erklärung perpetuiert, ist mithin taugliches Tatobjekt von § 269.“3 Das Anliegen, dem Rechtsverkehr durch die Gefahr einer Aushöhlung seiner Sicherheit und Beweismittel unzuträgliche Strafbarkeitslücken bei Ausnutzen computerspezifisch gestützter Fälschungsvorgänge zu schließen, leuchtet ein4. Die „originäre Zeichenfolge“, die jemand elektronisch produziert, genießt durch § 269 StGB grundsätzlich Schutz vor jedweder Manipulation und darauf gestütztem Missbrauch. Für die folgenden Überlegungen kommen jetzt kein Geringerer als Aristoteles und seine Kategorienlehre5 ins Spiel. Sie ist für die Formulierung 3 Volker Erb in: Münchner Kommentar, Strafgesetzbuch §§ 263–358, München 2019 = MüKo-Erb § 269 RdNr. 23. 4 Hierzu mit knappen Hinweisen: Thomas Fischer, StGB, 64. Aufl. München 2017, § 269 Rn. 3. 5 Vgl. Hans Michael Baumgartner – G. Gerhardt – Klaus Konhardt – Gerhard Schönrich, Artikel Kategorie, Kategorienlehre. In: Joachim Ritter – Karlfried Gründer
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des Vortragstitels verantwortlich, weil man versuchen könnte, hier eine Anleihe für eine Antwort auf die Ausgangsfrage zu nehmen: Denn wenn Aristoteles damit recht hatte, dass alle ontologisch sinnvollen Aussagen, die wir über Dinge treffen können, sich letzten Endes in zehn Grundtypen von Aussagen fassen lassen6, dann müssten sich damit auch Aussagen über Authentizität oder Nichtauthentizität eines elektronischen Dokuments treffen lassen. Das nichtauthentische Objekt müsste sich vom authentischen unterscheiden lassen, also die Zeichenfolge 010101010 von der gleich lautenden Zeichenfolge 010101010, was auf einen ersten Blick absurd anmuten könnte. Diese zehn Kategorien zur Beschreibung der Arten des Seienden können kumuliert auftreten, immer ist aber die erste Kategorie vorausgesetzt, die als einzige auf sich selbst beruht. Im Zusammenhang lautet die entscheidende Stelle: „Jedes ohne Verbindung gesprochene Wort bezeichnet entweder eine Substanz oder ein Quantität oder eine Qualität oder eine Relation oder ein Wo oder ein Wann oder eine Lage oder ein Haben oder Wirken oder ein Leiden. Substanz, um es im Umriß (nur allgemein) zu erklären, ist z.B. ein Mensch, ein Pferd; ein Quantitatives z.B. ein zwei, drei Ellen langes; ein Qualitatives z. B. ein Weißes, ein der Grammatik Kundiges; ein Relatives z.B. ein Doppeltes, Halbes, Größeres; ein Wo z.B. [auf dem Markt], im Lyzeum; ein Wann z.B. gestern, voriges Jahr; eine Lage z.B. er liegt, sitzt; ein Haben z.B. er ist beschuht, bewaffnet; ein Wirken z.B. er schneidet, brennt; ein Leiden z.B. er wird geschnitten, gebrannt.“7 Wenn sich über zwei zu vergleichende digitale Objekte nur gleichlautende kategoriale Aussagen treffen lassen, dann wäre kein Unterschied zwischen Authentikum und Nichtauthentikum, dann wären sie nicht nur (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 4 I–K, Basel-Stuttgart 1976, Sp. 714–776 (Sp. 716 f. speziell zu Aristoteles). 6 Zum Kanon der Kategorien, mit denen Gegenstände erschöpfend beschrieben werden können und die somit das „ganze ontologische Inventar“ darstellen s.a. Hans Burkhardt, Artikel Kategorie. In: Friedo Ricken (Hrsg.), Lexikon der Erkenntnistheorie und Metaphysik, München 1984, S. 96–99, hier S. 97; für einen ganz knappen Überblick: Anders Piltz, Die gelehrte Welt des Mittelalters, Köln u.a. 1982, S. 67. 7 Zit. aus: Aristoteles Kategorien (Des Organon erster Teil). Vorangeht: Des Prophyrius Einleitung in die Kategorien. Aristoteles. Neu übersetzt und mit einer Einleitung und erklärenden Anmerkung versehen von Eugen Rolfes (Philosophische Bibliothek 8), Leipzig 1920, S. 37 f.
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das gleiche, sondern womöglich sogar dasselbe – und nicht mehr zwei Zeichensequenzen, sondern dieselbe, wenn ihr Speicherort physikalisch derselbe ist. Definierte sich nun ein digitales Dokument allein über seine Zeichensequenz, dann könnte man tatsächlich annehmen, zwei gleiche Zeichensequenzen seien nicht nur gleich, sondern seien also sogar dieselbe. Damit stellt sich aber auch die Frage von Original und Nicht-Original nicht mehr, weil sie zwei Objekte voraussetzt, und aus analoger Perspektive handelt es sich bei solchen in diesem Fall immer um zwei nichtidentische physikalisch definierbare Objekte von Mustern aus Ladung und Nichtladung. Welches von ihnen aber soll das Original und welches das Nicht-Original sein?8 Um das Ergebnis einzugrenzen, lässt es sich in drei Schritten vorgehen und erst einmal von Verhältnissen in der analogen Welt ausgehen: 1. Keine Voraussetzung für Authentizität ist die Singularität Im römischen Recht war weder von „Original“ noch von „Kopie“ die Rede; hier stand das griechische Lehnwort „authenticum“ für das eine und die „Kopie“ hieß überraschenderweise genau nicht „copia“, sondern die Abschrift hieß „exemplum“9. Sie unterschieden sich freilich (damals wie heute) im Beweiswert. Singularität des Originals war nicht Bestandteil sei-
Es liegt auf der Hand, dass es sich für Begriffe wie Original, Authenticum, Urschrift, Unikat, Duplikat, Reproduktion, Exemplar, Kopie, Ausfertigung usw. um ein weites und vielschichtiges, kontextdifferenziertes Begriffsfeld handelt, vgl. dazu weiterführend etwa Achim Saupe, Authentizität, Version: 3.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.8.2015, URL: http://docupedia.de/zg/Saupe_authentizitaet_v3_de_2015?oldid=127916 (aufgerufen am 13.11.2019). – Originalität und Authentizität werden zumindest umgangssprachlich weithin synonym verstanden, teilweise die Authentizität aber auch nur auf die Frage der unverfälschten Urheberschaft beschränkt (so Alexander Rossnagel – Paul C. Johannes, BSI Technische Richtlinie 03138 Ersetzendes Scannen / Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik 2018 https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/ Publikationen/TechnischeRichtlinien/TR03138/TR-03138-Anwendungshinweis-R.pdf?__ blob=publicationFile&v=5 (aufgerufen am 4.12.2019) S. 9 f. („Mit der Authentizität eines Dokuments wird sichergestellt, dass die in der Urkunde angegebene Person mit dem tatsächlichen Aussteller der Urkunde übereinstimmt“, Integrität „gewährleistet, dass das Dokument nicht nachträglich verändert worden ist“). Vorliegend gebrauche ich „Originalität“ und „Authentizität“ wie Synonyme. 9 Vgl. Andreas Wacke, Von copia zur Kopie. Copiam habere und copiam facere in den Digesten. In: Rena van den Bergh u.a. (Hrsg.), Ex iusta causa traditum. Essays in honour of Eric H. Pool. Fundamina. Editio specialis. UNISA, University of South Africa, Pretoria 2005, S. 385-403, hier S. 388 f. 8
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ner Definition. Das ließ sich beispielsweise ein vorsichtiger Römer nicht zweimal gesagt sein: Inst. 2, 10, 13 Sed et unum testamentum pluribus codicibus conficere quis potest, secundum optinentem tamen observationem omnibus factis. Quod interdum et necessarium est, si quis navigaturus et secum ferre et domi relinquere iudiciorum suorum contestationem velit, vel propter alias innumerabiles causas, quae humanis necessitatibus imminent. Man kann aber auch ein Testament in mehreren Exemplaren errichten, sofern sie alle unter Beachtung des geltenden Rechts abgefaßt sind. Dies ist manchmal auch nötig, wenn jemand nämlich, der eine Seereise machen muß, die Erklärung seines letzten Willens sowohl bei sich tragen als auch zu Hause zurücklassen will, oder aus unzähligen anderen Gründen, die sich aus den Notwendigkeiten des menschlichen Lebens ergeben.10 Offensichtlich geht es hier darum, dass der Verlust eines Originals zwar nicht durch eine bloße Kopie wettgemacht werden kann – andernfalls wäre unklar, warum bei allen Exemplaren Wert auf die Beachtung der Errichtungsvorschriften zu legen sei –, aber die Existenz des weiteren Originals schützt den Erblasser genauso davor, als intestatus zu sterben, weil er mehrere (selbstverständlich) gleichlautende „Urschriften“ hinterlässt. Dass man ohne Abschrift oder andere weitere Skripturakte (wie bei den mehrfachen Originalen in Inst. 2, 10, 13) durch einen einzigen Skripturakt mehrfache, simultan erzeugte Originale fertigen kann, erscheint als Möglichkeit sogar in der analogen Welt vielleicht nur uns heutzutage überraschend. Eine Fotokopie wäre jedenfalls kein Original, denn sie ist ja bloß ein fototechnisch hergestelltes Abbild eines Originals, Ergebnis eines maOkko Behrends – Rolf Knütel – Berthold Kupisch – Hans Hermann Seiler (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis. Die Institutionen. Text und Übersetzung auf der Grundlage der von Theodor Mommsen und Paul Krüger besorgten Textausgaben, Heidelberg 1993, S. 78. Dass die bloße Abschrift ohne „Authenticum“ nichts beweise, stellte später schon die Glossa ordinaria zu Inst. 2, 10, 13 fest, vgl. Ausgabe Lyon 1627, Sp. 191 Glosse zu „imminent“ (mit weiteren Belegen): Sed nunquid ex his exemplis probabitur? Resp. non sine authentico. Die Ausfertigungen unterscheiden sich von der bloßen Abschrift darin, dass diese sämtlich eben secundum optinentem … observationem („unter Beachtung des geltenden Rechts abgefaßt sind“) d.h. über dieselbe Willenserklärung mehrere gleichlautende rechtskonforme Errichtungsakte vorliegen – obwohl die Stelle genau das besagt, scheint die Glosse nur von Abschriften und deren zweifelhaftem Beweiswert zu sprechen. 10
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schinellen Vorganges, nicht von Schreiben durch den Aussteller. Auch eine Blaupause vom originalen Testament wäre erst einmal davon zu unterscheiden, weil seine Schrift nicht unmittelbar vom Schreibwerkzeug stammt, sondern dessen Druck, durch Pauspapier vermittelt, erst die Schrift durch dessen Farbmittel erzeugt. Allerdings hat der Bundesgerichtshof schon 1967 gerade eine solche „Pauskopie“ als ein formwirksames Testament anerkannt11 und es für genauso unproblematisch gehalten, wie wenn etwa mit einem leeren Kugelschreiber das Pauspapier beschrieben wird und der Erblasser das Pauspapier schon selbst als Urschrift gewollt hatte12. Ob das erste Papierstück, auf dem testiert wurde, das Papierstück mit den blau durchgepausten Schriftzügen oder das Pauspapier selbst je für sich schon ein „Original“ seien, ob also womöglich einmal bis zu drei aus einem einzigen Skripturakt stammende Originale existiert hatten, hatte der Bundesgerichtshof dabei nicht zu entscheiden13. Mindestens seit dem 17. Jahrhundert war aber die Möglichkeit vervielfachter, unmittelbarer und gleichzeitiger Handschriftlichkeit auch ohne Pauspapier jedenfalls noch (oder schon) kein Ding der Unmöglichkeit, wie eine Abbildung aus einem zeitgenössischen Praktikerformularbuch zeigt14:
11 BGH Beschluss v. 3.2.1967 III ZB 14/66, BGHZ 47, S. 68–74; s.a. Neue Juristische Wochenschrift 20 (1967), Sp. 1124. 12 BGHZ 47 (wie Anm. 11) S. 71 f. 13 Ausreichend war vorliegend, dass auch schon die gepauste Durchschrift als „das“ Testament gewollt sein konnte, vgl. ebd. S. 73 f.; letztlich musste das dann nach Zurückverweisung in der Vorinstanz geklärt werden. 14 Georg Philipp Harsdörffer, Der Teutsche Secretarius. Das ist: Allen Cantzleyen, Studir- und Schreibstuben nützliches, fast nothwendiges, und zum vierdten mal vermehrtes Titular- und Formularbuch, Nürnberg 1661, Band 1 Vorrede, S. 20.
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Theoretisch möglich ist das gleiche auch mit einem Pantograf, wenn an beiden Enden Stifte angebracht sind. 2. Keine Voraussetzung für Originalität/Authentizität ist die Verkörperung eines Objekts Originalität setzt, prima facie vielleicht erstaunlicherweise, auch keine verkörperte Manifestation voraus. Flüchtigkeit ist für sich genommen kein Mangel, sondern eine mögliche und unschädliche Begleiterscheinung, auch in der analogen Welt. Das ist freilich für eine Urkunde undenkbar, aber darüberhinaus sind auch im geltenden Recht berechtigte Zweifel angebracht, sobald man die engere Perspektive auf allein Urkunden aufgibt. Das sei kurz mit folgendem testamentsrechtlichen Beispiel entwickelt. Für das handschriftliche Testament ist gemäß § 2247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) erforderlich, dass es durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichtet wird: § 2247 Eigenhändiges Testament (1) Der Erblasser kann ein Testament durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichten. Wie steht es nun mit einem Testament, das jemand – mit ernsthaftem Testierwillen und mangels irgendeines Beschreibstoffes – am Meer mit dem Finger in den Sand schreibt, was dann die Flut bald darauf aber auslöscht? Wie steht es um ein Testament, das mit Kreide auf eine Schiefertafel geschrieben, oder mit einem Griffel auf eine Wachstafel eingeritzt ist? In der Ausgangskonstellation würde immerhin wenigstens vorübergehend bis zur nächsten Flut eine Erklärung durch Schriftzüge manifestiert, ob das aber reicht, müsste man sicher diskutieren. Eine materiale, chemische oder physikalische, in jedem Fall über Adhäsion oder bloße Schwerkraft hinausgehende Verbindung zwischen Schreib- und Beschreibstoff zu fordern, dürfte zu weit gehen. Eine gewisse „Haltbarkeit“ der Manifestation wurde allerdings schon immer eingefordert – das aber ohne den Charakter eines zwingend erfüllten Kriteriums.15 Weniger die Dokumentationsweise des 15 Vgl. etwa zu einem Testament auf Schiefertafel mit Schieferstift: Urteil des Reichsgerichts v. 17.2.1910 – IV 241/09, in: Juristisches Wochenschrift 1910, Sp. 291 = Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern 6 (1910) S. 336: „Das Gesetz erteilt über Art und Beschaffenheit der zur Herstellung der Testamentsurkunde zu verwendenden Stoffe keine Vorschriften. Der Revision kann so viel zugegeben werden, daß nicht schlechthin jeder in der Natur vorkommende Stoff oder Gegenstand hierzu verwendbar ist. Unter allen Umständen muß er eigenhändiges Schreiben und Unterschreiben ermöglichen. Auch würde die Verwendung
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Testierwillens als Problem von Schriftlichkeit und Eigenhändigkeit werden heute als das maßgebliche Problem gesehen, ungewöhnliche Dokumentationsformen eines eigenhändigen Testaments werden vielmehr heute maßgeblich – der Gedanke ist durchaus alt16 – als Problem des Rechtsbindungswillens und also der Ernstlichkeit verortet17. Man löst damit die – im Einzelfall aber durchaus hilfreiche – Ausbreitung von Kasuistik ab, die sich manchmal über Generationen durch die Kommentare zog.18 Lange Zeit sagte man, Schreibmittel und Schreibstoff seien frei – die digitale Revolution zwingt jedoch anscheinend auch hier zu Zurückhaltung. Die Verwendung digitaler Technologie für den Schreibakt ist dabei keineswegs nur eine launige Entfaltungsmöglichkeit besonders technikaffiner Testatoren. Vielmehr könnte in Hinblick auf die Testierfreiheit und trotz der Möglichkeit eines öffentlichen Testaments vor einem Notar gemäß § 2232 BGB eine Anerkennung auch geboten sein, etwa in Form des Schreibens mit Augensteuerung für einen PC bei entsprechender körperlich-motorischer Beeinträchtigung nach einem Schlaganfall. De lege lata führt allerdings derzeit kein Weg dahin, bei solchen Hilfsmitteln eine „eigenhändige Niederschrift“ im Sinne des § 2247 I BGB oder gar eine „eigenhändige besonders rasch vergänglicher Stoffe mit dem Wesen des Testaments in Widerspruch stehen, das dazu bestimmt ist, authentische Auskunft über Willensmeinungen des Erblassers zu geben, die erst nach seinem Tode, also erst in einem künftigen niemals mit Sicherheit zu bestimmenden Zeitpunkte in Kraft treten sollen. Zum mindesten würde in einem solchen Fall die Ernstlichkeit der Verfügung von Todes wegen sehr erheblich in Frage gestellt sein. Allein erwägt man, daß es in minder gebildeten Kreisen, insbesondere in einfachen ländlichen Verhältnissen keineswegs ungewöhnlich ist, Schiefertafel und Schieferstift auch zur Festlegung von Willenserklärungen wichtigerer Art und von nicht bloß vorübergehender Bedeutung zu benutzen, so kann es nicht als rechtsirrtümlich bezeichnet werden, wenn der Berufungsrichter im Streitfalle die Form des § 2231 Nr. 2 BGB. [heute §2231 Nr. 2 iVm § 2247, bes. Abs. 1 und 2, Anm. des Verf.] gewahrt findet. Daß der Untergang der Testamentsurkunde, von dem Sonderfalle des § 2255 abgesehen, das einmal gültige Testament nicht unwirksam macht, sondern nur dazu nötigt, seinen Inhalt mit Hilfe der gewöhnlichen Beweismittel von neuem festzustellen, wird auch von Revision nicht verkannt. […]“. 16 Vgl. Gottlieb Planck (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, Band 5, 3. Aufl. Berlin 1908, § 2231 Anm. II 2.e) S. 623 und so auch in der Anm. 15 genannten Entscheidung des Reichsgerichts vom 17.2.1910. 17 Vgl. Staudinger/Baumann (2018) BGB § 2247 Rn. 21; Palandt-Weidlich, 78. Aufl. 2019, § 2247 Rn. 5, 17. 18 So beispielsweise – nach einem nicht näher bezeichneten, die Wirksamkeit der Errichtung bejahenden Urteil des Amtsgerichts München (vgl. J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 10./11. Aufl. Berlin 1960, § 2247 Rn. 33) – der tragische Fall eines an die Mauer der Gefängniszelle mit Bleistift geschriebenen letzten Willens eines Häftlings, der sich dann erhängte.
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Unterschrift“ im Sinne von § 2247 III BGB annehmen zu können, weil es schlechterdings am individualisiert eigenen Skripturakt für beides fehlt.19 Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Fälschungserschwerung lassen die harten Vorgaben des § 2247 BGB gegenüber einer – durchaus nicht pauschal zu bejahenden – Einzelfallgerechtigkeit nach wie vor vorzugswürdig erscheinen.20 Stimmen für eine Anerkennung letztlich durch den Gesetzgeber gibt es aber durchaus.21 Jedenfalls enthält aber sogar das Testamentsrecht den Fall einer letztwilligen Verfügung ohne ein verkörpertes „Original“ der Erklärung des letzten Willens – nämlich in einem der gesetzlich anerkannten Fälle eines Nottestaments „vor drei Zeugen“ gemäß § 2250 und § 2251 BGB22: Eine Urkunde ist dabei immerhin, aber auch nur lediglich die erwünschte Niederschrift des Erklärten bzw. von den Zeugen Gehörten. Die „letztwillige Verfügung“ liegt bereits in der akustischen Äußerung des Testators23, die Urkunde ist bloß die Verschriftlichung des von den Zeugen gemeinschaftlich gehörten und erinnerten Sprechaktes. S.a. Heinrich Nieder – Reinhard Kössinger – Winfried Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 5. Aufl. München 2015 § 17 Rn. 47, S. 850: Niederlegung des letzten Willens auf elektronischem Wege (Festplatte, CD-Rom, Film, USB-Stick), auch durch Handschriftensoftware, digitaler Feder u.a., stellt de lege lata keine eigenhändige Niederschrift dar. 20 In diesem Sinne gegen Erweiterung um digitale Formen mit dem Argument erhöhten Fälschungsrisikos und zunehmender Rechtsunsicherheit etwa Knut Werner Lange, Erb recht, 2. Aufl. München 2017 § 14 Rn.19 S. 76 f. 21 Vgl. Philipp Scholz, Zur Verwendung digitaler Technologien beim eigenhändigen und Nottestament de lege lata et ferenda. In: Archiv für die civilistische Praxis 219 (2019) S. 100–137. 22 § 2250 Nottestament vor drei Zeugen: – (1) Wer sich an einem Ort aufhält, der infolge außerordentlicher Umstände dergestalt abgesperrt ist, dass die Errichtung eines Testaments vor einem Notar nicht möglich oder erheblich erschwert ist, kann das Testament in der durch § 2249 bestimmten Form oder durch mündliche Erklärung vor drei Zeugen errichten. – (2) Wer sich in so naher Todesgefahr befindet, dass voraussichtlich auch die Errichtung eines Testaments nach § 2249 [betr. Nottestament durch Erklärung vor dem Bürgermeister, Anm.d. Verf.] nicht mehr möglich ist, kann das Testament durch mündliche Erklärung vor drei Zeugen errichten. – (3) Wird das Testament durch mündliche Erklärung vor drei Zeugen errichtet, so muss hierüber eine Niederschrift aufgenommen werden. […] § 2251 Nottestament auf See: – Wer sich während einer Seereise an Bord eines deutschen Schiffes außerhalb eines inländischen Hafens befindet, kann ein Testament durch mündliche Erklärung vor drei Zeugen nach § 2250 Abs. 3 errichten. § 2252 Gültigkeitsdauer der Nottestamente: – (1) Ein nach § 2249, § 2250 oder § 2251 errichtetes Testament gilt als nicht errichtet, wenn seit der Errichtung drei Monate verstrichen sind und der Erblasser noch lebt. – (2) – (4) […]“. 23 Scholz (wie Anm. 21) S. 123 f. 19
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Die Engführung auf das Testamentsrecht verschleiert allerdings den Blick auf den bei weitem die punktuellen Formzwänge im BGB überragenden Grundsatz der ausreichenden Mündlichkeit im Bürgerlichen Recht und eine möglichst durch die spezifischen Formzwecke scharf konturierte Anwendung der Formgebundenheit von Willenserklärungen als Wirksamkeitsvorraussetzung. Eine „originale“ mündliche Erklärung gibt es selbstverständlich, alles Weitere sind angesichts ihrer Flüchtigkeit letztlich vor allem Probleme von Beweisbarkeit, Beweiswert und Beweiswürdigung24. In der Bildenden Kunst sind noch drastischere Fälle denkbar, bei denen man allerdings kaum in Frage stellen sollte, dass es sich um ein Kunstwerk handelt, obwohl es mit der Dauerhaftigkeit und Verkörperung so seine Probleme gibt. Was sich auf einen ersten Blick zunächst rätselhaft anhört, meint als Anschauungsbeispiel die „Lomographie“, d.h. das Zeichnen mit Licht, ihren faszinierenden Erfinder Pablo Picasso und seine Werke anläßlich einer Fotosession mit dem Fotographen Gjon Mili des LIFE Magazine im Jahr 194925, aus der das folgende Bild (s. S. 100) herrührt: Objektmäßig verkörpert ist lediglich das Foto, die Aktion selbst hat sich längst verflüchtigt, das Bild des Stieres war niemals für einen bloßen Zuschauer als solches Bild erkennbar gewesen. Es war niemals vergegenständlicht, war aber auch nicht nur immateriell, sondern physikalisch durchaus als existent beschreibbar und deshalb ja sogar dokumentierend fotographisch fassbar. Von dieser speziell langzeitbelichteten Fotographie gibt es selbstverständlich ein „Original“ d.h. etwa ein „originales“ Negativ und als Positivabzug sicher auch ein Original (oder mehrere „Originale“, wenn man identische Erstabzüge als solche auffasst) – von der Aktion des Zeichnens hingegen nicht. Sie ist als Bewegung der Leuchte nur Bewegung und eine Summe flüchtiger physikalischer Zustände, aber kein vergegenständlichtes Objekt. Was „das“ Kunstwerk bei dieser Interaktion zwischen Picasso und Mili letztlich war, ist nicht definitiv zu sagen, weil sichtlich definitionsabhängig – wahrscheinlich waren es zwei: die künstlerische Aktion und die künstlerische Fotographie, die sie sowohl dokumentierte als auch erst als „Zeichnung eines Stieres“ visualisierte (und deshalb womöglich Etwa bei Perpetuierung durch Aufzeichnung mit geeigneten Speichermedien oder Rekonstruktion mit Hilfe von Zeugen. 25 Vgl. Ben Cosgrove, Behind the Picture: Picasso ‚Draws‘ With Light. In: Time, Jan 29, 2012 https://time.com/3746330/behind-the-picture-picasso-draws-with-light/ (aufgerufen am 11.12.2019). 24
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The LIFE Picture Collection / Getty Images Nummer 50378941
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auch als gemeinschaftliches Werk angesehen werden könnte). Das Ganze hat schließlich auch eine urheberrechtliche Seite: im deutschen Urheberrecht ist anerkannt, dass keine Verkörperlichung nötig ist, so beispielsweise gemäß einem Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 198526 für ein „Happening“, wo es dann um die Verwertungsrechte seiner Videoaufzeichnung ging. Schon der Charakter dieses happenings wurde jedenfalls als künstlerisches Werk im Sinne der nicht abschließenden Aufzählung des § 2 I UrhG festgestellt, weshalb auch dabei offenbleiben konnte, ob es als Werk der Bildenden Kunst oder Bühnenwerk / Aufführung zu qualifizieren sei. Das UrhG enthält jedenfalls keine Definition dafür, was ein „Original“ ist27; das sei weniger eine Rechtsfrage, sondern vielmehr auf die Anschauungen der am Kunstmarkt vertretenen Kreise abzustellen 28. Schon das zeigt, dass man wohl gut daran tut, im Ansatz sich dem Problem je nur bereichsspezifisch zu nähern. Wie Picassos aktionale, performative Lichtmalerei und die fotographische Manifestation durch Mili in einem sichtbaren Bild kunsttheoretisch auszudeuten sind, ist entsprechend eine andere Frage, vorliegend kann das Ganze aber veranschaulichen, dass der Begriff des „Originals“ in erster Linie auf manifestierte Objekte zugeschnitten ist, was dann wieder zu der Frage zurückführt, ob und wie der gängige Begriff des Originals auf elektronische Zeichenfolgen paßt. Die Antwort besteht pragmatisch jedenfalls ganz sicher in einem Ja – auch wenn es an der Vergegenständlichung mangelt. Die Parallele zum Thema zu ziehen, mag etwas gewaltsam erscheinen, aber auch bei Daten braucht Materialität nicht vorzuliegen und tut es bei bloßen Speicherzuständen auch nicht (wie erwähnt ist gerade sie Ausgangspunkt für die „gewisse“ Permanenz/Dauerhaftigkeit einer verkörperten Gedankenerklärung als Urkunde): wenn eine Zeichensequenz elektronisch überhaupt einmal und einmalig generiert wurde, wird man ohne weiteres sagen können, es handele sich dabei um die authentische, originale Datensequenz. Deren Dauerhaftigkeit ist eine andere wichtige, aber eben nicht wesentliche Frage. Vom 6. Februar 1985 – I ZR 179/82, GRUR 1985, S. 529; Volltext auch erreichbar unter https://research.wolterskluwer-online.de/document/1eb6c618-3ed2-49f1-8871bb051d65b4e0 (aufgerufen am 6.11.2019). 27 Thomas Dreier – Gernot Schulze (Hrsg.), Urheberrechtsgesetz, Verwertungsgesellschaftengesetz, Kunsturhebergesetz: Kommentar, 6. Aufl. München 2018, § 44 Rn. 16. – Singularität von Werkoriginalen als Unikat ist schwerlich zu fordern, ebd. § 10 Rn.7. 28 Martin Vogel, in: Gerhard Schricker – Ulrich Loewenheim, Urheberrecht. Kommentar, 5. Aufl. München 2017, § 44 Rn. 23. 26
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3. Kategorienlehre Damit zurück zum schon angedeuteten Ansatz einer Anleihe bei der Kategorienlehre. Entsprechend aufzugreifen sind die genannten zehn Kategorien und auf (vorstellungsweise) zwei gleichlautende digitale Zeichensequenzen anzuwenden. Eine Gegenüberstellung zeigt sofort, dass keineswegs alle Kategorien zu ihrer Beschreibung eindeutig, erforderlich oder sinnvoll sind und dass eine entsprechende Zuordnung punktuell auch schon etwas gezwungen erscheinen kann: • Substanz • Ort • Quantität • Qualität • Lage (Sichbefinden) • Haltung (Sichverhalten) • Tun • Leiden • Relation • Zeit
die Zeichenfolge 010101010 befindet sich auf einem Speichermedium umfaßt eine bestimmte Anzahl Bites Information bewahrend in gespeicherter Form sich nicht verändernd (?) (?) gleichlautend wie die Zeichenfolge 010101010 wurde zu einem bestimmten Zeitpunkt erstellt
Der Speicherort als Merkmal zur Bestimmung der Authentizität ist sicher wenig tragfähig, wenn digitale Dokumente auch einfach innerhalb eines Speichermediums „verschoben“ werden können, ohne dass der Aussteller davon ausgehen würde, einen neuen bzw. anderen Datensatz damit zu generieren, zumal wenn es sich technisch aber nicht nur um eine Umadressierung, sondern bereits um einen Kopiervorgang handeln sollte. Zwei der Kategorien stechen aber heraus und sind deshalb ans Ende gestellt: Zum einen die „Zeit“. Auch bei einem digitalen Zeichensatz bildet sie eine sinnvoll beschreibbare Kategorie, denn auch eine elektronische Zeichensequenz hat einen Erstellungszeitpunkt und als Vorgang wenigstens in einem Arbeitsspeicher eines Computers eine Datierbarkeit in dem Moment ihrer (ersten wie jeder folgenden) Speicherung. Eine sinnvoll beschreibbare Kategorie ist schließlich auch die „Relation“. Denn die beiden Zeichenfolgen 010101010 verhalten sich zeitlich zueinander, und zwar entweder als gleichzeitig oder in einer Relation von früher/später.
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Diese zeitliche Relation ist üblicherweise wohl mittels der Metadaten einer bzw. beider Datei(en) auch verifizierbar. Ein Beispiel für einen Fertigungszeitpunkt (hier: „createdate“ [Erzeugungszeitpunkt]) für den Scan eines Buches, der in den Metadaten festgehalten ist, sieht etwa folgendermaßen aus29:
- Als Vorschlag liegt also nahe, jedenfalls den Erstspeicherungszeitpunkt, mit dem der Ersteller oder Aussteller den Datensatz für abgeschlossen angesehen hat, als entscheidend für die Qualifizierung dieses elektronischen Dokuments als Original anzusehen. In den oben zitierten Worten Volker Erbs30 könnte man also sagen: Original ist der Speicherzustand, in dem nach dem Willen des Erstellers die originäre Zeichenfolge erstmalig seine Erklärung abschließend widerspiegelt. Man könnte so von einer erstellerseits autorisierten Erstfixierung sprechen; automatisch erstellte (Zwischen)Sicherungskopien können das sein, wenn sich der Ersteller deren Datenzustand nachträglich als „Original“ zu eigen macht, d.h. für ihn von ihm aus sie als solche gelten sollen. Die zitierte „Hinfälligkeit der Unterscheidung zwischen Originalerklärung und Kopie“ meint also nur „Hinfälligkeit“ dieser Unterscheidung bei digitalen Dokumenten in Hinblick auf die Strafbarkeit im Rahmen des § 269 StGB. Es mag sein, dass man solche Zeichensätze auch simultan erzeugen kann, das stört aber nicht, denn dann haben alle als authentisch zu gelten. Im Vergleich zu einer Erstspeicherung spätere identische Datensätze würde ich deshalb als jedenfalls nicht authentisch verstehen wollen, ob man sie Kopien nennt, läge wohl nahe. In der analogen Welt würde nun Abgrenzungsbedarf wohl auch gegenüber dem Begriff der „Ausfertigung“ bestehen. Er ist schon hier aber wesentlich auf anderes, und zwar wiederum die Urkunde zugeschnitten; § 49 Abs.1 des Notariatsgesetzes definiert die Ausfertigung als „Abschrift der Urschrift, die mit dem Ausfertigungsvermerk versehen ist“. Es handelt sich um ein Digitalisat der Staatsbibliothek Berlin, nämlich des Werkes: Andreas v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 1: Allgemeine Lehren und Personenrecht (Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft, Abteilung 10, Teil 1z, Band 1), Leipzig 1910; es findet sich unter http://resolver.staatsbi bliothek-berlin.de/SBB0001941600000000. In den Metadaten des gescannten Objekts (C:\Users\4ECA92DE7DDF5BD9\Documents\Downloads\sbb-mets-PPN81920479X.xml) ist es die Zeile 6. 30 Erb (wie Anm. 3). 29
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4. Zusammenfassende Überlegungen Das Ergebnis ist ebenso klar wie auch nur theoretisch, schon weil der vorliegende Zusammenhang keine weitergehenden strafrechtlichen Überlegungen zu § 269 StGB nahelegt. Einleuchten würde – im Anschluß an Volker Erb31 –, dass alle solchen späteren Kopien ebenfalls den Schutz des § 269 StGB genießen. In der Kategorienlehre zeigt sich, dass auch „gleiche“ Datensätze unterscheidbar sein können, das beweist aber noch lange nicht, ob deren unterschiedliche Speicherzeitpunkte technisch immer ein belastbares Kriterium sind. Dass sie es nicht ohne weiteres sind, zeigt sich, wenn und weil die Metadaten der digitalen Dokumente durchaus lügen können. Denn um einer Datei ein anderes Sicherungsdatum zu verleihen, reicht es ja (zumindest für Laien), wenn man die Computeruhr des PC verändert und unter dem nun veränderten Datum, entsprechend vor- oder rückdatiert abspeichert, d.h. die Systemzeit des Rechners ist nur relativ und liefert objektiv sicher keinen verläßlichen „Zeitstempel“. Damit ist auch ein entscheidendes Stichwort gegeben: „Zeitstempel“ ist ein terminus technicus, der im Recht des elektronischen Rechtsverkehrs und insbesondere nunmehr auch im Europäischen Daten- und Signaturrecht etabliert ist. Schon das Signaturgesetz32 (und seine Ausführungsverordnung), seit 2017 europarechtlich novelliert mit der elDAS-VO, kannte einen „Zeitstempel“33. Dieser musste (definitorisch seit jeher) als Teil der elektronischen Signatur mit den Daten, auf die sich die elektronische Signatur bezieht, so verknüpft sein, dass eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann Ebd. Seine Erstfassung stammte von 1997, vgl. BGBl I, S. 1872–1876. – Zur Funktionalität des Zeitstempels vgl. Britta Brisch – Klaus Brisch, Elektronische Signatur und Signaturgesetz. In: Thomas Hoeren – Ulrich Sieber – Bernd Holznagel, Handbuch MultimediaRecht. Rechtsfragen des elektronischen Geschäftsverkehrs, München 2019, Teil 13.3 Rn. 58–60. 33 Zum Vorrang und Reichweite der eIDAS-VO vgl. Alexander Rossnagel, Das Recht der Vertrauensdienste: Die eIDAS-Verordnung in der deutschen Rechtsordnung (Der Elektronische Rechtsverkehr 37), Baden-Baden 2016, bes. S. 77 ff., in Hinblick auf den (qualifizierten elektronischen) Zeitstempel S. 80, 82, 94, bes. 105 („Die Anforderung des § 17 Abs. 3 Nr. 3 SigG, bei der Erzeugung qualifizierter Zeitstempel Fälschungen und Verfälschungen auszuschließen, finden sich in Art. 42 Abs. 1 lit. a) eIDASVO und ist daher nicht mehr anwendbar“) und 106 („Nach § 15 Abs. 3 Satz 4 SigV muss für qualifizierte Zeitstempel gewährleistet sein, dass die zum Zeitpunkt der Erzeugung des qualifizierten Zeitstempels gültige gesetzliche Zeit unverfälscht in diesen aufgenommen wird. Diese Anforderung widerspricht Art. 42 Abs. 1 lit. b) eIDAS-VO und ist daher nicht weiter anwendbar.“); dazu vgl. bereits Anm. 32. 31 32
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(§ 2 Nr. 2d SigG [Fassung von 2001]34). Dieser „Zeitstempel“ fixiert also den Zeitpunkt, in dem ein elektronisches Dokument die elektronische Signatur erhält und damit sein für diesen Zeitpunkt als authentisch ausgewiesener Inhalt so dokumentiert ist, dass nachträgliche Veränderungen festgestellt werden können, und das elektronische Dokument deshalb in seiner ursprünglichen Authentizität gesichert erscheint.35 Im oben genannten Beispiel des Scans mit „createdate“ ist dieses „createdate“ aber nur die Systemzeit des Rechners, mit dem der Scan erstellt wurde – ohne jede Garantie, dass diese Zeit der tatsächliche d.h. mit der gesetzlichen Zeit übereinstimmende Zeitpunkt war. Um das sicherzustellen, bedarf es eines sicheren „Zeitstempels“, der freilich technisch relativ aufwändig ist. Für diesen Sonderfall des „Zeitstempels“ im elektronischen Rechtsverkehr ist die Maßgeblichkeit des Zeitpunktes zur Unterscheidung zwischen Original und Nicht-Original längst erkannt und so bekannt, dass die vorliegenden Überlegungen im Ergebnis banal erscheinen können; weniger gilt das vielleicht für die Skizzierung einer theoretischen Herleitung und in jedem Fall unterstreicht sie die Bedeutsamkeit eines „Zeitstempels“ auch über den Rahmen des speziell elektronischen Rechtsverkehrs hinaus noch einmal, gerade auch für das Archivwesen unter den Bedingungen der Digitalisierung36.
34 BGBl I, S. 876–884, hier S. 877. Das SigG in seiner ersten Fassung definierte in § 2 Abs. 4: „Ein Zeitstempel im Sinne dieses Gesetzes ist eine mit einer digitalen Signatur versehene digitale Bescheinigung einer Zertifizierungsstelle, daß ihr bestimmte digitale Daten zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgelegen haben“ (vgl. Anm. 32, S. 1873). 35 So gilt für „qualifizierte Zeitstempel“ nach Art. 40 Abs. 2 elDAS-VO die „Vermutung“ der Richtigkeit der Angabe zu Datum und Zeit sowie der Unversehrtheit der mit ihnen verbundenen Daten, vgl. Rossnagel (wie Anm. 33) S. 56. Zur damit einhergehend notwendigen Koppelung an eine nicht manipulierbare, letztlich also allgemeingültige Zeitmessung, letztlich damit gesetzlicher Zeit (sei es national oder supranational), auch zu den (auch historischen) Rechtsgrundlagen der Zeitbestimmung vgl.: Staudinger/Repgen (2019), BGB, § 186 Rn. 4 (mwHinw.); Mathias Schmoeckel – Joachim Rückert – Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Band I, Tübingen 2003, §§ 186–193 BGB (Fristen und Termine), Rn. 1–3 (Hermann). 36 Für diesen spezielleren Zuschnitt vgl. Daniel Jeller, Die Archivalie im Zeitalter ihrer digitalen Reproduzierbarkeit; MA-Arbeit Wien 2013, erreichbar unter http://othes.univie. ac.at/25262/1/2013-01-23_9905457.pdf (aufgerufen am 15.11.2019).
Von der Herrschaft der Büros und von der verhüllten Macht der Archive Von Gerhard Hetzer Im Juni 1829 verfügte König Ludwig I. von Bayern für Versendungen in amtlichen Angelegenheiten die Befreiung vom Porto, wenn Gebühren, die von der staatlichen Post zu erheben waren, zu Lasten der Staatskasse gehen würden. Für den Vollzug des Reskripts war als Oberbehörde das k.b. Staatsministerium der Finanzen zuständig. Den nachgeordneten Ämtern wurde auferlegt, im Schriftverkehr die jeweiligen Erklärungen für die Gebührenfreiheit einer Sendung festzuhalten und zu kontrollieren. Hier sei ein Beispiel aufgeführt, wie bei Behörden neue Unterlagen entstanden und entstehen. Das im Zeitraum von 1829 bis 1853 geführte „Principien-Buch für das koenigliche Praesidial-Sekretariat“ der Regierung des Oberdonaukreises bzw. von Schwaben und Neuburg enthält folgende Weisung des Regierungspräsidenten: „Um für die Zukunft die monatlichen Post- und Postwagen-Porto-Conten controlliren zu können und bei jedem zahlbaren Stück den Betreff zu wissen, wird anmit verfügt, daß bei jedem solchen zahlbaren Einlaufstücke von dem Einlaufs-Journalisten jeder Kammer [der Kreisregierung] der auf der Addresse oder im Postbuche bemerkte Betrag des Post- oder Postwagen-Porto auf dem betreffenden Einlaufstück unter der Einlaufs-Nummer bemerkt und die Addresse selbst diesem EinlaufStück angelegt werden soll, wo dann das Präsidial-Sekretariat über diese sämtlichen postzahlbaren Einläufe ein Journal zu führen und solches dem jeweiligen monatlichen Post- und Postwagen-Konto der hiesigen Postund Postwagen-Expedition zum Referat über die zahlbare Anweisung anzulegen ist. Wonach also der k[önigliche] Präsidial-Sekretär [Name] die 2 Einlauf-Journalisten geeignet anzuweisen und sich selbst zu benehmen hat.“1
Staatsarchiv Augsburg, Regierung, Präsidium 2831, Regierungspräsident Ludwig Fürst zu Oettingen-Wallerstein an den Präsidialsekretär (10.3.1830).
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Bü r o k r a t i e u n d Bü r o k r a t i e k r i t i k i n d e r G e s c h i c h t e Der Begriff „Bürokratie“ stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Als sein Urheber gilt der Nationalökonom Vincent de Gournay (1712–1759), der als Handelsintendant in den Diensten des französischen Königs stand.2 Als Anhänger des freien Spieles der Kräfte bei Angebot und Nachfrage wollte Gournay zunächst seine Distanz zu den Institutionen merkantilistischer Staatswirtschaft beschreiben. In gedruckten Eingaben von 1790/91 an die französische Nationalversammlung lässt sich „bureaucratie“ als negativ besetzter Leitbegriff auch für andere Verwaltungszweige nachweisen. In Deutschland entstanden rund um die „Sturmjahre“ 1848/49 zahlreiche Texte zu bürokratischem Handeln und bürokratischer Haltung, von denen manche den Beamtenstand auch verteidigten.3 Die Forderungen von Reformern der Justizverfassung nach Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Verhandlungen vor Gericht verfolgten in diesen Jahren auch den Zweck, gerade in der Rechtspflege mit der Herrschaft der „Schreiber“ zu brechen. Der aus Weißenburg i. Bay. stammende Philosoph und politische Schriftsteller Friedrich Rohmer (1814–1856) sah in einer im September 1848 gedruckten Broschüre bei der bisherigen Verwaltung den „Organismus im Mechanismus, das Leben im Bureau und das Wesen in der Form“ untergehen. Die Sachverhalte, die in den Akten konstatiert und von Vorgesetzten bei Visitationen abgefragt würden, seien ihrerseits überprüfungswürdig, und zwar darin, ob sie bei dem herrschenden Geist der Servilität die tatsächlichen Verhältnisse widerspiegelten.4 Die Angriffe Rohmers erfolgten im Vorfeld der für November 1848 anstehenden Wahlen zur bayerischen Abgeordnetenkammer, also zu einem konkreten Anlass, sie standen aber in der Kontinuität liberaler Diagnosen von vormärzlichen Zuständen. Der Staatsrechtler und Schriftsteller Karl Brater (1819–1869), zu Jahresende 1850 als Bürgermeister von Nördlingen im Konflikt mit der Staatsaufsicht aus dem Amte geschieden, nannte als vorherrschende Eigenschaften des „Schreibstuben-Regiments“ den „Formalismus“ und „Kastengeist“ ihBernd Wunder, Geschichte der Bürokratie in Deutschland (Edition Suhrkamp, Neue historische Bibliothek 281), Frankfurt a. Main 1986, S.7. 3 Zu der in unterschiedlichen Milieus und politischen Lagern in Deutschland geübten Bürokratiekritik siehe Lutz Raphael, Recht und Ordnung. Herrschaft durch Verwaltung im 19. Jahrhundert (Fischer Taschenbücher, Europäische Geschichte 60158), Frankfurt a. Main 2000, S. 194–198. 4 Friedrich Rohmer, Deutschlands alte und neue Bureaukratie. Mit einem offenen Wort über das gegenwärtige bayerische Ministerium, München 1848, S. 3, 57. 2
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rer Vertreter. Wie Rohmer wandte er sich allerdings gegen die allgemeine Etikettierung von öffentlicher Verwaltung als „Bureaucratie“, weise diese Bezeichnung doch nur auf einen kranken Zustand hin. Bürokratie sei der Gegensatz zu einem durchaus kraftvollen, von staatsmännischem Geiste geleiteten Administrieren, bei dem allerdings „die Form [nur] um der Sache willen beobachtet und nöthigenfalls der Sache geopfert“ werde.5 Brater mochte ein Idealbild der preußischen Verwaltung vor Augen haben, die der Geist der Stein-Hardenbergschen Reformen des frühen 19. Jahrhunderts geprägt hatte. Diese Verwaltung, so andere Autoren, sei unter dem Einfluss von Interessengruppen erst in den darauffolgenden Jahrzehnten versteinert. Da habe sich nämlich eine Einstellung breit gemacht, die sich „das ausschließliche Eigenthum staatsmännischer Einsicht und Bildung […] beilege und eben deshalb die Bevormundung des Volkes zur Grundidee der Gesetzgebung und Verwaltung erhoben habe“.6 Auch innerhalb der Verwaltung selbst zeigten sich direkt und indirekt Wirkungen der Kritik in der Presse, in Flugschriften oder in Parlamentsverhandlungen. Hier sei nur ein Beispiel auf der Ebene der Unterbehörden zitiert, die im Königreich Bayern bis 1862 innere Verwaltung und Rechtspflege noch nebeneinander ausübten. Er habe „einem [vor]gefundenen Schreiberregimente begegnen [wollen], welches die Unterthanen oft so tief empfinden.“ So rechtfertigte sich ein bayerischer Landrichter gegen den Vorwurf, dass er nach seinem Amtsantritt zu viele Aufgaben an sich gezogen habe, anstatt eine zweckmäßige Geschäftsverteilung unter seinen nachgeordneten Beamten vorzunehmen. Seitens der Kreisregierung war er über Jahre hinweg wegen Fristüberschreitungen gemahnt, gerügt und mit Geldstrafen belegt worden. Und schließlich hatte die übergeordnete Stelle sogar Wartboten geschickt, die der Säumige bis zur Erledigung des Auftrages aus dem eigenen Geldbeutel hatte beherbergen und verpflegen müssen. Dann aber habe ihm sein Vorgesetzter nachsichtig die „Vater-Hand“ geboten.7 Es war dies der gleiche Regierungspräsident, der schon Karl Brater das Leben sauer gemacht hatte. Er war im Sommer 1849 in Schwaben nicht nur angetreten, um dort die Geister der Revolution niederzuhalten, Stichwort „Bueraucratie“. In: J[ohann] C[aspar] Bluntschli – K[arl] Brater (Hrsg.), Deutsches Staats-Wörterbuch, Band 2, Stuttgart-Leipzig 1857, S. 293–300, hier S. 296. 6 [Benno] Brausewetter, Über die Reform der preußischen Staats-Verwaltung, und über die Stellung der sogenannten Bürokratie zu diesen Reformplänen, Potsdam 1849, S. 1. 7 Staatsarchiv Augsburg, Regierung, Präsidium 2858, Landrichter F. D. in Wemding an den Regierungspräsidenten Carl Frhrn. von Welden (28.3.1855). 5
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sondern auch mit Unfähigkeit und Schlendrian in den Behörden aufzuräumen. Wer von Bürokratie in historischen Zusammenhängen redet, der muss allerdings von Max Weber (1864–1920) reden. Die in dem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ posthum erschienene Zusammenstellung von Arbeiten Webers8 setzte einen Standard der Beschreibung von Bürokratie, mit dem sich bis heute Politikwissenschaft und Organisationssoziologie beschäftigen. Max Weber war nicht in der negativen Konnotation des Begriffes „Bürokratie“ verharrt. Er brach mit diesem Sinnzusammenhang und knüpfte zugleich an das auch in der liberalen Bürokratiekritik enthaltene positive Gegenbild der „besseren“ Verwaltung an. Weber beschrieb einen Idealtypus von Bürokratie als den Träger von „legaler“ Herrschaft als eines der Kennzeichen moderner Staatlichkeit, die neben der herkömmlichen Hoheitsverwaltung als zweite Säule die Leistungsverwaltung entwickelt hatte. Ihm galt diese „legale“ Herrschaft, die „gesatzte“ Herrschaft, als die stabilste Form von Herrschaft, die, an Vorschriften gebunden und mit Rationalität und Effizienz, das Gleichheitserfordernis der Massendemokratie am besten erfüllte. Von dieser „legalen“ Herrschaft zu unterscheiden waren die „traditionale“ und die „charismatische“ Herrschaft – also Herrschaftsformen, die auf ständischen Privilegien und auf Erbschaft beruhten oder auf dem Willen von einzelnen Personen, die Gehorsam einforderten und keinen Widerspruch duldeten. Bürokratie war für Weber gekennzeichnet durch hierarchischen Aufbau, festgeschriebene Kompetenzen, geordnete Ausbildungsgänge und klar gezeichnete Laufbahnen sowie durch eine einheitliche Amtsdisziplin und Leistungskontrolle. Es war somit eine unpersönliche und unparteiische Ordnung, basierend auf Regelwerken, die Sachlichkeit, Berechenbarkeit und Stetigkeit gewährleisteten. Wenn Friedrich Schiller in seiner 1799 erschienenen Dramen-Trilogie „Wallenstein“ den schwedischen Unterhändler Wrangel sagen ließ: „Ich hab‘ hier bloß ein Amt und keine Meinung“, also einen Satz, der im Vormärz wohl alle Freunde der Freiheit aufschreien lassen konnte, so war dies bei Weber gleichsam im Sinne einer objektiven Amtsführung gewendet. Das Berufsbeamtentum hatte seine Wurzeln in den Regierungsformen des Absolutismus. Die Aufhebung des im 17. und 18. Jahrhundert noch gegebenen Personenverbandsstaates, also eigentlich einer „traditionalen“ Herrschaft, durch die Aufklärung und die Reformen im Gefolge der Französischen Max Weber, Grundriß der Sozialökonomik, III. Abteilung: Wirtschaft und Gesellschaft, 2 Bände, Tübingen 1921–1922. 8
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Revolution war allerdings die Voraussetzung für einen modernen Beamtenstand gewesen. Und Weber konnte bei seiner Beschreibung der Typen von Herrschaft kurz vor dem Ersten Weltkrieg und bei seinen redaktionellen Arbeiten am ersten Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft“ bald nach Kriegsende noch nicht voraussehen, dass es wenige Jahre später Beispiele für charismatische Herrschaftsformen neuer Art geben sollte. Personalismus und Improvisation in der Herrschaftspraxis des Nationalsozialismus bedurften gleichwohl der Unterstützung durch ein ausdifferenziertes Beamtentum. Das Meyersche Konversations-Lexikon, seit den 1840er Jahren in unzähligen Bücherschränken des deutschen Sprachraumes zu finden, stand hier in seiner in den 1920er Jahren erschienenen 7. Auflage wie schon die Vorgängerausgaben noch ganz in der Traditionslinie des deutschen Liberalismus: „Bureaukratie“ stehe für kurzsichtige und engherzige „Beamtenwirtschaft“, der das „Verständnis für die praktischen Bedürfnisse des Volkes“ fehle. Beschrieben wurde ein Apparat, der nur eigenen Gesetzen gehorchte und den keine Legislative kontrollierte. Dessen Kennzeichen seien die „Formenkrämerei“ und die „Herrschaft des grünen Tisches“, er sei jene „Geheimratsherrschaft“, die Bismarck angeprangert habe. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts hätten aber die konstitutionellen Regierungsformen in Staat und Gemeinde sowie die Vereins- und Pressefreiheit diese Erscheinung „mehr und mehr zurückgedrängt.“ Beim Stichwort „Bureaukratismus“ wurde auf das Ressortprinzip und die Zuständigkeitsregelung verwiesen, mithin auf die Unterschiede zum verzopften Kollegialsystem. Freilich könne dabei leicht Willkür auftreten. Daher seien Aufsicht und Mitwirkung der Volksvertretung und das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden besonders gefordert. Die zehn Jahre später erschienene 8. Auflage des „Meyer“, die zahlreiche Neuinterpretationen im Sinne des Nationalsozialismus enthielt, verzichtete auf dieses Bewertungsmuster. Ein knapper Überblick fasste jetzt die verschiedenen Deutungen von „Bürokratie“ zusammen. Erst dann wurde wiederum die „Beamtenwirtschaft“ angesprochen, der – nun die neue Beschreibung – „das Verständnis für die Bedürfnisse des Lebens“ fehle und die „kleinlich an ihrem gewohnten schwerfälligen Geschäftsgang“ festhalte. Hier hatte der Gesichtspunkt der Effizienz die liberale Bürokratiekritik verdrängt. Dafür fanden sich jetzt ein Lemma zum „Büro“, das ausführlich auf Organisationsformen und -abläufe sowie auf das Büromaterial
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einging, und ein weiteres Stichwort zu „Büromaschinen“.9 1925 war an Literatur lediglich auf die humoristische Beschreibung aus der Feder eines heute weitgehend vergessenen Nürnberger Erzählers zur Figur des „St. Bürokratius“ verwiesen worden. Der Beitrag von 1937 gab hingegen als Referenz das über 1300 Seiten starke „Handbuch der Rationalisierung“ des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit in dessen 1932 erschienener dritter Auflage an. Dieses enthielt Beiträge zum Registraturwesen und zu Neuerungen in der öffentlichen Verwaltung. Bei der Registratur folgte man im Wesentlichen den Handreichungen des Kuratoriums, die kurz vorher ausgearbeitet worden waren, und damit den von der „Büroreform“ entwickelten Ordnungssystemen und Ablageformen. Rationalisierung in der Verwaltung bezog sich hier auf die Verschlankung des Dienstbetriebes durch die Vereinheitlichung von Vorschriften und Geschäftsordnungen, auf Lohn- und Gehaltsberechnung, Bürotechnik und Beschaffungswesen. Beim Geschäftsverkehr fanden sich Ratschläge zur Vermeidung von schroffem Verhalten gegenüber dem Publikum und zur Abfassung verständlicher und schnörkelloser Behördenschreiben10, mithin eine Reaktion auf populäre Bürokratiekritik. Auch die nationalsozialistische Beamtenpolitik benannte das „Beamtentum im jungen Preußen“ als Leitbild. Und: „Der Beamte darf nicht in spitzfindiger Anwendung der Gesetze, Erlasse und Verordnungen zum vielgehaßten Bürokraten werden. Er soll vielmehr in der Lage sein, dem wirklichen Sinn und dem beabsichtigten Zweck einer Vorschrift zum Siege zu verhelfen. […] Ein solcher Beamter wird – und das ist ein Kriterium des guten Beamten im nationalsozialistischen Staat – den richtigen Entschluß auch ohne sogenannten Vorgang finden.“ Es konnte durchaus eine Abgrenzung zu Max Weber sein, wenn mit Bezug auf die Weimarer Republik festgestellt wurde, dort habe „das lebensfremde Ideal korrekter Sachlichkeit und Unpersönlichkeit“ geherrscht. „Weltenfern und abstrakt, dem Volke und seinem Wesen fremd […]: das waren in Wahrheit die Elemente der sogenannten demokratischen Neutralität in der Verwaltungsübung“,
Meyers Lexikon, 7. Aufl., 2. Band, Leipzig 1925, Sp. 1099. – 8. Aufl., 2. Band, Leipzig 1937, Sp. 316 f. 10 Fritz Reuter (Bearb.), Handbuch der Rationalisierung, 3. Aufl. Berlin-Wien 1932, S. 642–661, 1015–1048. – Zur „Büroreform“ in den Reichsbehörden und in der preußischen und bayerischen Staatsverwaltung ausführlich Angelika Menne-Haritz, Geschäftsprozesse der Öffentlichen Verwaltung. Grundlagen für ein Referenzmodell für elektronische Bürosysteme (Schriftenreihe Verwaltungsinformatik 19), Heidelberg 1999, S. 133–241. 9
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Kennzeichen für Staaten, die im Besitze verschiedener Parteien und Interessentengruppen seien, aber nicht regiert würden.11 Obwohl es zur Zeit des Dritten Reiches auch eine wissenschaftliche Rezeption von Max Webers Werken gegeben hatte, zählte der Kultur- und Sozialwissenschaftler doch zu den Wiederentdeckungen der frühen Nachkriegszeit. Die 1925 erschienene zweite Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft“ wurde 1947 unverändert nachgedruckt. Im gleichen Jahr erschien eine von Talcott Parsons (1902–1979) besorgte und eingeleitete Übersetzung des Teiles I von Webers Werk in englischer Sprache. In diesen 1940er Jahren war die Kritik an zeitgenössischen Erscheinungsformen der Büroherrschaft, und zwar auch außerhalb der öffentlichen Verwaltung, deutlicher geworden, wobei wiederum die bürokratische Behinderung der Erfordernisse des Marktes unterstrichen wurde. Der emigrierte österreichische Wirtschaftswissenschaftler Ludwig von Mises (1881–1973) hatte 1944 an der Yale-Universität in New Haven mit „Bureaucracy“ ein Plädoyer für die Umkehr zugunsten eines gesamt-gesellschaftlichen Wettbewerbs veröffentlicht, ein Buch, das erst 1997 in deutscher Übersetzung erschien. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte die Bürokratie-Kritik bevorzugt bei den Wucherungen von Institutionen und Geschäftsordnungen an, beim Agieren neben der parlamentarischen Kontrolle oder bei autokratischen Führungsstilen.12 Die ab 1955 veröffentlichten Lehrsätze von Cyril Northcote Parkinson (1909–1993) wurden auch deswegen zu einem Publikumserfolg, weil sie mit dem Mittel der Ironie bestätigten, was viele in Sachen Bürokratie vermutet und manchmal auch erlebt hatten. Gegen den sogenannten strukturellen Konservatismus der Verwaltung wandten sich Kampagnen, die mit Begriffen wie „schlanker Staat“ und „lernende Verwaltung“ operierten, manchmal auch mit Schlagworten wie der „bürokratiefreien Zone“ – zum Beispiel zur Verfahrensbeschleunigung, vorzugsweise im kommunalen Bereich zugunsten von Antragstellern in Gewerbe- und Bauangelegenheiten. Mit den Defiziten und schließlich dem Scheitern der Planwirtschaft im Ostblock schienen diese Regungen von Unbehagen, in ihren Argumenten der Bürokratie-Kritik des 19. Jahrhunderts ganz ähnlich, ihre historische Berechtigung zu erfahren. Julius Vogel, Deutsches Berufsbeamtentum. Kernsätze aus Reden, Schriften und Aufsätzen des Reichsbeamtenführers Hermann Neef, Wien 1942, S. 92, 125 f. 12 Zusammenfassungen bei Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre. Politikwissenschaft. Ein Studienbuch (Juristische Kurz-Lehrbücher) 17., neu bearbeitete Aufl. München 2017, S. 194–198, 314–325. 11
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D a s A r c h i v, e i n u n b e k a n n t e s We s e n Zu der von Max Weber geforderten Sachlichkeit gehörten die schriftliche Fixierung und die Dokumentation des Verwaltungshandelns als Voraussetzung gesellschaftlicher Kontrolle, also die „Aktenmäßigkeit“: „Akten und kontinuierlicher Betrieb durch Beamte zusammen ergeben: das Bureau, als den Kernpunkt jedes modernen Verbandshandelns.“13 Hier haben wir den Archivbezug, ohne dass der Begriff „Archiv“ als Einrichtung oder das Archivieren als Aufgabe in „Wirtschaft und Gesellschaft“ auftaucht. Die juristisch gebildeten Beamten als Kerntruppe des Beamtentums sind ja auch aus der Archivgeschichte nicht wegzudenken. Der Bürokratie und dem Archiv gemeinsam ist der Charakter eines Herrschaftsmittels. Und wenn für moderne Staatlichkeit die funktionale Differenzierung kennzeichnend ist, so spiegelt sich dies natürlich in den Archivbeständen wider – je differenzierter eine Verwaltung war und ist, desto vielfältiger waren und sind die Formen des Niederschlages, den sie in den Archiven hinterlässt. Bemerkenswert ist gleichwohl, wie wenig die klassischen Archive in den Erörterungen rund um Büros, Bürokratismus und Bürokraten auftauchen. Dies gilt für die Organisationssoziologie ebenso wie für die Verwaltungswissenschaften. War die Historisierung der Archivbestände und der Archivarstätigkeit seit dem Ende des 18. Jahrhunderts so erfolgreich gewesen, dass sie bei diesen Diskursen außen vor blieben? Hatte der Transmissionsriemen gefehlt, um den lokalisierten Wissensspeicher für konkrete Entscheidungen, für die Anwendung von Macht zu nutzen? War auch keine Verbindung dazu zu sehen, was Michel Foucault unter Macht und Wissen verstand? Falls die Dokumentation von Verwaltungshandeln und Archiv ein funktionales Tandem bilden, warum wird dann, wenn von „Bürokratie“ geredet wird, nicht von „Archivokratie“ gesprochen? Hier handelt es sich nicht um einen Neologismus. Der Philosoph und Kunsttheoretiker Knut Ebeling hat ihn in Zusammenhang mit der räumlichen Nähe zwischen dem Schauplatz demokratischer Entscheidung im alten Athen und dem Ort des Nachweises der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Entscheidung verwendet, und zwar in einem Beitrag zu der Aufsatzsammlung „Gewalt
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Weber (wie Anm. 8) S. 125.
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der Archive. Studien zur Kulturgeschichte der Wissensspeicherung“.14 Der Gegenwart ist die unmittelbare Verbindung zwischen dem im „archaion“ vorrätigen Wissen und den „pragmata“ der Polis offenbar nicht so vertraut. Denkmodelle, Gedankengebäude Wir sind bei der Macht der Archive zur Formung und Nutzung des Potentials der Erinnerung für die Gegenwart angelangt und brauchen vor dieser nützlichen Diskussion nicht zurückzuschrecken. Hier soll aber ein komplementärer Aspekt angesprochen werden. Der amerikanische Anthropologe David Graeber, bekennender Anarchist, konstatierte als Ergebnis des Liberalismus britischer Provenienz, wie er seit dem 19. Jahrhundert Staat und Wirtschaft beherrscht habe, „eine stetig wachsende Zahl von Verwaltungsbeamten, Archivaren, Inspektoren, Notaren und Polizisten“. Zur Sicherung der auf kultischen Sockel erhobenen vertraglichen Vereinbarungen unter autonomen Partnern habe man diese Funktionäre benötigt, und ihrer bedürfe man auch weiterhin. Das Bündnis zwischen Staat und Finanzwirtschaft produziere zudem eine Flut von amtlichen Dokumenten, es betreibe die „Zertifizierung“ der Welt als vertrauensbildende Maßnahme.15 Graeber sah durchaus die Anziehungskraft, die eine Bürokratie im Weberschen Sinne habe, da sich auf ihr „zu einem gewissen Grad […] auch unsere Vorstellungen von Rationalität, Gerechtigkeit und allen voran der Freiheit“ gründeten.16 Im Übrigen hatte Graeber die Bürokratisierung der großen Wirtschaftsunternehmen seit dem späten 19. Jahrhundert registriert. Deren Auswirkungen auf die firmeninterne Schriftgutverwaltung, im Betriebswirtschaftswesen und bei der Personalverwaltung, waren ebenso Anlass für Büroreformen gewesen wie im öffentlichen Dienst, wo Bahn und Post oder große Kommunen vorangegangen waren. Wenn man andererseits eine entwickelte Bürokratie in erster Linie in „Selbstbeschäftigung“ und im „Gegeneinander“ münden sieht, in der „Unzugänglichkeit“ sowie in „Energieverlusten“, die durch Formalismen entstehen, dann mögen sich im Umkehrschluss auch Möglichkeiten für diejenigen zeigen, die von 14 Knut Ebeling, Attentäter im Archiv. Von den Archiven des Desasters zum Desaster des Archivs. In: Thomas Weitin – Burkhardt Wolf (Hrsg.), Gewalt der Archive. Studien zur Kulturgeschichte der Wissensspeicherung, Konstanz 2012, S. 295–313, hier S. 298. 15 David Graeber, Bürokratie. Die Utopie der Regeln. Aus dem Englischen von Hans Freundl und Henning Dedekind, München 2017, S.14, 29. 16 Ebd. S. 185.
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Bürokraten verwaltet werden. Es werden „kleine und größere Räume der Herrschaftslosigkeit“ erlangt, somit Wege hin zu anarchischen Zuständen beschritten.17 Wie steht es aber um die Archive des Anarchismus selbst, also derjenigen politischen Strömung, die in ihrem Namen gleichsam die Verneinung dessen trägt, was in der „arché“ an nomologischem Sinnzusammenhang und in der Tätigkeit der „árchontes“ als den Hütern und Auslegern der Gesetzestexte und deren einheitlicher Anwendung angelegt ist, wie sie von Jacques Derrida erklärt wurden?18 Wo spontanes Handeln und der Wert einer Aktion, auch jenseits kurz- und mittelfristiger Zweckmäßigkeitsüberlegungen, zur Lehre gehörten und mit einer eigenen Ästhetik versehen waren, dort mochte wenig Platz sein für die Evidenz und für die Memoria. Max Nettlau (1865–1944), ein autochthoner Historiker des Anarchismus, äußerte sich 1927 in seiner „Eugenetik einer freien Gesellschaft“ zu den Beamten „aller Art“. Denen sagte er voraus, dass sie in einer Gesellschaft, die dereinst frei geworden sei im Sinne des Anarchismus, nur noch hilflos herumsäßen und zu einer verschwindenden Gattung würden. In diesem Zustand würde er, Nettlau, ihnen dann gerne erlauben, „die Geschichte all ihrer Ämter usw. nach den Akten zu schreiben; dies würden sie bis zu ihrem Aussterben hinziehen und wären so erledigt; denn Nachwuchs erhielten sie nicht.“19 Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges führte im Juli 1936 in einigen Gebieten, in Andalusien und vor allem in Katalonien, wo der Staatsstreich des Militärs gegen die Volksfrontregierung gescheitert war, zur zeitweiligen Erprobung von Formen der Selbstverwaltung im Sinne des Anarchosyndikalismus. Von Vollversammlungen per Abstimmung beauftragte Kommissionen für Industrie- und Verkehrsbetriebe wurden ebenso tätig wie Räte, die in Städten, Dörfern und enteigneten Latifundien direkt gewählt worden waren. Die Verwaltung einer Stadt wie Barcelona mit damals schon weit über einer Million Einwohnern soll angeblich mit 200 Angestellten ausgekommen sein. Laut Erinnerungen habe beim Übergang vom Kampf gegen den Militärputsch hin zur libertären Revolution das Walter Leisner, Die demokratische Anarchie. Verlust der Ordnung als Staatsprinzip? Berlin 1982, S. 228–230. 18 Jacques Derrida, Dem Archiv verschrieben. In: Knut Ebeling – Stephan Günzel (Hrsg.), Archivologie. Theorien des Archivs in Wissenschaft, Medien und Künsten (Kaleidogramme 30), Berlin 2009, S. 29–60. – Bezüge zu und die Auseinandersetzung mit Derridas Deutungen auch in den Beiträgen von Knut Ebeling und Cornelia Vismann ebd. 19 Max Nettlau, Eugenik der Anarchie (Texte zu Geschichte und Theorie des Anarchismus), Wetzlar 1985, S. 30 f. 17
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Komitee der Antifaschistischen Milizen in Barcelona „mit seinen wenigen Mitgliedern […] zwanzig Stunden am Tag [gearbeitet]. Es erfüllte Aufgaben, für deren Bewältigung eine normale Regierung eine kostspielige Bürokratie unterhält; es war zugleich Kriegsministerium, Innenministerium, Außenministerium, alles auf einmal, und der wahre Ausdruck des Volkswillens“ (Diego Abad de Santillan, 1940). Aber: „Es wurde dort diskutiert, verhandelt, abgestimmt, es gab Akten, bürokratische Arbeit. [Buenaventura] Durruti [anarchistischer Politiker und Milizenführer] aber hatte kein Sitzfleisch. Draußen wurde geschossen“ (Jaume Miravitlles, 1971).20 Dass die genannten Akten auch geführt wurden, legen die 1939 aus Spanien geflüchteten und heute im Archiv des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte in Amsterdam aufbewahrten zentralen Bestände der Confederación Nacional de Trabajo (CNT) dar. Freilich war diesen Archiven die Kontinuität versagt geblieben, sie hatten zuallererst Ausnahmezustände dokumentiert. Ein Interessengebiet der mediengeschichtlich orientierten Archivforschung sind die oft langlebigen Einrichtungen und Hilfsmittel des Büros, von der Schreibmaschine über die Lochkartensysteme bis hin zum Großrechner.21 Der Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann (1927–1998), der berufliche Stationen in einer Verwaltungslaufbahn hatte, schrieb seine Dissertation zum Thema „Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung“. Diese erschien zu den Frühzeiten der Datenverarbeitung in der Privatwirtschaft und in den Behörden. Den Unterschied zwischen deren Einsatz bei den Kalkulationen eines privaten Unternehmens und der Verwendung in der öffentlichen Verwaltung erläuterte Luhmann ganz im Sinne Webers: In der Verwaltung könne dieser Einsatz nur auf zuvor rechtlich fixierten Grundlagen beruhen, da hier Entscheidungen fielen, die Dritte beträfen und nach außen zu vertreten seien. Wörtlich: „Die Entscheidung muß dieselbe sein wie bei manueller Anfertigung“.22 Luhmann blieb bei der dienenden Funktion des Computereinsatzes. Bei Nebenaspekten freilich erwartete er eine Leistungssteigerung durch Automatisierung.
Nach Hans Magnus Enzensberger, Der kurze Sommer der Anarchie. Buenaventura Durrutis Leben und Tod. Roman, 1. Aufl. Frankfurt a. Main 1972, S. 138 f. 21 Etwa Bernhard J. Dotzler, Fehlanzeige. Babbage, Boole, Hollerith und die Geschichte der Denksysteme des Denkens. In: Sven Spieker (Hrsg.), Bürokratische Leidenschaften. Kultur- und Mediengeschichte im Archiv (Copyrights 13), Berlin 2004, S. 263–280. 22 Niklas Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung (Schriftenreihe der Hochschule Speyer 29), Berlin 1966, S. 19. 20
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An Webers monumentalem Organisationsmodell aus rationaler Zweck/ Mittel-Orientierung, Befehlsgebung und Legitimation kritisierte Luhmann in der Folgezeit die fehlende Offenheit für Variationsmöglichkeiten zur Selbsterhaltung des Systems. Dass für ihn das Stadium der Entscheidungsfindung mehr Bedeutung erhielt als die interne Entscheidungsbefolgung23 musste auch die „Aktenmäßigkeit“, die Dokumentation von Verwaltungshandeln, berühren. Die Elemente der Rollentrennung und der Generalisierung in Webers Bürokratie-Modell – Trennung von Arbeitsplatz und Familie und von Arbeitsmittel und Eigentum, Unpersönlichkeit der Zweckorientierung – sah er allerdings weiterhin als fruchtbar für eine offene Systemtheorie an. Eben in der Hochschätzung der Werteneutralität von Verwaltungshandeln zeigte sich Luhmann in der Nachfolge Webers – er hat sich deswegen mit Jürgen Habermas Kontroversen geliefert. Gleichzeitig hat er wohl die heutigen Diskussionen vorhergeahnt, die sich um die Regulierung dessen drehen, welche Steuerungsziele die Programmierer haben, die die immer umfassender funktionierenden Algorithmen auf die Reise schicken. Das Netz bedarf der Spinne, unabhängig davon, ob auf Papyrus, Pergament und Papier geschrieben oder ob mit Bits und Bytes gearbeitet wird. Manches von der Skepsis der Frühzeit in den Verwaltungen gegenüber der Datenverarbeitung ist inzwischen überholt, vor allem, was die organisatorischen und technischen Abläufe betrifft. Andere Ansatzpunkte der Kritik sind aktuell geblieben. So führe das ordnungsneutrale Registrieren zu zusätzlichem Aufwand bei der Vorgangs- und Aktenbildung. Mit Logfile, TodoNumber und anderem kehre das Geschäftstagebuch aus der Zeit vor der Büroreform zurück, an die sich die heute aktiven Beamten persönlich nicht mehr erinnern können – und überhaupt und überall: die Langzeitkonservierung gespeicherter Daten.24 Niklas Luhmanns berühmter Zettelkasten mit seinen rund 90.000 in Holzbehältern verwahrten Notizen aus den Arbeitsjahren von 1952 bis 1997 wird derzeit an der Universität Bielefeld in mehreren Etappen als Bilddatenbank online gestellt. Inzwischen ist der größte Teil dieser Zettel mit Gedanken und Exzerpten, Literaturangaben und Querverweisen samt Niklas Luhmann, Zweck-Herrschaft-System. Grundbegriffe und Prämissen Max Webers. In: Renate Mayntz (Hrsg.), Bürokratische Organisation (Neue Wissenschaftliche Bibliothek 27), Köln-Berlin 1968, S. 36–55, hier S. 45. 24 Als Beispiel für eine inzwischen umfangreiche Literatur: Harald Rösler, Bürokunde und ein Blick ins Archiv, Duisburg 2015, S. 28–32. 23
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Luhmanns thematischer Gliederung im Netz einsehbar und wird von Navigations- und Suchfunktionen begleitet. Derzeit wird an den Transkriptionen und Verlinkungen gearbeitet.25 Auch unter Luhmanns Schlagworten sucht man zwar bislang vergebens nach „Archiv“. Doch findet man den „Aktenplan“ in dessen Beziehung zum Organisations- und zum Geschäftsverteilungsplan (Wesen der Organisation) sowie die „Akten“ als den Ort des Nachweises von „Entscheidungsreihen“ in einer effizient arbeitenden Verwaltungseinheit (Leistungssteigerung). Dieses monumentale Denkgebäude in DIN-A6-Format leiht inzwischen auf dem Markt verschiedenen Anbietern die Bezeichnung für elektronische Zettelkästen. Einer von ihnen, der laut Web-Auftritt Luhmanns „Gedanken vernetzen und [damit] neue Sinnzusammenhänge produzieren“ wollte, tauglich auch für Windows, Mac OS X und Linux, musste freilich im Dezember 2016 nach technischen Problemen und Spam-Angriffen seinen Aufbau vorerst einstellen, ein Vorgang fast schon von dialektischer Qualität. Inzwischen gibt es hier einen neuen Anlauf. Aber es gehört auch zum Ferment der ganz großen Entwürfe, dass sie in der Selbstbewegung der Wirklichkeit ihren Ausgleich finden. Filippo Tommaso Marinetti (1876–1944), der Verfasser des berühmten futuristischen Manifests von 1909, hatte, um die Lasten der Vergangenheit abzuwerfen, Bibliotheken in Feuer aufgehen, Museen unter Wasser setzen und den eigenen Schriftsätzen eine Geltungsdauer und Aufbewahrungsfrist von zehn Jahren zugestehen wollen. Tatsächlich aber hinterließ er einen stattlichen Nachlass mit Korrespondenzen und Sammlungskonvoluten.26
Der Arbeitsplan des Projekts unter https://niklas-luhmann-archiv.de/bestand/zettelkasten/ auszuege (zuletzt aufgerufen Februar 2021). – Für Mitteilungen danke ich dem Wissenschaftlichen Koordinator der Erschließung, Dipl.-Soz. Johannes Schmidt, Universität Bielefeld. 26 Heute im Getty Research Institute in Los Angeles. 25
Zum Wert des Originals Von Reinhard Stauber „Originaliter“, so belehrt uns das Zedlersche Lexikon Mitte des 18. Jahrhunderts, bedeute „hauptsächlich vom Anfang her; ursprünglich“. „Original“ aber, so das Leipziger Lexikon weiter, stehe nicht für „Ursprung“ (das tut „origo“), sondern beschreibe eine Beziehung der Ähnlichkeit, und zwar von der gebenden, aktiven Seite dieser Ähnlichkeitsbeziehung her. In der Absicht, das Original so gut wie möglich ab- und nachzubilden, oder es zu vervielfältigen, entsteht eine Kopie, eine oder mehrere; der „Zedler“ spricht sehr figurativ von einem „Abdruck“.1 Es ist die Absicht hinter der Erzeugung eines Abdrucks, die die Kopie, die als bewusst hergestelltes Duplikat verstanden werden will, von Vorgehensweisen bewusster Täuschung unterscheidet, die in diesen Ablauf eingebracht werden können und zu Plagiat, Fälschung oder Lüge führen. „Original“ beschreibt hier also eine Korrelation, eine Beziehung zwischen zwei Dingen, und zwar eine Beziehung von Ähnlichkeit. Deutlich technischer und im juristischen Sinn definiert dann eine große Enzyklopädie des 19. Jahrhunderts das „Original“ als „Urschrift“ einer Urkunde, die im gerichtlichen Verfahren per se besondere Beweiskraft genießt, während eine „Abschrift“ eigener Beglaubigung bedarf.2 Heute assoziiert man zum Wortfeld von „Original“ Begriffe wie Kopie, Fälschung, Echtheit, Richtigkeit – vielleicht sogar Wahrheit. Andererseits ist im digitalen Zeitalter das eindeutig Gerichtete der Ähnlichkeitsbeziehung verschwunden, sind Kopie und Original nicht mehr ohne weiteres zu unterscheiden. Deswegen hat der Journalist Dirk von Gehlen 2010 die „Krise des Originals“ ausgerufen.3 Und vielleicht auch deswegen wird das Wortfeld um das „Original“ herum heute dominiert von der „Authentizität“. Der Gebrauch dieses Begriffs ist in deutschsprachigen Texten von Johann Heinrich Zedler (Hrsg.), Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, Band 25, Leipzig-Halle 1740, Sp. 1901f., sub voce Original. 2 Johann Samuel Ersch – Johann Gottfried Gruber (Hrsg.), Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften, Abteilung III, Band 5, Leipzig 1834, S. 264f., sub voce Original. 3 Dirk von Gehlen, Mashup. Lob der Kopie (Edition Suhrkamp 2621), Berlin 2011, S. 18. 1
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1950 bis 2010 signifikant, circa um einen Faktor acht, angestiegen.4 Den Terminus „authenticus“ kennt der „Zedler“ ebenfalls schon – im Sinne von „glaubwürdig“ oder „verbürgt“: „… das von ansehnlichen glaubwürdigen Leuten gestellet, und für gut angesehen ist“5. „Original“ steht im Sprachgebrauch der Frühen Neuzeit also für die ursprüngliche, aktive Seite von Ähnlichkeit, „authentisch“ für ein Verfahren der Zuschreibung von Glaubwürdigkeit durch respektierte Sachkenner. Dieses Verfahren der Bestätigung von Authentizität, so fällt dem Frühneuzeithistoriker auf, entspricht jener Vorgangsweise, mit der im England des 16. und 17. Jahrhunderts zuerst im Strafprozessrecht, dann in den Experimenten und Diskursen der „scientific revolutions“ „Fakten“ („facts“) festgestellt und mit Beweiskraft ausgestattet wurden.6 In den fachwissenschaftlichen Diskursen der Gegenwart ist das Reden vom „Original“ dagegen, im Vergleich zu „Echtheit“ und „Authentizität“ (die laut Duden Synonyme sind), deutlich in den Hintergrund getreten. Dafür je ein Beispiel. Das „Nara-Dokument“ der UNESCO, das sich 1994, mit Bezug auf die Welterbe-Konvention von 1972, mit der Frage der Echtheit befasste, baute eine – im Hinblick auf die angezielte globale Geltung – sehr abstrakte Argumentationskette zwischen glaubwürdiger Information, Echtheit und Inwertsetzung im Sinne der Identifizierung von kulturellem Erbe auf: Der Status als kulturelles Erbe hänge ab vom Wert, der einer Sache oder Praktik zugeschrieben werde. Die Zumessung dieses Werts, variabel in unterschiedlichen kulturellen Milieus und im Wandel der Zeiten, habe sich auf „Informationsquellen“ zu stützen, die „glaubwürdig oder verlässlich“ sein sollten. Auf dieser Basis erfolge die „Beurteilung aller Aspekte der Echtheit“, und darauf wiederum fuße dann die „Bestimmung des Wertes eines Gutes“. Die Beurteilung von Echtheit hängt also von vielen, sich wandelnden „Informationsquellen“ ab, deren Bandbreite sehr weit gefasst wird und die Aspekte der Materialität ebenso umfassen wie „Geist und Gefühl“.7 Eine so verstandene Echtheit ist in jedem Fall eine relative Größe, denn wenn Informationsquellen und Glaubwürdigkeitsvorstellungen sich wanAbgefragt über den „Ngram Viewer“ von Google Books https://books.google.com/ngrams (aufgerufen am 8.8.2019). 5 Zedler (wie Anm. 1) Band 2, 1732, Sp. 2266, sub voce Authenticus. 6 Barbara J. Shapiro, The Concept „Fact“. Legal Origins and Cultural Diffusion. In: Albion. A Quarterly Journal Concerned with British Studies 26 (1994) S. 227–252. – Dies., A Culture of Fact. England 1550–1720, Ithaca-London 2000. 7 http://www.dnk.de/_uploads/media/174_1994_UNESCO_NaraDokument.pdf (aufgerufen am 8.8.2019). 4
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deln, ändern sich Konzepte von Echtheit und mit ihnen die Zuschreibung von Werten. „Historische Authentizität“ ist das Thema eines seit 2013 bestehenden Forschungsverbundes von neunzehn Instituten der Leibniz-Gemeinschaft, der am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam koordiniert wird.8 Entsprechend den basalen Logiken der postmodernen Kulturwissenschaft wird Authentizität hier als Konstrukt aufgefasst, als Zuschreibung, die an Personen oder Objekte erfolge, denen die Qualität von Zeitzeugenschaft oder Quellenwert beigemessen werden. Diese Zuschreibungen von Authentizität seien „Modi der Evidenzerzeugung“9, eingebettet in Diskurse, Praktiken oder Strategien, denen Beglaubigungskraft zugesprochen würde. Auch sie werden natürlich als variabel und veränderlich gedacht, denn Maßstäbe von Evidenz und Verfahren der Authentisierung wandeln sich mit gesellschaftlichen oder mit medialen Umbrüchen. Im 19. Jahrhundert, so Achim Saupe, Koordinator des Leibniz-Verbundes, in einem „docupedia“-Artikel über „Authentizität“, hätten weder dieser Begriff noch die ganze Kategorie eine Rolle gespielt, da man auf der Suche nach einer vermeintlich faktisch zu erfassenden Vergangenheit gewesen sei und sich für die Reflexion subjektiver Authentizität des Berichteten gar nicht interessiert habe.10 Auf diese Einschätzung wird nochmals zurückzukommen sein. Angesichts der uns massenhaft umgebenden Suggestionen von Authentizität im Film, im Reenactment und vor allem in den digitalen Medien fragt sich allerdings auch dieser Autor, ob an dieser Konjunktur nicht doch „ein stärker an Emotionen und persönliche Erfahrungen gebundenes Geschichtsbedürfnis abzulesen ist …“11. Ist nun mit diesen Argumenten ein „Original“ überzeugend herabgestuft zu einem „Modus der Evidenzerzeugung“, das letztlich nur über seine Rolle für unsere Emotionalisierung in Wert gesetzt werden kann? In den Kulturwissenschaften der vergangenen zwanzig Jahre wurden viele „turns“ konstatiert (oder konstruiert), darunter (durch die Kunsttheorie) nicht zuletzt ein „archival turn“. Perzeptions- und Prozessbegriffe wie das „Kulturelle Gedächtnis“ oder die „Verarbeitung der Vergangenheit“ fanden und finden sich mit dem Genus Archiv assoziiert, das dadurch http://www.leibniz-historische-authentizitaet.de/start/ (aufgerufen am 8.8.2019). http://www.leibniz-historische-authentizitaet.de/forschung/horizonte/ (aufgerufen am 8.8.2019). 10 Achim Saupe, Authentizität, Version: 3.0. http://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok.2.705.v3 (zuletzt am 25.8.2015 geändert) (aufgerufen am 8.8.2019). 11 Ebd. 8 9
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neue Aufmerksamkeit erhielt. „Leuchtfeuer im Informationszeitalter“ wurden die Archive bei der Jahrestagung 2016 des Wiener Instituts für Österreichische Geschichtsforschung genannt und die Dokumentation der bilanzierenden Beiträge unter den schönen Obertitel „Die Zukunft der Vergangenheit in der Gegenwart“ gestellt.12 Wie die eben angesprochene, scheinbar omnipräsente „Authentizität“ zeigt sich auch der Archiv-Begriff „in hohem Maße anfällig für metaphorische Wendungen“. Der Autor dieser Feststellung weiß, wovon er spricht, stand er doch zwischen 2004 und 2018 einem Archiv von eigener Art und Dignität vor, dem „Deutschen Literaturarchiv Marbach“. Ulrich Raulff, soeben zitiert nach dem Vorwort zum 2016 herausgegebenen „Handbuch Archiv“,13 hat das frei flottierende, faktenferne Aneinanderreihen von Assoziationen mit dem Archivbegriff (Erbe, Speicher, Wissen, Gedächtnis usw.) schon 2002 sehr kritisch beurteilt als einen „Zitierkult, der dazu dient, Weihrauchschwaden von Pariser Altären in deutsche Kleinmeisterkapellen zu wedeln.“14 Von der Hammelburger Urkunde von 777 bis zum immer noch aktuellen Produkthinweis „Umtausch nur mit Originalverpackung“ sind Anmutung, Reiz und Wert des Ursprünglichen nicht verloren gegangen, wie jede/r weiß, der einem auch nur einigermaßen interessierten Publikum einmal historische Quellen im Original präsentiert hat. Das Marbacher Literaturarchiv hat 2014/15 eine vielbeachtete Schau über den „Wert des Originals“ veranstaltet; in der Einleitung zum Begleitband findet sich dazu eine bemerkenswert grundsätzliche Aussage: „Mit Originalen verstopft man die Löcher der Welt gegen das Nichts“15. Diesem großartigen Satz seien hier zwei pragmatische Überlegungen angeschlossen, die eine aus archivwissenschaftlichem, die andere aus allgemein epistemischem KonElisabeth Schöggl-Ernst – Thomas Stockinger – Jakob Wührer (Hrsg.), Die Zukunft der Vergangenheit in der Gegenwart. Archive als Leuchtfeuer im Informationszeitalter (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 71), Wien 2019. 13 Aus dem Vorwort zu Marcel Lepper – Ulrich Raulff (Hrsg.), Handbuch Archiv. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, Stuttgart 2016, S. VIII. 14 Ulrich Raulff, Ein so leidenschaftliches Wissen. Theoretiker am Rande der Erschöpfung: Über die jüngste Konjunktur von Archiv und Sammlung – Aus Anlass einer Reihe von Neuerscheinungen. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 112, 16. Mai 2002, S. 16. 15 Aus Heike Gfrereis – Ulrich Raulff, Vorwort. In: Dies. (Hrsg.), Der Wert des Originals: zur Ausstellung „Der Wert des Originals“, Literaturmuseum der Moderne, Marbach am Neckar, 3. November 2014 bis 12. April 2015, Marbacher Magazin 148 (2014), S. 4–8, hier S. 8. 12
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text – erstere gestützt auf aktuelle Überlegungen eines Fachmanns, letztere auf die eigenen langjährigen Erfahrungen aus einer Lehrveranstaltung des Typs „Einführung“ für Studienanfänger des Fachs Geschichte. Sehr zu Recht weist Bernhard Grau im Katalog „Original!“ zur entsprechenden Ausstellung der Staatlichen Archive Bayerns 2017 darauf hin, dass der Status des Originals – und damit die Rolle und Verantwortung von Archiven und Museen – nicht allein auf Zuschreibungen beruht, sondern auf etablierten, geprüften Methoden und Verfahren, die wiederum die Prozeduren der Vergangenheit achten und abbilden.16 Wir denken an die Neuzeit als das Aktenzeitalter schlechthin, spiegelt doch die Bildung von Akten, vom Zusammenlegen bestimmter Korrespondenzen bis hin zur Dokumentation kompletter Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, frühere, regelgebundene Verfahren wider. Archivarinnen und Archivare setzen dies um im Schutz von Beständen einerseits und im Respekt vor der Arbeit der historischen Bestandsbildner andererseits. Das Bewahren von Zusammenhängen, Kontexten, synchronen wie diachronen Verknüpfungen, kurz: die Entscheidung für das Prinzip der Provenienz, hat Cornelia Vismann, früh verstorbene Theoretikerin der Kulturtechniken, als bewuss te Entscheidung für eine angebliche „Interferenzlosigkeit zwischen Verwaltung und Archiv“ gekennzeichnet, was in anderen Kulturkreisen ganz anders gehandhabt werde.17 Mir scheint die klare Dokumentation von Herkunft, Überlieferung und Kontext potentieller Quellen die bestmögliche Zertifizierung für unser Wissen um Vergangenes hervorzubringen und damit auch ein starkes Argument für den Wert des Originals zu liefern – freilich nicht zum Nulltarif, sondern verbunden mit Aufwand und Mühe. Es ist gerade die Zuverlässigkeit („Reliabilität“ wird heute dazu gesagt) ihrer Verfahren, mit denen die Archive die besondere Güte und Vertrauenswürdigkeit der bei ihnen gespeicherten Informationen sicherstellen und nachvollziehbar machen.18 Das ist ein wichtiger Dienst für die Rechtsordnung, für die Zivilgesellschaft und natürlich auch für die historischen Wissenschaften, denn: Was wir Historikerinnen und Historiker überhaupt erforschen können, liegt ganz wesentlich in der Hand der Archivarinnen 16 Bernhard Grau, „Original“ – Archive und historische Authentizität. In: Original! Pracht und Vielfalt aus den Staatlichen Archiven Bayerns. Eine Ausstellung der Staatlichen Archive Bayerns im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, München, 11.10.– 5.12.2017 (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 59), München 2017, S. 11–26, hier S. 17f. 17 Cornelia Vismann, Akten. Medientechnik und Recht (Fischer 14927), 2. Auflage Frankfurt a. M. 2001, S. 242–252, Zitat S. 251. 18 Grau (wie Anm. 16) S. 15–21.
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und Archivare unterschiedlichster Institutionen. Die Hochphase des Aktenzeitalters im 19. Jahrhundert mit ihrer dauerhaften Verschriftlichung sowohl aller Vorgänge als auch der Vorgangssteuerung ist so etwas wie das Goldene Zeitalter für die Archivare und ihre Benutzer. Telefon und E-Mail bedeuten demgegenüber eine enorme Herausforderung für die Erfassung prozessgenerierter Informationen und für die Sicherung verlässlicher Verfahren zu ihrer Speicherung. In einer Zeit, in der Fakten verhandelbar und „alternative Wahrheiten“ salonfähig geworden zu sein scheinen, haben sich die Anforderungen auch an uns Hochschullehrer deutlich gewandelt – soweit überhaupt noch Wert darauf gelegt wird, mit Quellen zu arbeiten, ihnen ihr „Vetorecht“ zuzuerkennen im Sinne Reinhart Kosellecks.19 Unsere Studierenden vertrauen auf den automatisch wachsenden Wissensspeicher im Netz, der binnen Sekunden jede erdenkliche Information zur Verfügung stellen kann – und den ganz persönlichen Wissensspeicher im Kopf stark entlastet. Wie selbstverständlich wird bei der Interpretation eines Textes oder für die Analyse eines Bildes sogleich eine (beliebige) Fundstelle aus einer googleSuche präsentiert – wenn man den Text denn entziffern kann, wenn das Bildformat für die google-Suche denn geeignet ist. Eine ganz andere Frage, die oft auf Schulterzucken stößt, ist dann die Bewertung und Analyse dieser Information. Mit der schlichten Nachfrage, woher diese Informationen denn kämen, versucht die/der Dozent*in dann eine Kette von Rückfragen abzuschreiten, die uns von den ubipräsenten Informationen so weit als möglich in die Vergangenheit zurückbringt, zur primären Quelle, im Idealfall zum Original. Wieder geht es also um ein Verfahren, das (wie ein Zeugenverhör oder die Interpretation eines Experiments) vielleicht nicht Wahrheiten feststellt, aber eine intersubjektiv möglichst hohe Wahrscheinlichkeit erreicht. Das Verfahren, das ich dafür den Studierenden anbiete, ist, wie ich gerne zugebe, kein modernes – es geht um Johann Gustav Droysens 1857 erstmals als Kolleg vorgetragene „Historik“ von 1857/58, natürlich in feiner Dosierung. Es ist immer wieder eine spannende Erfahrung, wie die erstsemestrigen Studierenden die geradezu kopernikanische Zumutung Droysens verReinhard Koselleck, Standortbindung und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historiographischen Erschließung der geschichtlichen Welt [1977]. In: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, S. 176–207, Zitat S. 206. – Vgl. Stefan Jordan, Vetorecht der Quellen, Version: 1.0. http://dx.doi.org/10.14765/zzf. dok.2.570.v1 (zuletzt am 11.2.2010 geändert) (aufgerufen am 8.8.2019). 19
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arbeiten, Geschichte beschäftige sich nicht mit der Vergangenheit, denn: Die Vergangenheit ist ja vergangen. „Das Gegebene für die historische Erfahrung und Forschung“, formulierte Droysen 1857/58 in der ersten Niederschrift seines „Grundriß der Historik“, „ist nicht die Vergangenheit – sie ist eben vergangen –, sondern das von den Vergangenheiten in dem Jetzt und Hier noch Unvergangene“, mögen es, wie die Druckfassung von 1882 anfügte, „Erinnerungen von dem, was war und geschah, oder Überreste des Gewesenen und Geschehenen sein“. Diese Erinnerungen und Überreste, die Quellen, bilden die zuverlässigste Brücke, die uns so weit als möglich in die Vergangenheit zurückträgt, sie „zurückleuchten“ lässt, wie Droysen dies ausdrückt.20 An konkreten Beispielen verstehen die Studierenden rasch, dass der Quellpunkt in der Vergangenheit und der Sehepunkt unserer Gegenwart nicht in gerader Linie miteinander verbunden sind. Irrtümer, Manipulationen, Fälschungen, Chancen und Zufälle der Überlieferung determinieren die Reichweite unseres Blicks zurück. Thomas Jeffersons handschriftlicher Entwurf zur Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika mit den Streichungen und Änderungen, die er im Juni 1776 in Debatten mit seinen Kollegen John Adams und Benjamin Franklin einfügte, zeigt auf, dass heute ikonisch gewordene Formulierungen nicht von Anfang an da waren, sondern dass um sie gestritten und gerungen wurde. Ein kleiner Zettel, auf dem Friedrich Schiller zwei Verse seiner „Ode an die Freude“ notierte, beweist, dass der Dichter manche Werke nicht in einem Zug niederschrieb und bis zur Veröffentlichung im Druck mehrfach änderte. Die Malerateliers der italienischen Renaissance waren so organisiert, dass es heutigen Experten schwerfällt, eine Werkstattreplik eindeutig zu identifizieren – Francesco Melzi zum Beispiel malte so, dass schon die Zeitgenossen seine Bilder nicht von jenen seines Meisters Leonardo da Vinci unterscheiden konnten. Am Original können wir sehen, dass es selber eine Geschichte an Konzepten, Entwürfen oder Zweitausfertigungen hat, die uns an die Komplexität seiner Entstehung heranführt. Und die Studierenden, die sich, dann doch gespannt auf die Konfrontation mit dem Original, für eine Abschlussarbeit zum ersten Mal auf den Weg ins Archiv machen, lernen sehr rasch eine Lektion, die wiederum Droysen 20 Johann Gustav Droysen – Peter Leyh (Bearb.), Historik, Band 1: Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung der Vorlesungen (1857). Grundriß der Historik in der ersten handschriftlichen (1857/58) und in der letzten gedruckten Fassung (1882), Stuttgart-Bad Cannstatt 1977, S. 397, 422.
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schon in seine erste Vorlesung zur „Historik“ eingebaut hatte: „… in den Archiven liegt nicht etwa die Geschichte, sondern es liegen da die laufenden Staats- und Verwaltungsgeschäfte in ihrer ganzen unerquicklichen Breite, die sowenig Geschichte sind, wie die vielen Farbkleckse auf einer Palette ein Gemälde; …“21. Das Nebeneinander, das Miteinander von Original und Zweitform, von materiellen und virtuellen Objekten hat sich in unseren Archiven, Bibliotheken und Museen unwiderruflich etabliert. Forscher*innen erwarten sich digitale Räume und Speicher ohne Ende, dazu digitale Inhalte, die sie füllen. Davon haben wir in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Menge bekommen, und wir alle arbeiten gerne und dankbar mit diesen Digitalisaten. An einem bestimmten Punkt aber kann die Notwendigkeit eintreten, dass die Forschung zur Überprüfung ihrer Thesen und Befunde der Autopsie, also: des Originals, bedarf. Das Original hat als Brücke in die Vergangenheit einen besonderen, nicht zu ersetzenden epistemischen Wert. Es gibt Forschungen, die nur am Original möglich sind. „Das, was am Original und nur an ihm sichtbar wird, lässt sich durch die Fülle an … Vergleichbarkeiten, die auf der Basis von Zweitformen entstehen …, nicht ersetzen.“ Das Original ist unwiederbringlich, und die Zerstörungen von Kulturgütern vom Einsturz des Kölner Stadtarchivs bis zur Zerstörung der Buddhastatuen von Bamiyan in Afghanistan sollten unser Bewusstsein für die „Zerbrechlichkeit kultureller Zusammenhänge“ schärfen.22 Originale sind unsere Versicherung gegen das Nichts. Originale führen uns an den Anfang, sie sind ein archimedischer Punkt, und sie sind nicht nur Konzepte oder Algorithmen, sondern haben haptische, materielle Qualität. Originale setzen Standards, können aber auch die Mühen der Ebene vor Augen führen. Sie sind die Quelle unserer heutigen Erkenntnis, und das bleiben sie für die Fragen künftiger Generationen, als „Samenkapsel künftiger Erkenntnis und … kommenden Wissens“23. Originale, so eingangs der „Zedler“, führen uns an den Anfang. Es sind lange, vielfach vermittelte, manchmal mühsame Wege, die zum Echten, Anfänglichen führen. Trotz der Mühe, trotz der Ungewissheit: Es lohnt sich, sie zu gehen. Ebd. S. 11. Beide Zitate aus: Ulrich Raulff, Der Wert des Originals. Bemerkungen über Konservatismus und das Kulturgut der Zukunft. https://www.kulturstiftung.de/der-wert-des-originals/ (zuletzt am 27.11.2013 geändert) (aufgerufen am 8.8.2019). 23 Ebd. 21 22
Vom Archivale zum Archival Information Package. Digitales Archivgut als Herausforderung für die Archivwissenschaft? Von Michael Unger Archivgut ist der zentrale Bezugspunkt der Archivwissenschaft und ihrer wesentlichen Teildisziplinen1. Im Zentrum steht dabei die Definition der Wesensmerkmale von Archivgut in Abgrenzung von anderem Dokumentationsgut, das etwa in die Zuständigkeit von Bibliotheken und Museen fällt. Johannes Papritz, einer der „Altmeister“ der Archivwissenschaft, widmet dem – zeitbedingt analogen – Archivgut, seinen Entstehungsursachen, seinen Kompositionselementen und Kompositionsstufen einen Großteil seines opus magnum2. Ein vergleichbarer analytisch-systematisierender Zugriff auf digitales Archivgut liegt – bisher – nicht vor. Zwar hat Charles M. Dollar frühzeitig wesentliche Auswirkungen der IT auf archivische Prinzipien und Methoden untersucht3, und dabei auch grundlegende Beobachtungen zu Archivgut angestellt. In der seitdem erschienenen Fachliteratur zur digitalen Archivierung haben sich jedoch die thematischen Schwerpunkte rasch auf eher technisch-konzeptionelle Aspekte und auf die Praxis verschoben. Der Titel des 72. Südwestdeutschen Archivtags 2012 „Das neue Handwerk“ mag symptomatisch dafür stehen4. Angesichts der vielfältigen, fachlich-handwerklichen Herausforderung, die die digitale Archivierung mit der zunehmenden praktischen Relevanz im In diesem Sinne zuletzt Robert Kretzschmar, Auf Archivgut bezogene Disziplinen. Perspektivische Überlegungen zu ihrer Entwicklung in archivischen und universitären Kontexten. In: Sabine Graf – Regina Rössner – Gerd Steinwascher (Hrsg.), Archiv und Landesgeschichte. Festschrift für Christine van den Heuvel (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 300), Göttingen 2018, S. 55–70. 2 Johannes Papritz, Archivwissenschaft, Band 1 und 2, 2. Aufl. Marburg 1983. Das auf beide Bände verteilte Kapitel „Organisationsformen des Schriftguts in Kanzlei und Registratur“ umfasst insgesamt 735 Seiten. 3 Charles M. Dollar, Die Auswirkungen der Informationstechnologien auf archivische Prinzipien und Methoden, hrsg. und übersetzt von Angelika Menne-Haritz (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 19), Marburg 1992. 4 Das neue Handwerk. Digitales Arbeiten in kleinen und mittleren Archiven. Vorträge des 72. Südwestdeutschen Archivtags am 22. und 23. Juni 2012 in Bad Bergzabern, hrsg. von Kai Naumann und Peter Müller, Stuttgart 2013. 1
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archivischen Alltag darstellt, ist das eine selbstverständliche Entwicklung. Gleichzeitig entzündeten sich in der Fachdiskussion der letzten Jahre immer wieder Kontroversen um Themen, die den Wesenskern von Archivgut berühren. Christian Keitel geht in seiner jüngst vorgelegten Studie zu einer „offenen und praktischen Archivwissenschaft“ schließlich so weit, die digitale Archivierung von der „klassischen“ Archivwissenschaft abzugrenzen5. Die Praxis digitaler Archivierung wirft also die Frage auf, wie der Medienwandel des Archivguts die archivwissenschaftliche Sicht darauf berührt und welche Herausforderungen sich daraus ergeben6. 1 . Ne u e St a n d a rd s , n e u e Te r m i n o l o g i e – n e u e r St a n d der Archivwissenschaft? Augenfälliges Indiz für wissenschaftlichen Fortschritt ist die Erweiterung der archivischen Fachterminologie im Zusammenhang mit der digitalen Archivierung7. Maßgeblich sind hier die bekannten Standards der „Langzeitarchivierung“: Nach dem OAIS-Modell werden die in einer Abgabe zusammengefassten Unterlagen als SIP (Submission Information Package) bezeichnet, aus denen im Archivspeicher die AIPs (Archival Information Package) gebildet werden, die wiederum als aufbereitete DIPs (Dissemination Information Package) in die Benutzung gehen8. Analog haben wir es immer nur mit ein- und demselben Archivale zu tun. Zwangsläufig unterscheiden wir gemäß PREMIS die intellektuelle Entität eines digitalen Archivales von dessen physischer Ausprägung, die sich migrationsbedingt als eine wachsende Zahl von Repräsentationen in einem AIP oder Informationsobjekt aggregieren9. Dauerhaft zu erhalten ist nicht mehr ein Original, sondern sind die Signifikanten Eigenschaften eines digitalen Archivales. Hinter dieser längst geläufigen Nomenklatur steckt eine deutlich Christian Keitel, Zwölf Wege ins Archiv. Umrisse einer offenen und praktischen Archivwissenschaft, Stuttgart 2018, S. 16 f. 6 Für zahlreiche wertvolle Hinweise danke ich meinen Kollegen Herrn Archivdirektor Dr. Michael Puchta und Herrn Archivoberrat Dr. Markus Schmalzl. 7 Vgl. Angelika Menne-Haritz, Schlüsselbegriffe der Archivterminologie (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 20), Marburg 1992, S. 18–21. 8 Referenzmodell für ein Offenes Archiv-Informations-System – Deutsche Übersetzung 2.0 (nestor-materialien 16), 2013, S. 8f., 15. https://d-nb.info/104761314X/34 (aufgerufen am 30.5.2019). – Nestor Handbuch: Eine kleine Enzyklopädie der digitalen Langzeitarchivierung, hrsg. von Heike Neuroth u.a., Version 2.3, Kap. 4:7f. https://nestor.sub.unigoettingen.de/handbuch/nestor-handbuch_23.pdf (aufgerufen am 30.5.2019). 9 Vgl. Keitel (wie Anm. 5) S. 193f. 5
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stärkere Differenzierung des Archivgutbegriffs, als wir es unter analogen Verhältnissen kennen. Dabei beanspruchen diese Datenmodelle und die dahinterstehenden Standards eine institutionenübergreifende Gültigkeit auch für digitales Bibliotheks- und Museumsgut10. Somit bleibt es eine Aufgabe der Archivwissenschaft, diesen Begriffen eine dem digitalen Archivgut jeweils angemessene Definition zuzuweisen, wenn sie die ihnen jeweils zugedachte Funktion, digitalem Archivgut Form und Struktur zu geben, erfüllen sollen. 2 . K l a s s i s c h e We s e n s m e r k m a l e v o n A r c h i v g u t In der analogen Welt waren Form und Struktur des Archivguts durch die physische Formierung in der Regel bereits in der vorarchivischen Sphäre, also in der Registratur, vorgegeben. Form und Struktur sind konstitutiv für den intrinsischen Wert von Archivgut ebenso wie sie dessen Evidenzwert und Informationswert beeinflussen11. Insofern darf es als ein wesentliches Vorverständnis der Archivwissenschaft gelten, dass die Integrität und Authentizität des übernommenen Registraturguts im Zuge der Archivierung erhalten bleibt. Auf dieser Prämisse, die im Kodex ethischer Grundsätze für Archivarinnen und Archivare von 1996 ausdrücklich an erster Stelle genannt ist12, bauen dann zentrale Wesensmerkmale von Archivgut auf, die die Archivwissenschaft formuliert hat. 2.1 Registraturfähigkeit Dabei bezieht sich die Registraturfähigkeit auf die wesentliche Erkenntnis, dass Archivgut aus gezielt verbreiteten, adressatenbezogenen Dokumenten entsteht, im Unterschied zu den gestreuten Informationen in Bibliotheken13. Ort dieser funktionalen Informationen ist die Registratur. Diese funktionsbezogene Zusammenführung zu Kollektiven (z.B. Akten) und Kollektiven von Kollektiven (Registraturen) bezeichnete Johannes Referenzmodell (wie Anm. 8) S. 8. Siehe Theodore R. Schellenberg, Die Bewertung modernen Verwaltungsschriftguts, hrsg. und übersetzt von Angelika Menne-Haritz (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 17), Marburg 1990, S. 62–64. 12 Kodex ethischer Grundsätze für Archivarinnen und Archivare. https://www.ica.org/sites/ default/files/ICA_1996-09-06_code%20of%20ethics_DE.pdf (aufgerufen am 29.6.2019). 13 Gerhard Leidel, Untersuchungen zur Archivwissenschaft. In: Archivalische Zeitschrift 95 (2017) S. 27–86, hier S. 38. 10 11
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Papritz als „organisches Wachstum“14. So wie der jeweilige Träger dieser Information dem jeweiligen Stand der Technik entspricht, gilt dies auch für die Registratur. Von diesem Grundsatz her stellt die fortschreitende Digitalisierung des Registraturguts keine archivwissenschaftliche Herausforderung dar. E-Mail-Accounts, Fachverfahren und DMS/VBS unterscheiden sich hierin nicht grundsätzlich von analogen Akten oder Amtsbüchern, auch wenn digitale Unterlagen mitunter ihre prozesssteuernde Funktion verlieren15. Anhand der Registraturfähigkeit lässt sich jedenfalls die archivische Zuständigkeit für elektronische Amtsdrucksachen oder Webarchivierung trefflich diskutieren16. 2.2 Archivreife Ein – zugegebenermaßen äußerliches – Wesensmerkmal von Archivgut ist dessen Entbehrlichkeit für den Registraturbildner, die sogenannte Archivreife. Erst jene Unterlagen, die in ihrem Entstehungszusammenhang nicht mehr benötigt werden, die ihre steuernde und verhaltensmotivierende Funktion verloren haben, sind nach herkömmlicher archivwissenschaftlicher Auffassung bereit für den Funktionswandel vom Registratur- zum Archivgut, das tendenziell nicht mehr konkrete Handlungen, sondern Erkenntnis bewirken soll17. Gegenüber Registraturgut hat Archivgut nach Gerhard Leidel durch den Verlust von „Weltbezug und Brauchbarkeit“18 seine informationelle Qualität verändert. Angesichts vielfältiger rechtlicher Interessen sowohl der Archivträger als auch von Privaten an – tendenziell jüngerem – Archivgut ist dem zwar nicht grundsätzlich, wohl aber der Tendenz nach zuzustimmen. Bereits Artur Zechel hat den raumzeitlichen Zitiert nach ebd. S. 44. Katharina Ernst, Welche Zukunft hat die Akte? In: Transformation ins Digitale. 85. Deutscher Archivtag 2015 in Karlsruhe (Tagungsdokumentationen zum Deutschen Archivtag 20), hrsg. vom Verein deutscher Archivarinnen und Archivare, Redaktion: Monika Storm, Fulda 2017, S. 67–75, hier S. 74 f. 16 Christian Reuther, Zuständigkeit und Abgrenzung elektronischer Amtsdrucksachen zwischen Archiven und Bibliotheken. Ein Lösungsansatz für das Bundesland Thüringen. In: Karsten Uhde (Hrsg.), Von A(mtsdruckschriften) bis Z(eitgeschichtliche Sammlungen) – Vielfalt im Archiv. Ausgewählte Transferarbeiten des 43. und 44. wissenschaftlichen Kurses an der Archivschule Marburg (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 56), Marburg 2013, S. 275–320. – Keitel (wie Anm. 5) S. 101. 17 Gerhard Leidel, Zur Wissenschaftstheorie und Terminologie der Archivwissenschaft. In: Archivalische Zeitschrift 84 (2001) S. 9–89, hier S. 77. 18 Leidel (wie Anm. 13) S. 37. 14 15
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Wandel von Registraturgut zum prinzipell disponiblen Archivgut und den daran anschließenden Funktionswandel des Archivguts zur Geschichtsquelle analysiert. Das gilt so auch im Digitalen, wo etwa in Dokumentenmanagement- und Vorgangsbearbeitungssystemen Aufbewahrungsfristen mit Aussonderungsschnittstellen gekoppelt sind und nicht archivierte Vorgänge genauso gelöscht werden wie in vergleichbaren Fällen die Daten von Fachverfahren. Wo allerdings keine geregelte Kennzeichnung nicht mehr benötigter Daten oder erst gar keine Historisierung, sondern eine laufende Überschreibung nicht mehr aktueller Daten erfolgt, behelfen sich die Archive in der Regel mit einer Auswahlarchivierung zeitlicher Datenbankschnitte, unabhängig davon, dass eine Repräsentation der archivierten Daten noch, wenn auch im Laufe der Zeit in abnehmendem Maße, im Quellsystem und damit in der Sphäre der Registratur verbleibt. Mögliche praktische Folgen, etwa für die Benützung (nach welchen Rechtsvorschriften?)19, sollen hier nicht weiter vertieft werden, es genügt die Feststellung, dass die problemlose Duplizierung von Daten, und zwar ohne dass Kopie und Original zu unterscheiden wären, die in der analogen Welt so klare Trennung der Sphären Registratur und Archiv verwischen kann – wenigstens auf Zeit. 2.3 Archivwürdigkeit Auf die archivische Bewertung wird noch gesondert einzugehen sein. Daher soll zur Archivwürdigkeit, dem Wesensmerkmal von Archivgut schlechthin, an dieser Stelle die Feststellung genügen, dass die in einer jahrzehntewährenden Bewertungsdiskussion herausgebildeten Grundsätze der Bewertung medienunabhängig auch für digitale Unterlagen akzeptiert werden20. Vgl. z.B. Leitlinien zur bundesweit einheitlichen Archivierung von Geobasisdaten. Abschlussbericht der gemeinsamen AdV-KLA-Arbeitsgruppe „Archivierung von Geobasisdaten“ 2014–2015, S. 12, 28. https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Downloads/KLA/ leitlinien-geobasisdaten.pdf?__blob=publicationFile (aufgerufen am 5.7.2019). 20 Verena Türck, Veränderungen von Bewertungsgrundsätzen bei der Übernahme digitaler Unterlagen? Untersuchung von Bewertungsentscheidungen anhand baden-württembergischer Beispiele. Transferarbeit im Rahmen der Laufbahnprüfung für den Höheren Archivdienst an der Archivschule Marburg (47. Wissenschaftlicher Lehrgang), 2014, S. 29–31. https://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/57173/Transferarbeit_VerenaTuerck_02.pdf (aufgerufen am 11.6.2019). – Frank M. Bischoff, Bewertung elektronischer Unterlagen und die Auswirkungen archivarischer Eingriffe auf die Typologie zukünftiger Quellen. In: Archivar. Zeitschrift für Archivwesen 67 (2014) S. 40–52, hier S. 44. 19
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Die „klassischen“ Wesensmerkmale können damit grundsätzlich auch für digitales Archivgut Gültigkeit beanspruchen. Unter diesem Blickwinkel ist Gerhard Leidel zuzustimmen, der in digitalem Registraturgut insoweit kein archivwissenschaftliches Problem erkennen mag, als es hinsichtlich der technischen Übertragungsmodi der Texte (Transport und Speicherung) eine bloße Fortentwicklung in Algorithmen darstellt21. Die praktischen Herausforderungen der technischen Codierung sollen damit keineswegs geleugnet werden. Auch die im Zusammenhang mit digitalem Verwaltungshandeln immer wieder vorgebrachten Beobachtungen über formale und inhaltliche Veränderungen des Registraturguts stellen bei dieser Betrachtung kein Problem der Archivwissenschaft dar22. Gibt es dann überhaupt Herausforderungen, die als archivwissenschaftlich zu titulieren wären? 3. Archivfähigkeit Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit wird bei der Bewertung digitalen Archivguts das Kriterium der „Archivfähigkeit“ angewendet. Der Begriff ist zwar nicht neu, er wird in der analogen Welt v.a. mit konservatorischen Aspekten und dem Ordnungszustand von Schriftgut in Verbindung gebracht, in dem Sinne, dass etwa stark verschimmeltes oder eben kaum formiertes Registraturgut nicht übernommen wird. In diesem Sinne wurde bereits die „Archivfähigkeit“ von Fileablagen und Email-Accounts in Zweifel gezogen23. Schon in diesem Kontext darf der Begriff in archivwissenschaftlicher Hinsicht kritisch beurteilt werden, denn im zuerst genannten Fall handelt es sich um ein finanzielles und damit fachfremdes (wenn auch nicht zu ignorierendes) Argument. Der zweite Fall berührt letztlich einen Aspekt der Archivwürdigkeit. In Bezug auf digitale Unterlagen wurde die „Archivfähigkeit“ nun teilweise in den Rang eines vorgeschalteten Bewertungskriteriums erhoben, im Grund zu einem Superkriterium, das über die Archivierung von sogar archivwürdig bewerteten Unterlagen be-
21 Leidel (wie Anm. 13) S. 31. – Vgl. Wolfgang Ernst, Digital Memory and the Archive, hrsg. von Jussi Parikka (Electronic Mediations 39), Minneapolis-London 2013, S. 86 f. 22 Vgl. Rainer Hering, Ohnmächtig vor Bits and Bytes? Archivische Aufgaben im Zeitalter der Digitalisierung. In: Ders. – Dietmar Schenk (Hrsg.), Wie mächtig sind Archive? Perspektiven der Archivwissenschaft (Veröffentlichungen des Landesarchivs SchleswigHolstein 104), Hamburg 2013, S. 83–97, hier S. 87 f. 23 Bischoff (wie Anm. 20) S. 48.
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stimmen soll24. Das Nestor-Handbuch formuliert in diesem Zusammenhang die Leitfrage: „Verfügt mein Archiv über die nötigen Kenntnisse, Geräte und Software, um das Objekt den Nutzern authentisch präsentieren zu können?“25. Zu Recht hat gegen diese Auffassung, die vielfach in der Praxis umgesetzt wird, Michael Puchta eine schlüssige Argumentation vorgelegt. Denn gerade wenn anhand von – teils analog vorliegenden – Informationen über die entsprechenden Unterlagen zuverlässig auf den Inhalt zu schließen ist, können die aktuellen, rasch veralteten oder eben nur archivintern nicht verfügbaren technischen Möglichkeiten der Lesbarmachung nicht zu einem archivwissenschaftlich begründeten Bewertungskriterium erhoben werden26. Puchta verweist dabei zu Recht auf das Beispiel chiffrierter Diplomatenkorrespondenz der Frühneuzeit, die wohl auch niemand vernichten würde, weil der Schlüssel nicht verfügbar ist27. Wenn von der digitalen Archivierung folglich Unterlagen ausgenommen werden, die nicht unmittelbar lesbar gemacht und zunächst nur im Rahmen einer Bitstream-Preservation erhalten werden können, handelt es sich im Einzelfall vielleicht um eine nachvollziehbare, aber nur bedingt archivwissenschaftlich zu begründende Entscheidung. 4 . Fo r m i e r u n g d i g i t a l e r A r c h i v a l i e n Aus der Feststellung des Nestor-Handbuchs, dass die Bewertung digitaler Unterlagen „sich […] nicht mehr (wie bei Papierakten) auf bereits formierte Einheiten [beschränkt]“, sondern „darüber hinaus[geht] und erst die Einheiten [formiert], die für die künftigen Benutzer aufzube-
24 In diesem Sinne etwa Annekathrin Miegel – Sigrid Schieber – Christoph Schmidt, Vom richtigen Umgang mit kreativen digitalen Ablagen. In: Kai Naumann – Michael Puchta (Hrsg.), Kreative digitale Ablagen und die Archive (Sonderveröffentlichungen der Staatlichen Archive Bayerns 13), München 2017, S. 7–16, hier S. 8 (auch digital abrufbar: https://www.gda.bayern.de/fileadmin/user_upload/PDFs_fuer_Publikationen/Sonderpublika tionen/Kreative-Ablagen-Heft12oM.pdf ). 25 Nestor Handbuch (wie Anm. 8) Kap. 3:19. 26 Michael Puchta, Bewertungskriterium Standardformat? Die Auswirkungen der Formatund Schnittstellenproblematik auf die Aussonderung und die Auswertbarkeit elektronischer Unterlagen im Digitalen Archiv. In: Katharina Tiemann (Hrsg.), Bewertung und Übernahme elektronischer Unterlagen – Business as usual? (Texte und Untersuchungen zur Archivpflege 28), Münster 2013, S. 30–45, 34 f. – Vgl. Türck (wie Anm. 20) S. 17–19. 27 Puchta (wie Anm. 26) S. 33.
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wahren sind“28, leiten sich die weitreichendsten archivwissenschaftlichen Herausforderungen in Bezug auf digitales Archivgut ab. Den Ausgangspunkt archivwissenschaftlicher Überlegungen zum Archivgut stellen die Verknüpfungen – Papritz spricht von Kompositionen – von Texten zu Archivalien und die Beziehungen der Archivalien zueinander jeweils auf der Grundlage der im vorarchivischen Raum vorgefundenen Strukturen dar. Als entscheidend gilt dabei, dass die Beziehung von Texten (Dokumenten, Einträgen) zueinander im vorarchivischen Bereich als eine „wirkliche, körperliche Verknüpfung, deshalb faktisch und invariant gegeben“29 ist. Nur die zweite Verknüpfung, die unter einzelnen Schriftgutobjekten innerhalb einer Registratur, wird als veränderbar akzeptiert. Diese beiden Grundrelationen bringen nach Gerhart Enders zum Ausdruck, „was Archivalien sind, wie die Archivalien … zu einem Ganzen, zu einem Archiv zusammengefügt worden sind“30. In der Realität digitaler Registraturen werden zwar weiterhin Dokumente bzw. Daten miteinander verknüpft, nur mit der Invarianz dieser Verknüpfungen verhält es sich nicht mehr so faktisch wie im Analogen. Primärdaten und Metadaten eines Schriftgutobjekts sind nicht mehr auf demselben Träger verbunden und werden nicht mehr automatisch gemeinsam und vollständig ins Archiv übernommen. Mit dem Verlust physischer Stabilität korrespondiert die Trennung von Daten in bestimmten Formaten einerseits und spezifischer Hard- und v.a. Software andererseits, mit denen diese Daten verarbeitet werden31. Die technische und die logische Ebene der Komposition bilden nicht mehr zwangsläufig eine dem Archivar vorgegebene und damit authentische Einheit. Die dadurch dem Archivar aufgegebene Entscheidungskompetenz hat in dreifacher Hinsicht Herausforderungen bisher unbekannter Tragweite begründet.
Nestor Handbuch Version 2.3 Kap. 2.4 Archive, Kap. 2:10. http://nestor.sub.uni-goettingen.de/handbuch/artikel/nestor_handbuch_artikel_392.pdf (aufgerufen am 12.6.2019). 29 Gerhard Leidel, Über die Prinzipien der Herkunft und des Zusammenhangs von Archivgut. In: Archivalische Zeitschrift 86 (2004) S. 91–130, hier S. 127. 30 Zitiert nach ebd. S. 127. 31 Frühe Problematisierung dieser Aspekte bei Dollar (wie Anm. 3) S. 44–51. – Vgl. Keitel (wie Anm. 5) S. 195. – Dietmar Schenk, „Aufheben, was nicht vergessen werden darf“. Archive vom alten Europa bis zur digitalen Welt, Stuttgart 2013, S. 207. 28
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4.1 Bewertung Zunächst betrifft dies die Frage, auf welcher Kompositionsstufe archivische Bewertung anzusetzen hat. Frank Bischoff hat mahnend daran erinnert, dass die kleinste Bewertungseinheit im Analogen die Akte bzw. der Vorgang ist; verallgemeinernd wäre vom formierten Schriftgutobjekt zu sprechen. Zu groß sei die Verletzung der Authentizität durch den Verlust wichtiger Kontextinformationen, wenn auf Dokumentenebene bewertet und kassiert würde. Hier konstatiert Bischoff – durchaus im Einklang mit Keitel32 – einen Wandel bei digitalem Archivgut33, wobei sein Beispiel einer Auswahlarchivierung bestimmter Tabellenblätter oder Datenfelder eines Fachverfahrens noch zu ergänzen wäre um die Kassation einzelner Dateien und ganzer Ordner von Fileablagen oder Email-Accounts und die Auswahlarchivierung nicht nur technischer, sondern auch inhaltlicher Metadaten aus eAkte-Systemen. Dass Schnittstellen aus elektronischen Vorgangsbearbeitungssystemen mitunter nur die Reinschrift eines Dokuments ohne vorangegangene Versionen (Entwurfsstadien) an die Archive exportieren, mag im Einzelfall zwar weniger archivarischen Zielsetzungen als wirtschaftlichen Zwängen entspringen34. Als eine Hypothek für die Nachvollziehbarkeit von Verwaltungshandeln können diese Maßnahmen dennoch gelten. Zum Vergleich: Keinem Archivar würde es bei einem analogen Amtsbuch einfallen, einzelne Spalten des Formulars zu bewerten und physisch aus dem Buchblock zu entfernen, so wie es aber im Sinne eines vereinfachten Datenmodells in der Praxis digitaler Archivierung vor al-
Keitel (wie Anm. 5) S. 113. Keitel stellt die „völlig unterschiedliche Art und Weise“ der Bewertung fest, ohne sie weiter zu problematisieren. 33 Bischoff (wie Anm. 20) S. 46. 34 Siehe u.a. Niklas Konzen, Übernahme von E-Akten aus kommunalen Dokumentenmanagementsystemen in das Langzeitarchiv DIMAG. Ein Vorschlag zur praktischen Umsetzung anhand von Fallbeispielen aus den DMS der Stadt Kirchheim unter Teck und des Landratsamts Karlsruhe. Transferarbeit im Rahmen der Laufbahnprüfung für den Höheren Archivdienst an der Archivschule Marburg (49. Wissenschaftlicher Lehrgang), 2016, S. 14 https://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/60857/Transferarbeit2016_Konzen. pdf (aufgerufen am 8.5.2019). – Die E-Akte in der Praxis. Ein Wegweiser zur Aussonderung (nestor-materialien 20), 2018, S. 10. – Vgl. Sigrid Schieber, Entwicklung einer Aussonderungsschnittstelle für das DMS DOMEA. In: Christian Keitel – Kai Naumann (Hrsg.), Digitale Archivierung in der Praxis (Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, Serie A Heft 24), Stuttgart 2013, S. 85–96, hier S. 87. 32
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lem von Fachverfahren obligatorisch vertreten wird35. Der Schlüsselbegriff ist hier die Authentizität, und zwar nicht in dem verengten Sinn der Informationssicherheit, sondern im Sinn einer historischen Authentizität36, an der sich die klassische quellenkundliche Kategorisierung von Archivgut als „Überrest“ im Unterschied zur „Tradition“ festmacht. Die digitale Datenhaltung eröffnet dagegen die Möglichkeit, die Bewertung von der Ebene der einzelnen Elemente einer Registratur auf die logisch darunter liegende Ebene der einzelnen Elemente eines Schriftgutobjekts bzw. Archivales zu verschieben. Robert Kretzschmar hat in Anlehnung an Dietmar Schenk diese archivarischen Eingriffe mit einem Verweis darauf verteidigt, dass solche Eingriffe in die vorarchivische Ordnung wenigstens bei der Bestandsbildung von jeher stattgefunden haben37. Auch wenn dadurch die Kritik Bischoffs, die ja auf die Authentizität des Einzelarchivales abhebt, nicht ausgeräumt ist, wird dadurch deutlich, wo archivwissenschaftlicher Handlungsbedarf liegt: Nämlich, wenn man so will in Fortsetzung von Papritz, bei einer stärkeren Differenzierung der beiden Kompositionsstufen „Schriftgutobjekt“ einerseits und „Registratur“ bzw. Teilregistratur andererseits unter den Bedingungen digitaler Schriftgutverwaltung. Sind ein Email-Account, eine Fileablage oder ein Fachverfahren eher Schriftgutobjekte oder (Teil-)Registraturen? Viele Fachverfahren etwa wird man getrost als Teilregistraturen auffassen dürfen, und damit ganz im Einklang mit bisherigen Standards in den Fachverfahren Bewertungsentscheidungen fällen dürfen. Aber auf welcher Ebene: Auf der einzelner Datensätze, so dass etwa Datensätze aus der Datenhoheit bestimmter Stellen kassiert werden, oder aber innerhalb einzelner Datensätze, so dass beKai Naumann, Übernahme von Daten aus Fachanwendungen – Schnittstellen, Erhaltungsformen, Nutzung. In: Susanne Wolf (Hrsg.), Neue Entwicklungen und Erfahrungen im Bereich der digitalen Archivierung: von der Behördenberatung zum Digitalen Archiv. 14. Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ vom 1. und 2. März 2010 in München (Sonderveröffentlichungen der Staatlichen Archive Bayerns 7), München 2010, S. 26–36, hier S. 31 f. (auch digital abrufbar: https://www.gda. bayern.de/fileadmin/user_upload/Medien_fuer_Unterseiten/ak-14.pdf ). 36 Vgl. Bernhard Grau, „Original“ – Archive und historische Authentizität. In: Original! Pracht und Vielfalt aus den Staatlichen Archiven Bayerns. Eine Ausstellung der Staatlichen Archive Bayerns im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 59), München 2017, S. 11–21, hier S. 19–21. – Keitel (wie Anm. 5) S. 148–154. – Schenk (wie Anm. 31) S. 206. 37 Robert Kretzschmar, Absichtlich erhaltene Überreste. Überlegungen zur quellenkundlichen Analyse von Archivgut. In: Archivar. Zeitschrift für Archivwesen 67 (2014) S. 265–269, hier S. 267. 35
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stimmte Informationen für keinen der zu archivierenden Datensätze übernommen werden? Und wie verhält es sich mit Fachverfahren, etwa aus dem Anwendungsbereich der Sicherheitsbehörden, die Einzelinformationen mit Aktenrückhalt in den Registraturen ganz unterschiedlicher Stellen virtuell zueinander in Beziehung setzen und damit, wenn man so will, eine ganz neue dritte Kompositionsstufe bilden? Sind diese Daten, da ja bereits in jeweils anderen Systemen vorhanden, zur Vermeidung von Redundanz kassabel, oder aber geben sie Evidenz von verändertem Verwaltungshandeln, das ohne archivische Dokumentation gar nicht mehr nachvollziehbar wäre38? Es ist eine vorrangige Aufgabe der Archivwissenschaft, aufbauend auf einer detaillierten Analyse der verschiedenen Erscheinungsformen digitaler Unterlagen, einen tragfähigen Handlungsrahmen aufzuzeigen. 4.2 Datenmodellierung Die Authentizität eines Schriftgutobjekts wird nach der Bewertung zweitens durch den gestaltenden Eingriff in die Struktur und die „Performance“ im Zuge der Archivierung beeinflusst. Wo dafür bestehende Standards der öffentlichen Verwaltung wie xdomea oder – perspektivisch – xjustiz und die entsprechenden Schnittstellen genutzt werden können39, ist der Archivar im Sinne seiner Wissenschaft weitgehend auf der sicheren Seite. In allen anderen Fällen ergibt sich ein mitunter enormer Spielraum, den die Archive unterschiedlich nutzen, wie einige Beispiele verdeutlichen: Bei der digital übernommenen Volkszählung 1970 in Baden-Württemberg lag es im Ermessen des Archivs, ob daraus ein Archivale oder 9,8 Millionen Archivalien gebildet wurden40. Das länderübergreifend eingesetzte Lebensmittelüberwachungs- und Veterinärinformationssystem LÜVIS (Baden-Württemberg) bzw. TIZIAN (Bayern) wird von der einen Landesarchivverwaltung als Datenbank archiviert41, von der anderen in 38 Vgl. Julia Kathke, Überlieferungsbildung aus Fachverfahren. Überlegungen zu POLAS BW der Polizei Baden-Württemberg, Transferarbeit im Rahmen der Laufbahnprüfung für den Höheren Archivdienst an der Archivschule Marburg (48. Wissenschaftlicher Lehrgang), 2015, S. 11. https://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/58907/Transferarbeit2015_Kathke.pdf (aufgerufen am 30.6.2019). 39 Zu aktuellen XÖV-Standards siehe https://www.xoev.de/die_standards/xoev_standards_ und__vorhaben-11430 (aufgerufen am 29.6.2019). 40 Keitel (wie Anm. 5) S. 192. 41 Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 55 DO 1.2. – Findbuch EL 55 https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=21887
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der Form von Akten und Vorgängen. Wenig strukturierte Fileablagen der Bundeswehr wurden erst im Bundesarchiv umfassend nach dem Vorbild einer klassischen Aktenführung umgebildet42. Und Katharina Ernst hat die Frage aufgeworfen, ob man aus einer nicht historisierend geführten Datenbank speziell für Archivzwecke Dokumente generieren darf43. In Zeiten hybrider Aktenführung berührt diese Frage übrigens auch die Authentizität analoger Aktenbestandteile, wenn etwa in Bayern derzeit aus einem historisierend geführten Fachverfahren der Finanzverwaltung speziell für Archivzwecke nachträglich Steuerbescheide ausgedruckt und den zu übernehmenden Papierakten beigefügt werden. Für Frank Bischoff wird auf solche Weise Archivgut erzeugt, das so nie als Verwaltungsschriftgut existiert hat44. Auch wenn hier nicht jeder Fall gleich zu beurteilen ist, weicht, darauf hat Bischoff hingewiesen, der „schöpferische Eingriff“ des Archivars deutlich vom bisherigen Standard ab, mit entsprechenden Folgen für den intrinsischen Wert des Archivguts und damit auch letztlich für dessen quellenkritische Einschätzung45. Wenn Archivgut seinen Wert als Quelle nur behaupten kann, wenn seine Integrität und Authentizität sicher gewährleistet werden kann und das nur möglich ist durch die Bewahrung in seiner „originalen Gestalt“, wie Michael Hollmann in anderem Zusammenhang jüngst insistiert hat46, dürften der archivarischen Kreativität bei der Gestaltung digitaler Archivalien Grenzen zu setzen sein. Den Vorwurf „schöpferischer Eingriffe“ hat Christian Keitel insbesondere bei relationalen Datenbanken zurückgewiesen, da die übernommenen Informationseinheiten nicht aus dem Konzept der Datenbank gerissen würden47. Trotzdem stellt sich die Frage des intrinsischen Werts der Unterlagen. In diesem Zusammenhang muss reflektiert werden, dass durch die Umformung von Daten bei den Abgabestellen auf archivische Inter(aufgerufen am 3.7.2019). 42 Auf dieses Beispiel weist Bischoff (wie Anm. 20) S. 48 hin; dort auch weiterführende Literatur dazu. 43 Ernst (wie Anm. 15) S. 72f. 44 Bischoff (wie Anm. 20) S. 50. 45 Ebd. S. 51. 46 Michael Hollmann, Archivgut im Zeitalter seiner digitalen Verfügbarkeit. In: Archivalische Zeitschrift 95 (2017) S. 9–26, hier S. 9. 47 Christian Keitel, Prozessgeborene Unterlagen. Anmerkungen zur Bildung, Wahrnehmung, Bewertung und Nutzung digitaler Überlieferung. In: Archivar. Zeitschrift für Archivwesen 67 (2014) S. 278–285, hier S. 284.
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vention hin schon das SIP und damit die erste Repräsentation digitaler Archivalien häufig nicht mehr ohne Weiteres den authentischen Zustand der Unterlagen in der Registratur widerspiegelt48: Formate werden gewandelt, Schlüssel aufgelöst, Datenpakete gebildet usw. Die Authentizität und Integrität der Daten im Sinne der Informationssicherheit wird dadurch nicht berührt, der Übergang zwischen Verwaltung und Archiv kann klar dokumentiert werden. Allen Erwägungen einer sowieso fragwürdigen Archivfähigkeit und vordergründigen Benutzerfreundlichkeit zum Trotz ist jedoch kritisch zu hinterfragen, welche dieser Eingriffe zwingend an den Primärdaten zu erfolgen haben und welche eher nachgeordnet auf der Ebene der archivischen Erschließung anzusiedeln sind. Ein Beispiel wäre die teils toolgestützte Datenaufbereitung bei der Übernahme von Fileablagen mit Eingriffen in die Struktur und Bezeichnung von Ordnern49. Zwar wird bei der digitalen Archivierung versucht, durch eine weit über das bisherige Maß hinausgehende Dokumentation (durch die Archivierung von Screenshots, Benutzerhandbüchern und weiterem Dokumentationsmaterial sowie durch eine intensive archivische Verzeichnung) dieses Manko zu heilen. Aber schon infolge der teils praktizierten Auflösung des SIP in AIPs ohne weitergehende Speicherung des SIP können Kontextinformationen verloren gehen. Die obligatorische Erhaltung des SIP und die Bildung von AIPs weitestgehend im Rahmen der von der Abgabestelle vorgegebenen Formierung könnten dagegen Lösungen bieten, dem entgegenzuwirken50. Im Gegensatz zu einer konsequenten Orientierung am vorarchivischen Nutzer und damit am Entstehungszusammenhang hat bei der Datenmodellierung eine möglichst weitgehende Orientierung am Interesse künftiger Archivbenutzer starke Fürsprecher gefunden. Der antizipierte Archivbenutzer ist dabei in der Archivgeschichte kein Unbekannter: Er stand bei der Bildung von Pertinenzbeständen im 19. Jahrhundert ebenso Pate51, wie er in der Bewertungsdiskussion der 1950er und 1960er Jahre von Fritz Zimmermann als Instanz zur Bestimmung von Archivwürdigkeit bemüht Puchta (wie Anm. 26) S. 42. Vgl. Andreas Weber, Praktische Erfahrungen beim Ingest. Rückblick und Perspektiven. Transferarbeit im Rahmen des Archivreferendariats für den Höheren Dienst an der Archivschule Marburg (51. Wissenschaftlicher Lehrgang), 2018, S. 19 f. https://www. landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/63607/Transferarbeit2018_Weber.pdf (aufgerufen am 8.5.2019). 50 Diese Strategie verfolgen die Staatlichen Archive Bayerns im Rahmen ihres Fachkonzepts für das Digitale Archiv. 51 Papritz (wie Anm. 2) Band 3, S. 7 f. 48 49
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worden war52. In beiden Fällen darf als widerlegt gelten, was nun postuliert wird, nämlich dass Benutzerinteressen archivwissenschaftlich begründet werden könnten53. So erscheint Bischoffs Mahnung, eine solche Überlieferungsbildung stehe der Dokumentation näher als der Archivierung von Verwaltungsunterlagen54, als ebenso wenig obsolet wie Zechels begründete Forderung, „Überlieferung nicht nur so zu erhalten, wie es der Historiker mit Recht für sich wünschen darf, sondern in erster Linie so, wie es ihrem wesenhaften Gehalt entspricht“55. Als wenig hilfreich erscheint in diesem Zusammenhang auch der Versuch, den Überrest-Charakter des Archivguts insgesamt in Frage zu stellen oder wenigstens abzuschwächen56. Vielmehr muss die begonnene archivwissenschaftliche Diskussion zu Ergebnissen führen, die einer weitgehend vom Machbaren ausgehenden Praxis des „neuen Handwerks“ den Rahmen vorgeben. Die bestehenden Normen oder Standards der „Langzeitarchivierung“ können diese Auseinandersetzung nicht ersetzen. Keitel hat dieses Desiderat selbst anerkannt, wenn er feststellt, dass die Archivwissenschaft diesem Thema bisher kaum Beachtung geschenkt hat57. Einen entsprechenden Impuls setzte er, indem er den Blick auf den Grad der Fixiertheit der spezifischen Performance digitaler Unterlagentypen gerichtet hat58. In diesem Zusammenhang wäre zu klären, ob – um in der OAIS-Logik zu bleiben – die Ausprägung des Archivales im AIP sich nicht prinzipiell am Datenmodell bzw. der Sichtweise des Registraturbildners
52 Fritz Zimmermann, Wesen und Ermittlung des Archivwertes. In: Archivalische Zeitschrift 54 (1958) S. 103–122. – Vgl. Arthur Zechel, Werttheorie und Kassation. In: Der Archivar 18 (1965) Sp. 1–16. – Keitel (wie Anm. 47) S. 281. – Bodo Uhl, Die Geschichte der Bewertungsdiskussion: Wann gab es neue Fragestellungen und warum? In: Andrea Wettmann (Hrsg.), Bilanz und Perspektiven archivischer Bewertung. Beiträge eines Archivwissenschaftlichen Kolloquiums (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 21), Marburg 1994, S. 11–35, hier S. 32. 53 Vgl. Keitel (wie Anm. 47) S. 281. 54 Bischoff (wie Anm. 20) S. 47. Zum Verhältnis der beiden Disziplinen zueinander siehe Angelika Menne-Haritz, Archivierung oder Dokumentation – Terminologische Unschärfen in der Bewertungsdiskussion. In: Andrea Wettmann (Hrsg.), Bilanz und Perspektiven archivischer Bewertung. Beiträge eines Archivwissenschaftlichen Kolloquiums (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 21), Marburg 1994, S. 223–235. 55 Zechel (wie Anm. 52) Sp. 8. 56 Kretzschmar (wie Anm. 37) S. 266. 57 Keitel (wie Anm. 5) S. 192. 58 Keitel (wie Anm. 47) S. 282–284.
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auf die jeweiligen Daten zu orientieren hat59. Drei Beispiele aus der jüngeren Praxis der Staatlichen Archive Bayerns seien hier angeführt: So werden die in dem Fachverfahren TIZIAN enthaltenen Datenbankinformationen und Dokumente nach dem Muster Akt = Kontrollierter Betrieb, Vorgang = konkrete Kontrolle dokumentiert. Zum Einsatz kommt eine xdomeaSchnittstelle. Die Daten jeweils eines Betriebs bilden im Digitalen Archiv ein AIP. Die aus EPS-Web, dem Einsatzprotokollsystem der bayerischen Polizei, übernommenen Daten über einzelne polizeiliche Lagen werden nach konkreten Einsätze, sogenannten Lagen, strukturiert und den für den jeweiligen Einsatz federführenden Polizeidienststellen zugeordnet60. Das Protokoll und die Anlagen zu jeweils einem Einsatz bilden ein AIP. Aus der Häftlingsdatenbank IT-Vollzug werden die Daten zu einer Auswahl an Häftlingen in der Form übernommen, dass jeder Datensatz zu einem Häftling als ein AIP aufgefasst und dem Bestand der jeweiligen Justizvollzugsanstalt zugeordnet wird. Gegenüber der technischen Formierung bei den jeweiligen zentralen Abgabestellen wird hier zwar eingegriffen, aber nach Maßgabe der jeweiligen Logik der Abgabestellen. Die Auswertungsmöglichkeiten sind gegenüber der alternativ jeweils denkbaren Datenbanklösung zwar zunächst beschränkt. Dieser „Nachteil“ wird gegebenenfalls von einem Archivbenutzer technisch zu lösen sein, dem für die Auswertung eine größere Menge an DIPs übergeben werden müsste. Allerdings kann einem zentralen archivwissenschaftlichen Grundsatz entsprochen werden: dem Provenienzprinzip61. Gerade bei behördenübergreifenden Fachverfahren stellt sich die Frage nach der Provenienz eines kompletten Datenbankabzugs. Die im Staatsarchiv Ludwigsburg archivierte LÜVIS-Datenbank etwa wurde dem Informatikzentrum Landesverwaltung Baden-Württemberg zugewiesen. Die aus TIZIAN zu bildenden AIPs werden dagegen der Überlieferung der für die Kontrolle der jeweiligen Betriebe zuständigen In diesem Sinne argumentierten zuletzt Nicola Bruns und Peter Worm in ihrem Vortrag „Form follows function – ein Grundsatz für die elektronische Überlieferungsbildung?“ auf dem 79. Südwestdeutschen Archivtag am 17. Mai 2019 in Ludwigsburg: Aktuelle Fragen der Überlieferungsbildung. Vorträge des 79. Südwestdeutschen Archivtags am 16. und 17. Mai 2019 in Ludwigsburg, hrsg. von Katharina Ernst und Peter Müller, Stuttgart 2020, S. 18–27. 60 Siehe Valerie Zehetbauer, Elektronische Archivierung – Archivierung digitaler Unterlagen anhand des OAIS-Modells und der Übernahme von Daten aus EPS-Web, unveröffentlichte Hausarbeit an der Hochschule Hof, Fakultät Informatik, Wintersemester 2016/2017, S. 28–33. 61 Zu Fragen der Provenienz bei digitalen Archivalien siehe Dollar (wie Anm. 3) S. 101– 103. 59
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Stelle (Landratsamt, Bezirksregierung oder Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit) zugeordnet, dem im Quellsystem auch die jeweilige Datenverantwortung zustand. Verfahrenspflegestellen und erst recht datenhostende Stellen, die den technischen Betrieb eines Fachverfahrens und die Datenspeicherung federführend betreuen, dürften wohl nur behelfsweise als archivische Provenienzen in Betracht zu ziehen sein. Eine solche Notlösung wurde etwa im Bayerischen Hauptstaatsarchiv für die in zeitlichen Schnitten archivierte InVeKoS-Datenbank getroffen. Die hier enthaltenen Daten verschiedener Stellen der bayerischen Agrarverwaltung zu landwirtschaftlichen Betrieben und deren Förderung seit 1993 lassen, zumindest nach dem angewendeten Datenmodell, keine individuellen Provenienzen mehr erkennen62. Als Kompromiss wurden die Datenbankschnitte dem Archivbestand des Landwirtschaftsministeriums zugewiesen, aus dessen Provenienz wenigstens ein Teil der Daten selbst stammt und dem die Funktion der Verfahrenspflegestelle zukam. Durch die zunehmend vernetzte Arbeitsweise von Verwaltungen wird dieses Problem einer provenienzgerechten und dabei inhaltlich aussagekräftigen Überlieferungsbildung deutlich zunehmen. Darüber hinaus gibt es Beispiele, die sich einem vergleichbaren Zugriff auch in anderer Hinsicht entziehen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang etwa das Fachverfahren MonArch63, das Dokumente zu einzelnen Gebäuden und Gebäudeteilen in einer polyhierarchischen Struktur abbildet. Solche Systeme, die die Möglichkeiten digitaler Verknüpfungen stärker ausschöpfen und keine klassischen Verwaltungsprozesse abbilden, stellen ganz neue Herausforderungen für die Datenmodellierung dar64. Festzuhalten bleibt, dass die Lösungsansätze der Archive bei der Formierung digitaler Archivalien selbst bei vergleichbaren Quellsystemen so unterschiedlich ausfallen, dass es bis jetzt nicht einmal eine allgemein anerkannte statistische Kennzahl für die Ermittlung der Stückzahl digitaler Archivalien gibt65.
Puchta (wie Anm. 26) S. 39. Projektbeschreibung siehe http://www.monarch.uni-passau.de/ (aufgerufen am 12.6.2019). 64 Vgl. Keitel (wie Anm. 5) S. 182f. 65 Das im Rahmen der Bundeskulturstatistik 2018/19 entwickelte Konzept der „Informationseinheit“ wird gegenwärtig nicht von allen staatlichen Archivverwaltungen mitgetragen. 62 63
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5 . Si g n i f i k a n t e E i g e n s c h a f t e n Dass sich hinsichtlich der Festlegung der Signifikanten Eigenschaften dieselben Positionen wie bei der eigentlichen Bewertung gegenüberstehen, ist nur konsequent. Schließlich zielt das Konzept der Signifikanten Eigenschaften in Verbindung mit dem Repräsentationenmodell auf den dauerhaften Erhalt des archivwürdigen Kerns an Eigenschaften eines digitalen Archivales über die technisch bedingten Migrationen hinweg. Denn die Ursprungsformate lassen sich ebenso wenig erhalten wie softwaregebundene Funktionalitäten, die sich wenigstens gegenwärtig auch nicht durch Emulation simulieren lassen. Dass auch diese Simulationen kaum als „original“ zu bezeichnen wären, sei hier nur erwähnt66. Auch hier war es Bischoff, der die Ausrichtung von Signifikanten Eigenschaften auf Benutzerinteressen infrage gestellt und stattdessen angeregt hat, das Urheberinteresse zur Grundlage Signifikanter Eigenschaften zu machen. Man wird Keitel darin zustimmen müssen, dass von Archivaren allgemein getragene Übereinkünfte über Signifikante Eigenschaften wenigstens derzeit nicht absehbar sind67. Umso intensiver ist die Fachdiskussion darüber zu führen. In diesem Sinne sei darauf hingewiesen, dass die staatliche bayerische Archivverwaltung bewusst die Signifikanten Eigenschaften ausschließlich aus der Warte der Abgabestellen definiert. Konkret betrifft dies die Verknüpfung der Primär- und Metadaten, deren Lesbarkeit und Interpretierbarkeit, die Reproduzierbarkeit der Daten sowie gegebenenfalls deren besondere technische Merkmale – jeweils aus der Perspektive der abgebenden Stelle und damit aus dem Entstehungskontext der Sacherledigung. 6 . Fa z i t Terry Cook ist unverändert zuzustimmen, wenn er feststellt: „[A] world of relational databases, of complex software linkages, of electronic office systems, of hypermedia documents, of multilayered geographical information systems, is, when all the high-technology rhetoric is put aside, still a world of information relationships, of interconnections, of context, of evi-
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Siehe auch Keitel (wie Anm. 5) S. 141. Keitel (wie Anm. 47) S. 284.
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dence, of provenance“68. Die Archivwissenschaft als eine „Theorie der direkten Kommunikation“69, die den Blick mehr auf Struktur als auf Materialität richtet, ist per se offen für die unterschiedlichen medialen Erscheinungsformen von Archivgut. Das „neue Handwerk“ digitaler Archivierung findet daher in der über Jahrzehnte entwickelten Archivwissenschaft eine hervorragende theoretische Fundierung. Stellt digitales Archivgut also eine archivwissenschaftliche Herausforderung dar? Zweifellos, denn die Handlungs- und Organisationskontexte auf den verschiedenen Kompositionsstufen und sogar diese selbst haben sich unter den technischen Bedingungen digitaler Unterlagen verändert. Mit den steigenden Übernahmen digitalen Archivguts wächst auch die Grundlage für weiterführende Untersuchungen. Diese sind umso wichtiger, als die Archive aktiv und konkret dafür zu sorgen haben, dass digitales Archivgut seine Handlungs- und Organisationskontexte soweit als möglich aus sich selbst heraus preisgibt – nicht zuletzt im Interesse künftiger Nutzer. Wo dabei von bewährten Grundsätzen abgewichen wird, ist die Fachdiskussion besonders kritisch zu führen. Insbesondere der Schlüsselbegriff der Authentizität muss dabei noch schärfer gefasst werden70. Insofern bleibt die Archivwissenschaft auch eine Herausforderung für Archivarinnen und Archivare bei der Übernahme und Formierung digitalen Archivguts.
68 Terry Cook, What is past is prologue: A history of archival ideas since 1898, and the future paradigm shift. In: Archivaria 43 (1997) S. 17–63, hier S. 41. 69 Leidel (wie Anm. 17) S. 71. 70 Siehe Schenk (wie Anm. 31) S. 218.
Formale Strukturen des Archivguts: Hürden oder Wegweiser zum Verständnis? Von Joachim Wild So mancher Historiker wird bei seiner ersten Beschäftigung mit historischen Quellen aus der Zeit des Mittelalters irritiert gewesen sein oder gar gestöhnt haben, dass diese Quellen sich so sperrig geben und sich einer modernen Fragestellung so wenig öffnen wollen1. Es sieht fast so aus, als redeten der Geschichtsforscher der Gegenwart und die Quelle des Mittelalters bzw. der Frühen Neuzeit aneinander vorbei. Aber bei genauerer Betrachtung ist dieses zumindest sehr zurückhaltende, oft auch einsilbige und in unseren modernen Augen manchmal fast unverständliche Antworten der Quelle durchaus nachvollziehbar. Denn der Schreiber eines Textes beispielsweise des 14. Jahrhunderts war ganz im Denken seiner Zeit verhaftet und konnte sich auch nur mit den Sprechgewohnheiten seines Jahrhunderts ausdrücken. Beim Verwaltungsschriftgut waren ihm außerdem enge Grenzen gesetzt. Er sollte Sachverhalte, die man bisher weitestgehend nur im Gedächtnis gespeichert hatte, nun in eine schriftliche Form bringen. Zukünftige Fragestellungen existierten für ihn nicht, sondern er verfasste den Text nach den Möglichkeiten und Anforderungen seiner Zeit. Eigentlich liegt der Fehler bei uns, weil wir den Standpunkt der Gegenwart verabsolutieren und erwarten, die Quelle habe ganz in unserem Sinne auf unsere Frage einzugehen. Aber wie ist dieses Grundproblem zu lösen? Wie kann aus der Hürde ein Wegweiser werden? Der folgende Beitrag will am Beispiel Bayerns darstellen, dass eine möglichst genaue Kenntnis der formalen Strukturen des älteren Schriftguts, das nun schon seit Jahrhunderten in den Archiven verwahrt wird, eine wesentliche Voraussetzung darstellt, einer solchen Quelle aus älterer Zeit gerecht zu werden und sie besser zum Sprechen zu bringen. Bei der vorgegebenen Kürze der Tagungsbeiträge kann ich nur Grundlinien aufzeigen und ich beschränke ich mich auf einige wenige Beispiele aus dem Schriftgut des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit.
Zum Problem der Fremdheit des Mittelalters grundsätzlich: Horst Fuhrmann, Einladung ins Mittelalter, 5. Aufl. München 1997.
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Trotz einer recht fragmentarischen Überlieferung wissen wir inzwischen, dass das Frühmittelalter keine schriftarme Epoche war2. Im Gegenteil: Aus der Spätantike hatte sich in vielen Bereichen eine erstaunlich lebendige Schriftlichkeit erhalten, die vor allem auch im Rechtsleben zu einer dichten Urkundenproduktion führte. Erst seit dem 10. Jahrhundert ging die Schriftlichkeit auf fast allen Ebenen sehr rasch und geradezu dramatisch zurück. Das heißt nicht, dass sie abgestorben wäre, aber sie verkümmerte zu einem dünnen Rinnsal. Gerade im Rechtsleben ist der Wandel deutlich zu sehen3. Viele Rechtsgeschäfte, die nach einer zwingend vorzunehmenden mündlichen Verhandlung in den Zeiten zuvor auch noch beurkundet worden waren, blieben nun unbeurkundet. Der Zeugenbeweis war an die Stelle der schriftlichen Beurkundung getreten. Erst ab dem 12. Jahrhundert nahm in Bayern die Schriftlichkeit ganz langsam wieder Fahrt auf und schaffte dann im 13. Jahrhundert den Durchbruch4. Um bei dem Urkundenbeispiel zu bleiben: Unter der Ebene der Königs- und Papsturkunde breitete sich im Bereich der sogenannten Privaturkunde seit dem Ende des 12. und verstärkt im 13. Jahrhundert die Siegelurkunde rasch aus, und in ihren Formulierungen, vor allem in der Arenga und der Korroboratio, lassen sich die Beweggründe für den Wandel gut ablesen. Es ist vor allem der Topos der Schwäche des menschlichen Gedächtnisses, der nun in vielen Variationen bemüht wird, um daraus zu folgern, dass neben den Zeugen – die zunächst nach alter Gewohnheit noch als Beweismittel bleiben – auch die Schriftlichkeit zur Sicherung des Heinrich Fichtenau, Das Urkundenwesen in Österreich vom 8. bis zum frühen 13. Jahrhundert (Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 23), Wien-Köln-Graz 1971, behandelt in seiner exzellenten Untersuchung weitgehend auch den Raum des heutigen Bayern. – Die für den vorliegenden Aufsatz gewählten Beispiele stammen aus den Beständen des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, somit aus altbayerischer / südbayerischer Perspektive. 3 Mark Mersiowsky, Die Urkunde in der Karolingerzeit. Originale, Urkundenpraxis und politische Kommunikation (Monumenta Germaniae Historica. Schriften 60), 2 Bände, Wiesbaden 2015. – Joachim Wild, Charta und Notitia im Herzogtum Bayern. In: De litteris, manuscriptis, inscriptionibus … Festschrift zum 65. Geburtstag von Walter Koch, hrsg. von Theo Kölzer u.a., Wien-Köln-Weimar 2007, S. 27–37. 4 Joachim Wild, Das Kanzleischriftgut – Erscheinungsformen in einer sich differenzierenden Verwaltung. In: Die Fürstenkanzlei des Mittelalters. Anfänge weltlicher und geistlicher Zentralverwaltung in Bayern. Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs anläßlich des 6. Internationalen Kongresses für Diplomatik, München 25. Oktober – 18. Dezember 1983, bearbeitet von Joachim Wild unter Mitarb. v. Klaus Frhr. von Andrian-Werburg und Karl-Ernst Lupprian (Ausstellungskataloge der staatlichen Archive Bayerns 16), Neustadt a.d. Aisch 1983, S. 87 f. 2
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Rechtsgeschäfts eingesetzt werden muss. Die lateinischen Begriffe dafür sind scriptum, was die Schriftlichkeit als solche als auch das im vorliegenden Fall konkret Geschriebene sprich Urkunde meinen kann, und litterae. Das Entscheidende ist jedoch, dass reflektiert und explizit in den Urkunden formuliert wird, nur die Schriftlichkeit könne die Schwäche des menschlichen Gedächtnisses überwinden5. Mit dieser Begründung wird der seit Jahrhunderten gebräuchliche und in Bayern allein vorherrschende Zeugenbeweis als unzureichend abqualifiziert. Zwar gehen memoriaArengen im Grunde auf die Antike zurück6, aber die memoria-Arengen des 13. Jahrhunderts sind so formuliert, als wäre nun endlich ein Heilmittel für ein bisher unlösbares Problem gefunden worden. Die Siegelurkunden des Klosters Benediktbeuern aus der Mitte des 13. Jahrhunderts bringen diesen Gedanken immer wieder und besonders wortreich zum Ausdruck. In einer Urkunde Abt Heinrichs II. von Benediktbeuern aus der Mitte des 13. Jahrhunderts schwingt sich der Verfasser gar zu hymnischen Formulierungen auf: Quoniam scriptura mater est et archa memorie … (Weil die Schriftlichkeit die Mutter und die Schatztruhe der Erinnerung ist …)7. Ungeachtet literarischer Übertreibungen bleibt die Feststellung, dass die Wiederentdeckung der scriptura in Form der Siegelurkunde einen bedeutenden Fortschritt bei der Sicherung bzw. Verewigung von Rechtsgeschäften darstellt. Im Fall der Urkunden tritt zur Verschriftlichung die Besiegelung hinzu, die anfänglich den Zeugenbeweis noch nicht abzulösen vermochte8. Zunächst stehen Zeugenbeweis und Besiegelung entweder gleichrangig nebeneinander oder der Besiegelung wird zusätzlich zum Zeugenbeweis eine Steigerung der Beweiskraft zugeschrieben. Auf diesem Weg hat sie dann allmählich den Zeugenbeweis abgelöst und übernimmt die Beweisfunktion allein. Dieser Prozess findet im letzten Drittel des 13. Heinrich Fichtenau, Arenga, Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln (Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 18), Graz-Köln 1957, hier S. 131–133. 6 Fichtenau (wie Anm. 5) S. 131. 7 Franz Ludwig von Baumann, Die Benediktbeurer Urkunden bis 1270 (Sitzungsberichte der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-philologische und historische Klasse 1912, 2. Abhandlung), München 1912, S. 92 Nr. 8. – Joachim Wild, Das Aufkommen der Siegelurkunde bei den bayerischen Klöstern. In: Auxilia Historica. Festschrift für Peter Acht zum 90. Geburtstag. Im Auftrag der Kommission für bayerische Landesgeschichte herausgegeben von Walter Koch, Alois Schmid und Wilhelm Volkert; Redaktion: Ludwig Holzfurtner (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 132), München 2001, S. 461–477. 8 Wild (wie Anm. 7) S. 468–470. 5
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Jahrhunderts statt. Um das Siegel kann dabei ein richtiger Kult entstehen. Am 21. Oktober 1292 wird das Kapitel des Augustinerchorherrenstifts Ranshofen zusammengerufen und vor allen Anwesenden der alte Siegelstempel des Stifts zerbrochen und ein neuer feierlich eingeführt, worüber eine Urkunde, besiegelt mit dem neuen Typar, ausgestellt wird9. Der Siegeszug der Verschriftlichung erfasste im 13. Jahrhundert alle verwaltungsrechtlich relevanten Lebensräume10. Im Bereich der Grundherrschaft zum Beispiel wurde das schon im Frühmittelalter bekannte Urbarbuch wiederbelebt. Die Frage war nur, in welcher Intensität und Genauigkeit die Inhalte dargeboten würden. Aber das Novum der Schriftlichkeit führte hierbei – für uns überaus enttäuschend – nicht zu einer ausführlichen Darstellung dessen, was man schriftlich wiedergeben wollte, sondern zu einer äußerst knappen Formulierung des Sachverhalts. Der Urbarbucheintrag beschränkt sich gewöhnlich auf die Angabe des Ortes, wo der abgabepflichtige Hof liegt, eventuell den Namen des Hofes und die Art und Höhe der Abgaben. Diese karge Mitteilung ist aber keine Ausnahme, sondern sie ist typisch für die Anfänge des spätmittelalterlichen Verwaltungsschriftguts. Hans Ulrich Gumbrecht formuliert sehr deutlich: „Wo Volkssprache im Mittelalter schriftlich fixiert wurde, erscheint ihre Form meist von der Funktion geprägt, mündlichen Vortrag und auditive Rezeption zu ermöglichen – und nicht etwa Sprechen und Hören durch Schreiben und Lesen zu ersetzen“11. In den vorausgehenden, deutlich schriftärmeren Jahrhunderten, aber auch generell im Mittelalter, war man in hohem Maße auf die Gedächtnisleistung angewiesen. Die Memorierfähigkeit wurde im Schulunterricht systematisch trainiert und sie bildete das Rückgrat allen öffentlichen Lebens12. Von der Intention her war das Urbarbuch deshalb zunächst eher eine Ergänzung und Absicherung zu dem, was viel umfänglicher im Gedächtnis gespeichert war. Man hat fast den Eindruck, das Urbarbuch soll wie ein Stichwortgeber nur eine Basisinformation liefern, um das im Gedächtnis aller Beteiligten mit vielen EinzelBayerisches Hauptstaatsarchiv, KL Ranshofen 1, fol. 100 f. Aus der Fülle der einschlägigen Literatur stellvertretend: Horst Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995, hier insbesondere S. 38–40. 11 Hans Ulrich Gumbrecht, Eine Geschichte der spanischen Literatur, 2 Bände, Frankfurt a. Main 1990, Band 1, S. 44 f. – Wenzel (wie Anm. 10) S. 39 f. 12 Pierre Riché, Le rôle de la mémoire dans l’enseignement médiéval. In: Bruno Roy – Paul Zumthor (Hrsg.), Jeux de mémoire. Aspects de la mnémotechnie médiévale (Études médiévales 3), Montréal-Paris 1985, S. 133–148. 9
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heiten Gespeicherte zu aktivieren. Brigitte Schlieben-Lange formuliert aus dem Blickwinkel der Sprachgeschichte: „Der Leser muß über den Textsinn Hypothesen aufstellen, die er nur wieder und wieder am Text überprüfen kann durch Noch-einmal-Lesen, Zurücklesen, Querlesen. Er ist aber auch in viel stärkerem Maße als der Hörer dazu aufgerufen, den Text produktiv aus seinen eigenen Erfahrungen und Wissensbeständen zu ergänzen, wobei nur der Text, nicht ein Gesprächspartner, der Produktivität seiner Rezeptionstätigkeit Schranken setzt“13. Dass der Grundherr viel mehr gewusst hat als die dürren Informationen der älteren Urbarbücher vorgaukeln, zeigt ein Urbarbuch des Augustinerchorherrenstifts Baumburg14. Als 1436 Kaspar Ebenhauser zum Propst ge-
Urbarbuch des Klosters Baumburg von 1439: ain grosser pöswicht (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, KL Baumburg 4, S. 357, Ausschnitt unteres Drittel).
wählt worden war, bereiste und inspizierte er als eine der ersten Amtshandlungen selbst alle Höfe und Anwesen der Baumburger Grundherrschaft15. Offensichtlich verfasste er auch selbst das dabei entstandene Urbarbuch, denn er ließ immer wieder, durchaus humorvoll oder sarkastisch, ganz persönliche Beobachtungen einfließen wie Item auf unserm guet Mittervelden siczt ain grosser pöswicht, genant Hännsel, pischolf in den tafern … oder Da13 Brigitte Schlieben-Lange, Traditionen des Sprechens. Elemente einer pragmatischen Sprachgeschichtsschreibung, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1983, S. 47. 14 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, KL Baumburg 4. 15 Joachim Wild, Stift Baumburg im 15. Jahrhundert (1415–1515). In: Baumburg an der Alz. Das ehemalige Augustiner-Chorherrenstift in Geschichte, Kunst, Musik und Wirtschaft. Unter Mitwirkung von Joachim Wild herausgegeben von Walter Brugger – Anton Landersdorfer – Christian Soika, Regensburg 2007, S. 141–164, hier S. 146 f.
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Urbarbuch des Klosters Baumburg von 1439: Fortsetzung des Eintrages zum Gut Mittervelden (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, KL Baumburg 4, S. 358).
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rauf sitzt Hännsel Mesnär, ain alter mensch, hat albegen weiber gehabt, den er die chue hat muessen melchen …16. Propst Kaspar Ebenhauser ist aber schon ein Vertreter einer neuen Zeit. Er hatte in Wien studiert und schrieb selbst unendlich viel (z.B. über 40 Jahre Ausgabentagebücher); bei ihm tritt das Geschriebene weitgehend an die Stelle der memoria17. Erst der Übergang zur Frühen Neuzeit bringt eine grundlegende Änderung. Nun werden zusätzlich viele Einzelheiten aufgeführt, welche die Rechtssituation ausführlich illustrieren und die von den Zeitzeugen in diesem Umfang kaum im Gedächtnis behalten werden konnten. Im Urbarbuch des Herzogtums Bayern von 1585 zum Beispiel, das unter Herzog Albrecht V. begonnen und unter Herzog Wilhelm V. zum Abschluss gekommen war, wird insbesondere das Bauerngut nun eingehend beschrieben: zusätzlich zum Ortsnamen der Name des aktuellen Beständers, der Hofname, das Leiherecht und der Zeitpunkt des Erwerbs, und schließlich eine genaue strukturelle Beschreibung des Anwesens: Zahl und Art der Gebäude, Bauweise, Erhaltungszustand; schließlich die Lage und Größe der Grundstücke. Diese vielen Angaben sind in gleichbleibender Abfolge straff formalisiert und folgen offensichtlich einem ausgearbeiteten Katalog an Fragpunkten. Hier ist nichts mehr dem Gedächtnis und der Memorierfähigkeit überlassen, sondern alles Wissenswerte wird strukturiert und formalisiert in eine schriftliche Darstellung gebracht18. Die Urbarbücher hatten bei ihrer Renaissance im 13. Jahrhundert auf eine lange Reihe von Vorbildern aus dem Früh- und Hochmittelalter zurückblicken können. Ganz anders ist die Ausgangslage bei den Lehenbüchern. Das Lehnswesen, das ebenfalls in das Frühmittelalter zurückreicht und im 6. und 7. Jahrhundert im Frankenreich ausgebildet wurde, ist offensichtlich ein Rechtsbereich ohne schriftliche Verwaltung gewesen19. Erst die große Verschriftlichungswelle des 13. Jahrhunderts hat auch all-
16 Urbarbuch des Klosters Baumburg von 1439, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, KL Baumburg 4 (wie Anm. 14) S. 357–358 (Hännsel ... Mittervelden) und S. 332 (Hännsel Mesnär). 17 Wild (wie Anm. 15) S. 144–157. 18 Hans Constantin Faussner – Alfred von Grote, Urbarbuch des landesfürstlichen Kastenamtes Burghausen für den Kasten Ober- und Niederweilhart von 1581 (Quellen zur bayerischen und österreichischen Rechts- und Sozialgeschichte, Abt. I: Albrechtinische Beschreibung des landesfürstlich-bayerischen Urbars 1), Hildesheim-Zürich-New York 1983; hier die ausführliche Einleitung von Faussner S. XI–LXXVII. 19 François Ganshof, Was ist das Lehnswesen? 6. erw. dt. Aufl. Darmstadt 1983.
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Urbarbuch des Kastens Ingolstadt von 1585: Beginn der ausführlichen Beschreibung zum Sedlhof (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kurbayern Hofkammer, Conservatorium Camerale 87, folio 53r).
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mählich das Lehnswesen erfasst und hier die Schriftlichkeit eingeführt20. Allmählich deshalb, weil nach anfänglichen Versuchen zu Ende des 13. Jahrhunderts erst im 14. Jahrhundert eigentliche Lehenbücher entstehen. Die faktische Überlieferung in Bayern setzt oft erst im 15. Jahrhundert ein, so etwa bei den herzoglich bayerischen Lehen. Gerade weil es für das Lehnswesen keine schriftlichen Vorbilder aus früheren Jahrhunderten gibt, ist es besonders interessant zu sehen, welche formalen Strukturen für den neuen Amtsbuchtypus gewählt wurden. Ausgehend vom Belehnungsvorgang beim Herrenfall – hier mussten alle Vasallen binnen Jahr und Tag ihre Lehen vom neuen Lehenherrn in Empfang nehmen – erhielt das Amtsbuch den Charakter des Protokolls. Ein Schreiber notierte entweder auf einem Zettel (zedel in der Sprache des 14. und 15. Jahrhunderts) oder in einem vorläufigen Libell, welcher Lehenmann wann beim Lehenherrn erschien und sein Lehen mutete. Die Niederschrift erfolgte in der Form einer Aktnotiz: Am Tage X hat der Vasall Y das Lehen Z empfangen. Es wird stets die Perfektform verwendet, d.h. die Aufzeichnung erfolgte wohl unmittelbar nach der Vornahme der Belehnung, die sicherlich in althergebrachten Formen und Formeln vonstatten ging. Die Benennung der Vasallen fällt für unser Empfinden ungenau aus und noch kürzer sind die Angaben zum Lehenobjekt, das nur mit einem Stichwort angedeutet wird. Der Leheneid fehlt in der Regel ganz. Der Schreiber notierte also nur die Stichpunkte, die er benötigte, um zu einem späteren Zeitpunkt das eigentliche Lehenbuch kompilieren und niederschreiben zu können. Es liegt nahe, dass der Lehenschreiber am Ende der Mutungsfrist, also nach Jahr und Tag, die Zettel ordnete bzw. das flüchtig geschriebene, vorläufige Libell in Reinschrift in das endgültige Lehenbuch übertragen hat. Deshalb erscheinen die Belehnungen nach Herrenfall als abschriftlicher Block und die nachfolgenden Belehnungen bei Mannfall, die sich nach dem Zufalls prinzip irgendwann ereigneten, als protokollarisch vorgenommene Einzeleinträge unter regelmäßigem Tinten- und Duktuswechsel. Die knappe Eintragungsform resultierte aus dem Bestreben, direkt nach dem Belehnungsvorgang die Basiselemente festzuhalten; die Modalitäten der BelehJoachim Wild, Schriftlichkeit in der Verwaltung am Beispiel der Lehenbücher in Bayern. In: Schriftlichkeit und Lebenspraxis im Mittelalter. Erfassen, Bewahren, Verändern, hrsg. von Hagen Keller (Münstersche Mittelalter-Schriften 76), München 1999, S. 69–77. – Matthias Bader, Das Lehenswesen Herzog Heinrichs XVI. des Reichen von BayernLandshut. Eine schriftgutkundliche Studie zur Herrschafts- und Verwaltungspraxis eines Territorialfürstentums in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 30), München 2013. 20
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nungsvornahme entfielen gänzlich. In der Frühen Neuzeit änderte sich die Eintragungsform erheblich. Die Aktnotiz wurde immer länger und dokumentiert schließlich fast wortwörtlich den gesamten Belehnungsvorgang mit vielen Details. Wie beim Urbarbuch der Frühen Neuzeit hat auch das Lehenbuch dieser Epoche den Auftrag und das Bestreben, jede Facette wiederzugeben und nicht nur die Grundelemente21. Der Geschichtsforscher unserer Tage wird erstaunt fragen: Wo bleibt denn das Verzeichnis der ausgegebenen Lehen? Dieses gab es nicht und es ist auch nicht im Laufe der Jahrhunderte dazu gekommen. Die Pflicht des Vasallen, nach Aufforderung durch den Lehenherrn sein Lehen zu weisen, d.h. Auskunft über Zahl, Art und Umfang der Lehenstücke zu geben, war so tief verwurzelt, dass darüber ein Grundbuch der Lehen eines Lehenherrn nicht angelegt wurde, zumindest nicht in Bayern22. Die bisherigen Beispiele haben ein komplexes Zusammenspiel von Mündlichkeit und Schriftlichkeit aufgezeigt, wobei die Mündlichkeit noch lange eine starke Stellung behielt. Die gegenseitige Unterstützungsfunktion lässt sich an einem bisher nicht beachteten Vorgang illustrieren. Zu Ende des Jahres 1423 und in der ersten Jahreshälfte 1424 ließ Propst Ulrich Häuppl von Herrenchiemsee bei allen umliegenden Gerichten eine Befragungsaktion durchführen23. Die jeweils ältesten Gerichtsleute wurden zusammengerufen und mussten bei einem Gerichtstag eidlich aussagen, wie in ihrem Gerichtssprengel die Leibeigenschaftsrechte des Stifts Herrenchiemsee beschaffen seien. Die von den angegangenen sechs Gerichten darüber verfertigten sechs Spruchbriefe sind im Ergebnis völlig gleichlautend: Die Gerichtsleute sagten aus, dass bei der Leibeigenschaft des Stifts Herrenchiemsee die Kinder der Mutter nachgehen. Es bleibt unerwähnt, welcher Anlass zu dieser sehr aufwändigen und ungewöhnlichen Befragungsaktion geführt hatte. Das Interessante an diesem Vorgang ist der Rückgriff auf das kollektive Wissen der Ältesten und Erfahrensten eines Gerichts. Man hätte es durchaus bei der Aussage der Gerichtsleute belassen können; aber nun kommt hier die Beweiskraft der Siegelurkunde in der Gestalt eines Gerichtsbriefs hinzu, die das Gewusste und Ausgesagte 21 Beispiel: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Oberster Lehenhof 101: Ritterlehen-NebenfallProtokoll für das Unterland, 1785–1792. 22 Wild (wie Anm. 20) S. 74. Das dort genannte Beispiel im Sinne eines Lehen-Grundbuchs, das sich selbst Auszug nennt, scheint eine Privatarbeit Augustin Kölners zu sein. 23 Joachim Wild, Herrenchiemsee im Spätmittelalter 1218–1520. In: Herrenchiemsee. Kloster – Chorherrenstift – Königsschloss, herausgegeben von Walter Brugger – Heinz Dopsch – Joachim Wild , Regensburg 2011, S. 123–148, hier S. 138.
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auch schriftlich beweiskräftig macht. Inhaltlich ist die Aussage zwar übereinstimmend, aber ausgesprochen dünn. Kein Wort über die Modalitäten bei Kinderteilung zwischen zwei Leibherren, kein Wort über die Pflichten und Abgaben der Leibeigenen an Herrenchiemsee. Offensichtlich waren diese Details unstrittig und deshalb auch nicht erwähnenswert. Aus dem oben Ausgeführten können wir folgern, dass die aktuellen Gegebenheiten eines Rechts- oder Verwaltungsbereichs im 13. Jahrhundert, d.h. zum Zeitpunkt der Einführung der Schriftlichkeit, unmittelbar Struktur und Form der Verschriftlichung bestimmen. Die knappen Formulierungen resultieren daraus, nur die nach damaligem Verständnis unverzichtbaren Grundelemente einer Rechtshandlung wiederzugeben. Die schriftliche Darstellung hat im Spätmittelalter vor allem die Aufgabe, die memoria, die Erinnerung an diesen Gegenstand wachzurufen. Obwohl schon im 13. Jahrhundert in den Urkundenarengen wortreich die Unzuverlässigkeit des menschlichen Gedächtnisses beklagt und für die Einführung der Schriftlichkeit plädiert wird, behält man bis zum Ende des Spätmittelalters das Zeugnis der memoria bei. Es ist eine Doppelstrategie, der man sich bedient: Die Schriftform nennt Grundelemente der Sachverhalte, die ihrerseits das Detailwissen der Zeitgenossen aktiviert. Es ist dann Sache der Frühen Neuzeit, ganz andere und weitergehende Anforderungen an die Ausführlichkeit und Präzision zu stellen, die die kollektive Erinnerung der Zeitgenossen weitgehend überflüssig machen.
Echte und falsche Urkunden bei Arnold von St. Emmeram Von Veronika Lukas Über Arnold von St. Emmeram (ca. 1000 – ca. 1050) wissen wir nicht viel mehr als das, was er selber verrät1. In seine zwei Bücher, die er in den Jahren 1035–10372 zur höheren Ehre des heiligen Emmeram und auch seines Klosters verfasst hat, hat er immer wieder Episoden aus seinem eigenen Leben eingeflochten, auch Hinweise auf seine Verwandtschaft oder auf Persönlichkeiten, denen er begegnet ist. Ausführlich informiert er uns über die Umstände, die zur Abfassung seines Werkes geführt haben3: wie seine Überzeugung, die alte Emmerams-Passio des Bischofs Arbeo von Freising († 783) müsse durch etwas Zeitgemäßeres ersetzt werden, einen so heftigen Streit hervorrief, dass er das Kloster verlassen und ins Exil nach Sachsen gehen musste. Dort lernte er in dem Magdeburger Domscholaster Meginfrid einen Autor nach seinem Herzen kennen, dem er die Überarbeitung anvertraute. Meginfrid ließ sich viel Zeit, und Arnold war schon Vgl. zu ihm immer noch Karl Langosch, Arnold von St. Emmeram. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Band 1, 2. Aufl., Berlin-New York 1978, Sp. 464–470. – David Hiley, Arnold von St. Emmeram – Komponist der „Historia Sancti Emmerammi“ (um 1000–1050). In: Berühmte Regensburger. Lebensbilder aus zwei Jahrtausenden, hrsg. von Karlheinz Dietz – Gerhard H. Waldherr, Regensburg 1997, S. 35–42. – Edition immer noch durch Georg Waitz (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 4), Hannover 1841, S. 545–574. 2 Das zweite Buch datiert Arnold selbst auf das Jahr 1036, indem er den Amtsantritt Bischof Gebhards III. von Regensburg (1036–1060) ins Entstehungsjahr setzt: Quibus orno successit tercius Gebehardus (c. 2, 19 [24]; ed. Waitz [wie Anm. 1] S. 565) (Kapitelzählung nach der in Arbeit befindlichen Neuedition für die Monumenta Germaniae Historica, die sich an der handschriftlichen Überlieferung orientiert; in Klammern die Zählung nach Waitz). – Das altlateinische horno (vgl. Plautus, Mostellaria 159; Lucilius, Fragmente 273 und 718) bedeutet „in diesem Jahr“. – In der Praefatio zum zweiten Buch wiederum verweist Arnold auf Buch 1 als illum, quem preterito anno de miraculis conscripseram libellum (ed. Waitz [wie Anm. 1] S. 556). Später im zweiten Buch wird die Reihe der Äbte von St. Emmeram fortgeführt bis zu Udalrich (1037–1042) (ebd. S. 569). – Vgl. zur Datierung Waitz in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 4, Hannover 1841, S. 543 f. – Bernhard Bischoff, Literarisches und künstlerisches Leben in St. Emmeram (Regensburg) während des frühen und hohen Mittelalters. In: Ders., Mittelalterliche Studien II, Stuttgart 1967, S. 77–115, hier S. 84 f. 3 Widmungsbrief an Abt Burchard von St. Emmeram (1029/30–1037). 1
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längst wieder in Regensburg, als endlich die versprochene Passio eintraf. In der Zwischenzeit hatte er damit begonnen, auch die Wundererzählungen Arbeos zu überarbeiten und durch weitere mehr oder weniger aktuelle Wunder zu ergänzen – das erste seiner beiden Bücher, das er dann als Fortsetzung von Meginfrids Passio niederschreiben ließ. Vergleicht man Arnolds Text mit dem des Arbeo, ist man ein wenig ratlos. So gravierend ist nämlich seine Überarbeitung wirklich nicht ausgefallen, dass der erbitterte Widerstand seiner Mitbrüder verständlich erscheinen würde. Viel mehr als einzelne Wörter und Wendungen durch elegantere Ausdrücke ersetzt hat er nicht; Akzentverschiebungen sind sehr subtil und fallen nur bei genauem Studium der Texte ins Auge. Ob es nicht in Wirklichkeit ganz andere Gründe waren, die ihn ins Exil trieben4? Das ist freilich eine Frage, die kaum je geklärt werden kann und zu der auch an dieser Stelle keine Antwort gesucht werden soll. Hier geht es nicht um Arbeos Vita, sondern um eine andere Art von Quellen: Hat Arnold auch in den Urkundenbeständen seines Klosters recherchiert? Die Antwort gibt er selbst: Post quos ducatum genti huic praebuit Hucbertus, qui beato Georgio et sancto E. sub quodam Rathario adventicio episcopo donaverat curtim, quę in pitaciis, e quibus hec excerpsimus, Pirchinuuanch nuncupatur (c. 1, 1; ed. Waitz [wie Anm. 1] S. 549). Nach ihnen (den Herzögen Theodo, Theodbert und Grimald) übte das Herzogsamt über dieses Volk Hugbert aus, der den heiligen Georg und Emmeram zur Zeit eines aus der Fremde gekommenen Bischofs Ratharius einen Hof geschenkt hat, der in den Urkunden, aus denen ich diese Nachricht exzerpiert habe, Pirchinwanch genannt wird. Der Ort heißt heute Pürkwang, liegt im Landkreis Kelheim5, und die Schenkung ist tatsächlich die früheste an St. Emmeram, über die wir un4 So vermuten Ferdinand Janner, Geschichte der Bischöfe von Regensburg, Band 1, Regensburg 1883, S. 472, und Karl Josef Benz, Regensburg in den geistigen Strömungen des 10. und 11. Jahrhunderts. In: Zwei Jahrtausende Regensburg. Vortragsreihe der Universität Regensburg zum Stadtjubiläum 1979, hrsg. von Dieter Albrecht (Schriftenreihe der Universität Regensburg 1), Regensburg 1979, S. 75–95, hier S. 84, dass der eigentliche Grund für Arnolds Exil in seinen Reformbestrebungen gelegen habe, die bei den Mitbrüdern nicht gut angekommen seien. 5 Vgl. Hans-Dieter Becher, Landshut. Die Stadt Landshut und das Landgericht Rottenburg (Historischer Atlas von Bayern, Altbayern, Reihe 1, 43), München 1978, S. 191 f.
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terrichtet sind, nachdem Arnolds pitacia längst den Weg alles Irdischen gegangen sind. Hugbert regierte in den Jahren um 7306, in diese Zeit muss also die Urkunde fallen. Sie entstand damit noch vor der Translation des heiligen Emmeram durch Bischof Gaubald um 740, noch weit vor Arbeos Emmeramsleben und wäre, wäre sie denn erhalten, nicht nur das älteste Dokument zur Geschichte von St. Emmeram, sondern auch das früheste Zeugnis einer Verehrung des Heiligen, der ja deutlich neben Georg als Kirchenpatron erscheint7. Rätselhaft bleibt der fremde Bischof Ratharius, der einzig durch Arnold bezeugt ist. Aus seinen dürftigen Angaben erfahren wir so gut wie nichts über Ratharius, obwohl man nur zu gern wüsste, woher er stammte8 und wie man sich sein Bischofsamt vor der Bistumsorganisation des Bonifatius vorzustellen hat. Arnold selbst scheint nicht mehr über ihn gewusst zu haben und hat sich wohl gerade deshalb so ausdrücklich auf seine Quelle, die alte Urkunde, berufen. Es gibt nämlich eine weitere Stelle9, an der er auf ecclesiasticarum scripta donacionum vel tradicionum verweist, und dort geht es ausgerechnet wieder um diesen Ratharius. Im zweiten Buch beginnt Arnold die Reihe der Regensburger Bischöfe mit den Worten: Igitur sicut ecclesiasticarum testantur scripta donacionum vel tradicionum, hec sedes habuit episcopos primum temporibus Romanorum veneVgl. zu ihm Joachim Jahn, Ducatus Baiuvariorum. Das bairische Herzogtum der Agilolfinger (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 35), Stuttgart 1991, S. 116–122. 7 Vgl. Janner (wie Anm. 4) S. 60 f. – Max Heuwieser, Die Entwicklung der Stadt Regensburg im Frühmittelalter. In: Verhandlungen des historischen Vereins von Oberpfalz und Regensburg 76 (1925) S. 73–194, hier S. 158–160. – Max Piendl, Fontes monasterii s. Emmerami Ratisbonensis. Bau- und kunstgeschichtliche Quellen. In: Quellen und Forschungen zur Geschichte des ehemaligen Reichsstiftes St. Emmeram in Regensburg, hrsg. von Max Piendl (Thurn und Taxis-Studien 1), Kallmünz 1961, S. 1–183, hier S. 10 f. (Nr. 3). – Friedrich Prinz, Frühes Mönchtum im Frankenreich. Kultur und Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden und Bayern am Beispiel der monastischen Entwicklung (4. bis 8. Jahrhundert), 2. Aufl. München 1988, S. 385 und 416. – Jahn (wie Anm. 6) S. 121. 8 Klaus Gamber, Die ersten Bischöfe von Regensburg. Worin bestand ihre Funktion als Äbte von St. Emmeram? In: Klöster und Orden im Bistum Regensburg. Beiträge zu ihrer Geschichte, hrsg. von Georg Schwaiger – Paul Mai (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 12), Regensburg 1978, S. 61–94, hier S. 72 mit Anm. 61, schließt aus dem Namen auf eine Herkunft aus Oberitalien. 9 Neben diesen beiden gibt es nur noch eine dritte Stelle, an der Arnold explizit seine urkundlichen Quellen erwähnt; auch dort geht es um Dokumente der Agilolfingerzeit: Duces vero, qui ante hunc principem (gemeint ist Karl der Große) sub regibus Francorum Baioarię regebant ducatum, quę bona beato Emmerammo contulerint, pitacia eorum et testamenta penes nos satis indicant inventa (c. 1, 5; ed. Waitz [wie Anm. 1] S. 550). 6
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rabilem virum nomine Paulinum cum ceteris non parvi numeri episcopis, quorum certa presulatus regimina legimus, nomina vero invenire non potuimus. Deinde sub tempore regum Francorum necnon ducum Noricorum quendam religiosum Christi ecclesie ministrum nomine Lupum et successorem eius nuncupamine Ratharium, ante ordinacionem illam videlicet beati Bonifacii Mogoncie archiepiscopi, quam ille in Norico ex auctoritate apostolice sedis iuxta instituta canonum exercuit sive disposuit (c. 2, 19 [24]; ed. Waitz [wie Anm. 1] S. 564 f.). Wie unsere Schriftstücke über kirchliche Schenkungen und Traditionen bezeugen, hatte diese Diözese erstmals zur Zeit der Römer einen Bischof, einen ehrwürdigen Mann namens Paulinus, und weitere Bischöfe in nicht geringer Zahl, über deren Regiment wir mit Sicherheit lesen, deren Namen wir allerdings nicht ausfindig machen konnten. Später, zur Zeit der Frankenkönige und der bayerischen Herzöge, gab es einen frommen Diener der Kirche Christi mit Namen Lupus und seinen Nachfolger namens Ratharius, und zwar vor der Neuordnung durch den heiligen Erzbischof Bonifatius von Mainz, die dieser in Bayern mit der Autorität des apostolischen Stuhls gemäß den kanonischen Bestimmungen durchgeführt hat. Nun ist diese Textpassage überlieferungsgeschichtlich nicht ganz unproblematisch. Das hat damit zu tun, dass Arnold seine zwei Bücher zwar durchaus, bei allen formalen Unterschieden, als zusammenhängendes Werk konzipiert, die Nachwelt sich aber darum wenig gekümmert und die beiden in sehr unterschiedlicher Intensität tradiert hat. Für das erste Buch könnte die Situation kaum erfreulicher sein – da haben wir im Clm 14870 der Bayerischen Staatsbibliothek in München eine Handschrift unmittelbar aus der Zeit des Autors, man hat auch schon von einem Autograph gesprochen10. Das ist vielleicht ein wenig sehr optimistisch, aber autornah ist die Handschrift auf jeden Fall, und wer weiß, ob nicht Arnold selbst wenigstens für einige der Korrekturen verantwortlich ist, die sich stellenSo Johann Baptist Kraus, De Translatione Corporis S. Dionysii Areopagitae, Seu Parisiensium Apostoli, E Gallia In Bavariam Ad Civitatem Ratisbonam Dissertatio, [Regensburg] 1750, S. LVI. – Waitz (wie Anm. 2) S. 545. – Georg Leidinger, Der Codex aureus der Bayerischen Staatsbibliothek in München, Bd. 6, München [1925], S. 26 Anm. 1. – Der hl. Wolfgang in Geschichte, Kunst und Kult, Ausstellung des Landes Oberösterreich, St. Wolfgang 1976, S. 98 Kat.-Nr. 3. – Vgl. Hiley (wie Anm. 1) S. 41: „Da keine Autographhandschrift Arnolds bekannt ist, kann man nicht beweisen, ob Arnold Clm 14870 geschrieben hat oder nicht. Möglich ist es“. 10
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weise im Text finden. Nur leider bricht diese Handschrift mit dem Ende des ersten Buches ab, und das nicht einmal sauber am Buchende, sondern mitten im Satz; die Schlussformel musste im 15. Jahrhundert jemand am unteren Seitenrand nachtragen11. Ob sich ursprünglich das zweite Buch anschloss, kann niemand sagen. Für dieses zweite Buch haben wir nur zwei sehr späte Textzeugen: eine Handschrift aus dem 15. Jahrhundert in St. Peter in Salzburg12 und den Druck des Heinrich Canisius13 im zweiten Band seiner Antiqua lectio von 160214. Immerhin lässt sich an einigen Gemeinsamkeiten erkennen, dass beide ohne jeden Zweifel dieselbe Vorlage benützt haben (allen voran an einer verwirrenden Textumstellung im Prolog zum zweiten Buch, die an eine Fehlbindung in dieser Vorlage denken lässt). Diese kann wohl kaum etwas anderes gewesen sein als wiederum das Autorexemplar des endgültig fertiggestellten Werks. Die Vermutung läge nahe, dass der am Ende verstümmelte Clm 14870 vor diesem Verlust genau diese Vorlage gewesen sein könnte; durch Kollation der Texte lässt sich aber nachweisen, dass Canisius und der Salzburger Schreiber ein anderes Exemplar vor sich hatten15, dass es also eine heute verlorene Handschrift gegeben haben muss, die mit Sicherheit beide Bücher enthielt. Man kann Canisius gewiss in manchen Dingen für suspekt halten – wenn er auch im allgemeinen nichts anderes getan hat als das Zeitübliche –, dass er etwa dazu neigte, normalisierend in die Orthographie der überlieferten Texte einzugreifen, oder dass viele der Handschriften mit seltenen Werken, die er für seine Antiqua lectio auswertete, später nicht mehr aufzufinden waren; da ist die verlorene Arnold-Handschrift kein München, Bayerische Staatsbibliothek (BSB), Clm 14870, fol. 58v. Salzburg, Bibliothek der Erzabtei St. Peter, b VI 2. 13 Um 1548–1610, Neffe des heiligen Petrus Canisius, Professor der Rechte in Ingolstadt, mehrmals Rektor und Prorektor der Universität. – Vgl. E. M. Buxbaum, Canisius, Heinrich. In: Biographisches Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität München, hrsg. von Laetitia Boehm – Winfried Müller – Wolfgang J. Smolka – Helmut Zedelmeier, Teil I: Ingolstadt-Landshut 1472–1826, Redaktionelle Bearbeitung: Winfried Müller – Michael Schaich (Ludovico Maximilianea Forschungen 18), Berlin 1998, S. 59 f. 14 Antiquae Lectionis Tomus II. In Quo Plura Quam XX. Antiqua monumenta, nunquam edita ... Omnia Nunc Primum E Manuscriptis Edita, Et Notis Illustrata Ab Henrico Canisio Noviomago ..., Ingolstadt 1602, S. 70–170. 15 So fügen etwa beide in der Rubrik zu Meginfrids Widmungsschreiben an Arnold dem Namen des Adressaten ad Arnolfum sancti Emmerammi monachum hinzu: eundem et praepositum atque magistrum (ed. Waitz [wie Anm. 1] S. 548 Anm. 5). In c. 1, 1 bieten sie übereinstimmend die Lesart concessit statt inpertivit. 11 12
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Einzelfall. Doch genau zu dieser Handschrift hat er uns auch unschätzbare Informationen hinterlassen. Er hat nämlich ausdrücklich vermerkt, an welchen Stellen ihm dort Unregelmäßigkeiten aufgefallen sind. In der Regel setzt er dann die fraglichen Passagen kursiv und gibt eine Marginalie bei mit den Worten alia litera in ms. oder nur alia litera, und wir dürfen davon ausgehen, dass in diesen Fällen die Vorlage in irgendeiner Weise Korrekturen aufgewiesen hat. An unserer Stelle nun wird Canisius sogar noch deutlicher. Hier gibt er zu einigen kursiv gesetzten Passagen an: Haec omnia ad marginem minori litera notata sunt (Dies alles steht am Rand in kleinerer Schrift)16. Deutlicher kann man es kaum machen, dass hier der Text nachträglich ergänzt wurde – nur zu welcher Zeit und von wem – Arnold selbst? –, das können wir Canisius’ Angaben nicht entnehmen. Was Arnold ursprünglich geschrieben hat, ist dagegen klar ersichtlich: Igitur sicut ecclesiasticarum testantur scripta donacionum vel tradicionum, hec sedes habuit episcopos primum Lupum et Ratharium ante ordinacionem beati Bonifacii Mogoncie archiepiscopi, quam ille in Norico ex auctoritate apostolice sedis iuxta instituta canonum exercuit sive disposuit. Wie unsere Schriftstücke über kirchliche Schenkungen und Traditionen bezeugen, hatte diese Diözese als Bischöfe zuerst einen Lupus und einen Ratharius, vor der Neuordnung durch den heiligen Erzbischof Bonifatius von Mainz, die dieser in Bayern mit der Autorität des apostolischen Stuhls gemäß den kanonischen Bestimmungen durchgeführt hat. Wenn wir Arnolds Angaben zu seiner Quelle für die Schenkung von Pürkwang Glauben geschenkt haben – und ich sehe hier tatsächlich keinen Grund, warum wir das nicht tun sollten –, dann spricht doch vieles dafür, auch hier die Quellenangabe für bare Münze zu nehmen. Es sieht also so aus, als habe Arnold in den pitacia seines Klosters auch noch den Namen eines weiteren Bischofs, nämlich Lupus, gefunden, freilich mit noch weniger konkreten Angaben als zu Ratharius17. Wen er dort allerdings nicht gefunden hat, ist ein Bischof Paulinus18. Dennoch, wer auch immer für Canisius (wie Anm. 14) S. 103. Im 15. Jahrhundert wurde er zu einem Märtyrer der Römerzeit stilisiert, vgl. Janner (wie Anm. 4) S. 30. 18 Der Name fehlt auch in der Edition des Canisius und wird nur durch die Salzburger Handschrift bezeugt. Die Lücke, die durch den Verlust des Namens entstanden war, hat 16 17
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die Randbemerkung verantwortlich sein mag, kann diesen Bischof nicht erfunden haben. Das beweist die nächste Erwähnung eines Bischofs Paulinus von Regensburg in den Quellen. Die Annales Ratisponenses, die im 12. Jahrhundert niedergeschrieben wurden, vermelden zum Jahr 483: His temporibus Paulinus a sancto Severino premonitus Ratisbonensi ecclesie est prelatus19 (Zu dieser Zeit wurde Paulinus an die Spitze der Regensburger Kirche berufen, wie ihm von Severin vorhergesagt worden war). Der Name Severin deutet darauf hin, woher diese Nachricht stammt: aus der Vita Severini des Eugippius20. Dieser berichtet in c. 21 von einem Besuch des Priesters Paulinus, dem der heilige Severin verkündet habe, er werde demnächst Bischof werden, was sich bald nach der Heimkehr des Paulinus auch erfüllt habe. Er sei nämlich von den Bürgern von Tiburnia genötigt worden, ihr Bischof zu werden21. Die Stadt Tiburnia, quae est metropolis Norici, gibt es heute nicht mehr; es gab sie auch zu Zeiten Arnolds und der Regensburger Annalisten längst nicht mehr. Man identifiziert sie heute mit den römischen Überresten am Holzer Berg nahe Spittal an der Drau in Kärnten, doch woher hätte man die im 11. Jahrhundert in Regensburg man verschiedentlich zu schließen versucht, indem man primum als Eigennamen interpretierte und einen Bischof Primus erfand (so Max Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Band 2: Von der Mitte des zehnten Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Kampfes zwischen Kirche und Staat [Handbuch der Altertumswissenschaft 9, 2, 2], München 1923, S. 309; vgl. auch Janner [wie Anm. 4] S. 30). 19 Ed. Wilhelm Wattenbach. In: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 17, Hannover 1861, S. 579. 20 Handschriften der Vita Severini aus dem bayerischen Raum sind erst seit dem frühen 11. Jahrhundert überliefert; die ältesten (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 18512b und das Fragment Clm 1044; daneben möglicherweise – nur in Nachzeichnung des 18. Jahrhunderts überliefert – Innsbruck, Universitäts- und Landesbibliothek, 429, von Bischoff ins frühe 11. Jahrhundert datiert) stammen bemerkenswerterweise aus Tegernsee (freundliche Auskunft von Prof. Dr. Martin Wagendorfer). Die früheste erhaltene Abschrift aus St. Emmeram ist der Clm 14031, ein Passionale, das allerdings erst ins ausgehende 11. Jahrhundert zu datieren ist. – Zwischen Tegernsee und St. Emmeram bestanden enge personelle Verbindungen: vgl. Das Martyrolog-Necrolog von St. Emmeram zu Regensburg, hrsg. von Eckhard Freise – Dieter Geuenich – Joachim Wollasch (Monumenta Germaniae Historica, Libri memoriales N. S. 3), Hannover 1986, S. 190 f. 21 Eugippius, Vita s. Severini c. 21 (ed. Rudolf Noll, Eugippius, Das Leben des heiligen Severin, lateinisch und deutsch, 2. Aufl. Passau 1981, S. 86): Paulinus quidam presbyter ad sanctum Severinum fama eius latius excurrente pervenerat. Hic in consortio beati viri diebus aliquot remoratus, cum redire vellet, audivit ab eo: Festina, venerabilis presbyter, quia cito di lectionem tuam, populorum desideriis, ut credimus, obluctantem, dignitas episcopatus ornabit. Moxque remeante ad patriam sermo in eo praedicentis impletus est. Nam cives Tiburniae, quae est metropolis Norici, coegerunt praedictum virum summi sacerdotii suscipere principatum.
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kennen sollen? Die metropolis Norici konnte für die Chronisten, für die das antike Noricum unhinterfragt mit ihrem Bayern gleichzusetzen war22, nichts anderes sein als ihre eigene Stadt23, und es zeugt gewiss nicht von krimineller Fälscher-Energie, sondern nur von Kombinationsgabe, wenn sie daraus den Schluss zogen, dass Paulinus eben ein Regensburger Bischof gewesen sein musste. Interessant ist nun, dass nicht nur Paulinus nachträglich Eingang in Arnolds Werk gefunden hat, sondern auch der Name Tiburnia für Regensburg. Genaugenommen ist es diesmal nicht Arnolds Werk, sondern Meginfrids Vita, die Arnold freilich im besagten Clm 14870 eng in sein Werk eingebunden hat24. Emmeram stammte bekanntlich aus Poitiers in Aquitanien und wurde nur deswegen zum bayerischen Heiligen, weil die heimische, römisch-christlich geprägte Gesellschaft seinem Missionseifer zu wenig Entfaltungsmöglichkeiten bot. Eigentlich wollte er weiter donauabwärts die heidnischen Awaren bekehren, kam aber nur bis Regensburg (Ratisbonam), wo er vom dortigen Herzog aufgehalten wurde. Meginfrid betitelt die Stadt recht großspurig als olim totius Germanię et nomine et dignitate principium et adhuc eiusdem gentis metropolis (einst dem Namen und der Rangstellung nach die erste Stadt von ganz Germanien und auch heute noch die Hauptstadt dieses Volkes) (c. 5). Man darf annehmen, dass es die fast nebeneinander stehenden Wörter Germania und nomen waren, die den Glossator des Clm 14870 zu seiner Randbemerkung angeregt haben: Hec est civitas, quam olim Teutones a Germano sive Germanico Germanisheim vocitabant. Huius vocabulum modernis temporibus lingua nostra Raganisburch teutonizat, quam antiquitas Romana, ut quidam 22 Vgl. dazu Irmtraut Heitmeier, Die spätantiken Wurzeln der bairischen Noricum-Tradition. Überlegungen zur Genese des Herzogtums. In: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, hrsg. von Hubert Fehr – Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1), St. Ottilien 2014, S. 463–550. 23 Zum Namen Tiburnia für Regensburg vgl. Andreas Kraus, Civitas regia. Das Bild Regensburgs in der deutschen Geschichtsschreibung des Mittelalters (Regensburger historische Forschungen 3), Kallmünz 1972, S. 52. 24 Aufgebaut ist das Dossier in BSB, Clm 14870, und mit Abstrichen auch in allen davon abhängigen Textzeugen, folgendermaßen: Widmungsgedicht Arnolds – Widmungsbrief Arnolds an Abt Burchard von St. Emmeram – Widmungsbrief Meginfrids an Arnold – Kapitelverzeichnis zu Meginfrids Vita – Meginfrid, Liber de vita et virtutibus beati Emmerammi – Kapitelverzeichnis zu Arnolds Miracula – Arnold, Liber primus de miraculis beati Emmerammi.
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scriptis testantur, Tyburniam latinizabat25. Das ist die Stadt, die einst die Teutonen nach Germanus oder Germanicus Germanisheim benannten. Ihren Namen gibt in neueren Zeiten unsere Sprache im Deutschen als Raganisburch wieder, während die alten Römer, wie einige Schriftsteller in ihren Werken bezeugen, sie lateinisch Tyburnia nannten. (Die Erklärung, „weil sie von Kaiser Tiberius gegründet worden ist“, ist eine noch spätere Zutat26). Der merkwürdige Name Germanisheim ist für Regensburg sonst nirgends belegt, außer bei Autoren, die nachweislich unmittelbar oder mittelbar auf Arnold/Meginfrid zurückgegriffen haben; deswegen scheint es wahrscheinlich, dass er in der Tat eine spontane Bildung des Glossators war, die durch Meginfrids Formulierung inspiriert wurde. Tiburnia aber kannte dieser Glossator aus gewissen scripta. Wir wissen inzwischen, aus welchen; ob man den Plural hier ernst nehmen und außer an Eugippius noch an andere Autoren denken soll, darf man füglich bezweifeln. Halten wir also fest: Wir haben zwei Interpolationen in Form von Randbemerkungen – diejenige zu den Namen Regensburgs ist übrigens nicht nur im Clm 14870 am Rand ergänzt, sondern war es nach dem Zeugnis des Canisius auch in dessen Vorlage, also, wenn man so will, Arnolds Ausgabe letzter Hand –, zwei Interpolationen, die sich letztlich auf die Vita Severini stützen und die dort genannte metropolis Norici Tiburnia mit Regensburg identifizieren. Dass zwischen beiden ein Zusammenhang besteht, dass sie auf ein- und denselben Bearbeiter zurückgehen, der damit bestimmte Interessen verfolgte, steht wohl außer Frage. Dass Arnold selbst dieser Bearbeiter war, ist nicht zu beweisen, aber andererseits – wer sollte sich die Mühe machen, in den beiden greifbaren Exemplaren eines Werkes dieselben Korrekturen vorzunehmen, wenn nicht der Autor selbst? 25 Clm 14870 fol. 25r am Rand ergänzt, radiert und wieder nachgeschrieben, durch Beschneiden der Seite verstümmelt, hier nach späteren Abschriften, insbesondere BSB, Clm 2610 [13. Jahrhundert, Aldersbach], rekonstruiert. 26 Sie fehlt im Clm 14870 und ebenso bei Canisius (der Kopist der Salzburger Handschrift hat die ganze Randbemerkung nicht abgeschrieben) und findet sich erst in den Abschriften Admont, Stiftsbibliothek, 225 (2. Hälfte 12. Jahrhundert); München, BSB, Clm 1805 (erstes Drittel 15. Jahrhundert); Clm 2610 (13. Jahrhundert); Clm 14871 (15. Jahrhundert); Clm 14872 (drittes Jahrzehnt 16. Jahrhundert); Stuttgart, Landesbibliothek, HB XIV 5 (Ende 15. Jahrhundert); Trient, Biblioteca comunale, 1787 (ca. 1475–1480).
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Bis hierher ist die Sache harmlos; die Gleichsetzung Regensburgs mit Tiburnia dürfte aus der Perspektive der Zeitgenossen tatsächlich der historischen Wahrheit entsprochen haben. Anders sieht es freilich aus, sobald man die Frage stellt, in welchem Text sie zum nächsten Mal erscheint. Da sind wir nämlich plötzlich mitten in den berüchtigten Fälschungsaktionen des 11. Jahrhunderts. Damals entstand neben den Diplomen von vier Kaisern auch eine Papsturkunde, ausgestellt angeblich von Leo III. und datiert auf das Jahr 798. Und in ihr ist die Rede von quoddam monasterium iuxta muros civitatis Tyburnię, que a Tyberio cesare augusto edifficata est, que modo vulgo appellata est Reganispurch27. Leo kennt also den alten Namen Tiburnia mitsamt seiner Herleitung, aber nicht genug damit: Er kennt auch eine echte Schenkung Karls des Großen an St. Emmeram vom 22. Februar 79428. Und dieselbe Schenkung zitiert wiederum Arnold als den wichtigsten Beweis für die Wertschätzung, die Kaiser und Könige seinem Kloster entgegengebracht hätten29. Das Zitat ausgerechnet dieser Urkunde ist nicht ganz ohne Pikanterie, denn so ganz eindeutig, wie Arnold es darstellt, waren die Besitzverhältnisse keineswegs. Der Brühl (prolium regale), von dem in dem Stück die Rede ist, wanderte im Lauf des 9. Jahrhunderts 27 JE †2500. – Codex Udalrici Nr. 40, ed. Klaus Nass, Monumenta Germaniae Historica, Briefe der deutschen Kaiserzeit 10, Wiesbaden 2017, S. 61; hier zitiert nach der Version im Chartular von St. Emmeram, München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Regensburg St. Emmeram Lit. 5 1/3, fol. 57r–58r. 28 Vgl. Die Urkunden der Karolinger, Band 1: Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen, unter Mitwirkung von Alfons Dopsch – Johann Lechner – Michael Tangl bearb. von Engelbert Mühlbacher (Monumenta Germaniae Historica, Diplomata Karolinorum 1), Hannover 1906, S. 236–238 (Nr. 176): donatumque in perpetuum ad eundem sanctum locum esse volumus, id est a parte meridiana ipsius monasterii terra culta et inculta iugera ducenta sexuaginta et sex et de prata in totum iuxta fontem cuius vocabulum est Uiuarias, ubi potest colligere fenum carradas quinquaginta octo; est autem spacium longitudinis de sepe giro ipsius monasterii posita usque ad ipsum fontem perticas decim pedes quadringentas duodecim et de ipso fonte sursum in monte perticas centum quadraginta et septem et supra ipso fonte habet in latitudine de via publica usque ad aliam viam noviter factam perticas centum quadraginta, iuxta sepem vero monasterii, ubi latissimum est, perticas ducentas septem (Digitalisat der Urkunde: http://monasterium.net/mom/DE-BayHStA/KU RegensburgStEmmeram/000001/charter [aufgerufen am 8.11.2018]) mit JE †2500: Econtra antedictus christianissimus imperator dedit ad illum locum, ubi modo sedes episcopalis est, a parte meridiana ipsius monasterii perticas decempedas XL et in alia parte centum in longitudine ducentas VII et ecclesiam sancti Petri et ecclesiam sancti Pauli iuxta muros predictę civitatis. 29 Arnold c. 1, 5 (ed. Waitz [wie Anm. 1] S. 550): Attestatur quoque territorium Ratisbonense vel prolium regale, quod a fastigio montis meridiani inter vias publicas usque ad muros ipsius monasterii a Karolo magno traditum est beato Emmerammo et monachis eius sub imperiali testamento.
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mehrmals wieder in den Besitz des Königs und zurück30, und schließlich war es der bei den Emmeramern übel beleumundete Regensburger Bischof Gebhard I. (995–1023), der zwischen 997 und 1003 dort das Kloster Prüll gründete, was man als Ersatz für das sich zunehmend vom Bischof emanzipierende Emmeramskloster interpretiert hat31. Im Original der Urkunde wurden von Emmeramer Seite im 11. Jahrhundert Interpolationen vorgenommen, die jede Teilhabe eines Regensburger Bischofs an der Schenkung tilgten und das Kloster St. Emmeram und seine Mönche zum alleinigen Empfänger stilisierten32. Als objektiver Beweis für Arnolds Aussage ist gerade diese Schenkung nicht die beste Wahl. Aber es kommt noch heftiger. Unmittelbar im Anschluss an den zitierten Satz ist im Clm 14870 eine längere Passage von achteinhalb Zeilen radiert. Das muss schon relativ früh geschehen sein, denn schon die ältesten Abschriften, zwei Legendare aus Admont aus dem 12. Jahrhundert33, übergehen die Stelle ohne jeden Hinweis, dass dort noch etwas gestanden haben könnte. Aber – die Salzburger Handschrift und Canisius kennen den vollständigen Text; und dass das, was sie hier bieten, wirklich das ist, was in Arnolds Autorexemplar gestanden hat, kann man an einigen Spuren des radierten Textes erkennen. Im 17. Jahrhundert hat jemand auch die Lücke im Clm 14870 mithilfe des Canisius wieder geschlossen. Was wurde nun da getilgt? Hic inter cetera, quae regio more ac imperiali potencia constituit et ordinavit, ducem Tassilonem regno privans cum filio Diotone monachum esse compulit; nec non sedem Ratisbonensis episcopii a ducibus prioribus extra urbem translatam, ad martiris videlicet sancti Emmerammi basilicam, infra urbis eiusdem muros constitute beati Petri apostoli sub 30 Vgl. Karl Hauck, Tiergärten im Pfalzbereich. In: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung, hrsg. von Lutz Fenske, Band 1 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 11/1), Göttingen 1963, S. 30–74, hier S. 37. – Peter Schmid, Regensburg. Stadt der Könige und Herzöge im Mittelalter (Regensburger historische Forschungen 6), Kallmünz 1977, S. 99 f., 144 und 248 f. 31 Alois Schmid, Die Gründung des Klosters Prüll. In: 1000 Jahre Kultur in KarthausPrüll. Geschichte und Forschung vor den Toren Regensburgs. Festschrift zum Jubiläum des ehemaligen Klosters, hrsg. vom Bezirk Oberpfalz, Regensburg 1997, S. 11–19, hier S. 15. 32 Vgl. Johann Lechner, Zu den falschen Exemtionsprivilegien für St. Emmeram (Regensburg). In: Neues Archiv 25 (1900) S. 627–635, hier S. 630. – Christine Rädlinger-Prömper, Sankt Emmeram in Regensburg. Struktur- und Funktionswandel eines bayerischen Klosters im früheren Mittelalter (Thurn und Taxis-Studien 16), Kallmünz 1987, S. 211 f. 33 Admont, Stiftsbibliothek, 225 und 393.
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Sintperto episcopo restituit ecclesie. Locum autem martiris in patrocinium sui honestavit munificentia regali, subdens eum illi, qui ibi intronizatus fuerat sede pontificali34. Er (Karl der Große) gab nach königlicher Art und mit kaiserlicher Gewalt viele Gebote und Anordnungen; unter anderem entsetzte er den Herzog Tassilo seiner Herrschaft und zwang ihn, zusammen mit seinem Sohn Theodo Mönch zu werden. Den Sitz des Regensburger Bistums, der von den früheren Herzögen vor die Stadt verlegt worden war, nämlich in die Basilika des heiligen Märtyrers Emmeram, gab er der Kirche des heiligen Petrus zurück, die sich innerhalb der Stadtmauern befindet, zur Zeit Bischof Sintperts35. Den Ort des Märtyrers aber stattete er mit königlicher Freigebigkeit aus, um diesen zu seinem Schutzherrn zu machen, und er unterstellte den Ort demjenigen, der dort auf dem Bischofsthron saß. Angesichts des letzten Satzes braucht man kaum lang nach einem Grund dafür zu suchen, warum diese Passage im Clm 14870 nicht stehenbleiben durfte. Gerade die Abhängigkeit vom Bischof war es ja, die man im 11. Jahrhundert mit allen Mitteln abzuschütteln versuchte. Die Urkunde Leos III. ist da keine Ausnahme, wenn sie dem Kloster auf Betreiben Karls des Großen die päpstliche Immunität verleiht. Interessant wird sie hier, weil sie nicht nur auf dasselbe echte Diplom zurückgreift wie Arnold, sondern genau wie er in diesem Zusammenhang von einer (Rück-)Verlegung des Bischofssitzes von St. Emmeram in die Stadt selbst berichtet36. Es ist wohl Hier nach Salzburg, Bibliothek der Erzabtei St. Peter, b VI 2, fol. 19r–v. Sintpert, Bischof von Regensburg († 791). 36 JE †2500: … qualiter christianissimus imperator augustus nomine Karolus … monasterium … in nostram inmunitatem successorumque nostrorum gratia defensionis transfudit et nos continuo pro Christi amore gratuita mente peticioni eius pie annuentes decrevimus ita fieri et iussimus hanc cartam auctoritatis nostrę inde conscribi, ut episcopus eiusdem civitatis tercius nomine Adalwinus iuxta decreta canonum et cum auctoritate nostra in presentia piissimi imperatoris Karoli recta ratione in synodali concilio cum iudicio episcoporum, clericorum nec non nobilium laicorum de eodem loco cathedram pontificalem mutavit et canonica auctoritate in civitatem ad ecclesiam sancti Stephani protomartiris statuit et suę suorumque successorum proprietati ac potestati deinceps in futurum abalienavit. Arnold bringt dieselbe Behauptung noch einmal im zweiten Buch (c. 2, 5 [9]; ed. Waitz [wie Anm. 1] S. 559): Episcopalis vero sedes erat apud sanctum Emmerammum, usque ad tempora Karoli principis, qui hanc restituit in civitatem, ubi prius erat. Wie man sie zu verstehen hat, ist in der Literatur umstritten, mehrheitlich wird sie als Fiktion abqualifiziert; vgl. Janner (wie Anm. 4) S. 76 mit Anm. 1; Siegfried Rietschel, Die Civitas auf deutschem Boden bis zum Ausgange der Karolingerzeit. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Stadt (Ausgewählte Doktordissertationen der Leipzi34 35
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nicht zu bezweifeln, dass der Verfertiger der Papsturkunde Arnolds Text in der unkorrigierten Version gekannt hat. Fassen wir also zusammen: In dem Emmeramswerk Arnolds und Meginfrids sind Spuren einer nachträglichen Bearbeitung erkennbar, die – da an ganz verschiedenen Stellen unter Rückgriff auf dieselbe Quelle, nämlich die Vita Severini, derselbe Sachverhalt vermittelt werden soll, nämlich eine Gleichsetzung Regensburgs mit dem antiken Tiburnia – allem Anschein nach auf das planvolle Vorgehen eines Einzelnen zurückzuführen ist. Zugleich gibt es deutliche Verbindungen zwischen dieser Überarbeitung und den berühmten Urkundenfälschungen, mit deren Hilfe sich St. Emmeram im 11. Jahrhundert dem Einfluss der Regensburger Bischöfe entziehen wollte. Seit mehr als 100 Jahren sind diese Fälschungen anscheinend untrennbar mit dem Namen Otlohs von St. Emmeram verbunden. Obwohl Helga
ger Juristenfakultät), Leipzig 1894, S. 67. – Heuwieser (wie Anm. 7) S. 167 f. bezeichnet die beiden Stellen als spätere Interpolationen, was freilich durch den handschriftlichen Befund gerade hier eindeutig widerlegt wird. – Erklärungsbedürftig ist in der Papsturkunde die Nennung St. Stephans als Bischofssitz, während der Regensburger Dom doch das Petruspatrozinium trägt. Eine Stephanskapelle findet sich heute im Domkreuzgang; sie ist baugeschichtlich ins späte 11. Jahrhundert zu datieren. Aber schon Arnold nennt eine basilica beati Stephani prothomartiris als Aufbahrungsort des heiligen Wolfgang († 994) (c. 2, 18 [23]; ed. Waitz [wie Anm. 1] S. 564). Man sieht in diesem Vorgängerbau der heutigen Stephanskapelle die bischöfliche Pfalzkapelle, vgl. Romuald Bauerreiss, Stefanskult und frühe Bischofsstadt (Veröffentlichungen der bayerischen Benediktinerakademie 2), München 1963, S. 51. – Max Piendl, Fragen zur frühen Regensburger Stadttopographie. In: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 106 (1966) S. 63–82, hier S. 67 f. – Richard Strobel, Regensburg als Bischofsstadt in bauhistorischer und topographischer Sicht. In: Bischofs- und Kathedralstädte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. von Franz Petri (Städteforschung A 1), Köln-Wien 1976, S. 60–83, hier S. 74. Ganz verkehrt wäre also die Lokalisierung der cathedra pontificalis ebendort nicht. Möglicherweise wollte der Autor der Urkunde auf diese Weise den Eindruck erwecken, der Dom St. Peter (der freilich schon in einer Traditionsnotiz von 778 belegt ist; vgl. Die Traditionen des Hochstifts Regensburg und des Klosters St. Emmeram, hrsg. von Josef Widemann [Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte, N. F. 8], München 1943, Nr. 5 S. 5) habe zur Zeit Karls des Großen noch gar nicht existiert. – Rudolf Budde, Die rechtliche Stellung des Klosters St. Emmeram in Regensburg zu den öffentlichen und kirchlichen Gewalten vom 9. bis zum 14. Jahrhundert. In: Archiv für Urkundenforschung 5 (1914) S. 153–238, hier S. 190 f. Anm. 4, vermutet, die Absicht sei gewesen, das Petrus patrozinium auf die Emmeramskirche zu übertragen und so die frühen Traditionen, die regelmäßig an St. Peter und Emmeram adressiert sind, für das Kloster allein beanspruchen zu können.
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Veronika Lukas
Philipp-Schauwecker37 schon 1966 gezeigt hat, dass es im Grunde kein einziges stichhaltiges Argument für diese Verbindung gibt, ja dass sogar alles, was man über Otlohs Persönlichkeit weiß, eher gegen sie spricht, ist Otloh als der Meisterfälscher einfach nicht auszurotten. Dabei ist im Grunde lediglich sein Name der bekannteste eines Emmeramer Mönchs des 11. Jahrhunderts, einer Zeit, in der im Kloster durchaus auch andere Persönlichkeiten literarisch aktiv geworden sind38, man denke unter anderem auch an Wilhelm von Hirsau und vielleicht den anonymen Verfasser der Vita Heinrici IV. imperatoris39. Und Arnold von St. Emmeram sollte nicht der Letzte sein, dem man derartige Manipulationen zutraut40.41
Helga Philipp-Schauwecker, Otloh und die St. Emmeramer Fälschungen des 11. Jahrhunderts. In: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 106 (1966) S. 103–120. 38 Vgl. Bischoff (wie Anm. 2). 39 Eckhard Freise, Die Äbte und der Konvent von St. Emmeram im Spiegel der Totenbuchführung des 11. und 12. Jahrhunderts. In: Das Martyrolog-Necrolog von St. Emmeram zu Regensburg (wie Anm. 20), S. 96–106, hier S. 101, plädiert dafür, ihn in St. Emmeram zu suchen. 40 Vgl. Patrick Geary, Phantoms of Remembrance. Memory and Oblivion at the End of the First Millennium, Princeton 1994, S. 158–176. Auch hinter der angeblichen Entdeckung der Dionysiusreliquien im Jahr 1049 könnte Arnold stehen, nimmt man seinen Auftritt im Einleitungsbrief der jüngeren Translatio sancti Dionysii ernst, wo er aus dem älteren Translationsbericht zitiert und von dem fiktiven Briefschreiber dafür belächelt wird, vgl. Die jüngere Translatio s. Dionysii Areopagitae, hrsg. von Veronika Lukas (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum 80), Wiesbaden 2013, S. 25 mit Anm. 93. 41 Der Aufsatz ist die mit Nachweisen versehene Fassung des Vortrages „Arnold von St. Emmeram. Zwei Bücher über den heiligen Emmeram und seine Verehrer“ beim von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns abgehaltenen Workshop im Rahmen des EU-Projekts „co:op – community as opportunity: the creative archives´ and users´ network“ „Entziffern, Forschen, Mitmachen. Das Kloster St. Emmeram in Regensburg und seine digitale Überlieferung“ am 5.10.2018. 37
Zusammenfassungen Ursprung und Entwicklung des Ius Archivi im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit Joseph S. Freedman Der Aufsatz zum Ius Archivi – dem öffentlichen Recht, ein Archiv zu errichten und zu unterhalten – befasst sich mit seiner Verwendung bei Rutger Ruland (1597) im Zusammenhang der Verwaltungslehre des Heiligen Römischen Reiches, in fünf weiteren archivkundlichen Schriften (von 1664, 1668, 1676, 1681 und 1688), in denen das Ius Archivi enger an das Reich angebunden wird, und schließlich mit der (häufig kritischen) Beschäftigung mit dem Ius Archivi-Gedanken in juristischen und diplomatischen (urkundenkritischen) Schriften des 18. Jahrhunderts. Daneben werden weitere frühneuzeitliche Werke in den Blick genommen, die Archive oder Registraturen behandeln. Schließlich wird noch ein archivkundliches Traktat von Johann Anton Oegg von 1804 besprochen.1 Das Provenienzprinzip im Zeitalter der elektronischen Verwaltungsarbeit Bernhard Grau Völlig zurecht gilt das Provenienzprinzip nicht nur als Erkenntnisprinzip der Archivwissenschaft, sondern auch als Handlungsprinzip der Archivpraxis (Gerhard Leidel). Indem es den Herkunftszusammenhang der in die Archive übernommenen Verwaltungsunterlagen zum Ausgangspunkt der archivischen Ordnung macht, beeinflusst es die Aufgabenwahrnehmung der Archive in ihrer ganzen Breite. Es unterscheidet die Archive von allen anderen kulturgutbewahrenden Institutionen. Mit Blick auf die zentrale Bedeutung des Provenienzprinzips für die Archivtheorie überrascht es wenig, dass die Veränderungs- und Modernisierungsprozesse, die der digitale Wandel für Staat und Verwaltung mit sich bringt, auch bei dessen Umsetzung neuartige Fragen und Probleme aufwerfen. Wichtige Triebfedern dafür sind der Trend zur Zentralisierung von Verwaltungsaufgaben, die zunehmende Flexibilisierung von 1
Die deutsche Übersetzung für diesen Text hat Julian Holzapfl, München, erstellt.
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Verwaltungsprozessen, kollaborative Formen der Verwaltungsarbeit sowie die neuartigen Eigenschaften des elektronischen Verwaltungsschriftguts, sprich die Trennung von Information und Träger, von Primärinformationen und Metadaten. In der Konsequenz sind elektronische Unterlagen nicht mehr in jedem Fall eindeutig einer bestimmten Provenienzstelle und damit einem bestimmten Archiv und einem bestimmten Bestand zuzuordnen. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass das Provenienzprinzip mit Blick auf die elektronische Überlieferung eher an Bedeutung gewinnt als diese zu verlieren. Um die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit digitaler Daten zu erhalten, wird es mehr denn je vonnöten sein, deren Herkunftszusammenhänge zu wahren und die Übernahme- und Erhaltungsprozesse schlüssig und nachvollziehbar zu dokumentieren. Vom Arkanum zur Transparenz. Archive und Rechtsordnungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert Hans-Joachim Hecker Im 19. und bis weit in das 20. Jahrhundert hinein und in manchen Staaten noch bis zur Gegenwart galt es auch als Aufgabe der Archive, die politischen und fiskalischen Interessen des Staates gegenüber denjenigen der Archivbenutzer zu wahren. Gerade der letztere Aspekt der fiskalischen Interessen führte im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der damaligen neben dem Staat bestehenden juristischen Eigenständigkeit des Fiskus zu rechtlichen und politischen Diskussionen. Auch für die historische Forschung nahm man in den zeitgenössischen Debatten Einschränkungen des Archivzugangs aus übergeordneten Gesichtspunkten in Kauf. Heute hat die grundsätzliche Öffnung der Archive für alle Interessierten und das inzwischen anerkannte Informationsfreiheitsrecht die Archive in anderer Weise verstärkt in das Blickfeld der Rechtswissenschaft geführt. Unter Einbeziehung medientheoretischer und kulturwissenschaftlicher Ergebnisse soll dabei das Archivrecht in ein allgemeines Informationsverwaltungsund grundrechtlich geschütztes Informationszugangsrecht integriert werden.
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Digitale Authentizität als kategoriale Herausforderung Hans-Georg Hermann Der Beitrag zeigt, dass und warum ein autorisierter „Zeitstempel“ für die Identifikation eines digitalen Dokuments unerlässlich ist, um seine „Originalität“ zu bestimmen und zu beweisen. Dafür wird ebenso auf die Aristotelische Kategorienlehre wie Beispiele aus Kunst, Rechtsgeschichte und geltendem Recht zurückgegriffen. Im sogenannten elektronischen Rechtsverkehr ist der „Zeitstempel“ eine seit längerem schon existente Erscheinung, die mit der „Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt“ [elDAS] auch europarechtlich etabliert ist. Von der Herrschaft der Büros und von der verhüllten Macht der Archive Gerhard Hetzer Der Beitrag spannt einen Bogen von einzelnen historischen Zeugnissen bürokratischen Handelns hin zu den frühen verwaltungswissenschaftlichen Schriften des Systemtheoretikers Niklas Luhmann und zu dessen berühmtem Zettelkasten. Er spricht die Deutungen des Begriffes „Bürokratie“ seit dem 18. Jahrhundert an. Dieser war und ist als Eigenleben und Wucherung des Apparats vorwiegend negativ besetzt. Es gibt aber auch wertungsfreie Beschreibungen oder die positiv gestimmte Erklärung im Sinne des an Vorschriften gebundenen, gleich behandelnden Verwaltens in der Tradition Max Webers. Obwohl zwischen der Verwaltung und den Archiven in deren klassischer Interpretation eine unmittelbare Verbindung besteht, spielen Archive in diesen Diskussionen keine Rolle. Dabei brauchen selbst die herrschaftsfreien Räume des Anarchismus und ebenso die „bürokratiefreien Zonen“ von Verwaltungsreformen mit kleinem Zuschnitt den belastungsfähigen Nachweis und die Verfestigung von Erinnerung.
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Zum Wert des Originals Reinhard Stauber Ausgangspunkt des Essays ist der lexikalische Befund der Frühen Neuzeit, wonach „Original“ die Abbildung einer Ähnlichkeit (von der aktiven, ursprünglichen Seite aus) bezeichnet. „Authentisch“ dagegen steht (analog Sprechen von „facts“ in der Scientific Revolution) für ein Verfahren, mit dem respektierte Sachkenner einem Sachverhalt Glaubwürdigkeit attestieren. In den neueren Kulturwissenschaften mit ihrer Tendenz zur Auflösung begrifflicher Konzepte spielt „Original“ als erkenntnisleitendes Konzept kaum mehr eine Rolle und wird durch kulturell wie zeitlich variierende Zuschreibungen von „Authentizität“ ersetzt. Demgegenüber versucht dieser Beitrag anhand von zwei Überlegungen den Befund zu stützen, dass Originale unsere Versicherung „gegen das Nichts“ sind, wie eine Ausstellung des Literaturmuseums der Moderne in Marbach vor einigen Jahren formulierte. Diese Überlegungen, eine archivfachliche die erste, eine aus den Erfahrungen in der Hochschullehre gespeiste die zweite, kreisen zum einen um die Zuverlässigkeit der Ordnungsverfahren in den wissenschaftlichen Archiven, zum anderen um Droysens Methode, den Quellen zentralen epistemischen Wert als valide Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zuzuweisen und damit den Wert des Originals zu unterstreichen. Denn Originale führen – auf langen, manchmal mühsamen Wegen – an den Anfang, sind ein archimedischer Punkt gegenüber „alternativen Fakten“ und unverzichtbar in ihrer Rolle als Kontrollinstanz wie in ihrer haptischen Qualität. Vom Archivale zum Archival Information Package. Digitales Archivgut als Herausforderung für die Archivwissenschaft? Michael Unger Der Beitrag hinterfragt, inwieweit der durch die digitale Transformation bedingte Medienwandel des Archivguts die archivwissenschaftliche (nicht die archivalienkundliche) Sicht darauf verändert hat bzw. dies erforderlich ist. Mit dem Fokus auf digitales Archivgut werden die klassischen Wesensmerkmale der Registraturfähigkeit, der Archivreife und der Archivwürdigkeit überprüft und das vermeintlich neue Kriterium der Ar-
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chivfähigkeit kritisch hinterfragt. Als neuartige Herausforderungen für die Archivwissenschaft wird die Anforderung identifiziert, digitale Archivalien aus Daten den unterschiedlichen Quellsystemen im Übernahmeprozess zu formieren, wofür Standards und Kriterien zu entwickeln sein werden. Auch die in der Praxis bei digitalen Unterlagen von bisherigen Standards teils abweichenden Bewertungsgrundsätze werden problematisiert. Desiderate auf diesen Gebieten betreffen letztlich ebenso wie der stockende Diskurs um die Konkretisierung von Signifikanten Eigenschaften eine spezifisch fachwissenschaftliche Antwort auf die aktuelle Frage nach der Authentizität des digitalen Archivguts. Der Beitrag versteht sich als ein Plädoyer dafür, die identifizierten Herausforderungen mit den insgesamt bewährten, mehr auf Strukturen als auf Materialität zielenden Methoden der Archivwissenschaft anzugehen. Formale Strukturen des Archivguts: Hürden oder Wegweiser zum Verständnis? Joachim Wild Für die heutige Zeit erscheint es rätselhaft, warum im Mittelalter die schriftlichen Unterlagen zu Rechts- und Verwaltungsaufgaben so knapp und wenig präzise sind. Anhand von Urkunden sowie von Urbarbüchern und Lehenbüchern wird dargelegt, welche Intentionen die Quellen des 13. Jahrhunderts im Zuge der großen Verschriftlichungswelle verfolgten. Sie dienten als Anhalt und Absicherung für das im Gedächtnis Gespeicherte, denn die Menschen des Mittelalters waren auf gute Memorierfähigkeit trainiert. Erst mit dem Übergang zur Frühen Neuzeit dokumentieren z.B. die Urbarbucheinträge ausführlich viele rechtliche Einzelheiten zu den dort aufgeführten Liegenschaften, die auch das beste Gedächtnis sich in dieser Fülle nicht hätte merken können. Echte und falsche Urkunden bei Arnold von St. Emmeram Veronika Lukas Arnold von St. Emmeram, der im frühen 11. Jahrhundert eine Neufassung der Emmeramsvita Arbeos veranlasste und um Wunderberichte und weitere Geschichten ergänzte, griff gerade für die Frühgeschichte seines Klosters auf dessen Urkundenbestände zurück. So ist er der einzige Zeuge
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für die früheste bekannte Schenkung an St. Emmeram, die auf etwa 730 zu datieren ist. Eine andere Quelle, aus der er sich über diese Frühzeit informierte, scheint die Vita Severini des Eugippius gewesen zu sein. Ihr entnahm er den Namen Tiburnia für die Hauptstadt Noricums, für ihn eindeutig mit Regensburg gleichzusetzen. Das wiederum rückt ihn in die Nähe der berüchtigten Emmeramer Urkundenfälscher des 11. Jahrhunderts, so dass letztlich nicht auszuschließen ist, dass Arnold an den Fälschungaktionen beteiligt war.
Summaries1 The Origin and Evolution of the ius archivi concept in Early Modern Central Europe Joseph S. Freedman This article on the ius archivi concept - the right to establish and maintain an archive - focuses on its use by Rutger Ruland (1597) in the administrative context of the Holy Roman Empire, on its use within five publications on archives (1664, 1668, 1676, 1681, 1688) linking ius archivi closer to the Empire, and on discussions (often critical) of the ius archivi concept within 18th-century publications on jurisprudence and diplomatics. Attention is also accorded to other early modern publications that discuss or mention archives or registries as well as to a treatise on archives by Johann Anton Oegg (1804).2 The Provencance Principle in the Age of Electronic Administration Bernhard Grau With good reason, the principle of provenance is not only held as an epistemological principle within archival science, but as a guiding principle of practical archival work as well (Gerhard Leidel). By establishing the context in which administrative records originated as a starting point of archival order, it influences the way archives work across a broad range of their duties. This distinguishes archives from all other cultural heritage institutions. In light this central position, it is hardly surprising that processes of change and modernisation in the wake of the digitisation of state and public services also raise questions and pose challenges as to how it should be transferred into practice. Major driving forces in this are the centralisation of administrative tasks, more flexiblity in administrative processes, new forms of collaboration in public services, as well as new characteristics of digital administrative records, namely the separation of information from its material carrier and the distinction between primary data and 1 2
Übersetzung: Julian Holzapfl, München. Der Originaltext stammt vom Autor selbst.
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metadata. Electronic records thus can no longer always be attributed to a particular agency of provenance, nor designated to a particular archive and a particular group of records. Nonetheless, the article argues that the provenance principle will gain rather than decline in importance with a view of electronic records. To preserve the reliability and credibility of digital data, it will be more essential than ever to respect and preserve the context of their origin, and coherently to document the processes of ingest and preservation. From Arkanum to Transpareny. Archives and Systems of Law from the 19th to the 21st Centuries Hans-Joachim Hecker In the 19th, and some way into the 20th century, in some states even into the present time, it was held to be a an archival duty to uphold the political and fiscal interests of the state against those of the users of archives. This last aspect, fiscal state interests, led to juridical and political disputes in the 19th century, given the establishment of the state treasury (Fiscus) as a body separate from the state itself. Within contemporary debate, such concerns were generally held to override and constrain access to archives for historical research. Today, the general opening of archives for all interested and freedom of information rights have led archives back into the scope of jurisprudence. By integrating media theory and cultural sciences, the article aims to incorporate archival law into a general system of laws governing information management and access to information as guaranteed by basic civil rights. Digital Authenticity as a Categorical Challenge Hans-Georg Hermann The article aims to show that, and why, an authorised time stamp is indispensable to identify a digital document, thus defining and proving its „originality“. For this, Aristotle’s doctrine of categories is referenced as well as providing examples from the arts, the history of law and from current law. Within „eletronic justice“ (elektronischer Rechtsverkehr), the time stamp has been current for some time, and has been established within EU law by „Regulation (EU) No 910/2014 of the European Parliament and
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of the Council on electronic identification and trust services for electronic transactions in the internal market (elDAS).“ On the Rule of the Bureaus and the Veiled Power of the Archives Gerhard Hetzer The article bridges the span from individual historical records of bureaucratic agency towards Niklas Luhmann’s early contributions to the study of bureaucracy, his systems theory and also his famous slip box system of note-taking. It covers interpretations of the term „bureaucracy“ from the 18th century onwards. While it has had, and still has, plenty of negative readings, connoting uncontrolled power and malignant growth, there have been non-judgemental or downright positive interpretations as well: In the tradition established by Max Weber, bureaucracy has been seen as a rulebound, well-regulated and egalitarian system of administration. Archives have not had a role in these discussions, although there is a direct link between administrative services and archives in their classical interpretation. This is unfortunate, for even the domination-free realms of anarchism or the „bureaucracy free zones“ of slim-lined public services are in need of dependable evidence and the institutional solidifying of memory. On the Value of the Original Reinhard Stauber This essay takes as its starting point the lexical usage of the early modern period, which took „original“ to mean the quality of „alikeness“ that can be ascribed to an object or image in the act of faithful duplication, while „authentic“ stood for a process by which men of knowledge and authority could attest credibility to a factual account. In recent cultural studies, with their tendency to dissolve terminological concepts, „original“ only plays a vanishing role as an epistemiological concept. Instead, „authenticity“ is ascribed in a manner subject to cultural and termporal change. Opposing this trend, the article aims to support the stance that originals are indeed our „insurance against nothingness“, as the Museum of Modern Literature in Marbach put it in an exhibition a few years ago. It does this in two reflections. The first, archival in nature, revolves around the reli-
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ability of methodologies of order within archives. The second, based on academic teaching experience, turns to Droysen’s method in attributing epistemic value to historical sources as valid bridges between past and present, thereby strengthening the value of originals. For it is originals that lead – on long and winding, sometimes arduous paths – back to the beginning, they are an Archimedean point to counter „alternative facts“, indispensable as controlling instances and also in their haptic quality. From Archival Object towards Archival Information Package. The challenge of Digital Archival Material for Archival Studies Michael Unger The article questions the extent to which digitally transformed archival material has changed the approach of archival studies to it (i.e. archivistics proper, rather than scholarship on archival sources), or rather the extent to which this should be necessary. For this, agreed characteristics of archival documents are reviewed: Such are the quality of belonging within a functional order of records (Registraturfähigkeit), maturity for archiving within its life cycle (Archivreife), archival value (Archivwürdigkeit) and also the new criterion of archiveability (Archivfähigkeit), which is examined critically. The article identifies a new kind of challenge in creating archival documents out of data sourced from different systems in the process of acquiring them, for which standards and criteria need to be developed. Furthermore, standards of appraisal are discussed which, in being applied practically to digital records, can differ significantly from previous standards. As with the somewhat stagnant discourse on a more concrete set of significant properties, these challenges will require a specific archivistic answer to the present question of what defines „authenticity“ as applied to digital archival records. The article is intended as a plea to approach these challenges with the tried and tested methods of archival studies, which have always looked for structural rather than material qualities in records.
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The Formal Structure of Archival Material: Hurdles or Help for Understanding? Joachim Wild From a modern day perspective, it seems puzzling that medieval written records on jurisprudence and administration are often so sparse and imprecise. Taking examples from charters, urbaria (manorial rolls and registers) and feudal registers, the article discusses the intent behind 13th century sources before the background of the great wave of literacy of that time. They served as mere reminders and safeguards for what was to be stored foremost in memory, for medieval administrators were well trained in the art of memory. It is only in the transition to the early modern period that urbaria, for instance, provide extensive details on rights and incomes of individual estates, such as could not have been retained by the best of memories. Genuine and Forged Charters in the Work of Arnold of St. Emmeram Veronika Lukas Arnold of St. Emmeram, who authored a new version of Arbeo’s life of St. Emmeram in the early 11th century, enhancing it by miracle narratives and other stories, can be shown to have used the abbey’s own charters in writing its early history. Thus, he has produced the only surviving textual witness for the earliest known donation to St. Emmeram, dating to around 730. Another source that informed him on this early period seems to have been Eugippius‘ Vita Severini. From there, he took the name Tiburnia for the capital city of Noricum, to be equated with Regensburg in his telling. That again brings him into a close association with the infamous St. Emmeram forgers. Thus, it cannot be ruled out that Arnold had a part in those forgeries.
Résumés1 Origine et développement du Ius Archivi en Europe centrale à l’époque moderne Joseph S. Freedman L’article relatif au Ius Archivi – le droit de créer et de gérer des Archives – est consacré à son application chez Rutger Ruland (1597) en relation avec le contexte administratif du Saint Empire romain germanique, dans cinq autres traités d’archives (de 1664, 1668, 1676, 1681 et 1688), dans lesquels le Ius Archiuvi est relié plus étroitement à l’Empire, et finalement dans l’usage (souvent critique) de la notion d’Ius Archivi dans des traités juridiques et diplomatiques du XVIIIe siècle. En outre, d’autres œuvres de l’époque moderne traitant d’archives ou de cadres de classement sont prises en considération. Enfin, une présentation critique d’un traité d’archivistique de Johann Anton Oegg (1804) complète l’ensemble. Le respect des fonds à l‘ère de la gestion administrative électronique Bernhard Grau Le respect des fonds apparaît fort justement non seulement comme le principe théorique de la science archivistique, mais également comme un principe d’action de la pratique archivistique (Gerhard Leidel). L’admission de l’origine des documents administratifs versés aux Archives pour réaliser le traitement archivistique, influe sur la prise en considération de l’ensemble des missions des Archives. Cela différencie les Archives de toutes les autres institutions conservant des biens culturels. En prenant en considération l’importance cruciale du respect des fonds de la théorie archivistique, il n’est pas étonnant de constater que les changements et les processus de modernisation issus de l’évolution numérique de l’État et de l’administration entraînent également de nouvelles questions et problèmes. La tendance à la centralisation de missions administratives, la flexibilisation des processus administratifs, des formes de travail administratif collaboratives tout comme les qualités novatrices des documents électroniques, en l’occurrence la séparation entre information et support, 1
Übersetzung: Daniel Peter, Gottenhouse.
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entre informations primaires et métadonnées, constituent des moteurs importants de cette évolution. Il n’est, par conséquent, plus nécessaire d’affecter systématiquement des documents électroniques à un producteur précis et, ainsi, à un service d’archives déterminé et à un fonds précis. Mais force est de constater que le respect des fonds, notamment pour la transmission d’archives électroniques, prend plutôt de l’importance au lieu d’en perdre. Afin de conserver la fiabilité et la crédibilité des données numériques, il importera plus que jamais de préserver leur filiation et de documenter leur prise en charge et leur processus de conservation de façon logique et compréhensible. De l’arcane à la transparence. Archives et législation du XIXe au XXIe siècles Hans-Joachim Hecker Au XIXe et jusqu’au XXe siècle et même durant l’époque contemporaine dans certains états, les Archives avaient pour mission de préserver les intérêts politiques et fiscaux par rapport à ceux des lecteurs et chercheurs. C’est précisément la question des intérêts fiscaux dans le contexte de l’autonomie juridique du fisc au sein de l’État durant le XIXe siècle qui provoqua des débats juridiques et politiques. Même la recherche historique s’accommoda de restrictions d’accès aux documents pour satisfaire des considérations supérieures évoquées dans les discussions de l’époque. De nos jours, l’accès généralisé aux archives pour tout le monde et le droit à l’information reconnu entre-temps a conduit les Archives dans la ligne de mire des sciences juridiques de façon renforcée. La prise en compte de résultats issus de la théorie des médias et d’études culturelles devrait permettre d’intégrer la législation archivistique à un droit d’accès général aux documents administratifs garanti par le droit fondamental. Authenticité numérique en tant que défi catégoriel Hans-Georg Hermann L’article montre pourquoi un « horodatage électronique » agréé est indispensable pour identifier un document numérique afin de définir et de prouver son « authenticité ». Pour cela, on a recours au traité des catégories d’Aristote, mais également à des exemples de l’art, de l’histoire du droit
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et de la législation en vigueur. La justice en ligne utilise depuis longtemps l’ « horodatage électronique » qui est appliqué en droit européen depuis le règlement (UE) n° 910/2014 du Parlement européen et du Conseil sur l’identification électronique et les services de confiance pour les transactions électroniques au sein du marché intérieur (elDAS). A propos du règne des bureaux et du pouvoir caché des archives Gerhard Hetzer L’article passe en revue quelques témoignages historiques du fonctionnement bureaucratique jusqu’aux premiers écrits relatifs à la gestion administrative de Niklas Luhmann, théoricien des systèmes sociaux, et sa célèbre boîte à fiches. Il aborde la notion de « bureaucratie » depuis le XVIIIe siècle. Cette dernière était et reste perçue négativement, car elle incarne à la fois le fonctionnement et la démesure de l’appareil administratif. Mais il existe également des descriptions sans jugement de valeur ou encore le choix de la compétence positive basée sur une réglementation selon le modèle préconisé par Max Weber. Même s’il existe une relation étroite entre l’administration et les Archives dans leur acception classique, ces dernières ne jouent aucun rôle dans ces réflexions. A côté de cela, même les espaces sans maîtres de l’anarchie tout comme les « zones sans bureaucratie » des réformes administratives de petite ampleur ont besoin de preuves solides et de consolider la mémoire. De la valeur de l’original Reinhard Stauber Le point de départ de l’essai est la découverte lexicale de l’époque moderne, selon laquelle l’« original » désigne la représentation d’une similitude (en l’occurrence son côté originel et actif ). « Authentique » en revanche (comparable à l’énoncé de « faits » dans la révolution scientifique) désigne un processus, par lequel des spécialistes reconnus confèrent une certaine crédibilité à un état de choses. Dans la culture scientifique récente et sa tendance au refus des notions de concept, l’« original » n’a plus vraiment de sens et se voit remplacé par des attributions d’ « authenticité » variant culturellement et temporellement.
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A l’inverse, à l’appui de deux réflexions, cet article tente de soutenir l’idée que les originaux sont notre assurance contre le néant telle que l’a formulé une exposition du musée de la littérature moderne de Marbach il y a quelques années. Ces réflexions constituent, d’une part, une première en archivistique et sont issues de la pratique d’enseignement supérieur, d’autre part ; elles s’interrogent, d’une part, sur la fiabilité des méthodes d’organisation dans les Archives scientifiques, et, d’autre part, sur la méthode de Droysen considérant la valeur épistémologique centrale des sources constitue un pont solide entre passé et présent, insistant ainsi sur la valeur de l’original. Car les originaux mènent – par des chemins longs, souvent pénibles – au commencement ; ils sont un point archimédien contrairement aux faits alternatifs et sont essentiels dans leur rôle de contrôle tout comme au niveau de leur qualité haptique. Des archives au paquet d’informations archivées. Les archives numériques : un défi pour l’archivistique ? Michael Unger L’article interroge dans quelle mesure l’évolution de la communication des documents d’archives conditionnée par la transformation numérique a transformé la vision archivistique (pas celle de l’histoire des archives) et si cela s’avère nécessaire. En se focalisant sur des archives numériques, il contrôle les caractéristiques classiques de leur aptitude à figurer dans les archives courantes, de l’opportunité de leur archivage et de leur valeur archivistique tout en vérifiant de façon critique le prétendu critère de pertinence d’archivage. L’exigence de regrouper des archives provenant de fichiers issus de divers systèmes sources apparaît comme un nouveau défi pour l’archivistique, pour lequel il faudra développer des normes et des critères. De même, dans la pratique, on reformule les principes de traitement des documents numériques issus pour partie des normes actuelles. Les souhaits en ces domaines concernent, à l’instar du débat bloqué sur la concrétisation de caractéristiques significatives, une réponse scientifique spécifique résultant du questionnement sur l’authenticité des archives numériques. L’article se veut une plaidoirie permettant au défi identifié d’aborder des méthodes archivistiques éprouvées plutôt structurelles que matérialistes.
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Résumés
Structures officielles des archives : obstacles ou guides pour la compréhension ? Joachim Wild De nos jours, la rareté et l’approximation des documents juridiques et administratifs du Moyen Âge paraît énigmatique. A l’appui de chartes, d’urbaires et de livres de fiefs, on expose les objectifs des sources datant de la grande vague de transcriptions du XIIIe siècle. Elles servaient d’indices et de sécurité pour les informations conservées de mémoire, car les hommes du Moyen Âge s’étaient entraînés à avoir de grandes capacités mémorielles. Ce n’est qu’au début de l’époque moderne que les inscriptions dans les urbaires témoignent de nombreux détails juridiques relatives aux biens dont même la meilleure des mémoires n’aurait pas été capable de se souvenir de façon aussi importante. Actes authentiques et faux chez Arnold de Saint-Emmeran Veronika Lukas Au début du XIe siècle, Arnold de Saint-Emmeran, auteur d’une nouvelle version de la Vita Emmerami d’Aribon augmentée de récits miraculeux et d’autres histoires s’est servi des cartulaires pour rédiger l’histoire des débuts de son abbaye. Il est donc le seul témoin à avoir vu la plus ancienne charte de donation à Saint-Emmeran connue, datée probablement de 730. La Vita sancti Severini d’Eugippe semble avoir constitué une autre source lui fournissant des informations sur ces débuts. Il lui emprunta le nom Tiburna pour la capitale du Norique, qu’il identifie clairement à Ratisbonne. Tout cela le rapproche des faussaires notoires de Saint-Emmeran du XIe siècle, ce qui peut finalement laisser supposer qu’Arnold a pris part à ces entreprises de falsification.
České resumé1 Původ a vývoj Ius Archivi ve střední Evropě raného novověku Joseph S. Freedman Článek o Ius Archivi – veřejném právu zřídit a provozovat archiv – se zaobírá jeho využitím u Rutgera Rulanda (1597) ve spojení se správní naukou Svaté říše římské a dalšími pěti naučnými archivními spisy ( z let 1664, 1668, 1676, 1681 a 1688), ve kterých je Ius Archivi těsněji svázán s Říší, a nakonec i s (často kritickými) studiemi o myšlenkách Ius Archivi v právních a diplomatických (listinně kritických) spisech 18. století. Vedle toho jsou zde zohledněny další raně novověká díla, pojednávající o archivech či registraturách. Závěrem se zabývá i naučným archivním traktátem Johanna Antona Oegga z roku 1804. Provenienční princip v době elektronické správy dokumentů Bernhard Grau Zcela oprávněně je provenienční princip považován nejen za rozhodující princip archivní vědy, ale také jako výchozí bod archivní praxe (Gerhard Leidel). Skutečnost, že původ dokumentů převzatých archivy určuje východiska dalšího archivního zpracování, má zároveň vliv na vnímání úkolů archivů v celé jejich šíři. To odlišuje archivy od všech ostatních institucí uchovávajících kulturní dědictví. S ohledem na hlavní význam provenienčního principu pro archivní teorii proto nepřekvapí, že procesy a modernizace, které s sebou přináší digitalizace ve státní správě, otevírají nové otázky a problémy. Důležitými motivy těchto dějů jsou trendy centralizace v úřadování, stoupající flexibilita úředních procesů, kolaborativní formy úřednické práce, stejně jako moderní vlastnosti elektronické spisové služby, jinými slovy oddělení informace a jejího nositele, primární informace a metadat. V konečném důsledku tak nelze každý jednotlivý dokument jednoznačně přiřadit určené provenienci a tím ani příslušnému archivu a archivnímu fondu. Přesto je ale nutno konstatovat, že provenienční princip s ohledem na elektronické podání spíše na významu nabývá, než ztrácí. Aby mohla být zachována spolehlivost a důvěryhodnost digitálních dat, 1
Übersetzung: Karel Halla, Cheb/Eger.
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bude více než kdy jindy zapotřebí zachovat jejich souvislosti vzniku a hodnověrně a srozumitelně dokumentovat procesy převzetí a uchování.
Od arkánumu k transparentnosti. Archivy a právní předpisy od 19. do 21. století. Hans-Joachim Hecker V 19. a až hluboko do století 20. a v mnohých státech bylo dodnes úkolem archivů hájit politické a fiskální zájmy státu proti zájmům badatelů. Právě tento aspekt vedl v 19. století k právním a politickým diskuzím s ohledem na tehdejší právní postavení na státu nezávislé státní pokladny. Také historické bádání se z výše uvedených důvodů v soudobých debatách smířilo s omezeními přístupu do archivu. Neomezené zpřístupnění archivů všem zájemcům, a to společně s přiznaným právem svobodného přístupu k informacím, přivedlo archivy v současné době do zorného pole právní vědy. S ohledem na mediálně-teoretické a kulturně-vědecké výstupy by mělo být archivní právo integrováno do informačně správního a ústavně chráněného práva na přístup k informacím. Digitální autenticita jako kategorická výzva Hans-Georg Hermann Příspěvek vysvětluje, že a proč je autorizované „časové razítko“ nezbytné pro identifikaci digitálního dokumentu a určujícím a potvrzujícím faktorem jeho originálnosti. Proto se odkazuje na aristotelovské učení o kategoriích, stejně jako na příklady v umění, právních dějinách a stávajícím právním řádu. V tzv. elektronickém právním styku je „časové razítko“ již delší dobu zavedeným pojmem, v evropském právu zakotveným v „Nařízení č. 910/2014 Evropského parlamentu a rady (EU) o elektronické identifikaci a službách vytvářejících důvěru pro elektronické transakce na vnitřním trhu“ [elDAS].
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O vládě úřadů a skryté moci archivů Gerhard Hetzer Příspěvek spojuje jednotlivé historické doklady byrokratického jednání až k raným správně-vědeckým spisům systémového teoretika Niklase Luhmanna a jeho slavné kartotéce. Zaobírá se výklady pojmu „byrokracie“ od 18. století. Tento pojem byl a je vnímán převážně negativně ve smyslu samolibosti a zkostnatělého aparátu. Existují ale i neutrální popisy nebo pozitivně laděný výklad ve smyslu „s předpisy souznějící, spravedlivě konající správy“ v tradičním podání Maxe Webera. Ačkoliv v klasické interpretaci existuje mezi správou a archivy bezprostřední spojení, nehrají archivy v těchto diskuzích žádnou roli. Přesto i anarchismus a další společenské „oblasti zbavené byrokracie“ s malým přizpůsobením správním reformám potřebují ověřený důkaz a upevnění paměti své existence. K hodnotě originálu Reinhard Stauber Východiskem eseje je raně novověký slovníkový výklad, podle kterého je slovem „originál“ označeno zobrazení podoby (z aktivní, původní pozice). Oproti tomu stojí pojem „autentický“ (analogicky lze hovořit o „faktu“ ve vědecké revoluci) jako označení procesu, kterým respektovaní odborníci potvrzují věrohodný stav věci.V novějších kulturních vědách s jejich tendencemi k rušení abstraktních konceptů nehraje „originál“ jako hlavní poznávací koncept prakticky žádnou roli a je nahrazován kulturně a časově variujícími pojmy „autenticity“. Oproti tomu se tento příspěvek snaží na základě dvou úvah podpořit výklad, že originály jsou naše „pojistka proti ničemu“, jak to před několika lety formulovala jedna výstava Literárního muzea moderny v Marbachu. Tyto úvahy, první odborná archivní, druhá vycházející ze zkušeností získaných v rámci vysokoškolského studia, se točí jednak kolem spolehlivosti pořádacích prací ve vědeckých archivech a také kolem Droysenovy metody, která přisuzuje hlavní epistemickou hodnotu pramenům jako reálný platný most mezi minulostí a současností, čímž zároveň zdůrazňuje hodnotu originálu. Protože originál se hned od svého počátku – a občas na dlouhých a strastiplných cestách – stává oproti různým „alternativním skutečnostem“ oním pevným Archimédovovým bodem a ve své hmatatelné podobě hraje nezastupitelnou roli jako kon trolní instance historické věrohodnosti.
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Od archiválie k Archival Information Package. Digitální archivní dědictví jako výzva pro archivní vědu? Michael Unger Příspěvek klade základní otázku, jak dalece se změnil pohled archivní vědy (nikoli pomocných věd historických) na změnu nosičů archiválií způsobenou digitální transformací, resp. na její nezbytnost. Podrobným pohledem na digitální archivní dědictví jsou ověřovány klasické charakterové rysy dokumentární hodnoty, skartační lhůty a trvalé archivní hodnoty a kriticky zhodnoceno domněle nové kritérium trvající na archivních autentizačních prvcích. Jako nová výzva pro archivní vědu je nastolen požadavek přebírání digitálních archiválií ze zdrojových dat různých systémů spisové služby v procesu skartačního řízení, pro něž se budou vyvíjet standardy a kritéria. Zároveň však budou zpochybněny základní hodnotící principy, které se částečně odchylují od praxe zaběhnuté u digitálních dokumentů. Požadavky se nakonec týkají hledání odpovědi na aktuální otázku autenticity digitálního archivního dědictví. Tento příspěvek lze považovat za obhajobu již ověřených metod zaměřených spíše na strukturu než na konkrétní archivní materiál. Formální struktura archivního dědictví: Překážky nebo ukazatele k porozumění? Joachim Wild Pro dnešní dobu je trochu záhadou, proč jsou středověké písemné dokumenty k právním a správním úkonům tak strohé a málo precizní. Na základě listin, urbářů a lenních knih lze ukázat, jaké cíle a záměry prameny sledovaly během mohutného rozvoje písemné agendy ve 13. století. Sloužily jako podklad a pojistka toho, co bylo uloženo v paměti, poněvadž středověký člověk měl paměťovou schopnost velmi dobře vyvinutu. Teprve s přechodem k ranému novověku např. zápisy v urbářích velmi obsáhle dokumentují mnoho právních podrobností k uvedeným nemovitostem, které by si v jejich rozsahu nemohla uchovat ani ta nejlepší paměť.
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Pravé a falešné listiny Arnolda ze Sv. Emmerama Veronika Lukas Arnold od sv. Emmerama, který v raném 11. století podnítil nové vydání Emmeramsvita Arbeos a doplnil o pověsti o zázracích a další příběhy, se odvolává na rané dějiny svého kláštera a jeho listinný fond. Je tak jediným svědkem nejstarší známé zmínky o daru ve prospěch sv. Emmerama, která je datována k roku 730. Jiným pramenem, který vychází z informací o těchto raných dobách, se jeví být Eugippiova Vita Severini. Z ní převzal jméno Tirbunia pro hlavní město Norica, které pro něj bylo jednoznačně spojeno s Řeznem. To ho přivádí do souvislosti s obávaným emmeramským falzifikátorem z 11. století, takže nakonec není vyloučeno, že se Arnold na falšování podílel.