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German Pages 242 S. Ill. 23 cm, 303 g [245] Year 2015
Porträt Carl Lamb, Nachlass Carl Lamb, Archiv Susanne Hepfinger, München.
Christiane Keim | Barbara Schrödl [Hg.]
Architektur im Film
Li n ze r B e i t rä g e z u r Ku n s t w i s s e n s c h a f t u n d Ph i l o s o p h i e
Band 5
Michael Hofer I Monika Leisch-Kiesl [Hg.]
Philosophie und Kunst haben eine gemeinsame Geschichte und bleiben, so sehr sie sich auch voneinander unterscheiden, zumindest im Abendland stets aufeinander verwiesen. Von Anfang an sind Fragen der Darstellung, ob in Sprache, Schrift oder Bild, Gegenstand der philosophischen Erörterung gewesen, wie umgekehrt die Kunst ihrerseits, ausdrücklich oder nicht, stets philosophische Probleme reflektiert. Wurde von der Philosophie gesagt, sie sei „ihre Zeit in Gedanken erfasst“ (Hegel), so ließe sich von der Kunst sagen, sie sei ihre Zeit in Bilder gefasst. Seit im 20. Jahrhundert Selbstreflexion und theoretische Diskurse zu zentralen Bestandteilen des Kunstwerks wurden, ist die Beziehung zwischen Kunst und Philosophie noch wesentlich enger geworden. Die Reihe will sowohl die Zusammenarbeit von Kunstwissenschaft und Philosophie intensivieren als auch Fragestellungen aufgreifen, die für die Kunstwissenschaft oder für die Philosophie von besonderem Interesse sind. Die Reihe wird herausgegeben von Michael Hofer und Monika LeischKiesl. Dieser Band erscheint in Zusammenarbeit mit dem Forschungsfeld wohnen+/-ausstellen in der Kooperation des Instituts für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik der Universität Bremen mit dem Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender. Leitung: Irene Nierhaus und Kathrin Heinz.
Institut für Kunstwissenschaft und Philosophie KTU Linz
Beirat: Artur Boelderl, Klagenfurt Ludwig Nagl, Wien Birgit Recki, Hamburg Sigrid Schade, Zürich Anselm Wagner, Graz
Christiane Keim | Barbara Schrödl [Hg.]
Architektur im Film Korrespondenzen zwischen Film, A rc h i t e k t u rg e s c h i c h t e u n d A rc h i t e k t u r t h e o r i e
Die Publikation wurde gefördert mit freundlicher Unterstützung von: Bischöflicher Fonds zur Förderung der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz Raiffeisen Landesbank OÖ Universität Bremen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung und Layout: Designstudio LUCY.D, Wien Satz: BK Layout+Textsatz, Rutzenmoos (A) Korrektorat: Axel Petrasch, Köln Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN: 978-3-8376-2598-1 PDF-ISBN: 978-3-8394-2598-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
9 Korrespondenzen
zwischen Film, Architekturgeschichte und Architekturtheorie. Eine Einleitung Christiane Keim | Barbara Schrödl
Architekturgeschichte, visuelle Medien und das Filmische
29 Cinetectur
– Architektur im Zeitalter des Films. Ein Parcours im Vorfeld einer Interaktion von Film und Architektur Helmut Weihsmann
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Türme von Notre Dame: Werdet Bild! Technische Medien und ihr Bild der Architekturgeschichte Rolf Sachsse
Wechselwirkungen zwischen Film und architektonischer Moderne
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„Neue Welten der Sichtbarkeit schaffen“: Der Lehrfilm „Die Frankfurter Küche“ als Teil der medialen Repräsentation des „Neuen Frankfurt“ in den 1920er-Jahren Christiane Keim
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Proménade architecturale und Plansequenz. Über die gegenseitige Durchdringung von Architektur und Filmtheorie Lena Christolova
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Werben für eine neue Stadt. Stadtplanung und Dokumentarfilm im Wiederaufbau der Bundesrepublik Jeanpaul Goergen
Kunsthistoriker, kunsthistorische Theoriebildung und Film
149
Architekturgeschichte im Zeitalter des Films Lutz Robbers
175
Erfassung des Lichts im barocken Innenraum. Carl Lamb, der Film und die Forschung Barbara Schrödl
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Filmische Architekturporträts in der Gegenwart
197
Manifeste für einen Architekturfilm Doris Agotai | Marcel Bächtiger
215
Raum, Affekt und Geschlecht: Eine Analyse des Architekturfilms „LOOS ORNAMENTAL. Architektur als Autobiographie“ von Heinz Emigholz Christina Threuter
231 Anhang
Filmprogramm
Autor/-innen
Abbildungsnachweise
Danksagung
Korrespondenzen zwischen Film, Architekturgeschichte und Architekturtheorie Eine Einleitung
Christiane Keim | Barbara Schrödl
„Ein Halbdunkel, das beinahe Kino ist, aber doch nur Stotterkino, mit Bildern, die noch nicht wirklich ‚laufen gelernt haben‘ (wie die Formel hieß) oder eben gar nie laufen, sondern zu schreiten begehrten, Bilder, die im binären Wechselspiel einander ablösen“,
so charakterisierte der Schweizer Kunst- und Architekturhistoriker Adolf Max Vogt 1991 den kunsthistorischen Lichtbildvortrag.1 Beschrieben wird ein Szenario, das in leicht abgewandelten Formen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die Vermittlung kunst- und architekturhistorischen Wissens prägt. Dieses Szenario zeigt durchaus Ähnlichkeit zum Kino und doch handelt es sich dabei um etwas Spezifisches. Zwar verfolgt das Publikum jeweils im Sitzen eine stetigem Wandel unterworfene Kombination aus Bild und Ton, wird allen ZuschauerInnen eine annähernd gleiche Sicht auf die Bilder gewährt und besteht eine Spannung zwischen der Dunkelheit im Raum sowie dem hell erleuchteten Projektionsbild. Doch während das Kino ein Medium der fließenden Bewegung ist – die Einzelbilder verschmelzen im Bilderfluss miteinander zu einer Einheit –, zeichnet sich der Lichtbildvortrag dadurch aus, dass nacheinander ein oder auch zwei Einzelbilder projiziert werden. Um herauszustellen, dass es sich beim Diavortrag um eine spezifische Konstellation handelt, die sich symptomatisch von anderen Konstellationen der Synchronität
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Vogt, Max Adolf, Das interesselose Wohlgefallen am Fach Kunstgeschichte, in: Johannes Zahlten (Hg.), 125 Jahre Institut für Kunstgeschichte Universität Stuttgart. Herwarth Röttgen zum 60. Geburtstag, Stuttgart 1991, 9 – 27, hier 9.
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von Wort und Bild, wie etwa dem Kino, unterscheidet, prägte Susanne Neubauer den Begriff „Diaprojektives Dispositiv“.2 Während die Heranziehung des Diavortrags zur Vermittlung kunsthistorischen Wissens an unterschiedliche Publika große Selbstverständlichkeit genießt, hat die Kunstgeschichte zum Film traditionell ein eher ambivalentes Verhältnis. Dies betrifft sowohl den Film als künstlerisches Medium als auch seinen Einsatz zur Dokumentation von Kunst, Architektur und künstlerischen
Produktionsprozessen,
zur
Vermittlung
kunsthis-
torischen Wissens und als Mittel wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns. Erst seit den 1990er-Jahren formierte sich in der Kunstgeschichte ein neues Interesse an bewegten Bildern. Mittlerweile ist es fast schon Mode geworden, den Film zum Forschungsgegenstand zu machen. Meist galt bzw. gilt dabei das Interesse dem Spielfilm oder künstlerischen Arbeiten, die auf dem Medium des Films basieren. Die neue Aufmerksamkeit für den Film hatte bereits Auswirkungen für den Blick auf die Fotografie. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Publikationen vorgelegt, die nach filmischen Strategien im Kontext der kunsthistorischen Fotografie fragen.3 Die vorliegende Publikation greift einen bislang nur wenig und dann vorwiegend im Zusammenhang mit Untersuchungen zur Geschichte der Kunst- und Architekturgeschichte4 berücksichtigten Aspekt des Themenbereichs auf: die Bedeutung des Films und bewegter digitaler Bilder als Vermittlungsinstanz von Architektur und Architekturgeschichtsforschung. Mit der Frage nach der Architektur im Film reagieren wir auf einen aktuellen Trend des Einsatzes bewegter Bilder zur Visualisierung zerstörter, gegenwärtiger und zukünftiger Bauten oder städtebaulicher Ensembles. Vielfach finden heute bereits im Entwurfs- oder im Rekonstruktionsprozess animierte Modelle
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Neubauer, Susanne, Sehen im Dunkeln. Diaprojektion und Kunstgeschichte, in: GeorgesBlock-Jahrbuch des Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich, Nr. 9/10, Zürich 2004, 177–189. Hier ist an Publikationen zu denken, wie Förster, Simone, Masse braucht Licht. Arthur Kösters Fotografien der Bauten von Erich Mendelsohn. Ein Beitrag zur Geschichte der Architekturfotografie der 1920er Jahre, Berlin 2008, oder Oechslin, Werner/Harbusch, Gregor (Hg.), Sigfried Giedion und die Fotografie. Bildinszenierungen der Moderne, Zürich 2010. Siehe u. a. Ziegler, Reiner, Kunst und Architektur im Kulturfilm 1919 –1945, Konstanz 2003, oder Kestel, Fritz, Der Bamberger Reiter in Filmen des Dritten Reiches, Magisterarbeit Uni Bamberg 2003.
Korrespondenzen. Eine Einführung | Christiane Keim ∙ Barbara Schrödl
Verwendung, die auch in der architekturgeschichtlichen Reflexion dieser Werke eine Weiterarbeit mit bewegten Bildern nahelegen. Darüber hinaus verleiht die mit der Digitalisierung der Bildarchive verbundene Möglichkeit der Einbeziehung bewegter Bilder in die Sammlungen dem Einsatz unterschiedlicher filmischer Verfahren neue Aktualität. Doch lässt sich das wiederentfachte Interesse am bewegten Bild im Bereich der Architekturgeschichte und -theorie nicht allein durch die technologische Entwicklung erklären. Welche Hoffnungen verbindet gerade die wissenschaftliche Forschung damit und können sie überhaupt erfüllt werden? Welche Folgen zieht der aktuelle Wechsel vom analogen Film zu digitalen Bewegtbildern nach sich? 1. Architektur – Fotografie – Film
Die architekturhistorische Forschung war und ist in hohem Maße auf visuelle Repräsentationen angewiesen, bildet es doch eher die Ausnahme denn die Regel, dass TheoretikerInnen vor Ort der Baudenkmäler arbeiten. Als bildgebende Verfahren stehen Kopie, Zeichnung, Druckgrafik, Fotografie und Film sowie die digitalen Medien zur Verfügung. In den Anfangsjahren der Architekturgeschichte fanden vor allem Zeichnungen und Druckgrafiken, mitunter auch Modelle Verwendung. Die Fotografie wurde um das Jahr 1830 erfunden. Bereits wenige Jahrzehnte später entwickelte sich – parallel zur Etablierung der Kunstgeschichte als akademischer Disziplin – dieses neue Medium zum wichtigsten Verfahren der Visualisierung von Bauten. Zunächst setzte sich die Fotografie als Papierabzug durch, dann ab den 1880er-Jahren auch als Diaprojektion. Bildmedien bilden die Gegenstände nicht nur im Sinne einer bloßen Reproduktion ab, sondern formen sie und damit den Blick der Forschenden auch in spezifischer Weise. Im Falle der Fotografie konnte jedoch partiell das aus dem Anspruch einer automatischen Aufzeichnung hervorgehende spezifische Objektivitätsversprechen die erkenntnisleitende Funktion der Bilder verstellen. Die Fotografie blieb infolgedessen weitgehend unbefragt und konnte das kunsthistorische Denken umso nachhaltiger prägen. In den letzten Jahrzehnten konnte die Forschung nachweisen, dass die mittels der Fotografie gewonnenen Bilder sowohl auf die The-
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men als auch das methodische Instrumentarium einwirkten.5 Weder die formanalytischen Verfahren noch die Ikonologie oder die Ikonografie sind ohne den Einsatz der Fotografie denkbar. Insbesondere durch die Diaprojektion erreichte das Argumentieren entlang der Bilder eine neue Qualität. Fortgeführt wurde zwar eine sich bereits seit Längerem abzeichnende Tendenz der zunehmenden Bedeutung des Visuellen, doch traten mit dieser Innovation entscheidende Änderungen ein. Zuvor waren die Worte der Vortragenden durch im Saal aufgestellte Bildtafeln ergänzt worden. Es wurden Bildvorlagen von Hand zu Hand gereicht oder die Bilder vor bzw. nach dem Vortrag studiert. Erst der Lichtbildvortrag lässt Wort und Bild parallel zur Wirkung kommen: Eine Reihe von Bildern wird aufeinander bezogen und durch einen gesprochenen Text ergänzt. Wie Jens Ruchatz ausführt, hat dies zur Folge, dass die Bilder dabei „rhythmisch in eine für das Publikum zwingende Abfolge“ gelangen, wodurch die Projektionsvorführung dazu tendiert, „die Bilder zu narrativisieren“ und eine „spezifische kollektive und auf das Lichtbild konzentrierte Rezeptionssituation“ hervorzubringen.6 Das Diaprojektive Dispositiv war ungemein erfolgreich. Ende des 19. Jahrhunderts erlebte die Kunstgeschichte einen deutlichen HörerInnenzuwachs. Sie wurde modern. Dem spezifischen Objektivitätsversprechen der Fotografie unterlagen jedoch nicht alle ZeitgenossInnen. Vielmehr wurde kritisch reflektiert, dass im Zuge der Etablierung der kunsthistorischen Fotografie die Sensibilität des Faches für bestimmte Eigenschaften der Kunst und Architektur sowie ihrer Geschichte gefördert wurde, für andere Eigenschaften jedoch abnahm. Vor allem nach der Etablierung des Kinos in den 1910er-Jahren erhob sich Kritik an der Fotografie. Der Film gewährte offenbar Seherfahrungen, welche die TheoretikerInnen für die medienspezifischen Erscheinungen der Fotografie sensibilisierten und
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Eine der frühesten Studien zum Thema stammt von Klaus Lankheit. Vgl. Lankheit, Klaus, Kunstgeschichte unter dem Primat der Technik. Rektoratsrede Technische Hochschule Karlsruhe, gehalten bei der Jahresfeier am 4. Dezember 1965, Karlsruhe 1966. Grundlegend für die weitere Forschung war die Arbeit von Heinrich Dilly. Siehe insbesondere: Dilly, Heinrich, Lichtbildprojektionen. Prothesen der Kunstbetrachtung, in: Below, Irene (Hg.): Kunstwissenschaft und Kunstvermittlung, Gießen 1975, 153 –172, sowie ders., Kunstgeschichte als Institution. Studien zur Geschichte einer Disziplin, Frankfurt am Main 1979. Ruchatz, Jens, Licht und Wahrheit. Eine Mediengeschichte der fotografischen Projektion, München 2003, 59 f.
Korrespondenzen. Eine Einführung | Christiane Keim ∙ Barbara Schrödl
sie erkennen ließ, dass die Fotografie gegenüber dem neuen Medium des Films durchaus auch manche Defizite aufwies. So imaginiert der als Assistent an der Universität Stuttgart tätige Architekt Hermann Wilhelm Jost im Jahr 1916 die filmische Darstellung einer Fahrt durch Berlin und erklärt: „Wir haben ein Stück Berlin und überdies ein hervorragend gutes Architekturwerk erlebt. Demgegenüber ist die leblose Photographie, wie wir sie als Andenken kaufen, doch ein recht schwacher Ersatz der Wirklichkeit und bleibt selbst im Stereoskop weit hinter dem Eindruck, den uns soeben der Film bescherte.“7
Jost verband mit dem Architekturfilm große Hoffnungen. So glaubt er, dass die Kinematografie den Architekturinteressierten bald von ähnlichem Wert sein könnte, „wie sie es dem Naturforscher schon längst ist, wenn es gilt, übermäßig langsame oder schnelle Naturvorgänge im Zeitmaße beliebig geregelt vorzuführen“.8 In den folgenden Jahren wurde der Architekturfilm in der kunsthistorischen Theoriebildung wie auch in der filmischen Praxis ein Thema, das zwar niemals den Diskurs zu dominieren oder sich zu einem publikumswirksamen und umsatzstarken Genre zu entwickeln vermochte, aber doch einige Aufmerksamkeit auf sich zog. Es entstanden Filme mit kunsthistorischer Thematik und der Film wurde auf seine Chancen und Grenzen für Vermittlung, Dokumentation sowie wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn hin befragt. Diese Filme waren zwar kaum explizit an akademische BetrachterInnen adressiert, doch wurden im akademischen Kontext Filme rezipiert, die auf ein breites Publikum ausgerichtet waren. Die Geschichte der filmischen Architekturdarstellung begann kurz nach der Jahrhundertwende mit Stadtansichten. Ende der 1910er-Jahre entstanden dann erste Filme, die gezielt kulturhistorische Bauten ins Bild setzten. Ab den 1920er-Jahren wurden zudem historische Stoffe gerne an den Originalschauplätzen gedreht. Vor allem ist jedoch der Kulturfilm von Interesse. Man
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Jost, Hermann Wilhelm, Kino und Architektur, in: Städtebau. Zeitschrift für die künstlerische Ausgestaltung der Städte nach ihren wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sozialen Grundsätzen, 13. Jahrgang, 1916, 91. 8 Ebd.
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denke in erster Linie an die Domfilme und die Städtefilme. Ein weiteres wichtiges Feld des Architekturfilms der Weimarer Zeit war die filmische Propaganda für die architektonische Moderne. In den 1930er- und 1940er-Jahren lässt sich dann ein regelrechter Schub in der Nutzung des Films beobachten: Nicht nur erhielt die Berichterstattung über Ausstellungen und Bauprojekte in den Wochenschauen des „Dritten Reiches“ einen wichtigen Platz, darüber hinaus wurde eine zunehmende Zahl von Filmen zur Architekturgeschichte produziert. In der Nachkriegszeit versuchten einige der vorher tätigen FilmemacherInnen erneut Fuß zu fassen. Dies gelang ihnen jedoch kaum. Sicherlich spielte dabei eine Rolle, dass Kunst-, KünstlerInnen- und Architekturfilme im Nationalsozialismus einen Boom erlebt hatten und man sich nach 1945 von der jüngsten Vergangenheit distanzieren wollte. Erst seit den 1960er-Jahren formierte sich wieder ein theoretisches Interesse an Verfilmungen architekturhistorischer Thematiken. Dieses ging von kunst- und museumspädagogischen Kontexten aus und brachte zudem auch das neue Medium des Fernsehens mit ins Spiel.9 Bis die filmische Vermittlung jedoch wieder in der Fachdisziplin der Kunstgeschichte diskutiert wurde, dauerte es rund drei Jahrzehnte. Anregend hierfür war sicherlich neben der Medienentwicklung auch das neue kunsthistorische Interesse an Fragen des Raums. 2. Filmische Bilder – bewegte Bilder – dynamisierter Raum
Die theoretischen Auseinandersetzungen über die Qualitäten des Films als Bildmedium der Kunstgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts konzentrierten sich auf die Verfilmung dreidimensionaler Objekte, insbesondere auf Architektur. FachwissenschaftlerInnen, TheoretikerInnen der Bildmedien, PädagogInnen, ArchitektInnen und FilmkritikerInnen reagierten ebenso auf konkrete Filme wie auf die prinzipielle Möglichkeit der filmischen Vermittlung kunst- und architekturhistorischer Thematiken. Die Debatten wurden zwar nie besonders rege, 9
Siehe dazu u. a.: Deutsche UNESCO-Kommission (Hg.), Film im Museum. Bericht über ein Seminar der Deutschen UNESCO-Kommission im Museum Folkwang Essen, Köln 1967; Thiele, Jens, Das Kunstwerk im Film. Zur Problematik filmischer Präsentationsformen von Malerei und Grafik, Frankfurt am Main/München 1976 (Europäische Hochschulschriften. Reihe XX: Film- und Kunstwissenschaftliche Studien, Band 2).
Korrespondenzen. Eine Einführung | Christiane Keim ∙ Barbara Schrödl
doch kontinuierlich geführt. In den 1910er-Jahren beginnend, intensivierten sie sich in den 1920er-Jahren und brachen auch in der Zeit des Nationalsozialismus nicht ab. In der Nachkriegszeit gerieten sie dann tendenziell in Vergessenheit und sollten erst in den 1970er-Jahren wiederaufleben. Was jedoch interessierte die Kunst- und Architekturgeschichte der 1910er- bis Mitte der 1940er-Jahre am Architekturfilm? Eine weitverbreitete Vorstellung war, dass sich Gegenstände kunst- und architekturgeschichtlicher Art zwar nicht grundsätzlich zur Verfilmung eigneten, doch es im Bereich der Kunst- und Architekturgeschichte für das neue Medium durchaus interessante Einsatzmöglichkeiten gäbe. Ansatzpunkt zur Bestimmung dieser Themen bildeten meist die spezifischen medialen Eigenschaften filmischer Bilder. Diese wurden in der Regel in Abgrenzung zum stehenden Bild formuliert. Im Zentrum stand dabei das Moment der Bewegung. Der in der staatlichen Filmförderung beschäftigte Walter Günther beispielsweise erklärt: „Will das Lichtbild Erfassung eines Tatbestandes, so will der Film das Erfassen des Ablaufes, des Sichwandelns, des Werdens.“10 Auch bezogen auf den Architekturfilm interessierte man sich für die Möglichkeit der Erfassung zeitlicher Erscheinungen wie den Wandel der natürlichen Beleuchtung. Vor allem aber reizte die Vorstellung, dass durch Bewegung – die Kamera sollte auf Schienen durch die Bauten gefahren werden – die Räumlichkeit von Architektur vermittelt bzw. das Raumerlebnis der BetrachterInnen erfasst werden könnte. So schreibt der Kunsthistoriker und Filmemacher Hans Cürlis 1924: „Ein Raum will nicht allein gesehen werden, er will auch körperlich empfunden sein, man muss ihn durchschreiten können. Auch hier kommt der Film der notwendigen Vermittlung der Vorstellung am nächsten.“11 Der damals in Rostock als Ordinarius für Kunstgeschichte tätige Albert Erich Brinckmann erklärte bereits einige Jahre zuvor in der renommierten „Frankfurter Zeitung“: „Der an seinen Standpunkt gebundene photographische Apparat vermag einen barocken Innenraum wie die Kirche
10 Günther, Walther, Film- und Lichtbildgebrauch in der Schule, Leipzig 1939, 60. 11 Cürlis, Hans, Bildende Kunst und Film, in: Beyfuss, Edgar/Kossowsky, Arthur (Hg.), Das Kulturfilmbuch, Berlin 1924, 210 – 216, hier 215.
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der Vierzehn Heiligen bei Lichtenfels überhaupt nicht mehr zu fassen und selbst mehrere Ansichten geben den Raumeindruck nicht wieder, der auf einer kontinuierlichen Entwicklung der Raumabschnitte und Raumgruppen beruht. Ohne deren Entfaltung zu erleben, lässt sich kein Urteil über sie bilden und selbst das stärkste Raumgedächtnis, das übrigens recht selten ist, verwischt sich mit der Zeit, besonders wenn das Studium ein vergleichendes ist [...] Wollen wir [...] die Behandlung des Raumproblems vertiefen, so werden die Kunsthistoriker ohne den Film für Innenräume nicht auskommen. Eine noch so starke Begabung des Dozenten für Raumformen bleibt hilflos: wie man andererseits auch sagen darf, dass erst ein solches Hilfsmittel auch den Dozenten veranlassen wird, sich mit den Problemen zu beschäftigen, die das Fundament jeglichen baulichen Gestaltens ausmachen. (Den Bemühungen eines Schmarsow um diese Probleme wird solange kein Echo antworten, als nicht dieses Hilfsmittel die Möglichkeit experimenteller Nachprüfung im Hörsaal schafft.)“12
Deutlich wird an Brinckmanns Äußerung, dass das Interesse am Architekturfilm nicht unabhängig von der architekturhistorischen Theoriebildung zu sehen ist. In der Architekturgeschichte war die Frage nach dem Raum im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts aufgebracht worden, bestimmte den Diskurs bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts entscheidend mit und wurde in den letzten Jahren erneut hochaktuell. Als eine der zentralen Stimmen gilt hier August Schmarsow. Der Kunsthistoriker wandte sich 1893 in seiner Leipziger Antrittsvorlesung gegen eine rein formanalytische Architekturbetrachtung: Mit Blick auf die Orientierung im Raum wie auch die Erfassung des Raums entwickelte er das Modell eines von der BetrachterIn ausgehenden Achsensystems.13 Wenige Jahre später arbeitete er in der Untersuchung „Barock und Rokoko. Eine kritische Auseinandersetzung über das Malerische in der Architektur“ seine Analyse 12 Brinckmann, Albert Erich, Der Film im kunstwissenschaftlichen Unterricht, in: Frankfurter Zeitung vom 09.11.1919, Nr. 840, 2 f. 13 Schmarsow, August, Das Wesen der architektonischen Schöpfung. Antrittsvorlesung gehalten in der Aula der K. Universität Leipzig am 08.11.1893, Leipzig 1984, siehe auch www.tu-cottbus.de/theoriederarchitektur/Archiv/Autoren/Schmarsow/Schmarsow1894. htm [Stand 06.02.2015].
Korrespondenzen. Eine Einführung | Christiane Keim ∙ Barbara Schrödl
der Raumerfassung dahingehend weiter aus, dass er genauer nach den ästhetischen Erfahrungen der als bewegte Körper im Raum konzipierten BetrachterInnen fragte.14 Das Interesse der Kunst- und ArchitekturhistorikerInnen am Architekturfilm speiste sich jedoch nicht nur aus der Rückschau in die Vergangenheit. Es erweist sich auch als untrennbar mit der zeitgleichen architekturtheoretischen Theoriebildung, somit mit der aktuellen Entwicklung innerhalb der Architektur, speziell dem „Neuen Bauen“, verbunden. Architekturtheorie und -praxis wandten ihre Aufmerksamkeit gleichermaßen dem als dynamisch gedachten Raum zu. Hier schließt sich der Kreis: Auch das bewegte Bild des Films initiierte eine Dynamisierung, genauer: eine Dynamisierung des Sehens. Das „Neue Bauen“ und das neue Medium des Films erweisen sich so als eng miteinander verflochten. Und dies in mehrfacher Art und Weise: Der Architekturfilm erlangte genau zu der Zeit Popularität, in der auch die Konzepte des „Neuen Bauens“ entwickelt wurden. Zwischen den beiden Neuerungen lassen sich Wechselwirkungen beobachten. Zum einen schärfte die Erfahrung der neuen Architektur den kinematografischen Blick, zum anderen konnte der Film die kinematografische Struktur der Bauten besonders gut in Szene setzen. Raum, Zeit und Bewegung wurden jeweils in ein als prozesshaft aufgefasstes Verhältnis gebracht.15 Im Kino wurden die Bilder in Bewegung versetzt, und das im Kinosessel fixierte Publikum konnte sich mittels der bewegten Bilder imaginär durch den Raum bewegen. Auch das „Neue Bauen“ betonte das Moment der raumzeitlichen Wahrnehmung, da es die Architektur als dynamisches, fließendes Raumgefüge konzipiert. Dazu tragen verschiedene Aspekte bei: Der Verzicht auf eine Hauptfassade leitet die BetrachterIn um den Bau herum, die reduzierte, klare und ornamentlose Formensprache fördert ein schnelles Erfassen und der fließende Raum im Inneren sowie die Durchdringung von Innen- und Außenraum lassen weder den Blick noch den Körper zur Ruhe kommen. Auch noch in den 1930er- und 1940er-Jahren entwickelten Kunsthistoriker wie Carl Lamb (vgl.
14 Schmarsow, August, Barock und Rokoko. Eine kritische Auseinandersetzung über das Malerische in der Architektur (1897), Berlin 2001, 5 – 8. 15 Vgl. Müller, Ulrich, Raum, Bewegung und Zeit im Werk von Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe, Berlin 2004.
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den Beitrag von Barbara Schrödl in diesem Band) oder Wilhelm Pinder Positionen zur Repräsentation von Architektur im Film und bezogen sich dabei auf dynamische Raumkonzepte. Innerhalb der Raumforschung während des Nationalsozialismus, an der sich auch die Kunstgeschichte beteiligte, stand das Thema der Territorialität allerdings sehr viel stärker im Vordergrund als architektonisch-gestalterische Fragestellungen.16 Ein nicht-statisches, dynamisches Konzept von Raum, wie es für Theorie und Praxis von Film und Architektur der Moderne kennzeichnend war, prägt auch den Theoriediskurs in den Kulturwissenschaften seit den 1960er-Jahren. Vor allem durch die Perspektivverschiebungen im Zuge des Strukturalismus und deren Anwendung auf die Analyse sozialer und kultureller Phänomene veränderte sich die Perspektive auf den Raum: „Die Kulturanalyse betrachtet heute den Raum weniger als natürlichen, das Soziale determinierenden Forschungsgegenstand oder als eine ahistorische Substanz denn als einen Kultur und Natur vermischenden Effekt sozialer und kultureller Praktiken; kulturelle Praktiken werden aus dieser Sichtweise allgemein als verräumlichend und verräumlicht aufgefasst.“17
Dieses Verständnis vom Raum als relational aufeinander bezogene Räumlichkeit/en wurde insbesondere durch die Arbeiten französischer Theoretiker entwickelt wie Henri Lefebvres Studie über Raumrepräsentationen und Raumpraktiken „Die Produktion des Raumes“ aus dem Jahr 1974, Pierre Bourdieus Untersuchungen zum sozialen Raum als „Ensemble objektiver Kräfteverhältnisse“ in „Sozialer Raum und Klassen“ von 1985 oder Michel Foucaults um den Begriff des Dispositivs zentrierte Analysen von Wissensordnungen als räumlich strukturierte Ordnungssysteme in „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“ von 1976 bzw. „Andere Räume“ von 1967.18 Na16 Zur interdisziplinären Raumforschung im Nationalsozialismus vgl. u. a. Held, Jutta, Kunstgeschichte im ‚Dritten Reich‘. Wilhelm Pinder und Hans Jantzen an der Münchner Universität, in: Dies./Papenbrock, Martin (Hg.), Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, Göttingen 2003 (Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Band 5), 17– 60. 17 Moebius, Stephan, Kultur, Bielefeld 2009, 181. 18 Lefebvre, Henri, Die Produktion des Raumes (1974), in: Hauser, Susanne/Kamleithner, Christina/Mayer, Roland (Hg.), Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften, Band 2: Zur Logistik des sozialen Raumes, Bielefeld 2012, 387– 396;
Korrespondenzen. Eine Einführung | Christiane Keim ∙ Barbara Schrödl
hezu gleichzeitig zur „topologischen Wende“ im Raumdenken hat auch in der Auffassung über Architektur ein Paradigmenwechsel eingesetzt. Angestoßen durch Diskurse zu architektonischen Objekten und deren medialen Darstellungen auf den Gebieten der Architekturgeschichte – bezogen auf die Fotografie19 wie auch bezogen auf Fotografie und Film20 – und Studien zur Visuellen Kultur21 setzte sich der Ansatz durch, Architektur als ein komplexes Verfahren der Konstruktion und Repräsentation zu begreifen. „Räume werden neu gebaut, phantasiert, betreten, kollabieren, dehnen sich aus, werden verstellt, zerstört oder umgebaut“, schreibt Irene Nierhaus in ihrer Einleitung zum Tagungsband „räumen“ von 2002, um den stetigen Wechsel von räumlichen Settings und Praktiken durch das Bauen, Planen, Imaginieren von Architektur sowie durch das Handeln in und mit architektonisch gestalteten Räumen zu veranschaulichen.22 Mit dem veränderten Verständnis von Raum und Architektur als medialen Verfahren verliert die herkömmliche Abgrenzung des Raumes gegenüber dem Bild ihre Berechtigung. Von Bedeutung ist nicht länger, wie sich Raum/Architektur und Bild voneinander unterscheiden, die Aufmerksamkeit richtet sich vielmehr darauf, welche Verbindungsstellen zwischen Raum und Architektur und anderen bildproduzierenden Medien in ihrem Einfluss auf Wahrnehmung, Identitätsprozesse, soziale Strukturen sowie Wissensordnungen existieren. „Wo wird wem was und wie zu sehen gegeben, oder wo ist wem was und wie unsichtbar gemacht?“, formulieren Sigrid Schade und Silke Wenk in ihren Buch „Studien zur Visuellen Kultur“ die Frage nach den Beziehungen zwischen visuellen Zeichen, Macht
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Bourdieu, Pierre, Sozialer Raum und „Klassen“. Zwei Vorlesungen (1985), Frankfurt am Main 1995; Foucault, Michel, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1976; Foucault, Michel, Andere Räume (1967), in: Hauser/Kamleithner/Mayer, Architekturwissen, 231– 239. Siehe hier u. a.: Sachsse, Rolf, Bild und Bau: Zur Nutzung technischer Medien beim Entwerfen von Architektur, Wiesbaden/Braunschweig 1988. Siehe hier u. a.: Colomina, Beatriz, Privacy and Publicity. Modern Architecture as Mass Media, Cambridge (MA) 1994. Dazu im Überblick Williams, Richard, Architecture and Visual Culture, in: Rampley, Matthew (Hg.), Exploring Visual Culture. Definitions, Concepts, Contexts, Edinburgh 2005, 102 –116. Nierhaus, Irene, Positionen. Eine Einführung, in: Dies./Konecny, Felicitas (Hg.), räumen. Baupläne zwischen Raum, Visualität, Geschlecht und Architektur, Wien 2002, 11– 23, hier 16.
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und Begehren.23 Schade/Wenk votieren für eine transdisziplinäre Perspektive, um die Praktiken des Sehens und Zeigens und deren bedeutungsgebende Effekte zu analysieren. Gleichzeitig verweisen die Autorinnen auf Vorarbeiten aus einzelnen Disziplinen, die für das Forschungsfeld Visuelle Kultur und seine Fragestellungen wegweisend waren. Für die Auseinandersetzung mit dem Blick als visueller Handlungsform wurden vor allem in der feministischen Filmwissenschaft und Filmtheorie ausbaufähige Grundlagen geschaffen. So etwa schon in den 1970er-Jahren mit der Thematisierung geschlechtsspezifisch strukturierter Schaulust im Kino durch die Filmwissenschaftlerin Laura Mulvey24 oder die Verhandlung von Sichtbarkeiten und Blickweisen im Feld des Visuellen durch die Filmkritikerin Kaja Silverman.25 Vor allem der von Silverman eingeführte Begriff des Blickregimes, der die Verschränkung von Betrachterstandort (spectatorship) und kulturell geprägten Bilderreservoirs fasst, hat die einschlägige wissenschaftliche Diskussion nachhaltig geprägt. Die in den Arbeiten von Mulvey und Silverman hergestellten Verbindungen von Blickanordnungen, Bilderpolitiken und Raumdispositionen mit der Kategorie Geschlecht sind seit den 1980erJahren in Kunst- und Kulturwissenschaften weitergedacht und für die Analyse visueller Repräsentationen in Kunst und Film fruchtbar gemacht worden.26 Zur Verflechtung von Blick, Bild und Raum auf dem für den vorliegenden Band zentralen Gebiet kunsthistorischer Bildmedien liegen ebenfalls Untersuchungen aus Gender und Visual Culture Studies vor, das Medium des Films ist dabei bisher wenig berücksichtigt worden.27 23 Schade, Sigrid/Wenk, Silke, Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld, Bielefeld 2001, 53. 24 Mulvey, Laura, Visual Pleasure and Narrative Cinema, in: Nichols, Bill (Hg.), Movies and Methods. An Anthology, Berkeley/Los Angeles 1985, 303 – 314. 25 Silverman, Kaja, Dem Blickregime begegnen, in: Kravagna, Christian (Hg.), Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin 1997, 41– 64. 26 Vgl. dazu an neueren Veröffentlichungen: Hentschel, Linda, Pornotopische Techniken des Betrachtens. Raumwahrnehmung und Geschlechterordnung in visuellen Apparaten der Moderne, Marburg 2001; Nierhaus, Irene, WAND/SCHIRM/BILD. Zur Bildräumlichkeit der Moderne, in: von Falkenhausen, Susanne/Förschler, Silke/Reichle, Ingeborg (Hg.), Medien der Kunst: Geschlecht, Metapher, Code. Beiträge zur 7. Kunsthistorikerinnen-Tagung in Berlin 2002, Marburg 2004, 122 –132; dies., Rahmenhandlungen. Zuhause gelernt. Anordnungen von Bild, Raum und Betrachter, in: Kittlausz, Viktor/Pauleit, Winfried (Hg.), Kunst, Museum, Kontexte: Perspektiven der Kunst- und Kulturvermittlung, Bielefeld 2009, 55 –73, sowie weitere einschlägige Untersuchungen der Autorin; Keim, Christiane, Performative Räume – Verführerische Bilder – Montierte Blicke. Zur Konstruktion von Geschlecht im Interieur, in: Moebius, Stephan/Prinz, Sophie (Hg.), Das Design der Gesellschaft. Zur Kultursoziologie des Designs, Bielefeld 2012, 143 –162. 27 Für den Aspekt der Diaprojektion vgl. vor allem Wenk, Silke, Zeigen und Schweigen. Der kunsthistorische Diskurs und die Diaprojektion, in: Schade, Sigrid/Tholen, Georg
Korrespondenzen. Eine Einführung | Christiane Keim ∙ Barbara Schrödl
3. Architekturgeschichte, visuelle Medien und das Filmische
Die Beiträge des ersten Kapitels führen in die Thematik ein, indem sie über die Interaktionen zwischen den Medien Kunst, Architektur und Film sowie über den ästhetischen Gebrauch verschiedener visueller Medien in der Kunstgeschichte reflektieren. Helmut Weihsmanns Beitrag „Cinetektur – Architektur im Zeitalter des Films“ referiert die mannigfachen Beziehungen zwischen Architektur, Kunst und Film sowie ihren Theoriedebatten seit 1900 und untersucht die dialogischen Strukturen, die sich vor allem zwischen Architektur- und Filmavantgarden herausbildeten. Obwohl auch in der modernen Kunst mit neuen Bildformen und Raumbildungen experimentiert wurde, waren es nach Weihsmann vor allem die filmischen Repräsentationen von Architektur, welche das Raumverständnis der zeitgenössischen RezipientInnen in Richtung auf das gezielte Einüben eines modernen Blicks verändern sollten. Die Affinität des Kinos für ein medienspezifisches „Zu-Sehen-Geben“28 von Architektur und Stadt korrespondierte seit den 1920er-Jahren mit dem zunehmenden Interesse von ArchitektInnen am Film, das sich in der Einbeziehung filmischer Sehweisen in die Planungskonzepte niederschlug. Die Veränderung des Blicks auf Architektur durch den Einfluss visueller Medien steht auch im Mittelpunkt von Rolf Sachsses medienhistorischem Beitrag „Türme von Notre Dame: Werdet Bild! Technische Medien und ihr Bild der Architekturgeschichte“. Sachsse widmet sich dabei nicht allein dem Film, sondern schlägt in seiner Untersuchung einen weiten Bogen von Fotografie und Diaprojektion über den Film und das Video bis hin
Christoph (Hg.), Konfigurationen zwischen Kunst und Medien, München 1999, 292 – 305. In Hinsicht auf den Film ist auf Überlegungen von Barbara Schrödl zu verweisen. Vgl. Schrödl, Barbara, Die Kunstgeschichte und ihre Bildmedien: Der Einsatz von Fotografie und Film zur Repräsentation von Kunst und die Etablierung einer jungen akademischen Disziplin, in: Zimmermann, Anja (Hg.), Austausch, Verknüpfung und Differenz von naturwissenschaftlichen und ästhetischen Bildstrategien, Hamburg 2005, 151–168. Siehe auch Adorf, Sigrid, Operation Video. Eine Technik des Nahsehens und ihr spezifisches Subjekt: die Videokünstlerin der 1970er-Jahre, Bielefeld 2008. Obwohl die Autorin sich in ihren theoretischen Aussagen in der Hauptsache auf Videokunst bezieht, setzen sich einige Passagen ihres Textes mit dem Film auseinander. 28 Zum Begriff „Zu-Sehen-Geben“ vgl. Schade, Sigrid/Wenk, Silke, Inszenierungen des Sehens: Kunst, Geschichte und Geschlechterdifferenz, in: Hof, Renate/Bußmann, Hadumod (Hg.), Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften, Stuttgart 1995, 340 – 407, hier 343.
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zum World Wide Web, um die qualitativen Verschiebungen innerhalb von Bildproduktion und Bildgebrauch zu ermitteln und damit der Verbreitung und Wirksamkeit der produzierten Bilder auf die Spur zu kommen. Jedes visuelle Medium, so konstatiert der Autor, stelle eine Abstraktion der realen Welt und ihrer Bauten her; erst das World Wide Web greife jedoch entscheidend in die Erfahrungswelten der NutzerInnen ein, indem Medienbilder nun nicht mehr nur neben die sinnlich erfahrbare Realität in ihrer Umwelt träten, sondern diese vielmehr ersetzten. 4. Wechselwirkungen zwischen Film und architektonischer Moderne
Im zweiten Kapitel fokussiert sich das Interesse auf ein zentrales, im einleitenden Aufsatz von Helmut Weihsmann bereits erwähntes Gebiet der Korrespondenzen zwischen Architektur, Architekturtheorie und Film: die Bedeutung, die der Film für die Darstellung und die Konzeptualisierung moderner Architektur erhielt. In ihrem Beitrag „ ‚Neue Welten der Sichtbarkeit schaffen‘: Der Lehrfilm ‚Die Frankfurter Küche‘ als Teil der medialen Repräsentation des ‚Neuen Frankfurt‘ in den 1920er-Jahren“ sieht Christiane Keim in den Filmproduktionen zu Räumen und Architekturen des „Neuen Frankfurt“ einen integralen Teil des großangelegten Stadtbauprogramms. Als konstitutives Element der auf dem Vernetzungsprinzip beruhenden Organisationsstruktur gelesen, können die Frankfurter Filmproduktionen für den Versuch stehen, hierarchische Ordnungsformen wie die Geschlechterordnung zugunsten relationaler Beziehungen abzulösen: So tritt etwa im Streifen „Die Frankfurter Küche“ die Küchenspezialistin als Akteurin des „Neuen Frankfurt“ programmatisch an die Stelle der traditionellen Hausfrau. Dem komplexen Verhältnis zwischen architektonischen Raumkonzepten, gebauter Architektur und deren Darstellung im Spielfilm geht Lena Christolova in ihrem Aufsatz „Proménade archi tecturale und Plansequenz. Die gegenseitige Durchdringung von Architektur und Filmtheorie“ nach. Eckpunkte von Christolovas Beitrag sind die sowohl an wahrnehmungspsychologischen Einsichten wie am filmischen Sehen geschulte Rezeption und Konzeption von Architektur beim Kunsthistoriker Heinrich Wölf-
Korrespondenzen. Eine Einführung | Christiane Keim ∙ Barbara Schrödl
flin bzw. dem Architekten Le Corbusier. Insbesondere die als sequentielle Bilderfolge entwickelte Proménade architecturale in den Villenbauten Le Corbusiers, deren Erschließung an die Bewegung der RezipientInnen durch den Raum gebunden ist, findet sowohl Entsprechungen wie auch Abweichungen in den filmischen Bildern von Architektur. Am Beispiel von Godards Film „Le Mépris“, der zu den Filmproduktionen der sog. Nouvelle Vague zählt, kann die Autorin zeigen, wie repräsentierte Räume und visuelle Blickperspektiven, die sich an der Proménade architecturale orientieren, auf die Filmhandlung einwirken und sowohl die Handlungen wie die Stimmungen der ProtagonistInnen im Film präfigurieren. Jeanpaul Goergens Text „Werben für die neue Stadt. Stadtplanung und Dokumentarfilm im Wiederaufbau der Bundesrepublik“ erweitert das Spektrum in Hinsicht auf den Gegenstand und den zeitlichen Rahmen. Ausgehend von der Frage nach Argumentationsmustern und Bilderpolitiken, sichtet Goergen eine Vielzahl von weitgehend unbekannt gebliebenen Dokumentarfilmen aus den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Ende der 1950er-Jahre. Die überwiegende Zahl dieser Filme plädiert, so zeigt sich, für eine konsequente Umsetzung moderner Bauweisen und weitsichtiger infrastruktureller Maßnahmen; ein konsequentes Wiederaufnehmen avantgardistischer Konzepte lässt sich dabei jedoch nur in Einzelfällen nachweisen. Die Filme zeichnen ein deutliches Interesse an der didaktischen Unterweisung ihrer AdressatInnen aus, deren Beteiligung an städtebaulichen Entscheidungsprozessen lag dagegen offenbar nicht im Interesse der Filmproduzenten. 5. Kunsthistoriker, kunsthistorische Theorie und Film
Im dritten Kapitel schwenkt der Blick von den Interdependenzen zwischen architektonischer Entwurfsplanung und filmischer Architekturrepräsentation zur Auseinandersetzung von Architektur- und Kunsttheoretikern mit dem Film. In seinem Beitrag „Architekturgeschichte im Zeitalter des Films“ geht Lutz Robbers dem ambivalenten Verhältnis der Kunstgeschichte und ihrer richtungsweisenden Vertreter zu dem neuen Medium nach. Zwar wurde das Potenzial der bewegten Bilder für die Ver-
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mittlung eines wirklichen Raumeindrucks bereits Anfang des 20. Jahrhunderts erkannt; die gleichzeitige Feststellung, dass damit Konsequenzen für Methoden und Wissensordnungen der Architekturforschung verbunden waren, ließ die Fachwissenschaftler vor einer stärkeren Einbindung des Mediums in die disziplinären Diskurse allerdings zurückschrecken. Erst Protagonisten der modernen Architekturhistorie wie Adolf Behne und Sigfried Giedion nahmen die Bedeutung des Films für eine Neubewertung der wissenschaftlichen Standorte ernst und bezogen ihn in ihre kunst- und architekturtheoretischen Arbeiten ein. Während Behne im Film vor allem ein pädagogisches Instrument zur Herstellung eines neuen Bezugs zur Welt sah, erschien er Giedion als Sinnbild einer Erfahrung, in der Architektur als Durchdringungs- und Bewegungsraum erlebt wird. Auch die Überlegungen des Kunsthistorikers Carl Lamb kreisten um die Wahrnehmung von Architektur und deren Vermittlung durch den Einsatz der Filmkamera. Dabei interessierte ihn besonders das bewegte Licht im barocken Innenraum. Anders als Behne und Giedion wurde Lamb selbst zum Regisseur eines Architekturfilms. 1936 drehte er „Raum im kreisenden Licht“. Seinen Film, der die sich wandelnden Lichtverhältnisse im barocken Innenraum innerhalb eines Tages zur Anschauung bringen sollte, verstand Lamb als Beitrag zur Forschung. Wie Barbara Schrödl in ihrem Text „Erfassung des Lichts im barocken Innenraum. Carl Lamb, der Film und die Forschung“ zeigt, schlägt sich in Lambs Entscheidung, zur Kamera zu greifen, wie auch in seinem spezifischen Einsatz von filmischen Mitteln, nicht nur seine Auseinandersetzung mit der kunsthistorischen Forschung nieder, sondern auch mit der neueren, mit Licht- und Schattenwirkungen experimentierenden Architekturfotografie, mit Entwicklungen der modernen Kunst und aktuellen Tendenzen des Films sowie mit den Erfahrungen der modernen Großstadt. 6. Filmische Architekturporträts in der Gegenwart
Das letzte Kapitel widmet sich aktuellen Fragestellungen im Umgang von Architektur und Architekturtheorie mit dem Film und digitalen Medien als Instrumenten der Darstellung und Vermittlung. In ihrem Beitrag „Manifeste für einen Architektur-
Korrespondenzen. Eine Einführung | Christiane Keim ∙ Barbara Schrödl
film“ fragen Doris Agotai und Marcel Bächtiger nach der Rolle bewegter Bilder im 21. Jahrhundert, das durch Digitalisierung und die Verbreitung interaktiver Medien geprägt wird. Von filmästhetischen Manifesten wie Dziga Vertovs „Kinoki – Umsturz“ von 1923 oder Lars von Triers und Thomas Vinterbergs „Dogma 95“ ausgehend, stellten die Autoren ihren Studierenden an der ETH Zürich die Aufgabe, eigene ästhetische Konzepte zu erarbeiten und diese filmisch umzusetzen. Im Ergebnis zeigte sich, dass die verlangte Abgleichung zwischen Theoriekonzepten und Filmpraxis zu einer intensivierten Auseinandersetzung mit visuellen Argumentationsstrategien führte. Auch und gerade angesichts der aktuellen Umbrüche in den Darstellungspraxen von Architektur müsse über den Einsatz bewegter Bilder weiter differenziert nachgedacht werden. Im abschließenden Beitrag des Bandes unterzieht Christina Threuter in ihren Aufsatz „Raum, Affekt und Geschlecht: Eine Analyse des Architekturfilms ‚LOOS ORNAMENTAL. Architektur als Autobiographie‘ ein Architekturfilm von Heinz Emigholz“ ein aktuelles Filmbeispiel einer eingehenden Analyse. Threuter deutet Heinz Emigholz’ Film über die Innenräume des österreichischen Architekten Adolf Loos als Imago des Architekten. Emigholz, so stellt die Autorin fest, greife in der Konzeption des Films sowohl auf neue kritische Raumdiskurse wie auf die Ausführungen des französischen Philosophen Gilles Deleuze zum „Affektbild“ zurück. Kameraführung und Dramaturgie des Films setzten diese konzeptuellen Festlegungen in Nahansichten um, mit denen das (material-)ästhetische Programm der Villenbauten zur Geltung gebracht wird, während der Alltagsgebrauch und dessen Spuren unsichtbar bleiben. Die vorliegende Publikation geht auf die Tagung „Film als Medium der Architekturgeschichte“ an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz im Oktober 2012 zurück, deren Trägerschaft die Privatuniversität Linz und das Forschungsfeld wohnen+/-ausstellen in der Kooperation des Instituts für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik der Universität Bremen mit dem Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender Bremen übernommen haben. Neben den für die Veröffentlichung bearbeiteten Beiträgen der TagungsreferentInnen Lena Christolova, Christiane Keim, Lutz Robbers, Barbara Schrödl, Christina
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Threuter und Helmut Weihsmann enthält der Band zwei weitere Texte von Jeanpaul Goergen und Rolf Sachsse. Damit soll nicht nur das Themenspektrum erweitert, sondern den LeserInnen auch ein besserer Einblick in die Bandbreite eines Forschungsfeldes gewährt werden, das bisher noch wenig abgesteckt ist.
Architekturgeschichte, visuelle Medien und das Filmische
Cinetecture – Architektur im Zeitalter des Films Ein Parcours im Vorfeld einer Interaktion von Film und Architektur
Helmut Weihsmann
Traumwandlerische Erkundigungen
Ziel und Zweck meines Beitrages ist es, die Knotenpunkte zwischen Architektur und Film zu finden und anhand bisheriger Marksteine festzulegen. Was Architektur und Kino verbindet, ist zunächst die gemeinsame Wahrnehmung von Raum und deren unterschiedliche Formen der räumlichen Repräsentation. Im Folgenden sollen jene im Film angewandten Techniken, Praktiken und Theorien herausgestellt werden, die den haptischen Architekturraum und den dynamischen Seh-, Schau- und Erlebnisraum im Film als sinnlich-räumliche Baustruktur und Handlungsrahmen darstellen. Was sind nun die Gemeinsamkeiten bzw. Wechselwirkungen zwischen Bau- und Filmkunst? Seit Aufkommen der Avantgarde am Anfang des Kubismus, Futurismus und Konstruktivismus haben sich sowohl Filmkünstler, Architekten wie namhafte Kulturtheoretiker sehr intensiv mit der Funktion und Sprache des Kinos für verwandte zeitgenössische Kunstsparten beschäftigt, zumal beide Medien – ob Architektur oder Film – sich mit neuartigen Raumerfindungen und Bildformen auseinandersetzen. Das wechselseitige Spannungsverhältnis von technisch-konstruktiven und symbolischen Räumen bzw. deren Wahrnehmung im Bildaufbau einer Rauminszenierung (mise en scène) wie im Kino bilden die aus den Wechselbeziehungen der Medien und Zeichen resultierenden Raumwahrnehmungen. Während die traditionelle Form der Raumkunst durch Wandmalerei und Architektur seit Jahrhunderten in einem logisch strukturierten und tektonischen Raumgefüge und einem rigiden Wahrnehmungssystem mit einer euklidischen konstruierten
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Geometrie lag, ging das Raumdenken im noch vorkinetischen Stadium (etwa der beweglichen Raumbühne) von einer konträren Position aus. Diese hat zu neuartigen Modellen von Wahrnehmung, hybriden Räumlichkeiten und Raumtheorien im 20. Jahrhundert geführt. Aus medientheoretischer Sicht basiert der Film – ähnlich wie andere Formen der zeitgleichen Bildkunst – auf dem Wechselspiel zwischen Bildoberfläche, Aktions- und Handlungsraum. Im Unterschied zu den statischen Bildkünsten, bestehen die Spezifika der Kinematografie jedoch darüber hinaus in einer konstitutiven Verzeitlichung ihrer Bildräume und einer Verräumlichung der Zeit. Aufgrund dieses Paradoxons leitete man in der Literatur verschiedene Ausprägungen der filmischen Raumdarstellung ab, die sich zwischen Extremformen realistischer Darstellungsabsicht und eigengesetzlicher Raumpräsentation ansiedeln lassen. In einigen Meisterwerken der Filmkunst bestimmt die Architektur den Erzählraum, ordnet und gliedert die Zeit, strukturiert den Erzählrhythmus, diktiert sogar den Erzählduktus und hat Einfluss auf Montage, Narration und Dramaturgie der Spielhandlung.1 Regisseur Eric Rohmer charakterisierte den Film als Kunstform, welche den Raum nicht nur abbildet, sondern ebenso generiert. Rohmer spannt eine Dreiheit der verschiedenen Räumlichkeiten im Film auf: Zum einen unterscheidet er den Architekturraum als materiellen Bestand vom Bildraum als filmische Repräsentation und dem eigentlichen Filmraum im Kopf des Zuschauers als Imagination.2 Im Gegensatz zum architektonischen Raum ist der Architekturraum für den Zuschauer im Kino ausschließlich durch das mediale Filmbild, also bloß durch die Wirkung einer Raumillusion, sicht- und erlebbar. (Vorstellungs-)Bilder von Raum und Zeit in der Moderne
Historisch gesehen sind relative junge Phänomene wie Modernität, Urbanität, Massengesellschaft, Psychologie, technische Medien und Technikeuphorie Parallelerscheinungen der Moder-
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Zu nennen wäre hier etwa der Film „Le Mépris“ von Jean-Luc Godard (F/I 1960). Siehe dazu den Beitrag von Lena Christolova in diesem Band. Vgl. Rohmer, Eric, L’Organisation de l’espace dans le FAUST de Murnau, Paris 1977 (dt.: ders., Murnaus Faustfilm. Analyse und szenisches Protokoll, München/Wien 1980).
Cinetecture – Architektur im Zeitalter des Films | Helmut Weihsmann
ne zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie haben darüber hinaus viele ideelle und materielle Gemeinsamkeiten, Berührungspunkte und Abhängigkeiten, aber genauso auch ihre Ambivalenzen und Widersprüche. Zur Disposition der Moderne gehört neben dem Verfügen über Raum und Zeit auch die Veränderung des Raumbegriffes durch die visuellen Medien. Die zugehörige soziologische Analyse lieferte Siegfried Kracauer im Feuilleton der „Frankfurter Zeitung“, wo er konstatierte: „Die Raumbilder sind die Träume der Gesellschaft. Wo immer die Hieroglyphe irgendeines Raumbildes entziffert ist, dort bietet sich der Grund der sozialen Wirklichkeit dar.“3 Mit dem Aufkommen einer cineastischen Stadt- und Raumrezeption durch das Kino – bereits früher durch das Panorama oder die Fotografie – sind selbstverständlich neue Sicht- und Denkweisen zur Architektur und ihrer stofflich unterschiedlichen Repräsentationsarten entstanden, die sich durch ihre geistige, bildliche, mediale und psychologische Wahrnehmung auch von früheren Epochen unterscheiden. Le Corbusier hatte nicht unrecht, wenn er behauptete, dass Kino und Architektur die einzigen Kunstarten der Moderne sind.4 „Unzweifelhaft hat das Kino einen markanten Einfluss auf die Architektur, im Gegenzug bringt die moderne Architektur aber ihre künstlerische Seite mit ins Kino ein“,5 bemerkte der französische Art-déco-Baukünstler und Filmarchitekt Robert Mallet-Stevens schon zu Zeiten des Stummfilms, als man die Bedeutung und den Stellenwert der progressiven und avantgardistischen Filmarchitektur erstmals erkannt, gewürdigt und ernsthaft reflektiert hatte. Immer wieder haben sich Architekten und Filmemacher aufeinander bezogen und wechselseitig beeinflusst. Der Film prägte darüber hinaus die populäre Meinung darüber, was progressive, zeitgenössische und moderne Architektur ist, denn die Filmkunst jener Zeit war ein Kommunikationsmedium für die Verbreitung von Architektur als Zeichen für Modernität und Progressivität für das Massenpublikum. Das 3
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Kracauer, Siegfried, Über Arbeitsnachweise. Konstruktion eines Raumes (1930), wieder in: ders., Schriften 5.2. Aufsätze (1927–1931), hg. v. Mülder-Bach, Inka, Frankfurt am Main 1990, 186. Zit. nach Schlegel, Hans-Joachim, Eisenstein – Das Alte und das Neue. Die Generallinie, Schriften (Bd. 4), München/Wien 1984, 14. Mallet-Stevens, Robert, Le cinéma et les arts l’architecture, in: Les Cahiers du MoisCinéma (No. 16 –17/1925); zit. nach: Le décor (1928) in: IRIS No. 12 (1991), 130.
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Kino spiegelte Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst wider und beeinflusste darüber hinaus den Diskurs der theoretischen und praktischen Entwicklung der Architektur, indem es Diskussionen zwischen Architekten, Theoretikern und Filmemachern anregte. Von den Ambivalenzen der Moderne ist auch das Image und Bild der Architektur im Film geprägt. Architektur – genauso wie das Kino – beruht auf einer massenhaften Rezeption des Publikums: „Die Architektur war von jeher der Prototyp eines Kunstwerkes, dessen Rezeption in der Zerstreuung und durch das Kollektiv erfolgt [ist]“, schrieb der marxistische Kulturphilosoph Walter Benjamin in seinem einflussreichen Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“.6 Darin vertrat Benjamin bekanntlich neben der These vom Verlust der Aura und seiner scharfen Kritik am Ritual der Aura in der bürgerlichen Kunst auch das in unserem Zusammenhang viel wichtigere Argument, dass Kunst und ihre Rezeption durch die Entwicklung von Fotografie und Film einem grundlegenden Wandel unterworfen sind. Dies geschehe durch die Möglichkeit der massenhaften Reproduktion und der dadurch veränderten kollektiven Wahrnehmung. Zudem verliere in diesen Prozessen das Kunstwerk seine Aura und seinen Habitus, was in der Folge wiederum die soziale Funktion der Medien verändere. Benjamin beschreibt die einschneidenden Veränderungen der Arbeitswelt durch Automatisierung und Kapitalisierung, die sich mit zeitlicher Verzögerung auf den Bereich der Kunst auswirken. Dieser Strukturwandel – in seiner ökonomischen Begründung sowie in seinem gesamtgesellschaftspolitischen Zusammenhang – ist Gegenstand von Benjamins dialektischer Analyse. Die durch die Reproduzierbarkeit entstehende kollektive Wahrnehmung bietet zwar die Möglichkeit der Entwicklung hin zu gesellschaftlicher Emanzipation, birgt aber auch die Gefahr der politischen Vereinnahmung und Manipulation, wie Benjamin am Phänomen und am Aufstieg des Faschismus gedeutet hatte. Architektur ist für Benjamin ferner 6
Benjamin, Walter, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1977), in: ders., Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie (1963), Frankfurt am Main, 7– 44, hier 40. Benjamins Essay ist erstmals 1936 unter dem Titel „L’œuvre d’art à l’époque de sa reproduction mécanisée“ im Pariser Exil erschienen.
Cinetecture – Architektur im Zeitalter des Films | Helmut Weihsmann
auch die Mutter aller Künste, wenn er meint: „[…] von besonderer Wichtigkeit seien auch immer diejenigen Kunstformen gewesen, die sich eng an die Architektur angeschlossen (haben) und an ihr empor gebildet und gemessen haben.“7 Schock der Moderne – Bedeutung und Auswirkung des Raumes auf das moderne Seelenleben
In einer präzisen zeitlicher Koinzidenz mit einer Krise der Kultur fällt die Geburt des Kinos mit einer grundsätzlichen Umdeutung der Bewusstseins, Gedächtnis- und Wahrnehmungsvorstellung. Als neues Theoriegebäude der Kunst dienten vor allem zwei Modelle, auf welche die Filmkunst immer wieder zurückgriff: Sigmund Freuds Traumdeutung und Henri Bergsons Wahrnehmungstheorien in der Koexistenz von Raum und Zeit. Wassily Kandinsky, ein Apologet der abstrakten Malerei, sprach in seinem Manifest „Über das Geistige in Kunst“ gar von einer eigenständigen Bildwirklichkeit mit unendlich vielen koexistierenden Bewusstseinsebenen von Zeit und Raum.8 Nach den theoretischen Vordenkern einer kinetischen Raumkunst wie August Schmarsow, Adolf Hildebrand, Heinrich Wölfflin oder auch Wilhelm Worringer und Max Raphael, deren illuminierende Grundlagenforschung und Grundbegriffe wegweisend für Sigfried Giedions umfassendere Untersuchung zur Ästhetik und Programmatik des „Neuen Bauens“ in seinem Buch „Space, Time and Architecture“ waren.9 Die Architektur und insbesondere die Avantgardekunst einer radikalen Umbruchsphase in der abendländischen Kulturgeschichte vermag es sowohl die geistigen, sozialen und kulturellen Veränderungen der Gesellschaft widerzuspiegeln als auch die psychologischen Voraussetzungen für kritische oder dramatische Vorgänge im Seelenleben des Menschen zu beeinflussen. Ein deutliches Beispiel ist das Aufkommen der Angst 7
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Benjamin, Walter, Entwurf zur ersten Fassung von Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: ders., Gesammelte Schriften (Bd. I/3) hg. v. Tiedemann, Rolf/Schweppenhauser, Hermann, Frankfurt am Main 1974, 1043. Kandinsky, Wassily, Über das Geistige in Kunst, insbesondere in der Malerei (1911), München 1912. Vgl. Giedion, Sigfried, Space, Time and Architecture: The Growth of a new tradition, Cambridge (MA) 1941 (dt.: ders., Raum, Zeit und Architektur. Die Entstehung einer neuen Tradition, Ravensburg 1965).
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und regelrechter Massenparanoia des Großstädters während des Ersten Weltkriegs. Viele Jahrzehnte vor Sigmund Freuds Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“10 erschienen Georg Simmels wichtige und wegweisende Arbeiten über die räumliche Projektion sozialer Formen im städtischen Leben. Es ging Simmel um weit mehr als eine typologische Beschreibung oder Darstellung von sozialen Raumformen; er interessierte sich dafür, wie sich verschiedene Gesellschaftsformen unterschiedlich im sozialen Raum der Stadt manifestieren. Die Wahrnehmung vom städtischen Leben empfand Simmel als Schock auf die Psyche. Laut Simmel führte diese nervliche Belastung, Reizung und Überforderung des Individuums zur Entwicklung einer Selbstschutzreaktion, die eine neuartige und simultane Perspektive auf die Stadt mit ihren optischen und akustischen Reizen nach sich zieht. Simmel geht von der nüchternen Feststellung aus, dass die Vielzahl der Eindrücke einer Großstadt wie Berlin ein Vielfaches von der Aufmerksamkeit erfordert, die zur Bewegung in vormodernen Räumen nötig war.11 Neurasthenie und Nervenleiden sind nach Simmel typische Begleiterscheinungen des aktuellen nervösen Zeitalters. Georg Simmel schrieb in seinem aufschlussreichen Aufsatz „Die Großstädte und das Geistesleben“ bereits 1903 über die psychologischen und physiologischen Bedingungen, denen die damaligen Großstadtmenschen ausgesetzt waren. Optische Reize der Umwelt wie Reklame, die Beschleunigung des Verkehrs und das Anwachsen von Mobilität änderten radikal das spezifische Raumgefüge und damit auch dessen Wahrnehmung. Im völligen Gegensatz zur pessimistischen Kultur- und Zivilisationskritik seiner Zeitgenossen sah Simmel diese neuen Existenzbedingungen des Großstädters nicht als eine Deformation, sondern als notwendige Evolution zur Moderne und eine strategische Überlebenstechnik, wenn er sagt: „Die psychologische Grundlage, auf welcher der Typus großstädtischer Individualitäten sich erhebt, ist die Steigerung 10 Sigmund Freuds Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“ erschien erstmals 1930. Freud, Sigmund, Das Unbehagen in der Kultur, in: ders., Das Unbehagen in der Kultur. Und andere kulturtheoretische Schriften, Frankfurt am Main 1994. 11 Vgl. Simmel, Georg, Die Großstädte und das Geistesleben, in: Die Großstadt. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung (Jahrbuch der Gehe-Stiftung Dresden) hrsg. von Petermann, Theodor, Band 9, Dresden 1903, 185 – 206.
Cinetecture – Architektur im Zeitalter des Films | Helmut Weihsmann
des Nervenlebens, die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel äußerer und innerer Eindrücke hervorgeht. [...] Indem die Großstadt gerade diese psychologischen Bedingungen schafft – mit jedem Gang über die Straße, mit dem Tempo und der Mannigfaltigkeit des wirtschaftlichen, beruflichen, gesellschaftlichen Lebens –, stiftet sie schon in den sinnlichen Fundamenten des Seelenlebens, in dem Bewusstseinsquantum, das sie uns wegen unserer Organisation als Unterschiedswesen abfordert, einen tiefen Gegensatz gegen die Kleinstadt und das Landleben [...].“12
Simmel beobachtete und registrierte nicht allein die empirische Veränderung des Berliner Stadtlebens durch diesen Schock der Moderne, sondern auch wie sich dieser Wandel auf das Geistesleben der Bewohner ausgewirkt hatte. Durch die Erfahrung der Moderne vollzog sich ein Strukturwandel im Denken und Handeln der Menschen, wobei sich das reale und mediale Bild der Großstadt gerade durch einen Film wie Walter Ruttmanns anschauliche Stadtcollage „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“ (D 1927) auch das Selbstbewusstsein des Großstädters veränderte.13 Simmels Argumentation berührte zentrale Punkte der Fragestellungen der künstlerischen Avantgarden. So kommt der Industriedesigner und -architekt Peter Behrens zur Erkenntnis, dass seine formale Reduktion und Konzentration der Formensprache eine Anpassung an die moderne Beschleunigung und Wahrnehmung ist, wenn er schreibt: „Wenn wir im überschnellen Gefährt durch die Straßen unserer Großstädte jagen, können wir nicht mehr die Details der Gebäude wahrnehmen. [...] Die einzelnen Gebäude sprechen nicht mehr für sich. Einer solchen Betrachtungsweise [...] kommt nur eine Architektur entgegen, die möglichst geschlossene, ruhige Flächen zeigt, die durch ihre Bündigkeit keine Hindernisse bietet.“14 12 Ebd., 188. 13 An die Stelle der im 19. Jahrhundert vorherrschenden kontemplativen Beschaulichkeit trat eine neue Sachlichkeit, eine an Nihilismus grenzende Nüchternheit und permanente Zerstreuung der Sinne. Sobald sich das Bild der Stadt im Zuge der Moderne veränderte, löste sich gleichermaßen der Begriff des Stadtkörpers selbst von der Matrix seines Ursprungs. 14 Behrens, Peter, Kunst und Technik (1910), in: Buddensieg, Tilmann/Rogge, Henning (Hg.), Industriekultur – Peter Behrens und die AEG, Berlin 1979, D 278 – D 285, hier D 284.
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Dass er diese Textstellen aus den 1909/10 gehaltenen Vorträgen wortwörtlich in seinen Text über den Einfluss von Zeit- und Raumausnutzung auf moderne Formenentwicklung übernahm, der erst 1914 im „Jahrbuch des Deutschen Werkbundes“ erschienen ist, unterstreicht ihre Bedeutung. Nicht mehr der einzelne Baukörper oder die Aura des Originals ist der Ausgangspunkt der Gestaltung, sondern der freie Raum, die Stadt, die Straße und die Bewegung in ihm mit dem Automobil, der elektrischen Tramway und dem Fahrrad. Außerdem sollten sie die Menschen neugierig auf die Errungenschaften des technologischen Fortschritts und seiner Bequemlichkeiten und Freuden machen. Simmels Gedanken wurden 1920 interessanterweise von Walter Benjamin in einem Aufsatz über Charles Baudelaire übernommen und weiterentwickelt,15 der im Sinne von Simmel den Straßenverkehr der Großstadt für jeden Einzelnen als eine Folge von Chocks und Kollisionen charakterisiert hatte. Benjamin liest Baudelaire sozusagen durch eine Simmelsche Optik und Wahrnehmungsmaschine, etwa wenn er über den „innigen Zusammenhang, der bei Baudelaire zwischen der Figur des ‚Chocks‘ und der Berührung mit den großstädtischen Massen besteht“,16 referiert. Das Schockerlebnis der Großstadt vergleicht Benjamin mit den Eisensteinschen Kontrastmontagen im Film, die in ähnlicher Form eine erhebliche Auswirkung auf die sinnliche Wahrnehmung hatten. Der Schock der Moderne begann bereits im Vorfeld des Kinos mit der Errichtung des Eiffelturms anlässlich der Weltausstellung 1889 in Paris, jenem filigranen Gebilde und konstruktiven Bauwerk des Ingenieurs Gustave Eiffel, das weder einen klar definierbaren Innen- noch Außenraum aufwies. Ein wahres raumzeitliches Fluidum. Das technische Konstrukt war für Sigfried Giedion das mustergültige Beispiel einer mechanischen Ingenieurästhetik, die noch bis ins 20. Jahrhundert ihre Gültigkeit bewies. So schreibt Giedion noch 1928 in seinem programmatischen Buch „Bauen in Frankreich – Bauen in Eisen – Bauen in Eisenbeton“, dass man beim Eiffelturm „auf das ästhetische Grunderlebnis
15 Vgl. Benjamin, Walter, Charles Baudelaire – Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, hg. v. Tiedemann, Rolf, Frankfurt am Main 1984. 16 Benjamin, Walter, Gesammelte Schriften I/2, 618; zit. nach: Neumeyer, Harald, Der Flaneur – Konzeption der Moderne, Würzburg 1999, 109.
Cinetecture – Architektur im Zeitalter des Films | Helmut Weihsmann
des heutigen Bauens stößt“.17 Damit wird deutlich, dass der Primat des Leichten und Offenen, technisch ermöglicht durch die Eisenkonstruktionen, umstandslos zum Programm des „Neuen Bauens“ erhoben wurde, als Ausdruck einer technischen Zivilisation, die nach Giedion auf Beziehungen, Verbindungen und Durchdringungen statt auf Ab- und Ausgrenzung aus war: „DIE ARCHITEKTUR HAT KEINE STARREN GRENZEN MEHR.“18 Avantgarde und cineastische Schaulust
Benjamins These, dass die Technik des reproduzierten Bildes einen entscheidenden Paradigmenwechsel in der Kunst herbeigeführt habe, mag heute nicht mehr stimmen. Was jedoch stimmt ist, dass die Fotografie und Kinematografie gleichermaßen eine neue Lehre des Sehens und der ästhetischen Wahrnehmung eingeleitet haben. Die filmische Auseinandersetzung mit der Realität und Gestalt der Stadt und ihren Bauwerken ermöglicht eine Fiktion, die durch den suggestiven Einsatz der Bild- und Schnitttechnik emotionale und visionäre Qualitäten der Architektur und der gebauten Umwelt vermitteln kann. So sind uns die Orte, Straßen und Plätze sowie Stimmungen der Städte bereits im Kino vertraut, noch lange bevor wir selbst dort gewesen sind.19 Die Metropole – quasi zu einer Real-Collage der Ungleichzeitigkeiten transformiert – ist in ihrer verwirrenden Vielfalt an Eindrücken gewissermaßen die Geburts- und Brutstätte einer neuen Virtualität. Insofern verdichtet das Kino die Stadt, beschreibt ihren Raum, ihre Bauformen und ihre periodischen Zyklen im
17 Giedion, Sigfried, Bauen in Frankreich – Bauen in Eisen – Bauen in Eisenbeton, Leipzig/ Berlin 1928, 3. 18 Giedion, Sigfried, Bauen in Frankreich – Bauen in Eisen – Bauen in Eisenbeton, Leipzig/ Berlin 1928, 61. „Abb. 29 MART STAM: Überbauung des ROKIN DAM, Amsterdam 1925. Erst jetzt erfahren die Keime, die in Bauten wie dem Eiffelturm liegen, ihre eigentliche Aufwertung. Nicht nur in der Verbindung und Durchdringung eines Baus mit schwebenden Verkehrsmitteln oder freihängenden Stationen liegt das sinnverwandte mit einem Bau wie dem Eiffelturm, wie dort wird man zu der Feststellung veranlaßt: DIE ARCHITEKTUR HAT KEINE STARREN GRENZEN MEHR.“ 19 Die Kinematografie hat sich schon sehr bald die Stadt als denk- und filmwürdiges Sujet ausgesucht. Anfangs standen ausschließlich der historische Stellenwert und der kognitiv-dokumentarische Blick im Vordergrund. Diese Perspektive auf eine städtische bzw. städtebaulich intakte Totalität des Raumes wurde durch die formalistischen und abstrakten Sehweisen bzw. Darstellungsmethoden der Kunst-Avantgarde insofern mehrmals verändert, als die herkömmlichen Vorstellungen und Bedingungen von Raum, Zeit und Tempo der Großstadt sich zu einem Patchwork der sinnlichen Wahrnehmungen verändert haben.
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Zeitraffer und in diversen Stimmungen. Es entwickelte sich eine experimentelle Kinokunst der künstlerischen Avantgarde. Das Aufkommen der beweglichen, räumlich durchdringenden und Grenzen sprengenden Kamera als Instrument der plastisch-optischen, realistischen Welt sowie des unbewussten Bereiches der Psyche macht Filmarchitektur lesbarer, indem sie den Architekturraum filmisch und traumwandlerisch durchwandert, durchmisst, ver-zeitlicht erschließt und dadurch er-fahrbar bzw. er-lebbar macht. Sowohl die progressiven Architekten des funktionalistischen Bauens als auch die zeitgenössischen Filmund Fotokünstler der Neuen Sachlichkeit warteten mit einer Fülle von neuen visuellen Ideen und formalen Experimenten für alle Bereiche der Filmkunst auf: vom Werbefilm und Kulturfilm angefangen, über Licht- und Bildarchitekturen für den Studiofilm, historische Genrefilme bis hin zu Filmgedichten und andere Formen von avantgardistischen Experimenten, einschließlich Buch- und Plakatkunst. Nach ihrer Überzeugung hatte die Filmkunst eine Doppelfunktion zu erfüllen, einerseits Schaulust, anderseits neue Perspektiven, Ein- und Ansichten, ja Aufklärung zum „Neuen Sehen“ zu leisten.20 Unter den Leitfiguren der Modernisten und ihrer internationalen Bewegung war der Baukünstler Le Corbusier (eig. CharlesEdouard Jeanneret) in seinen vielen Rollen als Agitator und Formgeber zweifellos der kreativste, medialste, cineastischste und der am Kino meist interessierteste Vertreter seiner Generation, was sich sowohl in theoretischer als auch praktischer Form bei ihm niederschlug. Neben zwei persönlichen (leider auch unveröffentlichten) Reiseberichten21 oder travellogues einerseits nach Südamerika mit „Voyage de Rio“ (1929), andererseits zu den ägäischen Inseln Santorin, Ios, Syros, Mykonos, Naxos und Paros mit der Dokumentation „Un Voyage aux Cyclades“ (1931)22 konzipierte und realisierte der umtriebige wie auch umsichtige Le Corbusier sogar auf eigene Kosten 20 Zum „Neuen Sehen“ vgl. Wick, Rainer K. (Hg.), Das Neue Sehen. Von der Fotografie am Bauhaus zur Subjektiven Fotografie, München 1991. 21 Eine Fassung, ausschließlich aus schwarzweißen Standfotos seiner Schiffs- und ZeppelinReise nach Rio de Janeiro zusammengefügt ist neulich von Tim Benton in der Foundation Le Corbusier entdeckt, chronologisiert und be- und aufgearbeitet worden. 22 Vgl. die Reiseaufnahmen von der tschechischen Fotografin Elisabeth Makovska (1904 –1979) im Archiv von Arago, Paris auf ihrer Homepage Le Portail de la photographie. Siehe Link: www.photo-arago.fr/C.aspx?VP3=SearchResult_VPage&VBID=27MQ2J0NNCCZ [Stand: 06.02.2015].
Cinetecture – Architektur im Zeitalter des Films | Helmut Weihsmann
eine bemerkenswerte Trilogie von drei beispielgebenden Bauund Lehrfilmen zu ausschließlich Self-promotion-Zwecken. Bei diesen Filmen arbeitet er mit teils prominenten Vertretern der filmischen Avantgarde zusammen und in Kooperation mit der neugegründeten französischen Architekturzeitschrift „L’architecture d’aujoud’hui“ im Geiste des Gründers André Bloc entstanden: „Trois Chantiers“ (F 1930), „Bâtir“ (F 1930) und letztlich „Architectures d’auhourd’hui“ (F 1930). Einerseits der L’art-pour-l’art-Kunstübungen überdrüssig, andererseits den „Produktionsklischees“ (Hans Richter) einer retardierten, einfallslosen Filmunterhaltungsindustrie ablehnend bis feindlich gegenüberstehend, entwickelte sich die eine Richtung des experimentellen Avantgardefilms mit einer Fülle an formalästhetischen Ideen, Initiativen und Versuchen weiter; außerdem kamen vermehrt nüchterne, neusachliche Dokumentar-, Faktenoder Querschnittsfilme über das „Neue Bauen“ zum Vorschein, die auf internationalen und nationalen Baukongressen, Ausstellungen, elitären Künstlersoireen, einschlägigen Filmkongressen wie dem der „CICI (Congrès international du cinéma indépendant)“ im Schloss von La Sarraz 1929 und in diversen ciné clubs der alternativen und unabhängigen Filmwirtschaft vorgeführt wurden. Auf der Agenda der Moderne im Sinne des Zeitgeistes stand vor allem die Funktionalität und Dynamik eines neuen Industrie- und Maschinenzeitalters im Dienste der Menschheit. Der Gedanke einer modernen Gesellschaft und ihres Ideals einer funktionierenden Großstadt – rational, schön, zweckmäßig und organisiert wie eine Fabrik – durchzog leitmotivisch die Gedanken, Modelle und Produkte der konstruktivistischen und funktionalistischen Kunst, Architektur, Theater, Literatur und der Filmkunst ihrer Zeit. Und man könnte eine Vielzahl von Film- und Baukünstlern in gewisser Weise als Fordisten und Tayloristen der Produktionsund Distributionssphäre des Kapitals bezeichnen, auch im Hinblick darauf, wie sie die Wahrnehmung auf moderne Architektur und Stadtkultur kanalisiert und organisiert haben. Kühne abstrakte Raumbilder im Kino
Die pluralistische Baukunst des 20. Jahrhunderts mit allen ihren Ismen spiegelt sich im Film auf die unterschiedlichste Art und
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Weise. Zwischen den beiden Kunstformen Architektur und Film existieren zweifelsohne eine Vielzahl von historischen, formalen und stilistischen Gemeinsamkeiten und konkreten Beziehungen. Nach dem Ersten Weltkrieg kam die Idee auf, den Film als Medium der Propaganda für die neue Baukunst und als Werbemittel für die Bauindustrie zu nutzen. Das weite Betätigungsfeld im hybriden Bereich des Architekturfilms eröffnete sich den Bau- und Filmkünstlern in größerem Umfang aber erst ab 1924. Es ist vor allem die avantgardistische Moderne, primär die Architektur der Neuen Sachlichkeit, des Futurismus, des Kubofuturismus, des Bauhauses und des sogenannten Internationalen Stils, die in den Dokumentarfilmen jener Jahre als merkantiles Produkt und Markenzeichen (trade mark) des modernen Lebens- und Wohnstils einer optimistischen und utopischen Sicht auf unsere Gesellschaft und Bauwelt Ausdruck gibt. Als die mechanische Apparatur des Kinos am Anfang noch zur freien Disposition stand, war das Medium der Kinematografie noch unbelastet. Es war die Zeit der Handwerker und Bastler, die ihre fantastischen Zauberstücke und belanglosen Tagesaktualitäten in den jahrmarktähnlichen Buden, Wanderkinos und Kinematografen-Theatern abseits des sogenannten guten Geschmacks vorführten. Mit der beginnenden sozialen und ökonomischen Stabilisierung und Konsolidierung der Filmwirtschaft in West- und Mitteleuropa Mitte der 1920er-Jahre entstand nahezu gleichzeitig mit dem Massenkino der Avantgardefilm des französischen cinéma pur. Das cinéma pur spielt den reinen Film gegen den Handlungs- oder Gegenstandsfilm, die filmischen Mittel gegen die erzählerischen Muster aus. Zu dem harten Kern des cinéma pur, um den sich auch Schriftsteller, Maler und Baukünstler eines neuen Geistes (L’Esprit Nouveau) scharten, gehörten Protagonisten der Filmschule des Impressionismus wie Louis Delluc, Germaine Dulac, Henri Chomette.23 In seinem 1920 erschienenen filmtheoretischen Werk „Photogénie“ prägte der Wortführer der französischen Bewegung der Filmimpressionisten Louis Delluc den Begriff des Photogen für 23 Beispielhaft sei hier auf die Filme Henri Chomettes und seines jüngeren Bruders René Clair verwiesen. Chomette drehte die unabhängigen und avantgardistischen Essay- und Kurzfilme „Jeux des reflets et de la vitesse“ (F 1925) und „Reflets de lumiere et la vitesse“ (F 1925), René Clair die stimmungsvolle Reportage „La tour“ (F 1928) über das Pariser Wahrzeichen, den Eiffelturm.
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filmisch besonders geeignete Aspekte des Anti-Naturalismus und der lyrischen Darstellung von Menschen und Dingen.24 Die Filmemacher entdeckten neue filmische Ausdrucksmittel wie Montage, Cadrage, Photogénie, Dekor und Rhythmus als wesentliches Element des Kinos. Bewegung, Licht, Raum und Rhythmus waren ausschlaggebend für ein neues Sehen und Erleben von Zeit und Raum. Verglichen wurde der Rhythmus der Filmbilder mit dem Rhythmus der Musik. Das cinéma pur bildet das französische Pendant zum deutschen absoluten Film eines Viking Eggeling, Hans Richter, Oskar Fischinger und Walter Ruttmann, ist jedoch nicht gezeichnet und an abstrakten Formen ausgerichtet, sondern bleibt an reale Aufnahmen gebunden. Die Vertreter des absoluten Films und bedingt auch der Foto- und Typograf László Moholy-Nagy entwickelten ein nicht-narratives Kino des Lichts, der grafischen Kompositionsweise und des Rhythmus analog einer musikalischen Partitur.25 Kein Geringerer als der russische Maler Kasimir Malewitsch, ein Hauptvertreter der abstrakten Malerei, wollte mit Hans Richter einen propagandistischen Film über den Suprematismus mit dem Titel „Die Malerei und die Probleme der Architektur“ während seines Aufenthaltes in Deutschland 1927 gestalten. Doch es blieb beim Konzept.26 Zu dieser Richtung gehören auch die Filmexperimente und Lichtspiele am Bauhaus. Darüber hinaus später auch solche cineastischen Arbeiten, die mehr oder weniger Spielarten des Dokumentarfilms sind, wie die feuilletonistischen Querschnittsfilme und die orchestrierten Stadtsinfonien von Walter Ruttmann, Wilfried Basse, Andras von Barsy, Joris Ivens, Mannus Franken, Paul Schuitema und Henri Storck. Hier finden sich Parallelen zu Fernand Légers Auffassung vom reinen Film. Léger, der den Film „Ballet méchanique“ (F 1924) verantwortete, schrieb 1924: Meine Kollegen Cendrars, Epstein, L’Herbier et alii „haben alle mit großem Erfolg die fortlaufende Projektion ‚bildhafter Elemente‘ in einem beschleunigten Rhythmus 24 Vgl. Delluc, Louis, Photogénie, Paris 1920. 25 Zum absoluten Film vgl. Cremerius, Ursula, Der absolute Avantgardefilm. Ein Beitrag zur Filmpoesie, Köln 1986. 26 Janser, Andres, Die neue Wohnung: ein Typenfilm? Hans Richters Werkbundfilm zwischen Auftragskunst und Filmpoesie, in: ders./Rüegg, Arthur, Hans Richter. Die Neue Wohnung. Architektur, Film, Raum, Baden/Schweiz 2001, 16 – 37, hier 23.
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verwirklicht und damit dem Publikum eine plastische Empfindung vermittelt. [...] Alles ist plastisch geworden, das Bild wirkt auf den Zuschauer, der es hingerissen über sich ergehen lässt – ein schöner Sieg über das Publikum, das positiv reagiert und endlich einmal etwas anderes als eine literarisch-sentimentale Intrige mit rauschendem Beifall aufgenommen hat“.27
Die Wendung des absoluten Films wie auch des cinéma pur gegen den herkömmlichen Spielfilm zugunsten des nicht-narrativen und abstrakten Films ist indessen, auch was die künstlerische Haltung betrifft, nur ein Nachhinken der Filmkunst gegenüber einer kinetischen Kunst der Futuristen, Kubisten und Konstruktivisten oder der De-Stijl-Bewegung in Holland und der bereits genannten experimentellen Licht-, Raum- und Formspiele am Bauhaus. Diese bewegten sich rudimentär zwischen einer abstrakten oder bewegten Malerei und reflektorischen Farblichtspielen und führten schließlich zur Fusion einer soge nannten Cinetecture, also jener Symbiose von Architektur und Film im europäischen Avantgarde-Kino der 1920er-Jahre. cinéplastique – das plastische Sehen
Film und Architektur sind nicht nur raumbildende Künste, sondern schließen auch Bewegung – also den Faktor Zeit – mit ein. Mit der Einführung der Dynamik in der starren Architektur durch Le Corbusiers Erfindung der „proménade architecturale“28 in der „Villa Savoye“ (Poissy, 1929 –1931) geht eine grundlegende Veränderung in der Raumauffassung der modernen Architektur einher. Mit der freien Bewegung im Raum ist auch ein Wandel des Raumgefühls verbunden, das mit einer Veränderung der gegenseitigen Lage von Körpern und Gegenständen zusammenfällt, um Raum und Zeit anders als bisher erfahrbar zu machen. Die Rampe und Wendeltreppe sind es
27 Fernand Légers Vortrag wurde anlässlich der Raumbühne von Friedrich Kiesler erstmals original in „Bulletin de l’Effort Moderne Nr. 7“ (Paris 1924) veröffentlicht; bzw. auszugsweise im Katalog der Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik (Wien 1924) abgedruckt. Zit. nach: Fernand Léger, Conférence über die Schau-Bühne. Projekte und Modelle, hg. v. Chruxin, Christian/Krausse, Joachim, Frankfurt am Main/Berlin 1968, 15. 28 Le Corbusier/Jeanneret Pierre, Oeuvre complète 1929 – 34 (Bd. 2) hg. v. Boesiger, Willi/ Stonorov, Oskar, Zürich 1957, 30.
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auch, die Bewegung in die Innenarchitektur der Villen von Le Corbusier einführten. Durch diese neuartigen Formen und Bauelemente wird deutlich, dass es – wie Sigfried Giedion betonte – unmöglich ist, „die Villa Savoye von einem einzigen Blickpunkt aus zu fassen. Sie ist ein Bau in raumzeitlicher Auffassung“.29 Die Zeit, von Scharsow, Riegl und Wölffin längst als fundamentales Kriterium der Raumauffassung untersucht, wird hier in der Tat zu einem entscheidenden Faktor der architektonischen und optischen Komposition.30 Im Bereich des deutschen Films geschah mit der Einführung einer entfesselten Studio- und Handkamera eine ebenso revolutionäre Erneuerung. Die Stichworte dazu sind längst bekannt: der dynamisierte Raum, das exaltierte Schauspiel, die Mystik des Dekors, die architektonische Hermetik des Bildraums und die Phantastik des Hell-Dunkels. Die neuartige und handlichere Kinoapparatur ermöglichte zudem ein nie davor erlebtes plastisches und dynamisches Sehen, welches man heute eine spaziotemporale Konstruktion und Transformation der Wirklichkeit nennt, die der modernen „Bildarchitektur“ (Adolf Behne) als eine Art „Bewegungsbild“ (Gilles Deleuze) leichter entgegenkam. Das Filmbild kann einen dynamischen, von der fixen, zu meist vorherrschenden Zentral-Perspektive befreiten Raumeindruck vermitteln und zu einem neuartigen Architekturerlebnis des Zuschauers führen. Es waren der Regisseur Marcel L’Herbier bzw. sein origineller Filmausstatter und Architekt Robert Mallet-Stevens, die den Begriff cinéplastique am radikalsten verstanden und am anschaulichsten im narrativen Stummfilmbereich mit den durchwegs vordergründigen und spekulativ angelegten Superproduktionen umsetzen konnten: in den ausgesprochen modernistischen Filmen wie „L’Inhumaine“ (F 1923), „Feu Mathias Pascal“ (F 1925) oder „L’Argent“ (F 1928) L’Herbiers eigener Pariser Firma „Cinégraphic“.31 Der Terminus cinéplastique entstammt dem Wort29 Giedion, Sigfried, Raum, Zeit und Architektur. Die Entstehung einer neuen Tradition, Ravensburg 1965, 331. 30 Zu Le Corbusiers Raumkonzept, insbesondere die Wegeführungen in seinen Villenbauten vgl. Blum, Elisabeth, Le Corbusiers Wege. Wie das Zauberwerk in Gang gesetzt wird, Braunschweig 1988. 31 L’Herbier sah in dem Melodram „L’Humaine oder L’Inhumaine“ die Summe seiner Bemühungen um eine ecriture visuelle, also um eine reduziert optisch-grafische und künstlerische Handschrift. Die bunten Kostüme von Robert und Sonia Delaunay im Stil des Orphismus und der kubische und streng geometrische Dekor des Films von Léger, Mallet-
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schatz des Filmjargons des französischen Filmpurismus der 1920er-Jahre für ihre formalen Experimente. Der Begriff der cinéplastique geht auf den in Paris lebenden Filmkritiker Elie Faure zurück, der besonders auf die Plastizität des bewegten und ausdrucksstarken Filmbildes hinwies. Er kann aber genauso für die Tendenzen der künstlerischen Avantgarde jener Zeit gelten. Beispielsweise für jenes radikale Diktum und die holistische Definition von Architektur bei Le Corbusier als reines und elementares Formenspiel der geometrischen Baukörper als „kunstvolles, korrektes und großartiges Spiel der unter dem Licht versammelten Volumen“, wie er sie in den „Trois rappels à Messieurs les Architects“ (Drei Mahnungen an die Herren Architekten) postulierte.32 Die fünf Primärformen der Baukunst, Würfel, Pyramide, Kegel, Zylinder und Kugel, entsprechen den fundamentalen Idealformen eines platonischen Elementarismus, von dem Plato in seinem „Philebos“ spricht.33 Diese dynamische, rhythmische Auslegung des offenen Grundrisses und die radikale Neuorganisation des Raumes durch den plan libre, welche nicht mehr dekorativen, sondern konstruktiven und funktionellen Bedürfnissen und Notwendigkeiten folgten, weisen eine offensichtliche Verwandtschaft mit anderen zeitgenössischen Experimenten in der abstrakten Kunst, Malerei (Purismus, Dadaismus, Surrealismus) und dem absoluten Film auf. Le Corbusier will architektonische „Ereignisse“ während des Spaziergangs durch sein Gebäude erzeugen, die aber eine umhüllende Einheit bilden – wie eine kodierte Montage im Film.34 Die Filmkamera isoliert oder hebt ein einzelnes Bildmotiv hervor und schafft dadurch Bedeutung. Durch die Eingrenzung des
Stevens, Cavalcanti und Autant-Lara zeigt deutlich, dass es den Gestaltern vor allem darum ging, mit den Elementen eines Ausstattungskinos die Moderne für ein größeres Publikum zu popularisieren. Wegen dieses monströsen Formalismus, so einige der damaligen Gegner des Kunstspektakels, rief der Film sehr heftige Kritik hervor. Für MalletStevens musste die Ausstattung eine aktive Rolle übernehmen, zum Mitspieler werden: „Le décor doit etre intimement lié à action“. Dieses Drama oder Spiel, so Mallet-Stevens, wird zum Ausdruck und vielleicht auch zum Charakterdouble des Darstellers, sowohl als Spiegelbild für die Handlung als auch Schattenbild für die Rolle des Schauspielers. Vgl. Mallet-Stevens, Robert, Le cinéma et les arts l’architecture, in: Les Cahiers du Mois-Cinéma (No. 16 –17/1925). Zit. nach: Le décor (1928), in: IRIS No. 12 (1991), 130. 32 Le Corbusier, Vers une architecture, Paris 1923 (dt.: Ausblick auf eine Architektur (Bauwelt Fundamente Nr. 2); übersetzt v. Hildebrandt, Hans/Gärtner, Eva (Hg.), Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1963, 38). 33 Zu Platons Philebos-Dialogen vgl. u. a. Gardeya, Peter, Platons Philebos. Interpretation und Bibliographie, Würzburg 1993. 34 „Die Architektur ist eine Verkettung aufeinanderfolgender Ereignisse […].“ Le Corbusier 1929. Feststellungen zu Architektur und Städtebau, Braunschweig 1987, 149.
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Blickfelds der Kamera kommt es zu einer neuen räumlichen Ordnung der Perspektiven, d. h., durch die Kadrierung wird ein bestimmtes Raumsegment mit der Kamera ausgewählt, welches der Regisseur für die Inszenierung einer Szene festlegt, wie auch der Architekt die Blickwinkel des Auges vorzeichnet: zunächst also die reinen, purifizierten Formen, dann das Licht und sogleich die Bewegung. Aus einer strukturierten Fläche werden durch Linien, Sehachsen, Raumschichten, Schatten und Beleuchtung Formen gebildet und zu Bewegungslinien komponiert. Halten wir nun einige Punkte fest, welche die enge Verwandtschaft der neuen Bildarchitektur mit der avantgardistischen Film- und Bildsprache der Collage und Montage in technischer und stilistischer Hinsicht aufweisen: 1) Kadrierung der Architektur durch eine Vielzahl an Elementen; 2) Blicklenkung durch Kameraeinstellungen; 3) Rahmung des Bildes; 4) Maßstabsveränderungen; 5) Raummanipulationen durch inner- und transsequenzielle Sequenzen und 6) räumliche Übergänge und Ellipsen durch die Bewegung. Von der Pariser Doppelvilla La Roche-Jeanneret sagt Le Corbusier: „Man tritt ein. Gleich bietet das ‚architektonische Schauspiel‘ sich dem Blick dar. Man folgt einem vorgezeichneten Weg, und die Perspektiven entwickeln sich in großer Mannigfaltigkeit. Man spielt mit dem hereinströmenden Licht, das die Wände erhellt oder dämmrige Winkel schafft. Die Öffnungen geben die Sicht auf das Äußere frei, wo man die architektonische Einheit findet.“35
Somit verweist Le Corbusier in sehr einfacher, aber intelligenter Weise auf jene immer gültigen Eigenschaften und Qualitäten von Körpern und Gegenständen im Spiel von Licht und Schatten, welche das Objektiv der Kamera einfangen, herausarbeiten und vermitteln kann. Die Verwendung von standardisierten Elementen sollte visuelle Orientierung, Ordnung, Klarheit, Effizienz, Übersichtlichkeit und eine pragmatische Funktion im Wohnungsbau haben, die er erstmals mit dem Entwurf des Maisonette-
35 Le Corbusier/Pierre Jeanneret, Oeuvre complète 1910 – 29 (Bd. 1), hg. v. Boesiger, Willi/ Stonorov, Oskar, Erlenbach 1929, 60.
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Typus „Citrohan“ (1920) präzisierte und nach aufreibenden Querelen immerhin ein maßstäbliches Modellhaus, den „Pavillon de L’Esprit Nouveau“, auf der Internationalen Pariser Ausstellung von 1925 ausstellen konnte. Hier ist alles bereits angelegt, was bis zum Spätwerk mit einer bisher unbekannten plastischen Wucht in Erscheinung tritt und zur Sprache kommen sollte. Fazit
Mein Diskurs über die Wechselwirkungen von Film und Architektur kulminiert in der Feststellung, dass der von mir verwendete Begriff Cinetecture36 als eine Hypothese der Moderne verstanden werden könnte. Mein Rat für zukünftige Forscher, Entdecker und Filmhistoriker ist, dass man sich auf die wechselseitigen Beziehungen zwischen Architektur und Film in Theorie und Praxis beschränken soll, anstatt sich auf die endlose Suche nach immer mehr Filmbeispielen des Genres Architekturfilm in den Archiven zu machen. In meinem Beitrag war es für mich besonders wichtig und verlockend, Filmformen mit der Architektur in Verbindung zu bringen, da dies seltsamerweise kaum versucht worden ist. Meine Absicht war es zu zeigen, dass Architektur Formen, Regeln und Prinzipien des Films verwendet. Deutlich wird, dass der Architektur ein ähnliches Interpretations- und Darstellungsvermögen in erkenntnistheoretischer, wahrnehmungspsychologischer und ästhetischer Art eigen ist wie der Filmsprache. Sowohl avantgardistische Filmemacher wie Sergej Eisenstein, Dziga Vertow und Hans Richter als auch geistreiche Filmtheoretiker haben sich seit den 1920er-Jahren mit der Rolle der Architektur beschäftigt und sehr bewusst auseinandergesetzt, wenn auch nur wenig bis gar nichts in den damaligen architekturtheoretischen Diskurs eingeflossen ist. Erst seit Anfang der 1980er-Jahre im Zuge eines Revivals des Filmgenres Science-Fiction, ausgelöst durch den kanonischen Designer- und Ausstattungsfilm „Blade Runner“ (USA/Hongkong/GB 1982), wurden erst der Einfluss und die Affinität des 36 So der programmatische Titel meines schon 1995 erschienenen Buchs „Cinetecture: Film-Architektur-Moderne“ über die französische Avantgarde und ihre komplexen Berührungen und Überschneidungen von Architektur, Design, Fotografie und Film (Vgl. Weihsmann, Helmut, Cinetecture. Film-Architektur-Moderne. Mit einem Essay von Vrääth Öhner und Marc Ries, Wien 1995).
Cinetecture – Architektur im Zeitalter des Films | Helmut Weihsmann
Films mit einer re-kodierten und postmodernen Architektur wiederentdeckt und auf breiter Basis kulturgeschichtlich diskutiert und analysiert. Diesem Aspekt der strukturellen und semiotischen Wechselwirkungen von Film- und Architektursprache sind heute zahlreiche Untersuchungen und theoretische Arbeiten über das Werk von Jean-Luc Godard oder Michelangelo Antonioni gewidmet. Einer geschärften Wahrnehmung für die Bedeutung von Raum und Rahmen im Kino ist es zu verdanken, dass sich mehrere zeitgenössische Architekten den Grundthemen der Filmarchitektur angenähert haben. So ist der gebürtige Schweizer Bernhard Tschumi einer der ersten Architekten seiner Generation der New-Wave-Architektur gewesen, der unter dem Einfluss der Film- und Montagetheorien eines Sergej Eisensteins bildreiche theoretische Manifeste wie „Manhattan Transcripts“ (1994) oder „Architecture und Disjunction“ (1994) verfasste oder architektonische Szenarien (storyboards) entwarf, bevor er diese formalen Experimente und Gedanken in reale Architekturen übertrug. Wenn auch Tschumis theoretische Erkenntnisse direkt aus dem Umfeld des Poststrukturalismus eines Jacques Lacan oder aus dem neueren Dekonstruktivismus im Sinne des französischen Denkers Jacques Derrida entstammten, stand er ebenso unter dem Einfluss der neueren Film- und Montagetheorien von André Bazin oder Gilles Deleuzes neuartiger Konzeption eines Bewegungs- und Zeitbilds. Weitere Einflüsse waren vielleicht die Semiotik des Sprachwissenschafters Roman Jakobson und die Arbeiten der Linguistin und Literaturkritikerin Julia Kristeva aus der poststrukturalistischen Lacan-Schule. Tschumi hat sich im Zuge seiner experimentellen Untersuchungen zur inhaltlichen und formalen Raumorganisation mit dem Event-Charakter der Szenarios in seinem Raumprogramm bewusst mit den filmischen Mitteln auseinandergesetzt: Schnitttechnik, Kadrierung und Bewegungssequenz. Wie beim mise en scéne eines Films zielt Tschumi darauf ab, sowohl die Strukturierung des Raumes in Sequenzen zu ordnen als auch durch Rahmung die Akzente und Effekte seiner Bauten zu betonen. Neben Tschumi haben sich in jüngster Zeit auch viele seiner Altersgenossen in ihren Projekten und Bauten ebenso viele Anregungen und Anleihen vom Film geholt, beispielsweise Rem Koolhaas bei der „Villa dall’Ava“ (Paris, 1991), Peter Zum-
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thor beim „Thermalbad Vals“ (Vals, 1996), Massimiliano Fuksas beim „Einkaufszentrum Europark“ in Salzburg (1997), Zaha Hadid beim Wissenschaftsmuseum „phæno“ in Wolfsburg (2005) oder das junge Schweizer Büro Gigon & Guyer beim „Museum Linner“ in Appenzell (1998). Die durch den Film geformte Sehweise veränderte auch die Wahrnehmung der Rezipienten von Architektur und Raum. Indem das Kino neue Möglichkeiten der Wahrnehmung schuf, veränderte sich wiederum die Gestaltung der Architektur. Beim Film wird die emotionale Einbindung des Zuschauers durch neuartige Raumwirkungen und Raumbildungen motiviert. Im Kino wird usurpiert, ausprobiert und propagiert, was die sogenannte Moderne Architektur in ihrer Genese und Geschichte seit der Erfindung der Kinematografie hervorgebracht hat. Es werden allerdings auch abweichende bzw. alternative Positionen formuliert. Eines ist aber gewiss: Selten wurde Architektur als Medium so leidenschaftlich, so suggestiv, so visionär-kühn und bildhaft aufgefasst und dargestellt wie im Kino. Der Film trieb das Fantastische, das Unmögliche, das Irrationale und das Leidenschaftliche in jeder Kunstdisziplin zum Äußersten und beflügelte die Fantasie der Künstler und der Zuschauer.
Türme von Notre Dame: Werdet Bild! Technische Medien und ihr Bild der Architekturgeschichte
Rolf Sachsse
„Gott sprach: Es werde Licht [...]. Jetzt kann man den Türmen von Notre Dame befehlen: Werdet Bild! und die Türme gehorchen.“1 Als der Pariser Kunstkritiker Jules Janin diesen Satz schrieb, hatte das von ihm beschriebene Verfahren des L.J.M. Daguerre noch keinen Namen, und für die Technik der damit möglichen Bildwerdung interessierte er sich auch nicht. Aber hellsichtig sah er, was in Zukunft aus diesem – modern gesprochen – bildgebenden Verfahren kulturell wahrscheinlich wird, und dazu gehörte eine fundamental andere Sicht auf die Architektur. Denn diese wird fortan noch stärker zu einem Bild, als sie es bereits zu Zeiten großer Druckauflagen von Vedutenstichen und Entwurfsblättern gewesen war.2 Für Janin wird jeder Bau – wie auch jedes Bild eines Menschen, aber dort war diese Entwicklung durch den Scherenschnitt vorbereitet – zur Miniatur, die man in der Tasche davontragen kann; und viele dieser Miniaturen kann man nebeneinander legen, um sie zu vergleichen. Denn es ist ein Spezifikum des Mediums Fotografie, dass es selten oder nie als Einzelbild daherkommt – die Kunst mit Fotografie sei hier einmal ausgenommen –, sondern nahezu immer in Gruppen, die in der einen oder anderen Weise angeordnet, sortiert, archiviert und wieder neu gegliedert werden können und damit unterschiedliche Narrative bereitstellen.3 Eines dieser Narrative heißt Architekturgeschichte, 1 2
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Janin, Jules, Der Daguerreotyp (1839), in: Kemp, Wolfgang (Hg.), Theorie der Fotografie, Band 1: 1839 –1912, München 1980, 46 – 51. Vgl. Kieven, Elisabeth, Architekturzeichnung. Akademische Entwicklungen in Rom um 1700, in: Sonne, Wolfgang (Hg.), Die Medien der Architektur, Berlin/München 2011, 15 – 32. Vgl. Pollock, Griselda, Aby Warburg and Mnemosyne: Photography as aide-mémoire, Optical Unconscious and Philosophy, in: Caraffa, Constanza (Hg.), Photo Archives and
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davon abgeleitet sind: Kunstgeschichte, Denkmalpflege, vor allem die Ausbildung zur Architektin oder zum Architekten. Das mediale Gegenstück zu diesem Bildgebrauch liefert im Februar 2013 das dänische Fernsehen: Während der Anmoderation eines Features zum syrischen Bürgerkrieg wird als Hintergrundbild ein Blick über die Altstadt von Damaskus gezeigt, im milden Seitenlicht eines späten Nachmittags. Die Szenerie entstammt jedoch nicht einer Fotografie aus dem Archiv, sondern ist ein Screenshot des Computerspiels „Assassin’s Creed I“, das laut Plot im Damaskus des Jahres 1188 spielt.4 Gezeigt werden soll – als positive Präsupposition des Senderauftrags einmal unterstellt – die kulturelle Bedeutung einer der ältesten Städte der Welt, die in den 6.000 Jahren ihrer Existenz selten so zerstört war wie nun durch das Wirken eines störrischen Diktators. Hier wird ein anderes Narrativ entworfen: Die reine Wirkung, das medial gut Vermittelbare gibt es nur noch in der Simulation, mit deren Hilfe das politische und historische Geschehen zum Teil eines großen Spiels wird. Leider verlieren – ganz wie im antiken Spielgeschehen zur Belustigung von fast durchwegs männlichen Herrschern und Macht-Teilhabern – in diesem Spiel viele Menschen ihr Leben. Doch darum muss sich ein dänischer Fernsehzuschauer keine Gedanken machen; das computergenerierte Damaskus ist einfach viel schöner als jede, auch die historische, Realität – und kein noch so blutiges Spiel kann ihrer Integrität etwas anhaben. Im Folgenden sei ein kurzer Bogen über einige wichtige technische Medien zur Darstellung von Architektur- und Stadtgeschichte geschlagen, mit jeweils eigenen Paraphrasen zur Wirksamkeit im Alltag der Rezipienten, zu denen der Autor wie die Leser/-innen dieser Zeilen selbst gehören. Das Augenmerk liegt dabei weniger auf den unzweifelhaft großartigen Leistungen, die Künstler/-innen und Designer/-innen in diesen Medien erbracht haben, sondern auf dem alltäglichen Durchschnitt im ästhetischen Gebrauch, der immer auch in einem sozialen und politischen Raum angesiedelt ist. Diese einzelnen
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the Photographic Memory of Art History, Kunsthistorisches Institut in Florenz, I Mandorli Band 14, München/Berlin 2011, 73 – 97. Alexander Knorr, damascus it is, http://xirdalium.net/2013/03/11/damascus-it-is/ [Stand: 06.02.2015].
Türme von Notre Dame: Werdet Bild! | Rolf Sachsse
Mediengeschichten verflechten sich zu einer komplexen Gebrauchslandschaft, die als Heterotopie individueller Lebensführung anzusehen ist. Gerade unter den Bedingungen einer ubiquitären Vernetzung von Menschen und Maschinen kann sie zur Definition eines metamedialen Blicks auf Architektur und ihre Geschichte beitragen. Die Fotografie
Überspitzt formuliert, sind Wissenschaften wie Kunst- und Architekturgeschichte ohne Fotografie kaum vorstellbar.5 Weder eine Denkmalpflege, ein Historismus noch große Teile der wissenschaftlichen Architekturgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert sind ohne große Bildkampagnen denkbar, die es ab Beginn der 1850er-Jahre gab. Dabei treffen sich bürgerliche Engagements für den Erhalt und die Rekonstruktion von Gebäuden wie von urbanen Komplexen mit dem dilettantischen Vergnügen am Herstellen von fotografischen Aufnahmen. Das Ergebnis sind zunächst große Bilderberge von Reisefotografien und kleine Alben von speziellen Objekten, die sowohl vor Ort – etwa in Venedig, Istanbul oder Jerusalem – als auch über Abonnementsbuchhandlungen in West- und Mitteleuropa vertrieben werden.6 Die Bilder sind sowohl Panoramen von hochgelegenen Standorten als auch einzelne Ansichten wichtiger Gebäude, gern – soweit technisch möglich – auch im alltäglichen Verkehr von Straßen und Plätzen. Mit der beginnenden Ausbildung profaner Architekten in den 1860er-Jahren setzt dann eine Sammelleidenschaft vieler Hochschullehrer ein, die sich bis heute in großen Fotobeständen universitärer Architektur-Institute niederschlägt.7 Nicht verwunderlich, dass diese Entwicklung einen immanenten Umschlag in produktives Handeln mit sich bringt: Ebenfalls ab den 1860er-Jahren werden zahlreiche Mappenwerke mit bei5
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Für zahlreiche Einzelnachweise des Folgenden vgl. Sachsse, Rolf, Bild und Bau. Zur Nutzung technischer Medien beim Entwerfen von Architektur, Braunschweig/Wiesbaden 1997. Vgl. Sachsse, Rolf, Architekturfotografie des 19. Jahrhunderts an Beispielen aus der Fotografischen Sammlung des Museums Folkwang, Berlin 1988. Vgl. Nerdinger, Winfried/Blohm, Katharina (Hg.), Architekturschule München 1868 –1993. 125 Jahre Technische Universität München (Ausstellungskatalog, München Akademie der Schönen Künste), München 1993.
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spielhaften Ausführungen gängiger Bauaufgaben wie Villen, Mietshäusern und Fabriken herausgegeben, derer sich Makler, Maurer und Mietspekulanten nur bedienen mussten, um zu erkennen, wo und in welcher Form sich der optimale Nutzen des eingesetzten Kapitals erzielen lässt. Medial verschmelzen diese Mappenwerke um 1900 – vor allem nach der Einführung der Autotypie als Bilddruck-Vorbereitung – mit dem Angebot illustrierter Zeitschriften, unter denen sich nach der Stil bildenden „Jugend“ Spezialmagazine wie „Deutsche Kunst und Dekoration“ hervortun: Hier posiert dann die schöne Ehefrau des Architekten und Werkbund-Gründers Hermann Muthesius im Reformkleid am Klavier der frisch erbauten Villa im Berliner Westend und setzt – parallel zu den Pariser Modemagazinen, die gerade in Deutschland große Verbreitung finden – die architektonische Moderne mit dem großbürgerlichen Lebensstil gleich, der zum Signet der Weimarer Republik werden wird.8 Insgesamt kann die Architekturgeschichte der Moderne direkt mit der Geschichte der – im heutigen Wortgebrauch: analogen – Fotografie in eins gesetzt werden.9 Von den historistischen Vorlagenwerken über die Archive moderner Architekten, wie Peter Behrens und Walter Gropius bis zur ausgefeilten Medienpraxis eines Frank Lloyd Wright, Erich Mendelsohn, Mies van der Rohe oder LeCorbusier, und all deren Wiederbelebungen nach dem Zweiten Weltkrieg zieht sich ein historischer Strang, welcher der Fotografie zunehmende Wertschätzung und Autonomie gegenüber dem genialen Entwurfsmythos der Architektur einräumt. Diese Entwicklung beginnt mit der – bis in die heutige Kunstszene und Auktionsangebote reichenden – Einschätzung einzelner Architekturfotografen als Künstler, wofür Namen wie Albert Renger-Patzsch, Werner Mantz, Arthur Köster, Hugo Schmölz sen. et jun., Ruth Lauterbach, Anne Winterer, Ruth Hallensleben, Julius Shulman und Tomas Riehle stehen können (Abb. 1). Sie führt letztlich bis zur eigenen Schulbildung einer – nicht mehr an der architektonischen Praxis selbst orientierten –
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Vgl. Willett, John, Explosion der Mitte. Kunst + Politik 1917– 1933, München 1981. Für Einzelnachweise zu dieser These vgl. Sachsse, Rolf, Geschichtslose Bilder vom Alten und Neuen Bauen. Zur Analogie der architektonischen Moderne (1912 –1960) mit den Medien, in: Zimmermann, Clemens (Hg.), Stadt und Medien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Freitag, Werner (Hg.), Städteforschung, Köln/Weimar/Wien 2012 (Reihe A: Darstellungen Bd. 85), 131–152.
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Abb. 1: Bernhard Pfau, Villa in Mehlem bei Bonn, Aufnahme Hugo Schmölz sen., 1934
künstlerischen Dokumentarfotografie in Leipzig und Düsseldorf, die mit Namen wie Annette Stuth, Matthias Hoch, HansChristian Schink oder Candida Höfer, Thomas Struth, Thomas Ruff und Andreas Gursky das obere Ende einer internationalen Wertschätzung von Architekturfotografie als bildender Kunst markiert. Am Ende dieser – inzwischen wieder abwärts schwingenden – Aufmerksamkeitskurve mag das Sprüchlein zweier Architekten stehen, die sich zunächst mit temporären Bauten einen Namen gemacht hatten, inzwischen aber auf eine weit verzweigte Baupraxis schauen können. Im Katalog eines Architekturfoto-Wettbewerbs notierten sie: „Gebäude gehen, Fotos bleiben.“10 Das ist nicht mehr und nicht weniger als die Umkehrung der Architekturgeschichte: Aus der Mutter aller Künste und der Referenz menschlichen Schutzes ist eine kurzfristige Behausungspraxis geworden, der im medialen Archiv eine stärkere Überlieferung zugetraut wird als im materiellen Bestand. Die Abrissdokumentation ist zwar von Anfang an Teil fotografischer Praxis in der
10 db architekturbild (Hg.), Urbane Räume (Ausstellungskatalog, Europäischer Architekturfotografie-Preis 2003), Stuttgart/München 2003, 119.
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Architekturgeschichte gewesen, doch dass diese der Bauplanung selbst eine kürzere Existenz vorsieht als die des medialen Dokuments, ist selbst wieder eine mediale Erfahrung. Und: Selbst wenn die Überlieferung von Reproduktionen gesichert wäre und als einzige Funktion der Fotografie für die Architekturgeschichte und ihre Darstellung übrig bliebe, so hätten und haben andere Medien bereits seit Langem eigene narrative Stränge in diesem Bereich entwickelt. Der Film
Eine der ersten, öffentlich vorgeführten Filmsequenzen ist die Aufnahme der Gebrüder Lumière von der Einfahrt eines Zuges in den südfranzösischen Ort La Ciotad.11 Auch wenn in diesem kurzen Streifen die Stadt kaum zu sehen ist, so markiert doch der Bahnhof mit den wartenden Personen, dem Plafond und einem uniformierten Amtsträger deutlich einen urbanen Kontext, der für den Anlass einer Zugverbindung sorgt und somit selbstverständlicher Teil des Films ist. Zehn Jahre später ist die Architektur bereits Teil des Settings und als solche stilbildend: Sowohl Edwin Porters „The Great Train Robbery“ (USA 1903), der mit den Holzhäusern an der Eisenbahn die Architektur des Western-Films ikonisiert, als auch Fred A. Dobsons „Skyscrapers of New York“ (USA 1906) (Abb. 2), bei dem die Hochhäuser nahezu die gleiche Rolle spielen wie die Protagonisten der Story, begründen eine feste Konnotation des Filmischen mit dem Urbanen.12 Damit ist der Film nicht nur von der Rezeption in Jahrmarkt und Varieté befreit, was erst eine Indus-
Abb. 2: F red Dobson (Regie), The Skyscrapers of New York, American Mutsocope Co. 1906, Screenshot
11 Vgl. www.youtube.com/watch?v=v6i3uccnZhQ [Stand: 06.02.2015]. 12 Vgl. Schober, Anna, Stadt im Film. Stadt als Film. Überlegungen aus der Sicht der Kulturwissenschaften, in: Zimmermann, Clemens (Hg.), Stadt und Medien (s. Anm. 9), 217– 247, hier 230 – 231.
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trie à la Babelsberg und Hollywood ermöglichte,13 sondern der filmische Raum selbst wird zum Vorstellungsraum architektonischer Wahrnehmung, der sich in der Rezeption direkt vor das eigene Erleben schieben kann, durch das zeitlich strukturierte Drama weit mehr als im stillen Bild der Fotografie.14 Fortan, und ganz besonders im frühen Spielfilm der 1920er-Jahre, wird die Architektur immer eine wesentliche Rolle im Verständnis des jeweiligen Plots spielen;15 das gilt für alte Architektur vom „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (D 1920) bis zu den antiken Historienfilmen der 1950er-Jahre à la „Ben Hur“ (USA 1959) ebenso wie für die Moderne von „L’Inhumaine“ (F 1924) über „Metropolis“ (D 1927) bis Menzies’ „Things to Come“ (GB 1936).16 Gerade die (städte-)baulichen Utopien dieser Filme – sicher aus der Architekturgeschichte entlehnt, die gerade um diese Zeit fundamentale Werke zur „Architektur, die nie gebaut wurde“, vorlegte17 – drehen die bisherige Rangfolge der Künste um: Jetzt wird die mediale Architektur wichtiger als die gebaute, mindestens in der Rezeption von Millionen Kinozuschauern/ -innen. Auch das wurde in einem Film bereits versucht, doch weitgehend ohne Erfolg; 1949 dreht King Vidor mit „The Fountainhead“ (USA 1949) eine mehr oder minder nah an der Biografie von Frank Lloyd Wright entwickelte Fiktion. Umgekehrt sind es die Künstler-Fotografen Charles Sheeler und Paul Strand, die 1921 mit „Manhatta“ (USA 1921) den ersten Film drehen, in dem Architektur und Stadt die Hauptrollen übernehmen. Offensichtlich ist das Thema so erfolgreich, dass es nur wenige Jahre später bereits als „Seuche“ bezeichnet werden kann,18 und das, noch bevor Walter Ruttmann 1927 mit „Berlin – Die Sinfonie der Grosstadt“ (D 1927) den ultimativen Stadtfilm
13 Vgl. Kreimeier, Klaus, Die UFA Story. Geschichte eines Filmkonzerns, München 1995, 19 – 21. 14 Vgl. Brod, Max, Kinematographentheater, in: Schweinitz, Jörg (Hg.), Prolog vor dem Film, Nachdenken über ein neues Medium 1909 –1914, Leipzig 1992, 15 –17. 15 Vgl. Hommel, Michael, De demonische stad. De expressionistische representatie van de Groszstadt in twee films uit de Weimarperiode: „Von morgens bis Mitternacht“ en „Die Strasse“, in: Aspecten van Het Interbellum. Beeldende Kunst, Film, Fotografie, Cultuurfilosofie en Literatuur in de Periode tussen de twee Wereldoorlogen, Leids Kunsthistorisch Jaarboek 7. Jg., S’Gravenhage. 1988 (1990), 268 – 290. 16 Vgl. Albrecht, Donald, Architektur im Film. Die Moderne als große Illusion (Designing Dreams. Modern Architecture in the Movies), ergänzt um Bilder und Texte zum deutschen Film zwischen 1920 und 1933, Basel/Boston/Berlin 1989. 17 Vgl. Ponten, Josef, Architektur, die nicht gebaut wurde, 2 Bde., Stuttgart 1925. 18 Günther, Walter, Städtefilme. Bemerkungen zu einer Seuche, o. O. 1925 sowie Günther, Walter, Städtefilme, Berlin 1928.
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der Filmgeschichte vorlegt.19 Kulturfilm-Regelungen des NS-Regimes tun ein Übriges zum Erfolg des Genres auch über 1945 hinaus: Die Wochenschau-Kinos zeigen ab Ende der 1930er-Jahre bis weit in die 1960er-Jahre hinein jede Woche mindestens einen Städtefilm im sogenannten Kulturprogramm rund um die Nachrichtenblöcke.20 Einerseits fallen diese Filme in die Kategorie Werbung – eine Stadt wie Gelsenkirchen brachte zwischen 1951 und 1996 fast jedes Jahr einen solchen Film heraus und stellte eigens einen Kameramann dafür ein.21 Andererseits konnten Filme wie „Housing Problems“ (GB 1935) von Edgar Anstey und Arthur Elton schon 1935 trotz ihrer Finanzierung durch die Londoner Gaswerke soziale Schwierigkeiten von Energieversorgung bis Hygiene thematisieren.22 Gestalterisch allerdings scheinen diese Stadtfilme nach der Etablierung des Genres kaum Fortschritte gemacht zu haben: Meist werden große Panoramen einer Stadt entworfen, dazu – gern an einzelnen Protagonisten fixiert – der rote Faden eines Tagesablaufs oder einer Tour durch die Stadt präsentiert, und alles läuft am Ende auf die nächtlich illuminierte, moderne Großstadt hinaus, die auch schon bei Ruttmann als Ultima Ratio urbaner Architekturgeschichte aufscheint.23 Die Städtefilme nach dem Zweiten Weltkrieg führen den schnellen Wiederaufbau und die moderne, saubere, hygienisch wie sozial einwandfreie Stadt des bundesdeutschen Wirtschaftswunders oder des DDR-Wirtschaftsplans vor. Spannender erscheint dagegen Alfred Waggs „Germany: A Family of the Industrial Ruhr“ (BRD 1958), der als Unterrichtsfilm für US-Soldaten, die in Deutschland stationiert werden sollen, diente und ein recht differenziertes Bild aus Umweltverschmutzung, sozialer
19 Vgl. Uricchio, William C., Ruttmann’s Berlin and the city film to 1930, PhD. microfilm, New York 1982. 20 Vgl. Ziegler, Reiner, Kunst und Architektur im Kulturfilm 1919 –1945, Konstanz 2003, 74 –109. 21 Bis 2011 bot die Stadt Gelsenkirchen diese Filme im Internet zum Einzelkauf an; seither sind sie über das LWL-Medienzentrum Münster verfügbar. Vgl. Minner, Katrin/Springer, Ralf, Stadtporträts aus dem Revier. Castrop-Rauxel, Marl und Gelsenkirchen im Wirtschaftswunder, Begleitheft zur DVD-Edition, Münster 2012. 22 Vrääth Öhner, Opfer für Experten. Über das dokumentarische Verfahren im Film „Housing Problems“ (1935), in: Schwarz, Werner Michael/Szeless, Margarethe/ Wögenstein, Lisa (Hg.), Ausstellungskatalog zur Ausstellung Ganz unten. Die Entdeckung des Elends, u. a. Wien 2007, 163 –165. 23 Vgl. Günther, Lutz Philipp, Die bildhafte Repräsentation deutscher Städte: Von den Chroniken der frühen Neuzeit zu den Websites der Gegenwart, Köln/Wien 2009 (Diss. Ing. Stuttgart 2007). Vgl. auch Neumann, Dietrich, Film und Licht. Neue Medien in der Architektur und die Architektur als Medium, in: Sonne, Wolfgang (Hg.), Die Medien der Architektur (s. Anm. 2), 99 –130.
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Ordnung und städtischem Leben entwirft.24 Die Stadt Essen, in der der Film spielt, wird direkt mit Pittsburgh verglichen, und die Deutschen werden als fleißiges, gläubiges und ordnungsliebendes Volk präsentiert. Städtefilme wurden in WochenschauKinos vorgeführt, genauso wie die zahlreichen Werbefilme für Automobile, Zigaretten und andere Konsum-Objekte des Wirtschaftswunderlands Bundesrepublik; immer ist die Stadt die Folie des Geschehens und spielt eine entscheidende Rolle bei der Darstellung von Modernität.25 Als Sehnsuchtsmuster entspricht dieses Bild den Tausenden von Amateurfilmen, die ab Beginn der 1960er-Jahre von Touristen in Deutschland und anderswo gedreht werden – in ihnen spielt die Architektur als Bedeutungsträger mehr denn je die Hauptrolle.26 Gegen diese Biederkeit wehrt sich das Filmschaffen wie alle anderen Kulturträger ab Mitte der 1960er-Jahre, doch genuin zivilisations- und architekturkritische Filme, wie sie in Frankreich mit Jacques Tati etabliert werden, bleiben sowohl in der Bundesrepublik als auch in Hollywood selten.27 Mit Alexander Kluges Kurzfilm „Brutalität in Stein“ (BRD 1961) beginnt jedoch eine kritische Sicht auf Architektur, die als Tradition des Dokumentarischen von ihm und Edgar Reitz über Harun Farocki bis zu jungen Filmautoren wie Michael Glawogger reicht.28 Diese Rolle übernimmt mit den frühen 1970er-Jahren ein anderes, zunächst per se künstlerisches Medium: das Video. Das Video
Schon von seiner materiellen Entwicklung her ist das Medium Video eng mit der musikalisch geprägten Geschichte der Pop-Kultur verbunden und deren Aneignung von Welt durch
24 Vgl. Wagg, Alfred, Germany: A family of the industrial Ruhr (1958), http://archive.org/ details/GermanyA1958 [Stand: 06.02.2015]. 25 Vgl. die begleitende CD zu Grosche, Michael/Grieger, Manfred (Hg.), 50 Jahre Volkswagen Werbung, Hamburg 2002. 26 Zum Begriff vgl. Bandmann, Günter, Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Berlin 1961. 27 Vgl. Nerdinger, Winfried (Hg.), Die Stadt des Monsieur Hulot: Jacques Tatis Blick auf die moderne Architektur (Ausstellungskatalog, Architekturmuseum München), München 2004. 28 Vgl. Keazor, Henry, Industrial Cities and Industrial Works in the Documentaries of Michael Glawogger: From „Megacities“ (1998) to „Working Man’s Death“ (2005), in: Zimmermann, Clemens (Hg.), Industrial Cities. History and Future, Frankfurt am Main/New York 2013, 345 – 361.
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möglichst exakte Kopie des Vorhandenen prägt auch die frühe Nutzung jener Aufzeichnungsverfahren, die das hörbare Magnettonband um die Sichtbarkeit
erweitert.29
Im
Gegensatz zum Film, dessen Vor- und Frühgeschichte bereits Züge einer Professionalisierung
erkennen
ließen,30
hatte das Video von Anfang an den Nimbus eines partizipatorischen Mediums, bei dem die Produktion, Konsumption und
Abb. 3: P eter Weibel, Das Publikum als Exponat, Video-Installation 1969
Rezeption in ad hoc gebildeten Kleingruppen der Gesellschaft verblieb oder mit dem Titel einer Installation von Peter Weibel aus dem Jahr 1969 „Das Publikum als Exponat“31 (Abb. 3) beschrieben werden kann. Geerbt hatte das Video diese Qualität aus künstlerischen Praktiken, die als Situationismus bekannt geworden waren: Wichtigstes Element dieser Praxis war ein zielloses wie gezieltes Umherstreifen in der Stadt – Guy Debord hatte es exemplarisch für Paris vorgeführt und in ein Manifest eingebracht32 –, bei dem nichts zu unbedeutend war, um nicht präzise registriert zu werden.33 Hatte der Situationismus schon den Blick auf Stadt und Architektur durch künstlerische Praktiken verändert, so war zudem mit dem Ende der 1960er-Jahre das partizipatorische Engagement zahlreicher Bürger/-innen gerade durch ein neues Bewusstsein für bauliche Veränderungen in der Stadt geweckt worden. Die29 Grundlegend vgl. Herzogenrath, Wulf (Hg.), Videokunst in Deutschland 1963 –1982 (Ausstellungskatalog, Videobänder Videoinstallationen Video-Objekte Videoperformances), Stuttgart 1982. Vgl. auch Blase, Christoph, Vergessene Videos und vergessene Apparate, in: ders./Weibel, Peter (Hg.), 40JahreVideokunst.de Teil 2, Ostfildern-Ruit 2010, 16 – 33. 30 Vgl. Altenloh, Emilie, Zur Soziologie des Kinos. Die Kino-Unternehmung und die sozialen Schichten ihrer Besucher (Diss. phil.), Heidelberg 1914, 13 – 23. 31 Vgl. Rosen, Margit, Das Publikum sieht sich – zum ersten Mal. Der Betrachter wird zum Ausstellungsobjekt, in: Blase, Christoph/Weibel, Peter (Hg.), 40JahreVideokunst.de Teil 2 (s. Anm. 29), 312 – 316. 32 Vgl. Debord, Guy, Le société de spectacle, Paris 1967, www.antiworld.se/project/ references/texts/The_Society%20_Of%20_The%20_Spectacle.pdf [Stand: 06.02.2015] 33 Vgl. Urban, Anette, Interventionen im public/private space. Die Situationistische Internationale und Dan Graham, Berlin 2013.
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ses bediente sich sowohl der Fotografie – meist in Form von Wandzeitungen und/oder kleinen, billig im Offset-Verfahren gedruckter Broschüren – als auch des Video-Verfahrens.34 Schon das Drehen entsprach weniger dem Filmen, das inzwischen zu einem hoch arbeitsteiligen Teamwork herangewachsen war, als dem amateurhaften Doppel- oder Super-8-Aufnehmen familiärer Lebenshöhepunkte. Dazu kam eine ähnliche Aufführungspraxis: Monitore gab es überall, und ab Ende der 1970er-Jahre hatten die besseren Fernsehgeräte auch passende Buchsen für die Video-Einspielung.35 Aber wesentlicher war die in allen Bildkünsten bereits weit fortgeschrittene Ideologie des In-Eins-Fallens von Kunst und Leben, wie es Künstlerpersönlichkeiten à la Andy Warhol und Joseph Beuys eindrucksvoll demonstrierten: Ersterer durch seine eigene Medienpraxis, Letzterer durch Proklamation und Performance.36 Dieses In-eins-Fallen führte – neben allen anderen Faktoren – den Blick zurück auf die Wohn- und Sozialverhältnisse der eigenen Existenz, und die wurde am sinnfälligsten durch Architektur repräsentiert. Video ist das wohl erste Medium, das weder als Architekturwerbung fungiert – wie es die Fotografie tat – noch als Darstellung von Architektur als Traum- und Alptraumraum – was die Funktion vieler Filme mit Architektur war. Ein wesentlicher Faktor dieser Wirkung war die schlechte Qualität des Videobildes, das – wie zuvor schon im fotografischen Bildjournalismus bis hin zur NS-Propaganda erprobt37 – als quasi technischer Garant authentischer Darstellung galt. Im Wiener Aktionismus eingeführt, in den frühen Selbstdarstellungen der Hippie-Kommunen praktiziert, vermittelte die Video-Aufzeichnung, zumal sie im vor- und semiprofessionellen Bereich meist als schwer editierbar galt, eine direkte Teilhabe am Geschehen, bei dem Film-, Seh- und Rezeptionszeit in eins fielen. Insofern war das Medium auch stärker als der Film, und mindestens ebenso wie die Fotografie, eine Referenz für die Einbindung 34 Vgl. Ganley, Gladys D./Ganley, Oswald H., Global political fallout: the first decade of the VCR 1976 –1985, Norwood 1987. 35 Vgl. Blase, Christoph/Weibel, Peter (Hg.), 40JahreVideokunst.de Teil 2 (s. Anm. 29). 36 Vgl. Honnef, Klaus, Andy Warhol. 1928 –1987. Kunst als Kommerz, Köln 1989. Vgl. auch: Harlan, Volker/Rappmann, Rainer/Schata, Peter, Soziale Plastik. Materialien zu Joseph Beuys, Achberg 1976. 37 Vgl. Jäger, Jens, Fotografie als historisches Dokument, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 32 (2012), Heft 124, 13 –18.
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der Betrachtenden in die Bildproduktion, bis hin zu den ClosedCircuit-Installationen von Nam June Paik bis Dieter Kießling.38 Aus dem medienhistorischen Blick des frühen 21. Jahrhunderts auf die 1960er- und 1970er-Jahre kann die Einführung der VideoTechnologie sicher als Vorbereitung der Digitalisierung aller Medien bezeichnet werden. Insbesondere im Bereich interaktiver Angebote ist die Schnittmenge zwischen Video- und digitaler Technologie groß, was zum einen an der weiteren Übertragung audieller Aufzeichnungs-, Speicher- und Wiedergabeverfahren im Wechsel von analog zu digital auf audiovisuelle Basistechnologien liegt, zum anderen an den Anwendungen in bildender Kunst und Spiel. Der aus dem Bereich der Pop-Musik kommende Multimedia-Künstler Jeffrey Shaw – von ihm stammen wichtige Elemente der Shows von Pink Floyd aus den 1970er-Jahren – tendierte schon bei seinen Installationen der 1980er-Jahre zu extrem komplexen Angeboten aus Text, Grafik, Klang und Handhabung. Erst nach der vollständig möglichen Digitalisierung seiner Arbeiten gelang ihm der Durchbruch mit wirklich interaktiven Kunstwerken.39 Die gleiche Entwicklung nahm jener Bereich, der als vermeintliches Schmuddelkind der Medienentwicklung lange zur gesellschaftlichen Etablierung brauchte: das Computerspiel, und in ihm alle Angebote, die unter dem Stichwort Simulation zusammengefasst werden können, denn sie rekurrieren vollständig auf den Blick auf Architektur und Städtebau. Die Simulation
Anfang der 1990er-Jahre räumt eine Installation des erwähnten Künstlers Jeffrey Shaw nahezu sämtliche Kunstpreise ab; er selbst wird zu Dutzenden von Ausstellungen eingeladen und darf schließlich am neu gegründeten Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe die Abteilung für audiovisuelle Medien aufbauen. „The Legible City“ (Abb. 4) besteht aus einem
38 Vgl. Herzogenrath, Wulf/Decker, Edith (Hg.), Video-Skulptur. retrospektiv und aktuell. 1963 –1989 (Katalog zur Ausstellung), Köln 1989, 156 f. sowie 240 f. 39 Vgl. Huhtamo, Erkki, Time Travelling in the Gallery: An Archeological Approach in Media Art, in: Moser, Mary Ann/McLeod, Douglas/Banff Centre for the Arts (Hg.), Immersed in Technology: Art and Virtual Environments, Cambridge (MA) 1996, 233 – 269, hier 249 – 256.
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fest im Boden verschraubten Fahrrad, einer großen Projektionsleinwand und einem Computer, den der/die Radfahrer/ -in wie einen Joystick oder eine Maus steuert; das Projizierte ist die Wiedergabe einer Stadtstruktur aus dreidimensionalen Buchstaben, deren Typografie immer wieder auf
Abb. 4: J effrey Shaw, The Legible City Karlsruhe, Installation, 1989 – 92
eine Konnotation von Architektur und Spiel hinausläuft, damit sowohl das Debord’sche Verfahren des „derive“ zitiert als auch die Probleme der Lesbarkeit in einer zunehmend visualisierten Gesellschaft.40 Der ungeheure Erfolg dieser Installation beruht auch auf ihrer vielseitigen Interpretierbarkeit als autonomem Kunstwerk, als Computer-Game, als Träger literarischer Bedeutungen, wie im Werk des Dichters Dirk Groenefeld, von dem Shaw die Texte schreiben ließ. Der fließende Übergang vom Video in digitale Spielwelten fand allerdings zunächst ohne Architektur statt; die meisten GameEntwicklungen der 1980er-Jahre hatten – nicht nur technisch bedingt, sondern auch von der Erwartungshaltung des möglichen Publikums her – eine eher geringe Affinität zur Architektur und insgesamt nur sehr reduzierte Vorstellungen vom Raum, in dem die erdachten Spiele stattzufinden hätten.41 Doch mit der Komplexität der Hardware-Konfektionierung wie der SoftwareEntwicklung wächst auch die Qualifizierung des Spielraums in eine zunehmende Architektonisierung hinein: Fast wie eine Menschheits-Geschichte mag die Fortschreibung der eindimensionalen Vektorisierung (etwa von „Pong“) über die Zweidimensionalität (bei „Super Mario“ und „The Lemmings“) und die Zweieinhalb-Dimensionalität (nahezu alle Spiele der Jahre um 1988 bis 1992) bis zur echten Dreidimensionalität für alle Spiele ab Mitte der 1990er-Jahre erscheinen.42 40 Vgl. Sachsse, Rolf, Von lesbaren Städten und einstürzenden Buchstaben. Zwei Phänomene und ihr möglicher Zusammenhang, in: Scheffer, Bernd/Stenzer, Christine (Hg.), Schriftfilme. Schrift als Bild in Bewegung, Bielefeld 2009, 183 –193. 41 Vgl. McGowan, Chris/McCullagh, Jim, Entertainment in the Cyberzone, Exploring the Interactive Universe of Multimedia, New York 1995. 42 Vgl. Borries, Friedrich/Walz, Steffen P./Böttger, Matthias (Hg.), Space Time Play, Computer Games, Architecture and Urbanism: The Next Level, Basel/Boston/Berlin 2007.
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Letztlich werden zwei Spiele zu Synonymen der Affinität von Computer-Game und Architektur oder Städtebau: „Simcity“ und „Tetris“. Ersteres als komplexe Städtebausimulation mit realpolitischem Hintergrund: 1989 in der ersten, sehr abstrakten Version erschienen, die ein zweidimensionales Quadratraster als städtebaulichen Entwicklungsplan zeigt, wurde das Spiel ab Herbst 1990 in Deutschland unter dem Titel „Aufschwung Ost“ vermarktet; die Bundeszentrale für Politische Bildung veranstaltete in den darauffolgenden Jahren einen Spielwettbewerb. Und die Bundessieger erhielten einen Auftrag zur Schulung zukünftiger Bürgermeister in den neuen Bundesländern. „Simcity“ entwickelte sich schnell weiter, über den axonometrischen Blick der Kavaliersperspektive bis hin zur perfekten Raumdarstellung selbst größter Städtesimulationen, in die immer mehr Gebäude aus dem Fundus der Architekturgeschichte eingefügt werden konnten. Seit den 2000er-Jahren ist das Spiel als Open-Source-Software im Netz verfügbar und wird online gespielt. Selbstverständlich ist es in den möglichen Kanon eines Architekturstudiums eingefügt.43 Die Umkehrung mag ein Spiel mit ganz eigener Geschichte darstellen: „Tetris“ wurde 1984 in der Sowjetunion als mathematisches Computerspiel entwickelt, verkaufte sich ab 1985 im Westen prächtig und brachte dem Staat wohl die ersten digitalen Tantiemen ein. Das Spiel erwies sich wie nur wenige gegenüber allen Modernisierungen als vollständig resistent und wird bis heute auf Smartphones und anderen Geräten weiter gespielt. Die Verschiebung kleiner Klötzchen hatte wohl von Anfang an das Flair eines architektonischen Handelns auf dem Niveau von Anker, Lego und anderen Baustein-Spielen. Von daher wundert es nicht, dass sich seit Beginn der 2000er-Jahre eine ganz eigene Form architektonischer Entwurfslehren und Baupraxen unter dem Namen „Tetris Architecture“ etabliert haben.44 Glücklicherweise weit davon entfernt, als Stilrichtung anerkannt zu werden, verweist die symbolische Migration dieses Begriffs von einer eher ablehnenden Charakterisierung einer gegebenen Baupraxis zur positiv konnotierten Darstellung einer 43 Vgl. Devisch, Oswald, Should Planners Start Playing Computer Games? Arguments from SimCity and Second Life, in: Planning Theory & Practice 9. (2008), No. 2, 209 – 226, auch unter: http://dx.doi.org/10.1080/14649350802042231 [Stand: 06.02.2015] 44 Vgl. Klöckner, Rudolf, Tetris in Architektur und Stadtplanung, http://urbanshit.de/?p=416 [Stand: 06.02.2015].
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Entwurfsstrategie, die sich zudem in neuen Software- und Planungsangeboten wie „Kaisersrot“ niederschlägt.45 Deutlich wird aber in beiden Fällen – dem Leben gewordenen Spiel sowie dem Spiel als Grundlage architektonischen Handelns –, wie weit sich das einzelne Medium von der Grundlage seiner solitären Existenz entfernt hat und allein durch sein integrales Wirken in einem Metamedium wie dem Internet bestehen kann. Friedrich Kittlers Analogie des einzelnen Rechners als Architektur der Hardware46 hat gegenüber einer Miniaturisierung des materiellen Transports von vernetzten Informationen ausgedient. Die Folge lässt sich symbolisch am QR-Code ablesen, der inzwischen jedem wichtigen Gebäude – vom Denkmal über die Zapfstelle für Elektrofahrzeuge bis zur Werbung für Restaurants und Bars – appliziert wird. Im Metamedium
Jedes einzelne Medium für sich stellt eine Abstraktion der realen Welt dar, von der Sprache angefangen über die Bildmedien und ihre Bewegungsformen, bis hin zu den Simulationen auf einzelnen Rechnern. Erst das Zusammenwirken und die Zusammenlegung in Metamedien wie dem World Wide Web – und auch da in verschiedenen, historisch voneinander zu unterscheidenden Stufen – scheint die Integrität dessen, was dem einzelnen Menschen als sinnlich erfahrbare Realität vor Augen und Ohren steht, massiv anzugreifen. Ein Ende dieser Entwicklungen ist noch nicht abzusehen, auch wenn sich die Schritte der Veränderungen offensichtlich verlangsamen, zumindest was ihre Anwendungen im audiovisuellen Bereich angeht. Doch einige grundsätzliche Verschiebungen in der Wahrnehmung gerade von Geschichte und speziell Architekturgeschichte lassen sich bereits seit anderthalb Jahrzehnten ausmachen; diese Entwicklungen waren selbst für die Protagonist/-inn/-en der neuen WebKultur nicht vorhersehbar. Nachdem ab Ende 1993 durch die passenden Transfer-Protokolle Web-Sites und andere Netzangebote niederschwellig 45 www.kaisersrot.ch [Stand: 06.02.2015]. 46 Vgl. Kittler, Friedrich, Hardware – das unbekannte Wesen, http://hydra.humanities.uci. edu/kittler/hardware.html [Stand: 06.02.2015].
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anzubieten waren, etablierten sich sehr schnell auch Künstler-Aktivitäten in diesen Sphären, die auf einen umfassenden Kultur-Anspruch des Lebens jenseits eines (eigenen) Körpers hinarbeiteten.47 Dieser Anspruch konnte Debatten des GenderMainstreaming beinhalten, aber auch urbane Fragestellungen betreffen, was sich zum Beispiel in einer Welle sogenannter Digitalstädte niederschlug, in denen ein neues, selbstbestimmtes, aber doch urbane Elemente enthaltendes Leben im Cyberspace erprobt werden sollte.48 Alle diese Städte existierten nur für wenige Jahre, demonstrierten aber in ihrer kurzen Geschichte einen zur Architekturgeschichte umgekehrten Weg aus der Abstraktion in die Konkretion: Waren erste Angebote wie „de digitale stad“ aus Amsterdam oder die „Container City“ des Architekten Markus Schulthess aus Luzern zwar komplexe, aber eher unansehnliche Ambiente, so wird das virtuelle Stadtleben in den nächsten Jahren zunehmend der Existenz in einem kleinstädtisch ordentlichen Kontext ähnlicher, bis schließlich die Kopie realer Städte als touristisches Werbe-Angebot diese Kunst- und Lebensform kommerzialisiert hat. Immerhin enthielten spätere Spiel-Welt-Angebote wie „World of Warcraft“ und vor allem „Second Life“ dann deutliche Reminiszenzen real gebauter Architekturen, die auf allerlei Weise paraphrasiert und ganz im Sinn einer Pop-Kultur mittels Medientransfer kopiert wurden. Am Ende steht der unendliche Bildgebrauch durch die neuen sozialen Welten, die als Spiele konzipiert und als Realität gehandelt werden. Für sie gilt in Bezug auf die Architekturgeschichte – als Entwicklung menschlicher Behausungen und bedeutender Form-Agglomerationen gesehen –, dass das alte Modell historischer Entwicklungen endgültig ruiniert wurde: Jahrhunderte und Kulturen großer räumlicher Distanz liegen als Bild im Netz nur Mausklicke voneinander entfernt; das Ordnungssystem ist der Algorithmus des jeweiligen, ökonomischen Interesses. Damit wird das Erfahren von gebauter Architektur zum Abfragen 47 Als zeitgenössische Überblicke vgl. Rötzer, Florian (Hg.), Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien, Frankfurt am Main 1991; sowie vgl. Bollmann, Stefan/Heibach, Christine (Hg.), Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur, Mannheim 1996. 48 Die folgenden Aussagen beruhen auf einer etwa 20 Texte umfassenden Kolumne des Autors, die unter dem Titel „Als Tourist in digitalen Städten“ zwischen 1999 und 2004 in der db. Deutsche Bauzeitung sowie in der Internet-Zeitschrift telepolis erschienen sind.
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nicht nur eines zuvor gemachten medialen Erlebens, hoffentlich Erinnerns – das zeigte sich schon bei den Medien Fotografie und Film –, sondern zum Abgleich eines diversifizierten Apparats von Bildgruppen oder Medienwolken mit Ahnungen von dem, was der eigene Körper vor Ort noch fühlen können sollte. Um mit Jules Janin zu sprechen: Alles wird jetzt Bild, und nichts bedeutet es mehr – der Schöpfungsmythos, der den frühen Medien Fotografie und Film noch inhärent war, hat sich in den Mythos einer ubiquitären Anerkennung wie etwa im „Like“ von Facebook verflüchtigt. Wer die Touristenströme auf dem Markusplatz in Venedig oder am Schloss von Versailles beobachtet, weiß, was dieser Bildgebrauch mit der Architekturgeschichte gemacht hat – die Erinnerung an irgendwie Aufgenommenes überdeckt jedwedes Interesse an eigener Erkenntnis. Medien sind zur harten Aufgabe für die Fragen der Geisteswissenschaft geworden.
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Wechselwirkungen zwischen Film und architektonischer Moderne
„Neue Welten der Sichtbarkeit schaffen.“ Der Lehrfilm „Die Frankfurter Küche“ als Teil der medialen Repräsentation des „Neuen Frankfurt“ in den 1920er-Jahren
Christiane Keim
Die junge Frau trägt einen Bubikopf und ein kurzes modisches Kleid, aber keine Kittelschürze. Nacheinander widmet sie sich einer Reihe von Tätigkeiten: Sie holt einen Topf aus dem Hängeschrank, füllt ihn an den Vorratsschütten mit Mehl auf, dann justiert sie die Deckenlampe über dem Arbeitstisch vor dem Fenster, um dort mit der Arbeit fortzufahren. Für diese und eine Reihe weiterer Tätigkeiten genügen ihr ein paar Schritte und einige wenige Handgriffe, denn sämtliche Gerätschaften und Utensilien findet sie in unmittelbarer Reichweite vor (Abb. 1).
Abb. 1: „ Die Frankfurter Küche“ (D 1928), Screenshot
Schauplatzwechsel: Die Arbeiter gießen den Bimsbeton in die Ausschachtungen auf dem Boden der Fabrikhalle, sie platzieren und montieren die Plattenbauteile oder hieven die Fertigteile mit einem Baukran in die zur Montage vorgesehene Position. So entsteht sukzessive, in aneinander anschließenden und aufeinander abgestimmten Arbeitsschritten – vom Haus zum Block, vom Block zur Häuserzeile – die Wohnsiedlung (Abb. 2).
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Die beschriebenen Szenenfolgen gehören zu zwei Filmen, die Ende der 1920er-Jahre gedreht wurden. Der erste Film von acht Minuten Länge trägt den Titel „Die Frankfurter Küche“,1 der zweite die Bezeichnung „Die Häuserfabrik Abb. 2: „ Die Häuserfabrik der Stadt Frankfurt am Main“ (D 1928), Screenshot
der Stadt Frankfurt am Main“.2 Gemeinsam mit einem dritten
Filmmodul, dem Streifen „Die Frankfurter Kleinstwohnung“,3 wurden die Filme in der Reihe „Neues Bauen in Frankfurt am Main“ gezeigt.4 „Neues Bauen in Frankfurt am Main“ – damit ist der thematische wie zeitliche Bezugsrahmen genannt, der die Filme miteinander verbindet. Am Beispiel der Neugestaltung Frankfurts am Main, des umfangreichsten und ehrgeizigsten städteplanerischen Großprojektes der Weimarer Republik, führen sie das „Neue Bauen“, seine gestalterischen Prinzipien und ästhetischen Konzepte vor. Beim direkten Vergleich der beiden Sequenzen fällt gleichwohl weniger das Verbindende als das, was die Filme voneinander unterscheidet, ins Auge. Zu nennen wären vor allem die Differenz der Settings und der handelnden Personen. In „Die Frankfurter Küche“ erhalten wir Einblick in einen Innenraum, in dem eine weibliche Person agiert. Die Häuserfabrik zeigt Aktionen und Akteure in den Außenräumen der für den Frankfurter Siedlungsbau ausgewiesenen Stadtteile. Wir sehen eine Anzahl männlicher Arbeitskräfte, die mit der Unterstützung von Maschinen die Siedlungsbauten errichten. Natürlich werden
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Die Frankfurter Küche, Regie: Paul Wolff, Kurz-Dokumentarfilm, Deutschland 1927, s/w, ohne Ton, 8 min. Deutsches Filminstitut – DIF. Die Häuserfabrik der Stadt Frankfurt am Main, Regie und Drehbuch: Paul Wolff, KurzDokumentarfilm, Deutschland 1927/28, s/w, ohne Ton. Dieser Film wurde in zwei Fassungen produziert: einer 12-minütigen und einer 20-minütigen. Deutsches Filminstitut – DIF. Die Frankfurter Kleinstwohnung, Regie und Drehbuch: Paul Wolff, Kurz-Dokumentarfilm, Deutschland 1928, s/w, ohne Ton, 1 Akte, 149 m. Elsaesser, Thomas, Das Neue Frankfurt im Film. Architekten-Avantgarde = Film-Avantgarde?, in: Elsaesser, Thomas/Gräwe, Christina/Schilling, Jörg/Schmal, Peter Cachola (Hg.), Martin Elsaesser und das Neue Frankfurt, Tübingen/Berlin 2009, 80 – 90.; Vincke, Kerstin, Kleine Stadt, ganz groß. Frankfurt im Dokumentarfilm zwischen 1920 und 1960, Tübingen 2009, 132 –141.
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auch in der Küche Arbeitsgänge ausgeführt, aber wird etwas produziert? Um genauer zu sein: Wird, so wie bei den Siedlungen, etwas Neues produziert? Bekommen wir nicht vielmehr das Alte und bereits Bekannte zu sehen, nämlich die Hausfrau, die entsprechend der Doktrin geschlechtsspezifisch separierter Handlungsbereiche und -orte nicht Produktions-, sondern Reproduktionsarbeit leistet? Die „Frankfurter Küche“, seinerzeit als Projekt von Frauen, der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky in Zusammenarbeit mit den Frankfurter Frauenverbänden, für Frauen, die Bewohnerinnen der Siedlungshäuser, vorgestellt, war ein Herzstück des Frankfurter Stadtumbaus.5 So kennzeichnend die erste Einbauküche für das Planungsprogramm war, so umstritten war sie auch von ihrer Entstehungszeit an. Noch neuere Beiträge aus dem Bereich der Gender Studies und der Architekturgeschichte beziehen kritisch Position, indem sie insbesondere den von den Planungsverantwortlichen erhobenen Anspruch, Innovatives schaffen zu wollen, auf den Prüfstand bringen. So konstatieren Regina Göckede und Gabriele Grawe in einem über weite Strecken klug argumentierenden Text „Das Geschlecht des Neuen Bauens“, in Frankfurt habe man die Chance vertan, geschlechtlich determinierte Raumordnungen zu revidieren, vielmehr seien „alte Wohnformen und Arbeitsteilungen lediglich den drängenden sozialen und ökonomischen Transformationen angepasst und im Sinne von Funktionalität und Effizienz modernisiert [worden]“.6 Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser. Ein innovatives Konzept der „Neuen Frau“, stellt Elsaesser in einem von mehreren Beiträgen zum „Neuen Frankfurt“ fest, habe es im Frankfurter Stadtplanungsprogramm nicht gegeben, den Frauen sei vielmehr eine neue
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Die Frankfurter Küche wird in nahezu allen Publikationen zum Neuen Bauen bzw. zur Planung des Neuen Frankfurt in der Ära May und ebenso in Veröffentlichungen zur Architektin Margarete Schütte-Lihotzky genannt und teilweise auch genauer analysiert. Verwiesen seien hier stellvertretend auf die monografische Darstellung des MAK Wien: Noever, Peter (Hg.), Die Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky, Berlin o.J. sowie Miklautz, Elfie/Lachmayer, Herbert/Eisendle, Reinhard (Hg.), Die Küche. Zur Geschichte eines architektonischen, sozialen und imaginativen Raumes, Wien/Köln/Weimar 1999. Göckede, Regina/Grawe, Gabriele Diana, Das Geschlecht des Neuen Bauens – Genderrollen und Geschlechtliche Kodifizierung im Diskurs des CIAM II, in: Barr, Helen (Hg.), Neues Wohnen 1929/2009. Frankfurt und der 2. Congrès International d’Architecture Moderne, Berlin 2011, 49 – 50.
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Rolle zugewiesen worden: im Haushalt, also in bekannter Zuständigkeit und am angestammten Ort, als eine Art Speerspitze der Modernisierung zu wirken.7 Diesen Urteilen ist sicher nicht grundsätzlich zu widersprechen, wird doch tatsächlich die Hausarbeit nach wie vor als Frauenarbeit verstanden und in den visuellen Darstellungen entsprechend präsentiert. Dennoch verschiebt sich das Bild, wenn man die Grundsätze des Frankfurter Planungsprogramms genauer betrachtet und hieraus den Stellenwert bestimmt, welchen darin sowohl die Modellküche wie der Film, der das Publikum damit vertraut machen sollte, einnehmen. Im Folgenden wird zunächst dargelegt, auf welchen Prinzipien und Leitbildern das Programm des „Neuen Frankfurt“ basierte und was dies für das Verständnis der Küche und die Zuschreibung der in der Küche arbeitenden Frau bedeutet. Der zweite Teil des Beitrages widmet sich dem Film „Die Frankfurter Küche“ und fragt sowohl nach dessen Stellenwert im Medienkonzept der Frankfurter Planungen als auch nach seiner Bedeutung für die Konfiguration eines modernen Großstadtpublikums. Das Neue Frankfurt als Modell einer integrierten Großstadtplanung
Der Frankfurter Stadtumbau gilt in der Architekturgeschichtsschreibung als Paradebeispiel für die sozial- und kulturpolitischen Zielsetzungen des „Neuen Bauens“ und ihre Verwirklichung in den 1920er-Jahren. Christoph Mohr und Michael Müller sprechen in der Einleitung ihres 1984 erschienenen Buches zur Frankfurter Stadtentwicklung in der Weimarer Republik von einem „einzigartig komplexen Unternehmen“, dessen „hervorragende Bedeutung“ im Inland wie im Ausland „unbestritten“ sei.8 Es war nicht allein die Vielzahl der Planungsschritte, die das Frankfurter Projekt von anderen Unternehmungen des „Neuen 7
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Elsaesser, Thomas, Die Kamera in der Küche: Werben für das neue Wohnen, in: Koch, Gertrud (Hg.), Umwidmungen. Architektonische und kinematografische Räume, Berlin 2005, 36 – 57, hier 41. Mohr, Christoph/Müller, Michael, Funktionalität und Moderne: das neue Frankfurt und seine Bauten 1925 – 33. Köln 1984, 11. Seither ist eine Reihe von Publikationen zur Neuplanung Frankfurts in den 1920er-Jahren erschienen. Siehe u. a. Ernst May und das Neue Frankfurt 1925 – 30 (Katalog zur Ausstellung, Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main, 28. Juli – 20. November), Berlin 1986 und jüngst Elsaesser/Gräwe/Schilling/ Schmal, Martin Elsaesser und das Neue Frankfurt, Tübingen 2009.
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Bauens“ unterschied; als einzigartig erweist sich vielmehr deren auf ein klar definiertes Ziel ausgerichtete Vernetzung. Die Protagonisten des zu realisierenden „Groß-Frankfurt“ standen, so formulierte es Ernst May, „mit festen Füßen in der heutigen Welt“ und betrachteten es als ihr Aufgabe, die erste deutsche Metropole mit „einer neuen geschlossenen Großstadtkultur“ zu formen.9 Die Voraussetzungen dafür wurden durch die Organisationsstruktur aller mit dem Stadtumbau befassten Instanzen geschaffen. Oberbürgermeister Ludwig Landmann, früh schon Vertreter zentralisierter Planungspolitik, holte 1925 mit Ernst May einen Architekten nach Frankfurt, der sich vor allem durch Erfahrungen mit dem gemeinnützigen Siedlungsbau ausgewiesen hatte. Zusammen mit dem Finanzexperten Bruno Asch, der 1925 das Amt des Stadtkämmerers übernahm, traten Landmann und May an die Spitze einer Verwaltung, die nach dem Prinzip Zentralisierung und Dezentralisierung organisiert war: Landmann gab hauptverantwortlich die politische Richtung vor, Asch kümmerte sich um die Finanzierung und May übernahm als Baudezernent und Leiter des Hochbauamtes die Planung sowie Durchführung der Baumaßnahmen. Unter diesem Dach fungierten eine Vielzahl von MitarbeiterInnen als „selbständig arbeitende Abteilungsleiter“10 in dezentralisierten Fachressorts: Martin Elsaesser als künstlerischer Leiter des Hochbauamtes, Leberecht Migge als Planer der umfangreichen Garten- und Grünflächen und der Bauhauslehrer Adolf Meyer als Chef der private Bauvorhaben prüfenden Bauberatung. Zentrale Bedeutung für die Gewährleistung des angestrebten einheitlichen „Formwille[ns]“11 hatte die Abteilung für Typisierung unter Eugen Kaufmann, die Richtmaße und Modelle für alle Bauaufgaben des Umbauprojektes entwickelte.12
9 May, Ernst, Das Neue Frankfurt, in: Das Neue Frankfurt, Heft 1 (1926/27), 3 –7, hier 4. 10 May, Ernst, Organisation der Bautätigkeit der Stadt Frankfurt am Main, in: Der Baumeister, Heft 4 (1929), 98 –104, hier 98. 11 May, Ernst, Das Neue Frankfurt, Heft 1 (1926/27), 3 –7, hier 4. 12 Zur Organisationsstruktur des Frankfurter Planungsteams siehe: Kuhn, Gerd, Landmann, Asch, May, in: May, Ernst, Ernst May und das Neue Frankfurt 1925 –1930, 20 – 24, sowie Mohr, Christoph, Personelle Konstellationen und Kompetenzen im Frankfurter Hochbauamt 1925 – 30, in: Elsaesser/Gräwe/Schilling/Schmal, Martin Elsaesser und das Neue Frankfurt, 67–73.
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Die Organisation des Planungsstabes war eine der Säulen, welche die PlanerInnen zur Durchsetzung und Wirkungsentfaltung des Programms errichteten. Die zweite, gleichermaßen wichtige Stütze des Unternehmens stellte die arbeitstechnisch und personelle Verflechtung mit der Bauwirtschaft einerseits und den städtischen Kulturinstitutionen andererseits dar. Landmann, May und Asch waren Mitglieder des Aufsichtsrates der gemeinnützigen Frankfurter Wohnungsbaugesellschaften (AG für kleine Wohnungen und Gartenstadt AG); Privatarchitekten und Vertreter des Baugewerbes wiederum gehörten einem Ausschuss an, der eng mit der Abteilung für Typisierung kooperierte.13 Der seinerzeit als Kommunist geltende May, schreibt Thomas Elsaesser, sei bei der Durchsetzung seiner Ziele durchaus undogmatisch und kompromissfreudig vorgegangen: „Er wusste, dass er für seine Vorhaben auf Spitzentechnologien des Bauwesens angewiesen war, und war deshalb auch zu politischen Kompromissen bereit.“14 Nicht nur zur Bauindustrie, sondern auch zu der 1921 aus der Kunstgewerbeschule der Polytechnischen Gesellschaft hervorgegangenen „Frankfurter Kunstschule“ unter Leitung von Ernst Wichert hielt das Hochbauamt engen Kontakt. Die Ressortleiter der Behörde lehrten in den Klassen und Werkstätten der Schule, und auf diese Weise fand die moderne Gestaltungsauffassung Eingang in die Ausbildung. Der schulischen Arbeit wiederum eröffnete sich in den Planungsprojekten des Stadtumbaus ein praxisbezogenes Anwendungsfeld: So stellten StudentInnen der Innenarchitekturklasse Möbel für Kindergärten her oder organisierten Ausstellungen.15 Die hier skizzierten Grundlagen für „Das Neue Frankfurt“ brachte Ella Bergmann-Michel, als Fotografin und Filmemacherin selbst am Großprojekt beteiligt, auf eine ebenso kurze wie einprägsame Formel: „Koordination der Vielzahl städtischer Ämter. Direkte Zusammenarbeit: Stadtplanung, Hochbauamt, Kunstgewerbeschule und freischaffende Architekten. Förderungen 13 Vgl. ebd. 14 Elsaesser, Das Neue Frankfurt im Film, 82. 15 Vgl. Hoepfner, Rosemarie, „Das Publikum wird gebeten, auf den Stühlen Platz zu nehmen.“ Frankfurter Kulturverflechtungen, in: Ernst May und das Neue Frankfurt, 25 – 34.
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schöpferischer Kräfte setzen ein und ergeben eine ausgezeichnete Teamarbeit zugunsten des Gemeinwesens, des Stadtbildes und für alle kulturellen Aufgaben.“16
Der Soziologe Walter Prigge beschreibt die Transformationen des gesellschaftlichen Raumes in den 1920er-Jahren als eine „Durchdringungsfigur“, in der die getrennten Bereiche von Politik, Kultur und Ökonomie ineinander übergingen und ein neues Verhältnis von Staat und Gesellschaft herstellten.17 Vor allem die soziale Gruppe der städtischen Intellektuellen, so Prigge, sei von Destabilisierung- und Umordnungserfahrungen geprägt gewesen. Gleichzeitig habe sie sich in die Veränderungsprozesse aktiv eingeschaltet, indem sie disziplinäre Grenzziehungen aufzuheben und spezialisierte Wissensgebiete „kooperativ zusammenzuführen“ suchte.18 Mit dem Begriff „Durchdringungsfigur“ lässt sich auch das Organisationsprinzip der Frankfurter Planungen beschreiben. „Das Neue Frankfurt“ war danach als Gesamtraum – und Raum umfasst hier die Dimensionen des materiellen, sozialen, kulturellen und symbolischen Raumes – zu verstehen, der als relationales Gefüge ausgewiesen war oder, anders ausgedrückt: als ein System aus nebeneinander geordneten und ineinandergreifenden Elementen. Ein Element stand dabei in relationaler Beziehung zum anderen, und jedes Element wiederum repräsentierte – pars pro toto – das leitende Prinzip des Gesamtprojektes. Die „konzeptive Ideologie“19 der PlanerInnen, die in Gestaltungs- und Organisationsformen sowie in visuellen und textuellen Repräsentationen Ausdruck fand, wird unter einer Reihe von Schlagworten fassbar, welche die Handlungsmaximen der Planungsverantwortlichen bezeichnen: Zentralisierung/Dezentralisierung, Mechanisierung, Typisierung, Hygiene, Körperbildung, Raum, Zeit und Mobilität. Diese in Texten und Veröffentlichungen der Gruppe um Ernst May immer wieder auftauchenden Schlüsselbegriffe sollten den Maßstab für die einzelnen Baumaßnahmen vorgeben und den Bezugsrahmen für die Einheitlichkeit des Gesamtkonzeptes bilden. Sie regelten verbindlich, was die 16 Bergmann-Michel, Ella, Die 20er Jahre in Frankfurt, in: Der Egoist, Heft 10, Darmstadt 1966, zit. nach Elsaesser, Die Kamera in die Küche, 55, dort Anm. 28. 17 Vgl. Prigge, Walter, Urbanität und Intellektualität im 20. Jahrhundert. Wien 1900. Frankfurt 1930. Paris 1960, Frankfurt am Main/New York 1996, 49 f. 18 Ebd. 19 Ebd., 71.
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Küche mit der Wohnung und auch mit allen anderen Teilprojekten des entstehenden „Groß-Frankfurt“ zu tun haben sollte. Greift man eines der Schlagworte, den Begriff Typisierung, heraus, lässt sich dies exemplarisch verdeutlichen. Den Begriff Typisierung verwendete May meist im Zusammenhang mit dem sozialpolitisch vorrangigen Ziel des „Neuen Frankfurt“, der Schaffung von preisgünstigem Wohnraum für den Massenbedarf. Um eine Massenproduktion zu ermöglichen, müssten vervielfältigbare Modelle für alle Bevölkerungsschichten entwickelt werden. „Die wichtigste Arbeit, die zu diesem Zweck zu leisten ist, besteht in der Schaffung planmäßig aufgestellter Grundrisse.“20 Die insgesamt 18 von der Abteilung für Typisierung entwickelten Grundrisse waren nach dem Prinzip der Rationalisierung angelegt. „Unnötige Wege“ sollten vermieden werden, die hauswirtschaftlichen Arbeiten „mit einem Mindestaufwand an Kraft“ zu bewältigen sein.21 Die PlanerInnen legten fest, welche Funktionen in den Wohnungen gebraucht wurden, und schufen jeweils einen Raum dafür. Was nicht der Definition von Gebrauch entsprach, wurde als überflüssig eingestuft und aus der Planlegung verbannt. Um zu verhindern, dass „veraltete, in Größe und Ausstattung ungeeignete Möbel in die Wohnungen gebracht werden“,22 entwickelte die Abteilung Typisierung, namentlich Ferdinand Kramer und Franz Schuster, „neue[n] Hausrat im Geiste unserer Zeit“23 und warb in den zur Verfügung stehenden Medien (Frankfurter Register) für die Entwürfe. Als separate Baueinheit konzipiert, stellte die „Frankfurter Küche“ einen als Modellvorgabe gedachten Typus dar. Seine Entwicklung hat Margarete Schütte-Lihotzky in zahlreichen Artikeln und Vorträgen als eine Reihe folgerichtiger Planungsschritte beschrieben. Ausschlaggebend war auch hier der Rationalisierungsgedanke: Zeit- und Wegestudien nach betriebswissenschaftlichem Vorbild, erklärte die Architektin in zahlreichen Vorträgen und Artikeln, hätten zur Entscheidung für einen reinen Arbeitsraum von 1,90 x 3,40 Meter Grundfläche geführt: 20 May, Ernst, Fünf Jahre Wohnungsbautätigkeit in Frankfurt am Main, in: Das Neue Frankfurt, Heft 1 (1930), 21–70, hier 37. 21 Ebd., 38. 22 Ebd., 50. 23 Schuster, Franz, Die Neue Wohnung und der Haushalt, in: Das Neue Frankfurt, Heft 5 (1926/27), 123 –128, hier 128.
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„Die Untersuchungen führten dazu, daß wir einen länglichen, verhältnismäßig schmalen Raum konstruierten – lang, um an den zwei Längsseiten möglichst viel Stellfläche für die Einrichtung zu schaffen, und schmal, damit man von der einen zur anderen Seite des Raumes möglichst keinen Schritt tun mußte.“24
Anschließend seien eine Anzahl „baulicher Grundlagen“ geschaffen worden: die Dunsthaube über dem Herd, der Speisekasten unter dem Fenster, der vorspringende Sockel, auf dem die Einbauelemente standen, der Müll- und Besenschrank zwischen Küche und Vorraum, der Absatz unter der Fensterbrüstung und die Wandflächen zwischen dem Abschluss der Einbauschränke und der Decke. Festgelegt wurden sowohl die Zahl der fest eingebauten, aber auch der beweglichen Einrichtungsteile wie vor allem deren Anordnung, die sich aus der Logik der in der Küche stattfindenden Arbeitsabläufe ergab. Jeder Bestandteil der „Frankfurter Küche“, von den Einbauschränken über die Kochkiste bis hin zu den „Harrer“-Schütten und den Wasserhähnen, wurde in seinen Abmessungen vereinheitlicht, d.h. normiert und auf Funktionalität getestet. Typisierung und Normierung schufen die Voraussetzungen für eine serienmäßige und damit kostengünstige Herstellung der „Frankfurter Küche“, gleichermaßen diente sie aber auch dem Ziel, zu einer Standardisierung der Arbeitspraxis im Haushalt als Teil moderner Wohnpraxis zu gelangen. Die „Frankfurter Küche“ war nach den gleichen Leitlinien und Ordnungsmaximen konzipiert wie die Wohnungen, die städtischen Großbauten, die Grünflächen, mithin alle Teil-Räume der neuen Stadt. Die Küche repräsentierte damit einen Teil des „Neuen Frankfurt“; gleichzeitig aber vertrat sie – wie die Wohnungen, die städtischen Großbauten und die Grünflächen – das gesamte Projekt. Im System des „Neuen Frankfurt“, so ließe sich pointiert formulieren, gab es keine Küche, jedenfalls keine Küche alter Prägung mehr. Das Unternehmen „Das Neue Frankfurt“ definierte die Küche neu, nämlich als „Frankfurter Küche“. Gab es dann, das wäre die sich hier anschließende 24 Schütte-Lithotzky, Margarete/Noever, Peter (Hg.), Die Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lithotzky, Berlin 1992, 7 f.
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Frage, auch keine Hausfrau im herkömmlichen, differenzideologischen Sinne mehr? Wurde auch die Figur der in der Küche agierenden Frau neu konturiert und eben nicht nur in einer neuen Rolle präsentiert? Darüber kann der Film, in dem diese Figur in Szene gesetzt wird, Auskunft geben. Der Film „Die Frankfurter Küche“ und die „Neue Frau“ als Vertreterin des Großstadtpublikums
„Mays Öffentlichkeitsarbeit“, stellt Thomas Elsaesser fest, „war multimedial“.25 Wort, Schrift, Bild und Gebrauchsgegenstände wurden in gleichen Teilen zu Elementen einer strategischen Medienpraxis, die Frankfurt am Main in den Mittelpunkt des Diskurses um das „Neue Bauen“ rückten. Um sowohl ein fachspezifisches Publikum wie die unmittelbaren AdressatInnen der Bauprogramme, die Einwohner der Stadt, zu erreichen, organisierte das Planungsteam in Frankfurt Messen und Tagungen, veranstaltete Lesungen, gab Kataloge heraus und initiierte einen Filmklub; May selbst hielt immer wieder Ansprachen und Vorträge.26 Innerhalb dieser Aktivitäten kam einem Printmedium ein übergeordneter Stellenwert zu. „DAS NEUE FRANKFURT“ – der in Majuskeln gesetzte Titel sollte in der Folgezeit zum Label, gewissermaßen zur Corporate Identity des Projektes werden – erschien monatlich im Zeitraum von 1926 –1933 unter wechselnder Redaktionsleitung.27 Das Themenspektrum war weitgefasst und reichte von Reformbestrebungen in der Schulausbildung über Fotografie und Rundfunk, dem russischen Revolutionsfilm Meyerholds oder Eisensteins und dem Theater Piscators, dem Massensport, dem modernen Verkehr bis hin zur gewerkschaftlichen Volksbildung.28 Indem Berichte über aktuelle Angelegenheiten der Frankfurter Planungen ebenso Aufnahme in das Magazin fanden wie Essays über das internationale Theatergeschehen oder neueste Filmproduktionen, 25 Elsaesser, Die Kamera in der Küche, 47. 26 Vgl. ebd., 41; sowie Elsaesser, Das Neue Frankfurt im Film, 82. 27 Neues Bauen. Neues Gestalten. Das Neue Frankfurt/die neue Stadt. Eine Zeitschrift zwischen 1926 und 1933, ausgewählt und eingeleitet von Heinz Hirdina, Dresden 1991. 28 Hirdina, Heinz, Versuch über das Neue Frankfurt, in: Neues Bauen, Neues Gestalten, 11– 60.
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konnte neben dem heimischen Publikum auch eine überregionale Leserschaft in den Wirkungskreis des „Neuen Frankfurt“ einbezogen werden: Wurde Ersteres auf die internationale Ausstrahlung der Frankfurter Baumaßnahmen verwiesen, lernte Letzteres „Groß-Frankfurt“ als exemplarischen Beitrag zum länderübergreifenden Avantgardediskurs verstehen.29 In seiner Bedeutung für die Frankfurter Medienoffensive ist der Film kaum zu überschätzen. Frankfurt am Main war die einzige Stadt der 1920er-Jahre, die in gezielter Form „filmisch vergegenwärtigt“ wurde.30 Umgekehrt waren die Frankfurter Initiativen ohne Vergleich für den Einsatz dieses neuen Mediums zur Vermittlung des „Neuen Bauens“. „Unter dem knapp einen Dutzend Filmen, die sich mit dem Neuen Bauen in der Weimarer Republik befassen, verdankt fast die Hälfte ihr Entstehen dem Neuen Frankfurt.“31 Für die Reihe „Neues Bauen in Frankfurt am Main“, die sich auf zentrale Projekte des Planungsprogramms konzentrierte, betraute das Hochbauamt den Fotografen Paul Wolff. Der Film „Die Frankfurter Küche“, dem ich mich im Folgenden zuwende, war Wolffs zweite Arbeit im Zusammenhang mit diesem Auftrag. Obwohl der Film, wie zu Beginn erwähnt, nur eine Länge von acht Minuten hat, werden die Zuschauer mit unterschiedlichen Formen der bildlichen Darstellung und Vermittlung des Themas Küche konfrontiert. Den Anfang macht eine Trickanimation: Der Grundrissplan der Küche wird aus der Obersicht, „wie von Geisterhand“,32 auf die Leinwand gezeichnet. Im Anschluss erfolgt ein Wechsel zur szenischen Darstellung, die Einblick in die Küche gibt. Zu sehen ist an dieser Stelle allerdings nicht, wie nach diesem Einstieg zu erwarten wäre, die „Frankfurter Küche“, sondern eine Rückblende auf die Verhältnisse, die dem neuen
29 „Das ‚Neue Frankfurt‘“, schrieb der Chefredakteur Joseph Gantner 1930, „ist eine Zeitschrift von ausgesprochen internationalen Interessen und internationalem Blickfeld. Das heißt: was hier geschieht (von den Dingen, die wir vertreten können), soll nach Art und Gesinnung so sein, dass es über die Grenzen von Frankfurt hinaus beachtenswert sein muß, und was an schöpferischen neuen Ideen außerhalb Frankfurts auftaucht, das wollen wir für uns und unsere Arbeit fruchtbar machen.“ Zit. nach Hirdina, Versuch über das Neue Frankfurt, 19 – 20. 30 Elsaesser, Die Kamera in der Küche, 47. 31 Elsaesser, Das Neue Frankfurt im Film, 81. Vgl. dazu auch: Vincke, Kerstin, Kleine Stadt, ganz groß, 132 –141, hier 133. 32 Ebd., 86.
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Abb. 3: „ Die Frankfurter Küche“, (D 1928), Screenshot
Abb. 4: „ Die Frankfurter Küche“, (D 1928), Screenshot
Modell vorausgingen: Eine ältere Frau mit Kittelschürze führt vor, wie zeitintensiv und kräftezehrend die Erledigung der Hausarbeiten vor der Entwicklung der ersten Einbauküche war (Abb. 3). Der folgende Schauplatzwechsel zum neuen Küchenmodell suggeriert gleichermaßen einen Zeit- wie einen Generationssprung: Eine junge Frau führt ohne Hast, gleichwohl flink und geradezu leichtfüßig, Arbeitsgänge im Haushalt vor, die in ihrer Abfolge durch die optimale Koordination von Raumaufteilung und Einbauten bestimmt sind (Abb. 4). Die Dramaturgie folgt hier einem Vorher-nachher-Schema, wie es bis heute bei Werbefilmen verbreitet ist: „Eine schlechte alte Zeit wird einer guten neuen gegenübergestellt.“33 Am Ende des Films erscheint die Grundrisszeichnung ein zweites Mal, um hier durch das Einzeichnen von Einbauten und Wegediagrammen nach Vorgabe der Time-and-motion-Studien des sog. Taylorismus34 vervollständigt zu werden. Thomas Elsaesser ordnet den Film dem Genre der Lehr- und Propagandafilme zu, der eine Gebrauchsanweisung für den Umgang mit der „Neuen Wohnung“ im Allgemeinen und der neuen Einbauküche im Besonderen liefern sollte. Adressiert an ein Tagungs- und Messepublikum, müssen der Streifen „Die Frankfurter Küche“ wie auch die anderen Frankfurter Filme vom Avantgarde-Film unterschieden werden. Zwar verdiene Mays Medienkonzept durchaus die Bezeichnung Avantgarde, insofern als damit der innovative Charakter der Propaganda bezeich33 Elsaesser, Das Neue Frankfurt im Film, 86. 34 Die „time and motion“-Studien beruhen auf den Untersuchungen des amerikanischen Betriebswissenschaftlers Frederick Taylor sowie von Frank und Lilian Gilbreth und sind zentraler Teil wissenschaftlicher Arbeitssysteme. Standardzeiten und Bewegungseinheiten werden ermittelt und korreliert, um zu zeit- und kräftesparenden Arbeitsabläufen zu gelangen.
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net werde, mit der die Frankfurter Initiative als Markenzeichen etabliert worden sei.35 Pragmatisches Ziel sei es gewesen, das anvisierte Publikum von der Tragfähigkeit der neuen Ideen zu überzeugen und zum Mitwirken an der intendierten Entstehung einer neuen Gesellschaft zu mobilisieren. Ein künstlerisches Experimentieren mit dem Medium Film, wie es die Film-Avantgarde anstrebte, hätte dem Planungsteam um May dagegen ferngelegen.36 Warum aber, wäre hier einzuwenden, soll die Trennlinie zwischen zwei Avantgarde-Formationen, einer Architekten-Avantgarde mit sozialen und einer Film-Avantgarde mit künstlerischem Anspruch so scharf gezogen werden? Immerhin waren die Frankfurter Filme integraler Teil eines Avantgardeprojektes, hergestellt von Produzenten, die über das Gebiet des Avantgarde-Films bestens informiert waren, für ein Publikum, dem über Veröffentlichungen, Vorträge und Tagungen immer wieder gezielt Kenntnisse entsprechender Filmproduktionen vermittelt wurde. Lassen sich angesichts dieser Konstellationen nicht doch Beziehungen zwischen den Frankfurter Filmen und anderen Filmproduktionen herstellen? Für den Gegenstand und die an ihn gerichteten Fragestellungen bietet sich ein Blick auf den zeitgenössischen Großstadtfilm, der sich auf Darstellung von Weiblichkeit und ihre räumliche Kontextualisierung bezieht, an. Prägendes Element der Frankfurter Filme ist die Darstellung von Bewegung bzw. Bewegungsabläufen. Gleiches kann für den Großstadtfilm gelten: „Bewegung und Rhythmus sind zwei Aspekte der filmischen Raumkonstruktion, die unabdingbar für das Verständnis des frühen Stadtfilms der zwanziger Jahre sind“, betont die Medienwissenschaftlerin Laura Frahm in ihrer Untersuchung zur filmischen Topologie des Urbanen.37 Die Perspektivwechsel der Filmkamera, Schnitt- und Montagetechniken bewirkten sowohl im narrativen Film als auch im Dokumentarfilm der 1920er-Jahre eine Dynamisierung der Wahrnehmung und
35 Vgl. ebd., 89. 36 „Es ging den Architekten des Neuen Bauens auch nicht um ihre künstlerische Freiheit, sondern vor allem darum, die Gesellschaft durch bessere Wohn- und Lebensqualität zu verändern.“ Ebd., 89. 37 Frahm, Laura, Jenseits des Raums. Zur filmischen Topologie des Urbanen. Bielefeld 2010, 225.
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damit die mediale Transformierung des städtischen Raumes. Zugespitzt könne man, so Frahm, sogar behaupten, dass der Film die moderne Stadt überhaupt erst produziere, indem er sie in ihrer Dynamik und Multidimensionalität sichtbar mache.38 Der Filmwissenschaftler Guntram Vogt lässt Frahms These nur eingeschränkt auf das Genre des Dokumentarfilms gelten, nur dort könne von einer Dynamisierung des Blicks die Rede sein. Denn während der narrative Film an den subjektiven point of view der Filmfiguren gebunden sei, löse sich die Perspektive im Dokumentarfilm – Vogt bezieht sich auf Walter Ruttmanns bekannte Arbeit „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“39 – „mittels Kamera und Montage auf in eine multi- und polyperspektivische Darstellung“.40 Erstmalig werde „das Kinopublikum nicht mehr in ein bestimmtes Stadtviertel oder in ein ausgewähltes Milieu geführt, sondern in die ‚offene Stadt‘ “.41 Im Hinblick auf die Frankfurter Filme ist diese These aufschlussreich, umso mehr als Vogt die polyperspektivische Repräsentation des städtischen Raumes als Indiz für ein urbanes Bewusstsein liest, das sich gegen eine „(Re-)Mythologisierung der Metropole sperre“.42 Anders als in vielen narrativen Großstadtfilmen trete die Stadt im Dokumentarfilm nicht als in sich geschlossener, von einem Betrachterstandpunkt aus in den Blick genommener Kosmos auf, der dem ebenfalls als Entität verstandenen Land kontrastierend gegenübergestellt werde; vielmehr führe der Dokumentarfilm die Stadt als komplexes, von multiplen Positionen aus wahrgenommenes räumliches System vor.43 Die Großstadt fungiert als komplexes System, das beschreiben die Kernbestimmungen des Frankfurter Konzeptes sehr genau, wenngleich allein auf einer inhaltlichen Ebene. Die filmtechnischen Mittel wie Montage, Schnitt oder polyperspektivische Einstellungen, die Vogt als prägend für die Ästhetik des Großstadtfilms nennt, kommen im Film „Die Frankfurter Küche“ kaum zum Einsatz.
38 Vgl. ebd., 256. 39 Berlin – Die Sinfonie der Grosstadt, Regie: Walter Ruttmann, Drehbuch: Walter Ruttmann/ Karl Freund, Dokumentarfilm, Deutschland 1927, s/w, ohne Ton, 54 min. 40 Vogt, Guntram, Die Stadt im Film. Deutsche Spielfilme 1900 – 2000. Marburg 2001, 31, zit. nach Frahm, Jenseits des Raums, 237. 41 Ebd. 42 Ebd. 43 Vgl. Vogt, 237 zit. nach Frahm, 231.
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Das Verhältnis von städtischen Räumen und Weiblichkeit, an dem die These von einer Entmythologisierung des Städtischen im Großstadtfilm zu messen wäre, lassen Frahm und Vogt an dieser Stelle unbeachtet. Dagegen haben sich Genderforscherinnen gerade mit der Frage der visuellen Inszenierung von Weiblichkeit und Stadt intensiv auseinandergesetzt. Anders als Vogt sieht Eva Warth im Großstadtfilm der 1920er-Jahre keinen Hinweis auf eine Entmythologisierung in den filmischen Repräsentationen der Metropole. Für Warth bleiben die Darstellungskonventionen des Großstadtfilms vielmehr tief in der Tradition kultureller Diskurse des 19. Jahrhunderts verwurzelt, die gerade von Mythisierungen des Geschlechts geprägt sind.44 Stadt werde darin immer wieder in Verbindung mit dem Weiblichen gebracht und diese Verbindung als Ordnungsproblem verhandelt. Charakteristisch für Stadtfantasien in Spielfilmen wie „Die Straße“ (D 1923) oder „Asphalt“ (D 1928/29) sei „die Oszillation zwischen den zwei Aspekten, welche die Figuration der Stadt als Frau kennzeichnen“: Die Vorstellung von der begehrenswerten erotischen Frau verschiebe sich zum Bild der „bedrohlichen, weil verschlingenden“ Frau.45 Auch der Dokumentarfilm ist nach Warth von Geschlechtermetaphern und Metonymien geprägt, die hier durch filmästhetische Mittel zum Ausdruck gelangen. So werde in Ruttmanns Berlin-Film das paradigmatische Moment der Dynamik in verschiedenen Szenen durch Kreisbewegungen angezeigt. An signifikanten Stellen verdichten sich diese im Bild einer Spirale, um Großstadt als „zentripedales Kraftfeld“ zu visualisieren, das den Betrachter mahlstromartig zu erfassen und in sich hineinzuziehen drohe. Bezeichnend sei dabei, „dass sowohl Einstellungen von Maschinen als auch Sequenzen, die Frauen als Prostituierte zeigen, auf diese Weise hervorgehoben und aufeinander bezogen werden“.46 Durch die Wiederholung des Motivs stelle der Film eine metonymische Verknüpfung von Städtischem und Weiblichem her, die Bedrohungsfantasien evoziere.47 44 Warth, Eva, Weiblichkeit und Metropole. Konstruktionen von Raum und Geschlecht im Film der Weimarer Zeit und des Nationalsozialismus, in: Nierhaus, Irene/Konecny, Felicitas, räumen, Wien 2002, 77– 99, hier 78 –79. 45 Ebd., 82. 46 Ebd. 47 Ebd., 84 – 86.
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Die Literaturwissenschaftlerin Anke Gleber stellt diese Beobachtung nicht in Frage, erkennt jedoch in Ruttmanns Film eine größere Bandbreite der Repräsentation von Weiblichkeit in städtischen Räumen. Sowohl die zeitgenössische als auch die heutige Kritik, so Gleber in „Female Flanerie and the Symphony of the City“,48 identifiziere die weiblichen Figuren, die ohne Begleitung auf den Straßen Berlins gezeigt werden, oft unterschiedslos mit Prostituierten. Bei genauerem Hinsehen sei die Beziehung der weiblichen Figuren zum Straßenraum aber durchaus eine variierende: „On closer inspection, Berlin, Symphony of the City, represents many facets of the status of women in the modern city […]. In this film, women shop, stroll, go to work, sit in cafes, and observe the crowd.“49
Dass die Frauen im Film auch blickmächtige Subjekte sein können, lasse sogar an die Möglichkeit einer weiblichen Flanerie denken. In der symbolischen Praxis des Filmes fände damit eine Utopie Ausdruck, die durch die politischen Konstellationen der Weimarer Republik in die Nähe der Realisierung gelangte: die Utopie der sozialen Mobilität von Frauen und der Ausweitung ihres stadträumlichen Aktionsradius. Auch wenn die Chancen, die sich hier eröffneten, Gleber zufolge nicht überbewertet werden dürften, seien patriarchale Blickregimes in den 1920er-Jahren immerhin angreifbar geworden. Wichtig erscheint mir hier Glebers Frageinteresse, das sich sowohl auf die Blickanordnungen im Film als auch auf die Adressatinnen des Films richtet, das der Autorin zufolge zur Identifikation mit den Protagonistinnen im Film eingeladen werde.50 Die Frage, an welches Publikum sich der Film richtet und welches Angebot diesem Publikum gemacht wird, ist auch für „Die Frankfurter Küche“ relevant. Der Film wendete sich, neben den Besuchern von Messen oder Tagungen, vor allem an die Frauenverbände und Frauenorganisationen, die als Multiplikatoren wirken sollten, um zukünftige Bewohnerinnen der Frankfurter 48 Vgl. Gleber, Anke, Female Flanerie and the Symphony of the City, in: von Ankum, Katharina, Women in the Metropolis. Gender and Modernity in Weimar Culture, Berkeley/ Los Angeles/London 1997, 67– 88. 49 Gleber, Female Flanerie, 79. 50 Vgl. ebd.
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Wohnsiedlungen in die Handhabung der neuen Modellküche einzuweisen. Der Rationalisierungsgedanke, auf dem Grundsatz instrumenteller Vernunft und Berechenbarkeit beruhend, galt allen Gruppen, die an einer Reform von Kultur und Gesellschaft arbeiteten, als Schlüssel für die in Gang zu setzenden Modernisierungsprozesse. Die Ausrichtung sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche auf das Primat instrumenteller Vernunft erforderte ein Expertenwissen, das sowohl von Männern als auch von Frauen erworben werden sollte; beide sollten als Leistungsträger einer rationalisierten Ökonomie fungieren und „mit höchster Effizienz [...] ‚taylorisierte‘ Ziele verwirklichen“.51 Im Interessensfokus der Frauenorganisationen stand in diesem Zusammenhang vor allem der Bereich der Hauswirtschaft. Vor allem auf diesem Feld sollten Frauen zu Expertinnen ausgebildet werden, um anschließend als professionelle Hausfrauen agieren zu können. Zu den Ausbildungsinstrumentarien gehörten Filme wie „Die Frankfurter Küche“, die professionelles Handeln vorführten. So appelliert die Darstellung des Grundrisses zu Beginn und Abschluss des Films an den wissenschaftlichen bzw. wissenschaftlich geschulten Blick der Zuschauerin, der die Küche als rationalisierten Raum erkennt und einzuschätzen vermag. Der filmische Verweis auf die Wissenschaftlichkeit des Küchenkonzeptes stiftet darüber hinaus eine Gemeinschaft zwischen den Rezipientinnen und den Produzentinnen des Projektes, Margarete Schütte-Lihotzky und ihren Beraterinnen: Grundrisszeichnungen und Wegediagramme waren Darstellungsformen, mit denen die Architektin arbeitete und die sie verwendete, um die Entwicklung der Laborküche – Schütte-Lithotzky nannte die Küche ein Laboratorium – zu veranschaulichen. In der Raumund Dinganordnung der „Frankfurter Küche“, das hat Irene Nierhaus in einem frühen Beitrag betont,52 war Hausarbeit per definitionem kein von Frauen zu leistender Liebesdienst mehr, wie dies die bürgerliche Familienideologie vorsah, sondern eine
51 Reese, Dagmar/Rosenhaft, Eve/Sachse, Carola/Siegel, Tilla, Einleitung, in: dies., Rationale Beziehungen? Geschlechterverhältnisse im Rationalisierungsprozess, Berlin 1993, 7–16, hier 14. 52 Vgl. Nierhaus, Irene (Bi), Die Fabrik des Hauses. Die Küche für den Arbeiterhaushalt, in: Bischoff, Cordula/Dinger, Brigitte/Ewinkel, Irene/Merle, Ulla (Hg.), FrauenKunstGeschichte. Zur Korrektur des herrschenden Blicks, Gießen 1984, 158 –166.
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notwendige Produktionsarbeit für die Gesellschaft. Die Figur im Film agiert als professionelle Hausfrau im Sinne des Rationalisierungsdispositivs, vor allem aber tritt sie als Vertreterin der Frankfurter Großstadtkultur in einem Teilraum des Frankfurter Projektes auf und macht den (Frankfurter) Zuschauerinnen damit ein Identifikationsangebot. In diesem Kontext wird ein auf den ersten Blick nebensächlich erscheinendes Detail, die Straßenkleidung der Protagonistin, zum bedeutungsvollen Zeichen: Mit der traditionellen Küche ist auch die traditionelle Hausfrau, deren Erkennungszeichen die Kittelschürze war, aus dem „Neuen Frankfurt“ verschwunden. Trotz diesem programmatischen Abstreifen der alten Kleider und damit der alten Rollenzuweisungen sind Segmentierungen überkommener Ordnungsmuster von Geschlecht und Raum erhalten geblieben. Das bezieht sich nicht allein auf die Zuordnung von Frau und Küche, die weder im Planungskonzept noch im Film infrage gestellt wird; sie lässt sich ebenso an den bildkompositorischen Festlegungen ablesen. In den szenischen Darstellungen sehen wir die in der Küche tätige Frau aus Augenhöhe, jeweils von hinten oder von der Seite, vor allem aber aus unmittelbarer Nähe. Der Raum wird zerlegt in Raumabschnitte, die betont flächenhaft entwickelt sind; eine Totale, die einen Einblick in den gesamten Raum eröffnen könnte, fehlt. Durch seine Ausschnitthaftigkeit und den Verzicht auf Tiefenperspektive rückt der Film nicht nur die BetrachterInnen nah an das filmische Geschehen heran. Auch die Frau im Film wird so nahe an die Einbauten der Küche herangerückt und mit ihnen verbunden, sodass nahezu ein Amalgam zwischen Figur und Dingen entsteht. Dies wiederum entspricht Bildkonventionen von Innenraumdarstellungen des 19. Jahrhunderts, in denen Wohnatmosphäre durch das bildkompositorische Ineinanderübergehen von Frauenkörper und Ausstattung erzeugt wird.53 53 Vgl. Nierhaus, Irene/Heinz, Kathrin/Keim, Christiane, Verräumlichung von Kultur. Wohnen+/-ausstellen: Kontinuitäten und Transformationen eines kulturellen Beziehungsgefüges, in: Hepp, Andreas/Lehmann-Wermser, Andreas, Transformationen des Kulturellen. Prozesse des gegenwärtigen Kulturwandels, Wiesbaden 2013, 117–130, hier 119 –123. Ein ganz ähnliches Verfahren der Raumrepräsentation und Betrachterpositionierung ist im Film über das Haus Gropius von 1926 – 28 zu beobachten. Der Film mit dem Titel „Neues Wohnen (Haus Gropius) gehörte zu der Reihe „Wie wohnen wir gesund und wirtschaftlich?“ und wurde von Ernst Jahn realisiert. Vgl. Keim, Christiane, Der Bauhausdirektor, das Meisterhaus und seine Frauen, in: Hoffmann-Curtius, Kathrin/Wenk, Silke (Hg.), Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert, Marburg 1996, 146 –158, hier 148.
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Die Ambivalenz zwischen dem Aufgreifen des Neuen einerseits und dem Festhalten am Alten andererseits prägte den Rationalisierungsdiskurs insgesamt. Kritische Einwände, wie die des Soziologen Max Weber, warfen die Frage nach den Folgen der Rationalisierungsbestrebungen für den Menschen auf, der zum „Fachmenschen ohne Geist“ zu mutieren drohe,54 oder warnten, wie der Architekturtheoretiker Sigfried Giedion, vor der sich abzeichnenden Beherrschung von Körper und Natur durch die Maschine.55 Auf das Verhältnis von Körper und Natur, das eine Vorstellung differenter Geschlechtscharaktere implizierte, bezogen sich weiterhin die Vorbehalte der in Rationalisierungsfragen versierten Fachfrauen. So riet Erna Meyer, eine der kenntnisreichsten und vielgefragten Expertinnen für Belange des Haushaltes in den 1920er-Jahren, eine „mechanische Nachahmung männlichen Tuns“, das eine „einseitige Intellektualisierung“ nach sich zöge, sorgsam zu vermeiden.56 Und die Volkswirtin Margarete Prowe-Bachus gab in ihrer Dissertation über die Auswirkung der Technisierung im Familienhaushalt zu bedenken, dass die Hausfrau kein Ingenieur sei, der ein „unbedingtes Fachziel“ im Auge habe; ihr Tun müsse vielmehr weiterhin auf die Verbrauchseinheit Haushalt und die Lebensgemeinschaft Familie fokussiert sein.57 Diese Einsprüche hinderten Frauen und Frauenverbände allerdings keineswegs daran, engagiert an der Rationalisierungsprogrammatik mitzuwirken und damit die Chance zu ergreifen, als professionell Handelnde zu „Mitschöpfer[n] einer neuen Gesellschaft“58 werden zu können. Fazit
Der Lehrfilm „Die Frankfurter Küche“ hatte, wie in diesem Beitrag gezeigt, einen großen Stellenwert für die Frankfurter Neu54 Siehe: Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, Tübingen (1920), 1988, 203 f. 55 Vgl. Giedion, Sigfried, Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen Geschichte (1948), Frankfurt am Main 1994. 56 Meyer, Erna, Der neue Haushalt. Ein Wegweiser zu wirtschaftlicher Haushaltsführung. Stuttgart (1926), 1929, 5. Zit. nach Orland, Barbara, Emanzipation durch Rationalisierung? Der „rationelle Haushalt“ als Konzept institutionalisierter Frauenpolitik in der Weimarer Republik, in: Reese/Rosenhaft/Sachse/Siegel, Rationale Beziehungen, 222 – 250, hier 238. 57 Prowe-Bachus, Margarete-Maria, Auswirkungen der Technisierung im Familienhaushalt, Köln 1933, 59. Zit. nach Orland, Emanzipation durch Rationalisierung?, 239. 58 Meyer, Der neue Haushalt, 1. Zit. nach Orland, Emanzipation durch Rationalisierung?, 236.
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planungen in den 1920er-Jahren, aber auch darüber hinaus. Das gilt zunächst für die Ebene medialer Repräsentation als solcher: Als signifikanter Teil der Frankfurter Planungsstrategien repräsentierten das Medium Film ebenso wie das Medium Architektur oder die Printmedien Denkweisen und Erscheinungsformen des modernen Lebens, die der modernen Metropole eingeübt werden und durch sie zum Ausdruck gebracht werden sollten. Auf den konkreten Gegenstand der Untersuchung bezogen heißt das: Der Film „Die Frankfurter Küche“ führte nicht allein einen Teil des „Neuen Frankfurt“ vor und warb damit für ein modernes Stadtkonzept, vielmehr war er, ebenso wie die Küche selbst, das „Neue Frankfurt“. Die PlanerInnen verstanden ihr Stadtbauprogramm als ein System sich bedingender und einander durchdringender Elemente mit jeweils gleichrangiger Bedeutung. Die Küche war ein solches Element, die Filme über den Stadtumbau von Frankfurt am Main ein weiteres und der Film über die Frankfurter Küche wiederum ein drittes. Als Protagonistin des modernen Lebens und Arbeitens tritt im Film „Die Frankfurter Küche“ die Hausfrau auf, die als „Neue Frau“ ins Bild gesetzt wird. Damit übernimmt der Lehrfilm zeitgenössische Darstellungskonventionen des Genres Großstadtfilm. In zahlreichen Großstadtfilmen der 1920er-Jahre wird der „Neuen Frau“ die Funktion eines privilegierten Zeichens von Moderne und Modernität zugewiesen. Über dieses immer wieder aufgerufene und gezielt platzierte Zeichen werden die Ambivalenzen der kulturellen und sozialen Umordnungen, darunter die des Geschlechts und der Geschlechterbeziehungen, verhandelt. Der kurze Streifen zur Frankfurter Küche ist damit, obwohl er nur ein begrenztes Publikum erreichen konnte, durchaus als Teil einer überregionalen Film- und Diskurskultur zu betrachten. Der Lehrfilm über die Küche war im Übrigen nicht der einzige unter den Frankfurter Filmen, die den Blick des Publikums auf die „Neue Frau“ lenkten. Im ersten und mit über einer halben Stunde Spieldauer längsten der in Frankfurt produzierten Filme, dem Streifen „Die Großmarkthalle Frankfurt a. M.“ (D 1928), begegnete den ZuschauerInnen dieser moderne Weiblichkeitstypus ebenfalls. Anschließend an Sequenzen, die verschiedene Bauphasen des Großprojekts, einzelne Bauteile sowie die Situierung des Gebäudes in der Stadt vorführen, zeichnet der Film
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ein stimmungsvolles Bild des Marktbetriebes mit seinen Käufern und Verkäufern sowie dem Gewusel des Verkehrs bei Anlieferung und Abtransport der Waren. Diese bewegte Szenerie betritt eine junge Frau. Thomas Elsaesser sieht im Auftreten der ihrer „Kleidung nach ortsfremde[n] und sich offensichtlich nicht zurechtfindende[n] Dame“ ein Indiz für einen Orientierungsverlust, der die letzten Abschnitte des Films präge.59 Tatsächlich ist die Kleidung der Figur – die Frau trägt ein elegantes Kostüm und eine Cloche in hellen Farben –, sehr auffällig und bewirkt, dass sie, aus dem sie umgebenden Geschehen herausgehoben, fast wie ein Fremdkörper erscheint. Gleichzeitig wird sie jedoch als Teil des Betriebs vorgeführt: In der Hand trägt sie eine Aktentasche, es ist also ein geschäftliches Anliegen, welcher Art, darüber ließe sich nur spekulieren, das die Frau in die Markthalle geführt hat. Ihre suchenden Blicke mögen darauf hinweisen, dass sie diesen Ort zum ersten Mal betritt, was nicht weiter verwunderlich wäre, schließlich war die Halle eine neue Einrichtung. Für ausschlaggebend halte ich allerdings, dass die „Neue Frau“ überhaupt dort ist, genauer: dass sie dort in der beschriebenen Weise zu sehen ist. Die Regie setzt sie hier gleichsam als überdeterminiertes, ikonenhaftes Zeichen ein, das Moderne und Großstadt signifiziert. Man könnte sogar vermuten, dass „Die Neue Frau“ nach Einschätzung der Filmemacher zu sehen sein musste, ihr Auftreten ihnen notwendig erschien, um „Die Großmarkthalle in Frankfurt a. M.“ als Großstadtfilm und das Gebäude als Großstadtort zu kennzeichnen.
59 Elsaesser, Das neue Frankfurt im Film, 85.
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Proménade architecturale und Plansequenz Über die gegenseitige Durchdringung von Architektur und Filmtheorie
Lena Christolova
Ausgangspunkte
Die aktuellen Debatten um die Wahrnehmung und Darstellung von kontinuierlichen Räumen im Bereich der Architekturanimation1 rufen das Konzept der Proménade architecturale des französischen Architekten Le Corbusier in Erinnerung, das – ähnlich wie die Plansequenz im Film – auf einem an ununterbrochene Bewegung durch den Raum gebundenen Entwurfsprinzip beruht. „Es ist eine einfache Gleichung“ – schreibt in diesem Kontext Rahel Hartmann Schweizer –, „der Vorzug des einen Mediums ist das Manko des anderen: Die Architektur wünscht sich die Illusion des bewegten, der Film die des begehbaren Raums“.2 Als eine durch Bewegung generierte Folge von gerahmten Blicken, die beim Betrachter das Gefühl einer abgeschlossenen Sequenz von bildlichen und emotionalen Eindrücken hinterlässt, findet die architektonische Promenade im Werk von Le Corbusier ihr Raison d’être in der dynamischen Orchestrierung der Formen und Räume des modernen Lebens. Im Anschluss an die auf dem Vierten Kongress von CIAM (Congrès International d’Architecture Moderne) in Athen 1933 verfasste Charta von Athen, die zum Schlüssel des modernen Städtebaus die vier Funktionen Wohnen, Arbeiten, Erholen und sich Fortbewegen erklärt, lässt Le Corbusier sein Architekturcredo verlauten:3
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Vgl. z. B. Agotai, Doris, Architektur filmisch animiert, in: TEC 21 (2008), Heft 19: Film und Architektur, 29 – 32. Hartmann Schweizer, Rahel, Film und Architektur, in: ebd., 4. Hilpert, Thilo, Le Corbusiers Charta von Athen, kritische Neuausgabe, Braunschweig/ Wiesbaden 1984 (Bauwelt Fundamente 56), 158.
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„Architektur wird durchwandert, durchschritten. Ausge stattet mit seinen zwei Augen, vor sich blickend, geht unser Mensch, bewegt sich vorwärts, handelt, geht einer Beschäftigung nach und registriert auf seinem Wege zugleich alle nacheinander auftauchenden architektonischen Manifestationen und ihre Einzelheiten. Er empfindet innere Bewegung, das Ergebnis einander folgender Erschütterungen. Das geht so weit, daß die Architekturen sich in tote und lebendige einteilen lassen, je nachdem, ob das Gesetz des Durchwanderns nicht beachtet oder ob es im Gegenteil glänzend befolgt wurde.“4
Während der real begehbare Raum der Architektur an die Position des Betrachters und den Faktor Echtzeit gebunden ist, beruht seine Illusion im Film auf dem Wechsel multipler Sichten auf die Objekte, die durch Kamerabewegungen, unterschiedliche Aufnahmewinkel oder Alternieren der Tiefenschärfe variiert werden können. In der Ambivalenz des Bildfeldes, das sowohl als ein unbeweglicher Bildausschnitt als auch als eine bewegliche Maske (caché) fungieren kann,5 liegt die Möglichkeit verborgen, den für den Zuschauer noch unerschlossenen Raum im caché so zu manipulieren, dass er sich „schnittlos“ in die Bewegungen des Films einschreibt. Der imaginäre Raum des bildlichen Außerhalbs (hors champ) findet dann seine logische oder zumindest nachvollziehbare Fortsetzung in der Expansion dessen, was sich außerhalb des Rahmens (hors cadre) befinden oder abspielen kann. Diese filmspezifischen Aspekte der Kadrierung können bei Bewegungen in realen architektonischen Räumen nachempfunden werden, deren Übergänge normalerweise durch Fenster und Türen markiert werden, die das Sichtbare rahmen. Der Rahmen als Vermittler zwischen sichtbaren und unsichtbaren Räumen hebt einerseits die Bedeutung des ausgewählten Ausschnitts für das Gesamtkonzept des Architekten oder des Filmemachers hervor, verweist aber anderseits auf den aus dem Ausschnitt ausgeschlossenen Raum, dessen Gegenwart durch Bewegungs- oder Blickachsen geltend gemacht werden 4 5
Le Corbusier, An die Studenten. Die „Charte d’Athènes“, Reinbek 1962, 29. Vgl. Deleuze, Gilles, Kino I. Das Bewegungs-Bild, Frankfurt am Main 1989, 32.
Proménade architecturale und Plansequenz | Lena Christolova
kann. Diese Schwellenfunktion des Rahmens, der zwei reale oder nur visuell wahrnehmbare Räume trennen und verbinden kann, determiniert die Logik der Proménade architecturale als einen begehbaren und genau durchkomponierten Weg in der Architektur, der die Aufmerksamkeit des Betrachters auf bestimmte Raumsegmente und ihre Beziehungen lenkt. In den als Plansequenzen bezeichneten langen Einstellungen des Films, die ohne die Intervention durch Schnitt und Montage entstanden sind,6 bringt die Simulation der Proménade architecturale das Gefühl einer an Bewegungsabläufe gebundenen Dauer hervor, welche visuell erschließbare, nur angedeutete und völlig imaginäre Räume verschmelzen lässt. Der vorliegende Artikel wird auf die Diskussion um die Proménade architecturale und ihre Konsequenzen für die kongeniale Entwicklung der Beziehung zwischen Architektur und Film in Bezug auf die visuelle Darstellung von Raum eingehen. Während in den 1930er-Jahren ein Ideentransfer zwischen Architekturtheorie und Film stattfand, der die Ausdrucksmittel des Films grundlegend veränderte, beeinflussen nun die am Film gewonnenen Erkenntnisse über die visuelle Wahrnehmung von Räumen eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Architekturentwürfen und ihre Präsentationen. Da die Plansequenzen der Filme der Nouvelle Vague zwar einen fließenden Raum, aber auch „falsche Anschlüsse“7 zwischen dem Bildfeld und seinem „Off“ produzieren, nehmen sie eine Schlüsselposition in diesem Erkenntnistransfer ein. Nichtsdestotrotz werden solche Einstellungen als Plansequenzen wahrgenommen, wenn ihnen die visuelle Logik der Proménade architecturale zugrunde gelegt wird. Der Film von Jean-Luc Godard „Le Mépris“8 demonstriert, wie durch die Öffnung des Raumes außerhalb des Bildfeldes eine visuelle Ordnung im Film entsteht, die von der gewöhnlichen „Logik von Raum und Zeit“9 beträchtlich differieren kann.
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Vgl. Bazin, André, Schneiden verboten! (1955 – 56), in: Fischer, Robert (Hg.), André Bazin. Was ist Film?, Berlin 22009, 75 – 89, hier 87. Vgl. Deleuze, Gilles, Kino II. Das Zeit-Bild, Frankfurt am Main 1989, 236. Die Verachtung (Le Mépris), Regie und Drehbuch: Jean-Luc Godard, Italien/Frankreich 1963, Farbe, Originalfassung: 105 min. Hickethier, Knut, Film- und Fernsehanalyse, 2., überarb. Auflage, Stuttgart/Weimar 1996, 149.
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Meine These ist, dass die Zeit- und Orientierung generierenden Muster der Proménade architecturale eine konstitutive Rolle bei dem Entwurf und der Realisierung der langen Plansequenzen des Films spielen. Nach Erkenntnissen der modernen Kognitionspsychologie dienen sie als universelle Muster der menschlichen Orientierung im Raum10 und können deswegen als Vergleichsbasis für die Raumsimulationen der modernen Architekturanimation eingesetzt werden. Genealogie der Proménade architecturale: Sichten auf die Akropolis
Die prototypische Bedeutung der Proménade architecturale für den Film wurde zum ersten Mal in den 1930er-Jahren vom sowjetischen Regisseur Sergej Eisenstein hervorgehoben, der die Aufgaben der Kameraarbeit mit den Zusammenhängen zwischen visueller Wahrnehmung und körpermotorischer Aktivität verglich, die auf einem architektonischen Pfad entstehen: „[When talking about cinema], the word path is not used by chance. Nowadays it is the imaginary path followed by the eye and the varying perceptions of an object that depend on how it appears to the eye. Nowadays it may also be the path followed by the mind across a multiplicity of phenomena, far apart in time and space, gathered in single sequence into a single meaningful concept […].“11
Die Nähe zwischen Architektur und Film bezeugte auch Le Corbusier, der bei einem Besuch beim Architekten Andrej Burov in Moskau 1928 Sergej Eisenstein traf. Nach einer auf seinem eigenen Wunsch organisierten privaten Vorführung von zwei Filmen von Eisenstein schenkte Le Corbusier dem inzwischen weltweit bekannten Regisseur sein Buch „L’Art Décorative d’Ajourd’hui“ mit folgender Widmung: „To M. Eisenstein this 10 Vgl. Tversky, Barbara, Narratives of Space, Time and Life, in: Mind & Language 19/4 (2004), 380 – 392; sowie dies., Structure of Mental Space. How People Think About Space, in: Enviromental Behavior, 35/1 (Jan. 2003), 60 – 80. 11 Eisenstein, Sergei M., Montage and Architecture (ca. 1938), in: Assemblage 10 (Dec. 1989), 111–131, hier 111; der hier zitierte Text basiert auf einer überarbeiteten Fassung von zwei, zwischen 1932 und 1942 von Eisenstein geschriebenen, Texten, „El Greco und das Kino“ und „Vertikale Montage“. Diese Fassung ist von Naum Klejman in den Archiven des Eisenstein-Museums in Moskau entdeckt und mit „Montage und Film“ betitelt worden.
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dedication after POTEMKIN and THE STRAIGHT LINE. I seem to think as M. Eisensteins does when he makes his films … With my deepest sympathy and highest regard.“12 Die Wurzeln der Gemeinsamkeiten in der konzeptionellen Arbeit beider herausragender Meister ihres Faches liegen in ihrer Auseinandersetzung mit einer, auf Auguste Choisy zurückgehenden, Diskussion um die Verflechtungen zwischen architektonischem Raum und der damit verbundenen, durch Wahrnehmung von Architektureindrücken gelenkten Narration. Als 24-jähriger Student sah Choisy die Akropolis 1865 zum ersten Mal und war fasziniert von der ausgewogenen visuellen Balance zwischen den symmetrischen und asymmetrischen Teilen dieses architektonischen Ensembles, die er durch geometrische Achsen herstellte. Die damals etablierte Meinung basierte jedoch auf einem Bericht über die Restaurierung der Akropolis-Bauten aus dem Jahr 1845, in dem der renommierte Architekt Alexis Paccard behauptete, dass die chaotisch auf verschiedenen
Hügelplateaus
verstreuten
Tempel
niemals
durch ein schlüssiges ästhetisches Konzept oder gar durch begehbare Wege miteinander verbunden gewesen wären.13 Choisy hielt der von Paccard monierten Konzeptlosigkeit des Akropolis-Komplexes seine These von einem wohl durchdachten architektonischen Ensemble entgegen, dessen visuelle Balance er mit dem Prinzip des Auspondierens (pondération) von Viollet-Le-Duc14 begründete. In der Terminologie von ViolletLe-Duc, der einen maßgeblichen Einfluss auf die Kunstrichtung des Art Nouveau und Le Corbusier ausgeübt hat, bedeutet Ponderation optischer Ausgleich von Gewichtsverhältnissen, der als alternatives Gestaltungsmittel zur Symmetrie eingesetzt wird. Wie der Kontrapost-Begriff in der Bildhauerei, der für die Gewichtsverlagerung beim Wechsel zwischen Stand- und Spielbein steht, drückt Ponderation eine gewisse Dynamik bei statischen Körpern aus. Die dynamische Einbettung der Akropolis 12 Cohen, Jean-Louis, Le Corbusier and the Mystique of the USSR: Theories and Projects for Moscow, 1928 –1936, Princeton (N. J.) 1992, 49. 13 Paccard, Alexis, Mémoire explicatif de la restauration du Panthéon [1845], in: Hellmann, Marie-Christine/Fraisse, Philippe/Jacques, Anni (ed.), Paris-Rome-Athènes. Le Voyage en Greece des architectes françaises au XIX et XX siècles (Exhibition Catalogue), Paris/ Athènes/Houston (Texas) 1982, 351– 368, hier 351. 14 Viollet-Le-Duc, Eugène-Emmanuel, Entretiens sur l’architecture, 2 Bde., Paris 1963, vol.1, 255.
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in die sie umgebende Landschaft kommt demzufolge durch die Ausgewogenheit zwischen architektonischer Masse und dem Rhythmus der Bewegungen ihrer Besucher zustande, woraus Choisy die These über die Auffassung der alten Griechen vom Bildhaften (Pittoresken) als eine Kombination von Winkelperspektiven und Frontalansichten ableitete, die von Le Corbusier und Eisenstein in ihrer Praxis übernommen wurde. In dem Abschnitt „Le Pittoresque dans l’art grec: Partis dissymé triques, pondération des masses“ seines zweibändigen Werks „Histoire de l’Architecture“15 rekonstruiert Choisy eine Reihenfolge von perfekt durchkomponierten Sichten (tableaux), die sich den Pilgern des fünften vorchristlichen Jahrhunderts sukzessiv eröffnet haben sollen. Die emotionale und narrative Logik dieses Pilgerpfades, der seinen Ausgangspunkt an den Propyläen nimmt, steht in Zusammenhang mit der Zerstörung des von Pisistratides erbauten Akropolis-Komplexes 480 v. Chr. durch die Perser und seinem Neuaufbau unter der Herrschaft von Kimon und Perikles. Bei der Rekonstruktion der Logik der Pilgerfahrt durch die Akropolis-Bauten als eines an Bewegung gebundenen Wechsels von frontalen und seitlich „angeschnittenen“ Architekturansichten nahm Choisy an, dass die Übereckansichten der Bauten der Vorstellung der Griechen vom Pittoresken entsprachen, welche die Plastizität der Winkelperspektiven (vues d’angle) bevorzugten und die majestätische Frontalsicht (vue de face) für ganz besondere Fälle reservierten.16 Dementsprechend präsentierten sich die als Ausgangspunkt der Pilgerfahrt und Tor zur Akropolis vorgesehenen Propyläen dem Betrachter in Frontalsicht (Abb. 1). An ausgewählten Standorten, die zusätzlich in eine aus der Geschichte und der Mythologie der alten Griechen entliehene narrative Logik des Pilgerpfades eingebunden waren, eröffneten sich dem hinaufsteigenden Pilger besonders eindrucksvolle Architekturansichten. Sie zeigten die Einzeltempel der Akropolis in immer neuen architektonischen Arrangements. Die Sicht auf die Propyläen mit dem Tempel der Athena Nike (Athene als Siegesgöttin),17 der etwa 410 v. Chr. als Zeichen des Triumphes der
15 Choisy, Auguste, Histoire de l’architecture, 2 Bde., Paris 1899, vol. 1, 409 – 422. 16 Choisy, Histoire, 416. 17 Choisy bezeichnete die Statue als Victoire aprére (Nike apteros), da sie im Unterschied zu den üblichen Darstellungen der Siegesgöttin Nike keine Flügel hat. Laut Überlieferun-
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Abb. 1: B lick auf die Propyläen: aus: Choisy, Auguste, „Histoire de l’architecture“, 2 vols., Paris 1899, vol. 1, 414.
Griechen über die Perser errichtet wurde, war die erste große, von Choisy als Tableau bezeichnete Architekturansicht. Drei der Friesseiten des Tempels waren mit Kampfszenen verziert, während der Ostfries den Rat der Götter mit Athene zeigte, zu ihren Seiten der thronende Zeus und der auf einem Fels sitzende Poseidon. Der Mythos besagte, dass Poseidon und Athene um die Schutzherrschaft über Attika stritten und ihren Streit in der Form eines Wettbewerbs um die Gunst der Bürger auf demselben Fels austrugen, auf dem später die Akropolis entstehen sollte. Da Athenes Geschenk, ein Olivenbaum, besser ankam als die Salzquelle, die Poseidon durch einen Blitz in den Felsen schlug, wurde der Streit zugunsten Athenes entschieden. Daran erinnerte ein Olivenbaum am Fuße der Akropolis. Der Pilgerpfad war so konzipiert, dass jedes Tableau durch das sukzessive Fortschreiten des Pilgers dem nächsten wich. Nachdem er die Propyläen durchschritten hatte, wurde er mit der überlebensgroßen Statue der Athena Promachos konfrontiert, welche die Göttin in ihrer Funktion als kämpfende Beschützerin der Athener zeigte. Im Hintergrund waren zwei weitere Tempel zu sehen: der Jungfrau Athene gewidmete Parthenon und das Erechtheion,18 in dem die Salzquelle Poseidons sprudelte. Die
gen konnte man die Statue schon vom Kap Sunion (Sonnion) an der südlichen Spitze Attikas sehen, wo der Tempel des Gottes Poseidon aus dem 5. Jh. v. Chr. stand. 18 Der Tempel war dem mythischen König in Schlangengestalt Erichthonios (Erechtheus) gewidmet, der von Athene beschützt wurde. Er war Sohn von Hephaistos und Gaia und König von Attika.
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Statue der Göttin dominierte zunächst dieses zweite Tableau, wich aber kontinuierlich dem Blick des hinaufsteigenden Pilgers, der nun in den Genuss der Anmut und der Plastizität des in Übereckansicht erscheinenden Parthenons kam, welcher auf dem höchsten Punkt des Plateaus stand. Als er seine majestätischen Formen nicht mehr auf einmal überblicken konnte, war auch die Statue der Athena Promachos aus seinem Blickfeld vollständig verschwunden. Dafür rückte ins Zentrum des sich ständig durch seine Bewegung verändernden Ausschnitts des Tableaus die Übereckansicht des Erechtheions, dessen Korenhalle vorher vom Sockel der Athena-Statue verdeckt gewesen war. Krönender Höhepunkt der Pilgerfahrt war der Blick von der Tribüne des Erechtheions auf den Gesamtkomplex, zu dem noch zwei kleinere Tempel gehörten, die sich auf einem Felsplateau im Südwesten des Heiligen Bezirks unterhalb der Propyläen befanden. Der erste war Athena Ergane (Athene als Beschützerin des Handwerks und der Künste) gewidmet, der zweite huldigte Artemis Brauronia als Beschützerin der weiblichen Fruchtbarkeit.19 Le Corbusier, der bei seiner Reise nach Athen 1911 die Strapazen des Pilgerpfades und die Eindrücke der architektonischen Anordnung der Akropolis am eigenen Leib überprüfen konnte, diskutierte im Kapitel über Baukunst in seiner Aufsatzsammlung „Vers une Architecture“ Choisys Thesen und Skizzen auf mehreren Seiten.20 Für ihn ergaben die Anordnungsprinzipien der Akropolis ein wohlkalkuliertes und an menschlicher Bewegung und Perzeption orientiertes dynamisches Ensemble, das in seiner mathematisch belegbaren Vollkommenheit nicht zu übertreffen ist: „Nichts Ebenbürtiges existiert in der Architektur aller Länder und aller Zeiten. […] Hier ist das reinste Zeugnis für die Physiologie der Reize und für die mathematische Spekulation, die an sie anknüpfen mag. Die Sinne werden gebannt, der Geist wird entzückt, man berührt die Achse der Harmonie. Es handelt sich keineswegs um religiöse Dogmen, 19 Die Mädchen wurden zwischen ihrem 5. und 10. Lebensjahr in einem Initiationsritus der Artemis Brauronia geweiht, bei dem sie safrangelbe Kleider trugen. 20 Le Corbusier, 1922. Ausblick auf eine Architektur, Braunschweig/Wiesbaden 41982 (Bauwelt-Fundamente 2), 117–164.
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um symbolische Beschreibung, um natürliche Darstellung: es sind lediglich reine Formen, präzise in Beziehung miteinander gebracht.“21
Konsequenzen der Proménade architecturale für die Darstellung von filmischem Raum
In dem Aufsatz „Montage and Architecture“ ging Sergej Eisenstein ebenfalls auf die Ausführungen von Choisy und die dazugehörigen Zeichnungen22 ein und verglich sie mit anderen architektonischen Komplexen sakraler Natur, die bei ihrer Begehung die Kombination von Winkelperspektiven und Frontalsichten aufweisen. Die Griechen hätten uns jedoch, so Eisenstein, das beste Beispiel für die Inszenierung einer filmischen Einstellung hinterlassen, deren Dauer an konkrete Eindrücke gebunden ist. Die Multidimensionalität der Sichten auf die architektonische Gestaltung des Akropolis-Komplexes sei vergleichbar mit der Leistung der Kameraarbeit im Film, sodass man die Akropolis als das perfekte Beispiel für einen der ältesten Filme der Welt betrachten könnte: „Painting has remained incapable of fixing the total representation of a phenomenon in its full visual multidimensionality. […] Only the film camera has solved the problem of doing this on a flat surface, but its undoubted ancestor in this capability is – architecture. The Greeks has left us the most perfect examples of shot design, change of shot, and shot length (that is, the duration of a particular impression). Victor Hugo called the medieval cathedrals ‚books in stone‘ (see Notre Dame de Paris). The Acropolis of Athens has the same equal right to be called the perfect example of one of the most ancient films.“23
Die von Eisenstein als multidimensionale Sichten auf die Objekte beschriebenen Positionen der Kameraperspektive waren eine Art Substitut für den Blick des in Bewegung begriffenen Teilnehmers an der Proménade architecturale. Während das für 21 Ebd., 161. 22 Choisys Histoire de l’architecture erschien 1906 (Band 1) und 1907 (Band 2) in Moskau. 23 Eisenstein, Architecture, 112.
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den frühen Film typische geschlossene Bildfeld mit der Logik der Guckkastenbühne argumentierte, stellte nun das durch die Kamerabewegungen offen gewordene Bildfeld weitere Räume in Aussicht, die als die natürliche Verlängerung dessen erschienen, was man auf der Bildfläche sah. Zum Vergleich kann das System der barocken Bühne hinzugezogen werden, deren Bildraum sich von der geschlossenen Form der perspektivischen Bühne24 auf eine ähnliche Weise emanzipierte wie später die Plansequenz vom Prokrustesbett der Montage. Im räumlichen Dispositiv in der von Ferdinando Galli-Bibiena für die Szene des Barocktheaters entwickelten Winkelperspektive (scena per angolo) war bereits eine Ergänzung des Bühnenbildes durch den Blick des Zuschauers einkalkuliert. Durch die Diagonalität der Blickachsen wurden die perspektivischen Fluchtpunkte außerhalb des Blickfeldes der Zuschauer so verschoben, dass eine gewisse Anbindung des „Off“ des Bühnenbildes an das Bühnengeschehen gewährleistet war. Der über die Bühne hinaus weiterführende Raum des Off war Teil einer ausgefeilten mise en scène, in der die barocke Malerei, Architektur und Dekor so verschmolzen, dass eine Unterscheidung zwischen Bild und Einbildung, zwischen dem Innen und Außen nicht mehr möglich war. Das Aufbrechen des realen Raums in Richtung Illusionsraum vollzog die Kamera, indem sie sich in den 1920er-Jahren von dem Dispositiv der Guckkastenbühne befreite und des unsichtbaren Raums im Off zu bemächtigen versuchte. Bereits im expressionistischen Film wurde der Raum des Off zu einem Bestandteil der Filmhandlung, die sichtbare und unsichtbare Raumfragmente integrierte. Die Dynamisierung der Kamera und die Übertragung ihrer multiplen points of view auf die Erzählmodalitäten des Films trugen ab 1925 zu einer neuen Differenzierung seiner Räume bei. Der Film hatte ein neues Bezugssystem entdeckt, das die Räume des Bildfeldes und des Außerbildlichen miteinschloss. Dieses neue Bezugssystem lässt sich auch an zwei von Le Corbusier zeitgleich realisierten Villen, La Roche und Savoye, nachvollziehen.
24 Die perspektivische Bühne ist der traditionelle, seit 1508 vorherrschende und meist verbreitete Bühnentyp.
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Proménade architecturale und ihre Räume: Villa Savoye
Bereits die frühen Villen und Architekturentwürfe von Le Corbusier lassen die Ansätze seines an Choisys Ausführungen über die pittoresken Raumabfolgen, Tableaus und Bildersequenzen der Griechen anschließenden Konzepts der Proménade architecturale erkennen. Das ausgereifte Konzept demonstriert das 1922 –1923 in Paris erbaute Haus La Roche/Jeanneret, bekannt noch als Maison La Roche. Das Haus war geplant als ein Doppelhaus für den Bruder von Le Corbusier, Albert Jeanneret, und den Basler Bankier Raoul La Roche, der dort seine Sammlung von kubistischen Werken unterbringen wollte. Le Corbusier verband im Maison La Roche das durch gerahmte Blicke versetzte kontinuierliche Durchwandern von Räumen der Proménade architecturale mit den für ihn obligatorischen Strukturelementen eines Hauses, die er 1927 unter „Fünf Punkte moderner Architektur“ zusammenfasste: freier Grundriss, von der Fassade unabhängiges Hausskelett, Bandfenster oder Glaswand, Stützpfeiler, Dachgarten.25 Die erste präzisere Definition einer Proménade architecturale durch Le Corbusier geht ebenfalls auf eine Beschreibung der Maison La Roche aus dem Jahr 1929 zurück: „Dieses […] Haus stellt so etwas wie eine architektonische Promenade dar. Man tritt ein: sofort bietet sich dem Blick das architektonische Spektakel der Reihenfolge an; man folgt einer Route und die Perspektiven entfalten sich in großer Vielfalt; es wird mit dem Zufluss der die Wände erleuchtenden oder Schatten werfenden Lichtflut gespielt. Die Einbuchtungen der Fenster (les baies) öffnen Perspektiven nach außen, wo man das architektonische Ganze wiederentdeckt.“26
Die neue Formensprache, die aus der Allianz zwischen den unter „Fünf Punkte moderner Architektur“ zusammengefassten Konstruktionselementen und der Proménade architecturale ent25 Vgl. Le Corbusier, Der Plan des modernen Hauses, in: Conrads, Ulrich u. a. (Hg.), 1929, Feststellungen zu Architektur und Städtebau, Berlin/Frankfurt am Main/Wien 1964 (Bauwelt Fundamente 12), 119 –133, hier 119. 26 Le Corbusier et Pierre Jeanneret, 1922 – maison double (La Roche et Albert Jeanneret), in: Boesiger, Willy/Stonorov, Oscar (Hg.), Le Corbusier et Pierre Jeanneret. Œuvre Complète 1910 –1929, Zürich 81965, 58 – 68, hier 60 (eigene Übersetzung).
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steht, verkörpert am deutlichsten die zwischen 1928 und 1931 in Poissy-sur-Seine errichtete Villa Savoye. In seinem Vortrag „Amigos del Arte“ vom 12. Oktober 1929 beschreibt Le Corbusier die Villa als „eine in der Luft hängende ‚Schachtel‘ “,27 die „architektonische Spiele mit leeren und ausgefüllten Flächen“28 erlaubt. Obwohl das Bauskelett des Gebäudes eine klassische geometrische Aufteilung zu erkennen gibt, lassen sich die Räume in seinem Inneren durch Schiebeglaswände flexibel gestalten sowie in Abhängigkeit vom Betrachterstandpunkt visuell neu artikulieren. Durch tatsächlich existierende oder durch die Position des Betrachters ad hoc gebildete Rahmungen können reale Grenzen aufgelöst werden – es lassen sich aber auch räumliche Beziehungen zwischen völlig voneinander unabhängigen Elementen herstellen. Die optische Durchdringung von innen und außen schafft neue Schwellen oder Verbindungen zwischen den einzelnen Flächen, die der Betrachter durch seine Blick- und Bewegungsachsen als Räume in der Diagonale erfasst. Dadurch werden Raumanteile verdeckt oder enthüllt: Wie im Filmbild entstehen bewegliche Masken, die auf die optische Verkürzung oder die gedankliche Fortführung der realen Räume einwirken. Die Form der den architektonischen Pfad artikulierenden Rampe, die durch ihre Kehrtwenden die geometrische Form des um das Haus herum und unter die Stützpfeiler laufenden Fahrwegs wiederholt, wird von Le Corbusier mit einer Haarnadel verglichen.29 Sie verbindet alle Ebenen des Hauses und umschließt gleichzeitig die einzelnen Etagen durch Kehrtwenden. Nach ihrer ersten 180°-Wende führt die Rampe vom halboffenen Erdgeschoss in das Piano Nobile, wo der Salon und einige kleinere Zimmer untergebracht sind, die ihr Licht von dem um das Haus herumlaufenden Fenster bekommen. Dieses Bandfenster, in dem das geometrische Motiv der Bewegung rein visuell fortgesetzt wird, öffnet den an sich geschlossenen Wohnbereich fast uneingeschränkt zur Landschaft hin und schenkt dem sich in dem Piano Nobile bewegenden Menschen in regelmäßigen Abständen, die seinem Laufrhythmus angepasst sind, stilleben27 Le Corbusier, Der Plan, 130. 28 Ebd. 29 Ebd.
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artige Ausblicke auf die das Haus umgebenden Wiesen und Obstgärten. Eine in das Innere des Baukörpers eingelassene Terrasse, die nur durch Schiebeglaswände von den Räumlichkeiten im ersten Stock abgetrennt ist, dient als „Verteiler von Licht und Sonne“.30 Von dieser im Baukörper eingeschlossenen Terrasse, die von Le Corbusier als „Hängegarten“ bezeichnet wird,31 führt der Weg der Rampe auf die offene Dachterrasse.32 Das SichVerlieren des Blicks in der Landschaft wird durch eine erneute Kehrtwende der Rampe verhindert, die nun zur letzten Etappe der Proménade architecturale führt – zu einem wind- und blickgeschützten Teil des Daches, dem „Solarium“. An die Stirnwand des Solariums ist eine rechteckige Öffnung im horizontalen Fensterformat angebracht, das wie ein Fenster ins Leere den Blick des auf der Rampe Emporsteigenden frontal konfrontiert. Der streng konturierte Ausschnitt in der Mauer beendet das durch Bewegung rhythmisierte Spiel von durch Licht, Formen und Volumen produzierten Eindrücken und stellt gleichzeitig den Höhepunkt der architektonischen Promenade dar. In einem 1954 erschienenen Buch, das die Entwürfe zu einem 1923 –1925 in Corseaux am Ufer des Genfer Sees für seine Eltern erbauten Häuschen dokumentiert, führt Le Corbusier die Gründe für solche Einschränkungen des Blickfeldes aus: „Landschaft auf allen Seiten wirkt ermüdend. Um der Landschaft Gewicht zu verleihen, muss man sie einschränken, ihr ein Mass [sic!] geben: den Ausblick durch Mauern versperren, die nur an bestimmten strategischen Punkten durchbrochen sind und die Sicht freigeben.“33
Der strategische Punkt, der zur frontalen Konfrontation des Betrachters mit dem in der Mauer der Villa Savoye geöffneten „Ausblick“ führt, kommt dann zur Geltung, wenn er nach der letzten Kehrtwende der Rampe auf dem Weg zum Solarium
30 Ebd. 31 Ebd. 32 Eine Wendeltreppe auf der gegenüberliegenden Seite der Rampe verbindet die Sonnenterrasse mit dem Keller unter den Stützpfeilern und fügt der Gesamtkonstruktion aus strengen geometrischen Formen ein vertikales Element hinzu. 33 Le Corbusier, Une Petite Maison. Mit deutschem Text. English Version Appended, Basel/ Boston/Berlin 72005, 102.
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kurz innehält. Werden dieser Standpunkt und der ihm gegenüberliegende Mauerausschnitt in Beziehung zueinander gesetzt, so erscheint dieses die Mauer durchbrechende „Fenster“ als der Fluchtpunkt eines vom Blick des Betrachters gerahmten Standbildes, auf dem der von ihm zurückgelegte Weg als eine Staffelung von Tiefenebenen sichtbar wird (Abb. 2).
Abb. 2: B lick auf die Stirnwand des Solariums der Villa Savoye (Poissy-sur-Seine, Frankreich, 1929 –1931)
Abwandlungen der Proménade architecturale: Tiefenschärfe und Kontinuität
Eine ähnliche Kondensierung von Zeit und Bewegung findet der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin bei der künstlichen Schärfung des Tiefeneffekts der kirchlichen Innenräume der Barockbauten durch Zäsuren.34 Die Öffnung des barocken Bildraumes für Lichteinfälle, Zäsuren und Durchblicke auf weitere Räume ersetzt die für die Renaissancekunst typische additive Gliederung der Raumtiefe durch hintereinander geordnete Flächen durch ein neues Prinzip, das Wölfflin „das Tiefenhafte“ nennt. Dieses neue Prinzip hat laut Wölfflin die Tendenz, „Folgen getrennter Schichten durch einen einheitlichen Tiefenzug zu ersetzen“35 und dadurch eine zeitliche Dimension zu markieren, die durch Bewegung entsteht. Wie bei der Staffelung der Tiefenschärfe, die mit einem einzigen Bild arbeitet, hebt Wölfflin die im Barockbau gefassten Raumverhältnisse auf eine synthetische, abstrakte Ebene, die durch die optische Erzeugung von Bewegung organisiert wird. „Ein Barockbau“, schreibt er, 34 Wölfflin, Heinrich, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung der Neueren Kunst, München 21917, 126. 35 Ebd., 171.
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„spielt immer mit einem Bewegungsantrieb. Er rechnet von Anfang an mit einer Folge wechselnder Bilder, und das kommt daher, daß die Schönheit nicht mehr in planimetrischen Werten liegt und daß die Tiefenmotive erst im Wechsel der Standpunkte ganz wirksam werden.“36
In der Analyse der Effekte der Tiefenschärfe hebt Wölfflin dieselben Aspekte hervor, die in den Ausführungen von Choisy über das Pittoreske maßgebend sind: Perspektivenwechsel, Winkelperspektive, Frontalansicht. „Tiefenkunst geht nie in reinem Frontalblick auf. Sie reizt zur Seitenansicht, im Innenund Außenbau“,37 schreibt er bei der Auslegung der Verhältnisse zwischen Fläche und Tiefe bei den unterschiedlichen kunsthistorischen Stilen und fügt an anderer Stelle hinzu: „Am stärksten spricht die Tiefe, wenn sie sich als Bewegung offenbaren kann“.38 Durch die Bewegung werden die für die Renaissancebilder typische geschlossene Form der Komposition und das statische Arrangement der Elemente in ein offenes System überführt, das durch die Betonung einer Richtung oder eines Richtungswechsels den aus der Komposition einzelner Teile gestalteten Raum in ein Kontinuum transformiert. In Bezug auf die Verteilung der Tiefenschärfe durchläuft der Film die gleiche Entwicklung, die Wölfflin für die Renaissancemalerei und die Kunst des Barocks geltend macht. Die Staffelung von Tiefenebenen als räumlicher Ausdruck einer zeitlichen Sequenz wird im Kino erst Ende der 1930er-Jahre möglich. Dank der verbreiteten Einführung des sensiblen panchromatischen Filmmaterials kann eine kleinere Kamerablende bei den Dreharbeiten verwendet werden, wodurch das für den frühen Film typische Problem der Hintergrund-Unschärfen eliminiert wird. Die Möglichkeit, das gesamte Blickfeld des Schauplatzes mit gleichbleibender Schärfe zu erfassen, führt zur Idee der „inneren Montage“,39 die im Unterschied zur klassischen, „aneinanderreihenden“ Montage mehrere Aspekte eines räumlichen oder psychologischen Sachverhalts in einer einzigen Einstellung 36 Ebd., 127. 37 Ebd. 38 Ebd., 99. 39 Auf Französisch: profondeur de champ/découpage en profondeur, auf Englisch: deep staging. Vgl. Bazin, André, Orson Welles. Mit einem Wort von François Truffaut, Wetzlar 1980, 126.
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zeigen kann. Laut Gilles Deleuze, der sich auf die Ausführungen zu Tiefe und Fläche von Wölfflin und Analysen der Tiefenschärfe im Film von André Bazin bezieht, teilen Regisseure des frühen Kinos wie Louis Feuillade oder David W. Griffith den Tiefenraum ihrer Einstellungen wie die Renaissancemaler in abgrenzbare, übereinander liegende Schichten, während in den späten 1930er-Jahren Regisseure wie Jean Renoir und Orson Welles die Schichten des Tiefenraums in ständige Wechselwirkung untereinander versetzen. Diese neue Technik der Verteilung der Tiefenschärfe führt in dem Film „Citizen Kane“ von Orson Welles (USA 1941) dazu, dass sich in einigen Einstellungen die dramatis personae nicht auf der selben Bildebene treffen, sondern jede von ihnen aus ihrer Ebene hervortritt40 und von dort aus mit den anderen Personen kommuniziert. Dies bringt nicht nur einen gewissen theatralischen Effekt mit sich, sondern auch Aktionen und Reaktionen, „die sich nie nebeneinander in einer Einstellung entwickeln, sondern sich über unterschiedliche Entfernungen und von einer Einstellungsebene zur anderen erstrecken“.41 Dadurch können Relationen, die beispielsweise die planimetrische Anordnung von Vorder- und Hintergrund definieren, in hypothetische Beziehungen zwischen dem Vorher und Nachher übersetzt werden. Es entsteht eine wahrnehmungspsychologische Verbindung zwischen den Schichten des Tiefenraums und dem zeitlichen Verlauf des Films. Proménade architecturale und Film: Innerbildliche Kadrierung und Breitwandformat im Film „Le Mépris“
Eine ähnliche Komplexität des filmischen Bildes ist bei den seit 1952 eingesetzten Breitwandformaten42 festzustellen, bei welchen die Fluchtlinien des Bildes flacher als bei dem gängigen Academy-Format43 ausfallen. Deshalb werden die Effekte der Tiefenwirkung auf die Fläche verlagert, die synchron zwei 40 Deleuze, Kino I, 292. 41 Ebd., 46. 42 Etabliert haben sich das europäische Breitbildformat mit dem Seitenverhältnis 1:1,66, das amerikanische Breitbildformat mit dem Seitenverhältnis 1:1,85, sowie das Cinemascope-Format mit dem Seitenverhältnis 1:2,35. 43 Das seit den 1920er-Jahren übliche Format mit dem Seitenverhältnis 3:4 (1:1,37) wurde durch die Academy of Motion Picture Arts and Sciences zum Standard erklärt und trägt deswegen den Namen „Academy Format“.
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oder mehrere Szenen nebeneinander zeigen kann. Der Blick des Zuschauers muss zwischen den Polen der Szenen „wandern“, wodurch er von dem klassischen, zentralperspektivisch orientierten Wahrnehmungsmodus der Bilder des Films abgekoppelt wird. Diese Dezentrierung des Blicks wird bereits in den 1920er-Jahren in einer Diskussion zwischen Le Corbusier und Auguste Perret über die Rolle und die Funktion des Bandfensters als Element moderner Architektur thematisiert. Während Perret auf der Wichtigkeit des vertikalen Fensters (porte fenêtre) als bewährtes Architekturelement und anthropomorphe Sicht auf die Tiefe insistiert, hebt Le Corbusier die Wichtigkeit des Bandfensters (fenêtre en longeur) hervor, das die Wirkung der Landschaft als Kontinuum verstärken und dem natürlichen Sehverhalten des Menschen besser entsprechen soll.44 Die Monotonie der Sicht ohne perspektivische Tiefe wird durch die Aufteilung des Bandfensters in Segmente vermieden. Da die Sequentialität der durch die Proménade architecturale vermittelten Eindrücke durch ihren integralen Bestandteil – die Bewegung – bereits vorgegeben ist, wird die umliegende Landschaft durch die Aufteilung des Bandfensters „kadriert“ und nicht als ein einziges Raumsegment wahrgenommen. Eine vergleichbare sekundäre Unterteilung des Bildfeldes in Raumsegmente wird auch bei den Breitwandformaten des Kinos vorgenommen, weil ihnen die Tiefenstrukturierung des Raumes grundsätzlich fehlt. Insbesondere bei dem extrem in die Länge gezogenen Leinwandbild des Cinemascope-Formats sind vertikal ausgerichtete Fenster, Türen, Spiegel und Plastiken ein beliebtes Mittel der innerbildlichen Kadrierung. In einer berühmten, da fast 30 Minuten dauernden, Sequenz des in Cinemascope gedrehten Films „Le Mépris“ versinnbildlicht dadurch der Regisseur Jean-Luc Godard die wachsende Entfremdung zwischen Camille und Paul Javal, indem er beide andauernd durch vertikal ausgerichtete Elemente des Settings voneinander trennt45 (Abb. 3). 44 Vgl. Reichlin, Bruno, The Pros and Cons of the Horizontal Window, in: Daidalos 13 (1984), 64 –78. 45 Der Film basiert auf der literarischen Vorlage des Romans „Il Disprezzo“ (1954) von Alberto Moravia. Drehbuchautor ist Jean-Luc Godard, der in den Filmplot eine Geschichte über das Filmemachen einbaut. Der Plot: Im ersten Teil des Films wird der französische Kriminalromanautor Paul Javal vom amerikanischen Produzenten Jerry Prokosch engagiert, um durch ein neues Drehbuch den Flop der bereits unter der Regie von
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Abb. 3: Innere Kadrierung. „Le Mépris“ (I/Fr 1963), Screenshot
Wände, Bilder, Spiegel sowie alle raumverbindenden Elemente in ihrer Wohnung sind so verteilt, dass sie das CinemascopeFormat in kleinere Einheiten untergliedern. Bei ihren Gesprächen verschwinden die jungen Eheleute hinter Wänden und Türen, kommen wieder hervor, scheinen jedoch in dem Labyrinth ihrer widersprüchlichen Gefühle so gefangen zu sein, dass sie sich ständig verfehlen. Die Kamera läuft mit dem Zuschauerblick gleich und begibt sich nie in das Innere dieses labyrinthischen Bildraumes, aus dem der gereizte Paul durch die frontale Scheibenöffnung einer Tür heraustritt und voller Aggressivität in den vom Blick des Zuschauers besetzten Raum eindringt. Bei diesem emotional und visuell erlebbaren Labyrinth von Räumen und raumverbindenden Elementen bleibt unbemerkt, dass die Sequenz keine echte Plansequenz ist, sondern 43 kleinere Einstellungen enthält. Durch die kontinuierliche Bewegung der Kamera, die Paul und Camille zu verfolgen scheint, bleibt auch verborgen, dass als Drehort nicht eine, sondern zwei kleinere Wohnungen dienten. Durch die Perpetuierung von Bewegung durch Fenster, Türen und Spiegel, die den Bildhintergrund struk-
Fritz Lang laufenden Dreharbeiten eines Films über Odysseus zu vermeiden. Paul, der eigentlich Theaterstücke schreiben möchte, nimmt nur aus finanziellen Gründen das Angebot an und zieht die Verachtung seiner Frau Camille auf sich. Schauplätze des ersten Teils, der aus sechs Sequenzen besteht, sind die Cinecittá in Rom, der Projektions- und Zuschauerraum eines Kinos, sowie die römische Villa von Prokosch. Nachdem Paul und Camille nach ihrem Besuch bei Prokosch in ihre noch nicht eingerichtete Wohnung zurückkehren, fängt eine 29 Minuten und 27 Sekunden lange Sequenz an, die den zweiten Teil des Films fast zur Gänze ausfüllt. Das labyrinthische Geflecht der Räume der Wohnung, die durch Pauls Arbeit für Prokosch finanziert werden soll, macht in dieser falschen, da aus 42 Einstellungen bestehenden Plansequenz, das ausweglose Drama beider Eheleute visuell erfahrbar. Der letzte Teil des Films findet auf Capri statt und ist mit Dreharbeiten am Odysseus-Film und persönlichen Konflikten ausgefüllt, die indirekt zum Tod von Prokosch und Camille führen. Paul zieht sich nach ihrem Tod zurück und Fritz Lang setzt die Dreharbeiten ohne ihn fort. Odysseus’ Blick auf seine Heimat Ithaka, die er endlich gefunden hat, bildet gleichzeitig den Schluss des Films von Godard, der im fiktiven Odysseus-Film von Lang einen Cameo-Auftritt als sein Assistent hat.
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Abb. 4: P an und Scan. „Widescreen vs. Full-Frame Demonstration“, „Contempt“ (I/Fr 1963), Screenshot
turieren, wird das Kontinuum des von der Kamera erschaffenen filmischen Raums stark unterstützt. Schon aber die Redundanz dieser, die innerbildliche Kadrierung bei Godard determinierenden Elemente deutet auf die Künstlichkeit eines nur optisch erschaffenen Raumes, der nichts als filmische Fassade ist und ständig nach seiner Bestätigung sucht. Dass solche Rahmungen relativ und nicht absolut sind, zeigt die Pan- und Scan-Technik bei der Übertragung des Breitwandformats auf das Fernsehoder Homevideo-Ratio, bei der unerwartete und vom Regisseur unbeabsichtigte Kadrierungen, „Off“-Räume und Bewegungen produziert werden (Abb. 4). Dies weist auf die flüssige Grenze zwischen geschlossener und offener Form der Bildkadrierung im Film hin, die einzelne Elemente isolieren oder neutralisieren kann, um sie gegebenenfalls wieder in Einsatz zu bringen. In Abhängigkeit von den Elementen, welche die innerbildliche Kadrierung bestimmen, kann sich ihre Komposition nach streng geometrischen Kriterien richten oder nach optischem Gleichgewicht streben. Die vom Bildfeld eingeschlossenen Flächen passen sich dann der Dynamik der sich darin entfaltenden Bewegung an. Die Wohnungsszene in „Le Mépris“, die von der Entwicklung der sich hochschaukelnden und abebbenden Gefühle von Paul und Camille getragen zu sein scheint, demonstriert einerseits eine dynamische Konfiguration von vertikal und horizontal ausgerichteten Raumflächen, die anderseits von den Kraftlinien ihrer Emotionen organisiert werden. Eine andere Möglichkeit der innerbildlichen Kadrierung besteht in der Herstellung eines Bezugs zu Körpern und Gegenständen mit fixer Position im Raum, deren Existenz durch die Rahmung
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eine neue Bedeutung bekommt. So wird die zerfallende Beziehung zwischen Paul und Camille durch die farbliche und bildkompositorische Hervorhebung von Einzelstücken ihrer Wohnungseinrichtung visualisiert. Die Vase, das Sofa, die Kunstplastik und die Stehlampe, die den Raum zwischen beiden real und symbolisch trennen, stechen wie kleine Archipele im Chaos der noch nicht komplett eingerichteten Wohnung hervor. Sie sind zugleich fixe, vertikal ausgerichtete Elemente der Referenz auf eine im Cinemascope-Format schmerzlich vermisste Raumtiefe, der sich der Blick anvertrauen kann. Dieser Umstand wird in einer echten Plansequenz im letzten Teil des Films thematisiert, in der sich alle Hauptfiguren des Films in Casa Malaparte auf Capri aufhalten, deren fast surreale Fenster die Archipelgruppe der Faraglioni eindrucksvoll rahmen. Die von dem Horizont und der Fläche des Meeres eingeschlossenen Umrisse der majestätischen Felsen, deren Klippen Odysseus auf seiner Irrfahrt nach Ithaka erreicht haben soll, befinden sich fast auf der gleichen Höhe wie das Haus, das auf einer Terrasse auf der vordersten Spitze des Capo Massulo thront. Die in seine Wände eingeschlagenen riesigen Fenster üben eine immersive Wirkung aus und laden dazu ein, in den von ihnen umschlossenen Ausschnitt der herrlichen Landschaft einzutauchen. Camille riskiert diesen Blick aus der Geschlossenheit des Zimmers sowie aus ihrer Privatsphäre hinaus und spiegelt ihre an Indifferenz grenzende Verachtung in die Leere des Meeres. Paul, dessen Eifersucht im Labyrinth der Räume ihrer Wohnung gefangen bleibt, wendet sich von dem vom Fenster umschlossenen blauen Kontinuum ab. Nachdem die Beziehung zu Ende ist, verliert sich auch der Film in der unbestimmten Zone zwischen Himmel und Meer, die das Bildfeld seiner letzten Einstellung gänzlich ausfüllt. Die Konstruiertheit der filmischen Welt im Film „Le Mépris“
Durch die Transparenzcodes der Fenster werden virtuelle Verbindungen zwischen dem Exzess oder Kollaps des Bildlichen und emotionalen Zuständen, zwischen kalkulierter Immersion und der Einbildungskraft des Zuschauers hergestellt, die „wahre“ Geschichte im Film entspinnt sich jedoch zwischen den
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Kameraperspektiven und der Größe und den Positionen der gefilmten Objekte. Dadurch, dass die Kontinuität der Handlung von einem Raum in einen anderen verlagert wird, sind die Blickachsenanschlüsse zwischen den Einstellungen die einzigen sicheren Orientierungspunkte im Film von Godard, dem ein André Bazin zugeschriebenes Zitat als Motto vorangestellt ist:46 „Das Kino ersetzt unseren Blick durch eine Welt, die sich nach unseren Wünschen richtet“. Ergänzt wird das Zitat durch Godard, der sagt: „LE MÉPRIS ist die Geschichte dieser Welt.“47 Wie von Godard angekündigt, zeigt uns „Le Mépris“ vor allem die Konstruiertheit der filmischen Welt. Die Konstellationen der Räume und die Verwicklungen zwischen den Personen im Film, denen ein „reales“, ein cineastisches und gar ein mythologisches Sein beschieden ist, demonstrieren eine Geschichte des Scheins, die von Andeutungen auf neue, unverbrauchte Räume und ineinander übergehende physische und geistige Bewegungen getragen wird. Nicht zufällig spielt der expressionistische Regisseur und Meister des neue Räume eröffnenden Caché Fritz Lang im wörtlichen und im übertragenen Sinne eine wichtige Rolle in „Le Mépris“ – die Rolle des Regisseurs eines Films über die „Odyssee“, den er allerdings, wie Jean-Luc Godard bemerkt, „nie gemacht haben würde“.48 Von Fritz Lang übernimmt Godard die Idee von der Einordnung aller Elemente der Filmhandlung in ein allumfassendes visuelles Schema. Während aber die Kameraführung in den tatsächlich realisierten Filmen von Lang eine absolute Identifikation zwischen Kamerablick und Zuschauer fordert, zeichnet sich die Kameraführung in „Le Mépris“ durch eine unpersönliche Erzählweise aus, um sich von den zum Klischeehaften tendierenden Situationen und Charakteren zu distanzieren. Durch die Perpetuierung der Odyssee in die Handlung von „Le Mépris“ bekommt jede der handelnden Personen ihre mythologische Entsprechung: Fritz Lang, gespielt von Fritz Lang, 46 „Le Mépris“ wird mit diesem André Bazin zugeschriebenen Zitat, gesprochen im „Voice Over“ von Jean-Luc Godard, eingeleitet. Das Zitat stammt allerdings nicht von Bazin, sondern geht auf einen Text von Michel Mourlet zurück. Vgl. Mourlet, Michel, Sur un art ignoré, in: Cahiers du Cinéma 98 (August 1959), 23 – 37. 47 „ ‚Le cinéma‘, disait André Bazin, ‚substitue à notre regard un monde qui s’accorde à nos désirs‘. LE MÉPRIS est l’histoire de ce monde.“ 48 Godard, Jean-Luc, Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos, München/Wien 21982, 85.
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ist Zeus, der dem Rat der Götter majestätisch beiwohnt. Paul ist der herumirrende Odysseus, sein Feind Poseidon wird repräsentiert durch den amerikanischen Produzent Jerry, an den Paul Camille verlieren wird. Die Dolmetscherin Francesca, die als Assistentin von Jerry zu leiden hat, ist Athene, die mit Poseidon verfeindet ist und deswegen Paul/Odysseus beschützt. Der alte mythologische Streit zwischen Athene und Poseidon um die Schirmherrschaft über Attika, der seine Fortsetzung in der „Odyssee“ Homers findet, färbt auch auf die persönlichen Konflikte der handelnden Personen von „Le Mépris“ ab. Die Götterstandbilder von Poseidon und Athene, die dreimal in die Handlung des Films eingeschnitten werden, dienen auf der Ebene der Narration als Signal für die Gefährdung der Liebe von Paul und Camille. Da sie aus Untersicht gefilmt werden, scheinen sie die Intrigen und Verwicklungen der Handlung aus einer erhöhten, göttlichen Perspektive zu beobachten. Diese überindividuelle, gottähnliche Perspektive verbindet Szenen, die auf der Plot-Ebene des Films zeitlich und räumlich weit auseinander liegen, jedoch eine identische Kameraperspektive aufweisen. Ihr Zusammenhang wird durch den Vergleich der Aufnahmewinkel ihrer Erstkader hergestellt, die Anschlüsse mit den Achsen der unpersönlichen „Blicke“ der Götterstatuen bilden. Die psychologische Erklärung für die Wirkung der Kameraperspektive in solchen durch transsequentielle Schnitte gebildeten Raum-Zeit-Blöcken findet man in einem von der Kognitionspsychologin Barbara Tversky ausgearbeiteten Modell, das die grundlegenden Voraussetzungen für die visuelle Erfahrung des Menschen auf drei Perspektiven im Raum reduziert: Route, Survey und Gaze Perspective.49 Während bei der klassischen „Route Perspective“, die sich durch Bewegung, wechselnde Betrachterstandpunkte und Sequentialität auszeichnet, die Gegenstände und die Orientierungspunkte in der Umgebung in Beziehung zum Betrachter gesetzt werden, werden bei den „Gaze und Survey Perspectives“, die einen konstanten Point of View in Augenhöhe bzw. aus der Vogelperspektive aufweisen, die Gegenstände und die Orientierungspunkte in der Umgebung in Relation zueinander gesetzt. Deshalb lässt die „Survey Per49 Tversky, Narratives of Space, 381 f.
Proménade architecturale und Plansequenz | Lena Christolova
spective“ mit ihrem konstanten Point of View aus der Höhe auch voneinander entfernte Ensembles miteinander kommunizieren und kann als eine übergeordnete, subjektlose und dadurch gottähnliche Sicht auf die filmische Narration eingesetzt werden. Da die Perspektiven mit konstantem Point of View grundsätzlich keine temporalen, sondern räumliche Beziehungen zum Ausdruck bringen, sind sie durch ihre natürliche Rahmung des Blickfeldes insbesondere für die Beschreibung von innen und außen geeignet. Wie die Fenster in der Architektur kennzeichnen sie die Übergänge zwischen beiden Raummodalitäten und weisen unter Umständen auf weiterführende Räume hin. Diese wahrnehmungspsychologische Tatsache wird in den Villen von Le Corbusier materialisiert, die Prinzipien der Proménade architecturale mit Elementen der modernistischen Ästhetik der offenen Form verbinden, welche im Einsatz der „offenen“ Wand der Glasfassade und des Bandfensters sowie des nach oben offenen Flachdaches zum Ausdruck kommen. Die durch fortschreitende Bewegung stattfindende Aneignung des Raumes, die Le Corbusier als eine Dramaturgie der Wegführung in seinen Villen entwirft, ist an die konstante lineare Bewegung eines Subjekts gebunden, das an ausgewählten Standpunkten innehält. An diesen Standpunkten werden die auf dem zurückgelegten Weg gesammelten Impressionen wie in einem Standbild oder Tableau präsentiert, was den aktiven Teilnehmer an der Proménade architecturale in einen Betrachter verwandelt. Das zeigt, dass die für die Proménade architecturale typische sukzessive Bewegung, die beim Zuschauer eines Films in langen Einstellungen und Plansequenzen das Gefühl einer echten Dauer hervorruft, in geschlossenen architektonischen oder filmischen Kompositionen kondensiert werden kann. Was der architektonische Pfad als ein zeitliches Nebeneinander zeigt, arrangieren das Standbild und die Plansequenz unter Einsatz der inneren Kadrierung als ein räumliches Nebeneinander.
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Werben für eine neue Stadt Stadtplanung und Dokumentarfilm im Wiederaufbau der Bundesrepublik
Jeanpaul Goergen
Der Beitrag geht der Frage nach, wie und mit welchen Bildern in den 1950er-Jahren Stadtplanung im dokumentarischen Kinofilm Westdeutschlands1 dargestellt wurde. In welchem Maße bedienten sich Architekten und Stadtplaner sowie ihre Auftraggeber in Ministerien und Stadtverwaltungen des Mediums Film, um ihre Ideen und Vorstellungen allgemein verständlich darzustellen und für sie zu werben?2 An wen richteten sich diese Filme? Mit welchen Argumenten und Bildmotiven plädierten sie für eine Neugestaltung der im Zweiten Weltkrieg ganz oder teilweise zerstörten Städte?3 Bereits 1930 hatte der Film „Die Stadt von Morgen. Ein Film vom Städtebau“4 versucht, Fragen der Stadtplanung zu popularisieren.5 Am Beispiel einer fiktiven Landstadt erklärte er, vor allem mit Trickdarstellungen, die Grundprinzipien eines idealen Stadtaufbaus.6 Bei seinem Erscheinen wurde er von dem Stadtplaner Werner Hegemann freudig als „eine seit Jahrzehnten ersehnte und hocherfreuliche Leistung in der Geschichte des
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Über die Anfänge der Baufilme in der DDR vgl. Radicke, Eberhard, Bauindustrie und Baufilm, in: Die Technik, Berlin (DDR), 8 (1953), H. 1, 44 – 48. Nicht berücksichtigt wurden Fernsehdokumentationen, die sich ab 1957 mit den Entwicklungen im Städtebau und Wohnungswesen beschäftigten, und zwar im Gegensatz zu den Kinofilmen überwiegend kritisch. Immer noch grundlegend: Lüken-Isberner, Folckert, Der städtebaulich bedeutsame Lehrund Informationsfilm 1946 –1960 [Diss. Kassel 1988], Pfaffenweiler 1989. Die Stadt von Morgen. Ein Film vom Städtebau (D 1930), Produktion und Gestaltung: Atelier Svend Noldan, Berlin, Format und Länge: 35mm, s/w, stumm, 1.010 m (= 44’18” bei 20 Bildern pro Sekunde), Kopien: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin, Landesarchiv Berlin. Elsaesser, Thomas, Die Stadt von morgen. Filme zum Bauen und Wohnen, in: Kreimeier, Klaus/Ehmann, Antje/Goergen, Jeanpaul (Hg.), Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland, Band 2, Weimarer Republik 1918 –1933, Stuttgart 2005, 381– 409. Vgl. hierzu auch die auf dem „IV. Kongress des Congrès International d’Architecture Moderne“ (CIAM) 1933 in Athen verabschiedete „Charta von Athen“ zum Thema Stadtplanung und Städtebau.
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Städtebaues“ begrüßt. Dabei hatte Hegemann vor allem dessen aufklärerische Wirkung im Blick: „Keine Stadt, die auf ihre Neu- und Ausgestaltung vertraut, wird in Zukunft versäumen, ihr eigentümliches Werden und ihre erhoffte Entwicklung den begeisterungsfähigen Massen ihrer Bürger im Film darzustellen. Ein großartigeres Erziehungsmittel zur Vernunft im Städtebau ist nicht denkbar.“7
Der Film lief allerdings nicht im kommerziellen Kinoprogramm, sondern wurde vermutlich nur vor einem Fachpublikum in Sonderveranstaltungen sowie in Schulen aufgeführt, erreichte also keineswegs ein Massenpublikum.8 Während der in der Weimarer Republik gedrehte Film „Die Stadt von Morgen“ auf Einsicht und Nachdenken beim Zuschauer hoffte, setzte der im nationalsozialistischen Deutschland entstandene Film „Das Wort aus Stein. Ein Film von den Bauten des Führers“9 der Ufa von 1939 auf Überwältigung. Anhand von maßstabsgetreuen Modellen zeigte er u. a. Hitlers gigantomanische Umbaupläne für Berlin als der zukünftigen Welthauptstadt Germania. Die maßstabsgetreuen Modelle wurden durch Kamerafahrten dynamisiert; Lichteffekte und Wasserfontänen ließen etwa den in Berlin geplanten „Runden Platz“ beinahe real erscheinen. Die dramatisierende Musik bei gleichzeitigem Verzicht auf einen erklärenden Kommentar verstärkte die suggestive Wirkung dieser Vision des nationalsozialistischen Berlins.10 Die Bedeutung der Themenkomplexe Architektur, Wohnungsbau und Stadtplanung für den Wiederaufbau in der Bundesrepublik schlug sich in einer Vielzahl von dokumentarischen Filmen 7
Redaktionelle Vorbemerkung von W. H. [Werner Hegemann] zu: Goldbeck, Maximilian v./ Kotzer, Erich: Die Stadt von Morgen. Ein Film vom Städtebau, in: Wasmuths Monatshefte Baukunst, Beilage: Städtebau, 14 (1930), H. 5, 237– 239, hier 237, http://opus.kobv. de/zlb/volltexte/2006/852/ [Stand: 06.02.2015]. 8 In Preußen war er als Lehrfilm „für den siedlungsgeographischen Unterricht auf der Mittel- und Oberstufe höherer Schulen, auch für die Vorführung an Volkshochschulen und Abendschulen“ anerkannt. Vgl. Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen 72 (1930), H. 23, Nachtrag zum Verzeichnis der von der Bildstelle des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht als Lehrfilme anerkannten Bildstreifen, unpag., http://goobiweb.bbf.dipf.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:0111-bbf-spo-7805716 [Stand: 06.02.2015]. 9 Das Wort aus Stein. Ein Film von den Bauten des Führers (D 1939), Produktion: Universum-Film AG (Ufa), Berlin, Regie und Drehbuch: Kurt Rupli, Format und Länge: 35 mm, s/w, 531 m (= 19’24”), Kopie: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin. 10 Vgl. Arndt, Karl/Döhl, H., Das Wort aus Stein (Filmdokumente zur Zeitgeschichte G 47/1959), Göttingen 1965.
Werben für eine neue Stadt | Jeanpaul Goergen
nieder, die in mehreren Spezialkatalogen erfasst und kommentiert wurden.11 Auch international erlebte das Genre einen Aufschwung. 1956 gab es beim „XXIII. Internationalen Kongress für Wohnungswesen und Städtebau“ in Wien sogar einen ersten Filmwettbewerb, zu dem 33 Städtebaufilme aus zehn Staaten eingereicht wurden.12 Allerdings beklagte Hans Hämmerlein ein Jahr später, der „städtebauliche Fachfilm im engeren Sinn“ sei in den bundesdeutschen Kinos immer noch eine seltene Erscheinung.13 Dennoch ließen sich acht Filme auffinden, die sich in den 1950er-Jahren schwerpunktmäßig mit städtebaulichen Fragestellungen beschäftigten. Dem propagandistischen Pathos des nationalsozialistischen „Das Wort aus Stein“ halten sie einen nüchternen, beschreibenden Gestus entgegen, auch dort, wo ihre Werbeabsicht offenkundig zutage tritt. Auf eine idealtypische Darstellung städteplanerischer Prinzipien, wie sie 1930 „Die Stadt von Morgen“ ausgebreitet hatte, wird allerdings nicht ganz verzichtet. Die Städtebaufilme der 1950er-Jahre fokussieren vor allem den Einzelfall, was auch damit zusammenhängen mag, dass ihre Auftraggeber genau diese Leistungen werbend herausstellen wollten. Von beiden Filmen übernehmen die Nachkriegsproduktionen aber das Mittel des Animationsfilms, um komplexere stadtplanerische Überlegungen zu visualisieren, und setzen, allerdings im geringeren Maße, dreidimensionale Modelle zur Visualisierung der zukünftigen Stadtgestalt ein. Hämmerlein, der als Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Düsseldorfer Ministerium für Landesplanung an der Ausarbeitung 11 United Nations. Department of Economic and Social Affairs (Hg.), Housing Building Planning. An International Film Catalogue, New York 1956; siehe auch Filmkatalog. Nachweisung der deutschsprachigen Lehr- und Aufklärungsfilme des Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesens und der Bautechnik (Schriften des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumplanung 20), Köln 1957; Bundesminister für Wohnungsbau (Hg.), Neuzeitlicher Wohnungsbau in Film und Bild. Bautechnik, Bad Godesberg-Mehlen o. J. [1960]; Unesco (Hg.): Films sur l’art. Catalogue critique établi par un comité de spécialistes publié par la Fédération internationale du film sur l’art FIFA. 1960 Architecture. Catalogue. Paris 1960; Rationalisierungs-Gemeinschaft „Bauwesen“ im RationalisierungsKuratorium der Deutschen Wirtschaft (Hg.), Arbeitskatalog Nr. 1 zur Baufilmdokumentation 1960, Frankfurt am Main 1960; ders., Arbeitskatalog Nr. 2 zur Baufilmdokumentation 1961, Frankfurt am Main 1961; ders., Arbeitskatalog Nr. 3 zur Baufilmdokumentation 1962, Frankfurt am Main 1962; sowie Filmkatalog 1964. Nachweisung von Dokumentar-, Kultur- und Lehrfilmen aus dem Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen, dem Städtebau, der Landesplanung und der Raumordnung, Köln 1964 (Schriften des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung 61). 12 Vgl. Der Städtebaufilm als Planungshelfer. Vortrag von Hans Hämmerlein auf dem Filmabend des Deutschen Verbandes am 28. August 1957 in Berlin, Beilage zu: Filmkatalog. Nachweisung der deutschsprachigen Lehr- und Aufklärungsfilme des Bau-, Wohnungsund Siedlungswesens und der Bautechnik, 1957, 1. 13 Ebd., vgl. die umfangreiche Filmografie bei Lüken-Isberner, 480 – 510, die allerdings auch Titel erfasst, die den Städtebau nur am Rande behandeln.
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und Produktion einiger Filme zum Thema Städtebau und Wohnungswesen beteiligt war, sah Mitte der 1950er-Jahre deren Aufgabe vorrangig als „Planungshelfer“. Zum einen sollten sie den Planern helfen, „in ihren kommunalen Gremien Verständnis für ihre Vorschläge“ zu wecken, zum anderen den bereits beschlossenen Planungen „zum Verständnis bei der Bürgerschaft verhelfen“.14 Als Auftraggeber dieser Filme kam für Hämmerlein vor allem die öffentliche Hand infrage, da sie auch das größte Interesse an der zukünftigen Stadtgestaltung habe. Daher wird in den folgenden Ausführungen jeweils auch der Auftraggeber der städtebaulichen Filme, sofern bekannt, angeführt. Ebenfalls benannt werden die Verleihfirmen, um deutlich zu machen, dass diese Filme tatsächlich auch im Vorprogramm der Kinos gezeigt wurden und somit ein breites Publikum erreichten. Die so formulierte Aufgabenstellung der städtebaulichen Dokumentarfilme beeinflusse auch ihre Gestaltung, wie Hämmerlein weiter ausführte. Das Thema müsse so dargestellt werden, „daß es vom Publikum verstanden wird. Das mag den künstlerischen Wert beeinflussen, wird aber den Wert als Zweckfilm steigern“. Auch von der fachlichen Argumentation her müssten diese Filme Kompromisse eingehen, also auf Fachausdrücke verzichten und städteplanerische Erkenntnisse in eine allgemein verständliche Sprache übertragen. Insgesamt sollte daher die Dramaturgie dieser Filme „weniger vom Fachlichen als vom Psychologischen geleitet werden“. Um die Aufnahmefähigkeit der Zuschauer nicht zu strapazieren, sollten derartige Informationsfilme nicht länger als eine halbe Stunde dauern. Tatsächlich erfüllen die meisten Städtebaufilme der 1950er-Jahre diese Anforderungen. Die frühen 1950er-Jahre: Filmisches Plädoyer für die Neuordnung von Grundstücksflächen
Der früheste städtebauliche Film ist der 1951 im Auftrag der Bremen Bauverwaltung entstandene „Stadtplanung für heute und morgen“.15 Sein Thema ist die Umlegung, d. h. der Aus14 Hämmerlein, Der Städtefilm als Planungshelfer, 1 f. Dort finden sich auch die folgenden Zitate. 15 Stadtplanung für heute und morgen (BRD 1951), Produktion: Glocken-Film, Bremen, Regie: Karl Strichow, Format und Länge: 35 mm, s/w, 197 m (= 7’12”), Kopie: Landesfilmarchiv Bremen. Die nachfolgenden Zitate stammen aus dem Film.
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tausch von Grundstücksflächen, um besser nutzbare Zuschnitte zu erlangen. Konkret stellt er das Umlegungsgebiet 1 in Bremen vor, adressierte also ein Bremer Publikum und dürfte daher auch keine über die Stadt hinausgehende Verbreitung gefunden haben. In dem Film erklärt sich ausschließlich die Baubehörde; Gegenargumente oder gar eine Bürgerbeteiligung kommen nicht vor. Die Zuschauer sollen von der Notwendigkeit und der rechtsstaatlichen Abwicklung der Umlegung überzeugt werden. Als Hauptargumente für die Umlegung führt der Film Probleme und Unzulänglichkeiten der alten Stadt ins Feld: dunkle Klassenzimmer, winzige, zwischen Häusern eingeklemmte Schulhöfe, fehlende Kinderspielplätze und Parkmöglichkeiten sowie dichter Straßenverkehr. Diese Mängel werden in Form von Suggestivfragen vorgetragen und mit besonders drastischen Bildern verdeutlicht. So schwenkt etwa die Kamera von einer nackten Hauswand auf einen winzigen Schulhof ohne jegliches Grün, auf dem sich zahlreiche Kinder drängen. Aus diesen Negativbeispielen zieht der Kommentar die Schlussfolgerung, dass wir „Licht, breitere Straßen, Parkplätze und genügend große Höfe“ benötigen. Trickfilmaufnahmen lassen die alte Stadtstruktur verschwinden und visualisieren nach und nach die einzelnen von der Bauverwaltung geplanten Maßnahmen und wie diese mit den Interessen des Einzelnen in Übereinstimmung gebracht werden – wie also aus über 100 einzelnen Grundstücken mit einem hohen Anteil an nicht bebauungsfähigem Kleinbesitz und ohne nennenswerte Hofflächen ein zeitgemäßes Stadtviertel entstehen kann. Eine Vorher-nachher-Argumentation, ebenfalls trickanimiert, verdeutlicht noch einmal die Vorteile der Umlegung wie breitere Straßen, ein großer Parkplatz, bessere Anfahrmöglichkeiten der Häuser, Licht, breite Zugänge sowie größere Grundstücke, die eine „wirtschaftlich zweckmäßige und architektonisch befriedigende Bauweise“ erlauben. Das alte Stadtbild wird ausnahmslos abgelehnt; einheitliche Mehrfamilien- und Geschäftshäuser mit glatten Fassaden ersetzen in Zeichentrick die kleinteiligen, verwinkelten und unterschiedlich hohen Altstadtbauten. Auch ein durchaus luxuriös zu nennendes neues Wohngefühl verspricht die Animation. In einem großzügig bemessenen, lichtdurchfluteten Wohnzimmer kann sich sogar ein Kind auf seinem Dreirad
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austoben. Eventuelle Bedenken gegen die Umlegung wischt der Sprecher weg: „Durch einsichtsvolle Zusammenarbeit ist jeder zu seinem Recht gekommen und diese Rechte sind in der Umlegungsurkunde festgehalten.“ Nach der Berichtigung des Grundbuchs könne der Aufbau in „neuer und schöner Form“ beginnen. Zum ersten Mal erklingt nun auch Musik und unterstreicht den optimistischen Ausklang des Films. „Stadtplanung für heute und morgen“ enthält bereits viele Argumentationsmuster und Bildmotive, die sich auch in den weiteren städtebaulichen Filmen finden, insbesondere die alte und ungesunde Stadt als Negativfolie für das Gegenmodell einer hellen, kinderfreundlichen und verkehrsgerechten Stadt. Abschreckende Extrembeispiele von Bausünden der Vergangenheit werden mit Vertrauen erweckenden exakten Plänen und Zeichnungen kontrastiert. Im gleichen Sinne werden negativ konnotierte Aufnahmen von Kindern in dunklen Klassenzimmern, auf engen und baumlosen Schulhöfen sowie bei gefährlichem Spiel auf verkehrsreichen Straßen positiv besetzten Bildern gegenübergestellt. Auffallend ist, dass dieser Film, rund fünf Jahre nach Ende des Nationalsozialismus, noch deutlich die Rechtsstaatlichkeit der vorgestellten stadtplanerischen Umlegungsmaßnahmen herausstellen muss – offenbar war das Vertrauen in demokratische Verfahrensweisen noch nicht allgemein gegeben. Mitte der 1950er-Jahre: Zonierung und autogerechte Stadt
Im Auftrag des Ministeriums für Wiederaufbau des Landes Nordrhein-Westfalen entstand zwischen 194916 und 1955 „Unsere Stadt“.17 Über die Verleihfirma „Paramount Films of Germany“ lief dieser Kulturfilm mit Spielhandlung auch im Vorprogramm der Kinos. Angeregt wurde er, wie es in den Credits heißt, durch das „Sozialwerk Baden-Baden“, einer Aufbaugemeinschaft, und die „Treufinanz Düsseldorf“, einer Treuhand- und Finanzierungsgesellschaft für Wohnungs- und Bauwirtschaft. Bereits die Ge16 Filmkatalog. Nachweisung der deutschsprachigen Lehr- und Aufklärungsfilme des Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesens und der Bautechnik, Köln 1957, 29. Dort heißt es: „Es ist der erste Film nach dem Kriege, der sich mit städtebaulichen Fragen beispielhaft beschäftigt.“ 17 Unsere Stadt (BRD 1955), Produktion: Rhewes Filmproduktion, Düsseldorf, Infa-Film, Berlin/West, Regie: H. O. Schulze, Format und Länge: 35 mm, s/w, 355 m (= 12’59”), Kopie: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin.
Werben für eine neue Stadt | Jeanpaul Goergen
staltung des Vorspanns lässt seine Botschaft anklingen. Über eine differenziert gestaffelte alte Dachlandschaft legen sich die geraden und rechtwinkeligen Linien eines Katasterplans – die verwinkelte und uneinheitlich gewachsene Stadt hat einer rationell geplanten neuen Anordnung zu weichen. Während die Stabangaben abrollen, schwenkt die Kamera über die Dächer, um auf einem Dach bei einem Schornsteinfeger zum Halt zu kommen, so bereits vorab Sicherheit und Glück in Aussicht stellend. „Unsere Stadt“ propagiert die Bildung von Aufbaugemeinschaften, also den Zusammenschluss von Grundstückseignern zwecks gemeinsamen Wiederaufbaus: „Das wird billiger, als wenn sie alleine bauen würden. Und Aufschließungskosten werden auch gespart, weil die Anschlüsse vorhanden sind. Vor allem brauchen wir dann keine Enteignung, die immer nur der letzte Ausweg ist.“
So erklärt der Baustadtrat gegen Ende des Films den verunsicherten Bürgern die Vorteile einer Aufbaugemeinschaft. Ein großes Bauschild sowie ein eingerüsteter Rohbau, auf dem fleißige Bauarbeiter am Werke sind, sollen belegen, dass die Bürger seinem Rat gefolgt sind. Damit nimmt der Film die Rhetorik der amerikanischen Re-education-Filme auf, wie etwa in „Ein Dach über dem Kopf“18 von 1950 über die Wohnungsnot der Nachkriegszeit, die ebenfalls die Bürger motivieren wollten, sich zusammenzuschließen, Interessengemeinschaften zu bilden und ihre Probleme gemeinsam zu lösen.19 Die Schlusseinstellung von „Unsere Stadt“ greift die Eingangsszene wieder auf: Vom Schornsteinfeger auf dem Dach eines alten Hauses ausgehend, lenkt ein Panoramaschwenk den Blick über Häuserruinen zu einer hellen breiten Straße, die von sechsstöckigen Neubauten gesäumt wird und mit viel Freiraum für Autos und Fußgänger bereits den Wandel vom „Steinmeer“ zum lichtdurchfluteten neuen Stadtgesicht visualisiert. Der Krieg, der diese Ruinen hervorbrachte, wird nicht erwähnt. 18 Ein Dach über dem Kopf (BRD 1950), Produktion: Dr. August-Rittig-Filmproduktion, München, für Zeit im Film, München, Regie: Eva Kroll, Format und Länge: 35 mm, s/w, 406 m (= 14’50”), Kopie: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin. 19 Vgl. Goergen, Jeanpaul, Blick nach vorne: Re-orientation-Filme unter HICOG 1949 –1952, in: Heukenkamp, Ursula (Hg.), Schuld und Sühne? Kriegserlebnis und Kriegsdeutung in deutschen Medien der Nachkriegszeit (1945 –1961) (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 50.2-2001), Amsterdam/Atlanta (GA) 2001, 415 – 428.
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Auch in diesem Film erklärt die Stadtverwaltung den Bürgern eine Planung, in deren Entwicklung sie nicht eingebunden waren. Fast verzweifelt weist der Referatsleiter die Bürger darauf hin, der Umlegungsplan habe doch lange genug ausgelegen. Die öffentliche Auslegung von – für den Laien nur schwer verständliche – stadtplanerischen Unterlagen kann aber kaum als Mitwirkung bezeichnet werden. Die Webergasse soll verbreitert werden. Die Eigentümer aber wollen ihre teilzerstörten Häuser in alter Form und an alter Stelle wieder aufbauen. Entrüstet eilen sie zum Rathaus, wo sie vom Baustadtrat eines Besseren belehrt werden. Denn ist der Bürger einmal über die Vorteile einer städtebaulichen Umgestaltung instruiert, so die dem Film zugrundeliegende Annahme, wird er auch seinen durch Einzelinteressen beschränkten Blick weiten und die Beschlüsse der Verwaltung nachvollziehen und billigen. Die Zeit der Pferdedroschke sei vorbei, so belehrt der Baustadtrat die aufgebrachten Bürger, „daher müssen auch wir unsere Scheuklappen ablegen“. Ausgangspunkt seiner Argumentation sind die Straßen als „Lebensadern der Stadt“, die breit genug sein müssen, um auch den noch zu erwartenden Verkehr aufzunehmen. Besonders markante Negativbeispiele illustrieren diese These: Straßenverengungen, die kaum Platz lassen für einen LKW oder einen VW-Käfer, sowie ein Verkehrsstau, in dem nur noch Radfahrer vorankommen. Dann stellt er seinen Plan vor: Die Notquartiere werden einer Durchbruchstraße weichen, Entlastungsstraßen die Stadtmitte neu erschließen, großzügig bemessene Parkplätze locken Käufer in die Innenstadt, wo Wirtschaftsverwaltungen, Banken, Sparkassen und Behörden für jeden leicht erreichbar sind. Was zu tun sei, illustriert der Film anhand von Modellen und Animationen: Schaffung neuer Parkplätze, Einrichtung von Fußgängerzonen im Zentrum und Auslagerung der Schulen in die Wohngegenden am Stadtrand. So bekäme die Stadt ein neues Gesicht, mit Licht, Luft und Sonne sowie viel Platz für großzügige Spielplätze und verschiedene Bauformen, die unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigen. Aber die Stadtverwaltung malt nicht nur das Gesicht der neuen Stadt in rosigen Farben, sondern droht auch mit der Enteignung und schüchtert die Bürger gar mit einem düsteren Ausblick ein: Wenn sich nichts ändere, müssten die Kinder weiter-
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hin in „Zementschluchten“ spielen, denn „im Steinmeer bleibt der Mensch einsam in der Masse. Er wird seelenlos wie die Steine selbst. Und darum müssen wir das Steinmeer unserer Stadt neu ordnen, wenn wir dem Menschen dienen wollen“. Und sollte dieses Argument nicht fruchten, so packt der Film die skeptischen Hausbesitzer am Portemonnaie, indem er darauf hinweist, dass durch die Neugestaltung der Straße auch der Wert ihrer Grundstücke steige. In expressiven Bildern und eindringlichen Formulierungen wird die Großstadt als ein Ort dargestellt, in der der Mensch versteinere und seine Seele verliere. Mit der Metapher von der Stadt als einem lebendigen Organismus führt „Unsere Stadt“ gleichzeitig ein neues Bild als Gegenmodell ein, das im stadtplanerischen Diskurs der Nachkriegszeit eine zentrale Rolle spielte und sich vor allem aus dem Konzept einer „organischen Stadtbaukunst“ des Architekten und Stadtplaners Hans Bernhard Reichow speiste. Für Reichow war die Großstadt ein Schreckgespenst, das „schranken-, form- und uferlos“ seine Steinmassen in die Landschaft ergießt und diese zersetzt und zerstört. Reichow kannte „kein größeres Chaos als die Großstadt in ihrer unübersichtlichen, verwirrenden Funktion und Erscheinung. Sie wird zum getreuen Spiegelbild einer von der unbewältigten Mechanisierung und Vermassung zerstörten Lebensordnung und Daseinsharmonie. Sie zerreißt jede Einheit des persönlichen, individuellen Lebens und seiner höheren Gemeinschaftsformen, die Bande der Gemeinschaft von Mensch zu Mensch, der Familie, der Nachbar- und Wohngemeinschaft, nicht zuletzt der Gesamtgemeinde“.20
Auf diese gefährdete Nachbarschaft setzten auch die Auftraggeber von „Unsere Stadt“, indem sie die Stadt planerisch in Funktionszentren aufteilten. Im Zentrum solle sich vor allem das Geschäftsleben abspielen, während die Wohngegenden – „Sie sind die Nachbarschaft – die Lebenszellen im Organismus unserer Stadt“ – den Kern der Stadt umgeben.
20 Reichow, Hans Bernhard, Organische Stadtbaukunst. Organische Baukunst. Organische Kultur, Band 1, Braunschweig 1948, 5.
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Abb. 1: „ Eine Stadt ohne Vorbild“ (BRD 1957) Sozialer Wohnungsbau in der Sennestadt, einen von Grund auf neu geplanten Stadtteil von Bielefeld. „Man will hier keine Experimente machen“, kommentiert der Sprecher diese Aufnahme.
Abb. 2: „ Eine Stadt ohne Vorbild“ (BRD 1957) Grünanlagen und spielende Kinder im Vordergrund sollen die Einbindung der Wohnungsneubauten in die Natur belegen.
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Und so sieht „Unsere Stadt“ das neue Gesicht der Stadt: In den einzelnen Nachbarschaften spielt sich das tägliche Leben ab, hier gibt es Spiel- und Sportplätze, Geschäfte, Kinos und Kirchen sowie Schulen und ein Krankenhaus. Verschiedenartige Bauweisen helfen zudem, die Verschiedenheit der Menschen zu bewahren. Ungefährdet über Waldwege stürmende Kinder tummeln sich ausgelassen und zuhauf auf großzügigen und wohnungsnahen Spielplätzen – ein Hoffnungsbild und zugleich Vision einer kinderreichen und glücklichen Zukunft. Unausgesprochen schwingt hier das von Reichow beschworene apokalyptische Szenario von dem durch das Großstadtelend schließlich herbeigeführten „Tod ganzer Völker“21 mit. Spielplätze, die „in der visuellen Rhetorik des Wiederaufbaus als Zeichen des Bevölkerungswachstums und des Lebens schlechthin“ eingesetzt wurden, verweisen somit nicht nur in diesem Film auf den Zusammenhang von Städtebau und Bevölkerungsplanung, für den Kathrin Peters den treffenden Begriff vom „Bio-Diskurs der Stadt“ fand22 (Abb. 1 und 2). 1957 kommt „Stadtplanung geht alle an!“ in die Kinos, ebenfalls im Auftrag des Ministeriums für Wiederaufbau des Landes Nordrhein-Westfalen hergestellt, und erneut von dem Verleiher „Paramount Films of Germany“ im Kinovorprogramm eingesetzt.23 Es handelte sich dabei um eine kürzere Kulturfilmfassung des bereits 1955 entstandenen halbstündigen Informationsfilms „Zwischen Gestern und Morgen. Eine städtebauliche Studie“,24 der vermutlich nur in Sonderveranstaltungen gezeigt wurde. In der Rahmenhandlung ist es hier ein Stadtplaner, der den Bürgermeister, stellvertretend für die Zuschauer, von seinen Ideen überzeugen will. In einem Beratungszimmer sind auf einem großen Tisch Pläne ausgelegt; auch an der Wand hängen Pläne. Der Stadtplaner regt sich auf: „Aber, meine Herren! Städtebau ist doch kein Spiel mit Häu-
21 Ebd., 3. 22 Peters, Kathrin, Verkehr und Verführung. Vom Leben der Städte um 1960, in: Maechtel, Annette/Peters, Kathrin, Die Stadt von Morgen. Beiträge zu einer Archäologie des Hansaviertels Berlin, Köln 2008, 174 –185; Zitate auf den Seiten 181 und 175. 23 Stadtplanung geht alle an! (BRD 1957), Produktion: Rhewes Filmproduktion, Düsseldorf, Regie: Wolf Lorenz, Format und Länge: 35 mm, s/w, 358 m (= 13’05”), Kopie: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin. 24 Zwischen Gestern und Morgen. Eine städtebauliche Studie (BRD 1955), Produktion: Rhewes Filmproduktion, Düsseldorf, Format und Länge: 35 mm, s/w, 850 m (= 31’04”).
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Abb. 3 und 4: „Stadtplanung geht alle an!“ (BRD 1957)
sern! Menschenschicksale stehen hier auf dem Spiel!“ (Abb. 3) Der Bürgermeister freut sich dagegen über die Neuansiedlung von Industrie und einen kräftigen Anstieg der Einwohnerzahlen. In seinem Vortrag rekurriert der Stadtplaner zuerst auf die Geschichte. Anhand von Modellen und Grundrissen erklärt er aus dem Off, warum die historische Entwicklung der Städte zu heute nicht mehr annehmbaren Bedingungen geführt habe: „Bodenwert und Parzellierung bestimmten Wohn- und Hausformen, Willkür ging vor Vernunft. So wurde althergebrachte Ordnung zur planlosen Unordnung, die uns bis heute noch belastet. Endlose Straßenzüge verbergen lichtlose Hinterhöfe, die freudlose Kehrseite zu schnell gewachsener Großstädte. [...] In diesem planlosen Labyrinth der Unvernunft werden Häuser zu Massensärgen der Menschenwürde!“
Auch in diesem Film werden dicht gestaffelte Dächer, verbaute Innenhöfe und dunkle Fassaden enger Hinterhöfe als abschreckende Negativbeispiele vorgestellt (Abb. 4). Ruinengrundstücke kommen nicht mehr vor, auch der Zweite Weltkrieg wird nicht angesprochen. „Stadtplanung geht alle an!“ plädiert nicht nur für die Aufstellung eines weitsichtigen Leitplans als Grundlage der Stadtentwicklung, sondern auch für eine stärkere Bürgerbeteiligung. Ein wirklich gerechter Plan entstehe nur dann, wenn alle Bürger mitdenken und mithelfen: „Städtebau ist weniger eine technische als eine kulturelle und soziale Gemeinschaftsaufgabe.“ Er sei nicht nur auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet, sondern habe auch einen künstlerischen Aspekt, nämlich die „Schönheit und Harmonie“
Werben für eine neue Stadt | Jeanpaul Goergen
Abb. 5 bis 8: „Stadtplanung geht alle an!“ (BRD 1957)
des Stadtbildes sicherzustellen. Die bereits im Titel aufgerufene Bürgerbeteiligung bleibt jedoch bloße Behauptung, die an keiner Stelle des Films als praktiziertes Mitwirken gezeigt wird. Im Zentrum der Argumentation für eine modernere Stadt steht der zunehmende Straßenverkehr.25 Überblendungen von Verkehrsszenen beschwören das zu erwartende Verkehrschaos und liefern die Begründung für Lösungen, die den Straßenverkehr „wieder organisch in unsere Stadt einordnen“ (Abb. 5). Der Durchgangsverkehr könne auf breiten Straßen kreuzungsfrei durch die Stadt geführt werden, sodass die City von diesem „Lebensstrom“ auch weiterhin „durchpulst“ werde. Das Zentrum aber solle autofreie Einkaufszone werden (Abb. 6). Zu Aufnahmen einer Fußgängerzone26 – der Begriff fällt noch nicht – plädiert der Film für die Schaffung eines großen Einkaufszentrums. Der in der Innenstadt benötigte Verkehrsraum habe automatisch dazu geführt, dass in die Höhe gebaut wurde (Abb. 7) und weitere Freiflächen entstanden seien. Denn ohne
25 Vgl. Reichow, Hans Bernhard, Die autogerechte Stadt. Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos, Ravensburg 1959. 26 Die 1950 angelegte Fußgängerzone Lijnbaan in Rotterdam war die erste für den Fahrzeugverkehr gesperrte Straße Europas.
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Abb. 9 bis 14: „Stadtplanung geht alle an!“ (BRD 1957)
ausreichenden innerstädtischen Parkraum sei die beste Verkehrsführung unwirksam (Abb. 8).27 Die folgende Sequenz illustriert mithilfe von Trickzeichnungen die Anordnung der Arbeits-, Wohn- und Erholungsgebiete um das Stadtzentrum herum. In Anlehnung an Reichows Modell der organischen Stadtplanung, aber ohne ihn zu nennen, stellt der Film die Erschließung des Wohngebiets durch ein kreuzungsfreies Straßensystem vor, das idealerweise wie die Adern eines Blattes aufgebaut sei. „Die Natur gab uns diesen Hinweis“, schwärmt der Sprecher. Wenn die Nachbarschaften zudem eine 27 Gezeigt wird u. a. die von 1951 bis 1952 nach Plänen von Paul Schneider-Esleben für den Unternehmer Franz Haniel in Düsseldorf erbaute Garage, die heute als Haniel-Hochgarage bekannt ist.
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vielgestaltige und abwechslungsreiche Mischung von Hoch- und Niedrighäusern, von Mietshäusern und Eigenheimen aufweisen, seien „die Stadtviertel endlich keine sozialen Klassenghettos mehr“, heißt es weiter. Die Mittel- und Großindustrie sollte von den Wohngebieten durch Grünanlagen getrennt sein, am besten durch Kleingärten, wirtschaftlich genutzte große Parkanlagen oder kleinere Grünoasen sowie Sport- und Spielplätze (Abb. 9 –14). In der Schlusssequenz sollen zahlreiche Pläne, Grafiken und Statistiken, auf deren Inhalt aber nicht eingegangen wird, die immense Arbeit belegen, die in dem Leitplan steckt. Bürgerbeteiligung wird nur behauptet, nicht gezeigt: „Ein wirklich gerechter Plan entsteht aber nur dann, wenn auch alle Bürger mitdenken, mithelfen. Das kostet Zeit und Geld – aber ohne diese beiden Faktoren ist keine Planung denkbar.“ Eine freudigverspielt aufklingende Schlussmusik deutet an, dass das Stadtparlament den Leitplan wohl annehmen wird.28 Der Städtebaufilm „Stadtplanung geht alle an!“ stellte zum ersten Mal, wenn auch an einem idealtypischen Modell, den Verkehr in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Die zunehmende Motorisierung und das prognostizierte Verkehrsaufkommen fokussieren den Blick des Stadtplaners auf die Verbindungswege innerhalb der zonierten Stadt. Die Planung solle organisch, nach dem Vorbild der Natur, die Verkehrsströme regulieren. So denkt der Film die Stadtplanung vor allem von der Verkehrssituation her. Für die Innenstadt bedeutet dies kreuzungsfreie Straßenführung für den Durchgangsverkehr, die Verbannung der Autos aus der City, die Notwendigkeit von Zubringerstraßen für den Lieferverkehr und die Schaffung von Parkraum für alle Wagengrößen. Auch die um das Stadtzentrum angeordneten Nachbarschaften, Arbeits- und Erholungsgebiete werden durch nach ihren Funktionen abgestuften Verkehrs-, Sammel- und Anliegerstraßen sowie Wohn- und Fußwege verbunden, die im Idealfall so angelegt sind wie die Verästelungen eines Blattes. So feiert der Film die Versöhnung von Verkehr und Natur, von Moderne und Nachbarschaft, während er zugleich mit der negativen Konnotation großstädtischen Lebens Modernisierungsängste aufgreift, die sich in 28 Zu diesem Film vgl. auch Peters, Kathrin, Verkehr und Verführung, 2008.
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den Wiederaufbaujahren vor allem in der Furcht vor einer ‚Amerikanisierung‘ aller Lebensbereiche ausdrückten. Die späten 1950er-Jahre: Die durchgrünte Stadt
Im Auftrag der Stadt Marl entstand 1956 „Der Mensch im Planquadrat“.29 Der Film rückt daher nicht nur die Stadt ins beste Licht, sondern lobt auch die Stadtväter über den grünen Klee. Der Rat der Stadt mache sich ständig Sorgen, so der schwulstige Kommentar, „welche dringendsten Probleme ihnen die größten Verpflichtungen auferlegen“. Auch dieser Film braucht eine Negativfolie, von der er die Pläne der Stadtverwaltung absetzen kann. Er findet sie in den geballten Industrieansiedlungen im Ruhrgebiet. In ungesunder Nähe zu den rauchenden Schloten liegen Werkssiedlungen, wo Kinder in baumlosen Hinterhöfen spielen müssen: „Millionen von Menschen ohne Grün, in Lärm, Rauch und Ruß.“ Diese Sünden der Vergangenheit sollen sich in Marl, im Norden des Ruhrgebiets, nicht wiederholen. Der Anspruch ist hoch gesteckt: „Das neue Revier will in neuen Städten in neuen Fabriken ein neues Menschenbild formen.“ Der Film wird dieser Vision aber an keiner Stelle gerecht. Wegen seiner gänzlich konventionellen Gestaltung versagte ihm die Filmbewertungsstelle sogar eine Prädikatisierung, sodass er keinen Verleiher für eine Kinoauswertung fand.30 Zwei Einstellungen zeigen einen „namhaften Planer“, der von der Stadt für eine „vorausschauende Stadtplanung“ engagiert worden war; seinen Name erfahren wir nicht.31 Dass die Einwohner „lebhaftesten Anteil an der schnellen Entwicklung ihrer Stadt“ nehmen, wird nur behauptet, aber nicht mit Bildern belegt. Marl soll eine „Zonenstadt“ werden: „Im Norden Industrie, darunter die Zone für Wohnen und Erholung, im Süden schirmt ein weiter Grüngürtel den Marler Raum gegen Ruß und Abgase aus dem Ruhrgebiet“ ab. Beispielhafte Grünstraßen und eine 29 Der Mensch im Planquadrat (BRD 1956), Produktion und Regie: Herbert K. Theis, München, Format und Länge: 35 mm, s/w, 297 m (= 10’51”), Kopie: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin, DVD: Stadtporträts aus dem Revier. Castrop-Rauxel, Marl und Gelsenkirchen. LWL-Medienzentrum für Westfalen, Münster 2012, Online: http://mediawien-film. at/film/124 (Ausschnitt [Stand: 06.02.2015]). 30 Vgl. Lüken-Isberner, 236 f. 31 Es handelt sich um den Architekten und Stadtplaner Günther Marschall (Filmkatalog. Nachweisung der deutschsprachigen Lehr- und Aufklärungsfilme des Bau-, Wohnungsund Siedlungswesens und der Bautechnik, 1957, 13).
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neue Anordnung der Wohngebiete sollen die Lufthygiene verbessern. In weiten Teilen entpuppt sich „Der Mensch im Planquadrat“ als typischer Städtewerbefilm, der die wichtigsten öffentlichen Einrichtungen hervorhebt und die Lebensqualität der Stadt lobt. Erst zum Schluss kommt er wieder auf die Stadtplanung zurück. In Marl habe die Zukunft bereits begonnen, tönt der Sprecher zu Aufnahmen eines Stadtmodells. Auch neue „Großbauten“ wie ein Hallenbad und ein neues Rathaus seien geplant. Die Lichtführung erzeugt wandernde Schatten und lässt so die Modelle plastischer erscheinen; eine dramatisierende Musik unterstreicht deren Bedeutung. Die Schlussszene dokumentiert einen Besuch von Bundespräsident Theodor Heuss in der Stadt: „Ich bin nach Marl gekommen, um ein architektonisches Wagnis zu sehen. Ich stelle fest, dass dieses Wagnis geglückt ist, nicht nur von der äußeren Gestaltung her, sondern auch vom gelungenen Grundriss und dem Geist, der alles erfüllt.“
Mit diesem Lob aus höchstem Munde auf die planerische Arbeit der Stadtverwaltung schließt dieser Film, der an keiner Stelle seinen im Titel formulierten Anspruch, das Verhältnis des modernen Menschen im Netz genormter Planungen darzustellen, einzulösen vermag. „Eine Stadt ohne Vorbild“32 von 1957 ist der erste Farbfilm zum Thema Stadtplanung. Erneut war das Wiederaufbauministerium des Landes Nordrhein-Westfalen der Auftraggeber, die „Columbia-Filmgesellschaft“ übernahm den Verleih. Die gesichtete englischsprachige Fassung „A Town without Compeer“ wurde von Inter Nationes im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik eingesetzt. Mit diesem Film informierte das Ministerium eine breite Öffentlichkeit im In- und Ausland über die in ihren Augen gelungene stadtplanerische Aufbauleistung der Sennestadt/Bielefeld. Der im Schlusskommentar zum Ausdruck kommende Appell, 32 Eine Stadt ohne Vorbild (BRD 1957), Produktion: Rhewes Filmproduktion, Düsseldorf, Regie: Hans Hämmerlein, Horst Riesenfeld, Format und Länge: 35 mm, Farbe, 360 m (= 13’09”). Englischer Verleihtitel: A Town without Compeer, Kopie: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin. Lüken-Isberner zufolge gab es drei Fassungen. Vgl. Lüken-Isberner, 384.
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dass Stadtplanung auch eine öffentliche Pflicht der Bürger sei, wird auch in diesem Film an keiner Stelle belegt. „Eine Stadt ohne Vorbild“ berichtet in Form einer Reportage über Planung und Ausführung der Sennestadt, einem auf der grünen Wiese neu entstandenen Stadtteil von Bielefeld, der als Musterbeispiel einer Stadtneugründung galt. Die erste Sequenz begründet deren Notwendigkeit mit der herrschenden Wohnungsnot und den langen Anfahrtswegen der Berufstätigen. Zudem könne die weitgehend unfruchtbare Heidelandschaft „largely on a voluntary base“ erworben werden – eine Formulierung, die ahnen lässt, dass es dabei doch Probleme und vermutlich auch Enteignung gegeben hat. Dann wird der Gewinnerentwurf des Ideenwettbewerbs vorgestellt, der Name des Planers, Hans Bernhard Reichow,33 wird allerdings nicht erwähnt. Der Sprecher lobt den Plan als „carefully conceived arrangement of a clearly outlined urban organism blending perfectly with the character of the surrounding countryside“. Die Landschaft bliebe erhalten, was durch friedlich grasende Rehe und Indianer-und-Cowboy-spielende Kinder belegt wird. In der dritten Sequenz erläutert eine lange Trickfilmsequenz den organisch nach der Natur ausgerichteten Entwurf. Die verschiedenen Häuserarten – freistehende Eigenheime in bester, weil naturnaher Lage, Reiheneigenheime und Mietshäuser – sind alle zur Mittagssonne hin ausgerichtet, was durch einen über das dreidimensionale Modell wandernden Schatten sinnfällig belegt wird. Was in „Stadtplanung geht alle an!“ noch Modell war, wurde hier praktisch umgesetzt. Straßen und die Anordnung der Häuser folgen einer Baum- und Blattstruktur; nur wenige Kreuzungen und viele Fußwege sorgen für einen reibungslosen Verkehrsfluss und eine sichere Verkehrsführung. Eingeblendete Zeitungsartikel sollen verdeutlichen, dass das Projekt durchaus kontrovers diskutiert wurde, und dienen zudem als Beleg dafür, „that town planning is a job of team work“. Der offizielle Beginn der Bauarbeiten wird im Stil der Lokalberichterstattung abgehandelt. Die Behauptung, die Bevölkerung habe
33 Lüken-Isberner stützt seine Analyse auf eine deutschsprachige Fassung, in der Reichow mehrfach angeführt wird. Die Transkription des deutschen Kommentars bei Lüken-Isberner, 542 – 43. Reichow fungierte bei dem Film zudem als Fachberater (Vgl. LükenIsberner, 144).
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„an enthusiastic part in this campaign against their housing shortage“ genommen, wird nicht belegt. Impressionen der verschiedenen baulichen Maßnahmen zur Erschließung des Geländes führen zur Schlusssequenz, in der die ersten fertiggestellten Bauten (Wohnhäuser, Restaurant, Kaufhaus, Kino, Schule) vorgestellt werden. Auch hier wird das gesunde Leben nahe an der Natur herausgestellt. Ausgelassen spielende Kinder sollen erneut belegen, dass die neue Stadt von ihren Bewohnern angenommen wird und alle eine glückliche Zukunft vor sich haben. Auch wenn der Stadtplaner eine Schlüsselstellung („a key position“) innehabe, so die Schlussbotschaft, sei Stadtplanung „not merely an artistic task for the expert, but it is at the same time a public duty for all citizens“. Genau das zeigt der Film aber nicht. Aus der Zeit gefallen? Der explizite Rückbezug auf das Neue Bauen
Gleich zwei Filme behandelten den Bau des neuen Hansaviertels in Berlin im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (Interbau) 1957. Im Vorfeld der Ausstellung realisierte der Altmeister des Kulturfilms Hans Cürlis „Die Welt baut in Berlin“,34 welchen der „Constantin-Filmverleih“ in die Kinos brachte. Als Auftraggeber kann der Berliner „Senator für Bau- und Wohnungswesen“ angenommen werden.35 Der ruppig montierte Film beginnt mit dem Richtfest der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche im Hansaviertel (Ludwig Lemmer, Berlin 1956/57), die bereits im Vorfeld der Interbau als heftig umstrittener Stahlbetonbau entstand – Auseinandersetzungen, auf die der Film nicht eingeht. Nach einem historischen Exkurs zur Geschichte Berlins und des alten Hansaviertels führt auch Cürlis die durch „wüste Bauspekulation“ entstandenen „licht- und luftarme[n] Schächte“ der Hinterhöfe als Negativfolie für den Neubau eines geschlossenen Stadtviertels „nach einer einheitlichen Grundplanung“ an. Als erster Städtebaufilm knüpft „Die Welt baut in Berlin“ an die Weimarer Baumoderne an. Zu Aufnahmen der Hufeisensiedlung
34 Die Welt baut in Berlin (BRD 1957), Produktion: CCC-Film, Berlin, Regie: Hans Cürlis, Format und Länge: 35 mm, s/w, 276 m (= 10’05”), ursprünglicher Titel: Wege zur Stadt von Morgen, Kopie: Landesarchiv Berlin. 35 Lüken-Isberner, 439, Anm. 313.
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Abb. 15: „ Die Welt baut in Berlin“ (BRD 1957) Vom Häusermeer und seinen Hinterhöfen über das Vorbild des Neuen Bauens der 1920erJahre in Licht, Luft und Sonne führt „Die Welt baut in Berlin“ zum Wiederaufbau West-Berlins. Im Vorfeld der Internationalen Bauausstellung IBA 1957 stellt der Film die Planer des neuen Hansaviertels (hier: Walter Gropius) und ihre Entwürfe sowie den Gesamtplan im Modell vor.
in Berlin-Britz und anderen Siedlungen der 1920er-Jahre wird deren Credo aufgerufen: „Hier ist Weite, Licht und Luft. Hier fehlt der Prunk, es gibt keinen Aufgang für Herrschaften mehr.“ Dann würdigt er die Vorreiterrolle des Bauhauses in Dessau, die Arbeiten von Walter Gropius und Mies van der Rohe – Bauten und Ideen, die, wie der Sprecher hervorhebt, von den Nationalsozialisten als „entartet“ bezeichnet wurden. Ein Schwenk über das nun enttrümmerte Hansaviertel führt zur Interbau. In Wochenschau-Stil präsentiert der Film die Verantwortlichen. Der Architekt Otto Bartning lenke „zusammen mit der Berliner Bauverwaltung“ das Projekt. Von den beteiligten Architekten stellt der Film Le Corbusier und Gropius mit kurzen, nichtssagenden Statements vor. Andere Architekten (mit einem Porträtfoto) und ihre Entwürfe (Fotos der Modelle) charakterisiert
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er ebenso kurz. Mit Trickzeichnungen geht er dann auf einige technische Probleme ein. So gehörten die Grundstücke des Hansaviertels 150 verschiedenen Eigentümern, und sowohl der Entwurf als auch die Straßenführung mussten sich an die bereits unter der Erde liegenden Einrichtungen anpassen. Kamerafahrten über das Modell – vom Sprecher launig als „reizendes Spielzeug“ bezeichnet, das man sich am liebsten unter den Weihnachtsbaum wünsche – belegen die Aussage, dass weder ein Häusermeer noch Gleichförmigkeit entstehen sollen. Einzelne Hochhäuser werden sich vielmehr mit Flachbauten abwechseln. „Bei einheitlicher Grundidee soll ein Bild größter Vielfalt im Einzelnen erreicht werden.“ Dass dieses Gestaltungsprinzip auch ein freiheitliches und demokratisch verfasstes Gesellschaftsbild widerspiegeln sollte und das Hansaviertel sich dezidiert gegen den Monumentalstil der im Ostsektor Berlins errichteten Stalinallee absetzte, wird nicht angesprochen. Zum Schluss kommt der Film noch einmal auf die Grundsteinlegung der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche zurück und gibt Bundespräsident Theodor Heuss die Gelegenheit, ein unverbindliches Schlusswort zu sprechen. Für den zweiten Film „Großbaustelle Hansaviertel“36 über die Interbau in Berlin, der 1959 produziert wurde, ließ sich kein Auftraggeber ermitteln; seinem Duktus nach zu urteilen, dürfte dieser aber in den Reihen des Berliner Senats zu suchen sein. Der vom Verleiher „Paramount Films of Germany“ vertriebene Film beginnt mit einer Totalen des weitgehend enttrümmerten ehemaligen Hansaviertels und zeigt anschließend Hausruinen und Enttrümmerungsarbeiten: „Die Ordnung wird wiederhergestellt, damit neues Leben und neue Häuser wachsen können, Platz für die Wohnburgen von morgen.“ Auf die Grundsteinlegung folgen Schwenks über das Modell des neuen Hansaviertels, dessen Bauten „aus der Fantasie der Freiheit“ geboren seien. Zur Grundkonzeption des neuen Hansaviertels gehöre der Einbezug des Tiergartens in die Bebauung. Als abschreckende Negativbeispiele zeigt der Film Luftaufnahmen von Wolkenkratzern in New York, „die eng beieinanderstehen und in deren Steinschluchten der Verkehr in fürchterlicher Enge
36 Großbaustelle Hansaviertel (BRD 1959), Produktion und Regie: Eberhard Riske, Berlin, Format und Länge 35 mm, s/w, 289 m (= 10’34”), Kopie: Landesarchiv Berlin.
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brandet; Betonkolosse ohne den grünen Kranz der Bäume und Gärten“ sowie erneut enge und dunkle Hinterhöfe. Anschließend dokumentiert er vor allem einzelne Arbeitsvorgänge, den Einsatz von vorgefertigten Bauelementen sowie wetter- und zeitüberdauernder Kunststoffe. Zum Schluss stellt „Großbaustelle Hansaviertel“ einige der Interbau-Häuser mit knappen Charaktersierungen vor. Herausgestellt werden u. a. die Häuser von Klaus Müller-Rehm und Gerhard Siegmann („siebzehngeschossig“), Alvar Aalto („achtgeschossiges Haus auf asymmetrischem Grundriss in der Form eines U, das sich nach der Morgensonne öffnet“), Pierre Vago („sind in mehreren Wohnungen die Decken und Fußbodenhöhen verschieden“), Fritz Jaenecke und Sten Samuelson („fußbodenbeheizt und dreifach verglast“) sowie Raymond Lopez und Eugène Beaudouin („ineinander geschachtelte Wohnburg mit mehreren Treppenhäusern und Aufzügen“). Als Fazit der insgesamt recht oberflächlichen Reportage lobt „Großbaustelle Hansaviertel“ aber nicht die Leistungen der Planer und der Architekten, sondern die der Stadt Berlin: „Ein wahrhaft kühnes, der Zukunft zugewendetes Experiment der Stadt Berlin – beispielgebend und anregend für das Bauen im ganzen Land!“ Der ebenfalls 1959 entstandene Film „Für einen Platz an der Sonne“37 greift bereits im Titel die Forderung der 1920er-Jahre nach einem Bauen in Licht, Luft und Sonne auf. Angelegt als ein Porträt des Städteplaners Ernst May, wird ihm von der Filmbewertungsstelle ein vernichtendes Urteil ausgestellt. Mays Persönlichkeit werde dem Zuschauer „weder vom Werk noch von der Person her genügend nahegebracht“; kritisiert wurde auch die „unkonzentrierte und vor jedem städtebaulichen Problem ausweichende Art des Films“. Der Auftraggeber des Films ist nicht bekannt; da aber die IFA-Filmproduktion vor allem Informationsfilme für die Bundesregierung produzierte, kann der Auftraggeber in einem Bonner Ministerium vermutet werden. Ernst May steht fast verloren wirkend in einem großen Kartenraum und spricht in die Kamera:
37 Für einen Platz an der Sonne (BRD 1959), Produktion: IFA-Filmproduktion, Frankfurt am Main, Regie: Rudi Hornecker, Format und Länge: 35 mm, s/w, 284 m (= 10’23”), Kopie: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin.
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„Es hat sich in der Nachkriegszeit deutlich erwiesen, dass mit der katastrophalen Vernichtung, wie es der Krieg auf unsere Städte herabbeschwur, nicht in den engen Grenzen normaler Verwaltungsmaßnahmen Herr zu werden vermag. Ich glaube, dass die Vorbilder, die uns schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, beim großen Brande Hamburgs, und später wieder, beim Wiederaufbau des zerstörten Bremer Westens, gegeben wurden, zur Grundlage unserer heutigen Wiederaufbaukonzeption gemacht werden können.“
Hier wechselt die Totale in eine Nahaufnahme, wie zur Unterstreichung der folgenden Aussage: „Ich habe diesen Vorgang ‚Umeignung‘ genannt und glaube, dass wir anders zu einem zeitgemäßen Wiederaufbau nicht gelangen werden.“ Er verweist auf das Beispiel von Rotterdam, das „durch Luftangriffe“ – dass diese von der deutschen Luftwaffe ausgeführt wurden, bleibt unerwähnt – fast vollständig zerstört war. Die Zusammenlegung des Grundbesitzes im Zentrum der Stadt und die einheitliche Planung des Wiederaufbaus wären seiner Meinung nach ohne Umeignung nicht möglich gewesen. Auch dieser Film bringt Negativbeispiele, von denen sich moderne Stadtplanung abheben müsse. Zu einem dichten Fußgängeraufkommen heißt es: „Aber selbst hier droht dem Menschen inmitten der Menge Vereinsamung, und nicht selten Verflachung.“ Bilder nächtlicher Neonreklamen und mit Saxofonklängen unterlegter Straßenlärm sollen die Großstadt weiter negativ konnotieren. Die Folgen der Gründerjahre seien noch heute sichtbar, heißt es weiter. Als Beleg dienen wiederum Aufnahmen spielender Kinder in kahlen Hinterhöfen: „Massenzuwanderungen in die Städte und eine ungehemmte Grundstücksspekulation führten zu einer planlosen Überbauung der Stadtkerne. An den schweren hygienischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen tragen wir noch heute.“
Als Beitrag zur Lösung dieser Probleme stellt der Film die 1925 bis 1930 vom damaligen Frankfurter Stadtbaurat Ernst May entworfenen Stadtrandsiedlungen vor. Am Beispiel der Bebau-
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ung des Niddatals erwähnt „Für einen Platz an der Sonne“ auch die Diffamierung dieser Bauten als „undeutsche Gipsdielen“ und „Neu-Marokko“. Das eigentliche Anliegen des Films offenbart sich schließlich in einer Aussage zum Ziel bundesdeutscher Wohnungsbaupolitik, das darin bestehe, „in geräumigen Wohnungen gesunde Familien anzusiedeln und den Willen zum Eigenheim zu stärken“ – ein Programm, zu dessen Adelung Mays Frankfurter Stadtrandsiedlungen herhalten müssen. Die Schlusssequenz zeigt Ernst May als Planungsbeauftragter der Stadt Mainz. „Er will eine Stadt bauen, in der die Menschen einen Platz an der Sonne haben.“ Es folgen Impressionen von Neubauten. In der letzten Einstellung schwenkt die Kamera von einer Draufsicht eines geometrisch strukturierten Platzes – ein Motiv, das an neusachliche Fotos der 1920er-Jahre erinnert – auf ein Hochhaus, auf dessen Dach eine Frau in die Ferne und die aufscheinende neue Stadt blickt. So bringt diese Einstellung das Anliegen des Films auf den Punkt, nämlich die Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung in Bezug auf die Eigenheimförderung mit den städtebaulichen Leistungen Ernst Mays zu legitimieren. Visuelle Muster städtebaulicher Zweckfilme
Nicht alle Filme, die sich in den 1950er-Jahren in der Bundesrepublik schwerpunktmäßig mit stadtplanerischen Themen beschäftigten, sind erhalten bzw. konnten aufgefunden werden. So beschrieb etwa „... in Sachen Querkopf“38 die Schwierigkeiten der Planer beim Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstörten Städtchen Engelskirchen „nach modernen Gesichtspunkten“ und wie es ihnen dabei gelang, „alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen“.39 „Lebendiges Grün“40 von 1960 diskutierte Ziele der modernen Stadtplanung wie „Auflockerung der Großstadt durch Trabantenstädte, Durchgrünung des Stadtkerns, Wohnanlagen in der Natur“.41 Ebenfalls 1960 ging „Kleine 38 ... in Sachen Querkopf (BRD 1953), Produktion und Regie: Panfilm Kurt Wolfes, Hamburg, Format und Länge: 35 mm, s/w, 362 m (= 13’14”). 39 Filmkatalog. Nachweisung der deutschsprachigen Lehr- und Aufklärungsfilme des Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesens und der Bautechnik, 1957, 21. Auf dem XXIII. Internationalen Städtebaukongress in Wien 1956 mit „Besonderer Anerkennung“ ausgezeichnet. 40 Lebendiges Grün (BRD 1960), Produktion: Artfilm Graf Lennart Bernadotte, Insel Mainau, Regie: Rudolf Stölting, Format und Länge: 35 mm, s/w, Farbe, 304 m (= 11’07”). 41 Filmkatalog 1964, 1964, 44.
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Stadt mit großen Plänen“42 am Beispiel der Flüchtlingssiedlung Espelkamp-Mittwald der Frage nach, ob und wie der Städtebau dazu beitragen könne, „Gemeinschaften im Bereich einer Stadt entstehen zu lassen“.43 Die Vermutung liegt aber nahe, dass diese verschollenen Filme sich in ihrer Tendenz nicht oder nur unwesentlich von den hier vorgestellten Filmen unterscheiden. Die meisten städtebaulichen Filme der 1950er-Jahre unterschlugen ihre Auftraggeber in den Stadtverwaltungen, den Ministerien der Länder sowie des Bundes und damit auch die ihnen eingeschriebene Werbeabsicht. Im Gewand des im Kinovorprogramm gezeigten werbefreien Kulturfilms gaben sie sich als populärwissenschaftliche Sachfilme aus, von denen der Zuschauer zu Recht einen objektiv-neutralen Problemaufriss erwartete. Allerdings waren die meisten der in den 1950erJahren hergestellten Kulturfilme derartig versteckte Auftragsfilme; die Städtebaufilme bildeten in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Eine kritische Behandlung des Themas war von ihnen nicht zu erwarten – auch in dieser Hinsicht gingen sie mit dem dokumentarischen Kinofilm der Adenauerära konform. Kritische Töne brachten erst Fernsehdokumentationen wie etwa „Neubauwunderlichkeiten“44 über Pfusch am Bau, die keinem Auftraggeber verpflichtet und nach journalistischen Kriterien recherchiert waren. „Eine moderne Verwaltung erläßt nicht nur Verfügungen“, so tat 1955 der Dortmunder Oberstadtdirektor Walter Kliemt kund, „sondern sie wirbt um Verständnis in der Öffentlichkeit“.45 Damit schränkte er die Öffentlichkeit auf ihre Rolle als Empfänger von Behördeninformationen ein und akzeptierte sie nicht als räsonierendes und partizipierendes Subjekt, das in die Ausarbeitung der Verfügungen einzubeziehen sei. Gerade auf dem 42 Kleine Stadt mit großen Plänen (BRD 1960), Produktion: Universum-Film AG, Abt. Werbefilm, Düsseldorf, Regie: Kurt Manke, Format und Länge: 35 mm, Farbe, 345 m (= 12’37”). 43 Filmkatalog 1964, 1964, 57. 44 Neubauwunderlichkeiten (BRD 1959), Produktion: Süddeutscher Rundfunk, Stuttgart, Regie: Dieter Ertel, Sendung: 23.02.1959, 21.00 – 21.35 Uhr, Reihe „Zeichen der Zeit“, Kopie: Haus des Dokumentarfilms, Stuttgart. 45 Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumplanung, Institut für Raumforschung (Hg.), Der Stadtplan geht uns alle an. Öffentliches Gespräch, Dortmund 1955. Bad Godesberg 1955, 3. Als Fazit dieses Gesprächs stellt dessen Initiator Gunther Ipsen die These auf, dass beim Thema „Planung und Öffentlichkeit“ letztere bereits sowohl bei der Fragestellung als auch beim Auftrag beteiligt sein müsse. (Der Stadtplan geht uns alle an, 32). Der NS-Soziologe Ipsen war ab 1951 Professor an der Sozialforschungsstelle der Universität Münster.
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Gebiet der Stadt- und Landesplanung hatten Fachleute einen „geradezu erschreckenden Mangel an Publizität“46 festgestellt. Die Öffentlichkeit wurde daher mittels Public Relations adressiert, aber nur, um für Verständnis für längst getroffene Entscheidungen zu werben. Modern war eine solche Verwaltung jedoch nur insofern, als sie sich aller zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel – darunter auch des Films – bediente, um sich den Bürgern zu erklären. Wie die meisten Kulturfilme der 1950er-Jahre sind auch die Filme zum Thema Stadtplanung von ihrer Gestaltung her wenig innovativ. Der Auflockerung der Handlung dienen gelegentlich kleine Rahmenhandlungen. Alle Filme folgen dem bereits in den 1930erJahren etablierten erklärenden bzw. expositorischen Modus, bei dem die Zuschauer über eine (in aller Regel männliche) Off-Stimme direkt angesprochen werden.47 Dieser auch Geisterstimme oder Voice of God genannte auktoriale Erzähler – gelegentlich auch durch eine im Film auftretende Kunstfigur vertreten – ist der zentrale Vermittler dieser Filme, der mit seinen Leit- und Merksätzen die Aussagekraft der Filmbilder häufig in den Hintergrund drängt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Auftragsvergabe der Filme auf der Basis eines ausgearbeiteten Drehbuchs entstand; die Aufgabe der Kameramänner beschränkte sich somit zumeist darauf, das Manuskript zu bebildern. Die Kamera agiert dabei journalistisch-reportierend; nur selten delektiert sie sich, vor allem bei Hochhäusern, an einer „neuen ‚Struktur‘-Ästhetik“, wie sie Andreas Haus für die Architekturfotografie der 1950er-Jahre identifizierte, „in der Gitter- und Gerüstformen, Durchdringungen und zeichnerische Gebilde grafisch-abstraktere und ‚leichtere‘ ästhetische Systeme begründeten“.48 Häufig werden Animationen, meist Zeichentrick, seltener Sachtrick, eingesetzt, um komplexere räumliche bzw. stadtplanerische Zusammenhänge zu erklären. Kamerafahrten über Stadtmodelle sollen ebenfalls das Verständnis der Planungen unterstützen. 46 Stadtbaurat Herbert Jensen, Kiel, im Auftrag der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, Der Stadtplan geht uns alle an, 4. 47 Nichols, Bill, Dokumentarfilm – Theorie und Praxis, in: Hohenberger, Eva (Hg.), Bilder des Wirklichen. Texte zur Theorie des Dokumentarfilms (Texte zum Dokumentarfilm 3), Berlin 1998, 148 –163. 48 Haus, Andreas, „Schönheit ist der Glanz des Wahren“ – Fotografisches Licht und die frühen Architekturdebatten des deutschen Wiederaufbaus, in: Breuer, Gerda, Architekturfotografie der Nachkriegsmoderne (Wuppertaler Gespräche, 5), Frankfurt am Main 2012, 95 –116, hier 116.
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Abb. 16 bis 21: „Stadtplanung geht alle an!“ (BRD 1957)
Hochhäuser werden bevorzugt in Nahaufnahme aus der Untersicht aufgenommen bzw. abgeschwenkt und so von ihrer Umgebung isoliert. Stürzende Perspektiven gehen mit der betonten Reihung gleichförmiger Gestaltungselemente einher. Gelegentlich ragen Sträucher oder Teile eines Baumes ins Bild, um ihm Tiefe zu verleihen, aber auch, um die Anbindung der Bauten an die umgebende Natur zu belegen. Neubauten sind meistens ausschließlich im Kontext anderer Neubauten zu sehen und nur selten zusammen mit älteren Bauten oder gar Ruinen. So erscheinen sie als etwas, was in keiner Verbindung mehr mit der ‚alten‘ (Groß-)Stadt steht. Mit Ausnahme von Spielplätzen sind diese Aufnahmen meist menschenleer; Leben und Urbanität sucht man hier vergebens.
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Die Hinterhöfe der großstädtischen Mietskasernen der Gründerjahre werden zumeist mit einer in der filmischen Repräsentanz des Wohnungselends fest etablierten Einstellung aufgenommen: Die Kamera zeigt in Untersicht die kahlen Hinterhoffassaden, die nur einen kleinen, angeschnittenen Ausschnitt des Himmels freigeben. Gerne schwenkt sie auch an den Wänden entlang in die engen Hinterhöfe. Oder sie blickt von oben auf die anzuprangernde städtebauliche Situation – etwa einen viel zu kleinen Schulhof – hinab. Als vorbildhaft erachtete Bauten der 1920er-Jahre werden dagegen, ihrem programmatischen Anspruch nach Licht, Luft und Sonne folgend, mit blühenden Bäumen und breiten Grünflächen im Vordergrund fotografiert. Das gilt auch für neu angelegte Nachbarschaften, deren Häuser meistens zusammen mit den sie umgebenden Grünanlagen fotografiert werden (Abb. 16 –21). Die Bildpolitik dieser fürs Kino produzierten Städtebaufilme setzt somit auf eine Hell-Dunkel-Dichotomie von engen und dunklen großstädtischen Mietskasernen zu offenen, lichtdurchfluteten und naturnahen Siedlungen. Besonders gerne argumentieren sie mit den ungesunden Hinterhöfen der Gründerjahre – ein Motiv, das bereits in Architekturfilmen der 1920er-Jahre zu finden ist.49 Der Film „Stadtplanung geht alle an!“ geht sogar so weit, dass er den Himmel über einer Stadtlandschaft tricktechnisch verdunkelt, um die bedrohliche Umweltverschmutzung herauszustellen (Abb. 22). Die positiv konnotierten Visionen beziehen sich auf eine sinnvollere Organisation städtischer Zusammenhänge und vor allem auf die Einbeziehung von mehr Natur in den städtischen Raum, die zu einer erhöhten Lebensqualität führe, die insbesondere Kindern zugutekomme (Abb. 23). Alles in allem dominieren die Ablehnung der Großstadt als „Häusermeer“ und die Präferenz für eine organische Stadtplanung im Sinne von Reichow als „naturnahes Leben, eine im weitesten Sinne des Wortes biologi-
49 So in der zwischen 1926 und 1928 von Filmausschuss für Bau- und Siedlungswesen realisierten Kulturfilm-Serie Wie wohnen wir gesund und wirtschaftlich? (D 1926 –1928), Produktion: Humboldt-Film GmbH, Berlin, Format und Länge: 35 mm, s/w, stumm, 2.323 m (= 102’ bei 20 Bildern pro Sekunde), Kopie der überlieferten Teile: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin, Bauhaus-Archiv, Berlin. Vgl. Goergen, Jeanpaul, „wirklich alles wurde unseren wünschen entsprechend gemacht“. Das Bauhaus in Dessau im Film der zwanziger Jahre, in: Tode, Thomas (Hg.), bauhaus & film (Maske und Kothurn, 57 (2011), H. 1– 2), Wien/Köln/Weimar 2012, 109 –122.
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Abb. 22: „Stadtplanung geht alle an!“ (BRD 1957)
Abb. 23: „Stadtplanung geht alle an!“ (BRD 1957)
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sche Ausrichtung unseres gesamten Daseins als letzten Schutz gegen die der gesamten Menschheit drohende Entartung, gegen Kultur- und Zivilisationsschäden“.50 Dass Reichow das Konzept der Entartung51 – das im Nationalsozialismus nicht allein auf Rassentheorie und Kunst beschränkt war52 – nahtlos in seine Nachkriegspublizistik übernimmt, verweist darauf, dass die Stadtplanung nach 1945 keineswegs bei null anfing.53 Eine historische und kritische Reflexion dieser Kontinuitäten sucht man in den Städtebaufilmen der 1950er-Jahre aber vergebens. Der Einsatz von Städtebaufilmen im Kinovorprogramm wurde von Hans Hämmerlein zwiespältig beurteilt. Einerseits erreichten sie dort ein breites Publikum, andererseits mussten sie dafür aber auch „fachlich nicht unerhebliche Konzessionen an den Geschmack des Publikums, des Verleihunternehmers und nicht zuletzt der Filmbewertungsstellen“ nehmen. Hämmerlein gab daher dem Einsatz von Städtebaufilmen in Sonderveranstaltungen vor einem ausgewählten Publikum den Vorzug und führte als Beleg dafür eine Reihe von erfolgreich verlaufenen Vorführungen in öffentlichen Versammlungen und Ratssitzungen an –„im Übrigen eine willkommene Gelegenheit, den Kontakt zwischen Verwaltung und Bürgern zu festigen und zu vertiefen“.54 Stadtplanung stellt sich in den untersuchten Filmen als eine reine Männerdomäne dar; alle aktiv Handelnden oder in wichtigen Positionen vorgestellte Personen sind Männer. Während in „Stadtplanung für Heute und Morgen“ überhaupt keine Frauen zu sehen sind, kommen sie in „Eine Stadt ohne Vorbild“, „Großbaustelle Hansaviertel“, „Die Welt baut in Berlin“ und „Für einen Platz an der Sonne“ nur zufällig und peripher etwa als Trümmerfrauen, beim Schaufensterbummel, als Sportlerin oder als junge Mutter ins Bild. In „Unsere Stadt“ spielen sie eine etwas größere Rolle. So übernimmt die Frau des Gemüsehändlers 50 Reichow, Organische Stadtbaukunst, 1. Vgl. dort auch die Luftaufnahmen von Mietskasernen (7f) und seine durchgehende negative Kommentierung der Großstadt als „vermasstes Wohnen“. 51 Vgl. Schmitz-Berling, Cornelia, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin/New York 2007, 2. Aufl., 178 –183. 52 So spricht etwa 1939 Felix Schuster davon, dass die „Zeugen einer entarteten liberalen Bauepoche“, insbesondere das „orientalische Flachdach“ nun rückgängig gemacht würden (Wiedergutmachung von Bausünden, in: Schwäbisches Heimatbuch 1939, 133 –137). 53 Vgl. Düwel, Jörn/Gutschow, Niels (Hg.), „A blessing in disguise“. War and town planning in Europe 1940 –1945, Berlin 2013. 54 Hämmerlein, Der Städtebaufilm als Planungshelfer, 4.
Werben für eine neue Stadt | Jeanpaul Goergen
den Verkauf, während ihr Mann zum Rathaus geht, um sich zu beschweren. Seine alte Mutter klagt stellvertretend für alle Mütter: „Ach, was wird noch aus uns? Erst ausgebombt, und dann noch enteignet! Das überleb ich nicht!“ Und auf dem Rathaus kritisiert eine von dem Stadtumbau betroffene Frau etwas hilflos: „Sie können uns doch nicht enteignen, das geht doch nicht!“ Nur in „Stadtplanung geht alle an!“ werden Frauen einmal direkt angesprochen, und zwar in ihrer traditionellen Rolle als Hausfrau, zu deren Erleichterung ein Einkaufszentrum vorgesehen sei, „wo wirklich alle Wünsche befriedigt werden können“. In „Der Mensch im Planquadrat“ wird eine Schule für Krankenschwestern hervorgehoben. Reine Staffage ist dagegen die Nahaufnahme einer einzelnen, mondän gekleideten Frau auf der Terrasse eines Gartenlokals. Der Film „Für einen Platz an der Sonne“ schafft es gar, das Verdienst an der von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky entwickelten Frankfurter Küche allein Ernst May zuzuschreiben.55 Dass die von der Stadtplanung betroffenen Bürger in diesen Filmen keine Stimme haben, ist jedoch keine Frage der Technik, sondern der Haltung. Bereits 1935 ließen Arthur Elton und Edgar Anstey in dem britischen Dokumentarfilm „Housing Problems“56 von der Sanierung eines Slums betroffene Mieter im Originalton zu Wort kommen. Auch der von dem als Schriftsteller berühmt gewordenen Filmemacher Peter Weiss 1961 in Dänemark gedrehte Film „Bag de ens Facader“57 über das Wohnen in einem neu errichten Stadtviertel von Kopenhagen zeugt von einer anderen Einstellung. Obschon auch dies ein staatlicher Auftragsfilm ist, nimmt Weiss eine kritische Haltung zur modernen Stadtplanung ein, indem er vor allem die Hausfrauen, für die diese Neubausiedlung Lebensmittelpunkt ist, ausführlich zu Wort kommen lässt. Trotz der noch umständlichen Bild- und Tonaufnahme in Innenräumen begibt er sich in die Häuser und befragt die Menschen in ihren Wohnungen.58 Die 55 Zur Frankfurter Küche vgl. den Beitrag von Christiane Keim in diesem Band. 56 Housing Problems (GB 1935), Regie und Produktion: Arthur Elton und Edgar Anstey, London, Format und Länge: 35 mm, s/w, 1.378 feet (= 15’21”); http://vimeo. com/4950031 [Stand: 06.02.2015]. 57 Bag de ens Facader [Hinter den Fassaden] (DK 1961), Produktion: Laterna Film, Kopenhagen, Regie: Peter Weiss, Format und Länge: 35 mm, s/w, 741 m (= 27’05”), Kopie: Danish Film Institute, Kopenhagen. 58 Die Kenntnis dieses Films verdanke ich einer von Florian Wüst 2007 kuratierten Filmreihe. Vgl. Wüst, Florian, Vom Dach über dem Kopf zum Eigenheim. Moderner Wohnungs-
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deutschen Städtebaufilme dagegen betreten nur einmal eine Wohnung, und wenn sie Originalton einsetzen, dann nur, um Planern und Politikern das Wort zu erteilen. Die Zusammenarbeit zwischen Planern und Öffentlichkeit, ist 1956 in einem Bericht des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumplanung für den „XXIII. Internationalen Kongress für Wohnungswesen und Städtebau“ in Wien zu lesen, bestehe darin, „die von der Planung Betroffenen und Begünstigten nicht als Objekte der Planung zu betrachten, sondern sie als Mitträger derselben heranzuziehen“.59 Dieses Konzept einer bürgernahen Verwaltung fand allerdings noch keinen Eingang in die Manuskripte der bundesdeutschen Städtebaufilme der 1950er-Jahre.60
bau im Lehr-, Dokumentar- und Informationsfilm der 1950er-Jahre, in: Maechtel, Annette/ Peters, Kathrin, 230 – 235. 59 Halstenberg, Friedrich, Bericht des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumplanung, Köln, in: XXIII. Internationaler Kongress für Wohnungswesen und Städtebau. Die Stadt und ihr Umland, Wien 1956, 96 –109, hier 107. 60 Dieser Beitrag entstand im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945 – 2005“, das vom Haus des Dokumentarfilms Stuttgart und den Universitäten Hamburg und Konstanz realisiert wird (Gesamtkoordination: Kay Hoffmann).
Kunsthistoriker, kunsthistorische Theoriebildung und Film
Architekturgeschichte im Zeitalter des Films Lutz Robbers
Das mechanisch reproduzierte Bild als Medium der Architekturgeschichte
Geschichte ist stets Konstrukt. Seitdem sich die Architekturgeschichte mit der historiografischen Aufarbeitung der eigenen Konstruiertheit beschäftigt, wird deutlich, dass sie das Resultat handelnder Akteure ist, deren Klassen- und Geschlechtszugehörigkeit die Auswahl, Interpretation und narrative Verarbeitung historischer Fakten bestimmen. Geschichte bildet historisch wie kulturell kontingente Rezeptionsweisen somit nicht nur ab, sie bildet sie gleichzeitig aus. Weniger Aufmerksamkeit wurde dagegen der Tatsache gewidmet, dass die Geschichtsschreibung selbst immer auch das Ergebnis eines Gefüges von handlungsmächtigen Medien ist. Nietzsches Einsicht, dass das „Schreibzeug“ mit an „unseren Gedanken“1 arbeitet, gilt im besonderen Maße für das Konstrukt Architekturgeschichte. Dessen Medien – vor allem aus Texten und Abbildungen komponierte Publikationen – sind nicht bloß neutrale Hilfsmittel oder unsichtbare Boten, die Inhalte und Ideen des Autors transportieren und Zugänge zum Verstehen eröffnen, sondern es sind diese Medien selbst, welche „die Elemente und die Relationen, die ‚Bahnungen‘ und die ‚Netze‘ “ feststellen und damit bestimmen, was gesagt, gezeigt und gedacht werden kann.2 In anderen Worten, die Medien agieren nicht bloß im Dienste der Architekturgeschichte, sie ar-
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Friedrich Nietzsche in einem Brief an Heinrich Köselitz, 1882, in: Günzel, Stephan/ Grépály, Rüdiger (Hg.), Friedrich Nietzsche, Schreibmaschinentexte, Weimar 2002, 18. Balke, Friedrich, The Parrot Hits Back. Über die Szene verteilter Intelligenz bei John Locke, in: Engell, Lozenz/Vogl, Joseph/Siegert, Bernhard (Hg.), Agenten und Agenturen, Weimar 2008, 9.
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beiten auch an ihr und ermöglichen damit erst die Konstruktion historischen Wissens über die gebaute Umwelt. Im Fall der Architekturgeschichte kompliziert sich dieser Umstand noch dadurch, dass der Gegenstand ihres wissenschaftlichen Interesses eben kein neutrales Dokument ist, welches es mittels Schrift- oder Bildmedien zu entdecken und zu dechiffrieren gilt, sondern dass Architektur selbst schon als Medium agiert. Mit seinem Ausspruch „Ceci tuera cela“ unterstreicht beispielsweise schon Victor Hugo die Funktion der Kathedrale Notre-Dame de Paris als Massenmedium, das durch die Erfindung der Druckerpresse obsolet geworden war. Auch für die Architektur gilt, dass es sich bei ihr um ein Medium handelt, das nicht reduziert werden kann auf ihre Funktion als neutrales Vehikel kulturellen Wissens. Vielmehr sind architektonische Objekte Medien im Sinne handlungsmächtiger Dinge, die einerseits am Ende von komplexen Gestaltungs- und Konstruktionsprozessen und andererseits am Anfang der Hervorbringung neuer Konstellationen stehen. Dieser komplexen Verkettung unterschiedlicher Agenturen tragen die Methoden der Architekturgeschichte jedoch kaum Rechnung. Indem sie sich unterschiedlicher architektonischer Bilder (Skizzen, Zeichnungen, fotografische Aufnahmen) zur Illustration und Beweisführung bedienten, verwandelten sie die Architektur: Aus dem offenen Projekt oder „Objectile“ (Bernard Cache) wird ein geschlossener Gegenstand, der sich den epistemischen Vorgaben geschichtswissenschaftlicher Forschung anpasst. Die Funktion der Bilder, welche die Architekturgeschichte verwendet, besteht somit in erster Linie nicht darin, architektonische Realität abzubilden, sondern den medialen Apriori und kodifizierten Methoden der Geschichtswissenschaft zu entsprechen. Die Bilderpraktiken der Architekturgeschichte sind somit in zweierlei Hinsicht problematisch: Einerseits verwandeln sie die operativen Bilder architektonischer Prozesse in visuelle Abbildungen, die Beschreibungen, Analysen und Interpretationen erst ermöglichen, andererseits verdecken sie die Tatsache, dass Architektur immer in ein Gefüge von Medien eingebunden ist und darin selbst als Medium
Architekturgeschichte im Zeitalter des Films | Lutz Robbers
agiert.3 Solange die Medientechniken, deren sich Historiker wie Architekten bedienen und die sie gleichzeitig bedingen, den eigenen methodischen Prämissen dienstbar sind, bleibt die Konstruiertheit architekturgeschichtlicher Objekte unsichtbar. Am Beispiel der aufkommenden Nutzung fotomechanischer Reproduktionsverfahren durch Kunsthistoriker im späten 19. Jahrhundert lässt sich zeigen, wie neue Bildmedien als Werkzeuge eingesetzt wurden, um mit analytischer Präzision formale Gesetzmäßigkeiten zu proklamieren und damit der eigenen Disziplin wissenschaftliche Legitimität zu verschaffen. Man denke hier nur an Bruno Meyer und Herman Grimm, die zu den ersten Kunstwissenschaftlern gehörten, die Skioptikon-Projektionen in ihren Vorlesungen verwendeten, was die Simultanität von Vortrag und visueller Repräsentation ermöglichte.4 Oder an Grimms Nachfolger an der Humboldt Universität Berlin Heinrich Wölfflin, der mit der neuen Projektionstechnik Praktiken der vergleichenden Bildschau und insbesondere der Parallel-Projektion entwickelte, die als binär-typologische Methode in seinen „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen“ Berühmtheit erlangten.5 Die fotografischen Reproduktions- und Projektionsverfahren ermöglichten somit erst eine „neue Kunstgeschichte“ (Grimm), die sich fortan weniger an den textbasierten Geisteswissenschaften orientiert und sich stattdessen den formal-analytischen Methoden der Naturwissenschaften annähert. Doch gerade im Fall der Lichtbildprojektion geht dieser Prozess ironischerweise einher mit 3
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Sybille Krämer unterstreicht das erkenntnistheoretische Gewicht operativer Bilder, die nicht nur darstellen, sondern neue Räume eröffnen, um das Dargestellte zu erkunden und neue Relationen zu schaffen. In ihnen sieht sie die traditionelle Trennung zwischen Sprache und Bild, zwischen Diskursivem und Ikonischem aufgehoben. Vgl. Krämer, Sybille, Operative Bildlichkeit. Von der ‚Grammatologie‘ zu einer ‚Diagrammatologie‘? Reflexionen über erkennendes ‚Sehen‘, in: Mersch, Dieter/Heßler, Martina (Hg.), Logik des Bildlichen, Bielefeld 2009, 94 –121. Grimm hatte bereits 1865 den Einsatz von fotografischen Sammlungen im Unterricht gefordert, um zu einer „soliden Grundlage“ einer „neuen“ Kunstgeschichte als Wissenschaft beizutragen. Vgl. Grimm, Herman, Ist die moderne Kunstgeschichte eine auf solider Grundlage ruhende Wissenschaft? Gründe, warum nicht. – Notwendigkeit einer Änderung, in: Über Künstler und Kunstwerke 1 (1865) Januar, 6 – 8. Zit. nach Reichle, Ingeborg, Medienbrüche, in: Kritische Berichte, Heft 1 (2002), 40 – 52. Siehe auch Dilly, Heinrich, Die Bildwerfer. 121 Jahre kunstwissenschaftliche Diaprojektion, in: Zwischen Markt und Museum. Beiträge der Tagung „Präsentationsformen von Fotografie“ am 24. und 25. Juni 1994 im Reiß Museum der Stadt Mannheim, Göppingen 1995, 39 – 44. Zur Verwendung von Lichtbildprojektionen siehe Grimm, Herman, Über die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen über Neuere Kunstgeschichte durch die Anwendung des Skioptikons, in: Grimm, Herman, Beiträge zur Deutschen Culturgeschichte, Berlin 1897, 276 – 395. Zur Steigerung der analytischen Präzision der formalen Vergleiche einzelner Kunstwerke setzte Wölfflin fototechnische Medien ein. Gleichzeitig begann er schon früh über die Beschränkung dieser Bildtechniken im Umgang mit dreidimensionalen Objekten nachzudenken. Siehe Wölfflin, Heinrich, Wie man Skulpturen aufnehmen soll, in: Zeitschrift für bildende Kunst 7 (1896), Heft 10, 224 – 228.
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einer Reduktion objektiver Lesbarkeit und mit dem Einzug der irrationalen, körperlichen Affekte, des Erstaunens und der Zerstreuung in die nun abgedunkelten Hörsäle. Es handelt sich dabei um eine Wahrnehmungsästhetik, die mit jenen visuellen Dispositiven in Verbindung steht, welche seit dem späten 18. Jahrhundert das frühe Massenpublikum mit körperlichen Reizen unterhielt und unterwies.6 Genau wie Laterna-magicaProjektionen, Guckkästen oder Panoramen bediente der zum Projektionsraum verwandelte Hörsaal jene neue Form der Subjektivität, die sich durch die fundamentale Reorganisation sozialer Praktiken und Wissensformationen gebildet hatte.7 Während fotografische Reproduktionen, nach anfänglichen Widerständen, zu den gebräuchlichen Bildmedien kunstwissenschaftlicher Veröffentlichungen wurden und Diapositiv-Projektionen in den Hörsälen der Universitäten Einzug hielten, wurde das neue Medium Film sowohl als Forschungsgegenstand als auch als Technik der Wissensvermittlung vom kunsthistorischen Establishment weitestgehend ignoriert. Bezeichnenderweise war es gerade diese willkürliche Missachtung, die den ungarischen Kritiker Béla Balázs dazu motivierte, 1924 eine der ersten Schriften der Filmtheorie zu verfassen. In „Der sichtbare Mensch“ ermahnt Balázs „die gelehrten Hüter der Ästhetik und Kunstwissenschaft“, die sich „von geschnitzten Tischbeinen bis zur Haarflechtkunst“ mit allem beschäftigen, doch bitte auch das neue Medium Film zu berücksichtigen. „Wie der entrechtete und verachtete Pöbel vor einem hohen Herrenhaus steht der Film vor eurem ästhetischen Parlament und fordert Einlaß in die heiligen Hallen der Theorie.“8 Bis Erwin Panofskys bahnbrechender „On Movies“-Vorlesung und seinem Versuch, die ikonologische Methode auf den Film 6
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Siehe hierzu Neubauer, Susanne, Sehen im Dunkeln. Diaprojektion und Kunstgeschichte, in: Georges-Bloch-Jahrbuch des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Zürich 8 (2002–2003), 177–189; sowie Dilly, Heinrich, Weder Grimm, noch Schmarsow, geschweige denn Wölfflin … Zur jüngsten Diskussion über die Diaprojektion um 1900, in: Caraffa, Costanza (Hg.), Fotografie als Instrument und Medium der Kunstgeschichte, Berlin 2009, 91–116. Siehe auch Ruchatz, Jens, Licht und Wahrheit: eine Mediengeschichte der fotografischen Projektion, München 2003. Siehe hierzu das von Jonathan Crary entwickelte Argument. Crary, Jonathan, Techniques of the Observer: On Vision and Modernity in the Nineteenth Century, Cambridge (MA) 1990, 3 –10. Balázs, Béla, Der sichtbare Mensch, Frankfurt am Main 2001, 9. Vgl. Meder, Thomas, Die Verdrängung des Films aus der deutschen Kunstwissenschaft 1925 –1950, in: Paech, Joachim (Hg.), Film, Fernsehen, Video und die Künste: Strategien der Intermedialität, Stuttgart 1994, 9 –18.
Architekturgeschichte im Zeitalter des Films | Lutz Robbers
auszuweiten und das Kino als symbolische Form zu begreifen, dauerte es jedoch noch bis zum Jahr 1934.9 Der Grund für die verspätete Beschäftigung mit dem Film hat vor allem mit den Ängsten einer bürgerlichen Bildungselite zu tun, welche die Popularität des neuen Massenmediums mit seiner unmittelbaren Körperlichkeit als Bedrohung für die Hegemonie einer logozentrischen Kultur mit ihrer Betonung auf Geistigkeit und distanzierte Kontemplation verstand. „Ich kann nicht mehr denken, was ich denken will. Die beweglichen Bilder haben den Platz meiner Gedanken eingenommen“, schreibt Georges Duhamel noch 1930, und drückt damit die Vorbehalte gegen das als vulgär empfundene, industriell produzierte Massenspektakel aus.10 Interessanterweise vollzieht sich genau zu der Zeit, in der die kultivierte Elite das Massenspektakel Film entweder kritisierte, ignorierte oder mittels reformerischen Eifers zu bändigen versuchte, eine Entwicklung in den ästhetischen Diskursen der Kunstwissenschaft, die die physiologische Wahrnehmung eines sich bewegenden Subjekts in den Mittelpunkt ihres Interesses stellt. Seit dem späten 19. Jahrhundert befassten sich die Schriften von August Schmarsow, Adolf von Hildebrand und später auch Paul Zucker mit der aktiven Wahrnehmung des sich bewegenden Auges und Körpers.11 Oder man denke an die Forschungen in empirischer Psychologie von Hermann von Helmholtz und Wilhelm Wundt, die den dynamischen, leiblichen und zeitbasierten Charakter menschlicher Wahrnehmung postulieren, welcher einen entscheidenden Einfluss auf die methodische Neuausrichtung der Kunstgeschichte durch Wölfflin und Riegl haben würde. Tatsächlich erkannten einzelne politisch engagierte Kunsthistoriker bereits lange vor Panofskys bahnbrechendem Aufsatz das Potenzial der neuen Bildmedien für die Teilhabe der populären Bevölkerungsschichten an der Kunst. So Fritz Wichert, Direktor der Mannheimer Kunsthalle, der bereits 1912 feststell9
Auf Grundlage dieser Vorlesung veröffentlicht Panofsky 1937 den Aufsatz „Style and Medium in the Motion Pictures“. Panofsky, Erwin, Style and Medium in the Motion Pictures, in: Lavin, Irving (Hg.), Three Essays on Style, Cambridge (MA) 1995, 91–126. 10 Duhamel, Georges, Scènes de la vie future, Paris 1930, 52. Walter Benjamin zitiert diesen Satz in Benjamin, Walter, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Schweppenhäuser, Hermann/Tiedemann Rolf, Gesammelte Schriften 1.2, Frankfurt am Main 1980, 503. 11 Vgl. Jöchner, Cornelia, Wie kommt ‚Bewegung‘ in die Architekturtheorie? Zur RaumDebatte am Beginn der Moderne, in Wolkenkuckucksheim 9 (2004), Heft 1, www.cloudcuckoo.net/openarchive/.../Joechner/joechner.htm [Stand: 06.02.2015]
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te, dass die enorme Zunahme des „Materials der Menschheitsproduktion“ mit seinen „Millionen von Formen, Gedanken und Erscheinungen“ die Rezeptionsfähigkeit des modernen Individuums überfordere.12 Die Lösung des Problems bestehe darin, das Potenzial des unmittelbaren Erlebens des „Anschaulichen, Graphischen, Bildhaften“ für die Erziehung der Sinnesorgane zu nutzen. Eine besondere Rolle fiele dabei dem Film zu, der unmittelbare Intensität mit der Fähigkeit zur Mobilisierung „unbeweglicher Geisteserzeugnisse“ verbinde: „Warum ist es noch niemand eingefallen, die Kraft dieser so wunderbaren Erfindung, die einstweilen nur wie ein wilder Bergstrom alles niederreißt, was ihr in den Weg tritt, zu bändigen und höheren Kulturaufgaben nutzbar zu machen?“13
Joseph Gantner, ehemals Assistent von Wichert und Schüler Wölfflins, versucht einige Jahre später genau dieses: Als Chefredakteur der Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“ ließ er dem Film eine wichtige Rolle für das unter der Leitung von Ernst May entstehende gleichnamige urbane Gesamtkunstwerk zukommen. In kunstgeschichtlichen Diskursen erscheint der Film ebenfalls schon sehr viel früher. Aby Warburgs Eingeständnis von 1912, dass er mit seinem Vortrag lediglich am „kinematographisch scheinwerfern“ sei, zeugt von einem frühen Bewusstsein für den Film,14 doch dauert es bis Mitte der 1920er-Jahre, bis ein Theaterkritiker wie Julius Bab beginnt, sich systematisch mit dem Film auseinanderzusetzen.15 Auch erscheint die erste Dissertation zum Thema Film, die an einem kunstgeschichtlichen Seminar angenommen wird, Victor Schamonis „Das Lichtspiel: Möglichkeiten des absoluten Films“, erst 1926. Interessanterweise waren es architekturtheoretische Fragen und vor allem Schmarsows Idee der „Raumgestaltung“, die Schamoni einen kunstgeschichtlichen Zugang zu den abstrakten Filmexperimenten von Hans Richter, Viking Eggeling und Walter Ruttmann ebnen.
12 Wichert, Fritz, Der Freie Bund zur Einbürgerung der bildenden Kunst in Mannheim, Mannheim 1912, 24. 13 Ebd., 25. 14 Vgl. Bredekamp, Horst, A Neglected Tradition? Art History as Bildwissenschaft, in: Critical Inquiry 29 (2003), Heft 3, 418 – 428. 15 Vgl. Bab, Julius, Film und Kunst, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaften 19 (1925), 181–194.
Architekturgeschichte im Zeitalter des Films | Lutz Robbers
Schmarsow zitierend, leitet Schamoni seine Schrift mit einer Diskussion über die wahrnehmungspsychologische Fundierung der Architektur ein: Indem er den Architekten als „Raumschöpfer“ beschreibt, der das „Raumgebilde“ bewusst als Erlebnis sukzessiver Teile zu einem Gesamteindruck komponiere, zieht er eine direkte Analogie zur Arbeit des Filmemachers.16 Im Bereich der Architekturtheorie ist es Herman Sörgel, der in seiner bereits 1914 verfassten und 1918 publizierten „Einführung in die Architektur-Ästhetik“ direkte Verweise zum Film macht. Sörgel kritisiert die dominanten ästhetischen Diskurse dafür, dass sie eben nicht auf der tatsächlichen Wahrnehmung der Architektur basieren, sondern auf der Analogie mit Malerei und Bildhauerei. Statt die Entwicklung eines autonomen „Raumsinns“ zu fördern, verhindere die Unterrichtspraxis des Entwerfens mit perspektivischen Zeichnungen die Entstehung eines solchen: „Ein so geschulter Architekt sieht überall nur Bilder, nirgends Räume. Am liebsten durchstreift er mit dem Kodack das Land und bannt auf seinen Studienreisen alle Räume auf eine Platte. Wenn er zu Hause dann seine Photographien betrachtet, ist sein Raumeindruck – wenn er überhaupt einen solchen gehabt hat – ein Bildeindruck geworden.“17
Der Hauptteil des Wissens und Könnens, so Sörgel, eines Architekten stecke „im Kodack“. Als adäquates Mittel gegen diese Fehlbildung des „Raumsinns“ durch die Verbindung von perspektivischem Zeichnen und Fotografie empfiehlt Sörgel, in architektonischen Lehrveranstaltungen die „starren Projektionsbilder“ durch kinematografische Vorführungen zu ersetzen – auch wenn der Film, wie er einräumt, nicht an die Stelle des „wirklichen, künstlerischen Raumeindrucks“ treten könne.18 An diesen Beispielen lässt sich einerseits ein wenn auch noch unsystematisches Interesse von Kunst- bzw. Architekturhistorikern am Film festmachen. Andererseits wird deutlich, dass das kinematografische Bild, ganz im Gegensatz zur Fotografie, sich nicht ohne Weiteres in den epistemischen Rahmen der kunstge-
16 Schamoni, Victor, Das Lichtspiel: Möglichkeiten des absoluten Films, Münster 1926. 17 Sörgel, Herman, Einführung in die Architektur-Ästhetik: Prolegomena zu einer Theorie der Baukunst, München 1918, 254. 18 Ebd., 254.
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schichtlichen Disziplinen einfügen lässt. Diese Verschiedenheit von Foto und Film ist bereits in Panofskys „Style and Medium in the Motion Pictures“ offenkundig: Während dieser die Spezifizität filmischer Form in der „Dynamisierung des Raumes“ und der gleichzeitigen „Verräumlichung der Zeit“ erkennt, kehrt er in der Folge zu seiner ikonografischen Methode zurück, die auf der formalen Lesbarkeit bildlicher Inhalte beruht. Bewegung und Zeit werden lediglich repräsentiert und damit ihrer Immanenz und Unmittelbarkeit beraubt.19 Zwischen dem Bewusstsein, dass der Film eben keine Variation des unbewegten fotografischen Bildes ist, sondern eine fundamental neue Art von animiertem Bild, worauf Rudolf Arnheim bereits 1933 insistierte,20 und den methodischen Vorgaben architekturgeschichtlicher Forschung, die auf formaler Lesbarkeit beruht, besteht seit jeher eine Kluft, die jedoch selbst in neuerer Forschung übergangen wird – die undifferenzierte Nennung von Fotografie und Film in einem Atemzug als verwandte Manifestationen mechanisch reproduzierter Bilder zeugt davon.21 Dabei waren sich einige der bekanntesten Historiker und Apologeten der modernen Architektur sehr wohl des Potenzials des neuen Mediums bewusst. Sie folgten dem Beispiel der künstlerischen Avantgarde und dessen emphatischer Affirmation des Films.22 „Unsere Kunst ist heute schon der Film! Zugleich Vorgang, Plastik und Bild! Unübertrefflich!“,23 verkündet beispielsweise Raoul Hausmann 1921 jenes Selbstverständnis der modernen Kunst, dem sich auch Architekturhistoriker wie Elie Faure, Adolf Behne und Sigfried Giedion verpflichtet fühlten. In den Schriften 19 Vgl. Levin, Thomas Y., Iconology at the Movies: Panofsky’s Film Theory, in: The Yale Journal of Criticism 9 (1996), Heft 1, 27– 55. 20 Arnheim, Rudolf, Film as Art, Berkeley 1957 [1933], 180. 21 Siehe z. B. Oechslin, Werner, ‚Gestaltung der Darstellung‘, ‚optische Wahrheit‘, und der Wille zum Bild: Sigfried Giedion und die Wandlungen im Geschichts- und Bildverständnis, in: Oechslin, Werner/Harbusch, Gregor (Hg.), Sigfried Giedion und die Fotografie: Bildinszenierungen der Moderne, Zürich 2010, 22– 57. Claire Zimmermann begründet ihre Vermengung von Fotografie und Film damit, dass beide „to the same order of product“ gehören. Zimmerman, Claire, Photographic Modern Architecture: Inside ‚the New Deep‘, The Journal of Architecture 9 (2004), 346. 22 Stellvertretend für viele andere Stimmen sei hier der Schriftsteller Blaise Cendrars genannt, der 1917 das Kino als eine „anonyme Erfindung“ und die Sprache einer neuen Menschheit darstellt: „Les dernières aboutissements des sciences précises, la guerre mondiale, la conception de la relativité, les convulsions politiques, tout fait prévoir que nous nous acheminons vers une nouvelle synthèse de l’esprit humain, vers une nouvelle humanité et qu’une race d’hommes nouveaux va paraître. Leur langage sera le cinéma. Regardez!“ Cendrars, Blaise, L’ABC du cinéma, in: ders., Hollywood, la Mecque du cinéma, Paris 1987, 215. 23 Hausmann, Raoul, PRÉsentismus: gegen den Puffkeismus der teutschen Seele, in: De Stijl, IV (1921), Heft 9, 139.
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des französischen Kunsthistorikers Faure wird das Kino nicht bloß historisch legitimiert oder kunstkritisch eingeordnet, sondern es spielt, wie die Architektur, die sozialerzieherische wie mystische Rolle eines „instrument de communion“,24 das mithelfe, den Individualismus zurückzudrängen und eine neue „civilisation plastique“ in Form einer „architecture en mouvement“ zu schaffen.25 Behne oder Giedion wiederum geht es weniger darum, das Kino als Agenten eines geschichtlichen Prozesses zu definieren. Vielmehr agieren sie im Bewusstsein einer medialen Epochenschwelle, die Konsequenzen für die Methoden, Praktiken und Dispositive der eigenen wissenschaftlich-publizistischen Tätigkeit hat. Das „Neue Sehen“ wird somit als Bruch der Wahrnehmungspraktiken und Wissensordnungen durch die neuen Medientechnologien verstanden, der die Konstruktion eines neuen architekturgeschichtlichen Wissens erfordert. Bei ihren Versuchen, das kinematografische Medium zum Modell für einen fundamental neuen Zugang zu und ein neues Denken über die Objektwelt zu erheben, wurde diesen Protagonisten der modernen Architekturhistorie jedoch gleichzeitig bewusst, dass sich der Film – anders als die Fotografie und die neuen grafischen und typografischen Ausdrucksformen – eben nicht ohne Weiteres in das Instrumentarium historiografischer Wissensproduktion integrieren lässt. Genau diese grundsätzliche Spannung zwischen der Erwartung an das epistemische Potenzial des Films und dessen scheinbarer Inkompatibilität mit den Prämissen der Architekturgeschichtsschreibung soll im Folgenden anhand der Schriften Behnes und Giedions näher untersucht werden. Behne zeichnet sich dadurch aus, dass er sich bereits mit Beginn seiner publizistischen Tätigkeit in den frühen 1910er-Jahren eingehend mit den verschiedenen Aspekten der entstehenden Kinokultur beschäftigte: Er verfasst Filmrezensionen, schreibt über die Architektur von Lichtspielhäusern und unterstützt in einer Reihe von Artikeln die ersten abstrakten Filmexperimente von Viking Eggeling und Hans Richter. Auch wenn er für einen kurzen Moment in den frühen 1920er-Jah-
24 Faure, Elie, Introduction à la mystique du cinéma (1934), in: Fonction du Cinéma: De la cinéplastique à son destin social (1921–1937), Paris 1953, 65. 25 Faure, Elie, L’Arbre d’eden, Paris 1922, 287, 302. Siehe auch Faure, Elie, L’Histoire de l’art – L’Art moderne, Paris 1948 (1921), 490.
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ren vom Entstehen eines neuen „idealen Raums“26 durch den Film sprach, so nahm er doch bald wieder Abstand von utopischen Spekulationen über die zivilisatorische Bedeutung einer Synthese von Film und Architektur (Faure) oder die formale Revolution der Raumkonzeption durch eine neue „dynamische Lichtarchitektur“ wie sie van Doesburg noch 1929 propagiert.27 Stattdessen erkannte Behne im Film letztendlich ein mächtiges Werkzeug für die ästhetisch-soziale Erziehung des modernen Subjekts. Bei Giedion, der schon früh die formalen Lehren des „Neuen Sehens“ in seine kunstgeschichtlichen Arbeiten integrierte, taucht das Thema Film lediglich vereinzelt auf. Dann jedoch weist er dem Film eine eminente Rolle zu, die er von den anderen Medien unterscheidet, aber nie differenziert entwickelt. Behne: Der Film als Wohltäter
Jenseits des sich dem Massenmedium Kino verschließenden kunsthistorischen Establishments waren es in Deutschland die sozial-liberalen Reformbewegungen, die bereits in den 1910erJahren versuchten, das Potenzial des Kinos für die Volksbildung nutzbar zu machen. Es ging den Reformern darum, die Kontrolle über die ästhetischen und narrativen Formen des Films zu gewinnen und das Kino als wirksames Mittel gegen den vom ungezügelten Materialismus ausgelösten kulturellen Zerfall einzusetzen.28 Interessanterweise nahmen auch Architekten und Architekturkritiker an diesen Debatten teil. So erklärt Fritz Schumacher 1920 die „Kinofrage zur Volksfrage“: Das neue Medium ermögliche nicht bloß die „geistige Bereicherung der Massen“, vielmehr stecke selbst „im kultiviertesten Menschen […] ein Rest von jenem Aufregungsbedürfnis […], dessen Befriedigung im heutigen Kino zu einer gewissen Virtuosität entwickelt ist.“29 Peter Behrens meldete sich 1920 in dieser Debatte ebenfalls zu
26 Behne, Adolf, Der Film als Kunstwerk, in: Sozialistische Monatshefte 27 (15.12.1921) Band 27, 1117. 27 Vgl. van Doesburg, Theo, Film als reine Gestaltung, in: Die Form, Heft 10 (1929), 241– 249. 28 Siehe hierzu Kaes, Anton (Hg.), Kino-Debatte. Texte zum Verständnis von Literatur und Film 1909 –1929, Tübingen 1978. Sowie Diederichs, Helmut H., Frühgeschichte deutscher Filmtheorie, Habilitationsschrift, Frankfurt am Main, J. W. Goethe-Universität 1997, 23 – 30. http://d-nb.info/980342805/34 [Stand 06.02.2015]. 29 Schumacher, Fritz, Kulturpolitik – Neue Streifzüge eines Architekten, Jena 1920, 20 – 22.
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Wort. In einem Beitrag für die Werkbund-Zeitschrift „Das Werk“ argumentiert er, dass genau wie bei anderen technischen Erfindungen zuvor – als Beispiel nennt er die Dampfmaschine, die Elektrizität oder Eisenkonstruktionen – man sich auch mit dem Kino wohl oder übel abfinden und diesem „zu einem höheren Wert verhelfen“ müsse.30 Gegen diese kulturpessimistische, wenngleich pragmatische Haltung wendet sich in derselben Ausgabe Hans Liebmann. Er betrachtet den Film als grundlegend neue, von den anderen Künsten gänzlich unabhängige „Bewegungskunst“, die vorher „undenkbar“ gewesen sei; der Film ermögliche ein neues Denken und trage „noch ungehobene Werte in sich“.31 Eine Ausnahme gegenüber diesen frühen, aber noch unsystematischen Einlassungen stellt der Kunsthistoriker Adolf Behne dar, der in den 1920er-Jahren zu einem der Apologeten des „Neuen Bauens“ wurde. In den 1910er-Jahren begann Behne, der sowohl bei Heinrich Wölfflin als auch bei Georg Simmel studiert hatte, sich für den Film zu interessieren. Schon 1913, kurz nach Abschluss seiner Dissertation, publizierte Behne unter dem Titel „Kino und Plakatkunst“ einen Aufsatz, in dem er dafür plädierte, kommerzielle Kinoreklame von einem „ästhetischen Standpunkt aus“ zu betrachten.32 Als ernstzunehmende Form massenkultureller Kommunikation im urbanen Raum seien diese Plakate gerade die Vorboten einer zukünftigen künstlerischen und architektonischen Produktion. Häuserwände werden hier zu, wie er später formulierte, „Schreibtafeln“, die in der Lage sind, mit der Massenpsyche des modernen Subjektes eine Verbindung einzugehen.33 Im selben Jahr begann Behne sich mit der Wirkung des Films auf den architektonischen Raum zu beschäftigen. In seiner Kritik des auf der Leipziger Baufachausstellung präsentierten Repräsentationspavillons „Monument des Eisens“ von Bruno Taut und Franz Hoffmann gilt sein Augenmerk vor allem dem Saal für kinematografische Projektionen, der das erste Stockwerk
30 Behrens, Peter, Kino-Kultur, in: Das Werk. Mitteilungen des Deutschen Werkbundes, Mai 1920, 8. 31 Liebmann, Hans, Film und Bewegung, in: Das Werk. Mitteilungen des Deutschen Werkbundes, Mai 1920, 3. 32 Behne, Adolf, Kino und Plakatkunst, Bild und Film 2 (1912/13), Heft 10, 235. 33 Behne, Adolf, Kunstausstellung Berlin (1929), in: Ochs, Haila (Hg.), Adolf Behne: Architekturkritik in der Zeit und über die Zeit hinaus. Texte 1913– 1946, Basel 1994, 154.
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des Pavillons einnahm. Für Behne handelt es sich hier um das, wie er es ausdrückt, „ideale Kino“:34 Erst die angenehme „milde Dämmerung im Raume“, die durch das gefilterte, von außen einfallende Licht hervorgerufen wurde und sich von der Finsternis des herkömmlichen Kinos unterscheide, mache die Vorführung populärwissenschaftlicher Filme möglich, weil man nur im „gedämpften Tageslicht“ dem gesprochenen Wort folgen könne. Kurze Zeit später wendete sich Behne der neuen Bautypologie des Kinosaals zu. Der Projektionssaal im von Bruno Taut am Kottbusser Damm 1910 errichteten Gebäudes, der als erstes Kino Berlins gilt, sei besonders gelungen, weil die Ornamentik des Innenraums gerade als notwendiger Gegenpol zur weißen Filmleinwand agiere. Diese stelle ein gänzlich neues Raumelement dar: „[…] etwas ganz Leichtes und Luftiges, im Grunde genommen ein flirrendes, wechselndes Bild, das nur zu seiner Fixierung eines weißen Tuches benötigt.“35 Das Kino sei eben kein Theater, sondern müsse eher dem „Wechsel“ und dem „Provisorischen“ entsprechen. Auch Oskar Kaufmanns „Cinestheater“ am Nollendorfplatz findet die Zustimmung Behnes. Hier erscheint das Filmbild, wie Behne schreibt, „als ein Teil des Raumes“.36 Indem diese Kinos auf das Wesen des neuen Bildmediums reagieren, fungieren sie als Vorbilder für die moderne Architektur. 1919 veröffentlichte Behne dann den ersten Versuch, das brachliegende oder bislang vorwiegend für politische und kommerzielle Zwecke missbrauchte Potenzial der neuen visuellen Massenmedien, insbesondere des Films, mit dem ursprünglichen Wesen der Architektur in Beziehung zu setzen. In „Die Wiederkehr der Kunst“ betont er die Sonderstellung der Architektur: Gerade sie sei es, die mit der elementaren und kollektiven „Weltenliebe“ in Verbindung stehe. Jedoch sei Architektur durch die traditionelle bürgerliche Bildung entstellt und habe deshalb den Anschluss an die Wahrnehmungspraktiken der Massen verloren. „Kann ein Kino nicht lustig, ein Theater nicht heiter und entzückend, ein Warenhaus nicht amüsant sein?“, fragt Behne. Stattdessen habe man sich mit einer Art rationalistischer „Netz-
34 Behne, Adolf, Das Kino im Leipziger Monument des Eisens, in: Bild und Film 2, Heft 11/12 (1913), 271. 35 Behne, Adolf, Kinoarchitekturen, in: Bild & Film 4, Heft 7/8 (1915), 135. 36 Ebd., 138.
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haut-Architektur“ abzufinden, die gerade nicht eine neue Einheit im „Vieldeutigen, Reichen und Bewegten“ suche.37 Die Einsicht, dass Architektur ein dynamisches Wesen ist, das in direkter Abhängigkeit zum medialen Umfeld steht, zwingt Behne die Methodik seiner Arbeit als Historiker selbstkritisch zu überdenken. Schon 1917 veröffentlichte er „Oranienburg als Beispiel für Stadtbetrachtungen“, eine Art Anti-Stadtführer zu einem Raum, dem es eigentlich an historischen Monumenten und großstädtischen Attraktionen mangelt. Doch genau um diesen selbstreflexiven Effekt geht es Behne: Gerade den „üblichen, trockenen und bei aller scheinbaren Genauigkeit doch immer den lebendigen Erscheinungen unheilbar fern und fremd bleibenden Ortsführer“ gelte es zu vermeiden.38 Stattdessen will Behne den Leser „unmittelbar“ zu „den Dingen bringen“. Es geht hier also gerade nicht um die „Schilderung von Sehenswürdigkeiten“, sondern um den Versuch, „zur geduldigen und teilnehmenden Aufmerksamkeit“ anzuregen.39 Darin versage die Fotografie kläglich – sei es nun die „Standpunktfotografie“ oder die, wie er es nennt, „Bewegungsfotografie“40 – weil sie gerade in der Lage sei, die Bewegung als Merkmal des Städtischen einzufangen. Die Fotografie schneidet nicht nur die Objekte aus ihrem räumlichen Kontext heraus, sondern auch aus dem zeitlichen Fluss der Bewegung. Während die fotografischen Abbildungen in „Oranienburg“41 als ironischer Kommentar zu seiner Kritik zu verstehen sind, versuchte Behne später das Erscheinungsbild eines Buches zu konzipieren, das der filmischen Wahrnehmung entspricht. In seinem kurzen Werk über Heinrich Zille präsentiert er das bildliche Material als eine über 32 Seiten (oder „Phasen“ wie Behne es nennt) laufende Bildsequenz. Das Zille-Buch sei der Versuch, wie er 1925 schreibt, seine Erfahrungen mit dem Film in die Buchform zu übertragen: „Viel wichtiger als die bisher behandelten inhaltlichen und gegenständlichen Wirkungen des Films sind meines Erach37 Behne, Adolf, Die Wiederkehr der Kunst [1919], in: ders., Schriften zur Kunst, Berlin 1998, 50 – 51. 38 Behne, Adolf, Oranienburg als Beispiel für Stadtbetrachtungen, München 1917, 1. 39 Ebd. 40 Ebd. 41 Vgl. Behne, Adolf, Oranienburg als Beispiel für Stadtbetrachtungen, München 1917.
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tens die Einwirkungen, die von seiner Arbeitsmethode und von seiner neuen technischen Struktur ausgehen. Der Film wird uns zwingen, ganz allgemein die Bewertung der Dinge viel genauer als bisher zu präzisieren. Er wird jede isolierende Wertgebung unmöglich machen und uns nötigen, jedes Urteil aufzubauen auf exactester [sic!] Berücksichtigung der Stellung des Objektes in Raum und Zeit. Alle bildlichen Werte gelten nicht mehr an und für sich, sondern als Momente eines raum-zeitlichen Ganzen. […] Aber während es sich hierbei bis heute stets nur um die Determinierung in der Fläche gehandelt hat, vollendet der Film diese Determinierung auch in die Zeit hinein.“42
In den frühen 1920er-Jahren wurde Behne sich bewusst, dass das utopische, Gemeinsinn schaffende Potenzial des Films gerade in seiner elementaren Form brachliegt. Schon 1913 hatte er kritisiert, dass der Film sich auf die Antipoden Fakt und Fiktion, die Objektivität der Filmkamera und dem Schein der Wahrheit des gezeigten Spektakels beschränkt. Das eigentliche Potenzial des Films läge jedoch genau darin, Zeit und Bewegung zu integrieren und jenes „raum-zeitliche Ganze“ erfahrbar zu machen. Genau diese Erwartung an den Film ist dafür verantwortlich, dass Behne zu den frühen Apologeten der filmischen Experimente von Hans Richter und Viking Eggeling zählt. Diese hatten 1918 damit begonnen, eine neue „Bewegungskunst“ und eine auf rhythmischen und kontrapunktischen Prinzipien beruhende universelle Sprache zu begründen, indem sie serielle Rollenbildzeichnungen auf den kinematografischen Film übertrugen. Neben Theo van Doesburg und Ludwig Hilberseimer war Behne einer der ersten Autoren, die sich von 1921 an schriftlich mit den abstrakten Filmexperimenten Richters und Eggelings auseinandersetzte. Ähnlich wie van Doesburg und Hilberseimer betont er den konstruktiven Charakter des abstrakten Films, der sich aus einer klaren Differenzierung zwischen einem zusammengesetzten „natürlichen Raum“ und einem ständig im Entstehen begriffenen „idealen Raum“ ergibt:
42 Behne, Adolf, Der Film und die Bildkunst, in: Der Kunstwanderer 7, Heft 11 (1925), 378.
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„Er [der Film] darf keinerlei fremde Elemente enthalten. Denn er soll ja nicht Bewegungen im Sinne von Ortveränderungen festhalten, die sich im natürlichen Raum ereignen, sondern reine, zweckbefreite Bewegungsgesetze unmittelbar und in einem idealen Raum veranschaulichen. Ganz logisch kommt der Filmkünstler so zu abstrakten Formen. Denn mit ihnen läßt sich der gesetzmäßige Ablauf eines Rhythmus am überzeugendsten sichtbar machen.“43
Letztendlich verschleiere das realistische Bild den Zugang zu einer in der technischen Struktur des Films verborgen liegenden tieferen historischen Wahrheit. In der Bewegungskunst von Eggeling, Richter und auch Ruttmann erkennt Behne die Möglichkeit einer neuen universellen Sprache, welche die Hegemonie des starren Bildes zu brechen vermag. Deutlich unterstreicht Behne in seinem „Mitbericht“, den er als Reaktion auf den 1925 gehaltenen Vortrag des Theaterkritikers und Historikers Julius Bab auf dem „Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft“ schreibt, dass der Film als Kunstwerk sich eben nicht damit begnügen könne, „Bewegung und Licht gegenständlich-materiell mitlaufen zu lassen, als sausendes Auto, als Flieger, als Scheinwerfer oder Laternenschimmer“.44 Film, so Behne, solle stattdessen einzig und allein Bewegung und Zeit gestalten. Die Experimente von Eggeling, aber auch Man Ray, Charles Sheeler und die Lichtspiele von Baranow-Rossiné seien Lehrinstrumente für eine neue Art des Sehens. Im Zusammenhang mit dieser temporären Wende in Behnes theoretischem Denken steht die Gründung der Zeitschrift „G: Material zur elementaren Gestaltung“. Es war Behne, der van Doesburg nach Berlin einlud und diesen mit Hans Richter bekannt machte. Van Doesburg wiederum regte Richter dazu an, 43 Behne, Der Film als Kunstwerk, 1117. Siehe auch Behne, Adolf, Bewegungskunst, in: Freiheit 4, Heft 452 (1921), 2; Van Doesburg, Theo, Abstracte Filmbeelding, in: De Stijl 4, Heft 5 (1921), 56; Hilberseimer, Ludwig, Bewegungskunst, in: Sozialistische Monatshefte, Heft 27 (1921), 465 – 468; Richter, Hans, Prinzipielles zur Bewegungskunst, in: De Stijl 4, Heft 7 (1921), 109 –112 sowie Eggeling, Viking, Elvi Fejtegetesek a Mozgomüveszetröl, in: MA 8 (1921), 105 f. Schon 1920 hatte Bernhard Diebold begonnen, Kritiken über die „Augenmusik“ und insbesondere Walter Ruttmanns Filmstudien zu veröffentlichen. Auch Diebold stellt die Verbindung zur Architektur her, indem er den neuen Künstler, der die „optisch-räumlichen Erscheinungen in die zeitliche Abfolge“ ordnet, „Kinarch“ nennt. Vgl. Diebold, Bernhard, Eine neue Kunst. Augenmusik des Films, in: Frankfurter Zeitung, 2.4.1921. Abgedruckt in Hein, Birgit/Herzogenrath Wulf (Hg.), Film als Film: 1910 bis heute, Stuttgart 1978, 16 f. 44 Behne, Adolf, Mitbericht, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaften 19 (1925), 194.
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eine Zeitschrift zu gründen, um mittels der Propagierung ihrer Ideen die nötigen „moralischen und finanziellen“ Mittel für die kostspielige Übertragung der Rollenbildzeichnungen in das kinematografische Medium zu generieren.45 Behne gehörte just zu jenem Zeitpunkt zum Kreis der sogenannten „G-Gruppe“, zu dem er an „Der moderne Zweckbau“ arbeitete, seiner Hauptschrift zur modernen Architektur.46 Einige der Formulierungen seiner 1923 verfassten Hauptschrift zur modernen Architektur scheinen direkt aus „G“ entlehnt zu sein, dessen erste Ausgabe im Juli 1923 veröffentlicht wurde. Auch spiegeln sich die kompositorischen Grundideen des abstrakten Kinos von Eggeling und Richter in Behnes Argumenten wider. So spricht Behne beispielsweise von „einer dynamischen Ordnung“, die erst eine „neue Ursprünglichkeit“ ermöglicht: „An Stelle eines engen materiellen Gleichgewichtes (Symmetrie) tritt ein neues, kühneres, in weiten Spannungen ausbalanciertes und labiles Gleichgewicht, das unserem Wesen besser entspricht (Polarität) und damit eine durchaus neue, lebendige Gestalt.“47 Der Antiformalismus,
die
präsentistische
Geschichtsauffassung
und die Invokation eines mystischen Urzustands in der Technik werden von Behne und den Mitgliedern der „G-Gruppe“ geteilt. Versteht Behne zu Beginn der 1920er-Jahre den Film im Sinne einer allgemeinen Bewegungskunst, die als Modell für eine neue Gemeinschaftlichkeit und ein fundamental neues Wissen und Denken dienen kann, zielt sein Filmverständnis ab der Mitte der 1920er-Jahre wieder, wie schon in den 1910er-Jahren, auf die Betonung der pädagogischen und propagandistischen Qualitäten des Kinos. In seinen reich illustrierten, populärwissenschaftlichen Schriften wie „Neues Wohnen – Neues Bauen“ (1928) oder „Eine Stunde Architektur“ (1928) – übrigens jene Behne-Bücher, die auch Walter Benjamin besaß – sind es zuerst einmal wieder die fotografischen Bilder, die, wie er seinem Herausgeber erklärte, als „Waffe – stark, packend, illustrativ, 45 Richter, Hans, Begegnungen von Dada bis heute, Köln 1973, 189. 46 Gräff, Werner, Über die sogenannte ‚G-Gruppe‘, in: Werk und Zeit, Heft 11 (1962), 5. Obwohl man nicht von einer kohärenten „G-Gruppe“ sprechen kann, so lassen sich doch eine Reihe von Künstlern eindeutig mit der Zeitschrift assoziieren: Hans Richter, Mies van der Rohe, Theo van Doesburg, Werner Graeff, El Lissitzky und Ludwig Hilberseimer. Behne veröffentlicht in der zweiten Ausgabe von G einen Artikel über modernen Städtebau. Siehe Behne, Adolf, Über Städtebau, in: G: Material zur elementaren Gestaltung, Heft 2 (1923), o. S. 47 Behne, Adolf, Der moderne Zweckbau, Berlin 1964, 42.
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eindeutig“ eingesetzt werden.48 Die intendierte Bedeutung dieses vergleichenden Sehens wird teils ironisch, teils plakativ durch die Montage von formalen Übereinstimmungen und kontextuellen bzw. zeitlichen Unterschieden erzeugt. Interessant ist, dass der Film in diesen Schriften zur Architektur nicht vorkommt – und das, obwohl Behne sich auch weiterhin mit der Frage nach den Konsequenzen der medientechnischen Entwicklung auf die Wirkung und Wahrnehmung der Bilder auseinandersetzte. In einem 1928 in „Das Neue Frankfurt“ publizierten Beitrag beschreibt er die Entwicklung „vom gothischen [sic!] Altarbild zum Filmstreifen“ als „ungeheuren Sprung“, ein Sprung „vom Ruhenden zum Bewegten“, von „kultischer Abgerücktheit […] zum Masseninstrument an jeder Ecke“, vom „Auseinandersehen zum Zusammensehen“.49 Film sei das Medium par excellence zur Einübung eines „neuen verbindenden Sehens“. Als eine Art gedruckte Wochenschau orchestriert Behne unter der Überschrift „Berlin – Der Film als Wohltäter“ den stilisierten Zelluloidstreifen eines Lehrfilms über das Skifahren mit einer Aufnahme der geschwungenen, mit horizontalen Fensterbändern versehenen Fassade des von Alfons Anker, Hans und Wassily Luckhardt entworfenen Café Telschow50 (Abb. 1). Daneben platziert er ein Standbild aus Murnaus „Sunrise“, der Ende 1927 in die deutschen Kinos kam, und darunter zwei Bilder: eine Aufnahme einer Skulptur von Georg Kolbe und als Gegenbeispiel einer Kunst, in der das Moment der Bewegung abwesend bleibt, ein Wandbild Max Klingers. Dass das filmische Modell für die Darstellung der Architektur als Alternative zum fotografischen Standbild angesehen wurde, zeigen beispielsweise die verschiedenen Abbildungen in Max Tauts Werkschau „Bauten und Pläne“, für die Behne das Vorwort schrieb. Anstatt perspektivische Ansichten zu geben, simulieren die abgedruckten Bildserien eine Filmsequenz: Sie zeichnen Kamerafahrten bzw. die Bewegungen eines imaginären Betrachters im Raum nach51 (Abb. 2). Letztendlich bleibt auch diese 48 Behne in einem Brief an Günther Wasmuth (1924), zit. nach: Bushart, Magdalena, Adolf Behne, ‚Kunst-Theoretikus‘, in: dies. (Hg.), Adolf Behne: Essays zu seiner Kunst- und Architektur-Kritik, Berlin, 2000, 50. 49 Behne, Adolf, Der Film als Pädagoge, in: Das Neue Frankfurt 2, Heft 11/12 (1928), 204. 50 Behne, Adolf, Berlin: Der Film als Wohltäter, in: Das Neue Frankfurt 2, Heft 4 (1928), 72. 51 Vgl. Taut, Max, Bauten und Pläne, mit einem Beitrag von Adolf Behne, Berlin 1927.
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Abb. 1: aus: Behne, Adolf: „Der Film als Wohltäter“, in: „Das Neue Frankfurt“, Heft 4, April 1928
Abb. 2: aus: Taut, Max, „Bauten und Pläne. Mit einem Beitrag von Adolf Behne“, 1927
Referenz zum Film lediglich ein Substitut für eine von Behne imaginierte populäre Kunstkritik, nämlich jene, die sich vom Wort und vom Standbild vollends trennt und, wie er 1930 schrieb, die Form eines „Films für die Wochenschau“ annimmt.52
52 Behne, Adolf, Über Kunstkritik, in: Sozialistische Monatshefte 36, Heft 2 (1930), 154.
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Giedion: Nur der Film kann die neue Architektur fassbar machen
Anders als Behne, der sich in einer Vielzahl von Artikeln mit den unterschiedlichen Facetten des Films beschäftigt, ist die Haltung Sigfried Giedions zum bewegten Bild weniger offenkundig. Was beide verbindet, ist der Versuch, eine Beziehung zwischen dem „Neuen Sehen“ und dem „Neuen Bauen“ herzuleiten – und daraus Konsequenzen auf die Art und Weise, wie Architekturgeschichte geschrieben wird, abzuleiten. Giedions „Bauen in Frankreich, Bauen in Eisen, Bauen in Eisenbeton“ kann als direkte Reaktion auf jene neuen Medienbedingungen interpretiert werden, unter denen und mit denen architektonisches Wissen produziert wird. In „Bauen in Frankreich“, das wie Giedion einleitend feststellt, für den „eiligen Leser“53 konzipiert sei, ist nicht mehr der Text der beherrschende Bedeutungsträger. Vielmehr ist das gesamte Buch durchzogen von einem „Willen zum Bild“, wie es Werner Oechslin vor Kurzem ausgedrückt hat.54 „Bauen in Frankreich“ kann als Plädoyer für ein erweitertes Verständnis der Genese der modernen Architektur und der Methoden der Geschichtsschreibung gelesen werden. Die oft übersehenen, utilitaristischen Konstruktionen des 19. Jahrhunderts seien die Vorboten eines grundsätzlich neuen Raumverständnisses und der damit verbundenen neuen Wahrnehmungspraktiken, auf die auch die Medien architekturgeschichtlicher Wissensproduktion zu reagieren haben. Der Pont Transbordeur und der Eiffelturm werden von Giedion als unbewusst geschaffene Manifestation jener neuen Architektur präsentiert, die ihre konkret-materielle Beschaffenheit eingebüßt hat und fortan als dematerialisiertes, dynamisches, sich entgrenzendes Feld von „schwebenden Beziehungen und Durchdringungen“55 verstanden werden müsse. Er lokalisiert diese Topoi des modernen Raumes in den Ingenieursbauten als eine Art von Vorgeschichte für die Architektur der 1920er-Jahre, insbesondere für die Bauten von Le Corbusier. Gerade dessen Cité Frugès von 1924, 53 Giedion, Sigfried, Bauen in Frankreich, Bauen in Eisen, Bauen in Eisenbeton, Berlin 2000, 1. 54 Oechslin, Werner, ‚Gestaltung der Darstellung‘, ‚Optische Wahrheit‘, und der Wille zum Bild: Sigfried Giedion und die Wandlungen im Geschichts- und Bildverständnis, in: ders./ Harbusch, Gregor (Hg.), Sigfried Giedion und die Fotografie: Bildinszenierungen der Moderne, Zürich 2010, 22 – 57. 55 Giedion, Bauen in Frankreich, 8.
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eine Arbeitersiedlung aus kubischen Reihenhäusern in Pessac trage „keimhaft“, wie er es nennt, das Wesen des neuen Raumverständnisses in sich. Dank des künstlerischen Genies Le Corbusiers werde hier als Architektur „erweckt“, was vorher lediglich unbewusst in den Eisenkonstruktionen schlummerte. Es ist dieses Grundargument, das in der Geschichte als retroaktiver Blick auf die Vergangenheit, als aufblitzende Zukunft erscheint, das Walter Benjamin „elektrisierte“ und ihn veranlasste, 1929 einen enthusiastischen Brief an Giedion zu verfassen, in dem er vom „radikalen Wissen“ schwärmt, das jener freigelegt habe.56 Neben dieser Erklärung für die Architektur des „Neuen Bauens“ perpetuiert Giedion die Analogie zwischen Malerei und Architektur. Corbusiers Architektur falle, wie Giedion sich ausdrückt, „mit dem Willen zusammen, der sich in der ganzen abstrakten Malerei äußert“.57 Im Besonderen meint er die Bilder von Jeanneret selbst, in denen „schwebend-durchsichtige Dinge“ zu sehen seien, „deren Konturen ohne Schwere ineinander übergehen“.58 Damit rettet Giedion die konzeptuelle Abhängigkeit der Architektur von der Raumkonzeption der Malerei, die seit der Renaissance bestimmend war, in die Moderne hinüber – auch wenn die Bilder nicht mehr gegenständlich und perspektivisch sind, sondern abstrakt. Giedions berühmte Analogie zwischen Picassos „L’Arlésienne“ (1912) und Gropius’ Bauhausgebäude (1925 –1926), die er als Doppelseite in seinem Hauptwerk „Space, Time and Architecture“ (1941) präsentiert, ist beispielhaft für diese fortbestehende Privilegierung der bildenden Künste in der Produktion architekturgeschichtlichen Wissens (Abb. 3). Suggeriert wird hier, dass in erster Linie die Malerei in der Lage sei, den neuen visuellen Erfahrungen und Praktiken der Moderne Ausdruck zu verleihen. Das Verständnis des „Neuen Bauens“ erschließt sich mittels der Malerei, die sich beide an formalen Attributen wie Fragmentierung, Transparenz und Durchdringung festmachen. Der Betrachter könne die moderne Architektur nicht verstehen, „solange er nicht den Geist versteht, der das gemalte Bild belebt“.59 56 Benjamin, Walter, Brief an Sigfried Giedion, 15.2.1929, in: Benjamin, Walter, Gesammelte Briefe 3, Gödde, Christoph/Lonitz, Henri (Hg.), Frankfurt am Main 1997, 443 f. 57 Giedion, Bauen in Frankreich, 85. 58 Ebd. 59 Giedion, Sigfried, Space, Time and Architecture, The Growth of a New Tradition, 5., überarb. u. erw. Aufl., Cambridge (MA) 1977, 433.
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Abb. 3: aus: Giedion, Sigfried: „Space, Time and Architecture“. Bauhaus vs. Picasso, 1941
Der ausgerufene paradigmatische Bruch durch die moderne Architektur erscheint folglich als rein formale Zäsur: Das seit der Renaissance bestehende Primat der Malerei über die Architektur, wenn auch mit anderen visuellen Codes, wird in das neue Zeitalter hinübergerettet und damit die möglicherweise bedrohliche Handlungsmacht der technischen Medien neutralisiert. Die moderne Architektur markiere, wie Robin Evans argumentiert, weniger das Ende als vielmehr „eine Bestätigung des klassischen, metrisierten Raumes, der sein eigenes Antidot bereithält, indem er die materielle und visuelle Ambiguität übertreibt“.60 Zwar werden fotografische Aufnahmen emphatisch eingesetzt, doch bleiben diese immer im Dienste des Fortbestands von tradierten Methoden kunstgeschichtlichen Denkens (analytischer Bildvergleich) und architektonischen Entwerfens (das, was Evans als „Bildmethode“61 bezeichnet: die Generierung architektonischer Räume aus unbewegten Bildern). Tatsächlich ist der hegemoniale Status der Malerei – und selbst der Fotografie – in „Bauen in Frankreich“ nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Johannes Jacobus Pieter Oud bezeichnete beispielsweise in einem Brief an Giedion die Illustrationen in seinem Buch als „film-technisch“.62 Und auch Giedion selbst schreibt an einer Stelle in „Bauen in Frankreich“, 60 Evans, Robin, The Projective Cast, Cambridge (MA) 1995, 353. Übersetzung des Autors. 61 Ebd., 359. 62 Oud, in einem Brief an Giedion, 06.06.1928. Zit. nach Harbusch, Gregor, Bauen in Frankreich, 1928, in: Sigfried Giedion und die Fotografie: Bildinszenierungen der Moderne, 184.
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dass es nur der Film sei, der Le Corbusiers Architektur in Pessac „fassbar“ machen könne: „Diese Häuser, die so rigoros die plane Fläche wahren, werden selbst wieder von großzügig einstürmenden Luftkuben durchdrungen, die – unter sich [...] neue Belebung und Modulation erhalten. Die Häuserreihe greift als Ganzes wieder zum Daneben und Dahinter. Starre Aufnahmen bringen da keine Klarheit. Man müsste den Wandel des Blickes begleiten: Nur der Film kann die neue Architektur fassbar machen! Aber selbst in beschränktem Ausschnitt: Meint man wirklich, daß die Wand rechts, flachgespannt wie ein Kinoschirm und um ihre Körperlichkeit betrogen, nur zufällig dasteht, beziehungslos zu Öffnung und Fläche der braunen Elemente daneben?“63
Auch wenn Giedion an keiner anderen Stelle in „Bauen in Frankreich“ den Film erwähnt, so zeigt diese Aussage sehr deutlich, dass er nicht nur seiner eigenen Aussage widerspricht und die privilegierte Rolle der Malerei als Manifestation des „Neuen Sehens“ infrage stellt, sondern zudem eine klare Unterscheidung zwischen „starren Aufnahmen“ und dem Film macht. Ob es sich bei der visuellen Gestaltung von „Bauen in Frankreich“, mit den vielen fotografischen Ansichten, die teilweise von Giedion selbst stammen und vom abstrahierenden Stil des „Neuen Sehens“ inspiriert sind, um die „fotografische Umsetzung des kinematografischen Blicks“64 handelt, wie Sokratis Georgiadis argumentiert, ist zu bezweifeln. Dafür ähneln die Aufnahmen der Wohnsiedlung in Pessac, mit denen Giedion seinen Text illustriert, zu sehr konventionellen fotografischen Ansichten, die weder das Zeit- noch das Bewegungsmoment des Kinos suggerieren (Abb. 4). Vordergründig scheint es, als sei es Giedion in den 1920erJahren
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um
die
Privilegierung
einer
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Kunstform gegangen und eher um den Versuch, wie er im Vorwort von „Befreites Wohnen“ (1929) schreibt, „die heutige
Anschauung“
zu
fassen.65
Giedion
ist
sich
der
63 Giedion, Bauen in Frankreich, 92. 64 Georgiadis, Sokratis, Übungen im Neuen Sehen: Ein Kunsthistoriker als Architekturfotograf, in: Kunst und Architektur in der Schweiz 51, Heft 4 (2000), 16. 65 Giedion, Sigfried, Befreites Wohnen, Zürich 1929, 4.
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Tatsache bewusst, dass sich die Bedeutung der Architektur nicht mehr allein mittels des beschreibenden, analysierenden Wortes erschließt, geschweige denn über die Form oder den Stil des ästhetischen
Objektes.
Viel-
mehr ist es die Aufgabe des Historikers, die empirische Wahrnehmung der Architektur in Einklang zu bringen mit der „Neuen Optik“ bzw. dem „Neuen Sehen“. Fortan ähneln sich die Aufgaben von Architekt und Historiker: Beide spiegeln den „heuti-
Abb. 4: a us: Giedion, Sigfried, „Bauen in Frankreich, Bauen in Eisen, Bauen in Eisenbeton“ (1928), 2000
gen seelischen Zustand“66 wider, welcher bei Giedion vor allem als „neue Sehkultur“67 zu verstehen ist. Bilder fungieren somit nicht mehr als illustrativer Zusatz zum geschriebenen Wort, sondern es ist das Bild selbst, welches das Wesen des „Neuen Sehens“ – und damit auch der neuen Architektur – in sich verkörpert. Ein Bildvergleich zwischen einer fotografischen Aufnahme im Wagon einer fahrenden Eisenbahn und dem fenêtre en longeur des Maison Cook deutet sowohl Le Corbusiers Architektur als auch das Buch selbst als Apparaturen, die den Wahrnehmungspraktiken und medialen Dispositiven der Gegenwart zu entsprechen haben (Abb. 5). Doch zeigt auch dieses Beispiel sehr deutlich, dass Giedion auf einen bewegten Betrachter verweist. Die Fotografie selbst, abstrahiert oder als gedruckte Serie, fungiert immer nur als Substitut, das die Abwesenheit von Bewegung und Zeit bekundet. In Giedions späteren Schriften kommt der Film nur sporadisch vor. So spricht er sich 1931 für die Installation von Filmprojek66 Ebd., 4. 67 Giedion, Sigfried, Ankündigung der Ausstellung ‚Neue Optik‘, in: Züricher Illustrierte, Heft 43 (1929), zit. nach Brüggemann, Heinz, Architekturen des Augenblicks: Raum-Bilder und Bild-Räume einer urbanen Moderne in Literatur, Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts, Hannover 2002, 287.
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Abb. 5: aus: Giedion, Sigfried: „Befreites Wohnen“, Vergleich Speisewagen mit Le Corbusier, 1929
toren für das Projekt „Museum von Heute“ aus.68 In „Mechanization Takes Command“ (1948) beschäftigt Giedion sich eingehend mit dem Problem der Bewegung. Hier preist er Marey für seine Erfindung der Chronofotografie, die vom Auge nicht wahrnehmbare Bewegungsmomente sichtbar mache. Gleichzeitig kritisiert er Marey für dessen Verwendung der Filmkamera, „which proved not especially suited to the purpose“.69 Film sei eben kein Analyseinstrument, sondern, wie Giedion es ausdrückt, „the key to our thought“ – eine Aussage, die wiederum Giedions Vertrautheit mit Henri Bergsons Kritik des „kinematografischen Wissens“ verdeutlicht. „Almost simultaneously with Lumière’s cinematograph (1895 –1896), Henri Bergson was lecturing to the Collège de France on the Cinematographic Mechanism of Thought (1900).“70 Interessanterweise illustriert Giedion 68 Giedion, Sigfried, Fragebogen: Comment concevez-vous un musée contemporain?, in: Huber, Dorothee (Hg.), Sigfried Giedion, Wege in die Öffentlichkeit: Aufsätze und unveröffentlichte Schriften aus den Jahren 1926 –1956, Zürich 1987, 70. Im Begleitbrief an die CIAM-Mitglieder weist Giedion darauf hin, dass im Schloss von Madame de Mandrot in La Sarraz nicht nur 1928 die Gründungstagung des CIAM stattfand, sondern im Jahr darauf auch die Internationale Liga für den unabhängigen Film dort gegründet wurde. 69 Giedion, Sigfried, Mechanization Takes Command, New York 1948, 22. 70 Ebd., 28.
Architekturgeschichte im Zeitalter des Films | Lutz Robbers
seine kurzen Bemerkungen zum Film mit einem Foto von Frank B. Gilbreth, der in den 1910er-Jahren begonnen hatte, mittels Langzeitaufnahmen manuelle Arbeitsabläufe zum Zwecke von Effizienzsteigerungen sichtbar zu machen. Das Bild zeigt den Bewegungsverlauf der Hand eines Chirurgen, der einen Knoten macht, als eine kontinuierliche Einschreibung von Dauer und Bewegung auf die lichtempfindliche Oberfläche des Bildes. Die Einschreibung der Zeit ins Bild erscheint hier nicht, wie im Falle der Kinematografie, als Sequenz von einzelnen Standbildern, die mittels der kinematografischen Apparatur die Illusion von Bewegung produziert – d. h. jener von Bergson kritisierten „méthode cinématographique“. Stattdessen manifestiert sich in den Fotos von Gilbreth eine alternative Form kinematischer Zeit als flüssige Einschreibung von Bewegung in die durée.71 Giedions Aussage in „Bauen in Frankreich“ zum Film als Medium, das einzig und allein in der Lage sei, jenen Idealraum „greifbar“ zu machen, in dem objektive Abgrenzungen durch die entgrenzende Erfahrung sich wandelnder Intensitäten ersetzt werden, aktualisiert ein wiederkehrendes Motiv in seinem Denken. Schon 1917 warnte er in einem Artikel mit dem Titel „Skifahrt auf dem Jungfraujoch,“ dass das Streben nach einem „reinen Geist“ und nach „Selbstversenkung“ zu einer entgeisterten Welt der „toten Formen“ führe.72 Stattdessen sehnt er sich nach einer affirmativen Einheit, die sich später immer wieder als Räume des Wandels und der Durchdringungen artikuliert. In Eisenkonstruktionen wie dem Eiffelturm, in Le Corbusiers Siedlung Pessac oder in alpinen Schneelandschaften lassen sich diese immersiven Erfahrungen machen: „Es entsteht – wie bei gewissem Licht in Schneelandschaften – jene Entmaterialisierung des Festumgrenzten, die weder Steigung noch Gefälle unterscheiden lässt und im Schreitenden das Gefühl erzeugt, als ginge er in Wolken.“73
„Wandel“ bedeutet für Giedion nicht bloß die atmosphärische Durchdringung
eines
dynamischen
Welterlebens,
sondern
71 Siehe hierzu Doane, Mary Ann, The Emergence of Cinematic Time, Cambridge (MA) 2002. 72 Giedion, Sigfried, Skifahrt auf dem Jungfraujoch, Frankfurter Zeitung, 26.10.1917. Zit. nach Georgiadis, Sokratis, Sigfried Giedion: Eine intellektuelle Biografie, Zürich 1989, 24. 73 Giedion, Bauen in Frankreich, 85.
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auch die plötzliche Emergenz verborgener Wahrheiten. In seinem Spätwerk „Architektur und das Phänomen des Wandels“ (1969) spricht Giedion von der „Eigenschaft des menschlichen Geistes, Dinge, die lange Zeit verschüttet lagen, wieder im Bewußtsein auftauchen zu lassen“.74 Damit vermengt Giedion ein phänomenologisches Modell dynamischer Raumerfahrung mit einem retroaktiv materialistischen Geschichtsmodell, wie es Walter Benjamin im Passagenwerk praktiziert.75 Genau wie der „Wandel des Blickes“ in der Wahrnehmung der Architektur ist auch der geschichtliche Wandel nicht linear-kausal, sondern retroaktiv und kontingent. Genau wie bei Benjamin vermengen sich zwei scheinbar widersprüchliche Erfahrungen: die blitzhaften Emergenzen aus dem optisch Unbewussten mit dem, was Benjamin als „Wolkenatmosphäre, Wolkenwandelbarkeit der Dinge im Visionsraum“76 umschreibt. Letztendlich ist zu fragen, wie sich Giedion und Behne unterscheiden und worin sie sich ähneln. Während für Behne der Film zwar das Wesen der Kunst verändert, gleichzeitig aber immer ein pädagogisches Instrument zur Durchsetzung einer gesellschaftlichen Utopievorstellung bleibt, erscheint er bei Giedion als implizites Sinnbild seines phänomenologischen Modells der Raumerfahrung, die sich mit dem Benjaminschen Modell einer „historisch-materialistischen Geschichte der Architektur“ verbindet. In beiden Fällen konfrontierte das Medium Film die Historiker mit einem „radikalen Wissen“ und folglich mit einem inkompatiblen Fremdkörper, der drohte die Medien architekturgeschichtlicher Wissensproduktion zu unterspülen. Damit war der Film schon in seiner Frühzeit weniger Darstellungsmedium als „epistemisches Ding“,77 das an der historischen Erkenntnis wie auch an der Gestaltung des architektonischen Objektes mitarbeitet. 74 Giedion, Sigfried, Architektur und das Phänomen des Wandels: Die drei Raumkonzeptionen in der Architektur, Tübingen 1969, 9. 75 Zu Benjamins Geschichtsverständnis siehe Menninghaus, Winfried, Schwellenkunde: Walter Benjamins Passage des Mythos, Frankfurt am Main 1986. Benjamin selbst bezeichnete „Bauen in Frankreich“ und Gotthold Meyers Eisenbauten (1907) als „Prolegomena zu einer jeden künftigen historisch-materialistischen Geschichte der Architektur“. Vgl. Benjamin, Walter, Bücher, die lebendig geblieben sind [1929], in: ders., Gesammelte Schriften III, Tiedemann-Bartels, Hella (Hg.), Frankfurt am Main 1972, 170. 76 Benjamin, Walter, Das Passagen-Werk, in: Gesammelte Schriften V/2, Schweppenhäuser, Hermann (Hg.), Frankfurt am Main 1982, 1024. 77 Rheinberger, Hans-Jörg, Epistemisches Ding und Verkörperung, in: Blum, André/Krois, John Michael/Rheinberger, Hans-Jörg (Hg.), Verkörperungen, Berlin 2012, 15 – 20, sowie Engell, Lorenz, Kinematographische Agenturen, in: Engell, Lorenz/Bystrˇický, Jirˇí/Krtilová, Katerˇina (Hg.), Medien denken: Von der Bewegung des Begriffs zu bewegten Bildern, Bielefeld 2010, 137–156.
Erfassung des Lichts im barocken Innenraum Carl Lamb, der Film und die Forschung
Barbara Schrödl
1936 drehte der gerade erst ein Jahr zuvor promovierte Kunsthistoriker Carl Lamb „Raum im kreisenden Licht“.1 Im Zentrum des Films steht die „Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies“, kurz „Wieskirche“ genannt.2 Der Rokokobau genießt in der Kunstgeschichte eine hohe Wertschätzung. 1983 wurde er sogar zum Weltkulturerbe erklärt. Geschätzt wird vor allem die aus dem Zusammenspiel von Architektur, Stuckdekoration, Freskomalerei und natürlichem Licht hervorgehende Raumwirkung. Dass dem Aspekt des Lichts zentrale Bedeutung zugemessen wird, geht auf die 1930er-Jahre zurück und ist eng mit Carl Lamb verbunden. Lamb hatte in seiner 1935 eingereichten Dissertation mit dem Titel „Zur Entstehung der malerischen Architektur in Südbayern in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Rahmen- und Achsenbezüge, Blickführung, Licht und Farbe bei den Brüdern Asam, Johann Evangelist Holzer und den Brüdern Zimmermann“ dessen Bedeutung für die Raumauffassung deutscher Barockarchitekten herausgestellt. Im Rigorosum soll der Betreuer der Arbeit, der Münchner Ordinarius Wilhelm Pinder,3 seinen Schüler dazu angeregt haben, 1
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Raum im kreisenden Licht, Regie und Drehbuch: Carl Lamb, Deutschland 1936, Kamera: H. O. Schulze, Schnitt: Werner Buhre, Musik: Karl Höller, musikalische Leitung: Walter Ulfig, Sprecher: Bruno Fritz, S/W, Ton, ca. 17 min., Produktion: Tobis-Melo-Film-Gesellschaft Berlin, Sammlung: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv. Insgesamt setzt der Film ein hochgotisches und vier spätbarocke Bauwerke ins Bild. Wilhelm Pinder kann als einer der einflussreichsten deutschen Kunsthistoriker der Epoche zwischen den beiden Weltkriegen gelten. Zwischen 1927 und 1935 war er Ordinarius in München und stand damit einem der renommiertesten kunsthistorischen Institute in Deutschland vor. 1935 übernahm er den kunsthistorischen Lehrstuhl in der Reichshauptstadt Berlin, der im Nationalsozialismus als sehr prominent galt. 1945 wurde er seines Amtes enthoben. Kein Zweifel kann daran bestehen, dass Pinder mit nationalsozialistischen Denkmustern nicht nur sympathisierte, sondern auch daran mitarbeitete, diese in die Kunstgeschichte einzubringen (vgl. Held, Jutta, Kunstgeschichte im ‚Dritten Reich‘. Wilhelm Pinder und Hans Jantzen an der München Universität, in: dies./Papenbrock, Martin (Hg., Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus
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seine Erkenntnisse ins Filmische umzusetzen.4 Kunsthistorische Forschung und filmische Praxis erweisen sich bei Lamb als eng miteinander verbunden: Seine wissenschaftliche Leistung liegt in der Analyse des bewegten Lichts im barocken Innenraum, die in hohem Maße auf dem innovativen Einsatz des Films basiert. Die Forschung des filmenden Kunsthistorikers Carl Lamb erscheint heute aus der Perspektive der Mediengeschichte der Kunstgeschichte hochaktuell. Man darf jedoch nicht übersehen, dass Lambs Auseinandersetzung mit der Lichtregie des süddeutschen Spätbarock im zeitgenössischen Kontext des nationalsozialistischen Deutschlands verortet war.5 Sie gründet in der Frage nach dem spezifisch Deutschen der deutschen Kunst. Zwar ist weder das Interesse an deutscher Kunst noch die Frage nach dem spezifisch „Deutschen“ der deutschen Kunst originär nationalsozialistisch, doch konnten solche Problemstellungen nahtlos an Denkmuster der Nationalsozialisten anschließen.6 Zudem verdankte der junge Wissenschaftler die Möglichkeit, als Filmemacher aktiv zu werden, nicht nur seinem einschlägig bekannten Doktorvater, sondern auch der Förderung durch das
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= Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Bd. 5, Göttingen 2003, 17– 60, hier 19 – 23). In Medienfragen war Pinder jedoch ausgesprochen offen und modern, gerade auch in Bezug auf Fragen des Einsatzes des Films in der Kunstgeschichte. Wenn er auch nie selbst als Filmemacher tätig wurde, regte er doch mindestens drei Schüler, neben Carl Lamb, Otto Kletzl und Rolf Hetsch, dazu an, sich über die theoretische Reflexion hinaus für die filmische Kunstvermittlung zu engagieren und er publizierte auch zum Thema. Vgl. Pinder, Wilhelm, Einige Worte zum Kunstwissenschaftlichen Unterricht, in: Film und Bild. Zeitschrift der Reichsanstalt für Film und Bild, in: Wissenschaft und Unterricht 7 (1941) 11 f., sowie Hallinger, Johannes, Carl Lambs Fotografien. Zwischen Bild-Erzeugnis und Bilder-Zeugnis, in: Restauro 111 (2005), Extra 3: Fotografische Dokumentation, 6 –12, hier 6. Vgl. Hallinger, Johannes, 6. Carl Lamb war im Nationalsozialismus für offizielle Stellen tätig und auch er war Mitglied der NSDAP. Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen scheint er aber eher nur ein „Mitläufer“ gewesen zu sein. 1938 bekam er ein Stipendium am „Deutschen kunsthistorischen Institut Bibliotheca Hertziana“. Diese Tätigkeit lief bis 1941. Während des Romaufenthaltes, genauer 1939, trat er in die NSDAP ein. Ende 1941 wurde er als Dolmetscher der Deutschen Luftwaffe in Rom in den Militärdienst einberufen. Im August 1943 wurde er aus dem Wehrdienst entlassen und unabkömmlich gestellt. Er war an der farblichen Dokumentation von Monumentalmalerei beteiligt, die unter dem Schlagwort „Führerauftrag“ bekannt ist. Der Auftrag kam vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und galt gefährdeten Denkmälern. Lamb war vor allem in der Würzburger Residenz mit der Aufnahme der Tiepolo-Fresken betraut. Er arbeitete bis Kriegsende an diesem Projekt. Unmittelbar nach 1945 nahm er zwar seine Vortragstätigkeit wieder auf, doch musste er sie wiederholt unterbrechen. Es stand noch der Spruchkammerbescheid aus. 1946 aber fiel Lamb unter die sog. „Weihnachtsamnestie“, eine Amnestie für Kriegsbeschädigte und für alle, die während der NS-Zeit nur geringe Einkünfte hatten, und konnte wieder öffentlich tätig werden. Vgl. Hallinger, Johannes, „Ein Kunsthistoriker des Auges“ und Photograph in schwieriger Zeit. Carl Lamb (1905 –1968), in: Jahrbuch der bayerischen Denkmalpflege 58/59 2004/05 (2007), 44 – 66, hier 45 – 49. Siehe hierzu Marlite Halbertsmas Wertung von Pinders Interesse an dem Spezifischen der deutschen Kunst. Halbertsma, Marlite, Wilhelm Pinder (1878 –1947), in: Dilly, Heinrich (Hg.), Altmeister moderner Kunstgeschichte, Berlin 1999, 235 – 248, hier 241.
Erfassung des Lichts im barocken Innenraum | Barbara Schrödl
„Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ und der „Reichsstelle für den Unterrichtsfilm Berlin“ des „Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“.7 In meinem Beitrag ordne ich Lambs wissenschaftliche Leistung zunächst in die Barockforschung und die Mediengeschichte der Architekturgeschichte ein und frage anschließend nach weiteren Einflüssen, die den Blick des jungen Kunsthistorikers auf die Architektur geprägt haben dürften. Meine These ist, dass sein spezifisches Interesse am bewegten Licht im barocken Innenraum nicht nur durch seine Auseinandersetzung mit der kunsthistorischen Forschung, einer mit Licht- und Schattenwirkungen experimentierenden neueren Architekturfotografie oder dem filmisch inspirierten Layout zahlreicher zeitgenössischer Architekturbildbände gefördert wurde, sondern auch durch sein Interesse für moderne Kunst, seine Erfahrung der modernen Großstadt und seine Kenntnis der Entwicklungen im Bereich des Films. Gerade das Medium des Films fesselte seine Aufmerksamkeit. Offenbar erkannte er das Potenzial des Mediums als eine seinen wissenschaftlichen Interessen in besonderer Weise zuarbeitende Möglichkeit der visuellen Darstellung von Architektur. Die Kunstgeschichte und die Barockforschung
Mit seiner Konzentration auf den Barock bewegte sich Carl Lamb in den 1930er-Jahren in einem relativ neuen und hochaktuellen Forschungsgebiet. Die Kunstgeschichte begann die Kunst der Barockzeit erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu würdigen. Diese Entwicklung leitete Jacob Burckhardt mit seiner einflussreichen These einer Kontinuität zwischen der Kunst der Renaissance und des Barock ein: „Die Barockkunst spricht dieselbe Sprache wie die Renaissance, aber einen verwilderten Dialekt davon.“8 In der Folge entwickelte sich die Barockforschung zu einem der wichtigsten Forschungsgebie
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8
Vgl. Carl Lamb, Die Wies. Das Meisterwerk von Dominikus Zimmermann, im Auftrag des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Berlin 1937, 120. Der Hinweis auf die offizielle Förderung des Films findet sich in den späteren Auflagen des Buches (1948 und 1964) nicht mehr. Zit. nach Hoppe, Stephan, Was ist Barock? Architektur und Städtebau Europas 1580 –1770, Darmstadt 2003, 11.
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te der deutschsprachigen Kunstwissenschaft9 und prägte die Theoriebildung der sich als akademisches Fach etablierenden Disziplin entscheidend mit. Die formalistische Kunstgeschichte entwickelte ihre Gegenbegriffe zur klassischen Norm gerade am Beispiel des Barock. Heinrich Wölfflin erkannte den Barock erstmals als eigenen Stil an.10 Die stilistischen Eigenheiten fasst er mit dem Begriff des „Malerischen“: „Der malerische Stil ist auf den Eindruck der Bewegung angelegt. Die Komposition nach Massen [sic!] von Licht und Schatten ist das erste Moment dieser Wirkung; ich nenne als zweites die Auflösung des Regelmässigen [sic!] (Freier Stil, malerische Unordnung).“11
Und seine fünf Gegensatzpaare – linear und malerisch, Fläche und Tiefe, geschlossene und offene Form, Vielheit und Einheit sowie Klarheit und Unklarheit – die dauerhaft in das kunsthistorische Vokabular eingehen, hatte er anhand des Vergleichs von Renaissance und Barock entwickelt.12 Gerade im Bereich der Architekturgeschichte kommt der Barockforschung besondere Bedeutung zu. Die sich um 1900 durchsetzende Deutung der Geschichte der Architektur als Geschichte wechselnder Raumkonzeptionen war eng an den Barock gebunden. Das Interesse von Heinrich Wölfflin, Alois Riegl und August Schmarsow, die diese Entwicklung entscheidend vorantrieben, konzentriert sich auf die Barockarchitektur, insbesondere den barocken Innenraum. Grundlage war der Repräsentationscharakter der Barockarchitektur, der auf die sinnliche Wahrnehmung und im Innenraum explizit auf Erfahrungsbildung berechnet ist.13 Mit Blick auf die Raumerfassung entwickelte
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Studientag Barock-Perspektiven. Kunstwissenschaft und Barockforschung ca. 1880 –1945, 12. Februar 2011, Campus Westend, Casino Raum 1.801, Konzeption: Hans Aurenhammer. Information hierzu siehe: www.kunst.uni-frankfurt.de/de/aktuelles/ veranstaltungen/19 [Stand 06.02.2015]. Wölfflin, Heinrich, Renaissance und Barock. Eine Untersuchung über Wesen und Entstehung des Barockstils in Italien (1888), Basel/Stuttgart, 1986. Ebd., 31. Wölfflin, Heinrich, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, München 1915. Vgl. Schöttker, Detlev, Raumerfahrung und Geschichtserkenntnis. Die „Architektur der Gesellschaft“ aus Sicht der historisch-soziologischen Wahrnehmungstheorie: Giedion, Benjamin, Krakauer, in: Fischer, Joachim/Delitz, Heike (Hg.), Die Architektur der Gesellschaft. Theorien für die Architektursoziologie, Bielefeld 2009, 137–162, hier 139 f.
Erfassung des Lichts im barocken Innenraum | Barbara Schrödl
Schmarsow 1893 in seiner Leipziger Antrittsvorlesung das Modell eines Achsensystems.14 Dabei bildet das wahrnehmende Subjekt seinen Ausgangspunkt. Wenig später arbeitet er Fragen des Raums unter anderem in der Richtung weiter aus, dass er den Betrachter noch deutlicher als bewegten Betrachter konzipiert.15 Heinrich Wölfflin argumentiert vergleichbar: „Ein Barockbau […] spielt immer mit einem Bewegungsantrieb. Er rechnet von Anfang an mit einer Folge wechselnder Bilder […].“16 Das Moment der Bewegung, das als Charakteristikum der barocken Formensprache herausgearbeitet wurde, kehrt hier als Bewegung des Betrachters wieder. Raum, Bewegung und vor allem das Raumerlebnis des sich bewegenden Betrachters bestimmen auch in den folgenden Jahrzehnten die Forschung. Mit der Frage nach dem Raum werden auch der Betrachter und sein subjektives Raumerlebnis wichtig. Das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Interesse der Kunstgeschichte am Barock wird im engen Zusammenhang mit dem Kunstgeschehen gesehen.17 Die Kunstgeschichte reagierte auf eine aktuelle Entwicklung im Bereich der Architektur, der bildenden Kunst und des Kunstgewerbes, und dies sicherte der Barockforschung eine Aufmerksamkeit, die wiederum die Forschung förderte. Zunächst war hier der Neobarock wichtig.18 Wenig später kam mit der Rezeption des französischen Impressionismus, die im Bereich der bildenden Kunst die künstlerische Moderne einleitet, eine weitere Quelle hinzu. Als verbindendes Element zwischen Barock, Neobarock und Moderne gilt die Regelverletzung.19 Bald trat der Bezug der Barockforschung zum Neobarock in den Hintergrund, während der zur modernen Kunst wichtiger wurde und dabei die
14 Schmarsow, August, Das Wesen der architektonischen Schöpfung. Antrittsvorlesung gehalten in der Aula der K. Universität Leipzig am 8. November 1893, Leipzig 1984, vgl. www.tu-cottbus.de/theoriederarchitektur/Archiv/Autoren/Schmarsow/Schmarsow1894. htm [Stand 06.02.2015]. Wenig später konzipiert er das betrachtende Subjekt noch deutlicher als ein bewegtes Subjekt. Vgl. Schmarsow, August, Barock und Rokoko. Eine kritische Auseinandersetzung über das Malerische in der Architektur, Leipzig 1897. 15 Ebd. 16 Wölfflin, Heinrich, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, 68 und 110. 17 Vgl. Tintelnot, Hans, Zur Gewinnung unserer Barockbegriffe, in: Stamm, Rudolf (Hg.), Die Kunstformen des Barockzeitalters, Bern 1956, 13 – 91. 18 Landwehr, Eva-Maria, Neubarock. Architektur und Ausstattungskonzepte süddeutscher Sakralbauten um 1900, Osnabrück 2003, 50. 19 Vgl. Warnke, Martin, Die Entstehung des Barockbegriffs in der Kunstgeschichte, in: Garber, Klaus (Hg.), Europäische Barock-Rezeption, 2 Bde., Bd. II, Wiesbaden 1991, 1207–1223, hier 1220 –1223.
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Fokussierung auf den Impressionismus verlor. Lambs Lehrer, Heinrich Wölfflin und Wilhelm Pinder, lassen sich in diese neue Tradition einordnen. Wölfflin gilt als Kunsthistoriker, der für die Kunst der Gegenwart offen war,20 und Pinder setzte sich für die Moderne, insbesondere für den Expressionismus, ein.21 Lambs Frage nach dem Licht hatte in der Forschung zur Barockarchitektur zuvor kaum eine größere Rolle gespielt, und dies, obwohl bereits Heinrich Wölfflin 1888 die Lichtführung als zentrales Anliegen der Barockarchitekten erachtet: Der „malerische Stil denkt zuerst an den Beleuchtungseffect [sic!]: die Unergründlichkeit einer dunklen Tiefe, die Magie des Lichts, das von oben aus den unsichtbaren Höhen der Kuppel sich ergiesst [sic!], der Uebergang [sic!] vom Dunklen zum Hell- und Helleren […].“22
Doch erst in den 1910er-Jahren knüpften Forscher wie Paul Frankl wieder an diese Gedanken an. Frankl rechnet, neben Raum, Körper und Zweck, das Licht zu den grundlegenden Elementen der Architektur.23 Für die Lichtführung arbeitet er neben einem Wandel von der Renaissance zum Barock auch einen Wandel innerhalb des Barocks heraus. Der Kontrast von Hell und Dunkel einer ersten Phase sei durch „das Nebeneinander sehr dunkler Kapellen und heller Haupträume“ oder „das Übereinander strahlend heller Gewölberegionen über finsteren Fußräumen“ geprägt,24 der dagegen in einer zweiten Phase darauf angelegt ist, die Zahl der einzelnen Teilbilder so weit als möglich zu steigern.25 Fotografie und Film als Medien der Architekturgeschichte
In der Forschung konnte aufgezeigt werden, dass die Durchsetzung der Fotografie in der Kunstgeschichte nicht unabhängig 20 Vgl. ebd. Siehe hierzu auch: Wölfflin, Heinrich, Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts. Akademische Vorlesung, hrsg., eingeleitet und kommentiert von Norbert Schmitz, Alfter 1993. 21 Krieger, Verena, Zeitgenossenschaft als Herausforderung der Kunstgeschichte, in: Dies., Kunstgeschichte und Gegenwartskunst. Vom Nutzen und Nachteil der Zeitgenossenschaft, Köln, Weimar/Wien 2008, 5 – 28, hier 11 und Belting, Hans, Die Deutschen und ihre Kunst. Ein schwieriges Erbe, München 1992, 46. 22 Wölfflin, Heinrich, Renaissance und Barock, 71. 23 Frankl, Paul, Die Entwicklungsphasen der neueren Baukunst, Leipzig/Tübingen 1914. 24 Ebd., 130. 25 Ebd., 136.
Erfassung des Lichts im barocken Innenraum | Barbara Schrödl
von den Fragestellungen und dem methodischen Instrumentarium der Disziplin gesehen werden kann. Kunsthistorische Bildmedien sind nicht bloß optische Hilfsmittel, sondern modellieren im Laufe der Zeit die diskursive Maschinerie und reagieren selber auf die Entwicklung der Theoriebildung. Darüber hinaus möchte ich zeigen, dass die Ästhetik und die Verwendung der Bilder im Falle der Fotografie einem Wandel unterlagen, der dazu beigetragen haben dürfte, die Aufmerksamkeit auf ein neues Medium, das Medium des Films, zu lenken. Parallel zur Etablierung der Fotografie als dem Bildmedium der Kunstgeschichte lassen sich Bestrebungen zu ihrer visuellen Vereinheitlichung beobachten. Die kunsthistorische Fotografie charakterisieren: gleichmäßige Beleuchtung, große Tiefenschärfe, Frontalität, Erfassung vom Betrachterstandpunkt oder aus Augenhöhe, Rahmenlosigkeit, formatfüllende Darstellung, neutraler Hintergrund und das Bestreben, Alltagszusammenhänge zu negieren.26 Ihre Herausbildung wurde von theoretischen Überlegungen begleitet. Nicht nur Heinrich Wölfflin fragt nach dem „richtigen“ Blick, insbesondere dem „richtigen“ Standort der Kamera und der „richtigen“ Beleuchtung der Objekte.27 Im Falle der Beleuchtung setzte sich zwar die Forderung nach Gleichmäßigkeit rasch durch,28 doch wurde sie für Werke auf malerische Wirkung zielender Perioden immer wieder zur Diskussion gestellt.29 In den 1920er-Jahren kam dann neue Bewe26 Dilly, Heinrich, Lichtbildprojektionen. Prothesen der Kunstbetrachtung, in: Below, Irene (Hg.), Kunstwissenschaft und Kunstvermittlung, Gießen 1975, 153 –172, siehe auch Dilly, Heinrich, Das Auge der Kamera und der kunsthistorische Blick, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, Band 20: Richard Hamann zum 100. Geburtstag am 29. Mai 1979, Marburg 1981, 81– 89 sowie Tietenberg, Annette, Die Fotografie – eine bescheidene Dienerin der Wissenschaft und Künste? Die Kunstwissenschaft und ihre mediale Abhängigkeit, in: Dies. (Hg.), Das Kunstwerk als Geschichtsdokument. Festschrift für Hans-Ernst Mittig, München 1999, 61– 80 und Wenk, Silke, Zeigen und Schweigen. Der kunsthistorische Diskurs und die Diaprojektion, in: Schade, Sigrid/Tholen, Georg Christoph (Hg.), Konfigurationen zwischen Kunst und Medien, München 1999, 292 – 305. 27 Vgl. z. B. Bressa, Birgit, Nach-Leben der Antike. Klassische Bilder des Körpers in der NSSkulptur Arno Brekers, Dissertation Universität Tübingen 2001, 183. Siehe http://tobiaslib.uni-tuebingen.de/volltexte/2001/234/pdf/promotion.pdf [Stand: 06.02.2015] sowie die Artikel Heinrich Wölfflins: Wölfflin, Heinrich, Wie man Skulpturen aufnehmen soll (Teil I), in: Zeitschrift für bildende Kunst N.F. 7 (1896) 224 – 228; ders., Wie man Skulpturen aufnehmen soll (Teil II), in: Zeitschrift für bildende Kunst N.F. 8 (1897), 294 – 297; ders., Wie man Skulpturen aufnehmen soll? Probleme der italienischen Renaissance, in: Zeitschrift für bildende Kunst N.F. 26 (1914), 237– 244; Vogel, Hermann Wilhelm, Photographie und Wahrheit, in: ders., Lichtbilder nach der Natur. Studien und Skizzen, Berlin 1879, 147–164 und Schmid, Heinrich Alfred, Kunstgeschichte, in: Wolf-Czapek, Konrad (Hg.), Angewandte Photographie in Wissenschaft und Technik, Berlin 1911, 77– 92. 28 Vgl. z. B. Tieschowitz, Bernhard von, Die Photographie im Dienste der kunstwissenschaftlichen Forschung, in: Hamann, Richard, Festschrift Richard Hamann zum 60. Geburtstag, Burg bei Magdeburg 1939, 151–162. 29 Vgl. zur Beleuchtungsfrage z. B. Schmid, Heinrich Alfred, Kunstgeschichte, in: WolfCzapek, Konrad (Hg.), Angewandte Photographie in Wissenschaft und Technik, 77– 92
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gung ins Spiel. Die im architekturhistorischen Kontext verwendeten Fotografien zeigen eine neue Vielfalt. Einige der neueren Richtungen der Architekturfotografie experimentieren mit dem Licht. Das Ideal einer gleichmäßigen Beleuchtung wird zugunsten eines Spiels mit Licht- und Schattenwirkungen aufgegeben. Dies charakterisiert beispielsweise die vom Expressionismus beeinflusste Fotografie. Walter Hege ist einer der bekanntesten
expressionistischen
Foto-
grafen (Abb. 1). Seine Fotografien sind meist dunkel gehalten, zeigen deutliche Schattenbildungen, Unschärfen sowie Nah- und Untersichten. Gezielt wird auf Stimmungen.30 Hege wollte Kunst und Architektur nicht dokumentieren, sondern „als Nachschaffender die vom Künstler beabsichtigte
Wirkung“
vermit-
teln.31 Er verstand sich als KünstAbb.1: W alter Hege, Die Nagelkapelle & Ehemaliger Kapitelsaal, nach 1251/um 1455, Bamberg: Sankt Peter und Georg, Anfang 1930erJahre, aus: Pinder, Wilhelm/Hege, Walter, „Der Bamberger Dom, und seine Bildwerke“ (1927), Berlin 2. Auflage 1933, Tafel 35.
ler. Heges Fotografie steht damit im Kontrast zu zeitgenössischen Vorstellungen
wissenschaftlicher
„Objektivität“. Dennoch rechtfertigt Wilhelm Pinder ihre Verwendung
in der Wissenschaft: „[...] unbekümmert gewiß um theoretische Forderungen der Wissenschaft, aber doch immer, auch in ‚unvorschriftsmäßiger‘ Drehung und Beleuchtung, nur Vorhandenes, Wirkliches, einige Male auch selten oder nie Festgehaltenes wiedergebend.“32 Den Fotografen Hege und den Kunsthistoriker Pinder verband eine lange und enge Arbeitsbeziehung. Ihre Zusammenarbeit begann spätestens 1925 mit
und Schlegel, Arthur, Die Beleuchtung beim Aufnehmen von Skulpturen. Mit Aufnahmen des Kunstgeschichtlichen Seminars Marburg, in: Das Atelier des Photographen, 39 (1932), 58 – 64 . 30 Matyssek, Angela, Kunstgeschichte als fotografische Praxis. Richard Hamann und Foto Marburg, Berlin 2009, 262. 31 Zit. nach Beckmann, Angelika, Ein „Wegweiser zum Sehen“. Walter Heges Photographien von Kunstwerken. Intentionen und Gestaltungsweisen, in: Beckmann, Angelika/Dewitz, Bodo von (Hg.), Dom. Tempel. Skulptur. Architekturphotographien von Walter Hege, Köln 1993, 14 – 22, hier 14. 32 Pinder, Wilhelm/Hege, Walter, Der Naumburger Dom und seine Bildwerke (1925), Berlin 1926, 51.
Erfassung des Lichts im barocken Innenraum | Barbara Schrödl
der Publikation eines Buches über den Naumburger Dom, die einen Aufsatz Pinders und eine Bildstrecke Heges umfasst.33 Das Bildmaterial ihrer gemeinsamen Publikationen erweist sich nicht allein durch die verwendeten Fotografien, sondern auch durch deren Anordnung als bemerkenswert. Vielfach wird es zu Bildstrecken arrangiert, die mit subjektiven Momenten agieren. In „Der Bamberger Dom und seine Bildwerke“ beispielsweise folgen die Bilder nicht dem Text, sondern lassen den Betrachter, in der Rolle des Besuchers, den Bau erst außen umschreiten und dann innen erkunden.34 Dies lässt sich als eine filmische Strategie beschreiben.35 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand jedoch der Film nicht nur in Form filmischer Bildstrecken in die Mediengeschichte der Architekturgeschichte Eingang, sondern der Film interessiert auch als Medium der Architekturdarstellung. Die Hoffnung richtet sich in erster Linie darauf, dass das bewegte Bild das Raumerlebnis adäquater erfassen könne als die Fotografie. So erklärt der Tübinger Ordinarius für Kunstgeschichte, Konrad Lange, Filmaufnahmen von Innenräumen könnten den Eindruck vermitteln, „als bewege sich der Zuschauer selbst im Raume vorwärts“.36 Oder sein Rostocker Kollege Albert Erich Brinckmann schreibt ein Jahr zuvor in der renommierten „Frankfurter Zeitung“: „Das Lichtbild genügt für die Reproduktion eines Bildes, abgesehen von dem Ausfall der Farbe [...] nicht aber für die Behandlung von räumlichen Gebilden wie Skulpturen und Bauten. [...] Der an seinen Standpunkt gebundene photographische Apparat vermag einen barocken Innenraum wie die Kirche der Vierzehn Heiligen bei Lichtenfels überhaupt nicht mehr zu fassen und selbst mehrere Ansichten geben den Raumeindruck nicht wieder, der auf einer kontinuierli-
33 Hege, Walter/Pinder, Wilhelm, Der Naumburger Dom und seine Bildwerke, Berlin 1925. Die Zusammenarbeit dauerte bis in Nachkriegszeit hinein an. Der Kunsthistoriker und der Fotograf publizierten gemeinsam verschiedene kunsthistorische Bücher. Pinder illustrierte wiederholt seine Monografien und Aufsätze mit Fotografien Heges. 34 Pinder, Wilhelm/Hege, Walter, Der Bamberger Dom und seine Bildwerke, Berlin 1927. Der Band erreichte große Popularität und erlebte mehrere Auflagen. 35 Vgl. Matyssek, Angela, Kunstgeschichte als fotografische Praxis, 262 – 263. In der Tat drehte Hege etwa zehn Jahre später „Das steinerne Buch. Ein Film von den Bildwerken des Bamberger Doms“ (Regie und Buch: Walter Hege, Deutschland 1938, s/w, 23 min.). 36 Lange, Konrad, Das Kino in Gegenwart und Zukunft, Stuttgart 1920, 171.
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chen Entwicklung der Raumabschnitte und Raumgruppen beruht. […] Wollen wir aber die Behandlung des Raumproblems vertiefen, so werden die Kunsthistoriker ohne den Film für Innenräume nicht auskommen.“37
Diese Hoffungen blieben einige Jahre virulent. Noch 1941 argumentiert Pinder vergleichbar. Er schreibt filmischen Bildern und „malerischer“ Architektur eine besondere Nähe zu: „[...] der Film ist immer desto besser am Platze, je mehr Bewegung und je mehr flüssige Bewegung das Formerlebnis des Werkes selber enthält [...].“38 Neben der Hoffnung auf eine adäquatere Raumerfassung lenkte auch das Interesse an zeitlichen Momenten der Architektur die Aufmerksamkeit auf den Film. Schon 1916 prophezeit der als Assistent von Paul Schmitthenner an der Stuttgarter Universität tätige Hermann Wilhelm Jost, dass die Kinematografie den Architekturinteressierten bald von ähnlichem Wert sein könnte, „wie sie es dem Naturforscher schon längst ist, wenn es gilt, übermäßig langsame oder schnelle Naturvorgänge im Zeitmaße beliebig geregelt vorzuführen. Ähnlicherweise gestattet mir die Kinematographie, vom Sessel aus ein Bauwerk zu studieren, wie es im brennenden Licht eines Frühsommermorgens und wie es im weichen Dämmer eines Wintertages wirkt, [...] – und das alles in ebensoviel Minuten, als ich sonst Monate brauchte, um gleiche Eindrücke in der Wirklichkeit zu gewinnen!“39
In den folgenden Jahren wurde dieser Gedanke aber kaum weiterverfolgt. Erst Lamb setzte hier rund 20 Jahre später wieder an. Die Chancen und Grenzen einer filmischen Architekturdarstellung wurden nicht nur in der Theorie reflektiert, sondern auch in der Praxis erprobt. Es wurden verschiedenste Filme gedreht,
37 Brinckmann, Albert Erich, Der Film im kunstwissenschaftlichen Unterricht, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 840, 09.11.1919, 2 – 3; auch veröffentlicht in: Erste internationale Filmzeitung 13 (1919), Nr. 46, 26 – 27. 38 Pinder, Wilhelm, Einige Worte zum Kunstwissenschaftlichen Unterricht, in: Film und Bild. Zeitschrift der Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht 7, Heft 1 (1941), 11 f., hier 12. 39 Jost, Hermann Wilhelm, Kino und Architektur, in: Städtebau. Zeitschrift für die künstlerische Ausgestaltung der Städte nach ihren wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sozialen Grundsätzen 13 (1916), 91.
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in denen der Architektur zentrale Bedeutung zukam – dokumentarische, propagandistische und künstlerische Projekte, aber auch Spielfilme. Betrachtet man dieses Material vor der Folie der Theoriebildung, so zeigt sich eine deutliche Kluft. Mit Ausnahme vielleicht der künstlerischen Filme und der Spielfilme sind gerade die Filme, die der historischen Architektur gelten und im kunsthistorischen Kontext von besonderem Interesse sind, bis in die 1930er-Jahre durch eine Art „Postkarten-Ästhetik“ bestimmt.40 Herausgearbeitet wird nicht das Filmische, sondern das Bildhafte. Filme wie „Wunderwelt der Gotik“ (D 1935) zeigen eine auf Gleichmäßigkeit zielende Beleuchtung. Operiert wird vorwiegend mit der unbewegten Kamera. Zu Beginn setzen Totalen den städtebaulichen und sozialen Kontext ins Bild. Es folgen halbnahe und nahe Aufnahmen zunächst der Außenarchitektur und dann der Innenarchitektur. Mitunter wird die Kamera in diesen Passagen zwar ein wenig bewegt, doch verbleibt sie stets in der Zweidimensionalität. Zum Schluss werden wiederum unbewegte Totalen gezeigt.41 Beleuchtung und Kameraführung bringen also kaum Dynamik ins Spiel. Der Schnitt ist dagegen interessanter. Man kann davon sprechen, dass er eingesetzt wird, um die filmisch inspirierte Strategie der Annäherung an die Bauten zeitgenössischer Architekturbildbände nun wirklich ins Filmische zu übersetzen. Dennoch vermögen solche Filme weder die Illusion des Raumerlebnisses des Betrachters hervorzurufen, noch werden Naturvorgänge in andere Zeitlichkeit überführt und dadurch in neuer Weise erfassbar. Carl Lamb und das bewegte Licht
Den jungen Forscher Carl Lamb interessierte, ganz im Einklang mit der zeitgenössischen Forschung, das Erlebnis des Betrachters im barocken Innenraum. Er fragte jedoch weniger nach
40 Auf eine visuelle Analogie zur Postkarte verweisen für den „Städtefilm“ Annette Deeken, vgl. Deeken, Annette, Geschichte und Ästhetik des Reisefilms, in: Jung, Uli/Loiperdinger, Martin (Hg.), Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 2005, 299 – 323, hier 303, und für den Domfilm Reiner Ziegler. Vgl. Ziegler, Reiner, Vom Dom zur Reichshauptstadt Germania, in: Zimmermann, Peter (Hg.), Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 2005, 348 – 358, hier 349). 41 Vgl. Winter, Gundolf, Bildwerk und Bauwerk. Zur Mediatisierung von Architektur im Fernsehen, in: ders./Dobbe, Marina/Steinmüller, Gerd (Hg.), Die Kunstsendung im Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland (1953 –1985), Teil I: Geschichte – Typologie – Ästhetik, mit einem Beitrag von Christoph Schreiner, Potsdam 200, 379 – 427, hier 383.
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dessen Raumerlebnis als vielmehr nach dessen Augenerlebnis. Das Augenerlebnis geht für ihn aus dem Einsatz von Farbe und Licht hervor – also aus Mitteln der Malerei. Gerade barocke Architektur zeigt für ihn eine enge Verbindung zur Malerei.42 Im Falle von Bauten wie der „Wieskirche“ würde „eine höchst malerische Belebung des Raumbildes durch das kreisende Sonnenlicht“ erreicht.43 Der Fokus des Kunsthistorikers liegt auf dem bewegten Licht. Besonders deutlich wird dies, wenn er das Zusammenspiel von Licht, Raum und Zeit als „dieses musikalische Spiel mit seinen vielfältigen optischen Reizen“ bezeichnet.44 Er greift damit, so könnte man also sagen, einen Gedankensplitter seines Doktorvaters auf und stellt ihn ins Zentrum seiner Forschung. Wilhelm Pinder hatte ungefähr gleichzeitig wie Paul Frankl einen historischen Wandel der Lichtführung im Barock beobachtet und dabei aber am Rande den Gedanken sich im Tagesablauf wandelnder Lichtverhältnisse ins Spiel gebracht. Er hatte geraten, die Weltenburger Klosterkirche „bei Abendlicht“ zu besichtigen.45 Dass sein Schüler hier ansetzt, dürfte mit einem durch die zeitgenössische Moderne geprägten Blick auf die barocke Architektur in Zusammenhang stehen. Spätestens durch seine akademischen Lehrer, Pinder und Wölfflin, dürfte das Interesse Lambs für die künstlerische Moderne geweckt worden sein.46 Seine Vertrautheit mit moderner Kunst schlägt sich deutlich in seinem Blick auf die Kunst des Barocks nieder. So fühlt er sich durch das Zusammenspiel von Freskomalerei und Sonnenlicht in spätbarocken Innenräumen Süddeutschlands an den Impressionismus erinnert.47 Sein Blick ist aber nicht allein durch die Tradition des Bezugs der Barockfor-
42 Vgl. Lamb, Carl, Zur Entwicklung der malerischen Architektur in Südbayern in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Rahmen- und Achsenbezüge, Blickführung, Lichtführung und Farbe bei den Brüdern Asam, Johann Evangelist Holzer und den Brüdern Zimmermann, München Phil. Diss. 1935 (Teildruck), Würzburg 1937, 27. 43 Ebd., 57. 44 Lamb, Carl, Die Wies. Das Meisterwerk von Dominikus Zimmermann, Berlin 1937, 96. 45 Pinder, Wilhelm, Deutscher Barock. Die großen Baumeister des 18. Jahrhunderts, Leipzig 1912, XIX. 46 Carl Lamb soll sich stets für das zeitgenössische Kunstgeschehen interessiert haben. Gespräch zwischen Susanne Hepfinger, Tochter und Nachlassverwalterin von Dr. Carl Lamb, und Barbara Schrödl am 17.11.2010 in München. In der Nachkriegszeit manifestiert sind dieses Interesse unter anderem darin, dass vier der zwölf nach 1945 gedrehten Filme Lambs Themen der modernen Kunst gelten. Vgl. Hepfinger, Susanne, Carl Lamb. Kunsthistoriker, Filmemacher, Fotograf. 1905 –1968, http://www.carl-lamb. de/ [Stand 06.02.2015]. 47 Vgl. Lamb, Carl, Zur Entwicklung der malerischen Architektur in Südbayern in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, 46.
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Abb. 2: U nbekannter Fotograf, Berlin Stresemannstraße bei Nacht im Juli 1932, Bundesarchiv Bild 102-13681
schung zum Impressionismus geprägt. Viel stärker spielt hier seine Teilhabe an der Weimarer Moderne hinein. Lamb hatte in München und Berlin studiert. Es liegt daher nahe, dass er an seinen Studienorten mit der zeitgenössischen Avantgarde in Kontakt kam. München war eine traditionsreiche Kunststadt, in der damals gerade auch die aktuelle Kunst präsent war, und Berlin spielte in der Herausbildung der Weimarer Avantgarde eine zentrale Rolle. Aber nicht allein das Kunstgeschehen, sondern auch die Großstadterfahrung dürfte an dem jungen Kunstgeschichtsstudenten nicht spurlos vorbeigegangen sein. Dies gilt insbesondere für seine Zeit in Berlin. In der Metropole hatte sich eine neuartige Massenkultur entwickelt, die in hohem Maße durch nächtliche Lichterspiele geprägt wurde (Abb. 2). Erleuchtete Fensterflächen, Leuchtreklamen, Straßenbeleuchtungen, Autoscheinwerfer und Lichtspielinszenierungen verbanden sich in einer Weise, die von vielen Zeitgenossen als Zeichen einer begrüßenswerten Modernität gedeutet wurde. Das Kino spielte in diesem Kontext eine besondere Rolle. Das Erleben der Großstadt korrespondierte nicht nur mit dem Erleben des Kinopublikums, sondern die großstädtische Architektur reagierte auch mit einer spezifischen Dynamisierung auf den Film.48 Das 48 Exemplarisch für diese spezifische Dynamisierung sind viele Bauten Erich Mendelsohns. Typisch sind geschwungene Fassaden und horizontal gestaffelte Fensterbänder, die im Zusammenspiel mit den Fassadenflächen im Tagesablauf zwischen Positiv- und Negativbild wechseln. Interessant sind vor allem ihre an Filmstreifen erinnernden Nachtansichten, die darauf angelegt scheinen von einem dynamisierten Blick, dem Blick aus dem Auto, wahrgenommen zu werden und sich als eine frühe Form des Autokinos charakterisieren lassen. Vgl. Hoormann, Anne, Lichtspiele. Zur Reflexivität der Avantgarde in der Weimarer Republik, München 2003, 266. Folgerichtig bildete sich eine neue Ikonographie der Kinoarchitektur heraus, die das Spiel mit dem Licht im Innenraum in der Außenarchitektur thematisiert. Man denke beispielsweise an Erich Mendelsohns WOGAKomplex mit Universum-Kino (Berlin, 1927–1931).
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Großstadterlebnis wurde zudem in der bildenden Kunst, speziell dem künstlerischen Film, reflektiert. Man denke an Arbeiten wie „Dynamik der Gross-Stadt. Skizze zu einem Film. Gleichzeitig Typofoto“ von László Moholy-Nagy (D 1921/22) oder „Berlin – Die Sinfonie der Grosstadt“ (D 1927). Werke wie diese zeigen eine Fokussierung auf das moderne Tempo. Neben diesen vom Geist der Neuen Sachlichkeit geprägten Arbeiten könnte man auch an den „absoluten Film“ denken, einer abstrakten, nichtnarrativen Form des Films, die auf rhythmischen Form- und Bewegungsspielen beruht. In Deutschland wurde diese Bewegung von Hans Richter, Viking Eggeling, Walter Ruttmann und Oskar Fischinger begründet. Der Kunsthistoriker Lamb setzt seinen Film „Raum im kreisenden Licht“ explizit zu dieser Tradition in Bezug, wenn er ihn als „Augenmusik“ bezeichnet und damit einen Begriff aufgreift,49 den Bernhard Diebold für Walter Ruttmanns Film „opus 1“ (D 1921) geprägt hatte.50 Lambs Interesse am bewegten Licht im barocken Innenraum, aber auch dessen Übersetzung in einen Film dürfte zwar durch die Erfahrung der Moderne und die Kenntnis der künstlerischen Avantgarde sowie ihrer Filme geprägt sein, doch dreht er mit „Raum im kreisenden Licht“ nicht einfach einen Film in der Tradition des künstlerischen Films. Der Kunsthistoriker setzt das Medium des Films vielmehr zur Analyse des bewegten Lichts im barocken Innenraum ein. Lamb hatte erkannt, dass für seine Fragestellung nicht das stehende Bild der Fotografie das adäquate Medium darstellt, sondern das bewegte Bild des Films. Er schreibt: „Bisher gab es kein Mittel, das Verhältnis von Raum und Licht, das uns in einzelnen Momenten, besonderen ‚Stimmungen‘ entgegentrat, in seiner Einheit und seinem ganzen Reichtum darzustellen. Die Photographie konnte soweit vordringen, die einzelnen Phasen desselben Architekturmotives bei veränderter Beleuchtung nacheinander zum Ver-
49 Carl Lamb schreibt: „Das wandernde Licht kennt keine Unruhe, sondern ist reines Lichtspiel, eine stumme Augenmusik. Die in der Architektur ‚gefrorene Musik‘ wird ihrer Fesseln frei.“ Lamb, Carl, Das Licht als Bewegungselement im Film, in: Der Deutsche Film, Heft 2 (1937), 213 – 215, hier 214. 50 Rainer, Cosima, Versprechungen der Augenmusik, in: SEE THIS SOUND Webarchiv. Ein Projekt der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig verantwortet von Dieter Daniels, 2009, http://see-this-sound.at/ausstellung/83 [Stand 06.02.2015].
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gleich vorzulegen. Dabei zeigte sich, daß die Entscheidung über eine günstigste Beleuchtung gar nicht das Wesentliche war: Das Wesentliche war das, was zwischen den Photos liegen musste: Die Bewegung des Lichtes [...].“51
Bei diesen Zeilen fühlt man sich an die Entwicklungen im Bereich des illustrierten Kunstbuchs erinnert. Die zeitgenössischen Architekturbildbände zeigen vielfach filmisch inspirierte Bildsequenzen. Als Schüler von Pinder war Lamb sicher mit Heges Werk vertraut. Heges Architekturbildstrecken, die auf dramatischen Lichteffekten beruhende Einzelbilder verbinden, könnten eine Schulung des Blicks des jungen, am bewegten Licht interessierten Lamb bewirkt haben, die seine Aufmerksamkeit auf das neue Medium des Films lenkte. Den Film setzt Carl Lamb interessanterweise nicht ein, um die Bewegung des Lichts in ihrem natürlichen Zeitmaß festzuhalten. Vielmehr geht es ihm darum, den Zeitfluss zu beschleunigen. Zwar ist die Idee, die Manipulation der Geschwindigkeit zeitlicher Abläufe mittels des Films zur Analyse zeitlicher Momente der Architektur einzusetzen, nicht neu, doch ist Lamb 1936 der Erste, der dies tatsächlich praktiziert. Dazu dürften Gespräche mit seiner Tante Barbara Heffner beigetragen haben, die ihn bei seiner Forschung unterstützte.52 Heffner war eine promovierte Biologin, deren Doktorvater, Theodor Boveri,53 im engen Kontakt zur Zoologischen Station Neapel stand. An dieser drehte Julius Ries 1907 einen auf der Modellierung der Zeit beruhenden Film über die Seeigeleibefruchtung.54 Ries biologischer und Lambs kunsthistorischer Forschungsfilm zeigen deutliche Parallelen. Wenn auch Ries die Zeit dehnt, Lamb aber rafft, legen doch beide eine kontrollierte Bewegung der Kamera 51 Lamb, Carl, Das Licht als Bewegungselement im Film, in: Der Deutsche Film, Heft 2 (1937), 213 – 215, hier 213. 52 Sie chauffierte ihn beispielsweise zu den zu fotografierenden Bauten. Gespräch zwischen Susanne Hepfinger, Tochter und Nachlassverwalterin von Dr. Carl Lamb, und Barbara Schrödl am 17.11.2010 in München. 53 Vgl. Heffner, Barbara, Über experimentell erzeugte Mehrfachbildungen des Skeletts bei Echiniden-Larven, Dissertation Würzburg, Würzburg 1907, als Monografie vgl. Heffner, Barbara, Über experimentell erzeugte Mehrfachbildungen des Skeletts bei EchinidenLarven, Leipzig 1908. Theodor Boveri vermittelte Barbara Heffner nach ihrer Promotion ein Stipendium am Bryn Mayr College. Die Forschungsergebnisse des Aufenthalts wurden 1910 im Biological Bulletin veröffentlicht. Vgl. Heffner, Barbara, A study of Chromosomes of Toxopneustes Variegatus which Show Individual Peculiarties of Form, in: Biological Bulletin, Nr. 19 (1910), 195 – 203. 54 Vgl. Ries, Julius, Kinematographie der Befruchtung und Zellteilung, in: Archiv für Mikroskopische Anatomie und Entwicklungsgeschichte 74, Heft 1 (1909), 1– 31.
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zwischen die einzelnen Aufnahmen.55 Der Kunsthistoriker rafft die Zeit, um auch dem von ständiger Zeitknappheit geplagten Betrachter der Gegenwart, der es sich nicht mehr leisten kann, wie früher einen ganzen Tag in einer Kirche zu verbringen, die Erfahrung des Lichtsspiels im barocken Innenraum zugänglich zu machen: „Der Filmstreifen vermag mittels des Zeitraffers die Bewegung des Lichtes beschleunigt darzustellen und uns von der Folge der Lichtwirkungen und ihrer künstlerischen Bedeutung eine Anschauung zu geben.“56 Rekonstruiert werden soll also die historische Rezeption. Darüber hinaus soll jedoch etwas Neues hervorgebracht werden: „Nur der Film vermag mit Hilfe des Zeitraffers die natürliche Bewegung des Sonnenlichtes so zu verändern, dass der Fluß des Lichtes deutlich erkennbar wird.“57 Die filmische Zeitmodellierung soll der Forschung ermöglichen zu „beobachten, welche Bedeutung die Architekten oder die Bildhauer dem Lichte zuerkannt haben; wie sie die Form am Licht und durch das Licht wachsen lassen; welche Überlegungen sie in Bezug auf den Einfall des Lichtes in den Raum trafen; wie sie darin eine bestimmte Gesetzmäßigkeit ausbildeten“.58
Durch diese sich durch den Film eröffnende Möglichkeit erhofft sich Lamb letztlich eine Verschiebung der Forschungsinteressen: „Die Kunstgeschichte hat bisher die Frage nach dem Verhältnis von Raum und Licht kaum stellen können, weil ihr das Anschauungs- und Vergleichsmittel fehlte.“59 Der Film „Raum im kreisenden Licht“
„Raum im kreisenden Licht“ richtet die Aufmerksamkeit bereits im Vorspann auf den Aspekt des bewegten Lichts. Hier wird die Angabe der Credits mit einem Blick aus einem Innenraum 55 Vgl. ebd., 4 f., und vgl. Lamb, Carl, Film und Kunstgeschichte, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Heft 3 (1936), 209 – 214, hier 213. 56 Lamb, Carl, Die Wies. Das Meisterwerk von Dominikus Zimmermann (1937), Stuttgart 1948, 54. 57 Lamb, Carl, Das Licht als Bewegungselement im Film, 213. 58 Lamb, Carl, Film und Kunstgeschichte, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Heft 3 (1936), 209 – 214, hier 212. 59 Lamb, Carl, Licht, Raum und Zeit in der Wieskirche des Dominikus Zimmermann, in: Atlantis. Länder/Völker/Reisen, Heft 1 (1937), 45 – 52, hier 52.
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in Richtung eines mit Butzenscheiben verglasten Fensters unterlegt, durch das strahlendes Licht einströmt, um sich auf der Wand in einem Lichtspiel niederzuschlagen. Es folgt eine schriftliche Skizzierung des im Film verwendeten Verfahrens der Erfassung des bewegten Lichts. Anschließend wird der Blick auf den hell erleuchteten Chor der spätgotischen Kirche St. Lorenz in Nürnberg gerichtet, während man aus dem „Off“ folgenden Kommentar hört: „Die Werke einer naturgewachsenen Baukunst haben ein bestimmtes Verhältnis zur Landschaft, aus der sie stammen, und zur Stellung des Lichtes, das sie bescheint. Der Süden und sein ewiger Sommer gibt ein Übermaß an glänzender Sonne und die italienischen Baumeister drängen das Licht zurück in ruhende Höhe. Im Norden, wo die Strahlen schräg zur Erde fallen, suchen die Baumeister das schwache Licht der Natur. Im Inneren des Raumes kreist das Licht.“
Dann erscheinen, fast durchgehend von Musik untermalt, vier spätbarocke Bauten – die „Theatinerkirche“ in München, die „Weltenburg“ in Kelheim an der Donau, die „Amalienburg“ im Nymphenburger Park und vor allem die „Wieskirche“ bei Steingaden. Letzterer gelten fast acht Minuten der insgesamt rund 17 Minuten des Films. Die „Wieskirche“ wird zunächst in Außen-, dann in Innenaufnahmen gezeigt. Der Schwerpunkt liegt deutlich auf dem Innenraum (Abb. 3). Die Innenraumdarstellungen basieren auf der traditionsreichen Technik der (re)animierten Fotografie.60 Dabei werden die Gegenstände animiert, indem
Abb. 3: „ Raum im kreisenden Licht“, (D 1936), Screenshot 60 Den Begriff der (re)animierten Fotografie entlehne ich Beate Ochsner. Vgl. Ochsner, Beate, Foto/Filme oder: Filmische (Re)Animation des fotografischen Stillstandes, in:
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sie für jedes einzelne Bild des Films leicht verändert werden. Lamb modelliert mithilfe dieser Technik die Zeit gleich zweifach. Während er die Bewegungsgeschwindigkeit des Lichts rafft, verlängert er die Aufnahmezeit. Letzteres ermöglicht ihm überhaupt erst, weitläufige Innenräume filmisch darzustellen, denn eigentlich ließen weder die Lichtempfindlichkeit des damaligen Filmmaterials noch der Stand der Beleuchtungstechnik solche Filmaufnahmen zu. Erst der Zeitraffer löste das Problem, da er zwischen die einzelnen Aufnahmen einen zeitlichen Abstand legt und es somit erlaubt, deren Belichtungsdauer zu verlängern.61 Den Zeitraffer kombiniert Lamb mit Kamerawagen, Transfokator – einem Vorläufer des Zooms – und Schwenkstativ. Anschaulich beschreibt er die Funktion der einzelnen Elemente: „Der Kamerawagen vermittelt gleichsam die Abstraktion der Schreitbewegung; der Transfokator [...] kann jenes Erlebnis nachgestalten, welches das Auge leistet, wenn es von einer betonten Einzelheit aus langsam den größeren Zusammenhang aufnimmt [...]. Umgekehrt kann man von einem totalen Bild zu einem Ausschnitt überführen [...]. Das Schwenkstativ führt den Blick in die Runde.“62
Besonderes Gewicht misst er der Verbindung von Zeitraffer und Mikroschwenkgetriebe zu. Sie ermögliche „Zeitrafferaufnahmen von wanderndem Licht, dem die schwenkende Kamera nachtastet“.63 Deutlich zeigt sich, dass Lambs kunsthistorischer Forschungsfilm dem Architekturfilm nicht einfach darüber neue Impulse verleiht, indem er den Zeitraffer aufgreift, sondern eine neuartige, auf architekturhistorische Fragen zugeschnittene Technik zur Verfügung stellt. Der Architekturfilm erhält aber durch „Raum im kreisenden Licht“ nicht nur in technischer Hinsicht neue Anstöße, sondern auch auf formaler Ebene. Der Film zeigt eine für den Architekturfilm neuartige filmische Sprache. Der demonstrative Einsatz des Zeitraffers verleiht dem Lichtwandel Tempo und der rhythErstic, Marijana u. a. (Hg.), Körper in Bewegung. Modelle und Impulse der italienischen Avantgarde, Bielefeld 2009, 221– 238, hier 224. 61 Vgl. Lamb, Carl, Film und Kunstgeschichte, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Heft 3 (1936), 209 – 214, hier 213. 62 Vgl. ebd., 209 – 210. 63 Lamb, Carl, Das Licht als Bewegungselement im Film, 213.
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misch zwischen nahen und weiten Blicken wechselnde Schnitt bringt weitere Dynamik ins Spiel. Dies erinnert an die abstrakte filmische Avantgarde der 1920er-Jahre. Für weitere Bewegung sorgt ein Einsatz wechselnder Kamerastandorte, der die Kamerafahrt nachzeichnet. Kamerafahrten waren dem Publikum der 1920er-Jahre vor allem aus dem Bereich des Spielfilms vertraut. Man denke an die „entfesselte Kamera“ Karl Freunds.64 Zwar experimentieren in den 1930er-Jahren weitere Architekturfilme mit filmischen Mitteln wie der Kamerafahrt, um neue Bildsprachen hervorzubringen,65 doch ordnen sie diese Experimente nicht der Forschung unter, sondern zielen rein auf eine Steigerung des ästhetischen Genusses.66 Im Feld des Architekturfilms stellt sich „Raum im kreisenden Licht“ somit als ein neuartiger wie auch einzigartiger Forschungsfilm dar. Resümee
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der junge Wissenschaftler Carl Lamb in die Barockforschung, die gerade erst die Bedeutung des Lichts für die barocke Architektur entdeckt hatte, die Frage nach dem bewegten Licht einbringt. Interessant ist, dass seine kunsthistorische Theoriebildung eng mit seiner filmischen Praxis verbunden ist: Seine wissenschaftliche Leistung liegt in der Analyse des bewegten Lichts im spätbarocken Innenraum, welche ebenso auf einem kinematografisch geschulten Blick wie auf einem innovativen Einsatz des Films als Bildmedium seiner Forschung basiert. Deutlich zeigt sich, wie eng der Zusammenhang zwischen den kunsthistorischen Bildmedien und der diskursiven Maschinerie der Disziplin zu denken ist. Die besondere Qualität der Arbeit des Kunsthistorikers liegt darin, unterschiedlichste Anregungen – die moderne Ästhetisierung des Lichterspiels der nächtlichen Großstadt, aktuelle Experimente im Bereich des wissenschaftlichen, künstlerischen und unterhaltenden Films, neuere Ansätze der Architek64 Man denke vor allem an den Film „Der letzte Mann“. Regie: Friedrich Wilhelm Murnau, Drehbuch: Carl Mayer, Deutschland 1924, s/w, 90 min. 65 Vgl. Ziegler, Reiner, Vom Dom zur Reichshauptstadt Germania, in: Zimmermann, Peter (Hg.), Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 2005, 348 – 358, hier 349. 66 Zu nennen sind hier Filme wie „Schlüssel zum Reich – Schlüssel zur Welt. Bremen“ (Regie und Drehbuch: Otto von Bothmer, Deutschland 1935, s/w, 13 min.).
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turfotografie, Bildstrategien aktueller Architekturbildbände und einen bislang kaum beachteten Strang der Barockforschung – aufzunehmen, weiterzuentwickeln, zu etwas Neuem zusammenzuführen und für die kunsthistorische Forschung nutzbar zu machen. Mit seinem Film „Raum im kreisenden Licht“ zeigt Lamb, dass das Potenzial des Mediums Film für die kunsthistorische Forschung nicht allein im Kontext der Frage nach dem Raum liegt. Viel fruchtbringender als diese Frage erscheint sein Einsatz zur Erfassung und Analyse dynamischer Prozesse der Architektur. Offen bleibt die Frage, warum Lambs Vorstoß, die Barockforschung um Fragen nach dem bewegten Licht zu erweitern, in der damaligen Fachgemeinschaft kaum auf Resonanz stieß. Es scheint, dass diese die damit verknüpfte Fokussierung auf dynamische, flüchtige und immaterielle Erscheinungen nicht mittragen wollte oder konnte – doch das ist ein anderes Thema.67
67 Ich verweise hier auf meine Habilitationsschrift mit dem Titel „Korrespondenzen zwischen Architekturgeschichte, Fotografie und Film. Beitrag zu einer Medienarchäologie der Kunstgeschichte“, die Ende 2014 an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz eingereicht wurde.
Filmische Architekturporträts in der Gegenwart
Manifeste für einen Architekturfilm Doris Agotai | Marcel Bächtiger
Im Winter 2012/2013 präsentierte das international renommierte Schweizer Architekturbüro Gigon/Guyer in einer umfassenden Werkschau Arbeiten der vergangenen Jahre. Der szeno-grafische Fokus der Ausstellung galt der medialen Inszenierung der Projekte: Pläne und Fotografien waren keine zu sehen. Die Bauten wurden in Form digitaler filmischer Porträts gezeigt und als großflächige Projektionen in der Eingangshalle der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich raumwirksam vorgeführt. Vertikale Bildanordnungen brachen die Filme aus ihrem angestammten Format heraus und präsentierten die Architekturen als mediale Objekte, die den Realraum über mehrere Etagen hinweg durchdrangen.1 Dieses Beispiel steht stellvertretend für eine Tendenz, die sich seit mehreren Jahren abzeichnet: Das bewegte Bild etabliert sich als Darstellungsmedium in der Architektur. Im Gegensatz zum 20. Jahrhundert ermöglichen heute digitale Technologien einen einfachen Zugang zu deren Erstellung wie auch deren Verbreitung über diverse spezialisierte Videoportale.2 Die Abkehr von festen Filmformaten wird bei Smartphones und Tablets sichtbar: Inhalte können frei gestaltet und im „Portrait- oder Landscapemode“ wiedergegeben werden. Angesichts der rasanten Entwicklung interaktiver Medien ist es letztlich erstaunlich, dass nicht schon längst eine systematische Erfassung beispielhafter Architektur vorliegt. Auch der Diskurs hinsichtlich wahrnehmungs- und entwurfsrelevanter Fragen, die sich inner-
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Ausstellung von Annette Gigon/Mike Guyer, 09.12.2011– 26.01.2012, Haupthalle ETH Zentrum. Filme: Severin Kuhn. www.architekturclips.de [Stand: 06.02.2015].
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halb der Architektur durch die Auseinandersetzung mit dem Film ergeben, steckt in den Anfängen. Der nachfolgende Beitrag versteht sich als wissenschaftlicher Bericht des Forschungs- und Lehrbereichs „Raumkonzepte in Film und Architektur“ an der ETH in Zürich,3 der sich seit über fünf Jahren in Theorie und experimenteller Praxis systematisch mit der Beschaffenheit und dem Potenzial des Architekturfilms befasst. Im Folgenden sollen aktuelle Erkenntnisse vorgestellt und Perspektiven möglicher Entwicklungen und Tendenzen skizziert werden. Kann man – so die Frage des Beitrags – von einem Umbruch in der architektonischen Darstellungspraxis sprechen? Löst der Film andere Kulturtechniken und Notationssysteme ab, um architektonische Qualitäten zu akzentuieren und in die Diskussion einzubringen? Und in welcher Verbindung steht dieser Wandel mit aktuellen Positionen aus der Raumwissenschaft – in welcher Form beispielsweise spielt das Postulat einer interdisziplinären Raumbetrachtung hinein, das gleichsam vom Iconic- in den Spatial-Turn einfließt? Film, Architektur, Architekturfilm
Auch wenn einiges darauf hindeutet, dass das digitale (Bewegt-) Bild eine neue Ära in der medialen Vermittlung und Darstellung von Architektur einläutet, sind viele der ästhetischen Fragen, die der Film – und zwar der analoge wie auch der digitale Film – an die Architektur richtet, so alt wie die bewegten Bilder selbst. Wir gehen davon aus, dass die grundlegenden Probleme, welche sich in den Anfängen der Kinematografie bezüglich dem Wesen des neuen Mediums und dessen Beziehung zum Raum gestellt haben, unter aktualisierten Vorzeichen erneut thematisiert werden müssen, sobald man sich mit der Frage beschäftigt, wie Architektur filmisch notiert werden kann. Ohne sich auf die weitreichende Debatte einzulassen, ob es sich um eine zufällige Koinzidenz oder eine sich zwangsläufig aus der kulturgeschichtlichen Entwicklung ergebende Notwendigkeit handelt, bleibt das erstaunliche Faktum festzuhalten, dass sich 3
www.schett.arch.ethz.ch/film_raum_architektur.html [Stand: 06.02.2015].
Manifeste für einen Architekturfilm | Doris Agotai ∙ Marcel Bächtiger
die Moderne Architektur zur gleichen Zeit entfaltet, in der sich der Film als ernst zu nehmendes künstlerisches Ausdrucksmittel etabliert und dass spätestens ab 1918 von einem intensiven Austausch in Theorie und Praxis zwischen den beiden Disziplinen gesprochen werden kann. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Ricciotto Canudos legendären Filmclub C.A.S.A. (Club des amis du septième art), der in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts namhafte Exponenten der Pariser Avantgarde – darunter Robert Mallet-Stevens, Fernand Léger oder Blaise Cendrars – unter einem Dach versammelte und dessen erklärtes Ziel es war, mit kuratierten Filmvorführungen, Vorträgen und Diskussionsrunden den Film als Kunstform zu propagieren und den interdisziplinären Austausch zu fördern.4 Oder man denke an Sergej M. Eisensteins mittlerweile berühmt gewordenen Essay „Montage und Architektur“ von 1937, in welchem die räumliche Disposition der Akropolis, so zufällig sie im Plan erscheinen mag, als präzise mise en scène von genau arrangierten Blickperspektiven umschrieben wird: eine proto-filmische „Montage“, in der die verschiedenen „Einstellungen“ mit dem Ziel der gegenseitigen Akzentuierung und Ausdruckssteigerung dramaturgisch zu einander in Beziehung gesetzt werden.5 Le Corbusiers promenade architecturale ist davon nicht weit entfernt. Aber wo liegen die Gründe für diese „Wahlverwandtschaft“ zwischen Film und Architektur? Als gemeinsamer Topos von Architektur, Stadt und Film im Zeitalter der architektonischen Moderne lässt sich unschwer das Konzept der Bewegung ausmachen: Bewegung in der dynamischen Großstadt, die „niemals schläft“, deren Straßen in einem bisher unbekannten Ausmaß von Trams, Automobilen, Omnibussen und Menschenmengen durchströmt werden; Bewegung auch in der Modernen Architektur, welche sich von der idealisierten zentralperspektivischen Darstellung befreit hat und stattdessen als fließende Raumabfolge verstanden werden will; Bewegung schließlich im jungen Medium des Films, dessen Sensationswert gerade darin besteht, anstelle des einzelnen statischen Bildes einen kontinuierlichen Fluss von Raumbildern zu produzieren. 4 5
Canudo, Ricciotto, L’usine aux images, Paris 1995 [1927]. Eisenstein, Sergei M., Montage and Architecture (um 1937), in: Assemblage, no. 10, 1989, mit einer Einleitung von Yve-Alain Bois, 111–131.
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Man kann gleichsam auf die allerersten Filme der Gebrüder Lumière zurückgreifen, um sich darüber klar zu werden, dass das kulturelle Novum, welches die Kinematografie auszeichnete und nach welchem man sie mit gutem Grund benannt hat (nämlich das „Aufzeichnen von Bewegung“), gleichzeitig jenes ästhetische Element ist, nach welchem der Film ultimativ – und auch heute noch – verlangt. War auch die Kamera anno 1895 unbewegt und das Mittel des Schnitts noch nicht bekannt, zeigten jene knapp einminütigen Filme keine Stillleben oder unbewegten Landschaften, sondern Fragmente einer in Bewegung begriffenen Welt: den berühmten Zug, der in den Bahnhof von La Ciotat einfährt, oder die Fabriktore der „Usine Lumière“, die sich öffnen, um einen nicht enden wollenden Strom von Arbeiterinnen und Arbeitern dem Kinopublikum entgegen schreiten zu lassen.6 Nur ein Jahr später wird von Alexandre Promio, einem jener Operateure, die mit dem Lumièreschen „Cinématographe“ bewaffnet um die Welt reisten, um exotische Bilder einzufangen und gleichzeitig das neue Gerät im Ausland bekannt zu machen, eine auf den ersten Blick banale Überlegung angestellt: Als er auf einer Gondel durch die Kanäle von Venedig fährt, fragt er sich nämlich „ob – wenn sich mit einer unbewegten Kamera Objekte in Bewegung reproduzieren lassen – man nicht die Vorzeichen umkehren und versuchen könnte, mithilfe einer bewegten Kamera unbewegte Objekte zu reproduzieren“.7 Promios Filmstreifen „Panorama du Grand Canal vu d’un bateau“ (F 1896), auf dem die venezianischen Palazzi langsam vor dem Auge des Zuschauers vorbeiziehen, kann in dieser Hinsicht nicht nur als erste Kamerafahrt, sondern auch als erster „Architekturfilm“ der Filmgeschichte gelten, nicht nur, weil er nichts anderes zum Inhalt hat als die filmische Abbildung von Architektur, sondern auch, weil er uns mit einer grundlegenden Fragestellung des Genres konfrontiert: Führt man sich nämlich vor Augen, dass Architektur (trotz des „dynamischen“ Raumes der Moderne und selbst angesichts der
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„L’arrivée d’un train en gare de La Ciotat“, F 1895; „La sortie de l’usine Lumière à Lyon“, F 1895. Zit. nach: Meusy, Jean-Jacques, Paris-Palaces ou le temps ces cinémas (1894 –1918), Paris 1995, 27.
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zeitgenössischen Bespielung und Medialisierung von Fassaden und Oberflächen) in der Essenz nach wie vor statisch ist, zeigt sich, dass die von Promio thematisierte Dichotomie zwischen (bewegtem/unbewegtem) Bildinhalt und (bewegtem/unbewegtem) Bildrahmen ein noch immer aktuelles ästhetisches Kriterium für jede Form von Architekturfilm darstellt: Wie kann ein eigentlich unbewegter Gegenstand filmisch so ins Bild gesetzt werden, dass sich ein Potenzial entfaltet, das gegenüber der Fotografie einen tatsächlichen Mehrwert darstellt? Oder konkreter gefragt: Wie bringt man Bewegung in einen Film über Architektur? „Starre Aufnahmen bringen da keine Klarheit“, weiß zwar bereits 1928 Sigfried Giedion mit Blick auf die Bauten Le Corbusiers. „Man müsste den Wandel des Blickes begleiten: Nur der Film kann neue Architektur fassbar machen!“8 Selbstredend: Die Häuser von Le Corbusier, welche kein Vorne und kein Hinten mehr kennen, die durchwandert und erlebt werden wollen, verlangen nach einem mobilen Sehen – und vielleicht kann man mit Beatriz Colomina sogar behaupten, dass Le Corbusiers Architektur „ohne Kino undenkbar“ sei, ergo in der filmischen Wahrnehmung von Raum ihren eigentlichen Ursprung habe.9 Der Film stellt so gesehen das mediale Denkmodell für eine Architektur dar, welche die Wahrnehmung des Betrachters ins Zentrum setzt – Atmosphäre und Emotion, die der Film so mühelos zu kreieren imstande ist, mit inbegriffen. Das praktische Problem, mit dem sich der Filmemacher konfrontiert sieht, bleibt allerdings unbeantwortet: Wie kann, wie soll der Film, um auf Giedions Formulierung zurückzugreifen, Architektur überhaupt „fassbar“ machen? Wiederum können zwei historische Beispiele, wenn nicht als Lösungen, so doch als mögliche Ausgangspositionen, herangezogen werden: Vergleicht man Man Rays „Les mystères du Château de Dé“ (F 1929) mit dem ein Jahr später von Pierre Chenal unter Mitwirkung Le Corbusiers realisiertem Film „Architectures d’aujourd’hui“ (F 1930), zeigen sich nicht nur zwei un-
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Giedion, Sigfried, Bauen in Frankreich, Bauen in Eisen, Bauen in Eisenbeton, Berlin 2000 [1928], 92. Colomina, Beatriz, Vers une architecture médiatique, in: von Vegesack, Alexander u. a. (Hg.), Le Corbusier. The Art of Architecture, Weil am Rhein 2007, 257– 259.
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terschiedliche Arten, das Problem der Bewegung anzugehen, man sieht sich unversehens mit der weitaus fundamentaleren Fragestellung konfrontiert, mit welcher Absicht ein Architekturfilm überhaupt gedreht wird, welchem Genre er demzufolge zuzuordnen ist und welche Funktion er im Spannungsfeld zwischen gebauter Realität und medialer Reproduktion erfüllt. In beiden Filmen spielt der Bautypus der Modernen Villa die Hauptrolle. „Architectures d’aujourd’hui“ zeigt Le Corbusiers Villen Garches und Savoye, „Les mystères du Château de Dé“ die Villa Noailles von Rob Mallet-Stevens. Aber während Chenals Film eine Art von filmischem Pendant zu Le Corbusiers programmatischer Schrift „Vers une architecture“ darstellt (die Texttafeln zitieren die bekannten Slogans aus dem Buch) und offensichtlich den Zweck verfolgt, die Moderne Architektur in ihrem Gebrauch und Nutzen zu erklären und ihre ästhetischen Ideale zu propagieren, dient die Villa Noailles bei Man Ray als Rohmaterial für eine surrealistische Fantasie, die zwar inständig um das Bauwerk kreist, sich aber frei von poetischen Assoziationen und Zufällen leiten lässt und von einer objektiven Beschreibung der Architektur weit entfernt ist. Die unterschiedlichen Intentionen finden ihre Entsprechung in den eingesetzten filmästhetischen Mitteln: In „Architectures d’aujourd’hui“ finden sich vornehmlich feste Einstellungen und kontrollierte Schwenks; die Bewegung übernehmen ein Auto, das auf die Villa Garches zu fährt, und verschiedene Personen – darunter Le Corbusier selbst –, die das Haus durchschreiten und so das Aufsteigen auf der Rampe oder den Ausblick von der Dachterrasse auf die Natur stellvertretend für den Zuschauer erlebbar machen. Bei Man Ray hat sich die Kamera von filmischen Konventionen dieser Art vollständig befreit: Sie bewegt sich in schiefen Einstellungen über die Fassade, wird auf Kniehöhe den Fußboden entlang getragen und sucht scheinbar ziellos nach Fixpunkten, an denen sie sich festmachen kann. Man spürt förmlich den Autor hinter der Kamera, der aus seiner subjektiven Perspektive keinen Hehl macht. Zwar treten auch hier Figuren auf, die als Substitut für das Kameraauge die Anlage erkunden, aber ihre Gesichter sind wie Magrittes „Liebende“ mit Leinen verhüllt – das Sehen ist dem autonomen Blick der Filmkamera vorbehalten. Wenn diese verhüllten Ge-
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stalten zu einer merkwürdigen Choreografie am Swimmingpool ansetzen, wird klar, dass es hier nicht mehr um die Illustration von architektonischen Funktionen geht, sondern dass sich der Film als autonome Kunstform seinen Gegenstand einverleibt hat: „Piscinéma“, wie eine vorangestellte Texttafel die Szene beschreibt. Aus diesem verkürzt wiedergegebenen Vergleich lassen sich drei Schlüsse ziehen, die uns für die zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem Architekturfilm relevant erscheinen: Es gibt keine Übereinkunft bezüglich der Form, dem Zweck und dem Adressaten eines Architekturfilms. Zwischen subjektiven oder objektiven, affirmativen oder kritischen, beschreibenden oder künstlerischen Herangehensweisen eröffnet sich ein weites Feld möglicher Haltungen gegenüber der porträtierten Architektur. Zwischen der intendierten Aussage und den eingesetzten filmästhetischen Mitteln besteht hingegen ein enger Zusammenhang; sie bedingen sich gegenseitig und sind wechselseitig konnotiert. Aus diesen zwei Beobachtungen folgt der dritte Schluss, der für die Übungsanlage unserer praktischen Experimente entscheidend war: Ohne das Wissen über filmästhetische Positionen und deren eingehendes Studium lässt sich kein Architekturfilm mit präzisen Aussagen machen. Um eine eigene Haltung gegenüber dem Gegenstand vermitteln zu können, muss jede/r Studierende, die/der einen Architekturfilm dreht, sich über die eingesetzten filmischen Gestaltungsmittel im Klaren sein. Notationsformen von Raum
Im architektonischen Entwurfsprozess und der Reflexion gestalterischer Positionen verwenden wir unterschiedliche Darstellungsmedien – heute neben Skizzen, Plänen, Fotografien oder Modellen vermehrt auch zeitbasierte Medien, also Ausdrucksformen, die neben dem Raum auch die Bewegung und die Dimension der Zeit erfassen. Der Film – als analoger wie auch als digitaler Film – fügt sich so in eine Reihe verschiedener Notationssysteme, die einen Ausdruck festigen oder architektonischen Positionen einen weiteren Denkraum eröffnen. Die
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Spezifität und damit das produktive Potenzial einer filmischen Notation von Raum gilt es jedoch genauer zu umreißen. Grundsätzlich verstehen wir unter einer Notation eine Anleitungen oder Strukturierung abstrakter Inhalte, wie etwa Notenblätter in der Musik. Notationen fixieren in unterschiedlichsten Gebieten Reihenfolgen oder Transformationen und vermitteln zwischen Werkinhalt und Konzept. Dabei kommen Zeichensysteme zum Zug, wie eben Musikaufzeichnungen in Form von Noten oder Partituren. Auch experimentelle Notationssysteme wurden immer wieder zur Beobachtung naturwissenschaftlicher Phänomene entwickelt. Etienne-Jules Marey erstellte um 1900 mit seinen berühmten und wegweisenden Chronofotografien Bewegungsstudien von Pferden. Diese Chronofotografien gelten zugleich als Wegbereiter des bewegten Bildes, des frühen Films. Wie bereits erwähnt, wurde auf dem Feld der Architektur schon früh mit unterschiedlichsten Formen der filmischen Notation experimentiert. Im Vordergrund standen also nicht nur Fragen der Darstellung, sondern auch neue ästhetische Positionen des architektonischen Entwurfs, die aus dem Austausch dieser beiden Medien hervorgingen – Entwurfsansätze, die sich mit Fragen der bewegten Wahrnehmung, der Konstruktion innerer Raumvorstellungen und den daraus resultierenden choreografischen Elementen wie beispielsweise der Montage befassten. So umfasst der Film als Medium immer auch eine Notation von Raum: Er übersetzt architektonische Gestaltungsmomente in neue Ausdrucksformen, die er rhythmisch ordnet und zeitlich festigt. Ob Walter Ruttmann in „Berlin – Die Sinfonie der Grosstadt“ (D 1927) der Stadt den Puls fühlt, ob wir in Alfred Hitchcocks Treppenfluchten vor Schreck erstarren – wie etwa in „Vertigo“ (USA 1958), ob Musikclips uns in experimentellem Duktus durch düstere Hinterhöfe führen oder ob eine Computeranimation ein neues Bauprojekt im Flug erschließt – das Medium Film leitet an, wie der Raum geordnet wird, wie Farb-, Bewegungs- und Tiefenwirkungen interpretiert und einer neuen Form zugeführt werden. Die raumzeitliche Partitur bringt eine neue Wirklichkeit hervor, die zwischen Konzept und Werkinhalt vermittelt und sich auf unterschiedliche Bedeutungsebenen bezieht. Der Vergleich unterschiedlicher Genres wie zwischen raumwirksam inszenierten Spielfilmen, Architekturdokumentationen und
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animierten Renderings geplanter Bauprojekte zeigt nicht nur die Verflechtung von architektonischer Dramaturgie und filmischer Interpretation, er zeigt auch die Unterschiedlichkeit in der Notation von Raum. Die Notationsform wird zum jeweiligen Erkenntnisinstrument von Raumvorstellungen und Deutungsansätzen: Wer ist der Protagonist dieser Filme? Ist es das Haus selbst, das zum Erzähler wird? Ist es der Architekt, der strukturell auf ein Erlebnis hinwirkt? Ist es der Filmer, der aus auktorialer Perspektive berichtet und seine Ideenwelt auf die Figuren im Film und damit indirekt auf den Zuschauer überträgt? Stellt im fiktionalen Film der Raum einen Handlungsrahmen her, der durch die filmische Syntax Befindlichkeiten und Stimmungen der Charaktere spiegelt und damit zur Projektionsfläche emotional gesteuerter Setups wird, stehen wir beim Dokumentarfilm vor dem Dilemma, dass der Protagonist, also das Bauwerk, sich schlecht zum Akteur eignet. Ein Blick auf Beispiele dieses Genres zeigt, dass unterschiedliche Strategien gewählt werden, um dieses Problem anzugehen. Sowohl bei Bêka/Lemoine10 in ihrem Film über Koolhaas’ Villa bei Bordeaux („Koolhaas Houselife“, F 2008) als auch in „Paris poussière“ (D 1998) von Silke Fischer übernimmt das Reinigungspersonal den Part der Darsteller, führt durch das Gebäude und baut den Identifikationstransfer zum Zuschauer auf. Auch in „Il girasole. Una casa vicino a Verona“ (CH 1995) des Architekten Marcel Meili und des Regisseurs Christoph Schaub spricht die Erinnerung aus dem Off und führt in ruhig gleitender Betrachtung durch vergangene Zeiten. Augenfällig ist, dass in allen drei Beispielen die Bauten raumchoreografische Anlagen aufweisen, die wie ein beweglicher Kulissenbau anmuten. Versetzt Koolhaas mit der Hebebühne das Haus in Bewegung, kommen in „Paris poussière“ Jean Nouvels Fassadenspiele zum Einsatz. Meili und Schaub stellen ein Haus aus den 1930erJahren vor, das ein ingenieurtechnisches Kuriosum darstellt, als Wohnturm auf einem drehbaren Sockel erbaut wurde und sich wie eine Sonnenblume nach dem Licht ausrichtet. Dankbar werden diese mobilen Elemente aufgenommen und in bewegte
10 Koolhaas Houselife (2009), Bêka/Lemoine, www.living-architectures.com [Stand: 06.02.2015].
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Raumbilder übersetzt. Genau dieses Genre gibt aber auch Auskunft darüber, ob in einem Gebäude Strukturen angelegt sind, die ihre Wirkung erst in der Bewegung entfalten, die zeitgleich unterschiedliche Eindrücke entfalten. Wie John Cage seine Klanglandschaften „als offenes, ungerichtetes, vielfach geschichtetes, aber nicht geordnetes Feld von Wahrnehmungen“ propagiert, verweisen experimentelle Ansätze der filmischen Architekturgeschichtsschreibung auf eine Multiperspektivität, die die Möglichkeiten der Strukturen von Raum und Bewegung andeuten und zum Behälter unserer Erinnerungen, Emotionen und Geschichten werden. Manifeste für einen Architekturfilm
Ausgehend von diesen unterschiedlichen Annäherungsformen, haben wir uns in den vergangenen Semestern an der ETH Zürich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Rolle dem Architekturfilm im 21. Jahrhundert zukommt. Als Ausgangslage dienten uns dabei ausgewählte Streitschriften oder Manifeste aus der Geschichte des Films – Manifeste als politische oder ästhetische Positionen, die – oftmals radikalisiert – auf einen Umbruch hinwirken. In der Geschichte des Films waren es immer wieder Filmschaffende selbst, die Manifeste verfassten. Sie artikulierten darin filmästhetische Positionen, postulierten grundsätzlich aber auch einen neuen Blick auf die Welt oder eine bestimmte Realität. Getrieben von der Suche nach einem adäquaten formalen Ausdruck, gingen filmische Manifeste deshalb oft Hand in Hand mit kultur- oder gesellschaftspolitischen Fragen. So wollte etwa Dziga Vertov mit seiner auch typografisch expressiv gestalteten Schrift „Kinoki – Umsturz“ (1923) die Kamera als Auge verstanden wissen, welche die Welt in ihrer unmittelbaren und unverfälschten sozialen Realität wiedergibt.11 Filmisches Zeugnis dieser Position bildet der 1929 entstandene Film „Der Mann mit der Kamera“ (UdSSR 1929).
11 Vertov, Dziga, Kinoki – Umsturz (1923), in: Albersheimer, Franz-Josef (Hg.), Texte zur Theorie des Films, Stuttgart 2003, 36 – 50.
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Ein weiteres frühes Zeugnis filmischer Manifeste geht auf Sergej Eisenstein und die „Montage der Attraktionen“12 von 1923 zurück. In der Attraktionsmontage fand Eisenstein eine synthetische Form, die es als propagandistisches Medium erlaubte, die Arbeiterbewegung und den Ethos des Handwerks formal zu überhöhen und damit zu heroisieren. Filmische Zeugen dieser kontrastreichen und pathetischen Form finden sich in Filmen wie „Der Streik“ (UdSSR 1925) oder „Panzerkreuzer Potemkin“ (UdSSR 1925). Auch in der jüngeren Gegenwart finden sich immer wieder filmpolitische Streitschriften, so etwa „Dogma 95“, das unter anderem von den Regisseuren Lars von Trier und
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Vinterberg ins Leben gerufen wurde und programmatisch in den Filmen „Festen“ (DK/SE 1998) oder „Idioten“ (DK 1998) umgesetzt wurde. Auch hier wenden sich die Filmer von einer manipulierten Bildsprache ab und propagieren einen Ausdruck, der auf einem direkten Ton oder einer Handkamera basiert und damit ebenfalls die Unmittelbarkeit des gefilmten Bildes ins Zentrum stellt. Daneben finden sich auch Positionen wie diejenige von Andrej Tarkowski, der in seiner Schrift „Die versiegelte Zeit“ (1984) den Film als ein Gegenüber zur realen Welt sieht, das eine verinnerlichte, subjektive und poetische Sichtweise entfaltet.13 „Nostalghia“ (UdSSR/I 1983) oder „Stalker“ (UdSSR 1979) sind Filme, die dieser Logik der Traumwelt folgen und das Raum-Zeit-Gefüge bewusst aus den Angeln heben. Zahlreiche filmästhetische Umbrüche lassen sich an Streitschriften festmachen. Sie reagieren einerseits auf den Zeitgeist, dienen aber auch als Vorlage und Anleitung für eine mediale Umsetzung. Manifeste bieten sich deshalb als geeignetes didaktisches Instrument an, um in der Architekturlehre programmatisch nach einem Ausdruck für die Darstellung im Film zu suchen. So waren die Studierenden in den letzten beiden Semestern aufgefordert, ausgehend von bestehenden filmtheoretischen Manifesten, eine eigene Programmschrift zum Architekturfilm zu verfassen und anschließend filmisch zu
12 Eisenstein, Sergej M., Montage der Attraktionen, 1924, in: Albersmeier, Franz-Josef (Hg.), Texte zur Theorie des Films, Stuttgart 2003, 58 – 69. 13 Tarkowskij, Andrej, Die versiegelte Zeit: Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films (1984), Berlin 1996.
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überprüfen. Eindrücklich war dabei, wie die Studierenden direkt zu den Kernfragen vorstießen – die Diskussionen drehten sich nicht um formale filmische Fragen, sondern um das Wesen der jeweiligen Architektur und die Suche nach einem angemessenen Ausdruck, um diese Qualitäten sichtbar und erfahrbar zu machen. Die nachfolgenden Beispiele gewähren einen Einblick in die Resultate dieser Auseinandersetzung (Abb. 1– 3):
Abb. 1: Auszug „Entstehungsansichten – Das Manifest“, Matthias Alder und Gerlinde Zuber, 2013
Abb. 2 und 3: Filmstills aus Studierendenprojekten im Sommersemester 2013 an der ETH Zürich
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Ergebnisse und Erkenntnisse
Aufgrund der Übungsanlage war zu erwarten, dass die verschiedenen Filme keine einheitliche Form besitzen würden, die sich nur durch das Sujet oder in ästhetischen Nuancen unterscheiden ließen. Jegliche formalen oder inhaltlichen Vorgaben, die zu einem solchen Resultat geführt hätten, wurden bewusst weggelassen, die einzige Rahmenbedingung war eine Beschränkung der Filmlänge auf maximal fünf Minuten.14 So oblag es zur Gänze den Studierenden, welche Schlüsse sie aus einem bestehenden filmästhetischen Manifest für ihre eigene Vision eines Architekturfilms ziehen wollten. Die inhaltliche wie formale Breite, die sich bei der Durchsicht der entstandenen Filmarbeiten zeigte, bestätigte die Richtigkeit dieser offen gehaltenen Ausgangslage. Schließlich war es nicht unser Ziel, exemplarische Vorzeigebeispiele für den zeitgenössischen Architekturfilm zu produzieren, sondern viel eher das weite Feld der möglichen filmischen Aneignungen von Architektur abzustecken und die Unterschiede zwischen verschiedenen Formen des Architekturfilms möglichst klar zu konturieren. Die intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen filmischen Sprachen und dezidiert ästhetischen, politischen und gesellschaftlichen Haltungen förderte zweifellos die entstandene Vielfalt; ohne die kritische Beschäftigung mit bestehenden Manifesten wären die Filme wohl um einiges konventioneller und im Ganzen einheitlicher ausgefallen. So erscheint der Film „Casa Torella“ von Alexandra Martinec und Louis Wrangler auf den ersten Blick als ein klassisch deskriptives Filmporträt eines Hauses der Tessiner „Tendenza“, offenbart aber bei genauerem Hinsehen ein klug komponiertes filmisches Werk anhand formaler Analogien und Kontraste, die ohne die Auseinandersetzung mit Eisensteins „Montage der Attraktionen“15 wohl nicht so präzise ausgefallen wäre. Ganz anders die Filmarbeit „Waldhüsli Zürichberg“ von Sebastian
14 Hinzuzufügen wäre die Übereinkunft, dass es sich um einen digitalen Film handeln sollte, der sowohl als Projektion auf einem Fernseher wie am Computerdisplay zugänglich gemacht werden kann. Die Beschäftigung mit ortsbezogenen Screenings, beispielsweise in Form einer festinstallierten Video-Installation, wäre zweifellos ein interessantes Themenfeld, das aber den Rahmen unserer Untersuchung gesprengt hätte. 15 Siehe Fußnote 11.
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Zjörjen: Der Film, entstanden aus der Auseinandersetzung mit Werner Herzogs „Minnesota Declaration“,16 setzt eine höchst alltägliche Architektur in einen semifiktionalen Kontext, der jedoch gänzlich aus dokumentarischen Aufnahmen der Umgebung zusammengesetzt ist; über eine suggestive Montage und sparsam eingesetzte Kommentare führt der Autor eine Verfremdung herbei, die den Blick auf das unscheinbare Waldhaus nachhaltig verändert. Die Beschäftigung mit den Schriften Dziga Vertovs wiederum führte bei Gerlinde Zuber und Mathias Alder zu einem geschriebenen Manifest zum Architekturfilm, das letztlich eine politisch-soziale Stoßrichtung verfolgt: Gefilmt werden sollten nicht fertige Bauwerke, sondern ihre Entstehung im Schmutz und Lärm der Baustelle, wenn „in Arbeitshosen und Stiefeln Beton verdichtet wird“;17 das aktualisierte Vertovsche „Kamera-Auge“ ist in ihrem Film eine kleine Videokamera, die an den Handschuhen der Bauarbeiter befestigt wurde. Wenn im Film „Housing Neufrankengasse“18 die Slogans des Verkaufsprojekts als Ausgangslage für eine subtile Kritik der Wohnformen im Zeitalter der Gentrification dienen, wenn in einem Film über die am Stadtrand gelegene Überbauung „Aspholz Nord“19 die affirmativen Aussagen eines Bewohners dem nüchternen Blick der Filmkamera gegenübergestellt werden, oder wenn in „Badenerstrasse“20 in Stop-Motion-Technik der Tagesablauf eines virtuellen Bewohners illustriert und so unweigerlich eine Reflexion zu praktischen Fragen des Wohnens im 21. Jahrhundert hervorgerufen wird, dann zeigt sich vor allem eins: Eine wertfreie Beschreibung von Architektur scheint im Medium des Films nicht möglich zu sein.21 Man könnte nun ins Feld führen, dass die Realisierung eines Architekturfilms den Studierenden schlicht die Möglichkeit eröffnete, sich kritisch mit einem Bauwerk und den Absichten von Architekt und Bauherrn auseinanderzusetzen. Wir würden
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www.wernerherzog.com/52.html#c93 [Stand: 06.02.2015]. Wahlfacharbeit von Matthias Alder und Gerlinde Zuber. Wahlfacharbeit von Rebecca Annies, Viviana Fagnani, Rebekka Marxer. Wahlfacharbeit von Demjan Haller, Pascal Ryser, Isabelle Schulz. Wahlfacharbeit von Daniel Schürer, Ben Speltz, Johannes Zenk. Ausgewählte Filmarbeiten des Wahlfachs „Raumkonzepte in Film und Architektur“ sind einsehbar auf www.vimeo.com/raumkonzepte [Stand: 06.02.2015].
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aber eher behaupten, dass es das Wesen der filmischen Notationsform selbst ist, welches ein neutrales Abbild, wie es beispielsweise eine exakte Planzeichnung in abstrahierter Form vermittelt, von vornherein ausschließt: Das genuin filmische Element der Zeit – also die Tatsache, dass sich die Bilder eines Films über eine bestimmte Dauer hinweg aneinanderreihen – fügt jedem Film zwangsläufig eine Form von Narration und dadurch einen mehr oder weniger finiten Aussagewert hinzu. Durch jedwede Form von Montage sind wir – sowohl in der Rolle des Filmemachers als auch derjenigen des Zuschauers – gezwungen, die einzelnen Einstellungen in einen sinnstiftenden Zusammenhang zu setzen und daraus unsere Schlüsse zu ziehen. Sobald man sich dieser spezifischen Funktion der filmischen Notation bewusst wird und sie präzise anwendet, entschärft sich auch die problematische Frage nach der Bewegung. Zwar zeigen die Filmexperimente durchaus verschiedene Möglichkeiten auf, wie man den starren architektonischen Raum „in Bewegung setzt“ – sei es durch die mise en scène (z. B. die flüchtige Erscheinung eines Bewohners oder die Inszenierung eines wehenden Vorhangs) oder – wiewohl durch die gegebenen technischen Möglichkeiten stark beschränkt – den Einsatz einer bewegten oder animierten Bildkadrierung. Doch bestätigt gerade der Architekturfilm die Auffassung von André Malraux, wonach die Bewegung des Films nicht aus der Aufzeichnung von bewegten Gesten und auch nicht aus der bewegten Kameraführung heraus entsteht, sondern aus dem Schnitt: „Soweit der Film nur ein Mittel war, Gestalten in Bewegung zu reproduzieren“, schrieb Malraux 1941, „konnte er kaum mehr Kunst als die Schallplattenaufnahme oder die Reproduktionsphotographie sein. Auf einer wirklichen oder angenommenen Bühne agierten Schauspieler eine Posse oder ein Drama, das der unbewegliche Apparat einfach festhielt. Die Geburt des Films als Ausdrucksmittel datiert von dem Augenblick seiner Befreiung aus diesem fest umschlossenen Raum; von dem Augenblick, da der Cutter begann, statt eines photographierten Theaterstücks eine Folge von wechselnden Momenten aneinanderzureihen, als man den
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Apparat vorrückte (um die Figuren auf der Leinwand zu vergrössern [sic!]) oder zurücknahm […].“22
Auf den Architekturfilm übertragen, bedeutet das: Die feinsten Nuancen von Bildwinkel, Einstellungsgröße, Bewegungsdramaturgie und Tonspur werden durch die Montage zu bedeutsamen Hinweisen sowohl zum Verständnis der Filmerzählung als auch zu demjenigen der porträtierten Architektur. Vielleicht ist dies die überraschendste Erkenntnis aus unserer Auseinandersetzung mit dem Architekturfilm: Wenn die Filme auch durchaus für sich alleine stehen können und als abgeschlossene Werke ihren eigenständigen künstlerischen Wert haben, so hat sich im Prozess wie im Resultat gezeigt, dass der Architekturfilm vor allem ein hervorragendes Mittel der architektonischen Analyse und der kritischen Durchleuchtung eines Bauwerkes darstellt – also im besten Sinn eine Notationsform, die den vermittelten Werkinhalt um weitere Sinn- und Interpretationsebenen bereichert. In dem Moment, wo eine Kamera auf die Architektur gerichtet wird und der Transfer von räumlichen Phänomenen auf den Filmstreifen einsetzt, beginnt eine kritische Auseinandersetzung mit unserer subjektiven Wahrnehmung und eine kontinuierliche Analyse dessen, was wir sehen oder zu sehen glauben. „Die Kamera“, sagte einst Jean-Luc Godard in gleicher Denkrichtung, „hat immer zwei Öffnungen. Man betrachtet etwas, und es wird als Bild zurückgeworfen. Die Kamera müsste ein Mittel des Denkens sein.“23 Die Forschungsarbeiten in unserem Seminar zeigen, dass dieser Denkprozess auch und gerade für den Architekturfilm seine Gültigkeit hat. Der eingangs postulierte Umbruch in der Darstellungspraxis von Architektur lässt somit hinsichtlich filmischer Aneignungsformen folgenden Schluss zu: Einerseits gilt es, den Architekturfilm als gleichsam eigenständiges Genre weiter zu differenzieren. Neben dokumentarischen Filmen, narrativen Spielfilmen, in denen Architekturen ein spezielles räumliches Setup einbringen, und Architektur-Renderings als zeitbasierten
22 Malraux, André, Stimmen der Stille, München/Zürich 1956, 114 f. Im Original ders., Esquisse d’une psychologie du cinéma, Auszug aus Verve, 1941, reproduziert in L’Herbier, Marcel, Intelligence du cinématographe, Paris 1946, 375. 23 „Das Kino ist heute wie eine ägyptische Mumie“, Interview mit Jean-Luc Godard von Florian Keller und Christoph Schneider, Tagesanzeiger, Zürich, 30.11.2010.
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computergenerierten Visualisierungen kommen Ausprägungen des Architekturfilms hinzu, die sich einer neuen Form der Architekturkritik oder -reflexion verschrieben haben, die aus einem Erkenntnisinteresse des Entwurfsprozesses heraus einen Erfahrungsraum aufspannen, der sich visueller Argumentationsformen bedient und sich damit selbst einem gestaltungsorientierten architektonischen Denken annähert.
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Raum, Affekt und Geschlecht Eine Analyse des Architekturfilms „LOOS ORNAMENTAL. Architektur als Autobiographie“ von Heinz Emigholz
Christina Threuter
Seit 1993 beschäftigt sich Heinz Emigholz in seinem Filmprojekt „Photographie und jenseits“ mit Architektur. „LOOS ORNAMENTAL“ ist sein 13. Architekturfilm in dieser Reihe.1 Er zeigt in diesem Film 27 Bauten und Innenräume des Architekten Adolf Loos in der Chronologie ihrer Entstehung von 1899 bis 1931 und im Kontext ihrer heutigen Umgebung. Gedreht wurde der Film 2006 in Österreich/ Wien, Tschechien und Frankreich/Paris (Abb. 1).
Abb. 1: C over der DVD „LOOS ORNAMENTAL“ von Heinz Emigholz, 2006
Adolf Loos: Ornamentlosigkeit als Zeichen moderner Kultur
Adolf Loos ist in der modernen Architekturgeschichte vor allem dafür bekannt, dass er als Vorreiter der rationalistischen Architekturauffassung entschieden das Ornament ablehnte: Moderne Kultur, so Loos, zeichne sich durch Ornamentlosigkeit aus.2 1
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In dieser Reihe sind unter anderem bereits folgende Architekturfilme erschienen: „Sullivans Banken“ (D 1993), „Maillarts Brücken“ (D 2001), „Goff in der Wüste“ (D 2003), „Schindlers Häuser“ (D 2007) oder auch „Perret in Frankreich und Italien“ (2012). Vgl. zu allen Filmproduktionen von Emigholz seine offizielle Website: www.pym.de. Die Filmdaten zu „LOOS ORNAMENTAL“ lauten: LOOS ORNAMENTAL, Regie, Kamera, Schnitt: Heinz Emigholz, Österreich/Deutschland 2008, Konzept/Kamera/Schnitt: Heinz Emigholz, Origninalton: Christine Gloggengiesser, Tongestaltung: Christian Obermaier, Tonmischung, Eckart Goebel, 99 min., 35 mm, Produktion: Amour Fou, Wien, KGP Kranzelbinder Gabriele Production, Wien, in Zusammenarbeit mit der Heinz Emigholz Filmproduktion Berlin. Adolf Loos bezog sich in seinen Ausführungen auf Gottfried Sempers (1803 –1879) evolutionsgeschichtlich begründetes Modell vom „Ursprung der Kunst“. Allerdings kam Loos in seinen Überlegungen zu einem völlig anderen Ergebnis als Semper: Er stellte
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Loos’ Theorien zum Ornament beruhen auf einer kulturevolutionistischen und kulturreformerischen Sicht und er sah sich moralisch dazu verpflichtet, Erzieher zu einer modernen Kultur und Lebensform zu sein.3 In seinem Aufsatz „Das Prinzip der Bekleidung“ forderte er, dass die Materialien für die Kleidung, die Gebrauchsgegenstände und die Architektur dem „Gesetz“ der Materialgerechtigkeit zu folgen hätten. Analog der Bekleidung von Körpern setzte Loos die Be-Kleidung von Architektur oder auch von Gebrauchsgegenständen durch das „Material“. An die Stelle des Ornaments sollte das Material und seine handwerkliche Verarbeitung, das heißt die Betonung der Materialbeschaffenheit, treten.4 Loos lehnte das Ornament als atavistisch-degeneriertes bzw. „pathologisches Zeichen“ ab; er behauptete, dass es den Menschen in seiner „kulturellen Entwicklung“ schädige. Besonders in seinem Vortrag „Ornament und Verbrechen“ aus dem Jahr 1908 erklärte er die Frage nach dem Ornament zur ethischen Kulturfrage, und er erläuterte, dass die „Evolution der kultur [...] gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes aus dem gebrauchsgegenstande“ sei. Er folgerte daraus, dass die kulturgeschichtliche Entwicklung „einen weg vom ornament zur ornamentlosigkeit“ vorschreibe.5 „Die grandiose entwicklung, die unsere Kultur in diesem jahrhundert genommen hat, hat das ornament glücklich überwunden. Ich muß mich hier wiederholen. Je tiefer die kultur, desto stärker tritt das ornament auf. Das ornament ist etwas, was überwunden werden muß. Der papua und der verbrecher ornamentiert seine haut. Der indianer bedeckt sein ruder und sein boot über und über mit ornamenten. Aber das bicycle und die dampfmaschine sind ornament-
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die Verwendung des Ornaments in der Moderne grundsätzlich in Frage, indem er sie mit der moralischen Frage nach dem kulturellen Fortschritt verband. Loos knüpfte an Gottfried Sempers Bekleidungstheorie, d. h. an die Debatten zu Zweck-, Material- und Konstruktionsgerechtigkeit, an, indem er den Ursprung der Architektur auf das Bedürfnis nach Schutz und auf die Textilkunst zurückführte. Vgl. Loos, Adolf, Ornament und Erziehung (1924), in: Opel, Adolf (Hg.), Trotzdem. Gesammelte Schriften 1900 –1930, Wien 1982, 173 –179. Vgl. Loos, Adolf, Das Prinzip der Bekleidung (1898), in: Opel, Adolf (Hg.), Ins Leere gesprochen 1897–1900, Wien 1987, 139 –145. Loos, Adolf, Ornament und Verbrechen (1908), in: Conrads, Ulrich (Hg.), Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts, Braunschweig/Wiesbaden 1981 (Bauwelt Fundamente 1), 15 – 21.
Raum, Affekt und Geschlecht | Christina Threuter
frei. Die fortschreitende kultur scheidet objekt für objekt vom ornamentiertwerden aus.“6
LOOS ORNAMENTAL?
Trotz dieser eindeutigen Aussagen gegen das Ornament gab Heinz Emigholz seinem Architekturfilm den Titel „LOOS ORNAMENTAL“. Dies irritiert und macht gleichzeitig neugierig: Wählte Emigholz diesen Filmtitel, um zu provozieren? Will er einen eklatanten Widerspruch zwischen dem, was Loos in seinen zahlreichen Architekturschriften theoretisch ausführte, und dem, was er entwarf und baute, aufdecken? Soll etwa Adolf Loos durch diesen Film aus der Architekturgeschichte als Vorreiter der rationalisierten modernen Architektur vertrieben werden? Im Folgenden soll die Irritation über die Gleichsetzung der Person Loos’ mit dem Ornamentalen zum Anlass genommen werden, die filmische Auseinandersetzung mit einer Architektur als Autobiographie zu analysieren. Heinz Emigholz: Sehen als Ausdruck
Seit 1974 thematisiert der Filmemacher Heinz Emigholz in seinen Filmen, wie er sagt, das Sehen als unbewussten Vorgang an der Schnittstelle zwischen Gehirn und Außenwelt. Er betont:
„Analysiert wird ein umgedrehter Sehvorgang – Sehen als Ausdruck, nicht als Eindruck.“7 Diese Absicht bringt Emigholz durch das Logo der Filmfirma Pym zum Ausdruck (Abb. 2). Er erzählt dazu die Geschichte, dass der deutsche Physiologe Wilhelm Kühne 1878 ein Kaninchen geschlachtet habe, das er zuvor
Abb. 2: P ym Film Logo
aus einem Fenster sehen ließ. Im Moment des Todes habe sich das letzte Bild, welches das Kaninchen sah, in seinem Auge auf der Retina eingebrannt; dabei handle es sich 6 7
Loos, Adolf, Damenmode (1902), in: Opel, Adolf (Hg.), Adolf Loos. Ins Leere gesprochen 1897–1900, 126 –132, hier 130. Popp, Peter, Heinz Emigholz. LOOS ORNAMENTAL (15.09.2009), in: Detail. Das Architekturportal, Architektur/News/Heft 9/2009, vgl. www.detail.de/architektur/news/ heinz-emigholz-loos-ornamental-001480.html [Stand: 06.02.2015].
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um einen biochemischen Vorgang, den alle sehenden Wesen miteinander teilen würden. Kühne habe dieses Bild herausoperiert, fixiert und zu sehen sei ein ähnliches Bild wie jenes des Logos gewesen. Emigholz erläutert dazu in einem Interview: „Es ist natürlich ein außerordentlich kruder Versuch gewesen, einen biochemischen Prozess in eine ansehbare Form zu bringen. Ich benutze dieses Emblem eigentlich, um dieses Kaninchen zu rächen. Es hat etwas Geheimnisvolles, es hat etwas von Fenster, durch die Form hat es etwas von Auge natürlich, es ist nicht rechteckig. Und die Tatsache, dass sich etwas in die Retina einbrennt und dann von uns gelesen werden muss, das ist eigentlich immer Thema bei mir.“8
Raum als fragmentiertes Bild
Das emblematische Logo wird zu Anfang des Films in einer elf Sekunden langen Einstellung gezeigt. Gegen Ende der Sequenz wird es langsam durch eine Vogelsingstimme überfangen und leitet zum ersten von den insgesamt 30 Filmkapiteln9 über: Mit monotoner Stimme kommentiert Emigholz das Filmbild, das uns Granitbrocken zeigt, die ungeordnet um einen Baum herum liegen. Wir erfahren aus dem Off, dass es sich um Steine aus der Werkstatt des Vaters von Adolf Loos handelt, der Steinmetz in Brünn war. Und, dass an dieser Stelle – wo sich heute das Hochhaus des Hotels Intercontinental befindet – das Geburtshaus von Loos stand. Es ist das einzige Filmkapitel, welches ein erklärendes bzw. den Sachverhalt näher bezeichnendes voiceover enthält. In den folgenden Kapiteln werden einzelne Bauten – Außen- und Innenräume – in chronologischer Abfolge gezeigt. Die Ansichten werden jeweils von einer Sequenz unterbrochen, die den Namen des Hauses, den Standort, das Entstehungsjahr sowie das Datum der Filmaufnahme nennt. Das 30. und letzte Kapitel zeigt
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Claudia Schmid, Ich war ein sehr nervöser Mensch. Heinz Emigholz im Interview – Auszüge aus dem Kinomagazin (2009), www.3sat.de/page/?source=/ard/kinomagazin/149337/index.html [Stand: 06.02.2015]. Heinz Emigholz hat diesen Film in 30 Kapitel unterteilt, die auf der DVD einzeln angesteuert werden können. Dem Film angehängt ist ein Audiomitschnitt des loosschen Textes „Ornament und Verbrechen“ sowie ein kurzer Text, in dem ein Überblick über das Leben, die Architekturauffassung und das Werk des Architekten gegeben wird.
Raum, Affekt und Geschlecht | Christina Threuter
das Grabmal von Adolf Loos auf dem Wiener Zentralfriedhof. Bauliche Zeichen für die Geburt und den Tod von Adolf Loos rahmen also die chronologische Werkschau und verweisen somit auf einen biografisch linear angelegten Zeitstrahl, mit einem biologisch begründeten Anfang – der Geburt – und einem dementsprechenden Ende – dem Tod. Die gezeigten Bauten sind in diesem Zeitstrahl gewissermaßen als biografische Ereignisse angelegt. Verstärkt wird dieser lineare Aufbau des Films durch den Einsatz des filmischen Mittels der Kadrierung, indem einzelne Bildausschnitte, auf denen die Kamera unbewegt verweilt, aneinandergereiht sind.10 Durch die von Emigholz ausgewählten Bildschwerpunkte sind für den Betrachter keine unmittelbaren räumlichen Anschlüsse von Bild zu Bild möglich; es handelt sich eher um collagierte Bildfolgen, die den dreidimensionalen Raum in zweidimensionale Bilder übersetzen – eben so beschreibt auch Emigholz sein filmisches Verfahren. Die Kamera von Emigholz steht in diesem Film auf einem Stativ, fährt also nicht durch die Räume und lässt daher den Betrachter
den
Raum
nicht
durch Bewegung erfahren. Auf diese Weise wird eine polyperspektivische
Raumerfahrung,
die beim Durchqueren nicht nur physisch, sondern auch visuell erlebt wird, verwehrt. Überdies
Abb. 3: „ LOOS ORNAMENTAL“ (A 2008), Villa Müller, Prag 2006
lässt die unbewegte Kamera, die eine Weile lang auf einen Ausschnitt des Raumes oder auf die Fassade fixiert bleibt, auch keine immersive Raumerfahrung zu. Verhindert werden dadurch räumliche Alltags- und Handlungspraxen, das heißt, den Gebrauch des Raumes zu imaginieren (Abb. 3 und 4).
Abb. 4: „ LOOS ORNAMENTAL“ (A 2008), Villa Müller, Prag 2006
10 Diese filmische Technik von Heinz Emigholz wird dem strukturellen Film zugeordnet. Zum strukturellen Film vgl. bspw. http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2905 [Stand: 06.02.2015].
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Vielmehr wird der Blick von Bild zu Bild bewegt, erfasst aber lediglich Oberflächen, an denen er stillgestellt wird: Der Raum wird als Bild, das der Betrachter als ein Gegenüber erfährt, arretiert. Dennoch aber wird er im Verlauf des Films immer mehr von diesen Bildern ergriffen, und es tritt ein, was Emigholz mit seinem Logo emblematisch bezeichnet und als Titel der Serie „Fotografie und Jenseits“ benennt: „[...] die Tatsache, dass sich etwas in die Retina einbrennt und dann von uns gelesen werden muss, das ist eigentlich immer Thema bei mir. Es ist nicht so einfach, dass man etwas sieht und schon ist es da, sondern wir gucken durch etwas hindurch wie durch ein Gitter oder durch ein Ornament, und dahinter befindet sich dann sozusagen die Interpretation oder erst mal die Arbeit des Lesens. Deshalb nenne ich ja auch diesen ganzen Werkzyklus ‚Fotografie und Jenseits‘, womit ich meine: die Welt hinter der Retina und nicht irgendwo oben im Himmel oder so.“11
Dabei, so Emigholz, ginge es ihm nicht darum, ein Geheimnis zu erzeugen: „Was mich interessiert, ist Aufdeckung. Es wird manchmal gesagt, die Zeichnungen verrätseln etwas. Das ist für mich das Gegenteil. Es ist eigentlich die Enträtselung von etwas. Die Enträtselung kommt durch genaues Hinsehen zustande, dass man also seinen Augen traut, dass man nicht auf einen Begriff wartet, der einem viel erklärt, sondern dass man wirklich hinschaut und die Verbindungen macht. Das hat sehr oft damit zu tun, dass die Leute nicht wahrhaben wollen, was sie sehen, oder das nicht selber für sich entdecken, dass es wirklich etwas zu sehen und zu lesen gibt.“12
Was ist nun dieses „Jenseits“ in dem Film über die Architekturen von Adolf Loos, das Emigholz ausschließlich durch visuelle Wahrnehmung „enträtseln“ möchte? Es liegt bei dieser Frage nahe, den Filmtitel als Erklärung heranzuziehen. Emigholz’ Absicht ist es, „LOOS ORNAMENTAL“ und Architektur als Auto11 Claudia Schmid, Ich war ein sehr nervöser Mensch, www.3sat.de/page/?source=/ard/ kinomagazin/149337/index.html [Stand: 06.02.2015]. 12 Ebd.
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Abb. 5: „LOOS ORNAMENTAL“ (A 2008), Buchhandlung Manz, Wien 2006
biographie visuell aufzudecken. Traut man also seinen Augen, dann überführt Emigholz durch seine statischen Kamerablicke die Dreidimensionalität der Räume in zweidimensionale Ansichten bzw. Raumausschnitte, die nicht darauf ausgelegt sind, Räumlichkeit zu suggerieren (Abb. 5). Allein durch diese Technik verliert der Raum seine seit der Neuzeit gewohnte Konstruktionsform als Container. Der Raum erscheint durch die Kamerablicke von Emigholz lediglich als Fragment: Die gemeinhin bewegte Kamera, die eine Schärfentiefe, eine tiefenräumliche Inszenierung in einen euklidischen Bildraum offeriert, ist hier nicht nur arretiert worden, sondern durch die zumeist schräge Haltung der Kamera wird Tiefenschärfe gebrochen – oftmals wird aus einer leichten Froschperspektive gefilmt. Die schräge Haltung der Kamera führt zu stürzenden Linien. Dadurch werden nicht nur Fluchtpunktperspektive, sondern auch architektonische Orthogonalität verunklärt. Dies irritiert den Betrachter in seinen Sehgewohnheiten, weil diese still gestellte Haltung in der Schräge eine fließend-lineare, kontinuierlich verzeitlichte Wahrnehmung verunmöglicht. Dieses Verfahren steht ganz im Gegenteil zu dem linearen Aufbau des Films, in dem Emigholz sich dem Mittel der linearen Chronizität in Form des Zeitstrahls bedient. Trotz des Verzichts auf die bewegte Kamera wird man beim Schauen der Filmbilder ergriffen und gerät gewissermaßen in einen visuellen Sog, vor allem durch die immer wiederkehrenden Varianten der Filmbilder bzw. der Bildfelder. Emigholz wird nicht müde, uns die geometrischen Raum- und Flächenkonstruktionen sowie die Maserungen und Strukturen der verwendeten
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Materialien, bspw. Marmor, Stein oder Holz, in den Häusern von Loos vor Augen zu führen: Varianten des Immerselben lassen den Betrachter der Innenraum-Ausschnitte eine nahezu physisch wirkende zwischenräumliche Resonanz13 erfahren, die affektiv berührt. Im Verlauf des Films entsteht eine (eigentümliche) Dramaturgie, die nicht mehr nach realen Raumanschlüssen oder auch räumlichen Dimensionen fragen lässt. Es geht nicht mehr darum, den realen Raum, das Raumkontinuum, gedanklich und visuell zu rekonstruieren. Vielmehr versinkt man visuell in den mehr grafischen als räumlichen Horizontal- und, dynamisierend schräg angelegten, Vertikallinien der geometrischen Formgestaltung, bspw. der Fenster, Treppengeländer, der Einbaumöbel mit ihren Rahmen und Füllungen, oder in den ästhetisierenden Nah-Ansichten des nahezu haptisch greifbaren Materials. Es sind die Wiederholungen dieser still gestellten, respektive Zeit entrückten Formgestaltungen in den einzelnen Häusern, die dem Film die Dramaturgie verleihen und den Zuschauer dazu auffordern – wie es der Filmtitel vorgibt –, dem Ornamentalen in den Bauwerken von Adolf Loos nachzuspüren und sich damit ein personalisiertes Bild von dem Architekten zu machen, der es sich zum Ziel setzte, das Ornament zu bekämpfen. Die Pose des Raumbilds
So habe ich mir – visuell von diesen geometrischen Raum- und Formstrukturen gefangen genommen – erst sehr spät und nach mehrmaliger Lektüre des Films die Frage gestellt, weshalb diese Häuser und Einrichtungen fast keine zeitgemäße Umgestaltungen erfahren haben. Sämtliche vorgestellten Architekturen erscheinen nicht nur filmisch still gestellt, sondern auch in ihrem alltagspraktischen Arrangement musealisiert!14 Haben die Bewohner der Häuser solch einen großen Respekt vor dem architektonischen Werk von Loos oder sind es interna-
13 Vgl. hierzu die bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts von Schmarsow vorgenommenen raumtheoretischen Überlegungen zur leiblichen Raumproduktion: Schmarsow, August, Das Wesen der architektonischen Schöpfung (1894), in: Neumeyer, Fritz (Hg.), Quellentexte zur Architekturtheorie, München u. a. 2002, 319 – 334. 14 Von den 27 in dem Film gezeigten Architekturen und Innenräumen handelt es sich meines Wissens bei fünf Häusern bzw. Wohnungen tatsächlich um Museen: Die Wohnung Boskovity (Wien) beherbergt seit 1991 die ehemalige Privatwohnung sowie die Musiksammlung
Raum, Affekt und Geschlecht | Christina Threuter
tional übergreifende Auflagen der Denkmalpflege, die auf Konservierung drängten? Oder hat sich etwa die Architekturauswahl von Emigholz auf das Kriterium der originären Ausgestaltung konzentriert, um die einheitliche Formensprache bei Loos zu verdeutlichen? Egal, wie man diese Frage beantwortet, Tatsache ist, dass gerade der Gebrauch bzw. das Wohnen, die architektonische Räume nicht erst in zweiter Linie konstituieren, und mit deren Spuren wir Alltags- und Lebenspraxis in Häusern oder Wohnungen imaginieren, bei Emigholz völlig ausgelassen wird: So sind einzig seine Ansichten von den Fassaden und den sie umgebenden Außenräumen durchsetzt von der Akustik alltäglicher Routinen, bspw. der Passanten oder des Straßenverkehrs. In den Innenraumansichten machen sich lediglich die Lichtverhältnisse, dem jahreszeitlichen Wechsel der Natur entsprechend, d. h. linear verzeitlicht, bemerkbar. Dazu tritt die außenräumliche Geräuschkulisse, die – allerdings durch die Umfassungen stark gedämpft – in den Innenräumen nur noch leise summt. Außer in den öffentlichen Räumen, bspw. der Kärntner Bar und dem Café Museum (beide in Wien), sieht man hier keinen Menschen, respektive Bewohner, und (fast) keine individualisierten Gebrauchsspuren. Die Innenausstattung und das Wohnen scheinen sich über 100 Jahre in diesen Häusern nicht verändert zu haben: In den von Loos vorgesehenen und eingebauten Bücherregalen stehen nach wie vor Bücher; in den von ihm konzipierten Aussparungen der Wandvertäfelungen befinden sich nach wie vor Bilder. Signifikate des aktuellen modernen Lebens wie elektronische Geräte, Flachbildfernseher, Computer etc. oder auch starke Eingriffe in die ursprüngliche Gestaltung sind im Grunde nicht zu sehen. Der Betrachter imaginiert in diesen Räumen – wenn überhaupt – die Bewohner zu Loos’ Zeit und ihre wenigen Wohnspuren gehen im Verlauf des Films in den dargebotenen gestalterischen Strukturen auf. In diesem zeitlichen Stillstand, diesen eingefrorenen Momenten, scheint sich zu bestätigen, dass der Architekt Adolf Loos – ge
der Wienbibliothek und einige Loos-Räume; das Haus Moller ist seit 1995 Museum der Stadt Prag und seit dem Jahr 2000 Adolf Loos Study Centre; die Wohnung Brummel in Pilsen; die Villa Müller in Prag.
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nau so wie er es in seinen Schriften und theoretischen Ausführungen kulturevolutionistisch proklamierte –, allgemeingültige moderne Räume konzipierte. Hätten nicht sonst die heutigen Bewohner die Räume ihren Bedürfnissen entsprechend verändert? Der körperlose und entsubjektivierte Kamerablick scheint eben dies zu bestätigen: Das Raumbild, das er einfängt, erscheint wie in einer Pose erstarrt. Hier wurde durch das filmische Verfahren der Kadrierung im Vorhinein entworfen, was ins Blickfeld der Kamera geriet, mit der Absicht, „gesehen zu werden“,15 ähnlich wie es Jacques Lacan, Craig Owens, Roland Barthes oder auch Kaja Silverman für die Porträtdarstellung im Akt der (Stand-)Fotografie reklamieren: indem sich das Subjekt durch die Pose in eine Haltung bringt, die es im Voraus bereits – dem kulturellen Bildrepertoire entsprechend – als Fotografie von sich entworfen hat. Das Subjekt bietet sich also dem Kamerablick schon in Gestalt eines bestimmten Bildes an. Craig Owens zufolge vollzieht sich durch die Pose eine Erstarrung und gleichzeitig die physische Bestätigung der realen Existenz.16 Hierin zeigt sich schließlich die Kraft der Repräsentation durch die Pose, die hier auf die im Voraus entworfenen Bildausschnitte der loosschen Räume übertragen werden. In dieser Lesart liegt es nämlich nahe, die von Emigholz ausgewählten Räume nicht den Bewohnern der loosschen Häuser, die ja nicht repräsentiert sind, zuzuschreiben, sondern der Person und der Haltung des Architekten Loos selbst, denn in dessen biografischen Zeitstrahl sind diese Räume, respektive Raumausschnitte, als mäandernde Varianten des Immerselben eingeschrieben. Betrachtet man diese filmische Konstruktion unter dem Aspekt der geschlechtlichen Ordnung, wird deutlich, wie das männliche Subjekt als Autor der Räume konzipiert wird: als Gestalter einer allgemeingültigen, d. h. vorgängig zeitlos geistigen Universalie, in dem Bild der zeitlos erstarrten Existenz. Unter dieser Prämisse findet eine Überblendung des architektonischen Werks mit der Person Adolf Loos statt. Demgegenüber steht das Ausklammern der flüchtigen und zeitlich fixierten alltäglichen
15 Vgl. Silverman, Kaja, Dem Blickregime begegnen, in: Kravagna, Christian (Hg.), Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin 1997, 41– 64, hier 49. 16 Vgl. Owens, Craig, Beyond Recognition, in: Bryson, Scott/Kruger, Barbara/Weinstock, Jane (Hg.), Representation, Power and Culture, Berkeley 1992, 210.
Raum, Affekt und Geschlecht | Christina Threuter
Praxis, dem Gebrauch, der in Innenräumen gemeinhin dem Weiblichen zugeschrieben ist, unversöhnlich gegenüber. Das Raumbild als Affektbild
Michel de Certeau zufolge zeichnet sich ein „Ort“ gerade nicht durch das Nebeneinander des Verschiedenen, durch Polyperspektivität oder durch Figurationen aus, die durch Erleben bzw. realitätsschaffende Praktiken des Alltags, durch Handeln, stets neu aktualisiert werden. Dieser Lesart folgend, handelt es sich hier nicht um die Darstellung eines relationalen Ordnungsraums, sondern um eine momentan fixierte Konstellation stabiler Punkte, die in den Worten de Certeaus als ein „Gesetz der Eindeutigkeit“ konzipiert wurden.17 Betrachtet man diese These noch einmal aus einer anderen Perspektive, bestätigt sich das Prinzip der Autorschaft Loos’ in dem Film von Emigholz abermals: So nehmen in diesem Film die arretierten Bildausschnitte als Nahaufnahmen eine filmische Selbstaufladung und eine Affizierung des Zuschauenden vor, indem sie perspektivische Tiefenansicht und die Abbildung von Handlungs- bzw. Bewegungsabläufen verwehren.18 Adolf Loos selbst hat stets betont, dass für ihn die sensuelle Erfahrung, der Ausdruck des Raumes, durch das verwendete Material Vorrang vor seiner geistigen Konstruktion hat: „[…] der künstler aber, der architekt, fühlt zuerst die wirkung, die er hervorzubringen gedenkt, und sieht dann mit seinem geistigen auge [...].“19 Form und Material rufen laut Loos Gefühle hervor. Die Nah- und Großaufnahmen von Raumausschnitten und Ausstattungselementen im Film von Emigholz kommen dem Zuschauer gewissermaßen näher als tiefenräumliche Perspektiven, sie affizieren ihn, indem sie ihm andere bzw. neue Ausdrucksdimensionen eröffnen. 17 Vgl. De Certeau, Michel, Kunst des Handels, Berlin 1988, 217– 220. 18 Vgl. Ott, Michaela, Unbestimmte Affekträume im Film, in: Lehnert, Gertrud (Hg.), Der Spatial Turn und die neue Emotionsforschung, Bielefeld 2011, 96 –108, hier 97. 19 Loos, Adolf, Das Prinzip der Bekleidung (1898), in: Opel, Adolf (Hg.), Adolf Loos. Ins Leere gesprochen 1897–1900, 139 –145, hier 140. Die körperlich-sensuelle Erfahrung des Raumes durch das verwendete Material hat Vorrang vor der geistigen Konstruktion des Raumes. Architektur ist für Loos keine Kunst, sondern ein Gebrauchsgegenstand.
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Nach Gilles Deleuze handelt es sich bei der Großaufnahme um ein Affektbild.20 Dabei setzt Deleuze die Großaufnahme des Gesichts als Äquivalent für alle Großaufnahmen. Er folgt hier Sergeij Eisenstein, der die Großaufnahme nicht nur als einen Bildtypus, sondern als den Indikator einer affektiven Lesart des gesamten Films charakterisierte. Gilles Deleuze schreibt: „[...] die Großaufnahme [entreißt] ihr Objekt keineswegs einer Gesamtheit, zu der es gehörte, deren Teil es wäre, sondern [...] sie abstrahiert von allen raumzeitlichen Koordinaten, das heißt, sie verleiht ihm den Status der Entität. Die Großaufnahme ist keine Vergrößerung, auch wenn sie eine Größenveränderung impliziert; sie ist eine absolute Veränderung, Mutation einer Bewegung, die aufhört Ortsveränderung zu sein, um Ausdruck zu werden.“21
Diesem filmischen Mittel bedient sich Emigholz in seinen Kamerabildern: Der in den Blick genommene Raumausschnitt wird hier nicht zur Perspektive, sondern zum „Ausdruck“ eines so Seienden, das affektiv wahrgenommen wird. Deleuze zufolge ist der „Ausdruck eines isolierten Antlitzes [...] in sich selbst geschlossen und verständlich, man muß sich nichts hinzudenken, weder im Raum noch in der Zeit“.22 Und ebenso vermisst der affizierte Betrachter der Kamerabilder der loosschen Räume im Verlauf des Films keine Übersicht über den gesamten Raum. Man fühlt sich einem „isolierten Antlitz gegenüber [...] nicht im Raum. Unser Raumempfinden ist aufgehoben.“23 In diesem Sinne handelt es sich hier um deterritorialisierte Filmbilder loosscher Räume.24 Der Raum verliert seine raumzeitlichen Koordinaten und wird dabei zum „beliebigen Raum“, oder anders gesagt, zu einem „unbestimmten Raum“, wie die Filmwissenschaftlerin Michaela Ott diesen Begriff von Deleuze passender übersetzt.25
20 Deleuze, Gilles, Das Bewegungs-Bild. Kino 1, Frankfurt am Main 1989, 123 ff. 21 Deleuze, Bewegungs-Bild, 134. Deleuze folgt hier den Ausführungen des Filmkritikers Béla Balázs. 22 Ebd., 134. 23 Ebd., 134 –135. Deleuze zitiert hier Balázs, Béla, Filmesztetikai gondolatok, Budapest 1948 (Az Orszagos magyar szinmüveszeti Föiskola Könyvtara 7). 24 Vgl. zur „spezielle(n) Deterritorialisierung des Affektbildes“: Ebd., 135. 25 Ebd.
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Selbst die gedämpfte Geräuschkulisse, die von außen in die Wohnräume dringt, sowie die Spuren des Lichts im Verlauf des Tages, die sich auf einige Ausstattungsgegenstände legen, die leichte Brise des Windes durch das gekippte Fenster, welche die Lampen zum sanften Schwingen bringt, oder auch das Geräusch des leicht prasselnden Regens, dies sind allesamt Filmelemente, die einen verzeitlichten Verlauf über das arretierte Bild legen könnten, die aber dennoch kein raumzeitliches Kontinuum in die Bilder bringen. Vielmehr unterstützen sie in diesem Fall den Verlust der raumzeitlichen Koordinaten, da sie selbst als ontologisch gedeutete Naturelemente dem Merkmal der Entität und nicht dem des Vieldimensionalen unterliegen: Vor einhundert Jahren waren sie in den „ewigen“ Kreislauf des Lebens genauso eingebettet wie heute. Gilles Deleuze zufolge bedarf der Affekt eines Ausdrucks, somit ist er ein Gesicht, bzw. ist der Affekt „ein in ein Gesicht verwandeltes Objekt“. Das Affektbild setzt sich aus zwei Teilen zusammen, das heißt, es ist ein Ensemble: aus dem Gesicht (Ausdruck) und dem Affekt, oder anders gesagt dem Ausgedrückten, dem Reiz, dem Empfinden, dem Gefühl, dem Trieb. Beide Teile zusammen, der Ausdruck (Gesicht) und der Affekt, konstruieren ein Ikon, welches von räumlichen und zeitlichen Koordinaten losgelöst erscheint. Überträgt man dieses Modell auf die Kamerabilder von Emigholz, kommt man zu dem Ergebnis, dass in diesem Fall das Affektbild, das Zeichen der autobiografischen Autorschaft von Adolf Loos ist. Es bedarf nicht das Gesicht von Loos zu zeigen, sondern allein die Bilder der räumlich sowie zeitlich unbestimmten und immerselben geometrischen Raum- und Flächenkonstruktionen affizieren den Betrachter und tragen dazu bei, sie als den generalisierten autobiografischen Ausdruck von Adolf Loos, im Sinne einer Vergesichtlichung, wahrzunehmen. Das Ensemble aus diesem personalisierten gestalterischen Ausdruck und dem affizierenden Raumbild wird zum Ikon Adolf Loos. Die Vorstellung von dem Künstler, dessen Arbeit als gestalterischer Ausdruck seiner selbst gelesen wird, entspricht dieser Vergesichtlichung im Affektbild der Großaufnahme als dem generalisierten Ausdruck Adolf Loos’, d. h. als er selbst. Weiter entspricht es dem seit den Künstlerviten Vasaris kanonisierten Bild des männlichen Künst-
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ler-Individuums, welchem ein künstlerischer Schöpfungsakt aus dem Geist (idea, disegno, concetto), unter der Voraussetzung der maniera, dem persönlichen Stil, zugewiesen wird.26 Der persönliche Stil als „reiner Ausdruck“ seiner selbst rehabilitiert hier das in der Moderne als flüchtig, modisch, sensuell und subjektiv feminisierte Ornament der geometrisierenden Formenund Raumstrukturen zu einem universalisierenden Zeichen von Modernität und schreibt sie damit der Entität des Subjektes Adolf Loos zu. In den Worten von Heinz Emigholz schuf Adolf Loos komplexe Raumgitter. Im Umkehrschluss heißt das, dass es sich bei dem loosschen Ornament nicht um ornamentale Dekorationen handelt – die ja von der rationalisierten Architekturmoderne vehement abgelehnt wurden –, sondern um ein vielschichtiges gestalterisch räumliches Verfahren. Heinz Emigholz formuliert dies so: „In der Tat eilt Loos der journalistische Ruf voraus, Ornamente zu hassen. Die Missverständnisse liegen in dem begründet, was man jeweils unter Ornament versteht. Das Ornamentale im Sinne einer floralen Zieselierung ist allerdings nicht seine Sache. Betritt man jedoch die von ihm gestalteten Innenräume, sieht man nichts als Ornamente, gebildet aus den Strukturen der natürlichen Materialien Holz, Stein, Metall und Stoff. Maserungen im Holz, Adern im Marmor, die durch kunstreiche Anordnungen von Schnittflächen zur Geltung gebracht werden. Gegen den Strich gebürstet erscheinen die von ihm verwandten natürlichen Materialien in der Gesamtkomposition eines Raumes als Ornament. Und der gebaute Raum selbst bildet in seiner verschachtelten Struktur ein dreidimensionales Ornament. Loos hatte kein Problem damit, sich in angebliche Widersprüche zu verwickeln. Sein verquaster Aufsatz ‚Ornament und Verbrechen‘ von 1910 ist leider in der Folge maßlos verdreht und verabsolutiert worden. Er war kein terrible simplificateur. Mich interessiert Komplexheit, ein komplexes Raumgitter, durch
26 Vgl. Christadler, Meike, Kreativität und Genie: Legenden der Kunstgeschichte, in: Zimmermann, Anja (Hg.), Kunstgeschichte und Gender. Eine Einführung, Berlin 2006, 253 – 272, 255 und 266.
Raum, Affekt und Geschlecht | Christina Threuter
das sich Wirklichkeit erkennen lässt, und das bietet er mir und meiner Kamera.“27
Zum Schluss dieser Überlegungen lässt sich resümieren, dass Heinz Emigholz in seinem Architekturfilm neue kritische Raumdiskurse aufgreift, indem er dezentrierte bzw. deterritorialisierte und fragmentierte Raumbilder schafft, die darauf verweisen, dass der euklidische Containerraum eine den Prozess der Transformation und Vieldimensionalität negierende, universalisierende Praxis des Raumdiskurses der Moderne ist. Darüber hinaus schafft er ein Affektbild, welches das Subjekt, den Architekten Adolf Loos, mit seinem gestalterischen Ausdruck ikonisiert und schlussendlich die Vorstellung von schöpferischer Autorschaft imaginiert. Dieser „Hang zur Autorschaft und Personalisierung ist eine der Voraussetzungen von sogenannter Stararchitektur und impliziert die Definition von Architektur bzw. Baukunst als einer Architektur als Bild“.28 Ebenso ist es ein starkes autoritäres und männlich konnotiertes visuelles Zeichen, welches „das kollektive kulturelle Gedächtnis in Bezug auf architekturhistorische Machtpositionen sichert: LOOS ORNAMENTAL!“
27 Popp, Peter, Heinz Emigholz, LOOS ORNAMENTAL (15.09.2009), Detail. Das Architekturportal. Architektur/News/Heft 9/2009, Heinz Emigholz. Loos ornamental, vgl. www.detail.de/architektur/news/heinz-emigholz-loos-ornamental-001480.html [Stand: 06.02.2015]. 28 Helmhold, Heidi, Affektpolitik und Raum. Zu einer Architektur des Textilen, herausgegeben von Christian Posthofen, Köln 2012 (Kunstwissenschaftliche Bibliothek, Bd. 34), 30.
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Anhang
Filmprogramm Filmsichtungen im Kino CINEMATOGRAPH, Linz, am 04.10.2012 und im Kino Moviemento, Linz, am 05.10.2012 im Rahmen der Tagung „Film als Medium der Architekturgeschichte“ am Institut für Kunstwissenschaft und Philosophie (IKP) der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz Filmische Städtebilder » Skladanowsky Filme von 1896, Produzent: Max Skladanowsky, D 1896, s/w, stumm, 4 Minuten (daraus: Berlin-Alexanderplatz und Unter den Linden). Filmische Propaganda für die Moderne » Reihenhaus Typ 1927, Regie und Drehbuch: ohne Angabe, D ohne Jahr, s/w, stumm, 3 Minuten. » Die Frankfurter Kleinstwohnung, aus der Reihe: Neues Bauen in Frankfurt am Main, Regie und Drehbuch: Paul Wolff, D 1928, s/w, stumm, 5 Minuten. » Die Neue Wohnung, Regie und Drehbuch: Hans Richter, Schweiz 1930, s/w, stumm, 28 Minuten. (Zur Verfügung gestellt von der Cinémathèque suisse) » Die Stadt von Morgen. Ein Film vom Städtebau, Regie und Drehbuch: Maximilian von Goldbeck und Erich Kotzer, D 1929/30, s/w, stumm, 33 Minuten. » Architecture d’aujourd’hui, Regie und Drehbuch: Le Corbusier und Pierre Chenal, F 1930/31, s/w, stumm, 14 Minuten. » Wo wohnen alte Leute? Regie und Drehbuch: Ella Bergmann-Michel, D 1931/32, s/w, stumm 13 Minuten. Architekturvisionen im Nationalsozialismus » Straßen ohne Hindernisse, Regie und Drehbuch: Martin Rikili, D 1934/35, s/w, Ton, 13 Minuten. » Bremen, Regie: Otto von Bothmer, Drehbuch: Arnold Funke und Otto von Bothmer, D 1935/36, s/w, Ton, 11 Minuten. » Das Wort aus Stein, Regie und Drehbuch: Kurt Rupli, D 1939, s/w, Ton, 19 Minuten.
232 Linzer Architektur als Thema aktueller Berichterstattung » Linz. Die neue Fabrik unserer Tabakregie (aus: Österreich in Bild und Ton, Nr. 12a), Ö 1936, s/w, Ton, 2 Minuten 5 Sekunden. (Aus der Sammlung des Österreichischen Filmmuseums) » Linz. Die Nibelungenbrücke kurz vor ihrer Vollendung (aus: UFA Ton-Woche, Nr. 499), D 1940, s/w, Ton, 1 Minute. » Siedlungsbau in Linz, (aus: Die Deutsche Wochenschau Nr. 536/51), D 1940, s/w, Ton, 1 Minute 11 Sekunden. » Modernes Bauen: OÖ-Landeshauptstadt protegiert die Architektur des 20. Jahrhunderts (aus: Austria Wochenschau, Nr. 42), Ö 1957, s/w, Ton, 39 Sekunden. Zwischen stehendem und laufendem Bild » House: After Five Years of Living, Charles & Ray Eames USA 1955, Farbe, Ton, 11 Minuten. » Sense of architecture. Photographie und jenseits – Teil 11, Regie und Drehbuch: Heinz Emigholz, Ö/D 2005 – 2009, Farbe, Ton, 168 min, Ausschnitt: Klaus Kada, Urnenhain Verabschiedungshalle, Linz, 2003, ca. 4 Minuten. Kunsthistoriker als Filmemacher » Berliner Luft, Regie: Franz Fiedler, Drehbuch: Ruth Hoffmann, und Franz Fiedler, D 1939, s/w, Ton, 14 Minuten. » Raum im kreisenden Licht, Regie und Drehbuch: Carl Lamb, D 1936, s/w, Ton, 17 Minuten (Dank an Susanne Hepfinger, Verwalterin des Nachlasses von Carl Lamb). Vom Leben in Architekturikonen » Angelica Fuentes. The Schindler House, Konzept und Realisation: Sasha Pirker, Ö 2008, Farbe, Ton, 10 Minuten. » (Die Ikone: Rudolf Michael Schindler, Haus Schindler-Chase, West Hollywood, 1921/1922). » Koolhaas Houselife, Drehbuch: Ila Bêka und Louise Lemoine, F 2008, Farbe, Ton, 58 Minuten. (Die Ikone: Rem Koohlhaas, Maison à Bordeaux, Bordeaux, 1998).
Filmauswahl: Institut für Kunstwissenschaft und Philosophie (IKP), Fachbereich Kunstwissenschaft, der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz in Kooperation mit dem Institut für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik (IKK) der Universität Bremen und dem Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender Bremen. Konzept/Organisation: Barbara Schrödl (Linz), Christiane Keim (Bremen)
Anhang
Autor/-innen
Doris Agotai ist promovierte Architektin und seit 2008 Dozentin für
Raumkonzepte in Film und Architektur an der ETH Zürich. Nach ihrem Studium in Lausanne, Barcelona und Zürich sowie einigen Jahren Berufspraxis hat sie im Rahmen ihrer interdisziplinären Promotionsarbeit an der ETH Zürich und der Filmhochschule in München die Wahrnehmung und Konstruktion filmischer Räume untersucht, ein Jahr davon als Stipendiatin am Collegium Helveticum. Seither forscht und lehrt sie zu diesem Themenfeld an unterschiedlichen Hochschulen und leitet aktuell das Forschungsfeld Design & Technology an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Doris Agotai ist Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Kulturtheorie und Semiotik. Forschungsschwerpunkte: Filmische Räume, Design & Technology, Kulturtheorie, Semiotik. Publikationen zum Thema: Der Raum im Off. Untersuchungen zu filmischen und architektonischen Raumkonzepten, in: Frohne, Ursula/Haberer, Lilian (Hg.), Kinematographische Räume. Installationsästhetik in Film und Kunst, München 2012, 55 – 69. Zum Verhältnis von filmischen und architektonischen Räumen, in: Stöbe, Silvia/Krauss, Michael (Hg.) Film, Raum, Architektur, Kassel 2009, 7–11. E-Mail: [email protected] Homepage: www.agotai.ch
Marcel Bächtiger studierte Architektur an der ETH Zürich. Seit seinem Diplom 2002 arbeitet er als freischaffender Filmemacher und Architekturtheoretiker. Zusammen mit Doris Agotai leitet er das Seminar „Raumkonzepte in Film und Architektur“ an der ETH Zürich und unterrichtet an verschiedenen Architekturschulen zum filmischen Raum. Als Regisseur realisierte er zahlreiche Spiel- und Dokumentarfilme sowie verschiedene Videoinstallationen für Theater- und Kunstprojekte. Sein Kurzfilm „Dr. Strangehill“ (2006) wurde an zahlreiche Filmfestivals eingeladen, der Dokumentarfilm „Die letzten Tage von Elena und Nicolae Ceausescu“ (2011) wurde an den 46. Solothurner Filmtagen für den „Prix de Soleure“ nominiert. Forschungsschwerpunkte: Relation von filmischem und architektonischem Raum in Theorie und Praxis. Dissertationsprojekt zu den kinematographischen Grundlagen von Le Corbusiers Architekturkonzeption. Publikationen zum Thema: Aus der dunklen Kammer der Gebrüder Lumière: Le Corbusier im Widerschein des kinematographischen Lichts, in: Mondini, Daniela u. a. (Hg.), Le Jeu Savant: Light and Darkness in XX Century Architecture, Mendrisio, erscheint im Herbst 2014. Gem. m. Agotai, Doris, Der Raum der Nacht, in: Martig, Charles u. a. (Hg.), Räume, Körper, Ikonen: (Post-)konfessionelle Filmikonographien, Marburg 2013, 229 – 243. E-Mail: [email protected] Homepage: www.schett.arch.ethz.ch/index.html
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234 Lena Christolova, Dr. phil., Studium der Germanistik und der Medienwissenschaft in Sofia und Konstanz, Promotion mit anschließender Tätigkeit an der Universität Konstanz (DFG-Stipendiatin, Lehrbeauftragte, wissenschaftliche Mitarbeiterin). Seit 2001 Unterricht im Fach Medienwissenschaft an der Universität Konstanz, wo sie z. Z. die Teilvertretung einer Professur für Medienwissenschaft wahrnimmt. Forschungsgebiete: Film- und Bildwissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Avantgarde und früher Film, Wissenschaftsgeschichte und populäre Kultur. Publikationen zum Thema: „Architecture of the Mind“ im Film INCEPTION von Christopher Nolan (USA/GB 2010), in: Kritische Ausgabe. Zeitschrift für Germanistik und Literatur, Heft 24 (2013) Architektur, hg. v. Baumeister, Martin/Preidel, Michael, 48 – 51. Zwischen „Schundfilm“ und „Neorealismus“: WIENERINNEN im Schatten der Großstadt (A 1952), in: Nachkriegskino in Deutschland zwischen 1945 und 1962, hg. v. Blachut, Bastian/Klages, Imme/Kuhn, Sebastian, München 2015. E-Mail: [email protected] Homepage: www.litwiss.uni-konstanz.de/fachgruppen/medienwissenschaft/personal/detailseite-personal/christolovalena-439/10688/41086/ Jeanpaul Goergen, Filmwissenschaftler. Zahlreiche Veröffentlichungen mit Übersetzungen ins Englische, Französische, Italienische und Russische. Kurator von Filmprogrammen u. a. der Reihe „Berlin. Dokument“ im Zeughauskino Berlin. Von 1999 bis 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsprojekts „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland (1895 –1945)“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Mitherausgeber des zweiten Bandes „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Weimarer Republik 1918 –1933“ (Stuttgart 2005). Wissenschaftlicher Mitarbeiter des 2013 abgeschlossenen DFG-Forschungsprojekts „Werben für Europa. Die mediale Konstruktion europäischer Identität durch Filme im Rahmen europäischer Öffentlichkeitsarbeit“ sowie des 2012 begonnenen DFG-Projekts „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland (1945 – 2005)“. Forschungsschwerpunkte: Unbekanntes deutsches Filmerbe, Film avantgarde, Animationsfilm sowie Kultur- und Dokumentarfilm. Publikation zum Thema: „wirklich alles wurde unseren wünschen entsprechend gemacht“. Das Bauhaus in Dessau im Film der zwanziger Jahre, in: Tode, Thomas (Hg.), bauhaus & film, u. a. Wien 2011, 109 –122. Städtebilder zwischen Heimattümelei und Urbanität, in: Zimmermann, Peter/Hoffmann, Kay (Hg.), Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland (Band 3, „Drittes Reich“ 1933 –1945), Stuttgart 2005, 320 – 332. E-Mail: [email protected] Homepage: www.jeanpaulgoergen.de Christiane Keim, Dr. habil, Kunstwissenschaftlerin, Studium der Kunstgeschichte und Germanistik an der Philipps-Universität Marburg, 1987 Promotion in Marburg, mehrjährige Tätigkeiten in Museen, der Denkmalpflege und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Marburg. 2004 Habilitation an der TU München. Seit 2010 Universitätslektorin am Institut für Kunstwissenschaft und Kunstpädago-
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gik der Universität Bremen sowie assoziierte Wissenschaftlerin am Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender, Bremen. Forschungsschwerpunkte: Architektur/Raum (18. – 20. Jahrhundert), Wohnen/Ausstellen, Geschlechterforschung, Erinnerungskultur. Jüngste Publikationen: Im wirklichen Leben ankommen. Alison und Peter Smithsons Upper Lawn Pavilion in Fonthill und das Vorführen der „Kunst des Bewohnens“, in: Nierhaus, Irene/Nierhaus, Andreas (Hg.), Wohnen zeigen: Modelle und Akteure des Wohnens in Architektur und visueller Kultur, Bielefeld 2014, 223 – 244; Vom Durchqueren der Geschichte/n. Gedächtnisformationen und Erinnerungspolitiken als Reibungsflächen künstlerischer Interventionen, in: Lanzinger, Pia, Selected Works 1997– 2013, Nürnberg 2014. E-Mail: [email protected] Lutz Robbers, Ph.D. Princeton, Studium der Theorie und Geschichte der Architektur an den Universitäten Yale und Princeton. Lehr- und Forschungstätigkeiten am Cities Programm der London School of Economics und im New York-Paris Programm der Columbia University. Research Fellow am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie (IKKM) der Bauhaus-Universität Weimar und Mitglied der Forschungsgruppe „Werkzeuge des Entwerfens“. Zurzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr- und Forschungsgebiet Architekturtheorie der RWTH Aachen. Forschungsschwerpunkte: Architekturtheorie, Architektur als Medium, Kulturtechniken der Architektur. Publikationen zum Thema: Film als Dispositiv in G: Material zur elementaren Gestaltung, in: Kritische Berichte 4, Marburg 2012, 32 – 43. Filmkämpfer Mies, in: Plüm, Kerstin (Hg.), Mies van der Rohe im Diskurs: Innovationen – Haltungen – Werke, Bielefeld 2013, 63 – 95. E-Mail: [email protected] Homepage: http://theorie.arch.rwth.de/?page_id=49 Rolf Sachsse, Dr. phil., Lehre und Arbeit als Fotograf, Studium Kunstgeschichte, Kommunikationsforschung und Neuere Deutsche Literatur. Seit 1975 freischaffender Fotograf, Kurator, Autor, bis 1989 auch Künstler. 1985 – 2004 Professor für Fotografie und elektronische Bildmedien, Hochschule Niederrhein in Krefeld. 1994 – 95 Lehrstuhlvertretung Hans Belting und seit 1995 assoziierter Professor für Theorien der Gestaltung an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Seit 2004 Professor für Designgeschichte und Designtheorie an der Hochschule der Bildenden Künste Saarbrücken. Forschungsschwerpunkte: Mediengeschichte und Medientheorie mit Schwerpunkt der funktionalen Nutzung von Fotografie, Film, Video und Metamedien im Kontext von Design, Architektur und Reproduktion, Geschichte und Theorie des Fotobuchs, allgemeine Designgeschichte mit Schwerpunkten im Übergang von Materialfragen, Ethnologie und Ökologie, Geschichte und Theorie der Klangkunst. Publikationen zum Thema: Bild und Bau. Zur Nutzung technischer Medien beim Entwerfen von Architektur, Bauwelt Fundamente 113, Braunschweig/Wiesbaden 1997. Medien im Kreisverkehr: Architektur – Fotografie – Buch, in: image. Zeitschrift für inter-
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236 disziplinäre Bildwissenschaft, Image 18, Juli 2013, 196 – 205. Siehe www.gib.uni-tuebingen.de/image?function=fnArticle&show Article=259 [Stand: 16.05.2015] E-Mail: [email protected] Homepage: www.hbksaar.de/sachsse Barbara Schrödl, Dr. phil., Studium der Kunstgeschichte, der Soziologie sowie der Geschichte der Naturwissenschaft und Technik in Stuttgart und Berlin. Seit 2005 Universitätsassistentin am Institut für Kunstwissenschaft und Philosophie (IKP) der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz und seit 2009 Lehrbeauftragte an der Akademie der bildenden Künste Wien. Die Habilitationsschrift „Korrespondenzen zwischen Architekturgeschichte, Fotografie und Film. Beitrag zu einer Medienarchäologie der Kunstgeschichte“ wurde 2014 eingereicht. Forschungsschwerpunkte: Mediengeschichte der Kunstgeschichte, Gender Studies, Künstlermythen in der populären und hochkulturellen Kunstgeschichte, visuelle Kultur des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit, kulturwissenschaftliche Bekleidungsforschung, Film als künstlerisches Mittel. Publikationen zum Thema: Architektur, Film und die Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, in: Doll, Nikola/Fuhrmeister, Christian/ Sprenger, Michael H. (Hg.), Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Begleitpublikation zur Wanderausstellung „Kunstgeschichte im Nationalsozialismus“, Weimar 2005, 305 – 324. Ein filmischer Atelierbesuch und ein Maler im Filmstudio. Zeitlichkeit zwischen Produktions- und Rezeptionsprozessen, in: Gludovatz, Karin/ Peschken, Martin (Hg.), Momente im Prozess. Zeitlichkeit künstlerischer Produktion, Berlin 2004, 91–100. E-Mail: [email protected] Homepage: ktu-linz.ac.at/kunstwissenschaft/personen/barbara_ schroedl/ Christina Threuter ist promovierte und habilitierte Kunstwissenschaftlerin (1993 Promotion über den Architekten Hans Scharoun an der Johannes Gutenberg Universität Mainz/2006 Habilitation über die Wohnhäuser von Künstlerinnen an der Universität Trier). Sie lehrte und forschte an zahlreichen Hochschulen (Universität Trier, TU München, Justus Liebig Universität Gießen, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Universität des Saarlandes, Universität zu Köln). Daneben war sie Kuratorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin zahlreicher kunst- und kulturgeschichtlicher Ausstellungen (bspw. „Konstantin der Große“ Landesausstellung Rheinland-Pfalz im Rahmen „Luxemburg und die Großregion. Europäische Kulturhauptstadt 2007“). Von 1994 bis 2006 war sie Mitherausgeberin der Fachzeitschrift FKW//Zeitschrift für Geschlechterforschung und Visuelle Kultur (Jonas Verlag, Marburg). Seit 2011 ist sie Professorin für Kunst-, Design- und Kulturgeschichte an der Hochschule Trier. Forschungsschwerpunkte: Moderne Architektur/Raumtheorien, Geschlechterforschung, Erinnerungskultur, Dingkultur und Modegeschichte/Modetheorie. Jüngste Publikationen: Gem. m. Helmhold, Heidi (Hg.), Abreißen oder Gebrauchen? Nutzerperspektiven einer 50er-Jahre-Architektur, Berlin 2012. Ausschlüsse des Unerwarteten: Herlinde Koelbls Fotobuch „Das deutsche Wohnzimmer“ 1980, in: Nierhaus, Irene/
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Nierhaus, Andreas (Hg.), Wohnen zeigen: Modelle und Akteure des Wohnens in Architektur und visueller Kultur, Bielefeld 2014, 303 – 320. E-Mail: [email protected] Homepage: http://hochschule-trier.de/index.php?id=gestaltung Helmut Weihsmann, 1974 –1980 Studium der Architektur an der TU Wien, 1974/75 Lehrgang Medienwissenschaften an der Université XIII, Villetanneuse. Seit 1980 freiberuflicher Film- und Architekturhistoriker sowie Bauforscher. Lehrtätigkeit an der Hochschule für angewandte Kunst, Wien, an der Columbia University, New York, und der University of Cambridge, England. Teilnahme an internationalen Kongressen, Symposien und Fachtagungen. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Architektur, Städtebau, moderner Kunst und Film. Seit 2000 Programmleiter der Filmreihe „Urbanität & Ästhetik“, seit 2005 freiberuflicher Kurator im Wiener Filmcasino und Kurator der „mediathek: architektur stadt design“ am AUT, Innsbruck. Forschungsschwerpunkte: NS-Architektur, Rotes Wien, Film- und Architekturgeschichte, künstlerische Avantgardismen, Jazzforschung. Publikationen zum Thema: Gebaute Illusionen. Architektur im Film, Wien 1988. Cinétecture – Film-Architektur-Moderne, Wien 1995. E-Mail: [email protected]
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238 Abbildungsnachweise Artikel Sachsse 53: Abb. 1: Bernhard Pfau, Villa in Mehlem bei Bonn, Aufnahme Hugo Schmölz sen., 1934 (© Werkstätte Schmölz Köln / Maurice Cox). 54: Abb. 2: Fred Dobson (Regie), The Skyscrapers of New York, American Mutsocope Co. 1906, Screenshot. 58: Abb. 3: Peter Weibel, Das Publikum als Exponat, Video-Installation 1969 (© Peter Weibel / VG Bild-Kunst). 61: Abb. 4: Jeffrey Shaw, The Legible City, Karlsruhe Installation, 1989 bis 1992 (© Jeffrey Shaw / ZKM / VG Bild-Kunst). Artikel Keim 69: Abb. e.V. 70: Abb. e.V. 80: Abb. e.V. 80: Abb. e.V.
1: Mit freundlicher Genehmigung vom Medienzentrum Frankfurt 2 Mit freundlicher Genehmigung vom Medienzentrum Frankfurt 3 Mit freundlicher Genehmigung vom Medienzentrum Frankfurt 4 Mit freundlicher Genehmigung vom Medienzentrum Frankfurt
Artikel Christolova 97: Abb. 1: Choisy, Auguste, Histoire de l’architecture, 2 vols., Paris 1899, vol. 1, 414, Archiv Christolova. 104: Abb. 2: Quelle: ww2.unitime.it@ingegneria/villa/villasavoye.htm 108: Abb. 3: „Die Verachtung“ (R.: Jean-Luc Godard, I/Fr 1963), Kinowelt Home Entertainment Leipzig 2002. 1 DVD-Video TC 58:02 (Regionalcode 2, PAL, ca. 99 Min.) 109: Abb. 4: „Contempt“ (R.: Jean-Luc Godard, I/Fr 1963), Criterion Collection New York 2002. 2 DVDs-Video (Regionalcode 1, NTSC, 104 Min.). Disc 2 Artikel Goergen 124: Abb. 1 und 2: „Eine Stadt ohne Vorbild“ (BRD 1957). Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin. Fotos aus der Kopie: Marian Stefanowski 126: Abb. 3 und 4: „Stadtplanung geht alle an!“ (BRD 1957). Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin. Fotos aus der Kopie: Marian Stefanowski 127: Abb. 5 bis 8: „Stadtplanung geht alle an!“ (BRD 1957). Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin. Fotos aus der Kopie: Marian Stefanowski 128: Abb. 9 bis 14: „Stadtplanung geht alle an!“ (BRD 1957). Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin. Fotos aus der Kopie: Marian Stefanowski 134: Abb. 15: „Die Welt baut in Berlin“ (BRD 1957). Landesarchiv Berlin. DVD-Screenshots 141: Abb. 16 bis 21: „Stadtplanung geht alle an!“ (BRD 1957). Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin. Fotos aus der Kopie: Marian Stefanowski 143: Abb. 22 und 23: „Stadtplanung geht alle an!“ (BRD 1957). Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin. Fotos aus der Kopie: Marian Stefanowski Artikel Robbers 166: Abb. 1: Universitätsbibliothek Heidelberg http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/neue_frankfurt1928/1006 166: Abb. 2: Archiv Lutz Robbers. 169: Abb. 3: Archiv Lutz Robbers.
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171: Abb. 4: Archiv Lutz Robbers. 172: Abb. 5: Archiv Lutz Robbers. Artikel Schrödl 182: Abb. 1: Walter Hege, Die Nagelkapelle & Ehemaliger Kapitelsaal, nach 1251/um 1455, Bamberg: Sankt Peter und Georg, Anfang 1930er-Jahre, aus: Pinder, Wilhelm/Hege, Walter, Der Bamberger Dom, und seine Bildwerke (1927), Berlin 2. Auflage 1933, Tafel 35. Foto Marburg, Foto: Hege, Walter, Aufnahme-Nr. 226.278. 187: Abb. 2: Unbekannter Fotograf, Berlin Stresemannstraße bei Nacht im Juli 1932, Bundesarchiv Bild 102-13681. Wikimedia Commons, lizenziert unter GNU-Lizenz für freie Dokumentation (Lizenztext siehe ANHANG A), http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/95/ Bundesarchiv_Bild_102-13681,_Berlin,_Stresemannstraße_bei_ Nacht.jpg. 191: Abb. 3 Standbild, Raum im kreisenden Licht, Regie und Drehbuch: Carl Lamb, Deutschland 1936, S/W, Ton, ca. 17 min, Nachlass Carl Lamb, Archiv Susanne Hepfinger, München. Artikel Agotai/Bächtiger 208: Abb. 1: Auszug „Entstehungsansichten“ – Das Manifest, Matthias Alder und Gerlinde Zuber, 2013, Archiv Doris Agotai/Marcel Bächtiger. 208: Abb. 2 und 3: Filmstills aus Studierendenprojekten im Sommersemester 2013 an der ETH Zürich, Archiv Doris Agotai/Marcel Bächtiger. Artikel Threuter 215: Abb. 1: Cover der DVD „LOOS ORNAMENTAL“ von Heinz Emigholz, 2006, LOOS ORNAMENTAL Heinz Emigholz, A 2008, 72 min, Produktion: Amour Fou Filmproduktion und KGP – Kranzlbinder Gabriele Production in Zusammenarbeit mit Heinz Emigholz Filmproduktion, DVD, Filmgalerie 451, Jahr 2008. 217: Abb. 2: Pym Film Logo, LOOS ORNAMENTAL Heinz Emigholz, A 2008, 72 min, Produktion: Amour Fou Filmproduktion und KGP – Kranzlbinder Gabriele Production in Zusammenarbeit mit Heinz Emigholz Filmproduktion, DVD, Filmgalerie 451, Jahr 2008. 219: Abb. 3: „LOOS ORNAMENTAL“: Villa Müller, Prag 2006, LOOS ORNA MENTAL Heinz Emigholz, A 2008, 72 min, Produktion: Amour Fou Filmproduktion und KGP – Kranzlbinder Gabriele Production in Zusammenarbeit mit Heinz Emigholz Filmproduktion, DVD, Filmgalerie 451, Jahr 2008. 219: Abb. 4: „LOOS ORNAMENTAL“: Villa Müller, Prag 2006, LOOS ORNA MENTAL Heinz Emigholz, A 2008, 72 min, Produktion: Amour Fou Filmproduktion und KGP – Kranzlbinder Gabriele Production in Zusammenarbeit mit Heinz Emigholz Filmproduktion, DVD, Filmgalerie 451, Jahr 2008. 221: Abb. 5: „LOOS ORNAMENTAL“: Buchhandlung Manz, Wien 2006, LOOS ORNAMENTAL Heinz Emigholz, A 2008, 72 min, Produktion: Amour Fou Filmproduktion und KGP – Kranzlbinder Gabriele Production in Zusammenarbeit mit Heinz Emigholz Filmproduktion, DVD, Filmgalerie 451, Jahr 2008.
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Großen Dank schulden wir dem Institut für Kunstwissenschaft und Philosophie der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz und dem Forschungsfeld wohnen+/ausstellen in der Kooperation des Instituts für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik der Universität Bremen mit dem Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender (Leitung: Prof. Dr. Irene Nierhaus, Dr. Kathrin Heinz) für die Trägerschaft der Tagung „Film als Medium der Architekturgeschichte“ vom 4. bis 6. Oktober 2012 am Institut für Kunstwissenschaft und Philosophie der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz sowie der zugehörigen Publikation „Architektur im Film. Korrespondenzen zwischen Film, Architekturgeschichte und Architekturtheorie“; Prof. DDr. Monika Leisch-Kiesl, die als Leiterin des Fachbereichs Kunstgeschichte und damalige Präses des IKP die Tagung und Publikation unterstützt hat; dem Institutssekretär des IKP, Mag. Reinhard Kren, der uns bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung mit Rat und Tat zur Seite stand und für alle Probleme einen Ausweg wusste; Herrn Josef Tiefenthaler, der sachverständig die technische Betreuung der Filmabende übernommen hat; dem damaligen Rektor der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz, Prof. Dr. Ewald Volgger OT, danken wir für sein Interesse an der Tagung und die freundliche Begrüßung der Tagungsteilnehmer/-innen. Bei der Gestaltung der Filmabende, einem unverzichtbaren Teil des Tagungsprogramms, haben uns mehrere Institutionen unterstützt. Unser Dank geht an das Moviemento Programmkino; das Cinematograph Kino wie damals und dessen Leiter Mag. Georg Kügler; das Österreichischen Filmmuseum, die Cinematheque suisse, das Landesfilmarchiv Bremen, das Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv, Berlin, das Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung und das Medienzentrum Frankfurt e.V., die nicht nur Filme zur Verfügung gestellt, sondern unsere Filmsichtung in besonderer Weise unterstützt haben; Susanne Hepfinger („Raum im kreisenden Licht“), Oliver Lammert („Die Stadt von Morgen. Ein Film vom Städtebau“) sowie Sünke Michel („Wo wohnen alte Leute?“), die sich in großzügiger Weise bereit erklärt haben, bei der Filmsichtung auf eine Vergütung zu verzichten. Die aktive Unterstützung von Prof. Dr. Sigrid Schade, Zürcher Hochschule der Künste, hat es uns ermöglicht, die Filmabende nicht nur abzurunden, sondern auch besondere Akzente zu setzen. Ohne finanziellen Beistand lassen sich weder wissenschaftliche Tagungen noch Publikationen verwirklichen. Wir danken dem Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender Bremen und dem Bischöflichen Fonds zur Förderung der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz für die Förderung von Tagung und Publikation, der Raiffeisen Landesbank Oberösterreich für das Sponsoring der Publikationsreihe, der Günter Rombold Privatstiftung, dem Land Oberösterreich, Abteilung Woh-
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242 nungsbauförderung, der Neue Heimat – Neue Heimat und der Welser Heimstätte für ihre Beihilfe zur Durchführung der Tagung. Am Erfolg der Tagung und der Qualitätssicherung der Publikation hatten und haben die Referenten/-innen und Autoren/-innen entscheidenden Anteil. Wir danken für ihre anregenden Vorträge auf der Tagung in Linz 2012 sowie für ihre kenntnisreichen Beiträge für die Publikation. Besonders gefreut haben wir uns, dass Dipl. Ing. Marcel Bächtiger, Mag. Jeanpaul Goergen und Prof. Dr. Rolf Sachsse kurzfristig bereit waren, sich mit einem Aufsatz an der Veröffentlichung zu beteiligen. Von der Expertise alle Beitragenden auf dem Gebiet von Film- und Architekturgeschichte haben wir in hohem Maße profitiert. Die vorliegende Publikation erscheint in der Reihe „Linzer Beiträge zur Kunstwissenschaft und Philosophie“. Wir danken den Herausgebern der Reihe, Prof. DDr. Monika Leisch-Kiesl und Prof. Dr. Michael Hofer, für ihre Bereitschaft und ihr Vertrauen, uns dieses Forum zu eröffnen. Mag. Nicole Bindreiter hat uns bei der Redaktion der Texte unterstützt. Ihre Sorgfalt beim Korrekturlesen, ihre kritischen Nachfragen und Verbesserungsvorschläge waren uns eine sehr wertvolle Hilfe. Wir bedanken uns bei ihr für ihre engagierte Mitarbeit.
Linzer Beiträge zur Kunstwissenschaft und Philosophie Michael Hofer (Hg.) Über uns Menschen Philosophische Selbstvergewisserungen 2010, 148 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-8376-1540-1
Michael Hofer, Monika Leisch-Kiesl (Hg.) Evidenz und Täuschung Stellenwert, Wirkung und Kritik von Bildern 2008, 172 Seiten, kart., zahlr. Abb., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1003-1
Monika Leisch-Kiesl, Johanna Schwanberg (Hg.) Was spricht das Bild? Gegenwartskunst und Wissenschaft im Dialog 2011, 210 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1496-1
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Linzer Beiträge zur Kunstwissenschaft und Philosophie Birgit Recki (Hg.) Kunst als symbolische Form Ernst Cassirers ästhetische Theorie Dezember 2015, ca. 240 Seiten, kart., ca. 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2501-1
Guy van Kerckhoven Epiphanie Reine Erscheinung und Ethos ohne Kategorie 2009, 56 Seiten, kart., 12,80 €, ISBN 978-3-8376-1209-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de