Arbeitslosigkeit und Kriminalität: Eine kriminologische Untersuchung [Reprint 2019 ed.] 9783111648378, 9783111265032


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Arbeitslosigkeit und Kriminalität: Eine kriminologische Untersuchung [Reprint 2019 ed.]
 9783111648378, 9783111265032

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Abhandlungen des kriminalistischen Instituts an der Universität Berlin. H e r a u s g e g e b e n von

Dr. Franz von Liszt, Professor der R e c h t e in Berlin

Dritte Folge.

und

Dr. Ernst Delaquis,

P r o f e s s o r der R e c h t e in F r a n k f u r t a . M.

Erster Band.

4. Heft.

Arbeitslosigkeit und Kriminalität. Eine kriminologische Untersuchung

von

Adolf Löwe.

Berlin 1914. J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. H .

Vorbemerkung. Im Zusammenhange mit den Bestrebungen der neuesten Philosophie, die materialistisch-mechanistische Weltanschauung durch einen neuen Idealismus zu ersetzen, machen sich auch in der Kriminologie einige Stimmen bemerkbar, die die seither gewonnenen Anschauungen einer kritischen Prüfung unterziehen. Hier wie dort will es nicht' mehr genügen, das Individuum als nichts anderes als den Schnittpunkt unendlich vieler, bei vollendeter Methode der Untersuchung deutlich erkennbarer Fäden anzusehen; man sucht nach einem neuen Ichpunkt, der unverrückbar stehen soll im Strome der Wandlungen, aus nichts heraus bestimmbar als aus sich selber. Gibt man diese Bestrebungen als berechtigt zu, so mag es auf den ersten Blick fast als verspätet erscheinen, eine Untersuchung anzustellen über die Wirkung' der Arbeitslosigkeit als eines kausalen Faktors für das kriminelle Verhalten der davon betroffenen Individuen. Sieht man jedoch näher zu, so wird die Bedeutung der kausalen Faktoren des Verbrechens nicht im geringsten in Frage gestellt durch diese Tendenz zum Rein-Individuellen im Individuum. Die Frage der Kriminologie konnte ja nie lauten: Gibt es Faktoren, auf die das Individuum kriminell reagieren m u ß ? Richtig gestellt kann die Frage nur lauten: Gibt es Faktoren, die eine kriminelle Neigung des Individuums erwachen lassen oder begünstigen? Und diese Frage stellt sich durchaus nicht in Gegensatz zu der Frage nach einem unveränderlichen Individualitätspunkt. Im Gegenteil wird sich die unverwechselbare Individualität als solche erst recht erweisen können innerhalb des Gewebes unzähliger ihre Wirkung ausstrahlender Faktoren. i* 569

4

Abhandlungen des kriminalistischen Instituts.

Aus der Überzeugung heraus, daß trotz dieses eigentlich philosophischen Streites alle praktische Bedeutung der Kriminologie in der Erkenntnis immer neuer kausaler Faktoren des Verbrechens liegt, ist die folgende Untersuchung über den Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Kriminalität hervorgegangen. Bedingt durch die Eigenart unserer agrarischen Verhältnisse beschränken sich die Darlegungen zunächst auf die Arbeitslosigkeit in der Industrie. In einem bestimmten Zusammenhange wird sich Gelegenheit finden, auf die besondere Lage des ländlichen Arbeiters einzugehen. I. Faßt man das Material ins Auge, das als Grundlage einer solchen Untersuchung dienen könnte, so findet man den musterhaften Mitteilungen unserer Kriminalstatistik ein Nichts an Erhebungen über die Arbeitslosigkeit gegenüberstehen. In dieser brennendsten Frage unserer Sozialpolitik sind bis heute noch nicht die Anfänge gemacht zu einer systematischen Erhebung des Tatsachenmaterials. Ein einziges Mal, 1895, ist im Anschlüsse an die Berufszählung eine umfassende Zählung der Arbeitslosen unternommen worden. Aber abgesehen davon, daß das J a h r der Zählung wenig Aufschluß darüber geben konnte, was eigentlich eine allgemeine Arbeitslosigkeit für ein Volk bedeute, weil nämlich 1895 als Anfangsjahr eines neuen wirtschaftlichen Aufschwunges besonders günstige Anstellungsverhältnisse hatte, so haben überhaupt die Zahlen für ein einziges J a h r keinen Wert für eine vergleichende Untersuchung. Allein interessant für solche Zwecke war damals die Erhebung über die Dauer der Arbeitslosigkeit des einzelnen Arbeiters. E s stellte sich heraus, daß langdauernde Arbeitslosigkeit bei weitem häufiger ist als kurze. Kriminell bedeutsam kann natürlich nur Arbeitslosigkeit werden, die von einiger Dauer ist, so daß sie wirklich die Lebensverhältnisse des einzelnen erschüttert. Wenn nun in dem guten J a h r e 1895 nur etwa ein Achtel der Arbeitslosen weniger als 8 Tage arbeitslos waren, so darf man, ohne einen großen Fehler zu begehen, die 570

L ö w e , Arbeitslosigkeit und Kriminalität.

5

Gesamtzahl der Arbeitslosen als Grundlage nehmen für die kriminal -sozialen Untersuchungen. Neben dieser einmaligen Zählung hat vor einigen Monaten die Reichsregierung anläßlich der Beratungen im Reichstag ein Tabellenwerk über die Arbeitslosigkeit herausgegeben. Dieses enthält aber keine neuen Erhebungen, sondern nur ein paar Gewerkschaftsberichte, die zumeist dem Reichs-Arbeitsblatt entnommen sind und nur bis 1904 zurückreichen. Damit ist eine weitere Quelle genannt, die in den privaten Veröffentlichungen der Arbeiterorganisationen liegt. Diese sind aber so sehr zersplittert und so wenig auf das Ganze hin gearbeitet, daß sie kein klares Bild ergeben. Gute Zahlen liefern die in einigen Bundesstaaten eingerichteten Arbeitsvermittlungsstellen. Aber auch sie reichen nicht ins letzte Jahrhundert zurück. Ein wertvoller Index des Beschäftigungsgrades sind die Berichte der Krankenkassen über Zu- und Abnahme ihrer Mitglieder; bei sehr vorsichtiger Benützung können auch die Zahlen der jährlich abgegebenen Versicherungsmarken dienlich sein. Neben diesen indirekten Angaben liegen noch für einzelne J a h r e und Gewerbe aus verschiedenen Gegenden Situationsberichte vor. Alles in allem ein Material, das manche bedeutsame Einzelheit enthält, das aber als Fundament allgemeiner Folgerungen unbrauchbar ist. Die Situation wäre verzweifelt, wenn es nicht noch einen anderen, zunächst außerhalb der Statistik gelegenen Weg gäbe, die allgemeine Bewegung der Arbeitslosigkeit zu erfassen. Die industrielle Arbeitslosigkeit ist j a einerseits keine permanente Erscheinung unseres Wirtschaftslebens, sondern das spezifische Charakteristikum gewisser Wirtschaftsperioden, und andererseits in diesen Perioden keine unerklärliche Zufallserscheinung, sondern ein in seinen Ursachen unverhüllt daliegendes Phänomen. E s gibt allerdings, worauf am Schlüsse noch kurz eingegangen werden soll, eine Art permanenter Arbeitslosigkeit. Für die folgenden Untersuchungen bedeutungsvoll ist aber jene andere Art, die wie ein soziales Unwetter über den Arbeiter hereinbricht und eben durch die Plötzlichkeit ihres Eintritts seine Lebens-

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Abhandlungen des kriminalistischen Instituts.

Verhältnisse erschüttert. Diese Art, die man gewöhnlich meint, wenn man von Arbeitslosigkeit spricht, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den periodischen Schwankungen der wirtschaftlichen Konjunktur. Es ist ein halbes Jahrzehnt her, daß dieser Zusammenhang in der Krisis von 1908 und 1909 zum letzten Male in seiner äußersten Schärfe hervortrat. Und auch in der Gegenwart, wo die Zahl der Arbeitslosen wieder besonders groß ist, weisen die allseitigen Berichte über die flaue Geschäftslage auf die Ursache hin. An diesen Zusammenhang soll im folgenden angeknüpft werden, aus den Höhepunkten und den schlimmen Jahren der wirtschaftlichen Entwicklung, die das Deutsche Reich in den letzten 30 Jahren genommen hat, soll ein Anhaltspunkt gewonnen werden für die Beurteilung der Anstellungsverhältnisse. Die vorhandenen Zahlen sollen • helfen, diesen Zusammenhang zu begründen. Auf diesem Wege wird es gelingen, den Gang der Arbeitslosigkeit im ganzen über Jahrzehnte hin zu verfolgen und deutlich abgegrenzte Perioden zu gewinnen, die einen Vergleich ermöglichen. Daneben aber wird es so auch möglich sein, eine für unsere Problemstellung sehr wichtige Erscheinung einzubegreifen, die sich aller statistischen Festlegung der Arbeitslosigkeit entzieht. Man könnte es die relative Arbeitslosigkeit nennen: zwar keine totale Beschäftigungslosigkeit, aber eine beträchtliche Verminderung der täglichen oder wöchentlichen Arbeitsstunden, durch die sich der Unternehmer über den flauen Geschäftsgang hinweghelfen will, und die für den Arbeiter eine starke Lohnverkürzung bedeutet. Äußerlich betrachtet, ist ein solcher Arbeiter nicht arbeitslos. Aber seine wirtschaftliche Lage unterscheidet sich doch nur dem Grade, nicht der Art nach von der Lage eines gänzlich Beschäftigungslosen. *

*

*

Der Gang der wirtschaftlichen Entwicklung des Reiches seit den Tagen seiner Gründung bis heute stellt sich dar als ein Aufstieg zu immer größerer Blüte, der viermal durch Rückschläge 572

L ö w e , Arbeitslosigkeit und Kriminalität.

7

unterbrochen wurde. Der erste fällt gleich in die Anfangsjahre des Reiches. Er ist der Erfolg der schlecht verwalteten französischen Milliarden, die bekannte Gründerkrisis, die sich von 1873 bis 1879 hinzog. Nachdem die achtziger Jahre wohl leichte Schwankungen nach oben und unten, im ganzen aber Beruhigung gebracht hatten, brach, in erster Linie eine Folge der Mac-KinleyBill, im Anfang der neunziger Jahre die zweite Krisis herein, die sich bis 1895 hinzog. Der gegen Ende des Jahrhunderts einsetzende große Aufschwung wurde 1901 durch eine bis 1903. dauernde Depression unterbrochen. Es folgte eine neue Hochkonjunktur, deren Rückgang sich Ende 1907 anzeigte. Die Jahre 1908 und 1909 brachten die letzte Krisis, von der wir uns erst jetzt langsam erholen. Diese vier letzten europäischen Krisen unterscheiden sich von allen früheren durch eine viel weitere zeitliche Ausdehnung. War das Kennzeichen früherer Depressionen jäher Abfall mit rasch nachfolgender Erholung gewesen, so ziehen sich diese letzten Krisen alle durch mehrere Jahre hin, meist erst im zweiten Jahr den tiefsten Punkt erreichend, dann in eine Periode der Flauheit verlaufend als erstes Anzeichen einer Besserung. Das hier interessierende Moment, die Arbeitslosigkeit, erstreckt sich infolgedessen über einen längeren Zeitraum. Es ist daher ratsam, je zwei aufeinanderfolgende Jahre als Kern der einzelnen Krise zusammenzufassen, und man erhält als Perioden schlechtester Konjunktur in denletzten 30 Jahren die drei Gruppen: 1891—1892 1901—1902, 1908—1909. Die Krisis der siebziger Jahre muß aus formalen Gründen unberücksichtigt bleiben, da die entsprechenden Zahlen der Reichkriminalstatistik nicht vorhanden sind. Es gilt nun zunächst, für die Behauptung, daß Krisenjahre Maxima der Arbeitslosigkeit sind, eine statistische Unterlage zu liefern. Für die Jahre 1891—1892 ist eine solche schwer zu finden, da damals noch gar keine Nachforschungen angestellt wurden. Nur S c h a n z bringt in seinen in die neunziger Jahre fallenden Publikationen („Zur Frage der Arbeitslosenversicherung" und „Neue Beiträge") über Arbeitslosigkeit eine kurze Notiz, nach 573

8

Abhandlungen des kriminalistischen Instituts.

der die Arbeitslosenunterstützung der Gewerkschaften im Jahre 1891 für 32000 Mitglieder 44000 Mk. betrug, 1892 aber für 54000 Mitglieder 315 000 Mk., um im folgenden Jahr bei 51 000 Mitgliedern auf 215000 Mk. zu sinken. Die Zahl der Armenunterstützung genießenden Bewohner Berlins stieg von 2,8 % im Jahre 1890 auf 4,5 % 1892 und 1893 und erreichte 1894 das Maximum von 5 %, um dann wieder zu sinken. Leichter ist der Nachweis für die Krisis v o n 1901. Den Berichten der Krankenkassen nach (Tab. I) kamen auf 100 männliche Mitglieder im Jahre 1895, berechnet für sämtliche deutschen Städte, 1900: 119,0 Mitglieder, 1901: 119,8, 1902 aber nur noch 115,6. Dieser durchschnittliche R ü c k g a n g wurde noch übertroffen in B a y e r n und Rheinland-Westfalen. Nach dem Arbeitsnachweis in Preußen kamen 1900 auf 272 000 offene Stellen etwa 300000 Angebote, 1902 aber auf 295000 Stellen mehr als 500 000 Angebote. Im Krisenjahre 1909 kamen in Preußen 1,1 Millionen A n gebote auf noch nicht 700 000 Stellen, während im guten Jahre 1906 auf die gleiche Stellenzahl nur 3/4 Millionen Angebote eingingen. Während sich also 1906 offene Stellen und Arbeitsangebote beinahe entsprachen, kamen 1909 auf zwei Stellen drei Arbeitsuchende. Das gleiche Verhältnis ergibt sich für Sachsen. In Rheinland-Westfalen hatte sich 1909 die Stellenzahl um 17 % vermehrt gegen 1906, die Zahl der Arbeitsangebote aber um 50 % . Die Gewerkschaftsberichte (Tab. II) ergeben für die Krisenjahre 1908 und 1909 sogar zwei männliche Arbeiter auf eine offene Stelle. A n Arbeitslosenunterstützung zahlten die Freien Gewerkschaften 1909 auf den Kopf 4,7 Mk. gegen 3,5 Mk. im Jahre 1907; die Hirsch-Dunckerschen 3,2 Mk. gegen 1,4 Mk. 1907. Ein kurzer Auszug aus dem Arbeitsnachweis für Preußen während des ersten Jahrzehntes dieses Jahrhunderts (Tab. I I I ergibt für ganz Preußen einen übereinstimmenden Verlauf der K u r v e der Arbeitslosigkeit: zu Beginn des Jahrhunderts während der Krisis eine starke Diskrepanz zwischen offenen Stellen und Arbeitsgesuchen, die sich gegen die Mitte des Jahrzehnts mit der

574

L ö w e , Arbeitslosigkeit und Kriminalität.

T a b e l l e I. Mitgliederzahl der Krankenkassen, bezogen auf das Jahr 1895.

1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902

15 Städte in 5 Städte in SüdwestBayern deutschland männl. weibl. männl. weibl.

männl. weibl.

100 107,3 111,6 115.6 121,5 120,9 121,2 122,5

100 104,2 111,8 117,0 121,1 121,3 121,2 117,0

100 106,8 118,2

IOO 103,7 105,0 106,4

100 145,8 154,8 155,1 169,3 183,8 178,1 162,5

123,3 124,5 128,0

111,3 114,7 116,4 120,8

124,3 H3,3

10 Städte in Sachsen

100 105,9 108,9 "0,5 112,9 H9,7 123,4 123,7

24 Städte in Sämtl. Städte 13 Städte Rheinlandeinschl. östlich der Groß-Berlin Westfalen Elbe männl. weibl. männl. weibl. männl. weibl. 100 I06,8 113,6 Il6,8 121,8 121,7 120,9 115,5

100 108,9 112,4 118,3 122,3 126,9 128,1 127,9

100 101,4 103,8 108,8 111,0 111,0 110,1 110,6

100 102,8 102,8 110,1 "4,0 120,9 124,5 128,4

100 105,4 110,8 "4,8 118,6 119,0 "9,8 "5,6

100 I08,8 "3,9 118,0 123,5 129,3 132,6 132,6

T a b e l l e II. Verhältnis der gesuchten zu den offenen Stellen bei den an das Reichsarbeitsblatt berichtenden Arbeitsnachweisen.

Jahresdurchschnitt

143

80

210

94

217

175 181

*

"c 3 g 191°-s S *

85 90 95 98 94 91 105 120 107

254 229 182 166 183 165 162 154 145 163 194 218

93 87 87 104 "9 100

96

185

94

96 89 81

98 90 84 86 91 88

weibl.

95 93 91 110 125 112

318 293 231 181 188 194 202 181 168 173 209 269

157 120

000

173 178 190 182 211 287 330

87 77 76 83 91 88

160

3

6

g 9 ° 9 -s

männl. \3

männl. 217 220 172

"3 118 122 128 122 118 142 185 230

78 69 65 73 72 78 82 78 76 88 103 96

0

weibl.

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember

"3 !

weibl.

im Monat

männl.

Auf 100 offene Stellen kamen Arbeitsgesuche e

"3

3

Ii

S '

*

192 100 178 88 145 84 150 92

191 190 168 160 166 168 174 178 160 178

91 87 96 100 101 103 101 99 122

g '9 » 1 S

196 210 157 143 144 146 141 142

90 81 76 79 82

85 89 90 133 92 152 114 182 133 188 112

153 97 146 101 140 97 146 92 141 92 148 106 173 122 175 106

161

94

157

99

173 100

steigenden Konjunktur immer mehr ausgleicht, um gegen Ende des Jahrzehnts mit der neuen Krisis wieder einzutreten. 575

98

IO

Abhandlungen des kriminalistischen Instituts.

T a b e l l e III. Arbeitsnachweis für einzelne preuß. Regierungsbezirke. Berlin (Verw.-Bez.) 0 c GS

icu 1902 1903 1904 1905 1906 1907

SÂoj

I S < "

Reg.-Bez. Magdeburg V G

e

S

Itì n 0 tri

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Reg.-Bez. Breslau ,4> —< ta ü

¿ji -È «

Reg.-Bez. Wiesbaden 0G = JÜ ta a °to

21 804 78x7 10731 39813 60301 12921 16254 10746 II 734 44411 90499 99874 14982 16417 14099 15770 49255 128249 137021 22482 22551 17844 19077 56141 I452I5 170673 29782 30920 19693 20559 60829 1 2 7 3 1 2 169943 32655 37333 19952 23039 61920 37935

42829 12405

60691

¡2 -Q

Reg.-Bez. Düsseldorf Dì G G

V

ta »

< "

°°

120,1

1909

176,5

233,9

49,9

131,6

138,0

1910

152,3

211,5

40,7

i45,o

i3i,9

19 II.

168,3

204,0

59,7

153,7

114,2

1912

185,8

217,0

70,5

166,2

147,4

600

L ö w e , Arbeitslosigkeit und Kriminalität.

35

mit einem sehr hohen Preis ein, der sich aber 1882 senkt und bis 1887 einen tiefen Stand einnimmt. 1888 setzt eine energische Steigerung ein mit Maximum im J a h r e 1891, die aber gegen Mitte der neunziger J a h r e wieder ganz zurückgeht. 1897 beginnt eine neue Steigerung mit Höhepunkt 1898, die anhält bis 1902. 1905 setzt eine dritte Aufwärtsbewegung ein, die sich bis 1909 hinzieht. Wie bei den Krisen sind es hier abermals drei Perioden, aber von größerer Ausdehnung: 1888 bis 1892, 1897 bis 1902, 1905 bis 1909. Die zweite Hälfte jeder dieser Perioden fällt zusammen mit je einer Krisenperiode. Außerdem aber umfassen die Perioden höchster Preise jene rätselhaften J a h r e 1898 und 1906, die in einer Zeit blühendster Konjunktur eine starke Zunahme der Kriminalität aufgewiesen haben. Das J a h r 1889, ebenfalls ein J a h r großer Steigerung der Preise und günstiger Konjunktur, zeigt die gleiche Zunahme der Delikte. (Vergl. Tab. IV.) Für den sich hierin ausdrückenden Zusammenhang zwischen Kriminalität und Getreidepreisen spricht nicht nur die gleichzeitige Aufwärtsbewegung beider Skalen in den aufeinander bezüglichen Jahren. Vielmehr deutet die besondere Art der Aufwärtsbewegung der Kriminalitätszahlen in den Jahren 1889, 1898 und 1906, nämlich ein plötzlicher Sprung, der im nächsten J a h r e wieder ausgeglichen ist, auf eine Ursache hin, die entweder nur kurze Zeit wirkte oder aber nur im Moment ihres Auftretens die wirtschaftliche Lage der Betroffenen erschütterte, in ihrer weiteren Wirkung jedoch paralysiert wurde. Das letztere gilt von der Steigerung der Getreidepreise. Sie hat bei ihrem Auftreten eine starke Verkürzung des Reallohnes des industriellen Arbeiters zur Folge, d. h. die Menge der gegen seinen Geldlohn eintauschbaren Dinge verkleinert sich erheblich. Keineswegs aber steht er dem absoluten Nichts gegenüber wie der gänzlich Arbeitslose. Die Wirkung der hohen Lebensmittelpreise ist eher der Wirkung der relativen Arbeitslosigkeit, d. h. der Lohnverkürzung durch Arbeitseinschränkung in den Krisenjahren, zu vergleichen. Nach der ersten Erschütterung seiner Verhältnisse unter dem Eindruck der Umwälzung gewöhnt sich der 601

3*

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Abhandlungen des kriminalistischen Instituts.

Arbeiter allmählich an seine verschlechterte Lage, indem er seine Ansprüche einschränkt oder durch Streik einen höheren Lohn zu erkämpfen sucht. Auf diesen letzteren Umstand sind die gewaltigen Ausstände in den Jahren der Preissteigerung 1905 und 1906 zurückzuführen. Sie sind, wie oben gesagt wurde, eine Folge der gleichen Ursache, die auch das Steigen der Kriminalitätsziffern verschuldet hat. Die Getreidepreise erweisen sich damit, in Widerspruch mit M ü l l e r s Behauptung, auch heute noch als ein von der allgemeinen industriellen Konjunktur unabhängiges Moment der Kriminalsoziologie, das selbständig die Kriminalität beeinflußt. Und zwar sind die Delikte, die hier in Betracht kommen, dieselben, die auch der Einwirkung der Konjunktur unterliegen, also in erster Linie die Vermögensdelikte. Dieser Parallelismus erklärt sich durch die sachliche Verwandtschaft dieser beiden wirtschaftlichen Momente, die beide eine Notlage der arbeitenden Klassen hervorrufen, und auf die die Bevölkerung daher mit den gleichen Delikten reagiert. Der kriminelle Einfluß der Preise ist bei allen Gliedern der Bevölkerung zu spüren, bei Männern und Frauen, bei Ledigen und Verheirateten, vor allem aber bei den Jugendlichen. (Siehe Seite 2 1 . ) Hat sich so mit Hilfe der Statistik der Getreidepreise diese eine bisher rätselhafte Erscheinung der Kriminalstatistik erklären lassen, so hat diese selbe Skala der Preise zugleich unsere sämtlichen bisherigen Ergebnisse in Frage gestellt. Wir sahen oben, daß die Perioden der hohen Preise sich über sämtliche Krisenjahre hin erstrecken, eine Tatsache, aus der B e r g folgerte, daß sämtliche Steigerungen der Kriminalität durch die hohen Preise und nicht durch die industrielle Konjunktur verursacht würden. Nun hat sich zwar oben die genaueste Übereinstimmung ergeben zwischen Kriminalität und Konjunktur, aber die soeben betrachteten Zahlen sprechen ebensogut für B e r g . Da er der Konjunktur einen gewissen regulierenden Einfluß zuerkennt auf der Basis der Preise, so kann er die sämtlichen Ergebnisse dieser Untersuchung anerkennen und doch an seiner Theorie von der zu allen Zeiten bestehenden Priorität der Preise festhalten. Uns aber kam es gerade darauf an, die Schwankungen 602

L ö w e , Arbeitslosigkeit und Kriminalität.

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der Konjunktur, d. h. der Arbeitslosigkeit als einen primären, um alle anderen Einflüsse unbekümmerten Faktor zu erweisen. Gibt es eine Möglichkeit, zwischen diesen beiden Anschauungen zu entscheiden, deren jede scheinbar durch die Zahlen gestützt wird ? Die Zahlen für die Gesamtbevölkerung werden nie Klärung bringen. Betrachten wir aber noch einmal die Kriminalität der Bevölkerung nach ihrer beruflichen und örtlichen Gliederung. Die Industrie weist in dem guten Wirtschaftsjahre 1898 infolge der hohen Preise eine absolute Zunahme der Diebstähle um 6y 2 % auf, gegenüber 1897 (Tab. I X ) . In der Landwirtschaft ist dagegen keine Veränderung zu konstatieren 1898 gegenüber 1897. Die Diebe haben also hier relativ abgenommen. 1905 bis 1907, die andere Periode mit blühender Konjunktur aber hohen Preisen, ergibt für die Industrie eine absolute Zunahme der Diebe um 10 %, für die Landwirtschaft eine absolute Abnahme um 3T/3 %. Von den einzelnen deutschen Landesteilen weisen 1898 keine Zunahme auf (Tab. X ) : Ostpreußen, Westpreußen, Hannover und Württemberg, also Gebiete mit vorwiegend agrarischer Bevölkerung. Dazu kommen noch Brandenburg, SchleswigHolstein, Hessen-Nassau und Provinz Sachsen, in denen zwar die industrielle Bevölkerung überwiegt, die aber damals doch noch über 40 % Landwirtschaft hatten. Die größte Zunahme dagegen (bis zu 14 % relativ) zeigen die Städte, Königreich Sachsen, Braunschweig und Westfalen, also die Gebiete mit der größten industriellen Bevölkerung. Noch reiner kommt dies zum Ausdruck 1905 und 1906. Hier zeigen alle Gebiete eine Zunahme außer Ostpreußen, Pommern, Posen und Mecklenburg, also gerade die agrarischen Hauptgebiete. Etwas sehr Natürliches hat sich damit ergeben: hohe Getreidepreise beeinflussen die Kriminalität der industriellen Bevölkerung ungünstig, nicht aber die der agrarischen. W'ährend die Preise auf die Industriegebiete drücken, haben j a die agrarischen Gebiete Vorteil von ihnen. Dies könnte mißverstanden werden. Daß der freie Bauer, der auf eigenem Grund und Boden sitzt, Vorteil aus hohen Getreidepreisen zieht, ist selbstverständlich. In den agrarischen Hauptgebieten des Nordens und Ostens 603



Abhandlungen des kriminalistischen Instituts.

unseres Reiches jedoch, um die es sich hier handelt, besteht die Masse der Bevölkerung nicht aus freien Bauern, sondern infolge des dort dominierenden Großgrundbesitzes aus Landarbeitern. Der Landarbeiter hat unmittelbar keinen Vorteil von hohen Preisen seines Produktes, sein Lohn bestimmt sich genau wie der des Industriearbeiters nach dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften. Dieses Lohnfixum kann bei hohen Preisen allerdings indirekt dadurch erhöht werden, daß die hohen Profite den Grundbesitzer zur Ausdehnung des Anbaues veranlassen, daß also die Nachfrage nach Arbeitskräften steigt und damit der Lohn. Dies ist aber hier nicht das Entscheidende. Ausschlaggebend ist, daß das Lohnfixum, auch wenn es nicht erhöht wird, im Gegensatz zum Industriearbeiter beim Landarbeiter nicht nur dem Namen, sondern auch der Sache nach sich gleichbleibt, ob die Preise steigen oder fallen. Wenn die Getreidepreise steigen und der Nominallohn des Industriearbeiters unverändert bleibt, so ist sein Reallohn tatsächlich gesunken, weil er in Geld entlohnt wird. In den hier in Frage kommenden agrarischen Gebieten ist aber noch heute die Naturallöhnung vorherrschend. Es überwiegt das sogenannte Instenverhältnis, bei dem die Arbeiterfamilie auf ein Jahr engagiert und durch einen Anteil an der Ernte und am Erdrusch entlohnt wird. Die Arbeiter erhalten daneben noch einen kleinen Tagelohn in Geld, ihre Existenz ist aber, wenn sie überhaupt eine Anstellung haben, gesichert, ob die Preise hoch oder niedrig sind. Das Verhältnis ist heute in Umbildung begriffen, die Entlohnung in Geld nimmt immer mehr zu. Dadurch wird der Landarbeiter immer mehr dem Industriearbeiter gleichgestellt, was vielleicht auch schon in der Statistik der Diebstähle zum Ausdruck kommt, wenn ein so sehr agrarisches Gebiet wie Westpreußen 1906 schon eine kleine Zunahme der Diebe zeigt. Immerhin ist aber in den hier in Betracht kommenden Jahren die Naturallöhnung noch unbedingt vorherrschend und bietet eine ausreichende Erklärung dafür, daß die Lebenswohlfahrt des ländlichen Arbeiters durch hohe Getreidepreise nicht ebenso beeinträchtigt wird wie die des Industriearbeiters, daß er daher auch nicht wie dieser kriminell auf sie reagiert.

604

L ö w e , Arbeitslosigkeit und Kriminalität.

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Während nun die Preise unverändert hoch bleiben, bricht plötzlich zwei Jahre später eine Krisis über die Industrie herein, die eine weitreichende Arbeitslosigkeit zur Folge hat. Die Diebe nehmen zu in der Industrie und nun auch in der Landwirtschaft (Tab. IX), wie wir oben sahen. Die Zunahme in der Industrie könnten die hohen Preise verschuldet haben. Es ließe sich dagegen vielleicht der Rückgang der hohen Diebstahlsziffern im Zwischenjahre 1907, dem zweiten Jahre der hohen Preise und letzten Jahre der Hochkonjunktur anführen. Die oben besprochene Anpassung an die veränderte Wirtschaftslage ist hier wirksam geworden, und es wäre nun sonderbar, daß die seit 1906 unveränderte Höhe der Preise 1908 mit einem Male wieder eine Zunahme der Diebstähle bewirkte. Immerhin aber wird die Frage innerhalb der industriellen Verhältnisse nicht endgültig zu entscheiden sein. Ganz anders in den agrarischen Gebieten. Sie zeigen sämtlich 1908 und 1909 eine starke Zunahme der Diebe, Ost- und Westpreußen um 10 %, Mecklenburg um 20 % relativ. Auf die hohen Preise kann die Steigerung nicht zurückgeführt werden. Was 1906 als plötzlich hereinbrechendes Ereignis ohne Wirkung war, kann nicht auf einmal 1908 wirken, wenn man anderwärts sich schon 1907 den veränderten Verhältnissen angepaßt hatte. Nun tritt die Steigerung der Kriminalität auf dem Lande in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang ein mit der Krisis in der Industrie. Ließe sich hier ein kausaler Zusammenhang nachweisen, d. h. beeinflußte die Arbeitslosigkeit in der Industrie den Arbeitsmarkt auf dem Lande, so daß es auch hier zu einer Arbeitslosigkeit kommt, dann wäre ein nicht mehr bestreitbarer Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Kriminalität nachgewiesen. Wie ist aber eine Wirkung der industriellen Krisis auf den ländlichen Arbeitsmarkt zu verstehen, wenn, wie oben bemerkt wurde, keine Rückwanderung der städtischen Arbeitslosen aufs Land zu konstatieren ist ? Es wurde oben schon erwähnt, daß die hier in Frage stehenden agrarischen Hauptgebiete sämtlich Gebiete mit überwiegendem Großgrundbesitz sind. Wie man sich im übrigen zu dieser BodenVerfassung stellen mag, soviel kann nicht bestritten werden, 605

40

A b h a n d l u n g e n des kriminalistischen Instituts.

daß sie die Landflucht verursacht hat, die seit 40 Jahren das Charakteristikum der räumlichen Bewegung unseres Volkes ist. Wenn es dazu noch einer statistischen Unterlage bedarf, so soll aus O p p e n h e i m e r „Theorie der reinen und politischen Ö k o n o m i e " zitiert werden, daß zwischen 1885 und 1890 der Süden und Westen Deutschlands 13 % des Geburtenüberschusses in die Industriebezirke abgegeben hat, der Nordwesten 30 %, der Osten 75 % . Diese Landflucht ist nun aber von der größten wirtschaftlichen Bedeutung nicht nur für die Wegziehenden, sondern auch für die Zurückbleibenden. Wir sahen, daß die überwiegende Mehrzahl der agrarischen Bevölkerung aus Landarbeitern besteht, deren Einkommen nicht bestimmt wird durch den Marktpreis ihrer Produkte, sondern durch das Verhältnis zwischen A n g e b o t und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Das einzige Mittel zur Steigerung seines Lohnes, des der Arbeiter hat, ist die Verminderung des Angebotes von Arbeitskräften. Diese Verminderung wird erzielt durch den steten A b f l u ß von Arbeitern nach der Industrie. Indem der Landarbeiter den höheren Löhnen der Industrie nachzieht, da dort bei guter K o junktur die Nachfrage nach Arbeitern größer ist als das Angebot, vermindert er zugleich das Angebot von Arbeitern auf dem Lande und ermöglicht so eine Aufwärtsbewegung der ländlichen Arbeiterlöhne. Die chronische Landflucht ist daher bei den heutigen Bodenverhältnissen der einzige und unentbehrliche Zustand,- bei dem der Landarbeiter teilhaben kann an der allgemeinen Zunahme des Einkommens und Steigerung der Lebenshaltung. Bricht nun eine Krisis über die Industrie herein, so kann diese keine Arbeitskräfte mehr aufnehmen und der kontinuierliche A b f l u ß v o m Lande nach der Stadt ist unterbrochen. Es ist nicht nötig, daß ein einziger Arbeiter zurückwandert aufs Land. Dadurch, daß die Krisis den A b f l u ß nach der Stadt zum Stillstand zwingt, schwillt das Angebot auf dem Lande so sehr an, daß zum mindesten die Löhne beträchtlich sinken. Eine zahlenmäßige Grundlage für die Behauptung, daß die Landflucht in den Krisenjahren gehemmt werde, bieten die Mitteilungen über Zu- und Abwanderungen in den deutschen Städten

606

L ö w e , Arbeitslosigkeit und Kriminalität.

41

(Tab. X I I ) . E s zeigt sich durchweg in den drei Krisenperioden eine beträchtliche Abnahme der Zuwanderungen, bei der allerdings nicht festgestellt werden kann, ob in erster Linie die Zuwanderung vom Lande her oder die aus anderen Städten zurückging. Einen sichereren Schluß erlaubt daher die Tabelle X I I I , in der die relative Zu- und Abwanderung für die einzelnen Provinzen und Bundesstaaten angegeben ist, und zwar für die beiden wirtschaftlich schlechten J a h r f ü n f t e 1890 bis 1895 und 1900 bis 1905 sowie für das gute J a h r f ü n f t 1895 bis 1900. Die industriellen Hauptgebiete, Westfalen, Rheinland, Königreich Sachsen, Berlin, zeigen in den guten Jahren eine bedeutende Zuwanderung gegenüber den minimalen Zuzügen in den Krisenperioden. Umgekehrt ist die Abwanderung aus den agrarischen Hauptgebieten, Ostpreußen, Posen, Mecklenburg in den Krisenjahren gering gegenüber den Verlusten in dem wirtschaftlich günstigen J a h r f ü n f t . Noch deutlicher geht dies aus Tabelle X I V hervor, nach welcher die agrarische Bevölkerung der Gebiete mit vorwiegendem Großgrundbesitz, also Ost- und Westpreußen, Pommern und Posen, von J a h r f ü n f t zu J a h r f ü n f t eine kleine Abnahme zeigt mit Ausnahme der Periode 1890 bis 1895, in der diese sämtlichen Gebiete eine merkliche Zunahme aufweisen. Andere Gebiete mit bedeutender agrarischer Bevölkerung wie der ganze Westen, in denen aber das Bauerngut vorherrscht, zeigen keinerlei Beeinflussung durch die Krisen. Wo aber die Landarbeiter vorherrschen, hemmt die Krisis, wie die Zahlen erweisen, den notwendigen Abfluß nach der Stadt und erzeugt ein Uberangebot auf dem ländlichen Arbeitsmarkt. Wenn überhaupt alle Arbeiter auf dem Lande Beschäftigung finden — Erhebungen sind hierüber nicht vorhanden —, so werden sie doch nur zu einem solch niederen Lohn angenommen, daß zum mindesten eine große relative Arbeirslosigkeit entsteht. In unmittelbarer Abhängigkeit von der industriellen Krisis erfolgt so ein Niedergang der wirtschaftlichen Lage des Landarbeiters, obwohl keine Rückwanderung aufs Land erfolgt und zu gewöhnlichen Zeiten auf dem ländlichen Arbeitsmarkte Unterangebot herrscht. Und wenn nun auf dem Lande die Kriminalität in den Krisenjahren eine starke Zunahme zeigt, so kann hier die Frage:

607

Abhandlungen des kriminalistischen Instituts.

T a b e l l e XII.

Zu- und A b w a n d e r u n g in (nach Neefe : Jahrbuch

1891 Berlin Breslau Halle Dresden Plauen Liegnitz Köln Essen Barmen Dortmund Duisburg Bochum Mannheim Augsburg Nürnberg Frankfurt a. M. Hamburg

1892

1894

>893

+ 39 562 + 27036 + 30355 + 28060 + 40 554 5727 + 5036 + 6155 + 6882 + 6628 317 + 4185 7457 + 2828 + 1 9 1 2 — + 10003 + 8136 — — + 13220

+ +

+ + + + +





-







6083 6981 1142 3881 3044

+ —

+ + +



+ + + +

+ + + + + + + +

2 379 1967 864 1274 1640 —

6 573 4308 4837 2 939

+ +

127 3256 1635







+





4186 1871 2 536 1876 1643 1904 41 3949 379 1963 — -



1896

1895

+ 52037 + 8259 + 4 309 + 12051



+ + + + + + + + + + +



360 +

347 — 5 745 2 595 + 1805 + 3318 + 948 + 1310 + 849 4964 + 3956 + 8007 + + 13890 +



98. —

4 541 1144 4670 2075 1128 —

+ + + + +

5 529 3080 7434 1840 2963 —

3915 + 3190 6 1 3 3 + 7 387 8281 + 4827 18315 + 24049 Zuzug in ein-

Berlin Düsseldorf Nürnberg Chemnitz Duisburg Barmen Essen Dortmund Mannheim Frankfurt a. M.

1889

1890

1891

1892

1893

195 743 23 345 23 6 1 1

196 786 27 133 24 811

192 550 25249 25 161

177 744 26 601 13863 25 262 9 405 11 212 9401 16 409 16 141

180 118

34 730 9 798 12918 17 661 15 589



10 12 18 15









300 663 520 248

hohe P r e i s e oder A r b e i t s l o s i g k e i t ? werden,

daß

die

durch

ein

25 693 10 892 1 1 993 20 009 17 554 19 593 51 634



eindeutig dahin

Überangebot

von

27 358 1 1 881 27 074 9 160 12 333 19956 17 106 —

54 175 entschieden

Arbeitskräften

h e r v o r g e r u f e n e a b s o l u t e oder r e l a t i v e A r b e i t s l o s i g k e i t die D i e b stahlsziffern e r h ö h t h a t .

608

L ö w e , Arbeitslosigkeit und Kriminalität.

43

deutschen Städten. d. Städte.)

1900

1901

1902

i93

+ 59515 8673 3065 5197 2667 378 595 2932 1303

-f 29480 + 5160 + 816 + 5643 + 1989 96 + + 1142 + 2481 + 1276 + 5029 2049 — + 1933 + 4319 + 8077 + 2331 + 1927 + 20413

+ 38533 + 3820 — 34 + 3184 + 5447 + 671 + 5671 7010 — + 997

+ 66965 + 9647 + 4365 + 7158 — 3405 + 328 + 6512 + 9468 + 283 + 7936 + 3542 + 1745 + 10865 + 3284 + 16933 + 5089 + 16580

+ + + + + + + + + + + +



393i 2247 6245 5702 —

+ 3131

+ 26753



+ 810 + 1041 —

2655

+ 3384 + 6411 + 3665

+ 17229

1907

1909

1908

+ 46982 — + 5 563 + + 3398 — + 7864 + + 2145 — + 1109 + + I47I7 + + 4"6 + — 520 — + 9388 + + 2079 — + 4974 + + 8389 + + 4368 +

20834 — 3881 + 2912 — 2980 + 1947 + 283 + 2603 + 6187 + 1507 + 1644 — 1069 — 2018 — 2 554 + 3248 + 81 + — + + 4820 + 3943 + + 26787 + 7154 +

13883 4097 588 947 387 1095 919 3890 1054 2 349 5259 379 7147 3102 3098 5246 37 645

1910 + +

269 4891 —

+ + + + + + + + + + + + + +

17 3636 806 1908 3035 515 558 3025 10845 10153 5487 7484 7816 22623

zelnen Städten. 1900

1901

1902

«9°3

1907

1908

1909

250 881 44 321 28 109 37 422 23 933 18 040 35 466

232 271 40 631 18 410 32 212 17 151 16 778 37 717 29 904 28696 74 9io

238 602 45 376 26 095 36 439 17 767 18289 28 003

254070 43 049 31 769 39 243 19772 20 027 33 748 37 217 27 323 77 059

273 688 50 933

244 060 46 645 29 758 43 4io 44 726 19 138 50 898 44 217 30 527 69852

251 983 51 417 30 936 45 °8i 40 005 21 182 44 820 38 804 27 976 7i 235



24 758 77 992



25 969 75 i9i



48 33i 5i 793 20 058 58 204 49 135 33 396 73860

Wirft die durch die Fernwirkung der Krisen hervorgerufene Arbeitslosigkeit auf dem Lande die hier herrschende Stabilität der kriminellen Verhältnisse über den Haufen, so kann nicht mehr bezweifelt werden, daß für die viel reizbarere Kriminalität

609

Abhandlungen des kriminalistischen Instituts.

T a b e l l e XIII. Wanderungsgewinn und -verlust auf iooo der mittleren Bevölkerung. 1890/1895

1895/1900

1900/1905

Ostpreußen



8,84

—14,65



Westpreußen



9,24



9,15 14,24



Berlin

i,99 8,65

Brandenburg Pommern Posen Schlesien

- 3,58

15,02

6,85



7,5i

—13,77



9,55 2,35



3,23



P r o v . Sachsen



5,24



4,66



Schleswig-Holst.



3,12



0,45

Hannover



o,49



1,56 12,09

Westfalen Hessen-N.

2,79 —

Rheinland

8,40 7,14

7,22 -

— 7,04 —10,08

8,81

0,85 o,73

1,25 6,69 0,26

3,32 1,41

-

1,63 3,07 3,26 3,99

Preußen



1,91

Bayern



1,90



0,51



Württemberg



4,94 0,90



4,09



i,33

4,48



0,50 1,12

Sachsen Baden



1,67

Hessen



1,72

Mecklenburg

-

3,98

Braunschweig

1,30

Bremen

5,01

Hamburg

3,3i 1,26 — —

6,54

Elsaß-Lothr.



2,77

Reich



i,77

o,54



7,79 0,86

2,19

1,03 — —

4,47 3,39

13,36

18,34

9,42

15,43

0,38 0,25

0,70 0,18

der Industriebevölkerung die Arbeitslosigkeit, die hier viel elementarer wirkt und meistens als absolute Arbeitslosigkeit auftritt, ebenfalls ein primärer Faktor ist. Die Getreidepreise sind ein primärer Faktor, ohne den das Steigen der DiebstahlsZiffern in Zeiten blühender Konjunktur nicht zu erklären wäre. Was sich aber in den Riesenziffern der J a h r e 1902 und 1908 ausdrückt, das ist die durch die industrielle Krisis hervorgerufene allgemeine Arbeitslosigkeit in Stadt und Land, deren schlimme

610

L ö w e , Arbeitslosigkeit und Kriminalität.

T a b e l l e XIV. Männliche Bevölkerung in absoluten Zahlen. 1885 Stadt

1890 Land

Stadt

1900

>895 Land

Stadt

Land

Stadt

Ostpreußen 215989 7 2 1 0 2 5 248770 7 1 6 3 6 1 232 734 7 0 3 1 6 1 269955 Westpreußen 1 9 2 8 1 7 495249 219159 516341 239329 205167 497355 Berlin 797306 631878 903041 — 759623 — — Brandenburg 485236 7 7 1 4 7 6 683011 543341 847 536 4 3 6 4 1 7 720082 Pommern 266216 475413 322965 287583 482566 255923 4 8 1 5 1 2 Posen 2 6 3 2 1 6 589285 2 4 5 1 0 7 617497 2 98174 235673 594551 Schlesien 660525 1 4 3 6 5 6 2 602 506 1 3 9 7 " 4 744044 559639 1 3 9 2 7 4 6 Prov. Sachsen 569865 703827 604645 7 2 1 5 2 5 656817 5 I 5 0 I 7 687090 Schleswig-H. 266027 382572 305219 2 1 4 1 7 6 362276 243491 372985 Hannover 478426 336963 747 778 371487 765521 427359 787430 Westfalen 604 866 3 7 5 1 7 0 746870 429 542 810952 488735 891854 Hessen-N. 408513 314056 495185 346304 507 766 287 953 485 640 Rheinland 9 1 6 0 3 3 1 2 5 8 5 7 3 1 0 5 8 2 3 2 1299803 1 189895 1 3 6 3 2 8 0 1 3 7 0 6 3 0 Preußen 5 i 7 9 545;90498i5 5 7 8 7 0 2 7 : 8 9 1 5 1 2 4 6346563 9298876 7288969

Land 691191 528574 —

840 364 476768 603679 1482359 731366 396358 818760 1 041130 515146 1528791 9682456

Folgen vielleicht noch verschärft wurden durch die hohen Preise, bei niederen Preisen aber kaum weniger kraß gewesen wären, wie die Zahlen der Landwirtschaft, die ja nur unter der Wirkung der Arbeitslosigkeit stand, beweisen.

Schluß. Wenn wir am Schlüsse das Ergebnis zusammenfassen, so hat sich ein enger Zusammenhang erweisen lassen zwischen der Bewegung der Kriminalität und den Schwankungen der Arbeitslosigkeit, wie sie sich im Wechsel der Konjunktur ergeben, erschlossen aus den Ziffern der Bevölkerung nach ihrer personalen und lokalen Gliederung, eigenariig durchkreuzt von der Wirkung der Lebensmittelpreise, schließlich aber eindeutig erwiesen aus der Betrachtung der agrarischen Verhältnisse. Das Normalniveau, auf dem sich diese Welle erhebt, d. h. die gute Konjunktur, ist nun aber selbst nicht ein Niveau der vollen Beschäftigung. S. und B. W e b b sagen in ihrem Buch „Das 611

46

Abhandlungen des kriminalistischen Instituts.

Problem der A r m u t " : „ F ü r den Arbeiter ist Arbeitslosigkeit nicht das Kennzeichen einer besonderen Periode oder Örtlichkeit, sondern die unvermeidliche Begleiterscheinung der Lohnarbeit unter der bestehenden Organisation der Industrie." Saisonarbeit, Umwälzungen der Produktion auf Grund neuer Erfindungen, Modewechsel, schlechte Geschäftsführung seitens des Unternehmers, alle diese Momente verursachen eine gewisse konstante Höhe des Niveaus der Arbeitslosigkeit, über dem sich dann erst unter dem Einfluß der wirtschaftlichen Schwankungen jenes andere Maß von Arbeitslosigkeit erhebt, das man gewöhnlich als Arbeitslosigkeit schlechthin ansieht. U n d doch ist der Höhenunterschied zwischen jener permanenten und der periodischen Arbeitslosigkeit gar nicht so groß: Wenn jene einzige umfassende Arbeitslosenzählung in Deutschland angibt, daß in dem milden Winter 1895, einem Jahr aufsteigender K o n junktur, etwa y ¡ 2 % der erwerbstätigen Bevölkerung arbeitslos waren, wenn nach W e b b auch in den Jahren der Hochkonjunktur mehrere Millionen Arbeiter in England entlassen werden, wenn aber auf der anderen Seite auch in den schlimmsten Krisenzeiten nach englischen Berichten höchstens 6 bis 7 % aller A r beiter dauernd ohne Beschäftigung sind, so kann es nur die äußere Erscheinung der Unvermitteltheit des Auftretens sein, was uns veranlaßt, in den periodischen Erscheinungen der Krisenjahre den T y p u s der Arbeitslosigkeit zu sehen. Über die Beziehung dieser permanenten Arbeitslosigkeit zur Kriminalität kann auf Grund des heute vorliegenden Materiales nichts ausgesagt werden. Hier können erst jahrzehntelange Erhebungen über den Stand der Arbeitslosigkeit, v o r allem auch in den guten Jahren, Einblick verschaffen. Erst dann aber wird die volle Bedeutung zu erkennen sein, den die Arbeitslosigkeit als Ganzes hat für die soziale Verursachung des Verbrechens.

612

Inhalt. 1. Exner.

D i e T h e o r i e der

2. Schmidt.

Die

Sicherungsmittel.

Kriminalpolitik

Preußens

unter

Friedrich

Wil-

h e l m I. u n d F r i e d r i c h II. 3. Tesar.

S t a a t s i d e e und S t r a f r e c h t .

E i n e historische U n t e r s u c h u n g .

I. T e i l . 4. Löwe.

Arbeitslosigkeit und

A b h a n d l . d. kriminalist. Instituts.

3. F .

Kriminalität.

B d . I.