Apperzeption und Einbildungskraft: Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie Kants in Fichtes früher Wissenschaftslehre [Reprint 2012 ed.] 9783110885804, 3110170604, 9783110170603

This detailed interpretation confronts central theoretical elements of Kant's critical philosophy and Fichte's

170 15 11MB

German Pages 307 [312] Year 2001

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Einleitung
I. Teil: Apperzeption und Kategoriendeduktion in der ersten Version der Wissenschaftslehre
1 Aufnahme, Umdeutung und Begründung der transzendentalen Apperzeption Kants in den drei Grundsätzen der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre
1.1 Selbstbewußtsein, Spontaneität, Synthesis und Identität als Strukturbestimmungen des reinen Ich
1.2 Selbstbeziehung und Existenzgewißheit
1.3 Das absolute Ich als unhinterfragbares Prinzip einer Transzendentalphilosophie
1.4 Die Fortbestimmung des Ich zur synthetischen Apperzeption
2 Die Bestimmung der Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis
2.1 Die Relation der Substantialität als konkrete Selbstbeziehungsweise des Ich
2.2 Präzisierende Fortbestimmung und Modifikation des Substantialitätsverhältnisses in der sogenannten Synthesis E
3 Das Vermögen der Einbildungskraft in der allgemeinen und in der besonderen theoretischen Wissenschaftslehre
3.1 Die Begründung der Einbildungskraft im Rahmen der Synthesen zur Substantialität
3.2 Die produktiv-reproduktive Struktur der Tätigkeit der zeitbildenden Einbildungskraft
3.3 Kategoriendeduktion und Einbildungskraft
3.4 Die Stellung der Einbildungskraft im Gefüge des endlichen Geistes
4 Anstoß und Ding an sich
II. Teil: Selbstbewußtsein und Einbildungskraft in der Wissenschaftslehre nova methodo
1 Die endliche Vernunft als Prinzip
1.1 Die intellektuelle Anschauung als Postulat
1.2 Versuche der Rechtfertigung der intellektuellen Anschauung
1.3 Die endliche Vernunft als bestimmter Begriff
2 Die praktische Bedeutung der produktiven Einbildungskraft
3 Die Kategorien als gesetzmäßige Einheit der fünffachen Synthesis
Ausblick
Literaturverzeichnis
Personen- und Sachregister
Recommend Papers

Apperzeption und Einbildungskraft: Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie Kants in Fichtes früher Wissenschaftslehre [Reprint 2012 ed.]
 9783110885804, 3110170604, 9783110170603

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Christian Hanewald Apperzeption und Einbildungskraft

W G DE

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jürgen Mittelstraß, Dominik Perler, Wolfgang Wieland

Band 53

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001

Apperzeption und Einbildungskraft Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie Kants in Fichtes früher Wissenschaftslehre von Christian Hanewald

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001

Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Hanewald, Christian: Apperzeption und Einbildungskraft : die Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie Kants in Fichtes früher Wissenschaftslehre / von Christian Hanewald. — Berlin ; New York : de Gruyter, 2001 (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 53) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1999/2000 ISBN 3-11-017060-4

© Copyright 2001 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Printed in Germany Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen

Für Susanne

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1999/2000 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertationsschrift anerkannt. Die wenigen seitdem vorgenommenen Veränderungen sind ausschließlich stilistischer Natur. An dieser Stelle möchte ich zudem denjenigen danken, die wesentlich beim Zustandekommen der Arbeit behilflich waren. An erster Stelle ist sicherlich Herr Prof. Dr. Klaus Düsing zu nennen, der nicht nur meine Promotion betreut hat, sondern bei dem ich darüber hinaus den größten Teil meines Studiums absolvierte. Die Menge und Qualität an Anregungen und klärenden Diskussionen mit ihm kann hinsichtlich meines universitären Werdeganges gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ebenso gilt mein Dank dem zweiten Referenten Herrn Prof. Dr. Klaus Erich Kaehler für die mit meiner Arbeit auf sich genommene Mühe. Und auch Herrn Prof. Dr. Ulrich Claesges, Frau Prof. Dr. Ursula Frost, Herrn Prof. Dr. Jens Halfwassen und Herrn Dr. Dietmar Heidemann sei für ihre Mitwirkung an der Disputation gedankt. Schließlich sei der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung fur Geisteswissenschaften gedankt, die durch ihre Unterstützung den Druck ermöglichte. Ganz besonderer Dank gilt zudem Herrn Dr. Rainer Schäfer, der sich die hier vorgelegten Thesen und Gedankengänge immer wieder erläutern ließ, um sie in zahlreichen Diskussionen mit mir zu erörtern. Auch dies hat zur Profilierung der Ausführungen wesentlich beigetragen.

Hürth, September 2001

Christian Hanewald

Inhalt Einleitung I.Teil: Apperzeption und Kategoriendeduktion in der ersten Version der Wissenschaftslehre 1 Aufnahme, Umdeutung und Begründung der transzendentalen Apperzeption Kants in den drei Grundsätzen der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre 1.1 Selbstbewußtsein, Spontaneität, Synthesis und Identität als Strukturbestimmungen des reinen Ich 1.2 Selbstbeziehung und Existenzgewißheit 1.3 Das absolute Ich als unhinterfragbares Prinzip einer Transzendentalphilosophie 1.4 Die Fortbestimmung des Ich zur synthetischen Apperzeption

1

11

11 14 34 44 61

2 Die Bestimmung der Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis 86 2.1 Die Relation der Substantialität als konkrete Selbstbeziehungsweise des Ich 88 2.2 Präzisierende Fortbestimmung und Modifikation des Substantialitätsverhältnisses in der sogenannten Synthesis E 96 3 Das Vermögen der Einbildungskraft in der allgemeinen und in der besonderen theoretischen Wissenschaftslehre 104 3.1 Die Begründung der Einbildungskraft im Rahmen der Synthesen zur Substantialität 104 3.2 Die produktiv-reproduktive Struktur der Tätigkeit der zeitbildenden Einbildungskraft 111 3.3 Kategoriendeduktion und Einbildungskraft 123 3.3.1 Die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori.... 124 3.3.2 Die systematische Ableitung der Kategorien in der Grundlage...130 3.3.3 Die transzendentale Rechtfertigung der Relationskategorien 146 3.4 Die Stellung der Einbildungskraft im Gefiige des endlichen Geistes 174

X

Inhalt

4 Anstoß und Ding an sich

194

II.Teil: Selbstbewußtsein und Einbildungskraft in der Wissenschaftslehre nova methodo

215

1 Die endliche Vernunft als Prinzip 1.1 Die intellektuelle Anschauung als Postulat 1.2 Versuche der Rechtfertigung der intellektuellen Anschauung 1.3 Die endliche Vernunft als bestimmter Begriff

215 215 226 247

2 Die praktische Bedeutung der produktiven Einbildungskraft

258

3 Die Kategorien als gesetzmäßige Einheit der fünffachen Synthesis

263

Ausblick

275

Literaturverzeichnis

283

Personen- und Sachregister

293

Einleitung Seine erste Kant-Lektüre hat auf Fichte bekanntlich großen Eindruck gemacht. Dies geht aus zahlreichen enthusiastischen Briefstellen hervor, in denen er seine Begeisterung über den für ihn gänzlich neuen philosophischen Ansatz zum Ausdruck bringt. So schreibt er, um nur eine der ersten und deutlichsten von ihnen anzuführen, im Spätsommer 1790 an seinen Freund Friedrich August Weißhuhn: „Ich lebe in einer neuen Welt, seitdem ich die Kritik der praktischen Vernunft gelesen habe. [...] Dinge, von denen ich glaubte, sie könnten mir nie bewiesen werden, z.B. der Begriff einer absoluten Freiheit, der Pflicht u.s.w. sind mit bewiesen, und ich fühle mich darüber nur um so froher" (GA III, 1, 167, Nr. 63).1 Während die kritische Moralphilosophie auf diese Weise unmittelbaren Einfluß auf Fichtes Denken ausübte, konnte er sich für die Darlegungen zur theoretischen Vernunft zunächst nur auf dem Umweg über die erstere begeistern, weil sie „ohne Studium der Kr.d.r.Vft. nicht verständlich ist" (GA III, 1, 193, Nr. 70a). Daß aber auch die Kritik der reinen Vernunft und die Kritik der Urteilskraft nicht ohne Wirkung blieben, geht aus den erklärenden Auszügen hervor, die Fichte zu beiden niederschrieb und von denen zumindest derjenige zur dritten Kritik emsthaft für eine Veröffentlichung vorgesehen war.2 Nach dieser ersten Begeisterung lassen sich jedoch deutliche Zeichen der Unzufriedenheit mit den Kantischen Ausführungen erkennen, die zwar nicht den grundlegenden philosophischen Ansatz als solchen, aber die Art der Darlegung seiner fundamentalen Einsichten betreffen. Die Zweifel erreichen ihren Höhepunkt nach der Lektüre der skeptischen Auseinandersetzung Schulzes mit Kant und vor allem mit der Elementarphilosophie Reinholds, der zu dieser Zeit als herausragender Vertreter des transzendentalen Idealismus gilt. Heißt es in dem oben bereits zitierten Brief von der Kritik der Urteilskraft noch, sie sei „evident, wie Alles von Kant (GA III, 1, 168, Nr. 63), so offenbart Fichte schon dort und in der Folge zunehmend Probleme, die vor allem ihre Verständlichkeit betreffen: „Auch sind mehrere Dinge darin, die ich entweder nicht verstehe, oder die 1 2

Vgl. auch GA III, 1, 170f, 222, Nr. 64, 77. Vgl. das Manuskript Der Transscendentalen ElementarLehre. Zweiter Theil vom August/September 1790 (GA II, 1, 299-318) und den Versuch eines erklärenden Auszugs aus Kants Kritik der Urteilskraft, der in der Zeit vom September 1790 bis Anfang des Jahres 1791 entstanden ist. Weiterhin seien die wenigen Anmerkungen unter dem Titel Bei Lesung der K. Kr.d.r. Vft. vom Jahresende 1793 erwähnt. - Zur ersten Aufnahme der kritischen Philosophie Kants sei verwiesen auf die Darlegungen von K.Lindner: „ Vom Begriff der Freiheit ". Fichtes Leipziger KantStudien (1790). In: Fichte-Studien 9 (1997), 19-26.

2

Einleitung

sich widersprechen" (GA III, 1, 175, Nr. 65).3 Nach der Lektüre des Aenesidemus fordert Fichte dann eine radikale Erneuerung der Grundlage und der systematischen Darstellung des transzendentalen Idealismus, dessen Ergebnisse zwar nach wie vor als richtig beurteilt werden, dessen Begründung Fichte aber in entscheidenden Punkten für unzureichend erachtet: „Kant hat überhaupt die richtige Philosophie; aber nur in ihren Resultaten, nicht nach ihren Gründen" (GA ΙΠ, 2, 28, Nr. 171).4 Und auch zur Zeit seiner ersten Veröffentlichungen ist Fichte noch davon überzeugt, nichts anderes zu vertreten als den transzendentalen Idealismus Kants, so daß für das System der Wissenschaftslehre gilt: „es enthält dieselbe Ansicht der Sache, ist aber in seinem Verfahren ganz unabhängig von der Kantischen Darstellung" (GA I, 4, 184; SW I, 420).5 Aufgrund dieser Einschätzung der eigenen Philosophie durch Fichte liegt es nahe, einen Vergleich mit Kant vor allem darauf zu konzentrieren, ob es der Wissenschaftslehre tatsächlich gelungen ist, dem Anspruch an sich selbst zu genügen und in der Frage der Begründung und der Systematik entscheidende Schritte über Kant hinauszugehen, wobei einzelne Abweichungen in der Sache dann vor allem unter dieser Hinsicht zu beurteilen sind. Diese Herangehensweise drängt sich umso mehr auf, als sich trotz des erheblichen Einflusses der KantLektüre beim frühen Fichte selbst kaum zusammenhängende Detailanalysen seines Verhältnisses zur Vemunfitkritik finden. Lediglich im siebten Abschnitt der Ersten Einleitung und im sechsten Abschnitt der Zweiten Einleitung, in welchem letzteren Fichte den Beweis antreten will, daß die Wissenschaftslehre „mit der Kantischen Lehre vollkommen übereinstimme, und keine andere sey, als die wohlverstandene Kantische" (GA I, 4, 221; SWl, 469), finden sich hierzu längere Ausführungen, die sich vor allem mit den Problemen der Ansetzung des Ich als Prinzip, der intellektuellen Anschauung, der Kategoriendeduktion und des Dinges an sich beschäftigen6 Diese lassen sich jedoch alle in der einen oder anderen Weise auf die Frage nach der Fundierung und systematischen Ausarbeitung der Transzendentalphilosophie beziehen. Ansonsten beschränken sich die expliziten Äußerungen zu Kant auf einzelne Anmerkungen, aus denen man nur schwer eine kohärente sachliche Auseinandersetzung entwickeln kann. Beläßt man es bei der Gegenüberstellung beider Theorien jedoch bei der bloßen Frage nach der Systematik, so wird man kaum über sehr allgemeine Urteile hinauskommen können, von denen in der Forschung vor allem drei vertreten 3 4 5

6

Vgl. auch GA III, 1, 188f, Nr. 69. Vgl. ebenso GA III, 2, 18, 39, Nr. 168, 175. Zur generellen Einschätzung der Kantischen Philosophie durch Fichte vgl. M.Zahn: Fichtes Kant-Bild. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum öO.Geburtstag. Hrsg. von K.Hammacher und A-Mues. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979,492ff. Die Ausführungen zu diesen Problemen in der Ersten und Zweiten Einleitung verfolgt nahe am Text C.M.Jalloh: Fichte's Kant-Interpretation and the Doctrine of Science. Washington 1988, 17-19.

Einleitung

3

werden: 1) Die Wissenschaftslehre geht in unzulässiger Weise über die Grenzen einer Vernunftkritik hinaus. 2) Fichte ist der Vollender der Transzendentalphilosophie, deqenige, der entscheidende Mängel in der Systematik Kants aufdeckt und behebt. 3) Es gelingt zwar eine Verbesserung, die aber nicht weit genug reicht und auf ihre wahre Vollendung durch Hegel vorausweist.7 Wenn man solche sehr generellen Urteile vermeiden und eine detailliertere Gegenüberstellung bedeutsamer Positionen beider Philosophen leisten will, dann bleibt einem somit nichts anderes übrig, als sich zumindest zum Teil von den vorliegenden Aussagen Fichtes zu lösen und die entsprechenden Theoriebestandteile direkt miteinander zu konfrontieren, so daß sich Abweichungen, aber auch implizite Übernahmen zeigen. Auf diese Weise kann man zu einem begründeten Urteil auch über Gehalte gelangen, zu denen keine längeren Darlegungen Fichtes vorhegen, in denen er sein eigenes Veständnis der Vernunftkritik zum Ausdruck bringt. Dies ist z.B. bei der für beide Denker zentralen produktiven Einbildungskraft der Fall.8 Eine zusätzliche Schwierigkeit für eine Gegenüberstellung hegt zudem darin, daß die längeren Stellungnahmen der Ersten und der Zweiten Einleitung bereits dem Ansatz der Wissenschaftslehre nova methodo zuzurechnen sind. Die dortigen Ausführungen können somit nicht fraglos als in allen Einzelheiten repräsentativ auch für den Standpunkt der Grundlage angesetzt werden. Dies wird sich sowohl bei der Frage nach dem 1

8

Diese Positionen erfahren in der Forschung verschiedene Variationen: Nach A.Menzel (Die Grundlagen der Fichteschen Wissenschaftslehre in ihrem Verhältnis zum Kantischen Kritizismus. Leipzig 1909, bes. 84, 139f) mißversteht Fichte den Primat der praktischen Vernunft als Primat der Existenz, was zu der Notwendigkeit führe, das Theoretische aus dem Praktischen abzuleiten. Die Folgen dieser Fehleinschätzung durchzögen die gesamte theoretische Philosophie Fichtes. Ebenso drastisch betrachtet E.Kraus (Der Systemgedanke bei Kant und Fichte. KantStudien. Ergänzungsheft 37. Berlin 1916, bes. 62) die Fichtesche Philosophie als „in allen ihren Stadien durchaus unkantische, dem transzendentalen Grundgedanken widersprechende, metaphysische-dogmatische Überspannung des Systemgedankens". Und auch A.Soller (Fichte Vollender der Kantischen Transzendentalphilosophie? In: Philosophisches Jahrbuch 98 (1991), bes. 115, 132) beurteilt die fehlgeschlagenen systematischen Versuche als eine Bestätigung der Kantischen Grenzbestimmung. Demgegenüber erblickt M.Zahn (Identité et synthèse dans la dernière philosophie de Kant et la Théorie de la Science de Fichte. In: Archives de Philosophie 27 (1964), 163-185) in der Gegebenheit des Mannigfaltigen bei Kant den Grund dafür, daß es ihm nicht gelungen ist, ein einheitliches System zu entwickeln. Das Werk Fichtes sei daher als logische Fortfuhrung zu betrachten. In die gleiche Richtung zielen auch die Ergebnisse von W.Metz (Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, bes. 376f), nach dessen Meinung Fichte das Ideal einer genetischen Deduktion der Kategorien verwirklicht und in der Einen Vernunft das Fundament sowohl des theoretischen als auch des praktischen Ich darlegt. Als Beispiel einer Interpretation, die von Kant bis Hegel eine lineare Entwicklung konstatiert, kann immer noch die Darstellung von R.Kroner (Von Kant bis Hegel. 2 Bde. Tübingen 1921/24) dienen. In dieser Weise verfährt bezüglich des Kapitels über die Grundsätze in der Kritik der reinen Vernunft etwa auch R.Lauth: Kants Lehre von den „ Grundsätzen des Verstandes " und Fichtes grundsätzliche Kritik derselben. In: L'héritage de Kant. Mélanges philosophiques offerts au P.Marcel Régnier. Paris 1982, 119-136 sowie bezüglich des Problems von Raum und Zeit W.Metz: Fichtes genetische Deduktion von Raum und Zeit in Differenz zu Kant. In: FichteStudien 6 (1994), 71-94.

4

Einleitung

reinen Ich als Prinzip als auch bei derjenigen nach dem Ding an sich als bedeutsam erweisen. Für die Position der Grundlage und der umhegenden Schriften hat das jedoch zur Folge, daß eine explizite und zusammenhängende Beurteilung Kants gänzlich fehlt. Die Einschränkung auf die Jenaer Zeit Fichtes und damit im wesentlichen auf die Ansätze der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre und der Wissenschaftslehre nova methodo bietet sich dabei insofern an, als Fichte dort am absoluten Subjekt als Prinzip der Philosophie festhält und einen metaphysischen Überschritt auf etwas demselben noch Voraushegendes hin ablehnt. In einem Vergleich des frühen Fichte mit der kritischen Philosophie Kants lassen sich somit Einsichten in paradigmatische und philosophiegeschichtlich bedeutsame Alternativen der Ansetzung und Begründimg eines reinen Ich als Prinzip erwarten. Es reicht jedoch nicht, die Analyse auf die bloße Feststellung der Absolutheit des Fichteschen Ich zu beschränken und darin den entscheidenden Schritt über Kants ursprüngliche Apperzeption hinaus zu entdecken.9 Vielmehr soll nach den verschiedenen Strukturbestimmungen und ihren Begründungsverhältnissen in den beiden Theorien gefragt werden. Als grundlegende Merkmale des reinen Subjekts sind dabei entsprechend den Kantischen Vorgaben Selbstbewußtsein, Spontaneität, Synthesis und Identität zu unterscheiden. Einschneidende Differenzen zwischen Kants und Fichtes diesbezüglichen Ausführungen sind aber nicht nur darauf zurückzufuhren, daß letzterer im Gefolge Reinholds und als Antwort auf die skeptische Kritik Schulzes eine unangreifbare und möglichst voraussetzungslose Begründung der Transzendentalphilosophie anstrebt. Darüber hinausgehend ist zu fragen, ob nicht auch unabhängig von diesem systematischen Rahmen der Wissenschaftslehre aus rein subjektivitätstheoretischen Erwägungen ein bestimmter Ansatz oder vielleicht auch nur Teile desselben sich als tragfahiger erweisen. So gewinnt in den Fichteschen Darlegungen zum prinzipiellen Ich die tätige Identität desselben eine Priorität über die anderen beiden Momente, wohingegen Kant die ursprüngliche Apperzeption vor allem als selbstbewußten und spontanen Vollzug synthetischer Akte charakterisiert. Während somit für Kant die Verbindung der mannigfaltigen Vorstellungen dem identischen Selbstbezug vorausgehen muß, ist letzterer für Fichte genau umgekehrt gerade die Voraussetzung jeglicher Synthesis. Derarti-

'

Darin sieht etwa J.Leopoldsberger (Fichtes Kantkritik im Hinblick auf die Struktur der „Kritik der reinen Vernunft". In: Wiener Jahrbuch für Philosophie I (1968), 170) einen entscheidenden Vorzug Fichtes, fur den das „Ich bin Ich" eine „selbständige Erkenntnis" ausmache, wohingegen Kants: Ich denke immer nur an einem von ihm begleiteten Mannigfaltigen vorkomme. Eine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen Kant und Fichte bemerkt hingegen P.Hensel (Über die Beziehung des reinen Ich bei Fichte zur Einheit der Apperception bei Kant. Freiburg 1885, 42f, 46ff) darin, daß beide kein individuelles, sondern ein reines Ich als Prinzip annehmen, das Fichte dann zurecht mit der intellektuellen Anschauung identifiziere. Allerdings wolle Fichte nicht nur die gesetzmäßige Form der Erfahrung, sondern auch den Empfindungsinhalt aus ihm ableiten.

Einleitung

5

ge Verschiebungen können sicherlich auch unabhängig von der Grundsatzproblematik diskutiert werden, wobei letztere natürlich auch nicht gänzlich auszusparen ist.10 Fichte expliziert im theoretischen Teil der Grundlage aber noch weitere Formen des selbstbezüglichen Ich, als deren Gesetzmäßigkeit er die SubstanzAkzidenz-Relation angibt. Dafür kann es in der Kantischen Philosophie natürlich schon allein deswegen kein Pendant geben, weil für ihn der reine Verstandesbegriff der Substanz auf das Zugrundeliegende im Wechsel der Akzidentien bzw. in seinem Schema auf das Beharrliche in der Zeit festgelegt ist. In der Grundlage finden sich in den Abschnitten D und E hingegen gleich mehrere Arten des Selbstverhältnisses, die Fichte vermittels dieser Kategorie beschreibt. Sie kommen jedoch insgesamt darin überein, daß es sich bei ihnen um wesentlich komplexere Selbstbeziehungsweisen als bei dem absoluten Subjekt handelt, die durch die Ausdrücke des Sich-Setzens, des in sich zurückgehenden Handelns oder auch des Subjekt-Objekts gar nicht mehr zureichend zu erfassen sind. Auf diese Weise macht Fichte den Begriff der Substantialität für eine Theorie konkreter Subjektivität fruchtbar. Mit der Einbildungskraft, die dem Anspruch nach aus den Synthesen zur Substantialität hergeleitet wird, ist nach Fichte das zentrale Vermögen des theoretischen Selbst bezeichnet. Auch bei Kant nimmt sie schon eine Mittelstellung zwischen Anschauung und Denken, Sinnlichkeit und Verstand ein, und zwar in der ersten und zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft in je verschiedener Weise.11 In der frühen Wissenschaftslehre bleibt die Einbildungskraft jedoch

10

11

Zu diesem Problemkomplex gehört auch die Frage nach der Möglichkeit einer Subjektivitätstheorie angesichts der Einwände der unendlichen Iteration und des Zirkels in der Begriffsdefinition von Selbstbewußtsein, die im Anschluß an D.Henrich (Fichtes ursprüngliche Einsicht. In: Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer. Hrsg. von D.Henrich und H.Wagner. Frankfurt a.M. 1966, 188-232) vielfältig im Zusammenhang mit den Theorien Kants und Fichtes verhandelt wird. Während Henrich selbst die verschiedenen Modifikationen der Subjektivitätstheorie Fichtes als jeweils vertiefte Antworten auf diese Problematik betrachtet, versucht etwa K.Gloy (Selbstbewußtsein als Prinzip des neuzeitlichen Selbstverständnisses. Seine Grundstruktur und seine Schwierigkeiten. In: Fichte-Studien 1 (1990), 41-72) zu zeigen, daß sowohl das Reflexionsmodell Kants als auch das Produktionsmodell Fichtes diesen Einwänden nicht entkommen. W.Becker (Idealismus und Skeptizismus. Kritische Betrachtungen über das Verhältnis von Selbstbewußtsein und Gegenstandsbewußtsein bei Kant und Fichte. Frankfurt a.M. 1971) interpretiert hingegen beide Ansätze nach dem Modell der Reflexion, das er für aporetisch hält. Vgl. auch W. Lütterfelds: Zum undialektischen Begriff des Selbstbewußtseins bei Kant und Fichte. In: Wiener Jahrbuch für Philosophie VIII (1975), 20f. Demgegenüber trifft nach K.Diising (Strukturmodelle des Selbstbewußtseins. Ein systematischer Entwurf. In: FichteStudien 7 (1995), 7ff) der Einwand der unendlichen Iteration auf Fichtes Prinzip des reinen Ich nicht zu. - Speziell das Problem des Verhältnisses von Selbst- und Existenzbewußtsein untersucht J.Taber (Fichte 's Emendation of Kant. In: Kant-Studien 75 (1984), 442-459), wobei es erst durch Fichte gelöst werde, indem er die Existenz des Ich als Folge des Sich-Setzens aufweise. Kant gelinge dies nicht, weil er von dem Paradigma der Objekterkenntnis ausgehe. Vgl. dazu etwa die Darlegungen und die Einschätzung dieser Modifikationen von M.Heidegger: Kant und das Problem der Metaphysik. 5., verm. Aufl. Frankfurt a.M. 1991, 160ff.

6

Einleitung

nicht bloßes Verbindungsglied der einander entgegengesetzten Spontaneität und Rezeptivität; solche Koordination wird vielmehr zugunsten des Programms einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins aufgehoben.12 Es verschiebt sich durch diese gegenüber Kant und auch der empirischen Psychologie des 18.Jahrhunderts neue Konzeption aber nicht nur ganz allgemein die Rolle, die dem Vermögen der Anschauung im Gefiige der Fähigkeiten und Leistungen des theoretischen Subjekts zukommt. Darüber hinaus erhalten auch die Ausdrücke „produktiv" und „reproduktiv" eine neue Bedeutung und die Einbildungskraft ein modifiziertes Verhältnis zur Zeit. Der Einbildungskraft werden aber noch weitergehende Kompetenzen zugesprochen, insofern sie - und nicht der Verstand wie bei Kant - die Quelle kategorialer Ordnung des mannigfaltigen Nicht-Ich darstellen soll. Da sich in der Grundlage aber schon in den vorausgegangenen Ausführungen der Versuch einer systematischen und lückenlosen Ableitung der Kategorien findet, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Deduktion zum gegenstandskonstituierenden Anschauen. Dieses interpretatorische Problem soll durch die Unterscheidung zwischen einer allgemeinen und einer besonderen theoretischen Wissenschaftslehre gelöst werden, wobei der gesamte Komplex einer transzendentalen Deduktion erst in der letzteren auftreten kann, weil erst sie eine Mannigfaltigkeit des Nicht-Ich ableitet.13 Im Beweis der objektiven Gültigkeit der Kategorien verfolgt Fichte jedoch eine grundlegend andere Strategie als Kant, indem er bestimmte, im Verlauf der Argumentation auftretende Konstellationen des Bewußtseins auf ihre Schwierigkeiten hin untersucht und daraufhin zeigt, daß diese nur durch eine bestimmte Ordnung des Mannigfaltigen behoben wer12

13

Vgl. dazu vor allem U.Claesges: Geschichte des Selbstbewußtseins. Der Ursprung des spekulativen Problems in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Den Haag 1974 sowie K.Diising: Einbildungskraft und selbstbewußtes Dasein beim frühen Fichte. In: Kategorien der Existenz: Festschrift für Wolfgang Janke. Hrsg. von K.Held und J.Hennigfeld. Würzburg 1993, 68ff. Auch W.Ripke (Über die Beziehung der Fichteschen Kategorienlehre zur Kantischen. Heidelberg 1913, bes. 104; vgl. auch schon 57fF, 62, 65f, 94ff) differenziert in seiner abschließenden Beurteilung der Kantischen und der Fichteschen Kategoriendeduktion zwischen der metaphysischen und der transzendentalen. Während Fichte durch seine systematische Ableitung der Kategorien aus dem Ich die Kantische Theorie übersteige, bleibe er in der Frage nach deren Beziehung auf reale Objekte hinter ihr zurück. W. Janke (Fichte. Sein und Reflexion - Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, 109£f, bes. 123) legt die entsprechenden Passagen der §§1-4 der Grundlage als Einheit von transzendentaler Deduktion und systematischer Ableitung aus. Fichte gelinge es mit einem Schlage die Realität, die Notwendigkeit, die lückenlose Vollständigkeit und die systematische Ordnung der Kategorien zu erweisen. Vgl. im Anschluß daran auch M.Franken: Transzendentale Theorie der Einheit und systematische Universalontologie. Studien zur Kategorienlehre Kants und Fichtes. Fichte-Studien. Supplementa 2. Amsterdam/Atlanta 1993, 187. Als Antwort auf die Probleme der transzendentalen Deduktion Kants interpretiert diese Stellen auch T.Seebohm: Fichte's and Husserl's critique of Kant's transcendental deduction. In: Husserl-Studies 2 (1985), 54-62. Vgl. auch P.Baumanns: Transzendentale Deduktion der Kategorien bei Kant und Fichte. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Hammacher und A.Mues. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, 42-75.

Einleitung

7

den können, die das anschauende Subjekt erwirkt. Damit ist jedoch noch nicht der Status der Kategorien und ihrer Ableitung in den ersten vier Paragraphen der Grundlage angegeben. Denn auch hier lassen sich grundlegende Differenzen zwischen den Theorien Kants und Fichtes feststellen. Den auf das anschauliche Mannigfaltige angewandten Urteilsfunktionen stehen die durch Abstraktion von den ursprünglich-synthetischen Handlungen des Ich gewonnenen reinen Gedankenbestimmungen gegenüber. Durch diese Ablösung der kategorialen Analyse von der Urteilslogik ergeben sich aber zugleich entscheidende Konsequenzen für die Wahrheitsproblematik, wenn Wahrheit gemäß der Adäquationstheorie verstanden wird. Denn bei Kant ist es gerade die in der ursprünglichsynthetischen Einheit der Apperzeption begründete strukturelle Kongruenz von Urteil und gegenständlicher Welt, die wahre Aussagen über die letztere ermöglicht. Durch die Aufgabe der Parallelität von Urteil und Kategorie wird dieser Erklärungsansatz hingegen hinfällig. Mit dem Ding an sich ist schließlich dasjenige Problem bezeichnet, das in der Auseinandersetzung mit der Kantischen Vernunftkritik im sechsten Abschnitt der Zweiten Einleitung den meisten Raum einnimmt. Es ist für Fichte deswegen von herausragender Wichtigkeit, weil sich aus der Stellung des Dinges an sich in einem philosophischen System dessen grundsätzliche Zuordnung zum Idealismus oder Dogmatismus bzw. zu einer der Spielarten des Realismus ergibt, die Fichte in der sogenannten Synthesis E der Grundlage entwickelt. Aber auch bei der Gegenüberstellung der diesbezüglichen Theorien Kants und Fichtes läßt sich keine einfache Entscheidung für die eine und gegen die andere treffen.14 Demgegenüber ist in Betracht zu ziehen, daß mit dem Ausdruck „Ding an sich" jeweils verschiedene Sachverhalte bezeichnet werden, die auch in je unterschiedlichen Kontexten von Bedeutung sind. Während Kant mit seiner Unterscheidung von der Erscheinung vor allem die erkenntnistheoretische Frage nach dem Status von Raum und Zeit beantwortet, ordnet Fichte das Ding an sich in einen begründungstheoretischen Zusammenhang ein, der nach den im Rahmen philosophischer Theorie anzusetzenden Gründen der Vorstellung fragt.

14

Solche eindeutigen Präferenzen finden sich z.B. bei J.Ebbinghaus (Fichtes ursprüngliche Philosophie. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Vorträge und Reden. Darmstadt 1968, 217) und B.Noll (Kants und Fichtes Frage nach dem Ding. Frankfurt a.M. 1936, 129; vgl. auch 133, 134). Ebbinghaus findet in der Aufhebung des Dinges an sich durch Fichte die Bestätigung dafür, daß „Fichte die Kritik Kants in Wahrheit als gar nicht existierend behandelt und schon bei der Ausfahrt auf das hohe Meer seiner Philosophie mit dem vollen Winde der dogmatischen Metaphysik segelt". Demgegenüber glaubt Noll, daß Fichte mit dem Anstoß das Ding an sich nicht nur nicht aufgegeben, sondern zudem zu seiner „alleinmöglichen Bedeutung" entwickelt hat. Und auch schon J.H.Loewe (Die Philosophie Fichtes nach dem Gesammtergebnisse ihrer Entwicklung und in ihrem Verhältnisse zu Kant und Spinoza. Stuttgart 1862 (Nachdruck: Hildesheim/New York 1976), 1-27, bes. 11 ff) ist der Meinung, daß man zwangsläufig zum Standpunkt der Wissenschaftslehre kommt, wenn man den Kantischen Begriff des Dinges an sich konsequent zu Ende denkt.

g

Einleitung

Es ist somit schon bei der Beschränkung allein auf die Position der Grundlage und der umliegenden Schriften eine detaillierte Analyse erforderlich, wenn im Vergleich der philosophischen Standpunkte Kants und Fichtes paradigmatische Möglichkeiten etwa einer Theorie des reinen Ich, einer Kategoriendeduktion oder auch der Ansetzung eines Dinges an sich zum Vorschein kommen sollen. Fichte modifiziert seinen Ansatz jedoch schon in der Jenaer Zeit mit der Wissenschaftslehre nova methodo in entscheidenden Punkten. Seiner Selbsteinschätzung gemäß betreffen die Veränderungen allerdings im wesentlichen methodische Gesichtspunkte, also allein solche der Darstellung. Am auffälligsten ist dabei die gleich zu Beginn der Halleschen Vorlesungsnachschrift notierte Bemerkung, daß die Trennung der Explikation von theoretischer und praktischer Vernunft aufzuheben sei. Stattdessen fange die neue Darstellung „nach einem weit natürlichem Gange vom praktischen an, od: zieht da wo es zur Deutlichkeit was beiträgt, das PRAKTISCHE ins THEORETISCHE herüber um aus jenem dieses zu erklären" (GA IV, 2, 17).15 Und auch bezüglich der den drei Grundsätzen der Grundlage entsprechenden Ausführungen sei „der in dem COMPENDIO], beobachtete Gang völlig umgekehrt" (K 44; GA IV, 2, 41).16 Hinsichtlich des Inhalts versucht Fichte hingegen stets Kontinuität zu demonstrieren. Das trifft aber auch bei den hier in Frage stehenden Theoriebestandteilen durchaus nicht zu. Grundlegend ist dabei die Modifikation des reinen Ich zu einem ursprünglich endlichen, was z.B. auch fur die Beurteilung der Rolle des Dinges an sich in der Erklärung der Vorstellung einschneidende Konsequenzen hat. Am stärksten in die Augen springend und in der Forschung am häufigsten diskutiert ist jedoch der erneute Rückgriff auf die intellektuelle Anschauung, den Fichte trotz der Einfuhrung dieses Konzeptes in den Eignen Meditationen und in der Aenesidemus-Rezension sowohl in seiner Programmschrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre als auch in der Grundlage vermeidet. In dieser Frage wird vorwiegend die Meinung vertreten, daß aus rein äußerlichen Gründen der Terminus „intellektuelle Anschauung" vorübergehend entfalle - etwa weil Fichte es vermeiden wollte, dem Kantischen Buchstaben direkt zu widersprechen - wohingegen die Sache auch in diesem ersten veröffentlichten Ansatz präsent sei.17 Hier soll hingegen versucht werden zu zeigen, daß der Ansatz der 15 16

17

Vgl. auch in der Krause-Nachschrift: Κ 72. Weitere solcher von Fichte selbst namhaft gemachten Veränderungen betreffen die Reihenfolge in der Darlegung von Begriff und Anschauung des Ich (GA IV, 2, 33; Κ 33) oder auch die Merkmale der Methode selbst (GA IV, 2, 1071). Diese Meinung vertritt z.B. J.Stolzenberg: Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02. Stuttgart 1986, 164ff, 185f, 207 und unter Hinzuziehung weiterer Gründe auch X.Tilliette: Erste Fichte-Rezeption. Mit besonderer Berücksichtigung der intellektuellen Anschauung. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981, 536f. Vgl. auch Ders.: Recherches sur l'intuition intellectuelle de Kant à Hegel. Paris 1995, 129f. Nach A.Philonenko (Die intellektuelle Anschauung bei Fichte. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Ham-

Einleitung

9

Grundlage auch in anderer Weise konsistent interpretierbar ist, ohne die intellektuelle Anschauung hinzuzuziehen. Dann sind allerdings sowohl das SichSetzen des absoluten Subjekts als auch das „Vorstellen", das nach Fichtes Schrift Über den Begriff die, erste Handlung des Philosophen ausmacht, zu spezifizieren.18 Der im Folgenden ausgeführte Vorschlag besteht darin, das unendliche Ich als Idee, als Aufgabe des Denkens zu bestimmen, was im Einklang mit der Behauptung Fichtes steht, der transzendentale Philosoph erweise wenigstens „die bloße Regel der Vernunft, zu abstrahiren, das bloße Gesez einer nicht zu realisierenden Bestimmung" (GA I, 2, 382; SWI, 244). Wenn dieses Interpretationsvorhaben gelingt, dann stellt der erneute Rekurs auf die intellektuelle Anschauung in der Wissenschaftslehre nova methodo eine echte inhaltliche Veränderung gegenüber der Grundlage dar, wobei natürlich auch in diesem Punkt einerseits die Abhebung von dem Sprachgebrauch Kants zu beachten ist und andererseits die damit einhergehende Rechtfertigung, dem unmittelbaren und gleichwohl intellektuell-spontanen Bewußtsein eine positive Rolle in der Transzendentalphilosophie zuzuweisen. Damit sind die Veränderungen gegenüber der ersten veröffentlichten Fassung aber keineswegs ausgeschöpft. Gerade aus der bereits angeführten Umkehrung des Explikationsganges, aus der konsequenten Fundierung der theoretischen in der praktischen Vernunft ergeben sich Verschiebungen hinsichtlich des Sinnes der Einbildungskraft und der Kategorien. Zwar bleibt die erstere natürlich auch in der Wissenschaftslehre nova methodo ein Vermögen des theoretischen Selbst. Da aber auch dessen Fähigkeiten und Leistungen immer schon an praktische Zusammenhänge zurückgebunden sind, erhält das tätige Anschauen eine eminente praktische Bedeutung, wie z.B. im Vergegenwärtigen einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Handlungsmöglichkeiten. Analoge Feststellungen lassen sich bezüglich der Konzeption der Synthesis und der Kategorien treffen, die nicht mehr im Rahmen einer isolierten Explikation der theoretischen Vernunft thematisiert werden. Auch sie werden im Kontext praktischer Fragen erörtert und in ihrem Sinn festgelegt. Bei den zuletzt angerissenen Veränderungen, die die Wissenschaftslehre in ihrer neuen Darstellung erfahrt, handelt es sich allerdings um dem Fichteschen Ansatz immanente Fortentwicklungen, die offenbar nicht mehr aus einer direkten Auseinandersetzung mit Kant hervorgehen, sondern vor allem aus einer konsequenten methodischen Umsetzung des Primats der praktischen Vernunft resultieren. Und auch bei den anderen zu behandelnden Problemen ist natürlich stets im Blick zu behalten, wenngleich es nicht explizites Thema der hiesigen Untersuchungen ist, daß Fichte von anderen Denkern in starkem Maße beein-

18

burg 1981, 102) ist die intellektuelle Anschauung im absoluten Ich der Grundlage schlossen". Vgl. GAI, 2, 149 (SWI, 80).

„miteinge-

10

Einleitung

flußt wurde, die wie Jacobi, Reinhold, Schulze und Maimón mit ihren Veröffentlichungen zeitlich zum Teil zwischen Kant und Fichte stehen und die durch ihre eigenständige Fortentwicklung und Kritik des transzendentalen Idealismus Kants die Ausgangssituation in nicht unerheblicher Weise verändert haben. Doch zeigen die gleich anfangs zitierten Briefstellen und die von Fichte angefertigten Auszüge aus der Kritik der reinen Vernunft und der Kritik der Urteilskraft zureichend, daß Fichte seine Wissenschaftslehre nicht zuletzt in direkter Auseinandersetzung mit Kants Philosophie entwickelt hat. Daher kann man hoffen, durch die unmittelbare Gegenüberstellung beider Ansätze Einsichten sowohl in den Gehalt als auch in die Haltbarkeit der Fichteschen Positionen zu gewinnen.19 Zwar formuliert Fichte auch 1804 noch recht drastisch, seine Theorie sei „Transscendental-Philosophie, so wie die Kantische, darin also ihr ganz ähnlich" (GA II, 8, 14; SW X, 96), demgegenüber lasse sie sich mit „allen frühern Philosophien oder neuen Aftergeburten [...] gar nicht unmittelbar vergleichen; denn sie hat von ihnen gar Nichts und ist toto genere verschieden" (GA Π, 8, 34; SJVX, 105); doch scheint die Hoffnung auf derartige Einsichten vor allem bezüglich deqenigen Schriften aussichtsreich, in denen in grundlegender Übereinstimmung mit Kant dem reinen Ich Prinzipienfunktion zugesprochen wird.

"

Das heißt jedoch nicht, daß die Annahme, Fichte entwickele grundsätzliche Punkte seiner Theorie aufgrund der Rezeption Reinholds, Schutzes und Maimons, eine „genetische Täuschung" darstellt, wie M.J. Siemek (Fichtes Wissenschaftslehre und die kantische Transzendentalphilosophie. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981, 526f) meint, der die Aufnahme von deren Schriften fur sekundär hält, indem sie erst erfolge, nachdem die fundamentalen Entscheidungen in der Auseinandersetzung mit Kant bereits gefallen seien.

I.Teil: Apperzeption und Kategoriendeduktion in der ersten Version der Wissenschaftslehre

1 Aufnahme, Umdeutung und Begründung der transzendentalen Apperzeption Kants in den drei Grundsätzen der ,, Grundlage der gesammten Wissenschaflslehre " Kant begründet seine kritische Theorie vom transzendentalen Ich bekanntlich vor allem im §16 der Kritik der reinen Vernunft. Entscheidend für diesen Theorieansatz ist nicht zuletzt das Verhältnis der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption, ihrer Spontaneität und der in ihr begründeten Synthesisleistungen zur analytischen Identität des Selbstbewußtseins. Daß Fichte diese Passagen des Kantischen Hauptwerks zur theoretischen Philosophie sehr gut gekannt hat, ergibt sich aus dem Manuskript Der Transscendentalen ElementarLehre. Zweiter Theil, das von Fichte wahrscheinlich im Spätsommer 1790 verfaßt wurde und unter anderem auch Exzerpte des §16 beinhaltet. Aus diesem nachgelassenen Manuskript läßt sich zudem eindeutig entnehmen, daß Fichte mit dem Text der zweiten bzw. mit dem nur unwesentlich abweichenden der dritten Auflage der Kritik der reinen Vernunft arbeitete.20 Vorab läßt sich schon sagen, daß die Aufstellung des Ich als Prinzip der Philosophie offensichtlich eine direkte Aufnahme Kantischer Gedanken darstellt. Zwar ist die Aufgabe, die Philosophie auf einem allgemeingültigen Grundsatz als ihrem Fundament zu errichten, eindeutig seitens Reinhold vorgegeben; so schreibt Fichte in einem Brief vom 01.März 1794 an Reinhold, er habe dessen ,,vortrefl[iche] Schrift" Über das Fundament des philosophischen Wissens mehrmals gelesen und stimme „mit dem, was Sie daselbst [. . .] über die Erforderniße einer Philosophie überhaupt, und insbesondre ihres ersten Grundsatzes sagen [...] überein" (GA, III. 2. 78, Nr. 189).21 Doch kennt die Reinholdsche Elementarphilosophie eigentlich kein selbstbezügliches Spontaneitätszentrum als Prinzip der Philosophie. Natürlich stellt die Spontaneität neben der Rezeptivität den zweiten wesentlichen Bestandteil des Vorstellungsvermögens dar; solche spontane Verbindungstätigkeit kommt jedoch eigentlich keinem Ich 20 21

Vgl. dazu die Einleitung der Herausgeber GA, II, 1, 295ff. Vgl. ebenso GA 1, 2, 62, 11 Of (SWl, 20, 31 ); GA II, 2, 311.

12

Die erste Version der Wissenschaftslehre

zu. Vielmehr ist die Vorstellung: Ich nach Reinhold erst das Resultat einer besonderen Reflexionsleistung, die das vorstellende Subjekt zum Objekt des Bewußtseins macht, wobei diesem deutlichen Selbstbewußtsein sowohl das dunkle Bewußtsein des Gegenstandes als auch das klare Bewußtsein der Vorstellung vorausgegangen sein müssen. Damit ist nach Reinhold die „eigentliche Entstehungsgeschichte der wichtigen Vorstellung des Ichs angegeben"22. Mithin läßt sich schließen, daß durchaus nicht in jedem Bewußtseinsakt Selbstbezüglichkeit des vorstellenden Subjekts als konstitutiver Bestandteil enthalten ist, wie dies bei Kant und Fichte in noch genauer zu erläuternder Weise durchaus der Fall ist.23 Selbstbewußtsein ist für Reinhold vielmehr spezifisch reflexive Bezugnahme auf die im Vorstellungsvermögen gegebenen Formen der Rezeptivität und Spontaneität, wobei das „blosse, von dem Prädikat des vorstellenden unterschiedene, Subjekt, [...] in diesem Bewußtsein auch nur Subjekt desselben"24 ist. Es bleibt „logisches Substratum des Prädikates vorstellendl25 und kann als solches nicht vergegenständlicht werden; es bleibt opakes Bezugszentrum. Da es sich mit den Formen des Vorstellungsvermögens genauso verhält, da auch sie „bei jeder Vorstellung Subjekt seyn" müssen und daher „nie das vorgestellte seyn" können - „so wenig als ein Auge sich selbst zu sehen vermag"26 - bedarf

22

K L. Reinhold: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. Prag/Jena 1789 (Nachdruck: Darmstadt 1963), 336. Vgl. ebenso die Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Bd 1. Jena 1790, 222f. 2 ' Schon Gottlob Ernst Schulze macht in seinem 1792 anonym erschienenen Aenesidemu.s darauf aufmerksam, daß Selbstbewußtsein nicht auf diese Form thematischer, reflexiver Selbstbeziehung beschränkt werden darf. Wenn eine Vorstellung im Bewußtsein vom Subjekt unterschieden und auf es bezogen werden soll, wie es Reinholds Satz des Bewußtseins fordert, muß das Ich sich jedoch sicherlich in irgendeiner Weise seiner selbst - wenngleich nicht notwendig thematisch - bewußt sein. Schulze nimmt in diesem Zusammenhang die Kantische Ausdrucksweise auf, der gemäß das Bewußtsein des Ich „viele Vorstellungen begleitet und alle begleiten kann", wie z.B. bei der Anschauung eines Körpers oder bei der Vorstellung der Gottheit. Vgl. [Schulze, Gottlob Ernst): Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik. Hrsg. von M.Frank. Hamburg 1996, 70f Anm.; vgl. ebenso 240. - Auch nach Ernst Plainer ist im Bewußtsein, in dem die Vorstellung sowohl auf einen „äußerlichen Gegenstand" als auch auf „die Seele als auf das vorstellende Subjekt" bezogen wird, „einerseits Bewußtseyn des Gegenstandes (...) und andererseits Selbstbewußtseyn" enthalten. Vgl. E.Platner: Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. Ganz neue Ausarbeitung. Erster Theil. Leipzig 1793 (Nachdruck: Bruxelles 1970), §123; vgl. auch §§126 und 142ff. 24 K.L.Reinhold: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, 334. Vgl. ebenso die Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Bd 1, 204, 321 und bes. 246: Das Subjekt kann, „weil es sich in jeder Vorstellung als Subjekt, und als das Unterscheidende verhält, sich selbst nie Objekt, nicht das zu Unterscheidende werden". 25 K.L.Reinhold: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, 338; vgl. auch 273. 26 K.L.Reinhold: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, 274; vgl. auch die Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Bd 1, 197. Auf die daraus sich ergebenden Probleme, die vor allem darin bestehen, daß auch durch ein solches Rückschlußverfahren von der Wirkung auf die Ursache das Vorstellungsvermögen und da-

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

13

es nach Reinhold zur Ermöglichung einer Elementarphilosophie eines Rückschlußverfahrens von den Eigenschaften der bloßen Vorstellung auf diejenigen des Vorstellungsvermögens. Selbstbeziiglichkeit des Ich ist also nicht konstitutiver Bestandteil des Bewußtseins überhaupt, das als Tatsache im Satz des Bewußtseins ausgedrückt wird und das Prinzip der Reinholdschen Elementarphilosophie ausmacht, sondern lediglich eine besondere Art des Bewußtseins und somit nicht selbst Prinzip, sondern diesem untergeordnet. Dementsprechend heißt es in einem Brief Fichtes vom Frühjahr 1795 an Reinhold: „Sie haben, so wie Kant, etwas in die Menschheit gebracht, das ewig in ihr bleiben wird. Er, daß man von Untersuchung des Subjekts ausgehn, Sie, daß die Untersuchung aus Einem Grundsatze geführt werden müße" (GA III, 2, 282, Nr. III)21 Handelt es sich bei dem absoluten Ich Fichtes aber um eine direkte Aufnahme, Umdeutung und Weiterfuhrung der Kantischen Theorie der reinen Apperzeption, dann stellt eine Konfrontation dieser beiden Prinzipien eine Aufklärung zumindest einiger wichtiger Aspekte des ersten Grundsatzes der Grundlage der gesammten Wissenschafislehre von 1794/95 in Aussicht. Vor allem ist durch eine solche Gegenüberstellung zu zeigen, daß die Ansetzung des absoluten Subjekts, auch wenn Fichte mit ihr über Kants reines Selbstbewußtsein hinausgeht mit dessen Anforderungen an eine kritische Transzendentalphilosophie und an die Methode der Gewinnung ihrer Prinzipien durchaus vereinbar und somit ohne derartige Implikationen interpretierbar ist, die Kant als dogmatischmetaphysisch abgelehnt hätte. Da die ursprüngliche Apperzeption Kants, wie sie in der Kritik der reinen Vernunft expliziert wird, jedoch speziell den höchsten Punkt der theoretischen Philosophie darstellt, sollen im Folgenden vor allem die theoretischen und weniger die praktischen Aspekte und Implikationen des Ich des ersten Paragraphen der Grundlage im Vordergrund stehen. Dies läßt sich jedoch, obwohl er als das Eine Fundament der gesamten Philosophie aufzufassen ist, aus der spezifischen Methode der Gewinnung des ersten Grundsatzes in dieser ersten veröffentlichten Fassung der Grundlegung der Wissenschaftslehre

27

mit das originär Subjektive zum Objekt wird, was nach Reinhold unmöglich sein soll, sowie auf die Unvereinbarkeit dieses Rückschlußverfahrens mit der Reinholdschen Theorie der Selbstaffektion sei hier nicht näher eingegangen. - Zu dem gleichen Problem, das sich bei Natorp aus der Struktur des Bewußtseins ergibt, nach der das Subjekt als Aktzentrum niemals die Stelle des Objekts einnehmen kann, sowie zu der darauf aufbauenden Kritik Husserls vgl. K.Dtlsing: Selbstbewußtseinsmodelle. Moderne Kritiken und systematische Entwürfe zur konkreten Subjektivität. München 1997, 28ff. Vgl. ebenso GA III, 2, 315, Nr. 283 sowie die entsprechenden Entwürfe GA III, 2, 275, 309, Nr. 272b, 283a. - Im Einklang mit den obigen Überlegungen spricht auch D.Henrich (Die Anfänge der Theorie des Subjekts (1789). In: Zwischenbetrachtungen. Im Prozeß der Aufklärung. Jürgen Habermas zum 60.Geburtstag. Hrsg. von A.Honneth et al. Frankfurt a.M. 1989, bes. 146t) dem Subjekt des Satzes des Bewußtseins zwar Aktivität, aber kein Selbstbewußtsein zu. Selbstbezüglichkeit könne man ihm höchstens beilegen, wenn man bedenke, daß mit dem Hervorbringen der Form der Vorstellung und damit der Vorstellung als solcher zugleich die Leistung der Beziehung derselben auf das Subjekt verbunden ist. Dadurch gelange man „in die Nähe der Konsequenz, dem Subjekt [...] eine Selbstbeziehung zuzusprechen".

14

Die erste Version der Wissenschaftslehre

durchaus rechtfertigen.28 - So soll das absolute Ich in einem ersten Schritt in seiner Struktur durch einen Vergleich mit dem reinen Selbstbewußtsein Kants aufgehellt werden. Im Anschluß an die Erörterung der Frage nach den Bedingungen der Daseinsgewißheit des Subjekts in seiner Selbstbeziehung ist dann auf die reine Apperzeption bzw. das absolute Ich als Theoriebestandteile einzugehen, wobei auch die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, dem Ich als Prinzip der Transzendentalphilosophie Sein oder Existenz zuzuschreiben, expliziert werden muß.

1.1 Selbstbewußtsein, Spontaneität, Synthesis und Identität als Strukturbestimmungen des reinen Ich Kants Ausführungen zur Theorie des reinen Ich finden sich im Rahmen der transzendentalen Deduktion der Kategorien, d.i. einer Rechtfertigung ihres Anspruchs auf objektive Gültigkeit, wobei schon das Ende des §15 zur Explikation des reinen Selbstbewußtseins überleitet. Aus einer Analyse dessen, was notwendigerweise zu einer Verbindung gehört, ergibt sich nach Kant, daß eine Synthesis nicht nur ohne zu verbindendes Mannigfaltiges unmöglich ist, indem Verbindung immer Verbindung von etwas ist, das als Material der Synthesis noch nicht zusammengefaßt sein darf; es bedarf zudem eines leitenden Hinblicks auf Einheit, wobei solche höchste Einheit jeder Verbindung als Ermöglichungsbedingung vorausgehen muß und damit natürlich auch der Urteilseinheit, die selbst dann, wenn die Urteile inhaltlich analytisch sind, die Urteilssynthesis voraussetzt. Da Kant aber bereits im §10 gezeigt hat, daß die Kategorien als noematisch vorgestellte, begriffliche Einheiten des Anschauungsmannigfaltigen, als 28

Daß Fichte im ersten Paragraphen die Eine Vernunft aufstellt, die aller Differenzierung in theoretische und praktische Wissenschaftslehre noch vorausliegt und beide begründet, betont zurecht vor allem W.Metz: Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 203ff, 213, 223, 229f. Vgl. auch Ders.: Die Bestimmung des Menschen nach Fichtes Wissenschaftslehre von I794-1798 im Ausgang von Kants Vernunftkritik. In: Fichte-Studien 16 (1999), 142ff. Vgl. ebenso J.Lachs: Is there an absolute Seip In: Philosophical Forum XIX (1987-88), 174, 176. Die Rechtfertigung des absoluten Ich basiert jedoch auf einer Analyse der Bedingungen des Urteils A=A, so daß am Anfang der Grundlage vor allem theoretische Aspekte und Implikationen des Subjekts erörtert werden. Aufgrund dieser Tatsache kommt ihm nach F.Neuhouser (Fichte 's Theory of Subjectivity. Cambridge 1990, 43-53) im ersten Paragraphen ausschließlich theoretische Bedeutung zu, wenngleich ihm in der Folge ein praktischer Sinn untergeschoben werde. Demgegenüber betont etwa N.Hartmann (Die Philosophie des deutschen Idealismus. 2.Aufl. Berlin 1960, 46f) zu einseitig den praktischen Aspekt. Von dieser Auseinandersetzung unberührt bleibt der Versuch von W.H.Schräder (Empirisches und absolutes Ich. Zur Geschichte des Begriffs Leben in der Philosophie J.G. Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, 15-26), die Genesis des höchsten Prinzips entwicklungsgeschichtlich aus praktischen Überlegungen im Versuch einer Critik aller Offenbarung und im Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publikums über die französische Revolution zu erklären. Vgl. zu diesem Problem ebenso schon W.Kabitz: Studien zur Entwicklungsgeschichte der Fichteschen Wissenschaftslehre aus der Kantischen Philosophie. Berlin 1902,32-55.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

15

„Begriffe der Verbindung" (Ä>F B131) in den logischen Urteilsfunktionen des Verstandes gründen29, bedingt die gesuchte Einheit auch die in der Quantitätskategorie der Einheit gedachte numerische Einheit. Sie muß daher noch höher gesucht werden, „nämlich in demjenigen, was selbst den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche enthält" {KrV B131). Diese Einheit als Bedingung der Möglichkeit der Verbindung sowohl verschiedener Begriffe in einem Urteil als auch des in der Sinnlichkeit gegebenen reinen oder empirischen Anschauungsmannigfaltigen bestimmt Kant im §16 in Anlehnung an Leibniz als ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption.30 Diese Apperzeption bringt als spontanes Selbstbewußtsein die Vorstellung: Ich denke hervor, wobei Denken -im Sinne von diskursivem, nicht-anschaulichem Denken- als Gattungsbegriff aller derjenigen Verstandeshandlungen bestimmt werden kann, die verschiedene Begriffe zur Einheit eines Urteils bzw. gemäß einer der logischen Urteilsfunktionen die Verbindimg des anschaulich gegebenen Mannigfaltigen seitens der Einbildungskraft zur Einheit und speziell zur Einheit des Selbstbewußtseins bringen.31 Dieses Selbstbewußtsein, das spontan die Vorstellung: Ich denke hervorbringt, charakterisiert Kant auf dreierlei Weise: Solche Apperzeption ist erstens rein. Die reine Apperzeption läßt sich dabei vor allem auf zweierlei Weise vom empirischen, individuell bestimmten Selbstbewußtsein unterscheiden. In §18 sagt Kant ganz allgemein, die „empirische Einheit der Apperzeption" sei von der objektiven Einheit der Apperzeption, „unter gegebenen Bedingungen in concreto, abgeleitet" und habe „nur subjektive Gültigkeit" (Ä>FB140). Die Fundierungsfiinktion des reinen Ich für die nur subjektiv gültige Einheit des empirischen Selbstbewußtseins läßt sich in aller Kürze so formulieren, daß das empirische Mannigfaltige des passiven inneren Sinnes, so wie es etwa bestimmten Wahrnehmungsbedingungen gemäß vermittels des äußeren Sinnes in ihm gegeben wird, erst zu einer Einheit verbunden, d.h. in bestimmte zeitliche Anordnungen gebracht werden muß, um dem Ich 25

Vgl. KrV B104Í Vgl. auch die B128 gegebene Erklärung der Kategorien": „Sie sind Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu Urteilen als bestimmt angesehen wird." Ebenso B131: „denn alle Kategorien gründen sich auf logische Funktionen in Urteilen."

10

Vgl. G.W. Leibniz: Principes de la nature et de la grace fondés en raison. Hrsg. von H.Herring. 2.Aufl. Hamburg 1982, §4: „Ainsi il est bon de faire distinction entre la perception qui est l'état intérieur de la Monade représentant les choses externes; et Γ apperception, qui est la conscience ou la connaissance reflexive de cet état intérieur." Vgl. ebenso Ders.: Monadologie, a.a.O., §14. Zum Verhältnis der Theorien des Selbstbewußtseins von Leibniz und Kant sei verwiesen auf K.E.Kaehler: Kants transzendentale Reformulierung der substantiellen Einheit des leibnizschen Subjekts. In: Leibniz und die Frage nach der Subjektivität. Leibniz-Tagung Triest 11. bis 14.5.1992. Hrsg. von R.Cristin. Stuttgart 1994, 160-170. Vgl. A>KB145 sovile Prolegomena §22, AA IV, 304: „Denken aber ist Vorstellungen in einem Bewußtsein vereinigen."

31

16

Die erste Version der Wissenschaftslehre

bewußt werden zu können. Zielt diese spontane Verbindung nun nicht auf objektive, allgemeingültige Einheit, sondern auf die subjektive und zufallige Anordnung der Erlebnisse, so kann dieses Bewußtsein der Aufeinanderfolge der eigenen Zustände keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erheben, sondern ist aufgrund des privilegierten Zugangs des Ich zu sich selbst und seinen eigenen Zuständen originär subjektiv.32 Gleichwohl bedarf es, um das im inneren Sinn passiv Gegebene bewußt zu machen, spontaner Verbindungsleistungen des Ich, die letztlich im reinen Selbstbewußtsein begründet sind. - Wichtiger im Zusammenhang der Gegenüberstellung der Apperzeption Kants mit dem absoluten Ich Fichtes ist jedoch die zweite Weise, in der das reine Ich dem empirischen Ich zugrundeliegt. Die reinen Akte des: Ich denke sind in ihrer Unzeitlichkeit selbstverständlich keine tatsächlich vorkommenden, wahrnehmbaren Gegebenheiten; sie können nicht durch bloße Reflexion des individuellen Ich auf seine Denkhandlungen zum Bewußtsein gelangen. Denken als faktischer Akt ist vielmehr immer eine zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindende, psychische Leistung eines individuellen Ich. Sollen diese einzelnen empirischen Akte jedoch speziell als Dewfcakte bestimmbar sein, so müssen ihnen die reinen Akte, deren Akteur das reine Ich ist, idealiter zugrundehegen. Nur dadurch sind Denkleistungen etwa von bloßen Assoziationsleistungen unterscheidbar, die zufälligerweise z.B. der gleichen, logisch richtigen Schlußform, die in ihrer Gültigkeit nicht auf psychischen Zwang reduzierbar ist, entsprechen können. Daß „die reine Synthesis des Verstandes [...] a priori der empirischen zum Grunde liegt" (Ä>FB140), muß daher auch so verstanden werden, daß psychische Denkvorgänge zeitlich-konkrete Instantiierungen idealer reiner Denkakte darstellen.33 Die Apperzeption ist also insofern rein, als sie spontaner Akteur reiner, unzeitlicher Denkakte ist und insofern sowohl der reinen Logik und ihren Regeln von nicht zeitgebundener Gültigkeit als auch der Transzendentalphilosophie zum Prinzip dienen kann, soweit diese die in den logischen Urteilsfunktionen gründenden Kategorien zum Thema hat.

12

33

Die Unkorrigierbarkeit Erster-Person-Sätze über subjektive Zustände und Vorgänge ist also nach Kant keinesfalls eine Folge sozialer Übereinkunft über die Verhaltenserklärung, wie R.Rorty (Unkorrigierbarkeit als Merkmal des Mentalen. In: Analytische Theorien des Selbstbewußtseins. Hrsg. von M.Frank. Frankfurt a.M. 1994, bes. 609ff) raeint; sie ist vielmehr subjektivitätstheoretisch aufklärbar. Das heißt jedoch nicht, daß subjektive Zustände grundsätzlich dem jeweiligen Ich vorbehalten bleiben, das sie hat. Sie werden aber nicht durch Beschreibungen gehirnphysiologischer Vorgänge, wie der moderne Materialismus meint, sondern auf höchster Ebene durch sprachliche Verlautbarung intersubjektiv zugänglich. In der Kritik der Urteilskraft nennt Kant „reine, ohne Körper denkende Geister", die abgesondert vom Körperlich-Materiellen existieren sollen, „vernünftelte Wesen" (KdU2 455f), da sie uns niemals in der Erfahrung gegeben werden können. Auch das reine Ich und seine reinen Akte können also nicht als selbständig bestehende Entitäten verstanden werden, sondern lediglich als ideale Grundlage, der nur in der Konkretion bestimmter zeitlicher, psychischer Gegebenheiten Existenz zugesprochen werden kann.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

17

Die reine Apperzeption charakterisiert Kant weiterhin als die ursprüngliche, „weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, indem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle anderen muß begleiten können, [...] von keiner weiter begleitet werden kann" {KrV Β132). Damit ist einerseits gesagt, daß das Ich Substanz im logischen Sinne ist, d.h. daß es notwendig als das seinen Vorstellungen als seinen Prädikaten zum Grunde hegende Subjekt gedacht wird, das nicht wiederum als Prädikat von einem höheren Subjekt ausgesagt werden kann.34 Andererseits ist damit der Charakter der reinen Apperzeption als Prinzip zum Ausdruck gebracht. Sie stellt dasjenige Fundament von Logik und Transzendentalphilosophie dar, das nicht mehr auf einen höheren Grund seiner Möglichkeit hin befragt werden kann, sondern selbst, indem es als ursprüngliches Selbstbewußtsein spontan Mannigfaltiges zur Einheit bringt, höchste Begründungsfunktion für ein einheitliches Bewußtsein, die darin fundierte Erfahrung und somit für die gesamte theoretische Philosophie besitzt; insofern ist das reine Ich als Prinzip von Logik und Transzendentalphilosophie unhinterfiragbar. Schließlich bestimmt Kant die reine, ursprüngliche Apperzeption als transzendental, „um die Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen" (KrV B132). Damit nimmt Kant offenbar diejenige Bedeutung von „transzendental" auf, die auch in der „transzendentalen Erörterung des Begriffs vom Räume" gemeint ist. Demnach beinhaltet eine transzendentale Erörterung die „Erklärung eines Begriffes, als eines Prinzips, woraus die Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse a priori eingesehen werden kann" {KrV B40). Dazu ist nach Kant erstens erforderlich, daß der zu erörternde Begriff tatsächlich Prinzip solcher Erkenntnisse a priori ist. Dieser Nachweis, daß die ursprüngliche Apperzeption ein derartiges Prinzip darstellt, wird aber gerade als Beweisziel der transzendentalen Deduktion der Kategorien angestrebt. Es soll gezeigt werden, daß die Kategorien als in den reinen Handlungen der Apperzeption begründete reine Verstandesbegriffe rechtmäßigerweise auf die Gegenstände der Erfahrung angewendet werden dürfen und auf ihnen somit die allgemeinsten begrifflichen Bestimmungen der Objekte qua Erscheinungen beruhen. Zweitens fordert Kant, daß die gegebenen Erkenntnisse a priori ausschließlich unter Voraussetzung dieser bestimmten Erklärungsart ihres Prinzips möglich sind. Daß auch das für die auf den schematisierten Kategorien basierenden allgemeinsten Naturgesetze gilt, geht schon allein daraus hervor, daß sie nur unter der Bedingung der Annahme ihres reinen Ursprungs a priori als absolut- und nicht nur komparativ-notwendige und allgemeine Bestimmungen der Objekte erklärbar sind. Da diese Gesetze jedoch nicht einfach a priori vorliegen, sondern durch spontane Denkakte gedacht werden müssen und solche spontanen Denkakte nicht anonym erfolgen, sondern ein denkendes Ich erfordern, das reine Denk34

Zu Kants Ablehnung der Bestimmung des Ich als prädizierbaren Begrifl' vgl. KrV B404, Prolegomena §46, AA IV, 334; zur Denkbarkeit des Ich als Subjekt der Gedanken vgl. KrV B419, 429.

18

Die erste Version der Wissenschaftslehre

akte vollziehen kann, bedarf es zur Erklärung absolut-notwendiger Naturgesetze als Erkenntnisse a priori der reinen, ursprünglichen Apperzeption, die insofern auch transzendental zu nennen ist.35 Entscheidend für die vergleichende Interpretation mit dem ersten Grundsatz der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von Fichte ist das Verhältnis von als rein, ursprünglich und transzendental bestimmter ursprünglichsynthetischer Einheit der Apperzeption und analytischer Identität des Selbstbewußtseins. Nach Kant ermöglicht es erst die spontane Synthesis durch die synthetische Einheit der Apperzeption, die mannigfaltigen Vorstellungen, es seien nun Anschauungen oder Begriffe, Einem Selbstbewußtsein zuzurechnen. Der dahinterliegende Begründungszusammenhang erhellt am besten aus der korrespondierenden negativen Formulierung, nach der, wenn das reine Ich das Mannigfaltige nicht vereinigte, „ich ein so vielfarbiges verschiedenes Selbst" hätte, „als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt bin" (KrV Β134). Es wäre dem Ich zwar durchaus möglich, jede einzelne Vorstellung mit Bewußtsein zu begleiten; es wäre sich aber keines durchgängigen Zusammenhanges unter denselben bewußt. Daraus würde folgen, daß mit jedem Wechsel z.B. des im äußeren Sinn passiv wahrgenommenen Vorstellungsgehaltes das Bewußtsein abbrechen und ein neues anheben würde.36 Also nur durch die spontanen, regelhaften Synthesisleistungen des Ich ist es überhaupt möglich, mehrere Bewußtseinsinhalte Einem Ich zuzuschreiben; und auch nur so kann das Ich sich seiner selbst als eines und desselben identischen bewußt werden, ohne in der Mannigfaltigkeit der vorgestellten Inhalte zu verfließen. Daraus folgt nach Kant, daß die „analytische Einheit der Apperzeption [...] nur unter der Voraussetzung irgendeiner synthetischen möglich" ist (KrV Β134). Die begründete Identität der Selbstbeziehung heißt dabei deswegen analytisch, weil sie dasjenige Ich bezeichnet, das sich in der Mannigfaltigkeit der Vorstellungen durchhält und sich als identisches weiß. Es ist daher in eminenter Weise das in allem ansonsten

35

36

Zum Gebrauch von „transzendental" in einer ähnlichen Bedeutung vgl. KrV B150. - Sicherlich läßt sich an dieser Stelle auch die andere Bedeutung von „transzendental" substituieren, der gemäß diejenige Erkenntnis a priori transzendental zu nennen ist, die die Begründung apriorischer Vorstellungen in Erkenntnisvermögen des Subjekts enthält (vgl. KrVB25, 80), da der Ursprung der auf den logischen Funktionen beruhenden Kategorien als reine Verstandesbegriffe in der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption aufgewiesen werden soll. Die Formulierung, die reine Apperzeption sei „transzendental" zu nennen, „um die Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen" (KrV B132), scheint jedoch mehr den Aspekt der Fundierung der die Erfahrung ermöglichenden Erkenntnis a priori im reinen Ich zu betonen. So kann das Ich z.B. in der wechselweisen Wahrnehmung zweier Dinge niemals aufgrund der Empfindung wissen, daß während der bewußten Präsenz des einen Gegenstandes auch der andere kontinuierlich koexistiert. Erst die Verbindung der Vorstellungsgehalte gemäß der Kategorie der Wechselwirkung als wechselseitige Folge von Eigenschaften einer Substanz aus der Einwirkung der jeweils anderen bestimmt die Existenz beider Gegenstände als Zugleichsein. Vgl. KrV B256ff.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

19

mannigfaltig Verschiedenen sich durchhaltende Identische und insofern Prinzip der analytischen bzw. diskursiven Begriffe. Kant scheint aber noch spezifischere Charakteristika des Begründungsverhältnisses von ursprünglich-synthetischer und analytischer Einheit der Apperzeption anzudeuten. Indem das reine Ich sich seiner selbst als eines und desselben sich durchhaltenden Selbst bewußt wird, vergegenwärtigt es sich nach Kant seine eigenen Synthesisleistungen, die somit noematischer Vorstellungsgehalt der analytischen Einheit der Apperzeption sind. Offenbar folgt solches thematische Bewußtsein der eigenen Synthesisleistungen aber nicht notwendig aus der spontanen Synthesis des gegebenen Mannigfaltigen; es wird vielmehr dadurch lediglich ermöglicht. Diese Interpretation wird unter der Voraussetzung einer wohlbegründeten Konjektur bestätigt. Kant führt aus, daß der „Gedanke: diese in der Anschauung gegebenen Vorstellungen gehören insgesamt mir zu" soviel heiße „als ich vereinige sie in einem Selbstbewußtsein [...] und ob er gleich selbst noch nicht das Bewußtsein der Synthesis der Vorstellungen ist, so setzt er doch die Möglichkeit der letzteren voraus" (KrV Β134). „Der letzteren" kann sich nun einerseits auf „Vorstellungen" oder andererseits auf „Synthesis der Vorstellungen" beziehen. Beides wäre trivial: Natürlich setzt die Vereinigung der Vorstellungen die Möglichkeit solcher Vereinigung voraus und damit auch die Möglichkeit der Vorstellungen. Ersetzt man an dieser Stelle jedoch „der letzteren" durch „des letzteren", so ergibt sich, daß aus den Synthesisleistungen des Ich zwar nicht notwendig auch das Bewußtsein derselben erfolgt, sie jedoch solches Bewußtsein und somit die analytische Apperzeption ermöglichen.37 Daraus läßt sich eine Stufenfolge von Selbstbeziehungsweisen des reinen Ich folgern. Einerseits ist offenbar der Gedanke, daß eine Mannigfaltigkeit gegebener Vorstellungen insgesamt mir zugehört, möglich ohne thematische Vorstellung meiner selbst als eines identischen Selbst. Andererseits kann das reine Ich die Vorstellungen verbinden, wodurch sie de facto insgesamt „meine Vorstellungen" werden, da sie in Einem einheitlichen Bewußtsein verknüpft sind, ob ich mir „ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin" (ÂVFB132). Mit dieser Wendung scheint Kant andeuten zu wollen, daß das Ich -etwa beim aufmerksamen oder gar angestrengten Denken an etwas- in der Synthesis verschiedener Vor37

Zum Verhältnis von ursprünglich-synthetischer und analytischer Einheit des Selbstbewußtseins als Bewußtsein der eigenen Identität des Ich vgl. auch die ausfuhrlichen und luziden Ausführungen von M.Baum: Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur „Kritik der reinen Vernunft". Königstein/Ts. 1986, 93-104. P.F.Strawson (The Bounds of Sense. An Essay on Kant's „Critique of Pure Reason". London 1966, bes. 93-97) hält das „Ich" des: Ich denke des §16 für ein „imaginary subject of transcendental psychology" und versucht die Lehre von der Synthesis und ihrer subjektiven Fundierung durch eine analytische Beziehung der Einheit des Bewußtseins und der einheitlichen Objektivität der Erfahrungswelt zu ersetzen. Die Rede vom Ich und vom Selbstbewußtsein hält hingegen J.Bennett (Kant's Analytic. Cambridge 1966, 103ñ) fiir gerechtfertigt, da Kant nur solche Vorstellungen und Erfahrungen zum Inhalt seiner Untersuchungen machen könne, die sich jemand zuschreibt, da nur über sie sinnvoll geredet werden könne.

20

Die erste Version der Wissenschafìslehre

stellungsgehalte sich auf eine solche Weise in diese versenken kann, daß es sich derselben zwar in einem einheitlich-geregelten Zusammenhang bewußt wird, die damit verbundene Möglichkeit der expliziten Zurechnimg der Inhalte zu Einem Ich jedoch nicht wahrnimmt: Das Ich handelte dann selbstvergessen. Im ersten Fall könnte Kant hingegen eine Art unthematischen Selbstbewußtseins vor Augen haben, in dem das Ich die Vorstellungen zwar sich als einem und demselben zurechnet, dabei aber nicht explizit auf sich zurückkommt und thematisch um seine spontan vollzogene Synthesis weiß. Dementsprechend spricht er schon im §15 von der „Verbindung, wir mögen uns ihrer bewußt werden oder nicht" (AVK Β130). Auf eine solche Selbstbeziehungsweise würde dann auch die Metapher des „Begleitens" hindeuten, die einerseits offenbar anzeigt, daß das: Ich denke zwar geregelte Einheit im gegebenen Mannigfaltigen hervorbringt, dabei aber als diskursiv-endliches Denken keine neuen Inhalte produziert; andererseits kann man sie aber auch dahingehend interpretieren, daß das Ich des: Ich denke zwar mitthematisch seiner selbst inne ist, der Denkende aber eigentlich und thematisch in intentio recta den von sich selbst verschiedenen Gehalt intendiert.38 Die thematische Vorstellung des identischen Selbst in der analytischen Einheit der Apperzeption wäre dann neben dem selbstvergessenen Versenktsein in den Vorstellungsinhalt und dem mitthematischen Bewußtsein seiner selbst im Gegenwärtigen eines Gegenstandes die dritte Stufe, in der die die Einheit des Bewußtseins erwirkenden Synthesisleistungen auch eigens thematisch würden.39 Aus diesen Überlegungen ergibt sich recht zwanglos die Interpretation zumindest eines Teils des ersten Satzes des 16. Paragraphen. Daß etwas in mir vorgestellt würde, „was garnicht gedacht werden könnte" (KrV Β132), wenn das: Ich denke meine Vorstellungen in keiner Weise begleiten könnte, ergibt sich von selbst. Kant unterscheidet im Folgenden jedoch zwei Alternativen. Denn einerseits könnte die Vorstellung überhaupt unmöglich sein, was wohl dann der Fall ist, wenn verschiedene Bestandteile derselben einander widersprechen. Zwar müssen natürlich auch widersprechende Inhalte irgendwie aufeinan38

39

Zu der in diese Richtung zielenden Interpretation Heideggers sei verwiesen auf K.Düsing: Selbstbewußtseinsmodelle. Apperzeption und Zeitbewußtsein in Heideggers Auseinandersetzung mit Kant. In: Zeiterfahrung und Personalität. Hrsg. vom Forum für Philosophie Bad Homburg. Frankfurt a.M. 1992, 102fif. Auch H.J.Paton (Kant's Metaphysic of Experience. A Commentary on the first Half of the „Kritik der reinen Vernunft" (zuerst 1936). 4. Aufl. London 1965. Bd 1, bes. 514f) erwähnt schon die bei Kant zumindest angedeuteten Möglichkeiten, daß das reine Ich die durch seine spontanen Synthesisleistungen begründete Option, Vorstellungen ausdrücklich sich zuzuschreiben bzw. sich seiner Akte thematisch bewußt zu werden, nicht notwendig wahrnehmen muß. Abweichend interpretiert hingegen W.Becker (Idealismus und Skeptizismus. Kritische Betrachtungen über das Verhältnis von Selbstbewußtsein und Gegenstandsbewußtsein bei Kant und Fichte. Frankfurt a.M. 1971, 7f) den Sinn der Metapher „begleiten". Er erblickt darin die Zwiespältigkeit, daß Kant einerseits am reinen Selbstbewußtsein als Prinzip allgemeiner und notwendiger Erkenntnis festhalten wolle, wozu es vom Gegenstandsbewußtsein getrennt bleiben müsse. Andererseits bleibe das isolierte Selbstbewußtsein aufgrund der Zirkelhaftigkeit des Reflexionsmodells in sich unbestimmbar, weswegen es des Bezugs auf das Gegenstandsbewußtsein bedürfe.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

21

der beziehbar sein, da sich ansonsten ihr Widerspruch gar nicht konstatieren ließe; sind sie mir jedoch klar und deutlich bewußt, so bin ich nicht in der Lage, sie konsistent in eine einheitliche Verbindung zusammenzunehmen. Andererseits könnten die Vorstellungen, wenn sie nicht denkbar wären, „wenigstens fur mich nichts sein" (KrV Β132). Diese Alternative träte offensichtlich dann ein, wenn diverse noematische Gehalte sich nicht durch spontane Synthesisleistungen in eine Einheit verknüpfen ließen. Denn dann würde mit jeder neuen Vorstellung auch das Bewußtsein von neuem anheben, wohingegen das Ich auf der Grundlage regelhafter Zusammenfügung die Mannigfaltigkeit seinem identischen Selbst derartig zurechnen kann, daß es sich entweder so in den Inhalt versenkt, daß es diese Option der Selbstzuschreibung nicht wahrnimmt, oder daß es seiner selbst im Vollzug der Synthesis zumindest mitthematisch inne ist, oder daß es schließlich in einem eigenen Akt ausdrücklich auf sich selbst zurückkommt und sich seine Synthesishandlungen explizit vergegenwärtigt.40 Die Bezüge der Fichteschen Begründung des Ich als Prinzip der Philosophie auf dieses historische Vorbild der reinen Apperzeption Kants werden nun in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von 1794/95 besonders deutlich, da sich diese einer eigentümlichen Methode bedient, das Ich als notwendigen Ausgangspunkt systematischen Philosophierens zu rechtfertigen. Dadurch wird einerseits der im Sinne Kants transzendentale, nicht-dogmatisch-metaphysische Theorieansatz dieser frühen Wissenschaftslehre deutlich, andererseits die implizite Aufnahme der Kantischen Charakterisierungen der Apperzeption als rein, ursprünglich und transzendental sowie die Modifikation der Begründungsstruktur von ursprünglich-synthetischer und analytischer Einheit der Apperzeption. 40

Die paradoxe Formulierung des ersten Satzes des §16 der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, daß das: Ich denke alle meine Vorstellungen muß begleiten können, also die Forderung einer notwendigen Möglichkeit, läßt sich durch Rückgriff auf das Schema der Möglichkeit aufhellen, also des Daseins „zu irgendeiner Zeit" (AVK Β184). Kann die Synthesis des Mannigfaltigen durch das: Ich denke gar nicht vorgenommen werden, so gehören die Vorstellungen nicht dem identischen Selbst zu. Andererseits müssen Inhalte, die ich mir zuschreibe, nicht ständig in ihrer Totalität von mir in einen einheitlichen Zusammenhang miteinander gebracht werden, was die Kapazität eines endlichen Selbst offenkundig überfordern würde. Es ist lediglich notwendig, daß ich eine Vorstellung irgendwann einmal in einen geregelten Zusammenhang mit anderen bewußten Gehalten bringe, damit sie mir zugehört. Dabei muß allerdings vorausgesetzt werden, daß solche reinen Akte des: Ich denke immer in einzelnen zeitlich-bestimmten psychischen Leistungen instantiiert sind. - In anderer Weise interpretiert K.Gloy (Kants Theorie den Selbstbewußtseins. Ihre Struktur und ihre Schwierigkeiten. In: Wiener Jahrbuch fur Philosophie XVII (1985), 32t), die das „muß können" speziell auf das „Ich" im: Ich denke bezieht und darin die Potentialität der Selbstbeziehung im denkenden Synthesisvollzug ausgedrückt sieht. K.Cramer (Über Kants Satz: Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können. In: Theorie der Subjektivität. D.Henrich zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Cramer et al. Frankfurt a.M. 1987, 167-202) versucht in seiner ausführlichen Interpretation des ersten Satzes des §16 zu zeigen, daß spezifisch das: Ich denke alle meine Vorstellungen begleiten können muß, da die Selbstzuschreibung von Vorstellungen nur durch Urteile der Form: „Ich weiß, daß ich φ" möglich sei, wobei es sich bei dem „Ich" des: Ich denke um einen prinzipiell nur denkbaren Begriff' handele, dem keine Anschauung korrespondieren könne.

22

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Zwar ist nach Fichte ein absolut-erster Grundsatz nicht aus höheren Sätzen beweisbar41 ; gleichwohl darf der Anfang der transzendentalen Konstruktion nicht beliebig angesetzt, er muß vielmehr nach einem methodischen Leitfaden aufgesucht und gerechtfertigt werden. Diese Methode nennt Fichte in der Grundlage die der „abstrahlenden Reflexion" (GA I, 2, 255; SW I, 91). Ohne schon hier auf eine genauere Bestimmung dieser Methode einzugehen, die am besten am Verlauf der Argumentation, die zum ersten Grundsatz fuhrt, explizierbar ist, läßt sich bereits an dieser Stelle sagen, daß eine solche Methodik zur Aufforderung, sein Ich anzuschauen oder zu denken, im geraden Gegensatz steht. Mit einer solchen Aufforderung beginnt Fichte sowohl in dem kurz vor der Grundlage niedergeschriebenen Manuskript Eigne Meditationen über ElementarPhilosophie42 als auch in den Ausführungen zur Wissenschaflslehre nova methodo seine Philosophie.43 Zugleich wird der Charakter des Selbstbezugs des reinen Ich als Anschauung, genauer: intellektuelle Anschauung ausgeklammert, obwohl auch sie schon in Schriften und Manuskripten vor der Grundlage erwähnt, wenngleich nicht ausführlich thematisiert wird.44 Die Erörterung der intellektuellen 41

42

43

44

Vgl. ebenso schon K.L.Reinhold: Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Jena 1790, 122f, 142f, 280 sowie Ders.: Über das Fundament des philosophischen Wissens. Hrsg. von W.H.Schrader. Hamburg 1978, 69. Zur Datierung der Eignen Meditationen auf die Zeit zwischen Anfang November 1793 und Anfang oder Mitte Januar 1794 vgl. die Einleitung der Herausgeber GA II, 3, bes. 19. Vgl. dazu GA II, 3, 27f. Fichte nennt den Satz „'Das Ich ist anschaulich·!'] "Schaue Dein Ich an['] 'Du bist Dir Deines Ich bewußt.[']" dort einen „Heischesaz: will jemand mit uns philosophiren, so wird ihm angemuthet, daß er sich seines Ich durch Anschauung bewußt werde". Vgl. auch GA II, 3, 49: „Man kann seines Ich sich bewußt werden. - Das kann man keinem beweisen, sondern jeder muß um sich deßen gewiß zu werden, die Probe mit sich selbst anstellen." Vgl. ebenso GA I, 4, 213, 274 (SW\, 458, 525), GA IV, 2, 29 sowie Κ 16, 28f. - Andere Begründungen des Ich als Ausgangspunkt der Philosophie haben beim frühen Fichte rein propädeutischen Wert, wie etwa die Gegenüberstellung von Idealismus und Dogmatismus in der Ersten Einleitung, wobei ihre Oberzeugungskraft sogar auf einen spezifischen, durch Freiheitsinteresse und bewußtsein ausgezeichneten Personenkreis eingeschränkt bleibt. Die Rechtfertigung der Ansetzung des absoluten Ich in der Grundlage ist hingegen Bestandteil der Grundlegung selbst. Eine „Typologie" der Einleitungen Fichtes versucht B.Zimmermann: Freiheit und Reflexion. Untersuchungen zum Problem des Anfangs des Philosophierens bei Joh. G. Fichte. Köln 1969, 141-160. Vgl. etwa GA II, 3, bes. 141 und 143f sowie in der Aenesidemus-Rezension GA I, 2, 48, 57, 65 (SWI, 10, 16, 22) und in den entsprechenden Entwürfen GA II, 2, 291, 295, 306, 314. Ebenso hat Fichte den Terminus „intellektuelle Anschauung" in den im Hause Lavaters vom 24.02. bis 26.04.1794 gehaltenen Züricher Vorlesungen verwendet: „Es wird sich ferner zeigen, daß das Ich ursprünglich auch eine Anschauung, aber keine sinnliche, sondern intellektuelle ist" (J.G.Fichte: Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre: Februar 1794. Nachschrift Lavater. Beilage aus Jens Baggesens Nachlaß: Exzerptseite aus der Abschrift von Fichtes Züricher Vorlesungen über Wissenschaftslehre. Hrsg. von E.Fuchs. Neuried 1996, 125). Erstmals vorgestellt wird diese Nachschrift von E.Fuchs: J.K.Lavaters Nachschrift der Züricher Wissenschaflslehre. In: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der Fichte-Forschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996, 56-73. - J.Stolzenberg (Fichtes Satz „Ich bin". Argumentanalytische Überlegungen zu Paragraph 1 der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von 1794/95. In: Fichte-Studien 6 (1994), 3-6) sieht in der eigentümlichen Methode der Grundlage im wesentlichen eine Antwort auf Reinholds im zweiten Teil der Beyträge erschiene-

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

23

Anschauung soll daher erst bei der Besprechung des Versuchs einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre erfolgen, wobei sie in der Zweiten Einleitung ausführlich gegen Kants Ablehnung gerechtfertigt wird. Nach Fichte muß nun die Begründung des absoluten Ich als Prinzip der Philosophie ihren Ausgang von irgendeiner „Thatsache des empirischen Bewußtseyns" nehmen, nämlich von „irgend einem Satze [...], den uns leder ohne Widerrede zugiebt" (GA I, 2, 256; SWI, 92). „Empirisch" ist dabei wohl nicht als Gegenbegriff zu „rein" oder „a priori" zu verstehen, so daß alles das als „empirisch" zu bestimmen wäre, was in irgendeiner Weise mit Empfindung zusammenhängt. Als „empirisch" bezeichnet Fichte an dieser Stelle vielmehr alles das, was auch ohne philosophische Reflexion Gegenstand des Bewußtseins werden kann, so daß durchaus auch logische Sätze in diesen Bereich gehören. Denn nur dann, wenn ich mir des logischen Satzes der Identität auch ohne vorausgehende philosophische Argumentationen bewußt zu werden vermag, ist er in der Lage, als Ausgangspunkt der Rechtfertigung des absoluten Ich als Prinzip der Philosophie zu dienen, das gerade nicht eine solche Tatsache des Bewußtseins ist, sondern allem Bewußtsein dieses bedingend zum Grunde liegt. Dies impliziert natürlich zugleich, daß die Tatsache, von der ausgegangen werden soll, von jedem zugegeben werden muß. Der Begründungszusammenhang, der zum absoluten Ich führt, kann damit als ein argumentum ex concessis bezeichnet werden. 45 Daß die der Argumentation zum Grunde gelegte Tatsache beliebig ist, soweit sie nur für jeden unmittelbare Evidenz besitzt, kann hingegen erst die vollständig ausgeführte Wissenschaftslehre beweisen. Aber schon aus den Darlegungen des §2 Iäßt sich zeigen, daß auch der Ausgang vom Satz des Widerspruchs über den Satz der Identität zum absoluten Ich führen würde, da einem A

nen Aufsatz Ueber den Unterschied zwischen dem gesunden Verstände und der philosophierenden Vernunft in Rücksicht auf die Fundamente des durch beyde möglichen Wissens, konzediert allerdings auch, daß sich ein sicherer philologischer Beweis für die Aufnahme dieser Position Reinholds nicht erbringen lasse. Wie Reinhold beginnt also auch Fichte seine philosophischen Argumentationen mit einer Tatsache, nutzt diese aber gerade dazu, hinter den Bereich der Tatsachen zurückzufragen. Der Satz der Identität ist jedoch nicht ein höherer Satz, aus dem der Satz: Ich bin zu begründen wäre. Es wird vielmehr von einem logischen Satz auf seine transzendentalphilosophische Bedingung zuriickgeschlossen (ratio cognoscendi), so daß im Verlauf des §1 umgekehrt der Satz der Identität im Satz: Ich bin begründet werden kann (ratio essendi). - W.Hartkopf (Die Dialektik Fichtes als Vorstufe zu Hegels Dialektik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 21 (1967), 178-181, 187f) ist der Meinung, daß das Fichtesche Rückschlußverfahren des ersten Paragraphen nur hypothetisch-gültige Ergebnisse erzielen kann, da zwar vom Implikans auf das Implikat, also vom Satz: Ich bin auf die Gültigkeit des Satzes der Identität geschlossen werden könne, nicht aber umgekehrt. Fichte versucht hingegen durch philosophische Argumente zu belegen, daß die Identität des Ich den einzigen sinnvoll anzunehmenden Grund für die Gültigkeit des Satzes der Identität darstellt. Solche Argumente gilt es - über eine logische Formalisierung hinausgehend - zu prüfen.

24

Die erste Version der Wissenschafìslehre

nur ein -A entgegengesetzt werden kann, so daß gilt -A nicht = A, wenn A vorher als mit sich identisch gesetzt wird.46 Fichte legt also seiner Argumentation den Satz der Identität A=A zum Grunde und versucht über eine Analyse seines Bedeutungsgehaltes und der ihm zugrundeliegenden Bedingungen das absolute Ich als Prinzip der Philosophie zu rechtfertigen. Dabei ergibt sich zunächst, daß der Satz A=A nichts über die Existenz des A aussagt. Fichte übernimmt hier offenbar sowohl die Bestimmimg der Modalitäten der Bestandteile des hypothetischen Urteils als auch die These, daß Sein, das sich z.B. in Möglich-, Wirklich- und Notwendigsein differenziert, kein reales Prädikat ist, aus Kants Kritik der reinen VernunftA1 Da die Existenz des A aus dem Satz A=A nicht hervorgeht - auch nicht aus der Kopula - und sich ebensowenig aus dem Bedeutungsgehalt des A entwickeln läßt, obgleich sie beidem nicht widerspricht, ist sie zunächst als Vordersatz eines hypothetischen Urteils formulierbar: „wenn A sey" (GA I, 2, 257; SW I, 93), denn „die beiden Urteile, deren Verhältnis das hypothetische Urteil ausmacht (antecedens und consequens)", sind „insgesamt nur problematisch" (KrV BlOO).48 So bleibt das Wirklichsein des A offen; denn da „Sein" kein solches Prädikat ist, das eine inhaltliche Bestimmung des Subjekts ausdrückt, läßt es sich nicht durch eine Analyse aus dem Subjekt-Α erschließen. Das als Kopula verwendete „ist" in dem Satz A=A bzw. A ist A drückt hingegen nicht die Existenz des A, sondern lediglich die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt aus, die im Falle des Satzes der Identität als eines logischen Satzes von unmittelbarer Evidenz eine absolut-notwendige Verknüpfung ist. Somit ergibt sich aus der Bedeutungsanalyse des Satzes der Identität zunächst die nach Fichte adäquate Formulierung: „ Wenn A sey, so sey A" (GA I, 2, 257; SW I, 93), d.h. „so ist es freylich als A, mit dem Prädikate A gesezt" (GA I, 2, 258; SW I, 95). Diese Formulierung trägt nämlich einerseits der lediglich problematischen Existenz des A Rechnung, drückt aber zugleich die Notwendigkeit aus, daß A, wenn es denn nun tatsächlich ist, als A ist, d.h. mit sich identisch ist. Von apodiktischer Gewißheit ist also ausschließlich die Verknüpfung der beiden Teilsätze des hypothetischen Urteils, der notwendige Zusammenhang „zwischen jenem Wenn, und diesem So [...] =X" (GA I, 2, 257; SW I, 93). Der entscheidende Schritt, der von dem umformulierten Satz der Identität auf die Voraussetzung des Ich schließt, ergibt sich aus der Frage, unter welcher Bedingung denn A ist. Der Zusammenhang X, der die beiden Momente des hypothetischen Urteils miteinander verknüpft, ist nach Fichte „im Ich, und durch das Ich gesezt" (GA I, 2, 257; SW I, 93). Dieser Aussage Fichtes liegt offenbar die Voraussetzung zugrunde, daß ein notwendiger Zusammenhang 46 47 48

Vgl. dazu die Ausführungen GA I, 2. 265f(SPFI. 102t) Vgl. KrVBÌ00f,626. Vgl. auch Jäsche-Logik §25, A4 IX, 105f.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

25

nicht sein kann, ohne daß er für jemanden ist. Ein Gedanke, den niemand denkt, der vielmehr unabhängig von jeglichem Vollzug besteht, ist für Fichte ein Unding. Eine Verknüpfung zweier Gedankeninhalte muß insofern im Ich sein, d.h. einem Ich bewußt sein. Ebenso nimmt Fichte hier offensichtlich Bestimmungen des §15 der Kritik der reinen Vernunft auf, denen gemäß „Verbindung (conjunctio) [...] ein Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft" (A>FB129f) ist. Vorstellungen fugen sich demnach nicht von selbst in einen notwendigen Zusammenhang mit anderen Vorstellungen, noch nicht einmal in den der Identität mit sich selbst, sondern bedürfen aktiver Verknüpfungsleistungen.'' 9 Durch diese Voraussetzungen läßt sich nun zwar erweisen, daß der Zusammenhang X für jemanden sein muß, der ihn spontan aus sich selbst und zwar - weil der Satz der Identität durch keinen anderen begründet werden kann - schlechthin setzt. Daß dasjenige, in dem und durch das der Zusammenhang X ist, aber ein Ich sein muß, dem Selbstbezüglichkeit eignet, begründet Fichte erst im nächsten Schritt. Der Zusammenhang X läßt sich nämlich nicht setzen, ohne Beziehung auf etwas, das mit sich identisch gesetzt wird. Innerhalb der formalen Logik kann dieses Etwas durch die Variable A bezeichnet werden. Daraus folgt für Fichte, daß das A für und durch eben denjenigen gesetzt sein muß, für den und durch den auch X gesetzt ist. Wird aber das A an der Stelle des logischen Subjekts gesetzt, so wird dasjenige an der Stelle des logischen Prädikats notwendig ebenso gesetzt, weil nichts gesetzt werden kann, es sei denn, es ist identisch mit sich. Der Satz der Identität setzt also, wenn er überhaupt formulierbar sein soll, zwei verschiedene durch das Ich gesetzte Instanzen des A und deren spontane Verknüpfung voraus. Dies ist aber nur unter der Bedingung möglich, „daß im Ich [...] etwas sey, das sich stets gleich, stets Ein und eben dasselbe sey" (GA I, 2, 257; SWI, 94). Deijenige, der A an der Stelle des logischen Subjekts setzt, muß nach Fichte um sich in seiner durchgängigen Identität wissen, wenn er kraft seiner Spontaneität in der Lage sein soll, dieses A als ein mit sich selbst identisches auszusagen. Denn würde deijenige, der in der Position des Subjekts A setzt, sich nicht durch die verschiedenen Vorstellungsgehalte als einer und derselbe durchhalten und sich selbst nicht in dieser Eigenschaft wissen, so wäre er nicht einmal fähig, etwas mit sich identisch zu setzen, da ansonsten das Bewußtsein des A an der Subjektstelle und dasjenige des A an der Prädikatstelle auseinanderfielen und eine Verknüpfüng nicht möglich wäre. Fichte verwendet dafür in einem Zusatz zur zweiten, verbesserten Auflage von 1802 den „populären" Ausdruck: „Ich, das in der Stelle des Prädikats A. setzende, dem zu Folge, daß es in der des Subjekts gesezt wurde, weiß nothwendig von meinem Subjektsetzen, also von mir selbst, schaue wiederum mich selbst an, bin mir dasselbe" (GA 49

Dies wird natürlich von solchen Theorien bestritten, die kein spontan-verknüpfendes Subjekt ansetzen. Die Bedeutung des Ich reduziert sich dann wie z.B. bei Hume bestenfalls auf ein empirisches Vorstellungsbündel. Vgl. dazu K.Düsing: Selbstbewußtsemsmodelle. Moderne Kritiken und systematische Entwürfe zur konkreten Subjektivität. München 1997, 27ff.

26

Die erste Version der Wissenschaftslehre

I, 2, 258; SW I, 95)50. Derjenige, der die gesonderten Vorstellungsgehalte des Subjekt- und des Prädikat-Α sowie deren notwendigen Zusammenhang setzt, muß sich also nicht nur als einer und derselbe durchhalten, sondern sich seiner selbst auch in dieser Eigenschaft bewußt sein.51 Ebenso wie bei Kant ist allerdings auch bei Fichte die Aussage, daß das Ich sich stets gleich bleiben bzw. durchhalten muß, in verschiedenen Vorstellungsgehalten dasselbe sein muß, an dieser Stelle nicht notwendig zeitlich zu verstehen. Zwar läßt der Umstand, daß - wie sich in der Folge zeigen wird - das Ich bisher nur als eine Tatsache, nicht aber als Tathandlung bestimmt wurde, eine solche Interpretation durchaus zu; dem bloßen logischen Satz der Identität ist aber nur zu entnehmen, daß die beiden A verschieden sein müssen, soll sich Identität aussagen lassen. Die Bestimmung des Setzens des notwendigen Zusammenhangs der Identität als einen zeitlichen Akt würde daher eine zusätzliche, aber für den Gedankengang nicht notwendige Voraussetzung darstellen, auch wenn Maimón in seinem Versuch einer neuen Logik von 1794 in dieser Weise argumentiert. Seiner Meinung nach sind verschiedene, in einem Urteil zu einem Begriff verbundene Gehalte zunächst in zeitlicher Folge vorzustellen; in ihrer Verknüpfung zur Einheit des Bewußtseins denkt man sie hingegen zu gleicher Zeit. Dies gilt nach Maimón selbst für den Satz der Identität; in ihm „betrachte ich a als von sich selbst verschieden, und verbinde es gleichsam mit sich selbst in einer Einheit des Bewußtseyns". Daher lasse sich auch an ihm erkennen, daß „die Vorstellung der Zeit eine Bedingung des Denkens überhaupt ist.52 Damit ist nach Fichte der Bedeutungsgehalt des Satzes „Ich=Ich" bzw. „Ich bin Ich" als notwendige Bedingung für den Satz der Identität, dessen Gewißheit vorausgesetzt wurde, aufgewiesen. Er hat dabei innerhalb der Argumentation die Kantischen Bedingungsverhältnisse von urspünglich-synthetischer Einheit und analytischer Identität der Apperzeption umgekehrt.53 Während für Kant die 50

51

52 53

Diese Anschauung seiner selbst wird von Fichte in diesem Zusatz nicht näher spezifiziert. Da er sich in ihm jedoch „populär" ausdrücken möchte, muß man nicht unbedingt sogleich an eine intellektuelle Anschauung denken. Gemeint sein könnte dann zunächst ganz allgemein ein unmittelbares, intuitives Vergegenwärtigen seiner selbst, das sich erst der philosophischen Untersuchung als eine solche intellektuelle Anschauung offenbart, wie sie von Fichte vor allem in der Zweiten Einleitung und im Versuch einer neuen Darstellung als Bedingung der Möglichkeit von Bewußtsein und Handeln dargelegt wird. Diesem Wissen des Ich um seine eigene Identität kommt vor allem in der von Fichte in den Eignen Meditationen über Elementarphilosophie sogenannten ,,bedingte[n] Beziehungslehre" (GA II, 3, 91) besondere Bedeutung zu, da angesichts der dort abgeleiteten Mannigfaltigkeit der Empfindungsgehalte die Frage entsteht, wie gleichwohl der identische Selbstbezug des Ich, die „Einheit der Apperzeption" (GA II, 3, 122; vgl. auch 26) gesichert werden kann. S.Maimon: Gesammelte Werke. Bd V. Hrsg. von V. Verra. Hildesheim 1970, 188. Auch J.Stolzenberg (Fichtes Satz „Ich bin". Argumentanalytische Überlegungen zu Paragraph 1 der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von 1794/95. In: Fichte-Studien 6 (1994), 24) sieht in der Begründung der Notwendigkeit des Identitätsbewußtseins des Ich einen Rückgriff auf Kants Lehre von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption, jedoch ohne diesen Beziehungen genauer nachzugehen.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

27

ursprünglich-synthetische Apperzeption und ihre Synthesisleistungen der expliziten Bezugnahme des Ich auf sich als ein identisches logisch vorausgesetzt werden müssen, macht für Fichte das identische Selbst und das Wissen desselben um sich als ein solches jede Verknüpfungstätigkeit allererst möglich. Die Kantische Ansetzung der synthetischen Einheit der Apperzeption und ihrer spontanen Verbindung als Bedingung der Möglichkeit des identischen Selbstbezugs ist allerdings problematisch. Denn wenn der Akteur der Vereinigung verschiedener Vorstellungsgehalte als Apperzeption, d.h. als Selbstbewußtsein bestimmt werden soll, muß er in der Verknüpfung des Mannigfaltigen offenbar auch sich selbst vergegenwärtigen und in irgendeiner Weise um seine Identität wissen. Vollständig Zusammenhang- und identitätsloses Selbstbewußsein als Denken seiner selbst läßt sich als Prinzip der theoretischen Philosophie wohl nicht denken.54 Fichtes Argumentation scheint hingegen vorauszusetzen, daß selbst solchen einfachen Synthesisleistungen, wie sie in einer Identitätsaussage der Form A=A enthalten sind, explizites Wissen um seine eigene Identität logisch vorausgehen muß, denn durch „das zweite A wird dasjenige bezeichnet, welches das sich selbst zum Objecte der Reflexion machende Ich, als in sich gesezt, vorfindet, weil es dasselbe erst in sich gesezt hat. [...] Ist driikt den Uebergang des Ich vom Setzen zur Reflexion über das gesezte aus" (GA I, 2, 259 Anm.; SWI, 96Anm.). Da solche thematische Reflexion auf sich sogar den Satz der Identität möglich macht, dieser aber jedem anderen Urteil zugrundeliegt, bedarf es offensichtlich für jedes Urteil eines expliziten Wissens um seine eigene Identität. Das würde jedoch letztlich heißen, daß die gesamte bisher beschriebene philosophische Reflexion überflüssig ist. Fichte hätte das Bewußtsein des identischen Selbst von sich und damit den Satz „Ich bin Ich" als evidentes Faktum und Ausgangspunkt seiner abstrahierenden Reflexion ansetzen können. Ist also die Kantische Voraussetzung der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption zu schwach, wenn jegliches Identitätsbewußtsein von ihr ausgeschlossen bleiben soll, so ist die Fichtesche Ansetzung des thematischen Selbstbezugs des identischen Ich als Voraussetzung jeglicher Synthesisleistung zu stark. Wenn Selbstbewußtsein als Prinzip spontaner Verknüpfungen begründeterweise angenommen wird, so muß dieses Ich sicherlich - wie Fichte ausführt - seiner selbst als eines identischen irgendwie inne sein; solche Selbst-

54

Vgl. zu diesem aus dem von Kant aufgestellten Verhältnis von ursprünglich-synthetischer und analytischer Einheit der Apperzeption sich ergebenden Problem K.Düsing: Constitution and Structure of Self-Identity: Kant's Theory of Apperception and Hegel's Criticism. In: MidwestStudies in Philosophy VIII (1983), 414. M.Zahn (Identité et synthèse dans la dernière philosophie de Kant et la Théorie de la Science de Fichte. In: Archives de Philosophie 27 (1964), bes. 169f) unterscheidet diesbezüglich zwischen einer unmittelbaren transzendentalen Apperzeption, die als Grund der Synthesis bereits Identität aufweist, und dem durch die Synthesis des Mannigfaltigen vermittelten bewußten Vorstellen dieser Identität. Auf diese Weise werde von Kant der Grund der Synthesis zugleich zum Ziel derselben gemacht.

28

Die erste Version der Wissenschaftslehre

bezüglichkeit braucht aber gleichwohl nicht explizit zu sein, sondern kann unthematisch bleiben, wie Kant in einigen Formulierungen wenigstens andeutet.55 Der letzte Schritt zur Herausstellung des absoluten Ich als Prinzip aller Philosophie wird von Fichte durch den Übergang vom Ich als Tatsache zum Ich als Tathandlung vollzogen. Fichte begründet die Notwendigkeit dieses Übergangs zunächst nicht. Sie ergibt sich aber wohl letztlich daraus, daß das aufgestellte Ich als Tatsache den Anforderungen an einen ersten Grundsatz nicht gerecht wird. Reinhold hatte als eine wesentliche Bedingung eines ersten Grundsatzes der aller Philosophie zum Fundament dienenden Elementarphilosophie gefordert, daß er durch sich selbst bestimmt sein müsse. Denn könnten die Bestandteile des Satzes des Bewußtseins durch höhere und allgemeinere Bestimmungen definiert werden, die nicht explizit in ihm selbst enthalten sind, so wäre der Sinn des obersten Grundsatzes nicht eindeutig festgelegt, aufgrund welcher Zweideutigkeit er nicht als allgemeingültig und allgemeingeltend angesetzt werden dürfte. Daher läßt sich der Satz des Bewußtseins nach Reinhold zwar „analytisch entwickeln; (erläutern) aber nur durch dasjenige, was durch ihn (synthetisch) bestimmt wird"56. So kann etwa die Vorstellung nur durch ihre im Bewußtseinssatz selbst ausgedrückten Beziehungen zu Bewußtsein, Subjekt und Objekt definiert werden. Ebenso sollen nach Reinhold auch die durch ihn aufge53

Vgl. KrV B130, 131Anm., 134. - Insofern hat Castañeda ([Selbstbewußtsein, Ich-Strukturen und Physiologie. In: Analytische Theorien des Selbstbewußtseins. Hrsg. von M.Frank. Frankfurt a.M. 1994, 211, 239) also recht, wenn er die Fichtesche These, daß jedes Bewußtsein Selbstbewußtsein voraussetzt, negiert. Ob sich, wie er selbst fordert, die Einheit des Bewußtseins allerdings vollständig ohne ein selbstbezügliches Prinzip erklären läßt, so daß umgekehrt diese Einheit jeglichem Selbstverhältnis vorauszusetzen ist, bleibt fraglich. Gegen Kants: Ich denke, das alle Vorstellungen begleiten können muß, versucht Castañeda (The Role of the Apperception in the Transcendental Deduction of the Categories. In: Nous XXIV (1990), 147-157) durch phylo- und ontogenetische Gründe, sowie aufgrund des auf Gehirnläsionen beruhenden Phänomens des „blind-sight" zu zeigen, daß Selbstbewußtsein nur ein Epiphänomen des Bewußtseins darstellt. Demgegenüber unternimmt es F.Neuhouser (Fichte's Theory of Subjectivity. Cambridge 1990, 81-86, 89-99), unter Heranziehung von Ausführungen zur Wissenschafislehre nova methodo nachzuweisen, daß Fichte neben der ausdrücklichen Selbstreflexion durchaus eine implizite Selbstbeziehung ansetzt, die er in Aufnahme der Terminologie Sartres als präreflexiv bezeichnet. In der Zweiten Einleitung interpretiere Fichte ein solches unmittelbares, mitthematisches Innesein seiner selbst - allerdings unrechtmäßigerweise - auch in die Kantischen Ausführungen zur transzendentalen Deduktion hinein. Hier wird hingegen - geht man vom ersten Paragraphen der Grundlage aus - umgekehrt dafür argumentiert, daß die angesprochene Selbstbeziehungsweise eher zu der Theorie Kants paßt. - Eine spekulativ-dialektische Umformulierung des Verhältnisses von synthetischer und analytischer Apperzeption findet sich in Hegels Wissenschaft der Logik. Nach Hegel ist die Selbstbewegung des absoluten Subjekts analytisch, sofern sich die entgegengesetzten Besonderen immanent aus dem anfänglichen unmittelbaren Allgemeinen entwikkeln, synthetisch, sofern sich damit Entgegengesetzte aufeinander beziehen und in der Einzelheit als einander Widersprechende aufgehoben werden. Vgl. G.W.F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 12. Hrsg. von F.Hogemann und W.Jaeschke. Hamburg 1981, 242, 246.

56

Vgl. bes. Ober das Fundament des philosophischen Wissens. Hrsg. von W.H.Schrader. Hamburg 1978, 80ff, zum Zitat 82. Vgl. ebenso die Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Jena 1790, 28 lf, 353f sowie die dort aufgestellten Definitionen der Vorstellung, des Subjekts und des Objekts: 168ff.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

29

stellten Handlungen des Beziehens und Unterscheidens in ihrem Sinn unmittelbar durch das Faktum des Bewußtseins einleuchten.57 Gerade daran hatte aber Schulze in seinem Aenesidemus Anstoß genommen und darauf hingewiesen, daß die Bedeutung dieser Handlungen bei Reinhold schillernd bleibe und er den Satz des Bewußtseins somit unrechtmäßigerweise als durchgängig durch sich selbst bestimmt ausgebe. Deswegen muß nach Fichte der Sinn von Entgegensetzen und Beziehen eigens expliziert werden, und zwar in eigenen Grundsätzen, wie es dann im zweiten und dritten Grundsatz der Grundlage geschieht.58 Aber auch das Ich als Faktum enthält offenbar noch eine Mannigfaltigkeit von Strukturmomenten, die als solche nicht vorausgesetzt werden dürfen, sondern sowohl in ihrem Anspruch, Bestimmungen des Ich zu sein, als auch in ihrem Verhältnis zueinander allererst deduktiv zu rechtfertigen sind. So unterscheidet das Ich als Tatsache z.B. den gedachten Satz der Identität von sich, indem es ihn zugleich auf sich bezieht; ebenso muß es, um sich seiner selbst als eines identischen Selbst bewußt sein zu können, sich von sich selbst unterscheiden und sich mit sich selbst identifizieren. Da es aber offenbar bei jeder „Thatsache des empirischen Bewußtseyns" (GA I, 2, 256; SWI, 92) der Fall ist, daß sie nur aufgrund des Unterscheidens und Beziehens bewußt werden kann, wie grundlegend der zweite und der dritte Grundsatz ausführen, darf das Prinzip aller Philosophie nach Fichte gerade keine Tatsache sein; es muß vielmehr etwas zum Grunde gelegt werden, das „unter den empirischen Bestimmungen unsers Bewustseyns nicht vorkommt, noch vorkommen kann, sondern vielmehr allem Bewustseyn zum Grunde hegt, und allein es möglich macht" (GA I, 2, 255; SW I, 91). Daß es sich dabei nur um das Ich als Tathandlung handeln kann, wie Fichte schon zu Beginn der Ausführungen zum §1 der Grundlage feststellt, muß jedoch eigens begründet werden. Fichte greift bei dieser Begründung auf den Urteilscharakter des Satzes der Identität zurück und auf die Bestimmtheit des Urteilens als Handeln, die jeder in seinem empirischen Selbstbewußtsein feststellen könne. Dieser Hinweis auf im empirischen Selbstbewußtsein aufzufindende Bestimmungen kann natürlich nicht als Beweis des Handlungscharakters des Urteilens bewertet werden, der in der Lage wäre, die Bedenken eines Dogmatikers zu zerstreuen, der beteuert, daß ihm sein empirisches Selbstbewußtsein Urteilen nicht als Handeln offenbart. Dies scheint die einzige Stelle im Argumentationsgang des ersten Paragraphen 57 58

Vgl. a.a.O. 282. Vgl. dazu [G.E.Schulze]: Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik. Hrsg. von M.Frank. Hamburg 1996, 54ff sowie Fichtes Aenesidemus-Rezension·. GA I, 2, 44 (SW I, 6). - Vgl. zu dieser Kritik an Reinhold J.Leopoldsberger: Anfang und Methode als die Grundprobleme der systematischen Philosophie. Reinhold, Fichte, Hegel. In: Salzburger Jahrbuch für Philosophie 12-13 (1968-1969), lOff, 15f, der zudem zu zeigen versucht, daß Fichtes oberster Grundsatz der Bedingung, durch sich selbst bestimmt sein zu müssen, genügt.

30

Die erste Version der Wissenschaftslehre

der Grundlage zu sein, an dem tatsächlich die „Freiheit der innern Anschauung" (GA I, 2, 253; SW I, 88) vorausgesetzt wird, deren Fehlen von Fichte in der Vorrede als Grund aufgestellt wird, warum die Wissenschaftslehre manchen Lesern - gemeint sein könnten vor allem die Dogmatiker - immer unverständlich bleiben müsse. Es hatte sich allerdings schon oben gezeigt, daß im Satz der Identität sowohl der Zusammenhang X als auch die beiden A im Ich und durch das Ich gesetzt werden müssen, da jede Verknüpfung sowie die darin Verknüpften spontane Tätigkeit voraussetzen. Fichte schließt nun von dem durch Verweis auf das empirische Selbstbewußtsein festgestellten Faktum, daß Urteilen Handeln ist, auf die Wesensbestimmtheit des reinen Ich als reine Tätigkeit. Er geht dabei davon aus, daß dem Urteilen als Handeln das: Ich bin zum Grunde liegt. Mit dem Verhältnis des Zugrundeliegens kann aber keine Substanz-Akzidenz-Relation gemeint sein, da sich Fichte mehrmals strikt dagegen wehrt, das Ich als ein Substrat zu betrachten, dem Handeln als eine Eigenschaft zukommt.59 Ebenso würde daraus, daß das Ich als Substrat einem Handeln zugrundeliegt, mitnichten folgen, daß das Substrat selbst in seinem Wesen reine Tätigkeit ist. Vielmehr ist wohl gemeint, daß psychischen Urteilsakten, die sich im empirischen Selbstbewußtsein als Handeln zu erkennen geben, reine Handlungen des reinen Ich als deren Bedingungen idealiter zugrundeliegen. Ahnlich wie für Kant den empirischen Handlungen des Ich reine intellektuelle Tätigkeiten und deren Akteur, das reine Ich, idealiter zugrundeliegen müssen, sollen sie spezifisch als Denkakte qualifizierbar sein, verweist auch nach Fichte der Handlungscharakter empirischer Urteilsakte auf die zugrundeliegende reine Tätigkeit als Wesensbestimmimg des reinen Ich, das erst dann als rein charakterisierbar ist, wenn von den empirischen Bestimmungen, wie z.B. der Zeitlichkeit des Urteilsvollzuges, abstrahiert wird.60 - Damit ergäbe sich folgendes Argument: Im Urteilen als psychischem Akt offenbart sich der Tätigkeitscharakter des Ich. Da aber in jedem Urteilen das Ich sich etwas entgegensetzt und sich auch in sich selbst unterscheidet und auf sich als identisches bezieht, muß vom bestimmten Urteilsgehalt als etwas dem Ich anderen abstrahiert werden. Wird aber von jedem noematischen Inhalt des Ich, der nicht das Ich selbst ist, abstrahiert, so bleibt nur die reine Tätigkeit des Ich zurück, die, weil ihr nichts mehr entgegensteht, als unendlich gedacht werden muß. So ist für Fichte im Denken der Tathandlung „nicht nur von allen Zeitbedingungen, sondern auch von allem Objekte der Thätigkeit völlig zu abstrahiren" (GA I, 2, 293; SW I, 134).61 Das Ich zeichnet sich nun jedoch dadurch 59

60 61

Vgl. etwa GA, I, 4, 200; I, 3, 313Anm. (SW I, 440; III, lAnm.). GA II, 3, 325 spricht Fichte von der ,,kraße[n] Vorstellung von einer Seele, welche noch etwas anderes sey, als eine thätige Kraft". Zur Qualifikation des absoluten Ich als reines Ich vgl. GA I, 2, 393 (SW I, 256). Nach M.Oesch (Das Handlungsproblem. Ein systemgeschichtlicher Beitrag zur ersten Wissenschaftslehre Fichtes. Hildesheim/Amsterdam 1981, 91) schließt hingegen die Tathandlung als

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

31

aus, daß es sich seiner selbst bewußt ist, und d.h. nach Fichte: daß es auf sich selbst handelt. In der unendlichen Tätigkeit, die keinerlei Unterschied mehr enthält, fallen aber gesetzte und setzende Tätigkeit in eins zusammen. Nach der Abstraktion von allem vorgestellten bzw. spezieller: gedachten Inhalt bleibt also nichts als unendliche, in sich selbst zurückgehende Tätigkeit übrig und diese ist nach Fichte Wesensbestimmung des reinen Ich. Damit hat sich aber die Struktur des Ich als Prinzip der Philosophie erheblich verändert. Nach Kant ist - wie gesehen - die reine Apperzeption eine solche, die spontan Synthesisleistungen vollzieht und dadurch die Bedingung der Möglichkeit schafft, sich ihrer selbst als einer identischen bewußt zu werden. Dem Ich als Tatsache kamen nach Fichte noch alle diese Bestimmungsmomente wenngleich in einem anderen Begründungsverhältnis zu. Nachdem aber der Schritt zur Tathandlung vollzogen ist, fallen Selbstbewußtsein und Synthesis als Charakteristika des absoluten Ich heraus. Da ein solches unendliches, absolutes Subjekt weder etwas anderes von sich noch sich in sich unterscheidet, kann ihm nach Fichte auch keine Synthesis mehr zukommen, da keine Synthesis ohne Antithesis möglich ist, wie die Paragraphen 2 und 3 der Grundlage ausführen. Wenn aber das absolute Ich sich nicht von sich selbst unterscheidet, kann es auch nicht als Selbstbewußtsein qualifiziert werden, da alles Bewußtsein Unterscheiden und Beziehen voraussetzt.62 So betont Fichte auch in der Zweiten Ein-

62

„begründende (Partizip) Gnindkraft, Fichtes Operieren vom Vorgang des Setzens, die Kennzeichnung als tätige Handlung usw. [...] einen Zeitbegrift" mit ein". Deswegen komme der Tathandlung der Charakter psychischer Tatsächlichkeit zu. Als selbstvorstellendes Selbstbewußtsein interpretiert das Fichtesche Prinzip des Ich z.B. I.Schüßler: Die Auseinandersetzung von Idealismus und Realismus in Fichtes Wissenschaft.ilehre. Frankfurt a.M. 1972, 14-16. Vgl. auch W.Weischedel: Der frühe Fichte. Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft. 2.Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973, bes. 21, 37. Gründe gegen eine Interpretation des absoluten Ich als Selbstbewußsein, dessen Selbstbeziehungsweise ein Vorstellen ist, fuhrt W.Metz (Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 203.-205Anm.) an. Gegen die Interpretation der Tathandlung als Selbstbewußtsein spricht sich ebenso F.Inciarte (Transzendentale Einbildungskraft. Zu Fichtes Frühphilosophie im Zusammenhang des transzendentalen Idealismus. Bonn 1970, 57t) aus. Entsprechend unterscheidet G.Meckenstock (Vernünftige Einheit. Eine Untersuchung zur Wissenschaftslehre Fichtes. Frankfurt a.M./Bern/New York 1983, 23) den unbewußten Reflex von einem bewußten Reflexionsakt. Damit die Tathandlung in ihrem reinen Wesen feststellbar wird, kann somit aber auch kein „Sprung" vom Vorgestelltsein des absoluten Ich zur „Anerkennung meiner selbst als Tathandlung" notwendig sein, wie M.Franken (Transzendentale Theorie der Einheit und systematische Universalontologie. Studien zur Kategorienlehre Kants und Fichtes. Fichte-Studien. Supplemente 2. Amsterdam/Atlanta 1993, 130f. 137) meint, da ein solcher Sprung den Verlust der Voraussetzungen des Bewußtseins zur Folge hätte und somit auch nicht das Wesen des Ich ans Licht bringen könnte. Die gleichen Einwände treffen die Interpretation von C.M.Jalloh (Fichte's Kant-Interpretation and the Doctrine of Science. Washington 1988, 121), der die Argumentation des ersten Paragraphen der Grundlage als „the way to intellectual intuition as it occurs for an original 7" bezeichnet. Da dem absoluten Ich gemäß J.Lachs (¡s there an absolute Self? In: Philosophical Forum XIX (1987-88), 178) hingegen das Selbstbewußtsein abgesprochen werden muß, gelingt es seiner Meinung nach nicht, „to give any significant sense to the word self when applied to the primordial Act".

32

Die erste Version der Wissenschaftslehre

leitung, durch das in sich zurückgehende Handeln des reinen Ich als Prinzip komme „kein Bewusstseyn, nicht einmal ein SelbstBewusstseyn" zustande; das „Ich wird durch den beschriebenen Act bloß in die Möglichkeit des SelbstBewusstseyns, und mit ihm alles übrigen Bewusstseyns versetzt" (GA I, 4, 214; SW I, 459).63 Die komplexe Struktur des Kantischen reinen Ich und die Fundierungsverhältnisse seiner Momente müssen also nach Fichte durch Abstraktionsleistungen dahingehend vereinfacht werden, daß sie als Grundsatz ausgedrückt Prinzip der Philosophie sein können, bevor man sie in den weiteren Ausführungen in begründeter Weise wieder ergänzt. Erst nach dem Ausschluß von allem Unterscheiden und Beziehen und damit auch von allem Bewußtsein und Selbstbewußtsein, so daß das Ich auf reine, spontane und in ihrem Zurückgehen in sich identische Tätigkeit reduziert wird, kann es in einem Satz ausgedrückt werden, in dem Form und Materie, Identität und Ich sich durcheinander bedingen: „Das absolute Ich ist schlechthin sich selbst gleich: [...] es ist da nichts zu unterscheiden, kein mannigfaltiges, das Ich ist Alles, und ist Nichts, weil es für sich nichts ist, kein setzendes und kein geseztes in sich selbst unterscheiden kann" (GA I, 2, 399; SWl, 264)64 Daher kann Fichte von dem ersten Grundsatz der Grundlage sagen, daß „Kant in seiner Deduktion der Kategorien" auf ihn „gedeutet" hat; „er hat ihn aber nie als Grundsatz bestimmt aufgestellt" (GA I, 2, 262; SW I, 100). Kant spricht allerdings an mehreren Stellen der transzendentalen Kategoriendeduktion vom „Grundsatz, der notwendigen Einheit der Apperzeption" (KrV Β135), „der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption" (Ä>K B137), „der transzendentalen Einheit der Apperzeption" (Ä>FB142) sowie vom ,,oberste[n] Grundsatz der Möglichkeit aller Anschauung [...] in Beziehung auf den Ver63

64

Vgl. ebenso GA I, 2, 262 (SlVl, lOOf), wo Fichte im Rahmen seiner Spinoza-Kritik ausführt, daß das reine unendliche Bewußtsein, das Spinoza zur Einen göttlichen Substanz gemacht habe, „seiner sich nie bewußt wird, da das reine Bewußtseyn nie zum Bewußtseyn gelangt". - Zu Fichtes Spinoza-Auseinandersetzung vgl. M.Ivaldo: Transzendentalphilosophie und „realistische" Metaphysik. Das Fichtesche Spinoza-Verständnis. In: Spinoza und der deutsche Idealismus. Hrsg. von M.Walther. Würzburg 1992, 59-79. der vor allem von der Spätphilosophie Fichtes aus argumentiert, aber auch die einschlägigen Passagen der Grundlage und der Vorlesungen über Logik und Metaphysik heranzieht. Eine Ergänzung des Fichteschen Freiheitsbegriffs durch denjenigen Spinozas versucht K.Hammacher: Fichte und Spinoza. A.a.O., 81-99. E.Harris (Fichte and Spinozism. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981, 407-417) versucht hingegen nachzuweisen, daß einerseits Fichte im ersten Buch der Bestimmung des Menschen den organischen Determinismus Spinozas als mechanischen mißverstehe und andererseits Spinoza durch ein System gradueller Shifting von Realitätsfülle das bei Fichte letztlich aporetisch bleibende Verhältnis von absolutem und endlichem Ich im Rahmen seiner Konzeption sinnvoll denkbar mache. Vgl. dazu GA I, 2, 121ff (SWl, 48ff) sowie zur ausführlichen Erörterung der Unterscheidung und Beziehung der Hinsichten der Materie und der Form eines Satzes bei Fichte W.Janke: Fichte. Sein und Reflexion - Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, 86f; speziell zum ersten Grundsatz siehe 93. H.Holz (Die Struktur der Dialektik in den Frühschriften von Fichte und Schelling. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 52 (1970), 73f) erblickt darin ein „Grundmuster" fur die Dialektik Fichtes.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

33

stand" (Ä>KB136). Kant formuliert diesen Grundsatz an keiner Stelle explizit, macht aber deutlich, was darin vorkommen soll. Er ist nämlich nach Kant deswegen „analytisch", weil er nichts weiter sagt „als, daß alle meine Vorstellungen in irgendeiner gegebenen Anschauung unter der Bedingung stehen müssen, unter der ich sie allein als meine Vorstellungen zu dem identischen Selbst rechnen" (Ä>F B138) kann. Zu diesen Bedingungen gehören offenbar grundlegend die regelhafte Synthesis eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen und die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption als Grund dieser Synthesis. Dieser von Kant nicht ausformulierte Grundsatz muß also wohl in etwa so lauten: Gegebene mannigfaltige Vorstellungen gehören unter der Bedingung mir zu, daß ich sie vermöge der in der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption gegründeten Synthesis als meine Vorstellungen zu dem identischen Selbst rechnen kann. Daraus ergibt sich aber, daß dieser oberste Grundsatz der notwendigen Einheit der Apperzeption nicht den Anforderungen genügt, die Fichte - sicherlich den Kantischen Intentionen nicht entsprechend an einen ersten Grundsatz aller Philosophie stellt. Da dieser Satz eine „Synthesis des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen als notwendig" (KrV Β135) erklärt, eine Synthesis aber ohne dieses zu synthetisierende Mannigfaltige gar nicht denkbar ist, wird in diesem Kantischen Grundsatz das Ich immer schon im Bezug auf eine Vorstellungspluralität vorgestellt, wobei die Synthesis dieses Mannigfaltigen - so würde Fichte wohl argumentieren - zugleich eine Antithesis impliziert. Gleichwohl ist in der transzendentalen Deduktion der Kategorien nach Fichte der erste Grundsatz, wie ihn die Grundlage explizit formuliert, zumindest angedeutet, nämlich offenbar in der reinen Apperzeption, die jedoch von ihrer Beziehung auf das in der sinnlichen Anschauung Gegebene und damit auch davon, daß sie sich bewußt von sich selbst unterscheidet und auf sich als identisches Subjekt bezieht, zunächst befreit werden muß und die daher am Ausgangspunkt des Systems als reine Identität und Spontaneität zu denken ist. So wird auch aus dem Vergleich des ersten Grundsatzes der Grundlage mit dem von Kant zumindest angedeuteten Grundsatz der notwendigen Einheit der Apperzeption die direkte Aufnahme Kantischer Theoreme aus der Kritik der reinen Vernunft und ihre -wie Fichte meint- für die Tauglichkeit als oberstes Prinzip aller Philosophie notwendige Umformulierung sichtbar. Fichtes Wissenschaftslehre hat somit dem Anspruch nach nicht nur die gleichen Ergebnisse wie die Kantische Vernunftkritik, sondern auch das gleiche Prinzip, das allerdings einiger Modifikationen und vor allem Abstraktionen bedarf, damit es vor seiner methodischen Entfaltung in einem obersten Grundsatz formulierbar ist, woraus zugleich folgt, daß die weiteren Momente des Kantischen Grundsatzes soweit wie möglich im folgenden Verlauf der Wissenschaftslehre abzuleiten sind. Somit gilt auch speziell für das absolute Ich und seine Beziehung zur reinen Apperzeption Kants dem Anspruch nach das allgemeine Diktum Fichtes: „Die hier

34

Die erste Version der Wissenschaftslehre

aufgestellten, und aufzustellenden Principien liegen offenbar den Seinigen zum Grunde" (GA I, 2, 355 Anm.; SWl, 186Anm.).65 Bisher ist im wesentlichen auf den Gang der Rechtfertigung des sich in seiner Identität wissenden Ich als Bedingung der Möglichkeit allen Urteilens gemäß dem Satz der Identität Rücksicht genommen worden sowie auf die Abstraktion von allem noematischen Vorstellungsgehalt, durch welche das Subjekt als absolutes in seiner vereinfachten Struktur zum fiiir Fichte tauglichen Prinzip aller Philosophie erhoben wird. Vor allem in diesem letzten Schritt liegt offenbar der Grund für die Charakterisierung der Methode zur Gewinnung des ersten Grundsatzes als „abstrahirende Reflexion" (GA I, 2, 255; SWI, 91). Nach Fichte ist nun aber über die Bestimmung als unendliche, in sich zurückgehende, reine Tätigkeit hinaus das absolute Ich als Einheit von Sein und Sich-Setzen und diese Einheit wiederum als Tathandlung zu kennzeichnen. Es muß also vor allem geklärt werden, inwiefern man dem reinen Ich Sein bzw. sogar: absolutes Sein zuzusprechen hat und in welchem Verhältnis dazu das Sich-Setzen steht. Dabei ergibt sich aber zugleich das Problem, wie sich das Ich für den reflektierenden Philosophen zum Theoriebestandteil erheben läßt.

1.2 Selbstbeziehung und Existenzgewißheit Soll die Einheit von Sich-Setzen und Sein des absoluten Ich und damit zugleich der Sinn solchen Seins aufgeklärt werden, so ist zunächst zu bestimmen, worin die grundlegende Bedeutung des Setzens besteht. Fichte äußert sich dazu in einem Brief an Reinhold vom 02.Juli 1795: „Jenes ursprüngliche Setzen nun, und Gegensetzen, und Theilen ist NB. kein Denken, kein Anschauen, kein Empfinden, kein Begehren, kein Fühlen usf. sondern es ist die gesamte Thätigkeit

des menschlichen Geistes, die keinen Namen hat, die im Bewußtseyn nie vorkommt, die unbegreiflich ist; weil sie das durch alle besondre (u. lediglich insofern ein Bewußtseyn bildende) Akte des Gemüths bestimmbare, keinesweges 65

Damit ist natürlich vornehmlich derjenige Aspekt des obersten Grundsatzes der Wissenschaftslehre berücksichtigt, der die theoretische Philosophie betrifft. Für Fichte hat das Ich in der aufgestellten Form aber zugleich praktische Bedeutung, nämlich speziell als Ziel eines unendlichen Strebens, das die Bestimmung des Menschen ausmacht. Nur weil das absolute Ich zugleich ein unbedingt Gesolites ist, kann es einheitliches Prinzip der theoretischen und der praktischen Philosophie sein. Daher zeigt sich nach Fichte auch und gerade am kategorischen Imperativ, den er als „absolutes Postulat der Uebereinstimmung mit dem reinen Ich" bestimmt, „daß Kant seinem kritischen Verfahren, nur stillschweigend, gerade die Praemissen zu Grunde legte, welche die Wissenschaftslehre aufstellt" (GA I, 2, 396Anm.; SWl, 261Anm.). Dies setzt allerdings die in dem Zitat zum Teil schon angedeutete und nicht zuletzt auch in Fichtes Theorie der Intersubjektivität begründete Umformulierung des kategorischen Imperativs voraus, wie sie schon in den Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten ausgeführt wird. - Vgl. dazu E.Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln 1986, 208ft".

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

35

aber ein bestirntes ist" (GA III, 2, 344, Nr. 294). Aus dieser Briefstelle geht im Hinblick auf die Bedeutung des Setzens im ersten Grundsatz der Grundlage hervor, daß es eine wesentlich allgemeinere Form der Tätigkeit des Ich als die besonderen Weisen des Denkens, Anschauens, Begehrens u.s.w. darstellt. Ebenso muß das Setzen seiner selbst, da es sich um diejenige reine Spontaneität handelt, die sowohl dem theoretischen als auch dem praktischen Selbst als Prinzip der gesamten Philosophie zum Grunde hegt, aller Spezifikation etwa in Urteilsspontaneität, rechtliche Freiheit oder moralische Selbstbestimmung vorausgehen, wenngleich der Gang der abstrahierenden Reflexion, indem er vom Satz der Identität seinen Ausgang nimmt, von dem Handlungscharakter des Urteilens auf die reine Tätigkeit des ursprünglichen Ich zurückschließt; diese ist also im Hinblick sowohl auf die Vollzugsweise als auch auf die spezifische Art der Spontaneität das Bestimmbare, der Bestimmung nur Fähige. Das Entscheidende ist aber, daß das selbstbezügliche Setzen nach Fichte offenbar allem Bewußtsein als Bedingung seiner Möglichkeit vorausgeht, indem es weder im Bewußtsein vorkommt noch Bewußtsein konstituiert. Dementsprechend unterscheidet er in der von Krause mitgeschriebenen ersten Einleitung zu seinen Vorlesungen über die Wissenschaftslehre nova methodo „2 Haupthandlungen des Ich" (K 9), nämlich zwei Arten des Setzens, wobei erst das zweite Setzen, das „Setzen des schon Gesetzten" Bewußtsein zur Folge hat: „das erste macht das Bewustsein erst möglich, und kann daher darinn nicht vorkommen; das 2 t e aber ist das Bewustsein selbst" (Κ 10). Die Bezeichnung einer Aktivität als „Setzen" ist im Hinblick auf Bewußtsein somit neutral, indem sie sich sowohl als bewußte als auch als unbewußte Tätigkeit spezifizieren läßt. Handelt es sich bei dem Prinzip der Philosophie jedoch um ein Ich, so muß es durch sich selbst gesetzt werden, „geschehe es nun unmittelbar mit oder ohne Bewußtseyn" (GA I, 2, 418; SWI, 288), wobei sich aus der obigen Briefstelle ergibt, daß das absolute Sich-Setzen zur zweiten Art gehört. Daß das absolute Ich keineswegs als Selbstbewußtsein charakterisierbar ist, hatte sich nun zwar schon daraus ergeben, daß es als solches nicht den Inhalt eines obersten Grundsatzes der gesamten Philosophie bilden könnte, da ein derartiges Selbstverhältnis mehr als die einfache Bestimmung der Tathandlung impliziert, nämlich daß das Ich sich von sich unterscheidet und sich mit sich identifiziert; gleichwohl stellt sich die Frage, wie sich das absolute Subjekt in seiner wesentlichen Eigenschaft des Sich-Setzens denn überhaupt als Ich bezeichnen läßt, dem nach Fichtes eigener Auskunft Fürsichsein zukommt, wenn das Setzen seiner selbst keinerlei bewußte Selbstbeziehung konstituiert. Dies kann wohl nur so verstanden werden, daß der Ausdruck „Setzen" ein aktives Bezugnehmen oder Sich-Richten auf etwas bezeichnet, ohne daß daraus notwendigerweise schon Bewußtsein resultiert. Da zur aktiven Bezugnahme auf etwas jedoch Tätigkeit erforderlich ist, Tätigkeit aber ursprünglich allein dem Ich zukommt, indem diejenige des Nicht-Ich stets eine aus dem Subjekt und

36

Die erste Version der Wissenschaftslehre

durch das Subjekt übertragene darstellt, bleibt das Setzen eine ausschließliche Bestimmung des Ich. Ich ist das absolute Subjekt dann aber deswegen, weil es wie der Transzendentalphilosoph feststellt - sich selbst setzt, und das heißt: auf sich selbst aktiv Bezug nimmt, so daß Fichte sagen kann: „Das Ich ist für das Ich" (GA I, 2, 260; SW I, 97), ohne daß es damit als Selbstbewußtsein qualifiziert würde.66 Zur Wesensbestimmung des absoluten Subjekts taugen somit wie Fichte an Descartes und an Reinhold kritisiert - weder Denken noch Vorstellen, zumal zum Vorstellen gemäß der Elementarphilosophie gleichursprünglich Spontaneität und Rezeptivität gehören67, wohingegen das absolute SichSetzen als reine, spontane Handlung zu bestimmen ist. Solches Sich-Setzen des absoluten Ich wird nun von Fichte mit seinem Sein identifiziert, ohne daß er dessen Sinn näher erläutert. Kant stellt in der Kritik der reinen Vernunft im wesentlichen drei Formen der Selbstbeziehung auf, wobei er im Zusammenhang der Explikation von zwei derselben auf die Frage nach der Existenzgewißheit zu sprechen kommt. Die erste besteht in dem empfindungsfreien Sich-Denken der reinen Apperzeption. Auch wenn Kant an mehreren Stellen der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunfi ausdrücklich betont, 66

67

Vgl. auch GA I, 2, 57 (SW I, 16). - Eine solche bewußte Selbstbeziehung scheint hingegen gemeint zu sein, wenn Fichte im Folgenden entgegen den Aussagen des ersten Paragraphen dem Ich das Fürsichsein wiederum abspricht, da es in seiner differenzlosen Identität „kein setzendes und kein geseztes in sich selbst unterscheiden kann" (GA I, 2, 399; SW I, 264). Dementsprechend formuliert auch der Grundriß des Eigentümlichen: „Das Ich ist ursprünglich durch sich selbst gesezt, d.h. es ist, was es ist für irgend eine Intelligenz ausser ihm" (GA I, 3. 167; SW I, 359). Ebenso wie das Setzen seitens des Ich nicht immer mit Bewußtsein begleitet sein muß, ist es auch nicht notwendig unumschränkt produktiv. So bringt das Ich zwar setzend etwa die Kategorien als Bestimmungen eines Anschauungsgehaltes in dem Sinne aus sich hervor, daß sie in seinen eigenen bestimmten Handlungsweisen gründen; gleichwohl bleibt auch der Vollzug einer einheitlichen Vorstellungsverbindung nur in eingeschränkter Weise produktiv, weil eine zu bildende Mannigfaltigkeit des Gefühls als Folge des Anstoßes dem Ich bereits vorgegeben sein muß, wie unten bei der Untersuchung der Einbildungskraft gezeigt werden soll. - In die gleiche Richtung zielt die Interpretation des Setzens von U.Claesges: Geschichte des Selbstbewußtseins. Der Ursprung des spekulativen Problems in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Den Haag 1974, 52fF. In Anlehnung an den umgangssprachlichen Gebrauch des Ausdrucks „Setzen" versucht hingegen K.Gloy (Selbstbewußtsein als Prinzip neuzeitlichen Selbstverständnisses. Seine Grundstruktur und seine Schwierigkeiten. In: Fichte-Studien 1 (1990), 54ff) zu zeigen, daß „Setzen" auch bei Fichte wesentlich zweierlei bedeutet: 1. Das Hervorbringen des Ich und 2. das Festlegen dieser Existenz auf eine Bestimmtheit. Auf dieser Grundlage hebt sie das Fichtesche „Produktionsmodell" von dem Kantischen „Reflexionsmodell" des Selbstbewußtseins ab. Ohne genauere Explikation spricht P.Baumanns (Fichtes ursprüngliches System. Sein Standort zwischen Kant und Hegel. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, 39) von einem „kognitiv-praktischen Doppelsinn" des Setzens. Als Tätigkeit der Freiheit bzw. freie Tätigkeit interpretiert das Setzen R.Lauth: Die konstituierenden Momente des Setzens in Fichtes erster Wissenschaftslehre. In: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der Fichte-Forschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996, 121-133. Vgl. ebenso C.Cesa: ein Doppelsinn in der Bedeutung des Wortes Setzen". A.a.O., 134-144. Vgl. dazu bes. die Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Bd 1. Jena 1790, 189ft" sowie den Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. Prag/Jena 1789 (Nachdruck: Darmstadt 1963), 255ff.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

37

das ursprüngliche Ich erlange in seiner Selbstbezüglichkeit eine Gewißheit seines eigenen Daseins68, ist diese Aussage wohl kaum kompatibel mit den Ausführungen zu Kategorie und Grundsatz der Wirklichkeit, denen gemäß als „Dasein in einer bestimmten Zeit" (Ä>KB184) nur dasjenige wirklich ist, was „mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt" (KrV B266). Die ursprüngliche Apperzeption kann als reines und unzeitliches Prinzip von Logik und Transzendentalphilosophie aber niemals fiiir sich selbst Gegenstand einer Empfindung werden; ihr Selbstbewußtsein ist vielmehr von der Art rein denkender Selbstbeziehung, wobei gemäß den Ausführungen des §16 ihre spontanen Synthesisleistungen den Gegenstand solchen Denkens ausmachen. Darüber hinaus vergegenwärtigt sie sich - wie aus den Auflösungen der Paralogismen hervorgeht - gemäß den logischen Funktionen etwa als Subjekt ihrer Gedanken, woraus aber keinerlei Erkenntnis ihrer selbst als einfache Substanz resultiert. Es bleibt jedoch vor allem festzuhalten, daß die Aussage theorieimmanent unhaltbar ist, das Ich sei sich „in der synthetischen ursprünglichen Einheit der Apperzeption" bewußt „nicht wie ich mir erscheine", denn dazu bedarf es der Mannigfaltigkeit im passiven inneren Sinn gegebener Vorstellungen, „noch wie ich an mir selbst bin", was im wesentlichen in den Paralogismen erwiesen wird, „sondern nur daß ich bin" (KrV B157). Auch dem: Ich bin könnte man bezüglich des transzendentalen Selbstbewußtseins höchstens den Status eines reinen Gedankens zusprechen, was aber in der Kritik der reinen Vernunft nicht näher ausgeführt wird. Nicht detaillierter zu untersuchen ist hier die empirische Selbsterkenntnis, die auf der Selbstaffektion als tätige Einwirkung der reinen Apperzeption auf die Rezeptivität desselben Subjekts beruht, wodurch zwecks Bestimmimg des eigenen Daseins in der Zeit die Vorstellungen im inneren Sinn spontan geordnet werden. Kant expliziert jedoch vor allem im Paralogismus-Kapitel der Kritik der reinen Vernunft noch eine weitere Form der Daseinsgewißheit des Ich, die in einer ,,unbestimmte[n] empirische[n] Anschauung" bzw. einer ,,unbestimmte[n] Wahrnehmung" (KrV B422f) gründet. Im Falle solcher unbestimmten Wahrnehmung seiner selbst soll nämlich die Gewißheit der eigenen Existenz mit dem Bewußtsein: Ich denke identisch sein. Will man das zugrundehegende Phänomen beschreiben, so könnte Kant z.B. solche Akte der Aufmerksamkeit vor Augen haben, in denen das Selbst sein zerstreutes Bewußtsein sammelt und auf einen bestimmten Gegenstand konzentriert. Dabei wird es in der inneren Empfindung offenbar seiner eigenen Spontaneität und damit zugleich seines eigenen Daseins inne. Die daraus entspringende Existenzgewißheit bleibt jedoch an den einzelnen, an die unmittelbare Empfindung psychischer Aktivität gebunden69, 68 69

Vgl. KrVBXL, 138, 157f, 277. Vgl. auch KrVB405. - In einer Anmerkung zum §46 der Prolegomena spricht Kant vom „Gefühl eines Daseins" (AA IV, 334Anm.), offenbar um den subjektiven Charakter dieser Selbstgewißheit zu unterstreichen. Zur Subjektivität des Gefühls im Gegensatz zur Empfindung vgl. KdU2 8f.

38

Die erste Version der Wissenschaftslehre

weswegen sie auch nicht als aus dem Satz: Ich denke geschlossen betrachtet werden darf, wie Kant in seiner Descartes-Kritik ausführt. Ein solcher enthymematischer Schluß würde als Prämisse nämlich das allgemeine Urteil voraussetzen, nach dem alles, was denkt, ist. Dies wäre aber genau dann der Fall, wenn das reine Ich als Prinzip von Logik und Transzendentalphilosophie eine Gewißheit des eigenen Daseins erlangen könnte. Denn dann käme allen denkenden Wesen unabhängig von der inneren Empfindung deswegen Sein zu, weil ihre psychische Tätigkeit nur aufgrund der idealiter zugrundeliegenden reinen Akte und des seines eigenen Daseins gewissen Akteurs derselben als ein Denken qualifizierbar wäre. Somit ergibt sich auch aus Kants Kritik am Cartesianischen: cogito, ergo sum, die Inkompatibilität einer Daseinsgewißheit des reinen Ich mit seiner sonstigen Theorie. Dieser Kritik gemäß kann man das: Ich bin nur als Resultat einer inneren Empfindung, nicht aber als intellektuelle Erkenntnis akzeptieren.70 In der unbestimmten Wahrnehmung seiner eigenen psychischen Aktivität sollen dem Ich nun außer dem: Ich existiere denkend keinerlei anschauliche Bestimmungen zur empirischen Selbsterkenntnis gegeben werden. Deswegen stellt Kant fest, daß „die Existenz [...] hier noch keine Kategorie" (KrV B423Anm.) ist. Da den Kategorien der Modalität die Eigentümlichkeit zukommt, inhaltlich vollständig determinierte Begriffe im Hinblick auf die Möglichkeit, Wirklichkeit oder Notwendigkeit eines ihnen korrespondierenden Gegenstandes zu spezifizieren, kann die konstatierte Existenz des Ich, insofern sie sich gerade auf eine unbestimmte Wahrnehmung gründet, nur präkategorial sein.71 Denn das Ich im: Ich existiere denkend ist „gar kein Begriff" (Prolegomena §46, AA IV, 3 3 4)72, der als Prädikat von irgendeinem anderen Subjekt ausgesagt werden könnte; es handelt sich vermöge der mannigfaltigkeitslosen

70

" 72

Dort fuhrt Kant aus, daß das Gefìihl im Unterschied zur Empfindung .jederzeit bloß subjektiv bleiben muß und schlechterdings keine Vorstellung eines Gegenstandes ausmachen kann"; daher dient es „zu gar keinem Erkenntnisse, auch nicht zu demjenigen, wodurch sich das Subjekt selbst erkennt'. Der „vermeintliche kartesianische Schluß, cogito, ergo sum" ist also nicht aufgrund der inhaltlichen Identität der Teilsätze „cogito" und „sum" „tautologisch" (KrV A355), sondern weil einerseits die unbestimmte innere Empfindung der eigenen psychischen Aktivität in einer und derselben unzergliederbaren Vorstellung Existenzgewißheit vermittelt und weil andererseits eine derartige Existenzgewißheit in der einfachsten Form in solcher unbestimmten Wahrnehmung seiner selbst gründet. - Durch das Mittel der reinen Satzanalyse untersucht hingegen H.Brands („ Cogito ergo sum". Interpretationen von Kant bis Nietzsche. Freiburg/München 1982, 79-103) Kants Behauptung, das: cogito, ergo sum sei eine Tautologie, und hält sie fur nicht zureichend gegründet, wobei er die entsprechenden subjektivitätstheoretischen Differenzierungen jedoch weitestgehend außer Acht läßt. Zum Problem der Existenzgewißheit des Ich bei Kant speziell mit Bezug auf seine Descartes-Kritik vgl. auch K.Düsing: Cogito, ergo sum? Untersuchungen zu Descartes und Kant. In: Wiener Jahrbuch tur Philosophie XIX (1987), 95-106. An anderer Stelle sagt Kant allerdings gemäß dem analytischen Verfahren, im Satz: Ich denke, der die Existenz beinhalte, liege schon die „Modalität, zum Grunde" (KrV B418). Vgl. ebenso KrVB404.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

39

inneren Empfindung vielmehr lediglich um eine „einfache und für sich an Inhalt gänzlich leere Vorstellung: Ich" (KrV B404), um das vollkommen „einfache Selbstbewußtsein" (A>FB420). Diese innere, unbestimmte Wahrnehmung stellt nun nach Kants kritischer Darstellung den Ausgangspunkt der gesamten rationalen Psychologie dar, die deswegen dennoch ihren Namen verdient, weil sie keine zusätzlichen konkreten empirischen Gehalte der Selbstwahrnehmung ihren (Fehl-)Schlüssen zum Grunde legt. Die inhaltlich unbestimmte Empfindimg seiner selbst im Vollziehen psychischer Aktivität scheint nämlich lediglich die Gelegenheitsursache der Anwendung reiner logischer Funktionen auf das jeweilige Ich zu sein, denn „das Empirische ist nur die Bedingung der Anwendung, oder des Gebrauchs des reinen intellektuellen Vermögens" (KrV B423Anm.) 73 . So ist die Vorstellung: Ich denke ebenso wie die besonderen Vorstellungen seiner selbst als „Subjekt der Gedanken, oder auch als Grund des Denkens" (KrV B429) ein „Gedanke" (KrV B401) bzw. „rein intellektuell, weil sie zum Denken überhaupt gehört" (KrV B423Anm.). Aus dieser Art denkender Selbstbeziehung, so wie sie das Fundament der rationalen Psychologie ausmacht, erfolgt nun konsequenterweise und in Übereinstimmung mit den Darlegungen vor allem der transzendentalen Analytik keinerlei Erkenntnis seiner selbst, weil ihr die empirische Mannigfaltigkeit im inneren Sinn gegebener Vorstellungen mangelt. In der unbestimmten Empfindung ist das Ich, so Kant, daher nur als „etwas Reales" und damit „nicht als Erscheinung, auch nicht als Sache an sich selbst, (Noumenon)" (KrV B423Anm.) gegeben. Das Selbst wird dabei nicht als Ding an sich erkannt, weil keinerlei Mannigfaltigkeit vorhanden ist, die eine solche Erkenntnis ermöglicht. Eine derartige Mannigfaltigkeit könnte aber auch nur gemäß der zeitlichen Form des inneren Sinnes gegeben werden, so daß das Ich lediglich als Erscheinung erfahrbar wäre. Gleichwohl soll man in der unbestimmten Wahrnehmung auch keine solche Erscheinung vergegenwärtigen, obwohl ihr „Empfindung, die folglich zur Sinnlichkeit gehört" (KrV B423Anm.), zugrundeliegt. Sicherlich findet die unbestimmte Wahrnehmimg meiner selbst in der Zeit statt, da sie sich auf konkrete, psychisch-reale Aktivität beziehen muß. Daß das Ich darin dennoch nicht als Erscheinung präsent ist, läßt sich aber dann verstehen, wenn man bedenkt, daß man die Zeit nach Kant im wesentlichen als eine relationale Anordnungsgrundlage für Vorstellungen zu bestimmen hat, wie vor allem die Explikation der Analogien der Erfahrung zeigt. Die unbestimmte und in sich einfache Vorstellung, die die Existenz des Ich vermittelt, ist aber weder in sich relational, noch wird sie - das ist offenbar Kants Meinung - notwendigerweise mit anderen Gegebenheiten zu einem einheitlichen, zeitlich bestimmten Erfahrungszusammenhang verbunden, so daß in

71

Vgl. dazuAVKBl, 118f.

40

Die erste Version der Wissenschaftslehre

ihr das Ich nicht als Phänomen, sondern lediglich als punktuelle Existenz zugänglich wird.74 Im Gegensatz dazu soll das Ich „im Bewußtsein meiner Selbst beim bloßen Denken [...] das Wesen selbst sein, „von dem mir aber freilich dadurch noch nichts zum Denken gegeben ist" (KrV B429). Mit dem „bloßen Denken" ist dabei wohl das empfindungsfreie Sich-Denken der reinen Apperzeption gemeint. In ihm wird das Ich deswegen als das „Wesen selbst" zugänglich, weil Erscheinung und Ding an sich nicht zwei voneinander getrennte Welten, sondern lediglich Glieder einer auf transzendentaler Ebene erforderlichen, subjektiven Unterscheidung ausmachen, die sich aus der Einsicht in die transzendentale Idealität der Anschauungsformen des Raumes und der Zeit und damit in den Erscheinungscharakter des der endlichen Vernunft sinnlich Zugänglichen ergibt. Daraus folgt jedoch keineswegs die Notwendigkeit der Annahme einer Welt der Dinge an sich „hinter" den Erscheinungen, sondern bloß die Möglichkeit der Abstraktion von unseren spezifischen Anschauungsformen und somit das rein gedachte Ding an sich, das Noumenon. Daher sind es für Kant „eben dieselben Gegenstände", die wir „als Dinge an sich selbst, wenn gleich nicht erkennen, doch wenigstens müssen denken können" (KrV BXXVI). Wie alle vom Ich unterschiedenen Erscheinungen als Ding an sich denkbar sind, so ist nun auch das Subjekt selbst in der reinen Apperzeption als „Wesen selbst" zugänglich, wenngleich es sich dadurch nicht erkennen, noch eine Existenzgewißheit erlangen kann, wozu innere Empfindung der eigenen, nur in der Zeit zugänglichen psychischen Aktivität z.B. in einem Akt der Aufmerksamkeit erforderlich ist.75

14

7!

So ist die Aussage Kants, der Satz: Ich existiere denkend könne „ohne den inneren Sinn nicht stattfinden, dessen Anschauung jederzeit das Objekt nicht als Ding an sich selbst, sondern bloß als Erscheinung an die Hand gibt" (KrVB429), wohl keineswegs so zu verstehen, daß die für die Existenzgewißheit erforderliche, unbestimmte Wahrnehmung das Ich als Erscheinung zu erkennen gibt; vielmehr würde erst die Bestimmung meiner selbst als Objekt, wozu die im inneren Sinn gegebenen Vorstellungen in zeitliche Relationen gesetzt werden müssen, meine Selbsterkenntnis zu einem Wissen u m Erscheinungen machen. - Vgl. auch KrV B208: In der Empfindung wird „weder die Anschauung vom Raum, noch von der Zeit, angetroffen". Diese Möglichkeit des Ich, in der Selbstbeziehung seiner selbst als des „Wesens selbst" inne zu werden, betont besonders H.Heimsoeth (Persönlichkeitsbewußtsein und Ding an sich in der Kantischen Philosophie. In: Ders.: Studien zur Philosophie Immanuel Kants I. Metaphysische Ursprünge und ontologische Grundlagen. Kant-Studien. Ergänzungsheft 71. 2. Aufl. Bonn 1971, 227-257), der in diesem Zusammenhang allerdings die unmittelbare Spontaneitäts- und, daraus folgend, Existenzgewißheit des reinen Ich und damit die intellektuelle Anschauung des Selbst, die Kant in den 1770er Jahren vertreten hatte, auch in der Kritik der reinen Vernunft verteidigt sieht. Solche Existenzgewißheit betrachtet er als Zwischenglied zwischen dem abstrakten Prinzip des reinen Selbstbewußtseins und der Selbsterkenntnis, zwischen dem Ich als Subjekt und als Objekt. Sicherlich finden sich auch noch in der Kritik der reinen Vernunft Anklänge an diese frühere Theorie, vor allem wenn Kant konzediert, daß der Mensch „sich selbst durch bloße Apperzeption" (Kr f B 5 7 4 ) erkenne, nämlich in seinen spontanen Handlungen durch den Verstand und vor allem durch die Vernunft. Es hat sich jedoch gezeigt, daß eine Existenzgewißheit oder gar Selbsterkenntnis des reinen Ich mit Kants kritischer Theorie nicht vereinbar ist.

Die transzendentale Apperception in den drei Grundsätzen

41

Welche bestimmte systematische Stellung und Funktion dem Gedanken: Ich denke als Prinzip der rationalen Psychologie, dem eine unbestimmte, innere Wahrnehmung zum Grunde liegt, in der Kritik der reinen Vernunft zukommt, bleibt jedoch offen. Sein Verhältnis sowohl zum reinen: Ich denke der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption als Prinzip von Logik und Transzendentalphilosophie als auch zur Selbsterkenntnis des Ich als Objekt des inneren Sinnes wird bei Kant nicht näher untersucht.76 Mit Blick auf Fichtes Wissenschaftslehre ist jedoch festzuhalten, daß nach Kant die Gewißheit des Ich von seinem eigenen Dasein auf innerer, wenngleich unbestimmter Empfindung basieren muß, auch wenn diese Form der Selbstbeziehung vor allem hinsichtlich der in ihr vorgenommenen, präkategorialen Existenzaussage und ihres Zusammenhangs mit Selbsterkenntnis und reiner Apperzeption problembehaftet bleibt. Nach Fichte kommt nun dem absoluten Subjekt als Inhalt des ersten Grundsatzes der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre Sein oder genauer: absolutes Sein zu, das in seinem Sich-Setzen enthalten ist, so wie umgekehrt das Ich sich selbst setzt, sobald Sein von ihm zurecht prädiziert wird: „Das Ich sezt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist, und es sezt sein Seyn, vermöge seines bloßen Seyns" (GA I, 2, 259; SWI, 96). Sich-Setzen und Sein implizieren sich im Hinblick auf das absolute Ich also wechselseitig. Fichte verwendet den Ausdruck „Sein" nun in zweierlei Bedeutung: Einerseits meint er das wesentliche Wassein, die wesentliche Sachhaltigkeit von etwas, sein „Seyn (Wesen(GA I, 2, 259; SW I, 76

H.Klemme (Kants Philosophie des Subjekts. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Verhältnis von Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Hamburg 1996, bes. 381ff) unterscheidet in diesem Zusammenhang lediglich zwischen Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis, welche letztere, soll sie gelingen und nicht wie diejenige der rationalen Psychologie scheitern, entweder die Erscheinung des inneren Sinnes oder das reine praktische Ich betreffen muß. Das: Ich denke als Grundlage der Selbsterkenntnis zählt er zum Selbstbewußtsein, differenziert dabei aber nicht zureichend zwischen dem reinen Ich denke des §16 und demjenigen, das in einer unbestimmten Wahrnehmung zugänglich ist. K.Gloy (Kants Theorie des Selbstbewußtseins. Ihre Struktur und ihre Schwierigkeiten. In: Wiener Jahrbuch fur Philosophie XVII (1985), 37, 42) hält die unbestimmte Wahrnehmung für prinzipiell ungeeignet zur Selbstvergewisserung des Denkens, da ein mittelbares durch ein unmittelbares Vorstellen, eine Spontaneität durch ein rezeptives Vermögen konstatiert werde. Zudem bedürfe es zur Bestimmung von etwas als Denken einer begrifflichen Abgrenzung von anderem. Ein Zeichen für das Mißlingen einer widerspruchsfreien rationalen Psychologie, die von Kant als rein logische Erörterung des Denkens intendiert sei, sieht hingegen W.Lütterfelds (Zum undialektischen Begriff des Selbstbewußtseins bei Kant und Fichte. In: Wiener Jahrbuch fur Philosophie VIII (1975), 11) in dem Rekurs auf die innere Wahrnehmung. Als Ausdruck mit einer ,/ion-denotative significance" interpretiert P.F.Strawson (Kant's Paralogisms: Self-Consciousness and the „Outside Observer". In: Theorie der Subjektivität. Dieter Henrich zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Cramer et al. Frankfurt a.M. 1987, 205ft) das „Ich" im: Ich denke, da es nicht ein bestimmtes Objekt unterscheide, sondern lediglich die jeden Gegenstand ermöglichende allgemeine Form des Bewußtseins bezeichne. Bedeutung habe es nur, indem es ein unerkennbares Objekt überhaupt meine. Eine ausführliche und präzise Interpretation der von Kant unterschiedenen Selbstbeziehungsweisen liefert auch D.Heidemann: Kant und das Problem des metaphysischen Idealismus. KantStudien. Ergänzungsheft 131. Berlin/New York 1998, 116ff.

42

Die erste Version der Wissenschaftslehre

97), welches bei dem absoluten Ich gerade in dem tätigen, aber differenzlosen und damit bewußtseinsfreien Sich-Setzen besteht. Andererseits gebraucht Fichte den Ausdruck „Sein" aber auch im Sinne einer von ihm nicht genauer explizierten Modalbestimmung; dann bedeutet die Implikation des Seins des Ich durch sein Sich-Setzen, daß es, wenn es auf sich spontan Bezug nimmt, auch in irgendeiner Weise ist. Solche Seinsaussage, die in dem Urteil: Ich bin erfolgt, kann nun aber offenbar, auch wenn es die Formulierung in der ersten Person nahelegt, nicht durch das absolute Ich selbst erfolgen, da es als in sich einfache Tathandlung kein Bewußtsein seiner selbst und damit auch keine Gewißheit seines eigenen Seins erlangt. Gilt somit auch bezüglich des absoluten Seins des prinzipiellen Subjekts, daß „es ist, was es ist für irgend eine Intelligenz ausser ihm" (GA I, 3, 167; SW I, 359), worunter man im Rahmen der Konzeption der Wissenschaftslehre das betrachtende Ich des Philosophen zu verstehen hat, dann muß offenbar auch die Aussage, das absolute Ich setze sich „als seyend' (GA I, 2, 259; SW I, 97), in diesem Sinne interpretiert werden. Mit dem „als" ist daher keinerlei Bewußtsein oder Gewißheit zu verbinden; Sein bleibt vielmehr wie alles vom absoluten Ich Ausgesagte eine durch den Philosophen vorgenommene Prädikation, die natürlich gleichwohl aus seinem Gegenstand zu rechtfertigen ist. Damit zeigt sich aber, daß die Prädikation des absoluten Seins im ersten Paragraphen von gänzlich anderer Bedeutung ist als die in unbestimmter Wahrnehmung gründende Existenzgewißheit der Kritik der reinen Vernunft.11 Sucht man nach deren Pendant in der Grundlage, so muß man sich wohl, ohne daß Fichte sich explizit dazu äußert, an den Ansatz zu einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins in den §§6-11 wenden. Demnach wird das Ich seines eigenen Seins als wirkliches Dasein oder Existenz auf der Stufe des Gefühls inne. Das Gefühl ist dabei nach Fichte „lediglich subjektiv" (GA I, 2, 419; SW I, 289), da man sich in ihm auf seine eigene Beschränktheit, sein eigenes beschränktes Streben bezieht.78 Anders als einem leblosen Körper - Fichte fuhrt 77

78

Der erste Grundsatz der Grundlage der ge:lammten Wissenschaftslehre kann also gerade nicht als Lösung des Problems der Gewißheit des Ich von seiner eigenen Existenz gewertet werden, wie J.Taber (Fichte 's Emendation of Kant. In: Kant-Studien 75 (1984), 442-459) meint. Im Grundriß des Eigentümlichen bestimmt Fichte das Gefühl als „die ursprünglichste Wechselwirkung des Ich mit sich selbst, ehe noch ein Nicht-Ich - es versteht sich im Ich, und fur das Ich - vorkommt" (GA I, 3, 174; SW I, 369). Vgl. ebenso GA I, 2, 401 (SW I, 266) sowie GA IV, 1, 200 und GA I, 4, 243 (SW I, 490): Fichte begründet dort in Abhebung von Kant die Empfindung im Gefiihl. Das Gefühl werde „erst durch die Beziehung auf einen Gegenstand vermittelst des Denkens" zu einer Empfindung. Kant nimmt zwar eine ähnliche Unterscheidung in der Kritik der Urteilskraft vor; das Gefühl bleibt fur ihn jedoch prinzipiell subjektiv. Vgl. KdU2 7ff sowie Prolegomena §19, A4 IV, 299Anm.: Kant qualifiziert dort die Wärme (des Zimmers) bzw. die Widrigkeit (des Wermuts) als ein „Gefühl, welches jedermann als bloß subjektiv erkennt und welches also niemals dem Objekt beigelegt werden d a r f . GA II, 4, 59 spricht Fichte diesbezüglich von der „Absonderung, die K. macht". Vgl. auch die entsprechenden Exzerpte Fichtes im Versuch eines erklärenden Auszugs aus der Kritik der Urteilskraft von 1790/91: GA II, 1, 35 lf.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

43

als Beispiel eine elastische Kugel an - kommt dem Ich nämlich schon auf der Stufe des Lebens, die der der Intelligenz noch vorausgeht79, Selbstbezüglichkeit als notwendiger Erfolg seines eigenen Reflexionstriebes zu. Im Gefühl bzw. Selbstgefühl wird man sich seiner selbst nun zwar nicht als Ich bewußt, da nur die Einheit von reflektierender, idealer und reflektierter, realer Tätigkeit als Ich zu bestimmen ist, sein reflektierendes Handeln auf der Stufe des Gefühls aber unbewußt bleibt; dennoch ist „für dasselbe [...] nothwendig da eine innere treibende Kraft, welche aber [...] bloß gefühlt wird" (GA I, 2, 424; SW I, 295). Ähnlich wie Kant, für den die Existenzgewißheit der Apperzeption minimalerweise eine unbestimmte innere Empfindung der eigenen psychischen Aktivität voraussetzt, nimmt also offenbar auch Fichte ein Gefühl des eigenen beschränkten Strebens oder Triebes als Grundlage der Gewißheit seines Daseins an. Und auch wenn dieses Selbstgefühl dem Ich nicht speziell als Intelligenz, sondern als Lebendiges zukommt, bleibt das intelligente Selbst im Wissen um sein eigenes Dasein an diese Stufe der Reflexion gebunden. In Übereinstimmung damit spricht Fichte schon im ersten Paragraphen von einem: Ich bin, das „keine andre Gültigkeit" besitzt „als die einer Thatsache" (GA I, 2, 258; SW I, 95). Denn wenn eine Tatsache im Gegensatz zur Tathandlung etwas auch dem gemeinen Vollzug Zugängliches bedeutet und dem gemäß dem Satz der Identität urteilenden Ich Bewußtsein seiner eigenen Identität, also Selbstbewußtsein zukommt, dann kann es offenbar auch eine Existenzgewißheit erlangen. Daß eine solche sogar notwendig ist, ergibt sich dabei aus dem Status des sich wissenden Ich als Bedingung der Möglichkeit spontaner Verknüpfung: Das bewußt sich selbst setzende Ich hat sich als Voraussetzung jedes Urteils gemäß dem Identitätsprinzip erwiesen. Da nun aber das Gesetztwerden die notwendige und hinreichende Bedingung des Seins von etwas ausmacht und die grundlegende Weise der Selbstbeziehung im Gefühl besteht, weiß man in seinen Synthesishandlungen offenbar von seiner eigenen Existenz. Daß im ersten Paragraphen die bestimmte epistemologische Konstellation solcher Gewißheit des eigenen Daseins, nämlich das Selbstgefühl des begrenzten Strebens unberücksichtigt bleiben muß, folgt schon allein daraus, daß dem Ich als Tatsache in diesem Zusammenhang im wesentlichen funktionale Bedeutung in der Rechtfertigung des obersten Prinzips der Wissenschaftslehre zukommt. Die Darlegung seiner konkreten Struktur kann hingegen nicht am Anfang des Systems, sondern nur als eines seiner Resultate erfolgen.

79

Vgl. dazu GA I, 2, 425, 427 (SW I, 296, 298).

44

Die erste Version der Wissenschaftslehre

1.3 Das absolute Ich als unhinterfragbares Prinzip einer Transzendentalphilosophie Brachten die bisherigen Erörterungen bezüglich des absoluten Seins des Ich lediglich ein negatives Resultat hervor, daß es nämlich nicht im Rahmen einer selbstbewußten Gewißheit der eigenen Existenz konstatierbar ist, so steht nach wie vor sowohl die Explikation seines Sinnes als auch die Bedeutung der wechselseitigen Implikation seiner und des unbedingten Sich-Setzens aus. Letztere läßt sich als Feststellung des reflektierenden Philosophen aufhellen, wenn man bedenkt, unter welcher Voraussetzung nach Fichte dem notwendigen Zusammenhang=X sowie den beiden aufeinander bezogenen A in dem Satz A=A begründeterweise Sein zuzusprechen ist. Die Relation und die beiden Relata der Identitätsaussage können der grundlegenden idealistischen Prämisse gemäß nämlich nur dann sein, wenn sie in einem Ich und durch ein Ich gesetzt werden, so daß der Umfang des Seins und derjenige des Gesetztwerdens einander entsprechen. Insofern sind die Bestandteile des Satzes der Identität im Subjekt begründet, weshalb der Philosoph von der unmittelbar gewissen Tatsache A=A in der abstrahierenden Reflexion auf ihre Bedingungen der Möglichkeit, nämlich zunächst auf das Ich als Tatsache und in einem weiteren Schritt auf die ursprüngliche Tathandlung zurückschließen muß. Sind somit Gesetztwerden und Sein bei vom Selbst unterschiedenen noematischen Gehalten und Gegenständen jederzeit bedingt, so gilt bezüglich des Ich: Es ist das „schlechthin gesezte, und auf sich selbst gegründete" (GA I, 2, 258; SIVI, 95), so daß sich sein ursprünglich durch sich selbst gesetztes Sein auf keine höhere Voraussetzung hin befragen läßt. Damit zeigt sich aber die Bedeutung zumindest der Absolutheit des Seins des Subjekts: Indem alles anderweitige Setzen durch das voraussetzungslose Sich-Setzen des Ich bedingt ist, Gesetztwerden aber Sein impliziert, kommt ausschließlich der unendlichen, in sich zurückgehenden Tätigkeit unbedingtes, absolutes Sein zu. So wie für Kant die synthetische Einheit der Apperzeption ursprünglich ist, da sie das unhintergehbare Fundament aller bewußten Vorstellungen als Bestandteile einer möglichen Erfahrung darstellt und sie daher, indem sie „die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle anderen muß begleiten können, [...] von keiner weiter begleitet werden kann" (KrV B132), so gilt für Fichte das absolute Ich notwendigerweise als unhinterfragbares Prinzip der gesamten Wissenschaftslehre, da alles Sein, das sich aktivem Gesetztwerden verdankt, in ihm zu begründen ist. Diesem höchsten Prinzip in seiner selbstbezüglichen Struktur des Sïc/i-Setzens geht also auch keineswegs etwas voraus, das noch kein Ich wäre, sondern durch einen Akt der Reflexion erst zu einem solchen würde. Denn auch dieses dem Ich noch Vorausgehende müßte, damit es sein könnte, wiederum gesetzt werden, so daß es seinerseits des tätigen Subjekts bedürfte. Das absolute Ich zeichnet sich also nicht zuletzt dadurch als oberstes

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

45

Prinzip aus, daß es sich, versucht man hinter es zurückzugehen, immer wieder als höhere Bedingung des Angenommenen reproduziert; ihm darf daher nur, sofern es sich spontan und selbstbezüglich setzt, absolutes Sein zugesprochen werden, und es ist nur insoweit das in nichts Höherem zu begründende Prinzip. Somit kommt vermöge der wechselseitigen Implikation von Sich-Setzen und Sein im ersten Paragraphen der Grundlage gerade diejenige Unhinterfragbarkeit des absoluten Ich als oberstes Prinzip der gesamten Philosophie zum Ausdruck, die deijenigen der reinen Apperzeption als höchste, ursprüngliche Bedingung der Möglichkeit einer einheitlichen Erfahrung korrespondiert. Denn einerseits muß man vom Ich, sofern es sich setzt, absolutes Sein prädizieren, weil seine spontane Bezugnahme auf sich keiner höheren Voraussetzung bedarf. Andererseits ist es, wenn ihm unbedingtes Sein zugesprochen werden soll, wesentlich als Sich-Setzen zu bestimmen, weil es ansonsten in einem höheren Prinzip, nämlich in einem von ihm unterschiedenen selbstbezüglichen Ich begründet werden müßte. Daraus folgt aber zugleich, daß dem absoluten Ich keineswegs der causa-suiGedanke untergeschoben werden darf.80 Das Ich bringt sein Sein nämlich nicht aus dem Nichts hervor, indem es von sich zugleich Ursache und Wirkung wäre; man muß ihm vielmehr aufgrund seiner wesentlichen Eigenschaft des tätigen Sich-Setzens durch nichts Höheres bedingtes Sein zusprechen, da hinter solches Sich-Setzen nicht sinnvoll zurückgefragt werden kann. So bin ich in meiner Freiheit mir selbst „ein Object, dessen Beschaffenheit unter gewissen Bedingungen lediglich von der Intelligenz abhängt, dessen Daseyn aber immer vorauszusetzen ist" (GA I, 4, 190; SWI, 427). In diesem Sinne muß dann auch die Charakterisierung des Ich als Tathandlung interpretiert werden, in der nach Fichte „das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und That [...] Eins und eben dasselbe" (GA I, 2, 259; SW I, 96) sind. Indem das Subjekt als in sich zurückgehende Tätigkeit handelt, ist auch schon das Produkt, das Ich, und so wie ein Ich ist, muß es sich setzen. Der causa-sui-Gedanke läßt sich dem absoluten Ich wohl nur dann unterschieben, wenn man einseitig die Implikation seines Seins durch sein Sich-Setzen betont. Abstrahiert man von dieser hingegen gänz80

Auf diese Weise interpretiert etwa K.Gloy: Selbstbewußtsein als Prinzip neuzeitlichen Selbstverständnisses. Seine Grundstruktur und seine Schwierigkeiten. In: Fichte-Studien 1 (1990), 58. Ebenso R.Brandt: Fichten ¡.Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797). In: Kant-Studien 69 (1978), 73, 82 und B.Noll: Kants und Fichtes Frage nach dem Ding. Frankfurt a.M. 1936, 140f. In seinen teilweise dunklen und thetischen Ausführungen versucht hingegen R.Hiltscher (Stellt Fichtes Theorie vom „Ich" in der WL von 1794/95 eine Produktionstheorie des „Ich" dar? In: Fichte-Studien 5 (1993), 108fl), die Produktionstheorie durch eine Letztbegründungstheorie zu ersetzen. Fichte zeige in den drei Grundsätzen, daß Wissen als Prinzip (Selbstbewußtsein) sowohl Wissen als Gegenstandsbestimmung als auch als Reflexion prinzipiiere. Somit begründe „Wissen als Prinzip (das absolute Ich) die Prinzipiate seiner selbst - nämlich Gegenstandsbestimmung und Reflexion" (110). Gegen eine Deutung des absoluten Ich als causa sui spricht sich ebenso F.Neuhouser (Fichte 's Theory of Subjectivity. Cambridge 1990, 112f) aus.

46

Die erste Version der Wissenschaftslehre

lieh und beachtet man ausschließlich die umgekehrte Schlußfolgerung, so legt sich offenbar ein Reflexionsmodell nahe, nach dem das Ich auf der Grundlage seines Seins auf sich selbst zurückkommt. Wie sich das absolute Subjekt aber nicht als causa sui aus dem Nichts schafft, in der wechselseitigen Implikation des unbedingten Seins und des Sich-Setzens vielmehr seine Unhinterfragbarkeit zum Ausdruck kommt, so muß die Wissenschaftslehre umgekehrt bis zur in sich einfachen Tathandlung zurückgehen, da sich das Ich als Prinzip aller durch den Satz der Identität bedingten Tatsachen des Bewußtseins erwiesen hat und es nur als absolutes Subjekt den Inhalt eines obersten Grundsatzes bilden kann. Dementsprechend heißt es von dem Grundgefuge des Bewußtseins, der Entgegensetzung eines teilbaren Ich und eines teilbaren Nicht-Ich im Ich und durch das Ich, dessen Explikation mit dem absoluten Subjekt als Voraussetzung der beiden folgenden Grundsätze beginnen muß: „Ueber diese Erkenntniß hinaus geht keine Philosophie; aber bis zu ihr zurükgehen soll jede gründliche Philosophie, und so wie sie es thut, wird sie Wissenschaftslehre" (GA I, 2, 272; SW I, 110). Genausowenig wie eine Ursache seiner selbst ist das absolute Ich als unhinterfragbares Prinzip aller Philosophie das Absolute oder Gott.81 Die Gottheit bestimmt Fichte in Anlehnung an Kants intuitiven Verstand, den auch dieser als einen „göttlichen" (KrV Β145) bezeichnet, als ein „Bewustseyn, in welchem durch das bloße Geseztseyn des Ich alles gesezt wäre" (GA I, 2, 390; SW I, 253).82 Dies gilt aber von dem absoluten Subjekt des ersten Grundsatzes gerade nicht; vielmehr bedarf dieses zu seiner Ergänzung eines der Form nach unbedingten Entgegensetzens, dem zwar das absolute Sich-Setzen als conditio sine qua non vorausgeht, das aus demselben aber nicht ableitbar ist. Ebenso wird durch die im dritten Paragraphen aufgestellte Einschränkung das Ich zu einem begrenzten, wobei dieses endliche Selbst genau dann Gott werden würde, wenn es ihm gelänge, alle von ihm verschiedenen Dinge „zur Uebereinstimmung mit der reinen Form seines Ich zu bringen" (GA 1,3,31; SW VI, 298), wie Fichte in den Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten ausführt. Der Gedanke der

Gottheit zeichnet sich also durch eine vollständige Übereinstimmung derjenigen 81

82

So ist z.B. F.Bader (Die Mehrdeutigkeit der drei Grundsätze in Fichtes „ Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von 1794/95. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Hammacher und A.Mues. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, l l f , 20ff, 27) der Ansicht, Fichte vermische im ersten Grundsatz Bestimmungen des analytisch-synthetischen Selbstbewußtseins und solche, die sinnvoll nur von Gott gelten können. Darin sieht er eine Präfiguration des Verhältnisses des Absoluten zur absoluten Erscheinung, wie es vor allem in der Wissenschaftslehre von 1804 2 aufgestellt wird. Demgegenüber soll hier gezeigt werden, daß mit dem absoluten Ich weder das Absolute noch das Selbstbewußtsein gemeint ist. Vgl. dazu ebenso GA I, 2, 398 Anm., 407 (SW I, 263Anm., 275), in der Aenesidemus-Rezension GA I, 2, 65 (SW I, 23) sowie die entsprechenden Entwürfe GA II, 2, 292, 296. - Auch Kant beschreibt den intuitiven, anschauenden Verstand als einen solchen, in dem „durch das Selbstbewußtsein zugleich alles Mannigfaltige gegeben würde" {KrVB135); vgl. ebenso KrV B138f sowie die Ausführungen in den §§76 und 77 der Kritik der Urteilskraft: KdU2 339ff.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

47

Gegenstände mit ihrem Selbstbewußtsein aus, die für eine endliche Vernunft prinzipiell den Charakter des Nicht-Ich behalten. Solche vollständige Übereinstimmung kann aber im ersten Grundsatz der Grundlage schon allein deswegen nicht enthalten sein, weil er aller Setzung eines Nicht-Ich und erst recht aller Vorstellung bestimmter Gegenstände, die gemäß der Konzeption der Grundlage des Anstoßes bedarf, systematisch vorausgeht.83 Das absolute Ich der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von 1794/95 muß also gemäß seiner Rechtfertigung durch die auf den Satz der Identität angewandte Methode der abstrahierenden Reflexion als derart modifizierte reine Apperzeption verstanden werden, daß sie den Fichteschen Anforderungen an einen ersten Grundsatz der gesamten Philosophie entspricht, wodurch sie wie nur angedeutet wurde - als Ziel eines unendlichen Strebens für Fichte zugleich praktische Bedeutung erlangt.84 Hatte sich oben schon gezeigt, daß man dieses absolute Subjekt als ein reines Ich zu bestimmen hat, insofern es als unendliche Tätigkeit allen empirischen, besonderen Handlungsweisen zum Grunde zu legen ist, so muß die wechselseitige Implikation von Sich-Setzen und Sein im Rahmen einer transzendentalphilosophischen Argumentation offenbar als Unhinterfragbarkeit interpretiert werden, in der das Ich als ein ursprüngliches zum Ausdruck kommt.85 Dadurch, daß die Absolutheit des Seins des reinen Ich durch die Unbedingtheit des Sich-Setzens erklärt wird, ist aber noch keineswegs der interne Sinn der Modalbestimmung selbst aufgehellt. Dieser bleibt im ersten Paragraphen grundsätzlich ungeklärt; und auch Fichtes Andeutungen im Aufsatz Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache von 1795 helfen nur wenig. Demnach drückt die Bezeichnung „Sein" „den höchsten Charakter der Vernunft aus". Daran zeigt sich, daß Sein ursprünglich ausschließlich dem absoluten Ich beizulegen ist. Darüber hinaus grenzt Fichte den „reinen Begriff des Seins" negativ 83

84 85

In den Eignen Meditationen formuliert Fichte sogar an derjenigen Stelle, an der er zum ersten Mal die ursprüngliche Grenzenlosigkeit von Ich und Nicht-Ich aufstellt: „Das absolute Nicht-Ich wäre demnach Gott" (GA II, 3, 65). Damit könnte gemeint sein, daß für das endliche Bewußtsein dasjenige Unendliche Gott ist, das für es immer nur Gegenstand bleibt und mit dem es sich nie identifizieren kann. Vgl. ähnlich GA ff, 2, 296f. - Wenn Fichte in den Entwürfen zur Aenesidemus-Rezension hingegen schreibt: „Nur Gott kann sagen: ich bin" (GA II, 2, 293), dann stimmt diese Aussage nicht mit den Ausführungen in den zeitgleichen Eignen Meditationen Uberein, die das Prinzip des Ich gerade per Selbstvergewisserung sichern wollen. Diese Formulierung wird folgerichtig schon in den Entwürfen und auch in der veröffentlichten Fassung gestrichen. Vgl. GA ff, 2, 297; GA f, 2, 66 (SWl, 23). Vgl. o. Anm.65. Daß Fichte das Ich ebenso als ein transzendentales im Sinne der Kantischen Charakterisierung des §16 versteht, kann erst unten im Rahmen der Besprechung des Fichteschen Deduktionsverfahrens erörtert werden. Vgl. u. S.172. - Eine metaphysische Bestimmung des absoluten Subjekts liefert hingegen Schelling in seiner Schrift Vom Ich, indem er im Durchgang durch die Kategoriengrappen das Ich etwa als „einige Substanz" bzw. „hen kai pan" oder als „immanente Ursache alles dessen, was ist' bestimmt (F.WJ.Schelling: Historisch-kritische Ausgabe. Reihe I. Bd 2. Hrsg. von H.Buchner und J.Jantzen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, H 9 , 121).

48

Die erste Version der Wissenschafìslehre

vom bloßen „Existiren" (GA I, 3, 111; SW VIII, 320) ab. Dieses Verhältnis bekommt jedoch eine positive Bedeutung, wenn er in der Grundlage behauptet: „Die Wissenschaftslehre unterscheidet sorfältig absolutes Seyn, und wirkliches Daseyn, und legt das erstere bloß zum Grunde, um das leztere erklären zu können" (GA I, 2, 410 Anm., SW I, 278 Anm.). Daraus läßt sich offenbar folgende Parallele ziehen: So wie man nach Fichte ein absolutes Ich benötigt, um aus dem Zusammenspiel seiner unendlichen Tätigkeit mit dem Anstoß das endliche Selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vermögen und Leistungen zu erklären, so gilt auch für die entsprechenden Modalbestimmungen, daß ein im Selbstgefühl zugängliches und in vielfaltiger Weise empirisch bestimmtes, wirkliches Dasein eines fundierenden reinen Seins bedarf. Zieht man zudem den Status des unbedingten Sich-Setzens als Bedingung der Möglichkeit alles Bewußtseins hinzu, so muß man sein Sein wohl am ehesten als Notwendigsein spezifizieren, wobei allerdings sowohl aus seiner Kennzeichnung als rein als auch aus seiner empirischen Unzugänglichkeit folgt, daß es für sich noch keinerlei Wirklichkeit enthält. Dabei macht sich offenbar der Mangel einer ausführlichen Entwicklung der Modalkategorien in der Grundlage bemerkbar86, denn gerade in bezug auf Kant bedürfte die Annahme eines notwendigen, aber in keiner Weise wirklichen Seins eigens einer Rechtfertigung, insofern für den letzteren Notwendigkeit als „Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit" (KrV Β184) Wirklichkeit impliziert.87 Die Bedeutung des absoluten und reinen Seins ergibt sich somit vor allem aus der internen Struktur des ursprünglichen Ich als unbedingtem Sich-Setzen und seinem Verhältnis zum Nicht-Ich und zum endlichen Selbst. Davon zu unterscheiden ist jedoch noch einmal die objektive Realität, die dem absoluten Subjekt als Vorstellungsgehalt des Philosophen zukommen soll. Dabei stellt sich aber die Frage, in welcher Weise ein empirisch vollständig unzugängliches, reines Ich überhaupt Gegenstand der Transzendentalphilosophie werden kann und wie sich darüber hinaus bei einem solchen Gehalt der Anspruch objektiver Gültigkeit rechtfertigen läßt. Das gleiche Problem ergibt sich natürlich auch bezüglich der reinen Apperzeption in Kants Kritik der reinen Vernunft. Denn wenn „rein" alle diejenigen Vorstellungen heißen, denen „keine Empfindung beigemischt ist" (Ä>FB74), und dem ursprünglichen Ich schon allein deswegen 86

87

Möglichkeit und Notwendigkeit werden allerdings in der „Deduktion der Vorstellung" als Modalitäten des anschauenden Subjekts und seiner objektiven Vorstellungen erörtert. Insofern beide in ihrer Bestimmtheit nicht von der Freiheit des Selbst abhängen, sind sie notwendig; weil das Ich aber nicht auf diese Bestimmtheit, nämlich auf dieses bestimmte Objekt reflektieren muß, es in seiner Aufmerksamkeit vielmehr ungebunden bleibt, sind sie als bloß möglich zu beurteilen (vgl. GA I, 2, 378f; SW I, 238f). Der „lezte Grund aller Wirklichkeit" ist gemäß den Ausführungen im vierten Paragraphen die „Wechselwirkung" zwischen der unendlichen Tätigkeit des Ich und dem Anstoß (GA I, 2, 411; SW I, 279). Zur Aufklärung des Seins des absoluten Subjekts können diese Ausführungen allerdings nichts beitragen. Vgl. dazu auch das dritte, in der Kategorie der Notwendigkeit fundierte Postulat des empirischen Denkens: „Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig" (KrVB266).

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

49

kein „Dasein in einer bestimmten Zeit" (KrV Β184) zukommen kann, weil es sowohl den unzeitlichen Gesetzen der Logik als auch den in der Erfahrung uneingeschränkt gültigen Grundsätzen des Verstandes zugrundeliegen soll, dann muß es unabhängig von dem Verweis auf empirische Wahrnehmung eine Möglichkeit geben, das reine Ich in seinem Bedingungsgefiige von ursprünglichsynthetischer Einheit und analytischer Identität des Selbstbewußtseins als ein solches durch den Philosophen aufgestelltes Prinzip eines einheitlichen Erfahrungszusammenhangs zu rechtfertigen, das kein bloßes Produkt der phantasierenden Einbildungskraft darstellt und dessen Kenntnis man auch nicht lediglich einer plötzlichen und zufalligen Einsicht verdankt. Das Geforderte läßt sich aber offenbar nur dann leisten, wenn das ursprüngliche Ich als notwendiger, rein gedachter Erklärungsgrund gegebener Wirkungen erwiesen wird. Daß Kant eine derartige Argumentation tatsächlich vor Augen hat, ergibt sich aus der zumindest angedeuteten Übertragung der Unterscheidung von ratio essendi und ratio cognoscendi auf das Verhältnis der höchsten Grundsätze aller Erfahrung zum reinen Verstand. So wie wir uns unserer Freiheit nicht ohne das Faktum des Anspruchs des Sittengesetzes auf gegründete Weise bewußt werden könnten, entspringt auch „das Bewußtsein eines reinen Verstandes" aus der Vergegenwärtigung „reiner theoretischer Grundsätze" (AA V, 30).** Der reine Verstand kann seine spontanen Synthesisleistungen jedoch keineswegs anonym vollziehen; er ist vielmehr seinerseits in einem reinen, spontanen Selbstbewußtsein zu fundieren.89 Wie wir uns aber umgekehrt des moralischen Prinzips niemals bewußt werden könnten, wenn ihm nicht als Seinsgrund ein reiner, autonomer Wille zum Grunde läge, könnten wir uns auch nicht die Notwendigkeit bestimmter allgemeinster Naturgesetze vergegenwärtigen ohne den Konstitutionsgrund des reinen Verstandes bzw. der reinen Apperzeption. Geht man nun aber von den synthetischen Grundsätzen des Verstandes auf ihr Prinzip zurück, um von ihm aus wiederum die objektive Gültigkeit der ersteren zu beweisen, dann bewegt man sich ganz offensichtlich in einem Zirkel. Dementsprechend verfolgt die Kritik der reinen Vernunft einen anderen Weg: Sie geht nicht von den allgemeinsten Naturgesetzen, sondern von den logischen Urteilsfunktionen aus, die der §9 in einer Tafel vor Augen stellt. Vor allem der §15 argumentiert dann aufgrund der in ihnen und in den parallelen Verstandesbegriffen enthaltenen Synthesen für die Ansetzung reiner Verbindungsleistungen und des ihnen zugrundeliegenden ursprünglichen Selbstbewußtseins.90 88

Vgl. zur Bestimmung von Sittengesetz und Freiheit als ratio cognoscendi bzw. essendi AA V, 4Anm. 8 ' Vgl. auch KrV B420: „die Einheit des Bewußtseins, die wir selbst nur dadurch kennen, daß wir sie zur Möglichkeit der Erfahrung unentbehrlich brauchen". - Ein ähnliches Verfahren deutet Kant in der Kritik der Urteilskraft an, der gemäß nur der Anspruch des ästhetischen Urteils auf allgemeine Beistimmung auf dessen Prinzip a priori hinweist (vgl. KdU2 21, 112f). 90 Ähnlich versucht G.Prauss (Erscheinung bei Kant. Ein Problem der „Kritik der reinen Vernunft". Berlin 1971, 58-70) zu zeigen, daß Kant nur durch eine Analyse eines grundlegenden „Faktums

50

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Damit das reine Ich durch ein solches Rückschlußverfahren von den logischen Funktionen auf ihre Bedingungen der Möglichkeit als gegründeter Theoriebestandteil einer Transzendentalphilosophie gerechtfertigt werden kann, muß es jedoch im wesentlichen zwei Bedingungen erfüllen, wie sich aus Kants Charakterisierung einer „transzendentalen Erörterung" im Rahmen seiner transzendentalen Ästhetik ergibt. Es muß nicht nur ausweisbar sein, daß die ursprüngliche Apperzeption zur Fundierung der in den Urteilsformen gedachten Synthesen taugt, sondern so wie sich die Apodiktizität geometrischer Erkenntnisse nur aus der Ansetzung des Raumes als apriorische Anschauungsform erklären läßt, muß auch die Begründung der logischen Funktionen in ihrer notwendigen, unzeitlichen Gültigkeit „nur unter der Voraussetzung einer gegebenen Erklärungsart" (KrV B40) ihres Prinzips möglich sein. Das reine Selbstbewußtsein unterscheidet sich also deswegen von einer beliebigen Annahme, weil es erstens zur Begründimg der logischen Denkformen taugt und weil es zweitens nicht gegen andere Erklärungsgründe von gleicher explanatorischer Kraft austauschbar ist, sondern die absolute Notwendigkeit derselben sich nur durch ihren Ursprung im reinen Ich verständlich machen läßt, will man nicht transzendente Vernunftideen voraussetzen, die in ihrer objektiven Realität durch die Kritik der Erkenntnisvermögen gerade erst beurteilt werden sollen. Wenn man auf diese Weise aber methodisch gesichert zur ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption gelangt ist, dann läßt sich - wie §16 ausführt - ihre Unabdingbarkeit für diejenigen gesetzmäßigen Verknüpfungen beweisen, die für einen einheitlichen Erfahrungs- und Bewußtseinszusammenhang erforderlich sind.91 Das reine Ich kann als nicht wahrnehmbarer, sondern rein gedachter Theoriebestandteil einer Transzendentalphilosophie also durchaus gerechtfertigt werden, so daß es keine bloß willkürliche Annahme bleibt, die durch andere von gleicher explanatorischer Stärke ersetzbar wäre. Vergleichend stellt sich die

91

der Erfahrung", nämlich eines empirischen Urteils, das sich als wahr oder falsch erweisen kann, wobei Prauss speziell das einzelne, bejahende, kategorische, assertorische Urteil vor Augen hat, die Unterscheidung von Anschauung und Begriff bzw. Sinnlichkeit und Verstand und somit den Standpunkt transzendentaler Reflexion verständlich zu machen vermag. Der Rückgriff auf ein „Faktum" kann allerdings offenbar nur dann gelingen, wenn es allgemein anerkannt ist; ansonsten bleiben skeptische Zweifel unwiderlegt. Hume würde es z.B. bestreiten, daß dem Verstand in einem empirischen Urteil eine konstitutive Rolle zukommt. Daraus lassen sich auch die unterschiedlichen Objektbegriffe plausibel machen, die Kant in den §§17 und 19 der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft entwickelt. Während nach §17 ein Objekt notwendigerweise sinnlich gegebenes Mannigfaltiges enthält, indem ein Objekt als dasjenige bestimmt wird, „in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist" (KrV Β137), bedarf es gemäß §19 zur Konstitution eines Objekts lediglich eines Urteils und nicht einer auf das Anschauungsmannigfaltige bezogenen Urteilsfunktion als Kategorie: Ein Urteil ist „nichts anderes [...], als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen" (AVK B141 ). Ein Urteil konstituiert dabei wohl kein Objekt im Sinne eines Erfahrungsgegenstandes, aber doch einen objektiven, d.h. überprüfbaren und gegebenenfalls falsifizierbaren Zusammenhang, wie er sich z.B. in der dogmatischen Metaphysik oder auch in der Transzendentalphilosophie findet.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

51

Frage, ob sich analoge Überlegungen auch in der frühen Wissenschaftslehre finden, so daß sich die Behauptung objektiver Realität des absoluten Subjekts als Vorstellungsgehalt des Philosophen begründen läßt. Auffallig ist dabei das oben bereits dargestellte, in den systematischen Argumentationen der Frühphilosophie Fichtes einzigartige Rückschlußverfahren von einer Tatsache, dem Satz der Identität, auf das mit sich identische Ich, wodurch sich dieses zunächst ebenso als Tatsache und in einem weiteren Schritt der Methode der „abstrahierenden Reflexion" als Tathandlung ergibt. Ähnlich wie Kant von den in §9 zunächst isoliert aufgestellten logischen Urteilsfunktionen ausgehend den reinen Verstand und die ursprüngliche Apperzeption als deren Bedingungen der Möglichkeit rechtfertigt, setzt Fichte somit bei der allgemein zugestandenen Gültigkeit des Satzes der Identität an, um von ihr aus auf die seitens des Philosophen notwendige Annahme des reinen und somit nicht empfindbaren Ich als Prinzip der Wissenschaftslehre zurückzuschließen. Dabei ist ein solches Rückschlußverfahren in diesem Fall schon allein deswegen erforderlich, weil die Tathandlung allem Bewußtsein dieses ermöglichend vorausgeht und daher niemals Gegenstand der Erfahrung für das betrachtete Ich selbst werden kann, das, um sich seiner eigenen Existenz zu versichern, des Selbstgefühls seines beschränkten praktischen Strebens bedarf. Kommt die in sich einfache Identität in sich zurückgehender Tätigkeit hingegen zum Bewußtsein des auf die Bedingungen der Möglichkeit des Satzes der Identität reflektierenden Philosophen, indem gemäß dem Verfahren abstrahierender Reflexion erkannt wird, „daß man jene Thathandlung, als Grundlage alles Bewustseyns, nothwendig denken müsse" (GA I, 2, 255; SWI, 92), so stellt sich auch für Fichte die Frage, wie sich ein solcher der Empfindung nicht zugänglicher Gedankeninhalt von einem Gegenstand bloßer Einbildung unterscheiden läßt, so daß man ihm objektive Realität zusprechen kann. Aufklärung darüber gibt Fichte in der Grundlage des Naturrechts, in der er die Frage aufwirft, wie denn etwas, das allem Bewußtsein es ermöglichend voraushegt, Realität haben könne, wenn dieselbe nur demjenigen zuzusprechen ist, das durch das Ich bewußt gesetzt wird. Wenn die die Erfahrung des betrachteten Selbst bedingenden Handlungen aber durch dasselbe gerade nicht bewußt vollziehbar sind, haben sie und damit speziell natürlich auch die Tathandlung des ersten Grundsatzes der Grundlage „lediglich eine Realität für den philosophirenden Verstand" (GA I, 2, 336; SW III, 25). Nach Fichte kommt diesen Handlungen des menschlichen Geistes, die im alltäglichen Vollzug keine Tatsache des Bewußtseins darstellen und auch gar nicht darstellen können, aber nicht nur Realität durch das bloße Gesetztsein, das auch in der willkürlich phantasierenden Einbildungskraft möglich wäre, sondern objektive Realität zu, da man vermöge der logischen Denkgesetze, an die auch der Philosoph als vollständig entwickeltes Selbst gebunden ist, genau diese und keine anderen der Erfahrung vorausliegenden und sie begründenden Tätigkeiten anzunehmen hat.

52

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Sollen die Leistungen des endlichen Geistes - etwa das Setzen von Naturkausalität, das Gegenwärtigen des Sittengesetzes als Prinzip des Ausfuhrens und Beurteilens moralischer Handlungen oder das Zugestehen rechtlich gesicherter Handlungsspielräume - in einem einheitlichen Grund vereinigt werden sowie systematisch in ihren Verhältnissen zueinander aus ihm ableitbar sein, so muß man „dieses und jenes als Handlungen desselben annehmen; jedes vernünftige Wesen, das es versuchen würde, werde in diese Nothwendigkeit versezt werden; dies und weiter nichts behauptet der Philosoph" (GA I, 2, 336; SW III, 25).92 Wie noch genauer zu zeigen sein wird, ist auch die unbewußt produzierende Einbildungskraft im zweiten Teil der Grundlage in gleicher Weise durch den Philosophen methodisch zu erschließen. Und ebenso haben nach Fichte die Kategorien, obwohl sie in derselben gründen, objektive Gültigkeit, weil sie deren notwendige Handlungsweisen darstellen.93 Wie also die endliche Vernunft, verknüpft sie die einzelnen Vorstellungen in einem einheitlichen Bewußtsein, notwendigerweise etwa den Kategorien der Relation gemäß zusammenfassen muß, so hat auch der Philosoph, will er die mannigfachen Leistungen des endlichen Geistes aus einem einheitlichen Fundament ableiten, bestimmte und nur diese Tätigkeiten als Erklärungsgründe des Bewußtseins gemäß seinen eigenen Denkgesetzen anzunehmen, und zwar als höchste Handlung, so lautet die Lösung der Grundlage, die Tathandlung des absoluten Ich. Die objektive Realität reiner Gedankeninhalte und natürlich auch solcher reinen Gedanken, wie sie in der Transzendentalphilosophie vorkommen, und ihre damit einhergehende Abgrenzung von willkürlichen Ansetzungen bemißt sich nach Fichte also an ihrer Denknotwendigkeit; derartigen Gehalten kann auch unabhängig von der wahrnehmenden Erfahrung auf gegründete Weise genau dann Objektivität und d.h.: Gültigkeit für jede endliche Vernunft zugesprochen werden, wenn sie in den dem endlichen Geist eigenen Handlungsgesetzen gründen: „Es kommt sonach dem Innhalte der Philosophie keine andere Realität zu, als die des nothwendigen Denkens, unter der Bedingung, daß man über den Grund der Erfahrung etwas denken wolle" (GA 1,4, 207; SW 1,449).94 Fichte gewinnt die reine Tathandlung des absoluten Ich in der Grundlage also auf methodisch ähnliche Weise wie Kant die reine Apperzeption, nämlich durch ein Rückschlußverfahren auf die Bedingungen der Möglichkeit eines Gegebenen. Während Kant in der Kritik der reinen Vernunft auf die in einer Tafel zusammengestellten Weisen der Verknüpfung in Urteilen rekurriert, die 92

93 94

Vgl. ebenso die Vorlesungen über Logik und Metaphysik·, „denn nach dem System eines gründlichen Philosophen ist nichts andres objectiv gültig (wahr) als was zu Folge der Vernunft nothwendig gedacht werden muß. [...] Ist also bewießen, daß jeder, der über ein gewißes Problem nachdenkt, so u. nicht anders denken könne, so ist die Objectivität der Lösung deßelben bewiesen" (GA IV, 1, 187). Zur objektiven Gültigkeit in den Vorlesungen über Logik und Metaphysik vgl. auch bes. GA IV, 1, 177-179, 182f, 204. Vgl. GA I, 3, 189f sowie GA I, 4, 202 (SlVl, 387f, 443). Vgl. auch GA I, 2, 53 (SIVI, 13).

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

53

mit dem Anspruch unzeitlicher Gültigkeit auftreten, nimmt Fichtes Argumentation von derjenigen Synthesis ihren Ausgang, die selbst das gemäß Kantischer Theorie analytische Urteil des Satzes der Identität beinhaltet. Kant versichert sich gegen die Willkürlichkeit der Annahme eines reinen Verstandes und einer diesen begründenden ursprünglichen Apperzeption nun auf zweierlei Weise: Zunächst zeigt er in § 15, daß nur durch die Ansetzimg ihrer vorgängigen Einheit die in den logischen Funktionen und den korrespondierenden Kategorien enthaltenen Synthesen begründet werden können. Ist die reine Apperzeption aber auf diese Weise methodisch gesicherter Gegenstand der Transzendentalphilosophie, so demonstriert der §16, daß man ihrer als Prinzip eines einheitlichen Erfahrungszusammenhanges bedarf, denn ohne ihre Leistungen könnten die Vorstellungen „wenigstens für mich nichts sein" (KrV B132). Vor allem zu der ersten Argumentation verläuft die Fichtesche nun parallel, wenn er sich auf den Denkzwang seitens des Philosophen beruft, der den logischen Regeln gemäß vom absoluten Ich als höchstem Punkt der systematischen Explikation der notwendigen Handlungen des menschlichen Geistes auszugehen hat, wobei die Gültigkeit solcher Denkgesetze, die im entwickelten Selbst des Philosophen vorauszusetzen ist, in der Transzendentalphilosophie aufgrund ihrer Vorrangstellung vor der Logik nach Fichte eigens begründet werden muß. Daß es des absoluten Subjekts als Ausgangspunkt transzendentalphilosophischer Ableitung bedarf, versucht Fichte dabei im ersten Paragraphen im Ausgang vom Satz der Identität zu zeigen; daß der damit gewonnene erste Grundsatz tatsächlich ein System der Wissenschaftslehre zu begründen vermag, kann sich hingegen allein in der Ausführung dieses Programms zeigen.95 Als ein entscheidender Unterschied des absoluten Subjekts Fichtes von der ursprünglichen Apperzeption Kants hatte' sich aber bereits oben ergeben, daß nach Fichte das reine Ich in der Form des §16 der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft aufgrund seiner Strukturmannigfaltigkeit nicht zum Inhalt eines absolut-ersten Grundsatzes der gesamten Philosophie taugt, sondern ein weiterer Abstraktionsschritt über das ähnlich komplexe Ich als Tatsache hinausgehend zu vollziehen ist, so daß die reine, in sich zurückgehende Tätigkeit der 95

Auf ähnliche Weise versucht Fichte auch in der Ersten Einleitung zu zeigen, daß nicht das Ding an sich des Dogmatikers, sondern das Ich als Prinzip an den Anfang der Transzendentalphilosophie zu setzen ist, da nur aus ihm die Vorstellung erklärt werden kann. Voraussetzung ist allerdings, daß man den vollständigen Begriff der Vorstellung bzw. des Vorstellenden gefaßt hat, so daß zwar der Dogmatismus, nicht aber der Dogmatiker, dem dieser Begriff fehlt, widerlegbar ist; vgl. GA I, 4, 195-199 (SW I, 435-440). - Die Aktualität dieser Ausführungen zeigt sich daran, daß die Argumente Fichtes mit Modifikationen selbst gegen moderne Theorien des Materialismus anwendbar sind. So wie nach Fichte aus der Vervielfältigung kausaler Einwirkungen innerhalb einer einfachen reellen Reihe niemals die doppelte ideale und reale Reihe der Intelligenz ableitbar ist, so lassen sich auch durch die quantitative Vervielfältigung von Neuronen und deren Verbindungen auf der Mikroebene, die keinerlei Bewußtsein enthält, niemals geistige Phänomene auf der Makroebene erklären, wie z.B. J.R.Searle (Geist, Hirn und Wissenschaft. 3. Aull. Frankfurt a.M. 1992, bes. 21) meint.

54

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Tathandlung als differenzlose Identität zurückbleibt. „Absolut" heißt das prinzipielle Ich nun aber nicht nur wegen seiner Unbedingtheit, die oben als Unhintergehbarkeit interpretiert wurde, sondern auch aufgrund seiner Unendlichkeit, denn gemäß der Grundlage ist die „reine Thätigkeit des Ich allein, und das reine

Ich allein [...] unendlich" (GA I, 2, 393; SW I, 256). Damit das Ich auf sich selbst bewußt reflektieren kann, bedarf es aber der Beschränkung und damit der Endlichkeit der in solcher Reflexion vergegenwärtigten realen Tätigkeit, da die endliche Vernunft sich aufgrund ihrer eigenen Begrenztheit auch nur Endliches bewußt zu machen vermag: „Endlichkeit besteht darin, daß auf alles nur als auf ein begrenztes Quantum reflectirt werden kann, auser welchem noch etwas anderes liegt. Dieß ist schlechthin so und man kann es nicht weiter beweisen" (GA IV, 1, 208).96 Vermag jedoch das betrachtete Ich als philosophischer Gegenstand auf sich selbst nur als ein endliches mit Bewußtsein zu reflektieren, so stellt sich die Frage, wie denn das entwickelte Selbst des Philosophen die unendliche Tathandlung als Bestandteil einer transzendentalen Begründungstheorie zum Bewußtsein erheben kann. Dieses Problem wird auflösbar durch die Bestimmung des absoluten Subjekts als die „Idee des Ich, die seiner praktischen unendlichen Forderung nothwendig zu Grunde gelegt werden muß". Das absolute Ich kommt dabei dem endlichen, durch den Philosophen betrachteten Subjekt niemals unmittelbar zum Bewußtsein, sondern nur vermittels der in ihm begründeten Forderung, alle Realität mit sich selbst in Übereinstimmung zu bringen; damit dieses Begründungsverhältnis von absolutem Subjekt und unendlicher praktischer Forderung aufklärbar ist, muß seine unbegrenzte Tätigkeit allerdings „mittelbar in der philosophischen Reflexion" (GA I, 2, 409; SW I, 277) als Bestandteil der Transzendentalphilosophie vorkommen.97 Das absolute Ich ist also in praktischer Bedeutung Idee als zu keinem bestimmten Zeitpunkt erreichbares Ziel eines unendlichen Strebens, das dem end96 97

Vgl. ebenso 0 4 1 , 2 , 4 1 9 , 4 2 1 (SW\, 288f, 291) u.ö. Die Kennzeichnung des absoluten Ich als „nie zu erreichendes Ideal" (GA I, 2, 263; SW I, 101) ist insofern innerhalb der Fichteschen Terminologie unglücklich gewählt, als sich fur ihn das Ideal zwar „ins unendliche hinaus erhöhen" läßt, es jedoch „in jedem bestimmten Momente seine Grenze" (GA I, 2, 403; SW I, 269) hat. Im Ideal drückt sich also jeweils ein bestimmtes Ziel des Strebens nach Übereinstimmung des Nicht-Ich mit dem Ich aus, dem die unendliche Forderung absoluter Übereinstimmung, die auf der Idee des unendlichen Ich beruht, zum Gmnde gelegt werden muß. - Zum Ich als Idee vgl. ebenso GA I, 2, I I I , 281, 311, 361 (SW I, 117, 121, 156, 217). - Den Status des absoluten Ich als Idee in praktischer Bedeutung, als Gesolltes betont vor allem W.Janke: Fichte. Sein und Reflexion - Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, 76ff. Demgegenüber räumt F.Bader (Die Mehrdeutigkeit der drei Grundsätze in Fichtes „ Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre " von 1794/95. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Hammacher und A.Mues. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, 23ff) der unmittelbar in der intellektuellen Anschauung realisierten absoluten Einheit, die er mit Gott identifiziert, einen systematischen Vorrang gegenüber dem absoluten Ich als praktische Idee ein, weil nur dann, wenn auch uns diese absolute Einheit in intellektueller Anschauung unmittelbar gegenwärtig ist, die unendliche praktische Forderung evident werden könne.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

55

liehen Selbst gemäß den Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten im kategorischen Imperativ als vollständige Übereinstimmung mit sich selbst zur Aufgabe gemacht wird. Die Bezeichnung von etwas als „Idee" hat jedoch bei Fichte auch einen bestimmten theoretischen Sinn, der eine eigentümliche Weise des Vorgestelltwerdens impliziert. Vor allem in der Wissenschaftslehre nova methodo betont Fichte mehrmals, eine Idee sei „ein Begriff von etwas, das gar nicht begriffen] werden kann" (Κ 86). Zur Verdeutlichung zieht er den Begriff des unendlichen Raumes heran, der nach Fichte deswegen nicht denkbar ist, weil alles, was von einer endlichen Vernunft erfaßt werden soll, notwendigerweise ebenso endlich sein muß. Was sich hingegen begreifen läßt, ist die Regel, durch deren Befolgung der Gedanke des unendlichen Raumes hervorgebracht werden würde und nach der jegliche Grenze des aktual vorgestellten Raumes jeweils aufzuheben ist. Diese unendliche Aufgabe läßt sich jedoch nie letztgültig erfüllen, so daß man sich beim Denken der Idee des unendlichen Raumes auf das Denken der Regel ihrer Hervorbringung beschränken muß: „darinnen besteht eben das Wesen der Ideen, daß man nur die Regel construirt [,] nach der sie zu Stande kommen sollen" (Κ 220).98 So wie es der endlichen Vernunft aufgrund ihrer Begrenztheit unmöglich ist, den unendlichen Raum zu denken, ist sie aber ebensowenig in der Lage, die unendliche Tätigkeit des absoluten Subjekts zu erfassen, so daß man auch diese nicht nur als Idee im Sinne des aufgegebenen Ziels unendlichen, praktischen Strebens zu charakterisieren hat, sondern ebenso als Idee in theoretischer Bedeutung, nämlich als Aufgabe, gemäß einer bestimmten Regel einen Begriff zu denken. Wenn Fichte im oben bereits zitierten Brief an Reinhold vom 02. Juli 1795 fordert, man müsse vom geschriebenen Wort zur Anschauung übergehen, da 98

Vgl. ebenso Κ 208. Die Stellen sind ebenso belegt in der Halleschen Nachschrift GA IV, 2, 78, 223, 239. Vgl. auch GA I, 5, 56, 75 (SWIV, 42, 65). - In der Grundlage wird als wesentliche Eigenschaft einer Idee häutiger der in ihr enthaltene Widerspruch herangezogen. So ist das Ding an sich nur Idee, weil es notwendigerweise etwas für das Ich sein muß, es dabei aber gerade als solches gedacht werden soll, das unabhängig vom erkennenden Subjekt besteht, welcher Gegensatz nur durch das Schweben der „ s c h a f f e n d e n Einbildungskraft" überbrückbar ist (vgl. GA I, 2, 414f; SWI, 283f). Ebenso stellt die Erfüllung unendlichen Strebens zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Fichte einen Widerspruch dar, wohl deswegen, weil die Idee „eines Ich, dessen Bewußtseyn durch gar nichts außer ihm bestimmt würde, sondern vielmehr selbst alles außer ihm durch sein bloßes Bewußtseyn bestimmte" (GA I, 2, 277; SIVI, 117), den Widerspruch von etwas dem Ich anderen, des Nicht-Ich impliziert, das aber vollständig durch das Subjekt bestimmt sein soll. In dieser Form kann die Idee des absoluten Ich des ersten Grundsatzes jedoch nicht widersprüchlich sein, da sie aller Setzung des Nicht-Ich vorausliegt. Vgl. dazu ebenso GA I, 2, 311, 403 (SW I, 156, 269t). - Kant hält hingegen die „Idee eines Noumenons" ( K d U 2 92) des gegebenen Unendlichen für durch das übersinnliche Vermögen der Vernunft widerspruchsfrei denkbar, wie es z.B. filr das vierte Argument der metaphysischen Erörterung des Raumes erforderlich ist; die durch die Einbildungskraft anschaulich auf- und zusammengefaßte Unendlichkeit ist für ihn hingegen „ein sich selbst widersprechender B e g r i f f ' (KdU2 94), da die Auffassung eines Unendlichen nur in einem zeitlich unabschließbaren Progreß geschehen könnte und der Einbildungskraft in der Zusammenfassung gegebener Mannigfaltigkeiten Grenzen gesetzt sind. Vgl. dazu die Ausführungen zum Mathematisch-Erhabenen in den §§26f der Kritik der Urteilskraft.

56

Die erste Version der Wissenschaftslehre

das, was er sagen wolle, „gar nicht gesagt, noch begriffen, sondern nur angeschaut werden kann", so läßt sich dies von dem im ersten Grundsatz der Grundlage Ausgedrückten nur in beschränktem Maße behaupten. Zwar meint Fichte, auch der Satz: „Das Ich sezt schlechthin sich selbst", den er als die „Seele" seines Systems bezeichnet, habe „keinen Sinn, und keinen Werth, ohne die innere Anschauung des Ich durch sich selbst" (GA III, 2, 344, Nr. 294); gelänge es dem philosophierenden Subjekt jedoch, die unendliche, in sich zurückgehende Tätigkeit des absoluten Ich innerlich zu vergegenwärtigen, was schon allein die Endlichkeit unserer Vernunft verhindert, so würde es automatisch in Bewußtlosigkeit versinken; denn im Bewußtsein des betrachteten Ich, an dessen Stelle sich der Philosoph versetzen müßte, kommt die Tathandlung nicht vor, so daß sie auch im praktischen Streben nur vermittels der Forderung nach unendlicher Kausalität präsent ist. Die innere Anschauung, sofern sie dafür bewußt vollzogen werden muß, kann daher den Sinn des ersten Grundsatzes nur partiell aufklären. Sie vermag zwar, die Bedeutung der Selbstbeziehung eines Ich, des Sich-Setzens unmittelbar zu präsentieren, so daß dieses nur im inneren Vollzug der Vergegenwärtigung seiner selbst verständlich wird; was solches Selbstverhältnis jedoch speziell als differenzlos in sich zurückgehende, unendliche Tätigkeit meint, ist nicht innerlich anzuschauen, sondern in transzendentaler Reflexion rein zu denken, wie auch zu Beginn des §1 der Grundlage konstatiert wird, und macht genauer die spezifische Vorstellungsweise notwendig, in der es uns nach Fichte als endliche Vernunftwesen allein möglich ist, den Bedeutungsgehalt einer Idee zu fassen" Fichte schreibt in der Zweiten Einleitung, um eine „sonderbare Verwechslung" aufzuklären, man müsse das reine Ich in intellektueller Anschauung von dem Ich als praktische Idee unterscheiden. Mit dem in der intellektuellen Anschauung vergegenwärtigten Prinzip fange seine Philosophie an und in diesem Stadium sei das Ich „nur für den Philosophen". Das Ich als praktische Idee sei hingegen ,für das Ich selbst, welches der Philosoph betrachtet, vorhanden" (GA I, 4, 265f; SW I, 515). Vor allem im vierten Abschnitt der Zweiten Einleitung differenziert er dabei deutlich zwischen dem unmittelbaren Bewußtsein der "

Dieses Ergebnis stimmt im Prinzip mit demjenigen M.Gueroults (L évolution et la structure de la doctrine de la science chez Fichte. Bd 1. Paris 1930, 189f) überein, der vor allem im Rückgriff auf Schriften aus dem Umkreis der Wissenschaftslehre nova methodo das Problem des ersten Grundsatzes darin sieht, daß in der philosophischen Reflexion reine Aktivität fixiert, pure Identität in eine Zweiheit von Setzendem und Gesetztem und deren Relation aufgelöst werden muß. Die Tathandlung bleibe in diesem Sinne ein „place vide dans l'investigation philosophique". Damit wir aber eine Einheit in der Reflexion als getrennt beurteilen können, müssen wir seiner Meinung nach ein ursprüngliches Wissen um diese Einheit schon haben, das wir in intellektueller Anschauung erwerben. Als Idee betrachtet das absolute Ich auch G.Duso (Absolutheit und Widerspruch in der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre". In: Fichte-Studien 10 (1997), 291ff), weil es im Verhältnis zum Vorstellenden den Widerspruch aufweist, zwar gedacht werden zu müssen, in seiner Unendlichkeit dem theoretischen Vermögen aber unerreichbar zu sein.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

57

Subjekt-Objekt-Identität, das das philosophierende Selbst vermittels intellektueller Anschauung erlangt, und dem in derselben präsenten und in sich selbst anschaulichen Sich-Setzen, das grundsätzlich bewußtlos bleibt. Ohne daß Fichte in der Wissenschaftslehre nova methodo diese Unterscheidung konsequent beibehielte, ermöglicht gerade sie es ihm, den Ausgangspunkt der philosophischen Deduktion im Horizont der intellektuellen Anschauung zu erörtern. In der Grundlage erwähnt er jedoch keineswegs ein von der Tathandlung unterschiedenes Vermögen des Philosophen, dieselbe unmittelbar-anschaulich zum Bewußtsein zu erheben, obgleich er sowohl in der Aenesidemus-Rtzension. als auch in den Eignen Meditationen die Ansetzung einer intellektuellen Anschauung durchaus erwägt, ohne jedoch eine ausfuhrliche Theorie derselben zu formulieren. So ist im Rahmen einer Interpretation dieser ersten veröffentlichten Fassung der Grundlegung der Wissenschaftslehre davon auszugehen, daß dem philosophierenden Selbst die gleichen Fähigkeiten zukommen wie dem entwikkelten, betrachteten Subjekt. Heißt es somit in der Schrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre, daß im Gegensatz zum unspezifischen Setzen des absoluten Ich, das in der Lage sein muß, sämtliche Vollzüge sowohl des theoretischen als auch des praktischen Selbst zu begründen, das „Ich, als philosophirendes Subjekt, [...] unstreitig nur vorstellend" (GA I, 2, 149; SWI, 80) ist, so muß solches Vorstellen im Rahmen der dem Ich gemäß der Grundlage möglichen Leistungen genauer bestimmt werden. Daß dem entwickelten Selbst die Fähigkeit eignet, Ideen zu denken und speziell: das reine, absolute Subjekt in seiner unendlichen Tätigkeit als Idee zu erfassen, geht aber eindeutig aus dem Abschnitt IX der „Deduktion der Vorstellung" hervor. Dort fragt Fichte nach den Bedingungen, unter denen eine Unterscheidung des Ich von allem Nicht-Ich gelingt. Diese wird den dortigen Ausführungen gemäß durch ein Abstraktionsverfahren möglich, indem genau dasjenige als Ich zu bestimmen ist, von dem im Gegensatz zu seinen Gegenständen nicht abstrahiert werden kann: „Dies ist denn auch wirklich die augenscheinliche [...] Quelle alles Selbstbewußtseyns. Alles, von welchem ich abstrahiren kann, was ich wegdenken kann [...], ist nicht mein Ich, und ich setze es meinem Ich blos dadurch entgegen, daß ich es betrachte als ein solches, das ich wegdenken kann" (GA I, 2, 383; SW I, 244). Das Resultat einer solchen vollständigen Abstraktion von allem Nicht-Ich kann jedoch nach Fichte, ohne daß er die intellektuelle Anschauung an dieser Stelle auch nur in Betracht zieht, nicht angeschaut werden, da die wesentliche Eigenschaft des dafür zuständigen Vermögens der Einbildungskraft im Schweben zwischen Entgegengesetzten besteht. Anschaulich zu vergegenwärtigen ist aber das reine, absolute Subjekt; deshalb muß dieses Schweben auf die gegensatzlose Tätigkeit des unendlichen Ich fixiert werden, was eine Vernichtung der Einbildungskraft und damit zugleich des Verstandes bedeutet, dessen Gehalte die festgesetzten Produkte der Anschauung sind. Die erforderliche Abstraktion gründet daher laut Fichte in der

58

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Vernunft als „reine Vernunft, ohne Einbildungskraft; in theoretischer Bedeutung" (GA I, 2, 382; SWI, 244), wie der Zusatz zur zweiten Auflage von 1802 lautet. Die Vernunft als ein solches Vermögen isolierender Hervorhebung ist jedoch für Fichte offenbar eine Fähigkeit, die man kultivieren und üben muß, so daß es des Philosophen bedarf, „der wenigstens die Regel, ein reines Ich zu denken, sich denkt, und sie erweiset" (GA I, 2, 383; SW I, 245). Das reine Ich kann also unter Absehung von allen übrigen Bestimmungen nur gedacht werden, und zwar nach einer bloßen „Regel der Vernunft, zu abstrahiren" (GA I, 2, 382; SWl, 244). 100 Ein philosophiegeschichtliches Vorbild für diese Konzeption findet sich in den Ausführungen Maimons. Demnach ist - wie es im Philosophischen Wörterbuch von 1791 heißt - das „philosophische, d.h. das gedachte, nicht aber gefühlte Ich, der allgemeinste Begriff vom Subjekt des Bewußtseyns überhaupt"101. Als solcher bleibt es gemäß dieser Schrift undefinierbar, so daß es auch nicht in einer bestimmten Weise angeschaut oder gedacht werden kann. Zum Vorstellungsgehalt erhebt man es nach dem Versuch über die Transscendentalphilosophie von 1790 vielmehr durch eine eigentümliche Methode, die es 100

Ahnlich argumentiert W.H.Schrader (Überlegungen zur sprachanalytischen und transzendentalphilosophischen Ich-Theorie. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981, 113ff), dem es - im Hinblick auf eine Einschränkung der Möglichkeiten sprachanalytischer Methoden - um eine Abgrenzung des Selbstbewußtseins als Giundphänomen des Wissens vom Ich als Prinzip der Philosophie geht. Vgl. auch J.Barion: Die intellektuelle Anschauung bei J.G.Fichte und Schelling und ihre religionsphilosophische Bedeutung. Würzburg 1929, 39f - So kann man sich gemäß der Grundlage dem reinen Ich also nur „nähern", da es nach Fichte nicht möglich ist, „auf einmal" von allem zu abstrahieren, was nicht das Ich ist; deswegen bleibe „nichts übrig, als überhaupt die bloße Regel der Vernunft, zu abstrahiren, das bloße Gesetz einer nicht zu realisierenden Bestimmung" bzw. „die Regel, ein reines Ich zu denken" (GA I, 2, 382f; SW 1, 244t). In den Manuskripten zur Vorlesungsreihe Ueber den Unterschied des Geistes, u. des Buchstabens in der Philosophie, die wahrscheinlich im Juli oder August 1794 niedergeschrieben wurden, fordert Fichte hingegen, über diese Regel hinauszugehen und „sich zum Bewußtseyn einer versteht sich innern Anschauung des reinen Ich" zu erheben, welche „innere Anschauung" er als „intellektuelle Anschauung" versteht, zu der man durch „die Angewöhnung an geordnete strenge Abstraction, und durch eine immer höher steigende Reflexion" gelangt (GA II, 3, 330). Nur so werde der Geist der Wissenschaftslehre im Unterschied zum bloßen Buchstaben erfaßt. Die intellektuelle Anschauung wird in der Grundlage also auch an denjenigen Stellen nicht eingeführt, an denen sich ihre Thematisierung zwanglos ergäbe, nämlich im ersten Paragraphen und im Abschnitt IX der „Deduktion der Vorstellung", dessen Argumentation den entsprechenden Stellen der obengenannten Vorlesungen parallel läuft. Es muß wohl often bleiben, warum Fichte in der Grundlage die intellektuelle Anschauung konsequent umgeht. Offenbar hält er dort jedoch - entgegen gleichzeitiger, anderslautender Äußerungen - das Prinzip der Philosophie auch ohne sie für konzipierbar, nämlich durch die „bloße Regel der Vernunft". - In der Aenesidemus-Rezension bestimmt Fichte das Ich als Noumenon, da es „der letzte Grund gewisser Denkformen überhaupt ist". Eine „transscendentale Idee" sei es aber, „in so fern diese als unbedingt nothwendige Gesetze betrachtet werden" (GA I, 2, 57; SWl, 16). Gemeint ist offenbar: Das Subjekt ist dasjenige Unbedingte, in dem die von allen äußeren Gegenständen unabhängigen Denkgesetze gründen. Eine Idee bezieht sich dann ganz im Sinne Kants auf das Unbedingte, wobei beim Ich nach der>le«e.s7ite/H!«'-Rezension der Sonderfall ihrer Realisierung durch die „intellectuelle Anschauung" eintritt.

101

S.Maimón: Gesammelte

Werke. Bd III. Hrsg. von V. Verra. Hildesheim 1970, 86.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

59

zugleich als Idee kennzeichnet. Denn stellt das Ich die bloße Form des Bewußtseins dar, durch die sich kein spezifisches Objekt unterscheiden läßt, so muß man in den gegenständlichen Gehalten nach Maimón in immer größerem Umfang von den besonderen Bestimmungen abstrahieren, in den Urteilen zunehmend allgemeinere Prädikate aussagen, „wodurch man sich beständig von der Materie entfernet, und der Form immer nähert". Da ein solches Verfahren aber einen unendlichen Progreß impliziert, bleibt das Ich eine bloße Idee, die laut Maimón zudem einen Widerspruch einschließt, „indem es ein Objekt und kein Objekt zugleich ist'·.102 Fichte vertritt somit in der Grundlage, zumindest hinsichtlich der differenzlosen Unendlichkeit des Sich-Setzens, einen anderen Ansatz als in den Eignen Meditationen. In diesen führt er die intellektuelle Anschauung als eine im Gegensatz zur sinnlichen Anschauung rein spontane Weise des unmittelbaren Vergegenwärtigens von etwas ein. Denn in der intellektuellen Anschauung als Selbstverhältnis des Ich ist die Anschauung qua Tätigkeit zugleich das Angeschaute: „Es ist kein Leiden da". Im Hinblick auf die Bewußtwerdung einer solchen Selbstbeziehungsweise, ohne die sie offenbar nicht Theoriebestandteil werden kann, stellt Fichte nun eine Alternative auf: „Nur ist die Frage: ist eine solche Anschauung möglich, d.i. kommt sie zum Bewußtseyn? oder wird sie bloß gedacht;

also geschloßen"

(GA II, 3, 144). In den Eignen

Meditationen

entscheidet sich Fichte zunächst noch für die erste Möglichkeit, gemäß der das Ich in der intellektuellen Anschauung zum Bewußtsein kommt, allerdings zum reinen, nicht-empirischen, das als solches unbeweisbar bleibt. In der Grundlage wird hingegen eine andere Ansicht vertreten. Das absolute Subjekt als unendliche, in sich zurückgehende Tätigkeit vermag sich seiner selbst nicht bewußt zu werden, da in der differenzlosen Identität des Sich-Setzens die für jedes Bewußtsein erforderliche Entgegensetzung von Vorstellendem und Vorgestelltem nicht gegeben ist. Daher kann das ursprüngliche Ich nur erschlossen und als Bedingimg der Möglichkeit des Systems der Erfahrung seitens des Philosophen gedacht werden, welches Programm schon in einer nachträglich hinzugefügten Bemerkung in den Eignen Meditationen projektiert wird.103 Das absolute Ich kann also sehr wohl als für sich seiendes konzipiert werden, ohne ihm Selbstbewußtsein zuzuschreiben, nämlich als Idee der in sich zurückgehenden, unendlichen Tätigkeit, in der Setzendes und Gesetztes absolut identisch sind. Es ergibt sich im Zusammenhang des ersten Grundsatzes daher auch nicht die Notwendigkeit, dem Ich ein „absolutes Seyn" vorauszusetzen, „wo Subject und Object schlechthin [...] vereiniget ist", wie Hölderlin in dem Fragment Urtheil und Seyn fordert, wobei für ihn der Satz: Ich bin Ich das „pas102

103

S.Maimón: Gesammelte 193ff. Vgl. GA II, 3, 23.

Werke. Bd II. Hrsg. von V.Verra. Hildesheim 1965, 164; vgl. auch 155f,

60

Die erste Version der Wissenschaftslehre

sendste Beispiel" des als „Ur-Theilung" verstandenen Urteils im Rahmen der theoretischen Philosophie darstellt. Denn, so fragt Hölderlin: „Wie kann ich sagen: Ich! ohne Selbstbewußtseyn? wie aber ist Selbstbewußtseyn möglich? Dadurch daß ich mich mir selbst entgegenseze, mich von mir selbst trenne, aber ungeachtet dieser Trennung mich im entgegengesezten als dasselbe erkenne" .104 - Das absolute Ich des ersten Grundsatzes ist aber auch nicht das „kühn ausgesprochne ächte Princip der Spekulation", wie Hegel in der Differenz-Schrift anders als später in Glauben und Wissen - konzediert. Dieses Prinzip ist für Hegel ab seiner frühen Jenaer Zeit das im Rahmen einer absoluten Metaphysik in seinen inneren Bestimmungen vollständig erkennbare Absolute, das er als die sich in die Entgegensetzungen aktiv produzierende Eine Substanz charakterisiert, zu welchen Entgegensetzungen auch diejenige von Subjekt und Objekt gehört. Nach Fichte ist das absolute Ich hingegen zwar Einheit von setzender und gesetzter Tätigkeit; es geht aber seinem eigentlichen Gegenteil, dem als Nicht-Tätigkeit zu bestimmenden Nicht-Ich systematisch voraus, ohne daß dieses vollständig aus ihm ableitbar wäre.105 Es hat sich somit gezeigt, daß Fichtes Aussage in der Grundlage, das Ich qua Tathandlung sei als Bedingung der Möglichkeit allen Bewußtseins zu „denken" (GA I, 2, 255; SW I, 92), methodisch differenziert begründet ist. Demgemäß kann das unendliche Ich des ersten Grundsatzes nur als Idee in theoretischer Bedeutung bewußt vergegenwärtigt werden.106 Der Beweis, daß man für eine solche Idee den Anspruch objektiver Gültigkeit zurecht erheben darf, ergibt sich dabei aus der Notwendigkeit der systematischen Fundierung aller Handlungen des endlichen Geistes in einem höchsten Grund, wobei solche Fundierung den Denkgesetzen der philosophisch-reflektierenden Vernunft gemäß - so lautet die 104

105

106

Vgl. F.Hölderlin: Sämtliche Werke. Hrsg. von F.Beißner. Bd 4.1. Stuttgart 1961, 216f. Zur Bedeutung dieses Fragments für die Entwicklung des deutschen Idealismus vgl. D.Henrich: Hölderlin über Urteil und Sein. Eine Studie zur Entwicklungsgeschichte des Idealismus. In: Hölderlin-Jahrbuch 14 (1965/66), 73-96 sowie mit besonderer Berücksichtigung der Fichte-Kritik Ders.: Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794-1795). Stuttgart 1992, 40-48. Vgl. G.W.F.Hegel: Gesammelte Werke. Bd 4. Hrsg. von H.Buchner und O.Pöggeler. Hamburg 1968, 6; vgl. ebenso 34-37, 40, 42. Zu Hegels Fichte-Kritik sei hier allgemein verwiesen auf L.Siep: Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre von 1804. Freiburg/München 1970, 1932 sowie auf K.Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik. HegelStudien. Beiheft 15. 3.Aufl. Bonn 1995, 120-134. Die Fichte-kritischen Passagen des Vernunftkapitels der Phänomenologie von 1807 analysieren ausführlich K.E.Kaehler und W.Marx: Die Vernunft in Hegels Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a.M. 1992, 35ff. Gegen eine Bestimmung des absoluten Ich als Idee spricht sich hingegen eindeutig Schelling aus. Da das Ich in einer Idee verobjektiviert wird, das absolute Ich sich aber gerade dadurch auszeichnet, daß es niemals Objekt werden kann, sondern ausschließlich durch sich selbst als Subjekt zu vergegenwärtigen ist, gilt für Schelling, „daß es eben so wenig eine blosse Idee seyn kann, daß also hier die einzig-mögliche intellektuale Anschauung gegeben sey" (F.W.J.Schelling: Historisch-kritische Ausgabe. Reihe I. Bd 2. Hrsg. von H.Buchner und J.Jantzen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, 132: vgl. auch 136).

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

61

Lösung der Grundlage - nur in der unendlichen, in sich zurückgehenden Tätigkeit der Tathandlung des absoluten Subjekts geschehen kann.

1.4 Die Fortbestimmung des Ich zur synthetischen Apperzeption Bei der Untersuchung des ersten Grundsatzes der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre hat sich gezeigt, daß Fichte die Kantische reine Apperzeption in der Komplexität ihrer Strukturmannigfaltigkeit auf reine Identität als in sich zurückgehende, unendliche Tätigkeit reduziert. Vom Moment der Synthesis als spontane Leistung des Ich, die für Kant für die Konstitution eines einheitlichen Erfahrungszusammenhanges grundlegend ist, wurde hingegen abstrahiert. Ist dieses Moment der Synthesis im Verhältnis zur Identität des reinen Ich mit sich für Fichte aber sekundär, so muß er in der Lage sein zu zeigen, in welcher Form Synthesis in der Identität des Ich gründet. Dafür bedarf es jedoch nach Fichte zunächst des Nachweises der Notwendigkeit einer zu synthetisierenden Mannigfaltigkeit, die sich aus der konstituierenden Handlung der Antithesis bzw. des Entgegensetzens ergibt. So hat es Fichte Kant mehrfach zum Vorwurf gemacht, er setze die in der Sinnlichkeit gegebene Pluralität des Anschauungsmannigfaltigen schlicht voraus, ohne sich über die Notwendigkeit der Annahme derselben zu erklären: „Kant geht aus von der Voraussetzung, daß ein Mannigfaltiges für die mögliche Aufnahme zur Einheit des Bewustseyns gegeben sey" (GA I, 3, 144; SW I, 332).107 Für Fichte gibt es nun aber noch ein grundsätzlicheres Mannigfaltiges oder besser: eine grundsätzlichere Duplizität als die Pluralität in der Anschauung gegebener Vorstellungen, nämlich die entgegengesetzten Ich und Nicht-Ich, deren geforderte konsistente und widerspruchsfreie Verbindung in der Grundlage zunächst das Movens der „Grundlage des theoretischen Wissens" darstellt. Auch wenn Fichte in der nachträglichen Analyse der Handlungen des Entgegensetzens und des Beziehens zu dem Ergebnis kommt, daß keine der beiden Täügkeiten der anderen vorzuordnen ist, indem die reine Antithesis ohne Synthesis in sich widersprüchlich bleibt und umgekehrt das Beziehen von Entgegengesetzten ohne zu synthetisierende Duplizität unmöglich ist, wird dennoch die Entgegensetzung des Nicht-Ich der Tätigkeit des Beziehens methodisch vorangeschickt. In der Grundlage wird diese Handlung des Entgegensetzens dabei einem eigenen Grundsatz zugeordnet, wohingegen der Status von Thesis und Antithesis in den Eignen Meditationen noch zweideutig bleibt. Zwar werden die Anschauungen des Ich und des Nicht-Ich108 in getrennten Postulaten 107

108

Vgl. ebenso GA I, 3, 208 (SW I, 411) sowie den Brief an Reinhold vom 02.Juli 1795: GA III, 2, 345f, Nr. 294. Ich und Nicht-Ich sind an dieser Stelle allerdings offenbar noch nicht als Gegenstände einer intellektuellen Anschauung zu verstehen. - Auf den rezeptiven Charakter solchen Anschauens im

62

Die erste Version der Wissenschaftslehre

gefordert und zunächst auch in getrennten Sätzen ausgedrückt; sie werden aber gleichwohl auf die Frage hin: „sollen diese beiden Sätze nur einen, oder sollen sie zwei ausmachen", in einem einheitlichen, Reinholds Prinzip modifizierend aufgreifenden Satz zusammengefaßt, den Fichte ausdrücklich als „1. Saz" bezeichnet: „Im Bewußtseyn wird das Ich einem Nicht-Ich entgegengesezt" (GA II, 3, 30).109 Diesen Satz charakterisiert Fichte auch als „Thesis" (GA II, 3, 92) und ebenso als einen „Grundsaz" (GA II, 3, 30). So ergibt sich die Zweideutigkeit, daß die Anschauungen des Ich und des Nicht-Ich einerseits jeweils in eigenen Grundsätzen zu formulieren, andererseits in einem einzigen Grundsatz zu verbinden sind. Im Hinblick auf den Satz vom Ich unterscheidet Fichte dann im weiteren Verlauf der Eignen Meditationen zwischen dem „Grundsaz der Ganzen Wesenlehre. - Ich ist fürs Ich als Realität gegeben", und demjenigen der „Beziehungswesenlehre" (GA II, 3, 91), der die für alle Synthesis vorauszusetzende Entgegensetzung des Ich und des Nicht-Ich im Bewußtsein aussagt. Die Qualifizierung derjenigen Sätze, die die Anschauungen des Ich und des Nicht-Ich zum Ausdruck bringen, als unbeweisbare Postulate bzw. als Grundoder auch als Heischesätze110 begründet Fichte in den Eignen Meditationen durch ihre Unableitbarkeit. So wie das Ich als Prinzip der philosophischen Argumentation sich nicht beweisen läßt, sondern jeder gehalten ist, die Anschauung des Ich in sich spontan hervorzubringen, so daß der Satz: „Das Ich ist anschaulich", ein „Heischesaz" genannt werden muß, „weil jeder selbst sich ihn durch Anschauung beweisen kann" (GA II, 3, 27f), so ist auch die Notwendigkeit der anschaulichen Unterscheidung des Nicht-Ich vom Ich nach Fichte nicht deduzierbar. Zwar versucht er aufzuzeigen, daß die Anschauung des Nicht-Ich eine notwendige Konsequenz der Anschauimg des Ich darstellt, tendiert aber letztlich zu dem Ergebnis, daß die Anschauungen des Ich und des Nicht-Ich in ihrer Unabhängigkeit voneinander gleichberechtigt nebeneinander stehen: „Beide Anschauungen, die des Ich, u. die des Nicht-Ich scheinen gleich nothwendig; keine sezt die andere voraus, keine läßt sich aus der andern beweisen" (GA II, 3, 30). Offenbar hilft an dieser Stelle auch nicht die Einsicht, daß etwas nur dann in seinem eigentümlichen Bedeutungsgehalt begriffen werden kann, wenn es von seinem Gegenteil, von dem, was es nicht ist, abgegrenzt wird; denn nach Fichte sollen die Gehalte der ersten Sätze der Elementarphilosophie in der An-

109

110

Gegensatz zur leidenslosen Tätigkeit der intellektuellen Anschauung, die sich erst an späterer Stelle der Eignen Meditationen findet (vgl. bes. GA II, 3, 141 fF), macht auch J.Stolzenberg (.Fichtes Satz „Ich bin". Argumentanalytische Überlegungen zu Paragraph 1 der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von 1794/95. In: Fichte-Studien 6 (1994), 7fï) aufmerksam. Vgl. auch GA II, 3, 169: „In dem allerersten Satze A entgegengesezt -A. hatten wir das A absolutum u. -A. absolutum." Vgl. GA II, 3, 27Anm., 28, 29, 49f. Offenbar wird GA II, 3, 49 deswegen auch der Satz: Jm Bewußtseyn wird das Ich dem Nicht-Ich entgegengesezt' ein ,Jleischesaz" genannt, weil seine beiden Bestandteile sich nicht beweisen lassen, sondern jeweils in einer Anschauung zu verifizieren sind.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

63

schauung gegeben, nicht aber gedacht werden. So konstatiert er bei der Aufstellung des Ich: „Was das Ich sey, d.i. wie es zu denken sey, davon ist hier gar noch nicht die Rede" (GA Π, 3, 27); und auch von der Unterscheidung des Nicht-Ich vom Ich gilt, daß darunter „keineswegs ein Unterscheiden durch Begriffe, sondern bloß durch die Anschauung verstanden"' (GA II, 3, 28) wird. Die Analyse der methodisch-systematischen Beziehung der Anschauungen des Ich und des Nicht-Ich kommt daher letztlich zu dem Ergebnis: „Beide Notwendigkeiten sind kein Schluß sondern sie sind unmittelbar sicher" (GA II, 3, 30). Oben hatte sich nun schon gezeigt, daß Fichte in der Grundlage keineswegs mehr davon ausgeht, daß die Forderung der inneren Anschauung des Ich den Anfang der Philosophie machen muß. Vielmehr versucht er, zwar nicht die Notwendigkeit der Ansetzung der Tathandlung des unendlichen, reinen Ich als Prinzip der Philosophie aus höheren Sätzen zu beweisen, was dem Status des reinen Ich als Inhalt eines obersten Grundsatzes widersprechen würde, aber doch das absolute Subjekt als Bedingung der Möglichkeit einer unmittelbar evidenten und von jedem zugestandenen Tatsache des Bewußtseins zu rechtfertigen. Und auch die Aufstellung des Nicht-Ich erfahrt nun in der Grundlage gegenüber den Eignen Meditationen einige grundlegende Veränderungen. Erstens erhält auch der Satz, der diejenige Handlung des Ich ausdrückt, vermittels der es sich im Bewußtsein ein Nicht-Ich entgegensetzt, eindeutig den Status eines Grundsatzes. Zweitens wird nicht einfach die anschauliche Unterscheidung des Nicht-Ich vom Ich postuliert, sondern die Entgegensetzung eines Nicht-Ich wird durch die Reflexion auf den Satz des Entgegensetzens bzw. des Widerspruchs, die derjenigen auf den Satz der Identität des ersten Paragraphen korrespondiert, mit noch genauer zu erörternden Einschränkungen als notwendig erwiesen. Und drittens wird das Verhältnis des Setzens des Ich zum Entgegensetzen des Nicht-Ich neu bestimmt, indem der zweite Grundsatz zwar hinsichtlich seiner Form unbedingt ist, unter dem Aspekt seines Gehaltes aber als durch den ersten Grundsatz bedingt zu qualifizieren ist. Nach Fichte kann auch der zweite Grundsatz, insofern er Grundsatz ist, nicht aus einem höheren Satz bewiesen werden. Daher muß auch zu seiner Rechtfertigung von einer unmittelbar gewissen Tatsache des empirischen Bewußtseins ausgegangen und diese auf ihre Bedingung der Möglichkeit hin befragt werden. Diesen Ausgangspunkt der Untersuchungen des zweiten Paragraphen der Grundlage stellt der Satz des Entgegensetzens bzw. des Widerspruchs dar, den Fichte als ..-A nicht = A" formalisiert. Da sich der Satz: Ich bin als oberster Grundsatz der Wissenschaftslehre erwiesen hat und somit der durch Abstraktion vom Inhalt des Ich gewonnene und damit nach Fichte in seinem Anspruch auf Geltung gerechtfertigte Satz der Identität als oberstes Prinzip der formalen Logik, könnte der Satz des Widerspruchs nur aus diesem formallogischen Prinzip beweisbar sein. Aus dem Satz der Identität läßt sich nach Fichte der Satz des Widerspruchs aber deswegen nicht ableiten, weil er gerade nicht das Setzen von

64

Die erste Version der Wissenschaftslehre

etwas als identisch mit sich, sondern genau das Gegenteil enthält; in ihm wird einem mit sich identisch Gesetzten sein kontradiktorisches Gegenteil entgegengesetzt. Im äußersten Fall ließe sich aus dem Satz A=A also nur der Satz -A=-A ableiten, der aber den gleichen Zusammenhang zwischen dem -A an der Stelle des logischen Subjekts und dem -A an der Stelle des logischen Prädikats aussagt wie der Satz A=A, nämlich denjenigen der Identität. Ebensowenig geht aus einem solchen Setzen von etwas als identisch mit sich die Bedeutung des Minuszeichens hervor, das das -A als Gegenteil von etwas auszeichnet. Daher gilt für Fichte in bezug auf den Satz -A=-A, daß „die Form dieses Satzes, insofern er bloßer logischer Saz ist, unter der höchsten Form, der Förmlichkeit überhaupt, der Einheit des Bewustseyns" (GA I, 2, 265; SWI, 102) steht. Wie sich der formallogische Satz A=A aus der unbedingten Identität des Ich mit sich selbst begründen läßt, indem von dem Gehalt des Ich abstrahiert wird, ist auch der Satz -A=-A nichts anderes als formaler Ausdruck der alle Einheit des Bewußtseins ermöglichenden Identität des Ich. Daraus läßt sich auf logischer Ebene der Schluß ziehen, daß sich das Setzen des Gegenteils von A aus dem Setzen des A als identisch mit sich der Form nach nicht ableiten läßt, so daß das logische Entgegensetzen eine in formaler Hinsicht unbedingte Handlung seitens des Ich darstellt: „Es wird demnach ohne alle Bedingung, und schlechthin entgegengesezt. -A ist als solches, gesezt, schlechthin, weil es gesezt ist" (GA I, 2, 265; SW I, 102). Hatte sich nun bei der Analyse des Satzes der Identität gezeigt, daß der darin enthaltene Schluß vom problematischen Gesetztsein des A auf das Sein des A auf der ursprünglichen Identität des Ich, nämlich auf dem ursprünglichen Sich-Setzen des Ich als transzendentale Handlung basiert, so weist auch im Fall der Analyse des formallogischen Satzes des Widerspruchs das hinsichtlich der Form unbedingte Entgegensetzen des -A auf eine unter diesem Gesichtspunkt der Form unbedingte transzendentale Handlung des Entgegensetzens hin, in der die logische begründet ist: „Demnach kommt unter den Handlungen des Ich, so gewiß der Saz -A nicht = A, unter den Thatsachen des empirischen Bewustseyns vorkommt, ein Entgegensetzen vor" (GA I, 2, 265; SW I, 102).111 111

In der formalen Unbedingtheit des zweiten Grundsatzes sieht H.Radermacher (Fichtes Begriff des Absoluten. Frankfurt a.M. 1970, 31) die Notwendigkeit, von einem zweiten Anfang innerhalb der Grundlage zu sprechen. Dies sei Indiz dafür, daß es Fichte nicht gelungen ist, den Begriff des Ansich erfolgreich zu eliminieren. - Die Kritik Radermachers ist aber m.E. nur dann gerechtfertigt, wenn man seine Gleichsetzung des Ich des ersten Grundsatzes mit dem Absoluten akzeptiert. Denn dann wird durch die Ansetzung eines aus dem Absoluten nicht deduzierbaren Prinzips das Absolute selbst aufgegeben. Umgekehrt zeigt jedoch die Unableitbarkeit des Entgegensetzens und noch deutlicher des das Entgegensetzen veranlassenden Anstoßes, daß das Ich nicht als das Absolute, als einheitliches, übergreifendes und zudem erkennbares Prinzip aller Entgegensetzung zu verstehen ist; ein solches Prinzip nehmen vielmehr erst Schelling und Hegel ab 1801 an. Fichte steht hier also grundsätzlich auf dem gleichen Standpunkt wie Kant, bei dem die Unableitbarkeit empirischer Mannigfaltigkeit auf höchster Ebene im transzendentalen Prinzip der Zweckmäßigkeit zum Austrag kommt, das hinsichtlich der für das Ich zufälligen besonderen

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

65

Diese Tätigkeit des Entgegensetzens bestimmt Fichte nun sowohl unter dem Aspekt der Handlung als auch unter demjenigen ihres Produktes in ihrem Verhältnis zum Akt des Setzens. Für die transzendentale Handlung des Entgegensetzens gilt dabei ihrer Form nach das gleiche, was auch f ï i r die entsprechende logische Handlung gilt. Insofern sie ein Entgegensetzen, das Setzen eines Gegenteils ist, kann sie aus dem bloßen Identisch-Setzen nicht abgeleitet werden. Gleichwohl ist sie in anderer, nämlich materialer Hinsicht bedingt. Ohne die Handlung des Setzens wäre nämlich ein davon verschiedenes Setzen qua Entgegensetzen überhaupt nicht möglich, wenngleich sich dessen Form nicht aus dem Setzen deduzieren läßt: „Ob überhaupt eine Handlung möglich ist, hängt von einer andern Handlung ab; die Handlung ist demnach der Materie nach, als ein Handeln überhaupt bedingt" (GA I, 2, 266; SW I, 103).112 Das Produkt der Tätigkeit läßt sich nach Fichte hingegen vollständig determinieren: Der Form nach ist es ein Gegenteil; dies verdankt das Produkt der Form der Handlung des Entgegensetzens. Der Materie nach ist das Produkt das kontradiktorisch Entgegengesetzte des ursprünglich Gesetzten; da sich aber im ersten Paragraphen das Ich als das ursprünglich Gesetzte herausgestellt hat, muß das Entgegengesetzte das Nicht-Ich sein.113 Da sich das Produkt der Handlung des Entgegensetzens aber darin erschöpft, Gegenteil des Ich zu sein, kann das Nicht-Ich nur als kontradiktorisch Entgegengesetztes qualifiziert werden, das ansonsten keine weiteren positiven inhaltlichen Bestimmungen hat. Daher gilt: „Von allem, was dem Ich zukommt, muß kraft der bloßen Gegensetzung dem Nicht-Ich das Gegentheil zukommen" (GA

112

Bestimmungen der Gegenstände dennoch deren Angemessenheit für unser Handeln und Erkennen voraussetzt. - Zu Radermachers Diskussion der beiden Einleitungen sowie der drei Grundsätze sei auch verwiesen auf die Kritik von C.F.Gethmann: Methode als Nachkonstruktion und Dialektik. Zu: H.Radermacher: Fichtes Begriff des Absoluten. In: Kant-Studien 64 (1973), 485ff. Es muß jedoch die einsinnige Abhängigkeit des zweiten vom ersten Grundsatz in materialer Hinsicht in Betracht gezogen werden, so daß nach der Konzeption der Grundlage - entgegen derjenigen der Wissenschaftslehre nova methodo - das Entgegensetzen keineswegs als Bedingung des Setzens verstanden werden darf. Somit setzt das Ich nicht, „indem" es sich selbst setzt, „zugleich" den Gegenstand; das Setzen des Ich durch sich selbst ist nach Fichte - zumindest in der Grundlage - vielmehr konsistent isoliert vorstellbar, wenngleich es zur Erklärung des Bewußtseins nicht zureicht. Vgl. R.Hiltscher: Der dritte Grundsatz in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. In: Wiener Jahrbuch tur Philosophie XXV (1993), 53 sowie W.Flach: Fichte über Kritizismus und Dogmatismus. In: Zeitschrift tur philosophische Forschung 18 (1964), 590; ebenso H.Holz: Die Struktur der Dialektik in den Frühschriften von Fichte und Schelling. In: Archiv fur Geschichte der Philosophie 52 (1970), 77. Es läßt sich somit auch kein immanenter Mangel des absoluten Ich feststellen, wie G.Stiehler (J.G. Fichtes synthetische Methode als Keimform der Dialektik. In: Deutsche Zeitschrift fur Philosophie 10 (1962), 645) meint. Nach M.Oesch (Das Handlungsproblem. Ein systemgeschichtlicher Beitrag zur ersten Wissenschaftslehre Fichtes. Hildesheim/Amsterdam 1981, 93, 104) impliziert zwar die Handlung des Setzens diejenige des Entgegensetzens; als psychische Tätigkeiten des Ich seien sie jedoch zeitlich unterschieden. In leicht vereinfachter Form werden die Bedingungsverhältnisse zwischen erstem und zweitem Grundsatz zu Beginn des §3 reproduziert, insofern die Handlung als unbedingt, ihr Produkt aber als bedingt bestimmt wird. Vgl. GA I, 2, 267f (SWI, 105).

66

Die erste Version der Wissenschaftslehre

I, 2, 267; SW I, 104).1H Daraus folgt also in bezug auf das Nicht-Ich, daß es nicht als Tätigkeit zu bestimmen ist, daß es nicht durch sich selbst, sondern durch ein anderes gesetzt wird etc. Daher kann man das Nicht-Ich nicht als Objekt im Kantischen Sinne, sondern lediglich als die vorauszusetzende Grundlage allen Objekts bezeichnen. Für Kant ist das Objekt Korrelat der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption, das diese dadurch im anschaulich-gegebenen Mannigfaltigen konstituiert, daß sie es gemäß einer der logischen Urteilsfunktionen regelhaft verknüpft: „Objekt aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist" (KrV Β137). Die Einheit des Objekts ist somit in der Einheit der Urteilsfiinktion und daher letztlich in der gemäß diesen Urteilsfunktionen verknüpfenden Einheit der transzendentalen Apperzeption begründet. Wie nun nach Fichte die reine Apperzeption Kants in der Mannigfaltigkeit ihrer Strukturmomente auf ein unendliches Sich-Setzen in gegensatzloser Identität reduziert werden muß, damit sie als absolutes Ich Inhalt eines obersten Grundsatzes der gesamten Philosophie sein kann, enthält auch der Kantische Objektbegriff eine Pluralität von Bedeutungselementen, die nicht Resultat des zweiten, der Form nach unbedingten Grundsatzes sein können. So ist davon zu abstrahieren bzw. im weiteren Verlauf der Wissenschafislehre eigens zu deduzieren, daß das Objekt in der Anschauung gegeben ist, daß es notwendig eine gegebene Mannigfaltigkeit enthält, daß solches Mannigfaltige zwecks Objektkonstitution zu vereinigen ist und daß solche Vereinigung begrifflichen Charakter besitzt.115 Als im Gedanken des Nicht-Ich zu denkender Bedeutungsgehalt verbleibt daher allein, daß es das dem Ich Entgegengesetzte ist und ihm als solchem Gegenteil die den Bestimmungen des Ich kontradiktorisch entgegengesetzten Eigenschaften zukommen. Ebenso muß dieser Begriff des Nicht-Ich nach Fichte dagegen gesichert werden, daß er als ein bloßes Abstraktionsprodukt mißverstanden wird, in dem man von allen bestimmten Vorgestellungsgehalten absieht. Und zwar kann der Begriff des Nicht-Ich deswegen nicht als aus einer bloßen Abstraktionsleistung entsprungen charakterisiert werden, da diese schon mannigfaltige Gegenstände des Ich voraussetzen würde, die Handlung des Entgegensetzens aber so etwas wie einen Gegenstand allererst konstituieren soll. Das heißt zwar nicht, daß das 114

115

Vgl. schon GA II, 3, 28: „Nicht-Ich soll also hier weiter garnichts bedeuten als eine Verneinung des Ich." Vgl. ebenso a.a.O. 60 sowie 50: Das Nicht-Ich „ist hier bloß u. lediglich negativ bestimmt." Nach der Wissenschaftslehre nova methodo darf man das Nicht-Ich „noch nicht Object oder Welt nennen, da erst bewiesen werden muß, wie es zum Objecte und zur Welt werde" (K 8). - Auf diesen Umstand weist besonders W.Metz (Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 233t) hin, der sich in diesem Zusammenhang auf R.Lauth (Die transzendentale Naturlehre Fichtes nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre. Hamburg 1984, 32f) beruft. In der Annahme unmittelbarer Gegebenheit des Mannigfaltigen sieht M.Zahn (Identité et synthèse dans la dernière philosophie de Kant et la Théorie de la Science de Fichte. In: Archives de Philosophie 27 (1964), 170) den „esprit de système bureaucratique " der Kantischen Philosophie, die die Forderung nach einem einheitlichen System nicht erfüllen könne.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

67

Ich das Vorgestellte in seinen inhaltlichen Bestimmungen aus sich selbst hervorbringt, wozu es einer Schöpferkraft bedarf, die das Vermögen der endlichen Vernunft übersteigt; vielmehr ist zur Vorstellung inhaltlich bestimmter Gegenstände durchaus ein nicht aus dem Ich allein heraus erklärbarer Anstoß erforderlich.116 Gleichwohl ist es das tätige Ich, das sich solche Gehalte entgegensetzt, sie von sich unterscheidet und insofern einen Gegenstand als solchen hervorbringt. Um jedoch entscheiden zu können, ob etwas nicht das Ich, sondern ein vorzustellendes und entgegenzusetzendes Nicht-Ich ist, bedarf es nach Fichte eines bestimmten Merkmals=X: „aber daß alles, worin dieses X. liege, nicht das Vorstellende, sondern ein Vorzustellendes sey, kann ich durch keinen Gegenstand lernen; um nur irgend einen Gegenstand setzen zu können, muß ich es schon wissen" (GA I, 2, 267; SWI, 105). Nun geht aus dem Abschnitt IX der „Deduktion der Vorstellung" hervor, daß dem Nicht-Ich im Gegensatz zum Ich die Eigentümlichkeit zukommt, daß man von ihm abstrahieren kann: „Alles, von welchem ich abstrahiren kann, was ich wegdenken kann [...], ist nicht mein Ich, und ich setze es meinem Ich blos dadurch entgegen, daß ich es betrachte als ein solches, das ich wegdenken kann" (GA I, 2, 383; SW I, 244). Es ist also keines-

116

So läßt sich wohl nur aus einer isolierten Betrachtung des zweiten Grundsatzes unter Vernachlässigung der Theorie des Anstoßes der Schluß ziehen, Fichte wolle auch die empirische Mannigfaltigkeit der Erfahrung vollständig aus dem Ich ableiten, wie vor allem ältere, z.T. neukantianisch ausgerichtete Auslegungen, aber auch noch einige neuere Darstellungen interpretieren. Vgl. A Menzel: Die Grundlagen der Fichteschen Wissenschaftslehre in ihrem Verhältnis zum Kantischen Kritizismus. Leipzig 1909, lOlft"; ebenso J.Ebbinghaus: Fichtes ursprüngliche Philosophie. In: Ders. : Gesammelte Aufsätze, Vorträge und Reden. Darmstadt 1968, 216ff. In die gleiche Richtung scheint auch Husserl (Fichtes Menschheitsideal (Drei Vorlesungen 1917). In: Husserliana Bd XXV: Aufsätze und Vorträge (1911-1921). Hrsg. von T.Nenon und H.R.Sepp. Dordrecht 1987, 274f) zu zielen, wenn er „Objekt für das Subjekt sein und Handlungsprodukt sein" bei Fichte identifiziert und glaubt, deswegen setze Fichte die Tathandlung an den Anfang der Wissenschaftslehre. Auf diese Weise eliminiere er zudem die Affektion seitens des Dinges an sich Kants. Nach W.Becker (Idealismus und Skeptizismus. Kritische Betrachtungen über das Verhältnis von Selbstbewußtsein und Gegenstandsbewußtsein bei Kant und Fichte. Frankfurt a.M. 1971, 15ff) macht die Fichtesche These, „nach welcher die Gegenstände der Erkenntnis aus Subjektivität produziert sind", eine Erkenntnistheorie überhaupt unmöglich. Aber auch die Kritik J.Brachtendorfs (Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812. Paderborn/München/Wien/Zürich 1995, 131f, 142) berücksichtigt die Verknüpfung des zweiten Grundsatzes mit der Theorie des Anstoßes nicht genügend. Seiner Meinung nach funktioniert seine Rechtfertigung nur aufgrund eines Doppelsinnes in der Bedeutung des Ausdrucks „Setzen", insofern es bezüglich der logischen Formel -A nicht =A „hypothetisch annehmen", bezüglich des Entgegensetzens eines Nicht-Ich aber „schöpferisch hervorbringen" heiße. Im Hinblick auf dieses Produzierte bleibe dann zugleich ungelöst, wie das Ich es als von sich unabhängig betrachten könne. Das Entgegensetzen bringt aber das Nicht-Ich nicht in jeder Beziehung schöpferisch hervor. Das Unbedingte dieses Handelns besteht vielmehr darin, daß das Ich nach einem bestimmten Kriterium im subjektiven Gefühl vollzogene Gehalte sich entgegensetzt, die erst durch ein solches Entgegensetzen zu einem Gegenstand werden. Da somit durch das Entgegensetzen für das Ich so etwas wie ein Gegenstand überhaupt erst verstehbar wird, bedeutet es nach W.Weischedel (Der frühe Fichte. Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft. 2.Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973, 51) in deutlichem Anklang an Heideggers KantInterpretation das Eröffnen des Horizontes, innerhalb dessen einzelnes Seiendes begegnen kann.

68

Die erste Version der Wissenschaftslehre

wegs so, daß aus der Mannigfaltigkeit der Vorstellungen bestimmter Gegenstände der abstrakte Begriff des Nicht-Ich gebildet wird; vielmehr wird gemäß der Grundlage etwas als Nicht-Ich nur dadurch qualifizierbar, daß man die Möglichkeit, es wegzudenken, erkennt, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, es als Nicht-Ich dem Ich entgegenzusetzen, und erst daraufhin sind zu allgemeinen, diskursiven Begriffen führende Abstraktionsvorgänge möglich.117 Der Wert dieser Rechtfertigung der transzendentalen Handlung des Entgegensetzens eines Nicht-Ich als Bedingung der Möglichkeit des logischen Entgegensetzens wird jedoch von Fichte im weiteren Verlauf der Grundlage in der „Grundlage der Wissenschaft des Praktischen" relativiert. Den dortigen Ausführungen gemäß läßt es sich nämlich nicht a priori beweisen, daß es außer dem Setzen des Ich noch ein weiteres Setzen geben muß. Zwar sei es, wenn sich diese Annahme als unabdingbar herausstellen sollte, absolut notwendig, daß dieses Setzen ein Entgegensetzen und dessen Produkt ein Nicht-Ich ist, aber „daß es ein solches Setzen gebe, kann jeder nur durch seine eigene Erfahrung sich darthun"; und so sichere die „objektive Gültigkeit" der Wissenschaftslehre ,jedem sein eignes Bewustseyn des Objekts" (GA I, 2, 390; SW I, 253).118 Diesen Ausführungen gemäß ist also letztlich der methodisch problematische Hinweis auf die Erfahrung und auf das in ihr vorkommende Faktum mannigfaltiger Gegenstände erforderlich, wenn der Fortgang vom ersten Grundsatz zum zweiten als gerechtfertigt eingesehen werden soll. Zwar rekurriert Fichte auch an dieser Stelle auf die Rechtfertigung der Annahme der der Form nach imbedingten transzendentalen Handlung des Entgegensetzens aus der Unableitbarkeit der Form des Satzes des Widerspruchs aus dem Satz der Identität auf logischer Ebene, „aber ein solcher Beweiß leistete nichts weiter, als daß er den andern überführte, er habe vermittelst des Zugestehens irgend eines Faktum auch jenes höchste Faktum zugestanden" (GA I, 2, 390; SW I, 252f). Offenbar wird in diesem Zitat die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß jemand - etwa ein Skeptiker - die Gültigkeit des Satzes des Widerspruchs durchaus leugnen könnte, was Fichte in den Ausführungen des §2 und - so könnte man hinzufügen - im Hinblick auf den Satz der Identität im §1 für unmöglich erklärt.119 Jemanden, der dies tut, kann man nach Fichtes Ansicht bezüglich der notwendigen Annahme der Handlung des Entgegensetzens also offensichtlich lediglich auf die Erfahrung verweisen, in der de facto jeweils mannigfaltige, dem Ich entgegengesetzte Gegenstände vorkommen.120 117

118

120

Vgl. auch Κ 37; GA IV, 2, 42. - Das Merkmal, aufgrund dessen das Ich sich etwas entgegensetzt, ist für M.Gueroult (L évolution et la structure de la doctrine de la .science chez Fichte. Bd 1. Paris 1930, 213) hingegen offenbar der Akt oder ein Produkt des Aktes des Entgegensetzens selbst. Vgl. ebenso GA I, 2, 400 (SW I, 265). Vgl. GA I, 2, 256, 264 (SWI, 92f, 101). Somit stellt der zweite Grundsatz durchaus keine „heimliche Anleihe bei der Erfahrung" dar, wie P.Hensel (lieber die Beziehung des reinen Ich bei Fichte zur Einheit der Apperception bei Kant. Freiburg 1885, 30ff) meint, der darin das Scheitern der Aufgabe, die gesamte Philosophie aus ei-

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

69

In diesem Zusammenhang deutet Fichte an, daß der zweite Grundsatz eigentlich in der Form eines hypothetischen Urteils zu formulieren ist; daß es außer dem Setzen des Ich noch ein Setzen gibt, sei nämlich „a priori eine bloße Hypothese"; gleichwohl stelle die Wissenschaßslehre „lediglich solche Sätze auf, die apriori gewiß sind: Realität aber erhält sie erst in der Erfahrung" (GA I, 2, 390; SW I, 252f). Sonach müßte der zweite Grundsatz also etwa folgendermaßen lauten: Wenn es außer dem Setzen des Ich durch sich selbst noch ein weiteres Setzen gibt, so handelt es sich dabei notwendigerweise um ein Entgegensetzen, dessen Produkt das Nicht-Ich ist. Daß der Vordersatz aber nicht nur problematisch, sondern assertorisch angenommen werden muß, ergibt sich erst durch den Verweis auf die tatsächlich in der alltäglichen Erfahrung vorkommenden Gegenstände. Im Rahmen der Rechtfertigung des zweiten Grundsatzes wird von Fichte aber nicht nur die transzendentale Handlung des Entgegensetzens aufgestellt, sondern zugleich die Identität des Ich fortbestimmt. Offenbar muß bei diesen Erörterungen vorausgesetzt werden, daß das Subjekt nicht mehr als unendliche, reine Tätigkeit zu charakterisieren ist, sondern als ein endliches Ich, dem ein endliches Nicht-Ich entgegengesetzt ist, welche Konstellation allerdings erst durch den dritten Grundsatz vermittels der Handlung des Teilbarsetzens von Ich und Nicht-Ich durch das Ich erreicht wird. Die eigentliche, im Satz des Widerspruchs nicht ausdrücklich zum Vorschein kommende Abfolge logischer und reflexiver Handlungen des Ich im Urteilen gemäß dem Satz -A nicht = A lautet nach Fichte unter dieser Voraussetzung wie folgt: Es wird nicht einfach einem A ein -A entgegengesetzt; vielmehr ist zunächst das A als mit sich identisch zu setzen, was nur aufgrund der Identität des setzenden und des als setzend vergegenwärtigten Ich möglich ist, wie schon der § 1 ausführte. Dem Prädikat-Α des Satzes der Identität, dem „A als Objekte der Reflexion" wird nun das -A entgegengesetzt und somit natürlich auch dem ursprünglich gesetzten und als mit dem Prädikat-Α identisch beurteilten Subjekt-Α. So stellt also einerseits die bewußte Identität des Selbst die Bedingung der Möglichkeit für dasjenige Urteil dar, das die Identität des A mit sich aussagt und das allem Entgegensetzen eines -A wenngleich unausdrücklich - vorauszusetzen ist; andererseits muß aber auch dasjenige Ich, das gemäß dem Satz der Identität urteilt, mit demjenigen Ich identisch sein, das dem mit sich identisch gesetzten A ein -A entgegensetzt: Denn könnte das Ich „in beiden Handlungen sich entgegengesezt seyn, so würde -A seyn = A. Mithin ist auch der Übergang vom Setzen zum Entgegensetzen nur durch die Identität des Ich möglich" (GA I, 2, 265; SÌV I, 103). Zudem muß natürlich auch die durch die Identität des Subjekts bedingte Einheit des Bewußtseins gewährleistet sein. Denn fielen das Bewußtsein des Setzens und das Bewußtsein des Entgegensetzens auseinander, so ließe sich das Entgegensetzen gar nem Prinzip zu deduzieren, erblickt.

70

Die erste Version der Wissenschaftslehre

nicht als ein solches bestimmen. Sowohl für dieses Handeln als auch für sein Produkt gilt vielmehr, daß sie nur in Beziehung auf das ursprüngliche Setzen und das in ihm Gesetzte als ein Entgegensetzen bzw. ein Gegenteil bestimmbar sind. So wird die im zweiten Paragraphen aufgestellte Handlung des Ich also erst „durch Beziehung auf ein Setzen [...] ein Gegensetzen" (GA I, 2, 266; SWI, 104). Damit ist aber zugleich darauf verwiesen, daß die für das Entgegensetzen erforderliche Einheit des Bewußtseins nur durch eine Synthesis der in den ersten beiden Paragraphen aufgestellten Ich und Nicht-Ich und somit lediglich durch die im §3 als notwendig erwiesene Handlung möglich ist. Mit den ersten beiden Grundsätzen sind also für Fichte die methodischen Voraussetzungen geschaffen, um die für die Identität und Einheit des Bewußtseins notwendige Synthesis zu entwickeln. Daß das Entgegensetzen des NichtIch tatsächlich nur aus methodischen Gründen der Explikation der Synthesis voranzuschicken ist, ergibt sich dabei aus der grundsätzlichen Einheit von Antithesis und Synthesis als Handlungen des Ich, die „nur in der Reflexion unterschieden" (GA I, 2, 270; SW I, 109) werden, nämlich in der Reflexion des Philosophen, wobei jedoch „unter allem, was er aufstellt, gar keines einzeln möglich" ist, „sondern nur in der Vereinigung mit allen ist jedes einzelne möglich" (GA I, 4, 207; SW I, 448). Der Philosoph muß also die Handlungen des Ich getrennt voneinander betrachten und jede von den anderen abgrenzen, um sie in ihrem ihnen eigentümlichen Wesen erfassen zu können. Als Handlungen des Ich kommen sie jedoch nicht in der durch den Philosophen aufgestellten, voneinander getrennten Form vor, sondern nur in ihrer Einheit, was von Fichte in seiner Programmschrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre

grundsätzlich kon-

statiert und im dritten Paragraphen der Grundlage speziell von den Handlungen der Antithesis und der Synthesis gezeigt wird.121 Daß das Ich gar nicht ausschließlich in der Form der Entgegensetzung eines Nicht-Ich handeln kann, zeigt sich dabei an einer Reihe von Widersprüchen, die sich aus der isolierten Aufstellung des zweiten Grundsatzes ergeben. Die Entwicklung dieser Widersprüche aus den ersten beiden Grundsätzen hat nach Fichte den Charakter einer „die Aufgabe ableitenden Deduktion" (GA I, 2, 268; SW I, 106), welche Aufgabe die aus den Inhalten der §§ 1 und 2 ableitbare Form des dritten Grundsatzes ausmacht. Dort, wo die Möglichkeit einer fortgeführten Deduktion abbricht, muß jedoch gemäß einer noch genauer zu betrachtenden Methode der unbedingte Gehalt aufgesucht werden. Die von Fichte ausgeführte Deduktion der durch einen weiteren Grundsatz bzw. durch die in ihm ausgedrückte ursprüngliche Handlung des Ich zu lösenden Aufgabe besitzt jedoch eine Schwierigkeit in Form einer Zweideutigkeit in der Verwendung des Ausdrucks „Ich". Einerseits meint Fichte damit offenbar das im ersten Paragraphen als Prinzip der Philosophie gerechtfertigte reine und absolute Ich, 121

Vgl. GA I, 2, 141f (SW I, 71f).

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

71

andererseits aber auch das Bewußtsein, das nicht im Ich aufgeht, sondern sich aus den Momenten der Entgegensetzung und Beziehung von Ich und Nicht-Ich zusammensetzt, wie es in dem vorläufigen und im weiteren Verlauf der Wissenschaftslehre zu konkretisierenden Ergebnis des dritten Grundsatzes zum Ausdruck kommt. Gleichwohl hat es eine gewisse Berechtigung, das Bewußtsein als Ich zu bezeichnen, insofern dieses darin eine ausgezeichnete Position einnimmt. Das Ich ist nämlich deijenige Bestandteil des Bewußtseins, der dessen Sphäre umgrenzt. Es ist nicht das Nicht-Ich, das festlegt, was in den Bereich des Bewußtseins gehört; vielmehr ist es das Subjekt, das aufgrund der einsinnigen Beziehung von Ich und Nicht-Ich, der gemäß es immer eines Ich bedarf, dem etwas bewußt ist, innerhalb des Bewußtseins prävaliert, wenngleich das entgegengesetzte Nicht-Ich ein unverzichtbares Moment darstellt, wie sich vor allem aus der isolierten Aufstellung des unendlichen, bewußtseinslosen Ich des ersten Grundsatzes ergibt.122 Die aus den ersten beiden Grundsätzen zu entwickelnden Widersprüche ergeben sich nun daraus, daß sowohl das Ich als auch das Nicht-Ich als quantitativ vollständig unbestimmt zu charakterisieren sind. Während Fichte das Ich im ersten Paragraphen als absolute, in sich zurückgehende Tätigkeit qualifiziert, ist das Nicht-Ich dessen uneingeschränkte Negation, denn „durch das Nicht-Ich wird das Ich völlig aufgehoben" (GA I, 2, 268; SWI, 106). Daraus folgt, daß das Ich in der Sphäre des Bewußtseins nicht gesetzt sein kann, insofern das NichtIch darin gesetzt oder genauer: entgegengesetzt ist; denn aufgrund der zu wahrenden widerspruchsfreien „Identität des Bewußtseyns" (GA I, 2, 269; SW I, 107) kann das Subjekt nicht zugleich in seiner Identität mit sich gesetzt und durch das Nicht-Ich völlig aufgehoben werden. Andererseits muß das Ich im Bewußtsein gesetzt sein, sollen die Voraussetzungen des Entgegensetzens eines Nicht-Ich bestehen. Denn ein Entgegensetzen ist - wie der zweite Paragraph zeigte - nur als ein solches bestimmbar, wenn es von einem Setzen abgegrenzt 122

In dem zusammengefaßten Ergebnis der drei Grundsätze der Wissenschaftslehre lassen sich sogar drei Bedeutungen des Ich unterscheiden. In dem Satz: ,Jch setze im Ich dem theilbaren Ich ein [heilbares Nicht-Ich entgegen" (GA I, 2, 272; SW I, 110), werden neben dem Ich, in dem gesetzt wird, womit das Bewußtsein gemeint ist, das setzende und das teilbare Ich genannt. Was damit genau gemeint ist, läßt sich wohl erst durch eine Analyse des Substantialitätsverhältnisses entscheiden, in dem das Ich als absolute Totalität der Realität, als Substanz dem Ich als eingeschränkte Tätigkeit, als Akzidens entgegengesetzt wird. Vgl. dazu u. S.86ff. - Die dargestellten exklusiven Beziehungen des Ich zum Bewußtsein übersieht offenbar J.Brachtendorf (Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812. Paderborn/München/Wien/Zürich 1995, 132ff), der meint, daß nur durch eine nachträgliche bewußtseinstheoretische Interpretation der beiden ersten Grundsätze überhaupt ein Widerspruch im dritten Paragraphen abgeleitet werden könne, indem aus den §§ 1 und 2 weder hervorgehe, daß das Ich, noch, daß das Nicht-Ich im Ich gesetzt sei. Es ist aber gerade das Ich, daß sowohl sich selbst als auch das Nicht-Ich setzt. Nun resultiert zwar nicht aus jedem Setzen Bewußtsein, es ist jedoch notwendige Voraussetzung ftr jegliches Bewußtsein, und zwar so, daß nur dem setzenden Ich etwas bewußt sein kann. Von „bewußtseinstheoretischen Umdeutungen", die „en passant" eingeführt werden, kann daher nicht die Rede sein.

72

Die erste Version der Wissenschaftslehre

wird. So ergeben sich also die widersprüchlichen Konsequenzen, daß das im Bewußtsein gesetzte Ich die unabdingbare Voraussetzung der Entgegensetzung eines Nicht-Ich darstellt, daß es bei erfolgter Entgegensetzung jedoch durch das Nicht-Ich völlig aufgehoben wird. Widersprüchliche Folgerungen ergeben sich aber nicht nur hinsichtlich des Nicht-Ich, das, indem es das Subjekt negiert, seine eigenen Voraussetzungen aufliebt; vielmehr zeigt sich ebenso für das Ich, welches sich als unendliche, in sich zurückgehende Tätigkeit durch die Tathandlung konstituiert, daß es zwar durch das Nicht-Ich aufgehoben wird, so daß für das Bewußtsein gilt: „Ich nicht = Ich, sondern Ich = Nicht-Ich, und Nicht-Ich = Ich" (GA I, 2, 269; SWI, 107); zugleich ist das Ich jedoch in seiner Identität mit sich gesetzt, insofern das Nicht-Ich, indem es das Subjekt verdrängt, auch sich selbst negiert. Aus der Entgegensetzung des Nicht-Ich ergeben sich somit Widersprüche, durch die „die Identität des Bewußtseyns, das einige absolute Fundament unsers Wissens aufgehoben" (GA I, 2, 269; SW I, 107) wird.123 Die Notwendigkeit der Wahrung der im ersten Paragraphen als Bedingung der Möglichkeit allen Urteilens gerechtfertigten durchgängigen Identität des Ich, das die Sphäre des Bewußtseins umschreibt und somit dessen Identität begründet, ergab sich dabei aus der Überlegung, daß selbst das fundamentale Bewußtsein von etwas als ein und eben dasselbe ohne vorausgesetzte Identität des Ich unmöglich ist. Gründet somit jede Synthesis im identischen Selbst, so ergibt sich im dritten Paragraphen die Situation, daß das Begründete zugleich eine unabdingbare Voraussetzimg des Grundes, nämlich des identischen Selbstbezugs des Subjekts angesichts der im Bewußtsein aufbrechenden Widersprüche darstellt. Während für Kant der durch die Synthesis hervorgebrachte, einheitliche Zusammenhang der verschiedenen noematischen Gehalte die notwendige Bedingung der analytischen Einheit des Selbstbewußtseins ist, so daß letztere erst durch die Verknüpfung eines mannigfaltigen Nicht-Ich ermöglicht wird, ist für Fichte somit die Identität des Ich und des Bewußtseins eine in der Zusammensetzimg zu wahrende, indem das identische Selbst aller Beziehung zugleich 123

Eine detaillierte Rekonstruktion der bei Fichte zum Teil nur angedeuteten Widersprüche versucht R.Hiltscher: Der dritte Grundsatz in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. In: Wiener Jahrbuch für Philosophie XXV (1993), 48-50. Weniger plausibel ist die von M.Oesch (Das Handlungsproblem. Ein systemgeschichtlicher Beitrag zur ersten Wissenschaftslehre Fichtes. Hiidesheim/Amsterdam 1981, 106 t) vorgeschlagene Interpretation, nach der der Widerspruch zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich eigentlich aus dem ursprünglichen, dem absoluten Ich immanenten zwischen dem Setzenden und dem Gesetzten herzuleiten ist. In dem „Ersten Grundsatz als einem Widerspruchsverhältnis" sieht auch J.Stahl (System und Methode - Zur methodologischen Begründung transzendentalen Philosophierens in Fichtes „Begriffsschrift". In: Fichte-Studien 10 (1997), 104ff) die inhaltliche Fundierung für das dialektische Fortschreiten des Systems, das eher im Sinne Hegels bestimmt wird. Ebensowenig kann der zu vereinigende Gegensatz der von Unendlichkeit und Endlichkeit als Seinscharaktere des Ich sein, wie W.Weischedel (Der frühe Fichte. Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft. 2. Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973, 53ff) vorschlägt, da jedwede quantitative Bestimmung das Resultat des dritten Grundsatzes bereits voraussetzt. Vgl. auch W.Lütterfelds: Zum undialektischen Begriff des Selbstbewußtseins bei Kant und Fichte. In: Wiener Jahrbuch fiir Philosophie VIII (1975), 32ff.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

73

vorausgeht. Daraus ergibt sich als Aufgabe fiiir den dritten Grundsatz: Es muß eine solche Synthesis-Handlung gefunden werden, die Ich und Nicht-Ich in deren gemeinschaftlicher Sphäre des Bewußtseins auf eine derartige Weise aufeinander bezieht, daß sie sich gegenseitig nicht vollständig aufheben, womit die aus den ersten beiden Grundsätzen ableitbare Form des aufzustellenden Grundsatzes als Synthesis bestimmt ist. Wie diese Synthesis ausfallt, d.h. wie die Form der Vereinigung Entgegengesetzter im Bewußtsein inhaltlich zu bestimmen ist, läßt sich jedoch nach Fichte aus den bisher aufgestellten Grundsätzen der Grundlage nicht ableiten. Man muß daher - Fichtes Ausführungen gemäß - „ein Experiment machen" (GA I, 2, 269; SJV I, 108), um die Eigentümlichkeit der Synthesishandlung bestimmen zu können. Wie ein solches Experiment vorzunehmen ist, wird von Fichte in der Grundlage allerdings nicht erläutert, läßt sich jedoch aus den Eignen Meditationen erschließen. Fichte versucht dort in einleitenden Betrachtungen über die Methode einer Elementarphilosophie den Zirkel auf ein Minimum zu reduzieren, dem gemäß zwar einerseits die logischen Regeln für die in der Elementarphilosophie seitens des Philosophen anzustellenden systematischen Argumentationen vorausgesetzt werden müssen, andererseits aber eine Elementarphilosophie, die wirklich grundlegend sein soll, auch die Logik begründen muß. Zu diesem Zweck entwickelt er ein methodisches Verfahren, das von einer inneren Anschauimg eines im Bewußtsein Gegebenen ausgeht, deren Gehalt in der Form eines Satzes zu begreifen ist. Auf diese Weise wird das ursprünglich innerlich Angeschaute in einen Gedanken transformiert. Durch Abstraktion von dem Gehalt dieses Satzes soll sich dann diejenige logische Regel entwickeln lassen, die für die Deduktion der nächsten Aufgabe, der nächsten durch die innere Anschauimg zu beantwortenden Frage benötigt wird, so daß Jeder Saz, an sich materiell, die formelle Bedingung des folgenden werde" (GA II, 3, 22). Durch diese von der in einem Satz ausgedrückten, inneren Anschauung abstrahierte Regel läßt sich aber denkend nur die nächste zu beantwortende Frage entwickeln. Daher bringt die „Spontaneität [...] die Anschauung ihrem Vorhandenseyn, aber nicht ihrer Beschaffenheit nach hervor", so daß jeder folgende Satz nur „durch ein nach Regeln angestelltes Experiment mit der innern Anschauung bewiesen" (GA II, 3, 24) werden kann. Die logische Regel soll also zwar in der Lage sein, unsere Aufmerksamkeit in der inneren Anschauung auf bestimmte Sachverhalte zu richten, die eine Antwort auf klar umrissene Fragen zu geben versprechen; die Antwort selbst in ihrer inhaltlichen Bestimmtheit kann jedoch diesem Ansatz gemäß nur „die Natur unsers Geistes" (GA II, 3, 25) geben. So sagt Fichte etwa von der Limitation der Realität durch die Negation in der Vorstellung, man müsse ein solches Drittes neben Realität und Negation in der Anschauung „finden" (GA II, 3, 53).124 Allerdings geht er in den Eignen ™ Vgl. auch GA II, 3, 55.

74

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Meditationen prinzipiell noch davon aus, daß nach dem ersten Satz, der die Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich im Bewußtsein ausdrückt und dessen Verifizierung als ein „Heischesatz" vom Philosophierenden nur postuliert werden kann, „alle künftige[n] Aufgaben seyn werden" (GA II, 3, 50); nach dem ersten Satz muß also dementsprechend jeder weitere so gefunden werden, daß mit einer logisch-begrifflichen Deduktion die konkrete, zu beantwortende Frage aufgestellt wird, deren Lösung in der inneren Anschauung aufgesucht werden muß. In der Grundlage reduziert Fichte diese methodische Vorgehensweise hingegen auf den dritten Grundsatz. Alle weiteren Synthesen sollen sich aus dem mit den drei Grundsätzen explizierten Grundgefüge des Bewußtseins ableiten lassen, so daß Fichte das weitere methodische Vorgehen in dieser Hinsicht als „analytisch" (GA I, 2, 284; SWl, 124) bezeichnen kann.125 Wenn man diese Notwendigkeit der auch in der Vorrede zur Grundlage geforderten „innern Anschauung" (GA I, 2, 253; SWl, 88) auf die Argumentation des dritten Paragraphen überträgt, dann ergibt sich, daß unter dem anzustellenden „Experiment" schlicht die Anweisung zu verstehen ist, die Verfahrensweise des endlichen Geistes an sich selbst in der inneren Anschauung zu beobachten. Das notwendige Resultat eines solchen Experimentes besteht nun nach Fichte darin, daß die entgegengesetzten Ich und Nicht-Ich durch eine Handlung des Einschränkens beider und durch deren Produkt: die Schranken im Bewußtsein aufeinander bezogen werden. Jeder müsse zu diesem Ergebnis kommen, durch das die abgeleiteten Widersprüche auf befriedigende Art gelöst seien. Fichte hält jedoch den Begriff der Schranke deswegen nicht für adäquat, den Inhalt des dritten Grundsatzes rein für sich auszudrücken, da in diesem Begriff zugleich dasjenige impliziert ist, was beschränkt wird, nämlich Realität und Negation bzw. Ich und Nicht-Ich, die gerade den Gehalt der ersten beiden Grundsätze

125

Zur Methode der Eignen Meditationen vgl. schon W.Kabitz: Studien zur Entwicklungsgeschichte der Fichteschen Wissenschaftslehre aus der Kantischen Philosophie. Berlin 1902, 57-63 sowie F.Krämer: Fichtes ursprüngliche Wissenschaftslehre als dialektische Erörterung. In: SeinReflexion-Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes. Hrsg. von C.Asmuth. Amsterdam/Philadelphia 1997, 145ff. Allerdings bestimmt Fichte in den Eignen Meditationen im Rahmen der vorausgeschickten Erörterungen den Widerspruch noch nicht als konstitutives Methodenmoment. Er spielt jedoch faktisch eine entscheidende Rolle innerhalb der konkreten Ableitungen. - Auch in der Zweiten Einleitung nimmt Fichte die Rede vom „Experiment" wieder auf. Demnach ist es zwar Aufgabe des Philosophen, das „zu untersuchende in die Lage zu versetzen, in der bestimmt diejenige Beobachtung gemacht werden kann, welche beabsichtigt wird". Die bestimmte Handlungsweise kann hingegen nur beobachtet werden, so daß der Philosoph in dieser Hinsicht „bloß zusieht" (GA I, 4, 209f; SW I, 454). Vgl. ebenso Κ 34f. Ohne nähere Bestimmung taucht der Begriff des Experimentes auch in der Lavater-Nachschrift mit Bezug auf das Ich als Prinzip der Philosophie auf. Vgl. J.G.Fichte: Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissemchaftslehre: Februar 1794. Nachschrift Lavater. Beilage aus Jens Baggesens Nachlaß: Exzerptseite aus der Abschrift von Fichtes Züricher Vorlesungen über Wissenschaftslehre. Hrsg. von E.Fuchs. Neuried 1996, 149, 153. - Zu den schwierigen Methodenbestimmungen Fichtes in der Grundlage vgl. unten das Kapitel über metaphysische und transzendentale Deduktion S.130ff.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

75

ausmachen. Daher bevorzugt er den Begiff der Teilbarkeit, so daß diejenige Handlung, die die zu Beginn des §3 aufgestellte Aufgabe löst, als ein Teilbarsetzen von Ich und Nicht-Ich zu bestimmen ist. Der eigentümliche und unableitbare Gehalt des dritten Grundsatzes ist also die Teilbarkeit oder auch die „Quantitätsfähigkeit (GA I, 2, 270; SWI, 108), indem vermittels der Teilbarkeit Ich und Nicht-Ich zwar nicht vollständig aufgehoben, aber doch in ihrem Anspruch, unbegrenzte Realität bzw. Negation zu sein, beschränkt werden. 126 Die Notwendigkeit, warum dieser Begriff der Teilbarkeit oder auch der Quantitätsfahigkeit nicht aus den ersten beiden Grundsätzen ableitbar ist, der Philosoph sich vielmehr auf einen „Machtspruch der Vernunft" (GA I, 2, 268; SW I, 106) berufen muß, der sich in einer inneren Anschauung offenbart, ergibt sich aus einem Vergleich des dritten Grundsatzes mit Fichtes Urteilslehre. Wie bereits angedeutet wurde, können nach Fichte die transzendentalen Handlungen der Antithesis und der Synthesis nur in der philosophischen Reflexion voneinander getrennt aufgestellt werden. Als Handlungen des Ich sind sie jedoch deswegen in einer Einheit zu denken, weil die Antithesis sich ohne die Synthesis in die aufgezeigten Widersprüche verwickelt, die Synthesis ohne zu vereinigende Entgegengesetzte aber ebenso unmöglich ist. Gemäß der Konzeption der Wissenschaftslehre ist nun aber „die Befugniß aller Antithesis und Synthesis" {GA I, 2, 274; SW I, 113) aus dem dritten Grundsatz abzuleiten. Dies betrifft grundlegend den logischen Satz der Grundes, der von Fichte offenbar speziell im Hinblick auf seine Urteilslehre formuliert wird. Abstrahiert man nämlich von dem spezifischen Gehalt des dritten Grundsatzes, vom Ich und vom Nicht-Ich und achtet lediglich auf die ,,bloße Form der Vereinigung entgegengesezter durch den Begriff der Theilbarkeit", so ergibt sich der Satz des Grundes, den Fichte durch die Formel: „A zum Theil = -A und umgekehrt" (GA I, 2, 272; SW I, 111) ausdrückt. Demnach kann jedes von zwei Entgegengesetzten nur dann als ein solches begriffen werden, wenn es vermöge eines Beziehungsgrundes seinem Gegenteil zugleich in einem Merkmal gleich ist; und ebenso können zwei Gehalte nur dann als gleich gedacht werden, wenn sie dem jeweils anderen vermöge eines Unterscheidungsgrundes zugleich in einem Merkmal entgegengesetzt sind. Aus der Anwendimg dieser Bestimmungen spezifisch auf die in Urteilen vorgenommenen Handlungen ergibt sich nun, daß es neben den sich aus dem ersten Grundsatz ableitenden thetischen Urteilen, deren höchstes nach Fichte der

126

W.Janke (Limitative Dialektik. Überlegungen im Anschluß an die Methodenreflexion in Fichtes Grundlage 1794/95 §4 (GA 1, 2, 283-285). In: Fichte-Studien 1 (1990), 16t) sieht eine historische Vorzeichnung der Teilbarkeitssynthesis, die Widersprüche durch Einschränken von absoluten Ansprüchen aufhebt, in der Autlösung der dritten Antinomie der Kritik der reinen Vernunft. Dagegen ist allerdings festzuhalten, daß - gemäß dem Kantischen Verfahren der Aufstellung kontradiktorischer Widersprüche - die Thesis dort in einem partikulären Urteil zu formulieren ist, daß sie also keineswegs „Ansprüche auf absolute Totalität" erhebt.

76

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Satz: Ich bin darstellt, nur antithetisch-synthetische Urteile geben kann. Ein Urteil, dessen Bestandteile des Subjekts und des Prädikates durch die Kopula miteinander verknüpft sind, kann in seiner Wahrheit also nur dann eingesehen werden, wenn sich sowohl ein Unterscheidungs- als auch ein Beziehungsgrund aufzeigen läßt, vermittels deren Subjekt und Prädikat einander gleich bzw. entgegengesetzt sind. In den konkreten Urteilen wird diese antithetischsynthetische Struktur jedoch nicht in vollem Umfang explizit gemacht, weswegen sie sich - in Abweichung von Kant - in synthetische oder bejahende und antithetische oder verneinende Urteile gliedern. In den bejahenden Urteilen wird lediglich auf den Beziehungsgrund von Subjekt und Prädikat geachtet, wohingegen von ihrem Unterscheidungsgrund und somit von ihrem Entgegengesetztsein abstrahiert wird. Genau umgekehrt verhält es sich bei den verneinenden Urteilen, bei denen von dem Beziehungsgrund und daher von der Gleichheit von Subjekt und Prädikat abgesehen wird. So stellt z.B. das Urteil: „Der Vogel ist ein Tier" ein bejahendes (synthetisches) Urteil dar.127 In ihm wird nach Fichte von den mannigfaltigen Unterschieden der Tierarten abstrahiert, so daß Vögel generell als Tiere bezeichnet werden können. Reflektiert wird hingegen auf den Beziehungsgrund der Begriffe „Vogel" und „Tier", der in dem bestimmten Begriff des Tieres selbst liegt, desssen Merkmale Fichte durch die Umschreibimg der organisierten, animalisch belebten Materie wiedergibt. Entscheidend im Hinblick auf den Vergleich mit dem dritten Grundsatz der Grundlage ist nun die Tatsache, daß nach Fichte der Beziehungsgrund entgegengesetzter Begriffe immer in einem höheren Begriff zu suchen ist. Deulicher wird dies, wenn man das Urteil umformuliert: „Vögel und Fische sind Tiere". Dann zeigt sich, daß die in mannigfaltigen Merkmalen entgegengesetzten Tierarten der Vögel und Fische dennoch in dem bestimmten Bedeutungsgehalt des höheren Begriffs „Tier" übereinkommen. Genau umgekehrt verhält es sich hingegen mit verneinenden (antithetischen) Urteilen der Art: „eine Pflanze ist kein Tier". In diesem Fall wird nach Fichte vom im Gattungsbegriff der Organisation enthaltenen Beziehungsgrund abstrahiert und nur auf den diesem untergeordneten Unterscheidungsgrund geachtet, dem gemäß Tiere im Unterschied zu Pflanzen animalisch belebt sind. Aus dieser antithetisch-synthetischen Urteilsstruktur ergibt sich nach Fichte die allgemeine Regel der Definition, in der immer die nächste Gattung und die spezifische Differenz anzugeben ist.128 127

128

Für Kant wäre dies aufgrund des Enthaltenseins der Bedeutung von „Tier" in derjenigen von „Vogel" natürlich ein analytisches Urteil. Vgl. dazu auch u. S. 124ff. Fichte hat im dritten Paragraphen der Grundlage also speziell kategorische Urteile vor Augen, die er in bejahende, verneinende und thetische bzw. - was Fichte identifiziert - unendliche Urteile unterteilt. Selbst wenn man den eigentümlichen Charakter der Modalität der Urteile zugesteht, da sie „nur den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt angeht" {KrV Β100), fehlen bei Fichte im Vergleich zur Kantischen Urteilstafel sowohl die hypothetischen und disjunktiven Urteile als auch der gesamte Titel der Quantität, wobei nicht abzusehen ist, wie die-

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

77

In gewöhnlichen Urteilen ist nach Fichte der Beziehungsgrund entgegengesetzter Bestimmungen also immer in einem höheren Begriff und der Unterscheidungsgrund in der spezifischen Differenz zu suchen. Genau umgekehrt verhält es sich jedoch mit dem dritten Grundsatz. Ich und Nicht-Ich können nämlich gar nicht in einem höheren Begriff vereinigt werden, wenn ihre jeweilige Bestimmtheit darin besteht, dasjenige zu sein, was das entsprechende Gegenteil nicht ist. Unabhängig davon wäre, könnten sie vermittels eines höheren Begriffes aufeinander bezogen werden, im Hinblick auf das absolute Ich ein wesentliches Merkmal eines obersten Grundsatzes nicht erfüllt, welches vor allem Reinhold namhaft macht. Denn daß ein oberster Grundsatz durch sich selbst bestimmt sein muß, heißt f\ir Reinhold nicht zuletzt auch, daß es über den in ihm enthaltenen Begriffen keine höheren mehr geben darf, durch die etwa die Begriffe der Vorstellung, des Subjekts oder des Objekts definiert werden können. Denn dann wäre der Satz des Bewußtseins als oberster Grundsatz nicht durch sich selbst verständlich; er wäre vielmehr in seiner Bedeutung nicht letztgültig festgelegt, indem sich sein Sinn den eingesetzten Definitionen entsprechend modifizieren würde; damit könnte er aber auch keinen Anspruch auf Allgemgültigkeit bzw. allgemeine Geltung erheben. Und auch Fichte fordert, daß der oberste Grundsatz aller Philosophie durch sich selbst einleuchten muß, indem er nicht durch etwas anderes, sondern nur durch sich selbst bestimmt ist. So behauptet er in d e n Eignen Meditationen

von d e m Satz: Jm

Bewußtseyn

wird das Ich dem Nicht Ich entgegengesezt", er sei „durch sich selbst bestimmt" (GA II, 3, 49). In der Schrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre

konkreti-

siert Fichte diese Forderung dann dahingehend, daß in einem obersten Grundsatz „der Gehalt desselben seine Form, und umgekehrt die Form desselben seinen Gehalt bestimme" (GA I, 2, 121; SWI, 49). Es ist also klar, daß oberhalb der Begriffe des Ich und des Nicht-Ich aus methodischen Gründen kein höherer Gattungsbegriff angenommen werden darf, denn dann könnte der erste Grundsatz nicht von sich her einleuchten, in sich selbst evident sein, da vielmehr sein Sinn unbestimmt bliebe. Daher besteht nach Fichte im Fall des Ich und des Nicht-Ich der Beziehungsgrund nicht in einem höheren Gattungsbegriff; sie sind vielmehr in einem ,Miedern" Begriff zu vereinigen: „Das Ich wird selbst in einen niedern Begriff, den der Theilbarkeit, herabgesezt, damit es dem Nicht-Ich gleich gesezt werden könne" (GA I, 2, 279; SW I, 119).129 Da sich im Rahmen einer Theorie diskur-

125

se Urteilsformen aus den drei Grundsätzen zu deduzieren sind. Fichtes Grundlage kann die Kantische Urteilstafel daher nur in sehr reduzierter Form ableiten. Nach K.Gloy (Die drei Grundsätze aus Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von 1794. In: Philosophisches Jahrbuch 91 (1984), 300fl) „decouvriert" sich Fichtes Methode darin als ,/lbstiegsdialektik", fur die als „Selbstspezifikation [...] eher das Schema von genus proximum per differentiam specificam maßgebend" sei. Im Gegensatz dazu und der darin angesetzten einseitigen Abhängigkeit des zweiten und dritten vom ersten Grundsatz nehme die ,Jireislaufdialektik", der sie offenbar den Vorrang einräumt, das Ergebnis dialektischer Bewe-

78

Die erste Version der Wissenschaftslehre

siv-allgemeiner Begriffe eine spezifische Differenz jedoch nicht aus dem Gattungsbegriff deduzieren läßt, bleibt Fichte im dritten Paragraphen kein anderer Ausweg als die Berufung auf einen „Machtspruch der Vernunft". Dazu, daß durch einen solchen Machtspruch der Teilbarsetzung Ich und Nicht-Ich „vereinigt, gleich gesezt" (GA I, 2, 269; SW I, 108) werden, führt er in den Eignen Meditationen aus: „Der Ausdruck identisch, Eins: - einerlei nicht, aber gleich vereinigt. [...] Ich u. Nicht-Ich sind sich also gleich, insofern sie im Bewußtseyn sind. - sie sind gleich als existentia in conscientia" (GA II, 3, 44). Dadurch, daß das Subjekt Ich und Nicht-Ich teilbar setzt, werden sie also nicht vollständig miteinander identifiziert. Die Teilbarkeit beider ermöglicht es jedoch, sie in das einheitliche Bewußtsein aufzunehmen und sie darin aufeinander zu beziehen, so daß sie sich in der Eigenschaft, Bestandteile des Bewußtseins zu sein, gleichen.130 Hegel kritisiert in der Differenz-Schrift die „Unvollständigkeit" bzw. „Unvollkommenheit"131 der im dritten Grundsatz ausgedrückten Beziehung, wobei auch in den weiteren Darlegungen Fichtes „die höchste Synthese, die das System aufzeigt, ein Sollen ist"132, so daß die Entgegengesetzten nicht wirklich vereinigt werden, sondern in ihrer Entgegensetzung bestehen bleiben. Auf diese Weise erreiche die Wissenschaftslehre das Hegels Meinung nach im ersten Grundsatz aufgestellte Prinzip der Spekulation nicht mehr. Letzteres weiche vielmehr der trennenden Reflexion. Hegel hat mit seiner Kritik sicherlich insofern Recht, als Fichte in der Grundlage nur auf die innere Anschauimg verweisen, aber keinerlei deduktiven Beweis dafür vorbringen kann, daß die Verbindung von Ich und Nicht-Ich im Bewußtsein notwendig vermittels der Teilbarkeit geschehen muß. Denn der inneren Anschauung hätte Hegel in diesem Zusammenhang keinerlei Beweiskraft zugestanden. Fichte darf somit im dritten Paragraphen bei der Lösung der Aufgabe der Vereinigung von Ich und Nicht-Ich keineswegs schlicht voraussetzen, es sei „nicht zu erwarten, daß irgend jemand diese Frage anders beantworten werde, als folgendermaaßen: sie werden sich gegenseitig einschränken" (GA I, 2, 270; SW I, 108).133 Damit ist jedoch nicht

130 131

132

133

gung zugleich als Grund der entgegengesetzten Bestimmungen an. - Zum Problem der Bezeichnung der Fichteschen Methode als Dialektik vgl. u. S.143ff. Vgl. dazu GA I, 2, 150. G.W.F.Hegel: Gesammelte Werke. Bd 4. Hrsg. von H.Buchner und O.Pöggeler. Hamburg 1968, 38, 40, 43. A.a.O. 45. Vgl. zur Kritik des Fichteschen Begriffs des Sollens auch a.a.O. 47, 49f und ebenso Gesammelte Werke. Bd 7. Hrsg. von R.-P.Horstmann und J.H.Trede. Hamburg 1971, 3f sowie Gesammelte Werke. Bd 21. Hrsg. von F.Hogemann und W.Jaeschke. Hamburg 1985, 118ff. Die Erklärung der Struktur der einschränkenden Synthesis aus dem thetischen Urteil, die K.Hammacher vorschlägt, bleibt deswegen problematisch, weil Fichte bei der Explikation der thetischen Urteile zwar die unendlichen Urteile Kants als historisches Vorbild angibt (vgl. GA I, 2, 278; SW I, 117f), diese aber nicht der Limitation, sondern dem im ersten Grundsatz ausgedrückten schlechthinnigen Setzen zuordnet. Vgl. K.Hammacher: Zur transzendentallogischen Begründung der Dialektik bei Fichte. In: Kant-Studien 79 (1988), 473; Fichtes transzendentale

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

79

gesagt, daß die Hegeische Lösung des Problems der Synthesis Entgegengesetzter, die von seinem eigenen spekulativen Ansatz ausgeht, a limine zu bevorzugen ist. Vielmehr steht Hegel mit seiner Konzeption absoluter Identität, die die Gegensätze als aufgehobene in sich enthält, vor allem deswegen selbst in der Beweispflicht, weil sie einen Verstoß gegen den Satz vom Widerspruch fordert. Fichte deutet den Kantischen Begriff der Synthesis also auf eine spezielle Weise um. Sie ist nach Fichte nicht - zumindest nicht grundlegend - Synthesis eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen. Bei Kant erfüllt die Synthesis in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft hingegen im wesentlichen zwei Aufgaben. Sie bringt einerseits als spontane Denkleistung der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption die mannigfaltigen Vorstellungen in einen gesetzlich geregelten Zusammenhang. Sofern dabei die resultierende noematisch vorgestellte Einheit anschaulich gegebenes Mannigfaltiges betrifft, basiert sie auf den in den logischen Urteilsfunktionen gründenden Kategorien. Mit solcher Einheit ist aber andererseits zugleich die Voraussetzung dafür geschaffen, die Pluralität der Vorstellungen einem identischen Selbst zuzuschreiben. Mit der Vereinigung der mannigfaltigen Vorstellungen untereinander ist also zugleich die Bedingung der Möglichkeit der Beziehung dieser Vorstellungen auf ein identisches Selbst erfüllt, das sich somit im Synthesisvollzug seiner selbst als eines identischen Selbst bewußt werden kann. Fichte geht hingegen - wie gesehen - von der Identität des Ich aus. Die auf dieser Identität basierende Synthesis bestimmt er zwar ebenso wie Kant als eine spontane Leistung des reinen Ich; sie meint jedoch prinzipiell keine Beziehung eines mannigfaltigen Nicht-Ich, da ein solches nach Fichte allererst zu deduzieren ist, sondern die Vereinigung des teilbaren Ich und des teilbaren Nicht-Ich im einheitlichen Bewußtsein. Für Fichte ist Synthesis also grundlegend eine Beziehung des Nicht-Ich auf das die Sphäre des Bewußtseins umschreibende Ich. Kehrte Fichte die logische Folge von Synthesisvollzug und Identität des Ich im Vergleich zum §16 der Kritik der reinen Vernunft um, so gilt gleiches also auch für den inneren Fundiemngszusammenhang der Leistungen der Synthesis; für ihn macht die Beziehung des Nicht-Ich auf ein identisches Ich, die nach Kant die Konstitution regelhafter Einheit im Mannigfaltigen voraussetzt, die prävalierende Bedeutung von Synthesis überhaupt aus. Dabei muß das Nicht-Ich als bloße Negation des Ich in seiner internen Struktur im Rahmen der die gesamte Philosophie begründenden ersten drei Grundsätze unbestimmt bleiben, so daß es auch noch nicht als Objekt charakterisiert werden darf. Erst auf dieser Grundlage kann - was erst später zum Thema gemacht werden soll - an einer durch die drei Grundsätze in Dialektik und Hegeln phänomenologische Dialektik. Eine transzendentallogische Rekonstruktion. In: Annalen der Internationalen Gesellschaft fiir dialektische Philosophie 3 (1986), 197 sowie Problemgeschichtliche und systematische Analyse von Fichtes Dialektik. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981,395.

80

Die erste Version der Wissenschaftslehre

vermittelter Weise begründeten Stelle die Notwendigkeit erwiesen werden, ein mannigfaltiges Nicht-Ich miteinander zu verknüpfen. Schon in dem Manuskript Der transscendentalen ElementarLehre. Zweiter Theil von 1790, das im wesentlichen fast wortgetreue Exzerpte aus der Kritik der reinen Vernunft enthält, umschreibt Fichte den Terminus „Apperzeption" mit: „gleichsam Zueignung" (GA II, 1, 312). Demgemäß müssen die mannigfaltigen Vorstellungen zunächst in einem „Actus der Spontaneität" dem Einen Selbstbewußtsein zugerechnet werden, bevor sie untereinander verbunden werden können: „Diese Handlung ist die erste, und oberste des Verstandes, denn auf ihr beruht die Möglichkeit aller Synthesis" {GA II, 1, 312). In diesem Sinne interpretiert Fichte die nach Kant aller Synthesis vorauszusetzende Einheit des reinen Ich als „Einerleiheit", die eben darin bestehen soll, daß alle Vorstellungen vor aller Synthesis als die meinigen dem identischen Selbst zugerechnet werden. Im weiteren Verlauf der Ausführungen korrigiert sich Fichte allerdings, indem er das Verhältnis dem Kantischen Text entsprechend umkehrt und die Synthesis des Mannigfaltigen der ,,durchgängige[n] Identität des Mirzueignens" (GA II, 1, 312) vorordnet. Es müsse allein die Möglichkeit derselben für die Möglichkeit der Synthesis vorausgesetzt werden; die wirkliche Vorstellung des identischen Selbst folge hingegen der Synthesis.134 In der Grundlage wird hingegen eindeutig diejenige Synthesis, die das Nicht-Ich auf das Ich im Bewußtsein bezieht, als grundlegend betrachtet. Diesen Ansatz vertritt Fichte schon in den Eignen Meditationen, wobei in stärkerer Anlehnung an Reinhold die Synthesis durch die Vorstellung (=C) als vermittelndes Drittes zwischen Ich und Nicht-Ich geschieht. Diese darf, soll sie die 134

Fichte betont also ähnlich wie später Heidegger in Kant und das Problem der Metaphysik die Beziehung von Ich und Nicht-Ich bzw. - in Heideggers Terminologie - die Beziehung des Daseins und des nichtdaseinsmäßig Seienden als Grundbedeutung von „Synthesis". Gleichwohl ist die von Fichte in der Grundlage im dritten Grundsatz aufgestellte Synthesis von anderer Natur. Heidegger unterscheidet in seiner Kant-Auseinandersetzung neben anderen Synthesisformen vor allem die veritative Synthesis und die reine veritative Synthesis, die er auch als apriorisch oder ontologisch bezeichnet. Während die veritative Synthesis Anschauung und Denken miteinander vereinigt, woraus eine erkennende Beziehung auf den Gegenstand erfolgt, resultiert aus der reinen veritativen Synthesis als Einigung von reinem Denken und reiner Anschauung in der Form der reinen Seinsbestimmungen des Seienden eine allem empirisch gegebenen Mannigfaltigen vorausgehende Eröffnung desjenigen Horizontes, innerhalb dessen dem Dasein Seiendes allererst begegnen kann: „Dieses Beibringen der Seinsbestimmungen des Seienden ist ein vorgängiges Sichbeziehen auf das Seiende, welche reine Beziehung a u f . . . ' (Synthesis) allererst den Horizont bildet, innerhalb dessen Seiendes an ihm selbst in der empirischen Synthesis erfahrbar wird." Im Gegensatz zu Fichte sieht Heidegger in der Notwendigkeit einer vorgängigen Einigung von reinem Anschauen und reinem Denken in der Wesenseinheit der ontologischen Erkenntnis aber gerade das Zeichen der Endlichkeit des Menschen, der solcher Synthesis bedarf, um Seiendes rezeptiv-passiv sich geben lassen zu können. Für Fichte ist die Endlichkeit der Entgegengesetzten der Synthesis jedoch gerade nicht vorauszusetzen; vielmehr folgt aus der Setzung der Teilbarkeit von Ich und Nicht-Ich erst deren Endlichkeit und damit ihre Beziehbarkeit im Bewußtsein. Vgl. M.Heidegger: Kant und das Problem der Metaphysik. 5., verm. Aufl. Frankfurt a.M. 1991, bes. 28f, 38f. Das Zitat findet sich a.a.O. 15.

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

81

Beziehung von Ich und Nicht-Ich im Bewußtsein leisten können, nach Fichte weder einseitig identisch mit dem Ich noch mit dem Nicht-Ich sein; denn dann wäre sie dem jeweils anderen entgegengesetzt und nicht in der Lage, eine Verbindung zwischen beiden zu stiften. Ebenso darf sie Ich oder Nicht-Ich nicht lediglich entgegengesetzt sein; denn dann wäre sie wiederum identisch mit einem der Entgegengesetzten. Fichte zieht daraus den Schluß, daß die Vorstellung von Ich und Nicht-Ich verschieden sein muß - und d.h.: sie muß zugleich mit beiden identisch und beiden entgegengesetzt sein.135 In den Eignen Meditationen werden dabei mehrere Möglichkeiten entwickelt, wie die Vorstellung als von Ich und Nicht-Ich Verschiedenes ihre Beziehung leistet. Zunächst geht Fichte davon aus, daß Ich und Nicht-Ich mit der Vorstellung in einer je bestimmten Relation stehen. So soll das Substantialitätsverhältnis zwischen Vorstellung und Ich sowohl deren Entgegensetzung als Substanz und Akzidenz, als auch ihre Identität in der einheitlichen relationalen Beziehung gewährleisten: „Die Categorie der Relation vereinigt Dinge indem sie sie entgegensezt" (GA II, 3,39). Gleiches soll für die Beziehung von Nicht-Ich und Vorstellung durch das Kausalitätsverhältnis gelten. Daraus ergibt sich nach Fichte zugleich eine Wechselwirkung von Ich und Nicht-Ich vermittels der Vorstellung, so daß aus Realität und Negation direkt die Relationskategorien hergeleitet werden, und zwar in der Kantischen Reihenfolge Substantialität, Kausalität und Wechselwirkung: „Nur in der Kategorie der Relation ist die erste Einheit, des Ich u. Nicht-Ich in C. - C. wird auf beide bezogen" (GA II, 3, 46). Doch schon im Verlauf der Eignen Meditationen wird diese Deduktionsfolge von Fichte verändert: „Die Schwierigkeit ist nur die; ich kann Substanz, u. Ursache nicht erklären, ohne die Beziehung schon erklärt zu haben" (GA II, 3, 46). Das Problem ergibt sich also daraus, daß Fichte bei Beibehaltung dieser Deduktionsabfolge bestimmte Verhältnisbegriffe verwenden muß, noch bevor die allgemeine Bedeutung des Begriffs der Beziehung erklärt ist. Daher wird die Verschiedenheit der Vorstellung von Ich und Nicht-Ich durch den Begriff der Limitation neu bestimmt. Die Vorstellung vereinigt demnach insofern Ich und Nicht-Ich, als in ihr Realität und Negation sich gegenseitig beschränken. Im Ausgang von dieser Konstellation sollen dann sowohl der Begriff der Beziehung als auch die einzelnen Relationskategorien entwickelt werden: „Aus dem Begriffe der Limitation muß der des Beziehens, u. diese ganze Kategorie, begrifmäßig abgeleitet werden" (GA II, 3, 48). Diese Reihenfolge der Kategoriendeduktion behält Fichte auch in der Grundlage bei. Auch dort wird die erste Vereinigung von Ich und Nicht-Ich im Bewußtsein durch deren Teilbarkeit ermöglicht. Die Relationskategorien folgen, wobei mit derjenigen der Wechselwir-

135

Vgl. GA II, 3, 32f, 44, 50, 52 u.ö. - In diesem Zusammenhang spricht Fichte öfter von einem „Grundsaz" oder auch von einem „ursprünglichen Begriff der Verschiedenheit", den er in der Grundlage ganz fallen läßt (vgl. GA II, 3, 32, 35, 37, 44, 50).

82

Die erste Version der Wissenschaftslehre

kung bzw. Wechselbestimmung offenbar zugleich der Sinn von Relation überhaupt angegeben werden soll. Denn nach Fichte ist die „ Wechselbestimmung (nach der Analogie von Wechselwirkung) [...] das gleiche was bei Kant Relation heißt" (GA I, 2, 290; SWl, 131). Allerdings modifiziert Fichte in der Grundlage die dargestellten Überlegungen der Eignen Meditationen insofern, als der ursprüngliche Begriff des Beziehens als Synthesis von Ich und Nicht-Ich mit deren Teilbarsetzung, i.e. mit deren Limitierbarkeit zugleich expliziert wird. Daher ist aus der Limitation nicht mehr der Begriff der Beziehens abzuleiten, wie Fichte noch in den Eignen Meditationen fordert, sondern speziell die Relation, die als Wechselbestimmung und Kausalität jeweils bestimmte Verhältnisse von Ich und Nicht-Ich im Hinblick auf Realität und Negation spezifiziert bzw. als Substanz-Akzidenz-Relation ein Selbstverhältnis des Ich. In diesem Sinne formuliert Fichte dann auch schon an späterer Stelle der Eignen Meditationen, die Limitation, durch die das Ich in der Vorstellung durch das Nicht-Ich begrenzte Quantität erhält, sei „die eine primäre Synthesis" {GA II, 3, 66). Mit dem zweiten und dritten Grundsatz ist nun innerhalb der Grundlage das Ich der reinen Apperzeption als antithetisch-synthetisch fortbestimmt. Daß Fichte mit dem dritten Grundsatz dem Ich tatsächlich die Bestimmung, synthetische Apperzeption zu sein, hinzugefügt wissen will, geht dabei deutlicher noch aus den Eignen Meditationen hervor, in denen in einigen Punkten die direkte Auseinandersetzung mit Kant und vor allem mit Reinhold auch in terminologischer Hinsicht deutlicher zum Vorschein kommt. So formuliert er auf die Vereinigung von Ich und Nicht-Ich vermittels der von beiden verschiedenen Vorstellung bezugnehmend: „Sollte nicht der Grundsaz der synthetischen Einheit der Apperception entwikelt werden" (GA II, 3, 36). Und an anderer Stelle: „Entgegensetzen, u. identisiren zugleich aber nennt man beziehen./ Etwa die synthetische Einheit der Apperception? besteht die nicht durchgängig in Beziehen.?" (GA II, 3, 40). Zieht man in Betracht, daß Fichte in der Grundlage Entgegensetzen und Beziehen, Antithesis und Synthesis klar voneinander trennt, so läßt sich schließen, daß speziell der dritte Grundsatz die Charakterisierung des reinen Ich als synthetische Einheit der Apperzeption ausdrücken soll, welcher Bestimmung jedoch Thesis und Antithesis methodisch vorausgegangen sein müssen, da erst die zu beziehenden Ich und Nicht-Ich als grundlegendes und im Bewußtsein zu vereinigendes Mannigfaltiges aufzustellen sind. Indem sich aber in der Reflexion auf die Vorgehensweise des Philosophen zeigt, daß die methodische Trennung von Antithesis und Synthesis allein auf seiner freien Abstraktionsleistung beruht, muß auch das reine Ich als zugleich entgegensetzend und verbindend, als antithetisch-synthetische Apperzeption bestimmt werden. Daß das Ich zugleich als Entgegensetzen und Beziehen tätig sein muß, hatte Fichte dabei ebenso schon bei der Explikation des zweiten Grundsatzes angedeutet, da ein Entgegensetzen ohne Einheit des Bewußtseins des setzenden und des entgegensetzenden Ich und die beziehende Abgrenzung vom Sich-Setzen des ersten Paragraphen

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

83

gar nicht als solches bestimmbar wäre. Diese Synthesis leistet jedoch gerade die im dritten Grundsatz ausgedrückte Handlung, indem sie Ich und Nicht-Ich auf eine solche Weise miteinander vereinigt, daß die Einheit und Identität des Ich und des durch es umgrenzten Bewußtseins angesichts der sich aus der Unendlichkeit von Ich und Nicht-Ich ergebenden Widersprüche bewahrt wird. Bei der Zusammenfassung der Ergebnisse, die sich aus dem Vergleich der ersten drei Paragraphen der Grundlage mit den Ausführungen Kants zur reinen Apperzeption in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft ergeben, müssen somit neben erheblichen Übereinstimmungen etwa in der Charakterisierung des Ich als rein, spontan oder ursprünglich auch grundsätzliche Unterschiede festgestellt werden. Diese betreffen natürlich einerseits die Tatsache, daß Fichte den von Kant angedeuteten Grundsatz der „notwendigen Einheit der Apperzeption" (Ä>FB135) aufgrund der Kritik Schulzes an Reinhold und Kant in mehrere Grundsätze aufspaltet und die darin enthaltene Strukturmannigfaltigkeit systematisch zu entwickeln sucht. Kant spricht in der Kritik der reinen Vernunft - wie gesehen - mehrmals von einem solchen obersten Grundsatz der Apperzeption, der die transzendentalphilosophische Feststellung beinhalten soll, daß das Mannigfaltige der Anschauung den in der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption gründenden logischen Urteilsfunktionen gemäß zu verbinden ist, wenn das Ich es sich als einem in der Vorstellungspluralität identischen zuschreiben können soll. Fichte sieht jedoch in der Mannigfaltigkeit der darin ausgedrückten Strukturmomente die Notwendigkeit, über einen solchen Grundsatz hinauszugehen und ihm grundlegendere vorauszuschicken. Deswegen konstatiert er, Kant habe durch Aufstellung des reinen Ich auf den obersten Grundsatz aller Philosophie nur „gedeutet", habe „ihn aber nie als Grundsaz bestimmt aufgestellt" (GA I, 2, 262; SWI, 99). Es ist allerdings zu berücksichtigen, daß das Programm der Entwicklung der gesamten Philosophie aus einem höchsten, absolut-unbedingten Grundsatz dem Kantischen nicht entspricht, sondern zunächst von Reinhold projektiert und dann von Fichte aufgrund der Kritik Schulzes im Aenesidemus verfeinert wurde. So kann Fichte von seinem Philosophieverständnis ausgehend sicherlich monieren, daß etwa eine in der Anschauung gegebene Mannigfaltigkeit nicht schlicht in einen obersten Grundsatz aufgenommen werden darf, die Notwendigkeit einer Pluralität von Vorstellungsgehalten vielmehr systematisch zu begründen ist. Für Kant ergibt sich diese Notwendigkeit jedoch sowohl aus den Argumentationen der transzendentalen Ästhetik als auch aus der in der Kritik der reinen Vernunft vertretenen Konzeption des Denkens. Dieser gemäß ist das Denken nämlich insofern auf ein gegebenes Mannigfaltiges angewiesen, als es dasselbe nicht aus sich selbst hervorzubringen, als diskursiv-endliches nicht selbst anzuschauen vermag. Das reine Denken schöpft zwar als Ursprung der reinen Begriffe einen gewissen Inhalt aus sich selbst; so heißt es im §3 der von Jäsche zusammengestellten Logik: „Ein reiner Begriff ist ein solcher, der nicht von der Erfahrung abgezo-

84

Die erste Version der Wissenschaftslehre

gen ist, sondern auch dem Inhalte nach aus dem Verstände entspringt" (AA IX, 92). Doch kann etwa der Begriff der Kausalität nie aus sich allein heraus Erkenntnis begründen, sondern ist hinsichtlich derselben immer auf ein passiv hingenommenes Mannigfaltiges angewiesen. Wie wenig der Kantische Grundsatz der Apperzeption mit dem Fichteschen Programm gemein hat, ergibt sich auch daraus, daß es für Kant neben diesem ebenso einen ,,oberste[n] Grundsatz der Möglichkeit aller Anschauung in Beziehung auf die Sinnlichkeit" (KrV B136) gibt, der die Notwendigkeit ausdrückt, daß das empirische Mannigfaltige der Sinnlichkeit gemäß den reinen Anschauungsformen des Raumes und der Zeit gegeben werden muß. Solche Grundsätze machen also nicht das oberste, absolut-unbedingte Deduktionsfiindament der gesamten Philosophie im Fichteschen Sinn aus, sondern fassen vielmehr das Resultat transzendentalphilosophischer Argumentation in einem bestimmten Bereich derselben zusammen, wie z.B. die Ergebnisse der transzendentalen Ästhetik oder der transzendentalen Analytik. Gleichwohl können sie in der Folge den Status eines Deduktionsprinzips erlangen; so heißt es etwa von den Prinzipien, denen gemäß das gegebene Mannigfaltige zur objektiven Einheit zu verbinden ist, also von den logischen Urteilsfunktionen, daß „sie alle aus dem Grundsatze der transzendentalen Einheit der Apperzeption abgeleitet sind" {KrV B142).136 Aus diesem Versuch Fichtes, über Kant hinausgehend die gesamte Wissenschaftslehre in drei höchsten Grundsätzen zu begründen, von denen der erste vollständig unbedingt und durch sich selbst evident ist, der zweite und der dritte aber nur der Form bzw. dem Gehalt nach unbedingt sein sollen131, ergeben sich nun zugleich inhaltliche Veränderungen, die unmittelbar mit dem Programm der Letztbegründung verknüpft sind. Zu diesen Veränderungen gehört z.B. die 136

137

Für solche Grundsätze kann allerdings kaum gelten, was im §34 der Jäsche-Logik gefordert wird: „Unmittelbar gewisse Urteile a priori können Grundsätze heißen, sofern andere Urteile aus ihnen erwiesen, sie selbst aber keinem anderen subordiniert werden können" (AA IX, 110). Die oben angeführten transzendentalphilosophischen Grundsätze können kaum als „unmittelbar gewiß" apostrophiert werden. Die zitierte Erklärung paßt vielmehr besser auf solche Grundsätze, wie sie sich aus der Anwendung der Urteilsfiinktionen auf die reine Anschauung der Zeit ergeben. So kann es z.B. als unmittelbar evidente Tatsache des Bewußtseins bezeichnet werden, daß alles, was geschieht, eine Ursache voraussetzt, auf die es nach einer Regel folgt. Dennoch bedarf ein solcher Grundsatz einer Rechtfertigung gegen mögliche skeptische Zweifel, die nach Kant nur auf transzendentalphilosophischem Wege gegeben werden kann. - Zum Problem des Textbestandes der Jäsche-Logik vgl. K.Reich: Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel. 3. Aufl. Hamburg 1986,2 Iff. Fichte faßt das Ergebnis der Erörterungen der ersten drei Paragraphen so zusammen: Jch setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen" (GA I, 2, 272; SWl, 110). Damit beansprucht er offenbar zugleich, den modifizierten Satz des Bewußtseins Reinholds in drei Momente gegliedert und damit begründet zu haben. In den Eignen Meditationen reproduziert er diesen zwar zunächst noch fast wörtlich: „Im Bewußtseyn wird die Vorstellung von S. u. O. unterschieden, u. auf beide bezogen" (GA II, 3, 49). Doch schon im weiteren Verlauf formuliert er ihn der Grundlage entsprechend um: „Der Saz des Bewußtseyns ist: Ich verknüpfe mit meinem Ich ein Nicht Ich" (GA II, 3, 139).

Die transzendentale Apperzeption in den drei Grundsätzen

85

schon mehrmals namhaft gemachte vorläufige Reduzierung des Bedeutungsgehalts des Gegenstandes auf das bloße, dem Ich kontradiktorisch entgegengesetzte Nicht-Ich. Aus der damit einhergehenden Unbestimmtheit seiner inneren Struktur folgt aber, daß auch die Synthesis in ihrer grundsätzlichen Funktion nicht die Verknüpfung eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen darstellen kann, sondern lediglich die widerspruchsfreie Zusammenfügung von Ich und Nicht-Ich im Bewußtsein. Solche inhaltlichen Modifikationen gehören also in den Zusammenhang des durch Reinhold angeregten Fichteschen Ideals der Philosophie als Wissenschaft, das für jede zusätzliche Bestimmung des Gegenstands der Philosophie einen eigenen Ableitungsschritt erfordert. Davon abgehoben ließen sich aber auch solche Unterschiede in der Bestimmung und Begründung der Strukturmannigfaltigkeit des Ich aufzeigen, die zwar durchaus in den Versuch einer voraussetzungslosen Fundierang der Wissenschaftslehre passen, aber auch unabhängig davon argumentativ begründbar sind. So konstituiert sich - wie gesehen - das Ich nach Kant im wesentlichen aus den Momenten der spontanen Synthesishandlung, der darin begründeten Identität des Ich und des selbstbewußten Wissens um diese durchgängige Identität. Daß Fichte nun die Identität des Ich in der Dimension unendlicher, in sich zurückgehender Tätigkeit zur Voraussetzung jeder Synthesis erklärt, ist zwar auch darin begründet, daß aufgrund der von Fichte anerkannten Kritik Schulzes an Reinhold die Momente des Unterscheidens und des Beziehens nicht einfach in einen obersten Grundsatz aufgenommen werden dürfen; davon unabhängig läßt sich die Umkehrung der logischen Folge von Synthesis und identischem Selbstbezug aber auch aus immanenten Problemen der diesbezüglichen Theorie Kants im § 16 der Kritik der reinen Vernunft rechtfertigen. Daß in der Begründung des Ich als synthetische Apperzeption dieselbe dann in Struktureinheit als antithetischsynthetisch zu bestimmen ist, ergibt sich bei Fichte daraus, daß keine Verbindung ohne damit verknüpfte Entgegensetzung möglich ist. Ein Moment der Kantischen reinen Apperzeption ist jedoch in den drei Grundsätzen der Grundlage überhaupt noch nicht explizit zum Gegenstand gemacht worden, nämlich das des Selbstbewußtseins. So hatte sich bei der Interpretation des ersten Paragraphen gezeigt, daß nach Fichte Selbstbewußtsein kein Bestimmungsmoment des Inhaltes eines obersten Grundsatzes sein kann, da es ein sich von sich Unterscheiden und sich mit sich Identifizieren impliziert. Von ihm mußte daher in der reinen Identität des in sich zurückgehenden, spontanen Handelns des Ich abstrahiert werden. Mit den Grundsätzen zwei und drei sind jedoch die grundsätzlichen Bedingungen für Selbstbewußtsein gegeben. So steht einerseits dem Ich ein Nicht-Ich entgegen, von dem es sich selbst abgrenzen kann; andererseits sind die notwendig vorauszusetzenden Handlungen des Entgegensetzens und Beziehens abgeleitet. Gleichwohl deutet Fichte in den Ausführungen zum dritten Grundsatz ein bestimmtes Selbstverhältnis des Ich nur an. Als Resultat aus der Teilbarsetzung von Ich und Nicht-Ich soll sich

86

Die erste Version der Wissenschaftslehre

nämlich ergeben, daß das Ich sowohl sich selbst gleich als auch sich selbst entgegengesetzt ist. Sich selbst gleich ist es aber nach Fichte, insofern die im Bewußtsein auftretenden Widersprüche durch die Synthesishandlung gehoben werden und das Ich somit im einheitlichen und widerspruchsfreien Bewußtsein gesetzt ist. Daß das Ich sich selbst entgegengesetzt ist, soll sich hingegen aus einer Doppelung des Ich im einheitlichen Bewußtsein ergeben, der gemäß das Subjekt einerseits als absolutes, unteilbares Ich fortbesteht, andererseits als teilbares dem Nicht-Ich entgegengesetzt ist: „Mithin ist das Ich, in sofern ihm ein Nicht-Ich entgegengesezt wird, selbst entgegengesezt dem absoluten Ich" (GA I, 2, 271; SW 1,110). Sollen diese beiden Instanzen des Ich aber im einheitlichen Bewußtsein begriffen sein, so müssen sie sich offenbar aufeinander beziehen lassen. Dementsprechend formuliert Fichte, sowohl Ich als auch NichtIch seien beide „gesezt durch das Ich, als absolutes unbeschränkbares Subjekt" (GA I, 2, 279; SW I, 119).138 Ist mit „Setzen" aber eine aktive Bezugnahme auf etwas gemeint, so gelangt das Ich durch dieses Setzen seiner selbst als endliches offenbar in ein spezifisches Selbstverhältnis, das aufgrund der abgeleiteten Handlungen des Entgegensetzens und Beziehens als Selbstbewußtsein bestimmt werden kann. Diese konkrete Selbstbeziehung untersucht Fichte jedoch erst im Rahmen der Erörterungen des Substantialitätsverhältnisses.

2 Die Bestimmung der Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis Wie gesehen bleibt bei der Erörterung des dritten Grundsatzes das Selbstverhältnis des Ich unbestimmt, obwohl mit der Entgegensetzung und Beziehung von Ich und Nicht-Ich offenbar die strukturellen Möglichkeiten für Selbstbewußtsein gegeben sind, insofern Selbstbewußtsein grundlegend die Abhebung vom Gegenstandsbewußtsein sowie die Unterscheidung des Ich von sich und seine Identifizierung mit sich voraussetzt. Mit diesen basalen strukturellen Bestimmungen ist jedoch weder entschieden wie die Relata des Selbstverhältnisses zu charakterisieren sind noch wie die Beziehungsweise gedacht werden muß. Eine solche konkrete Selbstbeziehungsweise des Ich expliziert Fichte jedoch im Zusammenhang der ausfuhrlichen Synthesen bezüglich der Substanz-AkzidensRelation. Diesen Erörterungen geht allerdings die Ableitung zweier weiterer Relationskategorien voraus, die sich jedoch - anders als das Substantialitätsverhältnis - als begriffliche Bestimmungen der Beziehung von Ich und Nicht-Ich erweisen, weshalb sie keine Erträge im Hinblick auf die internen Strukturbestimmungen der Apperzeption mit sich bringen. Sowohl diese Deduktionen von 138

Die Aussage, dem absoluten Subjekt sei „nichts gleich, [...] und nichts entgegengesezt" (GA I, 2, 279; SWI, 119), kann in dieser Allgemeinheit nicht stimmen. Gemeint ist wohl, daß dem unendlichen Ich kein Nicht-Ich auf gleicher Ebene entgegengesetzt ist. Dennoch ist es den im Bewußtsein vereinigten Ich und Nicht-Ich entgegengesetzt und auf beide bezogen.

Die Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis

87

Wechselbestimmung und Wirksamkeit als auch die darin zum Tragen kommende allgemeine methodische Vorgehensweise sollen daher hier nur insoweit in aller Kürze skizziert werden, als es zur Einordnung des Selbstverhältnisses der Substantiality in den Gesamtzusammenhang der Grundlage erforderlich ist.139 Nach Fichte lassen sich aus dem Ergebnis der drei obersten Grundsätze, nach dem das Ich im Ich ein teilbares Nicht-Ich einem teilbaren Ich entgegensetzt, zwei Sätze analytisch extrahieren. Insofern im Bewußtsein das teilbare Ich und das teilbare Nicht-Ich sich gegenseitig beschränken und solche Limitation durch das Ich und für das Ich gesetzt wird, ergeben sich die beiden Sätze: „Das Ich sezt das Nicht-Ich, als beschränkt durch das Ich" (GA I, 2, 285; SIVI, 125) und „Das Ich sezt sich selbst, als beschränkt durch das Nicht-Ich" (GA I, 2, 285;

SWI, 126). Während der erste von diesen beiden den Deduktionen der „Grundlage der Wissenschaft des Praktischen" zugrundezulegen ist, fungiert der zweite als „Hauptsatz" der „Grundlage des theoretischen Wissens". Dabei sollen in ihm nach Fichte Gegensätze liegen, die zu synthetisieren sind, da er ansonsten in sich widersprüchlich bliebe und somit mittelbar die Einheit und Identität des Bewußtseins verloren ginge, die im ersten Paragraphen als notwendiges Fundament der gesamten Wissenschaftslehre begründet und durch die Synthesis des dritten Paragraphen nur in allgemeinster Weise sichergestellt wird. Entsprechend den Ausführungen Fichtes hegt nun der zunächst zu lösende Widersprach des Hauptsatzes der theoretischen Wissenschaftslehre darin, daß durch ihn einerseits eine tätige Bestimmung des Ich durch das Nicht-Ich und sofern das Ich sich selbst setzt - eine aktive Bestimmung des Ich durch sich selbst behauptet wird. Dieser Gegensatz, dem gemäß das Ich sowohl leidend als auch tätig sein soll, wird in der Grundlage durch die Relation der Wechselbestimmung gelöst. Demnach setzt das Ich soviel Realität in das Nicht-Ich wie es Leiden in sich setzt und soviel Leiden in das Nicht-Ich wie es Realität in sich setzt und umgekehrt. In den beiden einander entgegengesetzten Sätzen, die zusammen den durch die Wechselbestimmung zu vermittelnden Gegensatz aufstellen, sollen nun aber erneut je für sich Widersprüche enthalten sein, die 139

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Methode der Grundlage findet sich u. S. 124ft". Von den mittlerweile zahlreich vorhandenen ausfuhrlichen Besprechungen der Ableitung der Relationskategorien, die sich auch mit der Wechselbestimmung und der Wirksamkeit auseinandersetzen, sei hier auf folgende Darstellungen verwiesen: W.Ripke: Über die Beziehung der Fichteschen Kategorienlehre zur Kantisehen. Heidelberg 1913, 55fl"; M.Gueroult: L 'évolution et la structure de la doctrine de la science chez Fichte. Bd 1. Paris 1930, 217ft; F.Duyckaerts: L imagination productrice dans la logique transcendantale de Fichte. In: Revue Philosophique de Louvain 50 (1952), 233ff; W.Janke: Fichte. Sein und Reflexion - Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, 122ft; W.Metz: Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 248ft"; M.Franken: Transzendentale Theorie der Einheit und systematische Universalontologie. Studien zur Kategorienlehre Kants und Fichtes. Fichte-Studien. Supplementa 2. Amsterdam/Atlanta 1993, 156ff; J.Brachtendorf: Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812. Paderborn/München/Wien/Zürich 1995, 158ff.

88

Die erste Version der Wissenschaftslehre

spezifischere synthetische Handlungen des Ich erfordern, deren begriffliche Bestimmung weitere Relationskategorien ergibt. Gemäß dem einen Satz: Das Nicht-Ich bestimmt das Ich, muß dem Nicht-Ich Realität zukommen, was sich aber mit dem obersten Grundsatz der Grundlage nicht vereinbaren läßt, da nach ihm alle Realität in das Ich gesetzt wird. Dieser Widerspruch wird durch das Verhältnis der Kausalität oder Wirksamkeit beseitigt, dem entsprechend das Nicht-Ich nur Realität hat, insofern das Ich in sich ein Leiden setzt und die in sich aufgehobene Tätigkeit auf das Nicht-Ich überträgt. Der im Zusammenhang dieser Untersuchungen entscheidende, die innere Struktur des Ich als Selbstbewußtsein betreffende Widerspruch ergibt sich jedoch aus dem zweiten Satz, der eine Selbstbestimmung des Ich formuliert. Die notwendige Auflösung dieses Widerspruchs stellt zugleich die Ableitung des Substantialitätsverhältnisses dar, das insofern eine konkrete Selbstbeziehungsweise des Ich enthält, als vor der Abstraktion von allem Inhalt, die die Aufstellung reiner kategorialer Gedankenbestimmungen bezweckt, sowohl die Substanz als auch das Akzidens unterschiedene, aber aufeinander bezogene Momente desselben Ich bedeuten.140

2.1 Die Relation der Substantialität als konkrete Selbstbeziehungsweise des Ich Deqenige Widerspruch, der das gegenüber der Wechselbestimmung bestimmtere Verhältnis der Substantialität notwendig machen soll, ergibt sich nach Fichte aus einer Analyse des zweiten im Hauptsatz der theoretischen Wissenschaftslehre enthaltenen Satzes: „Das Ich setzt bzw. bestimmt sich". Er behauptet nämlich einerseits eine Aktivität des Ich, insofern es als Bestimmendes charakterisiert wird: „es ist das bestimmende, und demnach thätig" (GA I, 2, 295; SWI, 137). Andererseits qualifiziert er das Ich als leidend, da es im Setzen bzw. Bestimmen sich bestimmt. Denn nach Fichte zeigt Bestimmtheit „seiner innern Bedeutung nach immer ein Leiden, einen Abbruch der Realität an" (GA I, 2, 195; SW I, 137). Damit rekurriert er offenbar auf den Satz: omnis determinatio est negatio, den er schon in der Grundlage öfter heranzieht und den er in der Wissenschaftslehre nova methodo zum universalen methodischen Prinzip erhebt. So formuliert er gemäß der Halleschen Nachschrift: „Nun aber können wir wegen unserer Eingeschränktheit nichts klar und deutlich denken, ohne das Gegentheil mit zu denken, ohne das Gegentheil zu NEGIREN, indem wir zugleich dabey denken, das ist und soll es nicht seyn" (GA IV, 2, 34).141 Die Bestimmung 140

141

Zum Verfahren der Abstraktion zwecks Gewinnung der Kategorien bei Fichte im Verhältnis zum Kantischen Ansatz einer metaphysischen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe vgl. u. S.141ff. Vgl. ebenso Κ 32, 36; GA II, 3, 302; GA IV, 1, 214 sowie GA I, 4, 279 (SW I, 532): „Alle Bestimmung, was es nur sey, das bestimmt werde, geschieht durch Gegensatz." - Aus diesem Prinzip und der darin implizierten „Bestimmtheit, Endlichkeit, Begrenztheit des Ich", für das dieses

Die Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis

89

von etwas in dem, was es ist, erfordert also zugleich, daß es von dem abgehoben wird, was es nicht ist. Wird aber von dem zu Bestimmenden etwas negiert, so wird ihm ein Sachgehalt abgesprochen. An einem einfachen Beispiel dargestellt heißt das. Aus der Prädikation einer Eigenschaft, z.B. der des Rotseins, von einem Gegenstand - wobei zunächst unausgemacht bleiben kann, ob er wirklich oder nur möglicherweise oder gar notwendig rot ist - folgt zugleich die Negation der grünen, blauen, braunen Farbe usw. Wie vor allem aus der Explikation des Substantialitätsverhältnisses hervorgeht, identifiziert Fichte nun aber Realität und Tätigkeit miteinander 142 , so daß man allem, dem ein bestimmter Sachgehalt zugesprochen werden soll, zugleich in irgendeiner Form Tätigkeit beigelegen muß, vermöge welcher etwas diese speziellen Eigenschaften hat. Daher impliziert Bestimmung als Negation eines Sachgehaltes ebenso einen Mangel an Tätigkeit. 143 So heißt es auch im dritten Paragraphen der Grundlage bezüglich der Teilbarkeit des Ich und des Nicht-Ich: „Erst jezt, vermittelst des aufgestellten Begriffes kann man von beiden sagen: sie sind etwas" (GA I, 2, 271; SWI, 109). Denn erst durch die aufgestellte quantitative Synthesis ist ein Vergleich von Ich und Nicht-Ich möglich, so daß man von beiden wechselseitig sagen kann, sie seien das, was das jeweils Entgegengesetzte nicht ist. Somit ergibt sich, daß in dem Satz: Das Ich bestimmt sich, das Ich zugleich als tätig und als leidend charakterisiert wird, nämlich insofern es sowohl bestimmend als auch bestimmt ist. Fichte löst diesen Widerspruch, indem er Leiden und Tätigkeit in einer synthetischen Handlung des Ich vereinigt, so daß durch eine Tätigkeit des Selbst sein Leiden bestimmt wird. Dies gelingt ihm durch eine Analyse der Bedeutung des Leidens, die oben bereits angedeutet wurde. Leiden ist nämlich nach Fichte dem Handeln gar nicht qualitativ, sondern lediglich quantitativ entgegenge-

142 m

Gesetz gilt, „folgt" allerdings keineswegs das Entgegensetzen, wie D.Schäfer (Die Rolle der Einbildungskraft in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Köln 1967, 35) meint. Denn das Ich des ersten Grundsatzes ist gerade nicht als endliche Bestimmtheit, sondern als unendliches SichSetzen zu charakterisieren. Diesen Gedankengang verfolgt Fichte hingegen in der Wissenschaftslehre nova methodo, nach der das bestimmte Sich-Setzen auf das diesem entgegengesetzte Sich-nicht-Setzen verweist, ohne welches das erstere in seiner ihm eigenen Bedeutung nicht verstanden werden kann. Vgl. £ 3 5 f f ; GA IV, 2, 33ff. Vgl. GA 1,2, 296 (SWI, 138). Diese notwendige Verknüpfung von Realität als Sachgehalt und Tätigkeit läßt sich im Bereich des Nicht-Ich dadurch verdeutlichen, daß das Ich, wenn sich ihm etwas z.B. als rot zu erkennen gibt, dem Nicht-Ich zugleich eine Tätigkeit zuschreiben muß, vermittels derer es auf das Ich einwirkt, und zwar auf eine solche Art, daß es die Empfindung der Röte hervorbringt. Damit ist jedoch nicht eine vom Ich unabhängige Tätigkeit eines Dinges an sich impliziert, was nach Fichte einen dogmatischen Realismus zur Folge haben würde; solche Tätigkeit des Nicht-Ich ist vielmehr wesentlich eine durch das Ich auf es übertragene. Was auf der anderen Seite das Ich betrifft, so stellt es gerade ein Ergebnis der Explikation des Substantialitätsverhältnisses dar, daß es nur dann denkend, vorstellend etc. ist, wenn es sich tätig zu diesen speziellen Weisen des Setzens bestimmt.

90

Die erste Version der Wissenschaftslehre

setzt.144 Es ist somit keineswegs schlicht als Nicht-Tätigkeit zu bestimmen, sondern vielmehr als verminderte Tätigkeit, die in ihrer inneren Bedeutung Tätigkeit bleibt. Daher ist nach Fichte Leiden „durch Quantität beziehbar auf Thätigkeit", insofern es sich um „ein Quantum Thätigkeit" (GA I, 2, 297; SWI, 139) handelt. Zwecks Bestimmung eines verminderten Quantums als solches bedarf es nach Fichte aber eines Maßstabes, an den gehalten es sich in seiner Zu- und Abnahme, in seiner Fülle und in seinem Mangel offenbart. Da es sich jedoch speziell um Aktivität handelt, die zu messen ist, muß auch der Maßstab den Charakter der Tätigkeit haben, damit überhaupt ein Beziehungsgrund zwischen Maßstab und zu Messendem vorhanden ist. Einen solchen Maßstab findet Fichte nun im absoluten Ich des ersten Paragraphen der Grundlage, das - wie die Erläuterungen des dritten Grundsatzes andeuten - in der Teilbarsetzung von Ich und Nicht-Ich nicht verlorengegangen sein soll, sondern als setzendes beiden entgegengesetzt bleibt. Das absolute Ich kann jedoch offenbar nur dann Maßstab einer verminderten Tätigkeit sein, wenn es in sich selbst quantitativ bestimmt ist. Wird nun im dritten Paragraphen im Rahmen der Einschränkung von Ich und Nicht-Ich die „Quantität überhaupt" (GA I, 2, 282; SWI, 123) abgeleitet, ohne daß Fichte diejenige von Ich und Nicht-Ich in eine bestimmte Relation setzt, so läßt sich von dort aus auch die Tätigkeit des absoluten Ich quantitativ als „absolute Totalität der Realität

(GA I, 2, 296; SW I, 137) fassen,

wobei diese Charakterisierung in der Folge in einer Weise konkretisiert wird, daß sie mit der göttlichen omnitudo realitatis nicht zusammenfällt. Das absolute Ich als absolute Totalität der Tätigkeit ist also derjenige Maßstab, an den gehalten sich die Verminderung der Realität auf ein geringeres Quantum erfassen lassen soll. Damit sind für Fichte grundsätzlich Gegensatz und Vereinigung von Substanz und Akzidens abgeleitet. Denn das Ich als absolute Totalität ist für ihn Substanz und sogar die einzige ursprüngliche Substanz, die es gibt, was Jacobi zur Einschätzung der Wissenschaftslehre als umgekehrten Spinozismus veranlaßt hat. Doch vertritt Fichte in der Grundlage einen im Verhältnis zur Tradition und auch zu Kant wesentlich veränderten SubstanzBegriff. Für Kant ist die Substanz das Zugrundeliegende im Wechsel der Akzidentien, das zum in der Zeit Beharrlichen schematisiert wird und deswegen in der Erfahrung vorkommen muß, da nur im Bezug auf ein solches Beharrliches die wechselnden Erscheinungen in ihren Zeitverhältnissen zueinander, in ihrem Nacheinander- oder Zugleichsein bestimmt werden können. Dasjenige wahrnehmbare Reale in der Zeit, das aufgrund seiner Beharrlichkeit kategorial als Substanz zu charakterisieren ist, bezeichnet Kant daher als „Substratum der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andere 144

An anderer Stelle betrachtet Fichte Tätigkeit und Leiden allerdings auch als einander qualitativ entgegengesetzt (vgl. GA I, 2, 309; SW I, 154). Dann handelt es sich bei ihnen offenbar nicht mehr um verschiedene Aspekte derselben beschränkten Aktivität, sondern um einander ausschließende Gegensätze.

Die Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis

91

wechselt" (.KrV B184). 145 Gemäß der „Widerlegung des Idealismus" in der Auflage Β ist sogar die Bestimmung von Zeitverhältnissen unter den Vorstellungen im inneren Sinn und somit die zeitliche Bestimmimg des Daseins des Ich, d.h. die empirische Selbsterkenntnis nur aufgrund eines solchen in der äußeren Anschauung vorfindlichen Beharrlichen möglich, da im inneren Sinn lediglich im ständigen Fluß wechselnde Vorstellungen angetroffen werden. Aus der Kombination der Beharrlichkeit mit den Bestimmungen des Nacheinander und der Quantität ergibt sich nun für Kant offenbar die Dauer, insofern Dauer ein zeitlich bestimmtes Quantum der Beharrlichkeit im Wechsel der Erscheinungen bedeutet; im Gegensatz zu den nur über gewisse Zeitstrecken dauernden Eigenschaften der Dinge müßte dementsprechend die Substanz als das unbegrenzt Dauernde qualifiziert werden. Fichte beschränkt sich in der Grundlage diesbezüglich auf die Bemerkung: „Das Merkmal des daurenden kommt der Substanz nur in einer sehr abgeleiteten Bedeutung zu" (GA I, 2, 341; SWI, 194). Kant fügt jedoch in Übereinstimmung mit dieser Charakterisierung der Substanz als das Beharrliche in der Zeit in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft hinzu, sie werde „in der Natur weder vermehrt noch vermindert (KrV B224), wobei er wohl speziell die Materie vor Augen hat. 146 - Hingegen bestreitet Kant die Erkennbarkeit des Ich als Substanz im Rahmen einer rationalen Psychologie, die gemäß seiner kritischen Darstellung von einer unbestimmten Wahrnehmung der Existenz des Ich im: Ich denke ausgeht und vermittels der logischen Urteilsfunktionen ohne Heranziehung weiterer empirischer Wahrnehmungen einen Erkenntnisgewinn bezüglich der Beschaffenheiten des Ich erzielen will. Derjenige Syllogismus, der eine solche Existenz des Ich als Substanz erschließen soll, ist dabei insofern ein Paralogismus, als er davon, daß das Ich als Subjekt seiner Gedanken gedacht werden muß, auf die Erkennbarkeit desselben als Substanz schließt, so daß „ich, als ein denkend Wesen, für mich selbst fortdaure, natürlicherweise weder entstehe noch vergehe" (KrV A349). Ein solcher auf die Unsterblichkeit der Seele zielender Schluß ist jedoch nach

145

146

Vgl. auch KrV B226: „mithin ist dieses Beharrliche an den Erscheinungen das Substratum aller Zeitbestimmung, folglich auch die Bedingung der Möglichkeit aller synthetischen Einheit der Wahrnehmungen, d.i. der Erfahrung." - Die Substanz macht in ihrer Unwandelbarkeit somit die grundlegende Bestimmung der Zeit selbst vorstellig, deren Beharrlichkeit ihren Modi des Nacheinander- und des Zugleichseins zugrundezulegen ist. Diese reinen Modi entstehen aus der Anwendung der Kategorien der Relation auf das Mannigfaltige der Zeit selbst, wobei sie in formaler Anschauung eigens thematisch vorstellbar sind. Man muß sie allerdings von den Schemata unterscheiden, die nicht die Zeit selbst, sondern das Reale in der Zeit betreffen. Zu diesen reinen Modi der Zeit, zu denen sich bei Fichte kein Pendant findet, sowie zur Dauer vgl. K.Düsing: Objektive und subjektive Zeit. Untersuchungen zu Kants Zeittheorie und zu ihrer modernen kritischen Rezeption. In: Kant-Studien 71 (1980), bes. 5ff. Vgl. K r l ' B228. 655. Vgl. zu Kants Bestimmung der Substanz in bezug auf die Erhaltungssätze in der modernen Physik C.F. von Weizsäcker: Kants „Erste Analogie der Erfahrung" und die Erhaltungssätze der Physik. In: Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln. Hrsg. von G.Prauss. Gütersloh 1973, 151-163.

92

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Kant deswegen nicht möglich, weil zur Bestimmung des Ich als beharrliche Substanz ein mannigfaltiger Wahrnehmungsgehalt in der Anschauung desselben gegeben sein müßte, auf den die Psychologie als rationale Seelenlehre aber gerade verzichtet, so daß sie nur aufgrund eines Fehlschlusses „das beständige logische Subjekt des Denkens, für die Erkenntnis des realen Subjekts der Inhärenz ausgibt" (&FA350). 147 Fichte macht nun - wie gesagt - den Substanzbegriff für die Bestimmung des konkreten Selbstverhältnisses des Ich fruchtbar, indem er ihm als absolute Totalität der Realität bzw. der Tätigkeit eine vollständig andere Bedeutung beilegt. Was unter einer solchen absoluten Totalität als Substanz genauer zu verstehen ist und wie sie von der unendlichen Tätigkeit des Ich des ersten Paragraphen der Grundlage zu unterscheiden ist, ergibt sich dabei aus der Beziehung der Substanz zu ihren Akzidentien. Die Akzidentien des Ich bestehen nämlich nach Fichte in einem auf eine jeweils bestimmte Weise begrenzten Quantum Tätigkeit, welche bestimmte Begrenzung sich durch die Spezifikation des Vollzuges des Ich bekundet. Fichte bezeichnet im ersten Paragraphen die ursprüngliche Tätigkeit des Ich als Setzen, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß eine unspezifische Handlungsweise gemeint ist, die aller genaueren Charakterisierung als Denken, Empfinden, Begehren etc. vorausliegt. Genau in einer solchen Spezifikation der Tätigkeit des Ich besteht nun aber ihre Beschränkung, wodurch sie zu einem von der absoluten Totalität der Realität getrennten Akzidens wird. So bezeichnet für Fichte „iedes mögliche Prädikat des Ich [...] eine Einschränkung desselben" (GA I, 2, 298; SfVl, 140). Während das ursprüngliche Ich in seinem Sich-Setzen als reine, in sich zurückgehende, unendliche Tätigkeit charakterisiert wird, kommt ihm also etwa als Denken, Anschauen oder Phantasieren, die seine ihm zuschreibbaren Eigenschaften ausmachen, nur noch eine bestimmte und damit begrenzte Form der Tätigkeit zu. Auch das: Ich denke Kants bringt somit nach Fichte bereits eine Einschränkimg des Ich im Verhältnis zu seinem ursprünglichen Sich-Setzen zum Ausdruck. Mit diesen Überlegungen verändert sich aber zugleich die Bedeutung der absoluten Totalität; sie wird nicht mehr als reine, unterschiedslose Identität des Sich-Setzens aufgefaßt, sondern als in sich gegliederte und strukturierte Substanz, die in sich die mannigfaltigen besonderen Möglichkeiten des Selbst begreift. Die absolute Totalität wird daher nach Fichte erst in der Beziehung auf ihre Akzidentien als Substanz charakterisierbar, „denn erst durch das Setzen möglicher Sphären in den absoluten Umkreis wird das Ich Substanz; erst durch mögliche Accidenzen entstehen Realitäten-, da außerdem alle Realität schlechthin Eins seyn würde" (GA I, 2, 299; SWI, 142). Das Verhältnis von Substanz und Akzidens ist also dadurch ausgezeichnet, daß jene die mannigfaltigen Möglichkeiten des Ich, seine durch es vollziehbaren 147

Vgl. zum „Paralogismus der Substantialität" auch die wesentlich kürzere Fassung der zweiten Auflage: KrVB407.

Die Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis

93

Handlungsweisen umfaßt, wohingegen die Akzidentien in den jeweils tatsächlich vollzogenen modi cogitandi bestehen.148 Die Substanz ist daher für Fichte grundlegend auch weder das dem Wechsel Zugrundeliegende noch das unbegrenzt Dauernde und Beharrende, sondern das „allumfassende" (GA I, 2, 341; SWl, 194).149 Wie die absolute Totalität nur in Beziehung auf die Akzidentien als in sich gegliederte Substanz bestimmbar ist, so kann umgekehrt - wie gesehen - auch das verminderte Quantum Tätigkeit nur durch Vergleichung mit der Substanz als Akzidens erkannt werden, da es des Unendlichen als Maßstab zur Abschätzung seines Mangels bedarf. Daher sind Substanz und Akzidens einerseits notwendig wechselseitig aufeinander bezogen, wobei der „Beziehungsgrund" nach Fichte in dem Begriff der Teilbarkeit hegt, insofern die in den Akzidentien vorhandenen Teile der Tätigkeit des Ich mit der absoluten Totalität verglichen werden sollen. Andererseits ist das Akzidens der Substanz natürlich auch entgegengesetzt, insofern es als begrenztes Quantum, als Nicht-Totalität zu bestimmen ist. Der ,,Unterscheidungsgrund'' besteht somit nach Fichte in der Grenze der verminderten Tätigkeit. Aber nur in der Zusammenfassung beider Beziehungen der Relata ist für Fichte die allgemeine Struktur jeder Synthesis erfüllt, die gemäß dem zweiten und dritten Grundsatz nur in der Einheit mit einer Antithesis vollzogen werden kann: Die Grenze, die das Akzidens von der Substanz unterscheidet, „ist im Umfange; daher ist das Accidens in, und an der Substanz: sie schließt etwas vom ganzen Umfange aus; daher ist das Accidens nicht Substanz" (GA I, 2, 299; SWl, 142). Mit einem anderen Verhältnis von Substanz und Akzidens experimentiert Fichte in den Eignen Meditationen. Dementsprechend ist die Substanz, das Ich (=A) im Hinblick auf die Quantität variabel, das Akzidens, das konkret als Vorstellung (=C) bestimmt wird, in seinem Realitätsgehalt hingegen konstant: „Die Realität in A ist nicht immer gleich: die in C. soll immer gleich seyn" (GA II, 3, 57). Solche Veränderlichkeit in der Realität des Ich versucht Fichte anhand konkreter Beispiele aufzuzeigen: So bin ich mir z.B. bei der Erinnerung an eine gehabte Empfindung dunkler gegenwärtig als zum Zeitpunkt der Empfindung selbst. Derartige Unterschiede in der Intensität der Vorstellung des Selbst sollen zum Beweis einer veränderten Quantität der Realität des Ich dienen. Gleichwohl muß - der Konzeption der Eignen Meditationen gemäß - dem Ich, soll es sinn148

145

Fichte zählt auch das Streben als Beispiel einer verwirklichten, aber eingeschränkten Handlungsweise des Ich auf. Daran zeigt sich, daß das Substantialitätsverhältnis, obwohl es im Rahmen der Grundlegung der theoretischen Wissenschaftslehre abgeleitet wird, durchaus auch darüber hinaus im praktischen Bereich Bedeutung besitzt, indem in den Umfang der Substanz ebenso praktische Vollzugsweisen des Ich wie Streben, Wollen, Sehnen etc. einbezogen werden können. Vgl. auch GA 1,2, 347 (SWl, 201). Ebenso GA I, 3, 111 (SW VIII, 320): „Ich erkläre den Begriff der Substanz transscendentell nicht durch das Dauernde, sondern durch synthetische Vereinigung aller Accidenzen".

94

Die erste Version der Wissenschaftslehre

voll als Substanz charakterisierbar sein, in irgendeiner Weise Beständigkeit, Stetigkeit zugesprochen werden können. Fichte versucht dieses Problem auf folgende Weise zu lösen: Da durch die Vorstellung eine Vereinigung von Ich und Nicht-Ich zustande kommen soll, muß sie in einer Rücksicht mit ersterem identisch sein. Dies ist sie nach Fichte, indem sie Realität enthält; sie ist „ichlich" (GA II, 3, 68), wie er sich etwas später ausdrückt. Dem Ich entgegengesetzt ist sie hingegen, insofern sie immer ein geringeres Maß Realität besitzt. Sonach hängt bei konstantem Quantum der Realität in der Vorstellung die Identität von Vorstellung und Ich von der Realität des letzteren ab: Je mehr Realität das Ich besitzt, desto weniger identisch sind beide und umgekehrt. Die Rede von der Vorstellung als Akzidens ist somit nach dieser Konzeption durch die Veränderlichkeit ihrer Beziehung zum Ich gerechtfertigt, diejenige vom Ich als Substanz hingegen aufgrund seiner dauernden Qualität der Realität: „C ist also in Beziehung auf A, in seiner Identität mit A. [...] veränderlich. [...] A. aber fur C. dauernd; denn es ist bei A nicht vom Maaße, sondern von der Realität die Rede" (GA II, 3, 57). Schon im weiteren Verlauf der Eignen Meditationen verändert Fichte jedoch diese etwas gezwungen wirkenden Bestimmungen150, indem er das Quantum der Realität in der Vorstellung als veränderlich qualifiziert: „Das also, worauf C. bezogen wird ist daurend A. - das aber worauf A in C. bezogen wird, veränderlich, einer verschiednen Quantität fähig" (GA II, 3, 60). In diesem Zusammenhang entwickelt er erstmals die unendliche und unbegrenzte Realität des Ich: „Das Ich ist unbegrenzbar" (GA II, 3, 68).151 Wie in der besprochenen Konzeption des Substantialitätsverhältnisses als konkrete Selbstbeziehungsweise in der Grundlage wird dann auch in den Eignen Meditationen Substantialität als Relation eines unendlichen zu einem in der Vorstellung begrenzten Ich verstanden, wobei Fichte nach mehreren Ansätzen zu dem Ergebnis kommt, daß sich die Quantität des Selbst in der Vorstellung nur durch Beziehung auf und im Vergleich mit der unendlichen Realität im unbegrenzten Ich abschätzen läßt.152 150

151

152

Den Punkt, an dem Fichte die Bestimmungen des Substantialitätsverhältnisses ändert, macht er selbst in einem Zusatz deutlich; vgl. GA II, 3, 60: „Der Beweiß muste nur umgeworfen werden." Vgl. ebenso GA II, 3, 64f und andeutungsweise schon a.a.O. 56, 62 sowie 55: „Ich entgegengesezt dem Nicht-Ich ist bloße Realität - u. das ist das Ich des §. 1." Vgl. GA II, 3, 67: „Dieses C. also hat einen Theil Realität; dieser läßt sich nur schätzen in Beziehung auf das unveränderliche A." Demgegenüber hatte Fichte in vorausgegangenen Überlegungen noch konstatiert, die Realität der Vorstellung (=AX) könne nicht bestimmt werden durch „Beziehung auf das absolute A / denn in diesem ist das A. unbedingt durch 's Maas unmeßbar"\ daraus zog er den Schluß, daß solche Bestimmung sich aus der Beziehung auf das Nicht-Ich (=A) ergeben muß: „Das Meßen des Ax in C. ist dem nach nur möglich durch s Maas des -A" (GA II, 3, 62). - Zum Begriff der Substanz in den Eignen Meditationen vgl. auch die Andeutungen von K.Hammacher (Kategorien der Existenz in Fichtes „Eignen Meditationen über Elementarphilosophie". In: Kategorien der Existenz. Festschrift für Wolfgang Janke. Hrsg. von K.Held und J.Hennigfeld. Würzburg 1993, 91f), der in diesem Aufsatz eine „existentialanalytische" (90) Aufschlüsselung der Fichteschen Begriffe versucht.

Die Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis

95

Der in der Grundlage aus dem Satz: „Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich" entwickelte Widerspruch, der die in der Substanz-AkzidensRelation aufgestellte Synthesis erforderlich machte, bestand nun jedoch darin, daß in dem Satz: Das Ich bestimmt sich, das Ich sowohl als tätig als auch als leidend charakterisiert wurde. Zwecks Auflösung dieses Widerspruchs mußte ein Verhältnis gefunden werden, in dem das Ich durch seine Tätigkeit sein Leiden bestimmt, so daß Tätigkeit und Leiden im Selbst als vereinigt aufgefaßt werden können. Auch in dieser Hinsicht ist nach Fichte durch die Synthesis der Substantialität ein befriedigendes Ergebnis erzielt worden, insofern es dem Ich durchaus nicht vorgegeben ist, welche der mannigfachen möglichen Handlungsweisen es zu wählen und somit tatsächlich zu vollziehen hat. Vielmehr ist der wirkliche Vollzug einer begrenzten Tätigkeit von der ,,absolute[n] Spontaneität" (GA I, 2, 298; SWI, 141) des Subjekts abhängig und insofern ist es aktiv bestimmend. Da es sich vermöge solchen spontanen Handelns jedoch gerade in einen begrenzten Bereich seiner möglichen Handlungsweisen setzt und es als endliches Ich auch gar nicht in der Lage ist, die Mannigfaltigkeit seiner Möglichkeiten zugleich zu verwirklichen, ist das Selbst in einer und derselben Handlung bestimmt und somit leidend. Diese Ausführungen zum Substantialitätsverhältnis bleiben nun nach Fichtes eigenen Angaben in zweierlei Hinsicht fragmentarisch. Einerseits werde durch diese Synthesis nicht gezeigt, aus welchem Grund sich das Ich in eine begrenzte Sphäre seiner möglichen Handlungsweisen setzt. Fichte vermutet im Vorgriff auf die weiteren Ausführungen, daß dieser Anlaß „wohl eine Wirkung des Nicht-Ich seyn dürfte" (GA I, 2, 300; SW I, 143). Diese Überlegung weist auf die Konzeption des notwendigerweise anzusetzenden Anstoßes voraus, die Fichte in der Folge und endgültig erst im praktischen Teil der Grundlage entwickelt. Der Anstoß ist aber nur dann richtig zu verstehen, wenn er vom Begriff des Dinges an sich abgehoben wird, womit die Unterscheidung des mit ihm zu verbindenden kritischen Idealismus von diversen Realismen einhergeht. Andererseits bleiben diese Ausführungen zum Substanz-Akzidens-Verhältnis nach Fichte aber auch bezüglich deijenigen Tätigkeit unzureichend, die die Relata voneinander unterscheidet und aufeinander bezieht. Es wird sich zeigen, daß diese Tätigkeit letztlich die zwischen unendlicher und endlicher Tätigkeit des Ich schwebende Einbildungskraft ist. Zunächst soll jedoch versucht werden, solche weiteren Präzisierungen, aber auch Modifikationen des mit der SubstanzAkzidens-Relation entwickelten konkreten Selbstverhältnisses aus der hochkomplexen sogenannten Synthesis E herauszufiltem, die für eine Theorie der endlichen Subjektivität relevant sind.

96

Die erste Version der Wissenschafìslehre

2.2 Präzisierende Fortbestimmung und Modifikation des Substantialitätsverhältnisses in der sogenannten Synthesis E Fichte nimmt im weiteren Verlauf der Grundlage, soweit in ihm das Substantialitätsverhältnis verhandelt wird, zunächst die schon oben zur Lösung des Widerspruchs von Tätigkeit und Leiden des Ich in Anspruch genommene Spontaneität desselben auf, vermöge derer es sich in eine bestimmte Sphäre seiner Möglichkeiten setzt, und präzisiert das damit Gemeinte. Diese Präzisierungen finden sich im Rahmen der hochkomplexen Synthesen des Abschnittes E der „Grundlage des theoretischen Wissens", die deswegen erforderlich werden, weil weder die Substanz-Akzidens-Relation noch diejenige der Wirksamkeit je für sich allein das theoretische Bewußtsein zu erklären vermögen. Gemäß dem Begriff der Kausalität setzt das Ich dasjenige Quantum Tätigkeit in das NichtIch, das seinem Leiden entspricht. Da dem Verhältnis von Ich und Nicht-Ich gemäß der Relation der Kausalität jedoch der Bezug auf die absolute Totalität seitens des setzenden Ich mangelt, fehlt ihm zugleich der Maßstab, in bezug auf den das Subjekt sich allein als eingeschränkt erkennen kann; es könnte daher lediglich durch eine Intelligenz außer ihm als begrenzt bestimmt werden. Nach dem Verhältnis der Substantialität ist dieser Vergleich von absoluter Totalität und eingeschränktem Quantum zwar möglich; diese Relation gibt jedoch keine Auskunft darüber, ob die dem begrenzten Ich mangelnde Tätigkeit auf das Nicht-Ich zu übertragen ist. So läßt sich aus keiner der beiden Relationen für sich das in der theoretischen Wissenschaftslehre zu explizierende Verhältnis der Entgegengesetzten erklären, dem gemäß das Ich sich als beschränkt durch das Nicht-Ich setzt. Aber auch eine bloße Addition beider Arten der Wechselbestimmung führt nicht zu dem erwünschten Ziel. Denn gemäß dem Begriff der Wirksamkeit setzt das Ich nur aufgrund seines Leidens Tätigkeit in das Nicht-Ich. Ein solches Leiden ist nun zwar als vermindertes Quantum der Aktivität eines der Relata des Substantialitätsverhältnisses; es kommt dem Ich, das ursprünglich als unendliche, in sich zurückgehende Tätigkeit gesetzt ist, jedoch kein Vermögen zu, sich schlechthin und ohne allen Grund auf eine bestimmte Sphäre seiner Möglichkeiten einzuschränken. Daraus ergibt sich für Fichte folgender Zirkel: „Das Ich kann kein Leiden in sich setzen, ohne Thätigkeit in das Nicht-Ich zu setzen; es kann aber keine Thätigkeit in das Nicht-Ich setzen, ohne ein Leiden in sich zu setzen" (GA I, 2, 304; SWI, 148). Aktivität des Nicht-Ich und Leiden des Ich bedingen sich wechselseitig; wenn emes der beiden Glieder zur Erklärung des anderen angenommen wird, dann setzt das Begründende das jeweils andere als seinen eigenen Grund wiederum voraus. Um diesen Zirkel zu durchbrechen, ist nach Fichte eine von der Wechselbestimmung und ihren Arten unabhängige Tätigkeit erforderlich, die den Wechsel allererst ermöglicht, wobei sie hinsichtlich der einzelnen Relationskategorien unterschiedlich zu charakterisieren ist.

Die Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis

97

Hier soll im wesentlichen darauf geachtet werden, in welcher Weise durch eine solche unabhängige Tätigkeit das Selbstverhältnis des endlichen Ich als Substantialität fortbestimmt wird.153 Daß eine unabhängige Tätigkeit für den Wechsel der Substantialität erforderlich ist, ergibt sich nach Fichte dabei aus einem gewissen Mangel, der dem Ergebnis der Erörterungen zum konkreten Selbstverhältnis im Abschnitt D anhaftet. Demnach fehlt es noch an einem eindeutigen „Beziehungsgrund" zwischen vermindertem Quantum und absoluter Totalität. Dieser besteht ganz allgemein darin, daß es sich bei beiden Gliedern der Synthesis um eine Tätigkeit handelt: „Der Beziehungsgrund beider ist jezt Thätigkeit. Die Totalität sowohl als die Nicht-Totalität beider ist Thätigkeit" (GA 1, 2, 312; SIVI, 158). Da gemäß der Kausalität aber auch dem Nicht-Ich Realität und somit Aktivität zugesprochen wird, folgt, daß die Tätigkeit des Ich ein spezifisches Merkmal aufweisen muß, vermöge dessen sie ausschließlich als eine solche des Ich und als derjenigen des Nicht-Ich entgegengesetzt qualifiziert werden kann; denn „für die Möglichkeit einer Beziehung auf die absolute Totalität der Thätigkeit des Ich" wird „vorausgesezt, daß die verminderte Thätigkeit Thätigkeit des Ich, eben desselben Ich sey, in welches absolute Totalität gesezt ist" (GA I, 2, 312f; SWI, 158f). Aus den abstrakten Darlegungen Fichtes entwickelt sich somit ein konkretes subjektivitätstheoretisches Problem: die Wahrung der Identität des Selbst in seinem bestimmten Verhältnis zu sich. Denn wäre die Tätigkeit des Ich nicht durch ein spezifisches Merkmal identifizierbar und von derjenigen des Nicht-Ich unterscheidbar, so könnte das Subjekt offenbar niemals sicher sein, daß es sich in dem verminderten Quantum auf sich bezieht. Im Kontext des vierten Paragraphen der Grundlage heißt das: Ihm würde die Möglichkeit fehlen, sich als bestimmt durch das Nicht-Ich zu setzen, wie es der Hauptsatz der theoretischen Wissenschaftslehre verlangt. Diese Eigentümlichkeit der verminderten Tätigkeit, die garantiert, daß dieselbe nur dem Ich zuschreibbar ist, besteht nun nach Fichte in dem Merkmal der absoluten Spontaneität: „Dieser Charakter des Ich aber, der dem Nicht-Ich gar nicht zugeschrieben werden kann, ist das Setzen und Geseztseyn schlechthin, und ohne allen Grund (§1.)". Und deshalb muß auch die begrenzte Aktivität 151

Eine übersichtliche Gliederung des argumentativen Fortgangs der sogenannten Synthesis E gibt D.Schäfer: Die Rolle der Einbildungskraft in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Köln 1967, 226f. Allerdings muß auf S.227 das „Verhältnis der Glieder" unter dem Titel „Materie" und das „Eingreifen der Glieder" unter dem Titel „Form" stehen. Einen kurzen Überblick über die entsprechenden Fichteschen Argumentationen liefern ebenso schon W.Ripke: Uber die Beziehung der Fichteschen Kategorienlehre zur Kantischen. Heidelberg 1913, 68fif sowie M.Gueroult: L'évolution et la structure de la doctrine de la science chez Fichte. Bd 1. Paris 1930, 220ff. W.Hartkopf (Die Dialektik Fichtes als Vorstufe zu Hegels Dialektik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 21 (1967). 197t) versucht besonders, die methodischen Aspekte der sogenannten Synthesis E aufzuklären. Gar fiir den ,.keystone of the interpretation" hält C.M.Jalloh (Fichte's Kant-Interpretation and the Doctrine of Science. Washington 1988, 149) seine Besprechung dieses Abschnitts der Grundlage.

98

Die erste Version der Wissenschaftslehre

„absolut seyn" (GA I, 2, 313; SW I, 159). Die verminderte Tätigkeit des Ich kann aber nicht in genau derselben Bedeutung absolut sein wie das Sich-Setzen des ursprünglichen Subjekts des ersten Paragraphen; denn dort war mit der Absolutheit zugleich die Unendlichkeit des in sich zurückgehenden Handelns gegeben. Bedeutet „absolut" nämlich: ohne jeden Grund, ist ein Grund aber dasjenige „außerhalb des Begründeten", durch dessen besondere Beschaffenheit sich einsehen läßt, „warum das Begründete, unter den mannichfaltigen Bestimmungen, die ihm zukommen könnten, gerade diese hat, welche es hat" (GA I, 4, 187; SW I, 424), so heißt „absolut" offenbar zugleich: unbestimmt gegen anderes, negationslos und somit unbegrenzt. Denn alles Begrenzte hat in dem Begrenzenden zugleich den Grund seiner spezifischen Bestimmtheit.154 Daher muß nach Fichte im Hinblick auf die Absolutheit der verminderten Tätigkeit des Ich eine Hinsichtenunterscheidung vorgenommen werden. Absolut ist sie lediglich als Tätigkeit der Qualität nach. Demi als spontanes Handeln des Subjekts ist sie durch keine äußere Ursache nezessitiert; sie gründet vielmehr allein im Ich selbst: „es kann gehandelt werden, oder auch nicht; die Handlung an sich geschieht mit absoluter Spontaneität" (GA I, 2, 313; SW I, 159). In anderer Rücksicht soll die Handlung aber zugleich begrenzt und somit bedingt sein; dies ist sie, insofern sie auf ein bestimmtes Objekt gerichtet ist. Was mit dieser Hinsichtenunterscheidung gemeint ist, zeigt sich anhand der Analyse des Bezuges des theoretischen Selbst auf einen empirischen Gegenstand, in dem es dessen objektive Eigenschaften erkennen will. Das Ich ist in einer solchen Erkenntnissituation bezüglich der Gehalte seiner Vorstellungen offenbar nicht frei, sondern gebunden; daß es diesen bestimmten Gegenstand mit diesen bestimmten Eigenschaften wahrnimmt, hängt nicht von seiner Willkür ab. Solche Vorstellungen drängen sich dem Subjekt aber gleichwohl nicht in der Weise auf, daß es vollständig determiniert wäre; vielmehr muß es seine Aufmerksamkeit entsprechend ausrichten und auf den Gegenstand reflektieren, was nach Fichte mit absoluter Spontaneität geschieht. Zugleich ergibt sich im Falle der Reflexion aber die bedingte Notwendigkeit, in einer gewissen Weise handeln zu müssen, soll das Objekt der Wahrheit gemäß und d.h. für Fichte: der sich im Gefühl offenbarenden Einschränkung des Ich gemäß vorgestellt werden. So bestimmt Fichte Wahrheit in idealistischer Umformulierung der Adäquationstheorie in der Wissenschaftslehre

nova methodo als „Übereinstimmung mit

uns selbst, Harmonie" (Κ 106)155. Der vorstellende Akt geschieht also unbedingt 154

155

Solche „absoluten" Gehalte der Wissenschaftslehre können nach Fichte deshalb nur in thetischen Urteilen der Art des: Ich bin ausgesagt werden, d.h. in einem solchen Urteil, „in welchem etwas keinem andern gleich und keinem andern entgegengesezt, sondern bloß sich selbst gleich gesezt würde"; ein derartiges Urteil „könnte mithin gar keinen Beziehungs- oder Unterscheidungsgrund voraussetzen" (GA I, 2, 277; SW I, 116). Diese Stelle ist auch belegt in der Halleschen Nachschrift GA IV, 2, 96. Vgl. auch Κ 97, 118 (GA IV, 2, 89, 109). - Wenn gemäß dem Aufsatz Ueber Belebung und Erhöhung des reinen Interesse ßir Wahrheit von 1795 Wahrheit hingegen „blos formal" ist, insofern sie in „Uebereinstimmung

Die Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis

99

und somit absolut, sofern er in der Spontaneität des Ich wurzelt; er ist jedoch bedingt, insofern in einer bestimmten Weise gehandelt werden muß, wenn man die tatsächlichen Eigenschaften des Gegenstandes erfassen will. Schon in den Eignen Meditationen bringt Fichte Substantialität und Spontaneität bzw. Selbsttätigkeit in eine enge Verbindung. So formuliert er zunächst vorläufig: „Spontaneität ist die Kausalität einer Substanz" (GA II, 3, 41).156 Im weiteren Verlauf wird diese Verknüpfung der Selbsttätigkeit mit der Substanz jedoch präzisiert. Zwar läßt sich auch nach der dortigen Darstellung die Begrenzung des Ich (=A) in seinen Akzidentien nicht aus dem unendlichen Subjekt allein erklären, sondern nur bei zusätzlicher Charakterisierung des Akzidens als Wirkung des Nicht-Ich; doch bestimmt nicht allein das Nicht-Ich die Vorstellung, in welchem Fall sich das Subjekt rein rezeptiv verhalten würde, sondern auch das Ich selbst, wodurch die Vorstellung die Qualität des Ich, der Tätigkeit erhält. Insofern nun die Vorstellung als Akzidens die gleiche Qualität hat wie das substantielle Ich, wirkt das Subjekt in ihr nur auf sich selbst und damit nach Fichte spontan: „A ist demnach in sich selbst Ursache. Dies Vermögen aber in sich selbst Ursache zu seyn nennt man [...] Selbstthätigkeit" (GA Π, 3, 69).157 Spontaneität oder Selbsttätigkeit ist also nach den Eignen Meditationen vor allem dadurch charakterisiert, daß das Ich als Substanz sich in seinem Akzidens selbst bestimmt. Zudem wird wie in der Grundlage betont, daß solches Handeln auf sich selbst, wenn es spontan sein soll, aus sich selbst geschehen muß und daher nur nach den eigenen Gesetzen vollzogen werden kann. Das Ich wird in seiner Wirkung nicht von außen determiniert, und daher heißt Spontaneität auch „nach den Gesetzen unsers eignen Wesens, u. keinen andern zu wirken" (GA II, 3, 70).158 Mit dem Aufweis der Spontaneität des substantiellen Ich im Setzen seiner eigenen Akzidentien ist nach Fichte also diejenige Eigenart der verminderten Tätigkeit aufgezeigt, vermittels derer sie auf die absolute Totalität beziehbar ist, so daß die Identität des Ich in diesem konkreten Selbstverhältnis erhalten

156

157 158

und Zusammenhang in allem, was wir annehmen", besteht und somit in einer solchen „Einheit", die als eine „Harmonie alles unsers Denkens" (GA I, 3, 84, 86f; SW VIII, 344, 347f) zu bestimmen ist, dann stellt Fichte einen Aspekt in den Vordergrund, dem vor allem nach der Schrift Uber den Begriff der Wissenschaftslehre lediglich untergeordnete Bedeutung zukommt. Denn nach den dortigen Ausführungen ist die „systematische Form (...] der Wissenschaft blos zufallig"; sie ist „nicht der Zweck derselben, sondern blos etwa das Mittel zum Zwecke" (GA I, 2, 113; SIVI, 39), da sie nur dazu taugt, Gewißheit von einem Satz auf einen andern zu übertragen, dazu aber eine ursprüngliche Gewißheit in einem der verbundenen Sätze schon voraussetzen muß: „denn aus Vereinigung mehrerer Theile kann nichts entstehen, was in keinem Theile ist" (GA I, 2, 114f; SPFI, 41). Vgl. auch schon GA II, 3, 30: „Das Ich wird ursprünglich thätig, substanzialisch - das Nicht-Ich leidend betrachtet." Vgl. ebenso GA II, 3, 62. Vgl. dazu auch noch in der Ersten Einleitung·. GA I, 4, 199f (SWl, 440f).

100

Die erste Version der Wissenschaftslehre

bleibt.159 Bisher wurde aber lediglich der Gehalt der Relata thematisiert, der eine solche Identifikation erlaubt, nicht aber die beziehende Tätigkeit, die Substanz und Akzidens in ein derartiges Verhältnis setzt. Diese Tätigkeit bestimmt Fichte als ein ,ßntäußern" (GA I, 2, 317; SWI, 165), da sie die absolute Totalität und das verminderte Quantum zusammenhält und das in dem letzteren Mangelnde aus dem Ich ausschließt.160 Mit dem Schritt von der Bestimmung der Glieder des Verhältnisses zur Thematisierung der beziehenden Tätigkeit ist nach Fichte aber zugleich eine Veränderung der Reflexionsebene verbunden: „In dem ersten Falle geschieht eine einfache Reflexion über die Erscheinimg,- die Reflexion des Beobachters; im zweiten geschieht eine Reflexion über jene Reflexion,- die des Philosophen über die Art des Beobachtens" (GA I, 2, 315; SW I, 162). Es stellt sich dabei aber vor allem die Frage, wem diese Tätigkeit des Beziehens und Entäußerns zukommt. Fichte spricht sie dem Ich zu, da sie von dem absoluten Handeln in der absoluten Totalität ausgehe, dieses aber gemäß dem ersten Paragraphen als unbedingtes Sich-Setzen nur dem Subjekt eigne. Dies impliziert allerdings nicht, daß das Selbst in seiner Funktion der die Relata synthetisierenden Tätigkeit die verminderte Realität des akzidentellen Ich allererst hevorbringt: „Woher das Nicht-gesezt-seyw in der begrenzten Thätigkeit, die dann als schon gegeben betrachtet wird, kommen, und was es seyn möge das dasselbe begründet; davon wird hier gänzlich abstrahirt" (GA I, 2, 317; SW I, 164). Die Tätigkeit des Entäußerns ist somit eine rein synthetisierende, die die Bestimmungen der Relata nicht hervorbringt, sie vielmehr als einander entgegengesetzte Totalität und Nicht-Totalität aufeinander bezieht und das in dem verminderten Quantum Mangelnde ausschließt. Will man die bis jetzt erzielten Ergebnisse der Untersuchungen zum Selbstverhältnis des Ich als Substantialität zusammenfassen, so zeigt sich eine recht komplexe Selbstbeziehungsweise, der in der Kantischen Kritik der reinen Vernunft kein Pendant entspricht. Dies liegt - wie bereits bemerkt - vor allem daran, daß Fichte die Relata des Substanz-Akzidens-Verhältnisses keineswegs als Zugrundeliegendes bzw. zeitlich Beharrendes und Wechselndes bestimmt, sondern als Allumfassendes und verminderte Quantität, wobei diese Glieder in der Relation sowohl aufeinander bezogen als auch einander entgegengesetzt sind. Das Selbstverhältnis des Ich, das vermittels dieser Kategorie in seiner Gesetzmäßigkeit erfaßt wird, ist somit eine asymetrische Beziehung; deren Relata bestehen einerseits in der Menge der mannigfaltigen möglichen Handlungswei139

160

Zwecks Wahrung der Identität des Ich ist also keine sich durch alle Bestimmungen durchhaltende intellektuelle Anschauung notwendig, wie M.Gueroult (L évolution et ¡a structure de la doctrine de la science chez Fichte. Bd 1. Paris 1930, 214) meint. Solche intellektuelle Anschauung stellt für das sich von sich unterscheidende und sich auf sich beziehende Ich auch gar keine adäquate Weise der Selbstidentifizierung mehr dar. Allgemein heißt diese Tätigkeit „Uebergehen" (GA I, 2, 314, 319f, 3211; SW I, 160, 167f, 1701), mit Bezug auf die Kausalität „Uebertragen" (GA I, 2, 315, 317, 323; SWl, 162, 165, 171f).

Die Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis

101

sen des Ich, die in der Substanz begriffen sind, und andererseits in den aktual realisierten, akzidentellen Vollzügen, in die sich das Selbst aus reiner Spontaneität, d.h. aus äußerlich unbedingter Selbsttätigkeit versetzt. Die Tätigkeit des Beziehens der allumfassenden Totalität auf das verminderte Quantum kommt dabei ebenfalls dem Subjekt zu, das erst durch eine solche Synthesis die begrenzte Tätigkeit als eine solche erkennt und den in ihr nicht gesetzten Teil entäußert. Zugleich identifiziert es die einander Entgegegesetzten als Momente des Einen identischen Ich. In gewisser Weise bleiben die Relata hinsichtlich ihrer inneren Struktur jedoch zunächst unterbestimmt. Diese Probleme löst Fichte im Rahmen weiterer Synthesen, wobei er die Konzeption des Substanüalitätsverhältnisses und auch die interne Bestimmung der in Beziehung Gesetzten allerdings entscheidend modifiziert. Auf dem Stand der bisher erzielten Ergebnisse wird man bezüglich des Problems der Selbstverhältnisse, die den beiden Relata immanent zukommen, aber zumindest der Substanz eine Selbstbeziehung zuschreiben müssen. Denn nach Fichte geht „die Handlung, welche den vorliegenden Wechsel selbst sezt, [...] vom absoluten Setzen aus: ist demnach eine Handlung des Ich" (GA I, 2, 317; SWI, 164). Das absolute Setzen geschieht jedoch nicht anonym, sondern ist, wie der erste Paragraph darlegt, als ein Sïcft-Setzen zu fassen, das allerdings kein Selbstbewußtsein bewirkt. Hinsichtlich des akzidentellen Ich und seiner Selbstbeziehungsweise macht Fichte ebenfalls nur Andeutungen; im Zusammenhang der Erläuterung des spontanen Vollzuges der verminderten Tätigkeit erklärt er, damit diese als Aktivität des Einen identischen Ich qualifiziert werden könne, müsse man sie als „Setzen und Geseztseyn schlechthin und ohne allen Grund' (GA I, 2, 313; SW I, 159) charakterisieren; damit scheint jedoch nur das spontane Sich-Bestimmen zu einer verminderten Tätigkeit und nicht ein dem Akzidens eigenes Selbstverhältnis gemeint zu sein. Eine solche interne Selbstbeziehung des akzidentellen Ich wird allerdings in der Folge als eine von zwei Möglichkeiten neben dem Setzen eines Objekts deduziert. So bleiben im Rahmen der bisherigen Erörterungen zur Substanz-Akzidens-Relation als Selbstbeziehungsweise des Ich also durchaus einige Fragen offen. Jedoch hat Fichte mit dieser asymetrischen Beziehung, die zumindest andeutungsweise als in sich mehrfach relational bestimmt wird, offenkundig ein komplexeres Selbstverhältnis vor Augen, das man durch die Bezeichnung als Subjekt-Objekt-Beziehung nur unzureichend erfaßt.161 Ansatzpunkt der Modifikationen des Substanüalitätsverhältnisses, die sich vor allem auf die beiden Relata erstrecken, ist eine neue Bestimmung der absoluten Totalität, die von einer veränderten Bedeutung des Entäußerns bzw. Aus161

Solche asymetrischen und in sich mehrfach relationalen Selbstbeziehungsweisen legt im Rahmen einer Stufenfolge von in sich komplexer werdenden Selbstbewußtseinsmodellen in bezug auf das konkrete Ich K.Düsing (Selbstbevmfitseinsmodelle. Moderne Kritiken und systematische Entwürfe zur konkreten Subjektivität. München 1997, 121 if) dar.

102

Die erste Version der Wissenschaftslehre

schließens ihren Ausgang nimmt.162 Bisher identifizierte Fichte dasjenige, aus dem etwas entäußert werden soll, immer mit der verminderten Tätigkeit des akzidentellen Ich; als das Auszuschließende setzte er hingegen diejenige Realität an, die sich aufgrund des Vergleichs mit der absoluten Totalität als dem Akzidens mangelnd offenbart. In Abweichung davon charakterisiert Fichte nun die absolute Totalität selbst als dasjenige, von dem etwas auszuschließen ist; daraus ergibt sich zugleich eine veränderte Bestimmung des Entäußerten. Die absolute Totalität ist nach Fichte inhaltlich das Ich als Sich-Setzen. Das Auszuschließende erhält dadurch aber kein positives, sondern lediglich ein negatives Prädikat; es ist als Sich-nicht-Setzen oder - was gleichbedeutend sein soll - als Setzen eines Objekts zu kennzeichnen. Solches Ausschließen vernichtet das Sich-nicht-Setzen aber keineswegs vollständig; es wird vielmehr bloß in die Sphäre des Sich-Setzens nicht gesetzt. Bei der Reflexion auf dieses Sich-nichtSetzen, das Setzen eines Objekts zeigt sich nun, daß man die Sphäre des in sich zurückgehenden Handelns nicht mehr als absolute Totalität behaupten darf. Vielmehr wird eine höhere, umfassendere Sphäre notwendig, nämlich diejenige des „Setzens überhaupt (davon abstrahirt, ob das Ich, oder ein Nicht-Ich gesezt werde)" (GA I, 2, 341; SW I, 193).163 Das veränderte Substantialitätsverhältnis ergibt sich nun daraus, daß das bestimmbare „Setzen überhaupt" (=A+B) durch das bestimmte Sich-Setzen (=A) determiniert wird und umgekehrt: „A giebt, was es hat, absolute Grenze; A+B. 162

Auf Brüche in der Argumentation macht bereits C.Klotz (Der Ichbegriff in Fichtes Erörterung der Substantiality. In: Fichte-Studien 10 (1997), 160ff) aufmerksam, der zurecht eine große Nähe des zunächst aufgestellten Substantialitätsverhältnisses zu der im dritten Paragraphen angedeuteten Beziehung des absoluten zum teilbaren Ich konstatiert; diese gehe in den folgenden Ausführungen aufgrund von Umdeutungen der Substanz-Akzidens-Relation allerdings verloren. Unter alleiniger Berücksichtigung der ersten drei Paragraphen vermißt hingegen G.Meckenstock (Vernünftige Einheit. Eine Untersuchung zur Wissenschaftslehre Fichtes. Frankfurt a.M./Bern/New York 1983, 29, 40) die Klärung des Verhältnisses von absolutem und relativem Ich. Affirmativ beurteilt er jedoch die systematische Ableitung der Einbildungskraft. Demgegenüber muß man angesichts der Inkonsistenzen in der sogenannten Synthesis E, die kaum den von Fichte selbst formulierten Ansprüchen an eine strenge Deduktion genügt, die Bedenken, die z.B. J.Brachtendorf (Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812. Paderborn/München/Wien/Zürich 1995, 1243) äußert, durchaus teilen. Damit ist jedoch noch keine Entscheidung über die philosophische Bedeutung der Konzeption der Einbildungskraft selbst und der innerhalb der Synthesis E von Fichte analysierten Bewußtseins- und Selbstbewußtseinskonstellationen gefallen.

163

In den bis hierher aufgetretenen verschiedenen Konzeptionen von Substanz als Totalität der möglichen Vollzugsweisen des Ich und als bestimmbares „Setzen überhaupt" sieht C.Klotz (Der Ichbegriff in Fichtes Erörterung der Substantiality. In: Fichte-Studien 10 (1997), bes. 168f) Anlehnungen vor allem an Kant und Maimón. Die Substanz werde zunächst im Sinne der omnitudo realitatis gefaßt, die Voraussetzung der durchgängigen Bestimmung jedes Einzeldinges ist, und dann als ein solches Bestimmbares, auf das gemäß der Struktur des disjunktiven Urteils einander ausschließende Glieder als Möglichkeiten der Bestimmung bezogen werden. Da der zweite Substanzbegriff auf Maimons Kennzeichnung des „Bewußtseins überhaupt" zurückgehe, äußert er die Vermutung, daß die Brüche in der Darlegung der Substantialität auf die Auseinandersetzung mit Maimón zurückzufuhren seien, ohne daß sich dafür ein direkter Nachweis geben lasse.

Die Selbstbeziehung des Ich als Substantialitätsverhältnis

103

giebt, was es hat, Gehalt" (GA I, 2, 347; SWI, 200). Dadurch modifiziert sich das „Setzen überhaupt" in zweifacher Weise: Einerseits soll seine Bestimmbarkeit „ein bestimmtes Quantum" werden: „sie hat ihre Grenzen, über welche hinaus keine Bestimmung statt findet; und innerhalb dieser Grenzen liegt alle mögliche Bestimmbarkeit" (GA I, 2, 346; SW I, 199). Daraus folgt nach Fichte, daß in der Substanz nicht unendlich viele wählbare Handlungsweisen enthalten sind und auch nicht die Mannigfaltigkeit der möglichen modi cogitandi; vielmehr sind die Alternativen durch das Sich-Setzen und das Sich-nicht-Setzen bzw. das Setzen eines Objekts erschöpft, wobei eine dieser beiden Optionen nur durch Ausschluß der jeweils anderen realisiert werden kann. Das Ich setzt also entweder sich selbst und dann nicht das Objekt oder umgekehrt. Andererseits soll aufgrund der Bestimmung des „Setzens überhaupt" durch das Sich-Setzen jenes selbst zu einem solchen werden; das Ich als Substanz bezieht sich demnach in seinen Akzidentien auf sich, so daß die Alternative des Selbstverhältnisses abschließend folgendermaßen zu formulieren ist: „Das Ich seit sich als: sich setzend dadurch, daß es das Nicht-Ich auschließt, oder das Nicht-Ich setzend, dadurch, daß es sich ausschließt" (GA I, 2, 347; SW I, 201). Hier wird die dem akzidentellen Ich immanente Selbstbezüglichkeit als eine der beiden Möglichkeiten somit eindeutig genannt, indem das Selbst in seinem Akzidens auf sich als sich setzend Bezug nehmen kann, soweit das Setzen eines Nicht-Ich ausgeschlossen wird. Und auch aus diesen Deduktionen ergibt sich, wie Fichte in den anschließenden Erörterungen ausfuhrt, daß die Substanz nicht als ein den Akzidentien Zugrundeliegendes, für sich und unabhängig von denselben Existierendes charakterisiert werden darf. Sie besteht vielmehr lediglich in der „Vollständigkeit eines Verhältnißes, nicht aber einer Realität (GA I, 2, 349; SW I, 204). Somit stellen die Substanz und ihre Akzidentien den gleichen Gehalt unter verschiedenen Gesichtspunkten dar: Wird eine der Möglichkeiten des Ich in seinem Setzen isoliert betrachtet, so muß sie als Akzidens qualifiziert werden; die zusammengefaßte Totalität der Alternativen konstituiert hingegen die Substanz, die als „ein bloßer Wechsel" (GA I, 2, 349; SW I, 204) zu bestimmen ist, insofern sie nicht einen von ihren Akzidentien trennbaren Träger derselben ausmacht. 164 Von den im Umkreis der Substanz enthaltenen Optionen kann immer nur jeweils eine realisiert werden; aus der Verwirklichung der einen folgt die Herabsetzung der anderen zu einer bloßen Möglichkeit und umgekehrt. Auch als Substanz ist das Ich somit nicht ein Substrat, dem als Eigenschaften Tätigkeiten verschiedener Art zukommen können. 165 Es ist vielmehr auch in dieser konkreten Selbstbeziehungsweise in seinem Wesen als substratlose Tätigkeit zu verstehen, die in verschiedenen Modifikationen realisierbar ist. 164 165

Vgl. ebenso GA I, 2, 300 (SW I, 142): „Die Substanz ist aller Wechsel im allgemeinen Vgl. GA I, 4, 200; I, 3, 313Anm. (SW1, 440; III, lAnm.).

gedacht."

104

Die erste Version der Wissenschafìslehre

3 Das Vermögen der Einbildungskraft in der allgemeinen und in der besonderen theoretischen Wissenschaftslehre Die Einbildungskraft besitzt in der frühen Wissenschaftslehre Fichtes grundlegende Bedeutung besonders für die Explikation des theoretischen Selbst. Diese zentrale Funktion kommt dabei vor allem in der Grundlage schon allein durch ihre systematische Stellung im Übergangspunkt von den komplexen Ableitungen der sogenannten Synthesis E zu dem Ansatz einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins in der „Deduktion der Vorstellung" zum Ausdruck. Sie stellt somit das Bindeglied zwischen solchen Teilen der Grundlage dar, die sowohl methodisch vollständig voneinander abweichen als auch von verschiedener systematischer Bedeutung sind; daher wird zu überlegen sein, ob die fundamentale Rolle der Einbildungskraft nicht auch in einem gewissen Maß von der besonderen Vorgehensweise der Grundlage abhängig ist, nämlich von der Gliederung der Grundlegung der Transzendentalphilosophie in einen theoretischen und in einen praktischen Teil, die Fichte schon in den Vorlesungen zur Wissenschaftslehre nova methodo aufgibt.166 Eine entscheidende Funktion kommt dem Vermögen produktiver Anschauung aber darüber hinausgehend in der Konstitution räumlich-zeitlich und kategorial bestimmter Objekte zu, womit sich der gesamte Problemkomplex einer Deduktion der Kategorien eröffnet, sei sie nun metaphysisch, genetisch oder transzendental. Die sich darauf beziehenden Ausführungen Fichtes stehen jedoch zum Teil keineswegs an derart exponierter Stelle wie diejenigen zur Tätigkeit schwebender Vereinigung von Ich und Nicht-Ich. Sie fmden sich einerseits im Grundriß, aber andererseits auch in unveröffentlichten Manuskripten und Vorlesungsnachschriften, so daß sie in der Forschung bisher kaum beachtet wurden.

3.1 Die Begründung der Einbildungskraft im Rahmen der Synthesen zur Substantialität Die Ableitung der Einbildungskraft und ihrer konkreten Bestimmungen findet sich innerhalb der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre im letzten Abschnitt der sogenannten Synthesis E, in dem die unabhängige Tätigkeit und der Wechsel der Substantialität, die jeweils in sich eine synthetische Einheit von Form und Materie ausmachen, miteinander zu vereinigen sind. Diese beiden synthetischen Einheiten kennzeichnet Fichte aber durchaus nicht in Übereinstimmung mit den vorangegangenen Ergebnissen. Die Charakterisierung des 166

Vgl. dazu die Anmerkung Fichtes gleich zu Beginn der Halleschen Nachschrift der Vorlesungen zur Wissenschaftslehre nova methodo über den Vortrag derselben „nach einem ganz entgegen gesezten Gange s. COMPENDIUMS v. 1794" (GA IV, 2, 17) sowie in der Krause-Nachschrift AT 72.

Das Vermögen der Einbildungskraft

105

Wechsels als „Zusammentreffen" bzw. als „Eingreifen" (GA I, 2, 352; SW I, 207) ist dabei in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Einerseits wird mit ihr die Komplexität der bisher erzielten Resultate nicht annähernd aufrecht erhalten. Das zeigt sich schon allein daran, daß zu denselben unter anderem auch die mehrfach relationale Selbstbeziehungsweise gehörte, gemäß der das Ich sich auf sich als entweder ein Nicht-Ich oder sich selbst setzend bezieht. Andererseits geht mit dieser Bestimmung diejenige Eigentümlichkeit der Substanz-AkzidensRelation verloren, gemäß der sie grundlegend die Gesetzmäßigkeit eines reinen Selbstverhältnisses des Ich darstellt. Demnach war bei der Tätigkeit des Vergleichens von absoluter Totalität und vermindertem Quantum und bei dem daraus resultierenden Entäußern des dem Akzidens Mangelnden sogar davon zu abstrahieren, „ob das ausgeschlossene in etwas anderes gesezt werde, und welches dies andere seyn möge" (GA I, 2, 318; SW I, 165). Doch schon dadurch, daß die Akzidentien nicht mehr Vollzugsweisen des Ich der Form des: Ich denke, Ich stelle vor etc. sein sollten, sondern die einander ausschließenden Möglichkeiten des Sich-Setzens und des Setzens eines Objekts, wurde das Nicht-Ich - wenngleich noch in seiner Beziehung auf das Subjekt - zum integralen Bestandteil des Substantialitätsverhältnisses. Mit dem „Zusammentreffen" ist nun aber gerade dasjenige Moment im Gefüge der Bedingungen der Vorstellung bezeichnet, das aus der Tätigkeit des Ich unableitbar und somit von derselben unabhängig sein soll. Damit kann Fichte nun sogar die Frage nach einer möglichen Einwirkung des Nicht-Ich auf das Ich innerhalb der Erörterungen zur Substantialität thematisieren, obwohl sie bisher den Synthesen der Kausalität vorbehalten blieb. Der Sinn dieser Integration von Problemen, die eigentlich in den Bereich der Wirksamkeit gehören, besteht offensichtlich darin, daß es letztlich einer einheitlichen Schlußsynthesis bedarf, in die auch die Ergebnisse der Untersuchungen zur Kausalität einzubeziehen sind, auch wenn die beiden speziellen Relationskategorien als koordinierte zunächst vollständig unabhängig voneinander expliziert wurden. So spricht Fichte etwa davon, daß das Gesetz des mittelbaren Setzens, das Endergebnis der Synthesen zur Kausalität, dem gemäß die entgegengesetzten Subjekt und Objekt nur setzbar sind, wenn das jeweilige Gegenteil zugleich aufgehoben wird, „hier auch gültig bleibt" (GA I, 2, 354; SW I, 209); bei der strengen Nebenordnung der Stränge Kausalität und Substantialität dürfte eine solche Übernahme von Ergebnissen aber eigentlich gar nicht erlaubt sein.167 Ebenso gilt für die Charakterisierung der synthetischen Einheit der unabhängigen Tätigkeit als „ein absolutes Zusammenfassen, und Festhalten entgegengesezter, eines subjectiven und objektiven, in dem Begriffe der Bestimmbarkeit, in welchem sie doch auch entgegengesezt sind" (GA I, 2, 350; SW I, 205), daß sie 167

Vgl. dazu auch C.Klotz: Der Ichbegriff in Fichten Erörterung der Substantialität. In: FichteStudien 10 (1997), 16lf.

106

Die erste Version der Wissenschaftslehre

nicht aus dem Vorausgegangenen folgt, daß damit die eigentliche Leistung der Einbildungskraft aber vorweggenommen wird.168 Zwar sprach Fichte schon vorher bezüglich des Ich von dem ,,wunderbarste[n] seiner Vermögen" (GA I, 2, 350; SW I, 204), nämlich der Einbildungskraft, die die einander entgegengesetzten, schwindenden Akzidentien solange festhält, bis sie dieselben in ihrem gegenseitigen Aufheben miteinander verglichen hat; doch auch diese Bestimmung der Einbildungskraft wurde dort nur anmerkungsweise eingeführt und keinesfalls deduziert. So wird man also kaum von einer Ableitung der Einbildungskraft in strengem Sinne reden können. Dennoch sind mit den beiden Bestimmungen des Zusammentreffens und des Zusammenfassens diejenigen Momente genannt, die die Tätigkeit der Einbildungskraft ermöglichen bzw. dieselbe konstituieren. An ihnen kann man somit sowohl die Voraussetzungen als auch das Wesen der Einbildungskraft verdeutlichen. Aus der nur jeweils einseitigen Bestimmung von Zusammentreffen und Zusammenfassen ergeben sich nun nach Fichte ebenso einseitige idealistische und realistische Positionen der Explikation der theoretischen Einstellung des Ich.169 Wird das Zusammenfassen als höchster Grund des Vorstellens angenommen und das Zusammentreffen der einander Entgegengesetzten Ich und Nicht-Ich als davon einsinnig abhängig erklärt, dann geht man idealistisch von einer absoluten, durch nichts bedingten Tätigkeit des Ich aus, die Subjekt und Objekt einander entgegensetzt und dabei beide miteinander vereinigt. Die Beschaffenheiten von Ich und Nicht-Ich hängen diesem Ansatz gemäß also allein von der spontanen Tätigkeit des Subjekts ab: „Das Ich wäre so beschaffen, wie es sezte, wie es sich sezte, und weil es sich, als so beschaffen, sezte" (GA I, 2, 354; SW I, 209). Im Rahmen einer solchen Konzeption lassen sich nach Fichte unter Hinzuziehung des Gesetzes der Mittelbarkeit des Setzens, nach dem eines der Entgegengesetzten nur setzbar ist, indem das jeweils andere aufgehoben wird, sogar der Wechsel der Vorstellungen und die „Einheit desjenigen, worin der Wechsel ist" (GA I, 2, 354; SW I, 209), erklären. Die Einheit des Ich als desjenigen, das Subjekt und Objekt setzt, und das heißt nach diesem einseitig idealistischen Ansatz: das beide in der Mannigfaltigkeit ihrer Bestimmungen unbedingt produziert, kommt dabei dadurch zustande, daß es einerseits dasselbe identische Ich ist, das Subjekt und Objekt hervorbringt, und diesem andererseits zugleich die Fähigkeit der Synthesis vollständig Entgegengesetzter zugeschrieben wird. Die Einheit und Identität des sich auf sich selbst und seinen Gegenstand beziehenden Ich 168

169

Zur Synthesis von Tätigkeit der Form und Tätigkeit der Materie im Rahmen der Substantialität vgl. GA I, 2, 342 (SW I, 194): „Weil das Ich einiges von sich ausschließen soll, soll eine höhere Sphäre seyn. und gesezt werden, und weil eine höhere Sphäre ist, und gesezt ist, muß das Ich einiges von sich ausschließen." Vgl. zu diesen höchsten einseitigen Formen des Idealismus und des Realismus, die im Rahmen der theoretischen Wissenschaftslehre eingeführt werden, I.Schüßler: Die Auseinandersetzung von Idealismus und Realismus in Fichtes Wissenschaftslehre. Frankfurt a.M. 1972, 39ff.

Das Vermögen der Einbildungskraft

107

wird also aus dem Vermögen der Synthesis erklärt und speziell: aus dem Vermögen der Synthesis solcher Entgegengesetzten, deren Wesen allein darin besteht, jeweils dasjenige zu sein, was das andere nicht ist. Dieses Vermögen wäre die Einbildungskraft, die solche Entgegengesetzten ohne höhere Voraussetzung oder Bedingung produzierte und zusammenfaßte. Wie unter Voraussetzung dieses Ansatzes und durch die Einbeziehung des Gesetzes der Mittelbarkeit des Setzens der Wechsel der Vorstellungen genau zu erklären ist, läßt sich aus Fichtes Andeutungen nicht detailliert rekonstruieren. Der entscheidende Einwand gegen diesen einseitigen Idealismus hegt seiner Meinung nach jedoch darin, daß man in ihm den Anfangspunkt eines derartigen Wechsels nicht aufzuzeigen vermag. Dieser soll sich nämlich daraus ergeben, daß ein begrenztes Subjekt gesetzt und diesem ein bestimmtes Objekt entgegengesetzt wird, was zu einer Aufhebung des ersteren führt; da ein Objekt jedoch nur im Bezug auf ein Subjekt setzbar ist, indem man es als dasjenige zu charakterisieren hat, das ein Subjekt aufhebt, muß erneut ein solches gesetzt werden usw. Damit ist nach Fichte zwar der Wechsel der Vorstellungen erklärt, aber nicht, wie ursprünglich die Entgegensetzung eines Nicht-Ich möglich ist. Denn aus dem absoluten Setzen des Ich ließe sich - so Fichte - zwar die Genesis des subjektiven Moments des Bewußtseins aufzeigen, jedoch nicht „das Vorhandenseyn dessen, was objektiv seyn soll, denn ein solches ist durch das Setzen des Ich schlechthin nicht gesezt" (GA I, 2, 354; SWI, 209). Dieses war bereits ein Ergebnis der ersten beiden Paragraphen der Grundlage: aus dem schlechthinnigen Handeln des Ich folgt lediglich das Setzen seiner selbst als unendliche, in sich zurückgehende Tätigkeit. Das Sich-nicht-Setzen bzw. das Entgegensetzen eines Nicht-Ich läßt sich daraus nicht ableiten. Dieses soll vielmehr eine in formaler Hinsicht unbedingte Handlung des Subjekts darstellen, die es aber nicht ohne einen solchen Anlaß vollzieht, der aus ihm selbst nicht vollständig erklärbar ist. So wie individuelles Selbstbewußtsein nicht entstehen kann ohne eine Aufforderung durch ein anderes vernünftiges Wesen, die das Ich zwar nicht gänzlich passiv hinnimmt, die sich aber auch nicht aus den inneren Bestimmungen seines Wesens ergibt, so bedarf auch das Ich als Prinzip der Philosophie eines Anlasses, aufgrund dessen es allererst entgegensetzen kann und sich aus der reinen unterschiedslosen Tätigkeit des in sich zurückgehenden Handelns zum konkreten Selbstbewußtsein differenziert: Im Wechsel der Vorstellungen kann man innerhalb dieser idealistischen Position daher zurückgehen „so weit man will, so muß man zulezt doch auf ein im Ich schon vorhandenes kommen, in welchem einiges als subjektiv bestimmt, ein anderes als objektiv demselben entgegengesezt wird1' (GA I, 2, 354; SW I, 209).170 170

Zur Aufforderung als einer empirischen Konkretion des Anstoßes im Rahmen des Problems der Interpersonalität vgl. E.Diising: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begriindungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln 1986, 250f,261.

108

D i e erste Version der Wissenschaftslehre

Die Einbildungskraft als das Vermögen des identischen Ich, in der einheitlichen Sphäre des Bewußtseins einander vollständig entgegengesetzte Bestimmungen zu setzen und miteinander zu verbinden, kann also nicht als unbedingt produzierende Kraft des Subjekts angenommen werden, da das Hervorbringen eines Nicht-Ich dann vollständig unerklärbar bleibt. Diesem Ergebnis trägt das Gegenstück dieses Idealismus, ein ebenso einseitiger Realismus Rechnung. Da aber auch ihm ein zureichendes Fundament zur Sicherung der Denkmöglichkeit des Hauptsatzes der theoretischen Wissenschaftslehre fehlt, müssen diese beiden einseitigen Ansätze schließlich zu einer umfassenderen Position, der des kritischen Idealismus vereinigt werden; damit ist nach Fichte die einzige Weise der widerspruchsfreien Denkbarkeit desjenigen Verhältnisses gefunden, in dem das Ich sich als bestimmt durch das Nicht-Ich setzt. Den Mangel der idealistischen Position, die Unerklärbarkeit eines dem Ich entgegenzusetzenden Nicht-Ich aus der bedingungslos-produktiven Tätigkeit der Einbildungskraft, behebt der realistische Ansatz nun dadurch, daß nicht die Tätigkeit des Ich dem Zusammentreffen von Subjekt und Objekt im Bewußtsein vorhergehen, sondern umgekehrt alle Tätigkeit vom Eingreifen der entgegengesetzten Glieder abhängen soll. Dabei ist nach Fichte nicht von einem „reelle[n] Vorhandenseyn Entgegengesezter" auszugehen, sondern lediglich von dem reinen Gedanken von ihrem „Zusammentreffen, oder Sichberühren im Bewußtseyn" (GA I, 2, 354; SW I, 210). Für das Ding des Realisten ergibt sich daraus, daß es weder als auf das Subjekt einwirkendes Ding an sich noch als vorhandene Bestimmung des Ich zu charakterisieren ist, sondern - was im nächsten Kapitel genauer untersucht werden soll - als bloßer Anstoß, als Grund der „Unmöglichkeit des weiteren Ausdehnens" (GA I, 2, 355; SW l 210) der Tätigkeit der Intelligenz. Daraus läßt sich mm zwar verständlich machen, wie etwas dem Ich Fremdes im Bewußtsein auftreten kann; doch unterliegt diese Position dem Fehler jeglichen Realismus, daß sie das Ich nicht als genuines Prinzip annimmt, sondern aus dem Ding und seinen Wirkungen zu erklären versucht. Die Unmöglichkeit einer solchen Ableitung behandelt Fichte vor allem in der Ersten Einleitung, und zwar in deren sechstem Abschnitt, nach dem der Realismus, den Fichte dort als dem Idealismus entgegengesetzten Dogmatismus bezeichnet171, auch theoretisch widerlegbar ist. Die „doppelte Reihe, des Seyns, und des Zusehens, des Reellen, und des Idealen", die das Wesen des sich schlechthin setzenden Ich ausmacht, will der Realismus demgemäß „durch den Satz der Causalität erklären, sie soll Bewirktes, sie soll zweites Glied in der Reihe seyn" (GA I, 4, 196; SW I, 436). Das heißt nach Fichte aber, daß der Dogmatismus es unternimmt, komplexere Bestimmungen aus einfacheren abzuleiten, nämlich die doppelte Reihe der Intelli171

Vgl. auch schon in der Grundlage: GA I, 2, 279ff (SW I, 119ff) sowie in der Ersten Einleitung: GA I, 4, 188 ( S W 1 , 426): „Es sind [...] nur diese beiden philosophischen Systeme möglich", nämlich die des Idealismus" und des Dogmatismus".

Das Vermögen der Einbildungskraft

109

genz aus der einfachen Reihe des Seins der Dinge, und zwar gemäß einem Prinzip, das einen solchen Zuwachs an Komplexität nicht einsehbar werden läßt, dem Prinzip der Kausalität. Daher machen die Dogmatiker in der projektierten Ableitung des vorstellenden Ich aus den Einwirkungen der Dinge „einen Ungeheuern Sprung in eine ihrem Princip ganz fremde Welt" (GA I, 4, 197; SW I, 437), so daß es dem Dogmatismus unmöglich ist, die Vorstellung zu erklären, die ihrem Wesen nach ein vorstellendes Subjekt voraussetzt. Trotz der offensichtlichen Hochschätzung des Spinozismus: er ist „wirkliche]. Metaphysik; er stellt nicht blos die bekannte Erfahrung auf, sondern er fragt nach einem Grunde derselben u. giebt ihn an" (GA IV, 1, 366), ist der Dogmatismus somit „gar keine Philosophie; sondern nur eine ohnmächtige Behauptung und Versicherung" (GA I, 4, 198; SW I, 438).172 Durch das realistische Prinzip des Anstoßes ist nämlich zwar erklärbar, wie im Bewußtsein ein Nicht-Ich vorkommen kann, aber nicht, wie eine selbstbezügliche Intelligenz sich selbst als durch einen Gegenstand bestimmt betrachtet. Es hat sich somit als Resultat der Betrachtung des jeweils einseitigen Idealismus und Realismus ergeben, daß die Tätigkeit der Einbildungskraft weder nur durch sich selbst noch durch einen isoliert angenommenen Anstoß erklärt werden kann; denn einerseits fehlt einer unbedingt produzierenden Tätigkeit des Subjekts der Anlaß zur Setzung eines Nicht-Ich, eines dem Ich Entgegengesetzten, und andererseits stellt der Anstoß für sich allein keinen zureichenden Grund für eine auf sich handelnde Intelligenz dar, so daß diese sich nicht als durch das Nicht-Ich bestimmt setzen kann. Daher wird nach Fichte eine Synthesis des sich selbst setzenden Ich und des Anstoßes notwendig: Auf der einen Seite geschieht der Anstoß „auf das Ich, insofern es thätig ist"; auf der anderen Seite ist „die Thätigkeit des Bestimmens des Ich durch sich selbst, bedingt durch den Anstoß" (GA I, 2, 356; SW I, 212). Das Zusammenfassen als im Ich gründende Tätigkeit der Einbildungskraft und das Zusammentreffen entgegengesetzter Glieder im Bewußtsein sind also auf eine solche Weise miteinander zu vereinigen, daß einsichtig wird, wie eins nicht ohne das andere geschehen kann. Dabei hatte sich schon gezeigt, daß das Zusammenfassen deswegen vom Zusammentreffen abhängig ist, weil ohne Anstoß ein Entgegensetzen seitens der 1,2

Diese Ausführungen kritisiert in scharfer Form R.Brandt (Fichten I.Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797). In: Kant-Studien 69 (1978) 76fl), der vor allem den Bruch zwischen den Abschnitten 5 und 6 der Ersten Einleitung in den Vordergrund stellt, nach dem der Dogmatismus zunächst nur aus praktischen Erwägungen, schließlich aber auch durch theoretische Argumentationen widerlegbar sein soll. Dabei schöpft er allerdings die Möglichkeiten, die sich durch die Unterscheidung zwischen dem Dogmatismus und dem Dogmatiker ergeben, nicht vollständig aus. Den Fichteschen Ausführungen gerechter wird hingegen D.Breazeale: How to make an Idealist: Fichte's „Refutation of Dogmatism" and the starting Point of the „Wissenschaftslehre". In: Philosophical Forum XIX (1987-88), 97-123. Zur Fichteschen Verwendung des Ausdrucks „Metaphysik" sei verwiesen aut'C.Cesa: Metaphysische Themen bei Fichte. In: Metaphysik nach Kant. Stuttgarter Hegel-Kongreß 1987. Hrsg. von D.Henrich und R.-P.Horstmann. Stuttgart 1988, 166ff.

110

Die erste Version der Wissenschaflslehre

Intelligenz gar nicht zureichend begründet werden kann, da das Subjekt, handelt es schlechthin und unbedingt, sich selbst als unendliche, in sich zurückgehende Tätigkeit setzt. Daß das Zusammentreffen ohne ein Zusammenfassen nicht möglich ist, ergibt sich hingegen aus der grundsätzlichen transzendentalidealistischen Überlegung, der gemäß nichts sein kann, ohne daß es für ein Ich ist, ohne daß die Intelligenz sich in irgendeiner Weise darauf bezieht. So ist auch ein Zusammentreffen, eine Grenze zwischen Subjekt und Objekt nur anzunehmen, sofern sie durch ein Ich als dasjenige den Entgegengesetzten Gemeinschaftliche gesetzt wird, in dem sie tätig zusammenzufassen sind. Das Zusammentreffen oder der Anstoß auf die Aktivität des Ich steht nach Fichte aber darüber hinaus unter der zusätzlichen Bedingung, daß die Tätigkeit des Subjekts ins Unendüche hinausgehen muß, wenn kein Anstoß auf sie erfolgt. Ergäbe sich eine Begrenzung des Ich nämlich nicht allein aus dem Widerstand seitens des Nicht-Ich, wäre es vielmehr durch seine eigenen Wesensgesetze immer schon ein endliches Selbst, wie nach Fichte etwa der quantitative Idealismus annimmt, so wäre eine aus der Intelligenz nicht ableitbare Begrenzung derselben genau dann nicht als Anstoß zu qualifizieren, wenn die dem Ich fremde Grenze mit deqenigen zusammenfiele, die aus seinen eigenen Gesetzen erfolgt. Dann ergäbe sich aber zugleich kein Anlaß, vermittels der produktiven Tätigkeit der Einbildungskraft ein Nicht-Ich hervorzubringen und zwischen Subjekt und Objekt eine Grenze zu setzen. Somit haben sich zwei Bedingungen für die Tätigkeit der Einbildungskraft ergeben. Einerseits muß eine ins Unendliche hinausgehende Aktivität des Ich angenommen werden. Diese muß unendlich sein, weil ansonsten eine Begrenzung derselben nicht in jedem Fall auf einen Widerstand durch ein dem Subjekt Fremdes zurückgeführt werden kann; sie muß eine Tätigkeit des Ich sein, da die Struktur des Sich-Setzens bzw. die „doppelte Reihe, des Seyns, und des Zusehens, des Reellen, und des Idealen" (GA I, 4, 196; SWI, 436) aufgrund des höheren Komplexitätsgrades aus dem realistischen Prinzip des Dinges an sich und seinen kausalen Einwirkungen nicht ableitbar ist. Andererseits bleibt der Anstoß deswegen ein auf die Tätigkeit der Intelligenz nicht reduzierbares Prinzip, weil er den Anlaß zur Entgegensetzung eines Nicht-Ich darstellt, welche Entgegensetzung aus dem unendlichen, mit sich identischen Handeln des absoluten Subjekts nicht gefolgert werden kann. Damit sind die grundsätzlichen Bedingungen der produktiv-reproduktiven und zeitbildenden Tätigkeit der Einbildungskraft angegeben, soweit dies nach Fichte im Rahmen der theoretischen Wissenschaftslehre möglich ist; im Folgenden ist hingegen ihr komplexer interner Aufbau zu analysieren, der über das bloße Setzen einer Grenze hinausgeht und sich in eine Mannigfaltigkeit von Strukturmomenten gliedert.173 173

Die Bestimmung der die Tätigkeit der Einbildungskraft bedingenden Momente muß nach Fichte innerhalb der theoretischen Wissenschaftslehre notwendig unzureichend bleiben; denn es ist spe-

Das Vermögen der Einbildungskraft

111

3.2 Die produktiv-reproduktive Struktur der Tätigkeit der zeitbildenden Einbildungskraft Es hatte sich gezeigt, daß die Tätigkeit der Einbildungskraft laut Fichtes Ausführungen im letzten Abschnitt der sogenannten Synthesis E in zwei Prinzipien gründet, die nicht aufeinander zurückführbar, je für sich aber auch nicht in der Lage sind, die Vorstellungsleistungen der Einbildungskraft hinreichend zu fundieren: einerseits muß man die unendliche Tätigkeit des reinen Ich voraussetzen und andererseits einen auf dieses Handeln geschehenden Anstoß, der der weiteren Ausdehnung desselben widersteht. Damit ist jedoch - in Fichtes Terminologie - lediglich das Zusammentreffen thematisiert sowie die in ihm Zusammentreffenden, die zudem im Rahmen der „Grundlage der Wissenschaft des Praktischen" zu spezifizieren sind. Die Forderung Fichtes lautete aber, Zusammentreffen und Zusammmenfassen in ihrer Einheit zu entwickeln, wobei über das einseitige Bedingungsverhältnis hinaus auch das Zusammentreffen nur dann möglich sein soll, wenn zwischen die ineinander Eingreifenden durch die Einbildungskraft eine Grenze eingeschoben wird. In diesem Setzen einer Grenze gehen die Leistungen der Einbildungskraft jedoch nicht auf; es ist vielmehr lediglich ein Moment eines komplexen Gefüges von Tätigkeits- bzw. Setzungsweisen derselben. Dabei werden vor allem mit der Dichotomie zwischen Produktion und Reproduktion und mit der Konzeption des zeitbildenden Schwebens Kantische Theorieelemente aufgenommen und umgedeutet. Die Struktur der Tätigkeit der Einbildungskraft expliziert Fichte mm ausgehend von der Feststellung, daß die durch dieselbe Vereinigten und damit in einem einheitlichen Bewußtsein Zusammengefügten „schlechthin entgegengesezt" (GA I, 2, 358; SfV I, 214) sein müssen. Solche schlechthin Entgegengesetzten traten zunächst in den ersten beiden Grundsätzen mit dem Ich und dem Nicht-Ich auf; sie konnten aufgrund der im dritten Paragraphen aufgestellten Handlung und der durch dieselbe gesetzten Beschränkung im identischen Bewußtsein zusammenbestehen, insofern ihnen das gemeinschaftliche Prädikat der Teilbarkeit zukam. Wenn Fichte jetzt an dieser Stelle erneut von „schlechthin Entgegengesetzten" spricht, dann muß man offenbar davon ausgehen, daß von allen bisher deduzierten Synthesisleistungen des Subjekts zu abstrahieren ist, um die einzig zureichende Vereinigung von Ich und Nicht-Ich zu begreifen. Diese bewirkt das aufgefundene bzw. - gemäß Fichtes Anspruch - nach strenger Methode abgeleitete Vermögen der Einbildungskraft.174 Dabei sind die zu verei-

174

ziell die reale bzw. praktische Tätigkeit des Ich, auf die der Widerstand ausgeübt wird und die dadurch die Herabsetzung zu einem bloßen Streben erfahrt; deswegen kann die endgültige Bedeutung des Anstoßes erst in der „Grundlage der Wissenschaft des Praktischen" dargelegt werden, wie Fichte mehrfach betont. Vgl. bes. GA I, 2, 361f (SIV1, 218). Ergibt sich diese Forderung daraus, daß unter Berücksichtigung der bisherigen Synthesen von „schlechthin Entgegengesetzten" gar nicht mehr die Rede sein könnte, so heißt das nicht, daß

112

Die erste Version der Wissenschaftslehre

rügenden Entgegengesetzten aber nicht mehr wie das Ich und das Nicht-Ich der Paragraphen 1 und 2 als „Seyn, und Nicht-Seyn, Realität, und Negation" (GA I, 2, 269; SWI, 108) bestimmt, sondern als Endlichkeit und Unendlichkeit. Diese Charakterisierung folgt jedoch keineswegs aus den vorausgegangenen Deduktionen; sie ist vielmehr lediglich das Resultat einer Suche nach solchen Gegensätzen, denen keinerlei Gemeinsamkeiten zukommen. Während alles Endliche nämlich darin übereinkommt, daß es bestimmbar und d.h. wohl: in seinem bestimmten Bedeutungsgehalt durch Abgrenzung von anderem Endlichen erfaßbar ist, soll das Unendliche dieses Merkmal nicht aufweisen. Denn da nach Fichte alle Bestimmung nach dem Satz: omnis determinatio est negatio, geschieht, ist das Unendliche als Unbeschränktes zugleich imbestimmbar. Das Endliche und das Unendüche haben als Bestimmbares und Unbestimmbares somit „gar keinen Vereinigungspunkt" und sie müssen daher „diejenigen Entgegengesezten seyn, von welchen hier geredet ist" (GA I, 2, 358; SW I, 214), wie Fichte in einer Klammeranmerkung ausfuhrt. Wie nun für Zusammentreffen und Zusammenfassen gilt, daß eins nicht ohne das andere möglich ist, das Eingreifen der Glieder nicht ohne das Setzen einer Grenze und die Handlung des Vereinigens nicht ohne auf das Ich geschehenden Anstoß, so soll auch für die Entgegengesetzten Endlichkeit und Unendlichkeit nicht einfach gezeigt werden, daß sie in einem einheitlichen Bewußtsein vereinbar sind; vielmehr ist darüber hinausgehend nachzuweisen, daß mit der Setzung des einen zugleich diejenige des jeweils anderen notwendig wird, so daß sie nur als in bestimmter Weise aufeinander Bezogene und voneinander Unterschiedene die Elemente des Bewußtseins darstellen können. So formuliert Fichte als Argumentationsziel: „keine Unendlichkeit, keine Begrenzung; keine Begrenzung, keine Unendlichkeit; Unendlichkeit und Begrenzung sind in Einem und eben demselben synthetischen Gliede vereinigt (GA I, 2, 358; SW I, 214). Fichte nimmt sich also vor zu demonstrieren, an welche Setzungsfolge die Einbildungskraft in der Ermöglichung eines einheitlichen Bewußtseins unabdingbar gebunden ist und in welcher Weise man aufgrund dessen ihre interne Tätigkeitsstruktur differenzieren muß, so daß sich ihr Handeln etwa als produktivreproduktiv oder als zeitbildend erweist. Die zunächst zu beweisende These lautet: keine Begrenzung ohne Unendlichkeit des Ich. Fichte hatte zwar bereits dargelegt, daß der Einbildungskraft die in sich zurückgehende Tätigkeit des reinen Ich in ihrer Unbeschränktheit zugrundezulegen ist, weil allein unter dieser Voraussetzung eine Begrenzung derselben in jedem Fall auf den Einfluß durch ein dem Ich Fremdes zurückzuführen ist; jetzt wird jedoch der Nachweis angestrebt, daß nur aufgrund einer durch den sich Limitation, Wechselwirkung, Kausalität und Substantiality nicht als Momente der komplexen Tätigkeit der Einbildungskraft erweisen können, indem sie etwa zwischen Ich und Nicht-Ich eine Grenze setzt oder Realität auf das Nicht-Ich überträgt.

Das Vermögen der Einbildungskraft

113

Anstoß nicht begrenzbaren, produktiven Anschauungstätigkeit die Vereinigung von Ich und Nicht-Ich in der Sphäre des Bewußtseins möglich ist. Würde die unendliche Tätigkeit der Intelligenz durch den Anstoß nämlich schlechthin beschränkt, so daß sie jenseits des Widerstandes vernichtet wäre, dann könnte sich das Ich auch nicht als begrenzt setzen. Denn dafür ist laut den Erörterungen zur Substantialität der Vergleich mit der absoluten Totalität erforderlich. Das Selbst muß über seine eigene Beschränkung immer in irgendeiner Form hinaus sein, muß sich auf das Jenseits derselben beziehen, wenn es ihm möglich sein soll, das verminderte Quantum Aktivität als solches zu bestimmen. Deshalb ist auch in diesem Fall eine Tätigkeit anzunehmen, die trotz des Anstoßes über jede Begrenzung hinaus in die Sphäre des Nicht-Ich reicht; das Ich muß jenseits seiner Beschränkung „sich setzen, als sich nicht setzend" (GA I, 2, 358; SW I, 214). Nun wird aber -wie die praktische Wissenschaftslehre beweist- die reale oder praktische Tätigkeit des Selbst durch den Anstoß tatsächlich begrenzt; sie wird zu einem bloßen Streben bzw. Trieb herabgesetzt, der seinen Spielraum zwar stetig zu erweitern sucht, der aber niemals über die jeweilige aktuelle Grenze hinaus gelangt. Nicht begrenzbar in diesem Sinne ist nach Fichte hingegen das ideale oder vorstellende Handeln: „Es geht demnach die ideale Thätigkeit hinaus, und sezt etwas, als Objekt des Triebes" (GA I, 2, 425; SW I, 296).175 Das jenseits der Grenze gesetzte Beschränkende, das die Ausdehnung der praktischen Tätigkeit Hemmende muß man aber notwendigerweise als Nicht-Ich qualifizieren. Dieses Handeln der Intelligenz über die Begrenzung hinaus folgt daher offensichtlich der Regel der Kausalität, der gemäß das Ich aufgrund seines Leidens eine Tätigkeit auf sein Gegenteil überträgt. Wenn Fichte nun konstatiert, das Ich setze außerhalb seiner selbst „die unbestimmte, unbegrenzte, unendliche Grenze" (GA I, 2, 358; SW I, 214), dann meint er damit offenbar zweierlei: Einerseits setzt sich das Subjekt aufgrund des Anstoßes ein unendliches Nicht-Ich entgegen, das die gesamte Sphäre jenseits seiner selbst erfüllt; andererseits schiebt es zwischen sich und das Objekt eine Grenze ein, in der die beiden Pole auf noch genauer zu bestimmende Weise aufeinander stoßen. Es kann also nach Fichte keine Begrenzung des praktischen Selbst angenommen werden ohne unbegrenzbare, ideale Tätigkeit desselben, vermittels welcher es über seine beschränkte Sphäre hinausgeht und nicht nur die Grenze, sondern auch das Nicht-Ich jenseits derselben anschauend produziert. Dementsprechend gilt: keine Begrenzung ohne Unendlichkeit, nämlich ohne ein unend175

Vgl. zur Unbegrenzbarkeit der idealen Tätigkeit in der Wissenschaflslehre nova methodo Κ 97: „Die praktische Thätigkeit läßt sich ganz unterdrücken [,] so daß gar keine mehr übrig sei, sondern nur ein Streben nach ihr. Aber der Charakter der idealen Thätigkeit ist, daß sie mir bleibe und nicht aufg[e]h[o)ben werden könne" (ebenso belegt in der Halleschen Nachschrift GA IV, 2, 90). Daher muß man nach Fichte „all[e]r Untersuchung voraus im Ich anknüpfen eine unbeschränkbare und eine beschränkbare Thätigkeit (ideal[e] und real[e] Thätigkeit)" (K 100; vgl. GA IV, 2, 91). Vgl. ebenso Κ 78, 103 (GA IV, 2, 71, 93) u.ö. Zur Gleichsetzung der idealen mit der vorstellenden Tätigkeit vgl. GA I, 2, 424 (SIVI, 294).

114

Die erste Version der Wissenschafìslehre

liches, beschränkendes Nicht-Ich; umgekehrt ist nun aber ebenso zu zeigen, inwiefern Unendlichkeit Begrenzung impliziert. Denn die gemäß Fichtes Stipulation durch die Einbildungskraft vereinigten Relata: Unendlichkeit und Endlichkeit sollen in einem solchen wechselseitigen Bedingungsverhältnis stehen, daß an ihnen die Setzungsfolge des produktiv-reproduktiven Anschauens erkennbar wird. Für den zweiten Beweis: keine Unendlichkeit ohne Begrenzung rekurriert Fichte nun auf einen Grundsatz seines Systems: „Das Ich ist nur das, als was es sich sezt" (GA I, 2, 358; SW I, 214).176 Da das Wesen des Ich im Sich-Setzen besteht, muß es auf das, was es ist, immer irgendwie Bezug nehmen; nach Fichte heißt das im gegebenen Fall konkret: die Intelligenz muß die unendliche, das Nicht-Ich produzierende Tätigkeit sich zuschreiben, sie als seine Tätigkeit bestimmen. In dieser unabdingbaren Selbstzuschreibung werden die unendliche Tätigkeit und ihr Produkt jedoch notwendig begrenzt. Dies folgt im Zusammenhang dieser Argumentation aber nicht aus der Tatsache, daß das Selbst auf sich nur als ein Endliches mit Bewußtsein reflektieren kann; denn die Tätigkeit der Einbildungskraft bleibt - wie sich zeigen wird - zunächst vollständig unbewußt. Vielmehr betrachtet Fichte die Unendlichkeit an dieser Stelle als ein positives Prädikat, das in seiner Bedeutung von der Endlichkeit abzuheben ist: Das Ich „bestimmt sich durch das Prädikat der Unendlichkeit" (GA I, 2, 358; SW I, 214).177 Das Subjekt scheitert also an der Aufgabe, sich selbst unendlich zu setzen, indem es im Versuch, derselben nachzukommen, sich unumgänglich begrenzt. Es ist daher genötigt, die unendliche Tätigkeit und ihren Gegenstand erneut von sich zu unterscheiden, so daß nach Fichte ein Widerstreit entsteht, der „sich selbst reproducirt" (GA I, 2, 359; SW I, 215): das Ich muß die unendliche Tätigkeit und ihr Produkt mit sich identifizieren, verendlicht sie jedoch gegen die Intention in der Selbstzuschreibung, weswegen es sie von sich unterscheidet usw. ins Unendliche. Mit diesem „Wechsel des Ich in und mit sich selbst, da es sich endlich und unendlich zugleich sezt", ist nun nach Fichte „das Vermögen der Einbildungskraft" (GA I, 2, 359; SW I, 215) in seiner grundsätzlichen Handlungsweise aufgezeigt. Es ist aber wohl noch genauer aufzuklären, was mit diesen zuhöchst abstrakten, die Tätigkeit der Einbildungskraft charakterisierenden Bestimmungen gemeint ist, welche erkenntnistheoretische Leistung ihr damit zugesprochen wird. Zunächst ist dabei festzuhalten, daß mit diesen Darlegungen eine erneute 176

177

Vgl. dazu schon GA I, 2, 260 (SIVI, 98): „Das Ich ist dasjenige, als was es sich sezt; und es sezt sich als dasjenige, was es ist." Vgl. ebenso GA I, 3, 143 {SWI, 331), GA IV, 1, 207 u.ö. Vgl. dazu auch Hegels Charakterisierung der Unbestimmtheit des Seins in seiner Unmittelbarkeit in der Wissenschaft der Logik'. „Eben diese Unbestimmtheit ist aber das, was die Bestimmtheit desselben ausmacht; denn die Unbestimmtheit ist der Bestimmtheit entgegengesetzt" (G.W.F. Hegel: Gesammelte Werke. B d 2 1 . Hrsg. von F.Hogemann und W.Jaeschke. Hamburg 1985, 86). - Vgl. zum dargelegten Fichteschen Gedankengang auch die leicht abweichende Darstellung von W.Weischedel: Der frühe Fichte. Autbruch der Freiheit zur Gemeinschaft. 2. Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973, 61ff.

Das Vermögen der Einbildungskraft

115

Modifikation der Bedeutung der Unendlichkeit bzw. der absoluten Totalität einhergeht. Diese wurde im Rahmen der Erörterung der Substantiality zunächst als Allheit der möglichen Vollzugsweisen des Ich im Sinne des: Ich denke, Ich schaue an, aber auch des: Ich strebe etc. verstanden.178 Doch schon im weiteren Verlauf der sogenannten Synthesis E trat an die Stelle dieser Allheit das unbestimmte „Setzen überhaupt", das durch seine synthetische Vereinigung mit dem Sich-Setzen zu einer solchen Tätigkeit modifiziert wurde, in welcher das Ich sich auf sich selbst bezieht, und zwar entweder als sich setzend oder als sich nicht setzend. Die Alternativen des Selbst erschöpften sich daher dieser Fassung der Substanz-Akzidens-Relation entsprechend im Sich-Setzen und im Setzen eines Objekts, wobei beide im Fall ihrer Aktualisierung durch einen höherstufigen Setzungsakt vergegenwärtigt wurden.179 Diejenige Unendlichkeit, die als Moment der Einbildungskraft auftritt und in ihr die Position der Substanz übernimmt, läßt sich hingegen in die Handlung des theoretischen Selbst und ihr Produkt differenzieren. Dabei kann man die zunächst aufgestellte Bestimmung der absoluten Totalität schon allein deswegen nicht beibehalten, weil Fichte den Vollzug der Einbildungskraft als ein produktives „Anschauen" (GA I, 2, 367; SWI, 225) bzw. als ein „///«schauen" (GA I, 2, 371; SW I, 230) qualifiziert. Im Rahmen ihrer Explikation ist die Tätigkeitsweise des Ich daher auf eine solche Weise festgelegt, daß sich das Subjekt immer im Modus des: Ich schaue an hält. Das „Produkt seiner in s unendliche gehenden Thätigkeit" ist hingegen die „unendliche Grenze" (GA I, 2, 360; SW I, 216). Mit dieser unendlichen Grenze, die das Ich zum Behuf „einer Bestimmung des Subjekts" (GA I, 2, 359f; SW I, 216) setzt, ist aber offenbar die Sphäre der unendlichen Mannigfaltigkeit aller durch dasselbe vorstellbaren Gegenstände gemeint. In welcher Form das Ich solche Unendlichkeit anschauend produziert, ob etwa nur diejenigen Bestimmungen der gegenständlichen Welt klar voneinander abgehoben werden, die unmittelbar aus der Begrenzung des Ich durch den Anstoß folgen, so daß sich innerhalb der unendlichen Mannigfaltigkeit strukturelle Unterschiede konstatieren lassen, die etwa einer perspektivischen Einstellung Rechnimg tragen, oder ob die Unendlichkeit in dieser Hinsicht ein homogenes Ganzes ausmacht, bleibt dabei in Fichtes Ausführungen offen. Entscheidend ist hingegen, daß das Ich im selbstzuschreibenden Bezug der Tätigkeit auf sich dieselbe und damit offenbar auch ihr Produkt verendlicht. Der Sinn dieses Momentes wird klarer, wenn man die Leistung der bestimmenden Vernunft berücksichtigt, die Fichte schon am Ende der sogenannten Synthesis E zur Verdeutlichung des Gemeinten anmerkungsweise einführt. Denn während die Einbildungskraft aufgrund des entstehenden Widerstreits zwischen den Extremen schwebt, zwischen der Identifikation der unendlichen Tätigkeit mit dem 178 179

Vgl. GA 1,2, 298 (SW I, 140f). Vgl. GA 1, 2, 346f (SW I, 200f).

116

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Ich und der Entgegensetzung derselben, wird sie durch das fixierende Vermögen der Vernunft festgelegt, „B. in das bestimmte A. (das Subjekt) aufzunehmen: aber nun muß das als bestimmt gesezte A. abermals durch ein unendliches B. begrenzt werden, mit welchem die Einbildungskraft gerade so verfahrt" (GA I, 2, 361; SWI, 217). Mit der Beschränkung der dem Ich zugeschriebenen, unendlichen Tätigkeit und ihres Produktes scheint Fichte somit dem Phänomen Rechnung zu tragen, daß das endliche theoretische Selbst immer nur einen begrenzten Ausschnitt der durch das Vermögen der Einbildungskraft gebildeten, gegenständlichen Welt klar und deutlich aktuell vorzustellen vermag. Denn das „Bewustsein der W[elt]. geht ja nicht aus von der Unendlichkeit sondern von der Endlichkeif', da ich mir immer nur „einzelner Objecte" bewußt werde: „der Begriff des Universums wird erst allmählig zusammengesezt" (K 223; GA IV, 2, 244). Damit steht dem tatsächlich vorgestellten Gehalt eine Unendlichkeit nicht bewußt vollzogener Gegenstände gegenüber, von denen wiederum nur ein begrenzter Anteil deutlich vorgestellt werden kann usw. Das Ziel solchen Wechsels, das denselben teleologisch bestimmt, ist dabei das Stadium „der vollständigen Bestimmung der (hier theoretischen) Vernunft durch sich selbst, wo es weiter keines begrenzenden B. ausser der Vernunft in der Einbildungskraft bedarf'; daher geht er „bis zur Vorstellung des Vorstellenden" (GA I, 2, 361; SWI, 217). Als Telos nimmt Fichte somit die vollständige Durchdringung aller Gegenstände vermittels vernünftiger Gesetze und die damit erreichte erfüllte theoretische Selbstvorstellung des Ich an, dem nichts mehr entgegengesetzt bleibt, was nicht durch seine eigenen Wesensbestimmungen faßbar ist. Da der dem Subjekt zugeschriebenen endlichen Tätigkeit, den bewußt vollzogenen Gehalten aber immer eine unendliche Fülle nicht klar und deutlich vorgestellter Gegenstände gegenübersteht, scheint solche vollendete theoretische Selbstbeziehung ohne daß Fichte dies ausdrücklich sagt - nur in einem unendlichen Progreß erreichbar zu sein. Auf diese Weise wird das gegenseitige Sich-Ausschließen von Sich-Setzen und Sich-nicht-Setzen unter Einbeziehung des fixierenden Vermögens der Vernunft zu einem fortlaufenden, geregelten Wechsel zwischen Produzieren einer Unendlichkeit und Selbstzuschreibung eines begrenzten Anteils derselben fortbestimmt. Neben diesen Konkretisierungen der Struktur der Substantialität im Zusammenhang der Darlegungen zur Einbildungskraft findet sich aber auch eine bemerkenswerte und von Fichte nicht weiter begründete Reduktion von Komplexität. Das vorläufig abschließende Ergebnis der vorangegangenen Erörterungen zur Substanz-Akzidens-Relation lautete bekanntlich: „Das Ich sezt sich als: sich setzend dadurch, daß es das Nicht-Ich ausschließt, oder das Nicht-Ich setzend, dadurch, daß es sich ausschließt" (GA I, 2, 347; SW I, 201). Dabei läßt die Formulierung, entsprechend welcher das Ich im höherstufigen Setzen sich als etwas setzt, darauf schließen, daß diese ideale Tätigkeit das aktualisierte Akzidens mit Bewußtsein und in Abgrenzung vom jeweils ausgeschlossenen Gegenteil verge-

Das Vermögen der Einbildungskraft

117

genwärtigt. Dahingegen geht dieses höherstufige Bewußtsein des Ich von sich mit der Explikation der Einbildungskraft offenbar wieder verloren. Denn Fichte nennt als Ziel der folgenden systematischen Geschichte des Selbstbewußtseins, die innerhalb der allgemeinen theoretischen Wissenschaftslehre ihren Ausgang vom „Faktum" der Einbildungskraft nimmt, daß das betrachtete Ich dieses Faktum „als in seinem Bewußtseyn vohanden" (GA I, 2, 364; SW I, 221) setzen müsse. Zwar sei der Grundsatz der theoretischen Wissenschaftslehre: Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich, durch die Ableitung der Einbildungskraft erschöpft; in den folgenden Ausführungen sei jedoch zu zeigen, daß das durch den Philosophen thematisierte Subjekt vermittels fortgesetzter Reflexion „sich setze, als sich setzend bestimmt durch das Nicht-Ich" (GA I, 2, 365; SW I, 22 3).180 Die bewußte Reflexion des Ich auf sein Setzen, die nach diesen Aussagen allererst das Ziel der folgenden Argumentationen darstellt, geht mit der Einbildungskraft also verloren bzw. sie wird von Fichte ohne zureichende Begründung fallen gelassen. Nur auf diese Weise wird auch die Charakterisierung des Anschauens als unbewußtes Produzieren verständlich. Denn obwohl es diejenigen Gehalte bildet, die durch ein höherstufiges Setzen dem Selbst zum Bewußtsein kommen können, ist das Ich sich desselben „in dieser Funktion [. . .] nicht bewußt, gerade darum, weil vor dieser Funktion vorher gar kein Bewußtseyn ist" (GA II, 3, 298).181 Damit ist nach Fichte aber zugleich der Erklärungsgrund angegeben, warum das Ich die gegenständliche Welt nicht als sein Produkt, sondern als eine Menge gegebener Gegenstände betrachtet: „deshalb nehmen wir alle eine Welt auser uns ohne unser Zuthun, an" (GA IV, 1, 197).182 180

181

182

Daß das Sich-Setzen des Ich als bestimmt durch das Nicht-Ich im Vollzug produktiven Anschauens unbewußt bleibt, geht eindeutig auch aus dem Grundriß des Eigentümlichen hervor, nach dem das durch wiederholte Reflexion teleologisch erstrebte Ziel der pragmatischen Geschichte des menschlichen Geistes in demjenigen Faktum besteht, „durch welches das Ich (mit Bewußtseyn) sich sezt, als bestimmt durch das Nicht-Ich" (GA I, 3, 145; SW I, 333). Ist das Telos der Argumentation aber das auf diese Weise bestimmte Bewußtsein, dann kann es nicht im ursprünglichen Faktum als Ausgangspunkt schon vorausgesetzt werden. Vgl. auch §31 der Vorlesungen über Logik und Metaphysik: Die Vorstellungen „ohne Bewustsein" bzw. die „dunkeln Vorstellungen heißen Anschauungen; welches ein inneres Handeln des vorstellenden ist, in welchem er sich seiner selbst nicht bew[ußt], wird" (GA IV, 1, 196). Daher „verliert" das theoretische Ich „sich im Objecte" (GA IV, 1,212). Im Grundriß formuliert Fichte, daß das Ich „sich selbst gleichsam zum Nicht-Ich umwandelt" (GA I, 3, 171; SW I, 365). Nach der Grundlage kann man in der „natürlichen, der künstlichen transscendental philosophischen entgegengesezten Reflexion [...] nur bis auf den Verstand zurückgehen" (GA I, 2, 374; SW I, 234), so daß der Ursprung des im Verstand Gegebenen in der Einbildungskraft unbewußt bleibt. Vgl. ebenso GA I, 2, 371 (SW I, 230); GA I, 3, 159, 163, 169, 173f, 175 (SW I, 349, 354, 362f, 367, 370); GA I, 3, 330 (SWIII, 18); GA II, 3, 298, 310 sowie GA II, 4, 61, 64 u.ö. Die Unbewußtheit der Tätigkeit der Einbildungskraft ist fur Fichte also der Grund, warum die Gegenstände in der natürlichen Einstellung als unabhängig vom tätigen Ich erscheinen. J.Brachtendorf (Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812. Paderborn/München/Wien/Zürich 1995, 142) sucht nach einer solchen Begründung hingegen im dritten Grundsatz und kommt von da aus zu dem Ergebnis, Fichte beantworte die Frage nicht, „warum das Nicht-Ich als nicht das Ich seiend' bewußt wird, obwohl es nur als Produkt des Ich existiert".

118

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Bisher ist jedoch lediglich aufgezeigt, daß Endlichkeit und Unendlichkeit einander in der Tätigkeit des Anschauens wechselseitig voraussetzen, so daß beide auf das jeweils andere verweisen. Damit ist offensichtlich, daß dem Vermögen der Einbildungskraft die Fähigkeit der Verbindung absolut Entgegengesetzter in einem einheitlichen Bewußtsein zukommen muß; offen ist aber bisher, wie sie dies bewerkstelligt. Aus den in den ersten drei Paragraphen der Grundlage aufgestellten Handlungen läßt sich nun schließen, daß die Einbildungskraft zu diesem Zweck im wesentlichen thetisch, antithetisch und synthetisch verfahrt. Dementsprechend nimmt Fichte dieses Handlungsgefüge erneut auf, modifiziert es jedoch gegenüber den drei obersten Grundsätzen. Nach Fichte gilt: „Alle Handlungsweisen des Ich [...] müssen von einem thetischen Verfahren ausgehen" (GA I, 2, 351; SWI, 205). Das Ich ist aber nicht mehr wie im ersten Paragraphen rein qualitativ als Realität oder Tätigkeit zu bestimmen, welche Tätigkeit erst durch einen eigenen Akt der Limitation quantifizierbar wurde; das Subjekt soll nun vielmehr sogleich als „bestimmte Quantität (GA I, 2, 351; SW I, 206) gesetzt werden. So beginnt das Verfahren der Einbildungskraft mit einer ,,quantitative[n] Thesis, zum Unterschied von der obigen qualitativen" (GA I, 2, 351; SW I, 205), für die neben der Spontaneität des Handelns ein Anstoß als Erklärungsgrund anzunehmen ist; denn die Behauptung einer völlig grundlosen Selbstbeschränkung des Ich führt zu einem qualitativ-dogmatischen Idealismus, den Fichte in der Ersten Einleitung auch einen „transscendenten" (GA I, 4, 200; SW I, 441) nennt, insofern er die Notwendigkeit der Erklärung aus einem zureichenden Grund nicht beachtet. Die Beschränktheit dieser quantitativen Thesis macht nun in einem nächsten Schritt die Antithesis eines Nicht-Ich erforderlich, die aufgrund ihres Ursprungs im Leiden des Ich von Fichte ebenso als quantitativ bezeichnet wird, deren Produkt jedoch in dem unendlichen Nicht-Ich als Gesamtheit aller durch die Intelligenz vorstellbaren Gegenstände besteht. Entscheidend für die Struktur der die Einheit des Bewußtseins stiftenden Tätigkeit der Einbildungskraft ist nun die Art und Weise der Synthesis dieser einander vollständig Entgegengesetzten, des endlichen Ich und des unendlichen Nicht-Ich. Gemäß der Parallelität zu den drei obersten Grundsätzen und zu der in denselben entwickelten Handlungsabfolge muß zwischen Ich und Nicht-Ich eine Grenze eingeschoben werden; neu sind hingegen die Ausführungen Fichtes, nach denen dieses verbindende Dritte erneut unter den Aspekten der Thesis, der Antithesis und der Synthesis zu betrachten ist. So ist die Einbildungskraft im thetischen Setzen der Grenze schlechthin produktiv, indem sie anläßlich des Anstoßes etwas hervorbringt, das ihr nicht schon anderweitig vorgegeben ist. Dabei kann das Produkt dieser Thesis aber unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden: einerseits als die einander schlechthin entgegengesetzten Subjekt und Objekt trennend, andererseits als beide verbindend. Erhellend ist in diesem Zusammenhang das von Fichte angeführte Beispiel der Verknüpfung von Licht und Finsternis, die die Inhalte zweier unmittelbar aufeinander folgen-

Das Vermögen der Einbildungskraft

119

den Zeitmomente im gleichen Raum ausmachen. Licht und Finsternis eignen sich deswegen nach Fichte zur Verdeutlichung der synthetisierenden Leistung der Einbildungskraft, weil sie als Licht und vollständiger Mangel des Lichtes einander absolut entgegengesetzt sind. Bei einer unmittelbaren Folge der Momente A und B, des Lichtes und der Finsternis ist eine Grenze zwischen ihnen nun offenbar zunächst nur so konzipierbar, daß in ihr als vollständig ausdehnungslosem Punkt weder Licht noch Finsternis angetroffen wird; denn die Grenze ist weder als Teil des Momentes A noch als Teil des Momentes B, sondern als die scharfe Trennlinie zwischen beiden zu denken. Nach Fichte ist jedoch ebenso die umgekehrte Folgerungsart möglich: Insofern zwischen den beiden unmittelbar aufeinander folgenden Zeitmomenten des Lichtes und der Finsternis keinerlei Lücke ist, müssen die einander Entgegengegesetzten in ihrer Grenze vermittlungslos aufeinander treffen, so daß die Grenze selbst beides, Licht und Finsternis in einem enthält. Da sich dies bei einem ausdehnungslosen Punkt aber nicht denken läßt, muß die zunächst als mathematischer Punkt gedachte Grenze zu einem Zeitmoment ausgedehnt werden, dessen Inhalt wohl als kontinuierlicher Übergang vom Licht zur Finsternis zu bestimmen ist: „Man könnte sagen, ich dehne in der letztern Folgerungsart Z., das nur Grenze seyn sollte, durch die Einbildungskraft selbst zu einem Momente aus" (GA I, 2, 353; SWI, 208). Erst in dieser Ausdehnung der scharfen Grenze zwischen den Entgegengesetzten, in ihrer Bestimmung zu einem quantum continuum wird also durch die Einbildungskraft die Zeit gebildet, die damit nach Fichte grundlegend als eine Folge von in sich ausgedehnten Momenten zu charakterisieren ist. In analoger Weise und somit zeitbildend gelingt der Einbildungskraft die grundlegende Vereinigung des endlichen Ich und des unendlichen Nicht-Ich in einem einheitlichen Bewußtsein, so daß die demonstrierte Synthesis von Licht und Finsternis als ein davon abgeleiteter Fall zu verstehen ist. Wie bereits dargestellt ist die Einbildungskraft mit einem sich beständig reproduzierenden Widerspruch konfrontiert, nämlich mit demjenigen zwischen der Aufgabe, die unendliche, produktive Tätigkeit mit dem Ich zu identifizieren, und der Unmöglichkeit der Lösung dieser Aufgabe, die eine Entäußerung der Tätigkeit und somit die Entgegensetzung ihres Produkts als getrenntes Nicht-Ich erforderlich macht. Da keine der beiden Alternativen letztgültig fixiert werden kann, indem die jeweils andere sich als ebenso notwendig erweist, befindet sich die Einbildungskraft ohne das bestimmende Vermögen der Vernunft in einem Schwebezustand, der aber nicht als ein statisches Verharren zwischen den Extremen verstanden werden darf. Vielmehr gibt der menschliche Geist vermittels seines Schwebens und d.h.: dadurch, daß er die Entgegengesetzten „berührt, und wieder von ihnen zurükgetrieben wird, und wieder berührt, ihnen im Verhältniß auf sich einen gewissen Gehalt, und eine gewisse Ausdehnung (die zu seiner Zeit als ein Mannigfaltiges in der Zeit, und im Räume sich zeigen wird)" (GA I, 2, 367; SW I, 225). Während jedoch die Setzung der angeschauten Gehalte, sofern

120

Die erste Version der Wissenschaftslehre

sie ein Mannigfaltiges ausmachen, in Raum und Zeit in die „besondere theoretische Wissenschaftslehre" gehört, die Gegenstand des Grundriß des Eigentümlichen ist, kann bezüglich der grundlegenden Struktur der Tätigkeit der Einbildungskraft festgehalten werden, daß sie zwischen den Entgegengesetzten nicht fixiert ist, sondern sich in einer oszillierenden Bewegung befindet, die aber die jeweiligen Extreme nur zu „berühren" vermag.183 In dieser pendelnden Bewegung zwischen den Entgegengesetzten Ich und Nicht-Ich liegt nun nach Fichte die ursprünglichste Wurzel der Zeit. Es muß also ein solche Tätigkeit gedacht werden, die sich nicht selbst schon in der vorgegebenen Anordnungsgrundlage der Zeit ereignet, sondern in ihrer zeitlosen Bewegung dieselbe allererst hervorbringt. Wie auch schon aus der Veranschaulichung am Beispiel von Licht und Finsternis hervorging, muß der Zeitmoment dabei als in sich selbst ausgedehnt verstanden werden. Denn einerseits würde aus einer Aneinanderreihung ausdehnungsloser Jetztpunkte keinerlei Dauer erfolgen184; andererseits ließe sich daraus die Vereinigung vollständig Entgegengesetzter auch gar nicht erklären. Denn für Fichte gilt: „die Zeitmomente selbst sind nichts[,] sondern nur, was in ihnen vorgestellt wird, macht[,] daß sie entstehen" (GA IV, 1, 235). Weil die zu Verbindenden, das endliche Ich und das unendliche Nicht-Ich einander absolut entgegengesetzt sind und sie keinerlei Prädikat gemein haben, können sie in einem ausdehnungslosen Jetztpunkt nicht zusammengefaßt werden; denn daraus ergäbe sich der Widerspruch einer zugleich das Ich und das Nicht-Ich setzenden Einbildungskraft. Der Zeitmoment erhält vielmehr deswegen eine Dauer, weil „in ihm schon ein mannigfaltiges liegt" (GA IV, 1, 210). Da dieses Mannigfaltige jedoch in einem einheitlichen Bewußtsein zu vereinigen ist, muß die Zeit zugleich in sich kontinuierlich sein, so daß kein zeitlicher Sprung zwischen dem produktiven Anschauen der Entgegengesetzten entstehen kann. Deswegen hält das Vermögen der Einbildungskraft ein „berührtes" Extrem jeweils „so lange fest, bis es dasjenige, wodurch dasselbe verdrängt wird, damit verglichen hat" (GA I, 2, 350; SWI, 204). Somit 183

184

In starker Prägung durch Heideggers Kant-Auslegung interpretiert F.Inciarte (Transzendentale Einbildungskraft. Zu Fichtes Frühphilosophie im Zusammenhang des transzendentalen Idealismus. Bonn 1970, 71ff) das Schweben der Einbildungskraft insofern als Ausdruck der Beschränktheit des Ich, als es im Vollzug der intellektuellen Anschauung keinerlei Bewußtsein seiner selbst erlange und sich somit immer die Möglichkeit der Reflexion auf das Objekt offen halten müsse, damit es sowohl zum Bewußtsein als auch zum Selbstbewußtsein kommen könne. Diese Möglichkeit bekunde sich aber im transzendentalen Objekt als Horizont, innerhalb dessen Welt tur das Ich zugänglich sei. In die gleiche Richtung zielt auch schon W.Weischedel: Der frühe Fichte. Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft. 2. Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973, 64ff. - In dem wiedergegebenen Zitat ist allerdings nicht schon die Deduktion des Raumes enthalten, wie D.Schäfer (Die Rolle der Einbildungskraft in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Köln 1967, 13 Iff) nahelegt. Als Form äußerer Anschauung gehört der Raum vielmehr in die besondere theoretische Wissenschaftslehre, die die Mannigfaltigkeit des Nicht-Ich und seine notwendigen internen Verhältnisse in ihre Untersuchungen einbezieht. Vgl. GA I, 5, 94 (SWIV, 90f) sowie Κ 205f (G4 IV, 2, 220f).

Das Vermögen der Einbildungskraft

121

zeigt sich: nur weil die Einbildungskraft in der Lage ist, absolut Entgegengesetztes zu verbinden, bleibt die Einheit und Identität des Ich und des in ihm fundierten Bewußtseins gewahrt; dies gelingt ihr aber nur durch die Produktion in sich ausgedehnter Zeitmomente, die in ihrer Zusammenfügung eine kontinuierliche Zeitreihe konstituieren.185 Mit dieser These, daß die Einbildungskraft durch ihre Tätigkeit des in sich selbst unzeitlichen Schwebens die Zeit allererst bildet, erweitert Fichte offenbar ihre Produktivität gegenüber Kants Kritik der reinen Vernunft. Denn nach der grundsätzlichen Lehre derselben ist es zwar die Einbildungskraft, die das Mannigfaltige der Zeit selbst und die Pluralität des in der Zeit Gegebenen gemäß den kategorialen Regeln zusammenfaßt; doch der spezifische zeitliche Sinn des auf diese Weise Synthetisierten ergibt sich gerade nicht aus dieser spontanen Leistung, sondern stellt eine irreduzible formale Gegebenheit des inneren Sinnes dar. Das zusammenfügende Bilden der Einbildungskraft ist somit prinzipiell an keine bestimmte anschauliche Form des durch sie Verbundenen geknüpft; dieses erhält eine derartige Form vielmehr erst aus der spezifischen Beschaffenheit der menschlichen Sinnlichkeit, auf die sich die Synthesisleistungen der Einbildungskraft richten. Wenn Kant davon spricht, „daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge" (KrV Β182), so meint „Erzeugung" also zunächst lediglich „Synthesis"; denn in der „sukzessiven Apprehension eines Gegenstandes" als Zusammenfassen eines gleichartigen Mannigfaltigen gemäß der Kategorie der Größe wird mir zugleich die Zeit selbst als „Zeitreihe" (ÄVKB184) vorstellig. Doch es gibt auch Stellen in der Kritik der reinen Vernunft, die Fichtes These von der zeitbildenden Einbildungskraft zumindest vorbereiten. So heißt es in 185

Problematisch bleibt dabei die nähere Charakterisierung der durch die Einbildungskraft gebildeten Zeit. Fichte macht nämlich in der Grundlage keine genaueren Angaben über ihre inneren Bestimmungen. Es läßt sich lediglich entnehmen, daß sie als eine Reihe in sich ausgedehnter Zeitmomente zu verstehen ist. Dabei bleibt jedoch unausgemacht, ob damit eine zureichende Grundlage etwa für zeitlich meßbare physikalische Phänomene gegeben ist. Aber auch die Erlebniszeit scheint nicht gemeint zu sein, da nicht verschiedene bewußte Erlebnisse des Ich, sondern die durch die produktive Einbildungskraft gesetzten Ich und Nicht-Ich verbunden werden. Offenbar muß man sich eine fundamentalere, alle Einheit des Bewußtseins begründende Zeitform vorstellen, die allererst einer Differenzierung in physikalisch meßbare Zeit und Erlebniszeit bedarf. Vgl. zu diesem Problem bei Kant K.Düsing: Objektive und subjektive Zeit. Untersuchungen zu Kants Zeittheorie und zu ihrer modernen kritischen Rezeption. In: Kant-Studien 71 (1980), Iff sowie zu Fichte Ders.: Einbildungskraft und selbstbewußtes Dasein. In: Kategorien der Existenz: Festschrift für Wolfgang Janke. Hrsg. von K.Held und J.Hennigfeld. Würzburg 1993, 66f. Ober Fichte hinausgehend versucht W Janke (Fichte. Sein und Reflexion - Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, 157t), die Begründung der Erlebniszeitmodi: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Schweben der Einbildungskraft nachzuweisen. Als Anknüpfungspunkt eigenständiger Überlegungen verwendet die Fichteschen Ausführungen ebenso F.Inciarte: Transzendentale Einbildungskraft. Zu Fichtes Frühphilosophie im Zusammenhang des transzendentalen Idealismus. Bonn 1970, 78ff. Zum zeitbildenden Schweben vgl. auch H.Eidam: Fichtes Anstoß. Anmerkungen zu einem Begriff der „Wissenschaftslehre" von 1794. In: Fichte-Studien 10 (1997), 1991T.

122

Die erste Version der Wissenschaftslehre

§24 der zweiten Auflage, daß der Begriff der Sukzession allererst daraus entspringt, daß man seine Aufmerksamkeit speziell auf die Handlung der Einbildungskraft in der sukzessiven Synthesis als Bestimmung des inneren Sinnes richtet. Der Ursprung dieses Begriffs liegt somit in der „Bewegung, als Handlung des Subjekts" (A>FB154), der als in sich selbst sukzessiver Tätigkeit offenbar ein zeitlicher Sinn zugesprochen wird. So kann man nach Kant die kontinuierlichen Größen Raum und Zeit deswegen zurecht , fließende nennen, weil die Synthesis (der produktiven Einbildungskraft) in ihrer Erzeugung ein Fortgang in der Zeit ist, deren Kontinuität man besonders durch den Ausdruck des Fließens (Verfließens) zu bezeichnen pflegt" (KrV B21 lf). Ohne auf die Schwierigkeiten der Verbindung dieser Andeutungen Kants mit seiner Theorie von der Zeit als Form des inneren Sinnes einzugehen, kann Fichte ihnen zumindest Anregungen zu seiner eigenen Konzeption entnommen haben. Denn für ihn ist - anders als für Kant - mit der Sukzession die grundlegende Bestimmung der Zeit überhaupt angegeben. Aus den vorausgegangenen Erörterungen ergibt sich mm auch die Gliederung der Aktivität der Einbildungskraft in Produktion und Reproduktion. Denn während das Anschauen im thetischen Setzen einer Grenze nach Fichte produktiv ist, charakterisiert er es in den Akten der Antithesis und der Synthesis als reproduktiv tätig.186 Antithesis und Synthesis als Handlungsmomente unterscheiden sich dabei darin voneinander, daß die Grenze als die Entgegengesetzten entweder trennend oder verbindend betrachtet wird. Die Bestimmung der darin tätigen Einbildungskraft als reproduktiv folgt hingegen dem Analogon der Verbindung mannigfaltiger gegenständlicher Gehalte. Fichte bezeichnet nämlich die produktive Einbildungskraft als das Vermögen, sich „überhaupt u. schlechthin ohne alle vorhergegangene Bildung Bilder zu entwerfen"; demgegenüber ist sie als reproduktive oder ordnende die Fähigkeit, „schon ehemals entworfene Bilder willkührlich zu erneuern, zu ordnen, zu trennen, anders zusammen zu setzen" (GA II, 3, 309).181 Die reproduktive Einbildungskraft nimmt auf der Ebene gegenständlich-vorgestellter Gehalte das durch das produktive Anschauen Gebildete also lediglich auf, um es nach spezifischen Regeln, etwa denen der Assoziation, in bestimmte Verhältnisse zu setzen. Ebenso stützt sich auf der grundlegenderen transzendentalphilosophischen Ebene der Erklärung der Möglichkeit eines einheitlichen Bewußtseins die reproduktive Einbildungskraft auf die bereits produzierten Subjekt, Objekt und Grenze, indem sie die Entgegengesetzten in der Grenze aufeinander bezieht bzw. voneinander trennt. Dabei stellt auch diese Charakterisierung der Tätigkeit der Einbildungskraft als produktiv bzw. reproduktiv ganz offensichtlich eine umdeutende Aufnahme Kants dar, der in der Kritik der reinen Vernunft „die produktive Einbildungs186

Vgl. 04 I, 2, 359 (SfVl, 215). Vgl. ebenso GA 1,2, 376 (SWI,

235) sowie GA I V ; 1, 228f.

Das Vermögen der Einbildungskraft

123

kraft [...] von der reproduktiven" sondert, „deren Synthesis lediglich empirischen Gesetzen, nämlich denen der Assoziation, unterworfen ist" (KrV Β152). Diese Unterscheidung des Vermögens der „ursprünglichen Darstellung" des Gegenstandes von demjenigen, welches „eine vorher gehabte empirische Anschauung ins Gemüth zurückbringt" (AA VII, 167), transformiert Fichte allerdings zu zwei Aspekten der Tätigkeit der schwebenden Einbildungskraft in ihrer grundlegenden Vereinigung von Ich und Nicht-Ich in einem einheitlichen Bewußtsein. So stellt bei Kant die transzendentale Einbildungskraft diejenige Unterart der produktiven dar, die sich in ihren spontanen Synthesen a priori als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung ausweist; demgegenüber werden die reproduktiven Akte aufgrund der Befolgung lediglich empirischer Gesetze aus der Transzendentalphilosophie gänzlich ausgeschlossen und der Psychologie zugewiesen. Bei Fichte bezeichnen die Attribute „produktiv" und „reproduktiv" hingegen grundlegend zwei Tätigkeitsweisen der transzendentalen, die Identität des Bewußtseins wahrenden Einbildungskraft. 188

3.3 Kategoriendeduktion und Einbildungskraft Mit den Explikationen Fichtes zu den Voraussetzungen und der Struktur der produktiv-reproduktiven Tätigkeit der zeitbildenden Einbildungskraft in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre sind bei weitem nicht alle ihre Leistungen in Betracht gezogen. In einer Konfrontation mit Kant ist darüber hinaus vor allem das gegenstandskonstituierende Anschauen zu thematisieren, sofern es kategorial bestimmt ist. Dabei muß gefragt werden, ob sich nicht vielleicht in der Systemanlage der frühen Wissenschaftslehre Gründe aufzeigen lassen, die die Aussparung dieses Themas in der Grundlage und seine Verortung in einem anderen Systemteil verständlich machen. Zudem sollen detaillierte Ausführungen über den Zusammenhang von Objektkonstitution und Einbildungskraft in anderen veröffentlichten und unveröffentlichten Schriften Fichtes mit vergleichendem Blick auf Kants Kritik der reinen Vernunft nachvollzogen werden. Da sich aber auch in der Grundlage der Versuch einer systematischen Ableitung der Kategorien findet, ist zum einen deren Konsistenz und zum anderen ihr Verhältnis zum kategorial geregelten Anschauen der Einbildungskraft zu überprüfen.

188

Zur Aufnahme der Kantischen Unterscheidung einer reproduktiven von einer produktiven Einbildungskraft vgl. auch die Andeutungen von F.Duyckaerts: L 'imagination productrice dans la logique transcendantale de Fichte. In: Revue Philosophique de Louvain 50 (1952), 238. Ebenso K.Düsing: Einbildungskraft und selbstbewußtes Dasein. In: Kategorien der Existenz: Festschrift für Wolfgang Janke. Hrsg. von K.Held und J.Hennigteld. Würzburg 1993, 62-64.

124

Die erste Version der Wissenschaftslehre

3.3.1 Die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori Mit der im dritten Grundsatz der Grundlage aufgestellten Synthesis von Ich und Nicht-Ich ist nach Fichte zugleich die „berühmte Frage, welche Kant an die Spitze der Kritik der reinen Vernunft stellte: wie sind synthetische Urtheile a priori möglich? -[...] auf die allgemeinste und befriedigendste Art beantwortet" (GA I, 2, 275; SWI, 114). Kant unterscheidet bekanntlich grundlegend zwischen analytischen und synthetischen Urteilen, wobei es sich um eine Disjunktion handelt, die das Verhältnis der Inhalte der im Urteil miteinander verknüpften Begriffe betrifft. Davon zu unterscheiden ist die Urteilssynthesis, die unabhängig vom jeweiligen Gehalt für jedes Urteil erforderlich ist. Für diese Urteilssynthesis spielt es demnach keine Rolle, ob „die Vorstellungen selbst identisch sind, und also eine durch die andere analytisch könne gedacht werden", denn das ,ßewußtsein der einen ist, sofern vom Mannigfaltigen die Rede ist, vom Bewußtsein der anderen doch immer zu unterscheiden" (KrV B131Anm). Die damit angesprochenen analytischen Urteile werden von Kant auch als „Erläuterungs-Urteile" bezeichnet, da sie lediglich dazu dienen, im Subjektbegriff „versteckterweise" (KrV BIO) enthaltene Sinnbestandteile gemäß dem Widerspruchsprinzip im Prädikat eigens zum Ausdruck zu bringen.189 Synthetische oder „Erweiterungs-Urteile" verknüpfen mit dem logischen Subjekt hingegen solche Prädikate, die aus ihm durch eine bloße Begriffsanalyse nicht zu gewinnen sind. Darüber hinausgehend haben synthetische Urteile a priori die Eigenart, daß sie nicht auf das in der Empfindung gegebene Mannigfaltige als Rechtfertigungsgrund für die in ihnen gedachte Verknüpfung rekurrieren können, da sie dann als empiiscile keinerlei Anspruch auf strenge Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit erheben dürften. Solche synthetischen Urteile a priori finden sich nun nach Kant in drei Wissenschaften: in der reinen Mathematik, in der reinen Naturwissenschaft und in der Metaphysik. Die Frage nach der Möglichkeit derselben zielt dabei in jedem dieser drei Fälle auf den Rechtfertigungsgrund der in ihnen vorgegenommenen Verknüpfung. Hinsichtlich der Mathematik liegt dieser in der Anschauung oder genauer: in den reinen Anschauungen a priori, so daß z.B. in der Geometrie die synthetischen Urteile a priori durch die Konstruktion ihrer Begriffe in der reinen Anschauungsform des Raumes ermöglicht werden, wie die „Methodenlehre" der 189

Solche Sinnbestandteile werden, sofern sie nur „unentwickelt (implicite)" (AA IX, 111) im Subjektbegriff enthalten sind, zunächst auch nur „verworren" (KrV B l l ) gedacht. - Nach der Jäsche-Logik stellen diejenigen Urteile, die eine implizit im Subjektbegriff enthaltene Teilvorstellung explizieren, lediglich eine besondere Unterart der analytischen Urteile neben den tautologischen Sätzen dar, welche letzteren eine „ausdrückliche (explicita)" Identität der Begriffe enthalten, wie z.B. das Urteil: „der Mensch ist Mensch". In den Anmerkungen zu §36 wählt Kant als Beispiel für analytische Urteile jedoch speziell ein solches, das eine implizite Identität zum Ausdruck bringt. Dies liegt wohl vor allem daran, daß tautologische Sätze nach Kant, folgeleer, [...] ohne Nutzen und Gebrauch" sind (Vgl. Jäsche-Logik §§36ζΛ4 IX, 111).

Das Vermögen der Einbildungskraft

125

Kritik der reinen Vernunft argumentiert.190 Demgegenüber wird den obersten Grundsätzen der reinen Naturwissenschaft deswegen zurecht objektive Gültigkeit zugesprochen, weil durch die Anwendimg der Kategorien auf zeitlich gegebenes Mannigfaltiges überhaupt, woraus diese Urteile erwachsen, Erfahrung in einem einheitlichen Bewußtseinszusammenhang allererst möglich wird: „Die transz. Deduktion aller Begriffe a priori hat also ein Prinzipium [...]: daß sie als Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrungen erkannt werden müssen" (KrV Β126).191 Die metaphysica specialis verläßt hingegen in ihrem Bestreben nach einer rein rationalen Erkenntnis der Gegenstände: Seele, Welt, Gott unter der Leitung der Idee des Unbedingten den Bereich der anschaulichen Erfahrung, indem sie Urteile etwa über die Notwendigkeit eines raum-zeitlichen Anfangs bzw. der Unendlichkeit der Welt oder über das notwendige Dasein Gottes fällt. Sie bedient sich dabei aber gleichwohl der kategorialen Regeln, deren Gültigkeit in der metaphysica generalis, in der allgemeinen Ontologie auf die Erscheinungen eingeschränkt wird. Daher bleibt sie dialektisch und d.h.: sie erzielt nur scheinbar einen Erkenntnisgewinn. Für diesen Schein dient in ihrem kosmologischen Teil die Aufstellung von Antinomien als diagnostisches Mittel, indem konträr oder kontradiktorisch entgegengesetzte Behauptungen mit dem gleichen Anspruch auf Gültigkeit auftreten, den sie auf einen apagogischen, das jeweilige Gegenteil ad absurdum führenden Beweis stützen.192 Die eine und für Kant: die entscheidende der drei Teilfragen, in die sich die allgemeine Frage: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" (KrV Β19) gliedern läßt, nämlich: „ Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?" {KrV B22), muß daher im Hinblick

auf die metaphysica specialis und ihre Themen: Seele, Welt, Gott insofern negativ beantwortet werden, als sich - der Lehre der Kritik der reinen Vernunft gemäß - aus rein theoretischen Gründen über diese Gegenstände a priori erkenntniserweiternd überhaupt nichts ausmachen läßt. Fichte meint nun, erst in der Grundlage und speziell im dritten Grundsatz eine befriedigende Lösung der Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori angeboten zu haben, legt dabei jedoch eine andere Definition synthetischer Urteile zugrunde, indem er die inhaltliche Ebene mit derjenigen der Urteilssynthesis vermischt. Bei Kant wird die Urteilssynthesis - wie oben gesehen - von der inhaltlichen Unterscheidung in analytische und synthetische Urteile nicht tangiert; sie wird vielmehr aufgrund der Tatsache erforderlich, daß die zu verknüpfenden Vorstellungen z.B. des Subjekts und des Prädikats im kategori190 151 152

Vgl. KrV B740ÏÏ. Vgl. auch KrVA95. Vgl. bes. die Kritik der praktischen Vernunft Der „unvermeidliche Schein", der aus der „Anwendung dieser Vernunftidee der Totalität der Bedingungen (mithin des Unbedingten) auf Erscheinungen, als wären sie Sachen an sich selbst", entspringt, würde „niemals als trüglich bemerkt werden [...], wenn er sich nicht durch einen Widerstreit der Vernunft mit sich selbst in der Anwendung ihres Grundsatzes, das Unbedingte zu allem Bedingten vorauszusetzen, auf Erscheinungen selbst verriete" (AA V, 107).

126

Die erste Version der Wissenschaftslehre

sehen Urteil unterschiedene noematische Gehalte ausmachen, die in einem einheitlichen Bewußtsein zusammenzufassen sind; dies gilt sowohl für analytische als auch für synthetische Urteile. Bei Fichte korrespondiert der inhaltlichen Differenzierung hingegen zugleich eine Unterteilung der entsprechenden Handlungen des urteilenden Ich. So erfordert das antithetische oder verneinende Urteil zwecks Begründung ein inhaltliches Merkmal, in dem die miteinander Verglichenen Subjekt und Prädikat entgegengesetzt sind. Demnach ist z.B. das Urteil: Gold ist kein Silber, nur dann wahr, wenn sich etwas findet, in dem sich Gold und Silber unterscheiden, etwa die goldene im Gegensatz zur silbrigen Farbe. Dieser inhaltlichen Struktur entspricht nun nach Fichte die Qualifikation der Urteilshandlung als Entgegensetzen oder Antithesis. In Entsprechung dazu bedarf es im synthetischen bzw. bejahenden Urteil eines Merkmals, in dem die Verglichenen miteinander übereinstimmen, wobei sich aus der Reflexion auf diesen Beziehungsgrund zugleich die Charakterisierung der Urteilshandlung als Beziehen bzw. Synthesis ergibt.193 Neben dieser Modifikation der Kantischen Unterscheidung von analytischen und synthetischen bzw. „Erläuterungs-" und „Erweiterungsurteilen" zu derjenigen von antithetischen und synthetischen bzw. entgegensetzenden und beziehenden Urteilen finden sich bei Fichte jedoch auch Bezüge auf die originäre Kantische Distinktion. So versucht er in den Vorlesungen über Logik und Metaphysik nachzuweisen, daß seine Frage nach dem System derjenigen Vorstellungen, die von dem Gefühl der Notwendigkeit begleitet sind und denen deswegen objektive Gültigkeit beigelegt wird, sich mit der Kantischen nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori deckt. Demnach bedeutet „Synthesis [...] wenn ich an etwas bekanntes, etwas noch unbekanntes anknüpfe" (GA IV, 1, 178). Unbekannt ist das mit dem Bekannten Verknüpfte dabei wohl deswegen, weil es nicht in der Subjektvorstellung enthalten ist, sondern mit Bezug auf einen anderweitigen Rechtfertigungsgrund erst eigens mit ihr zu verbinden ist. Solchen Urteilsverknüpfungen kommt nach Fichte aber dann Objektivität zu, wenn sie nicht in den individuellen Eigentümlichkeiten des Urteilenden begründet sind, sondern - was allererst bewiesen werden muß - aus dem Wesen der „Vernunft" bzw. der Ichheit mit Notwendigkeit folgen; insofern bezeichnet er sie als „Hauptanknüpfung", die „a priori" (GA IV, 1, 178) geschieht.194 Auch Fichtes Aussage: „ich kann nicht analysiren wenn ich nicht vorher synthesirt habe" (GA IV, 1, 178), ist nur vor dem Hintergrund originärer Kanti-

194

Auch die Identifikation der synthetischen mit den bejahenden und der antithetischen mit den verneinenden Urteilen verdeutlicht die Fichtesche Korrespondenz von Handlungs- und Inhaltsebene. Nach Kant ist die Unterscheidung in bejahende und verneinende Urteile gemäß den Synthesisformen der Qualität gegenüber derjenigen in analytische und synthetische indifferent; sowohl analytische als auch synthetische Urteile können bejahend und verneinend sein. Für Fichte gründet das antithetische Urteil hingegen in einem Entgegensetzen, welches sich im verneinenden „ist nicht" niederschlägt, so wie die Handlung des Beziehens im affirmativen „ist". Vgl. dazu ebenso Κ 5.

Das Vermögen der Einbildungskraft

127

scher Unterscheidungen zu verstehen. Kant fundiert diese Lehre letztlich in dem Begründungsverhältnis, in dem ursprünglich-synthetische Einheit und analytische Identität der Apperzeption stehen.195 Synthesis meint dabei in diesem Zusammenhang die gemäß den logischen Urteilsfiinktionen erfolgende Verknüpfung von Vorstellungsgehalten in einem einheitlichen Bewußtsein, also die Urteilssynthesis, die in ihrer Anwendung auf anschauliches Mannigfaltiges überhaupt die Kategorien begründet. Aus solcher Synthesis entspringt dann nach Kant die Möglichkeit, in der Analysis vermittels der Reflexion diskursivallgemeine bzw. analytische Begriffe zu bilden, wobei in der Abstraktion von den mannigfaltigen Unterschieden der Vorstellungen untereinander zumindest einige Verknüpfungen wieder aufgelöst werden müssen. Entsteht daraus ein derartiger allgemeiner Begriff, dessen Sinn sich aus mehreren Merkmalen zusammensetzt, so kann dieser erneut in einer Reihe von analytischen Urteilen expliziert werden. Wenn Fichte in der Grundlage die Bezeichnung „analytisch" gegen „antithetisch" austauscht, weil der erste Ausdruck „weniger bequem ist", insofern „er die Meinung übrig läßt, daß man etwa aus einem Begriffe etwas entwickeln könne, was man nicht vorher durch Synthesis in ihn hineingelegt hat" (GA I, 2, 273; SW I, 112), so bezieht er sich also zunächst auf Aussagen Kants, die nicht unmittelbar das Verhältnis von analytischen und synthetischen Urteilen betreffen, sondern die Verküpfung von Vorstellungen im Bewußtsein (Synthesis) und die zumindest partielle Auflösung solcher Verknüpfungen in der Abstraktion zum Zweck der Bildung eines allgemeinen Begriffs (Analysis). Indem Fichte nun die Kantischen Bezeichnungen als ungeeignet beurteilt, verändert er mit ihnen - wie oben gesehen - jedoch zugleich die Bedeutung von derjenigen Distinktion zwischen analytischen und synthetischen Urteilen, die Kant auf der inhaltlichen Ebene verortet. 196 Wenn nach der Fichteschen Lösung der Kantischen Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori gefragt wird, muß aber zugleich in Betracht gezogen werden, daß auch das Gegensatzpaar „a priori''-,,a posteriori" eine Bedeutungsverschiebung erfährt. Nach Kant kann einer Vorstellung - etwa einer Anschauung, einem Begriff oder einer Idee - grundsätzlich dann das Attribut „a priori" beigelegt werden, wenn ihr nichts durch Affektion der Sinne gegebenes Empirisches beigemischt ist. Ist letzteres der Fall, so ist diese Vorstel195

"6

Vgl. KrV B103, 133f Anm. sowie 130: Dort fuhrt Kant aus, daß die „Auflösung Analysis" die Handlung des Verbindens „jederzeit voraussetze; denn wo der Verstand vorher nichts verbunden hat, da kann er auch nichts auflösen". - Zur Bedeutung der fur die Analysis erforderlichen Reflexion vgl. bes. AA XX, 21 lf. Wenn Fichte sagt: „Es giebt demnach überhaupt dem Gehalte nach gar keine bloß analytische Urtheile; und man kömmt bloß durch sie nicht nur nicht weit, wie Kant sagt, sondern man kömmt gar nicht von der Stelle" (GA 1, 2, 274; SW I, 114), dann bedient er sich ebenso der Kantischen Bezeichung, schiebt dieser aber seine eigene Konzeption des antithetischen Urteils unter, das nur in der antithetisch-synthetischen Struktureinheit möglich ist. Zum Bezug dieser Stelle vgl. AVKB314.

128

Die erste Version der Wissenschaftslehre

lung in denjenigen Teilen a posteriori, die einen empirischen Ursprung haben. A priori sind also Erkenntnisse, „die schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden" (KrV B3). Kant rechnet an dieser Stelle allerdings auch solche Erkenntnisse zu den apriorischen, die einen Begriff aus der Erfahrung entlehnen, ihm aber durch Prinzipien a priori zusätzliche Bestimmungen hinzufügen. So muß in dem Urteil: „Jede Veränderung hat ihre Ursache", zwar der Begriff der Veränderung aus der Erfahrung abgezogen werden; seine Fortbestimmung vermittels des Prinzips der Kausalität erfolgt hingegen unabhängig von jeglicher Empirie. Somit wären also auch diejenigen Prinzipien a priori, die Kant im Gegensatz zu den transzendentalen „metaphysisch" nennt.197 „Rein" wäre dieser Unterscheidung in der Einleitung zur Kritik der reinen Vernunft gemäß hingegen nur dasjenige zu nennen, was auch eines derartigen Rekurses auf die Erfahrung nicht bedarf. An zahlreichen anderen Stellen verwendet Kant „rein" und „a priori" jedoch bedeutungsgleich, so z.B. wenn er alle Philosophie, „so lediglich aus Prinzipien a priori ihre Lehren vorträgt ', als „reine Philosophie" (AA IV, 388) bezeichnet. Für die Gegenüberstellung mit Fichte ist aber vor allem entscheidend, daß es sich bei den Ausdrücken „a priori" und „a posteriori" nach Kant um ein Gegensatzpaar handelt, so daß niemals dasjenige a priori genannt werden kann, was empirischen Ursprungs ist und was somit als a posteriori zu bestimmen ist, und umgekehrt.198 Nach Fichte sind hingegen das „a priori und das a posteriori [...] für einen vollständigen Idealismus gar nicht zweierlei, sondern ganz einerlei; es wird nur von zwei Seiten betrachtet, und ist lediglich durch die Art unterschieden, wie man dazu kommt" (GA I, 4, 206; SW I, 447).199 Fichte unterscheidet zwar wie Kant in erkenntnistheoretischer Hinsicht die aus der Natur eines endlichen vernünftigen Wesens folgenden und insofern notwendigen Vorstellungen von den zufälligen empirischen Gehalten der Empfindung bzw. des Gefühls, sieht darin aber nicht den Gegensatz des Apriori und des Aposteriori ausgedrückt. Das zufallige Mannigfaltige der Empirie spielt hinsichtlich dieses Gegensatzes für Fichte vielmehr überhaupt keine Rolle. Dieser liegt für ihn nämlich darin, daß die Erfahrung als das System aller von dem Gefühl der Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen, denen aufgrund dieser Notwendigkeit objektive Gültigkeit 197

1,8

Vgl. ebenso KrV B875f, Kdlf XXIXf sowie in den Metaphysischen Anfangsgründen·. AA IV, 469f. Prägnante Gegenüberstellungen der Bezeichnungen „a priori" und „a posteriori" finden sich bei Kant z.B. Kr VB2,60,75,269f, 748ff, 871 sowie KdU2 246. Vgl. hierzu und zum Folgenden auch die zur Ersten Einleitung parallelen Ausführungen in den Vorlesungen über Logik und Metaphysik·. GA IV, 1, 183f sowie GA II, 4, 199f, 215; vgl. auch A" 192 (GA IV, 2, 197). Diejenige Bedeutung, die Kant der Unterscheidung von „a priori" und „a posteriori" gibt, wird Κ 137 (GA IV, 2, 127) als Alternative genannt. Dabei schränkt Fichte die Bezeichnung „a priori" allerdings auf dasjenige ein, „was durch Denken in das Mannigfaltige der Gefühle hineingetragen wird". Damit wird jedoch nicht das spezifische Fichtesche Verständnis dieser Ausdrücke wiedergegeben.

Das Vermögen der Einbildungskraft

129

zugeschrieben wird, von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet werden kann. Aus der Sicht des „gemeinen Mannes" (GA I, 4, 207; SWI, 449) erscheinen diese Vorstellungen - also etwa das Gesetz der Kausalität, Zeit und Raum, aber auch der Rechtsbegriff oder der Anspruch des Sittengesetzes - „als in der Erfahrung gegeben" (GA I, 206; SW I, 447). Sie werden nicht in ihrem Ursprung eingesehen und können insofern als „empirisch" bezeichnet werden; ein prominentes Beispiel dafür ist die Charakterisierung des Satzes der Identität im ersten Paragraphen der Grundlage als „Thatsache des empirischen Bewußtseyns" (GA I, 2, 256; SW I, 92). Wird hingegen die Genesis der notwendigen Vorstellungen aus dem Wesen der Ichheit nachvollzogen, so sind sie als „Resultate des Idealismus" und damit als „Folgen des Räsonnements" (GA I, 4, 206; SW I, 447) a priori. Im Fall einer Übereinstimmung der Ergebnisse des Idealismus mit dem in der Erfahrung Vorgefundenen fallen sonach das Apriori und das Aposteriori inhaltlich zusammen: einziger Unterscheidungsgrund ist die genetische Ableitung des Apriori innerhalb des vollständigen transzendentalen Idealismus, woraus ersichtlich wird, daß die zufälligen, empirischen Gehalte der Empfindung bzw. des Gefühls keinem der beiden Bereiche zuzuordnen sind.200 Fichte versteht unter synthetischen Urteilen a priori somit nicht solche Urteile, die zu einem Subjektbegriff ohne Rekurs auf empirische Gegebenheiten ein Prädikat hinzufügen, das im Subjekt selbst nicht analytisch enthalten ist; vielmehr drücken sie für ihn eine derartige Beziehung entgegengesetzter Bestimmungen aus, die in ihrem Ursprung in den notwendigen Handlungen des Ich und damit auch in ihrem Rechtfertigungsgrund eingesehen wird. Wenn Fichte nun behauptet, daß mit der Aufstellung des dritten Grundsatzes die Kantische Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori „auf die allgemeinste und befriedigenste Art beantwortet" (GA I, 2, 275; SW I, 114) ist, so muß also einerseits die Bedeutungsverschiebung beachtet werden, die diese Frage bei Fichte erfahrt, und andererseits die Einschränkung, die Fichte selbst im Hinblick auf die von ihm gegebene Antwort macht. Denn die Synthesis von Ich und Nicht-Ich im Bewußtsein vermittels des Begriffs der Teilbarkeit ist eine solche, „über deren Möglichkeit sich nicht weiter fragen, noch ein Grund derselben anführen läßt; sie ist schlechthin möglich, man ist zu ihr ohne allen weitern Grund befugt" (GA 1, 2, 275; SW I, 114). Da aufgrund der Tatsache, daß sich Ich und Nicht-Ich nicht durch einen höheren, sondern nur durch den niederen und aus ihnen nicht ableitbaren Begriff der Teilbarkeit widerspruchsfrei im Bewußtsein vereinigen lassen, die inhaltliche Bestimmtheit der Synthesis des dritten Grundsatzes aus den ersten beiden Grundsätzen unableitbar bleibt, muß man also feststellen, daß aus den Widersprüchen, die sich aus dem quantitätslosen

200

Diesen Aspekt unterschlägt N.Hartmann (Die Philosophie des deutschen Idealismus. 2.Aufl. Berlin 1960, 49), der allerdings die Modifikation des Kantischen Gegensatzes zu einem „sekundären Unterschied der Betrachtungsweise" bemerkt.

130

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Setzen des Ich und des Nicht-Ich ergeben, zwar die Rechtmäßigkeit irgendeiner Verbindung dargelegt werden kann; die Befugnis zu genau dieser Synthesis von Ich und Nicht-Ich und damit die Möglichkeit genau dieses synthetischen Urteils a priori ergibt sich jedoch nur dann, wenn man das Ergebnis des von Fichte zur Auffindung des dritten Grundsatzes als notwendig erachteten Experiments mit der inneren Anschauung akzeptiert. Es wurde jedoch bereits oben dargelegt, daß vor allem Hegel der inneren Anschauung keinerlei Beweiskraft zugestanden hat, daß er vielmehr die Überwindung der Fichteschen Synthesis in einer höheren, spekulativen Einheit beansprucht.201 Fichte erhebt jedoch nicht nur den Anspruch, in diesem einen Fall die Möglichkeit eines synthetischen Urteils a priori, d.h. der Beziehung entgegengesetzter Bestimmungen nachgewiesen zu haben; vielmehr entwickelt er eine spezielle Methode, die eine lückenlose und systematische Abfolge ursprünglicher synthetischer Handlungen des Ich gewährleisten soll, womit das Programm einer genetischen Ableitung aller Kategorien unlösbar verbunden ist. Dabei ist vor allem zu klären, ob die Fichtesche Methode ihrem Ziel einer systematischen Ableitung tatsächlich angemessen ist und welche innere Bedeutung in diesem Zusammenhang den Kategorien zukommt.

3.3.2 Die systematische Ableitung der Kategorien in der Grundlage Der Vorwurf, die Kategorien nicht abgeleitet und somit ihre Vollständigkeit nicht bewiesen zu haben, ist Kant nicht nur von Fichte, sondern von allen seinen bedeutenden Nachfolgern gemacht worden. Schon Reinhold bemängelt, daß Kant zwar „in der transcendentalen Analytik die ursprünglichen Formen der Begriffe vollständig und zu meiner völligen Ueberzeugung als solche aufgestellt" hat; doch sei zur Rechtfertigung ihrer systematischen Lückenlosigkeit die „blosse, (auch an sich richtige und vollständige) Aufstellung der Formen der Urtheile [...] noch nicht hinreichend. Es muss dabey die Vollständigkeit dieser Formen selbst erwiesen [...] werden".202 Reinhold beläßt es jedoch nicht bei der Benennung dieses Mangels; vielmehr versucht er im Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, ihm durch eine eigene systematische Ableitung der Urteilsformen abzuhelfen. Diese Ableitung findet ihre Methode jedoch nicht darin, daß die Notwendigkeit und lückenlose Vollständigkeit der Urteilsformen aus dem im Satz des Bewußtseins aufgestellten Prinzip der Elementarphilosophie demonstriert wird, so daß sich zeigt, „dass die Vorstellung, in wie ferne sie im Bewusstseyn vor201 202

Vgl. dazu die Ausführungen im Kapitel 1.4 des ersten Teils. K.L.Reinhold: Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Bd 1, Jena 1790, 303 und 315. Vgl. ebenso den Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. Prag/Jena 1789 (Nachdruck: Darmstadt 1963), 448.

Das Vermögen der Einbildungskraft

131

kommt, und das Bewusstseyn selbst, ohne diese Formen unmöglich wären"203, wie Reinhold in den Beyträgen fordert. Vielmehr unterscheidet er bezüglich des Urteils dessen Form und dessen Materie. Die bestimmten Urteilsformen sollen sich nun aus dem Verhältnis dieser Momente zur objektiven Einheit ergeben, wobei diese letztere nach Reinhold das Produkt der spontanen Verbindung des Mannigfaltigen darstellt. So lassen sich diesem Ansatz gemäß aus den verschiedenen Verhältnissen der Urteilsmaterie, des Subjekts und des Prädikats, zur objektiven Einheit die Urteilsformen der Quantität und der Qualität entwickeln. Verhält sich das Subjekt zur im Prädikat gedachten objektiven Einheit wie Einheit und gemeint ist wohl: wie Singularität, so ergibt sich daraus die Form des einzelnen Urteils; steht das Subjekt zu dieser Einheit jedoch in der Relation der Vielheit, so resultiert die Form des partikulären Urteils; und aus der Bestimmung dieser Beziehung nicht ausschließlich als Einheit oder als Vielheit, sondern als Einheit und Vielheit zugleich ergibt sich schließlich das allgemeine Urteil. Analog dazu differenziert sich durch das als Einheit, als Vielheit oder als Einheit und Vielheit zugleich zu denkende Verhältnis des Prädikats zur objektiven Einheit des anschaulich vorgestellten Gegenstandes das Urteil in qualitativer Hinsicht in das bejahende, das verneinende und das unendliche. Auf die gleiche Weise verfahrt Reinhold mit der Form des Urteils und ihrer Beziehung zur objektiven Einheit zwecks Deduktion der Relation und der Modalität sowie ihrer jeweiligen Arten.204 - Hier soll nicht auf die mannigfachen Schwierigkeiten und Inkonsistenzen eingegangen werden, die sich in diesem Reinholdschen Versuch einer systematischen Ableitung der Urteilsformen finden. Hingewiesen sei allerdings auf die Statik dieses Deduktionsprogramms, das die systematische Vollständigkeit durch verschiedenartige Beziehungen der Form und des Inhalts eines Urteils auf die objektive Einheit zu beweisen sucht. Reinhold unternimmt es also nicht, eine Urteilsform aus der anderen genetisch zu entwickeln.205 Auch Maimón lehnt schon in dem Versuch über die Transscendentalphilosophie von 1790 die Notwendigkeit der Kantischen Urteilstafel ab, indem er die Rechtmäßigkeit der Aufnahme der hypothetischen Form und der Unterscheidung zwischen der assertorischen und der apodiktischen bezweifelt; er zieht daraus den Schluß: „Man sieht also, daß die Logik hier zu keinem Leitfaden dienen kann".206 Während Reinhold zwar den Beweis der Vollständigkeit der 20 1

' K.L.Reinhold: Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Bd 1, 79f. 204 Vgl. K.L.Reinhold: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. 443 ff. 205 Reinhold übernimmt allerdings die Kantische Konzeption, gemäß der die jeweils dritte Kategorie eines Titels Resultat der Verknüpfung der ersten beiden ist. Vgl. den Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, 509, 577. Vgl. d i e s b e z ü g l i c h K r V B l lOf. 206 S.Maimón: Gesammelte Werke. Bd II. Hrsg. von V.Verra. Hildesheim 1965, 185. Zum Zweifel an der von Kant in der Kritik der reinen Vernunft (Β VIII) vorausgesetzten Vollendung der Logik schon durch Aristoteles vgl. auch Gesammelte Werke. Bd V. Hrsg. von V. Verra. Hildesheim

132

Die erste Version der Wissenschafìslehre

Kantischen Urteilstafel vermißt, grundsätzlich jedoch deren Leitfadenfunktion für die Kategorientafel übernimmt207, kehrt Maimón das Verhältnis um. Nach ihm müssen unter Voraussetzung der Möglichkeit des Denkens eines reellen Objekts die „Bedingungen dieser Möglichkeit aus dem Begriffe eines reellen Objekts überhaupt a priori" abgeleitet werden, woraus sich die „Kathegorien oder Elementarbegriffe aller reellen Objekte" ergeben sollen. Die logischen Formen sind demgemäß hingegen Resultat eines Abstraktionsschrittes, in dem die Bedingungen der Möglichkeit des Denkens eines reellen Objekts auf die Bedingungen von der Möglichkeit des Denkens eines Objekts überhaupt reduziert werden.208 Abgesehen von der argumentativ unzureichenden und von dem erklärten Prinzip häufig abweichenden, unklaren Durchführung bleibt aber auch dieser Versuch des Aufweises einer vollständigen Kategorientafel schon in seinem Prinzip statisch. Ein reelles Objekt denkt man nach Maimón genau dann, wenn das Verhältnis des in seinem Begriff zusammengefaßten Mannigfaltigen als ein solches eingesehen wird, das dem Prinzip der Bestimmbarkeit entspricht. Diesem gemäß kann das Bestimmbare auch an sich und außerhalb der Zusammenfügung mit seiner Bestimmung ein Gegenstand des Bewußtseins sein; die Bestimmung ist diesbezüglich hingegen auf die Verbindung mit dem Bestimmbaren angewiesen. Ein Bestimmbares stellt in diesem Sinne etwa der Raum dar, der in unterschiedlichen Weisen begrenzbar und in dieser Hinsicht zunächst noch unbestimmt ist; das Dreieck als eine spezifische Einschränkung desselben ist demgegenüber seine mögliche Bestimmung. Dementsprechend kann nach Maimón der Raum an sich in der Anschauung ein selbständiger Gegenstand des Bewußtseins sein, wohingegen die drei geraden Linien, die in ihrer bestimmten Verknüpfung ein Dreieck ergeben, außerhalb ihrer Beziehung auf denselben nicht vorstellbar sind. Daher wird mit dem Dreieck ein reelles Objekt gedacht. Aus diesen Überlegungen sollen sich z.B. die Kategorien der Modalität, bei deren Deduktion das von Maimón aufgestellte Prinzip der Kategorienableitung noch am klarsten durchgeführt wird, derart als notwendig erweisen lassen, daß die Verknüpfung des Bestimmbaren mit seiner Bestimmung hinsichtlich des ersteren bloß möglich, im Hinblick auf die letztere jedoch notwendig ist; unter dem Aspekt des durch die Verbindung bestimmten reellen Objekts ist sie hingegen wirklich. Aus der Abstraktion von dem Grundsatz der Bestimmbarkeit als Bedingung des reellen Denkens resultieren nun nach Maimón die logischen Formen, von denen er im Fall der Modalität jedoch nur zwei ansetzt: Notwendigkeit und Möglichkeit. Dabei ist ein Urteil genau dann als notwendig zu quali-

207 208

1970, 67-69. Vgl. K.L.Reinhold: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, 449. S.Maimon: Gesammelte Werke. Bd V, 215f. - Vgl. auch die entsprechende Fehlinterpretation Fichtes in seinem Manuskript Der transscendentalen ElementarLehre. Zweiter Theil von 1790: „Nun ist Form der Urtheile, u. Categorie einerlei; denn jeder Art des Urtheils liegt eine Categorie zu Grunde" (GA II, 1,315).

Das Vermögen der Einbildungskraft

133

fizieren, wenn das Subjekt den Inhalt entweder des Prädikats oder seines Gegenteils in sich enthält; möglich ist es hingegen, wenn beides nicht der Fall ist. Fichte, dem diese Einwände gegen Kant und die eigenständigen Versuche von Reinhold und Maimón bekannt waren, äußert den Vorwurf der fehlenden Kategorienableitung und des damit verbundenen Mangels ihres Vollständigkeitsbeweises vor allem in der Ersten Einleitung. Er nennt zwar an der betreffenden Stelle Kants Namen nicht; doch sowohl aus der inhaltlichen Argumentation als auch aus einer Parallelstelle in der Krause-Nachschrift der Wissenschaftslehre nova methodo geht eindeutig hevor, daß er als Adressat der Kritik gemeint ist.209 Fichte unterscheidet in diesem Zusammenhang zwei Arten des Idealismus: der eine, nämlich der „vollständige transscendentale Idealismus" (GA I, 4, 204; SW I, 445) der Wissenschaftslehre, leitet demgemäß auf noch genauer zu bestimmende Art und Weise die notwendigen Gesetze des Handelns der Intelligenz aus dem Wesen des Ich ab; der andere hingegen, den Fichte als ,,halbe[n] Kriticismus" (GA I, 4, 203; SWl, 444) bezeichnet, „faßt diese Gesetze etwa so, wie sie schon unmittelbar auf die Objecte angewendet werden, also auf ihrer tiefsten Stufe (man nennt sie auf dieser Stufe Kategorieen) irgend woher auf, und behauptet nun; durch diese würden die Objecte bestimmt und geordnet" (GA I, 4, 201; SWl, 442). In dem Fall, daß der kritische Idealismus auf diese letztere Art verfahrt, sind ihm nach Fichte im wesentlichen zwei Vorwürfe zu machen: Einerseits kann er auf diese Weise die Notwendigkeit und die Vollständigkeit der Kategorien nicht garantieren. Denn dies leiste weder die Abstraktion der Kategorien von den Objekten der Erfahrung noch ihre Gewinnung über den Umweg einer Logik, die ihrerseits durch Absehen von allem bestimmten Gehalt entstehe. Damit unterstellt Fichte Kant ein Verfahren der Zusammenstellung der Kategorientafel, das mit demjenigen der Darlegung der Assoziationsprinzipien durch Hume übereinstimmt und das Kants Selbstverständnis schon insofern nicht treffen kann, als er sich explizit gegen dessen Skeptizismus wendet.210 Hume fuhrt im Enquiry concerning Human Understanding drei „principles of association" als Prinzipien der Verknüpfung unserer Vorstellungen an: Resemblance, Contiguity in time or space, and Cause or Effect". Aufgrund seines empiristischen Ansatzes kann er aber nur ein abstraktives Verfahren zur Gewinnung dieser Prinzipien 209

210

Vgl. Κ 5: „Das gesammte Handeln des menschlichen Geistes, und die Gesetze dieses Handelns sind bei Kant nicht systematisch aufgestellt, sondern bloß aus der Erfahrung aufgegriffen". Daher fehle die Evidenz, „daß die Gesetze des nothwendigen Handelns des menschlichen Geistes erschöpft sind, weil er sie nicht bewiesen hat". Ähnlich formuliert Fichte schon zu Beginn der Eignen Meditationen: Die Bedingungen der subjektiven Einheit als Gegenstand einer Elementarphilosophie „kommen entweder wirklich zu unserm Bewußtseyn in verschiedenartigen Aeußerungen unsrer Vermögen; u. sind dabei durch Abstraktion aufzufinden; oder es läßt sich auf sie nur durch das Vorhandenseyn der übrigen schließen" (GA II, 3, 21). Vgl. zu dieser Kritik an Kant auch At Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801/02: GA II, 6, 129. Kant selbst wirft das Verfahren der „Induktion" allerdings Aristoteles vor. Vgl. KrVB106f.

134

Die erste Version der Wissenschaftslehre

zugestehen, dem gemäß man möglichst viele Einzelfalle von Vorstellungsverknüpfimgen auf das darin vorherrschende gemeinsame Gesetz hin untersuchen muß; dementsprechend wird die Wahrscheinlichkeit, alle Verknüpfungsprinzipien gefunden zu haben, größer, je mehr Einzelfalle überprüft worden sind. Grundsätzlich kann darüber aber niemals Gewißheit erzielt werden: „But that this enumeration is complete, and that there are no other principles of association except these, may be difficult to prove to the satisfaction of the reader, or even to a man's own satisfaction."211 Kant nimmt nun jedoch weder an, daß die Kategorien auf diese Weise von der Erfahrung abgezogen werden müssen, noch daß sie aus den durch eine solche Abstraktion aufgestellten Gesetzen der Logik zu gewinnen sind. Richtig ist lediglich, daß die Kategorien in den logischen Urteilsformen gründen, da es sich bei ihnen um dieselben Weisen der Verknüpfung eines vorgestellten Mannigfaltigen durch den Verstand handelt: „Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedene^] Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche allgemein ausgedrückt der reine Verstandesbegriff heißt" (KrV B104f). Die Begriffe als Bestandteile von Urteilen einerseits und das gegebene Anschauungsmannigfaltige andererseits werden durch die Handlungen des reinen Verstandes also in dieselben gesetzlichen Anordnungen gebracht.212 Und deshalb kann man sagen, daß die der reinen Logik angehörigen Urteilsfunktionen genau dann als Kategorien den entscheidenden Bestandteil der transzendentalen Analytik ausmachen, wenn sie zu Weisen der Verknüpfung einer anschaulich gegebenen Pluralität von Vorstellungen spezifiziert werden; dies besagt auch die der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft hinzugefügte „Erklärung der Katego-

rien" {KrV Β128). Nur aufgrund dieser strengen Parallelität von logischen Urteilsformen und Kategorien kann die Urteilstafel zum Leitfaden der Gewinnung der Kategorientafel dienen, wobei die Arbeit der Übersetzung der logischen Urteilsformen in reine Verstandesbegriffe nach Kant in einer metaphysischen Deduktion zu leisten ist, die den „Ursprung der Kategorien a priori überhaupt durch ihre völlige Zusammentreffting mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens" {KrV Β159) dartut. Kant gibt allerdings in der Kritik der reinen Vernunft lediglich den Grund der Möglichkeit einer solchen metaphysischen Deduktion an, ohne sie im einzelnen durchzuführen. Soll sie jedoch den „Ursprung der Kategorien a priori" aufzeigen, so kann auch die formale Logik kaum, wie Fichte behauptet, ein Abstraktionsprodukt aus der Erfahrung darstel211

212

D.Hume: Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals. Reprinted from the 1777 edition with Introduction and Analytical Index by L.A.SelbyBigge. 3. Ed. with text revised and notes by P.H.Nidditch. Oxford 1975, 23f. Zum Zitat Kants und seinem Kontext vgl. ausfuhrlich K.Reich: Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel. 3.Aufl. Hamburg 1986, 12ff; zur Bedeutung des Begriffs „Funktion" als „'Gesetz' der Handlung oder Operation" in Anlehnung an die Mathematik vgl. a.a.O. 30.

Das Vermögen der Einbildungskraft

135

len, das „nur durch Induction nicht aber durch Deduction bewiesen" (Κ 6) wird. Fichte nimmt hier vermutlich eine Kantische Formulierung auf, die den Inhalt der Logik, nicht aber ihren Ursprung betrifft; denn nach Kant „abstrahiert" dieselbe „von allem Inhalt der Verstandeserkenntnis" (KrV B78).213 Damit ist jedoch nicht gemeint, daß sie ihre Regeln durch Abstraktion aus der Erfahrung gewinnt, sondern lediglich, daß in ihr die bloße Form des Denkens ohne Bezug auf einen bestimmten Inhalt thematisiert wird. Insofern gilt für Kant, daß die Logik „keine Prinzipien weder aus irgend einer Wissenschaft noch aus irgend einer Erfahrung borgen" darf; „sie muß lauter Gesetze a priori [...] enthalten" (AA IX, 13f). Fichtes Vorwurf trifft Kant also lediglich insofern, als dieser die Vollständigkeit seiner Urteilstafel und damit auch der vermittels metaphysischer Deduktion aus ihr abzuleitenden Kategorientafel in seinem veröffentlichten Werk tatsächlich nicht bewiesen hat, obwohl er - wie aus Briefen und Reflexionen hervorgeht - an einem solchen Beweis arbeitete.214 Insoweit ist die Kritik Reinholds, Maimons und Fichtes und später auch Schellings und Hegels somit durchaus berechtigt. Die Kantische Konzeption wird hingegen verfehlt, wenn der Grund dieses Mangels in dem Vorhaben gesucht wird, die Kategorien entweder direkt oder über den Umweg der formalen Logik aus der Erfahrung zu gewinnen. Trifft die Fichtesche Kritik die Kantische Konzeption in dieser letzteren Hinsicht also nicht, auch wenn Kant einen Vollständigkeitsbeweis in seinen Veröffentlichungen de facto schuldig bleibt, so ist damit zugleich der zweite Vorwurf als unzutreffend erwiesen. Fichte behauptet nämlich, Kant könne aufgrund des ihm allerdings nur untergeschobenen, empirischen Ursprungs der Inhalte der Logik nicht erweisen, daß die in ihr aufgestellten formalen Regeln und die in ihnen gründenden Kategorien „bloße immanente Gesetze der Intelligenz sind" (GA I, 4, 201; SWI, 442). Da sie von der Erfahrung abstrahiert würden, stehe die Meinung des „halben Kritizismus" der ebenso unbegründeten Behauptung des Dogmatikers gegenüber, der die Kategorien für „allgemeine, in dem Wesen der Dinge begründete Eigenschaften derselben" (GA I, 4, 20 lf; SW 213 2M

Vgl. auch KrVB626 sowie A 4 IX, 12ff. Vgl. dazu den Versuch einer Demonstration der Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel aus dem Prinzip der Apperzeption unter Berücksichtigung von Reflexionen und Briefstellen von K.Reich: Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel. 3.Aufl. Hamburg 1986. L.Krüger (Wollte Kant die Vollständigkeit seiner Urteilstafel beweisen? In: Kant-Studien 59 (1968), bes. 337ff) hält die Verstandeseinheit hingegen für ein bloßes „Entscheidungskriterium" zur Beurteilung, ob eine gegebene Form eine Funktion, d.h. eine Form der Einheit unter unseren Vorstellungen darstellt. In die Urteilstafel wird sie nach Krüger dann aufgenommen, wenn sie sich zudem als irreduzibel erweist. Im Text der Kritik der reinen Vernunft selbst entdecken R.Brandt (Die Urteilstafel. Kritik der reinen Vernunft A 67-76; Β 92-101. Hamburg 1991) und M. Wolff (Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel. Mit einem Essay über Freges Begriffsschrift. Frankfurt a.M. 1995) den Vollständigkeitsbeweis. Zu Brandt sei auch auf die kritische Rezension verwiesen von K.Westphal: Kants Urteilstafel. Zur Deutung von Reinhard Brandt. In: Zeitschrift tür philosophische Forschung 49 (1995), 84-91.

136

Die erste Version der Wissenschaftslehre

I, 442) hält. Die Annahme, daß die Kategorien in dem Wesen der Dinge gründen, seien diese nun Erscheinungen oder Dinge an sich, ist nun nach Kant aber schon allein deswegen abzulehnen, weil wir dann niemals um ihre uneingeschränkte Notwendigkeit wissen und ihnen jederzeit nur komparativ-allgemeine Gültigkeit zuschreiben könnten.215 Zudem ist für ihn die Ansetzung eines ungedachten Gedankens, der unabhängig vom Subjekt gelten soll, einer Form der Verknüpfung, die nicht vollzogen wird, offenbar ebenso unmöglich; daher bedürfen sowohl die logischen Urteilsformen als auch die Kategorien nicht allein spontaner Denkakte, sondern darüber hinaus eines dieselben vollziehenden Subjekts, des reinen Ich. Wenngleich Kant also die Urteilsformen und die Kategorien in zwei Tafeln wie vorgefundene Gegebenheiten zusammenstellt, ohne dabei auf das reine Ich und sein aktives Denken zurückzugreifen, stellen beide für ihn gleichwohl unverzichtbare Voraussetzungen der Annahme logischer Gesetze und regelhafter Verknüpfungen des anschaulichen Mannigfaltigen dar, so daß die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption als „der höchste Punkt" anzusetzen ist, „an den man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß" (KrV B134f Anm.). Denn der Verstand als das Vermögen gesetzmäßiger Synthesis begründet die Einheit sowohl des Urteils als auch der Pluralität der Anschauung und ist seinerseits im reinen Selbstbewußtsein als Ursprung des spontanen: Ich denke fundiert.216 Daß Fichte im Rahmen der veröffentlichten Kritik Kant nicht nennt, in der angefügten Fußnote vielmehr Beck als deren Adressat ausgewiesen wird, so daß sich Kant als solcher nur aus der Argumentationsstruktur und der angeführten Parallelstelle in der Vorlesungsnachschrift von Krause erschließen läßt, ist offenbar auf die Unterscheidung des von Kant tatsächlich Veröffentlichten von dem vermeintlich unausgesprochen Zugrundeliegenden, des Buchstabens vom Geiste zurückzufuhren, wie sich vor allem in der Zweiten Einleitung zeigt. Denn nachdem Fichte dort durch verschiedene Zitate nachgewiesen hat, daß das Selbstbewußtsein nach Kant alles Bewußtsein bedingt, was gemäß §16 der Kritik der reinen Vernunft fur alles einheitliche, zusammenhängende Bewußtsein sicherlich zutrifft, zieht er den darüber hinausgehenden Schluß: „somit müsste ja nach Kant eine systematische Ableitung des gesammten Bewusstseyns, oder was dasselbe heißt, ein System der Philosophie vom reinen Ich ausgehen, gerade so, wie die WissenschaftsLehre es thut" (GA I, 4, 229; SWI, 477). Denn „bedingen" und „bestimmen" sollen in diesem Fall dasselbe heißen, so daß nach Fichte letzteres aus dem ersteren folgt. Damit ist nun zwar eine solche Ableitung des Bewußtseins, nämlich - wie aus dem Folgenden hervorgeht - der Kategorien, 215 216

Vgl. KrVBJf, 124, A24. Weniger kritisch stellt C.M.Jalloh (Fichte's Kant-Interpretation and the Doctrine of Science. Washington 1988, 28-31) die Kant-Auseinandersetzung in der Ersten Einleitung dar. Vgl. auch N.Hartmann: Die Philosophie des deutschen Idealismus. 2. Aufl. Berlin 1960, 48f.

Das Vermögen der Einbildungskraft

137

des Raumes und der Zeit und der beide erfüllenden Mannigfaltigkeit, als Programm der Kantischen Philosophie ausgemacht; doch fügt Fichte einschränkend hinzu, „daß Kant ein solches System keineswegs aufgestellt hat". Und speziell bezüglich der Kategorien heißt es: „Ich weiß, daß er die von ihm aufgestellten Kategorieen keineswegs als Bedingungen des SelbstBewusstseyns erwiesen" hat, was gemäß der Wissenschaftslehre nova methodo die in ihrer Ableitung zu verfolgende Methode darstellt, „sondern nur gesagt hat, sie seyen dies" (GA I, 4, 230; SWI, 478). Gleichwohl habe sich Kant ein solches System gedacht; daß er es nicht veröffentlicht habe, sei vermutlich lediglich darauf zurückzuführen, daß er es nicht mitteilen wollte. So schont Fichte anders als in seinen Vorlesungen Kant im Zusammenhang der dargestellten Kritik innerhalb der Ersten Einleitung also offenbar deswegen, weil der Versuch einer neuen Darstellung von der Prämisse ausgeht, daß das System der Wissenschaftslehre „kein anders sey als das Kantische" (GA I, 4, 184; SW I, 184).217 Insofern Fichte in der Zweiten Einleitung aber den geforderten Beweis dieser Übereinstimmung zu erbringen versucht, muß er zwischen dem Veröffentlichten und dem nur implizit Vorausgesetzten differenzieren.218 Unabhängig von dieser Einschätzung der Kantischen Philosophie bleibt der von Fichte eingeklagte Beweis systematischer Vollständigkeit und Notwendigkeit eine begründete Forderung an eine jede Kategorienlehre. Fichte versucht diesen Beweis in der Grundlage durch eine eingentümliche Methode zu erbringen, die sich aus den in den drei Grundsätzen aufgestellten, ursprünglichen Handlungen des Ich, aus der Thesis, der Antithesis und der Synthesis ergibt, wobei jeder dieser Handlungen in den folgenden Ableitungen eine bestimmte Funktion zugesprochen wird. Durch diese Methode sollen unmittelbar jedoch keine Kategorien, sondern weitere synthetische Handlungen des Ich, die in weiteren synthetischen Urteilen a priori zu formulieren sind, als notwendig erwiesen werden. Dabei muß man nach Fichte aufzeigen, daß alle folgenden 217

218

Dieses Bekenntnis veröffentlicht Fichte ebenso schon in der Vorrede zur ersten Auflage der Schrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre·. Der Verfasser „weiß es, daß er nie etwas wird sagen können, worauf nicht schon Kant, unmittelbar oder mittelbar, deutlicher oder dunkler, gedeutet habe" (GA I, 2, 110; SWl, 30). Während Fichte gemäß der Vorlesungsnachschrift den Vorwurf erhebt, Kant habe die Kategorien nicht abgeleitet, sondern lediglich aus der Erfahrung abstrahiert, schwächt er dieses Urteil in der Zweiten Einleitung also ab. Schlicht affirmativ heißt es hingegen in der AenesidemusRezension, Kant habe die Kategorien im Gegensatz zu Raum und Zeit „auf einen einzigen Grundsatz zurückgeführt" (GA I, 2, 61; SW I, 19). Die Einschätzungen Kants weichen somit offenbar je nach Kontext und Beweisziel voneinander ab. - Den Ursprung der Unterscheidung zwischen Geist und Buchstabe in der Kantischen, aber auch in der Reinholdschen Philosophie findet D.Breazeale (Fichte's „Aenesidemus" Review and the Transformation of German Idealism. In: Review of Metaphysics 34 (1981), 548t) in der zwiespältigen Situation Fichtes, einige in Schulzes Aenesidemus vorgebrachte Einwände zugeben zu müssen, dabei aber keineswegs die kritische Philosophie als solche aufgeben zu wollen. C.M.Jalloh (Fichte's Kant-Interpretation and the Doctrine of Science. Washington 1988, 32) bewertet diese Distinktion als Fichtes „basic methodological tool" in seiner Kant-Interpretation und -Kritik.

138

Die erste Version der Wissenschafìslehre

Synthesen in der ursprünglichen und höchsten des dritten Paragraphen enthalten sind: „Alle übrigen Synthesen, welche gültig seyn sollen, müssen in dieser hegen; sie müssen zugleich in und mit ihr vorgenommen worden seyn" (GA I, 2, 275; SWI, 114). Soll sich dieser Nachweis erbringen lassen, so ist also offenbar zu demonstrieren, daß die Synthesis von Ich und Nicht-Ich vermittels ihrer Teilbarkeit ohne die Voraussetzung weiterer transzendentaler Beziehungsleistungen seitens des Subjekts gar nicht sinnvoll konzipierbar ist, so daß diese als Bedingungen von jener erkennbar werden. Den Weg der Auffindung solcher weiteren Synthesen zeichnen nun nach Fichte die Grundsätze zwei und drei vor, die einen Widerspruch aufgrund einer Antithesis und eine Schlichtung desselben vermittels quantitativer Einschränkung der Gegensätze formulieren. Grundsätzlich sollen demnach in der Folge weitere Widersprüche aufgesucht werden, die neue Synthesen zu ihrer Auflösung erfordern. Daß die Auflösung der Widersprüche tatsächlich notwendig ist, ergibt sich dabei aus der Thesis des ersten Grundsatzes, die die widerspruchsfreie Einheit und Identität des Ich bzw. des Bewußtseins fordert. Ihr kommt jedoch lediglich „regulative Gültigkeit" (GA I, 2, 282; SW I, 122) zu; sie konstituiert also keineswegs die Art und Weise des methodischen Fortschritts und trägt auch nichts zur Gewinnung konkreter Inhalte bei, sondern gibt lediglich das Ziel widerspruchsloser Identität vor, das allerdings in der theoretischen Wissenschaftslehre nicht erreicht, sondern vielmehr in der praktischen Philosophie als ein allein in einem unendlichen Progreß handelnd zu erstrebendes Ziel aufgestellt wird. Entscheidend für die Bewertung der Fichteschen Methode ist hingegen die Art und Weise des Auffindens neuer Widersprüche und ihrer Synthesen. Erster methodischer Schritt muß dabei nach Fichte immer das Aufstellen noch nicht verbundener, entgegengesetzter Bestimmungen sein; diese dürfen jedoch nicht willkürlich durch die philosophische Reflexion erfunden oder erkünstelt werden, sondern „es wird eine ursprünglich nothwendige antithetische Handlung des Ich vorausgesezt" (GA I, 2, 284; SW I, 123). Diese Handlung wird als solche in den folgenden Untersuchungen allerdings nicht thematisch; vielmehr konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die in ihr begründeten Widersprüche. Aufgefunden werden sollen dieselben im Rahmen einer Analysis, die nach Fichte allerdings Begriffe zergliedert, die der philosophischen Reflexion noch gar nicht gegeben sind. Es handelt sich nämlich um „synthetische Begriffe" (GA I, 2, 283; SW I, 123), d.h. um solche, die einerseits die entgegengesetzten Merkmale, aber andererseits auch schon das die beiden vereinigende Dritte enthalten. Da diese Begriffe aber allererst aufgefunden bzw. abgeleitet werden müssen, setzt die jeweilige Argumentation de facto bei den bereits erzielten Ergebnissen an. So wird etwa im Anschluß an den dritten Grundsatz keineswegs der Begriff der Wechselwirkung von Ich und Nicht-Ich in die implizit in ihm enthaltenen Gegensätze zergliedert, sondern der in dem Ergebnis der §§1-3 enthaltene Hauptsatz der theoretischen Wissenschafìslehre: „das Ich sezt sich selbst, als be-

Das Vermögen der Einbildungskraft

139

schränkt durch das Nicht-Ich" (GA I, 2, 285; SWI, 126), wird auf unaufgelöste Widersprüche hin untersucht. Dementsprechend lautet die Überschrift desjenigen Abschnitts, der diesen Grundsatz aufstellt: „.Bestimmung des zu analysirenden synthetischen Satzes" (GA I, 2. 285; SW I, 125). Wenn aber auch solche bis zum jeweiligen Argumentationsstand der Wissenschaftslehre noch unaufgelösten Widersprüche „analytisch" (GA I, 2, 284, SW I, 124) entwickelbar sind, insofern sie - dem Kantischen Sprachgebrauch gemäß - durch bloße Zergliederung des bereits Abgeleiteten aufgefunden werden 219 , stellt sich darüber hinausgehend die Frage, ob gleiches für die die Widersprüche auflösenden Synthesen in Anspruch genommen werden kann. Denn nach Fichte ist im dritten Paragraphen erwiesen worden, daß keine antithetische ohne synthetische Handlung möglich ist, „und zwar keine bestimmte antithetische, ohne ihre bestimmte synthetische" (GA I, 2, 284; SW I, 124). Nur dann nämlich, wenn sich aus der Antithesis und ihrem Produkt auf die entsprechende Beziehungstätigkeit des Subjekts in ihrer Bestimmtheit schließen läßt, kann behauptet werden, daß alle weiteren synthetischen Handlungen in derjenigen des dritten Grundsatzes enthalten sind. Daß dieses von Fichte skizzierte Verfahren nicht funktioniert und auch gar nicht funktionieren kann, zeigt sich jedoch schon an seinen eigenen Charakterisierungen der abzuleitenden Bestimmungen, denen entsprechend es sich etwa bei der Kausalität und der Substantialität um ,,Arten der Wechselbestimmung" (GA I, 2, 302; SW I, 145) handelt, die unter dem „allgemeinen" bzw. „höhern Begriff der Wechselbestimmung enthalten sind" (GA I, 2, 290f, SW I, 131).220 Fichte spezifiziert dieses Art-GattungsVerhältnis dahingehend, daß sowohl der Substantialität als auch der Kausalität die Merkmale der Wechselbestimmung zukommen, daß sie aber darüber hinaus durch eine ihnen jeweils eigentümliche spezifische Differenz zu charakterisieren sind.221 Im Ausgang von einer Konzeption diskursiv-allgemeiner Begriffe, die nicht wie die spekulativ zu erfassende, konkrete Allgemeinheit im Sinne Hegels ihre Besonderheiten in sich enthalten, lassen sich solche spezifischeren Bestimmungen aus den allgemeineren Begriffen jedoch nicht ableiten. Konkret heißt das für Fichtes Methode: die allgemeinere Synthesis, der in ihr enthaltene Widerspruch sowie die Anweisung, nach einer solchen Schlichtung desselben zu

219

220

221

Zur Verwendung des Ausdrucks ..analytisch" in diesem Kantischen Sinne im Zusammenhang der Erläuterung der Methode der frühen Wissenschaftslehre in der Grundlage vgl. ebenso GA I, 2, 270 (SW I, 108). Zu Substantialität und Kausalität als Arten der Wechselbestimmung vgl. ebenso GA I, 2, 308 (SW I, 153), zur Wechselbestimmung als höherem Begriff GA I, 2, 294 (SW\, 135). - Ebenso bezeichnet Fichte die Wechselbestimmung als eine „bestimmtere Bestimmung" und die Bestimmung selbst als den „höhern Gattungsbegriff' (GA I, 2, 289f; SW I, 130f). Vgl. GA I, 2, 299 (SWI. 141t). - Zu Fichtes Theorie der abstrakten Begriffe, in denen „Lücken" sind, indem ich etwa bei der allgemeinen Vorstellung des Baumes gar nichts wissen will, „wie stark der Stamm sey, wie viel Aeste er habe", vgl. bes. die Vorlesungen über Logik und Metaphysik: GA IV, 1, 253ff.

140

Die erste Version der Wissenschaftslehre

suchen, wie sie durch den Begriff der Teilbarkeit als Norm aller Synthesis aufgestellt wird, geben keine hinreichenden Mittel an die Hand, die Bestimmtheit der jeweils folgenden Verbindung auf analytischem Wege zu entwickeln. Insofern nicht nur in der Hauptsynthesis, sondern auch in allen folgenden Verknüpfungen von Ich und Nicht-Ich die widerspruchsfreie Identität des Bewußtseins nicht durch einen „höhern", sondern allein durch einen „niedern" Begriff ermöglicht wird und das methodische Verfahren der Grundlage somit nicht in einem „//erau/steigen", sondern grundsätzlich in einem „//eraisteigen" (GA I, 2, 279; SWI, 119) besteht, läßt sich das von Fichte projektierte rein analytische Verfahren nicht durchführen. Vielmehr kann - wie Fichte in den Eignen Meditationen erwägt - zwar die jeweilige Aufgabe der folgenden Handlung in Form eines zu schlichtenden Widerspruchs abgeleitet werden; die konkrete inhaltliche Bestimmimg seiner Auflösung wäre hingegen allein vermittels innerer Anschauung auffindbar, d.h. durch ein nach Regeln angestelltes Experiment.222 222

Vgl. dazu die obigen Ausführungen S.73ff. - Eine ähnliche Kritik bezüglich der von derjenigen der Grundlage abweichenden Methode der Wissenschaftslehre nova methodo, die bereits in der Grundlage des Naturrechts durchgeführt wird, äußert E.Düsing: InterSubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln 1986, 255f. Auch W.Hartkopf (Die Dialektik Fichtes als Vorstufe zu Hegels Dialektik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 21 (1967), 195f) sieht keine Möglichkeit, die jeweils neu entwickelten entgegengesetzten Merkmale mit den bereits vorhandenen Mitteln zu vereinigen, da sie dann bereits vereinigt sein müßten. Die Frage, ob damit auch generell gesagt werden kann, daß eine Methode, zu der „bewußte Synthetisierungen gehören", grundsätzlich nicht logisch stringent sein kann, wie Hartkopf meint, liefe wohl letztlich auf eine Untersuchung der Haltbarkeit der Hegeischen Konzeption konkreter Allgemeinheit hinaus. F.Krämer (Fichtes frühe Wissenschaftslehre als dialektische Erörterung. In: SeinReflexion-Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes. Hrsg. von C.Asmuth. Amsterdam/Philadelphia 1997, 156ÍÍ) spricht den Ergebnissen, die gemäß der Fichteschen Methode gewonnen werden, nur Gültigkeit für Subjekte mit dem „gemeinsamen Hintergrund realen irdisch-menschlichen Lebens" zu, da sie nicht rein deduktiv vorgehe, sondern immer auch die Anschauung zu Hilfe nehmen müsse. Eine „tiefgreifende Umbildung und Oberwindung der Begriffspyramide der formalen Logik" konzidiert Fichte hingegen J.Leopoldsberger (Anfang und Methode als die Grundprobleme der systematischen Philosophie. Reinhold, Fichte, Hegel. In: Salzburger Jahrbuch für Philosophie 12-13 (1968-1969), 198), wobei er allerdings ein „phänomenologisches" Aufsuchen von Lösungsmöglichkeiten im empirischen Bewußtsein für erforderlich hält. Zur „Lösung eines Rätsels" taugt nach D.Breazeale (Reflexives philosophisches und ursprüngliches Setzen der Vernunft: Ober die Methode und Methodenlehre der frühen Jenenser Wissenschaftslehre. In: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der Fichte-Forschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996, bes. 106ñ) die Fichtesche „gemischte Methode" als eine „bewußt und ausgezeichnet ausgewogene Kombination mehrerer verschiedener Methoden der logischen Folgerung, der beobachtungsgestützten Beschreibung und der verbildlichenden Konstruktion". Diese Methode vereinige eine „Variante der ars inveniendi" mit einer Form „strikt logischer Beweisführung". Affirmativ sieht auch W.Janke (Fichte. Sein und Reflexion - Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, 109ff, bes. 123) die Notwendigkeit der Kategorien sowie ihre Vollständigkeit und systematische Ordnung durch die Fichtesche Methode gewährleistet, insofern sie aus der dialektischen, nämlich antithetisch-synthetischen Verfassung des endlichen Selbstbewußtseins selbst geschöpft werde. In der Begründung dieses Urteils rekurriert er allerdings auf keinerlei Anschauung, die Fichte in der Grundlage im Gegensatz zu den Eignen Meditationen auch tatsächlich nicht in die Methode integriert. Vgl. dazu auch Ders. : Limitative

Das Vermögen der Einbildungskraft

141

Die dargestellte Fichtesche Methode dient in der Grundlage - wie gesehen jedoch nicht unmittelbar der systematischen Ableitung der Kategorien, sondern derjenigen ursprünglich-synthetischer Handlungen des Ich. Erst durch ein bestimmtes Abstraktionsverfahren sollen aus diesen die Kategorien gewonnen werden. So spricht Fichte schon in den Eignen Meditationen von „einer Handlungsweise des Gemiiths, welche durch s Denken / nochmalige Vorstellen derselben, zum Begriffe wird" (GA Π, 3, 43). Die ursprünglich-synthetischen Handlungen des Ich unterliegen demnach bestimmten Gesetzmäßigkeiten; reflektiere ich unter Abstraktion von jedem bestimmten Inhalt der Bezogenen allein auf diese Regeln, so denkt man nach Fichte die Kategorien. Daran zeigt sich, daß die Kantische Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori in ihrer Fichteschen Umdeutung zumindest nicht primär auf die in der Formulierung: quid juris in Frage gestellte Rechtmäßigkeit des Anspruchs der Kategorien auf objektive Gültigkeit und damit auf die Möglichkeit der Beziehung reiner Verstandesbegriffe auf die Gegenstände der Erfahrung, sondern letztlich auf systematische Vollständigkeit zielt. Fichte geht es grundlegend um die Lükkenlosigkeit von in synthetischen Urteilen a priori auszudrückenden ursprünglich-synthetischen Handlungsweisen des Ich, die in Absehung vom bestimmten Inhalt die Kategorien ergeben. Dies gilt darüber hinaus nicht nur für die Beziehungsleistungen, sondern schon für die in den ersten beiden Grundsätzen aufgestellten Handlungen des Setzens und des Entgegensetzens. Das Verfahren der Gewinnung der Kategorien ist dabei in der Grundlage jedoch nicht ganz einheitlich. Während bei den Relationskategorien wohl lediglich ein einfaches Absehen von den inhaltlich bestimmten Relata erforderlich ist, ohne daß Fichte dies im vierten Paragraphen jeweils explizit erwähnt, erhält man diejenigen der Qualität sowie die „Quantität überhaupt" (GA I, 2, 282; SW I, 122) nur durch ein doppeltes Abstraktionsverfahren, da in Thesis, Antithesis und Synthesis zugleich die logischen Sätze der Identität, des Widerspruchs (bzw. des Gegensetzens) und des Grundes fundiert sind. So ergibt sich etwa durch Absehen vom bestimmten Gehalt des ersten Grundsatzes, von dem absoluten, sich selbst setzenden Ich, und durch Reflexion auf die bloße „Form der Folgerung vom Gesetztseyn auf das Seynder logische Grundsatz der Identität223; erst durch ein erneutes Abstrahieren von diesem urteilenden Folgern geDialektik. Überlegungen im Anschluß an die Methodenreflexion in Fichtes Grundlage 1794/95 §4 (GA I, 2, 283-285). In: Fichte-Studien 1 (1990), 9-24; im Anschluß an Janke auch M.Franken: Transzendentale Theorie der Einheit und systematische Universalontologie. Studien zur Kategorienlehre Kants und Fichtes. Fichte-Studien. Supplemento 2. Amsterdam/Atlanta 1993, 187. Ebenso hält G.Meckenstock (Vernünftige Einheit. Eine Untersuchung zur Wissenschaftslehre Fichtes. Frankfurt a.M./Bern/New York 1983, 39) die Fichtesche Begriffsanalyse fiir produktiv, indem der analysierte synthetische Begriff sich erst in seiner Zergliederung offenbare. 223

Vgl. dazu detailliert I.Schüßler: Logik und Ontologie. Fichtes transzendentale Begründung des Satzes der Identität. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philo-

142

Die erste Version der Wissenschaftslehre

mäß der Form des hypothetischen Urteils und durch die Thematisierung der bloßen „Handlungsari" (GA I, 2, 261; SW I, 99) erhält man die Kategorie der Realität, so daß der Sinn derselben offenbar darin besteht, daß allem, was als mit sich identisch gesetzt wird, ein bestimmter Sachgehalt und damit auch Sein zukommt.224 Auf analoge Weise ist mit den Grundsätzen zwei und drei zu verfahren 225 Trotz dieser Uneinheitlichkeit im Verfahren der Gewinnung der Kategorien darf die Frage nach einem bestimmten, allen gemeinsamen Status derselben nicht übergangen werden. Auffallend ist dabei, daß die Kantische Parallelität von Urteilslogik und transzendentalphilosophischer Kategorienlehre, die in der Kritik der reinen Vernunft die Möglichkeit des Verfahrens der metaphysischen

Deduktion begründet, bei Fichte vollständig wegfällt. Da Fichte jedoch wie Kant die Adäquationstheorie der Wahrheit vertritt, hat dies entscheidende Folgen.226 Indem nach Kant die kategoriale Synthesis in einer Verbindung des anschaulich gegebenen Mannigfaltigen besteht, sofern sie einer der logischen Urteilsfunktionen unterworfen ist, kann er die Möglichkeit der Übereinstimmung unserer Urteile mit den Gegenständen insofern plausibel machen, als die gesetzlich geregelten Erscheinungen den Urteilsformen entsprechende Strukturen aufweisen. Fichte modifiziert nun zwar die Formel für die Adäquationstheorie, indem für ihn Wahrheit in der Übereinstimmung des durch die produktive Einbildungskraft erzeugten Bildes mit der bestimmten Beschränkung der praktischen Tätigkeit des Ich besteht; doch auch für ihn muß die Möglichkeit der Übereinstimmung unserer Urteile mit den kategorial geordneten Erscheinungen erklärbar sein, wobei die Notwendigkeit der Anwendung der Kategorien auf das Mannigfaltige der Anschauung in einer transzendentalen Rechtfertigung noch eigens zu erweisen ist. Anders als Kant leitet er jedoch die Kategorien unabhängig von den logischen Urteilsformen aus den ursprünglichen transzendentalen Handlungen des Ich bzw. - was noch zu zeigen ist - als Phasen der Tätigkeit der

224

225

226

sophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981, 498-507. Das Verhältnis von Logik und Transzendentalphilosophie untersucht unter besonderer Berücksichtigung des ersten Grundsatzes und des Identitätsprinzips auch G.Meckenstock: Vernünftige Einheit. Eine Untersuchung zur Wissenschaftslehre Fichtes. Frankfurt a.M./Bern/New York 1983, 12ff, bes. 15ff sowie 25f. Zum Problem eines allgemeinen logischen Empirismus sei verwiesen auf R.Lauth: Fichten Argumentation gegen den logischen Empirismus. In: Revue de Métaphysique et de Morale 84 (1979), 327-342. Solches Sein ist dann vor allem in Möglich-, Wirklich- und Notwendigsein zu differenzieren, wie sich aus Äußerungen in der „Deduktion der Vorstellung" und in der „Grundlage der Wissenschaft des Praktischen" ergibt. Vgl. bes. GA I, 2, 378, 411 (SWI, 238f, 279). Vgl. GA I, 2, 267, 272, 282 (SW I, 105, 11 Of, 122f). - Allerdings unterläuft Fichte bei den diesbezüglichen Ausführungen im zweiten Paragraphen eine Ungenauigkeit. In Parallelität zu den Paragraphen eins und drei müßte die Reflexion auf die bloße „Form der Folgerung vom Entgegengeseztseyn auf das Nicht-Seyn" (GA I, 2, 267; SW I, 105) den logischen Grundsatz und nicht die Kategorie ergeben. Vgl. zur Adäquationstheorie bei Kant und Fichte vor allem KrV B82, 196f, 236, 296, 670, 848 sowie Κ 97, 106, 118 (GA IV, 2, 89, 96, 109).

Das Vermögen der Einbildungskraft

143

produktiven Einbildungskraft ab; zudem berücksichtigt er in seiner Deduktion der Urteilsarten nur das thetische (unendliche), antithetische (verneinende) und synthetische (bejahende) Urteil, wodurch die Kantische Zwölfzahl der Urteilsmomente auf diejenigen der Qualität reduziert wird. Daß dadurch aber auch die Erklärung der Möglichkeit der Übereinstimmung unserer Urteile mit den kategorial strukturierten Erscheinungen verhindert wird, läßt sich z.B. an der Kategorie der Kausalität demonstrieren. Während nach Kant wahre Aussagen über solche Erscheinungen, die aufgrund der spontanen Synthesisleistungen der ursprünglichen Apperzeption als im Verhältnis von Ursache und Wirkung zueinander stehend gedacht werden, gemäß der Form des hypothetischen Urteils möglich sind, entfällt diese Form bei Fichte völlig, obwohl er selbst natürlich Gebrauch von ihr macht. Dafür kann die Umformulierung des logischen Satzes der Identität: „Wenn A ist, dann ist A", als wohl herausragendstes Beispiel dienen. Die Auflösung der Parallelität von Logik und Ontologie, die erstmals in der Kategorienschrift des Aristoteles einer Kategorienlehre als Basis dient, bzw. von formaler und transzendentaler Logik bleibt bei gleichzeitigem Festhalten an der Ädaquationstheorie also durchaus nicht folgenlos. Mit dieser Ablösung der Kategorienlehre von der Urteilslogik in der Grundlage geht aber zugleich die Aufhebung des Status der Kategorien als allgemeinste Prädikate in Urteilen, als „Prädikamente" (A>FB107) einher. Man könnte sie allenfalls als die allgemeinsten Prädikate in denjenigen synthetischen Urteilen bezeichnen, die spezifische Verhältnisse des Ich zu sich und zum Nicht-Ich bestimmen. Denn nur in bezug auf diese transzendentalphilosophischen Inhalte ist gemäß der Fichteschen Konzeption in der Grundlage die Gültigkeit sowohl der synthetischen Urteile a priori als auch der in diesen ausgedrückten gesetzmäßigen, kategorialen Beziehungen erwiesen. Will man die Bedeutung der Kategorien, so wie sie in der Grundlage systematisch deduziert werden, hingegen genauer charakterisieren, so muß man sie wohl eher im Sinne Hegels als reine Gedankenbestimmungen verstehen; denn eine Kategorie ergibt sich nach Fichte im Absehen von aller Mannigfaltigkeit und mithin auch von Ich und Nicht-Ich; sie ist ihrer inneren Bedeutung nach somit gerade nicht regelnde Einheit einer wie auch immer gearteten Pluralität. Im Gegensatz zu Fichte konzipiert Hegel allerdings kein Verfahren der Abstraktion dieser Gedankenbestimmungen aus ursprünglichen Handlungen des Ich, insofern sich der grundlegende Sinngehalt der Subjektivität gemäß der Wissenschaft der Logik ausschließlich durch Kategorien von ontologischer Bedeutung bzw. - auf höherer Ebene - durch spekulativ verstandene Begriffsbestimmungen und ihre dialektischen Verhältnisse begreifen läßt. Ursprünglichkeit kommt demgemäß allein den logischen Formen und Kategorien selbst zu. Damit scheint aber eine Übereinstimmung der Fichteschen Kategorienlehre mit derjenigen Hegels gegeben zu sein, die ihre Qualifizierung als dialektisch zu rechtfertigen vermag. Denn auch Hegel gibt die vor allem von Aristoteles und

144

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Kant vertretene Parallelität von Urteilslogik und Kategorienlehre zugunsten einer immanenten Entwicklung der logischen Formen und Kategorien auf. Es scheint sich somit aufzudrängen, in Fichte den eigentlichen Begründer der modernen Dialektik zu sehen, in dessen Methode deren Kerngehalt zumindest bereits angelegt ist, der dann vor allem von Hegel aufgenommen und - je nach Standpunkt - in bestimmter Weise vollendet bzw. verfälscht wurde. Die zunächst negative und dann spekulative Dialektik Hegels stellt jedoch grundlegend eine logische Methode dar, die somit innerhalb der Logik zu begründen und in dieser entweder ausschließlich oder zumindest in fundamentaler Weise anzuwenden ist, so daß durch sie die reinen Gedankenbestimmungen selbst in ihren Verhältnissen zueinander bestimmt werden. Demgegenüber ergeben sich die Beziehungen der Kategorien bei Fichte nur indirekt über die bestimmten Verhältnisse der ursprünglichen Handlungen des transzendentalen Ich. Insofern unterscheiden sich also Hegels logische Methode der Dialektik und Fichtes transzendentalphilosophisches, antithetisch-synthetisches Verfahren. Und auch zum Widerspruchsprinzip sind die Meinungen Fichtes und Hegels diametral entgegengesetzt. In der Wissenschaftslehre resultiert nämlich aus den ursprünglich-synthetischen Handlungen des Ich, die durch die Kategorien in ihrer Gesetzmäßigkeit gedacht werden, die zumindest vorläufige Vermeidung des Widerspruchs und die Möglichkeit der Vereinigung Entgegengesetzter in der Identität des Bewußtseins; demgegenüber konstatiert schon der frühe Jenaer Hegel im Skeptizismus-kaisiitT., daß der Widerspruch gerade nicht vermieden, sondern auf geregelte Weise begangen werden muß: „Der sogenannte Satz des Widerspruchs ist daher so wenig auch nur von formeller Wahrheit für die Vernunft, daß im Gegentheil jeder Vernunftsatz in Rücksicht auf die Begriffe einen Verstoß gegen denselben enthalten muß."227 Auch das Verfahren des geregelten Aufstellens von Antinomien und des aufhebenden Bewahrens des Widerspruchs in einer höheren, spekulativen Einheit findet sich also bei Fichte nicht; und somit fehlt der für Hegels Konzeption entscheidende positive Sinn des Widerspruchs, sei es, daß dieser in einer von der Logik getrennten Metaphysik wie noch beim frühen Jenaer Hegel, sei es, daß er innerhalb der Logik selbst durch das methodische Instrument der bestimmten Negation zu explizieren ist. Daß damit auch Hegels eigene Ansicht getroffen ist, deutet sich in einer Passage aus der Troxler-Nachschrifit von Hegels Vorlesungen über Logik und Metaphysik aus dem Wintersemester 1801/02 an. Dort gibt Hegel folgende Gliederung seiner logischen Methode: „Die Logik zerfällt in zwei Teile, die analytische und

227

G.W.F.Hegel: Gesammelte Werke. Bd 4. Hrsg. von H.Buchner und O.Pöggeler. Hamburg 1968, 208. - Auch H.Radermacher (Fichtes Begriff des Absoluten. Frankfurt a.M. 1970, 29f, 33f) grenzt die Fichtesche Methode der Grundlage von der Dialektik ab, da sie - und zwar grundlegend im dritten Grundsatz - auftauchende Widersprüche im Namen der zu wahrenden Identität des Bewußtseins als vermeidbar ausweise. Vgl. dazu weniger deutlich auch schon Ders. : Fichte und das Problem der Dialektik. In: Studium Generale21 (1968), 497ff.

Das Vermögen der Einbildungskraft

145

synthetische [Logik; d.V.] - wozu nun auch noch der dritte oder dialektische [Teil; d.V.] kömmt."228 Während Hegel also das antithetische Verfahren des Aufstellens von Entgegengesetzten sowie die synthetische Vorgehensweise von Fichte übernimmt, betrachtet er das davon auch im Zitat deutlich abgehobene Dialektische offenbar als das seiner Methode im Vergleich zu Fichte eigentümliche Element, durch das die auch durch die unvollständigen Synthesen des endlichen Verstandesdenkens unaufhebbare Widersprüchlichkeit der Gegensätze zu erweisen ist. Entwicklungsgeschichtlich zeigt sich also durchaus eine Übernahme Fichtescher Methodenelemente durch Hegel; gerade im Hinblick auf das spezifisch Dialektische beruft er sich jedoch niemals auf Fichte, sondern vor allem auf Piatons Parmenides. In der Grundlage entwickelt Fichte also keineswegs den Kerngehalt moderner Dialektik, der dann vor allem durch Hegel aufgenommen, weitergeführt oder verfälscht worden wäre. Bedenkt man zudem, daß schon in der Wissenschaftslehre nova methodo dem Widerspruch keinerlei methodische Bedeutung mehr zukommt, methodisches Fortschreiten dort vielmehr durch das ergänzende Hinzufügen bestimmender und daher bedingender Gegensätze gemäß dem Satz: omnis determinatio est negatio, erfolgt, und daß der frühe Fichte seine Methode niemals als Dialektik bezeichnet, so besteht für eine solche Kennzeichnung des Verfahrens der Grundlage eigentlich kein Grund.229 228

229

I.P.V.Troxler: Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801-1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I.P.V.Troxler. Hrsg., eingel. und mit Interpretationen vers, von K.Düsing. Köln 1988, 63. Vgl. auch G.W.F.Hegel: Gesammelte Werke. Bd 4, 396: Demnach spricht das ganze Fichtesche System die „Form der Dreyheit, Setzen, [...] Entgegensetzen [...] und eine [...] Beziehung beyder fürs Wissen aufeinander [...] in allen seinen Darstellungen, wie zuerst in der Wissenschaftslehre aus". Auch hier wird der Methode der Grundlage also kein dialektisches Moment zugesprochen. Gemäß dem Abschnitt „Über synthetische Methode einige Bemerkungen" hat der Widerspruch in der Wissenschaftslehre nova methodo höchstens dann eine methodische Funktion, wenn „man das dunkle unbestimmte, das im vorhergehenden liegt immer mehr aufklärt" (GA IV, 2, 108). Die Behauptung, das nicht vollständig Bestimmte sei das „widersprechende in d: l slen " Version der Wissenschaftslehre, ist aber wohl deswegen nicht generell aufrecht zu erhalten, weil etwas, dessen Bedeutungselemente noch nicht klar voneinander abgehoben sind, zwar als in sich widersprüchlich erscheinen kann, aber nicht muß. - Alle entscheidenden Momente der Hegeischen Dialektik sollen sich hingegen nach W.Hartkopf (Die Dialektik Fichtes als Vorform zu Hegels Dialektik. In: Zeitschrift filr philosophische Forschung 21 (1967), 173-207) in der Methode der Grundlage aufzeigen lassen, wobei er einen sehr unspezifischen Dialektikbegriff voraussetzt, wonach alles das als Dialektik zu bezeichnen ist, für das eine unlösliche Bezogenheit entgegengesetzter Momente in einem Ganzen konstitutiv ist. Den Ursprung der modernen Dialektik sieht er dabei (vgl. Das charakteristische Novum der neueren, bei Fichte, Schelling und Hegel einsetzenden Dialektik. In: Hegel-Jahrbuch 1976, bes. 307ft) vor allem in dem Versuch einer Lösung des bei Kant offen gebliebenen Problems einer Ableitung der Kategorien aus der Grundform des Bewußtseins. Einem Übergangsstadium von der älteren zur neueren Dialektik ordnet hingegen F.Krämer (Fichtes frühe Wissenschaftslehre als dialektische Erörterung. In: Sein-ReflexionFreiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes. Hrsg. von C.Asmuth. Amsterdam/Philadelphia 1997, 147, 155) die Methode iti Eignen Meditationen zu; er sieht dann aber in der Grundlage „die Merkmale der neueren Dialektik vollkommen ausgeprägt". H.Holz (Die Struktur der Dialektik in den Frühschriften von Fichte und Schelling. In: Archiv für Geschichte

146

Die erste Version der Wissenschaftslehre

3.3.3 Die transzendentale Rechtfertigung der Relationskategorien Fichte hat also - wie das vorige Kapitel zeigen sollte - in denjenigen Passagen der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, die sich vom ersten Paragraphen bis zum Abschnitt D des vierten Paragraphen erstrecken, den Versuch einer systematischen Ableitung der Kategorien, nämlich derjenigen der der Philosophie 52 (1970), 71-90; bes. 73f) erblickt in den spezifischen Verhältnissen von Form und Gehalt der drei Grundsätze „ein bestimmtes Gmndmuster für die Dialektik Fichtes". Ahnlich wie H.Holz findet auch Liang Zhixue (Die methodologischen Probleme der ersten Wissenschaftslehre Fichtes. In: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der Fichte-Forschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996, 111-120) die Dialektik in Fichtes Methode in der abstrakten Dreiheit von Thesis, Antithesis und Synthesis. Solche Dialektik liegt seiner Meinung nach der logischen Methode diese begründend noch voraus. Zur Dialektik als Dreischritt, der bei Kant „unverstanden, gleichsam unterirdisch" bleibe und erst bei Hegel zur universalen Methode erhoben werde, wobei Fichte eine Übergangsposition zukomme, vgl. auch N.Hartmann: Die Philosophie des deutschen Idealismus. 2.Aufl. Berlin 1960, 52-54. Nach R.Lauth (Der Ursprung der Dialektik in Fichtes Philosophie. In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie 5 (1988), 135-147) besteht diejenige Vermittlung, die alle weitere bedingt, in deijenigen von Freiheit und absoluter Vernunft in der Reflexion. Sofern die Freiheit sich die Vernunft zum Ziel setze, entstünden daraus unterschiedliche dialektische Beziehungen zum anderen, nämlich zur Natur und zu anderen Personen in der Gesellschaft. K.Gloy (Die drei Grundsätze aus Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von ¡794. In: Philosophisches Jahrbuch 91 (1984), 303fï) kennzeichnet die Methode der Grundlage als Abstiegs- im Gegensatz zur Kreislaufdialektik, insofern die Grundsätze zwei und drei vom ersten Grundsatz einsinnig nach dem „Schema von genus proximum per differentiam specificam" abhängig seien. W.Janke (Limitative Dialektik. Überlegungen im Anschluß an die Methodenreflexion in Fichtes Grundlage 1794/95 §4 (GAI, 2, 283-285). In: Fichte-Studien 1 (1990), bes. 18ff) sieht in der Grundlage speziell eine limitative Dialektik verwirklicht, die im methodischen Dreischritt von Thesis, Antithesis und Synthesis Widersprüche nicht spekulativ, sondern limitativ, d.i. durch Einschränken absoluter Ansprüche auflöse. Vgl. dazu auch Ders.: Historische Dialektik. Destruktion dialektischer Grundformen von Kant bis Marx. Berlin/New York 1977, lOOff. Nach G.Stiehler (J.G.Fichtes synthetische Methode als Keimform der Dialektik. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 10 (1962), 639-652) hat Fichte zwar wertvolle Elemente der Dialektik ausarbeiten können, deren wesentlichen Charakter er in dem „durch Analyse und Lösung von Widersprüchen bewirkten logischen Fortschreiten" erblickt; aufgrund seines fehlerhaften Idealismus bleibe ihm allerdings eine wirkliche Dialektik - gemeint ist die Marxsche - unerreichbar. K.Hammacher (Fichtes transzendentale Dialektik und Hegels phänomenologische Dialektik. Eine transzendentallogische Rekonstruktion. In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie 3 (1986), 194) versteht unter Dialektik die „seit Kant neu auftauchenden Argumentationsweisen des inneren Dialogs". Fichtes Denken stelle dabei speziell den „dialektischen Gedanken im Sinne der antiken Tradition" dar. Dazu sei ebenso verwiesen auf Ders. : Problemgeschichtliche und systematische Analyse von Fichtes Dialektik. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981, 388-406; Zur transzendentallogischen Begründung der Dialektik bei Fichte. In: Kant-Studien 79 (1988), 467-475 sowie auf La dialectique en transition de Kant à Fichte. In: L'héritage de Kant. Mélanges philosophiques offerts au P.M.Régnier. Paris 1982, 97-117. Zur Bezeichnung der Fichteschen Methode als „Dialektik" vgl. auch D.Breazeale: „ Transcendental Philosophy and Dialectic". A Conference Report. In: Idealistic Studies 21 (1991), 66-68. - Schon dieser sicherlich nicht vollständige Überblick über die variantenreiche Begründung der Bezeichnung der Fichteschen Philosophie als „dialektisch" anhand stark divergierender Dialektik-Begriffe läßt ihre zureichende Fundierung als zweifelhaft erscheinen.

Das Vermögen der Einbildungskraft

147

Qualität, der Quantität und der Relation unternommen.230 Dabei ist jedoch nochmals festzuhalten, welche eingeschränkte Gültigkeit den Kategorien aufgrund dieser Argumentationen zugesprochen werden kann. Die synthetischen Urteile a priori, die bestimmte Beziehungen des Ich zum Nicht-Ich bzw. zu sich selbst ausdrücken, können bisher nämlich lediglich in dieser Hinsicht und d.h.: mit diesen Inhalten als in ihrer Notwendigkeit erwiesen angesehen werden, woraus auch für die Kategorien folgt, daß sie nur als abstrakte Regeln der Verbindungen dieser Relata rechtmäßigerweise objektive Realität beanspruchen können. Die Gültigkeit der Kategorie der Kausalität beschränkt sich dementsprechend gemäß dem Abschnitt C des vierten Paragraphen auf das Verhältnis des begrenzten und insofern leidenden Ich zu der aus diesem Grund gesetzten widerstrebenden Tätigkeit des Nicht-Ich, da aufgezeigt wurde, daß genau diese Glieder in diesem bestimmten Verhältnis zu denken sind. Allerdings müßte auch hinsichtlich dieser regelhaften Beziehung des Ich zum Nicht-Ich eigens dargelegt werden, daß sie nicht nur einen notwendigen Deduktionsschritt innerhalb der Ableitung des grundlegenden Faktums der Einbildungskraft seitens des Philosophen darstellt, sondern daß sie auch ein Moment der Tatsachen selbst ausmacht, d.h. der Einbildungskraft und des auf ihr Aufbauenden, so daß die entsprechende Kategorie geeignet ist, die Gesetzmäßigkeit einer faktischen Handlung des Ich zu begreifen. Diese Aufgabe stellt sich nicht nur speziell für die Kategorie der Wirksamkeit, insofern Fichte in der sogenannten Synthesis E keineswegs die projektierte „synthetische Vereinigung des zwischen den beiden aufgestellten Arten der Wechselbestimmung Statt findenden Gegensatzes" (GA I, 2, 302; StV I, 145) unternimmt, sondern die Einbildungskraft als Grundlage der folgenden „Deduktion der Vorstellung" allein aus dem sich in seiner Bedeutung mehrfach wandelnden Substantialitätsverhältnis herleitet; vielmehr hatte Fichte im entscheidenden letzten Schritt der Ableitung der transzendentalen Einbildungskraft alle vorangegangenen Teilsynthesen außer Kraft gesetzt, indem er erneut von absolut Entgegengesetzten: der Endlichkeit und der Unendlichkeit ausging. Doch obwohl er den geforderten Nachweis für die einzelnen Kategorien nicht explizit erbringt, läßt sich zeigen, daß die Einbildungskraft 2,0

In der sogenannten Synthesis E erblickt W.Metz (Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 2751Ï) den immanenten Übergang von den Relations- zu den Modalkategorien, indem die unabhängige Tätigkeit „systematisch dem entspricht, was bei Kant die Modalität ist" (277). In der Folge verteilt er dann allerdings Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit an den Wechsel als Materie, die unabhängige Tätigkeit als Form und deren synthetische Einheit. Da aber sowohl der Wechsel als auch die unabhängige Tätigkeit wiederum in Form und Materie zu gliedern und daher intern synthetisch zu vereinigen sind, ergibt sich, daß , j e d e Modalbestimmung auf der ersten Reflexionsebene durch alle Modalbestimmungen einschließlich ihrer selbst auf der zweiten Reflexionsebene noch einmal durchbestimmt worden" (282) ist. Abgesehen davon, daß die besagten Passagen keinen expliziten Hinweis enthalten, daß in ihnen eine Deduktion der Modalbestimmungen erfolgen soll, bleibt jedoch offen, was es etwa mit einer wirklichen Wirklichkeit oder einer möglichen Notwendigkeit auf sich hat.

148

Die erste Version der Wissenschaftslehre

aufgrund des dem unendlichen Ich durch den Anstoß zugefügten Leidens gemäß dem Gesetz der Kausalität Realität in der Form der unendlichen Grenze auf das Nicht-Ich überträgt, wobei sie zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit als modifizierten Relata des Substantialitätsverhältnisses schwebt.231 Der eigentliche Sinn der in den entsprechenden Passagen der Grundlage abgeleiteten Kategorien ist aber noch nicht einmal, die Beziehungen des Ich zu sich selbst und zum Nicht-Ich in ihrer Gesetzmäßigkeit zum Ausdruck zu bringen; denn als Kategorie wird diese Gesetzmäßigkeit gerade erst dann gedacht, wenn man von jedem transzendentalphilosophischen Inhalt abstrahiert. Dementsprechend ist ihr Status zunächst am besten durch ihre Charakterisierung als reine Gedankenbestimmungen erfaßbar. Daran zeigt sich aber zugleich, daß ein entscheidendes Problem, das sich Kant in der Kritik der reinen Vernunft stellt, in den ersten vier Paragraphen der Grundlage nicht gelöst ist und auch gar nicht gelöst sein kann, nämlich die Frage nach der objektiven Gültigkeit der Kategorien. Kant unterscheidet bekanntlich zwischen einer metaphysischen und einer transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe. Die metaphysische erfolgt mittels der Darlegung der strikten Parallelität von Kategorien- und Urteilstafel, die daraus resultiert, daß es dieselben gesetzlichen Anordnungen sind, die der Verstand hinsichtlich der Begriffe als Urteilsbestandteile und der mannigfaltigen Gehalte der Anschauung erwirkt. Also nur deswegen, weil die Formen der Einheit in Urteilen in ihrer Anwendung auf die Pluralität der Anschauung die Kategorien ergeben und die Transzendentalphilosophie insofern in der Logik gründet, kann eine metaphysische Deduktion im Sinne Kants Erfolg haben. Davon gesondert ist jedoch zu erweisen, daß die Kategorien als reine Verstandesbegriffe nicht beliebig und willkürlich oder etwa aufgrund eines daraus entspringenden epistemischen Vorteils auf die Anschauungen appliziert werden, sondern daß sich eine solche Anwendung in ihrer Notwendigkeit und damit auch in ihrer Rechtmäßigkeit aufzeigen läßt. Der Rechtfertigungsgrund der in diesem Sinne geforderten objektiven Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe ergibt sich dabei nach Kant aus dem Nachweis, daß es sich bei ihnen um unabdingbare Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung handelt, daß also allein durch ihre regelnden Einheiten und die durch ihre Anwendung auf das Anschauungsmannigfaltige hervorgebrachte objektive Einheit Erfahrung möglich ist. Stellt man darüber hinausgehend die Frage, warum denn überhaupt Erfahrung möglich sein muß, so wird man auf den §16 der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft verwiesen, der darlegt, daß nur das gemäß den logischen Urteilsfunktionen durch die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption

2,1

Zum Übertragen als Verfahren der transzendentalen Einbildungskraft vgl. schon die Eignen Meditationen·. GA II, 3, 99, 117f; ebenso den Grundriß des Eigentümlichem bes. GA I, 3, 188ff (SfVI, 386ff).

Das Vermögen der Einbildungskraft

149

zu einem Erfahrungszusammenhang Verbundene einem identischen Ich bewußt werden kann. Dieses Problem einer transzendentalen Rechtfertigung der Kategorien, wie Kant es in der Kritik der reinen Vernunft formuliert und löst, kann nun schon allein deswegen in den angesprochenen Abschnitten der Grundlage noch nicht einmal zum Thema gemacht werden, weil das Nicht-Ich in seiner Mannigfaltigkeit dort noch gar nicht Gegenstand der Untersuchung ist. Soll also die Frage nach der objektiven Gültigkeit der Kategorien beantwortet werden, so ist zunächst einmal aufzuzeigen, daß das Nicht-Ich in sich notwendigerweise eine Pluralität enthält, sei es, daß es sich dabei um eine Mannigfaltigkeit von Empfindungsgehalten handelt, wie Fichte in den Eignen Meditationen annimmt, sei es, daß es der endliche Geist selbst ist, der aufgrund seiner notwendigen Handlungen das Ding in ein Notwendiges und ein Zufalliges aufspaltet, welcher Ansatz im Grundriß des Eigentümlichen verfolgt wird. Erst daraufhin kann bewiesen werden, daß aufgrund bestimmter unaufhebbarer Voraussetzungen diese Pluralität gemäß den Kategorien als Bedingungen der Möglichkeit der Wahrung dieser Voraussetzungen verbunden werden muß. Damit ist aber der systematische Ort vorgegeben, an dem auch bei Fichte nach eigenen Ansätzen eines Beweises der objektiven Gültigkeit der Kategorien gesucht werden muß, auch wenn er von dem Terminus „transzendentale Deduktion" keinerlei Gebrauch macht. Es kann sich nämlich nur um denjenigen Teil der Wissenschaftslehre handeln, der über die Grundlage hinausgehend innerhalb der theoretischen Philosophie den Nachweis erbringt, daß das Nicht-Ich in sich ein Mannigfaltiges enthält, das in geregelter Weise zu verbinden ist. In diesem Sinne unterscheidet Fichte schon in den Eignen Meditationen grundsätzlich drei Teile einer Elementarphilosophie, wobei für die hiesige Problematik vor allem die Inhalte der ersten beiden entscheidend sind. Während der erste Teil die Beziehung des Ich (A) auf das Nicht-Ich (-A) und damit nach Fichte die Anschauung thematisiert, handelt „der zweite von der Verbindung eines mannigfaltigen -A mit sich selbst, durch Begriffe" (GA II, 3, 150). Dieser zweite Teil enthält somit die „bedingte Beziehungslehre" im Gegensatz zu der „unbedingten Beziehungslehre" des ersten. Die Frage, „wie A. sich eines verschiednen", nämlich mannigfaltigen „-A. bewußt werden könne", fällt dabei wohl deswegen in eine Beziehungslehre, die als „bedingt" zu kennzeichnen ist, weil der allgemeinere Nachweis der Möglichkeit der Beziehung des Ich auf das Nicht-Ich überhaupt für ihre Beantwortung vorausgesetzt werden muß. Kants Kritik der reinen Vernunft behandelt nach Fichte hingegen lediglich Probleme des zweiten Teils einer Elementarphilosophie, der durch den grundlegenderen ersten zu fundieren ist: „Kant bezieht bloß mehreres Nichtich auf einander. Ich beziehe das absolute Nichtich, aufs absolute Ich" (GA II, 3, 91). Im Grundriß des Eigentümlichen spricht Fichte dann nicht mehr von einer bedingten Beziehungslehre, sondern von einer „besondern theoretischen Wissenschaftslehre"

150

Die erste Version der Wissenschaftslehre

(GA I, 3, 144; SW I, 332). Daß mit beiden Titeln grundsätzlich das gleiche gemeint ist, geht nicht zuletzt auch aus der parallelen Kant-Kritik im Grundriß hervor. Während Fichte am Anfang moniert, daß Kant von der „Voraussetzung" ausgehe, „daß ein Mannigfaltiges für die mögliche Aufnahme zur Einheit des Bewustseyns gegeben sey" (GA I, 3, 144; SW I, 332), beansprucht er am Schluß, die Notwendigkeit eines solchen Mannigfaltigen aufgezeigt zu haben.232 Will man in der frühen Wissenschaftslehre eigenständige Lösungsvorschläge zum Problem eines Nachweises der objektiven Gültigkeit der Kategorien auffinden, so wird man also vor allem auf die Eignen Meditationen und auf den Grundriß des Eigenthümlichen verwiesen. Darüber hinaus sollen im Folgenden aber auch parallele Argumentationen, die sich in der Nachschrift der Vorlesungen über Logik und Metaphysik finden, in Betracht gezogen werden.233 Bevor die von Fichte vorgeschlagenen Wege der Durchführung einer transzendentalen Deduktion der Kategorien nachvollzogen werden können, ist jedoch noch eine entscheidende Veränderung gegenüber Kant zu erwähnen, die auch auf die Lösung des anstehenden Problems grundlegenden Einfluß hat, nämlich diejenige des Ursprungs der Kategorien. Nach Kant gründen diese vermittels der logischen Formen der Einheit in Urteilen im reinen Verstand bzw. in der transzendentalen Apperzeption als dem Vermögen spontaner Synthesis. Die Frage nach der objektiven Gültigkeit der Kategorien erhält somit ihre Komplexität nicht zuletzt dadurch, daß das gemäß den Kategorien zu einer objektiven Einheit zu verbindende Mannigfaltige, die „Gegenstände", von denen die Kategorien gelten sollen, im vom Verstand prinzipiell verschiedenen Vermögen sinnlicher Anschauung vorgestellt wird. Nehmen wir hingegen alle Gegenstände vermittels der Sinne wahr und läßt sich innerhalb einer metaphysischen Erörterung zeigen, daß Raum und Zeit nichts anderes als reine Formen unserer Rezeptivität darstellen, so erhellt von selbst, daß sie von allen Gegenständen gelten, sofern es sich um sinnlich wahrnehmbare Erscheinungen handelt. Z.B. der Raum als 232

233

Vgl. GA I, 3, 208 (SW I, 411). - Der Sache nach tritt diese Unterscheidung auch in der Bestimmung des Menschen auf: GA I, 6, 246f(.WII, 23 9f). Nach W.Janke (Fichte. Sein und Reflexion - Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, bes. 122f) gelingt es Fichte in den ersten vier Paragraphen der Grundlage, die Probleme einer metaphysischen und einer transzendentalen Deduktion der Kategorien in einem Argumentationsgang zu lösen. Denn durch den Aufweis des Ursprungs der Kategorien im „zuhöchst Realen" bzw. im Ich als „unmittelbare Einheit von Sein (Objekt) und Denken (Subjekt)" sei zugleich ihre Realität bzw. ihre Gültigkeit als „Modi des Denkens sowohl wie des Seins" demonstriert. Ähnlich argumentiert M.Franken: Transzendentale Theorie der Einheit und systematische Universalontologie. Studien zur Kategorienlehre Kants und Fichtes. Fichte-Studien. Supplemento 2. Amsterdam/Atlanta 1993, 187. Und auch T.Seebohm (Fichte's and Husserl 's critique of Kant 's transcendental deduction. In: Husserl-Studies 2 (1985), 54-62) interpretiert den theoretischen Teil der Grundlage als Antwort auf offen gebliebene Fragen der transzendentalen Deduktion Kants. G.Meckenstock (Vernünftige Einheit. Eine Untersuchung zur Wissenschaftslehre Fichtes. Frankfurt a.M./Bern/New York 1983, 20, 27) schreibt hingegen dem Identitätsprinzip und der Kategorie der Realität insofern einen Sonderstatus zu, als allein bei ihnen metaphysische Inhaltsbestimmung und transzendentale Legitimitätsfrage zusammenfallen sollen.

Das Vermögen der Einbildungskraft

151

„formale Beschaffenheit" des Subjekts, „von Objekten affiziert zu werden, und dadurch unmittelbare Vorstellung derselben d.i. Anschauung zu bekommen" (KrV B41), gilt damit notwendigerweise von allen wahrgenommenen Gegenständen als Erscheinungen. Daher kann nach Kant eine transzendentale Deduktion der reinen Anschauungsformen „mit leichter Mühe" (KrV B121) erfolgen. Das Problem der objektiven Gültigkeit der Kategorien bedeutet im Gegensatz dazu gemäß der Lehre von den zwei Stämmen der Erkenntnis für ein endliches Wesen nichts anderes als die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Beziehimg des Verstandes und seiner reinen Begriffe auf das vollständig heterogene Vermögen der sinnlichen Anschauung und das darin gegebene empirische Mannigfaltige. Daher bestimmt Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen die Aufgabe der transzendentalen Deduktion als die Erklärung der „befremdlichen Einstimmung der Erscheinungen zu den Verstandesgesetzen, ob diese gleich von jenen ganz verschiedene Quellen haben" (AA IV, 476 Anm.). Insofern in einer transzendentalen Deduktion der Kategorien gemäß der beschriebenen Aufgabenstellung nachzuweisen ist, daß das sinnlich Angeschaute rechtmäßigerweise unter reine Verstandesbegriffe gebracht wird, kommt sie bis zu einem bestimmten Punkt ohne die Thematisierung des vermittelnden Vermögens der Einbildungskraft aus. So wird in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft im ersten Beweisschritt „von der Art, wie das Mannigfaltige zu einer empirischen Anschauung gegeben werde" (KrV Β144), abstrahiert und lediglich gezeigt, daß für ein endliches Wesen, das auf sinnliche Anschauung welcher Art auch immer - zwecks Erkenntnis angewiesen ist, die Kategorien unabdingbar objektive Gültigkeit besitzen, weil sie so etwas wie ein Objekt allererst konstituieren. Nim ist aber in einem zweiten Schritt zu zeigen, daß diejenige Einheit, die die Kategorie „dem Mannigfaltigen einer gegebenen Anschauung überhaupt vorschreibt" (KrV Β145) und vorschreiben muß, soll es einem identischen Ich bewußt werden, dieselbe ist, die für eine empirische Anschauung gilt, deren apriorische Formen Raum und Zeit darstellen, so daß die Argumentation auf die Gültigkeit der Kategorien speziell für alle „Gegenstände unserer Sinne" (KrV Β145) abzielt. Dafür muß man nach Kant allerdings auf das Vermögen der Einbildungskraft rekurrieren, welches in der figürlichen Synthesis oder synthesis speciosa eine Anwendung des Verstandes auf Räumliches und Zeitliches ermöglicht.234 Kann nämlich nachgewiesen werden, daß das reine Mannigfaltige des Raumes und der Zeit durch die Einbildungskraft gemäß den regelnden Verstandeseinheiten unumgänglich zu verbinden ist, wenn diese

234

Als entgegengesetzte Meinungen hinsichtlich der Beweisstruktur der transzendentalen Deduktion seien hier paradigmatisch genannt diejenige von D.Henrich: Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion. In: Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln. Hrsg. von G.Prauss. Gütersloh 1973, 90-104 sowie die sich unter Angabe weiterer Literatur kritisch auf Henrich beziehende von M.Baum: Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur „Kritik der reinen Vernunft". Königstein/Ts. 1986, 9ff, 78.

152

Die erste Version der Wissenschaftslehre

apriorischen Formen in ,.formaler Anschauung" (KrV B160 Anm.) zum bewußten thematischen Vorstellungsgehalt werden sollen, dann gelten die Kategorien natürlich auch von allen denjenigen Gegenständen der Erfahrung, die als Erscheinungen dem Erkenntnissubjekt nicht anders als in Raum und Zeit vermittels der Wahrnehmung zugänglich sind. Mit der Einführung der transzendentalen Einbildungskraft als vermittelnde Instanz zwischen Verstand und Sinnlichkeit ist aber zugleich der Übergang zur Frage des Schematismus-Kapitels eingeleitet, nämlich zum Problem, wie in ihren inneren Bestimmungen vollständig heterogene Vorstellungen: die einzelnen sinnlichen Anschauungen und die allgemeinen intellektuellen Begriffe aufeinander bezogen werden können. Ohne auf die Kantische Lösung und auf die Schwierigkeiten vor allem der Kompatibilität dieser nicht überarbeiteten Passagen des Schematismus-Kapitels mit der veränderten Bedeutung der transzendentalen Einbildungskraft in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft im Detail einzugehen, sei zumindest angedeutet, daß es nach Kant die Einbildungskraft bzw. ihr Produkt, das Schema, ist, das zwischen Verstand und Sinnlichkeit bzw. zwischen deren eigentümlichen Vorstellungen: den allgemeinen intellektuellen Begriffen und den einzelnen sinnlichen Anschauungen vermittelt. Als vermittelndes Drittes taugt das Schema dabei deswegen, weil es als eine in ihren besonderen Bestimmungen offen bleibende Skizze einerseits die Allgemeinheit des Begriffs, andererseits aber ebenso die Anschaulichkeit der sinnlichen Vorstellungen teilt. So besteht etwa im Bereich des Mathematischen das Schema des Begriffs eines Dreiecks überhaupt in einer in ihren besonderen Bestimmungen nicht festgelegten Skizze, die mit den einzelnen Dreiecken ihren anschaulichen Charakter gemein hat, mit dem Begriff aber darin übereinstimmt, daß sie für weitere Konkretionen z.B. als recht- oder spitzwinkliges, gleichoder ungleichseitiges Dreieck von einer bestimmten Größe offen ist.235 Für Kant besteht in der Kritik der reinen Vernunft die entscheidende Funktion der Einbildungskraft also vor allem darin, daß sie - sei es als eigenständiges Vermögen, sei es als „Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit" (KrV Β152) - zwischen den beiden vollständig heterogenen Stämmen endlicher Erkenntnis vermittelt und damit als transzendentale Einbildungskraft auch die Anwendung der im Intellekt gründenden reinen Verstandesbegriffe auf das anschauliche Mannigfaltige ermöglicht. Für Fichte verändert sich nun die Fragestellung einer transzendentalen Deduktion insofern, als nach seiner Konzeption die Kategorien ihren Ursprung nicht mehr im Verstand haben, so daß sie einer mittelbaren Beziehung auf die entgegengesetzte Sinnlichkeit bedürfen, sondern unmittelbar in der Einbildungskraft selbst. So formuliert er in der Er235

Vgl. dazu mit zahlreichen Literaturhinweisen die Ausführungen von K.Düsing: Schema und Einbildungskraft in Kant.s ..Kritik der reinen Vernunft". In: Skepsis und Aufklärung. Studien zur Philosophie und Geistesgeschichte des 17. und 1 S.Jahrhunderts. Günter Gawlick zum 65. Geburtstag. Hrsg. von L.Kreimendahl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, 47-71.

Das Vermögen der Einbildungskraft

153

sten Einleitung, das Ding sei nichts anderes als „alle diese Verhältnisse", gemeint sind Raum und Zeit und die Kategorien, „durch die Einbildungskraft zusammen gefaßt" (GA I, 4, 202; SWI, 443). Und im Grundriß des Eigentümlichen heißt es speziell hinsichtlich der Kausalität: „Die sogenannte Kategorie der Wirksamkeit zeigt sich demnach hier, als lediglich in der Einbildungskraft entsprungen * (GA I, 3, 188; SW I, 386). Für diese spezifische Fichtesche Position lassen sich nun einerseits historische und andererseits sachliche Gründe aufzeigen. Philosophiegeschichtlich ist die Problematik vor allem durch die Auseinandersetzung um die Gültigkeit der Kategorie der Kausalität zwischen Hume, Kant und Maimón vorgegeben. Hervorzuheben ist besonders Mainions Einfluß, der trotz der kritischen Bezugnahme Kants auf Humes Erklärungsansatz grundsätzlich psychologistisch argumentiert. Im Gegensatz zu Hume nimmt er zwar durchaus reine Verstandesbegriffe an, die ihren Ursprung nicht im gegebenen Empfindungsmaterial haben, wie es gemäß der Humeschen „Copy"-These notwendig wäre, nach der jede „idea" nur Bedeutung hat, wenn sie sich in ihrem Ursprung auf einen Eindruck zurückführen läßt; doch bezweifelt er die tatsächliche Anwendung dieser Kategorien auf einen empirischen Einzelfall. Die klarste Begründung dieser skeptischen Haltung findet sich in dem Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens von 1794, in dem Maimón der „hypothetischen Form der Urtheile [...] bloß im analytischen, nicht aber im synthetischen Denken Realität beilegt.236 Wenn es uns etwa möglich wäre, vom Feuer und der Wärme derartig vollständige Begriffe zu erlangen, daß wir auf rein logischer Ebene das Feuer als Grund der Wärme einsehen könnten, so ließe sich nach Maimón auch auf eine zeitliche Folge in der Existenz der den Begriffen entsprechenden Gegenstände mit Sicherheit schließen. Der umgekehrte Schluß von einer zeitlichen Folge auf die logische Notwendigkeit ist dieser Position gemäß hingegen unsicher und bloß möglich. Dementsprechend ist die Objektivität jeglicher Erkenntnis zu bezweifeln, die auf der wahrgenommenen „äußeren Verbindung" zweier Gegenstände „in Zeit und Raum" beruht, „wie alle, nach den empyrischen Gesetzen der Ideenassociation bestimmte subjektive Erkenntniß" 237 Die Rechtmäßigkeit des Bewußtseins, daß bezüglich empirischer Gegenstände von der Form des hypothetischen Urteils tatsächlich Gebrauch gemacht wird, wie es etwa in dem Urteil: „Das Feuer erwärmt den Stein" zum Ausdruck kommt, ist daher nach Maimón unbeweisbar; denn dieses Bewußtsein beruht auf einer „Täuschung der 7,6

237

S.Maimón: Gesammelte Werke. Bd V. Hrsg. von V. Verra. Hildesheim 1970, 331; vgl. auch 145f. An dieser Stelle gesteht Maimón die Aufnahme der hypothetischen Form in die Logik durchaus zu, indem er sie mit der Form der analytischen Verknüpfung der Prämissen als Antezedens mit der Konklusion als Konsequens in der Schlußlogik identifiziert. An vielen anderen Stellen versucht er hingegen, die hypothetische Form auf die kategorische zu reduzieren. Vgl. dazu a.a.O. 24, 115, 222ÍF, 227. Zum folgenden Gedankengang vgl. a.a.O. 239ff, 248ff. S.Maimón: Gesammelte Werke. Bd V, 198. Diese Argumentation nennt Maimón kurz darauf (a.a.O. 202) den „Grundstein meiner skeptischen Philosophie".

154

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Einbildungskraft"™, die aufgrund der häufig wahrgenommenen, unmittelbaren zeitlichen Folge der Wärme auf das Feuer den psychologischen Assoziationszwang unrechtmäßigerweise für die Erkenntnis einer notwendigen, analytischen Verbindung zwischen beiden ausgibt. Ohne zu untersuchen, ob diese Einwände die Ausführungen in der Kritik der reinen Vernunft tatsächlich treffen, bleibt somit festzuhalten, daß Maimón zwar reine Verstandesbegriffe im Sinne Kants zugibt, deren Gebrauch er letztlich auf die Mathematik beschränkt; vermeintliche Kausalverhältnisse unter empirischen Gegenständen reduziert er jedoch ganz im Sinne Humes auf die Gewohnheit der Einbildungskraft. Denn nach Humes psychologischer Definition im Enquiry Concerning Human Understanding ist Ursache „an object followed by another, and whose appearance always conveys the thought to that other",239

Dieses aus der empiristischen Tradition stammende Theorem, nach dem die vermeintlich gesetzmäßigen Bestimmungen der Gegenstände der Wahrnehmung in einem täuschenden Assoziationszwang der Einbildungskraft gegründet sind, greift Fichte nun auf und wendet es positiv um, indem er dem Verfahren der Einbildungskraft eine solche Notwendigkeit, die im Wesen des menschlichen Geistes fundiert ist, und somit objektive Realität zuschreibt. Zudem bringt er aber auch ein sachliches Argument vor, warum er die Kategorien nicht wie Kant als reine Verstandesbegriffe betrachtet, die vermittels der Einbildungskraft auf das anschauliche Mannigfaltige angewendet werden. Denn nach dieser Theorie ergeben sich, so Fichte, „2 ganz heterogene Bestandteile des Bewustseins; dieses läßt sich gar nicht verstehen" (GA IV, 1, 185). Doch nicht die Einheit des Ich bzw. die vollständige Erklärbarkeit des theoretischen Bewußtseins aus einem zentralen Erkenntnisvermögen liefern das eigentliche Argument für die Annahme, daß die Kategorien direkt in der Einbildungskraft gründen, sondern der nach Fichte durch Kants Konzeption nicht letztgültig widerlegte Dogmatismus. Denn selbst dann, wenn der Dogmaüker dem Kantischen System den Ursprung der Kategorien in der Intelligenz zugesteht, bleibt nach Fichte immer 238 239

S.Maimón: Gesammelte Werke. Bd V, 250. D.Hume: Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals. Reprinted from the 1777 edition with Introduction and Analytical Index by L.A.SelbyBigge. 3. Ed. with text revised and notes by P.H.Nidditch. Oxford 1975, 77. - Die große Nähe der Argumentation Maimons zu derjenigen Humes wird ebenso in seinem Philosophischen Wörterbuch von 1791 deutlich. Vgl. Gesammelte Werke. Bd III. Hrsg. von V.Veira. Hildesheim 1970, bes. 189ff, 197f. Vgl. ebenso schon Gesammelte Werke. Bd II. Hrsg. von V. Verra. Hildesheim 1965, 70ff, 184, 370ff, 389ff. - In dem Versuch über die Transscendentalphilosophie von 1790 versucht Maimón, die Kategorie der Kausalität als eine Bedingung nicht der bezweifelten objektiven Erfahrung, sondern der Wahrnehmung zeitlicher Folge aufzuzeigen, indem nur solche verschiedenen Erscheinungen, die der Regel des „minimums der Verschiedenheit" bzw. des „maximums der Einerleiheit" gemäß sind, den Begriffen von Ursache und Wirkung subsumiert und somit in eine zeitliche Folge gesetzt werden dürfen. Vgl. dazu und zum Satz der Stetigkeit in der Veränderung Gesammelte Werke. Bd II, 124ff, 212ff, 260ff, 372f. - Zum Skeptizismus Maimons vgl. ausfuhrlich A. Engstier: Untersuchungen zum Idealismus Salomon Maimons. StuttgartBad Cannstatt 1990, 190ff.

Das Vermögen der Einbildungskraft

155

noch die Herkunft des Stoffes ungeklärt, dem diese „Beschaffenheiten und Verhältnisse" zugesprochen werden: „In diesen Stoff flüchtet sich der Dogmatismus, und ihr habt übel nur ärger gemacht" (GA I, 4, 202; SWI, 443). Die argumentative Lücke, die das Kantische System dem Dogmatismus offen läßt, ist also - so kritisiert Fichte - das von den a priori im endlichen Geist gründenden Formen, wozu neben den Kategorien auch Raum und Zeit zu zählen sind, verschiedene Gegebene, die Materie der Empfindung als zweiter Bestandteil der empirischen Erkenntnis, deren Ursprung der Dogmatiker in die unabhängig vom Ich existierenden Dinge an sich verlegt. Diese Möglichkeit bleibt dem Dogmatismus nach Fichte jedoch dann nicht mehr, wenn die Einbildungskraft anläßlich der Beschränkung des Ich durch den Anstoß die darin enthaltene Mannigfaltigkeit bestimmter subjektiver Gefühle zu einem einheitlichen Anschauungsgehalt in Zeit und Raum bildet, der zugleich kategorial geordnet ist.240 Die Kategorien sind somit im Rahmen der „bedingten Beziehungslehre" ursprünglich keine allgemeinen, von den einzelnen sinnlichen Anschauungen getrennten Begriffe, auch keine Schemata als den allgemeinen Begriffen entsprechende, in ihren besonderen Bestimmungen offene, anschauliche Gehalte, sondern bestimmte, unabdingbare Verfahrensweisen des produktiven Anschauens der Einbildungskraft, die somit immer schon an den einzelnen Anschauungen instantiiert sind: Die Kategorien entstehen „in der Wissenschaftslehre [...] mit den Objekten zugleich und um dieselben erst möglich zu machen, auf dem Boden der Einbildungskraft selbst" (GA I, 3, 189; SW I, 387). Es ist vor allem der Philosoph, der diese Formen einzelner Handlungen voneinander scheidet, in ihrer Allgemeinheit formuliert und in ihrer Notwendigkeit begreift.241 Damit läßt sich auch die eigenwillige Verwendung der Begriffe „Objekt", „Ding", „Form" und „Stoff in der Ersten Einleitung erklären. Denn Fichte identifiziert dort die kategorialen Gegenstandsbestimmungen in ihrer Vereini240

Damit ist das Problem des Dogmatismus allerdings lediglich auf den Anstoß verlagert, aber noch keineswegs gelöst, so daß eine endgültige Klärung der Rechtmäßigkeit der Ansprüche von Idealismus und Realismus erst dort erfolgen kann. - Bezüglich des Vorwurfs gegen Kant schränkt Fichte im Grundriß des Eigentümlichen ein, der Irrtum, „daß das Objekt etwas anderes seyn soll, als ein Produkt der Einbildungskraft", werde zwar durch „den Buchstaben Kants" bestätigt, widerstreite „seinem Geiste aber völlig" (GA I, 3, 190; SW I, 388). In eine ähnliche Richtung zielen auch Hegel und Heidegger in ihren Kant-Interpretationen. In Glauben und Wissen bezeichnet Hegel die produktive Einbildungskraft als eine „wahrhaft speculative Idee", insofern in ihr die Einheit unmittelbar in die Pluralität versenkt ist. Erst auf der in der idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins folgenden Stufe des Verstandes trennt sich die begriffliche Einheit von der anschaulichen Mannigfaltigkeit und tritt zu ihr in das Verhältnis relativer Identität und Differenz (vgl. G.W.F.Hegel: Gesammelte Werke. Bd 4. Hrsg. von H.Buchner und O.Pöggeler. Hamburg 1968, 327f). Heidegger bestimmt hingegen in Abweichung von Kant das Schema als eine derartige Versinnlichung der reinen Verstandesbegritfe, in der dieselben in ein anschauliches Bild gebracht werden. Da seiner Interpretation zufolge den Kategorien diese Versinnlichung wesentlich ist, muß die .schemabildende Einbildungskraft letztlich als Grundvermögen des Ich angesetzt werden (vgl. M.Heidegger: Kant und das Problem der Metaphysik. 5., verm. Aufl. Frankiùrt a.M. 1991, 90ti).

156

Die erste Version der Wissenschaftslehre

gung mit den raum-zeitlichen Verhältnissen mit dem Ding: „alle diese Verhältnisse miteinander sind das Ding; das Object ist allerdings die ursprüngliche Synthesis aller jener Begriffe. Form und Stoff sind nicht besondere Stücke: die gesammte Formheit ist der Stoff" (GA I, 4, 202; SWI, 443). Die zunächst vorgenommene Identifikation des Dinges bzw. des Objekts mit den kategorialen und raum-zeitlichen Verhältnissen läßt noch eine Kantische Interpretation zu, indem man „Objekt" und „Ding" als „Objekt" bzw. „Ding überhaupt", abstrahiert von der Materie der Empfindung, liest. Dieser Objektbegriff entspräche mit zwei Modifikationen dem Kantischen in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, insofern Fichte einerseits Raum und Zeit in ihn integriert und andererseits im Grundriß des Eigenthümlichen darlegt, daß kategoriale Bestimmungen als bloße von der Vernunft noch nicht fixierte Verfahrensweisen der Einbildungskraft zwar gegenständliche Beziehungen, aber noch keine Gesetzmäßigkeit derselben implizieren. Diese Lesart kollidiert jedoch mit der Gleichsetzung von Form und Stoff, denn unter Stoff ist nichts anderes als das durch die Form nicht bestimmte Besondere eines Gegenstandes zu verstehen, das im Bereich empirischer Erkenntnis nach Fichte seinen originären Ort im Gefühl hat. Somit sind die verschiedenen Gleichsetzungen wohl so zu verstehen, daß die Einbildungskraft in der Bildimg eines einzelnen einheitlichen Anschauungsgehaltes diesen immer schon sowohl kategorial als auch raum-zeitlich ordnet. So wenig es nach dieser Theorie durch die Einbildungskraft produktiv erzeugte, einzelne Anschauungen geben kann, die nicht in diesen Verhältnissen stehen, so wenig haben die Kategorien sowie Raum und Zeit ursprünglich eine von dem einzelnen Handeln des Ich unabhängige Bedeutung; erst nachträglich können sie von den einzelnen Anschauungen abstrahiert, in ihrer Allgemeinheit festgehalten und im notwendigen Verfahren der Einbildungskraft begründet werden.242 Damit ergibt sich bezüglich einer transzendentalen Deduktion der Kategorien gerade im Hinblick auf die skeptische Kritik Maimons an Kant für Fichte die Aufgabe zu zeigen, daß das Verfahren der Einbildungskraft deswegen nicht als eine Täuschung bezeichnet werden darf, weil es jedem endlichen Geist aufgrund seines Wesens notwendig ist und somit objektive Realität erhält. Denn nach Fichte ist „dasjenige nicht Täuschung zu nennen [...], was den Gesetzen des vernünftigen Wesens angemessen ist, und nach denselben schlechthin notwendig ist, und nicht vermieden werden kann, wenn wir nicht aufhören wollen, vernünftige Wesen zu seyn" (GA I, 3, 190f; SW I, 3 87).243 Neben diesem Nachweis der objektiven Gültigkeit der Kategorien als notwendige Verfahrensweisen 242

243

Dementsprechend gibt es nach Fichte ursprünglich keinen leeren Raum; ein solcher entsteht vielmehr erst durch künstliche Abstraktion von den ihn erfüllenden Gehalten. Vgl. GA I, 3, 200 (SW1, 400) sowie Κ 110, 112, 116 (GA IV, 2, 101, 103, 105). Zu dieser Theorie sei verwiesen aufN.Hartmann: Die Philosophie des deutschen Idealismus. 2.Aufl. Berlin 1960, 61f. Vgl. dazu vor allem die langen Ausführungen Fichtes zur objektiven Realität in den Vorlesungen über Logik und Metaphysik·. GA IV, 1, 177ff, 182f, 187ff, 204, 213 u.ö.

Das Vermögen der Einbildungskraft

157

der Einbildungskraft müßte zudem ein erneuter Vollständigkeitsbeweis erfolgen. Denn es darf nicht vorausgesetzt werden, daß diejenigen Gesetze, die in der „unbedingten Beziehungslehre" (GA II, 3, 91) bzw. in der „allgemeinen theoretischen Wissenschaftslehre" - wie man sie im Gegensatz zu der von Fichte sogenannten „besondern theoretischen Wissenschaftslehre" (GA I, 3, 144; SW I, 332) bezeichnen könnte - das Verhältnis des Ich zum Nicht-Ich überhaupt regeln und dadurch die Einheit des Bewußtseins vor dem Widerspruch bewahren, mit denjenigen Bestimmungen kongruieren, denen gemäß die Einbildungskraft die Pluralität des Nicht-Ich aufeinander bezieht und die als durch die bestimmende Vernunft fixierte die dem Objekt immanenten Gesetze ausmachen. Fichte konzentriert sich in seinen Bemühungen um eine transzendentale Deduktion jedoch im wesentlichen auf die Kategorien der Relation, die bei ihm auch sonst deutlich Priorität genießen. So nennt er in der Wissenschaftslehre nova methodo nach der Vorlesungsnachschrift von Krause die Kategorien der Substantialität, Kausalität und Wechselwirkung die „3 Grundkategorien" (K 198). Eine Deduktion der Relationskategorien, d.h. den Nachweis, daß sie als notwendige Handlungsweisen des Ich (=A) in der Vorstellung des mannigfaltigen Nicht-Ich (=-A) zu bestimmen sind, versucht Fichte schon in den Eignen Meditationen. Ebenso deutet er dort bereits an, daß die Kategorien in der Einbildungskraft als deren gesetzmäßige Vollzugsweisen gründen, obwohl seine diesbezüglichen Aussagen keineswegs eindeutig sind. Demnach überträgt das Ich aufgrund einer Einschränkung seiner Darstellungskraft, durch die es sein eigenes Sein setzt, Realität auf das Nicht-Ich. Solches Übertragen, das nach Fichte spontan bzw. eigengesetzlich erfolgt und somit zumindest nicht in allen seinen Bestimmungen durch die Einschränkung des Ich in der Darstellung seiner selbst bzw. in seiner ,JEigenMacht (GA II, 3, 98) determiniert ist, wird im Vermögen der Einbildungskraft verortet. Analysiert man diese Tätigkeit der Einbildungskraft genauer, so erhält man zwei Komponenten derselben, nämlich „etwas gesezliches", das im Wesen des Ich gründet, und „etwas freies, (durch -A zu disponirendes)", das aus den zufälligen, mannigfaltigen Einschränkungen des Ich durch das Nicht-Ich folgt. Daraus ergibt sich der „Begriff der transscendentalen Einbildungskraft; deren eine Seite nach Gesetzen [...]- deren andere durch ein Leiden [...] / eine Wirkung -A. bestimmbar sey". Entscheidend ist nun die Charakterisierung des gesetzmäßigen Bestandteils; denn nach Fichte gilt: „Nur diese Gesetze wären denn die Begriffe" (GA II, 3, 99). Mit den „Begriffen" scheinen aber offenbar die Kategorien gemeint zu sein, die somit schon in den Eignen Meditationen nichts anderes wären als bestimmte, im Wesen des Ich gegründete, gesetzmäßige Verfahrensweisen der Einbildungskraft im Übertragen von Realität bzw. Tätigkeit auf das Nicht-Ich, welches Übertragen anläßlich der eingeschränkten Möglichkeiten in der Darstellung seiner selbst und d.h.:

158

Die erste Version der Wissenschaftslehre

aufgrund der begrenzten Eigenmacht geschieht.24'' Demgegenüber heißt es von der zwischenzeitlich als notwendig erwogenen Verbindung von „zugleich seyn" und „nacAeinanderseyn", sie solle vom „Verstände" vorgenommen werden, wobei Fichte recht unspezifisch hinzufugt: „u. die Möglichkeit derselben würde auf Kategorien zeigen" (GA II, 3, 106). Und speziell mit Bezug auf die Substanz-Akzidens-Relation fuhrt Fichte aus: „Nemlich der Verstand denkt nicht durch den Begriff der Substanz: [...] sondern durch den der Substantialität /Substanz u. Accidens vereint" (GA II, 3, 120). Sollte Fichte in den Eignen Meditationen diese Kantische Variante vor Augen haben, dann muß allerdings die Interpretation der Begriffe der Einbildungskraft, ihrer im Wesen des Ich gegründeten gesetzmäßigen Verfahrensweisen offen bleiben.245 Eindeutig bestimmt Fichte hingegen schon in den Eignen Meditationen das Prinzip einer transzendentalen Rechtfertigung der Kategorien, und zwar mit deutlichen Anklängen an Argumentationen aus dem §16 der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Er geht dabei von der Mannigfaltigkeit verschiedener bzw. sogar einander entgegengesetzter Empfindungen aus und fragt, wie angesichts dieser Pluralität die Identität des Ich (=A) gewährleistet werden kann: „A ist Eins /Einerley/ sollen die Vorstellungen, Anschauungen u.s.w. Modificationen dieses A seyn: so muß A auch seine Einheit auf sie übertragen" (GA II, 3, 109). Fichte stimmt somit der Kantischen Annahme zu, daß zwar das bewußte Vergegenwärtigen einer jeden einzelnen Vorstellung ohne Verknüpfungsleistungen seitens des Ich durchaus möglich ist; aber erst durch die spontane Verbindung ergibt sich „Einheit u. Ganzheit des Bewußtseyns" (GA II, 3, 109).246 Ohne solche Handlungen des Zusammenftigens wäre also jede einzelne Vorstellung einem anderen Ich bewußt. Daraus würde aber folgen, daß die Identität des Ich angesichts der in der Empfindung gegebenen Mannigfaltigkeit gerade nicht garantiert werden könnte: „A wäre mithin nicht =A" (GA II, 3, 109). Es träte also genau der Fall ein, daß - in der Formulierung Kants - „ich ein so vielfarbiges verschiedenes Selbst haben" würde „als ich Vorstellungen habe, 244

245

246

Auch in einer nachträglich hinzugefügten Anmerkung redet Fichte von einer „Synthesis", die „durch Spontaneität der Einbildungskraft hervorgebracht sey" (GA II, 3, 110). Nach GA II, 3, 130 sind die „Formen der Empfindbarkeit, der Zeit, u. des Raums", denen - wie noch zu zeigen ist - nichts anderes als die Kategorien der Substantialität, der Kausalität und der Wechselwirkung entsprechen, solche durch die Einbildungskraft realisierte Formen, die zwar insofern allgemein genannt werden müssen, als sie in jedem besonderen Anschauungsgehalt enthalten sind, die aber als derartige diskursive Allgemeinheiten nichts „besonders existirendes" darstellen. Gemeint sein könnte die von Fichte schon in den Eignen Meditationen mehrfach genannte, dort allerdings noch nicht wie später in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre der Kausalität zugeordnete Verfahrensweise des Übertragens. Damit wäre dann allerdings erst ein Gesetz bzw. ein Begriff gefunden. Fichte redet aber eindeutig von den „Gesetzen" und „Begriffen" der transzendentalen Einbildungskraft im Plural. Zum Übertragen vgl. GA II, 3, 84, 87, 98f, 107, 117fu.ö. Auch Kant spricht von der Möglichkeit, „daß ich jede Vorstellung mit Bewußtsein begleite" (KrV B133).

Das Vermögen der Einbildungskraft

159

deren ich mir bewußt bin" (AVK Β134). Wie für Kant ist also auch für Fichte in den Eignen Meditationen die gesetzmäßige Verbindung des gegebenen Mannigfaltigen eine notwendige Bedingung für die Identität des Ich. Jedoch setzt er diese Identität anders als Kant aller Synthesis voraus, so daß sie als eine durch die Verknüpfungsakte zu -wahrende zu kennzeichnen ist. Demgegenüber wird nach Kant die identische Selbstbeziehung durch die spontanen Handlungen der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption allererst möglich; sie ist insofern eine hervorzubringende,24' Unter Berücksichtigung der Grundlage der gesammten Wissenschafislehre, insoweit sie systematisch dem entspricht, was in den Eignen Meditationen als „unbedingte Beziehungslehre" bezeichnet wird, ergibt sich bei Fichte somit eine zweifache Voraussetzung des identischen Ich angesichts einer je verschiedenen Mannigfaltigkeit. Im ersten Paragraphen der Grundlage wird das differenzlos sich selbst setzende Ich qua Tathandlung als höchste Bedingung der Möglichkeit aller Entgegensetzung eines Nicht-Ich erwiesen, wobei diese Identität angesichts der aus der Entgegensetzung hervorgehenden Widersprüche durch verschiedene Synthesisleistungen gerettet werden muß; in der „bedingten Beziehungslehre" gilt es hingegen, die Identität des selbstbezüglichen Subjekts im Hinblick auf die in der Form verschiedener Empfindungen auftretende Mannigfaltigkeit des Nicht-Ich zu behaupten. Und so wie dort das Ich zur synthetischen Einheit der Apperzeption zu entwickeln ist, so formuliert Fichte auch hier: „Mehrere Anschauungen werden geordnet zur synthetischen Einheit der Apperception durch Begriffe" (GA II, 3, 129). Somit ist sowohl die Synthesis von Ich und Nicht-Ich als auch diejenige einer Pluralität von gegenständlichen Gehalten durch die Identität des Subjekts bedingt. 248 Aus dem Nachweis der „Notwendigkeit der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen" ergibt sich nach Fichte jedoch lediglich „das allgemeine Gesez des Denkens" (GA II, 3, 109).249 Darüber hinausgehend muß gezeigt werden, vermittels welcher gesetzmäßigen Synthesen das Ich Einheit in dem noematisch vorgestellten Bewußtseinsinhalt hervorbringt, so daß sich bestimmte Kategorien als notwendige Voraussetzungen eines identischen Selbstbezugs des Subjekts angeben lassen. Fichte konzentriert sich dabei auch in den Eignen Meditationen - wie bereits angedeutet - im wesentlichen auf die Relationskategorien, und zwar zunächst auf die „Deduction der Subsistenz" (GA II, 3, 112). Er geht in den entsprechenden Argumentationen von der Kantischen Voraussetzung aus, daß alle Apprehension eines gegebenen Mannigfaltigen notwendig sukzessiv geschehen muß, wobei die aufeinander folgenden Empfindungen als einander entgegengesetzte Akzidentien oder Einschränkungen des sich seiner selbst in 247

248 249

Zu den daraus sich ergebenden Problemen hinsichtlich der Selbstbezüglichkeit der ursprünglichsynthetischen Einheit der Apperzeption vgl. die Ausführungen in Kapitel 1.1 des ersten Teils. Vgl. auch GA II, 3,130. Vgl. dazu GA II, 3, 102: ,JDenken besteht oß'enbar in dem Entgegensetzen, u. gleichmachen eines Mannigfaltigen".

160

Die erste Version der Wissenschaftslehre

seiner Identität bewußten, substantiell bestimmten Ich zu verstehen sind. Dieses Substanz-Akzidens-Verhältnis ist nun nach Fichte deswegen unumgänglich auf das mannigfaltige Nicht-Ich zu übertragen, weil die entgegengesetzten Empfindungen nur dadurch in eine Einheit gebracht werden können, daß sie „in Einer Zeit (GA II, 3, 112) sind.250 Die beharrliche Identität der Einen Zeit ist somit das Verbindungsglied, in Beziehimg auf welches die mannigfaltigen Empfindungen eine solche Gleichheit erlangen, wie sie nach Fichte fur die Wahrung der Identität des Selbst erforderlich ist. Dahinter steht also offenbar der Gedanke, daß die Identität des Ich nur dann Bestand haben kann, wenn auch im noematisch Vorgestellten trotz des Entgegengesetztseins der Empfindungen sich etwas Identisches durchhält, mit dem die Gehalte als wechselnde Akzidentien verbunden werden können, so daß sie sich zugleich untereinander in eine Einheit fügen. Nun hatte allerdings schon Kant in der transzendentalen Ästhetik dafür argumentiert, daß die Zeit als solche nicht wahrgenommen werden kann.251 Da aber seiner Meinung nach nur in bezug auf ihre Beharrlichkeit alle Folge und alles Zugleichsein bestimmbar ist, muß es für sie sozusagen einen wahrnehmbaren Ersatz geben, der aufgrund seiner Unwandelbarkeit die Zeit in ihrem grundlegenden Charakteristikum vorstellig macht und der in der Empirie die zeitliche Ordnimg der erfahrbaren Gehalte in ihrem Nacheinander- und Zugleichsein allererst ermöglicht. Fichte beweist nun demgegenüber die Notwendigkeit einer Substanz zwar nicht daraus, daß sie die Bedingung der Möglichkeit aller empirischen Zeitbestimmung darstellt; vielmehr rekurriert er auf die Notwendigkeit eines den entgegengesetzten Empfindungen zugrundeliegenden beharrlich Identischen, als das er die Eine Zeit ausmacht; doch auch fur ihn stellt sich natürlich die Frage, wie dieses Substrat alles Wechselnden in der Apprehension empirischer Empfindungsgehalte überhaupt Bewußtseinsgegenstand werden kann, denn: „diese Eine Zeit ist nun nicht Empfindung" (GA II, 3, 116). Auch für Fichte bedarf es daher eines Stellvertreters, der als das unbegrenzt Dauernde und damit als das in der Zeit Beharrliche die Substanz der wechselnden Vorstellungsgehalte ausmacht. Anders als Kant kommt er allerdings zu dem Ergebnis, daß diese Substanz nichts in der Empfindung bzw. in der Wahrnehmung Gegebenes ist, sondern daß sie grundsätzlich nur gedacht werden kann: „Offenbar wird das Dauernde nicht empfunden, sondern bloß gedacht (GA II, 3, 119). Der entsprechende Begriff der Substanz kommt dabei dadurch zustande, daß das Ich in einer Reflexion auf sich die allen verschiedenen Empfindungen gemeinschaftliche Vollzugsweise des „Empfindens überhaupt" thematisiert und als das „Empfindbare überhaupt" (GA II, 3, 120), näm-

250 251

Vgl. ebenso GA II, 3, 116. Vgl. KrVB219, 225f, 233, 245, 257, 262.

Das Vermögen der Einbildungskraft

161

lieh als Materie im Bereich des Gegenständlichen realisiert 252 Somit gelangen Kant und Fichte über verschiedene Argumentationen zu dem gleichen Ergebnis, daß in der Materie das allem Wechsel zugrundeliegende Beharrliche zu suchen ist. Doch ist die Fichtesche Bestimmung der Vorstellungsweise dieses Beharrlichen sicherlich angemessener; denn die Materie als solche kann nicht empfunden werden, sondern immer nur bestimmte Modifikationen derselben: grün, rot, sauer, süß etc. Die Materie als Substanz fallt somit nicht in den Bereich der Wahrnehmungen; sie ist vielmehr ein Begriff, der nach Fichte auf einer „Abstraction aus dem Zustande des Empfindens überhaupt" (GA II, 3, 121) basiert.253 Umgekehrt sieht man allerdings nicht, welcher Vorteil der Materie gegenüber der Einen Zeit bei Fichte zugesprochen werden soll, wenn beide der Empfindimg grundsätzlich unzugänglich bleiben. Weniger klar ist der Versuch einer Deduktion der Kategorie der Kausalität; vor allem wird der Bezug der entsprechenden Überlegungen zu dem von Fichte aufgestellten Prinzip einer transzendentalen Rechtfertigung: zu der notwendigerweise zu wahrenden Identität des Ich nicht deutlich. Fichte bemerkt vielmehr eine davon abweichende Parallelität zwischen der Deduktion der Substantialität und deijenigen der Kausalität: So wie aus jener eine Realisation des Empfindbaren überhaupt als dauernde Materie resultierte, so soll in dieser die Form der inneren Empfindung, die Zeit realisiert werden: „hier müste das, worin die innere Empfindung ist, die Zeit, als fixirt, als dauernde festgesezte, nicht von der Einbildungskraft, u. Apprehension abhängende Zeit gedacht, u. realisirt werden" (GA II, 3, 122). Offenbar meint Fichte, wie aus dem Folgenden hervorgeht, daß die Zeit einerseits erfüllt und andererseits in dieser Erfüllung als von den zufälligen Bedingungen der Einbildungskraft und der Apprehension unabhängig gesetzt werden soll. Demnach hat die Zeit z.B. nicht deshalb nur eine Dimension, weil das Subjekt aufgrund der zufälligen Beschaffenheit seiner Vermögen verschiedene Empfindungen nur sukzessiv und niemals zugleich apprehendieren kann; vielmehr wird ihr eine sich beständig verändernde Materie untergelegt, die durch ihre stetig wechselnden Eigenschaften das Subjekt nötigt, diese inhaltlich bestimmten Empfindungen in genau dieser eindimensionalen, zeitlich festgelegten Ordnung zu vollziehen. Auf diese Weise sollen sowohl die Zeit selbst als auch die sie erfüllenden Dinge ihre eigene Natur und Ordnung erhalten. Diejenigen Eigenschaften, die den Vorstellungen in der Zeit nur in Beziehung auf das Subjekt zukommen, da sie in der Eigentümlichkeit seiner Vermögen gründen, sollen von demselben als unabhängig angenommen werden. Dem-

252

251

Ebenso heißt es noch im System der Sittlichkeit, damit Freiheit als das Vermögen, einander entgegengesetzte Modifikationen am Gegenstand hervorzubringen, denkbar sei, bedürfe es im Objekt eines Dauernden, woran „die Identität des Bewußtseyns sich anhefte". Diese Aufgabe erfülle ein „ins unendliche modificirbarer Stoff außer uns" (GA I, 5, 88; SWIV, 82). Vgl. auch GA IV, 1,217: „denn die Materie, das was Eigenschaften hat, in dem sie inhäriren ist nichts wahrnehmbares."

162

Die erste Version der Wissenschaftslehre

entsprechend „besteht" der endliche Geist nach Fichte „aus einer Reihe von Empfindungen. - er überträgt, u. macht daraus eine continuirliche Reihe Empfindbares. / Also die realisirte, u. erfüllte Zeit ist eine continuirliche Reihe des Empfindbaren / und zwar veränderlichen" (GA II, 3, 124). Speziell kausal geordnet ist diese kontinuierliche Reihe dabei aus zwei Gründen: Einerseits weist in ihr die jeweils vorangehende Bestimmung der nachfolgenden ihren Platz in der Zeit auf die Weise an, daß die letztere anfangt, wenn die erstere aufhört254; andererseits soll der Verstand aus dem Inhalt der einen auf denjenigen der anderen schließen können, wie Fichte fordert, ohne auf die diesbezügliche Skepsis seitens Humes und Maimons, aber auch Kants einzugehen.255 In der Deduktion der Wechselwirkung knüpft Fichte hingegen erneut an das Prinzip der zu wahrenden Identität des Ich an. Diese wird nämlich dadurch bedroht, daß die Materie, die Fichte als aus einer unendlichen Anzahl von Monaden zusammengesetzt bestimmt, in allen Stellen des Raumes als gemäß dem Prinzip der Kausalität stetig wandelbar gedacht werden muß: „Nun ist die Materie in jedem ihrer Theile, mithin in jedem Theile des Raums in einem fortdauernden Fluße; in jedem Theile Ursache, u. Wirkung" (GA II, 3, 125). Es sind somit nach dem Gesetz der Kausalität zwar die zeitlichen Veränderungen in jedem einzelnen Teil des Raumes je für sich in einer Einheit verknüpft; doch muß eine gesetzmäßige Beziehung zwischen den disparaten Zeitreihen gefunden werden, wenn die Einheit der Einen Zeit und mit ihr die Identität des Ich restituiert werden sollen: „giebt dies nicht mehrere Zeiten? Ja freilich, u. das wäre denn ein harter Widerspruch, denn es ist nur Eine Zeit. Hier wäre also der Widerspruch da, der uns zum Satze fuhren könnte" (GA Π, 3, 125). Die Art der gesetzmäßigen Verknüpfung der einzelnen Zeitreihen miteinander ist nach Fichte nun durch die Wechselwirkung bestimmt, durch welche von jeder einzelnen Zeitreihe auf alle anderen geschlossen werden kann, wobei solche Wechselwirkung unmittelbar speziell zwischen den zeitgleichen, koexistierenden 254

Ein Zugleichsein von Ursache und Wirkung erwägt Fichte an dieser Stelle nicht. In der Wissenschaftslehre nova methodo heißt es allerdings: „zwischen Ursache und Bewürktem liegt keine Zeit dazwischen"; sie sind ..ganz gleichzeitig" (K 205). Schlicht unzutreffend ist jedoch die Einschätzung Fichtes: „Bey Kant sieht es so aus, als ob die Ursache heute und das Bewirkte erst morgen entstünden" (GA IV, 2, 220). Denn gerade aufgrund der möglichen Gleichzeitigkeit der Relata des Kausalverhältnisses unterscheidet Kant den Zeitablauf von der Zeitordnung (vgl. KrV B247Í).

255

Fichte selbst hat noch in den Eignen Meditationen seine Unzufriedenheit mit dieser „Deduktion" der Kausalität geäußert und in einem Zusatz formuliert: „Bei dem Grundsatze der Kausalität ist kein nöthigendes Factum angeführt" (GA II, 3, 128). Doch auch in der in aller Kürze skizzierten Argumentation, die die oben beschriebene ersetzen soll, rekurriert er nicht auf das von ihm im Anschluß an Kant aufgestellte Deduktionsprinzip der Identität des Ich. Vielmehr kollidiert diese Deduktion deswegen mit derjenigen der Substantialität, weil sie von der Unzugänglichkeit des Dauernden fur die Empfindung auf die Konstanz der Wandelbarkeit selbst und in der Folge auf die Kausalität als eine „fixirte, nothwendige, nach Gesetzen sich richtende Wandelbarkeit" (GA II, 3, 128) schließt. Im Rahmen der Erörterungen zur Substantialität sollte aus dem gleichen Grund jedoch die Realisation der dauernden Materie als Gegenstand des Denkens folgen.

Das Vermögen der Einbildungskraft

163

Gliedern stattfindet. Da jedoch zudem jede einzelne Reihe in sich kausal determiniert ist, so daß sich nach Fichte innerhalb ihrer das Ganze aus jedem einzelnen Glied ergibt, lassen sich aus einem einzigen gegebenen Moment alle anderen erschließen: ,.jedes Glied jeder Reihe bestimmt jedes Glied aller Reihen" (GA II, 3, 126). Aus der Kombination der Gesetze der Kausalität und der Wechselwirkung folgt somit ein einheitlicher, universaler Zusammenhang aller raumzeitlich bestimmten Empfindungsinhalte. Damit sind für Fichte „alle Kategorien [...] richtig deducirt" (GA Π, 3, 128), was gemäß dem von ihm formulierten Prinzip einer Deduktion der Kategorien nichts anderes heißen kann als: sie sind als notwendige Bedingungen der Identität des Ich erwiesen. Auch wenn dieses Prinzip in den Ausführungen zur Kategorie der Kausalität nicht eindeutig zum Tragen kommt, muß man unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Konzeption der Eignen Meditationen wohl festhalten, daß sich unter jeweils verschiedenen Aspekten der gegebenen Mannigfaltigkeit verschiedene Verknüpfungsweisen als unerläßlich demonstrieren lassen. Da dem Ich überhaupt einander entgegengesetzte Empfmdungsgehalte gegeben sind, ist deren Einheit durch die Eine Zeit, deren Bestimmungen sie sind, zu gewährleisten, wobei sich aus der Realisation dieses dem Entgegengesetzten Gemeinschaftlichen der Begriff der dauernden Materie als Substanz ergibt. Hinsichtlich der zeitlichen Folge der Empfindungen muß hingegen ein einheitlicher kausaler Zusammenhang angenommen werden und unter dem Aspekt der räumlichen Ausdehnung der Materie und der daraus folgenden Pluralität der Zeitreihen eine universale Wechselwirkung zwischen denselben. Substantialität, Kausalität und Wechselwirkung sind somit notwendige Weisen der Verknüpfung der Mannigfaltigkeit entgegengesetzter Empfindungen, zeitlich folgender Vorstellungen und räumlich verschiedener Zeitreihen. Ihre objektive Realität ist dabei nach Fichte durch ihren Ursprung im Wesen des Subjekts gesichert. Ahnliche Argumentationen finden sich in den Vorlesungen über Logik und Metaphysik, wenngleich nicht explizit im Rahmen einer Deduktion der Kategorien. Diese scheinen dort zudem nur einen Sonderfall der Verbindung des Mannigfaltigen in eine Bewußtseinseinheit darzustellen. Wie schon in den Eignen Meditationen geht Fichte jedoch auch hier von der von Kant modifiziert übernommenen Annahme aus, daß die Identität des Ich und die einheitliche Beziehung des mannigfaltigen Nicht-Ich wechselseitige Bedingungen voneinander ausmachen; denn einerseits könnte die Mannigfaltigkeit ohne die Voraussetzung eines identischen Selbst als Aktzentrum nicht in einem einheitlichen Bewußtsein verknüpft werden und andererseits wäre es dem Subjekt ohne eine solche Zusammenftigung nicht möglich, sich im Vorstellen durchgängig als ein und dasselbe zu wissen: „Ich soll in allen Vorstellungen daßelbe sein u. bleiben, meine Vorstellungen sollen zusammenhängen" (GA IV, 1, 215). Solcher Zusammenhang soll den noematischen Gehalten dabei trotz ihrer Verschiedenheit eignen,

164

Die erste Version der Wissenschaftslehre

was nach Fichte nur dann möglich ist, wenn sie in gewisser Weise auch identisch, einerlei sind; bei der Mannigfaltigkeit der Vorstellungen muß „Einerleiheit u Verschiedenheit stattfinden" (GA IV, 1, 216). Verschieden bzw. sogar entgegengesetzt sind die Empfindungen, so Fichte, nun dadurch, daß sie etwa als Sichtbares oder Hörbares qualifiziert werden können, wobei gleichermaßen Sichtbares wiederum als rot, grün, blau etc. voneinander abgrenzbar ist. Gleich sind die auf diese Weise Unterschiedenen hingegen darin, daß es sich sowohl bei dem Sichtbaren als auch bei dem Hörbaren jeweils um Dinge handelt: „hier ist Identität, beide sind Dinge, Nichtich" (GA IV, 1, 216). Dieser Version entsprechend ist dasjenige vorgestellte Identische, „woran der Faden des Bewfußtseins], fortläuft" (GA IV, 1, 215) und wodurch die Einheit der Gehalte und mit ihr die Identität des Ich gewährleistet werden kann, also durch einen höherstufigen, dem verschiedenen Gegebenen gemeinsamen Begriff ausdrückbar; deswegen sind nach Fichte die höchsten Begriffe, als deren allgemeinsten er denjenigen des Dinges oder des Nicht-Ich ansetzt, auch die zuerst entwickelte« 256 ten. Die Voraussetzungen für diesen Argumentationsgang liegen offenbar in den gegenüber Kant veränderten subjektivitätstheoretischen Bestimmungen. Denn da für diesen die Synthesis des Mannigfaltigen zu einer geregelten Einheit der durchgängigen Identität des Selbstbewußtseins vorausgehen muß, diese aber wiederum die Bedingung aller diskursiv-allgemeinen Begriffe darstellt, können diese Begriffe als das Identische im ansonsten unter sich mannigfaltig Verschiedenen nicht wiederum den grundlegenden einheitlichen Zusammenhang im Vorgestellten hervorbringen. Genau dies ist aber nach Fichte der Fall. Allerdings ist seiner Meinung nach die Identität des Ich aller Synthesis vorauszusetzen. Zudem sind die Begriffe des Dinges, des Hörbaren, des Sichtbaren etc. für ihn keine Produkte der Abstraktion, so daß sie die Verbindung und den Vergleich eines Mannigfaltigen bereits implizierten; vielmehr entstehen sie unmittelbar mit dem Gefühl der Beschränktheit des Ich bzw. mit dessen Gefühl seiner selbst beim Sehen oder Hören: „ich fühle mich sehend, hörend, es ist nicht andres als eine bestimmte Weise des Gefühles meiner selbst" (GA IV, 1, 216). Auf diese Weise kann das erkennende Subjekt an dem allgemeinsten Begriff des Dinges von einem Gehalt zum nächsten übergeleitet werden, da er dasjenige Gemeinschaftliche alles Gegenständlichen ausmacht, wodurch es in einer Einheit verbindbar ist. Fichte führt allerdings in den Vorlesungen über Logik und Metaphysik

auch

noch spezifischere Weisen der Beziehung des mannigfaltigen Nicht-Ich aufeinander an, worunter er auch die Kategorien rechnet. Wie auch bei der dargestellten Deduktion der Substanz-Akzidens-Relation in den Eignen Meditationen

geht

er dort von einander entgegengesetzten Vorstellungen als Modifikationen des256

Vgl. auch GA IV, 1, 222.

Das Vermögen der Einbildungskraft

165

selben Ich aus, die zwecks Vermeidung des Widerspruchs in verschiedene Zeitpunkte zu setzen sind. Zur Wahrung der „Identität des Ich in dem Mannigfaltigen, das vorgestellt wird", müssen die diskreten Zeitmomenten zugeordneten Vorstellungsgehalte nun zugleich so bestimmt sein, daß sie „eine Zeitreihe" (GA IV, 1, 235) beschreiben. Während es in den Eignen Meditationen bei der Deduktion der Substantialität noch die vorausgesetzte Eine Zeit war, die das Verbindungsglied entgegengesetzter Empfindungen darstellte, müssen dieser Argumentation zufolge die in diskrete Zeitmomente gesetzten, mannigfaltigen Vorstellungen also zunächst in bestimmten Verhältnissen zueinander gedacht werden, so daß sie als Inhalte einer einheitlichen und kontinuierlichen Zeitreihe bestimmbar sind. Grundlegend charakterisiert Fichte dieses Verhältnis erneut als Einerleiheit: „Nur so ist Discretion des Mannigfaltigen in der Zeitreihe, u. Stetigkeit derselben, und nur so Ichheit u Einheit derselben möglich" (GA IV, 235). Den Ursprung der Einerleiheit findet Fichte nun aber spezifischer darin, daß jeweils der folgende Bewußtseinsgehalt durch den ihm vorausgegangenen bestimmt wird, weswegen beide ein gemeinschaftliches Merkmal teilen sollen, so daß dieser zu jenem „hinzugenommen" werden kann: „Dieses Mannigfaltige zu vermitteln ist das allgemeinste, die Kategorien" (GA IV, 1, 236). Nach der von Fichte gegebenen Charakteristik der Bestimmung des Folgenden durch das Voraufgegangene scheint jedoch vor allem die Kategorie der Kausalität gemeint zu sein. Eine weitere Möglichkeit solcher Bestimmung sieht Fichte in der räumlichen Nähe nacheinander wahrgenommener Dinge, wobei die Gleichheit offenbar in dem gemeinsamen Prädikat z.B. des Nebeneinanderstehens zu suchen ist; so wird etwa der Tisch dadurch bestimmt, daß er nach dem Stuhl wahrgenommen und als neben ihm stehend beurteilt wird. Im letzten Beispiel zielt Fichte hingegen wahrscheinlich auf die Bestimmung des Präsenten durch den Vergleich mit selektiv zusammengestellten vorausgegangenen Wahrnehmungsgegenständen, die ihm ähnlich sind. Diese von Fichte gewählten Beispiele lassen insgesamt darauf schließen, daß er die Assoziationsweisen Humes vor Augen hat: Resemblance, Contiguity in time or place, and Cause or Effect, die auch von Maimón übernommen werden.257 Muß diese These eine bloße Vermutung bleiben, so läßt sich hingegen eindeutig festhalten, daß die Kategorien, von denen Fichte offensichtlich vor allem diejenige der Kausalität meint, nur eine Weise darstellen, wie die Bestimmimg des Folgenden durch das Vorausgegangene denkbar ist. Aufgrund derartiger Bestimmung soll aber den in der Zeit aufeinander folgenden Bewußtseinsgegenständen Einerleiheit zukommen, so daß sie in eine einheitliche, kontinuierliche Zeitreihe gesetzt werden können,

257

D.Hume: Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals. Reprinted from the 1777 edition with Introduction and Analytical Index by L.A.SelbyBigge. 3. Ed. with text revised and notes by P.H.Nidditch. Oxford 1975, 24. Vgl. S.Maimón: Gesammelte Werke. Bd III. Hrsg. von V.Verra. Hildesheim 1970, 234.

166

Die erste Version der Wissenschafìslehre

wodurch die identische Selbstbeziehung des vorstellenden Subjekts gewahrt bleibt.258 Fichte beweist also in den Eignen Meditationen zunächst die Notwendigkeit einer Mannigfaltigkeit in Zeit und Raum, um dann die Unumgänglichkeit von deren kategorialer Ordnung durch das Ich aufzuzeigen. Und auch an der Stelle der Vorlesungen über Logik und Metaphysik, an der die Kategorien als eine Möglichkeit der Wahrung der Identität des Ich angedeutet werden, geht Fichte von in zeitlich diskrete Momente gesetzten Vorstellungsgehalten aus, die in einer Einheit zu verbinden sind. In beiden Fällen bilden also die Anschauungsformen und die Pluralität des in ihnen Vorgestellten die methodischsystematischen Voraussetzungen der Deduktion der Kategorien. Demgegenüber wird im Grundriß des Eigenthümlichen zuerst die Notwendigkeit kategorialer Bestimmung des Nicht-Ich und erst in der Folge die Unumgänglichkeit einer Mannigfaltigkeit in Zeit und Raum demonstriert. Dieser Version gemäß kann man den Kategorien also grundsätzlich auch ohne die Voraussetzung einer räumlich und zeitlich gegebenen Pluralität eine klar umgrenzte Bedeutung beilegen, wenngleich die dadurch begründete Bewußtseinskonstellation die Vervielfältigung des Anschaulichen in Raum und Zeit erforderlich macht.259- Wie in den anderen Versuchen einer Rechtfertigung der Kategorien als gültige Bestimmungen des Nicht-Ich beschränkt sich Fichte auch im Grundriß auf diejenigen der Relation, wobei er allerdings nur auf Substantialität und Kausaütät eingeht. Warum die Wechselwirkung nicht behandelt wird, muß wohl offen bleiben. Zwar schreibt Fichte an Reinhold, der Grundriß sei „Fragment", da er „nur bis zur Deduktion der Zeit, und des Raums geht" (GA III, 2, 347, Nr. 294); doch ist nicht einzusehen, warum die Wechselwirkung im Gegensatz zu den beiden anderen Relationsbegriffen erst nach Raum und Zeit deduziert werden sollte. Bei aller Komplexität und Abstraktheit derjenigen Partien des Grundriß, in denen Fichte Substantialität und Kausalität behandelt, läßt sich das Verhältnis des Bildes bzw. der Vorstellung zum Gegenstand selbst als ihr eigentliches Problem ausmachen. Die hier zu betrachtende Argumentation stellt allerdings nur einen Teil der angestrebten Lösung dar, weswegen zur Ableitung eines Mannigfaltigen in Raum und Zeit fortgeschritten werden muß. Fichte hat nun 258

259

Fichte läßt allerdings einige entscheidende Unterschiede zwischen den verschiedenen Weisen der Bestimmung unerwähnt. So betrifft die Determination der Wirkung durch die ihr voraufgehende Ursache die objektive Zeit, wohingegen die sukzessive Wahrnehmung räumlich naher Gegenstände von der Willkühr des vorstellenden Subjekts abhängt. Ebenso wird in der Bestimmung präsenter Gegenstände durch solche vorher wahrgenommenen, die nach dem Kriterium der Ähnlichkeit ausgewählt werden, das Bewußtsein der Einerleiheit offenbar vorausgesetzt, aber nicht in der Bestimmung allererst erzeugt. Bezüglich der Deduktion von Raum und Zeit im Grundriß des Eigenthümlichen im Vergleich mit Kant sei verwiesen auf W.Metz: Fichtes genetische Deduktion von Raum und Zeit in Differenz zu Kant. In: Fichte-Studien 6 (1994), 71-94, aber ebenso auf die durchaus kritischen Bemerkungen von W.Ripke: Über die Beziehung der Fichteschen Kategorienlehre zur Kantischen. Heidelberg 1913, 80ff.

Das Vermögen der Einbildungskraft

167

schon vorher gezeigt, daß das Ich ein Produkt seiner Tätigkeit nur dann auf sich selbst bezieht und sich zueignet, wenn es in seiner Bestimmtheit als zufällig und daher als von der Freiheit des Ich abhängig zu beurteilen ist. Die Freiheit im Bilden des Vorstellenden kommt also dadurch zum Ausdruck, daß die Bestimmungen des Bildes nicht festgesetzt sind, sondern mehrere Möglichkeiten offen lassen, zwischen denen das Subjekt schwebt. Nach dem Satz: omnis determinatio est negatio, muß diesem Bild aber nun die unabhängig vom Ich vollständig bestimmte Eigenschaft entgegengesetzt werden, die dem Subjekt gemäß Fichte durch ein unmittelbares Anschauen zugänglich ist, in dessen Vollzug es sich selbst im Objekt verliert.260 In der Reflexion des Selbst auf diese von ihm als vorgegeben beurteilte Eigenschaft geht fur es jedoch die Freiheit in seinem Bilden verloren, indem es sich in der Festlegung der Vorstellung nach dem Objekt richten muß. Da das Subjekt aber nur das Zufällige als sein Produkt erkennt und die Bestimmung der Vorstellung ihm als notwendig erscheint, gibt es nach Fichte für das Ich keinen Grund mehr, dieselbe auf sich selbst zu beziehen; sie erhält vielmehr den Charakter vollständiger Unabhängigkeit. Das Ergebnis des bisherigen Beweisganges bezeichnet Fichte daher als „aeussere bestimmte reine Anschauung" (GA I, 3, 186; SWI, 383). Doch muß das Ich aus absoluter Spontaneität erneut auf diese Eigenschaft reflektieren, die als durch sich selbst bestimmt erscheint. Denn ansonsten wäre sie „nicht im Ich", wäre „das geforderte Bewustseyn derselben nicht möglich" (GA I, 3, 186; SW I, 384), wie Fichte ohne nähere Erläuterung erklärt. Dadurch erlangt dieselbe ihre Zufälligkeit wieder. Abstrahiert man nun von den Unklarheiten der folgenden Argumentation261, so folgt aus der Zufälligkeit der Eigenschaft - wiederum aus Gründen abgrenzender Bestimmung - unumgänglich die Entgegensetzung eines Notwendigen, das wie die Eigenschaft dem Bereich des Nicht-Ich zuzuordnen ist. Damit hat sich also wenngleich keine Mannigfaltigkeit von Empfindungen des Nicht-Ich so doch immerhin eine solche Aufspaltung innerhalb desselben ergeben, die die Anwendung einer Relationskategorie ermöglicht und nach 260

Zur genaueren Bestimmung dieser Anschauung vgl. GA I, 3, 179ff (SW I, 375fi). - Hier zeigt sich deutlich, daß die Deduktion von Substantiality und Kausalität noch keine Mannigfaltigkeit von Empfindungen voraussetzt, indem Fichte von einer einzelnen und - so muß man wohl hinzufugen - in sich einfachen Eigenschaft ausgeht. Wie bei einer Deduktion von Relationsbestimmungen nicht anders zu erwarten ist, wird in der Folge jedoch eine durch das Ich gesetzte Spaltung innerhalb des Nicht-Ich erforderlich.

261

Die Eigenschaft wird nach Fichte aufgrund ihrer Zufälligkeit erneut als „Produkt des Ich" betrachtet „und darinn aufgenommen". Diese Zufälligkeit soll aber nicht darin bestehen, daß die Eigenschaft nicht festgelegt wäre; ihre Bestimmtheit „als etwas, gegen welches das Ich sich blos leidend verhält" (GA I, 3, 187; SW I. 384f), ist vielmehr Grund ihres erneuten Ausgeschlossenwerdens. Als entgegengesetzte soll sie dann jedoch zugleich zufallig in bezug auf die notwendige Substanz sein. Man sieht dabei nicht, welcher Art diejenige Zufälligkeit sein kann, die die Beziehung einer Eigenschaft auf das Ich ermöglicht, wenn deren vollständige Bestimmtheit eine solche Verbindung eigentlich ausschließt. Umgekehrt wird nicht deutlich, auf welche Weise etwas Zufälliges als vom Ich unabhängiges Objekt zu betrachten ist, wenn dessen eigentümliche Modalität gerade in der Notwendigkeit besteht.

168

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Fichte sogar erfordert: „Der Grund der Vereinigung ist der, daß beide Nicht Ich demnach in Beziehung auf das Ich Eins und ebendasselbe sind; der Unterscheidungsgrund der: die Eigenschaft ist zufällig, sie könnte auch anders seyn, das Substrat aber, als solches, ist in Beziehung auf die erstere nothwendig da." Dieses Verhältnis des Zufälligen zu dem Notwendigen ist aber gemäß dem Grundriß dasjenige der „Substantiality" (GA I, 3, 187; SWI, 385). Die abgrenzende Bestimmung des als zufällig Charakterisierten macht also ein Notwendiges und die Beziehung beider aufeinander in der SubstanzAkzidens-Relation erforderlich. Die Integration der Modalkategorien des Zufälligen und des Notwendigen geht dabei eindeutig auf Maimons Satz der Bestimmbarkeit zurück, den er - mitunter mit leichten Abweichungen - an zahlreichen Stellen seines Werkes expliziert. Diesen Darstellungen legt er die kategorische Form des Urteils zugrunde, so daß er den ,,erste[n] Grundsatz alles relien Objekt bestimmenden Denkens" in zwei Sätze aufspaltet: „1) in einen Satz fürs Subjekt überhaupt: Ein jedes Subjekt muß nicht nur als Subjekt, sondern auch an sich, ein möglicher Gegenstand des Bewußtseyns seyn; 2) in einen Satz fürs Prädikat: Ein jedes Prädikat muß nicht an sich, sondern als Prädikat (in Verbindung mit dem Subjekt) ein möglicher Gegenstand des Bewußtseyns seyn."262 Als Beispiel führt Maimón den Begriff des Dreiecks an, in dessen Definition das Subjekt, der Raum, auch ohne die drei Linien in der Anschauung ein Gegenstand des Bewußtseins überhaupt sein kann; demgegenüber sind die drei geraden Linien nur in ihrer Beziehung auf den zugrundeliegenden Raum vorstellbar. Allerdings ist die Verbindung auch für das Subjekt unumgänglich, wenn man es zum Gegenstand des Denkens machen will. In der Betrachtung der einzelnen Bestandteile eines solchen Urteils oder Begriffs im Hinblick auf ihre Modalität erweist sich nun bei dem Prädikat die Verknüpfung mit dem Subjekt als notwendig, sofern es ein Bewußtseinsgegenstand sein soll. Hinsichtlich des Subjekts ist diese Verbindung hingegen bloß möglich, da es sowohl an sich als auch „in einer anderen Synthesis" vorstellbar ist, wie Maimón an einer anderen Stelle, nämlich im Versuch über die Transscendentalphilosophie hinzufügt.263 Da Subjekt und Prädikat, Bestimmbares und Bestimmung nun nach Maimón als Substanz und Akzidens zu qualifizieren sind, wenn sie grundlegende Prädikate von Gegenständen der Erfahrung darstellen264, ergibt sich genau die Fichtesche Unterscheidung einer in Beziehung auf die Eigenschaft notwendigen Substanz von ihrer zufalligen Bestimmung. Dabei schließt Fichte den Fall einer vollständig unbestimmten und außerhalb jeder Beziehung stehenden Substanz allerdings aus, so daß sie zwar notwendigerweise durch irgendein Akzidens bestimmt ist, 262 263

264

S.Maimón: Gesammelte Werke. Bd V. Hrsg. von V.Vena. Hildesheim 1970, 78. S.Maimon: Gesammelte Werke. Bd II. Hrsg. von V.Verra. Hildesheim 1965, 84. Zur geschilderten Verbindung der Modalkategorien mit dem Bestimmbaren und der Bestimmung vgl. Gesammelte Werke. Bd V, 224f, 228. Vgl. dazu S.Maimon: Gesammelte Werke. Bd II, 95f, 126, 185f, 259f u.ö.; Bd V, 222, 241fu.ö.

Das Vermögen der Einbildungskraft

169

ihr aber gleichwohl nur zufällig genau dieses zukommt. Grund dieser Abweichung ist wohl, daß die Subjekte bzw. Substanzen nach der Theorie Maimons gerade nicht vollkommen unbestimmt, sondern lediglich zusätzlich bestimmbar sind, wie die Orientierung am kategorischen Urteil und das Beispiel des Dreiecks zeigen.265 Daß von der Substantialität zur Wirksamkeit fortgeschritten werden muß, ergibt sich nun nach Fichte daraus, daß die Eigenschaft als eine zufällige der notwendigen Substanz „völlig entgegengesezt" (GA I, 3, 188; SW I, 386) ist, was sich allerdings mit ihrer im Rahmen der Behandlung der Kategorie der Substantialität dargestellten Synthesis kaum vereinbaren läßt; denn dort hieß es: „Beide sind vereinigt" (GA I, 3, 187; SW I, 385). Wie Fichte in Wiederaufnahme des Prinzips der transzendentalen Deduktion der Kategorien in den Eignen Meditationen ausführt, widerspricht ihre nun fokussierte Entgegensetzung jedoch der Identität des Ich, das über beide reflektiert. Deswegen müssen sie „in diesem Einen, und eben demselben Ich vereinigt werden" (GA I, 3, 188; SW I, 386). Diese Vereinigung kann nun allein durch eine absolut spontane Handlung seitens des Subjekts, und zwar durch die Tätigkeit der Einbildungskraft erfolgen. Denn es ist dieses Vermögen, dem nach Fichte die Fähigkeit der Synthesis absolut Entgegengesetzter ausschließlich zukommt, wie sich schon in der Grundlage hinsichtlich der Beziehimg von Ich und Nicht-Ich in einem einheitlichen Bewußtsein ergeben hat. Da das Ich sich seines Handelns aber nur in seinem Produkt in der Form der ihm eignenden Zufälligkeit bewußt wird, betrachtet es die resultierende Verbindimg von Substanz und Akzidens zwar als Ergebnis freier Tätigkeit, bezieht diese aber auf das Notwendige im Gegenstand und nicht auf sich selbst, wie es aufgrund des Fichteschen Grundsatzes, daß die Zufälligkeit des Produktes einen hinreichenden Grund für dessen Selbstzueignung darstellt, allerdings zu erwarten wäre. Aber gerade dieses Übertragen des Handelns des Ich auf das Nicht-Ich ist für Fichte der Anlaß, den Ursprung der Kategorie der Kausalität in die Einbildungskraft zu verlegen; denn das Subjekt „verliert [...] sich selbst in diesem Handeln, und trägt dasjenige, was in ihm ist, über auf das Objekt seines Handelns, welches die Anschauung charakterisirt" (GA I, 3, 188; SW I, 386), die gemäß den nachvollzogenen Argumentationen immer schon kategorial geordnet ist. In der Zusammenfassung der Bedeutung, die Fichte der Kategorie der Wirksamkeit im Grundriß gibt, zeigt sich somit, daß sie lediglich eine Fortbestimmung des Verhältnisses der Substantialität darstellt,

265

Durch diese Ausführungen wird die Vermutung von C.Klotz (Der Ichbegriff in Fichtes Erörterung der Substantialität. In: Fichte-Studien 10 (1997), 168f), Fichtes verschiedene Konzeptionen der Substanz-Akzidens-Relation in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre gingen auf die Beschäftigung mit Maimón zurück, zumindest insofern untermauert, als auch bei der Bestimmung der Substantialität im Grundriß der Eintluß von Maimón unübersehbar ist.

170

Die erste Version der Wissenschaftslehre

insofern die notwendige Substanz in ihrem freien Handeln als Ursache der durch sie bewirkten, zufalligen Eigenschaft betrachtet wird.266 Nachdem schon Substanz und Akzidens je für sich durch die Modalbestimmungen der Notwendigkeit und der Zufälligkeit gekennzeichnet wurden, ist auch das Objekt, das aus ihrer gemäß der Kategorie der Kausalität zu denkenden Vereinigung entsteht, nach Fichte „das wirkliche Ding" (GA I, 3, 188; SW I, 386). Damit setzt sich die Parallelität zu den Maimonschen Darlegungen zu den Modalitätskategorien fort. Denn das „bestimmte Objekt", das aus der Verknüpfung des unabhängigen Bestimmbaren mit der nur in Beziehung auf dasselbe möglichen Bestimmung entspringt, ist nach Maimón „wirklich" 267 In seiner Theorie läßt sich allerdings keinerlei Zusammenhang zwischen dem wirklichen Objekt und der Kategorie der Wirksamkeit feststellen, da er letztere von seiner Kategorientafel ausdrücklich ausschließt.268 Es hat sich also gezeigt, daß sich in den Ausführungen des frühen Fichte durchaus verschiedene Ansätze einer transzendentalen Rechtfertigung der Kategorien finden, die jedoch verschiedene Differenzen zu demjenigen in Kants Kritik der reinen Vernunft aufweisen. So liegt bei Fichte ein anderer Deduktionsbegriff zugrunde, der eine gesonderte transzendentale Rechtfertigung als Antwort auf die Kantische Frage: quid iuris nicht zuläßt. Nach Fichte ist der Nachweis der objektiven Gültigkeit einer Kategorie nämlich nur dann zu erbringen, wenn sich aus einer spezifischen Konstellation bzw. aus einer besonderen Problemlage heraus zeigen läßt, daß ein Handeln des Ich nach dieser bestimmten Regel unerläßlich ist, so daß trotz ihres Ursprungs in der Einbildungskraft und der Maimonschen Zweifel der skeptische Einwand einer Täuschung zurückzuweisen ist. Vergleichbare Argumentationsweisen finden sich bei Kant am ehesten in den der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft nachträglich zugefügten Beweisen der „Grundsätze des reinen Verstandes". Eine transzendentale Rechtfertigung besteht für Fichte also im sukzessiven Nachweis der Notwendigkeit jeder einzelnen Kategorie als Bestimmung des Nicht-Ich und nicht in der Demonstration der Unerläßlichkeit begrifflich geregelter Synthesen überhaupt, wenn ein einheitliches Objekt Bewußtseinsgegenstand sein können soll. Anders als die metaphysische und die transzendentale Deduktion in der Kritik der reinen Vernunft lassen sich aber deswegen die lückenlose Ableitung der Kategorien, insofern sie interne Verbindungen des Nicht-Ich darstellen, und ihre transzendentale Rechtfertigung bei Fichte nicht voneinander trennen; daher hätte er eigens zu zeigen, daß er alle möglichen Konstellationen oder Problemlagen tatsächlich durchgegangen ist, sofern sie durch kategorial bestimmte Handlungsweisen der Einbildungskraft zu lösen sind. Ein derartiger Nachweis 266 261 268

Vgl. ähnlich schon die Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre·. S. Maimón: Gesammelte Werke. Bd V, 228. Vgl. S.Maimón: Gesammelte Werke. Bd V, 2221Γ.

GA I, 2, 380

(SW1,241).

Das Vermögen der Einbildungskraft

171

findet sich beim frühen Fichte jedoch nicht; vielmehr beschränkt er sich in dem einzigen veröffentlichten Ansatz auf zwei Relationskategorien: Substantialität und Kausalität, wobei die Wirksamkeit in ihrer Bedeutung eng an das SubstanzAkzidens-Verhältnis herangerückt wird. So verfolgen Kant und Fichte in der transzendentalen Deduktion der Kategorien also zwei grundsätzlich verschiedene Argumentationsmöglichkeiten; und wenn man Kant - was seine Veröffentlichungen betrifft - den Vorwurf machen muß, die Vollständigkeit der Urteilstafel und damit natürlich auch diejenige der Kategorientafel nicht bewiesen zu haben, dann trifft der gleiche Einwand Fichte, wenn man seine Versuche einer Deduktion der Kategorien als Bestimmungen des Nicht-Ich betrachtet, die die Aufgaben einer lückenlosen Herleitung und der Rechtfertigung objektiver Gültigkeit in einem Argumentationsgang lösen müßten. Ein weiterer grundsätzlicher Unterschied zwischen Kant und Fichte besteht in der Festsetzung des Ursprungs der Kategorien in der Einbildungskraft, die von letzterem vor allem im Grundriß des Eigentümlichen vorgenommen wird und die - wie bereits oben ausführlich dargelegt - entscheidenden Einfluß auf das Verfahren der Lösung des Problems einer transzendentalen Rechtfertigung hat. Obwohl die Kategorien nach Fichte nicht im Verstand gründen, bleiben sie für denselben jedoch nicht unzugänglich, wie er vor allem im Hinblick auf die Wirksamkeit ausführt. Indem das Ich sein spontanes Handeln in der Vereinigung von Notwendigem und Zufälligem auf das Objekt überträgt, erscheint ihm die Tätigkeit der Substanz in der Hervorbringung ihrer Eigenschaften zunächst als frei. Ihr Wirken ist somit auf der Stufe der Einbildungskraft noch nicht gesetzmäßig und damit auch nicht vorauszuberechnen, weswegen es vom Subjekt als „Schiksal" (GA I, 3, 189; SWI, 387) erfahren wird. Durch die Aufnahme des Kausalitätsverhältnisses in den Verstand soll das Wirken des Dinges hingegen regelmäßig werden. Substanz und Akzidens stehen dann nicht mehr in der Beziehung des Hervorbringenden und Hervorgebrachten überhaupt; vielmehr wird das Notwendige im Gegenstand als eine gesetzmäßig handelnde Ursache bestimmt. Genauer wird dieser Zusammenhang von Einbildungskraft und Verstand und die Art der Wirkung von diesem auf jene in der „Deduktion der Vorstellung" expliziert. Demnach ist das das Schweben der Einbildungskraft in ihrem tätigen Anschauen fixierende Vermögen die auf dasselbe spontan reflektierende Vernunft. Da sich die Vernunft in ihrer Reflexion nun aber keineswegs des tätigen Anschauens als eines solchen bewußt werden kann, diese Handlung aber auch nicht vollständig aufgehoben werden darf - denn dann würde „der ganze Faden des Bewußtseyns abgerissen, und es liesse sich nie ein Bewußtseyn deduciren" (GA I, 3, 180; SW I, 376) - richtet sie sich auf deren „Spur" (GA I, 2, 373; SIVI, 233) 269 , auf ihr fixiertes Produkt. Dasjenige Vermögen, in das dieses durch die 269

Vgl. dazu auch GA I, 3, 147 (SWl, 335t).

172

Die erste Version der Wissenschaftslehre

produktive Einbildungskraft hervorgebrachte und durch die reflektierende Vernunft fixierte Objekt vorstellend aufgenommen wird, ist nun nach Fichte aber weder die Vernunft noch die Einbildungskraft, sondern der Verstand, den er deswegen als ein „Mittelvermögen zwischen beiden" (GA I, 2, 374; SWI, 233) bezeichnet. Im Gegensatz zu Kant, der den Verstand als die „Spontaneität des Erkenntnisses" (KrV B75) bzw. als „das Vermögen, a priori zu verbinden" (KrV B135), charakterisiert, eignet demselben nach Fichte also keinerlei Fähigkeit spontanen Handelns, da er lediglich das durch die Einbildungskraft Produzierte und durch die Vernunft Fixierte als ein Gegebenes aufnimmt; er stellt für ihn daher „ein ruhendes unthätiges Vermögen des Gemüths" bzw. einen ,,bloße[n] Behälter" (GA I, 2, 374; SW I, 233) dar. Aus der Übertragung dieser Ausführungen auf diejenigen des Grundriß ergibt sich somit, daß es zwar die Einbildungskraft ist, die als das Vermögen der Verbindung absolut Entgegengesetzter Substanz und Akzidens in das Verhältnis von Hervorbringendem und Hervorgebrachtem überhaupt setzt; aber erst aufgrund der fixierenden Wirkung der bestimmenden Vernunft wird dieses zunächst freie Handeln der Substanz zu einem gesetzmäßigen, als welches es in den passiven Verstand als ein Gegebenes, vom Ich Unabhängiges aufgenommen wird. Schon bei den Ausführungen zum absoluten Ich der Grundlage hatte sich gezeigt, daß demselben durchaus die Bestimmungen der Reinheit und der Ursprünglichkeit zugesprochen werden müssen; an dieser Stelle läßt sich hingegen nachweisen, daß es ebenso als transzendental zu qualifizieren ist. Wie schon oben interpretierend dargelegt wurde270, kennzeichnet Kant die ursprünglichsynthetische Einheit der Apperzeption in dieser Weise, „um die Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen" (KrV Β132). Diese Erkenntnisse a priori, die im ursprünglichen Selbstbewußtsein gründen, sind nach Kant die auf den schematisierten Kategorien beruhenden allgemeinsten Naturgesetze, wie sie in den Grundsätzen des reinen Verstandes formuliert werden. Wenn man nun diese Bedeutung von „transzendental" aus der Kantischen Philosophie auf die Fichtesche überträgt, dann ist das Subjekt entsprechend der Gliederung der theoretischen Wissenschaftslehre in einen allgemeinen und einen besonderen Teil bzw. in eine unbedingte und eine bedingte Beziehungslehre in doppelter Weise so zu bezeichnen. Denn in seinen spontanen Handlungen gründen einerseits bestimmte Weisen der Beziehung des Ich auf das Nicht-Ich und auf sich selbst als Voraussetzungen jeglicher Erkenntnis und andererseits gesetzmäßige Verbindungen des mannigfaltigen Nicht-Ich bzw. des in Notwendiges und Zufälliges aufgespaltenen Dinges. Diese Synthesen müssen dabei sowohl im Kantischen Sinne a priori genannt werden, insofern sie unabhängig von jeglicher bestimmten empirischen Empfindung sind, als auch im Fichteschen, da sie zumindest dem Anspruch nach unabhängig von dem in natürlicher Einstellung 270

Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 1.1 des ersten Teils.

Das Vermögen der Einbildungskraft

173

Vorgefundenen in ihrem genetischen Zusammenhang demonstrierbar sind, so daß aus ihrer Gesamtheit die Erfahrung allererst entspringt. Insofern solche Beziehungen nun in wahren Sätzen formuliert werden können, ohne daß Fichte dies tatsächlich durchführt, ist das absolute Ich in seiner systematischen Entfaltung als „transzendental" zu bezeichnen. 271 Festzuhalten bleibt allerdings die subjektivitätstheoretische Differenz zwischen Kant und Fichte, daß gemäß dem §16 der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft die gesetzmäßigen Synthesisleistungen der ursprünglichen Apperzeption der analytischen Einheit des Selbstbewußtseins vorauszusetzen sind, wohingegen nach Fichte umgekehrt jegliche Verbindungstätigkeit im identischen Ich fundiert werden muß. Diese Identität des Subjekts besitzt dabei zugleich „regulative Gültigkeit" (GA I, 2, 282; SWI, 122), insofern sie das angesichts der Mannigfaltigkeit des Bewußtseins zu Wahrende darstellt. Dies gilt auf der einen Seite für die aufgrund der Duplizität von Ich und Nicht-Ich im Bewußtsein auftretenden Widersprüche und auf der anderen Seite für die aus der Pluralität des Nicht-Ich bzw. aus seiner Aufspaltung in Notwendiges und Zufalliges resultierenden, das identische Selbst bedrohenden Konstellationen. - Es sei angemerkt, daß dieser Ansatz den Ausführungen Kants in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft näher steht, ohne daß sich der frühe Fichte auf dieselben bezieht. Kant unterscheidet dort nämlich nicht wie in der überarbeiteten zweiten Fassung zwischen der ursprünglich-synthetischen und der analytischen Einheit der Apperzeption. Vielmehr spricht er von dem ,,ursprüngliche[n] und notwendige[n] Bewußtsein der Identität seiner selbst" (KrV A108), das als ursprüngliches in der gesetzmäßigen Synthesis der mannigfaltigen Vorstellungen also nicht allererst zu begründen ist. Dementsprechend muß die ursprüngliche Apperzeption nicht nur als rein und transzendental, sondern zugleich als „numeAllerdings würde sich Fichte hinsichtlich der gesetzmäßigen Beziehungen des Ich auf das NichtIch und auf sich selbst gegen die Bezeichnung als „Erkenntnis" wehren. Schon in dem Manuskript Bei Lesung der K. Kr.d.r.Vft., das die Herausgeber auf November oder Dezember 1793 datieren, formuliert er bezüglich einer Passage aus der Einleitung zur zweiten Autlage, die von den Möglichkeiten einer apriorischen Erkenntnis des Unbedingten auf der Basis praktischer Vernunft handelt (vgl. KrVBXXi): „Das Wort Erkenntniß a priori ist nicht richtig gebraucht. Zu einer Erkenntniß gehört, nach K. selbst, eine Anschauung. - Also ein Wißen a priori. - Vorstellungen, deren Stoff a priori durch eine HandelnsArt unsers Geistes gegeben sey" (GA II, 2, 327). Aufgrund der von der Forschung m.E. bisher kaum in Betracht gezogenen interpretierten Ansätze zu einer transzendentalen Deduktion der Kategorien läßt sich offenbar die Meinung J.Brachtendorfs (Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812. Paderborn/München/Wien/Zürich 1995, 111, 162f) zurückweisen, den Kategorien komme bei Fichte lediglich innerhalb einer „Metaphysik des Ich und des NichtIch" Bedeutung zu und die Wissenschaftslehre beinhalte insofern einen „Verlust der allgemeinen Ontologie". Allerdings muß natürlich auch bei Fichte der „stolze Name der Ontologie" (KrV B303) zugunsten einer Darlegung der gesetzmäßigen Handlungsweisen der Einbildungskraft aufgegeben werden. Auch schon W.Ripke (Über die Beziehung der Fichteschen Kategorienlehre zur Kantischen. Heidelberg 1913, 58f, 65f, 104t) ist der Meinung, daß Fichte Kant zwar in der Frage einer metaphysischen Deduktion der Kategorien übertreffe, in der transzendentalen aber hinter ihn zurückfalle, da er die Kategorien nicht als Bestimmungen des Nicht-Ich aufzeige.

174

Die erste Version der Wissenschaftslehre

risch identisch" gedacht werden und somit als ein ,,unwandelbare[s] Bewußtsein", dem „numerische Einheit" (KrV A107) zukommt 272 Einerseits gründet in solchem identischen Selbstbezug des reinen Ich nun die synthetische Einheit der ansonsten diffusen gegenständlichen Gehalte.273 Andererseits ist dieser einheitliche Zusammenhang des Bewußtseins offenbar notwendig, wenn die Identität des Selbst nicht verloren gehen soll; denn diese ist wiederum bedingt durch „die Identität seiner Handlung", die „alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft" (KrV A108). Diesen Ausführungen entsprechend kann die reine Apperzeption das Mannigfaltige also nur deswegen in einer regelhaften Einheit verknüpfen, weil in ihrer ursprünglichen Identität die Identität der Urteilsfunktion begründet ist, gemäß der die Vorstellungen verbunden werden. Umgekehrt könnte die Identität der Selbstbeziehung nicht erhalten bleiben, würden die Anschauungsgehalte nicht zu einer objektiven Einheit verknüpft, indem das Selbst sich in der ungeregelten Pluralität verlöre.

3.4 Die Stellung der Einbildungskraft im Gefuge des endlichen Geistes Die Rolle der Einbildungskraft innerhalb des Gefiiges der Vermögen des endlichen Geistes hat sich bekanntlich im Übergang von der ersten zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft entscheidend verändert. So spricht Kant, sicherlich in Entgegensetzung zu seiner Lehre von den „zwei Stämme[n] der menschlichen Erkenntnis" (KrV B29), zunächst von „drei ursprüngliche[n] Quellen" derselben, die „aus keinem anderen Vermögen des Gemüts abgeleitet werden können, nämlich, Sinn, Einbildungskraft, und Apperzeption" (KrV A94).274 Der Erkenntnis ermöglichenden, transzendentalen Einbildungskraft wird dabei als einem irreduziblen „Grundvermögen der menschlichen Seele" eine eigene, das gegebene Mannigfaltige zu Bildern verbindende, reine Synthesis zugesprochen, die durch die gesonderten begrifflichen Einheiten des Verstandes allererst unter eine Regel gebracht werden muß, sollen ihre Zusammensetzungen nicht willkührlich bleiben. Die Einbildungskraft stellt somit laut der ersten Auflage ein eigenständiges Mittelvermögen dar, das die „beidefn] äußerste[n] Enden, nämlich Sinnlichkeit und Verstand" (KrV A124) vermittelt.

212

273

274

Nach KrV Al 13 ist die „numerische Identität" von der reinen Apperzeption „unzertrennlich". Eine ursprünglich-synthetische Einheit, in der die durchgängige Identität allererst zu begründen wäre, kann es demnach nicht geben. Vgl. dazu auch die Rede vom ,,stehende[n] und bleibende[n] Ich" (KrV AÌ23). Vgl. auch KrV A l 16: Demnach ist die „durchgängige Identität unserer selbst" die „notwendige Bedingung der Möglichkeit aller Vorstellungen", insofern Erscheinungen im Ich nur dann etwas vorstellen, wenn sie aufgrund ihrer synthetischen Einheit auf einen Gegenstand bezogen werden. Vgl. a u c h * > K A 1 1 5 .

Das Vermögen der Einbildungskraft

175

Diese Mittelstellung behält sie zwar in der zweiten Version der Kategoriendeduktion, sie verliert dabei jedoch ihre Eigenständigkeit. So ist es die Einbildungskraft, die die Anwendung der reinen Verstandesbegriffe speziell auf das Mannigfaltige unserer sinnlichen Anschauung in Raum und Zeit ermöglicht und die somit die kategorial zu denkende „synthesis intellectualis", die sich auf sinnliche Anschauung überhaupt bezieht, zur „synthesis speciosa" (KrV B151) bzw. zur „figürliche[n] Synthesis" (Λ>ΚΒ154) spezifiziert. Die transzendentale Einbildungskraft wird somit in der Vorbereitung des zweiten Schrittes des Beweises der objektiven Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe, der selbst erst im §26 vollzogen wird, deswegen eingeführt, weil nur durch sie die fur jede Erkenntnis erforderliche Applikation des intellektuellen Vermögens auf unsere sinnliche Anschauung und vor allem auf die uns eigene universale Anschauungsform der Zeit möglich ist. In dieser Funktion ist sie laut der zweiten Auflage jedoch nur noch eine der möglichen Handlungsweisen des Verstandes, insofern die Selbstaffektion, in der der passive innere Sinn durch spontane Synthesisakte den regelnden Einheiten reiner Begriffe gemäß bestimmt wird, lediglich eine „Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit" (KrV Β152) bzw. einen „synthetische[n] Einfluß des Verstandes auf den inneren Sinn" (KrV Β154) darstellt. Von den zunächst in einem selbständigen Vermögen gründenden, Erkenntnis ermöglichenden Leistungen bleibt somit nichts als die „Benennung einer transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft" (KrV B153), der kein irreduzibles Vermögen mehr zugeordnet werden darf. Gleichwohl ist die Tätigkeit der Einbildungskraft als Ausübung der Selbstaffektion auch weiterhin ein unverzichtbares, vermittelndes Moment im Zusammenschluß koordinierter, nicht hierarchisch geordneter Erkenntnisvermögen, und zwar als Hervorbringung von verstandesmäßiger Einheit in der ansonsten diffusen Pluralität von zeitlichen Anschauungsgegebenheiten. Aus dieser grundsätzlichen Anordnung der Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes als koordinierte Stämme endlicher Erkenntnis, die einer - sei es selbständigen, sei es unselbständigen - vermittelnden Instanz bedürfen, ergibt sich von selbst, daß in keinem von ihnen und auch nicht in ihrer bloßen Mitte die „gemeinschaftliche" (KrV B29) bzw. „allgemeine Wurzel unserer Erkenntniskraft" (KrV B863) zu suchen ist. Dazu paßt die Eindeutigkeit der Aussagen Kants bezüglich der Zugänglichkeit eines die anderen Fähigkeiten fundierenden Grundvermögens der Erkenntnis, insofern es „uns unbekannt" (KrV B29) und auch grundsätzlich „unbegreiflich ist, wie das Ungleichartige aus einer und derselben Wurzel entsprossen sein könne" (AA VII, 177). Wie vor allem aus der Anthropologie hervorgeht, ist es also speziell die vollständige Heterogenität der beiden Erkenntnisstämme, die die unaufhebbare Unerforschlichkeit ihrer gemeinsamen Wurzel beweist. Entgegen der Interpretation Heideggers 275 bezeich2,5

Vgl. vor allem M.Heidegger: Kanl und das Problem der Metaphysik.

5., verm. Aufl. Frankturt

176

Die erste Version der Wissenschaftslehre

net Kant jedoch in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft nicht die Einbildungskraft, sondern die transzendentale Apperzeption einmal als das „Radikalvermögen aller unserer Erkenntnis" (KrV Al 14), womit sie allerdings nicht als eine solche Grundkraft bestimmt wird, auf die sich alle anderen zurückfuhren ließen. Vielmehr ist mit dieser Aussage die Spontaneität des ursprünglichen, reinen Ich als der in nichts Höherem fundierbare Grund derjenigen Begriffe a priori charakterisiert, durch deren Anwendung auf die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen Erkenntnis allererst möglich wird. Die Bezeichnung der Apperzeption als „Radikalvermögen" deckt sich somit im wesentlichen mit ihrer in der zweiten Auflage vorgenommenen Kennzeichnung als „der höchste Punkt, an den man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß" (Ä>FB134Anm ). Während Kant die Erkennbarkeit der gemeinsamen Wurzel von Sinnlichkeit und Verstand also durchweg bestreitet, sind seine Aussagen hinsichtlich der Frage, ob eine solche denn vorausgesetzt werden kann und soll, nicht ganz einheitlich. So erwägt er in der Einleitung zur Kritik der reinen Vernunft einen einheitlichen Grund der entgegengesetzten Vermögen der Rezeptivität und der Spontaneität als bloß möglich276, wohingegen er in der „Architektonik der reinen Vernunft" an dem Punkt ansetzen will, „wo sich die allgemeine Wurzel unserer Erkenntniskraft teilt und zwei Stämme auswirft" (KrV B863). Und auch in der Anthropologie lehnt er den Ursprung der heterogenen Stämme in einer gemeinsamen Wurzel zunächst als etwas ab, „welches doch nicht sein kann", schränkt aber gleich im nächsten Halbsatz ein, daß es „wenigstens für uns unbegreiflich ist" (AA VII, 177). Darüber hinaus erachtet Kant die Voraussetzung eines einheitlichen Grundvermögens zumindest in zwei systematischen Zusammenhängen für sinnvoll oder gar notwendig, ohne daß damit seine innere Bestimmtheit für erkennbar erklärt würde. Sinnvoll und notwendig scheint eine solche Annahme nämlich zum einen im Bereich der empirischen Psychologie zu sein; so heißt es im Rahmen der Erörterungen zur „Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung der Hypothesen": „Die Seele sich als einfach denken, ist ganz wohl erlaubt, um, nach dieser Idee, eine vollständige und notwendige Einheit aller Gemütskräfte, ob man sie gleich nicht in concreto einsehen kann, zum Prinzip unserer Beurteilung ihrer inneren Erscheinungen zu legen" (KrV B799). Der Idee der Einfachheit der Seele wird hier insofern regulative Gültigkeit zugesprochen, als mit ihr der methodischen Beobachtung der Äußerungen der mannigfachen Vermögen als Erscheinungen des inneren Sinnes das Ziel der Erkenntnis ihrer vollständigen Einheit vorgegeben wird, wobei das Erfassen solcher vollständigen

276

a.M. 1991, 126ff. Dazu sei verwiesen auf eine erste kritische Stellungnahme von neukantianischer Seite von E.Cassirer: Kant und das Problem der Metaphysik. Bemerkungen zu Martin Heideggers Kant-Interpretation. In: Kant-Studien 36 (1931), 1-26. Vgl. KrVB29.

Das Vermögen der Einbildungskraft

177

und notwendigen Einheit wohl zugleich die Einsicht in einen gemeinsamen Grund impliziert. Die Annahme eines einheitlichen Grundvermögens der menschlichen Seele, obgleich es niemals aktualiter Gegenstand unserer inneren Erfahrung werden kann, ist innerhalb der empirischen Psychologie also sinnvoll, da es ein zwar nie erreichbares, aber in einem unendlichen Progreß gleichwohl anzustrebendes Erkenntnisziel darstellt, das als Idee von regulativer Gültigkeit seinen Ursprung in der Vernunft hat und aufgrund dieses Ursprungs sogar Notwendigkeit beanspruchen kann.277 Als ebenso notwendig, wenngleich in ihrer inhaltlichen Bestimmtheit nicht weniger unerkennbar erweist sich die Annahme eines Grundvermögens innerhalb der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft". Um dies einzusehen, muß kurz auf den Begründungszusammenhang ästhetischer Urteile eingegangen werden, wie er von Kant besonders im neunten Paragraphen dargestellt wird. Ausgangspunkt ist eine gegebene Vorstellung, die Einbildungskraft und Verstand in ein solches Verhältnis zueinander setzt, daß sie zu einer Erkenntnis überhaupt zusammenstimmen, ohne daß die Einbildungskraft dabei in ihrer Synthesis der gegebenen Mannigfaltigkeit an die Regel eines bestimmten Begriffs gebunden wäre. Die aus dieser „proportionierte[n] Stimmung" und dem daraus erwachsenden freien bzw. „erleichterten Spiele" von Einbildungskraft und Verstand entstehende „Belebung" {Kdlß 31) beider wird dem Subjekt nun in der inneren Empfindimg zugänglich. Diese Empfindung ist aber noch nicht identisch mit dem spezifisch ästhetischen Gefühl der Lust; letzteres gründet vielmehr erst in der Beurteilung des subjektiven Gemütszustandes als allgemein mitteilbar. Dazu wird aber offensichtlich nicht nur erfordert, daß bei jedem Subjekt die gleichen apriorischen Erkenntnisvermögen dem ästhetischen Geschmacksurteil zugrundeliegen. Vielmehr muß zudem vorausgesetzt werden, daß sie bei jedem, für den das ästhetische Urteil gelten soll, anläßlich der gleichen Vorstellungen in ein harmonisches Spiel versetzt werden.278 Unter welcher Annahme die zweite Voraussetzung aufrecht erhalten werden kann, zeigt Kant in der „Dialektik der ästhetischen Urteilskraft", in der er eine den Prinzipien des Geschmacks eigene Antinomie entwickelt, deren Thesis im Gegensatz zur Antithesis die Begründung des Geschmacksurteils in jeglicher Art von Begriffen verneint. Die Thesis fordert somit letztlich eine an das jewei277

Vgl. zur Bedeutung einer einheitlichen Grundkraft als regulative Idee auch die Ausführungen von D.Henrich (Über die Einheit der Subjektivität. In: Philosophische Rundschau 3 (1955), 3048), der die Vorgeschichte dieses Problems vor allem bei Leibniz, W o l f f u n d Crusius nachzeichnet. Die eigentümliche Lösung Kants erblickt er schließlich in einer innersubjektiven Teleologie, in der die verschiedenen Erkenntnisvermögen des Subjekts aufeinander verweisen, wobei die Ursache solcher Zweckmäßigkeit allerdings unbekannt bleiben muß.

278

Vgl. K d l f 155: Die Lust am ästhetisch vollzogenen Gegenstand muß „bei jedermann auf den nämlichen Bedingungen beruhen, weil sie subjektive Bedingungen der Möglichkeit einer Erkenntnis überhaupt sind, und die Proportion dieser Erkenntnisvermögen, welche zum Geschmack erfordert wird, auch zum gemeinen und gesunden Verstände erforderlich ist".

178

Die erste Version der Wissenschaftslehre

lige Subjekt gebunden bleibende Gültigkeit des ästhetischen Urteils, indem sie es in dem individuell verschiedenen Gefühl des Vergnügens und des Schmerzes begründet sein läßt. Demgegenüber darf laut der Antithesis die begriffliche Komponente im Geschmacksurteil nicht übersehen werden, ohne daß damit ein definierbarer Begriff des Schönen angesetzt würde, dessen Merkmale mit denjenigen einer gegebenen Vorstellung vergleichbar wären. Dieser Widerstreit ist nun nach Kant nur auflösbar, indem man nachweist, daß das Geschmacksurteil zwar in einem Begriff wurzelt, der aber in der Weise unbestimmt bleibt, daß keine ihm korrespondierende Anschauung zur Hervorbringung einer Erkenntnis gegeben werden kann. Ein solcher Begriff ist „der bloße reine Vernunftbegriff von dem Übersinnlichen, das dem Gegenstande (und auch dem urteilenden Subjekte) als Sinnenobjekte, mithin als Erscheinung, zum Grunde liegt" (KdU2 236). Damit wird man durch die Antinomie des Geschmacks aber genötigt, „über das Sinnliche hinaus zu sehen und im Übersinnlichen den Vereinigungspunkt aller unserer Vermögen a priori zu suchen" (KdU2 239). Durch den nicht auf objektiven Erkenntnisgründen basierenden Ansprach des ästhetischen Urteils auf allgemeine Beistimmung aller wird man also zu der Annahme eines solchen gemeinsamen Ursprungs von der Einbildungskraft als dem „Vermögen der Anschauung" und dem Verstand als dem „Vermögen der Begriffe" (KdU2 155) getrieben, der einerseits überhaupt ihre Zusammenstimmung in einem freien und belebenden Spiel ermöglicht und der andererseits die notwendige Bedingung der Einstimmung der ästhetisch vollziehenden Subjekte darstellt, so daß ihre Erkenntnisvermögen anläßlich derselben gegebenen Vorstellungen in eine harmonische Stimmung versetzt werden. Die Zweckmäßigkeit des Verhältnisses der an der ästhetischen Beurteilung beteiligten Fähigkeiten wird somit „aus einem übersinnlichen Grunde für notwendig und allgemein gültig erklärt" (KdU2 253).279 Darüber hinausgehend wird die zweckmäßige Stimmung von Einbildungskraft und Verstand des ästhetischen Subjekts durch „das übersinnliche Substrat aller seiner Vermögen" aber nicht allem ermöglicht, sondern sogar zum ,,letzte[n], durch das Intelligibele unserer Natur gegebene[n] Zweck" (KdU2 242) erhoben; das übersinnliche Substrat fungiert daher zudem als „Richtmaß" ästhetischer Urteile, insofern ein Gegenstand schön zu nennen ist, wenn er dem durch es aufgegebenen und in seiner Erfüllung ermöglichten Zweck genügt.280 Die Abgrenzung des Geschmacks- vom Erkenntnisurteil erfordert aber zugleich die Unerkennbarkeit der im Sinne einer Grundkraft des intelligiblen Subjekts 279 280

Vgl. auch KdU2 258. Nach §11 kann hingegen nur „die subjektive Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes ohne allen (weder objektiven noch subjektiven) Zweck [...] den Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils ausmachen" (KdU2 35). Denn im Falle eines subjektiven Zwecks wäre die ästhetische Freude bloße Lust am Angenehmen, an der Verwirklichung des Erstrebten; im Falle eines objektiven Zwecks gliche das ästhetische Urteil einem Erkenntnisurteil, das im Vergleich mit dem Guten die Vollkommenheit des Gegenstandes abwägt.

Das Vermögen der Einbildungskraft

179

angenommenen gemeinsamen Wurzel, so daß es bei der inhaltlich unbestimmten Voraussetzung dieses Prinzips des „uns selbst seinen Quellen nach verborgenen Vermögens" (KdU 2 238) des Geschmacks bleiben muß, was zudem mit der in der Kritik der reinen Vernunft begründeten Restriktion aller unserer Erkenntnis auf Erscheinungen in Zeit und Raum zusammenstimmt .281 Als Spezifikum der Kantischen Theorie hat sich somit gezeigt, daß sie einerseits grundsätzlich von einer Koordination der Erkenntnisvermögen ausgeht, so daß sie nicht aufeinander zurückführbar sind, und daß sie andererseits in verschiedenen systematischen Zusammenhängen zwar die Notwendigkeit der Annahme einer gemeinsamen Wurzel derselben aufzeigt, die jedoch, da sie im Bereich des Intelligiblen angesiedelt wird, unserer Erkenntnis prinzipiell unzugänglich bleibt. In beiden Punkten nimmt der frühe Fichte grundsätzliche Veränderungen vor: Er gibt die Koordination der Erkenntnisvermögen zugunsten des Programms einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins auf, als deren einheitliches Fundament ein erkennbares Grundvermögen angenommen wird, das er jedoch nicht mit der Einbildungskraft identifiziert. So muß einerseits geklärt werden, welchen Stellenwert die Einbildungskraft im Rahmen der Konzeption einer ,,pragmatische[n] Geschichte des menschlichen Geistes" (GA I, 2, 365; SW I, 222) erhält und wie - da sie sich als ein innerhalb derselben ableitbares Vermögen herausstellen wird - ihre Qualifikation als „ein ursprünglich in unserm Geiste vorkommendes Faktum" (GA I, 2, 362; SW I, 219) zu verstehen ist. Daß es nach Fichte ein erkennbares Fundamentalvermögen, das alle anderen begründet, gibt und womit es zu identifizieren ist, geht eindeutig aus den Vorlesungen über Logik und Metaphysik hervor. Fichte übernimmt dort zwar die Einteilung des Erkenntnisvermögens in ein höheres und ein niederes, wobei der Vollzug aus Freiheit bzw. Notwendigkeit als Unterscheidungsgrund angegeben wird; er warnt jedoch vor der Annahme, „daß in vernünftigen Wesen 2 solche Departements seyen; es ist ein u. dieselbe Kraft die vorstellt begreift u. urtheilt" (GA IV, 1, 199). In diesem Zusammenhang wendet er sich sowohl gegen Reinholds Ansetzung des Vorstellungsvermögens als obersten Erklärungsgrund aller seiner Spezifikationen282 als auch gegen Kant. Letzterer habe „3 Grundvermö281

282

Dennoch muß das intelligible Substrat, da es dem freien und belebenden Spiel von Einbildungskraft und Verstand zugrundeliegt, wohl als Spontaneität überhaupt konzipiert werden, so daß einerseits ein bestimmterer Begriff als das bloße Noumenon der theoretischen Vernunft zu denken ist, den man andererseits vermittels der praktischen Vernunft zur Freiheit spezifizieren kann. Und somit verschafft solche Zweckmäßigkeit dem übersinnlichen Substrat in uns Bestimmbarkeit durch das intellektuelle Vermögen" (KdU2 LV1). Vgl. dazu sowie zur Einordnung dieser Argumentation in den Zusammenhang des Problems eines Obergangs von der Natur zur Freiheit K.Düsing: Die Teleologie in Kants Weltbegriff. Kant-Studien. Ergänzungsheft 96. Bonn 1968, 102-115, bes. 11 Iff. Einwände gegen Reinholds Ansetzung des im Satz des Bewußtseins ausgedrückten Vorstellens als Prinzip der Philosophie finden sich beim frühen Fichte an zahlreichen Stellen. Vgl. etwa GA I, 2, 149, 262f (SiVl, 80f, 100) u.ö. Die prägnanteste diesbezügliche Aussage findet sich jedoch

180

Die erste Version der Wissenschaftslehre

gen: Vorstellungsvermögen, Willensvermögen, u. Gefiihlsvermögen" (GA IV, 1, 199f) angenommen, womit Fichte sich auf die an die Einleitung zur Kritik der Urteilskraft angehängte Tafel der nach Kant weder aufeinander noch auf eine davon unterschiedene Grundkraft zurückfuhrbaren ,,gesamte[n] Vermögen des Gemüts" (KdU2 LVIII) bezieht.283 Wird jedoch nach der einheitlichen Wurzel der Erkenntnisvermögen und speziell der von Kant sogenannten zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis: Sinnlichkeit und Verstand gefragt, so ergibt sich die Unzulänglichkeit der Einbildungskraft schon aus ihrem reinen Tätigkeitscharakter. Bereits Kant schwankt in §24 der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft bezüglich der Zuordnung der Einbildungskraft: Insofern sie auf die dem Menschen eigentümlichen, reinen Anschauungsformen des Raumes und der Zeit angewiesen ist, wenn sie einen den Verstandesbegriffen angemessenen Anschauungsgehalt präsentieren will, wird sie zur Sinnlichkeit gerechnet; als transzendentale Einbildungskraft, die sich synthetisierend vorzüglich auf das Mannigfaltige der Anschauung a priori und nur vermittels desselben auch auf empirische Gehalte bezieht, ist sie hingegen spontan produktiv und wird in dieser Hinsicht zu einer Funktion des Verstandes. Nach Fichte gründet die Einbildungskraft in der im Gegensatz zur realen Tätigkeit unbegrenzbaren idealen, so daß sie als ein „///«schauen [in activer Bedeutung]" (GA I, 2, 371; SWI, 230) produktiv einheitliche Anschauungsgehalte hervorbringt und somit keinerlei Leidensfahigkeit bzw. Rezeptivität einschließt. Da die theoretische Wissenschaftslehre jedoch die Erkenntnisvermögen des endlichen Geistes in systematischer Folge herleiten will, das signifikante Merkmal der Endlichkeit der Erkenntnis aber in ihrer Sinnlichkeit besteht, muß aus dem Grundvermögen des Subjekts sowohl seine Rezeptivität als auch seine Spontaneität erklärbar sein. Dementsprechend identifiziert Fichte das gesuchte Grundvermögen mit der „Ichheit" (GA IV, 1, 199).284 Insofern Fichte die Ichheit auch als „Vernunft" (GA I, 3, 313; SW III, 1) bezeichnet, müßte also die Vernunft als dasjenige Grundvermögen angegeben

283

284

wohl in einem Brief von Mitte Dezember 1793 an Stephani: Es erscheint Fichte „drollig, wenn Reinhold die Vorstellung zum Generischen desjenigen machen will, was in der menschlichen Seele vorgeht. Wer das thut, kann nichts von Freiheit, vom praktischen Imperativ wissen, wenn er consequent ist; er muß empirischer Fatalist werden" (GA III, 2, 28, Nr. 171). Zur Irreduzibilität dieser Vermögen vgl. bes. KdU2 XXII. - Den Vorwurf, diese in den drei Kritiken behandelten Fähigkeiten der menschlichen Seele nicht in ihrer genetischen Einheit aufgezeigt zu haben, macht Fichte Kant ebenso in der Wissenschaftslehre nova methodo: „Die merkwürdigsten Aeußerungen des menschlichen Geistes: Denken, Wollen, Lust und Unlustempfinden sind nach Kant nicht aufs erste zurückzuführen, sondern sind coordinili" (Κ 5). Vgl. ebenso GA I, 4, 202f, 225 (SW I, 444, 472); GA II, 4, 62 sowie den Brief vom 28.04.1795 an Reinhold (GA III, 2, 314, Nr. 283) und die dazugehörigen Entwürfe (GA III, 2, 309, Nr. 283a). Grundsätzlich das gleiche Ziel, wenngleich von einer veränderten Position Fichtes aus formuliert, verfolgt die Beanstandung der „drei Absoluta" in der Wissenschaftslehre von 1804: GA II, 8, 24-36, 42ff (SWX, 101-106, 11 Off). Vgl. auch àie Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801/02: GA II, 6, 129. Vgl. auch GA II, 4, 58f, 62f.

Das Vermögen der Einbildungskraft

181

werden, aus dem alle theoretischen, aber auch alle praktischen Fähigkeiten abzuleiten sind. Doch schon allein mit dieser Festlegung deutet sich an, daß es sich bei diesem „Grundvermögen" keineswegs um die nach Kant unerkennbare Grundkraft des intelligiblen Subjekts handelt, sondern um ein transzendentalphilosophisch begründetes Prinzip, das in einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins systematisch entfaltet wird. Die Ichheit als Vernunft soll ihre Funktion eines solchen Fundamentes nun aber auch speziell im theoretischen Bereich erfüllen, so daß in ihr nicht nur die Spontaneität, sondern auch die Rezeptivität des endlichen Subjekts begründbar sein muß. Deswegen ist ihr gegenüber dem ersten Paragraphen der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre noch eine Bestimmung hinzuzufügen, da Fichte das Ich dort als „Thathandlung" und somit als „reine Thätigkeit" (GA I, 2, 259; SWI, 96) charakterisiert. Wie eine solche zusätzliche Bestimmung auszusehen hat, ergibt sich dabei aus den Ausführungen zu einer genetischen Ableitung der Forderung nach absoluter Kausalität des Ich in der „Grundlage der Wissenschaft des Praktischen", in deren Zusammenhang zugleich der „wahre Vereinigungspunkt zwischen dem absoluten, praktischen, und intelligenten Ich" (GA I, 2, 405; SW I, 271) aufgezeigt werden soll. Bei der Fokussierung der Frage nach deqenigen einheitlichen Struktur des Ich, die sowohl Spontaneität als auch Rezeptivität in sich zu begründen vermag, hat man aber vor allem das Problem zu lösen, wie das absolute Subjekt in dieser Rücksicht zusätzlich bestimmt werden kann, ohne seine Tauglichkeit zum obersten Prinzip der gesamten Philosophie zu verlieren. Daß die Spontaneität zum Wesen der Vernunft gehört, ist schon aus den Erörterungen des ersten Paragraphen der Grundlage ersichtlich, da das Ich dort grundsätzlich als Tätigkeit bestimmt wird, und zwar als eine solche Tätigkeit, deren Gesetzmäßigkeit ausschließlich in seinem eigenen Wesen gründet. Weniger eindeutig sind hingegen die Ausführungen Fichtes, wie die Tätigkeit des absoluten Subjekts zu konkretisieren ist, damit „im Ich selbst, im absoluten Ich" vor aller tatsächlichen fremden Einwirkung zugleich „die Bedingung der Möglichkeit eines solchen fremden Einflusses" (GA 1, 2, 405; SIV I, 271), also eine ursprüngliche Rezeptivität demonstriert werden kann. Denn insofern der Anstoß den Grund von etwas Fremdartigem im Ich enthält, das aus seinem Wesen allein nicht erklärbar ist, muß sich nach Fichte eine ursprüngliche Verschiedenheit schon in der Struktur des absoluten Subjekts selbst aufzeigen lassen, die seine Empfänglichkeit für dieses von außen in es Hineinkommende konstituiert. Eine derartige Unterscheidbarkeit von Momenten wird dem absoluten Ich innerhalb seiner in sich zurückgehenden Tätigkeit in der Folge jedoch gerade abgesprochen; sie wäre mit seiner Formulierbarkeit in einem obersten Grundsatz aller Philosophie aber auch grundsätzlich unvereinbar. Demgegenüber wird die Selbstgenügsamkeit des Prinzips der Wissenschaftslehre betont: „Das Ich sezt sich selbst schlechthin, und dadurch ist es in sich selbst vollkommen, und allem äussern Eindrucke verschlossen" (GA I, 2, 409; SW I, 276). Zwar lassen sich in

182

Die erste Version der Wissenschaftslehre

der Identität des absoluten Subjekts eine zentrifugale, nach außen gerichtete und eine zentripetale, in die erste zurückgehende Tätigkeit voneinander sondern, diese Unterscheidung dient jedoch allein der philosophischen Reflexion zur Explikation ihres Gegenstandes. Von diesem selbst ist sie hingegen zugleich zu negieren, soll das absolute Subjekt in seinem Wesen erfaßt werden können: Im Ich als unbedingtes Sich-Setzen kann „gar nichts Verschiednes vorkommen" (GA I, 2, 405; SW I, 271); in ihm sind „centripetale und centrifugale Richtung der Thätigkeit [...] Eins, und eben dasselbe, und sind bloß insofern unterschieden, inwiefern über sie, als unterschiedne, reflektirt wird"; daher ist aus der unendlichen, in sich zurückgehenden Tätigkeit auch „kein Bewußtseyn abzuleiten" (GA I, 2, 407; SW I, 274), wie schon oben bei der Besprechung des ersten Paragraphen der Grundlage gezeigt werden sollte.285 Im absoluten Ich läßt sich also gerade keine aktuelle Verschiedenheit auflinden, die seine uneingeschränkte Identität durchbräche und daher qua Rezeptivität die Bedingung der Möglichkeit eines äußeren Einflusses darstellen könnte. Und auch Fichtes explizites Resümee der Beantwortung der Frage nach der Begründung der Modifikabilität des Ich hilft nicht weiter.286 Statt der Benennung des dem Wesen des Subjekts eigenen Verschiedenartigen deutet Fichte dort vielmehr erneut die aus der Deduktion der Einbildungskraft bekannte These an, daß der Anstoß auf das Ich dessen ins Unendliche hinausgehende Tätigkeit voraussetzt.287 Zudem wird die Bedingung der Möglichkeit des Bewußtseins der Begrenzung des Selbst aufgezeigt, wozu aber der schon geschehene Anstoß vorauszusetzen ist. Fichte rekurriert dazu auf die ebenfalls aus der Deduktion der Einbildungskraft bekannte Formel: Das Ich setzt sich als durch sich selbst gesetzt, wobei erst durch das wiederholte Sich-Setzen, durch das „Sich-Setzen als..." die Beschränktheit der Tätigkeit auf ein bestimmtes Quantum bewußt vergegenwärtigt werden kann.288 Als dasjenige Strukturmerkmal der Tätigkeit des Ich, das einen fremdartigen Einfluß ermöglicht und das als Rezeptivität bzw. Modifikabilität die Spontanei285

286 287 288

Gerade darin, daß die Tathandlung bzw. die intellektuelle Anschauung in ihrem Vollzug kein Bewußtsein ihrer selbst erlangt, sieht F.Inciarte (Transzendentale Einbildungskraft. Zu Fichtes Frühphilosophie im Zusammenhang des transzendentalen Idealismus. Bonn 1970, 57-60) den Grund ihrer Endlichkeit, wodurch sie zur gemeinsamen Wurzel von Spontaneität und Rezeptivität taugen soll. Dies steht allerdings im Widerspruch zu Fichtes eigenen Prämissen, nach denen sich aus der unendlichen Tathandlung allein die Endlichkeit des Ich nicht erklären läßt. Vgl. GA I, 2, 408f (SW I, 276). Vgl. bes. GA I, 2, 357ff (SÍ-F1, 213ff). Vgl. zur o/.s-Struktur des Sich-Setzens schon GA I, 2, 347 (SW I, 201); ebenso GA I, 2, 361, 365 (SW I, 218, 223). - In der o/.s-Struktur des Ich und der darin implizierten Unterschiedenheit versucht W.Janke (Fichte. Sein und Reflexion - Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, bes. 20 lf) die Bedingung der Möglichkeit eines beschränkenden Einflusses des Nicht-Ich aufzuweisen. Für grundsätzlich unvereinbar hält hingegen A.Soller („Mein System ist vom Anfang bis zu Ende nur eine Analyse des Begriffs der Freiheit". Eine problemorientierte Erörterung von Fichtes Anspruch. In: Philosophisches Jahrbuch 104 (1997), 142f, 149) die „souveräne Stellung des absoluten Ich" und das „Bedürfnis des Ich, sich zu öffnen".

Das Vermögen der Einbildungskraft

183

tät seines Handelns ergänzt, so daß die Ichheit als Vernunft zum einheitlichen Grundvermögen erhoben werden kann, bleibt somit nur die von Fichte namhaft gemachte „Tendenz zur Reflexion" (GA I, 2, 409; SW I, 277); etwas später spricht er auch von einem „Reflexionstrieb" (GA I, 2, 421; SW I, 291).289 Damit ist allerdings keine aktuelle Verschiedenheit in der Struktur des absoluten Ich aufgezeigt, sondern lediglich ein Trieb desselben angesetzt, dessen Erfüllung die Aufhebung seiner Unendlichkeit und damit zugleich eine solche in einem Anstoß begründete Verschiedenheit voraussetzt. Denn insofern das Ich aufgrund der Beschränktheit seiner Vermögen auf sich nur als ein endliches bewußt reflektieren kann, eine Reduzierung seiner Tätigkeit auf ein bestimmtes Quantum aber nur durch die Annahme eines Anstoßes erklärbar ist, setzt Selbstbewußtsein sogar zweierlei Fremdartigkeit im Ich voraus: Zum einen wird die ansonsten ins Unendliche hinausgehende Aktuosität auf eine aus deren Wesen nicht ableitbare Weise im Punkt des Anstoßes reflektiert, d.h. in die entgegengesetzte Richtung zurückgebeugt; zum anderen müssen zur Realisierung des Selbstbewußtseins die im absoluten Ich ununterscheidbaren Tätigkeiten, die zentrifugale, nach außen gerichtete und die zentripetale, auf die erste zurückgehende, tatsächlich voneinander getrennt und in ihrer Trennung aufeinander bezogen werden. Die Rezeptivität des absoluten Subjekts für einen Anstoß gründet somit nicht in einer aktuellen, seinem Prinzipiencharakter widersprechenden Verschiedenheit seiner Tätigkeiten, sondern in einer bloßen Tendenz bzw. in einem bloßen Trieb, nämlich in dem Trieb nach bewußter Selbstvergegenwärtigung, der aber in der Weise unabdingbar zum Wesen des Ich gehört, daß seine Befriedigung zugleich die Aufhebung der Unendlichkeit des Handelns des Selbst erfordert; denn wird die „Tendenz zur Reflexion befriedigt, so wird „der Trieb nach realer Thätigkeit [...] beschränkt (GA I, 2, 419; SW I, 289). Wenn aber so könnte man über Fichte hinausgehend formulieren - der Reflexionstrieb des Ich nur durch die Begrenzung der realen Tätigkeit an sein Ziel kommt, eine solche Begrenzung jedoch zugleich einen Anstoß erfordert, dann ist das Ich für denselben nicht nur in passiver Weise empfänglich, sondern ihm eignet sogar wesenskonstitutiv ein den Anstoß erstrebender Trieb, da derjenige, der einen bestimmten Zweck will, auch die Mittel wollen muß.290 289 290

Vgl. auch GA I, 2, 419, 430 (SW I, 288f, 302). Mit der Wiederaufnahme der Formel: Das Ich setzt sich als durch sich selbst gesetzt, wird also keineswegs das absolute Ich des ersten Paragraphen durch ein neues Prinzip ersetzt. Das „SichSetzen als..." bedarf vielmehr des absoluten Ich als Grundlage und kann erst anläßlich des Anstoßes aktualisiert werden. Gleichwohl muß den inneren Bestimmungen des ursprünglichen Subjekts die Tendenz bzw. das „Streben zur Reflexion über uns selbst nach dieser Idee" (GA I, 2, 410; SW I, 278), nämlich nach derjenigen unendlicher Tätigkeit hinzugefugt werde. Die alsStruktur des selbstbewußten Ich stellt damit aber auch keinen „zweiten Anfang der WL" dar, wie J.Brachtendorf (Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812. Paderborn/München/Wien/Zürich 1995, 120) meint. Gar den „für sein System tödlichen Widerspruch" sieht R.Kroner (Von Kant bis Hegel. Bd 1. Tübingen 1921, 508fl) in dem unbestimmt bleibenden Verhältnis zwischen dem absoluten und dem sich als sich

184

Die erste Version der Wissenschaftslehre

In dem Grundvermögen der Ichheit qua Vernunft, in dem auf diese Weise alle spontanen und rezeptiven Fälligkeiten des theoretischen Selbst gründen sollen, muß nun aber auch der Ursprung der Einbildungskraft nachweisbar sein. Die deutlichsten Aussagen über dieses Problem, unter welchen Bedingungen das Ich als spontane Einbildungskraft tätig wird, finden sich in den Vorlesungsmanuskripten aus dem Zeitraum Juli/August 1794, die sich mit dem Unterschied des Geistes und des Buchstabens in der Philosophie beschäftigen.291 Die Einbildungskraft wird dort deswegen zum Gegenstand der Untersuchung, weil sie nach Fichte als „das Vermögen Gefühle zum Bewußtseyn zu erheben" (GA II, 3, 311), mit dem Geist zu identifizieren ist.292 Im Verhältnis zu ihrer reproduktiven bzw. ordnenden Funktion ist die produktive Einbildungskraft nun zwar „völlige Schöpferin, und Schöpferin aus Nichts" {GA II, 3, 316); denn sie rekurriert nicht auf im Bewußtsein schon gegebene Gehalte, die sie dann entweder in der Erinnerung erneuert oder neu ordnet, sondern sie produziert allererst diejenigen Bilder, die Bewußtseinsinhalt werden können und auf die auch alle Reproduktion zurückgreifen muß293; doch bildet sie solche Anschauungen nicht schlechthin aus dem Nichts, was einem dogmatischen Idealismus gleichkäme, sondern anhand des im Gefühl gegebenen, mannigfaltigen Materials. So liegt die produktive Einbildungskraft auf der einen Seite allem Bewußtsein dieses bedingend voraus; sie kann aber auf der anderen Seite, insofern ihre Tätigkeit im fühlenden Ich begründbar ist, nicht „das einzige Grundvermögen des Ich seyn", benötigt vielmehr „einen höhern Grund ihres Schaffens" (GA II, 3, 298).

291

252 2,3

setzend setzenden Ich, da das absolute Subjekt einerseits von aller weiteren Setzung unabhängig sein solle, es sich aber andererseits im §5 als bloße Voraussetzung seitens des reflektierenden, endlichen Selbst offenbare. Ähnlich argumentiert B.Noll: Kants und Fichte.·,· Frage nach dem Ding. Frankfurt a.M. 1936, 146ft'. Einen „Bruch" zwischen den drei Grundsätzen und dem fünften Paragraphen glaubt auch R.Hiltscher (Stellt Fichtes Theorie vom „Ich" in der WL von ¡794/95 eineProduktiomtheorie des „Ich" dar? In: Fichte-Studien 5 (1993), 114ff) konstatieren zu können. Die Fundierung des Sich-fur-sich-Setzens im ersten Grundsatz, im Sich-Setzen schlechthin unter Voraussetzung der Endlichkeit der Vernunft betont hingegen P.Baumanns: Fichtes ursprüngliches System. Sein Standort zwischen Kant und Hegel. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, 39, 43f. Und auch D.Henrich (Fichtes ursprüngliche Einsicht. In: Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer. Hrsg. von D.Henrich und H.Wagner. Frankfurt a.M. 1966, 198, 202ff) hält die Formel: Das Ich setzt schlechthin sich selbst, für den „Grundgedanken der Wissenschaftslehre von 1794". Ab 1797 erweitere Fichte hingegen dieses Prinzip durch die Verdoppelung des Setzens. Im Gegensatz dazu sieht W.Janke (Fichte. Sein und Reflexion Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, 190fl) in der von ihm als „absolute Reflexion" bezeichneten Struktur des „Sich-Setzens als..." die „konstituierende Urleistung" bzw. „Ursprung und Mitte des Ich", wobei durch diesen wahren Anfang selbst noch der erste Grundsatz zu begründen sei. Vgl. aber auch die Ausführungen im §3 des Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre (GA I, 3, 15 Iff; SfV I, 340). Die korrespondierenden Argumentationen der Wissenschaftslehre nova methodo finden sich im §7 der Vorlesungsnachschriften (K 76ff; GA IV, 2, 69ff). Vgl. auch GA II, 3, 297, 317, 323, 334. Vgl. ebenso GA II, 3, 298, 310, 326f.

Das Vermögen der Einbildungskraft

185

Daß der Grund der produktiven Tätigkeit der Einbildungskraft im fühlenden Ich liegen muß, wird von Fichte an folgendem Gedankengang verdeutlicht: Die unbegrenzbare ideale Tätigkeit geht bildend über jede Beschränkung des endlichen Selbst hinaus, wobei ihr Produkt gleichwohl als Objekt dem Subjekt entgegengesetzt wird. Solche Entgegensetzung ist aber aus dem Wesen der unendlichen Tathandlung nicht erklärbar, erfordert vielmehr einen aus dem absoluten Subjekt allein nicht ableitbaren Grund, der dennoch als Bestimmung des Ich der Einbildungskraft zugänglich sein muß. Dieser Grund hegt nun nach Fichte in dem auf den Anstoß zurückfuhrbaren Gefühl, in dem das Ich seiner Grenze inne wird und damit zugleich des Widerstandes gegen sein in ihm selbst gegründetes, in die Unendlichkeit hinausgehendes Streben. Insofern die inhaltlich bestimmte Beschränkung des Handelns nun auf einen vom Subjekt in gewisser Weise unabhängigen Erklärungsgrund verweist, indem sie etwas seinem Wesen und seiner Bestimmung Entgegenstehendes offenbart, liegt im Gefühl hinreichender Grund für die Entgegensetzung des durch die Einbildungskraft Gebildeten. Diese kann daher als das Vermögen der anschaulichen Entgegensetzung der im Gefühl gegebenen Mannigfaltigkeit bestimmt werden, so daß diese Mannigfaltigkeit den „Urstoff des, was die Einbildungskraft bildet" (GA Π, 3, 298), ausmacht. 294 Da nun in der „Deduktion der Vorstellung" dargelegt wird, daß auch der Verstand vermittels der Fixierung der schwebend-produzierenden Einbildungskraft durch die bestimmende Vernunft in der Ichheit gründet, zeigt sich, wie Fichte die Koordination der irreduziblen Erkenntnisvermögen: Sinnlichkeit, Einbildungskraft und Verstand in Kants Kritik der reinen Vernunft zugunsten einer genetischen Deduktion derselben aus einem einheitlichen Grundvermögen aufhebt. Solche genetische Deduktion gehört aber in das Programm einer „pragmatische[n] Geschichte des menschlichen Geistes" (GA I, 2, 365; SW I, 223), innerhalb derer nicht nur alle Fähigkeiten des theoretischen Selbst, son294

Insofern die produktive Tätigkeit der Einbildungskraft letztlich in der Begrenzung des praktischen Strebens gründet, gilt auch fur die Kategorien, daß sie „nicht als im Vorstellungsvermögen einheimisch, sondern als Gesetze des strebenden Ich, deren Anwendung durch die Einwirkung des gegenstrebenden Nicht-Ich auf das Gefühl bedingt wird, vorgestellt werden" (GA I, 2, 151). Dementsprechend kritisiert Fichte in der Wissenschaflslehre nova methodo die metaphysische Deduktion der reinen Verstandesbegriffe am Leitfaden der Urteilstafel auch deswegen, weil dadurch der Primat des Praktischen verloren geht, gemäß dem kategorial geregelte Vorstellungen von wirklichen Gegenständen im beschränkten Handeln des freien Ich zu fundieren sind (vgl. Κ 61; GA IV, 2, 54). Die Einbildungskraft bildet jedoch nicht mechanisch aus dem gesamten vorliegenden Material des Gefühls einheitliche Anschauungen; es werden vielmehr nur „einige dieser Gefühle durch die produktive Einbildungskraft gebildet, u. zum deutl. Bewußtseyn erhoben" (GA II, 3, 317). Ähnlich wie nach Kant „das Feld dunkler Vorstellungen das größte im Menschen" (AA VII, 136) ausmacht, gibt es also offenbar auch gemäß Fichtes Theorie eine Menge von Gefühlsgehalten, die nicht zum klaren, gegenständlichen Bewußtsein kommen. GA II, 3, 199 spricht er ohne nähere Erläuterungen sogar von Gefühlen, die das Ich „überhaupt nicht vorstellen kann". Nach der Wissenschaftslehre nova methodo gilt hingegen: „Keine Anschauung ohne Gefühl und kein Gefühl ohne Anschauung" (K 80; GA IV, 2, 72).

186

Die erste Version der Wissenschaftslehre

dem zudem diejenigen „der praktischen Vernunft und der reflectirenden Urtheilskraft" (GA I, 4, 203; SWI, 444) abzuleiten sind. Philosophiegeschichtliche Vorbilder für dieses Programm finden sich vor allem bei Condillac und Plainer, wobei Fichte jedoch beträchtliche konzeptionelle Änderungen vornimmt. So verleiht Condillac in seinem Traité des Sensations von 1754 einer Statue, in die man sich gemäß dem vorausgeschickten „Avis Important au Lecteur" vollständig hineinzuversetzen hat, nach und nach die verschiedenen Sinne, um zu zeigen, „que la sensation" und sogar schon der primitivste aller Sinne, der Geruchssinn, „enveloppe toutes les facultés de lame". 295 Solche Darlegung der Genesis verschiedener Fähigkeiten auf der Grundlage der Sinnlichkeit hat bei Condillac dabei einen originär zeitlichen Sinn und kann somit als „naturhistorisch" gekennzeichnet werden.296 Während Condillac jedoch durchaus versucht, die Entstehung der Vermögen aus der Sinnlichkeit aufzuzeigen, geht Plainer in seiner ,,pragmatische[n], d.h. kritische[n] Geschichte des menschlichen Erkenntnißvermögens" nicht nur von deren Vorhandensein, sondern sogar von demjenigen bestimmter physiologischer Gegebenheiten aus.297 So schildert er z.B. in der „Geschichte des niedern Erkenntnißvermögens" wie der innere Ein295

E.B. de Condillac: Oeuvres Philosophiques. Bd 1. Text établi et presénté par G.Le Roy. Paris 1947, I, VII, §2. - Bezüglich dieses Programms, das nach Condillacs eigener Aussage auf Gespräche mit einer gewissen Mademoiselle Ferrand zurückgeht, ist ihm der Vorwurf des Plagiatismus gemacht worden, da schon Diderot in seinem Lettre sur le Sourds et Muets von 1751 allerdings im Rahmen von Überlegungen zur Wortumstellung in der Poesie - den Vorschlag einer „metaphysischen Anatomie" macht, die darin bestehen soll, „einen Menschen sozusagen auseinanderzunehmen und dann die Frage zu prüfen, was er jedem der Sinne, die er besitzt, zu verdanken hat" (D.Diderot: Ästhetische Schriften. Bd 1. Hrsg. von F.Bassenge. Frankfurt a.M. 1968, 32). Bassenge hält einen solchen Einfluß durchaus für möglich (a.a.O. Bd 2, 695). Demgegenüber sieht der Herausgeber der französischen Werkausgabe, G.Le Roy (E.B. de Condillac: Oeuvres Philosophiques. Bd 1. Text établi et presénté par G.Le Roy. Paris 1947, 222), der zudem auf Buffons Histoire naturelle von 1749 und auf Bonnets Essai analytique sur les Facultés de l'Ame von 1760 verweist, darin den Beweis, daß diese Konzeption „était assez banale vers 1750". E.Behler (Die Geschichte des Bewußtseins. Zur Vorgeschichte eines Hegeischen Themas. In: Hegel-Studien 7 (1972), bes. 190-197) versucht die Ursprünge des Programms einer Geschichte des Bewußtseins sogar bis ins 11. Jahrhundert zurückzuverfolgen, wobei er auch zahlreiche Varianten aus dem 18.Jahrhundert berücksichtigt.

296

Die Verwechslung von erkenntnistheoretischer Systematik und faktischer Entwicklung macht schon L.Krüger (Der Begriff des Empirismus. Erkenntnistheoretische Studien am Beispiel John Lockes. Berlin/New York 1973, 56-68) in seinem Exkurs zu Condillac zu seinem Hauptkritikpunkt. E.Platner: Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. Ganz neue Ausarbeitung. Erster Theil. Leipzig 1793 (Nachdruck: Bruxelles 1970), §21. - Schwierigkeiten in der Ausführung des Vorhabens Condillacs wird man vor allem darin finden, daß die bloß passive Sinnlichkeit aktiven Vermögen zugrundeliegen soll. So wird von Condillac selbst das Gedächtnis als „attention active" (I, II, §14) bestimmt, wohingegen die Statue, wenn ihre Empfindungsfähigkeit vollständig von einer lebhaften Empfindung ausgefüllt ist, „toute passive" (I, II, §32) bleibt. Zu diesem Problem der bloß passiven Grundlage der Naturgeschichte des menschlichen Geistes und ihrem Verhältnis zur .,Unruhe" (inquiétude), die im Extrait Raisonné du Traité des Sensations von 1755 zum Prinzip erhoben wird, vgl. die Ausführungen von L.Kreimendahl in der Einleitung zur deutschsprachigen Ausgabe: E.B. de Condillac: Abhandlung über die Empfindungen. Hrsg. von L.Kreimendahl. Hamburg 1983, XXXVI-XXXVIII.

257

Das Vermögen der Einbildungskraft

187

druck als Bewegung des Seelenorgans aus der Fortpflanzung des äußeren Eindrucks vermittels der Nerven bzw. des sie durchdringenden ätherischen Wesens zum Gehirn resultiert. Aufgrund der Zusammenarbeit von Empfänglichkeit und aktiver Aufmerksamkeit des Vorstellungsvermögens wird der innere Eindruck dann zum sinnlichen Bild verarbeitet, welches durch die anerkennende Beziehung auf einen Begiff zu einer völligen, bewußten Vorstellung erhoben wird.298 Eine derartige mit physiologischen Voraussetzungen durchsetzte, psychologische Untersuchung übernimmt dabei nach Platner in deutlicher Aufnahme Kantischer Gedanken insofern eine kritische Funktion, als sie auf die Beantwortung der Frage nach der Wahrheit und Gewißheit der höchsten Allgemeinbegriffe und Grundsätze der Vernunft und damit nach der Möglichkeit einer Metaphysik abzweckt.299 Fichte, der zum Namen und Programm einer „pragmatischen Geschichte des menschlichen Geistes" von Platner angeregt worden sein dürfte, nimmt nun unter anderem die folgenden zwei grundlegenden konzeptionellen Änderungen vor, die auch Schelling und Hegel in ihren Darstellungen einer solchen Geschichte beibehalten.300 Seine Ableitung der Fähigkeiten der endlichen Vernunft ist einerseits nicht historisch-zeitlich zu verstehen; sie ist weder onto- noch phylogenetische Entwicklungsgeschichte: Der Philosoph ist „nicht Zeitungsschreiber, sondern pragmatische[r] Geschichtsschreiber" (GA I, 2, 147; SW I, 77).301 Andererseits dürfen die Vermögen keineswegs vorausgesetzt werden, was natürlich erst recht für zufällige physiologische Gegebenheiten gilt; erstere sind vielmehr in ihrer Genese aus ihrem Prinzip, der Ichheit in ihrer Tätigkeit, aufzuzeigen. So ist die „pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes" also keine Historie der Erweckung seiner Kräfte im realen Erkenntnisvorgang, sondern eine erkenntnistheoretische Rekonstruktion und Deduktion der Vermögen und Leistungen des Selbst in idealgenetischer Abfolge. „Pragmatisch'" ist 258

Vgl. E. Platner: Philosophische Aphorismen. Erster Theil, §§ 50,64,72-75, 82, 85, 88, 110, 118. " Vgl. E.Platner: Philosophische Aphorismen. Erster Theil, §§ 7-12, 21-23. 100 Vgl. etwa die von den Herausgebern der Gesamtausgabe dem Sommersemester 1796 zugeordnete Notiz: „Pragmatische Geschichte des menschl. Erkenntnißvermögens: ist ein sehr passender Ausdruck" (GA II, 4, 46). Und im Wintersemester 1796/97 heißt es: „Nun aber stellt Hrr PI. allerdings so etwas auf [...]. was ist es? - Es ist eine pragmatische Geschichte: u. eine dergl. will ich auch verzeichnen" (GA II, 4, 52). Fichte spricht allerdings auch von einer „systematischen Geschichte des menschlichen Geistes" (GA II, 3, 334, 336) und von einer ,,allgemeine[n] Geschichte der SeelenOperationen" (GA II, 4, 67). Und schon in den Eignen Meditationen bedient er sich - allerdings in noch recht unspezifischen Kontexten - der Ausdrücke „Geschichte des menschl. Geistes" bzw. „Geschichte des unphilosophirenden Geistes" (GA II, 3, 107, 120). 101 Vgl. auch die parallele Stelle in J.G.Fichte: Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre: Februar 1794. Nachschrift Lavater. Beilage aus Jens Baggesens Nachlaß: Exzerptseite aus der Abschrift von Fichtes Züricher Vorlesungen. Hrsg. von E.Fuchs. Neuried 1996, 153. - Als eine „latente Historisierung in der philosophischen Theoriebildung" beurteilt hingegen J.Stahl (System und Methode - Zur methodologischen Begründung transzendentalen Philosophierens in Fichtes „Begriffsschrift". In: Fichte-Studien 10 (1997), 106) Fichtes Programm einer „pragmatischen Geschichte des menschlichen Geistes".

2

188

Die erste Version der Wissenschaftslehre

diese Geschichte dabei wohl deswegen zu nennen, weil die Fähigkeiten aus dem Ich und seinen Tätigkeitsweisen heraus zu erklären sind. Dementsprechend besteht sie nach den Aufzeichnungen zu den Plainer-Vorlesungen vom Sommersemester 1796 „in einem Verzeichnisse meiner Handlungen" (GA II, 4, 90). Und in den Notizen vom Wintersemester 1796/97 heißt es recht vage: „pragmatisch wie es zu Stande kommt" (GA II, 4, 52).302 Im Anschluß an diese zweite Stelle weist Fichte auch die Interpretation der „Geschichte" als zeitlichen Ablauf zurück: „Geschichte, ist Fiktion, giebt den genetischen Gang des Vortrags" (GA II, 4, 52). Ohne die mannigfaltigen Konstruktionsprinzipien einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins bei Fichte im Detail zu untersuchen, sei angemerkt, daß sie natürlich nicht nur des Grundvermögens der Ichheit, sondern zudem eines Entwicklungsprinzips bedarf. Dieses findet Fichte gemäß dem Grundriß des Eigenthümlichen in der im Wesen des Ich angelegten fortgesetzten Reflexion: „nichts kommt dem Ich zu, als das, was es in sich sezt (GA I, 3, 145; SWI, 333). Auf diese Weise trägt die Geschichte des menschlichen Geistes kein fremdes Konstruktionsprinzip an ihren Gegenstand heran; sie entnimmt es in der Form fortgesetzter Selbstvergegenwärtigung auf jeweils höherer Stufe vielmehr diesem selbst. Zudem steht sie aber vor der Schwierigkeit, einen Endpunkt, ein Ziel ihrer Ableitungen festsetzen zu müssen, denn die „Tendenz zur Reflexion geht fort in das Unendliche" (GA I, 3, 172; SW I, 366). Dieses Ziel ist nach Fichte innerhalb der theoretischen Philosophie durch deren Grundsatz vorgegeben, gemäß dem die Möglichkeit der widerspruchsfreien Wahrheit des Satzes: das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich, zu erklären ist. Diese Möglichkeit wurde zwar schon durch das Vermögen der produktivreproduktiv handelnden, zeitbildenden Einbildungskraft aufgezeigt; doch findet die idealistische Geschichte im Rahmen der Untersuchung des theoretischen Selbst dort ihren Endpunkt, wo das Subjekt sich in seiner unbewußtproduzierenden Tätigkeit nicht mehr vergißt, sondern im bewußten Selbstvollzug fur sich selbst in dem entsprechenden Verhältnis zum Nicht-Ich steht: die Reflexion des Ich auf sich ist somit fortzusetzen, „bis wir bei dem höchsten theoretischen Faktum ankommen; bei demjenigen, durch welches das Ich (mit Bewußtseyn) sich sezt, als bestimmt durch das Nicht-Ich" (GA I, 3, 145; SW I, 333). In einer umfassenden Geschichte des Selbstbewußtseins, die nicht nur das theoretische, sondern auch das praktische Vermögen des endlichen Selbst bein-

302

Den Ausdruck „pragmatische Geschichte" interpretiert X.Tilliette (Geschichte und Geschichte des Selbstbewußtseins. In: Annalen der internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie - Societas Hegeliana. Jahrg. 1983. Köln 1983, 92f) hingegen den damaligen Sprachgebrauch zugrundelegend als „eine Weise oder eine Gattung der Geschichtserzählung, die sie brauchbar macht und ihren Zusammenhang zu oder nach bestimmten Zwecken darstellt". Die inhaltliche Bestimmtheit des Zwecks, auf den hin Fichtes Geschichte des Selbstbewußtseins ausgerichtet ist, läßt er dabei jedoch offen.

Das Vermögen der Einbildungskraft

189

haltet, ist mit dem Ziel der Ableitungen aber offenbar eine vollständige Kongruenz von betrachtendem und betrachtetem Ich erreicht. Denn das philosophierende Subjekt ist nach Fichte „schon im Besitz der Erfahrung" (GA I, 4, 245; SWI, 492), die in ihren notwendigen Bestandteilen systematisch zu entfalten ist. In dem Endpunkt der Deduktionen müssen Subjekt- und Objekt-Ich daher sowohl in ihren Fähigkeiten als auch in der Struktur ihrer Selbstbeziehung miteinander übereinstimmen. 303 Auch bei der Einbildungskraft handelt es sich somit bloß um eine von den Fähigkeiten, die in einer derartigen, hier nur im Umriß skizzierten idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins abzuleiten sind. Damit stellt sich jedoch die Frage, wie das Vermögen der Anschauimg dennoch als „ursprünglich in unserm Geiste vorkommendes Faktum" (GA I, 2, 362; SW I, 219) bestimmt werden kann. Vor allem gilt es, die ihm zugesprochene Ursprünglichkeit zu erklären. Denn Fichtes Feststellung, daß „das ganze Geschäft des menschlichen Geistes von der Einbildungskraft ausgeht" (GA I, 2, 415; SW I, 284), muß unter Berücksichtigung der vorangegangenen Überlegungen sicherlich relativiert werden. In diesem Sinne spricht er selbst schon in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre und nicht erst im Grundriß des Eigenthümlichen, in dem er erstmals dazu ansetzt, die Geschichte des Selbstbewußtseins in einem einheitlichen Durchgang zu bearbeiten, von der Notwendigkeit, daß „im praktischen Theile unsrer Wissenschaft jenes Vermögen auf ein noch höheres werde zurückgeführt werden" (GA I, 2, 361; SW I, 218). Damit sind aber offenbar das Ich, sein ursprüngliches Streben und dessen im Gefühl sich offenbarende Begrenzung gemeint.304 Eine herausragende, ihre Qualifizierung als ursprüngliches Faktum rechtfertigende Stellung kann der Einbildungskraft somit einzig im Rahmen des methodischen Ansatzes der „Grundlage des theoretischen Wissens" zugesprochen werden. Dieser Ansatz zeichnet sich durch die aus den drei obersten Grundsätzen abgeleitete Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der widerspruchsfreien Wahrheit des Hauptsatzes der theoretischen Wissenschaftslehre aus. Gefragt ist nach denjenigen Bestimmungen, die dem Ich zukommen müssen, damit es sich als bestimmt durch das Nicht-Ich setzen kann. Wie bei der Behandlung 103

Zu den methodischen Grundvoraussetzungen einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins bei Fichte vgl. K.Düsing: Einbildungskraft und selbstbewußtes Dasein beim frühen Fichte. In: Kategorien der Existenz. Festschrift für Wolfgang Janke. Hrsg. von K.Held und J.Hennigfeld. Würzburg 1993, 68ft'. Ausführlich geht auf dieses Programm auch U.Claesges (Geschichte des Selbstbewußtseins. Der Ursprung des spekulativen Problems in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Den Haag 1974) ein, wobei er besonders Fichtes Verhältnis zu Reinhold berücksichtigt. ,M In der Wissenschaftslehre nova methodo ist es dann spezieller der reine Wille in seiner ursprünglichen Beschränktheit, der den Ausgangspunkt einer „Geschichte des entstehenden Bewußtseins" (K 172; GA IV, 2, 171) bildet. Auf diesen wird seitens des betrachteten Ich mit Freiheit reflektiert, wodurch es ihn zugleich versinnlicht. Damit enthält die neue Darstellung im Gegensatz zur Grundlage „ein festes Substrat der INTELLIGIBLEN Welt fur die EMPIRISCHE" (GA IV, 2, 150). Vgl. dazu auch die Ausführungen u. S.263ff.

190

Die erste Version der Wissenschaftslehre

des Anstoßes noch genauer zu untersuchen ist, werden auf dem deduktiven Weg der Lösung dieses Problems eine Reihe von einseitigen idealistischen und realistischen Positionen durchgegangen und hinsichtlich ihrer Konsistenz überprüft. Das komplexe methodische Schema der sogenannten Synthesis E, das die Reihenfolge der paradigmatischen Erklärungsansätze durch die verschiedenen Möglichkeiten der Verhältnisse von unabhängiger Tätigkeit und Wechsel regelt, soll dabei zugleich deren Lückenlosigkeit gewährleisten. Da sich alle diese einseitigen Positionen jedoch in verschiedenen Punkten als defizitär erweisen, bleibt letztlich die anläßlich des Anstoßes wirkende Tätigkeit der Einbildungskraft und ihre Fähigkeit, Gegensätzliches zu vereinigen, als einzige Erklärungsmöglichkeit der Wahrheit des Grundsatzes der theoretischen Wissenschaftslehre übrig. Aus diesen Überlegungen heraus kann nun sowohl der Ursprünglichkeit der Einbildungskraft ein gewisser Sinn verliehen als auch ihre Kennzeichnung als Faktum nachvollzogen werden. Während nämlich die einseitigen Positionen des Idealismus und des Realismus sich aufgrund ihrer jeweiligen Defizite als bloße „Denkmöglichkeiten" (GA I, 2, 363; SIV I, 219) erweisen, kommt dem einzig widerspruchsfreien Erklärungsansatz, der auf der Einbildungskraft fußt, Denknotwendigkeit zu. Von einer Realität, die von niemandem vorgestellt wird, kann man aber nach Fichte gar nicht sinnvoll sprechen; man sieht sich im Gegenteil genötigt, genau demjenigen Objektivität zuzuschreiben, das nur auf eine spezifische Weise denkbar und dessen Gedanke somit von dem Gefühl der Notwendigkeit begleitet ist. Somit läßt sich die Bezeichnung der Einbildungskraft als Faktum insofern rechtfertigen, als nach dem Ausschluß aller erwiesenermaßen falschen Begründungsversuche aufgrund der notwendigen Denkgesetze des über den Grundsatz der theoretischen Wissenschaftslehre reflektierenden Philosophen die Annahme der produktiv-reproduktiv tätigen Einbildungskraft als einzig haltbare Position übrig bleibt. Daher läßt sich von „unserm Gedanken" der Einbildungskraft rechtmäßigerweise behaupten, daß ihm „etwas in unserm Geiste ursprünglich, unabhängig von unsrer Reflexion vorhandnes" (GA I, 2, 363; SW I, 220) entspricht.305 Als ursprünglich und damit im Rahmen der „Grundlage des 305

Vgl. dazu auch die Ausführungen im Grundriß des Eigenthümlichen: GA I, 3, 143, 146 (SÌVI, 331, 334). - Der von Schulze gegen Reinhold erhobene Einwand, man könne daraus, daß Vorstellungen für uns nicht ohne Vorstellungsvermögen denkbar sind, nicht darauf schließen, daß ein solches Vorstellungsvermögen objektiv und d.h. unabhängig von unserem Gedanken davon existiert, trifft Fichte daher insofern nicht, als für ihn die Konzeption eines unabhängig von jeglicher Vorstellung existierenden Gegenstandes in sich grundsätzlich widersprüchlich ist. Den „Zusammenhang unserer Vorstellungen mit Sachen außer denselben" im Sinne Schutzes darlegen zu wollen, ist für Fichte somit ein unsinniges Unterfangen; man muß sich seinen Prinzipien zufolge hingegen darauf beschränken, aus der Notwendigkeit eines bestimmten Gedankens die Notwendigkeit der Annahme eines ihm entsprechenden Gegenstandes zu erschließen. Und genau in dieser Hinsicht ist die Einbildungskraft ein Faktum. Vgl. [Schulze, Gottlob Ernst]: Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten ElementarPhilosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkri-

Das Vermögen der Einbildungskraft

191

theoretischen Wissens" nicht mehr in etwas Höherem zu begründen erweist sich die Einbildungskraft dann aber deswegen, weil sie dasjenige Vermögen darstellt, das deren Grundsatz zuerst widerspruchsfrei denkbar macht und daher der Explikation aller anderen Vermögen des theoretischen Selbst zugrundezulegen ist. Ursprünglichkeit kann der produktiven Anschauung somit keineswegs in uneingeschränkter Weise in bezug auf das Ich und seine Fähigkeiten und Leistungen zugesprochen werden, sondern allein im begrenzten systematischmethodischen Rahmen der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre; denn allein dort ist sie „das für unsre Absicht, d.i. für die theoretische Wissenschaftslehre, hinlänglich wahre" (GA I, 2, 364; SWI, 222). Es sei hinzugefügt, daß der aufgezeigte methodische Ansatz der Deduktion der Einbildungskraft als ursprüngliches Faktum sich mit der Unbewußtheit ihrer Tätigkeit durchaus verträgt. Schon im ersten Paragraphen der Grundlage zeigt sich bei der Aufstellung des absoluten Ich als oberstes Prinzip die Notwendigkeit, über den Bereich der in der gemeinen Erfahrung vorkommenden Tatsachen in Richtung auf die Tathandlung hinauszugehen. Und in gleicher Weise gilt für die schwebende Einbildungskraft, daß sie dem in der philosophischen Reflexion betrachteten Ich schon deswegen nicht bewußt werden kann, weil ihre Aktivität allem Bewußtsein dasselbe bedingend voraus- und zugrundeliegt. In diesem Sinne stellt Fichte bezüglich des Vermögens produktiver Anschauung und mit deutlicher Wendimg gegen Reinholds Theorie vom Satz des Bewußtseins als Ausdruck einer Tatsache fest: „Es erhellet daraus, warum eine Philosophie, die sich begnügt die Thatsachen des Bewußtseyns aufzugreifen, von jener Verrichtung nichts wissen könne". Deswegen komme eine solche Theorie über den Status einer „Popularphilosophie" (GA II, 3, 310) nicht hinaus.306 Wenn die Einbildungskraft in ihrer grundlegenden Funktion aber niemals im natürlichen Bewußtsein gegeben ist, so daß sie auch nicht im Rahmen einer empirischen Psychologie zum Gegenstand werden kann, dann muß man sie in der Wissenschaftslehre als Transzendentalphilosophie methodisch erschließen; deshalb stellt sie ein durch die Spontaneität des Philosophen „künstlich hervorgebrachtes Faktum" (GA I, 2, 363; SW I, 220) dar, insofern dieser über die Bedingungen der Möglichkeit der Vorstellung freiheitlich reflektiert. Auf welche Weise dieses Faktum hingegen für das betrachtete Selbst zum „Datum" (GA I, 2, 364; SW I, 222) wird, d.h. unter welchen Bestimmungen es im Bewußtsein desselben gegeben ist, hat die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins zu zeigen

306

tik. Hrsg. von M.Frank. Hamburg 1996, 76-79. - Ohne nähere Erläuterungen spricht hingegen G.Meckenstock (Beobachtungen zur Methodik in Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre". In: Fichte-Studien 10 (1997), 79) von einer „Korrespondenz zwischen den künstlich erzeugten Bewußtseinsfakten des Philosophen und den ursprünglichen Bewußtseinsfakten" bei Fichte. Zur Bestimmung der Einbildungskraft als Faktum vgl. auch die textnahen Interpretationen von D.Schäfer: Die Rolle der Einbildungskraft in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Köln 1967, 124. Vgl. auch GA I, 2, 363f (SPV1, 220t).

192

Die erste Version der Wissenschaftslehre

und innerhalb der Grundlage speziell: die auf der schwebenden Tätigkeit der Einbildungskraft aufbauende „Deduktion der Vorstellung".307 Somit dürfte deutlich geworden sein, in welcher Weise Fichte die Koordination der Erkenntnisvermögen, wie sie sich in Kants Kritik der reinen Vernunft findet, im Rahmen seiner Konzeption einer „pragmatischen Geschichte des menschlichen Geistes" zugunsten einer genetischen und systematischen Ableitung derselben aufhebt. Dieses Programm wird dann von Schelling und Hegel aufgegriffen und modifiziert. Dabei erweitert Schelling die Geschichte des Selbstbewußtseins im System des transzendentalen

Idealismus

vor allem u m

eine Genieästhetik, nach der das künstlerisch tätige Subjekt in seinem Gegenstand zu einer erfüllten Selbstbeziehung gelangt, indem sich unbewußte und bewußte Tätigkeit in der Produktion des Genies glückhaft vereinigen.308 Mit dem Vorwurf, sie betrachte den Geist wie einen „Sack voll Vermögen"309, wendet sich dann Hegel in seinem Skeptizism «5-Aufsatz gegen die empirische Psychologie. Denn diese beläßt es - wie er in der Phänomenologie von 1807 ergänzt - bei der „Hererzählung dieser Collection"310 von Fähigkeiten, ohne sie in einen geregelten Zusammenhang zu bringen. Eine idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins entwirft er in mehreren systematischen Kontexten, wobei diejenige der Geistesphilosophie Schellings Konzeption insofern am nächsten kommen dürfte, als sie die Entwicklung des realen Geistes betrifft, die Hegel allerdings anders als der frühe Schelling im vollständig erkennbaren Absoluten fundiert. Als Einleitung in die spekulative Logik fungiert hingegen die Phänomenologie von 1807, die die Weisen des Fürwahrhaltens in systematischer Folge darlegt. Diese erweisen sich jedoch insgesamt als solche, die auf einer höheren Stufe zu 307

308

309

310

Als einen grundsätzlichen Mangel der Ansätze zu einer „pragmatischen Geschichte des menschlichen Geistes" innerhalb der Grundlage und des Grundriß muß man wohl deren Uneinheitlichkeit bewerten. Vor allem die „Deduktion der Vorstellung" trifft dabei dieser Vorwurf, weil sie sich weder mit den Ausführungen in den §§6ff der Grundlage noch mit denjenigen im Grundriß verträgt. Dies wird schon allein daran deutlich, daß die letzteren noch vor den in der „Deduktion der Vorstellung" zum Gegenstand gemachten Vermögen jeweils eine Mannigfaltigkeit der Empfindung deduzieren, von welcher in dieser abstrahiert werden soll. Auf der einen Seite läßt sich somit die „Deduktion der Vorstellung" nicht ohne weiteres an die anderen Ansätze anhängen, auf der anderen Seite bleiben diese in sich unvollständig. Den Versuch, die Fragmente in der Grundlage und im Grundriß in einen einheitlichen Zusammenhang zu bringen, unternimmt hingegen F.Duyckaerts: L imagination productrice dans la logique transcendantale de Fichte. In: Revue Philosophique de Louvain 50 (1952), 240ff. Vgl. ebenso N.Hartmann: Die Philosophie des deutschen Idealismus. 2.Aufl. Berlin 1960, 60-63. Vgl. zu diesem Problem auch U.Claesges: Geschichte des Selbstbewußtseins. Der Ursprung des spekulativen Problems in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Den Haag 1974, 1 lOff. Zum Begriff der „Geschichte des Selbstbewußtseyns, die verschiedene Epochen hat", vgl. F.W.J.Schelling: Sämtliche Werke. Bd I, 3. Hrsg. von K.F.A.Schelling. Stuttgart/Augsburg 1858, 398f. G.W.F.Hegel: Gesammelte Werke. Bd 4. Hrsg. von H.Buchner und O.Pöggeler. Hamburg 1968, 237. G.W.F.Hegel: Gesammelte Werke. Bd 9. Hrsg. von W.Bonsiepen und R.Heede. Hamburg 1980, 169.

Das Vermögen der Einbildungskraft

193

überwinden sind, bis das Bewußtsein im absoluten Wissen sich in seinem Gegenstand vollständig erkennt.311 Eine derartige Einleitungsfunktion besitzt auch die Logik der frühen Jenaer Zeit, die von der Metaphysik noch getrennt ist. Sie soll zeigen, wie die endliche Reflexion in der antinomischen Zusammenstellung entgegengesetzter Verstandesbestimmungen insgesamt dem Widerspruch verfallt, so daß sie sich in ihrem Anspruch auf Selbständigkeit aufhebt. Die Darlegung solcher logischen Formen und Kategorien ist dabei zugleich die methodische Entwicklung des endlichen reinen Subjekts in seinen inneren Bestimmungen. Nicht mehr von der vernünftigen Explikation des Absoluten getrennt, sondern selbst Metaphysik ist dann die spekulative Logik Hegels, wie sie vor allem in der Wissenschaft der Logik ausgearbeitet ist. In ihr entfaltet sich das absolute Subjekt aus einfacheren Bestimmungen des Seins und des Wesens zum sich selbst in seinem Gegenstand begreifenden Begriff als absolute Idee. Nach Fichte muß sich jedoch Ein Grundvermögen als Deduktionsbasis aufzeigen lassen, wenn die Einheit der Philosophie gewahrt bleiben soll, wozu die Einheit ihres Prinzips erforderlich ist.312 Fichte identifiziert dasselbe mit der Ichheit, die keine Grundkraft des intelligiblen Subjekts, sondern ein transzendentalphilosophisch erschlossenes und methodisch zu entfaltendes Fundament darstellt. Dieses muß nun neben der spontanen, in sich zurückgehenden Tätigkeit in der Form der „Tendenz zur Reflexion" zugleich den Grund der Rezeptivität des endlichen Geistes enthalten. Nur auf diese Weise kann man außer den spontanen Erkenntnisvermögen des theoretischen Selbst, zu denen neben der Einbildungskraft z.B. auch die bestimmende Vernunft oder die Urteilskraft gehören, auch dessen Sinnlichkeit in einem solchen Prinzip begründen. Dabei behält die Einbildungskraft eine gewisse Mittelstellung zwischen der Sinnlichkeit und dem Verstand bzw. der bestimmenden und fixierenden Vernunft bei, da dieselbe erst aufgrund des Anstoßes und seiner Vergegenwärtigung im Gefühl als unbegrenzbare, ideale Tätigkeit zur Ausübung gelangt, verständiges Begreifen aber aus der Festsetzung des anschauenden Schwebens durch die Vernunft resultiert.313 Auch diese Mittelstellung, die ihr schon von Kant als die Extreme der Sinnlichkeit und des Verstandes verbindendes Vermögen zugeschrieben 311

112

113

Zur Einleitungsfiinktion der idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins in der Phänomenologie von 1807 und zu ihrer Bestimmung als „sich vollbringenden Skeptizismus" vgl. K.Düsing: Hegels „Phänomenologie" und die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins. In: Hegel-Studien 28 (1993), 117ff: zu Schelling vgl. 11 Iff. So bemerkt Fichte schon in den Eignen Meditationen: „Die Frage über die Möglichkeit einer Elementar Philosophie ist keine andere, als die: hängt alles in unserm Geiste an Einer Kette zusammen, oder giebt es mehrere Anfange" (GA II, 3, 48). Das Resultat des Zusammentreffens bzw. des Anstoßes als Voraussetzung des produktiven Anschauens wird schon in der sogenannten Synthesis E im Vorblick auf den praktischen Teil als Gefühl bezeichnet. Auf diese Weise kommt die Mittelstellung der Einbildungskraft zwischen Sinnlichkeit und Verstand vor allem im vierten Paragraphen der Grundlage zum Ausdruck (vgl. GA I, 2, 355; SIVI, 211). Im Grundriß des Eigentümlichen reißt der Zusammenhang der Argumentation hingegen nach der Darlegung von Empfindung und Anschauung ab.

194

Die erste Version der Wissenschaftslehre

wird - sei es, daß sie in ihrer Selbständigkeit ein eigenständiges Produkt, das Schema, hervorbringt, sei es, daß sie als Wirkung des Verstandes auf den inneren Sinn lediglich eine Funktion des ersteren darstellt - ist im Rahmen einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins allerdings genetisch umzudeuten. Die Einbildungskraft ist für Fichte nämlich nicht einfach eine solche Mitte, die zwar heterogene, aber doch gleichberechtigte und gleichursprüngliche Erkenntnisquellen miteinander verknüpft, sondern sie ist als in der Begrenzung des unendlichen Strebens des praktischen Subjekts begründetes, anschauendes Produzieren die Grundlage der genetischen Ableitung des Verstandes. Darüber hinausgehend muß ihr im begrenzten Rahmen des methodisch-systematischen Ansatzes der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre insofern der Status eines zentralen Vermögens des theoretischen Ich zugesprochen werden, als nur sie in Abhebung von den bloßen „Denkmöglichkeiten" der sogenannten Synthesis E den Grundsatz der „Grandlage des theoretischen Wissens" konsistent denkbar macht, so daß sie als ursprüngliches Faktum und als Basis der „Deduktion der Vorstellung" anzusetzen ist.

4 Anstoß und Ding an sich Mit dem Ding an sich ist neben der intellektuellen Anschauung eines der beiden zentralen Themen der Kant-Auseinandersetzung innerhalb der Zweiten Einleitung bezeichnet. In dieser findet sich die einzige zusammenhängende, über einzelne Bemerkungen hinausgehende Diskussion der Kantischen Philosophie beim frühen Fichte. Sie soll daher schon an dieser Stelle in die Untersuchung einbezogen werden, obwohl sie in den Umkreis der Schriften und Vorlesungen zur Wissenschaftslehre nova methodo einzuordnen ist und - wie noch zu zeigen sein wird - von deren von der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre abweichenden Ansatz ausgeht, was auch auf die Behandlung des hier anstehenden Problems entscheidenden Einfluß hat. Es ergab sich aber schon im Verlauf der bisherigen Ausführungen - z.B. anhand des Gegensatzpaares a priori/a posteriori - daß eine Beurteilung der Einschätzung der Kantischen Philosophie seitens Fichte bzw. eine bündige Gegenüberstellung beider Theorien von einer vorangehenden Bedeutungsklärung und -Unterscheidung gemeinsam verwendeter Ausdrücke abhängt, deshalb muß auch hier nach einer möglichen Differenz in der Bedeutung gefragt werden, die Kant und Fichte mit der Bezeichnung „Ding an sich" verbinden. Vor allem ist der jeweilige Sinn des Ansichseins zu bestimmen, d.h. das Ding an sich ist bezüglich seiner jeweiligen Unabhängigkeit zu konkretisieren In welchem Sinn von einem Ding an sich in der Kantischen Kritik der reinen Vernunft die Rede ist, ergibt sich eindeutig schon aus den Ausführungen zur transzendentalen Ästhetik. Demnach resultiert die Unterscheidimg des Dinges

Anstoß und Ding an sich

195

an sich von der Erscheinung aus der Einsicht in die transzendentale Idealität der reinen Anschauungsformen des Raumes und der Zeit. Handelt es sich bei ihnen nämlich lediglich um Bestimmungen der spezifisch menschlichen Sinnlichkeit und können die Gegenstände deswegen nur in Beziehung auf diese in räumlichen und zeitlichen Verhältnissen zueinander stehen, so muß bei der Erwägung ihres Ansichseins von den allein dem Menschen eigenen Formen der Rezeptivität abstrahieñ werden. Einen Gegenstand als Ding an sich zu betrachten, heißt demnach: von seiner für jede menschlich-endliche Erkenntnis notwendigen Beziehung auf die Sinnlichkeit und die ihr eigentümlichen Formen zu abstrahieren. Da die Annahme eines von jeglicher Vorstellungstätigkeit des Subjekts unabhängigen Dinges jedoch unsinnig ist, da es in irgendeiner Form vorgestellt werden muß, soll es Theoriebestandteil sein können, ist das Ding an sich nach Kant als rein gedachter Gegenstand zu bestimmen, weswegen er es mit dem Noumenon identifiziert. Somit beinhaltet die transzendentale Ästhetik „zugleich die Lehre von den Noumenen im negativen Verstände, d.i. von Dingen, die der Verstand sich ohne diese Beziehung auf unsere Anschauungsart, mithin nicht bloß als Erscheinungen, sondern als Dinge an sich selbst denken muß" (KrV B307) 314 Denn die transzendentale Ästhetik als Lehre von den reinen Anschauungsformen des Raumes und der Zeit zeigt zugleich dasjenige auf, von dem zu abstrahieren ist, wenn das Ding an sich gedacht werden soll, woraus aber lediglich das Noumenon im negativen Verstände und somit als bloßer Grenzbegriff entspringt, da der endlichen Vernunft außer der Sinnlichkeit kein Vermögen einer dem Begriff korrespondierenden Anschauung zur Verfügung steht. In der Kantischen Unterscheidung des Dinges an sich von der Erscheinung ist also nicht die Existenz eines vom erkennenden Subjekt vollständig unabhängigen Gegenstandes impliziert. Den Schluß von der Erscheinung als Vorstellung auf ein dieselbe bewirkendes Ding, das in diesem Sinne an sich wäre, lehnt Kant als Beweisgrund zur Widerlegung des Idealismus vielmehr in beiden Auflagen der Kritik der reinen Vernunft als unsicher ab.315 Die Annahme eines rein gedachten Dinges an sich beruht hingegen allein auf subjektiven Gründen, nämlich auf dem Wissen um die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit und um ihre Abstrahierbarkeit, sofern sie nicht „die einzig mögliche Art der Anschauung" (KrV B310) darstellen. Daher handelt es sich nach Kant bei dem Ding an sich und bei den Erscheinungen um „eben dieselben Gegenstände" (ÀrKBXXVI), die nur im Verhältnis auf je verschiedene Vorstellungsvermögen des Subjekts betrachtet werden, in jedem Fall aber auf dasselbe bezogen bleiben. 3 ' 6 3H

315 316

Zur Gleichsetzung des Noumenons mit dem Ding an sich vgl. auch die Formulierungen KrV B310, 312, 315. Vgl. KrV A368, B276f. Vgl. auch KrV BXVIIIf Anm. - Fichtes Einschätzung trifft also zu, wenn er in dem Manuskript Bei Lesung der K. Kr.d.r. Vft. formuliert: „Es bleibt nach der Kantischen Kritik allerdings die

196

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Zur Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich bedarf es somit der Einsicht in die transzendentale Idealität der reinen Anschauungsformen, die wiederum nur im Rahmen einer transzendentalphilosophischen Kritik der Erkenntnisvermögen erworben werden kann, sei es, daß man nach den Bedingungen der Möglichkeit der apodiktischen Gewißheit in der Mathematik, sei es, daß man nach demjenigen fragt, von dem innerhalb der Anschauung nicht abgesehen werden kann. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß der natürlichen Einstellung diese Dichotomie imbekannt bleibt und bleiben muß. Dies stimmt mit der Beobachtung überein, daß das nicht philosophisch reflektierende Bewußtsein seine Gehalte im allgemeinen und vor allem dann, wenn kein Grund zum Zweifel an ihrer Adäquatheit besteht, gerade nicht für bloße Vorstellungen ausgibt, sondern seine Wahrnehmungen geradezu mit den Gegenständen identifiziert. Dabei bleibt die Möglichkeit der Abstraktion von deren Räumlichkeit und Zeitlichkeit außer Betracht, so daß etwa hinsichtlich des äußeren Sinnes der „transzendentale Begriff der Erscheinungen im Räume" als eine „kritische Erinnerung" (KrV B45) zu verstehen ist.317 Die empirische Realität von Raum und Zeit als Korrelat ihrer transzendentalen Idealität ergibt sich also nicht allein aus der Angewiesenheit menschlich-endlichen Erkennens auf die ihm eigentümlichen Anschauungsformen; zudem ist damit die Abhängigkeit der Unterscheidung des Dinges an sich und des uns in der Anschauung Gegebenen von der kritischen Reflexion zum Ausdruck gebracht, so daß sie „gemeiniglich" (KrV B62) gerade nicht geschieht, weswegen nach dem Ding an sich in transzendentalphilosophischer Bedeutung „in der Erfahrung niemals gefragt wird" (KrV B45) und auch gar nicht gefragt werden kann. Diese fundamentalen Bestimmungen müssen nun offenbar allen Aussagen Kants, die vermeintlich von einem vom Subjekt vollständig unabhängigen Gegenstand ausgehen, zugrundegelegt werden. Wenn Kant also davon spricht, daß die Gegenstände die Rezeptivität affizieren, so ist damit nicht die Annahme eines die Vorstellungen des Subjekts in jeder Weise transzendierenden Seienden ausgesprochen, durch dessen „Wirkung [...] auf die Vorstellungsfahigkeit" (KrV B34) Empfindungen hervorgebracht werden. Denn damit würde nicht nur der Widerspruch eines in jeglicher Hinsicht unabhängigen Dinges, das gleichwohl

317

nothwendige Annahme eines Dinges an sich übrig; aber nur subjectiv gültig" (GA II, 2, 327). Nicht richtig ist hingegen sein Zusatz: „also ein Glaube, u. weiter nichts". Denn das Ding an sich kann nach Kant zwar aus Glaubensgründen innerhalb der praktischen Philosophie bestimmt werden; der Ursprung seiner Annahme liegt jedoch in der Erkenntnistheorie. Ähnlich kritisiert schon Schulze die Aufstellung des Reinholdschen Satzes des Bewußtseins als Ausdruck einer allgemeinen Tatsache, da vor allem in der Anschauung, aber auch beim „tiefen Nachdenken über etwas" die Unterscheidung und Beziehung von Vorstellung und Objekt gar nicht stattfinde. Vgl. [Schulze, Gottlob Ernst]: Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik. Hrsg. von M.Frank. Hamburg 1996, bes. 58-61.

Anstoß und Ding an sich

197

eine begründende Funktion innerhalb einer Erkenntnistheorie übernehmen soll, in Kauf genommen, sondern zudem wider alle Restriktionen der Kritik der reinen Vernunft die Möglichkeit eines erkenntnisstiftenden Gebrauchs der Kategorien jenseits des Bereichs der Erscheinungen in Anspruch genommen. Innerhalb des transzendentalphilosophischen Ansatzes Kants läßt sich ein die Rezeptivität des erkennenden Subjekts affizierender Gegenstand allein auf die Weise sinnvoll behaupten, daß er als unabhängige Ursache von deren Modifikationen lediglich gedacht wird, so daß einerseits das Ding an sich auch in diesem Zusammenhang, d.h. insofern es den „Erscheinungen zum Grunde liegen mag" (KrV B66), von der Denktätigkeit des Subjekts abhängig bleibt und andererseits in der Begründung der Transzendentalphilosophie gegen ihre eigenen Ergebnisse nicht verstoßen wird. Denn die Kategorien sind zwar die „einzigen übrigbleibenden Begriffe für Noumena" (KrV B311), weswegen das Ding an sich nur durch die reinen Verstandesbegriffe vorstellbar ist; durch sie wird das Ding an sich aber lediglich gedacht und keineswegs erkannt.318 Für die Konfrontation dieser von Kant innerhalb der Kritik der reinen Vernunft begründeten Bedeutung des Dinges an sich mit der Fichteschen wendet man sich am besten an die Erste Einleitung, in der der Sinn des Dinges an sich aus dem Ursprung seiner Vorstellung verständlich gemacht wird. Fichte geht dabei zunächst von einer Zweigliedrigkeit der Bewußtseinsstruktur aus, der gemäß sie in einer Beziehung des Subjekts auf ein Objekt besteht. Die Erfahrung identifiziert er hingegen mit dem System derjenigen Vorstellungen, die von einem Gefühl der Notwendigkeit begleitet sind. Wenn es nun aber die Aufgabe der Wissenschaftslehre ist, den höchsten Grund dieses Systems aufzustellen, dann muß sie sich nach Fichte notwendigerweise über die Erfahrung erheben, da der Grund immer außerhalb des durch ihn Bestimmten zu suchen ist: „Der Grund fallt, zufolge des bloßen Denkens eines Grundes, außerhalb des Begründeten" (GA I, 4, 187; SWI, 424). Dieses durch das Ziel der Wissenschaftslehre vorgegebene, notwendige Übersteigen der Erfahrung auf ihren Grund hin kann nun aber nach Fichte nur durch Absonderung eines ihrer Glieder seitens des Philosophen erfolgen, wobei ihm grundsätzlich zwei Möglichkeiten offenstehen: Abstrahiert er vom Gegenstand des Bewußtseins und behält er das bloße Ich zurück, so macht er das Ich an sich und unabhängig von seiner Beziehung auf das Objekt zum Erklärungsgrund der Erfahrung, woraus eine idealistische Theorie entspringt; sieht er aber umgekehrt gerade vom Ich ab und behält das von seinen Relationen innerhalb der Erfahrung befreite Ding an sich zurück, so resultiert ein dogmatischer bzw. realistischer Ansatz. Die Relata Ich und Ding werden also dadurch zu Ansichseienden, daß von ihren für die Erfahrung kon118

Die Möglichkeit der Anwendung der Kategorien auf Dinge an sich im Denken derselben erhält vor allem innerhalb der Ethik Kants entscheidende Bedeutung, z.B. wenn Kausalität aus Freiheit zu denken ist, weswegen sie in der Kritik der praktischen Vernunft eigens begründet wird. Vgl. vor allem AA V, 49f, 54ff, 136.

198

Die erste Version der Wissenschafelehre

stitutiven Verhältnissen auf ihr jeweiliges Gegenteil abgesehen wird, so daß die Bewußtseinsbeziehungen allererst in ihnen zu begründen sind. Damit zeigt sich aber der Bedeutungswandel des Ausdrucks „Ding an sich" gegenüber der Kantischen Kritik der reinen Vernunft Dort wird speziell von der Beziehung des Bewußtseinsgegenstandes auf die reinen Anschauungsformen menschlich-endlicher Sinnlichkeit abgesehen; bei Fichte soll das Ding als ein Ansichseiendes hingegen jegliches Verhältnis zu dem Erkenntnissubjekt verlieren. Somit läßt sich das Ding an sich aber auch nicht mehr wie noch bei Kant mit dem Noumenon identifizieren; beide fallen vielmehr auseinander. Während die skizzierte Erklärung der Genesis der Grundvoraussetzung des Dogmatismus jedoch originär von Fichte stammt, nimmt er mit der gegenüber Kant veränderten Bedeutung des Ausdrucks „Ding an sich" den zu seiner Zeit gängig gewordenen philosophischen Sprachgebrauch auf, der sich bei beinahe allen zeitgenössischen Denkern findet, von denen Fichte beeinflußt wurde. So spricht schon Jacobi in der 1787 erschienenen Kant-kritischen Beilage Ueber den transscendentalen Idealismus zu seinem Dialog David Hume über den Glauben ohne weitere Differenzierung von „Gegenständen außer uns als Dingen an sich".319 Und auch wenn er mit Nachdruck die Forderung „objecäv realer Bestimmungen" ausspricht und eine „wahrhaft objective Bedeutung" bzw. einen „wahrhaft objektiven Inhalt und Gebrauch"320 unseres Denkens und Erkennens einklagt, so ist damit immer das von der Vorstellung des Subjekts gänzlich Unabhängige gemeint. Besonders offensichtlich ist diese Verschiebung der Bedeutung des Dinges an sich gegenüber Kant auch bei Reinhold. So steht es etwa nach den Beyträgen von 1790 dem Vorgestellten deswegen unvereinbar gegenüber, weil auf das letztere die ganze Vorstellung in ihrer Vereinigung von Form und Stoff, auf das erstere aber per definitionem allein der bloße Stoff bezogen wird. Da der bloße, von der Form getrennte Stoff aber keinerlei Vorstellung vom Gegenstand vermittelt, ist das Ding an sich prinzipiell unvorstellbar; sein wesentliches Merkmal besteht gerade in der „vom Objekte unterschiedene^] Vorstellung", d.h. darin, daß in ihm „die Vorstellung negativ auf das Ding bezogen" ist.321 319

320

321

F.H.Jacobi: Werke. Bd 2. Hrsg. von F.Roth und F.Köppen. Darmstadt 1968, 304. - Den Einfluß Jacobis bezüglich der gegenüber Kants Philosophie veränderten Bedeutung des Dinges an sich bei Fichte betont auch E.Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsem. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln 1986, 194f. F.H.Jacobi: Werke. Bd 2, 307f. - Freilich hält Jacobi selbst den Idealismus, der das Dasein der Dinge außer uns zumindest bezweifelt, tur „mit der spekulativen Vernunft allein verträglich" (a.a.O. 166); er stellt ihm daher keinen Vernunftschluß, sondern den Glauben an die Existenz der Dinge und deren „wahrhaft wunderbare" (ebd.) Offenbarung entgegen. Nach Fichte irrt sich Jacobi jedoch darin, „daß er dies etwas als geoffenbartes außer aller Beziehung auf uns: Vernunft sezt" (GA IV, 2, 75). K.L.Reinhold: Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Bd 1, Jena 1790, 186. Vgl. ebenso den Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. Prag/Jena 1789 (Nachdruck: Darmstadt 1963), 244-255.

Anstoß und Ding an sich

199

Und daher bleibt auch das Noumenon, das nach Reinhold vermittels einer Vernunfitidee zu denken ist, „als ein Vorgestelltes von dem Dinge an sich wesentlich verschieden".322 Ebenso schiebt Maimón - besonders deutlich in seinem Philosophischen Wörterbuch von 1791 - Kant die Bedeutung des Dinges an sich als „dasjenige ausser unserm Erkenntnißvermögen" unter; da seiner Meinung nach das „Ding an sich in diesem Verstände ein leeres Wort ohne alle Bedeutung ist, indem man nicht nur das Daseyn dieses Dinges nicht beweisen, sondern sich auch von demselben gar keinen Begriff machen kann", unterscheidet er davon seinen eigenen Gebrauch, nach dem „die Erkenntniß der Dinge an sich nichts anders als die vollständige

Erkenntniß der Erscheinungen"

darstellt.323

Wie sehr das Fichtesche Verständnis des Dinges an sich in dem damaligen Sprachgebrauch verwurzelt ist, dokumentiert Schulze dann in seinem Aenesidemus von 1792, indem er ausfuhrt, wenn von Dingen an sich die Rede sei, so verstehe man „allgemein darunter ein Etwas, so außer unsern Vorstellungen realiter da sein soll, so mit unsern Vorstellungen nicht erst entsteht, noch auch mit denselben wieder untergeht, sondern das da sein würde, wenn wir auch ganz und gar nicht da wären" 324 In offensichtlich von Fichtes ersten Veröffentlichungen geprägter Terminologie formuliert dann auch Schelling noch vor der oben herangezogenen Ersten Einleitung in seiner Schrift Vom Ich von 1795 unzweideutig: „Das Ding an sich ist das vor allem Ich gesezte Nicht-Ich", das somit als „unabhängig von allem Ich" zu bestimmen ist.325 322

323

324

323

K.L.Reinhold: Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Bd 1, Jena 1790, 216; vgl. 322ff, 328ff. Vgl. ebenso den Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. Prag/Jena 1789 (Nachdruck: Darmstadt 1963). 432f, 541ff. - Zum Problem des Dinges an sich in der Auseinandersetzung Fichtes mit Reinhold vgl. etwa R.Lauth: Fichtes und Reinholds Verhältnis vom Anfange ihrer Bekanntschaft bis zu Reinholds Beitritt zum Standpunkt der Wissenschaftslehre Anfang ¡797. In: Philosophie aus einem Prinzip. Karl Leonhard Reinhold. Hrsg. von R.Lauth. Bonn 1974, 152ff sowie D.Breazeale: Between Kant and Fichte: Karl Leonhard Reinholds „Elementary Philosophy". In: Review of Metaphysics 35 (1982), 812AF. S.Maimon: Gesammelte Werke. Bd III. Hrsg. von V.Verra. Hildesheim 1970, 185, 201. - Im Versuch einer neuen Logik von 1794 gesteht Maimón allerdings in deutlicher Aufnahme Kants zu, man könne sich das ,ßing an sich, außer dem Erkenntnißvermögen auf eine unbestimmte Art denken", jedoch „keineswegs dasselbe bestimmen" (Gesammelte Werke. Bd V. Hrsg. von V.Verra. Hildesheim 1970, 184f; vgl. auch 176f). Nicht immer ganz eindeutig sind auch die Aussagen in dem Versuch über die Transscendentalphilosophie von 1790; vgl. bes. Gesammelte Werke. Bd II. Hrsg. von V.Verra. Hildesheim 1965, bes. 161ff, 204ff, 340ff, 399, 415. [Schulze. Gottlob Ernst): Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik. Hrsg. von M.Frank. Hamburg 1996, 205. - Dementsprechend bestimmt Fichte in der Aenesidemus-Rezension mehrmals das Ding an sich ausdrücklich als etwas, das unabhängig von jeglicher Vorstellung bzw. jeglichem Vorstellungsvermögen existieren soll. Vgl. GA I, 2, 48, 50, 55, 57, 61 (SW1, 10, 11, 14, 17, 19) sowie in den Entwürfen GA II, 2 , 3 0 7 , 3 1 0 . F.W.J.Schelling: Historisch-kritische Ausgabe. Reihe I. Bd 2. Hrsg. von H.Buchner und J.Jantzen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, 96f. - In der Folge erwägt Schelling dann ebenso die Möglichkeit, das „dem Ich ursprünglich und schlechthin entgegengesezte Nicht-Ich Ding an

200

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Das Problem des derartig bestimmten Dinges an sich wird nun innerhalb der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre in zwei unterschiedlichen Argumentationszusammenhängen behandelt. Zunächst ist es Thema derjenigen Teile des Abschnittes E des vierten Paragraphen, die sich auf die Wirksamkeit als eine Art der Wechselbestimmung beziehen, wobei Fichte in der Folge - damit eine umfassende Schlußsynthesis formuliert werden kann - die Problematik des auf den Anstoß reduzierten Dinges an sich allerdings auch in die Argumentationen zur Substantialität integriert, und zwar am deutlichsten in der Form des zunächst als vom Zusammenfassen der Einbildungskraft unabhängig zu denkenden „Zusammentreffens" (GA I, 2, 352; SWI, 207). Einer endgültigen Lösung kann man die Frage nach einem vom Ich vollständig unabhängig sein sollenden Ding an sich nach Fichte allerdings erst in der praktischen Wissenschaftslehre zuführen, da - wie sich zeigen wird - seine Unabhängigkeit speziell als eine solche vom praktischen Streben zu qualifizieren ist. Ihren Anfang findet die Behandlung des Problemkreises um das Ding an sich in der Grundlage also in der sognannten Synthesis E, und zwar anläßlich der Frage, woraus das Leiden des seinem Wesen nach als unendliche Tätigkeit charakterisierten Ich zu erklären ist. Demnach muß man für das die Vorstellung bedingende Leiden einen ,Jieal-Grund' (GA I, 2, 309; SW I, 154) angeben, wenn es nicht nur als quantitative Einschränkung der absoluten Realität des Ich, sondern als derselben qualitativ entgegengesetzt betrachtet wird. Diesen Realgrund bestimmt Fichte nun auf folgende Weise als die von der Materie des Wechsels der Wirksamkeit unabhängige Tätigkeit: Da das Leiden des Ich nicht aus ihm selbst in seinem unendlichen, in sich zurückgehenden Handeln abgeleitet werden kann, ist eine Tätigkeit des Nicht-Ich als Ursache desselben anzunehmen. Diese soll aber derart vom Wechsel der Wirksamkeit unabhängig sein, daß sie nicht aufgrund der Unaufhebbarkeit der absoluten Totalität der Realität in ihrer quantitativen Bestimmtheit aus dem Leiden des Ich erschlossen wird, was nach Fichte der Aufzeigung des Idealgrundes gleichkäme, sondern diesem Leiden als Ursache gerade vorausgeht; es handelt sich um eine solche „unabhängige Thätigkeit des Nicht-Ich, durch welche erst dasjenige Glied, von welchem der Wechsel ausging, ein Leiden im Ich, möglich gemacht wurde" (GA I, 2, 323; SW I, 171). Unabhängigkeit vom Wechsel bedeutet also in diesem speziellen Fall: Unabhängigkeit der ursächlichen Tätigkeit des Nicht-Ich von ihrem Erkenntnisgrund, dem im Ich gesetzten Leiden, und somit von allem Vorstellen des Subjekts überhaupt, womit deutlich der oben anhand der Ersten Einleitung und der Äußerungen diverser Denker zwischen Kant und Fichte nachgewiesene Sinn der Rede vom Ding an sich getroffen ist.326 In der Folge vollzieht Fichte

326

sich" (a.a.O. 114) zu nennen, das dann allerdings als bloße Negation ohne alle Realität verstanden werden müsse. Schon bei der Einfuhrung dieser unabhängigen Tätigkeit des Nicht-Ich bemerkt Fichte allerdings, daß es bei ihrer vollkommenen Unabhängigkeit nicht bleiben könne. Vielmehr sei zu be-

Anstoß und Ding an sich

201

dann auch explizit diese Identifikation der von der Materie des Wechsels der Wirksamkeit unabhängigen Tätigkeit mit dem Ding an sich.327 Ein derartiges „unabhängig vom Ich in sich selbst Realität habendes NichtIch", das einen „Eindruk auf das Ich" (GA I, 2, 334; SW I, 185) ausübt, macht nun der dogmatische bzw. qualitative Realismus zum Prinzip der Vorstellung. Im Verlauf der sogenannten Synthesis E entwickelt Fichte jedoch weitere einseitige Positionen und unter ihnen andere idealtypische realistische Ansätze. Ihnen ist gemeinsam, daß sie in der Begründung der Vorstellung alle von der spontanen Tätigkeit der Intelligenz absehen; sie reduzieren aber zugleich stufenweise den jeweiligen realistischen Theoriegehalt. So geht der quantitative Realismus nicht mehr von einem unabhängig vom Ich existierenden und auf dasselbe einwirkenden Ding an sich aus, sondern lediglich von einer im passiven Subjekt vorfindlichen Bestimmung, von einer bloßen Affektion. Und schließlich ergibt sich noch „ein weit abstrakterer Realismus" (GA I, 2, 355; SW I, 210), welcher annimmt, daß „ein bloßer ohne alles Zuthun des setzenden Ich vorhandner Anstoß dem Ich die Aufgabe gebe, sich zu begrenzen" (GA I, 2, 356; SW I, 212). Alle diese Realismen, die ein Bestimmendes, eine Bestimmung oder eine bloße Aufgabe zur Bestimmung zum Prinzip erheben, haben nun nach Fichte einerseits den gleichen Mangel, daß sie von der Tätigkeit des Subjekts abstrahieren, weswegen sie den Übergang von einem bloß Vorhandenen zu einem durch und für das Ich Gesetzten nicht plausibel machen können; andererseits liegt ihnen insgesamt die obgleich einseitig ausgeführte Einsicht zugrunde, daß die Vorstellung niemals aus dem absoluten Subjekt allein ableitbar ist, insofern in ihm als ursprünglich unendliche, in sich zurückgehende Tätigkeit keinerlei Grund ausgemacht werden kann, warum es sich selbst als ein endliches setzen soll. In Übereinstimmung damit zeigte sich schon oben bei der Untersuchung der Einbildungskraft, daß sie zwar den produktiven Grund alles im Bewußtsein Vorhandenen darstellt, aber dennoch als Bedingung der Möglichkeit ihres schaffenden Bildens der aus dem Ich nicht erklärbaren, im Gefühl sich offenbarenden Begrenzung bedarf. Daraus ergibt sich folgende Situation: Gemäß Fichtes Formulierung im Versuch einer neuen Darstellung ist das Ding an sich „eine bloße Erdichtung" (GA I, 4, 190; SW I, 428) oder noch schärfer: „ein rein unvernünftiger Begriff' und somit „die völligste Verdrehung der Vernunft" (GA I, 4, 225; SW I, 472), insofern es im Bewußtsein nicht nachweisbar ist und auch gar nicht nachweisbar sein kann, weil es ansonsten sein Ansichsein gerade

327

achten, daß sie allein angenommen werde, „um ein im Ich geseztes Leiden zu begründen; ihr Umfang erstrekt sich demnach auch nicht weiter, als der Umfang des leztern sich erstrekt" (GA I, 2, 311 ; SW I, 157). Es darf somit der Charakter der Argumentation als „Schluß auf einen RealGrund im Nicht-Ich" (GA I, 2, 309; SW 1, 154) nicht übersehen werden, wobei von der Bestimmung des Leidens des Ich als qualitativ ausgegangen wird. Diese Tätigkeit des Ich im Obertragen von Realität auf das Nicht-Ich wird dann bei der Aufstellung der von der Form des Wechsels unabhängigen Tätigkeit eigens thematisiert; vgl. GA I, 2, 315f(SfKI, 162f). Vgl. vor allem GA I, 2, 311, 324, 327 (SWI, 157, 172, 177).

202

Die erste Version der Wissenschaftslehre

verlöre; ebensowenig vermag man aber die Vorstellung einseitig idealistisch zu begründen. Deshalb ist die Frage aufzuwerfen, in welchem Sinne realistische Momente in einen kritischen Idealismus aufgenommen werden können, ohne sich des Widersinns eines Dinges an sich auszusetzen, das gleichwohl Theoriebestandteil sein soll.328 Dieses Problem löst Fichte im fünften Paragraphen der Grundlage, und zwar so, daß er die Widersprüchlichkeit des Anstoßes nicht auflöst, sondern im Gegenteil affirmativ umdeutet. So ergibt sich der „Zirkel" (GA I, 2, 412; SW I, 281) in der Erklärung der Endlichkeit des wirklichen Daseins des Ich und damit die Erkenntnis des Anstoßes als „etwas widersprechendes" (GA I, 2, 414; SW I, 283) letztlich aus einer Analyse dessen, was es heißt, etwas als gänzlich unabhängig vom Ich vorauszusetzen. Auf der einen Seite ist die Wissenschaftslehre nämlich insofern als realistisch zu kennzeichnen, als sie die Begrenzung des Ich durch einen aus dem absoluten Subjekt unableitbaren Anstoß erklären muß. Andererseits ist zugleich darauf zu reflektieren, daß mit der Annahme dieses vom Ich vollständig Unabhängigen nichts anderes als die einzige Erklärungsweise angegeben wird, die innerhalb der Wissenschaftslehre und damit seitens des philosophierenden endlichen Selbst möglich ist. Aus dieser Perspektive löst sich das Ding an sich in einen von den Denkgesetzen der endlichen Vernunft abhängigen und damit eben nicht ansichseienden Erklärungsgrund auf. Doch auch das philosophierende Ich, gemäß dessen Denkgesetzen geschlossen wird und auf das das Ding an sich damit bezogen bleibt, bedarf als Bedingung seiner Endlichkeit erneut der Annahme eines unabhängig von ihm existierenden Widerstandes, wodurch sich die Argumentation nach Fichte ins Unendliche wiederholt. Diese unendliche Iteration ist offenbar mit dem „Zirkel" gemeint; zu einem Widerspruch wird sie hingegen, wenn man beide Aspekte zusammennimmt und den Anstoß zugleich als abhängig und unabhängig betrachtet. Vollständig unabhängig von der setzenden Tätigkeit könnte er nach Fichte nämlich nur dann sein, wenn er ausschließlich dem praktischen Streben entgegengesetzt würde; doch läßt sich diese Prämisse schon allein deswegen nicht aufrecht erhalten, weil man ihn auch dann zumindest als widerständig fühlt, was seiner Aufnahme in die ideale Tätigkeit des theoretischen Selbst gleichkommt. Als entgegengesetzter ist er also zugleich auf das theoretische Ich bezogen, dem man allein die Fähigkeit eines solchen Setzens zuzusprechen hat.

128

Vgl. auch GA I, 2, 57 (SW I, 17): Das Ding an sich ist „eine Grille, ein Traum, ein NichtGedanke". - Den Zusammenhang der Frage nach dem Ding an sich mit dem Problem des „deterministischen Dogmatismus" unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der produktiven Einbildungskraft betont E.Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln 1986, 191ff. Die verschiedenen von Fichte erwogenen idealistischen und realistischen Systemtypen interpretiert ausfuhrlich I.Schüßler: Die Auseinandersetzung von Idealismus und Realismus in Fichtes Wissenschaftslehre. Frankfiirt a.M. 1972, 11-85.

Anstoß und Ding an sich

203

Somit ergibt sich, daß auch auf dieser im Rahmen der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre tiefsten Begründungsebene der Endlichkeit des wirklich daseienden Ich die einseitig realistische Annahme eines von jeglicher idealen Tätigkeit des Subjekts Unabhängigen seitens Fichte als unsinnig apostrophiert wird. Demi einerseits kann sich der endliche Geist zwar von der Voraussetzung einer unabhängigen, entgegengesetzten Kraft nicht wirklich lösen, wenn er vom Wesen des Ich als unendliches Sich-Setzen ausgeht, aus dem nach Fichte Begrenztheit schlicht nicht deduzierbar ist; andererseits bindet die Reflexion, daß es sich dabei immer nur um eine Setzung eines etwas als unabhängig handeln kann, das an sich sein sollende Ding an die Tätigkeit des Ich und seine Denkgesetze zurück. Daraus zieht Fichte die Konsequenz, daß diese grundlegende und notwendige, aber gleichwohl in der Einheit der aufgezeigten Aspekte in sich widersprüchliche Idee eines abgesondert vom Selbst Bestehenden nur durch die „schaffende Einbildungskraft" aufgefaßt werden kann, die den Widerspruch und das vermittels desselben Vorgestellte festzuhalten vermag, da sie in der Lage ist, „zwischen den beiden entgegengesetzten Bestimmungen mitten inné" (GA I, 2, 414f; SWI, 284) zu schweben.329 329

Vgl. zu diesen Argumentationen des fünften Paragraphen der Grundlage auch die ausfuhrlichen Darlegungen von W.Janke: Fichte. Sein und Reflexion - Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, 18 Iff. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, daß J.Ebbinghaus (Fichtes ursprüngliche Philosophie. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Vorträge und Reden. Darmstadt 1968, 212ff) sowohl die Theorie Kants als auch diejenige der Grundlage verfehlt, wenn er bezüglich Kant den Grund fur die Erscheinungen ohne Differenzierung in das Ding an sich verlegt, in der Philosophie Fichtes hingegen die grundsätzliche Ablehnung eines solchen entdeckt. Im Kontrast dazu findet B.Noll (Kants und Fichtes Frage nach dem Ding. Frankfurt a.M. 1936, 129, 133f) in Fichtes Konzeption des Anstoßes den Gedanken des Dinges an sich von den Kantischen Widersprüchen befreit, soweit dies im Rahmen neuzeitlichen Denkens möglich sei. Einen „Realismus, der Fichtes idealistischen Absichten direkt zuwider läuft", glaubt J.Brachtendorf (Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812. Paderborn/München/Wien/Zürich 1995, 170f) in der Theorie des Anstoßes zu erblicken, da dieser zwar vom philosophierenden Ich gesetzt werde, alle Theorie aber den Anspruch erhebe, daß „sich das in ihr Gedachte auch unabhängig davon, daß und wann es gedacht wird, wirklich so verhalte, wie die Theorie sagt". Gerade dieser Anspruch, dessen Einlösung etwa Schulze in seinem Aenesidemus fordert, kann jedoch der Fichteschen Konzeption gemäß nicht zurecht erhoben werden; er ist vielmehr konsequenterweise ebenso in eine Setzung aufzulösen. Vgl. bes. GA I, 3, 356f (SPV III, 25f). - Nach P.-P.Druet (L"'Anstoss" fichtéen: essai d elucidation d'une métaphore. In: Revue Philosophique de Louvain 70 (1972), 385ff) läßt sich der Sinn des Ausdrucks „Anstoß" dadurch klären, daß man seinen Ursprung im physikalischen Problem des Stoßes aufzeigt, zugleich aber die Bedeutungsveränderung berücksichtigt, die sich in der Hinzufügung des Präfixes ankündigt, wobei er „Anstoß" schließlich mit „impulsion originaire" (391) übersetzt. Die Bildhaftigkeit in der Rede vom „Anstoß" betont auch A.K.Soller (Fichtes Lehre vom Anstoß, Nicht-Ich und Ding an sich in der „ Grundlage der gesamten Wissenschaflslehre ". Eine kritische Erörterung. In: Fichte-Studien 10 (1997), 177f, 188f), wobei er u.a. kritisiert, daß der Sinn der Natur nicht allein als Hemmung bestimmt werden dürfe, indem Nahrung und Genuß zugleich ihren Status als „wesentliche Ergänzung" offenbarten. Die Zirkelhaftigkeit des Anstoßes versucht H.Eidam (Fichtes Anstoß. Anmerkungen zu einem Begriff der „Wissenschaftslehre" von 1794. In: Fichte-Studien 10 (1997), 195ft) in zahlreichen paradoxen Formulierungen zum Ausdruck zu bringen.

204

Die erste Version der Wissenschaftslehre

Neben dieser Darstellung der Widersprüchlichkeit des Anstoßes innerhalb der „Grundlage der Wissenschaft des Praktischen" findet sich aber noch eine weitere Begründung derselben, die von einer bestimmten subjektivitätstheoretischen Voraussetzung ausgeht, nämlich von der vollständigen Durchsichtigkeit des Ich fur sich selbst, wie sie von Fichte bereits im ersten Paragraphen der Grundlage gefordert wird. Demnach ist das Ich „dasjenige, als was es sich sezt; und es sezt sich als dasjenige, was es ist" (GA I, 2, 260; SWI, 98). Das Subjekt bezieht sich auf sein eigenes Sein - sei es bewußt, sei es unbewußt - also immer in seiner Gesamtheit; insofern das Sich-Setzen als seine wesentliche Bestimmung anzusehen ist, kann es sich in keinem Zustand aktiver oder passiver Art befinden, ohne zu diesem Zustand zugleich in einem bestimmten Verhältnis zu stehen. Aus dieser Untrennbarkeit von Sich-Setzen und Sein folgt aber ebenso: „sich nicht setzen und nicht sein ist für das Ich abermals Eins" (GA I, 2, 326; SW

I, 176). Das Subjekt kann somit in seiner Tätigkeit nicht beschränkt werden, ohne sich zugleich auf diese Begrenztheit zu beziehen. Setzt das Ich aber sich selbst in seiner Negation, so ist es genötigt, die in ihm aufgehobene Realität auf das Nicht-Ich zu übertragen, so daß dasselbe als Realgrand der Einschränkung des Ich zugleich den von diesem erschlossenen Idealgrund darstellt, dessen Abhängigkeit von den Denkgesetzen des endlichen Geistes nicht übersehen werden darf. Umgekehrt kann das ansonsten unendliche Ich sich aber auch nicht als beschränkt setzen, wenn nicht eine ihm entgegengesetzte Kraft angenommen wird, die Tätigkeit in ihm aufhebt. Und deswegen gilt nach Fichte: Jdeal- und Real-Grund sind im Begriffe der Wirksamkeit (mithin überall, denn nur im Be-

griffe der Wirksamkeit kommt ein Real-Grund vor) Eins und eben dasselbe" (GA I, 2, 326; SW I, 175); denn wenn eins der bezogenen Relata das Ich selbst ist, dann ist „das im Verhältniß gesezte, und das setzende Ein, und eben dasselbe" (GA I, 2, 336; SW I, 188).330 Diese Argumentationen, die die Wissenschaftslehre als „Real-Idealismus" oder „Ideal-Realismus" (GA I, 2, 412; SW I, 281) bzw. als kritischen Idealismus im Fichteschen Sinne kennzeichnen, bewegen sich nun offenbar auf eben der transzendentalphilosophischen Ebene, auf der auch von Kant die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich getroffen wird. So wie es nach Kant der Einsicht in den Charakter der transzendentalen Idealität von Raum und Zeit bedarf, um von den reinen Anschauungsformen, die lediglich der menschlichen Sinnlichkeit anhängen, abstrahieren zu können, woraus die Entgegensetzung der Erscheinung gegen das rein gedachte Ding an sich als Noumenon erwächst, so muß nach Fichte allererst die Frage nach der Endlichkeit des seinem eigenen Wesen nach unendlichen Ich aufgeworfen werden, um zu der Erkenntnis der zirkelhaften bzw. in sich widersprüchlichen Struktur des Anstoßes zu 330

Zur Identifikation von Ideal- und Realgrund vgl. auch GA I, 2, 331, 342, 412 (SW I, 181, 195, 280) sowie GA I, 3, 153 (SW I, 342).

Anstoß und Ding an sich

205

gelangen. Allerdings sind zumindest zwei grundsätzliche Unterschiede zwischen den Positionen Kants und Fichtes festzuhalten: Zum einen gehen beide wie schon gezeigt - von unterschiedlichen Bedeutungen des Ansichseins aus. Denn der Ausdruck „Ding an sich" meint bei Kant lediglich einen von den spezifischen menschlichen Anschauungsformen unabhängigen Gegenstand, so daß er durch den von der Sinnlichkeit unabhängigen Verstand zwar nicht erkannt, aber dennoch vollständig widerspruchsfrei gedacht werden kann.331 Der Zirkel in der Konzeption des Anstoßes, wie er in der Grundlage formuliert wird, ergibt sich hingegen gerade aus der Analyse der notwendigen Annahme eines von jeglicher Vorstellungstätigkeit des Subjekts unabhängigen Nicht-Ich. Daher kann Fichte Noumenon und Ding an sich nicht mehr wie Kant miteinander identifizieren, sondern er unterscheidet sie als zwei gleichermaßen notwendige, aber einander widersprechende Aspekte, insofern aus der Reflexion auf die Abhängigkeit des Dinges an sich von den Denkgesetzen des endlichen Geistes die Bestimmung seiner als ein „notwendiges Noumen" (GA I, 2, 412; SW I, 281) erwächst. Zum anderen stehen die bisher betrachteten Überlegungen zum Ding an sich bei Kant und Fichte in verschiedenen systematischen Kontexten. Bei der transzendentalen Ästhetik Kants handelt es sich um zunächst rein erkenntnistheoretische Argumentationen bezüglich der epistemologischen Bedeutung von Raum und Zeit, die sich allerdings im weiteren Verlauf schon der Kritik der reinen Vernunft als von entscheidenden Konsequenzen für die praktische Philosophie erweisen. In der Grundlage steht hingegen die begründungstheoretische Fragestellung nach der Endlichkeit des Ich und damit nach seinem wirklichen Dasein im Gegensatz zum absoluten Sein im Vordergrund, die schon innerhalb der sogenannten Synthesis E, also in der theoretischen Wissenschaftslehre aufgeworfen wird, ihre endgültige Klärung aber deswegen erst in der „Grundlage der Wissenschaft des Praktischen" erfährt, da sich der Anstoß dort als das dem Streben des Ich Widerständige und somit als das von seiner praktischen Tätigkeit Unabhängige erweist. Das Verhältnis zwischen Kant und Fichte erhält jedoch dadurch zusätzliche Komplexität, daß dieser noch auf einer zweiten Ebene ein Ding an sich einfuhrt. Während nämlich sowohl die Kantische Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich als auch die Einsicht in den Zirkel innerhalb der Konzeption des vollständig unabhängig sein sollenden Anstoßes ausschließlich dem Transzendentalphilosophen vorbehalten bleiben, spricht Fichte im Rahmen der „Deduktion der Vorstellung" in einem Zusatz zur zweiten, verbesserten Auflage von 1802 von der „natürliche[n] Unterscheidung zwischen der Vorstellung, und dem 331

Es gilt also gerade nicht, was Schelling in seiner Schrift Vom Ich behauptet: „Denn die Idee von Ding an sich muß nach den Kantischen Deductionen selbst eine widersprechende Idee seyn. Denn Ding an sich heißt nichts mehr und nichts weniger, als ein Ding, das kein Ding ist" (F.W.J.Schelling: Historisch-kritische Ausgabe. Reihe I. Bd 2. Hrsg. von H.Buchner und J.Jantzen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, 138).

206

Die erste Version der Wissenschaftslehre

in ihr vorgestellten Dinge", welches letztere er als „das Ding an und für sich, als Noumen" (GA I, 2, 376; SW I, 236) bezeichnet. Die Dichotomie von Erscheinung bzw. Vorstellung und Ding an sich ist somit nach Fichte dem vom Transzendentalphilosophen betrachteten, sich in alltäglicher Einstellung vollziehenden Bewußtsein nicht fremd; sie ist vielmehr als „natürlich" im Rahmen einer „pragmatischen Geschichte des menschlichen Geistes" abzuleiten, nämlich aus dem Postulat der Bestimmung des Angeschauten durch ein „nicht-angeschautes, das aber doch ein Nicht-Ich ist" (GA I, 2, 376; SW I, 236). Ebenso zeigt sich im Grundriß des Eigenthümlichen bei der Ableitung der Substantialität als ein der Mannigfaltigkeit des Nicht-Ich internes Verhältnis für das betrachtete Subjekt die Notwendigkeit, zwischen der zufälligen Eigenschaft und ihrem notwendigen Substrat, zwischen der Substanz und dem Akzidens zu differenzieren, wobei Fichte auch hier das im Gegenstand als notwendig Gesetzte als „Ding an sich" (GA I, 3, 192; SW I, 389) bezeichnet. Da nun gemäß den Äußerungen in den Eignen Meditationen die Substanz „bloß gedacht (GA Π, 3, 119) wird, ergibt sich auch hier die Identifikation von Ding an sich und Noumenon.332 Entsprechend dieser Gleichsetzung formuliert Fichte hinsichtlich des in natürlicher Einstellung gesetzten und erst hier von der Vorstellung unterschiedenen Dinges an sich auch nicht denjenigen Zirkel, der sich bezüglich des Anstoßes auf der Ebene transzendentalphilosophischer Begründung als unumgänglich erwies. Dem alltäglichen Bewußtsein scheinen die verschiedenen Aspekte des als unabhängig vermeinten Gegenstandes und seine damit verbundene innere Widersprüchlichkeit daher unbekannt zu bleiben, so daß er im Rahmen realistischer Theorieansätze eigens zum vermeintlich konsistenten Prinzip erhoben werden kann. Fichte nimmt nun zu Kants Konzeption des Dinges an sich und zu deren Verhältnis zu seiner eigenen Theorie des Anstoßes schon in der Grundlage explizit Stellung. Die Frage nach der Rolle, die dem Ding an sich innerhalb einer philosophischen Theorie zugesprochen werden muß, ist aber entscheidend für ihre grundsätzliche Zuordnung zu einem der von Fichte namhaft gemachten idealtypischen philosophischen Systeme und somit für ihre fundamentale Beurteilung. Der kritische Ideaüsmus erhält dabei dadurch eine herausragende Position, daß er keinen der beiden einander widersprechenden Aspekte des Anstoßes vernachlässigt; vielmehr verdient er sich insofern die Bezeichnung als „kriti-

332

Daß die Substanz als das im Gegenstand Dauernde nicht wahrgenommen werden kann, begründet Fichte in seinem Aufsatz Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache von 1795 dadurch, daß für jede äußere Vorstellung ein „Afficirtwerden" bzw. ein „Eindruck auf unser Gefühl" notwendig ist. Bedarf es zur äußeren Wahrnehmung somit einer Veränderung im vorstellenden Subjekt, „so ist klar, daß jeder Gegenstand, dessen wir uns bewußt werden sollen, sich uns durch und in einer Veränderung ankündigen müsse". Die nicht wahrnehmbare Substanz kann als ein „dauerndes Substrat" daher „nur ein Product der Einbildungskraft" (GA I, 3, l l l f ; SW VIII, 320) sein.

Anstoß und Ding an sich

207

scher quantitativer Idealism" (GA I, 2, 336; SW I, 187)333, als er beiden Hinsichten in ihren jeweiligen Grenzen Gültigkeit zuspricht. Fichtes Meinung nach ist es jedoch Kant, der ihn bisher „am konsequentesten, und vollständigsten aufgestellt hat" (GA I, 2, 311; SW I, 156). Die zudem vorgenommene Gleichsetzung der theoretischen Philosophie Kants mit dem quantitativen Realismus zeigt aber zugleich, daß zumindest in den expliziten Ausführungen der Kritik der reinen Vernunft, also ihrem Buchstaben nach der kritische Idealismus gemäß der Grundlage nicht zureichend dargestellt wird. Daß sich diese beiden Einschätzungen der Kantischen Philosophie tatsächlich aus der Unterscheidung des in ihr explizit Ausgeführten von dem ihr nur implizit Zugrundeliegenden ergeben, zeigt sich unter Berücksichtigung der näheren Kennzeichnung des quantitativen Realismus und weiterer, in der Grundlage selbst gemachter Bemerkungen zu den Erfordernissen einer angemessenen Kant-Rezeption. Anders als der qualitative bzw. dogmatische Realismus nimmt der quantitative nämlich keine Einwirkung eines Dinges an sich auf das vorstellende Subjekt an, sondern lediglich „das reale Vorhandenseyn einer Einschränkung des Ich, ohne alles eigne Zuthun des Ich selbst'' (GA I, 2, 334; SW I, 185). Das einwirkende Ding wird hingegen nach dem Satz des Grundes diesem Ansatz gemäß nur erschlossen, insofern entsprechend den Denkgesetzen des endlichen Geistes keine Bestimmung ohne Bestimmendes möglich ist. Nicht umsonst fügt Fichte nun der Identifikation der Philosophie Kants mit dieser Form des Realismus eine Anmerkung hinzu, in der er ausfuhrt, daß Kant in seinen veröffentlichten Schriften nicht alles gesagt habe, was er wußte, und daß daher der eigentliche Geist dieser Theorie und die ihr unausgesprochen zugrundeliegenden Prinzipien über ihren Buchstaben hinausgehend von dem Rezipienten eigens zu erschließen seien. Dabei behauptet Fichte schon im ersten Paragraphen, Kant habe „in seiner Deduktion der Kategorien" auf das unbedingte Sich-Setzen des absoluten Ich „gedeutet" (GA I, 2, 262; SW I, 99); zudem findet sich eine weitere Anmerkung, die das Erfassen des Geistes der Kantischen Philosophie davon abhängig erklärt, daß man sich der Bedeutung des Ich innerhalb derselben bewußt wird. 334 Da aber das einwirkende Ding entsprechend dem quantitativen Realismus sowieso schon ein bloß Erschlossenes ist, ergibt sich aus der zusätzlichen Annahme des niemals bloß passiven, sondern seinem Wesen nach tätigen Ich, daß für dasselbe gar nichts ausschließlich gegeben sein kann, daß vielmehr die vermeintlich lediglich leidend hingenommene Bestimmung immer schon eine gesetzte und in die ideale, vorstellende Tätigkeit der Intelligenz aufgenommene darstellt. So mag es zwar mit dem Buchstaben Kants, mit der „Stuffe der Reflexion, auf welche er sich gestellt hatte" (GA I, 2, 335; SW I, 186), vereinbar sein, ihn dem quantitativen Realismus zuzuordnen, etwa

" 3 Vgl. auch GA I, 2, 339 (SW I, 190). ,34 Vgl. GA I, 2, 326 Anm. (SWl, 175Anm.); ebenso GA I, 2, 414 (SWI, 283f).

208

Die erste Version der Wissenschaftslehre

dann, wenn er von einer bloß gegebenen Mannigfaltigkeit spricht; die Reflexion auf die unausgesprochenen Prinzipien läßt nach Fichte hingegen genau denjenigen kritischen Idealismus erkennen, den auch die Wissenschaftslehre aufstellt. In der Fichteschen Einordnung der Kantischen Philosophie spiegelt sich also einerseits die seiner Meinung nach unzureichende Ausführung des transzendentalen Idealismus innerhalb ihrer Veröffentlichungen wieder, andererseits die Identifikation des eigenen Ansatzes mit dem wohlverstandenen Kantischen.335 Und allein auf diese Weise läßt sich auch verstehen, inwiefern der quantitative Realismus „kein andrer ist, als der oben unter dem Namen des kritischen aufgestellte Idealismus" (GA I, 2 335; SW I, 186), denn die Eigenart des letzteren besteht gerade darin, nichts als einfach gegeben anzunehmen, sondern die Tätigkeit des Ich immer schon in die Untersuchung einzubeziehen.336 Den ausdrücklichen Beweis, daß die Wissenschaftslehre „mit der Kantischen Lehre vollkommen übereinstimme, und keine andere sey, als die wohlverstandene Kantische" (GA I, 4, 221; SW I, 469)337, versucht Fichte dann im sechsten Abschnitt der Zweiten Einleitung zu erbringen, wobei er allerdings von dem gegenüber der Grundlage modifizierten Ansatz der Wissenschaftslehre nova methodo ausgeht. Von entscheidender Bedeutung die Frage nach der Notwendigkeit der Annahme eines Dinges an sich betreffend ist dabei die Eliminierung des unendlichen Subjekts als Prinzip, das durch ein seinem Wesen nach endliches Ich ersetzt wird: „So gewiß ich mich setze, setze ich mich als ein Beschränktes" (GA I, 4, 242; SW I, 489).338 Nach Fichte läßt es sich diesem neuen Ansatz gemäß also sehr wohl aus dem Wesen des Ich erweisen, daß es ein endliches sein muß; was hingegen nicht deduziert werden kann, ist die besondere Bestimmtheit dieser Beschränkung, die sich in ihrer Zufälligkeit allein im Gefühl offenbart. Mit dem Gefühl ist nach Fichte somit die Grenze philosophischer Ableitung gegeben; seine Bestimmtheit stellt ein „unmittelbares Factum des Bewusstseyns" (GA I, 4, 243; SW I, 491) dar.339 Wird aber auf diese Weise ein 333

336

337 338 339

Vgl. auch GA I, 4, 191f Anm. (SW I, 430 Anm.): Kant ist trotz seines idealistischen Ansatzes „geduldet worden, weil es möglich war, ihn zum Dogmatiker zu machen". - Solche grundlegenden Tendenzen der Kant-Auseinandersetzung Fichtes thematisiert M.Zahn: Fichtes Kant-Bild. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Hammacher und AMues. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, 479505. Vgl. zu dem „oben" aufgestellten kritischen Idealismus GA I, 2, 309ff, 326ff (SW I, 154ff, 175S). Vgl. auch GA I, 4, 184 (SW I, 420) sowie Κ 7. Vgl. dazu die Untersuchungen in Kapitel 1 des zweiten Teils. Vgl. auch Κ 68f (GA IV, 2, 63f): „Diese Mannigfaltigkeit der Gefühle ist nicht zu DEDUCIREN oder aus einem höheren abzuleiten". Deswegen ist das Gefühl „factisch das erste ursprüngliche". - Diese Ausführungen übersieht offenbar R.Brandt (Fichtes I.Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797). In: Kant-Studien 69 (1978), 82f), der vor allem in der Wissenschaftslehre nova methodo einen solchen „monistischen Ansatz" erblickt, gemäß dem die Wissenschaftslehre „zu allen materialen Erkenntnissen" führt. Der Philosoph werde dadurch zum „Schöpfer des Universums". Und auch H.Radermacher (Fichtes Begriff des Absoluten. Frankfurt a.M. 1970, 18-20, 38) sieht

Anstoß und Ding an sich

209

ursprünglich endliches Ich angesetzt, so bedarf es keines Erklärungsgrundes der Begrenzung seiner ansonsten unendlichen Tätigkeit mehr, so daß auch der Anstoß nebst seinen einander widersprechenden Aspekten entfällt. Das Ding an sich als Anstoß findet im Rahmen transzendentaler Begründung keinen Platz mehr. 340 Demgegenüber bleibt für das betrachtete Selbst die Annahme eines unabhängigen Gegenstandes ein notwendiges Ingrediens seiner Erfahrung, da es sich seine eigene Begrenztheit „nach dem Satze des RealGrundes" (GA I, 4, 243; SWI, 491) durch dessen Einwirkung erklärt, dabei aber aufgrund der Notwendigkeit dieses Gedankens der Abhängigkeit des vermeintlichen Dinges an sich von ihm selbst nicht inne wird; beurteilt es sich hingegen als in der Anschauung frei handelnd, dann setzt es den noematischen Gehalt solcher Tätigkeit als bloße Vorstellung dem eigentlichen Ding entgegen.341 Während sich in der Grundlage und im Grundriß also zwei Bedeutungen des Dinges an sich unterscheiden lassen, nämlich eine auf der Ebene transzendentaler Begründung der Endlichkeit des Ich und eine als notwendige Annahme des in einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins betrachteten Subjekts, wobei lediglich im ersten Fall die innere Widersprüchlichkeit des Gedankens von etwas als unabhängig explizit gemacht wird, bleibt in der Wissenschaftslehre nova methodo nur das unabhängig von der Vorstellung existieren sollende Ding an sich als unumgängliche Voraussetzung des thematisierten Selbstbewußtseins. Dahingegen umgeht Fichte den in sich widersprüchlichen Anstoß und setzt beim unmittelbaren Gegenwärtigen der bestimmten Beschränkung im Gefühl ein. Mit der Eliminierung der Unendlichkeit des Ich als Prinzip der Philosophie und des widersprüchlichen Anstoßes ist die Wissenschaftslehre nun per se näher an die Konzeption der Kritik der reinen Vernunft herangerückt. Daher läßt sich auch der von Fichte angestrebte Nachweis ihrer Übereinstimmung mit dem Kantischen Ansatz bezüglich des Dinges an sich leichter erbringen, wobei aller-

140

341

eine solche Produktion des Seins des Gegenstandes vor allem in der Zweiten Einleitung ausgedrückt, wobei er die in der natürlichen Einstellung vermeinte Unabhängigkeit desselben auf dieser Basis fiir unerklärbar hält. Die Bedingtheit der Weltbildung durch die ursprüngliche Begrenztheit des Ich betont demgegenüber schon W. Weischedel: Der frühe Fichte. Autbruch der Freiheit zur Gemeinschaft. 2. Aull. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973, 881Γ. Vgl. dazu etwa GA IV, 2, 68: ..Statt der Ausdrücke: ANSTOSS - RICHTUNG - haben wir GEBUNDENHEIT der IDEALEN U. REALEN Thätigkeit." Ebenso belegt in der Krause-Nachschrift: Κ Ti. Die Verschiedenheit des Ausdrucks bemerkt auch A.K.Soller (Fichtes Lehre vom Anstoß, Nicht-Ich und Ding an sich in der „ Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre ". Eine kritische Erörterung. In: Fichte-Studien 10 (1997), 179), jedoch ohne a u f die veränderte zugrundeliegende Konzeption einzugehen. - Auf diesen modifizierten Ansatz scheinen ebenso die Veränderungen in der zweiten Auflage der Schrift Ober den Begriff der Wissenschaftslehre von 1798 zurückzuführen zu sein. Auch dort ersetzt Fichte die mannigfaltigen „Eindrücke vom Nicht-Ich" durch die „allmähliche Entwicklung unsrer ursprünglichen Begrenztheit" (GA I, 2, 130). Vgl. ebenso die in der zweiten Auflage gestrichene Anmerkung zur Vorrede, gemäß der die ,JDinge an sich gefühlt werden" (GA I, 2, 109; SWI, 29) sowie GA I, 2, 135. Vgl. dazu die Ausführungen des §9 der Wissenschaftslehre 102ff).

nova methodo:

GA IV, 2, 92ff (K

210

Die erste Version der Wissenschaftslehre

dings grundsätzliche Differenzen bestehen bleiben. So ist zunächst auffallend, daß Fichte in seinen ausführlichen Darlegungen auf die Wurzel der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich bei Kant, also auf die Einsicht in die transzendentale Idealität von Raum und Zeit als Formen der spezifisch menschlichen Sinnlichkeit gar nicht eingeht. 342 Es hatte sich gezeigt, daß sich schon innerhalb der Grundlage die Frage nach dem Ding an sich für ihn vor allem in begründungstheoretischer Hinsicht stellt, insofern der dortigen Konzeption gemäß der Ursprung der Vorstellung und damit die Endlichkeit der objektiven Tätigkeit des theoretischen Selbst zu erklären sind; dementsprechend erfolgt auch die Zuordnung Kants zum quantitativen Realismus bzw. kritischen Idealismus als zwei idealtypischen Begründungstheorien. Und auch in der Zweiten Einleitung geht Fichte sogleich von dem Problem aus, ob ein auf das Ich kausal einwirkendes Ding an sich, das aufgrund seiner Affektion des Subjekts in demselben Vorstellungen hervorbringt, eine sinnvolle Annahme darstellt und ob sie als die Grundlage des Kantischen Systems auszumachen ist. Damit trifft Fichte aber eigentlich nur eine untergeordnete Fragestellung der Kantischen Theorie vom Ding an sich; denn wenn das Ding an sich aus der Abstraktion von den Formen der Sinnlichkeit als ein rein Gedachtes, als Noumenon entspringt, ein solches Noumenon aber ein bloßer Grenzbegriff bleiben muß, insofern ihm keine korrespondierende Anschauung untergelegt werden kann, dann taugt es nach der Kantischen Erkenntnisrestriktion auch nicht zur Erweiterung der Erkenntnis, so daß es als die Sinnlichkeit des Ich affizierend höchstens zu denken ist. Der Ursprung des Begriffs des Dinges an sich hegt also bei Kant gerade nicht in solchen Überlegungen zur Ursache-Wirkung-Relation zwischen Gegenstand und Vorstellung. Zwar wird in beiden Versionen der Widerlegung des Idealismus der Schluß von der Vorstellung als Wirkung auf ein selbständig existierendes Ding als Ursache erwogen; er wird jedoch jeweils als unzuverlässig abgelehnt. So setzen Formulierungen, nach denen ein Gegenstand das Ich 342

Diesen Gedankengang reproduziert er allerdings ziemlich exakt in der Aenestdemus-Rezension-, er bestreitet dort jedoch, daß es sich dabei um die originäre Kantische Argumentation handelt. Seine Voraussetzung bestehe nämlich in der Annahme, daß Raum und Zeit spezifisch menschliche Anschauungsformen darstellen, was durch ihre Ableitung aus einem obersten Grundsatz widerlegbar sei. Daraus läßt sich schließen, daß sich für Fichte der Rekurs auf die ursprünglich erkenntnistheoretischen Überlegungen Kants schon allein deshalb verbietet, weil er ihm ein wenngleich nicht veröffentlichtes - System unterstellt, daß Raum und Zeit als Bedingungen der endlichen Vernunft überhaupt demonstriert. In der Aenesidemus-'Rezension zieht Fichte daraus die Konsequenz, daß die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich bei Kant „gewiß nur vorläufig, und für ihren Mann gelten sollte" (GA I, 2, 61; SWl, 19). Vgl. auch in den Entwürfen GA II, 2, 310. - Wie wichtig für Fichte die Kantische Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich ursprünglich gewesen sein muß, ergibt sich hingegen daraus, daß sie das Kantische Mittel zur Demonstration der Vereinbarkeit von Freiheit und lückenloser Naturkausalität darstellt. Gerade die durch die Schriften Kants bewirkte Überzeugung von der menschlichen Freiheit war es aber, die Fichte für diese Philosophie zunächst einnahm, wie vor allem die Briefe vom August/September 1790 an Weißhuhn, vom 05.09.1790 an Marie Johanne Rahn und vom November 1790 an Achelis zeigen. Vgl. GA III, 1, 167, 171, 193, Nr. 63, 64, 70a.

Anstoß und Ding an sich

211

affiziert bzw. das Ding an sich den Erscheinungen zugrundeliegt, die Genesis der Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich aus den erkenntnistheoretischen Überlegungen vor allem der „transzendentalen Ästhetik" schon voraus.343 Fichte geht in seiner Kant-Auslegung hingegen genau von solchen Überlegungen aus, nach denen die Anwendbarkeit der Kategorien sich gemäß der Kritik der reinen Vernunft nur auf die Erscheinungen und somit nur auf die Vorstellungen in uns erstreckt. Deshalb könnten in der Kantischen Philosophie die reinen Verstandesbegriffe und genauer: die Kategorie der Kausalität auch nicht dazu taugen, über die Erscheinungen hinaus auf ihren an sich existierenden Grund zu schließen. Das Ding an sich ergebe sich vielmehr allein als ein „Noumen", als „etwas, das von uns nach nachzuweisenden und von Kant nachgewiesenen Gesetzen des Denkens, zu der Erscheinung nur hinzu gedacht wird, und nach diesen Gesetzen hinzu gedacht werden muß" (GA I, 4, 236; SW I, 482). Fichte kommt also über einen von Kant verschiedenen Weg zu der Kants Theorie allerdings treffenden Gleichsetzung von Ding an sich und rein gedachtem Noumenon. Indem der Ursprung des Gedankens des Dinges an sich aber auf diese Weise verändert wird, verschiebt sich zugleich sein Geltungsbereich. Insofern er nach Fichte auf einem notwendigen Schluß von der im Gefühl sich offenbarenden Beschränkung auf ein Beschränkendes beruht, hat er seinen Grund in den Denkgesetzen des innerhalb der Transzendentalphilosophie betrachteten Ich und ist insofern eine notwendige Vorstellung für dasselbe: „Das vom transscendentalen Gesichtspunkte aus beobachtete empirische Ich aber erklärt sich sein Gefühl allerdings; nach dem Gesetze: kein Begränztes ohne Begränzendes". Die Vorstellung eines unabhängig vom erkennenden Subjekt bestehenden Dinges resultiert somit für dasselbe aus dem „Erklären seines eigenen Zustandes"344 Und Fichte setzt hinzu: „Hier liegt der Kantische empirische Realismus, welcher aber ein transzendentaler Idealismus ist" (GA I, 4, 243; SW I, 490). Die empirische Realität bestünde demnach in der Notwendigkeit, mit der auf eine Ursache der bestimmten Beschränkung geschlossen wird, die transzen-

343

344

Auch in dem Manuskript Bei Lesung der K. Kr.d.r. Vft. zeigt sich - allerdings auf andere Weise eine Mißachtung der Kantischen Begründung des Dinges an sich. Der Gedankengang in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, auf den Fichte sich bezieht, formuliert nichts anderes als die Restriktion endlicher Erkenntnis auf Erscheinungen, so daß für das innerhalb der praktischen Philosophie zu bestimmende Unbedingte, das die Vernunft im Bereich der Dinge an sich fordert, Platz geschaffen werde (vgl. KrV Β XlXf). Fichte interpretiert hingegen so, als ginge die Annahme eines Dinges an sich aus jener Forderung der Vernunft selbst hervor (vgl. GA II, 2, 327). Gegen die zahlreichen, diese Interpretation untermauernden Ausführungen (vgl. bes. GA I, 4, 210Anm., 236Anm., 251, 266; SWI, 455Anm., 482f Anm., 498, 516) steht die isolierte und vor allem dem sechsten Abschnitt der Zweiten Einleitung entgegengesetzte Behauptung: „Von einem Dinge an sich weiß das gemeine Bewusstseyn nichts" (GA I, 4, 265; SWI, 514).

212

Die erste Version der Wissenschaftslehre

dentale Idealität hingegen in der transzendentalphilosophischen Erkenntnis, die auf diesen Schluß als einen solchen reflektiert.345 Im Gegensatz dazu hatte sich gezeigt, daß die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich gemäß der Kantischen Vernunftkritik allein dem Philosophen vorbehalten bleibt, indem sie die Einsicht in die transzendentale Idealität des Raumes und der Zeit voraussetzt; sie findet also auf dem „Gesichtspunkte des Lebens" (GA I, 4, 236Anm.; SW I, 482Anm.) gerade nicht statt. Damit erhalten aber auch weder die reinen Anschauungsformen noch die in ihnen vorgestellten Gegenstände empirische Realität aufgrund eines vom betrachteten Ich nach notwendigen Denkgesetzen zu vollziehenden Schlusses. Die empirische Realität von Raum und Zeit ergibt sich vielmehr aus ihrer Unumgänglichkeit bezüglich aller von uns vermittels der Sinnlichkeit vorstellbaren Gegenstände, so daß sie vom Ich gar nicht sinnvoll bezweifelt werden kann. Und vor allem in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft betont Kant die Unmittelbarkeit, mit der wir von der Wirklichkeit der äußeren Gegenstände im Raum zurecht überzeugt sind. Zur Widerlegung des empirischen Idealismus - so lautet das Hauptargument - reiche es zu, „daß äußere Wahrnehmung eine Wirklichkeit im Räume unmittelbar beweise" (KrV A376Í). Und auch in der der zweiten Auflage zugefügten „Widerlegung des Idealismus", in der von der Notwendigkeit eines Beharrlichen für die Bestimmung meines eigenen Daseins in der Zeit auf die Realität der Außenwelt geschlossen wird, spricht Kant von einem „unmittelbaren Bewußtsein des Daseins anderer Dinge außer mir" (KrV B276). Empirische Realität gründet sich somit nicht auf einen notwendigen Schluß von dem dem Ich in der Wahrnehmung Gegebenen auf einen ursächlichen Gegenstand, sondern wird und zwar zurecht - wie Kant in der transzendentalen Ästhetik und in den verschiedenen Versionen der Widerlegung des Idealismus zu zeigen versucht - der Erscheinung sowohl ihrer anschaulichen Form als auch ihrem auf Empfindung beruhenden Inhalt nach unmittelbar zugesprochen. Daher entfällt für das betrachtete Ich die Unterscheidung zwischen Erscheinung bzw. Vorstellung und Ding, wie sie vor allem von Reinhold als universales Faktum des Bewußtseins behauptet wird. 345

Der Mangel der Unterscheidung dieser beiden Ebenen hat nach Fichte Jacobi daran gehindert, „den so richtig gefassten transscendentalen Idealismus" (GA I, 4, 236Anm.; SIVI, 483Anm.) anzunehmen. Dabei habe er schon in der Beilage Ueber den transscendentalen Idealismus unwiderlegbar gezeigt, daß „Kant von einem vom Ich verschiedenen Etwas nichts wisse" (GA I, 4, 235; SIVl, 481). Die Kantische Philosophie ist gegen Jacobi daher höchstens insofern zu verteidigen, als gezeigt werden muß, daß sie in der von Jacobi selbst dargestellten Weise in sich vollständig ist und keineswegs einer Ergänzung durch eine kausale Einwirkung seitens eines Dinges an sich bedarf, wenn etwa der Begriff der Sinnlichkeit verständlich sein soll. Davon, daß eine derartige Einwirkung integraler Bestandteil der Kantischen Theorie ist, geht hingegen weder Jacobi noch Fichte aus, auch wenn mißverständliche Aussagen Kants diese Deutung durchaus zulassen (vgl. etwa KrV B23 5 oder A358). Vgl. anders W.Metz: Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, bes. 267ff, 274f.

Anstoß und Ding an sich

213

Fichte fuhrt die Frage nach dem Ding an sich in der Zweiten Einleitung somit unter dem gleichen Aspekt der Begründimg der Vorstellung ein. Er spricht ihm dort im Gegensatz zur Grundlage jedoch jede Begründungsfunktion innerhalb der Transzendentalphilosophie ab, da es auch in der minimalen Form des Anstoßes nicht mehr als Grund der Beschränkung des Ich benötigt wird. Damit reduziert sich die Bedeutung des Dinges an sich auf eine notwendige Setzung seitens des betrachteten Ich, welche Position Fichte - wie sich gezeigt hat nur zum Teil zurecht - mit der Kantischen identifiziert. Dabei polemisiert er paradoxerweise gegen diejenige Interpretation der Kritik der reinen Vernunft, die sich zumindest grundsätzlich mit seiner eigenen Konzeption der Grundlage deckt. Die Einsicht, daß das Ding an sich als ein bloßer Gedanke aus der Empfindung lediglich erschlossen ist, verbietet es nach Fichte nämlich, es wiederum als Grund der Empfindung anzugeben: „Ihr Ding an sich, das ein bloßer Gedanke ist, soll auf das Ich einwirkend Daraus entstehe eine „abentheuerliche Zusammensetzung des gröbsten Dogmatismus [...] und des entschiedensten Idealismus" (GA I, 4, 237; SWI, 483).346 Nun hatte Fichte die Annahme eines auf das Ich ohne alles Zutun desselben einwirkenden Dinges an sich zwar auch in der Grundlage als dogmatischen bzw. qualitativen Realismus abgelehnt. In der reduzierten Form des Anstoßes wurde hingegen zur Erklärung der Begrenztheit „endlicher Naturen" eine „unabhängig von denselben vorhandne, ihnen völlig entgegensezte Kraft" (GA I, 2, 411; SW I, 280) vorausgesetzt, was allerdings mit ihrer Abhängigkeit von den Denkgesetzen des endlichen Geistes zu verbinden war. Beide Aspekte wurden in ihrer in sich widersprüchlichen und daher nur durch die Einbildungskraft vorstellbaren Vereinigung zum konstitutiven Prinzip eines kritischen Idealismus als Real-Idealismus bzw. Ideal-Realismus erhoben, der sich gerade durch die Identifikation von Ideal- und Realgrund auszeichnen sollte. Daher ist die grundsätzliche Ablehnung derjenigen Kant-Ausleger, die „einem bloßen Gedanken das ausschließende Prädicat der Realität, das der Wirksamkeit, beimessen" (GA I, 4, 237; SW I, 483), zwar insofern berechtigt, als der Kantische Ansatz damit tatsächlich nicht getroffen wird. Zugleich polemisiert Fichte aber gegen eine philosophische Vermengung von Dogmatismus bzw. Realismus und Idealismus, die im Kern seine eigene Konzeption des kritischen Idealismus in der Grundlage trifft, auf die er in der Wissenschafslehre nova methodo jedoch zugunsten eines ursprünglich endlichen Ich verzichtet.

146

Aus diesem Gmnd läßt sich der bloße Gedanke des betrachteten Ich, von einem unabhängigen Ding affiziert zu werden, nicht als „self-affection" beschreiben, wie es C.M.Jalloh (Fichte's Kant-Interpretation and the Doctrine of Science. Washington 1988, 27f) macht, der das Ergebnis solcher SelbstalYektion zudem als Cieliihl identifiziert.

II.Teil: Selbstbewußtsein und Einbildungskraft in der nova methodo

Wissenschaftslehre

1 Die endliche Vernunft als Prinzip Fichte entwickelt im Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre und den korrespondierenden Vorlesungen eine Konzeption des Ich als Prinzip der Philosophie, die von derjenigen der Grundlage in entscheidenden inhaltlichen und methodischen Bestimmungen abweicht. Damit sollen die Übereinstimmungen beider Theorien oder nach dem Fichteschen Verständnis: beider Darstellungen einer und derselben Theorie natürlich keineswegs geleugnet werden; so wird etwa weiterhin das Sich-Setzen als grundlegendes Charakteristikum des Ich angegeben. Denn so wie die Grundlage als oberste Gewißheit formuliert: „Das Ich sezt ursprünglich schlechthin sein eignes Seyn" (GA I, 2, 261; SW I, 298), gilt auch noch für die Wissenschaftslehre nova methodo: „Das Ich ist das sich selbst Setzende und nichts weiter: das sich selbst Setzende ist das Ich, und nichts weiter" (GA I, 4, 272; SW I, 523). Dennoch sollen in der Folge im wesentlichen die Unterschiede ins Auge gefaßt werden, um dadurch zwei grundlegende Möglichkeiten der Ansetzung eines reinen Ich als Prinzip sichtbar zu machen, wie sie sich beim frühen Fichte finden. Die Differenzen betreffen dabei nicht nur die dem ersten Paragraphen der Grundlage entsprechenden Ausführungen, sondern als Konsequenz der diesbezüglichen Veränderungen ebenso das Verhältnis von identischem Ich und antithetisch-synthetischer Apperzeption. Daneben bleibt natürlich auch weiterhin die Kantische Theorie des reinen Selbstbewußtseins als eine abweichende, von Fichte vor allem in der Zweiten Einleitung ausdrücklich thematisierte Alternative im Blick.

1.1 Die intellektuelle Anschauung als Postulat Wurden schon im Vorangegangenen etwa die Ansetzung des Ich als Prinzip aber auch die Charakterisierung von dessen ursprünglichem Handeln als SichSetzen als Übereinstimmungen der Wissenschaftslehre nova methodo mit der

216

Die Wissenschaftslehre nova methodo

Grundlage hervorgehoben, so beläßt es Fichte ebenso bei der Formulierung seines Prinzips in einem obersten Grundsatz. Daß es dabei - konsequenter als in der ersten veröffentlichen Konzeption - bei lediglich einem Grundsatz bleibt, stellt im wesentlichen eine Folge der Modifikationen in der Bestimmung des durch diesen Grundsatz aufgestellten reinen Ich dar und betrifft vor allem das Verhältnis dieses Prinzips zu seiner Tätigkeit des spontanen Verbindens seiner selbst mit dem ihm entgegengesetzten Nicht-Ich. Wenn man von diesem Verhältnis zu den folgenden Theoriebestandteilen jedoch abstrahiert, dann fällt zunächst das geänderte Verfahren zur Gewinnung eines unmittelbar gewissen Ausgangspunkts der gesamten Philosophie auf. Fichte stellt dabei gemäß den Vorlesungsnachschriften die Möglichkeit, mit einem obersten Grundsatz zu beginnen, dem von Beck eingeklagten Verfahren, ein Postulat an den Anfang zu stellen, gegenüber, identifiziert aber beide Vorgehensweisen mit der Begründung, daß sowohl ein Grundsatz als auch ein Postulat innerhalb derjenigen Wissenschaft, welche sie prinzipiieren sollen, nicht weiter bewiesen werden können: „Grundsatz ist jede Erkenntniß, die nicht weiter bewiesen werden soll. Wer also ein Postulat angiebt, giebt auch einen Grundsatz an" (K 27; GA IV, 2, 28).347 Gleichwohl lassen sich Postulat und Grundsatz insofern als separate Methodenelemente voneinander unterscheiden, als es sich bei ersterem um eine Konstruktionsanweisung handelt, deren begriffenes Resultat eine in einem Grundsatz zu formulierende Erkenntnis darstellt. Auf der Grundlage dieser Differenzierung läßt sich nämlich zugleich der Tatsache Rechnung tragen, daß die Grundlage zwar wie die Wissenschaftslehre nova methodo mit einem in jeder Rücksicht unbedingten Grundsatz, aber keineswegs mit einem Postulat beginnt. Den Charakter desselben als Konstruktionsanweisung unterstreicht Fichte, indem er die Parallelität zur Geometrie aufzeigt: „So wie der Unterricht in der Geometrie ausgeht von dem Postulate den Raum zu beschreiben, so muß auch in der Philosophie der Leser oder Zuhörer so etwas tun" (Κ 28). Damit ist zum einen ein wesentlicher Unterschied zum in der Grundlage verfolgten Verfahren des Rückschlusses von der allgemein zugegebenen Gültigkeit des Satzes der Identität auf die ihr zugrundeliegenden, transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit hervorgehoben - wenngleich sich, wie noch zu zeigen sein wird, sowohl in der Zweiten Einleitung als auch im Versuch Argumentationen von durchaus ähnlicher Struktur finden; zum anderen läßt der Vergleich mit der Geometrie vermuten, daß das Prinzip der Transzendentalphilosophie im Konstruktionsverfahren anschaulich werden soll.348 347

148

Hier und im Folgenden soll aus den im wesentlichen inhaltsgleichen, teilweise wörtlich übereinstimmenden Vorlesungsnachschriften, die zur Wissenschaftslehre nova methodo veröffentlicht sind, das jeweils prägnanter erscheinende Zitat wiedergegeben werden. Die Seitenangabe der Parallelstelle findet sich an zweiter Position. Im Philosophischen Journal Veröffentlichtes erhält demgegenüber grundsätzlich den Vorzug. Auch in den Anfang 1794 in Zürich im Hause Lavaler gehaltenen Vorlesungen heißt es in dem-

Die endliche Vernunft als Prinzip

217

Das in der Wissenschaftslehre nova methodo an den Leser ergehende Postulat formuliert Fichte nun folgendermaßen: „Denke dich, construire den Begriff deiner selbst; und bemerke, wie du das machst" (GA I, 4, 213; SWI, 458). Zum Ich als Prinzip gelangt man diesem Verfahren gemäß somit nicht dadurch, daß man es als vom Philosophierenden zu unterscheidenden Gedankeninhalt konzipiert, was die von Fichte vorgenommene Differenzierung zwischen betrachtendem und betrachtetem Ich durchaus zuließe; vielmehr soll sich jeder reflexiv auf sich selbst zurückwenden und das Prinzip in sich selbst finden. Zunächst ist im verständigen Nachvollzug der an den Leser ergehenden Anweisungen ein beliebiges Objekt zu denken und daraufhin der Intentionsstrahl auf einen selbst zurückzubiegen, zu reflektieren. Dieses methodische Verfahren reflexiver Selbstbeobachtung ist jedoch keineswegs unproblematisch. Ist es nämlich von jedem einzelnen, individuellen Philosophierenden aus Freiheit zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort zu vollziehen, so kann der resultierende noematische Gehalt, das jeweilige vergegenwärtigte Selbst kaum diejenigen Eigenschaften aufweisen, die ihm zukommen müßten, um als Prinzip der gesamten Philosophie alle diejenigen Begründungsleistungen zu erbringen, die Fichte ihm aufbürdet. Als prägnantestes Beispiel kann die Gültigkeit logischer Denkgesetze dienen; wenn sie auch weiterhin ein Prinzipiat der Transzendentalphilosophie darstellen soll, darf das alles fundierende Subjekt sicherlich keinerlei individuelle Qualitäten in Raum und Zeit aufweisen. Es kann dann gerade nicht unkritisch von dem ausgegangen werden, „was, wenn ich so denke, unmittelbar in meinem Bewusstseyn vorkommt, und was, wenn du so denkst, unmittelbar in deinem Bewusstseyn vorkommt" (GA I, 4, 273; SW I, 524). Ahnlich formuliert Fichte schon in den Eignen Meditationen ·. „Unmittelbar ist jeder nur seines Ich sicher; denn nur das kann er anschauen" (GA II, 3, 28). In der Zweiten Einleitung wehrt er sich jedoch mit Nachdruck gegen die Behauptung, man werde sich reflexiv allenfalls der jeweils individuell bestimmten Person bewußt;349 der Anspruch, auf diese Weise das reine Ich als Prinzip erfassen zu können, erfordert aber offenbar weitere methodische Schritte zu seiner Rechtfertigung. Ohne daß Fichte die angesprochene Problematik ausdrücklich thematisiert, kann ein Teil der Lösung der genauen Formulierung der Aufforderung an den Philosophierenden entnommen werden. Demnach soll man nicht schlicht sich selbst denken und den resultierenden Vorstellungsinhalt mit allen seinen indivijenigen Kapitel, das die Geometrie mit der Wissenschaftslehre vergleicht, letztere sei aufgrund der intellektuellen Anschauung des Ich „im Besitze reiner Anschauung, so gut wie die Geometrie". Vgl. J.G.Fichte: Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre: Februar 1794. Nachschrift Lavater. Beilage aus Jens Baggesens Nachlaß: Exzerptseite aus der Abschrift von Fichtes Züricher Vorlesungen über Wissenschaftslehre. Hrsg. von E.Fuchs. Neuried 1996, 125. Vgl. bes. GA I, 4, 254ff, 265ff (SW1, 501ff, 515ff).

218

Die Wissenschaftslehre nova methodo

duellen Charakteristika zum Prinzip der Philosophie erheben; vielmehr ist genauer die Art und Weise der Selbstvergegenwärtigung zu beachten und in ihrer Struktur zu bestimmen: „meine Aufgabe an dich, verständiger Leser, ist die: dir eigentlich und innigst bewusst zu werden, wie du verfährst, wenn du denkst: Ich" (GA I, 4, 272; SWI, 522). Natürlich bleibt auch dieses Verfahren des Sichselbst-Denkens als philosophische Leistung räumlich und zeitlich gebunden; doch läßt sich von derartigen Zufälligkeiten absehen und die Aufmerksamkeit allein auf die Gesetzmäßigkeit des Vollzuges konzentrieren. Die sich aufgrund solcher Abstraktion ergebende und dabei zum Inhalt werdende Form faßt Fichte wie bereits erwähnt als Sich-Setzen, womit der Sinn des Ausdrucks „Ich" erschöpfend angegeben sein soll: „Beides sonach, der Begriff eines in sich zurückkehrenden Denkens, und der Begriff des Ich, erschöpfen sich gegenseitig" (GA I, 4, 272; SW I, 523).350 Solche Äquivalenz kann nun sicherlich nicht uneingeschränkt zugegeben werden; vielmehr tritt auch in den verschiedenen Darstellungen der Wissenschaftslehre selbst das Ich mit wesentlich reichhaltigerer Struktur auf, was sich schon allein an den Ausführungen zur Substantialitätskategorie in der Grundlage zeigt. Andererseits ist damit in gewisser Weise jedoch die allgemeinste Bedeutung des Ich angegeben. Denn wie mannigfaltig die Relation und die Relata der Selbstbeziehung in Inhalt und Struktur auch jeweils sein mögen, immer sind Denkendes und Gedachtes, Bewußtseiendes und Bewußtes in der Art miteinander identisch, daß sich das Ich in seinem Gegenstand auf sich bezieht. - Gegenüber dieser Kontinuität des Sich-Setzens als grundlegendes Charakteristikum des Ich scheint der Begriff der Tathandlung im Verhältnis zu den Ausführungen der Grundlage deutlich an Gewicht zu verlieren. In den systematischen Darlegungen des veröffentlichten ersten Kapitels des Versuchs einer neuen Darstellung kommt er gar nicht vor; an den entsprechenden Stellen der Vorlesungsnachschriften wird er mehr zur Berichtigung von entstandenen Mißverständnissen und im Rahmen von Erörterungen, die den Vergleich der beiden Fassungen der Wissenschaftslehre betreffen, verwendet. Dabei gleicht Fichte die Erläuterung des mit dem Begriff der Tathandlung Gemeinten dem methodischen Beginn mit einem Postulat an: „THATHANDLUNG ist nemlich wenn ich mein ICH innerlich handeln lasse u. demselben zusehe" (GA IV, 2, 29; Κ 28).351 Interessant ist aber nicht nur diese Anpassung an die veränderte Methode, sondern auch der Umstand, daß damit eine Definition der Tathandlung gegeben wird, die ohne die Implikationen eines Produktionsmodells oder gar einer causa sui auskommt. 352 350 151 152

Vgl. ebenso GA I, 4, 216 (SW I, 462). Vgl. auch GA IV, 2, 33. Demgegenüber heißt es allerdings in der Zweiten Einleitung in deutlicher Obereinstimmung mit der Formulierung der Grundlage, die Tathandlung bestehe aus ,.reiner Thätigkeit, die kein Object voraussetzt, sondern es selbst hervorbringt, und wo sonach das Handeln unmittelbar zur That wird" (GA I, 4, 221, SW I, 468).

Die endliche Vernunft als Prinzip

219

Mit dem Hinweis auf die exakte Formulierung der Aufforderung an den Philosophierenden ist aber nur ein Teil der Probleme ausgeräumt, die den Übergang vom individuellen zum reinen, prinzipiellen Ich betreffen. Neben der Bestimmung des Gehaltes des Begriffes „Ich" als Sich-Setzen führt Fichte in der Wissenschaftslehre nova methodo nämlich zudem seine Charakterisierung als Subjekt-Objekt-Identität ein. Zwar war diese Bedeutung des reinen Ich der Sache nach schon in der Grundlage gegeben 353 , doch blieb Fichte dort in den Ausführungen des ersten Paragraphen noch eine Antwort auf die Frage schuldig, in welcher Form solche Identität seitens des Philosophen denn bewußt vergegenwärtigt werden kann. Es fand sich lediglich die sehr allgemein gehaltene Andeutung in der Schrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre, nach der man die höchste Vollzugsweise des Philosophen im Gegensatz zu deqenigen des betrachteten Ich als ein Vorstellen bestimmen muß.354 Daraus läßt sich aber bloß die negative Aussage entnehmen, daß die Vorstellungstätigkeit, durch die der Philosoph des Ich als Tathandlung inne wird, keineswegs mit dem Sich-Setzen, dem Gehalt des ersten Grundsatzes zu identifizieren ist. Deswegen wurde oben der Versuch unternommen, die Vollzugsweise des betrachtenden Ich im ersten Paragraphen der Grundlage als Denken einer unendlichen Idee zu rekonstruie355

ren. In der Wissenschaftslehre nova methodo zieht Fichte nun zum ersten Mal nach den knappen Andeutungen der Aenesidemus-Rezension in seinen Veröffentlichungen einen Begriff heran, den er vorher vor allem in Manuskripten und Vorlesungen zur Bezeichnung der Weise der Vergegenwärtigung des Ich in Anschlag bringt: die intellektuelle Anschauimg. 356 Im Rahmen dieser vorherigen Ausführungen fmden sich die prägnantesten Bestimmungen dessen, was mit derselben gemeint ist, in den Eignen Meditationen. Dabei lehnt sich Fichte zu Beginn offenbar eng an Reinholds Beyträge an, in denen dreierlei Arten der Anschauung differenziert werden. Sieht man einmal von den etwas gezwungen wirkenden, schematischen Einteilungsgründen ab, dann handelt es sich zunächst um die äußere, empirische Anschauung, deren Stoff dem Vorstellenden durch Affektion von außen gegeben wird, so daß sie sich auf ein bloßes, vom Subjekt unterschiedenes Objekt bezieht. Dem stehen zwei Formen der inneren Anschau355

Vgl. bes. die 1802 nachträglich hinzugelegte Anmerkung GA I, 2, 261 (SIV 1, 98): „Das alles heißt nun mit andern Worten, mit denen ich es seitdem ausgedrückt habe: Ich ist nothwendig Identität des Subjekts, und Objekts: Subjekt-Objekt: und dies ist es schlechthin, ohne weitere Vermittellung." " " Vgl. GA I, 2, 149 (SWI, 80). 155 Vgl. dazu die obigen Austuhrungen S.54f. 356 Vgl. zur Aenesidemus-Rezension: GA I, 2, 48, 57, 65 (SW I, 10, 16, 22) sowie in den Entwürfen: GA II, 2, 291, 295, 306, 314. Vgl. ebenso die Vorlesungen Ueber den Unterschied des Geistes, u. des Buchstabens in der Philosophie: GA II, 3, 330 sowie J.G.Fichte: Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre: Februar 1794. Nachschrift Lavater. Beilage aus Jens Baggesens Nachlaß: Exzerptseite aus der Abschrift von Fichtes Züricher Vorlesungen über Wissenschaflslehre. Hrsg. von E.Fuchs. Neuried 1996, 125.

220

Die Wissenschaftslehre nova methodo

ung gegenüber, die beide auf einer sich auf die eigene Rezeptivität richtenden, spontanen Selbstaffektion beruhen. Wird nämlich diese Selbstaffektion selbst zum Objekt des inneren Sinnes, so vergegenständlicht man nach Reinhold die bloße Vorstellung. Damit kontrastiert jedoch diejenige innere Anschauung, die nicht sinnlich, sondern intellektuell ist und die zwar in der Selbstaffektion gründet, aber nicht diese selbst, sondern die Formen des Vorstellungsvermögens zugänglich macht. Da das vorstellende Subjekt nach Reinhold als solches nämlich niemals unmittelbar Erkenntnisgegenstand werden kann, muß es zwecks Selbstthematisierung die seinen Vermögen immanenten Bestimmungen sich selbst als Formen der Vorstellung in seiner eigenen Rezeptivität präsentieren. „Intellektuell" ist solche Anschauung dabei deswegen zu nennen, weil sie die in den Vermögen bereitliegenden Formen spontan vorstellbar macht: „Man hat das Wort: Intellektuell, von jeher gebraucht, um das Nichtsinnliche im Vorstellenden zu bezeichnen".357 Aufgrund einer weiteren Dichotomie soll es, was Reinhold nur andeutet, dann zudem zwei Arten der intellektuellen Anschauung geben, eine „rein intellektuelle" bzw. „reinvernünftige" und eine „rein sinnliche'', wobei man in dieser der „Formen der sinnlichen Receptivität", in jener aber der „Form der übersinnlichen Receptivität" inne wird, auf welche letztere bezogen die Formen der Ideen allein Gegenstände einer Erkenntnis a priori werden können.358 Auf diese Konzeption intellektueller Anschauung scheint sich Fichte zu beziehen, wenn er behauptet: „Die Formen des Vorstellungsvermögens [...] werden rein intellektuell angeschaut" (GA II, 3, 24). Dabei integriert er das von Reinhold Übernommene in seine eigene experimentelle Methode, nach der die innere Anschauung auf in geregelter Weise aufgestellte Fragen zu antworten hat. Ohne daß sich Fichte an dieser Stelle über Sinn und Leistung dieser Anschauung genauer erklärt, soll ihre spontane Intellektualität offenbar gewährleisten, daß über den Einzelfall hinausgehende, allgemeingültige Ergebnisse erzielt werden; denn ansonsten gilt: „Beobachten ist empirisch" (GA II, 3, 24). Im weiteren Verlauf der Eignen Meditationen modifiziert Fichte den Begriff der intellektuellen Anschauung dann zur Bezeichnung der leidenslosen Tätigkeit des sich selbst darstellenden Ich, das darin unmittelbar zum reinen, nichtempirischen Bewußtsein seiner selbst gelangen soll: „Das sich selbst darstellende Ich wird intellectuell angeschaut, d.h. das Angeschaute ist zugleich die Anschauung. Es ist kein Leiden da: eine Handlung wird angeschaut, u. diese Handlung ist die Anschauung" (GA II, 3, 144). Die Leidenslosigkeit der intellektuellen Anschauung betont auch noch die Aenesidemus-Rezension, wenn es heißt: „Das absolute Subject, das Ich, wird nicht durch empirische Anschauung gegeben, sondern durch intellectuelle gesetzt" (GA I, 2, 48; SW I, 10).359 Eine 337

358 359

K L.Reinhold: Beylräge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse Jena 1790, 245. A.a.O. 250. Vgl. ebenso a.a.O. 395f, 398ff. Vgl. parallel dazu GA II, 2, 306.

der Philosophen.

Bd 1.

Die endliche Vernunft als Prinzip

221

Unterscheidung zwischen den Vollzugsweisen des betrachtenden und des betrachteten Ich triffi Fichte dabei nicht.360 Im vierten Abschnitt der Zweiten Einleitung unterscheidet Fichte nun hingegen deutlich zwischen dem Selbstverhältnis des Ich als Subjekt-Objekt und dessen Vergegenwärtigung durch den Philosophen. Während es Fichte in der Grundlage hinsichtlich der selbstbezüglichen Tätigkeit des absoluten Subjekts noch bei der vagen Charakterisierung als Sich-Setzen beläßt, wobei sich lediglich aus einer parallelen Briefstelle entnehmen läßt, daß damit eine solche Aktivität gemeint ist, die aller Spezifikation in eine bestimmte Art des Vorstellens bzw. Handelns noch vorausliegt, legt er sich in der Zweiten Einleitung diesbezüglich auf das Anschauen fest. Zu diesem Ergebnis gelangt er durch ein Ausschlußverfahren, dem gemäß das in sich zurückgehende Handeln als unmittelbare Bezugnahme auf sich und somit als begrifflos zu qualifizieren ist, wobei neben Anschauung und Begriff keine weiteren Arten der Selbstvorstellung, wie z.B. das Gefühl in Betracht gezogen werden. Auf dieser Grundlage spricht Fichte dem ursprünglichen Ich dann auch jegliche Form des Bewußtseins ab, wofür er nicht die mangelnde Unterscheidung von Subjekt und Objekt, Bewußtseiendem und Bewußtem, sondern vielmehr das Fehlen jeglichen Begriffs verantwortlich macht. Insofern Denken aber eine notwendige Bedingung des Bewußtseins darstellt, folgt, daß das Ich durch die unmittelbare, differenzlose Anschauung seiner selbst „bloß in die Möglichkeit des SelbstBewusstseyns, und mit ihm alles übrigen Bewusstseyns versetzt" (GA I, 4, 214; SWI, 459) wird. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß mit dieser Bestimmimg der in sich zurückgehenden Tätigkeit noch keineswegs Fichtes Konzeption der intellektuellen Anschauimg getroffen ist.

360

Eine ausführliche Rekonstruktion der Wandlung des Begriffs der intellektuellen Anschauung in den Eignen Meditationen von seiner methodischen Bedeutung in Anlehnung an Reinhold zur Kennzeichnung des unmittelbaren, unreflektierten Selbstverhältnisses des sich selbst darstellenden Ich unternimmt J.Stolzenberg (Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02. Stuttgart 1986, bes. 50ff, 148ff). In der Wissenschaftslehre nova methodo erkennt er dann allerdings keine Bedeutungsverschiebung mehr. Und auch in der Grundlage sei die intellektuelle Anschauung der Sache nach enthalten. Der Ausdruck bleibe allein deswegen unerwähnt, weil er durch Kants Ablehnung problematisch geworden sei (vgl. a.a.O. 164ff, 185t; 207t). Ähnlich macht X.Tilliette (Erste FichteRezeption. Mit besonderer Berücksichtigung der intellektuellen Anschauung. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981, 536f) im wesentlichen äußere Gründe für das Fehlen des Terminus „intellektuelle Anschauung" in der Grundlage verantwortlich. Neben der Scheu, dem Kantischen Buchstaben zu widersprechen, führt er eine noch nicht voll ausgereifte Theorie, das Vermeiden einer festen Terminologie und die Wahl einer streng dialektischen Methode an. Außerdem sei (vgl. Recherches sur l'intuition intellectuelle de Kant à Hegel. Paris 1995, 129f) die intellektuelle Anschauung lediglich ein Mittel, ein Instrument zur Explikation des Ich, aber nicht der eigentliche Gegenstand der Philosophie. Vgl. zu den Eignen Meditationen auch schon W.Kabitz: Studien zur Entwicklungsgeschichte der Fichteschen Wissenschaftslehre aus der Kantischen Philosophie. Berlin 1902. 62f.

222

Die Wissenschaftslehre nova methodo

Diese wird vielmehr - zumindest in diesem vierten Abschnitt - allein dem betrachtenden Ich des Transzendentalphilosophen zugesprochen. Dieser vollzieht aber nicht lediglich das unterschiedslose, in sich zurückgehende Handeln, sondern er schaut sich in dieser Tätigkeit zugleich in einer solchen Weise zu, daß die intellektuelle Anschauung ein höherstufiges Vergegenwärtigen des ursprünglichen und ebenso anschaulichen Sich-Setzens darstellt. Indem die innere Aktuosität sich auf sich selbst richtet, „sieht der Philosoph sich selbst zu, er schaut sein Handeln unmittelbar an, er weiß, was er thut, weil er - es thut" (GA I, 4, 215; SWI, 461). Noch deutlicher kommt diese Schichtung von Selbstverhältnissen in den Vorlesungsnachschriften zum Ausdruck. Auch dort wird nach der Charakterisierung des Prinzips der Philosophie als unmittelbar anschauendes Sich-Setzen die Frage erhoben, auf welche Weise der Philosoph von diesem Subjekt-Objekt weiß. Die mit der Zweiten Einleitung übereinstimmende Antwort lautet: „wir schauen unsere unmittelbare Anschauung selbst wieder unmittelbar an; dieß wäre unmittelbare Anschauung der Anschauung"; und diese höherstufige Selbstvorstellung nennt Fichte „INTELLECTUELLE ANSCHAUUNG" ( £ 3 1 ; GA IV, 2, 31).

Indem der Philosoph im Sich-Setzen sich selbst zusieht, soll ihm nun ein Bewußtsein des Ich als Subjekt-Objekt entstehen, denn nur auf diese Weise kann er es zum systematischen Prinzip erheben. Wenn aber der ursprünglichen, durch den Philosophen vergegenwärtigten Anschauung Bewußtsein aufgrund des Mangels eines das Handeln fassenden Begriffs abgesprochen wird, dann muß der Philosoph das Ich offenbar nicht nur unmittelbar anschauen, sondern zugleich denken, denn ohne Begriff wäre „das Bewusstseyn des Ich unmöglich geblieben [...]; denn der Begriff erst vollendet und umfasst das Bewusstseyn" (GA I, 4, 280; SW I, 533). In diesem Zusammenhang entsteht jedoch die Frage, ob das Begreifen einen immanenten Bestandteil der intellektuellen Anschauung darstellt oder ob es als eigenständige Leistung von außen allererst zu ihr hinzutreten muß. Für die erste Lösung kann dabei die Bestimmung der Anschauung als intellektuell keinerlei Argumente hefern; denn durch dieses Attribut wird ihr im Gegensatz zur sinnlichen Anschauung spontan-selbsttätiger, nicht aber ihr diskursiv-allgemeiner Charakter zum Ausdruck gebracht, der ihrer Unmittelbarkeit direkt widerspräche. Ein weitaus stärkeres Argument für diese Variante stellt hingegen die Tatsache dar, daß Fichte die intellektuelle Anschauung mehrfach eindeutig als Bewußtsein bezeichnet: „Sie ist das unmittelbare Bewusstseyn; daß ich handle, und was ich handle: sie ist das, wodurch ich etwas weiß, weil ich es thue" (GA I, 4, 217; SW I, 463).36' Insofern nach Fichte zu jeglichem Bewußtsein aber unabdingbar ein Begreifen gehört, müßte der intellektuellen Anschauung per se ein Begriff des Ich entspringen; als ihr immanente Leistung müßte die Tätigkeit vom Sein und das in sich zurückgehende Handeln vom Vgl. ebenso GA I, 4, 274ff (SWI, 525fl).

Die endliche Vernunft als Prinzip

223

Handeln überhaupt denkend abgegrenzt werden. Dem widerspricht Fichte jedoch schon wenige Zeilen später. So heißt es mit Bezug auf die beiden Anschauungsarten, die sinnliche und die intellektuelle ausdrücklich: „beide müssen begriffen werden" (GA I, 4, 217; SW I, 463). Im Rahmen dieser Konzeption einer in sich begrifflosen intellektuellen Anschauung läßt sich jedoch kein unterscheidendes Merkmal mehr angeben, aufgrund dessen ihr im Gegensatz zum in ihr vorgestellten, unmittelbar anschaulichen Sich-Setzen Bewußtsein zugesprochen werden sollte, sei dieses Bewußtsein auch unmittelbar. Ein Unterschied zwischen diesen beiden Anschauungen besteht hingegen hinsichtlich ihrer Notwendigkeit bzw. Willkürlichkeit. Die Notwendigkeit des unmittelbaren Sich-Setzens ergibt sich dabei schon allein aus der Tatsache, daß es sich bei ihm um den Ausgangspunkt der gesamten Philosophie und somit um das höchste Prinzip von Erfahrung und Bewußtsein handelt. Denn der in sich zurückgehenden Tätigkeit kommt zwar laut obigen Ausführungen keinerlei Bewußtsein zu, sie ist aber die unnachläßliche Bedingung der Möglichkeit desselben; deshalb muß sie dem System der Handlungsweisen jeglichen vernünftigen Wesens zugrundeliegen, und zwar unabhängig von dessen philosophischem Bekenntnis zum Idealismus oder zum Dogmatismus. Selbst dann, wenn sich der einzelne noch nicht zum deutlichen Bewußtsein der eigenen Selbständigkeit erhoben hat - sei es als freiheitliche Grundlage sittlichen Handelns, sei es als Prinzip idealistischer Theorie - gilt: „die Begriffe, auf welche es in der WissenschaftsLehre ankommt, sind wirklich in allen vernünftigen Wesen wirksam, mit Nothwendigkeit der Vernunft wirksam; denn auf ihre Wirksamkeit gründet sich die Möglichkeit alles Bewusstseyns" (GA I, 4, 258; SW I, 506).362 Anders sieht es demgegenüber mit der bewußten Vergegenwärtigung der Subjekt-Objekt-Identität aus. Ist diese nämlich laut Fichte von dem Gebrauch des Vermögens der Freiheit abhängig, gibt es mit dem Dogmatismus aber ein philosophisches Bekenntnis, das gerade auf dem Mangel dieser Fähigkeit beruht, so bleibt die Kenntnis der Selbständigkeit des Sich-Setzens auf einen bestimmten, durch Charakter und Interesse umschriebenen Personenkreis eingeschränkt: „Alles beruht darauf, daß man seiner Freiheit durch den steten Gebrauch derselben mit klarem Bewusstseyn, sich recht innig bewusst worden, und sie uns über alles theuer geworden sey" (GA I, 4, 259; SW I, 507). Ohne daß Fichte diese Trennung des freiheitlichen Aktes des Philosophen von der in diesem vorgestellten, in sich zurückgehenden Tätigkeit in der Ersten Einleitung in deutlicher Weise vornähme, ist sie auch den dortigen Aussagen zu supponieren. Fichte unterscheidet dort lediglich zwischen der Freiheit, mit der der Begriff des Ich zu denken ist, und der notwendigen Weise, in der dieser Akt vollzogen wird: diese letztere sei „etwas nothwendiges, das aber nur in und bei einer freien J

" Vgl. ebenso GA I, 4, 257 (SIVI, 504f) sowie GA L 4, 214 (SW I, 460): Die Handlung des SichSetzens ist.,ihrer Natur nach objectiv. Ich bin für mich; dies ist Factum".

224

Die Wissenschaftslehre nova methodo

Handlung vorkommt; etwas gefundenes, dessen Finden aber durch Freiheit bedingt ist" (GA I, 4, 204; SW I, 445). Was als notwendig gefunden wird, ist aber offenbar nicht nur das Gesetz, nach dem das Denken des Gedankens „Ich" erfolgt, sondern auch das absolute Sich-Setzen selbst, das somit als unabhängig von der Freiheit des Philosophen und seiner Vorstellungstätigkeit zu beurteilen ist. Wenn dieses Urteil aber in der Weise keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann und will, in der die Freiheit die durch Begriffe nicht andemonstrierbare und durch keine Folge von Schlüssen als notwendig beweisbare Voraussetzung seiner Verifikation darstellt, dann bleibt konsequenterweise nur die langfristige Erziehung als „Wechselwirkung durch Freiheit" (GA I, 4, 261; SW I, 509), um die Überzeugung der Wissenschaftslehre zu verbreiten.363 Für die Theorie des reinen Ich als Prinzip der Philosophie - wie sie vor allem in diesem vierten Abschnitt der Zweiten Einleitung dargelegt wird - bleibt jedoch vor allem festzuhalten, daß die intellektuelle Anschauung, der im Gegensatz zum darin vergegenwärtigten Sich-Setzen Bewußtsein eignet, und damit natürlich auch die Subjekt-Objekt-Identität als Gegenstand derselben auf der Grundlage des Gebrauchs der Freiheit allein dem Philosophen zugänglich sind: „Das Ich ist in dieser Gestalt nur für den Philosophen, und dadurch, daß man es fasst, erhebt man sich zur Philosophie" (GA I, 4, 266; SW I, 515). Zieht man nun darüber hinausgehend in Betracht, daß in dieser intellektuellen Anschauung reine Selbständigkeit als anschauendes In-sich-Zurückgehen, reine Agilität vorgestellt wird, dann folgt: „Bewustsein der Anschauung haben ist philosophisches]. Genie" (K 33).364 Für das gemeine Bewußtsein in seinen alltäglichen Verrichtungen gilt demgegenüber, daß es im Vesenktsein in die vorgestellten Gegenstände seine eigenen Voraussetzungen vergessen kann, nämlich die eigengesetzliche Tätigkeit des Ich und in letzter Instanz: sein in sich zurückgehendes Handeln: „Im Denken des Objects verschwindet man in demselben, man denkt das Object aber nicht daß man selbst das denkende sei" (K 29; GA IV, 2, 29). Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die intellektuelle Anschauimg 363

364

Zum Begriff der „Wechselwirkung durch Freiheit" vgl. die Ausführungen in der Grundlage des Naturrechts und in den Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten: GA I, 3, 3 4 8 (SW III, 40); GA I, 3, 36ff (SW VI, 305ff). - In diesen Zusammenhang gehören die mannigfaltigen Konkretisierungen, die dieses Thema vor allem im fünften Abschnitt der Ersten Einleitung durch phylo- und ontogenetische Überlegungen erfahrt. Ebenso ist es diese mechanisch nicht zu erwirkende Fähigkeit des Gebrauchs der eigenen Freiheit als notwendige Bedingung des Bewußtseins des idealistischen Prinzips, die Fichte zu dem bekannten, an Schellings Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kriticismus anknüpfenden Diktum veranlaßt: „Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist" (GA I, 4, 195; SWI, 434). Vgl. die Parallelstelle in F.W.J.Schelling: Historisch-kritische Ausgabe. Reihe I. Bd 3. Hrsg. von H.Buchner et al. Stuttgart-Bad Cannstatt 1982, 75. Zu Fichte vgl. die Ausführungen von D.Breazeale: How to make an Idealist: Fichte 's „Refutation of Dogmatism " and the starting Point of the „Wissenschaftslehre". In: Philosophical Forum X I X (1987-88), 97-123 sowie von E.Diising: Inter Subjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln 1986, 199fT. Vgl. auch GA I, 4, 260 (SfVl, 508).

Die endliche Vernunft als Prinzip

225

nicht auch dem faktischen Objektbewußtsein als Bedingung seiner Möglichkeit zugrundeliegt. Vielmehr ist sie ebenso wie die Subjekt-Objekt-Identität in dieser Hinsicht nach Fichte notwendig. Nur deshalb kann es sich der fünfte Abschnitt der Zweiten Einleitung zum Ziel setzen, dem Leser zu beweisen, daß „diese intellectuelle Anschauung in jedem Momente seines Bewusstseyns vorkomme" (GA I, 4, 217; SWI, 463). Bezüglich ihrer willkürlichen Ausübung muß daher offenbar noch eine Differenzierung vorgenommen werden. Da die intellektuelle Anschauung in dieser Weise ein Faktum darstellt, kann es offenbar nur ihr bewußter und isolierter Vollzug sein, der vom Gebrauch der Freiheit abhängig ist. Denn sie kommt - wie Fichte ausführt - nicht nur immer in der Verbindung mit einer anschaulichen Objektvorstellung im konkreten Bewußtsein vor; vielmehr wird darin auch ihr eigener Gegenstand versinnlicht. Diesen identifiziert Fichte nämlich gemäß dem dreizehnten Paragraphen der Vorlesungsnachschriften grundlegend mit dem unzeitlichen Sich-Bestimmen qua reines Wollen. Indem dieses im Handeln auf die Welt der Objekte aber auf Widerstände stößt, dehnt es sich in der Zeit aus und wird somit versinnlicht. Der freiheitliche Vollzug des Philosophen bedingt daher allein die isolierte und nicht-sinnliche Vorstellung der reinen Subjekt-Objekt-Identität, welche auf dem postulierten Reflexionsvorgang beruhen soll. Deswegen gilt für die intellektuelle Anschauung des Prinzips der Wissenschafislehre nova methodo: „Auch der Philosoph kann sie nur durch Abstraction und REFLEXION ZU Stande bringen" (K 142; GA IV, 2, 133). Diesen Darlegungen, nach denen die unmittelbare Einheit von Setzendem und Gesetztem in der intellektuellen Anschauung bewußt zu vergegenwärtigen ist, stehen jedoch solche vor allem im System der Sittlichkeit, aber auch in den Vorlesungsnachschriften zur Wissenschaftslehre nova methodo entgegen, nach denen die prinzipielle Subjekt-Objekt-Identität „auf keine Weise zum Bewußtseyn kommen" (GA I, 5, 24; SÍVIV, 5) kann. Da jegliches Bewußtsein die Trennung von Vorstellendem und Vorgestelltem voraussetzt oder genauer: da die Trennung und Beziehung von Vorstellendem und Vorgestelltem und Bewußtsein nach Fichte Wechselbegriffe darstellen, ist das „Eine, welches getrennt wird, das sonach allem Bewußtseyn zum Grunde liegt, [...] absolut = X" (GA I, 5, 24; SW IV, 5).365 Dennoch muß diese Identität in irgendeiner Weise thematisierbar sein, soll sie als Prinzip der Wissenschaftslehre angesetzt werden können; daher ist sie nach Fichte als bloße Idee zu bestimmen, als „Aufgabe eines Denkens" (GA I, 5, 56; SW IV, 42). Damit wird eine Weise der Vergegenwärtigung der unterschiedslosen, in sich zurückgehenden Tätigkeit in Anspruch genommen, die schon oben bei der Erörterung des ersten Paragraphen der Grundlage aufgrund der Tatsache vorgeschlagen wurde, daß Fichte dort die intellektuelle Anschauung nicht in Betracht zieht; sie tritt hier explizit neben solches 365

Vgl. ebenso GA I, 5, 55f, 58, 60, 64, 74f, 90 ( W I V , 4 l f , 44, 48, 52, 65, 85f); GA I, 4, 242 (SW I, 489) u.ö.

226

Die Wissenschaftslehre nova methodo

unmittelbare, anschauende Bewußtsein. Während in der Grundlage jedoch vor allem die im Rahmen einer vollständigen Abstraktion von allem Nicht-Ich nicht aktuell vorstellbare Unendlichkeit des ursprünglichen Handelns diese Möglichkeit nahe legt, verschiebt sich in der Wissenschaftslehre nova methodo das Problem hin zur vollständigen Identität von Subjekt und Objekt im Ich. Indem wir solche Identität nicht adäquat zu denken vermögen, sind wir genötigt, beide Relata wechselseitig durcheinander zu bestimmen, um sich ihr dadurch im höchsten möglichen Maße anzunähern. Da auf diese Weise die geforderte absolute Identität aber niemals erreichbar ist, bleibt dieselbe eine bloße Aufgabe, deren nicht vollständig erfüllbare Denkregel angegeben werden kann; denn für Ideen gilt: „nur, in wiefern wenigstens die Aufgabe begriffen werden kann, kommen sie in unserm Bewußtseyn vor" {GA I, 5, 75; SW IV, 65).366 Offen bleibt dabei jedoch, wie diese beiden Zugangsweisen zum Prinzip der Wissenschaftslehre nova methodo, seine unmittelbare Vergegenwärtigung in intellektueller Anschauung und sein Denken als bloße Idee miteinander zu vereinbaren sind. Es finden sich bei Fichte selbst keinerlei Andeutungen, die ihr Verhältnis und dasjenige des in ihnen Präsenten, etwa als Begründungsrelation, genauer qualifizierten. Eine solche Präzisierung scheint dabei schon deswegen ausgeschlossen, weil in beiden Fällen exakt das gleiche vorgestellt wird: die unmittelbare Identität von Anschauendem und Angeschautem, von Subjekt und Objekt. 367

1.2 Versuche der Rechtfertigung der intellektuellen Anschauung Wie bereits erwähnt betrachtet Fichte nicht nur die unmittelbare SubjektObjekt-Identität, sondern auch die intellektuelle Anschauung als Bedingung der Möglichkeit bewußter Erfahrung. Sie ist somit in jedem vernünftigen Wesen wirksam, auch wenn sich noch nicht alle „zum Bewusstseyn jener Anschauung erhoben" (GA I, 4, 250; SW I, 497) haben, indem im konkreten Bewußtsein die Bedingungen seiner Möglichkeit vergessen werden. Auf dieser Grundannahme beruhen die Versuche Fichtes vor allem in der Zweiten Einleitung, aber auch im Versuch einer neuen Darstellung, die intellektuelle Anschauung als „schlechthin nothwendig" (GA I, 4, 277; SW I, 529), als unabdingbares Faktum zu erweisen. Dabei lassen sich in der Zweiten Einleitung zunächst zwei Gedankengänge unterscheiden, die beide aus in der alltäglichen Erfahrung allgemein vorkommenden Tatsachen auf die intellektuelle Anschauung als notwendiges Ingrediens schließen, das außerhalb der philosophischen Betrachtung immer nur im Kom166 147

Vgl. auch in den Vorlesungsnachschriften Κ 86, 208, 220 (GA IV, 2, 78, 223, 239). So heißt es auch bezüglich des unmittelbaren Bewußtseins des Ich in intellektueller Anschauung, in ihm seien „Subjectives und Objectives unzertrennlich vereinigt und absolut Eins" (GA I, 4, 276; SIV1, 528).

Die endliche Vernunft als Prinzip

227

plex des konkreten Handlungsgefüges des individuellen Selbst vorkommt. Ausgangspunkt dieser Argumentationen ist die Selbstzuschreibung von Vorstellungen einerseits und das Bewußtsein meiner Wirksamkeit in der Ausführung von Willensentschlüssen andererseits. Schon in den Vorlesungen lieber den Unterschied des Geistes, u. des Buchstabens in der Philosophie stellt Fichte sich die Frage, wie der Philosoph zur isolierten Anschauung des reinen Ich gelange, und kommt zu dem Ergebnis, solches innere Vergegenwärtigen könne nur das Resultat des Absehens von allen abstrahierbaren Objekten sein: „so kann man durch die Angewöhnung an geordnete strenge Abstraction, und durch eine immer höher steigende Reflexion sich zum Bewußtseyn einer versteht sich innern Anschauung des reinen Ich erheben" (GA II, 3, 330). Das Abstraktionsvermögen, das zum einen von jeglichem Nicht-Ich, zum anderen aber auch von allen konkreten oder gar empirischen Bestimmungen des Selbst absieht, bedarf laut dieser Aussage der Übung und führt nur unter der Bedingung seiner Perfektion zur inneren, intellektuellen Anschauung des absoluten Subjekts. Das Erfassen des Geistes der Transzendentalphilosophie und im besonderen ihres Prinzips wird somit unter anderem von psychologischen Faktoren abhängig. Während Fichte den gleichen Gedanken einzuübender Abstraktionsleistungen auch in der Grundlage, und zwar in der „Deduktion der Vorstellung" verfolgt, ohne auf die reine, intellektuelle Anschauung als realisierbares Ziel zu verweisen368, legt er nun in der Zweiten Einleitung ein anderes Verfahren zugrunde, wie man „zur Kenntniß und zur isolirten Vorstellung derselben" gelangt, nämlich durch „einen Schluß, aus den offenbaren Thatsachen des Bewusstseyns" (GA I, 4, 218; SWI, 464). In der ersten Argumentation versucht er dabei zu zeigen, daß jegliche Form des Handelns insoweit das Bewußtsein seiner selbst voraussetzt, als nur dadurch die Unterscheidung der Elemente: Handelnder, Handlung und behandeltes Objekt möglich ist. Aber nicht nur solche Unterscheidung, sondern auch die Beziehung von Vorstellungen auf das vorstellende Subjekt soll demgemäß von der intellektuellen Anschauung abhängen; sie ist dasjenige, wodurch sich der gegenständliche Gehalt „auf das Subject bezieht, und meine Vorstellung wird" (GA I, 4, 227; SW I, 474). Stimmt man jedoch mit Fichte auch in der von Reinhold übernommenen Meinung überein, daß jedes Objektbewußtsein sowohl die Beziehung als auch die Unterscheidimg von Subjekt und Vorstellung bzw. jede praktische Tätigkeit die Entgegensetzung von Handelndem und Behandeltem erfordert, dann läßt sich zwar sicherlich bündig nachweisen, daß in diesem Zusammenhang eine bewußte Selbstbeziehung konstitutiv und nicht lediglich zufällig ist; über deren spezifische Struktur oder gar über deren bestimmte Vollzugsweise, nämlich daß „das Bewusstseyn Ich [...] lediglich aus intellectueller Anschauung kommt" (GA I, 4, Vgl. GA I, 2, 382ff(SfrPI, 243ft).

228

Die Wissenschaftslehre nova methodo

217f; SWI, 464), ist damit aber noch gar nichts ausgemacht. So kann man etwa bei Kant bezüglich der analytischen Identität der Apperzeption die davon abweichende Meinung finden, zur Selbstzuschreibung einer Mannigfaltigkeit von Vorstellungen sei lediglich der Gedanke derselben als insgesamt meiner erforderlich, wozu es allerdings der geregelten Synthesis einer gegebenen Pluralität bedarf. Genausowenig Beweiskraft für die Notwendigkeit der intellektuellen Anschauung besitzt das sich direkt anschließende zweite Argument, das von einer skeptischen Betrachtung Humes veranlaßt worden sein könnte. Von seiner „copy"-These ausgehend, nach der jeder „idea" eine „impression" zugrundeliegen muß, wenn ihr eine ausweisbare Bedeutung zukommen soll, fragt Hume nach demjenigen Eindruck, auf den sich die Vorstellung der Kraft und mit ihr diejenige der notwendigen, kausalen Verknüpfung zurückführen läßt. Dabei erwägt er auch die Möglichkeit der inneren Wahrnehmung als Quelle, kommt jedoch zu dem negativen Ergebnis, daß aus der einmaligen Beobachtung einer Folge von Bestimmungen des Gemüts eben nur das Bewußtsein dieser Folge, keineswegs aber die gesuchte Vorstellung eines ursächlichen Zusammenhangs resultiert. Aus einem einzelnen Fall, in dem sich in der inneren Wahrnehmung an ein Wollen die entsprechenden geistigen Vorstellungen oder körperlichen Bewegungen zeitlich unmittelbar anschließen, entspringt somit nach Hume auch keineswegs die Annahme meiner tätigen Kausalität in der Umsetzung von Zwekken.369 Von einem ähnlichen Problem geht nun auch Fichte aus, wobei er den gleichen Phänomenbestand eines Willensentschlusses zugrundelegt: „Ich setze mir vor, das oder das Bestimmte zu denken, und der begehrte Gedanke erfolgt, setze mir vor, das oder das Bestimmte zu thun, und die Vorstellung, daß es geschehe, erfolgt" (GA I, 4, 218; SW I, 465). Jeweils ist - sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht - die unmittelbare zeitliche Folge des tatsächlichen Vollzuges auf den Entwurf einer bestimmten möglichen Handlung als dasein sollend zu beobachten. Zu den von jedem zugestandenen Tatsachen des Bewußtseins gehört aber darüber hinaus die Vorstellung, daß in mir selbst das tätige Prinzip zu suchen ist, das solchen geregelten Wechsel verursacht. Daraus ergibt sich jedoch die Frage, welchen Vermögen welche der angesprochenen Vorstellungen entspringen. Dem „bloß sinnlichen Bewusstseyn" läßt sich mm nach Fichte lediglich die angegebene zeitliche Folge entnehmen, keineswegs aber die behauptete ursächliche Verknüpfung, weswegen ohne die Annahme eines vom inneren Sinn verschiedenen Vermögens der Vergegenwärtigung meiner selbst der Gedanke meines selbsttätigen Handelns unerklärlich bliebe: „Ich bliebe bloß leidend, der ruhende Schauplatz, auf welchem Vorstellungen 369

Vgl. D.Hume: Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals. Reprinted from the 1777 edition with Introduction and Analytical Index by L.A.SelbyBigge. 3. Ed. with text revised and notes by P.H.Nidditch. Oxford 1975, 64ff.

Die endliche Vernunft als Prinzip

229

durch Vorstellungen abgelöst würden, nicht aber das thätige Princip, welches sie hervorbrächte" (GA I, 4, 218; SW I, 465). Damit wäre die Annahme eines deterministischen Dogmatismus aber offenbar unabwendbar. Der entscheidende Schritt innerhalb dieser zweiten Argumentation der Zweiten Einleitung beruht nun allein auf der Entgegensetzung von rezeptiven und spontanen Fähigkeiten. Denn wenn der innere Sinn lediglich das Bewußtsein der zeitlichen Folge, aber nicht das davon ganz verschiedene von meiner Tätigkeit als ,ftealGrunFB107t) der Kausalität zuzuordnen. - An die Ausführungen Fichtes zur Versinnlichung des reinen Wollens vermittels der Zeit schließt P.Rolis (Über die Zeit als das Mittelglied zwischen dem Intelligiblen und dem Sinnlichen. In: Fichte-Studien 6 (1994), 95ff, 113ff) eigenständige Überlegungen an, wobei er das zeitliche Werden allerdings genau umgekehrt als Möglichkeit des Bezugs auf etwas Intelligibles im konkreten Selbstverhältnis betrachtet.

Die gesetzmäßige Einheit der fünflachen Synthesis

273

unzeitliche Sich-Bestimmen qua Wollen präsent ist. Diese Eine Anschauung seiner selbst wiederholt sich dabei durch die gesamte Pluralität der wechselnden Bestimmungen des handelnden Ich, wodurch ihr gegenständlicher Gehalt zeitlich und sie selbst sinnlich wird. Das ist offenbar gemeint, wenn die KrauseNachschrift etwas unklar formuliert, die Zeit sei die „Form der intellectuellen Anschauung, die aber dadurch daß sie in diese Form aufgenommen wird, versinnlicht wird" (K136; GA IV, 2, 126). Während für die intellektuelle Anschauung aber die unmittelbare Einheit von Vorstellendem und Vorgestelltem konstitutiv ist, wird diese in solcher Versinnlichung aufgehoben; das Subjekt vergegenständlicht sich selbst, macht sich selbst zum Objekt, so daß die reine Kraft als „etwas GEGEBENES als NATUR=KRAFT - SINNLICHE oder PHYSISCHE KRAFT" (GA IV, 2, 121) erscheint. Nicht in direkter textlicher Nähe zu diesen Darlegungen, aber vom gleichen Problemhorizont aus argumentierend deduziert Fichte im achtzehnten Paragraphen die Notwendigkeit der Kategorie der Substantialität. Demnach wird die Sinnenwelt allein dadurch zu einer Gegebenheit, die dem gemeinen Bewußtsein als für sich bestehende Substanz erscheint, daß das Subjekt seine eigene Absolutheit und Selbständigkeit auf dieselbe projiziert: Ich trage auf mein Produkt „die Selbstständigkeit nothwendig über, dadurch daß ich es denke[;] es wird ein Sein an [und] für sich, für sich bestehend" (Κ 222; GA IV, 2, 242). Solches rein gedachte Noumen tritt jedoch immer nur in Verbindung mit der durch die Einbildungskraft gebildeten, phänomenalen Gestalt auf, in der die begrenzte Menge der nicht klar voneinander abgehobenen Optionen des praktischen Selbst vereinigt ist: Die Gestalt enthält „nur die verworrene Darstellung aller Handlungsmöglichkeiten, die in dem Dinge ausgedrückt sind, alles was ich daraus machen könnte" (K 225; GA IV, 2, 245). Deutlicher als in den oben dargestellten Konzeptionen der Substantialtität als Gegenstandsbestimmung, wie Fichte sie in den Eignen Meditationen, im Grundriß und in den Platner-Vorlesungen entwickelt, wird somit in der Wissenschaftslehre nova methodo die Bedeutung der Substanz als Summe aller Akzidentien beibehalten. Erklärt Fichte die rein gedachte Substanz als das Erscheinende und die akzidentelle Erscheinung in diesem Sinne zunächst für schlechthin einerlei: „die Erscheinimg und das Erscheinende ist eins; nur die Philosophie unterscheiden,] was im würklichen Bewustsein eins ist" (Κ 222; GA IV, 2, 244), so zeigt sich die Notwendigkeit einer Differenzierung dieser Aussage zu einem unabdingbaren Bezogensein beider aufeinander, indem Gestalt und Materie einen verschiedenen zeitlichen Sinn erhalten. Denn während sich das Phänomen als Effekt unseres Handelns entsprechend dem Modus der Zeitfolge verändert und - wie sich aus der Darstellung der Kategorie der Dependenz ergibt - auch die zunächst liegenden Handlungsmöglichkeiten immer von dem aktuellen Zustand eines Dinges abhängen, beharrt das Noumen als das zu aller Zeit Dauernde. Wie es nun gemäß der Bestimmung der Dependenz zur Vereinigung der wechselnden Eigenschaften in einem einheitlichen

274

Die Wissenschaftslehre nova methodo

Bewußtsein ihrer fortlaufenden Beziehung auf unsere in der Zeit ausgedehnte Kausalität bedarf, so ist dazu nach Fichtes Ausführungen zur Substantialität darüber hinaus das beharrliche Noumen erforderlich, denn „an dieses hängt sich die IDENT[ITAET] . des Bewustseins an" (Κ 224; GA IV, 2, 246). In welchem Zusammenhang diese beiden Bedingungen der Wahrung der Identität des Ich angesichts der Mannigfaltigkeit wechselnder Erscheinungen des Gegenstandes praktischer Tätigkeit stehen, wird jedoch in der Wissenschaftslehre nova methodo nicht näher erörtert. Somit zeigt sich sowohl an der dargelegten Konzeption der Einbildungskraft als auch an den gemäß der neuen Version der Wissenschaftslehre in den Verhältnisbestimmungen aufeinander bezogenen Relata die konsequente Fundierung der theoretischen in der praktischen Vernunft. Daran läßt sich aber, wie auch schon an dem modifizierten Anfang, in paradigmatischer Weise demonstrieren, daß sich gegenüber der Grundlage keineswegs nur die Methode verändert. Vielmehr erhalten Bestimmungen, die nach der ersten Darstellung originär theoretischen Ursprungs sind, solche Bedeutungen, in denen ihre nicht nur beiläufige, sondern wesentliche Bezogenheit auf das Praktische zum Vorschein kommt. Fängt Fichte in den Vorlesungen „nach einem weit natürlichem Gange vom praktischen an" und zieht er nur „da wo es zur Deutlichkeit was beiträgt, das PRAKTISCHE ins THEORETISCHE herüber um aus jenem dieses zu erklären" (GA IV, 2, 17), so hat dies somit zugleich einschneidende inhaltliche Konsequenzen.

Ausblick Eine detaillierte Gegenüberstellung zentraler Bestandteile der theoretischen Philosophie des kritischen Kant und des frühen Fichte stößt somit auf eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten, aber auch von Unterschieden etwa in der Charakterisierung der Einbildungskraft, in der Durchführung einer Kategoriendeduktion oder auch hinsichtlich der Bedeutung des Dinges an sich. Daher sperrt sich eine solche Untersuchung gegen generelle Thesen oder gar pauschale Stellungnahmen zugunsten der einen oder der anderen Theorie. Demgegenüber läßt sich jedoch eine grundsätzliche Übereinstimmung in der Annahme ausmachen, daß einem reinen, ursprünglichen Ich Prinzipienfunktion zugesprochen werden muß, wenngleich es je verschiedene strukturelle Bestimmungen erfahrt. So ist nach Kant die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption als Prinzip der Logik und aufgrund der Parallelität von Urteilsfunktionen und Kategorien zugleich als höchste, unhintergehbare Bedingung der Möglichkeit eines einheitlichen Erfahrungszusammenhanges anzusetzen; und gemäß der frühen Wissenschaftslehre ist das absolute Subjekt oberstes Fundament der methodisch geregelten Entwicklung der gesamten Philosophie. Es ist vor allem diese Kongruenz, auf der die Fruchtbarkeit einer Konfrontation beider Theorien beruht; denn sie erlaubt nicht nur die Evaluierung verschiedener Weisen der Rechtfertigung und der immanenten Bestimmung des reinen Ich, sondern darüber hinaus paradigmatischer Möglichkeiten, in einem derartigen Subjekt eine systematische Philosophie zu begründen. Ein Vergleich mit Kant bietet sich somit in ausgezeichneter Weise für den frühen Fichte an. Denn obwohl Fichte auch noch in den Vorlesungen von 1804 behauptet, die Wissenschaftslehre stimme mit der kritischen Philosophie Kants darin überein, daß beide das „gemeinschaftliche Genus des Transscendentalismus·' (GA II, 8, 34; SW Χ, 105)449 teilen, erfährt sein eigenes Prinzip mit der Jahrhundertwende derartige Modifikationen, daß seine Darlegungen sowohl mit denjenigen der Kritik der reinen Vernunft als auch mit denjenigen der frühen Wissenschaftslehre grundsätzlich unvereinbar werden. Daraus ergibt sich aber die Notwendigkeit einer Neubewertung des Verhältnisses beider Philosophien auch in ihrem theoretischen Teil, sofern er in diesem höchsten Prinzip begründet sein soll, das Fichte ab 1800 mit dem Absoluten identifiziert.

Vgl. auch GA II, 8, 14 (SIVX,

96).

276

Ausblick

Schon das absolute Subjekt des frühen Fichte zeichnet sich gegenüber der transzendentalen Apperzeption Kants nicht nur durch seine spezifische Struktur, nämlich vor allem durch die Umkehrung des Begründungsverhältnisses von spontaner Synthesisleistung und identischem Selbstbezug aus; vielmehr bestimmt Fichte auch die Möglichkeit der Thematisierung des reinen Ich auf eine spezifische Weise, die nicht zuletzt im Hinblick auf die Entwicklung der Spätphilosophie von Interesse ist. Gemäß der Kritik der reinen Vernunft bezieht sich das ursprüngliche Selbstbewußtsein rein denkend auf sich selbst. Durch reine Verstandesbegrifife kann es sich selbst zwar nicht erkennen, aber doch problemlos denken. Und auch für den Philosophen stellt das transzendentale Subjekt qua Prinzip der Logik offensichtlich einen reinen Gedanken dar. Abweichend charakterisiert hingegen der frühe Fichte den Vorstellungsmodus, in dem das prinzipielle Ich zum Gegenstand werden kann. Denn auf der einen Seite mangelt ihm als differenzlosem Sich-Setzen das Selbstbewußtsein; auf der anderen Seite ist es durch den Philosophen zum Bewußtsein zu erheben, wenn es seine Prinzipienfunktion als ausgezeichneter Theoriebestandteil erfüllen soll. Gemäß den Eignen Meditationen und der Aenesidemt«-Rezension kommt das ursprüngliche Ich in intellektueller Anschauung zum reinen Bewußtsein. Demgegenüber erwähnt Fichte diesen Problemterminus weder in seiner Programmschrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre noch in der Grundlage. Daher wurde versucht, die Weise, in der der Philosoph das absolute Subjekt bewußt vergegenwärtigt, als Idee zu rekonstruieren. Denn die unendliche Tathandlung ist dem endlichen philosophischen Begreifen nur vermittels deijenigen Regel zugänglich, nach der jede aktuelle Grenze der spontanen Tätigkeit jeweils aufzuheben ist. Da diese unendliche Aufgabe aber niemals vollständig erfüllt werden kann, bleibt das absolute Subjekt Idee. Ausdrücklich wird dieser Modus der Vorstellung des prinzipiellen Ich dann in den Ausführungen zur Wissenschaftslehre nova methodo und im System der Sittenlehre erwähnt. Denn Fichte gibt dort die unendliche Tathandlung zwar zugunsten eines ursprünglich endlichen Ich auf; doch auch für die differenzlose Identität von Subjekt und Objekt, wie sie in der in sich zurückgehenden Aktuosität gedacht wird, gilt, daß sie nur approximativ zu begreifen ist, nämlich durch wechselseitige Bestimmung der beiden Relata. Daneben greift Fichte erneut die intellektuelle Anschauung als unmittelbare und spontane Weise der Vergegenwärtigung des reinen Ich auf, jedoch ohne sie zur Bestimmung des absoluten Subjekts als Idee in Beziehung zu setzen. Es findet sich aber noch eine weitere Charakterisierung des Verhältnisses des betrachteten reinen Ich zum philosophierenden Subjekt, nämlich sofern ersteres als reines Wollen bestimmt ist. Denn so wie für Kant die Selbsterkenntnis auf das phänomenale Ich des inneren Sinnes beschränkt ist, so ist auch das wollende Ich, das aus einer umgrenzten Anzahl von Möglichkeiten einen konkreten Zweckbegriff herausgreift und dementsprechend körperlich handelt, nach

Ausblick

277

Fichte nur Erscheinung. Diese soll sich allerdings anders als bei Kant in ihrer Bestimmtheit aus dem Zusammenspiel der Reflexionsgesetze mit dem intelligiblen Substrat des reinen Wollens erklären lassen. Will man das nicht-sinnliche, reine Wollen jedoch selbst zum Gegenstand machen, dann muß von jeglicher Versinnlichung abgesehen werden und d.h. von allem, was sich lediglich aus den Vorstellungsgesetzen des endlichen reflektierenden Ich ergibt. Und somit gilt für den reinen Willen: „Die Schwierigkeit ist dabei, daß wir nur nach den Gesetzen des Denkens denken können; wir müßen also von allem abstrahiren, wovon wir können und ihn nur in sofern in die Form des Denkens aufnehmen als wir müßen'- (Κ 154; GA IV, 2, 147),450 Und auch in dieser Hinsicht ist das reine Ich nach Fichte eine bloße Idee. Einerseits zeichnet sich die Wissenschaftslehre nova methodo vor dem Ansatz der Grundlage somit dadurch aus, daß sie „ein festes Substrat der INTELLIGIBLEN Welt für die EMPIRISCHE" (GA

IV, 2, 150) annimmt. Andererseits stellt sich das Problem, wie der reine Wille überhaupt noch als Wille und damit als grundlegende Bestimmung des selbstbezüglichen Subjekts gefaßt werden kann, wenn er nur in Abstraktion von allen Denkgesetzen zu thematisieren ist. Dieses intelligible reine Wollen, das für uns vermittels der Reflexionsgesetze unfaßbar bleibt, spielt auch noch in der Bestimmung des Menschen von 1800 eine entscheidende systematische Rolle, wobei Fichte aber zugleich seinen Zusammenhang mit einem noch darüber hinaus liegenden Absoluten expliziert. Die Notwendigkeit der Ansetzung des Absoluten als Prinzip ergibt sich gemäß dieser Schrift daraus, daß man außer unseren Taten in der Sinnenwelt, die wir vermittels unseres artikulierten Leibes vollbringen, noch eine Wirkung unmittelbar durch unseren guten Willen in einer übersinnlichen Ordnung anzunehmen hat.451 Diese übersinnliche Welt ist uns nach Fichte zwar absolut unbegreiflich'152, wir wissen nur, daß wir in derselben wirken, nicht aber, welche Erfolge wir erzielen oder wie es überhaupt nur mögüch ist, daß ein reiner Wille unmittelbar Kausalität hat; doch da sich in diesem Reich Geistiges auf Geistiges, Vernünftiges auf Vernünftiges bezieht, müssen wir es uns als einen alle endli-

450

t n

Vgl. auch A'208, 217 (GA IV, 2, 223t] 236) sowie GA IV, 2, 162. Gleiches gilt natürlich von den Formen der Anschauung: vgl. Κ 149 (GA IV, 2, 141). Eine solche Wirkung muß nach Fichte vorausgesetzt werden, weil gemäß der Position der Bestimmung des Menschen der letzte Zweck unseres freien und sittlichen Handelns nicht in der Sinnenwelt liegen kann. Zu unserer letzten Bestimmung in derselben gehören vor allem eine solche Kenntnis der Gesetze der Natur, die ihre mühelose Beherrschung ermöglicht, sowie die Ausbildung einer gerechten staatlichen Verfassung, die die Freiheit und Sicherheit aller garantiert und Frieden sowohl im Inneren als auch nach außen gewährleistet. Doch da es scheint, daß dieses „Welt-Beste, ganz unabhängig von allen menschlichen Tugenden oder Lastern, nach einem eigenen Gesetze, durch eine unsichtbare und unbekannte Kraft, wachse und gedeihe" (GA I, 6, 277; SW II, 279f), und mein sittliches Handeln gleichwohl nicht umsonst sein darf, muß es eine andere Folge meiner dem Gewissen gemäßen Willensbestimmungen geben. Vgl. bes. GA I, 6, 280, 289, 297 (SWIL 282, 294, 308f ).

278

Ausblick

chen Wesen umfassenden, unendlichen, gesetzmäßigen Willen denken.453 Dieser uns absolut unbegreifliche, umfassende Wille ist nun aber nach Fichte das „Eine, das da ist (GA I, 6, 293; SW II, 299), bzw. das Eine, in dem alle endlichen intelligiblen Wesen zusammenhängen.454 Eine systematische Explikation erfährt der Zusammenhang von selbstbewußtem Wissen und Absolutem dann erstmals in der Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801/02. In ihr konstruiert Fichte das absolute Wissen aus zwei Elementen, die als zwei Prinzipien das Fundament der gesamten Philosophie bilden: nämlich „absolutes Bestehen, ruhendes Seyn" einerseits und „absolutes Werden, oder Freiheit" (GA II, 6, 147; SW II, 17) andererseits.455 Gemäß diesem sicherlich nicht unproblematischen Ansatz gründet im Vollzug der formalen Freiheit die strukturelle Bestimmung des Fürsichseins der selbstbezüglichen Ichheit. Da dieses Entspringen aus formaler Freiheit nach Fichte aber vollständig unbedingt ist, muß ihm ein ebenso absolutes Nichtsein des Wissens vorausgesetzt werden. Dies ist das nicht-reflexive, selbstbewußtseinslose Absolute, das als Gegenstand der Reflexion dem absoluten Wissen allererst einen realen Sachgehalt vermittelt. So darf sich die freiheitliche Reflexion vom Absoluten „nicht losreissen, und es verlieren, oder es gäbe überhaupt kein absolutes, sondern nur ein freies, u. zufalliges Wissen" (GA II, 6, 193; SW II, 61). Diesen Zusammenhang des absoluten Wissens mit dem Absoluten und damit mit seinem eigenen Nichtsein durchschaut das absolute Wissen nun selbst; und nur in dieser Weise, nämlich als ein dem reflexiven Wissen durch das Wissen selbst Vorausgesetztes kann das Absolute in die philosophische Theorie eingehen. Darin besteht nach Fichte dann auch die „höchste absolute ideale Ansicht" (GA II, 6, 196; SW Π, 64) der Wissenschaftslehre, daß sie im Ausgang von der Explikation des absoluten Wissens das absolute Sein als seine Bedingung einsichtig macht. Doch auch hier gilt, daß das höchste Eine durch das reflexive Denken

454

455

Vgl. GA I, 6, 29if(i>WII. 297t"). Vgl. GA I, 6, 294 (SW II, 301). - Demgegenüber sollte die Ansetzung Gottes als moralische Weltordnung in der Schrift Ueber den Grund unsers Glaubens an eine göttliche WeltRegierung von 1798 noch für den Erfolg unseres sittlichen Handelns in der Sinnenwelt bürgen, so daß die „sittliche Tat gelingt (...) und die unsittliche mislingt" (GA I, 5, 353; SW V, 184). In der kurz darauf erschienenen und unter dem Einfluß des ausgebrochenen Atheismus-Streits stehenden Appellation betont Fichte hingegen in stärkerem Maße die Übersinnlichkeit des Zwecks sittlichen Handelns, der Seligkeit als Unabhängigkeit von allem bloß Sinnlichen. In bezug auf die „Folgen seiner pflichtmäßigen Handlungen in der Welt der Erscheinungen" soll man hingegen „völlig gleichgültig" sein; denn tur sie garantiere der „Wille des Ewigen" (GA I, 5, 431; SW V, 212). Die Gedanken eines Wirkens unmittelbar durch den sittlichen Willen und des umfassenden Einen, das alle endlichen Willen umgreift, fehlen jedoch auch noch in diesen Ausführungen. Vgl. auch GA II, 6, 229 (SW II, 89): Die Wissenschaftslehre hat „zwei Principe, die absolute Freiheit und das absolute Seyn". - Zur Entwicklungsgeschichte der Grundlegung der Wissenschaftslehre nach 1800 sei auf die durchaus klassisch' zu nennenden Texte verwiesen von M.Gueroult: L évolution et la structure de la doctrine de la science chez Fichte. Bd 2. Paris 1930 sowie von W.Janke: Fichte. Sein und Reflexion- Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, 205ff

Ausblick

279

nicht zureichend erfaßt werden kann. Denn letzteres verharrt immer in Trennungen und vermag höchste Einheit daher nicht adäquat zu repräsentieren, so daß das „Seyn des Wissens das absolute Seyn aufhebt, und das absolute Seyn das Seyn des Wissens" (GA II, 6, 183; SW II, 52).456 Die Konsequenz aus dieser Situation zieht die Wissenschaftslehre von 1804. Demnach ist deijenige Idealismus zu verwerfen, der auch das Absolute nur für einen notwendigen Gedanken ausgibt. Demgegenüber muß man der Maxime Folge leisten, nach der das vergegenständlichende Wissen dem Absoluten gegenüber in seinem Gültigkeitsanspruch aufzugeben ist, da es dasselbe lediglich verobjektiviert und somit nur ertötet zu vergegenwärtigen vermag. Gleiches gilt dann aber natürlich auch für das Ich, sofern es das Prinzip solchen Wissens darstellt. 45 ' Daher begreifen wir das lebendige Absolute „lediglich durch unsere eigene kräftige Vernichtung des Begreifens" und durch „unmittelbares, actuelles Leben selber" (GA Π, 8, 230; SWX, 206f) 4 5 8 Somit hält sich ein Grundzug in der frühen und späten Wissenschaftslehre durch: Immer ist von einer höchsten Identität auszugehen, die durch das endliche Denken nicht adäquat und vollständig zu begreifen ist. Daher werden als Modi der Erfassung eines solchen Prinzips die in einer Idee gedachte Regel, die intellektuelle Anschauung, die Vernichtung des endlichen Begreifens und schließlich der immittelbare Vollzug des absoluten Lebens angesetzt. Dabei verändert Fichte jedoch mit der Jahrhundertwende in signifikanter Weise die inhaltliche Bedeutung des auf diese Art Präsenten. Wie sich schon in der Bestimmung des Menschen andeutet, ist das Prinzip der Darstellungen der Wissenschaftslehre von 1801/02 und von 1804 nicht mehr das reine Ich, das als unendliche Tathandlung oder intelligibler Wille der Erklärung des Bewußtseins als transzendentalphilosophisch erschlossene Bedingung seiner Möglichkeit vorausgesetzt werden muß. Vielmehr handelt es sich um das metaphysisch zu verstehende „absolut Eine, [...] sich selbst gleiche, unveränderliche, ewige, unaustilgbare - Seyn schlechthin, Gott" (GA II, 6, 193; SW II, 61). Dieses ist in seiner Fortbestimmung als „in sich geschlossenes Singulum des Lebens und Seins" (GA Π, 8, 242; SWX, 212) nur in einem unmittelbaren Mitvollzug göttlichen Lebens adäquat gegenwärtig, wobei solcher Vollzug begrifflich nicht aufklärbar ist und daher durchaus als mystisch charakterisiert werden kann. Zwar bezeichnet Fichte dieses reine Sein, dessen Bestimmung neuplatonischen Ansätzen durchaus nahe kommt, auch noch 1804 keineswegs unproblematisch als „in

456 457 458

Vgl. auch GA II, 6, 200 (SPFII, 68): Alle Reflexion ist „eine Disjunktion, u. ein Gegensaz". Vgl. GA II, 8, 116, 200 (SWX, 148, 192f). Vgl. dazu auch schon die einleitenden Passagen zur Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801/02 (GA II, 6, 130ff), die offenbar zu einer nachträglich für den Druck ausgearbeiteten Fassung gehören. Vgl. dazu die Anmerkungen der Herausgeber: GA II, 6, 109, 116f. Zum Lebensbegrift'nach 1804 vgl. etwa die Wissenschaftslehre in ihrem allgemeinen Umrisse von 1810: SW II, 696.

280

Ausblick

sich geschlossenes" oder „absolutes Ich"' (GA II, 8, 23 If; SW X, 207). Doch ist darunter grundsätzlich diejenige differenzlose Identität von Sein und Leben zu verstehen, die Gott selbst ist und an der wir teilhaben können, wenn wir vom reflexiven Begreifen ablassen.459 Damit ist aber ganz offensichtlich ein Schritt über das reine Ich hinaus vollzogen, der nicht nur der Ursprünglichkeit der transzendentalen Apperzeption Kants bzw. des absoluten Subjekts der Grundlage und der Wissenschaftslehre nova methodo widerspricht, sondern der sich auch mit den Prinzipien der kritischen Philosophie nicht mehr vereinbaren läßt. Das Verhältnis der Positionen Kants und Fichtes und ihrer theoretischen Teile insbesondere verändert sich mit der Entwicklung der späten Wissenschaftslehre somit grundsätzlich. Denn selbst wenn sich in Einzelfragen und auch in den expliziten Äußerungen Fichtes durchaus Kontinuitäten aufzeigen lassen, sind sie doch immer vor dem Hintergrund dieser fundamentalen Wendung zu beurteilen.460 Der Überstieg vom absoluten Ich als transzendentalphilosophisch erschlossene Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung zum seienden Absoluten stellt jedoch keineswegs eine Konsequenz immanenter Schwierigkeiten der frühen Wissenschaftslehre dar.461 Diese ist in sich vielmehr grundsätzlich konsistent. Dabei erweist sich der Ausgang von der ursprünglich endlichen Vernunft in der Wissenschaftslehre nova methodo aber schon allein deswegen als demjenigen von der unendlichen Tathandlung in der Grundlage überlegen, weil er die Schwierigkeit dreier in je verschiedener Weise unbedingter Grundsätze umgeht, indem die systematische Deduktion bereits mit dem Nicht-Ich beginnt. Doch auch bezüglich des ursprünglich endlichen Ich der neuen Darstellung ergeben sich Schwierigkeiten, von denen hier zumindest eine angedeutet sei. Die Charakterisierung seiner Struktur als differenzlose Identität von Setzendem und Gesetztem, von Subjekt und Objekt ist bei Fichte vor allem durch die Auseinan459

460

461

In der von Fichte mehrfach vorgenommenen Bestimmung des höchsten Punktes der Wissenschaftslehre von 1804 als absolutes Ich findet hingegen H.Girndt (Die „Nova Methodo" zwischen der „Grundlage" von 1794 und der Wissenschaftslehre von ¡804. In: Fichte-Studien 16 (1999), 66) eine Bestätigung der „Identität des ersten Grundsatzes von 1794 mit dem höchsten Prinzip von 1804". Als prägnantes Beispiel könnte man den Fichteschen Vorwurf an Kant nennen, letzterer habe die theoretische, praktische und urteilende Vernunft nicht auf ihre wahre Einheit zurückgeführt. Dieser Vorwurf findet sich unter anderem in der Wissenschaftslehre nova methodo und in den Wissenschaftslehren von 1801/02 und 1804 (vgl. Κ 5; GA II, 6, 129; GA II, 8, 24-36, 42ff (SWX, 101-106, 11 Ofif)). In der Begründung dieser höchsten Einheit weicht der späte Fichte von seinen früheren Ausführungen jedoch entschieden ab. Wiederaufgenommen werden solche Tendenzen, ein noch über dem Selbst liegendes Begründendes anzusetzen, etwa von D.Henrich (Subjektivität als Prinzip. In: Ders.: Bewußtes Leben. Untersuchungen zum Verhältnis von Subjektivität und Metaphysik. Stuttgart 1999, 64f, 69). Da die wissende Selbstbeziehung in sich komplex und dabei durchaus nicht aus sich selbst zu begreifen sei, müsse man sie auf einen nicht erkennbaren Grund hin übersteigen, dessen innere Bestimmung und dessen spezifischer Zusammenhang mit dem Selbst immer nur den Charakter einer Hypothese haben können.

Ausblick

281

dersetzung zwischen Reinhold und Schulze motiviert. Im Ausgang von ihr stellt sich Fichte das Problem eines solchen Gehaltes, der in sich keine Mannigfaltigkeit von Bestimmungen mehr enthält und der sich deswegen in einem absolut unbedingten, obersten Grundsatz formulieren läßt. Nun ist es aus subjektivitätstheoretischer Sicht sicherlich zu rechtfertigen, Identität als eine der wesentlichen Eigenschaften des selbstbezüglichen Ich anzusetzen. Daraus ergibt sich jedoch keinerlei Notwendigkeit, von einem Zusammenfall der Relata des Selbstverhältnisses auszugehen, zumal die Thematisierung einer solchen differenzlosen Identität in der frühen Wissenschaftslehre offensichtlich selbst ein Problem darstellt. Unabhängig von den systematischen Zwängen, mit denen Fichte sich konfrontiert sah, kann man die Identität des Selbstbezuges hingegen mit einer ganzen Reihe von Strukturbestimmungen des selbstbewußten Ich vereinbaren. Damit lassen sich aber auch andere Selbstbeziehungsweisen als basal an den Anfang stellen. Dabei ist natürlich sicherzustellen, daß sie wie das reine absolute Ich Fichtes den grundlegenden Einwänden gegen eine Subjektivitätstheorie, nämlich dem Einwand der unendlichen Iteration in seinen verschiedenen Varianten und dem Einwand des Zirkels in der Definition von Selbstbewußtsein nicht ausgesetzt sind.462 Aber auch schon die Bedeutung des Fichteschen Begriffs des Ich erschöpft sich keineswegs in der differenzlosen Identität von Subjekt und Objekt. Vielmehr enthält die frühe Wissenschaftslehre eine ganze Reihe von Selbstbeziehungsweisen. Neben derjenigen, deren Gesetzmäßigkeit in der Grundlage als Substanz-Akzidens-Verhältnis bestimmt wird, ist es vor allem eine Aufgabe der idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins, Selbstverhältnisse in systematischer Folge darzulegen. So besteht das Entwicklungsprinzip einer derartigen Geschichte gemäß dem Grundriß in der fortgesetzten Reflexion des Ich auf sich selbst, so daß mit der jeweils folgenden Entwicklungsstufe auch höherstufige Selbstbeziehungsweisen erreicht werden.463 Diese Selbstverhältnisse expliziert Fichte aber durchaus nicht allein um ihrer selbst willen. Vielmehr verknüpft er mit der Darlegung ihrer idealgenetischen Abfolge zugleich den Anspruch, sämtliche Vermögen und Leistungen des Selbst in lückenloser Systematik ableiten zu können. Sofern diese Fähigkeiten mm speziell solche des theoretischen 462

463

Diesen Anforderungen genügt etwa das von Heidegger entwickelte ,Jvfitenthülhsetn des Selbst', das bei ihm ein konstitutives Moment des besorgenden Umgangs mit den Dingen darstellt. Solches unthematische Mitenthfllltsein bestimmt er dabei als das „alltägliche" bzw. „durchschnittliche Sichverstehen des Daseins", in dem es sich auf sein eigenes uneigentliches Existieren bezieht. Vgl. M.Heidegger: Die Grundprobleme der Phänomenologie. Marburger Vorlesung Sommersemester 1927. In: Ders.: Gesamtausgabe. Abt. II, Bd 24. Hrsg. von F.-W. von Herrmann. Frankfurt a.M. 1975, 224ff. Zu den Möglichkeiten, das Programm einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins auch heute noch für eine Subjektivitätstheorie fruchtbar zu machen, vgl. K.Düsing: Selbstbewußtseinsmodelle. Moderne Kritiken und systematische Entwürfe zur konkreten Subjektivität. München 1997, 128ff.

282

Ausblick

Selbst sind, ist eine derartige Konstruktion als eine wichtige Alternative zu empiristisch-sensualistischen Modellen anzusehen, die in der einen oder anderen Form die Erkenntniskonstruktion durch eine Deskription ersetzen.464 Damit sind nur zwei der Anknüpfungspunkte genannt, die die frühe Wissenschaftslehre auch für heutige Bemühungen um eine Theorie der Subjektivität und der Erkenntnis bietet. Diese sind weder durch die Entwicklung des späten Fichte überholt noch aufgrund eines Paradigmenwechsels als obsolet zu betrachten. Da aber auch das Fichtesche Programm und seine Durchführung nicht einfach unkritisch übernommen werden dürfen, sind sie in ihrer Tragfähigkeit im Vergleich mit anderen Ansätzen zu messen. Das gilt insbesondere für den Kantischen, aus dem sich die Wissenschaftslehre historisch entwickelt hat und dessen grundlegende Mängel sie beheben zu können glaubte.

464

Neben denjenigen Theorien, aus denen Fichtes Ansatz einer pragmatischen Geschichte des menschlichen Geistes historisch mehr oder weniger direkt hervorgeht und von denen er sich zugleich deutlich absetzt, nämlich denjenigen Condillacs und Platners, sind hier auch Positionen des 20.Jahrhunderts zu nennen. So betrachtet etwa W.V.Quine (Naturalisierte Erkenntnistheorie. In: Ders.: Ontologische Relativität und andere Schriften. Stuttgart 1975, bes. 115t) die Erkenntnistheorie als Bestandteil der empirischen Psychologie, so daß sie im wesentlichen zu einer Beschreibung der Verarbeitung der Reizungen der Sinnesrezeptoren zu einer Vorstellung der dreidimensionalen Welt und ihres Verlaufs wird. Und D.Davidson (Externalisierte Erkenntnistheorie. In: Ders.: Der Mythos des Subjektiven. Philosophische Essays. Stuttgart 1993, 66) ist der Meinung, es gebe „gar keine klare Unterscheidung zwischen Beschreiben und Rechtfertigen, zwischen einer empirischen Erklärung der Erkenntnisentstehung und einer Formulierung der Normen, denen eine Meinung entsprechen muß, um als Erkenntnis zu gelten". Demgegenüber wird man wohl zunächst innerhalb der Philosophie z.B. zwischen bloßer Meinung und Erkenntnis unterscheiden müssen, um zu wissen, wessen Entstehung man empirisch beschreibt.

Literaturverzeichni s

1 Kant und Fichte FICHTE, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg. von R.Lauth und H.Jacob. Stuttgart-Bad Cannstatt 1962f (zitiert als GA). DERS.: Werke. Hrsg. von I.H.Fichte. Berlin 1 8 4 5 / 4 6 (Nachdruck: Berlin 1 9 7 1 ff) (zitiert als SW). DERS.: Wissenschaftslehre nova methodo. Kollegnachschrift K.Chr.Fr. Krause. Hrsg. sowie mit Einl. und Anm. vers, von E.Fuchs. 2. verb. Aufl. Hamburg 1994 (zitiert als K). DERS.: Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre: Februar 1794. Nachschrift Lavater. Beilage aus Jens Baggesens Nachlaß: Exzerpt aus der Abschrift von Fichtes Züricher Vorlesungen. Hrsg. von E.Fuchs. Neuried 1996. KANT, Immanuel: Gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preußischen (Deutschen) Akademie der Wissenschaften. Berlin 1900ff (zitiert als AA). DERS.: Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. von R.Schmidt. 3,Aufl. Hamburg 1 9 9 0 (zitiert nach der ersten und zweiten Auflage von 1781 und 1787 als KrV A und B). DERS.: Kritik der Urteilskraft. Hrsg. von K.Vorländer. 7.Aufl. Hamburg 1990 (zitiert nach der zweiten Autlage von 1793 als KdU2).

2 Weitere Texte und Sekundärliteratur BADER, Franz: Die Mehrdeutigkeit der drei Grundsätze in Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von 1794/95. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Hammacher und A.Mues. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979,11-41. BARION, Jakob: Die intellektuelle Anschauung bei J.G.Fichte und Schelling und ihre religionsphilosophische Bedeutung. Würzburg 1929. BAUM, Manfred: Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur „Kritik der reinen Vernunft". Königstein/Ts. 1986. BAUMANNS, Peter: Fichtes ursprüngliches System. Sein Standort zwischen Kant und Hegel. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972. DERS.: Fichtes Wissenschaftslehre. Probleme ihres Anfangs. Mit einem Kommentar zu §1 der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre". Bonn 1974. DERS.: Transzendentale Dedulction der Kategorien bei Kant und Fichte. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Hammacher und A.Mues. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, 42-75. BECKER, Werner: Idealismus und Skeptizismus. Kritische Betrachtungen über das Ver-

Literaturverzeichnis

284

hältnis von Selbstbewußtsein und Gegenstandsbewußtsein bei Kant und Fichte. Frankfurt a.M. 1971. BEHLER, Ernst: Die Geschichte des Bewußtseins. Zur Vorgeschichte eines Hegeischen Themas. In: Hegel-Studien 7 (1972), 169-216. BENNETT, Jonathan: Kant's Analytic. Cambridge 1966. BRACHTENDORF, Johannes: Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812. Paderborn/München/Wien/Zürich 1995. BRANDS, Hartmut: ,,Cogito ergo sum". Interpretationen von Kant bis Nietzsche. Freiburg/München 1982. BRANDT, Reinhard: Fichtes 1.Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797). In: KantStudien 69 (1978), 67-89. DERS.: Die Urteilstafel. Kritik der reinen Vernunft A 6 7 - 7 6 ; B 9 2 - 1 0 1 . Hamburg 1 9 9 1 . BREAZEALE, Daniel: Fichte 's „Aenesidemus " Review and the Transformation of German Idealism. In: Review of Metaphysics 34 (1981), 545-568. DERS.: Between Kant and Fichte: Karl Leonhard Reinhold's ,, Elementary Philosophy". In: Review of Metaphysics 35 (1982), 785-821. DERS.: How to make an Idealist: Fichte 's „Refutation of Dogmatism" and the Problem of the starting Point of the „Wissenschaftslehre". In: Philosophical Forum XIX (1987-88), 97-123. DERS.: „ Transcendental Philosophy and Dialectic. A Conference Report. In: Idealistic Studies 21 (1991), 66-73. DERS.: Reflexives philosophisches und ursprüngliches Setzen der Vernunft: Über die Methode und Methodenlehre derfrühen Jenenser Wissenschaftslehre. In: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der Fichte-Forschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996, 95-110. CASSIRER, Ernst: Kant und das Problem der Metaphysik. Bemerkungen zu Martin Heideggers Kant-Interpretation. In: Kant-Studien 36 (1931), 1-26. CASTAÑEDA, Hector-Neri: Selbstbewußtsein, Ich-Strukturen und Physiologie. In: Analytische Theorien des Selbstbewußtseins. Hrsg. von M.Frank. Frankfurt a.M. 1994, 210-245. DERS.: The Role of Apperception in Kant's Transcendental Deduction of the Categories. In: Nous XXIV (1990), 147-157. CESA, Claudio: Metaphysische Themen bei Fichte. In: Metaphysik nach Kant. Stuttgarter Hegel-Kongreß 1987. Hrsg. von D.Henrich und R.-P.Horstmann. Stuttgart 1988, 165-180 (Temi metafìsici. In: Ders.: J.G.Fichte e l'idealismo trascendentale. Bologna 1992,81-99). DERS.: „...ein Doppelsinn in der Bedeutung des Wortes Setzen". In: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der Fichte-Forschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996, 134-144. DERS.: Einleitung zu: J.G.Fichte: Prima e Seconda Introduzione alla dottrina della scienza con i „Dictate" 1798-1799. A cura di Claudio Cesa. Bari 1999, VII-

xxxvn.

CLAESGES, Ulrich: Geschichte des Selbstbewußtseins. Der Ursprung des spekulativen Problems in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Den Haag 1974. CONDILLAC, Etienne Bonnot de: Oeuvres Philosophiques. Text établi et presénté par G.Le Roy. 3 Bde. Paris 1947-1951. OERS:. Abhandlung über die Empfindungen. Hrsg. von L. Kremendahl. Hamburg 1983.

Literaturverzeichnis

285

CRAMER, Konrad: Über Kants Satz: Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können. In: Theorie der Subjektivität. Dieter Henrich zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Cramer et al. Frankfurt a.M. 1987, 167-202. DAVIDSON, Donald: Der Mythos des Subjektiven. Philosophische Essays. Übers, von J.Schulte. Stuttgart 1993. DIDEROT, Denis: Ästhetische Schriften. 2 Bde. Hrsg. von F.Bassenge. Frankfurt a.M. 1968. DRUET, Pierre-Philippe: L'"Anstoss" fichtéen: essai d'élucidation d'une métaphore. In: Revue Philosophique de Louvain 70 (1972), 384-392. DOSING, Edith: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln 1986. DÜSING, Klaus: Die Teleologie in Kants Weltbegriff. Kant-Studien. Ergänzungsheft 96. Bonn 1968. DERS.: Objektive und subjektive Zeit. Untersuchungen zu Kants Zeittheorie und zu ihrer kritischen modernen Rezeption. In: Kant-Studien 71 (1980), 1-34. DERS.: Constitution and Structure of Self-Identity: Kant's Theory of Apperception and Hegel 's Criticism. In: Midwest-Studies in Philosophy VIII (1983), 409431. DERS.: Ästhetische Einbildungskraft und intuitiver Verstand. Kants Lehre und Hegels spekulativ-idealistische Umdeutung. In: Hegel-Studien 21 (1986), 87-128. DERS.: Cogito, ergo sum? Untersuchungen zu Descartes und Kant. In: Wiener Jahrbuch filr Philosophie XIX (1987), 95-106. DERS.: Selbstbewußtseinsmodelle. Apperzeption und Zeitbewußtsein in Heideggers Auseinandersetzimg mit Kant. In: Zeiterfahrung und Personalität. Hrsg. vom Forum fur Philosophie Bad Homburg. Frankfurt a.M. 1992, 89-122. DERS.: Einbildungskraft und selbstbewußtes Dasein beim frühen Fichte. In: Kategorien der Existenz: Festschrift für Wolfgang Janke. Hrsg. von K.Held und J.Hennigfeld. Würzburg 1993,61-76. DERS.: Hegels „Phänomenologie" und die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins. In: Hegel-Studien 28 (1993), 103-126. DERS.: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und der Dialektik. HegelStudien. Beiheft 15. 3.Autl. Bonn 1995. DERS.: Schema und Einbildungskraft in Kants „ Kritik der reinen Vernunft". In: Aufklärung und Skepsis. Studien zur Philosophie und Geistesgeschichte des 17. und 18.Jahrhunderts. Günter Gawlick zum 65.Geburtstag. Hrsg. von L.Kreimendahl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1995,47-71. DERS.: Strukturmodelle des Selbstbewußtseins. Ein systematischer Entwurf. In: FichteStudien 7 (1995), 7-26. DERS.: Selbstbewußtseinsmodelle. Moderne Kritiken und systematische Entwürfe zur konkreten Subjektivität. München 1997. Duso, Giuseppe: Absolutheit und Widerspruch in der „ Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre ". In: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der Fichte-Forschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996,145-157. DUYCKAERTS, François: L'imagination productrice dans la logique transcendantal de Fichte. In: Revue Philosophique de Louvain 50 (1952), 230-250. EBBINGHAUS, Julius: Fichtes ursprüngliche Philosophie. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Vorträge und Reden. Darmstadt 1968,211-225. EIDAM, Heinz: Fichtes Anstoß. Anmerkungen zu einem Begriff der „Wissenschaftslehre"

286

Literaturverzeichnis

von 1794. In: Fichte-Studien 10 (1997), 191-208. ENGSTLER, Achim: Untersuchungen zum Idealismus Salomon Maimons. Stuttgart-Bad Cannstatt 1990. FLACH, Werner: Fichte über Kritizismus und Dogmatismus. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 18 (1964), 585-596. FRANKEN, Martin: Transzendentale Theorie der Einheit und systematische Universalontologie. Studien zur Kategorienlehre Kants und Fichtes. Fichte-Studien. Supplementa 2. Amsterdam/Atlanta 1993. FUCHS, Erich: J.K.Lavaters Nachschrift der Züricher Wissenschaftslehre. In: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der Fichte-Forschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996, 56-73. GETHMANN, Carl Friedrich: Methode als Nachkonstruktion und Dialektik. Zu: H.Radermacher: Fichtes Begriff des Absoluten. In: Kant-Studien 64 (1973), 484-496. GIRNDT, Helmut: Differenz des Fichteschen und Hegeischen Systems der Philosophie. Bonn 1965. DERS.: Das Ich des ersten Grundsatzes der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" aus der Sicht der Wissenschaftslehre von 1804. In: Fichte-Studien 10 (1997), 319-333. DERS.: Die „Nova Methode" zwischen der „Grundlage" von 1794 und der Wissenschaftslehre von 1804. In: Fichte-Studien 16 (1999), 57-68. GLOY, Karen: Die drei Grundsätze aus Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von 1794. In: Philosophisches Jahrbuch 91 (1984), 289-307. DIES.: Kants Theorie des Selbstbewußtseins. Ihre Struktur und ihre Schwierigkeiten. In: Wiener Jahrbuch für Philosophie XVII (1985), 29-58. DES.: Selbstbewußtsein als Prinzip des neuzeitlichen Selbstverständnisses. Seine Grundstruktur und seine Schwierigkeiten. In: Fichte-Studien 1 (1990), 41-72. GUEROULT, Martial: L'évolution ei la structure de la doctrine de la science chez Fichte. 2 Bde. Paris 1930. HAMMACHER, Klaus: Problemgeschichtliche und systematische Analyse von Fichtes Dialektik. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981, 388-406. DERS.: La dialectique en transition de Kant à Fichte. In: L'héritage de Kant. Mélanges philosophiques offerts au P.Marcel Régnier. Paris 1982, 97-117. DERS.: Fichtes transzendentale Dialektik und Hegels phänomenologische Dialektik. Eine transzendentallogische Rekonstruktion. In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie 3 (1986), 194-207. DERS.: Zur transzendentallogischen Begründung der Dialektik bei Fichte. In: KantStudien 79(1988), 467^75. DERS.: Fichte und Spinoza. In: Spinoza und der deutsche Idealismus. Hrsg. von M.Walther. Würzburg 1992, 81-99. DERS.: Kategorien der Existenz in Fichtes „Eignen Meditationen über Elementarphilosophie". In: Kategorien der Existenz. Festschrift für Wolfgang Janke. Hrsg. von K.Held und J.Hennigfeld. Würzburg 1993, 87-106. HARRIS, Errol E.: Fichte and Spinozism. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981,407^17. HARTKOPF, Werner: Die Dialektik Fichtes als Vorstufe zu Hegels Dialektik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 21 (1967), 173-207. DERS.: Das charakteristische Novum der neueren, bei Fichte, Schelling und Hegel ein-

Literaturverzeichnis

287

setzenden Dialektik. In: Hegel-Jahrbuch 1976, 299-315. HARTMANN, Nicolai: Die Philosophie des deutschen Idealismus. 2.Aufl. Berlin 1960. HEGEL, G.W.F.: Gesammelte Werke. Hrsg. von der Rheinischen Akademie der Wissenschaften. Düsseldorf/Hamburg 1968ff. HEIDEGGER, Martin: Die Grundprobleme der Phänomenologie. Marburger Vorlesung Sommersemester 1927. In: Ders.: Gesamtausgabe. Abt. II, Bd 24. Hrsg. von F.-W. von Herrmann. Frankfurt a.M. 1975. DERS.: Kant und das Problem der Metaphysik. 5., verm. Aufl. Frankfurt a.M. 1 9 9 1 . HEIDEMANN, Dietmar: Kant und das Problem des metaphysischen Idealismus. KantStudien. Ergänzungsheft 131. Berlin/New York 1998. HEIMSOETH, Heinz: Fichte. München 1923. DERS.: Studien zur Philosophie Immanuel Kants I. Metaphysische Ursprünge und ontologische Grundlagen. Kant-Studien. Ergänzungsheft 71. 2. durchges. Aufl. Bonn 1971. HENRICH, Dieter: Über die Einheit der Subjektivität. In: Philosophische Rundschau 3 (1955), 28-69. DERS.: Hölderlin über Urteil und Sein. Eine Studie zur Entwicklungsgeschichte des Idealismus. In: Hölderlin-Jahrbuch 14 (1965/66), 73-96. DERS.: Fichtes ursprüngliche Einsicht. In: Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer. Hrsg. von D.Henrich und H.Wagner. Frankfurt a.M. 1966, 188232. DERS.: Selbstbewußtsein. Kritische Einleitung in eine Theorie. In: Hermeneutik und Dialektik. Bd 1. Hrsg. von R.Bubner et al. Tübingen 1970,257-284. DERS.: Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion. In: Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln. Hrsg. von G. Prauss. Gütersloh 1973, 90104. DERS.: Identität und Objektivität. Eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion. Heidelberg 1976. DERS.: Die Anfänge der Theorie des Subjekts (1789). In: Zwischenbetrachtungen. Im Prozeß der Aufklärung. Jürgen Habermas zum 60.Geburtstag. Hrsg. von A.Honneth et al. Frankfurt a.M. 1989,106-170. DERS.: Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794-1795). Stuttgart 1992. DERS.: Bewußtes Leben. Untersuchungen zum Verhältnis von Subjektivität und Metaphysik. Stuttgart 1999. HENSEL, Paul: Über die Beziehung des reinen Ich bei Fichte zur Einheit der Apperception bei Kant. Freiburg 1885. HILTSCHER, Reinhard: Stellt Fichtes Theorie vom „Ich" in der WL von 1794/95 eine Produktionstheorie des Ich dar? In: Fichte-Studien 5 (1993), 107-116. DERS.: Der dritte Grundsatz in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. In: Wiener Jahrbuch für Philosophie XXV (1993), 45-68. HOHLER, Thomas P.: Intellectual Intuition and the Beginning of Fichte's Philosophy: A new Interpretation. In: Tijdsehrift voor Filosofie 37 (1975), 52-73. HÖLDERLIN, Friedrich.: Sämtliche Werke. Hrsg. von F.Beißner. Stuttgart 1943ff. HOLZ, Harald: Die Struktur der Dialektik in den Frühschriften von Fichte und Schelling. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 52 (1970), 71-90. HUME, David: Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals. Reprinted from the 1777 edition with Introduction and Analytical Index by L.A.Selby-Bigge. 3.ed. with text revised and notes by P.H.Nidditch. Oxford 1975.

288

Literaturverzeichnis

HUSSERL, Edmund: Fichtes Menschheitsideal (Drei Vorlesungen 1917). In: Husserliana Bd XXV: Aufsätze und Vorträge (1911-1921). Hrsg. von T.Nenon und H.R.Sepp. Dordrecht 1987, 267-293. INCIARTE, Fernando: Transzendentale Einbildungskraft. Zu Fichtes Frühphilosophie im Zusammenhang des transzendentalen Idealismus. Bonn 1970. IVALDO, Marco: Transzendentalphilosophie und ,,realistische" Metaphysik. Das Fichtesche Spinoza-Verständnis. In: Spinoza und der deutsche Idealismus. Hrsg. von M.Waither. Würzburg 1992, 59-79. JACOBI, Friedrich Heinrich: Werke. Hrsg. von F.Roth und F.Köppen. Darmstadt 1968. JALLOH, Chemor Maaijou: Fichte 's Kant-Interpretation and the Doctrine of Science. Washington 1988. JANKE, Wolfgang: Fichte. Sein und Reflexion - Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970. DERS.: Historische Dialektik. Destruktion dialektischer Grundformen von Kant bis Marx. Berlin/New York 1977. DERS.: Limitative Dialektik. Überlegungen im Anschluß an die Methodenreflexion in Fichtes „Grundlage" 1794/95 §4 (GAI, 2,283-85). In: Fichte-Studien 1 (1990), 9-24. DERS.: Intellektuelle Anschauung und Gewissen. Aufriß eines Begründungsproblems. In: Fichte-Studien 5 (1993), 21-55. KABITZ, Willy: Studien zur Entwicklungsgeschichte der Fichteschen Wissenschaftslehre aus der Kantischen Philosophie. Mit bisher ungedruckten Stücken aus Fichtes Nachlaß. Berlin 1902. KAEHLER, Klaus Erich: Kants transzendentale Reformulierung der substantiellen Einheit des leibnizschen Subjekts. In: Leibniz und die Frage nach der Subjektivität. LeibnizTagung Triest 11. bis 14.5.1992. Hrsg. von R.Cristin. Stuttgart 1994,160-170. KAEHLER, Klaus Erich; MARX, Werner: Die Vernunft in Hegels Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a.M. 1992. KLEMME, Heiner F.: Kants Philosophie des Subjekts. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Verhältnis von Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Hamburg 1996. KLOTZ, Christian: Der Ichbegriff in Fichtes Erörterung der Substantialität. In: FichteStudien 10(1997), 157-173. KRÄMER, Felix: Fichtes frühe Wissenschaftslehre als dialektische Erörterung. In: SeinReflexion-Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes. Hrsg. von C.Asmuth. Amsterdam/Philadelphia 1997, 143-158. KRAUS, Emil: Der Systemgedanke bei Kant und Fichte. Kant-Studien. Ergänzungsheft 37. Berlin 1916. KRONER, Richard: Von Kant bis Hegel. 2 Bde. Tübingen 1 9 2 1 / 2 4 . KRÜGER, Lorenz: Wollte Kant die Vollständigkeit seiner Urteilstafel beweisen? In: KantStudien 59 (1968), 333-356. DERS.: Der Begriff des Empirismus. Erkenntnistheoretische Studien am Beispiel John Lockes. Berlin/New York 1973. LACHS, John: Is there an absolute Self? In: Philosophical Forum XIX (1987-88), 169181. LAUTH, Reinhard: J.G.Fichtes Gesamtidee der Philosophie. In: Ders.: Zur Idee der Transzendentalphilosophie. München/Salzburg 1965, 73-123. DERS.: Fichtes und Reinholds Verhältnis vom Anfange ihrer Bekanntschaft bis zu Reinholds Beitritt zum Standpunkt der Wissenschaftslehre Anfang 1797. In: Philosophie aus einem Prinzip. Karl Leonhard Reinhold. Hrsg. von R. Lauth. Bonn 1974, 129159.

Literaturverzeichnis

289

Fichtes Argumentation gegen den logischen Empirismus. In: Revue de Métaphysique et de Morale 84 (1979), 327-342. DERS.: Kants Lehre von den ,,Grundsätzen des Verstandes" und Fichtes grundsätzliche Kritik derselben. In: L'héritage de Kant. Mélanges philosophiques offerts au P.Marcel Régnier. Paris 1982,119-136. DERS.: Die transzendentale Naturlehre Fichtes nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre. Hamburg 1984. DERS.: Fichtes revolutionierende neue Konzeption von Philosophie als Wissenschaft. In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie 3 (1986), 179189. DERS.: Der Ursprung der Dialektik in Fichtes Philosophie. In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie 5 (1988), 135-147. DERS.: Die konstituierenden Momente des Setzens in Fichtes erster Wissenschaftslehre. In: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der Fichte-Forschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996,121-133. LEIBNIZ, Gottfried Wilhelm: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade. Monadologie. Hrsg. von H.Herring. 2.Aufl. Hamburg 1982. LEOPOLDSBERGER, Jürgen: Fichtes Kantkritik im Hinblick auf die Struktur der,, Kritik der reinen Vernunft". In: Wiener Jahrbuch für Philosophie I (1968), 145-184. DERS.: Anfang und Methode als Grundprobleme der systematischen Philosophie. Reinhold, Fichte, Hegel. In: Salzburger Jahrbuch für Philosophie 12-13 (1968-1969), 748. LIANG Zhixue: Die methodologischen Probleme der ersten Wissenschaftslehre Fichtes. In: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der Fichte-Forschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996,111-120. LINDNER, Konrad: „Vom Begriff der Freiheit". Fichtes Leipziger Kant-Studien (1790). In: Fichte-Studien 9 (1997), 19-26. LOEWE, Johann Heinrich: Die Philosophie Fichtes nach dem Gesammtergebnisse ihrer Entwicklung und in ihrem Verhältnisse zu Kant und Spinoza. Stuttgart 1862 (Nachdruck: Hildesheim/New York 1976). LÜTTERFELDS, Wilhelm: Zum undialektischen Begriff des Selbstbewußtseins bei Kant und Fichte. In: Wiener Jahrbuch für Philosophie VÏÏI ( 1975), 7-38. MAIMÓN, Salomon: Gesammelte Werke. Hrsg. von V.Verra. Hildesheim 1965ÍT. MECKENSTOCK, Günter: Vernünftige Einheit. Eine Untersuchung zur Wissenschaftslehre Fichtes. Frankfurt a.M./Bem/New York 1983. DERS.: Beobachtungen zur Methodik in Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" In: Fichte-Studien 10 (1997), 67-80. MENZEL, Alfred: Die Grundlagen der Fichteschen Wissenschaftslehre in ihrem Verhältnis zum Kantischen Kritizismus. Leipzig 1909. METZ, Wilhelm: Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991. DERS.: Fichtes genetische Deduktion von Raum und Zeit in Differenz zu Kant. In: FichteStudien 6 (1994), 71-94. DERS.: Die Bestimmung des Menschen nach Fichtes Wissenschaftslehre von ¡794-1798 im Ausgang von Kants Vernunftkritik. In: Fichte-Studien 16(1999), 137-150. MITTMANN, Jörg-Peter: Über die präreflexive Existenz meiner selbst. In: Sein-ReflexionFreiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes. Hrsg. von C.Asmuth. Amsterdam/Philadelphia 1997,159-171. DERS.:

290

Literaturverzeichnis

NEUHOUSER, Frederick: Fichte's Theory of Subjectivity. Cambridge 1990. NOLL, Balduin: Kants und Fichtes Frage nach dem Ding. Frankfurt a.M. 1936. OESCH, Martin: Das Handlungsproblem. Ein systemgeschichtlicher Beitrag zur ersten Wissenschaftslehre Fichtes. Hildesheim/Amsterdam 1981. PASCALE, Carla de: Das Problem der Vereinigung: intellektuelle Anschauung und produktive Einbildungskraft. In: Der Gnmdansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der FichteForschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996, 193204. PATON, Herbert J.: Kant's Metaphysic of Experience. A Commentary on the first Half of the „Kritik der reinen Vernunft". 2 Bde (zuerst 1936). 4.Aufl. London 1965. PERRINJAQUET, Alain: „Wirkliche" und „philosophische" Anschauung: Formen der intellektuellen Anschauung in Fichtes „System der Sittenlehre" (1798). In: FichteStudien 5 (1993), 57-81. DERS.: Intuition intellectuelle et conscience morale dans la phase de la WL nova méthode. In: Fichte-Studien 16 (1999), 151-165. PHILONENKO, Alexis: Die intellektuelle Anschauung bei Fichte. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981, 91-106. DERS.: Über die schöpferische Einbildungskraft bei Fichte. In: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Tagung des Internationalen Kooperationsorgans der Fichte-Forschung in Neapel 1995. Hrsg. von E.Fuchs und I.Radrizzani. Neuried 1996,158-177. PLATNER, Ernst: Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. Ganz neue Ausarbeitung. Erster Theil. Leipzig 1793 (Nachdruck: Bruxelles 1970). PRAUSS, Gerold: Erscheinung bei Kant. Ein Problem der „Kritik der reinen Vernunft". Berlin 1971. DERS.: Kant und das Problem der Dinge an sich. 2., verb. Aufl. Bonn 1977. QUINE, Willard van Omam: Ontologische Relativität und andere Schriften. Übers, von W.Spohn. Stuttgart 1975. RADERMACHER, Hans: Fichte und das Problem der Dialektik. In: Studium Generale 21 (1968), 475-502. DERS.: Fichtes Begriff des Absoluten. Frankfurt a.M. 1970. REICH, Klaus: Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel. 3.Aufl. Hamburg 1986. REINHOLD, Karl L.: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. Prag/Jena 1789 (Nachdruck: Dannstadt 1963). DERS.: Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. 2 Bde. Jena 1790/1794. DERS.: Briefe über die Kantische Philosophie. 2 Bde. Leipzig 1 7 9 0 / 1 7 9 2 . DERS.: Uber das Fundament des philosophischen Wissens. Hrsg. von W.Schräder. Hamburg 1978. RIPKE, Wilhelm: Über die Beziehung der Fichteschen Kategorienlehre zur Kantischen. Heidelberg 1913. RÖMELT, Johannes: „Merke auf dich selbst". Das Verhältnis des Philosophen zu seinem Gegenstand nach dem „Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre" (1797/98) von Johann Gottlieb Fichte. In: Fichte-Studien 1 (1990), 73-98. ROHS, Peter: Über die Zeit als das Mittelglied zwischen dem Intelligiblen und dem Sinnlichen. In: Fichte-Studien 6 (1994), 95-116. RORTY, Richard: Unkorrigierbarkeit als Merkmal des Mentalen. In: Analytische Theori-

Literaturverzeichnis

291

en des Selbstbewußtseins. Hrsg. von M.Frank. Frankfurt a.M. 1994, 587-619. SCHÄFER, Dorothee: Die Rolle der Einbildungskraft in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Köln 1967. SCHÄFER, Rainer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik. Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen (erscheint demnächst). SCHELLING, F.W.J.: Historisch-kritische Ausgabe. Im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayrischen Akademie der Wissenschaften hrsg. von H.M.Baumgartner et al. Stuttgart-Bad Cannstatt 19801T. DERS.: Sämtliche Werke. Hrsg. von K.F.A.Schelling. Stuttgart/Augsburg 1856FF. SCHRÄDER, Wolfgang H.: Empirisches und absolutes Ich. Zur Geschichte des Begriffs Leben in der Philosophie J.G.Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972. DERS.: Philosophie als System - Reinhold und Fichte. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Hammacher und A.Mues. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, 331-344. DERS.: Überlegungen zur sprachanalytischen und transzendentalphilosophischen IchTheorie. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981,107-117. [SCHULZE, Gottlob Ernst]: Aenesidemus oder über die Fundamente der von Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik. Hrsg. von M.Frank. Hamburg 1996. SCHÜSSLER, Ingeborg: Die Auseinandersetzung von Idealismus und Realismus in Fichtes Wissenschaftslehre. Frankfurt a.M. 1972. DIES.: Logik und Ontologie. Fichtes transzendentale Begründung des Satzes der Identität. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981,498-505. SEARLE, John R.: Geist, Hirn und Wissenschaft. 3.Aufl. Frankfurt a.M. 1992. SEEBOHM, Thomas M.: Fichtes and Husserl's critique of Kant's transcendental deduction. In: Husserl-Studies 2 (1985), 53-74. SHOEMAKER, Sydney: Selbstbezug und Selbstbewußtsein. In: Analytische Theorien des Selbstbewußtseins. Hrsg. von M.Frank. Frankfurt a.M. 1994,43-59. SlEMEK, Marek J.: Fichtes Wissenschaftslehre und die kantische Transzendentalphilosophie. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981, 524-531. SIEP, Ludwig: Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre von 1804. Freiburg/München 1970. SOLLER, Alois K.: Fichte - Vollender der Kantischen Transzendentalphilosophie? In: Philosophisches Jahrbuch 98 (1991), 114-132.

DERS.: „Mein System ist vom Anfang bis zu Ende nur eine Analyse des Begriffs der Freiheit". Eine problemorientierte Erörterung von Fichtes Anspruch. In: Philosophisches Jahrbuch 104(1997), 141-149. DERS.: Fichtes Lehre vom Anstoß, Nicht-Ich und Ding an sich in der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre". Eine kritische Erörterung. In: Fichte-Studien 10 (1997), 175-189. STAHL, Jürgen: System und Methode - Zur methodologischen Begründung transzendentalen Philosophierens in Fichtes „Begriffsschrift". In: Fichte-Studien 10 (1997), 99113. STIEHLER, Gottfried: J.G.Fichtes synthetische Methode als Keimform der Dialektik. In: Deutsche Zeitschrift fur Philosophie 10 (1962), 639-652. STOLZENBERG, Jürgen: Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung

292

Literaturverzeichnis

in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02. Stuttgart 1986. Fichtes Satz „Ich bin". Argumentanalytische Überlegungen zu Paragraph 1 der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von 1794/95. In: Fichte-Studien 6 (1994), 1-34. STRAWSON, Peter F.: The Bounds of Sense. An Essay on Kant's „Critique of Pure Reason". London 1966. DERS.: Kant's Paralogisms: Self-Consciousness and the „Outside Observer". In: Theorie der Subjektivität. Dieter Henrich zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Cramer et al. Frankfurt a.M. 1987, 203-219. TABER, John: Fichte 's Emendation of Kant. In: Kant-Studien 75 (1984), 442-459. TILLIETTE, Xavier: Erste Fichte-Rezeption. Mit besonderer Berücksichtigung der intellektuellen Anschauung. In: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K.Hammacher. Hamburg 1981, 532-543. DERS.: Geschichte und Geschichte des Selbstbewußtseins. In: Annalen der internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie - Jahrg. 1983. Köln 1983, 92-98. DERS. : Recherches sur l'intuition intellectuelle de Kant à Hegel. Paris 1995. TRÄGER, Franz: Auf dem Weg zu Fichtes Urparadoxie. Eine Überlegung zum Beginn der Wissenschaftslehre 1794. In: Perspektiven der Philosophie 14 (1988), 217-230. TROXLER, Ignaz P.V.: Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801-1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I.P.V.Troxler. Hrsg., eingel. und mit Interpretationen vers, von K. Düsing. Köln 1988. WEISCHEDEL, Wilhelm: Der frühe Fichte. Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft. 2.Aufl. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973. WEIZSÄCKER, Carl F. von: Kants „Erste Analogie der Erfahrung" und die Erhaltungssätze der Physik. In: Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln. Hrsg. von G. Prauss. Gütersloh 1973,151-166. WESTPHAL, Kenneth R.: Kants Urteilstafel. Zur Deutung von Reinhard Brandt. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 49 (1995), 84-91. WOLFF, Christian: Philosophiaprima sive Ontologia. In: Ders.: Gesammelte Werke. Abt. Π, Bd 3. Hrsg. von J.Ecole. Hildesheim 1962. WOLFF, Michael: Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel. Mit einem Essay über Freges Begriffsschrift. Frankfurt a.M. 1995. ZAHN, Manfred: Identité et synthèse dans la dernière philosophie de Kant et la Théorie de la Science de Fichte. In: Archives de Philosophie 27 (1964), 163-185. DERS.: Fichtes Kant-Bild. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60.Geburtstag. Hrsg. von K.Hammacher und A.Mues. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979,479-505. ZIMMERMANN, Bruno: Freiheit und Reflexion. Untersuchungen zum Problem des Anfangs des Philosophierens bei Joh. G. Fichte. Köln 1969. ZÖLLER, Günter: Die Einheit von Intelligenz und Wille in der „Wissenschaftslehre nova methodo". In: Fichte-Studien 16 (1999), 91-114.

DERS.:

Personen- und Sachregister Achelis 210 Akzidentien 5, 30, 81, 82, 90, 92, 93, 99,103,105,106,159,268,273 Analysis 127,138 Anschauung passim Apperzeption 4, 7, 11, 13, 15, 17-21, 26-28, 31-33, 36, 37, 40, 41, 43, 44, 47-53, 61, 66, 79, 80, 82-86, 127, 135, 136, 143, 148, 150, 159, 172174, 176, 215, 228, 230, 236, 244, 246,247, 256, 275,276,280 Aristoteles 131,133,143 Ästhetik 50, 83, 84, 160, 194, 205, 211,212,241 Bader, F. 46,54 Barion, J. 58,238 Baum, M. 19,151,242 Baumanns, P. 6,36,184 Beck, J.S. 136,216 Becker, W 5,20,67,234 Behler, E. 186 Bennett, J. 19 Bewegung 78, 120, 122, 187, 229, 259, 260, 262,265,266,269 Brachtendorf, J. 67, 71, 87, 102, 117, 183,203 Brandt, R. 45, 109,135,208 Breazeale, D. 109, 137, 140, 146, 199, 224 Cassirer, E. 176 Castañeda, Η.-Ν. 28 Cesa, C. 36,109 Claesges, U. 6,36,189,192

Condillac, E.B. 186,282 Cramer, K. 21,41 Crusius, C.A. 177 Davidson, D. 282 Deduktion 3, 6, 14, 17, 19, 28, 32, 48, 57, 58, 67, 70, 73, 74, 88, 102, 104, 120, 125, 131, 132, 134, 142, 147152, 156, 157, 161-164, 166, 167, 169-171, 173, 182, 185, 187, 191, 192, 194, 205, 207, 227, 239, 270, 280 Denken 1, 5, 15,16, 19,27, 30, 34, 36, 38-41, 55, 60, 76, 80, 83, 92, 128, 136, 141, 146, 150, 153, 159, 180, 197, 219, 221, 224, 226, 229, 235, 236, 240, 242, 244, 246-248, 253, 260, 264,266,268,269,278, 279 Dialektik 23, 32, 60, 65, 75, 78, 97, 140,144, 145,177, 232, 241, 242 Diderot, D. 186 Druet, P.-P. 203 Düsing, E. 34, 107, 140, 198, 202, 224 Düsing, Κ. 5, 6, 13, 20, 25, 27, 38, 60, 91, 101, 121, 123, 145, 152, 179, 189, 193,232,234,243,259,281 Duso, G. 56 Duyckaerts, F. 87,123,192 Ebbinghaus, J. 7,67,203 Eidam, H. 121,203 Einbildungskraft 3, 5, 6, 9, 14, 15, 31, 36,49, 51, 55, 57, 66, 87, 89, 95, 97, 102, 104, 106-112, 114-123, 142, 147, 148, 151, 152, 154-158, 161,

294

Personen- und Sachregister

169-171, 173-180, 182, 184, 185, 188-191, 193, 200-203, 206, 212, 213, 215, 240, 243, 258-263, 268, 269,271,273-275 Engstier, Α. 154 Ethik 197,241 Existenz 3, 5, 6, 14, 16, 18, 24, 36-39, 42-44, 51, 91, 94, 121, 123, 153, 189,195,198,259 Flach, W. 65 Franken, M. 6,31,87,141,150 Freiheit 1, 22, 30, 31, 35, 36, 45, 48, 49, 67, 72, 74, 114, 120, 140, 145, 161, 167, 179, 180, 182, 189, 197, 209, 210, 217, 223, 224, 229, 238240, 242,252,253,270,277,278 Fuchs, E. 22, 36, 74, 140, 146, 187, 217,219,240 Gegenwart 121 Geist 34, 51-53, 58, 60, 73, 74, 117, 119, 133, 137, 149, 154-156, 162, 173, 174, 179, 180, 184-189, 192, 193, 203-207, 213, 219, 227, 242, 259, 282 Geschichte 6, 12, 14, 32, 36, 42, 65, 104, 117, 145, 155, 179, 181, 185189, 191-194, 206, 209, 234, 258, 281,282 Gesetz 58, 89, 105, 129, 134, 148, 158,162,224,240,271 Gethmann, C.F. 65 Gimdt, H. 263,280 Gloy, K. 5, 21, 36, 41, 45, 77, 146, 234 Gott 12,46,47, 54,125,245,279 Gueroult, M. 56, 68, 87, 97,100,278 Hammacher, K. 2, 6, 8, 10, 32, 46, 54, 58, 78,94, 142, 146, 208, 221 Harris, E.E. 32

Hartkopf, W. 23, 97,140,145 Hartmann, N. 14, 129, 136, 146, 156, 192 Hegel, G.W.F. 3, 8, 27-29, 34, 36, 60, 64, 78,107,109,114,130,140,143145, 155, 183, 186, 187, 192, 193, 198,202,221,224,241-243,258 Heidegger, M. 5, 80, 155, 175, 243, 281 Heidemann, D. 41 Heimsoeth, H. 40 Henrich, D. 5,13,21,41,60,109,151, 177,184,231,232,234,236,280 Hensel, P. 4,68 Hiltscher, R. 45,65,72,184 Hohler, T.P. 241,246,256 Hölderlin, F. 59,60 Holz, H. 32, 65,145 Hume, D. 25, 50, 133, 134, 153, 154, 165,198,228,230,231 Husserl, E. 6,67,150 Inciarte, F. 31,120,121,182 Ivaldo, M. 32 Jacobi, F.H. 10,90,198,212 Jalloh, C M. 2, 31, 97, 136, 137, 213, 243 Janke, W. 6, 32, 54, 75, 87, 94, 121, 123, 140, 146, 150, 182, 184, 189, 203,233,243,259,278 Rabitz, W. 14,74,221 Kaehler, K.E. 15,60 Kategorie 3, 5-7, 9, 14-18, 32, 36-38, 48, 50, 52, 53, 79, 81, 88, 91, 94, 100, 104, 121, 123, 125, 127, 130137, 140-159, 161, 163-166, 169173, 185, 189, 193, 197, 207, 211, 230, 234, 244, 259, 263, 265-270, 272,273,275

Personen- und Sachregister Kausalität 56, 81, 82, 84, 88, 96, 97, 99, 100, 105, 109, 112, 113, 128, 129, 139, 143, 147, 153, 154, 157, 158, 161-163, 165-167, 169-171, 181, 197, 211, 228-231, 263, 266, 267,269-272,274,277 Klemme, H.F. 41 Klotz, C. 102,105,169,253 Körper 12,16,42 Krämer, F. 74,140,145 Kraus, E. 3 Kroner, R. 3,183 Krüger, L. 135,186 Lachs, J. 14,31 Lauth, R. 2, 3, 6, 36, 46, 54, 66, 142, 146,199,208 Leib 229,259,265,269,277 Leibniz, G.W. 15,177 Leopoldsberger, J. 4,29,140 Liang Zhixue 146 Limitation 73, 78, 81, 87, 112, 118, 267 Lindner, K. 1 Loewe, J.H. 7 Logik 16, 17, 24, 25, 28, 32, 37, 38, 41, 49, 52, 53, 60, 63, 73, 83 , 84, 114, 117, 124, 126, 128, 131, 133135, 139-141, 143, 144, 148, 150, 153, 156, 163, 164, 166, 176, 179, 192,199,241,242,275,276 Lütterfelds, W. 5,41,72,234 Maimón, S. 10, 26, 58, 59, 102, 131133, 153, 154, 165, 168-170, 199, 271 Meckenstock, G. 31, 102, 141, 142, 150,191 Menzel, Α. 3, 67 Metaphysik 5, 7, 32, 50, 52, 60, 80, 109, 117, 124, 126, 128, 139, 144, 145, 150, 155, 156, 163, 164, 166,

295

173, 175, 179, 184, 187, 193, 231, 232,234,236,241,243,280 Metz, W. 3, 14, 31, 66, 87, 147, 166, 212 Natorp, P. 13 Negation 71, 73, 74, 79, 81, 89, 112, 144,200,204,233,254 Neuhouser, F. 14,28,45, 233, 239 Noll, B. 7,45,184,203 Oesch, M. 30,65,72 Pascale, C. de 240 Patón, H.J. 20 Perrinjaquet, A. 240,241,246 Person 16,42,217,259 Philonenko, A. 8 Plainer, E. 12,186,187,273 Platon 145 Prauss, G. 49, 91,151 Qualität 94, 98, 99, 126, 131, 141, 143,147 Quantität 76, 82, 90, 91, 93, 94, 100, 118,131,141,147 Quine, W.O. 282 Radermacher, H. 64,144,208 Rahn, M.J. 210 Raum 3, 7, 40, 55, 119, 120, 122, 129, 132, 137, 150, 151, 153, 155, 156, 166, 168, 175, 179, 196, 204, 210, 212,216,217,260, 267, 271 Realität 6, 48, 50, 51, 54, 62, 69, 71, 73, 74, 81, 87-90, 92-94, 97, 100, 102, 103, 112, 118, 142, 147, 150, 153, 154, 156, 157, 163, 190, 196, 200, 201, 204, 211-213, 238-240, 242 Reich, K. 84,134,135

296

Personen- und Sachregister

Reinhold, K L. 10-12, 22, 23, 28, 29, 34, 36, 55, 61, 77, 80, 82, 83, 85, 130-133, 140, 166, 180, 189, 190, 196, 198, 199, 212, 220, 221, 227, 281 Rezeptivität 6, 11, 36, 37, 150, 176, 180-182, 193, 195, 196, 220, 244, 245 Ripke, W. 6, 87, 97,166,173 Rohs,R 233,272 Römelt, J. 233 Rorty, R. 16 Sartre, J.-P. 28 Schäfer, D. 89,97,120,191 Schäfer, R. 242 Schelling, F.W.J. 32, 47, 58, 60, 64, 65, 145, 187, 192, 193, 199, 205, 224,238,241 Schema 5, 21, 77, 146, 152, 155, 190, 194,267,268,272 Schräder, W.H. 14,22,28, 58 Schulze, G.E. 10, 12, 29, 190, 196, 199,203,281 Schüßler, I. 31,106,141, 202, 258 Searle, J.R. 53 Seebohm, T.M. 6,150 Shoemaker, S. 233 Siemek, M.J. 10 Siep, L. 60 Sinnlichkeit 5, 15, 39, 50, 61, 84, 121, 152, 174-176, 180, 185, 186, 193, 195, 198,204,210,212,244,267 Sittengesetz 49,238-241,269 Soller, A.K. 3,182,203,209 Spontaneität 4, 6, 11, 14, 25, 33, 3537,41,73, 80, 95-99, 101, 118, 158, 167, 172, 176, 179-183, 191, 240, 244,246,247,269 Sprache 16,47,206 Stahl,! 72, 187 Stephani 180

Stiehler, G. 65, 146 Stolzenberg, J. 8,22,26, 62, 221 Strawson, P.F. 19,41 Subjekt passim Substantialität 5, 81, 87, 88, 92, 94-97, 99, 100, 102, 104-106, 112, 113, 115, 116, 139, 157, 158, 161-163, 165-167, 169, 171, 200, 206, 253, 265,267-270,273 Substanz 5, 17, 18, 30, 32, 37, 47, 60, 71, 81, 86, 88, 90-96, 99-103, 105, 115, 116, 158, 160, 163, 164, 167172,206,261,268-270,273,281 Synthesis passim Taber, J. 5,42 Tathandlung 26,28-31,34,35,42-45, 51, 52, 54, 56, 57, 60, 63, 67, 72, 159, 182, 185, 191, 218, 219, 249, 264, 276,279,280 Tilliette, X. 8,188,221,243 Troxler, I.P.V. 144,145 Ursache 12,45-47, 81, 84, 98, 99, 128, 143, 154, 162, 166, 170, 171, 177, 197, 200, 210, 211, 230, 259, 265, 267,271,272 Verbindung 4, 14-16, 18, 20, 21, 25, 27,61,78,81,85, 99,118,122,130132, 140, 142, 149, 153, 158, 163, 164, 167-169, 172, 225, 229, 244, 256,257,262,266-268,273 Vergangenheit 121 Verstand 5, 6, 33, 40, 46, 49-51, 117, 127, 134, 136, 148, 150, 152, 158, 162, 171, 174, 176-180, 185, 193, 195,205,243-245 Wechselbestimmung 139,147,200

82, 87, 88, 96,

Personen- und Sachregister Wechselwirkung 18, 42, 48, 81, 82, 112, 138, 157, 158, 162, 163, 166, 224,265,267,269 Weischedel, W. 31, 67, 72, 114, 120, 209 Weißhuhn, FA. 1,210 Weizsäcker, C.F. von 91 Westphal, K.R. 135 Wirklichkeit 37, 38,48,147,212 Wirkung 1, 12, 45, 95, 99, 143, 152, 154, 157, 162, 166, 171, 175, 194, 196, 210, 231, 263, 267, 270, 271, 277 Wolff, C. 177,268

297

Wolff, M. 135 Zahn, M. 2,3,27,66,208 Zeit 1, 3-8, 21, 22, 26, 37, 39, 40, 48, 49, 60, 84, 90, 91, 119-122, 129, 137, 150, 151, 153, 155, 156, 158, 160-163, 165, 166, 175, 179, 180, 193, 195, 196, 198, 204, 210, 212, 217, 225, 230, 233, 241, 262-264, 267,268,271-273 Zenon 260 Zimmermann, Β. 22 Zukunft 121,237

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jürgen Mittelstraß, Dominik Perler und Wolfgang Wieland

Axel Mueller

Referenz und Fallibilismus Band 52. 2001. 23 χ 15,5 cm. X, 454 Seiten. Leinen. • ISBN 3-11-016955-X

Andreas Blank

Der logische Aufbau von Leibniz' Metaphysik Band 51. 2001. 23 χ 15,5 cm. XII, 170 Seiten. Leinen. • ISBN 3-11-016878-2

Wolfgang Schneider

Ousia und Eudaimonia Die Verflechtung von Metaphysik und Ethik bei Aristoteles Band 50. 2001. 23 x 15,5 cm. XIV, 338 Seiten. Leinen. • ISBN 3-11-016901-0

Doris Vera Hofmann

Gewißheit des Fürwahrhaltens Zur Bedeutung der Wahrheit im Fluß des Lebens nach Kant und Wittgenstein Band 49. 2000. 23 x 15,5 cm. IX, 277 Seiten. Gebunden. • ISBN 3-11-016570-8

Dieter Teichert

Personen und Identitäten Band 48. 2000. 23 χ 15,5 cm. VII, 344 Seiten. Leinen. • I S B N 3-11-016405-1

WALTER DE GRUYTER GMBH & CO. KG Genthiner Straße 13 · 10785 Berlin Telefon +49-(0)30-2 60 05-0 Fax +49-(0)30-2 60 05-251 www.deGruyter.de

de Gruyter

Berlin • New York

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jürgen Mittelstraß, Dominik Perler und Wolfgang Wieland

Titus Maria Horstschäfer

,Über Prinzipien' Eine Untersuchung zur methodischen und inhaltlichen Geschlossenheit des ersten Buches der Physik des Aristoteles Band 47. 1998. 2 3 χ 15,5 cm. XIV, 524 Seiten. Leinen. • ISBN 3 - 1 1 - 0 1 6 2 8 2 - 2

Burkhard Hat'emann

Aristoteles' Transzendentaler Realismus Inhalt und Umfang erster Prinzipien in der „Metaphysik" Band 46. 1998. 23 χ 15,5 cm. XI, 3 5 7 Seiten. Leinen. • ISBN 3 - 1 1 - 0 1 6 1 3 5 - 4

Marcel Weber

Die Architektur der Synthese Entstehung und Philosophie der modernen Evolutionstheorie Band 45. 1998. 2 3 χ 15,5 cm. XVIII, 325 Seiten. Leinen. • ISBN 3 - 1 1 - 0 1 5 8 9 3 - 0

Stephan Meier-Oeser

Die Spur des Zeichens Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der frühen Neuzeit Band 44. 1997. 23 χ 15,5 cm. XX, 4 8 3 Seiten. Leinen. • ISBN 3 - 1 1 - 0 1 5 5 2 6 - 5

Klaus Petrus

Genese und Analyse Logik, Rhetorik und Hermeneutik im 17. und 18. Jahrhundert Band 43. 1997. 23 χ 15,5 cm. VIII, 245 Seiten. Leinen. • ISBN 3 - 1 1 - 0 1 5 3 9 4 - 7

WALTER DE GRUYTER GMBH & CO. KG Centhiner Straße 13 · 10785 Berlin Telefon +49-(0)30-2 60 05-0 Fax +49-(0)30-2 60 05-251 www.deGruyter.de

de Gruyter

Berlin * New York