Anzahl, Zahl und Menge: Die phänomenologischen Grundlagen der Arithmetik 9783787325610, 9783787305797

Anzahlen sind immer Anzahlen von etwas, niemals nur Anzahlen von. Ausgehend von diesem einfachen Grundgedanken, erörtert

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German Pages 140 [154] Year 1983

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Anzahl, Zahl und Menge: Die phänomenologischen Grundlagen der Arithmetik
 9783787325610, 9783787305797

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Albert Grate Anzahl, Zahl und Menge Die phänomenologischen Grundlagen der Arithmetik

PARADEIGMATA 3

PARADEIGMATA Die

Reihe

Paradeigmata

präsentiert

historisch-systematisch

fundierte Abhandlungen, Studien und Werke, die belegen, daß sich aus der strengen, geschichtsbewußten Anknüpfung an die philosophische Tradition innovative Modelle philosophischer Erkenntnis gewinnen lassen. Jede der in dieser Reihe ver­ öffentlichten Arbeiten zeichnet sich dadurch aus, in inhaltlicher oder methodischer Hinsicht Modi philosophischen Denkens neu zu fassen, an neuen Thematiken zu erproben oder neu zu be­ gründen.

Albert Grote, geboren 1898, studierte in Freiburg bei Husserl und Geyser Philosophie, in Greifswald beiJacoby und Rehmke. In Göttingen war er Schüler von Nelson, Hilbert und insonder­ heit von Hans Lipps. Nebenbei promovierte er in Göttingen zum

Dr. med.

und

übernahm

späterhin

die

Leitung eines

Krankenhauses. 1935 veröffentlichte Grote eine Arbeit über die Funktion der Copula. In ihr wurde die Doppelheit der Komponenten einer jeden Erwartung aufgewiesen. Ausser Aufsätzen in philosophischen Zeitschriften erschie­ nen

1972, wiederum

bei

Felix

Meiner,

seine "Grundlagen

einer Phänomenologie der Erkenntnis". Hier werden die bei­ den Modi der Existenz, das Vorhandensein und das Vorkom­ men gegeneinander herausgestellt.

Albert Grote

Anzahl, Zahl und Menge Die phänomenologischen Grundlagen der Arithmetik

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprüng lichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-0579-7 ISBN eBook: 978-3-7873-2561-0

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1983. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany.  www.meiner.de

INHALT

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Kapitel I. Das Eine und das Andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

II. Das Aggregat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , . . . . . . .

9

. . . .

22 22 30 35 36 40 46 50

IV. Das Vorhandensein und die Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

V. Das Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

IV. Die synthetischen Urteile apriori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7"8

VII. Die Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

VIII. Das Sachnomen und der Plural . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

111.

Frustrane Versuche des Anzahlverstehens A . Mill, Bain, Lange . . . . . . . . . . . . . . . . B. Helmholtz, Kronecker, Dedekind . . . . . C. Natorp . . . . . . ... ... D. Hobbes, Locke, Leibniz . . . . . . . . . . . . E. Schröder, Husserl . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Jevons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G . Frege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX. Das So etwas und die Zahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 02 X. Anhang: Abbildhafte Erfassung von Mehrheiten . . . . . . . . . . . 1 1 4 Namenregister Sachregister

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1 36 1 38

VORWORT

Anzahlen sind immer·Anzahlen von etwas. Man kann Anzahlen addieren ( 5 Äpfel und 2 Äpfel sind sieben Äpfel). Aber man kann nicht Anzahlen mit Anzahlen multiplizieren ; nicht 5 Äpfel mit 2 Äpfeln, nicht Gegenständliches mit Gegenständlichem und so auch nicht Mengen mit Mengen. Womit multi­ pliziert man, und was ist die Anzahl? Und wie ist es möglich , Multiplikand und Multiplikator zu vertauschen? Darüberhinaus ist es bei der Division so , daß man einen Bruch in zwei­ facher Weise lesen kann. Man kann sehen daraufhin, wie oft im Zähler ( als einer Anzahl) der Nenner ( auch als Anzahl) enthalten ist und erhält dann im Resultat ein Wieoft. Das aber ist keine Anzahl, sondern ein Verhältnis von Anzahlen. Umgekehrt kann man den Zähler (als eine Anzahl) im echten Sinn teilen. Der Teiler ( also der Nenner) ist keine Anzahl von etwas. Durch eine Anzahl von etwas kann man nicht teilen. Wohl aber ist das Resultat dann eine Anzahl. Die Resultate sind in beiden Fällen grundverschieden. Trotzdem rechnet mit dem Resultat (der Zahl) in dieser Ambivalenz der Mathematiker in absolut exakter Weise. Was ist also die Zahl? In dieser Problematik fällt auch der Versuch die Arithmetik auf einer Mengenlehre aufzubauen in sich zusammen. Eine analoge Problematik bricht schon im gewöhnlichen grammatischen Plural auf. Wenn ich sage: In die sen Kasten gehören Erb sen, so geht es ja nicht um individuelle bestimmte Erbsen. Und auch nicht (wie es eine land­ läufige Meinung ist ) um Begriffe. Begriffe gibt es ja nur als Einmaliges ; und B egriffe kann man auch nicht in einen Kasten legen. Was ist also das, was im Plural zusammengefaßt wird? Dem soll in dieser Arbeit nachgegangen werden. Für die Hilfe bei der Korrektur und bei der Erstellung von Namen- und Sach­ register danke ich Frau E. Leuschner und für sein Verständnis und seine Hilfs­ bereitschaft Herrn R. Meiner. Dr. A. Grote

ANZAHL, ZAHL UND MENGE Die phänomenologischen Grundlagen der Arithmetik

Kapitel I DAS EINE UND DAS ANDERE

Es ist ein höchst merkwürdiges Faktum , daß die Menschheit seit Urzeiten rechnet und mit Zahlen umgeht ; und trotzdem auch heute noch die Mei­ nungen darüber, womit man denn nun eigentlich rechnet, und was die Zahl ist, auseinandergehen. Die Frage nach dem eigentlichen Wesen der Zahl ist auch jetzt noch weitgehend offen. Und das, obwohl die Mathematik den Anspruch erhebt und Anspruch darauf hat, als die exacteste und weittra­ gendste aller Wissenschaften zu gelten. Man weiß wohl, daß dies und dies und dies zusammen eine Anzahl aus­ macht. Aber was denn nun eine Anzahl ist oder gar eine Zahl, ist weitgehend o ffen geblieben. Wie weit man davon entfernt ist , zeigt sich daran , daß man versuchte die Arithmetik auf einer Mengenlehre ( die auch eine durchaus exacte Wissenschaft ist) aufzubauen und daraus zu verstehen . In der natürlichen Umwelt hat der in ihr Lebende mit Gegenständen zu tun, die, in sich abgeschlossen, für sich allein so aufzugreifen sind ; zu festen Grup­ pen sachlich geschlossen sich zu stellen vermögen oder auch in blossen Kon­ glomeraten anfallen . Auf all das, und jedes davon vermag man in der Wahr­ nehmung ( und auch vorstellend) den Finger zu legen in einem hindeutenden und vorerfassenden dies ; und es so festzulegen. (Und im Fall der Wahrneh­ mung auch einen anderen mitteilend darauf zu verweisen. ) Solch Bestimmtsein durch ein dies ist vom qualitativen Gehalt des so bestimmten unabhängig. Es ist rein pragmatischer Natur und kein subjekts­ unabhängiger Charakter. Es ist belanglos , ob das hinweisende und so fixierende dies auf ein Ding oder ein Gefühl, ein Konkretum oder Abstrak­ tum abzielt, ob um ein geometrisches Gebilde oder eine Zahl es sich handelt ; oder überhaupt um das Totum der Welt schlechthin, in einem emphatischen Geöffnetsein auf ein dies A lles. Auch auf Stoffe ( "die Milch", "das Gold") oder Arten ( "der Löwe und der Tiger sind Säugetiere") , die als solche nicht individualiter oder quantitativ gefaßt und nur qualitativ durch ihren Sachge­ halt bestimmt sind und so sich von anderen Sto ffen und Arten unterscheiden und absetzen , kann ich derart verweisen und sie in den Griff bekommen. Und ebenso vor allem auch eine Leere oder das absolute Nichts. Es ist so, daß der besondere ( de"ictische) Charakter des dies derselbe ist, gleichgültig, ob es sich um Individualia oder Generalia handelt. Und das unterstreicht den objektunabhängigen Charakter des dies. Und daß es nicht so etwas ist wie ein abstrahierend gewonnenes Residuum. Wie das dies ist auch das Etwas formales Korrelat eines Hindeutens. Das dies ist in ihm latent . In ihm ist das dies auf die bloße Möglichkeit, es als dies zu

Das Eine und das A ndere

4

erfassen, hin entaktualisiert. Es ist etwas, das in einem dei"ctischem

dies

gefaßt werden kann und in der Möglichkeit dazu gegenständlich festgewor­ den ist. Von dorther erhält das

Etwas

seinen formalen Gehalt; als eine

dies - deixis terminierend. Etwas ist (wie das dies) an sich

selbst qualitätslos. Aber gerade so,

unvollzogene Das

weil es sich nicht aus der Gegenweltlichkeit her sich gibt, sondern nur leeres Korrelat bloßer vitaler Intention ist, kann schlechthin alles mit ihm bezeich­ net und angegangen werden. Und gerade so an allem Qualitativen sich auf­ füllen; und auftreffen auf das, durch das in ihm latente Dies. In dieser quali­ tativen Offenheit ist es offen für alles und jedes von dem und kann in seiner sachlichen Leere jeden gegenständlichen Gehalt in sich aufnehmen. Man kann sogar iterierend von dem

Etwas

als von einem Etwas reden.

Auch das ist eben etwas. Aber es gilt nicht das Umgekehrte. Der Charakter des

Etwas

(bzw. Dies ) als solcher, als formaler sachlich leerer Zielpunkt eines

hindeutenden Meinens kann nicht entfallen, man kann nicht von ihm ab­ sehend abstrahieren, wenn man überhaupt meint; und das ist: Wenn man überhaupt etwas meint. Das ist im Wesen hindeutenden Meinens, das eben ein

Hin

deuten ist, vorgegeben (oder - wenn man will - ist mit seinem

Begriffe schon angesetzt). Man kann von etwas alle seine Qualitäten abstra­ hierend fortfallen lassen, nicht dagegen seinen Charakter als Etwas.1

Es

würde einem sonst aus der Hand gleiten. Das leere Etwas ist Reflex eines sub­ jektgebundenen Pragmas. Ohne das würde eine völlige Leere resultieren, in der nichts auf nichts angesprochen wäre und werden könnte, nicht einmal auf ein "Nichts". Das

Etwas

ist derart auch nicht so etwas, wie ein qualitatives Residuum,

nach Abblassung aller seiner objektiv-sachlichen Spezifikationen. Es wird aus einer ganz anderen Sphäre her manifest, als der des lediglich Anfallenden: Auch das absolute Nichts kann unter die Supposition des Etwas geraten, trotzdem es ja nichts von ihm selbst ist (z. B. "Das Nichts ist

etwas

anderes

als etwa eine Taschenuhr").2 Das

Etwas

ist kein objektiv anfallender Befund, wie ein Blau oder ein

Rot oder ein Dreieck. Es ist als solches lediglich der an sich leere (wenn auch

1 Das Etwas-sein und das Gegenstand-sein (auch das qualitätsleere) vermögen auf das­ selbe Sachliche zu gehen. Trotzdem ist die Supposition, unter der es dann angegangen wird, in beiden Fällen eine verschiedene. Der Möglichkeit des pragmatischen A nrii hrens in einem F alle steht gegenüber das Hinnehmen als zur leibhaften Begegnung anste­ hend. (Auch wenn dies nicht realisierbar ist, wie bei einem unmöglichen Gegenstand oder der als ein ens tamquam verum genommen wird). cf. dazu : Grote, Grundlagen einer Phänomenologie der Erkenntnis, Harnburg 1 9 7 2 , Kap. 111. 2 Man wende hier nicht ein, daß ein solches absolutes Nichts ja nur durch Abstreichen von qualitativ geflilltem Gegenständlichen gemeint werden könne; und daß ihm so eine Art negativen Gehalts zukäme. Das würde eine Verwechslung von Begriff und Begriffsgegenstand sein. Das gegenständliche Nichts ist an sich seinem qualitativen Gehalt nach eben doch lediglich nichts. Es hat keine eigene sachliche Eigenschaft, von der man abstrahieren könnte, all enfalls die, keine zu haben.

Das Ein e und das A ndere

5

sachlich auffüllbare) , nur durch das Hindeuten bestimmte Zielpunkt eben dieser Intention. Es ist vorgängig rein formal schon aufgetan in eine Zukunft, dem vitalen , bedürfenden Ausgerichtetsein in eine Welt ; wie es dem Lebendi­ gen notwendig eigen sein muß ; wenn anders das überhaupt Bestand haben will . Das Etwas ist qualitätsleer, nicht entleert. Es ist qualifiziert lediglich als Modus und Korrelat lebendiger Ausrichtung und unselbständig ihr zugehörig. Von allen Qualitäten , Beschaffenheiten und Relationen läßt sich abstra­ hieren . Nicht so der Etwascharakter des Etwas. Wohl auch der deictische Hinweischarakter im Dies und das generell anfallende So im Soetwas , nicht aber das Etwassein überhaupt . Man würde bei dem Versuch immer wieder auf das Etwas stoßen , von dem das Etwassein ausgesagt wäre . Das Etwas ist der leere, aber auffüllbare Reflex des Geöffnetseins in die Welt, ohne einen sonstigen sachlichen Gehalt. Es ist auch nicht wie eine Qualität oder Beschaf­ fenheit einer Abschwächung oder Verstärkung fähig. 3 Das Dies geht vom Ich aus ; das Etwas auf das Ich hin. Als ein Dies ist etwas vom Subjektiven her gesehen. Als ein Etwas fällt es vom Objektiven her an ; es macht im erwarten. den Bedürfen das Wesen lebendigen Erkennens aus und ist nur dessen Wider­ schein. So kann man wohl sagen "dies Etwas", ab er nicht "etwas dies" ; wohl aber etwas, das "wie dies" ist. Das Dies kann nicht als Prädikat auftreten . Neb en dem , worauf als auf ein Dies mah ausgerichtet ist, ist mit diesem lebendigen Geöffnetsein unter einem möglichen Wandernlassen der Ausrich­ tung der Blick freigegeben auch auf seitabliegendes Anderes neben ihm ; im begrifflichen Festhalten auch weiterhin das Dies daneben. Das Dies und sein A nderes kommen in einem dynamischen Nebeneinan­ der in Sicht, im übergehen von einem aufs andere. Aber das Dies ist nicht begrifflich auf das A ndere angewiesen. Es kommt in einer intentio directa in Sich t ; nicht in einem relationalen Übergang, von einem als objektiv Hinge­ nomme�en auf ein Anderes. Sondern gründet pn'mär und unmittelbar im erwartend-b edürfenden Ausgerichtetsein des Lebendigen in die Welt. Es hat absoluten Charakter als bloßer Zielpunkt eines Hindeutens und ausrichten­ den Zufassens und ist an sich sachlich und qualitativ leer. Im Übergang von einem Dies wird das A ndere getragen und wird so demgegenüber gegen­ ständlich fest. Wie denn auch das Dies selbständig in sich zu stehen vermag; . keineswegs ab er dasAndere. Rein empirisch ist es auch so , daß beim Auszählen eines Konglomerats sehr differenzierter und differenter Gegenständlichkeiten man keineswegs erst von den qualitativen Besonderheiten abstrahiert und explizite von anderen Gegenständen absetzt ; sondern daß man sie in einem dies und dies und das anrührt und zusammenfaßt. Von vorgängiger Abstraktion ist hier

3 Das Etwas ist iterierbar in infinitum. Zugleich aber würde ein Versuch von ihm zu

abstrahieren , sich in einem Regressus in infinitum totlaufen.

Das Eine und das A ndere

6

wahrhaftig nichts zu sehen. Man zählt zusammen, worauf man den Finger legt; in einem deic!ischen Dies .

Das Erfassen im

Dies

ist unmittelbar. In solchem Erfassen ist etwas zu einem

in sich Festen geschlossen und nur auf das bezogen. Es ist nicht angewiesen auf ein sich-Absetzen von einem Anderen; wie wenn das Dies und das A ndere schlicht Korrelate wären und nur in ihrem Gegeneinander zu sich selbst kämen. Es ist qualitätslos auch in der Art, wie nicht von außen her, von An­ derem aus, es zu sich selbst kommt und aus dem her verstanden wird; son­ dern auf sich selbst hin orientiert bleibt. Der Grundcharakter �es Dies (oder

Etwas )

ist vom Boden eines deictischen Pragma aus zu verstehen, nicht von

dem einer, wenn auch noch so unbestimmten, objektiven Qualifikation. Wie nicht durch Abstraktion von Qualitativem wird auch das

Dies

nicht

erst aus einem ihm korrelaten Anderem und mit dem zusammen und zugleich verstanden. Aber ich kann bei einem Festhalten an ihm den Blick wandern lassen auf ein

Dies

neben ihm. Ich kann nach etwas von ihm gegenständlich

Getrennten, von ihm abgesetzt Selbständigen greifen, als einem Andern;

gleichgültig, ob das leibhaft in der Wahrnehmung, oder in der Vergangenheit oder Zukunft oder auch nur in einer bloßen Vorstellung überhaupt liegt. Und das so dann im Hinblick auf seine gesonderte Greifbarkeit als ein von ihm

Verschiedenes

sich stellt.

Solch unter mein Belieben gestelltes

Wandernlassen

des Blicks im behal­

tenden Festhalten am ursprünglichen Dies und so im in-Sicht-bringenkönnen eines Neuen ist von Bedeutung für das Verstehen von Verschiedenheit. Ein solches Nebeneinanderliegen im Blickfeld würde eine Gesamtgestalt in Sicht bringen, die lediglich qualitativ differenziert wäre. Aber nicht aus von sich aus gegeneinander Selbständigem bestünde. Und auch ein nacheinan­ der Auftreten und sich-Verschieben gegeneinander der Qualien würde wohl ein vorgangartiges sich-Ändern dieser Gesamtgestalt ausmachen, nicht aber diese Qualien als für sich Selbständige zur Gegebenheit bringen und gegenein­ ander absetzen. Man mag das hier Gemeinte ganz grob mechanisch sich veranschaulichen: Wenn man die Intention auf ein Dies, etwa das Gerichtetsein des Sehstrahls auf ein Gegenständliches hin, sich ersetzt denkt durch das Hindurchsehen

durch ein enges Sehrohr auf eine figural gefärbte Fläche hin, so wird beim unbemerkten Verschieben dieser Fläche eine qualitative Änderung des von mir Gesehenen eintreten, aber nicht ein neues Gegenständliches phänomenal

sich stellen. Und ebenso ist es, wenn (unbemerkt) solches Sehrohr mit mir zusammen passiv in seiner Richtung geändert wird. Auch dann würde nur ein sich-Ändern eines gegenständlich Seiben phänomenal resultieren. Auch bei einem ins Bewußtseintreten solch passiver Sehstrahlverschiebungen würde nur ein komplexeres vorgängliches sich-Ändern von Qualitativem sichtbar werden, nicht aber ein gegenständliches sich-Absetzen von diesem und jenem gegeneinander. Erst wenn es durch mein aktives, freiwillentliches Aufsuchen,

Das Eine.und das A ndere

7

in seinem Erscheinen in mein Belieben gestellt ist und genommen wird, gibt es sich als gelöst vom Vorgänglichen, bereitliegend zur Präsenz und als in sich selbständig. Nicht lediglich aus Objektivem her, durch bloßes Anfallen, son· dern unter derartigem zugreifenden Hindeuten kommt etwas zu seinem in sich abgeschlossenen Selbst. Nicht ein objektives Anfallen, sondern ein prag· matisches Aufgreifen ist das a priori von Dies und Jenem; tragend ist die frei­ willentliche Beliebigkeit des Erfassens ( cf. Albert Grote , Die Grundlagen einer Phänomenologie der Erkenntnis, Harnburg 1 9 72, Kap. 111). Vom festhaltenden, b ehaltenden dies vermag unter Wandernlassen der ausrichtenden Intention ein davon verschiedenes, anderes Dies in Sicht zu kommen. Ohne das würde nur ein qualitativ strukturiertes Ganzes und ein sich-Ändern desselben sich stellen. Erst auf dem Boden des pragmatisch so sich konstituierten Verschiedenseins kann etwas auf Unterschiede hin auch nur befragt werden, und in qualitativen Differenzen sich unterscheiden. Nicht vom Qualitativen her, und auf sachliches Unterscheiden hin ist Ver­ schiedenheit zu verstehen. Verschiedenheit ist nicht auf vergleichende Unter­ scheidung zu reduzieren. Unterscheidung setzt vorgängig Verschiedenheit als gesonderte Greifbarkeit voraus ; schon um vergleichen zu können. Alle sach­ lichen Unterscheidungen und Unterschiede bauen sich auf gegenständlicher Verschiedenheit erst auf. Intentionales Verschiedensein und relationales Un­ terschiedensein liegen in differenten Sphären und sind nicht aufeinander zu reduzieren. Sie stehen in ihren Manifestationsrichtungen senkrecht aufein­ ander. Das Dies oder Jenes oder das Etwas sind nicht qualitativer Natur, nicht aus dem Obj ektiven her anscheinende Charaktere. Auch Ununterscheidbarkeit ist noch nicht Dieselbigkeit: Bei völliger qua­ litativer und raum-zeitlicher Koinzidenz würden zwei verschiedene Gegen­ stände, auch bei völligem sich-Durchdringen nicht allein dadurch schon zu einem seihen Gegenstand werden. Das "Koinzidieren" und ineinander Auf­ gehen weist auf eine gegenständliche auch-Selbständigkeit hin. Das Anderes­ sein und das Anderssein sind d urchaus different; trotzdem sie etymologisch und qualitativ nahe beieinanderliegen. Ununterschiedenheit setzt rein begriff­ lich schon Verschiedenheit voraus. Unterscheiden kann man nur verschie­ denes, in seiner Verschiedenheit Vorgegebenes. Das in der de'ictischen Verschiedenheit sich-Abspreizen von diesem und jenem vermag unter gegenständliche Supposition zu geraten. Man vermag auch darauf als auf ein Gegenständliches sich auszurichten. (Wie schon daran sich zeigt, daß m an hier von ihm sprechen kann.) Während die Ausrichtung auf dasDies oder auch dasjenes rein de'ictisch ist, von mir auf ein Gegenständ­ liches hindeutend unmittelbar, ist es nun so, daß dies und jenes gegenüber­ liegend in einem rein objektiven Bezogensein aufeinander sich zu stellen ver­ mögen. Solch Verstehen aufeinander ist nun nicht mehr unmittelbar von mir auf das Objekt gerichtet ; sondern von diesem auf jenes hin ( oder umge­ kehrt) ; derart , daß es im absetzenden Gebundensein an ihm und mit ihm heranscheint.

Das Eine und das A ndere

8 An einem

Jenem

wird dann das sich-Absetzen von einem

Dies

bestim­

mend fest, wie eine qualitative Relation, aber das stellt sich dann als ein

Anderes.

Es ist nicht unmittelbar, begegnet nicht einfach in ·deictischer

Intention. Es wird verstehbar erst im Gegensatz zum Dies, das in ihm nun konstitutiv mit heranscheint. Das

Dies

(und

Jenes)

ist wohl ohne Bezug auf

ein Anderes verstehbar; es ist primär nicht auf ein Anderes, korrelativ abge­ setzt von ihm, bestimmt. Vom Anderen aber gilt das gerade nicht. Das (ebenso wie das Jenes und das Etwas) hat pragmatischen Wert,

Dies das Andere

dagegen einen sachlich fundierten, relationalen Charakter.4 Das ist hier ähnlich wie im Fall des Nich t. Das Nicht ist ei:n echtes Funk­ tionale (wie das "nur", "aber", "sondern" etc.). Es hat im Gegensatz zu den Relationspartikeln (nach, bei, durch, vor etc.) keinen echten gegenständ­ lichen Sinn. Es kann mit ihm nichts Gegenständliches, auch nicht eine gegen­ ständliche Relation, bezeichnet werden. Es hat nur eine im Vollzug eines Satzes nnd aus dem verstehbare abschiebende Funktion; nicht die Bezeich­ nung von etwas, das im Objektiven als ein Verhältnis von Sachen schlicht besteht. Das erklärt auch die universelle Anwendungsmöglichkeit der Nega­ tion, die einen jeden sachlichen Gehalt von jedem Etwas abschieben kann. Gleichwohl kann unter einem Suppositionswechsel das Nicht in den Sachge­ halt von etwas eingehen und den bestimmen oder mitbestimmen. Es vermag z.B. ein Satz "Schnee ist nicht rot (oder nicht Rotes)" überzugehen in "Schnee ist nicht-rot (bzw. Nichtrotes)"; und das so aus einer rein logischen Sphäre in die des sachlich-Objektiven einzuwechseln als ein konstitutives Moment. In der Verschiedenheit und im Anderen ist ein abschiebendes Nicht latent. Dem Dies steht das Andere gegenüber und setzt sich von ihm ab, als ein von ihm Verschiedenes. So fällt es nicht einfach vom Objektiven her schlicht an: Das Dies und ein zu ihm Anderes können je für sich selbst gegeneinander stehen als voneinander Verschiedenes; sie können aber auch, in einem Sup­ positionswechsel, als zusammengeschlossene Einheit in einem nun neuen

Dies

sich stellen; worin das ursprüngliche Dies und sein Anderes lediglich

qualitative figurale Konstituentien sind. Verschiedenes mag'je für sich, oder auch miteinander in einem dies faßbar sein, nach meinem Belieben. Sie kom­ men als Verschiedenes zu ihrem Sein (über ein lediglich phänomenales, psychologisches Begegnen hinaus) in der Möglichkeit, so faßbar und fixierbar zu sein. Wir können ein Selbes als eine Einheit und als Aggregat oder eine ·Mehrheit fassen, ein Ding in vier selbständige Teile teilen, und ein Wort als ein Ganzes nehmen oder als eine Reihe einzelner Buchstaben.

4 Das Nichtsehen dieser Differenz von Etwas und einem Anderen ist ausschlaggebend fiir Rickerts "Das Eine, die Einheit und die Eins".

Kapitel

li

DAS AGGREGAT5

Man kann ausgerichtet sein auf dies oder dies oder j enes ; oder auf überhaupt irgendetwas. Und iCh kann weiterhin mich ausrichten (wahrnehmend oder in der Vorstellung oder beiden zugleich) auf dies und dies und jenes ; und das dann mir gegenüber haben in Konglomeraten. Solch Konglomerate können in sich geschlossen sein und so gegenüberliegen als feste Gestaltungen und Einheiten: Als Dinge etwa oder als aktuelle oder nur mögliche Erlebnisse ; und auch als eventuell sehr komplizierte Gegenständlichkeiten aus beiden B ereichen, wie sie attributiv einen sprachlichen Ausdruck finden können. Die Qualien haben hier als sachliche Teilstücke eines Ganzen, auf das man ausge­ richtet ist, ihre Position, in konstituierender Unselbständigkeit. Es werden so vom gemeinten Ganzen aus die Konstituentien des Konglomerats verstanden. Diese Konstituentien können aus ihrer objektiven Gestaltung gelöst und im Absehen auch von ihrem qualitativen Gehalt als bloße Konglomerate genom­ men werden im Sinne des Dies oder Etwas. Solche Elemente sind dabei ohne eigenen sachlichen Gehalt und Sinn und werden hier lediglich nur noch als Konstituentien einer Gruppe oder eines Konglomerats und· im Hinblick darauf genommen ; als Korrelat eines hindeu­ tenden Festhaltens, gleichgültig welcher qualitativen Artung. Das , was aus dem Anfallenden als Element und das, was derart als Aggregat gefaßt wird , ist in meine Hand gelegt und unter mein Belieben gestellt. Und gibt sich nicht einfach vom Objektiven her. Es ist nicht etwas von sich aus Element, sondern wird das erst unter der Möglichkeit eines Zusammenfassens und als Zielpunkt eines sich-Ausrichtens. Diese Elemente können aus ihrem sachlichen Zusammenhang (etwa einer Kugel , die schwer, b lau etc. , wie sie in qualitativer Geschlossenheit seiner Konstituentien gegenüberliegt) gelöst und summierend als Menge aufgegrif­ fen werden. Im Gegensatz zu den ein Ding konstituierenden Qualien, die in das Ding hinein ihre Selbständigkeit verloren haben, stehen die Elemente der Menge selbständig nebeneinander ; sie sind erfaßt und vorerfaßt deictisch unter einem Dies (bzw. Etwas). Und diese Deixis genügt, um sie als Elemente einer Menge zu haben und zu halten. Es ist nicht einfach so , daß aus dem objektiv Anfallenden sie durch Abstraktion von allem Qualitativen erst (oder 5 Der zunächst dafür sich anbietende Terminus "Mehrheit" wurde absichtlich hier noch vermieden: In der ersten Silbe des Wortes scheint schon ein Selbes herauf, wovon es das "Mehr" ist ; das Mehrfache von etwas, das zugleich als dasselbe aufgegriffen wird. Aber das ist beim bloßen Aggregat noch nich t der Fall ; ein derart Allgemeines kommt so noch nicht in Sicht. Es wird anläßlich des Plurals darauf zurückzukommen sein.

10

Das Aggregat

schon) erhalten würden oder zu erhalten wären. Es könnten Löwen, Äpfel, das Mitleid , die imaginäre Zahl und das absolute Nichts 6 derart zu einer Menge zusammengefaSt sein ; aber wovon sollte das Mitleid, die imaginäre Zahl und das absolute Nichts abstrahiert sein? (Auch wenn sie identifizierbar von anderem gehalten wären.) Es bliebe zurück nur der bloße Gegenstands­ charakter, ihre Gegenständlichkeit, als formales Korrelat einer Intention und leerer Zielpunkt eines Hinweisens, wie das in einem "Dies" sprachlichen Ausdruck finden kann. Schon etymologisch verweist das Wort "Gegen­ stand" nicht auf einen sachlichen Gehalt, sondern in beiden Silben auf eine Position als Widerlager eines Sich-ausrichtens. Die Elemente einer Menge sind derart primär, ohne eigenes Quale , auch so , daß sie unabhängig sind von ihrer Konstellation zueinander und ihrer unterschiedlichen Gestaltung und Qualifikation ihrer Elemente ; die so auch nicht konstitutiv in sie eingehen. Die Elemente sind in ihrer Reihung lediglich unter mein Belieben gestellt, als Reflexe eines ( subjektiven) Pragmas. Und haben nicht einen vom Objektiven her zufallenden Sinn. Sie sind hinsichtlich einer möglichen Qualifikation bloße Leerstelle . Sie sind nicht als erstes, zweites etc. von sich aus für mich da. Solche Konglomerate sind als Mengen ohne innere Struktur. Ihr gegenständlicher Wert ist rein formal und wird erhalten und gehalten nicht abstrahierend vom Qualitativen her, sondern als formales Korrelat eines Hindeutens , wie auch ohne diesen Zusammenhang das Etwas , cf. oben . Sie haben , von dem getragen, ihre Substanz als unselbständiges Moment solchen Pragmas, solchen vitalen Vordrängens und Zugreifens in die Welt . An sich selbst qualitätslos, vermögen sie sich aber gerade so, an all und jedem sich sachlich aufzufüllen. In dieser qualitativen , wenn auch auffüllbaren Leere scheinen sie leiblich aus der Welt zurück und werden so , als gegenüberliegend, gegenständlich fest . Das unter einem Dies oder Etwas Angerührte läßt sich zusammenfassen in solchem gegenseitigen beliebigen Absetzen gegeneinander ; mit anderem derartigen zu einer Menge 7 sensu strenuo . Die formalen Besonderheiten des 6 Auch auf ein absolutes Nichts läßt sich , gleichsam mit dem Finger, in einem "Dies" hindeuten. Daß ein solches Nichts psychologisch und methodisch nur von einem Anderen aus faßbar und abgrenzbar ist, ändert nichts daran, daß es an sich und seinem Quale nach eben nichts ist. Und auch so gemeint ist und nich t in dem Um· greifenden sein Sein hat. 7 Der Ausdruc k "Menge" soll hier und im Folgenden gebraucht werden in Anlehnung an die Mengenlehre, nicht in der handelsüblichen Form, wie er lediglich als ein Zweit· ausdruck flir Quantitäten überhaupt genommen wird , etwa wenn man von einer Was­ sermenge redet, oder einer großen Menge Schießpulver. Nicht auch im Sinne einer unbestimmten Anzahl. So etwas wie Anzahligkeit kommt hier noch nicht in Sicht. Sondern als Menge im Sinne Cantors etwa: "Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten unserer An· schauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen". (Georg Cantor, Mathem .Annal . 46 , 189 5 , s. 481 ) .

Das Aggregat

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Dies und Etwas gehen dabei in das so als Menge Gefaßte ein und sind in ihr tragend. Und mit ihnen auch deren formale Leere in ihrer möglichen Auf­ füllbarkeiL Sie ist nicht durch Abstraktion aus umweltlieh Begegnendem zu gewinnen: Eine abgegrenzte farbige, in Farbflecken differenzierte und konsti­ tuierte Fläche etwa wird durch Abblassen der Farben und Absehen von denen nicht zu einem Aggregat konturierter Einzelheiten, sondern bleibt diese Fläche als , wenn auch in sich nur qualitativ verwandeltes, einheitliches Ganzes. Und umgekehrt kann ich jede voll abstrakte lediglich aus deictisch Angerührtem bestehende Menge qualitativ auffüllen im zugleich und zusam­ men von in buntem Durcheinander zu einem geschlossenen Konglomerat (wenn auch unterschiedlicher) Gegenstände zusammenfassen ; ohne daß der Mengencharakter als solcher tangiert wird. Auch die Menge, als formale, in ihrer Gänze, ist derart unabhängig vom empirisch Anfallenden. Daß eine Menge als ganze auch qualitativ tingiert sein kann , etwa als Gruppe, Haufen, Rudel etc. ändert nichts an ihrer formalen Grundstruktur, sowenig wie die qualitative Tinktion ihrer Elemente.8 In der Menge sind das Etwas oder das Dies latent und tragend. Von sich aus ist nicht irgendein Objektives eine Menge. Es vermag dasselbe aufgegrif­ fen zu werden als ein Aggregat Einzelner oder dieses Aggregat als in sich ge­ schlossenes Einzelnes ; ohne eine Änderung des qualitativen Gehalts , so wie das von sich aus anfällt. Und es ist so, daß ein Umweltliches, etwa farbig, in sich Differenziertes in einheitlicher Gestaltung, als Ganzes sich zu stellen vermag ; ohne daß die eingebauten Farbflecken dabei in selbständigem Gegen­ einander aufdringlich sind , sondern , daß sie qualitativ einen Gesamtaspekt ausmachen ; ohne Hinblick auf ihre mögliche Isolation in einem Dies. Wesentlich für die Menge sensu strenuo ist das in-sich-selbst-Stehen der Elemente gegeneinander, und daß sie keine äußere oder innere Gestaltung formieren (bzw. daß von der abgesehen ist). Die Teilstücke etwa eines Dinges sind ·als solche nicht Elemente einer Menge, auch wenn im Absehen von der Dinggestaltung sie auch so in Sicht kommen können. Als Teile eines Dinges haben sie ihre Selbständigkeit verloren in das Ding hinein ; das nun die ge­ genüberliegende Einheit geworden ist (und so wieder Element zu werden vermag etwa einer neuen Menge oder aber Teil eines Dingzusammenhanges; oder im Ablauf eines Vorgangs). Die Gesamtheit je für sich selbständiger Elemente wird in solchem getrennten Zusammen als Menge gegenständlich fest zu einer fest in sich geschlossenen Einheit. Die Komponenten des (wie von sich aus anfallenden) sachlich gestalteten Konglomerats sind in ihm unselbständig und stellen sich nur als dessen Teile. Durch ihre Position im Ganzen sind sie auch figural mitbestimmt und derart, 8 Durch die sachliche Beladung des Dies (oder Etwas) wird mit dem Sachwort ein Trif­ tigkeitsbereich freigegeben , auf den hin dann das "Dies" zutreffen kann : Ein Bereich , auf den die Deixis je eingeengt wird. Je mehr das Sachwort sich sp ezifiziert, um so kleiner wird der Begriffsumfangf oder unter anderem Aspekt, sein Triftigkeitsbereich.

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eben als diese Teile, auch qualitativ gehalten. (Wenn auch psychologisch für uns - wohl immer die Möglichkeit scheint, sie je isoliert zu nehmen. Das ist anders, wenn man von den Komponenten aus das Ganze angeht. Die Komponenten stellen sich hier, als in sich selbst stehende Elemente , die unabhängig sind vom Ganzen und selbständig gegeneinander und nebenein­ ander stehen. Von denen her wird hier das Ganze gesehen und ruht auf und in ihnen: Als Menge sensu strenuo . Dem in seiner qualitativen Aufgliederung gestalthaft als ein Ganzes aufge­ griffenen Konglomerat (z.B. einem Dinglichen) steht gegenüber die Art, wie es von seinen Komponenten aus in den Blick kommt und voa denen aus auf die hin verstanden wird. Es wird etwas (dasselbe Objektive) in verschiedener Weise angegangen in beiden F ällen: Vom Ganzen aus auf seine in ihm unselb­ ständigen Teilstücke hin oder aber umgekehrt von den Elementen aus auf deren Gesamtheit zu. Das eine geht von einer Ganzheit aus, das andere termi­ niert auf eine Gesamtheit hin. Einen Obergang vom einen zum andem gibt es nicht ; wohl aber ein Umschlagen der Ausrichtung, unter dem die Konglo­ merate angegangen werden in je Verschiedenes hinein. Man vermag von den Besonderheiten der Komponenten weitgehend ab­ zusehen bis in das sachlich leere (lediglich deictische) Etwas oder Dies hinein. Doch kann man das je objektiv Anf�lende unter eine seiner Eigenschaften stellen und es so einengend zusammenfassen: Zu einer Gesamtheit etwa der in meinem Zimmer vorhandenen Gegenstände ; oder aller roten oder runden ; oder auch zu einer Gesamtheit aller Etwas überhaupt ; etc .. Das Quale dieser Etwas bleibt dabei (wie eingeklammert) beiseite liegen. An ihm aber formt sich der Sinn der Sachworte, unter denen etwas faßbar wird ; und von denen es, es so bezeichnend , getroffen werden kann. Und derart auch zu Triftig­ keitsb ereichen je solcher Worte zusammen gehalten wird. Die in ihren Elementen deictisch gegründete Sachüberhobenheit der Mengen sens.stren. gibt den Weg frei in ein System formaler Abhängigkeiten, das wohl auf empirische Befunde ausgerichtet ist , aber dennoch nicht in ihnen gründet oder gar in ihne n aufgeht. Das ist in seiner formalen Struktur a priori. Oder, wenn man will: pragmatisch , vom Erkennenden aus an Hand gegeben und den Zufälligkeiten der Erfahrung entzogen. Derart ist es so, daß ein spezifischer Anzahl-oder Mengencharakter sol­ chen Konglomeraten nicht von sich aus eigenschaftlieh zukommt wie etwa eine Qualität oder eine B eschaffenheit (rot, hart etc.) oder eine besondere sachliche Konstitution. Es scheint in ihm die Methodik eines Aufgreifens von umweltlieh anfallenden Discretis zurück. Er ist dessen Reflex aus dem Gegen­ weltlichen her; und Anzahl und Menge haben aus dieser subjektiven Mög­ lichkeit her ein auch objektives Sein , als ein formaler Charakter der Welt. Aber sie sind als pragmatisch Zusammengehaltenes von sich aus , im eigent­ lichen Sinne , nichts in ihr. Solche Aggregate discreter Elemei!te können als Mengen fest zusammen werden und so aus der Welt her sich geben, und so dann auch als geschlossene Ganze.

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Mengen werden von ihren Elementen getragen. Das objektive Gestelltsein ihrer Elemente zueinander wie ihre sachliche Qualifikation ist belanglos dabei ; und es ist gleichgültig, in welcher Reihenfolge sie aufgegriffen und gebunden werden , und das ist lediglich unter mein ( subjektives) B elieben gestellt. Sie sind echte, bloße Aggregate und zunächst nichts darüber hinaus. Aus dieser Gegenständlichkeit her gegeneinander besteht die Möglichkeit, sie den Elementen anderer Mengen anzubinden und zuzuordnen in je eindeu­ tiger Zuordnung, die auch ruckläufig eine ein-eindeutige Zuordnung sein kann. Ich kann jedes Element einer solchen Menge irgendeinem9 Dies einer anderen Gruppe zuordnen ; derart , daß es diesem und nur diesem und dieses nur ihm beigegeben ist. Ich vermag so auch ein solches System abzubilden auf ein anderes hin , in einem "gleich groß" ; oder, wenn eine solche Deckung durch Zuordnung nicht erreicht wird , in einem "kleiner" oder "größer". Man vermag so solche Mengen in Bezug auf ihre Größe zu bestimmen und zu ver­ gleichen. In einer methodisch zusammenbindenden Deixis von "Dies und Dies und Dies" zu einem Aggregat bleib t das Quale der Elemente von vornherein als belanglos b eiseite liegen. Das bedingt es, daß in sachüberhobener De'ixis alles und jedes beriihrt und unter ihr gebunden sein kann zu einem formalen Gan­ zen , das erst aus ihr her und schon aus ihr seine Konstitution erhält. Das bedingt es auch , daß die Mengenbezeichnungen, die bei uns weitgehend durch Anzahlausdrücke ersetzt sind ( aber das nicht prinzipiell brauchen: Dutzend , Zentner, Tonne , Sack etc. ) , schlechthin übertragbar sind, auf be­ liebige Objekte in den verschiedensten Anordnungen und Gruppen . Ledig­ lich eine differente qualitative Beladung dieser Elemente über den gegen­ ständlichen Wert des Dz'es oder Etwas hinaus vermag einen solchen Zusam­ menschluß zu blockieren, und das Stellen unter ein sachhaltiges Substantiv die Triftigkeit einzuengen. 1 0 ( So etwa: Alle Kugeln , alle roten oder blauen Kugeln ; alle Dreiecke , alle spitzwinkligen oder alle stumpfwinkligen Dreiecke etc. ) Man vermag alle Gegenständlichkeiten derart einem Standardaggregat zuzuordnen , sowohl ihrer Art nach (Menschen , oder aber Bäume, oder aber Tugenden je für sich. Wie auch unabhängig von ihrer spezifischen Artung. Also Menschen und Bäume und Tugenden und mathematische Beweise ; als bloße Gegenständlichkeiten. Dabei können die beiden einander zugeordneten 9 Dies ,.irgendein" hat hier noch den Wert eines unbestimmten Artikels, der auf sach­ lich qualitativ Konstituiertes hinweist; hat noch nicht Anzahlcharakter etwa im Sinne des ,.eins". Eine Anzahlreihe kommt hier noch nich t in Sicht und scheint nicht an ihm heran. Sowie denn auch in farbig oder tonal differenzierte Reihen es weiter ver­ weisen könnte. Daß man es unter Supposition der Anzahlenreihe auch als ,.eins" aufgreifen kann, macht es an ihm selbst noch nicht zur Anzahl. 10 Es handelt sich hier nicht einfach um einen abstrahierenden Vorgang. Die Deixis und eine sachliche Abstraktion sind Verschiedenes. Das deictisch Erfaßte ist genuin, doch kann man es sachlich aufladen. Im Gegensatz dazu ist das Abstrahieren ein Abbauen sachlicher Gehalte.

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Aggregate sich gegenseitig ab sättigen. Sie können gleichgroß sein (bzw. gleichviel Elemente enthalten oder nicht: Kleiner oder größer sein). 1 1 Innerhalb dieser pragmatisch zusammengehaltenen Bereiche von etwas ist es für diese Komponenten belanglos, ob darüberhinaus sie sich qualitativ unterscheiden ; ausschlaggebend ist für sie lediglich, daß sie voneinander verschieden sind und in dieser gegenständlichen Verschiedenheit und nur in dieser Verschiedenheit unter einem Dies aufgegriffen werden oder werden können. Man kann Mengen vergleichen. Und jedes in einem Dies faßbare Element einer solchen Menge eineindeutig zuordnen den Elementen einer anderen, die von mir festgehalten wird als eine Standardmenge. Und so mit einem "eben­ sogroß", oder "gleichmächtig" oder "kleiner" bzw. "größer" ein eindeutiges Resultat erhalten. Das ist von großer praktischer Bedeutung. Ich kann mne­ motechnisch Mengen mir so festhalten und auch anderen Menschen Mittei­ lung mit solchen Standardmengen, sofern sie ihm bekannt sind, machen über Konglomerate, die ihm nicht sichtbar sind. Und mit einer solchem Konglo­ merat zugeordneten Gruppe , die ich ihm zeigen oder mit Worten heraufholen kann, ihm die Größe solchen Konglomerats an Hand geben. Das ist im alltäg­ lichen Leben ein außerordentlich häufiger Fall. Dabei ist es belanglos, wel­ cher Art die zum Vergleich herangezogene Standardmenge (oder die Reihe solcher Standardmengen) ist ; ob das Alphabet, eine Tonleiter, eine Zahlen­ reihe oder überhaupt konstante Mengen äußerlich faßbarer Gegenstände und Zeichen. Das Standardaggregat , auf das hin irgendwelche Konglomerate bestimmt und zugeordnet werden, ist unabhängig von den Qualien des Stan­ dardaggregats. Lediglich , daß es in sich fest und bekannt ist, ist erforderlich. Das ist etwa auf einigen Südseeinseln so. 1 2 Es werden hier für die zu zählen­ den Elemente Steinehen beiseite gelegt, je 10 dann durch ein Holzstückehen ersetzt und weiterhin 1 0 Holzstückehen durch ein größeres. Um nichts anderes handelt es sich bei den bis in die Neuzeit hinein in Rußland gebrauch­ ten Rechenbrettern ; oder bei den Kreidestrichen , wie sie bei uns auch jetzt noch in kleineren Gastwirtschaften für getrunkenes Bier durch Striche ange­ schrieben werden. (Auch die römischen Ziffern sind ja noch Rudimente solcher.) Es ist auch belanglos, welcher Art die Relation ist , durch die eine solche Zuordnung erfolgt ; wenn nur sie dieselbe ist bei all diesen Doppelbindun-

1 1 Der Ausdruck "gleichzahlig" - den man häufig dafür verwendet findet - sei hier noch vermieden, um nichts zu präjudizieren. Doch scheint das Wort gleichviel oder gleichgroß unbedenklich. 12 E. B. Tylor, Einführung in das Studium der Anthropologie und Civilisation, Braun­ schweig 1 8 83 , S. 3 7 6. Insonderheit sei dazu auch auf die im A nliang von mir angeführten Sprachbeispiele hingewiesen, auf die große Zahl von Varianten abbildender Mehrheitsmitteilungen (die der linguistisch nicht Interessierte aber beiseite lassen kann).

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gen .'3 (So etwa kann ich eine Anzahlenreihe auf eine andere hin abbilden, die von ihr konstant durch ein oder zwei Elemente verschieden ist.) Ausschlaggebend ist die Selbständigkeit der Elemente und die Konstanz des jeweiligen Standardaggregats. Das erlaubt eine exakte Bestimmung von Mengen aufeinander und ist Grundlage eines relationalen Systems von Men· gen . Der quantitative Wert von Mengen gegeneinander ist so bestimmbar und zu übertragen. Man kann derart hinsichtlich des formalen Charakters abstrakter Mengen auch von einem Enthaltensein von Mengen ineinander, der kleineren in der größeren, sprechen. Dabei ist es dann so, daß die Elemente der kleineren in den entsprechenden der größeren Menge aufgehen und ineinander überge· hen: Also nicht etwa nur additiv sich eingliedern , sondern verschmelzend eins werden miteinander; und im Abgleiten des zeigenden Fingers von einem aufs andere sich eingleichen. Während so die Elemente der einen Gruppe in die der anderen eingegli· chen werden, und die kleineren Mengen ihre Elemente in die größere umfas­ sende Menge verlieren, ist das anders , wenn die je kleineren Mengen elemen­ tarisch als nun neue in sich feste Einheiten zusammengefaSt werden in einer umfassenden Menge von Mengen. Auch Mengen können wiederum als Eie· mente einer übergeordnete n Menge auftreten. 14 Ich kann Mengen von Mengen bilden und erfassen. Aber es besteht dann doch eine Differenz zwischen den Modis unter denen in beiden Fällen das Menge angegangen und aufgegriffen wird . Eine Menge ist das , was sie als solche ist, explizite ; sie hat im Nebenein· ander ihrer für sich selb ständigen Elemente ihr eigentliches Sein. Das macht ihr Wesen aus. Das verschiebt sich , wenn eine Menge ihrerseits wiederum als Element ( einer anderen Menge) genommen wird . Die Menge wird getragen von ihren Elementen als ihren Teilen ; im Element aber kommen die Teile wiederum dieses Elementes gerade nicht mehr zum Tragen. Das bestimmt, auf gleicher objektiver Grundlage , die Struktur der Menge von Elementen gegenüber der von Elementen einer Menge . Es handelt sich bei gleichem ob· jektivsachlichen Gehalt um verschiedene (verschieden aufgegriffene) Gegen1 3 Frege läßt daher auch das "Wie " der zuordnenden Beziehung für seine Ableitung der Anzahl in einem I{) offen. (Wenn Husserl in seiner Polemik gegen Frege behauptet, daß es dann soviele zweien, dreien, fünfen geben müßte, wie es zuordnende Beziehungen gäbe , so ist das schlechthin falsch) . 1 4 Jede Menge von Elementen kann wiederum Element einer neuen Menge werden. Doch gilt nicht das Umgekehrte : Nicht jedes als Element Verstandene läßt sich wie­ derum in Elemente zerlegen. Zwar einen Farbfleck, aber nicht eine Farbe kann man so zerteilen ; auch nicht einen geometrischen Punkt, der an sich ja keine Qualität und keine Ausdehnung hat ; oder den Sinngehalt eines funktionalen Synkathegorematicon (nicht, obwohl, doch, aber etc. ) . Die aber ihrerseits durchaus zu einer Menge, hier einer Dreiermehrheit (also Farbe, Punkt, Synkathegorematicon) zusammengeschlos­ sen sein können.

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ständlichkeiten in beiden Fällen, die, wohl leicht ineinander zu übersetzen, dennoch nicht identisch sind, sondern verschiedene Strukturen haben. Die als Element genommene Menge stellt sich in ihm nicht mehr in ex­ pliziter Mengenform; nicht so, wie sie

als aus sich heraus diskrete Menge sich

manifestieren würde. Gegenüber der eigentlichen Mengenstruktur von "Dies und Dies und Dies" gibt sie sich nun in einem schlichten, einfachen

Dies ;

dessen Komponenten dann nicht mehr in offner Selbständigkeit nebenein­ ander liegen, sondern zur Einheit geschlossen in die bloße Möglichkeit, sich aus ihr zu entfalten, aufgehoben sind. Die quantitative (und in ihr wesenhafte) Dispersion der ursprünglichen Menge sinkt, wenn sie selbst als Element einer Menge genommen wird, ab in qualitativen Gehalt. Sie macht dann dessen begriffliches

Was

aus. Element

einer Menge und diese Menge als solche sind prinzipiell Verschiedenes; auch wenn sie in demselben Realen oder überhaupt demselben Objektiven ihre Basis haben, und ihre Existenzbehauptung an dem sich auch rechtfertigen würde. Es sind, auf demselben Boden, je verschiedene Gegenständlichkeiten, mit denen man es hier zu tun hat in beiden Fällen, in je verschiedenen Struk­ turen sich Stellendes. Sie sind charakterisiert und strukturell bestimmt durch etwas, was gerade je das andere nicht ist. Daß man unter einem Blickwechsel je das eine in das andere überführen ·kann, ändert daran nichts; und nicht die so motivierte Synonymie im "Menge von Mengen" etwas daran, daß hier Verschiedenes getroffen wird. Das Element einer Menge enthält nicht unter gleichem Wortsinn diese Menge selbst.

Das

Umschließende ist nicht zu gleicher Zeit auch das Einge­

schlossene. Eine Menge, die sich selbst als Element enthält, ist ein Stück hölzernes Eisen. Auch wenn sie selbst nur aus einem Element besteht, bleibt dennoch ein Suppositionswechsel hier latent und tragend. Das ändert sich auch nicht dadurch, daß ich die Menge ausweite auf ein

alle

hin; und auch hier die Frage aufwerfe, ob in einer so konstituierten

Menge nicht auch (im Hinblick auf das enthalten sei. Es gibt nicht die Menge

alle) aller

diese Menge selbst als Element Mengen, die sich selbst als Ele­

ment enthalten. (Es zeigt sich das - unter anderem Aspekt - auch im Paradoxon von der Menge

aller

Mengen, welche sich nicht selbst enthalten: Die Menge

M

der

Mengen, welche sich nicht selbst enthalten, müßte entweder sich selbst ent­ halten oder nicht. Enthielte sich

M

selbst, dann wäre es nicht die Menge der

Mengen, welche sich nicht selbst enthalten. Enthielte es sich aber nicht selbst, .dann wäre

M

eine Menge, welche sich nicht selbst enthält, d.h. sie enthielte

sich selbst. "What ever involves all of a collection cannot be one of the collection".) Wenn man eine Menge abgleiten läßt in die Position eines Mengenele­ ments, stellt sich statt ihrer eine nun

neue

Menge, in der die ursprüngliche

Menge als konstitutives Element eingeschlossen ist. Das Wort ,,Menge" hat in beiden Fällen einen verschiedenen gegenständlichen Wert. Rein Objektives

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wird in beiden Fällen verschieden angegangen und aufgegriffen ; und in ver­ schiedenen Strukturen fest. 1 5 Konstitutiv in Aggregaten ist das unter ein "und" gestellte Gebundensein von in einem Dies faßbaren Elementen. Aggregate haben an sich quantita­ tiven Charakter und sind als Quantitäten Antwort auf die Frage nach dem Wieviel von etwas in realer und möglicher ( auch ideeller) Existenz. Aber es gibt nicht auch das Umgekehrte. Quantitäten brauchen sich nicht in Aggre­ gate zu differenzieren. Sie brauchen sich nicht in Discretis zu geben und kön­ nen trotzdem quantitativen Charakter haben. Quantität ist ein Existentiale: Je das Wieviel von etwas , das da ist oder dasein kann. Die Menge ist ein Quantum ; doch nicht jedes Quantum ist ein Aggregat oder eine Menge ; besteht nicht wie die aus gegeneinander selb­ ständigen Elementen. Als bloßes Quantum braucht es in seiner Größe nicht von konstutiven Elementen her und auf die hin verstanden und gesehen zu werden. Es wird dann in seiner Größe von außen her ergriffen und b egriffen. Solche Quanten oder quantitativ erfaßten Konglomerate stellen von sich aus sich nich t anzahlhaft oder als Mengen sensu strenuo und brauchen auch nicht auf Anzahlhaftigkeit oder Menge ihrer Komponenten überhaupt nur befragt zu werden , um sie in ihrem Sosein oder ihrer Größe zu verstehen. Die Quantitätserfassung eines Quantums ist nicht auf die Präkonzeption einer Anzahlen-oder Mengenreihe angewiesen , die etwa hier lediglich noch nicht entwickelt wäre. Ein Wasserquantum in einem Gefäß wird in seiner Größe (normaliter) nicht erfaßt in der Menge einer Anzahl seiner Teile , also etwa der Menge oder der Zahl z.B. seiner es konstituierenden Moleküle. Nicht von dem aus, was ihm eigen ist , sondern von etwas ihm Fremden: Vom Gefäß aus , das das Wasser enthält und es zusammenhält. Analoges gilt für "Stoffe" sensu strenuo überhaupt (also etwa Milch, Alkohol, Mehl, Zucker, Schießpulver und dergl. ) , die als homogen hingenom­ men und so sich unterscheiden gegenüber Konglomeraten etwa von dinglich Diskreten ; und die in ihrem Wievz"el lediglich künstlich , von ihnen als Sol­ chem Fremden aus, (durch Ab teilen, Messen , Wiegen etc. ) faßbar werden. Sie kommen an sich nur in Gesamtaspekten in Sicht. Auch solche Gegeben­ heiten wie Wärme , Helligkeit, elektrische Ladungen sind in sich undifferen­ ziert und nur durch etwas, das nicht zu ihnen gehört , durch Meßinstrumente und physikalische Apparaturen von außen her in ihrer Quantität und ihren quantitativen Relationen in Sicht zu bringen. 1 5 Es konstituiert sich übrigens unter dem "alle" nichts auf sich selbst gestellt Faßbares. Sondern es wird ein Vorgegebenes relational beurteilt ; nicht existential aufgegriffen. So kann ich denn auch nicht sagen "Es gibt alle Rosen" , und auch nicht "Es gibt jede Rose". So wie ich sagen kann "Es gibt einige oder viele oder unendlich viele Rosen". (Es sei denn ich wandelte den Satz in ein Existentialurteil um : ,.Aber Rosen sind etwas , das es gibt" .)

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Ebenso wird die Größe einer Farbfläche in ihrer Quantität sinnvoll ver­ standen über ihre b loße Präsenz hinaus nur im Vergleich zu einer von ihr Unterschiedenen , sei es in einem "größer", "kleiner" oder "ebensogroß" ; jedenfalls aber von einem anderen, das als für sich selbst selbständig genom­ men wird. (Doch kann das sachlich auch ein Teil von ihr sein und ihr ent­ nommen und von ihr abgesetzt.) Und ähnlich ist es mit der Intensität eines Tones , die je auch quantitativen Charakter hat, doch zu dem erst aufbricht gegen Intensitätsgrade hin von anderem, die nicht zu dem gehören, worauf man hier ausgerichtet ist. Ähnlich ist das auch bei Gefühlen (Mitleid, Liebe, Haß); die in ihrer (ja quantitativen) Stärke je als Ganze nur erlebbar sind ; die nicht in genuinen Graden in sich differenziert sind und in denen sich summieren. Sondern komparativ abgestellt sind auf je andere ihrer Art. Und so von denen , als für sich Selbständigen und Anderen ihrer Art , von außen her in ihrer Quantität fixierbar und verstehbar sind. Auch Discreta können von außen her, von etwas das nicht zu ihnen gehört, vom Objektiven her zusammengehalten sein. Während bei der Menge sensu strenuo die Elemente durch ein und verklammert und zusammengeJaßt wer­ den zu einem Ganzen, ist es dann so, daß von einem vorgegebenen Ganzen aus die Elemente als dem zugehörig und das bestimmend verstanden werden . Wenn ich einen Sack oder einen Zentner Weizen kaufe, geht es mir nicht um die Menge der einzelnen Körner ; sondern um das Quantum , wie es von dem "Sack voll" zusammengehalten wird . Ebenso ist , wenn ich einem Bettler eine Handvoll Goldstücke gebe (oder Kieselsteine oder ein Gemisch von beiden), deren Wieviel dann nicht durch ihre Anzahl mir bestimmt, sondern wie von außen her durch die umschließende Hand. Und das bedeutet nicht einfach nur eine unbestimmte Anzahl, sondern exakt diese "Handvoll". Wie man die auch durch Maß und Gewicht exakter ausdrücken könnte. Ohne daß dabei die Anzahligkeit der erfaßten Elemente in Sich t zu kommen braucht ; von außen her gleichsam und doch quantitativ. Es ist auch nicht so, daß solche Discreta durch äußerlich Faßbares zu­ sammengehalten sein müßten, um q uantitativ sich zu stellen: So ist das so etwa, wenn ich beim Essen mir Kartoffeln auf den Teller lege. Ich zähle sie mir dann nicht ab und bin auch an deren Anzahl nicht interessiert. (Es sei denn, ich sei Diabetiker oder in einer Abmagerungskur begriffen .) Sondern nehme mir soviel, daß ich genug habe davon. Die Quantität ist hier nicht bestimmt durch die Anzahl oder Menge sensu strenuo , sondern als "genug" durch den Grad meines Hungers , und das, trotzdem es sich um eine (mehr oder weniger große) Quantität von in sich abgeschlossenen Gegenständlich­ keiten handelt. Der größenmäßige Wert solcher Quantitäten wird nicht vom Objektiven her bestimmt, sondern subjektiv vom (jeweiligen!) vitalen Bedür­ fen. Trotzdem hat er durchaus quantitativen, auf eine Quantität hin abge­ stellten Wert, wie daran sich zeigt, daß neben dem "genug" ein "zuviel" oder

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ein "zuwenig" steht. Unmittelbar in vitalem , nicht in vergleichendem Bezug, wird hier etwas quantitativ erfaßt, ohne doch in einer Anzahligkeit in Sicht zu kommen . Wenn jemand satt zu e ssen bekommt, so ist das eben nicht einfach kon­ gruent oder gleichbedeutend mit einer bestimmten Kalorien-oder GrammzahL Es ist nicht nur ein vager Ausdruck dafür. Der Sättigungsgrad von etwas ist ein biologischer, jeweils variabler Faktor und nicht einfach in das Gramm­ und Kaloriensystem von Physik und Chemie zu übersetzen. Beides vermag weitgehend zu differieren und gehört verschiedenen Blickrichtungen an , die beide ihre Berechtigung und ihren Sinn haben im Nebeneinander und für je andere Zwecke, die aus der Art des In-die-Welt-Gestelltseins und in ihr Stehens sich ergeben . Beides ist wohl ineinander zu übersetzen , aber nicht aufeinander zu reduzieren und auseinander zu verstehen . Gleichwohl hat beides quantitativen Charakter oder vielmehr alles Dreies: Die biologische, die gestalthafte und die mengenmäßige Erfassung von Konglomeraten. In solchen qualitativ anfallenden Gestaltungen, die aus ihrer Gänze, von außen her gleichsam , zusammengehalten werden oder lediglich als Qualien zufallen und so als in sich geschlossene Einheiten begegnen , stellt deren Quantität unmittelb ar sich selbst. Sie sind bestimmt und bestimmbar aus ihrer Gänze in bloß sachlichem Vergleich. Die Elemente, die in Menge und Anzahl als je für sich Selbständige aufge­ griffen und zusammengefaßt werden , sind hier (z.B. durch "Gewicht", "Handvoll", "Sättigungsgrad" etc.) nun als Discreta in der Einheit zusam­ mengehalten von Äußerem her, das nicht zu ihnen gehört, und zu unselb­ ständigen (qualitativen) Konstituentien dieser Einheit abgesunken. Sie haben hier nun den existentialen Charakter, den sie in der Menge und der Anzahl haben , verloren und sind zu Essentialem geworden , zum Was dieser Einhei­ ten . · (Wenn ich frage , wieviel Goldstücke in einem Kasten sind, so betrifft das die Existenz der Goldstücke. Wenn ich dagegen frage, wie groß der durch die Goldstücke bestimmte Wert des Inhalts ist, so betrifft das die Essenz des Kasteninhalts. Existenz und Essenz vermögen so, unter einem Suppositions­ wechsel in ein anderes umzuschlagen ; bei gleichem objektiven Befunde des sachlichen Gehalts. ) D as i n die Wirklichkeit der realen Dinge gestellte Leben und Erleben hat nicht primär mit Anzahlen zu tun ; wenn auch alles gegenständlich Begegnende und in Aggregaten Anfallende anzahlhaft durchgriffen und aufgegriffen wer­ den kann . Gegenüber der Präzision und schlechthinnigen übertragbarkeit der Anzahlen ( und Mengen) erscheint solch unmittelbares Aufgreifen und Begeg­ nenlassen vag und zufallsgebunden. Es kommt aber hier nicht auf exakte, sondern auf unter Zweckgebundenheit "richtige " Quantitäten an . Physika­ Iische Exaktheit wäre nur ein Umweg. Die in solchem Umgreifen gestalteten Einheiten sind nicht von sich aus Mehrheiten wie die Menge ; sie bestehen lediglich aus ihren Teilen . Aber im

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Absehen und Lo slösen ihrer Teile aus ihrer Gestaltung können die als Ele­ mente einer Menge oder Anzahl aufgegriffen und verfügbar werden. Man kann dann (sekundär) in bezug auf sie von gestalteten Aggregaten reden.

Durch eineindeutige Zuordnung von beliebigen Mengen auf eine vorgegebene und bekannte Standardmenge (oder besser: Standardmengenreihe) kann ich einem Andern die Größe dieser Mengen an Hand geben und auch mir selbst festhalten. Trotzdem kommt man so, durch Zuordnung der Elemente und die Ab­ bildung ihrer Folge auf eine präkonzipierte konstante Reihe von Standard­ mengen hin, nicht zu einer Reihe von Anzahlen. Man hat lediglich das Prob­ lem verschoben auf die Standardreihe hin: Für die Standardfolge bricht aber das Problem der Anzahlhaftigkeit von Neuern auf; so etwas wie eine Anzah­

lenrl"ihe kommt so noch gar nicht in Sicht. Auch auf eine Tonleiter oder eine

konstante Reihe gesprochener oder geschriebener Buchstaben hin kann ich Mengen zuordnen und die Elemente der Menge zusammenhalten. Aber eine Melodie ist noch keine Anzahlenreihe. Es ist auch belanglos, ob die Stan­ dardreihe simultanen oder successiven Charakter hat. Auch aus der bloßen Reihung solcher Mengenaggregate der Größe nach ergibt sich noch nicht so etwas wie deren Kontingenz und wie die Anzahlhaftigkeit: Es wäre so nicht die für die Anzahlenreihe ja konstitutive

Lückenlosigkeit

garantiert. Man

würde so irregulären, wenn auch objektiv anfallenden Zufälligkeiten ausgelie­ fert sein; trotzdem man so ein System von höchster Exaktheit aus den rela­

tionalen Abhängigkeiten von Mengen so aufbauen kann (z.B. in Systemen

der Syllogistik). Man kommt so wohl an ein "Gleichgroß" , "Gleichmächtig" oder an ein "größer" oder "kleiner" der Mengen heran; aber nicht an ein

Soviel.

Man

dringt so nicht vor bis zur Anzahl, ftir die nicht ein "Ebensoviel", sondern ein

Soviel

bzw.

Wieviel

ausschlaggebendes Charakteristikum ist. Daran ändert

auch der Rekurs auf eine Standardmenge nichts. (Auch für die würde ja die Problematik des

weiter bestehen.) Die Menge wird hinsichtlich ihrer Quantität aus Anderem her bestimmb ar festgelegt; auf Anderes hin, das sie

Soviel

nicht ist. In ganz anderer Weise, als wie bei der Menge, wird die Größe eines Kon­ glomerats durch Rekurs auf die Elemente selbst faßbar: Im Zählen, in der Methodik des hinzufügenden B indens der, weiterhin selbständigen, Elemente an eines1 6 von ihnen als auf das Grundelement. Das Konglomerat wird hier aus sich selbst, auf seine eigenen Komponenten hin quantitativ bestimmt, nicht auf etwas nicht zu ihm Gehöriges. In der Möglichkeit einer nun neuen (subjektiven) Konstellation gegenständlich festgeworden scheint es nun, aus dem objektiv Anfallenden sich rechtfertigend, als Anzahl zurück.

16 Natürlich im Sinn des an, nicht des one.

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Der Anzahlcharakter ist nicht mit Umweltliehern schlicht an Hand gege­ ben ! 7 Als Menge wird ein Konglomerat auf anderes hin quantitativ verstan­ den und so in seiner Größe und Gänze umgriffen. In der Anzahl wird ver­ sucht, in methodischem Durchgreifen von innen her solch Konglomerat verftigbar in die Hand zu bekommen. So daß im selben Konglomerat die je in sich geschlossenen und von anderen sich absetzenden Elemente im Nachein­ ander aneinander gebunden werden zu neuen Einheiten, in denen je aber noch die genetische Methodik heraufscheint; daß derart sie in lückenloser Folge als additive Einheiten gegenüberliegen. Solche Konglomerate sind im auseinanderhaltenden Zusammenfassen auszählbar oder doch prinzipiell auszählbar und so in einer Anzahlenreihe zu bestimmen. Durch die unter meinen Willen gestellte Methodik ist ihre Unabhängigkeit von einer objek­ tiven Reihung gegeben, und sie von der abgehoben ; vermag aber so das ob­ jektiv Begegnende in sich aufzufangen. Die Anzahl als solche hat nicht einen schlicht abbildenden Charakter, sondern wird in ihren Elementen pragmatisch getragen ; und das objektiv Anfallende aufgegriffen in einer nun subjektiven Systematik. Gerade das aber, diese Unabhängigkeit von objektiven Strukturen, gibt der Anzahlen­ reihe die Breite der Anwendung und gibt die Möglichkeit frei sich in eine Unendlichkeit vorzutreiben über das je Gegebene hinaus; in die echte "poten­ tielle" Unendlichkeit bloßen Zählens und so nicht nur in die "aktuale" des Gezählten und Abzuzählenden. Während bei der Menge das "Gleichgroß" in einem notwendig zu ergän­ zenden "-Wie " auf andere Mengen hin festgemacht ist , ist die Anzahl in ihrem Soviel erst aus einer ihr immanenten Gesetzlichkeit zu verstehen und in ihr auf sich selbst gestellt und nicht weiterverweisend auf ein Anderes. 1 8

1 7 Die Frage nach dem eigentlichen Wesen der An zahl ( und insonderheit, was ihr Grund­ element im Gegensatz zu dem der Menge ist ) muß vorerst noch offenbleiben. Man mag sie provisorisch als das Resultat eines Zählens oder Abzählens nehmen. Dann verschiebt man natürlich die Problematik von der Anzahl auf das Zählen. Es ist aber doch so , daß man praktisch zu zählen versteht, auch wenn das eigentliche Wesen dessen, was man Zählen nennt, man nicht versteht. Es mag vorerst bei diesem andeu­ tenden Hindeuten sein Bewenden haben. 18 Mit Absicht wurden hier in bezug auf Mengen die Termini ebensogroß, gleichgroß, gleichmächtig bzw. kleiner und größer gebraucht ; und nicht "ebensovie i ", "mehr" oder "weniger" bei denen immer schon eine ( wenn auch unbestimmte ) Anzahlhaf­ tigkeit heraufscheint.

Kapitel III F RUSTRANE VERSUCHE DES ANZAHLVERSTEHENS

A. Mill, Bain, Lange

Das, was dergestalt Aggregat oder Menge ist , erscheint als unmittelbar klar und aus sich selbst her evident. Und könnte als eine Grundgegebenheit hin­ genommen werden. Es erscheint (zunächst) als nicht weiter ab leitbar. Und ebenso mit ihm das, was es heißt, als Element in bezug auf sqlche Menge sich zu stellen ; als deren konstitutives Korrelat. Gleichwohl gehen die Meinungen wie beides ineinander manifest wird und über das Wesen dieser Korrelation auseinander; darüber, was das je einzeln Faßbare in der Einheit einer Menge oder gar der Anzahl so zusammenhält. Es lag vor der Hand, so etwas wie die Anzahlhaftigkeit einer Menge begreifen zu wollen von dem her, was gegenständlich gegenüber liegt und sie zunächst auf das hin , was umweltlieh anfällt, zu interpretieren. Und es ist ja �uch so , daß die Mehrheitsbestimmung bei den meisten primitiven Völkern auch sprachlich so die Grundlage hat : Durch abbildenden Hinweis auf ein dem Anderen schon bekanntes Konglomerat, bzw. eine Menge sensu strenuo in der oben fixierten Form, die empirisch aus der Umwelt her aufgegriffen ist. Eine Möglichkeit zur Mitteilung von Quantitäten an andere und zur Fixierung zu eigenem Gebrauch ist so gegeben. 1 9 Von dort her und ausdrücklich induktiv, versuchte ]. St.Mill an die Pro­ blematik der Anzahl sensu strenuo heranzukomme n; und von dort aus auch an die Grundstruktur mathematischer Fornieln. 20 Er argumentiert auf dem Boden der Position englischer Empiristen, ihren Standpunkt konsequent weiter vortreibend; bis hinein in den Bereich des lediglich umweltlieh Anfallenden, als eines letztlich sinnlich Erfahrenen. 2 1 So sieht er den Substanzcharakter der Dinge in einer "permanent possibility " der Wahrnehmung von Daten und schiebt z.B. auch das Wesen der Kausalität in den Aspekt der konstanten Ab folge eines realen Geschehens als "inse ­ parable association" in die Psychologie ab. Nach dem Modus : "Nihil est in intellectu, quod non sit prius in sensu" greift er auf und versteht er auch die Befunde der Mathematik ; in der Art sich empirisch aufdrängender Abhängig1 9 Cf. dazu die im Anhang angeführten sprachlichen Exemplifikationen. 20 Cf. J .St.Mill, System der deduktiven und indu ktiven Logik (übersetzt von J. Schiel) , Braunschweig 1 8 7 7 , S. 3 1 8-3 24, aber auch Buch II, Kap. V § 1 -5 . 2 1 D e m e r allerdings, über die äußere Empirie h.inaus, später (in : "Examination of Sir W. Hamiltons Philosophy", 1 86 5 ) noch die Nichtvorsteilbarkeit des Gegenteils einer angenommenen Tatsache angliedert. So z.B. hinsichtlich des Faktums, daß zwei Gerade keinen Raum einzuschließen vermögen.

Mill, Bain, Lange

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keiten und Konstellationen. Als etwas, das abstrahierend aus dem sinnfällig B egegnenden anfällt oder sich ableiten läßt und durch laufende Wiederho­ lung und Gewohnheit gegenständlich festgeworden ist, in festgewordenen, reproducierbaren Erinnerungsbildern mathem atischer Befunde . So läßt er etwa die uns gewisse Selbstverständlichkei � des Faktums , daß zwei gerade Linien nicht einen Raum oder eine Fläche einschließen , gründen in einer steten Wiederholung des Aspekts und als in laufender Erfahrung durch Gewohnheit gegenständlich Festgewordenes zu einer Festigkeit, die die Gewißheit eines Naturgesetzes in sich trägt und in einem (wenn auch letztlich hypothetisch-induktiven) Immer terminiert. Analog verhält er sich gegenüber den Befunden der Arithmetik . Er geht auch hier aus vom sinnlich Anfallenden (bzw. von dem, was in der Vorstel­ lung von ihm so heraufzuscheinen vermag). Er läßt das Anzahlverstehen gründen in der Empirie der alltäglichen Erfahrung. Von dorther sieht er das Wesen der Anzahl und ihren Charakter als Be­ zeichnung einer physischen Tatsache. Er nimmt die Anzahlen wie eine ab­ strakte Abbildung konkreter Phänomene ; als ein in wechselnden Konfigura­ tionen durchhaltendes abstraktes Konglomerat. Das wird von ihm genom­ men, wie eine unkörperliche abstrakte Figur, wie ein umweltlieh Anfallendes, wie Farbe, Gewicht, Ausdehnung oder wie sonstige physikalische Eigenschaf­ ten der Dinge. Er läßt so den Anzahlcharakter gründen in der Empirie der alltäglichen Erfahrung, in einem schlichten Aufnehmen des Begegnenden . Er sieht hin - in seinem ja bek·annten Beisp iel - etwa auf drei Gegenständlich­ keiten (bei ihm Punkte oder Kreise) , die er als Repräsentanten je beliebiger Gegenstände hinnimmt ; und die in ihren wechselnden Konstellationen und Positionen gegeneinander den primitivsten Kombinationen ( zwei zu eins; eins zu eins und zu eins) ein anschauliches Fundament geben, in räumlichem oder zeitlichem zueinander. Darüberhinaus aber habe man die hier konstituieren­ den .Elemente in ihrer Gesamtheit, gegenüber als eine Gesamtheit , die die­ selbe bleibt in allen ihren Konfigurationen in einer gleichsam konkreten Ab­ straktion. Auch Gebilde der Vorstellung und Einbildung, wie sie für die Geometrie und auch für das Rechnen zu exakten Grundlagen zu dienen ver­ mögen, rechtfertigen ihm letztlich sich erinnernd an Daten der Wahrneh­ mung, aus denen sie entnommen und abgeleitet sind, gehen so auf die Erfah­ rung zurück, in den Bereich des induktiv Faßbaren. Die so gewonnene Basis für den Aufbau mathematischer Systematik ver­ breitert sich ihm in den Bereich auch des nur Vorgestellten hinein : Daß aus der bloßen Erinnerung man geometrische Befunde entnehmen kann und auf dem Weg über die Veranschaulichung durch Punkte und dergleichen auch für die Arithmetik. Aus der Gleichheit des bloß Vorgestellten mit, der Möglich­ keit nach , Wahrgenommenen vermag aus der sinnlichen Erfahrung her auch das den Vorstellungen Entnommene , die der Erfahrung eigene (und aus ihr zu gewinnende induktive) Gewißheit erhalten . 22 2 2 J . St. Mill, a.a.O., Logi k S. 2 9 2 (5. Kap. § 5 ) .

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Die Auffassungen über die Grundlagen der Arithmetik wurden weitergeführt von A. Bain. 2 3 Er versucht die Schwierigkeiten, die sich aus der Abstraktion des qualitativen Gehalts der so verschiedenen zu zählenden Gegenstände ( Steine, Tiere , Engel, geometrische Figuren , Gefühle, etc . ; und im Hinblick auch darauf, daß ein Selbes als Eines o der aber als Viele s auch sich zu stellen vermag, bzw. wie und was als zählende Einheit genommen werden soll und kann) sich ergeben, 24 zu umgehen dadurch , daß er die Differenzierung der Aggregatselemente gegeneinander von den qualitativ konstituierenden Gehal­ ten abschob auf das relational-formale sich-Absetzen der gezählten Gegen­ stände voneinander ; in den jeweiligen Unterbrechungen und dem Obergehen von einem Element zum anderen. Ein hoher Grad der Formalisierung auf dem Boden blosser Empirie wird so erreicht. Aber man grenzt so lediglich die Elemente gegeneinander ab , nicht auch deren Aggregate in ihrer Größe. Die wären auch weiterhin nur hinzunehmen, wie sie, als von sich aus zufallend und gegenüberliegend, anfallen . Doch würde man , solche Aggregate nebeneinander haltend , ihre Elemente ein­ eindeutig einander zuordnen und sie unter einem "mehr, gleich , oder weni­ ger" in Sicht bekommen können ; und als so fest gewordene Mengen mitein­ ander zu vergleichen und aufeinander hin zu fixieren vermögen; doch nicht auch in der festen Folge einer Anzahlenreihe haben. Es würde hier bei Bain auch noch eine weitere Schwierigkeit sich erge­ ben ; wenn die auch leicht übersehen wird : Alle Relationen, und so auch die Verschiedenheitsrelationen, sind auf ihren Relaten aufgebaut ; und die in ihnen latent. Relationen ohne Relate (und seien die auch noch so formal) gibt es nicht. Und so auch die Verschiedenheitsrelationen der Anzahlen . In der Anzahlenreihe , in ihrer Folge, sind je die sich folgenden Anzahlen ( zwi­ schen der je kleineren und der je größeren) verschieden, und so wären es auch die zwischen ihnen bestehenden Verschiedenheitsrelationen. Es würden daher bei der Unendlichkeit der Zahlenreihe auch unendlich viele Relationen bestehen. Die würden trotz derselben Methodik des Hinzufügens und ihrer (scheinbaren sachlichen Gleichheit) dennoch Verschiedene bleiben. Sie wür­ ' den auch eine wohlgeordnete Menge. ausmachen, die man abzählen kann. Aber doch noch nicht, ohne weiteres, mehrfach und unendlich mal dasselbe, wie es die Anzahl erfordern würde. (Worauf unten noch mehrfach eingegan­ gen werden soll . ) Man hätte die Problematik der Anzahlen lediglich verscho23 Alexander Bain, Logik part II, London 1 8 7 3 S. 200: ln terruptet sensations or transi­ tions of concionsness, are vividly discriminates; and by memory we can easily retain a succession of them, and identify it with ano ther small succession. Thus, three coins seen by the eye, are identified to a certainly, with the three fingers, in respect of the number of interruptions or transitions; they are felt to be different fro m two or fro m four visible transitions.

24 Wenn dieser Gesichtspunkt auch von Bain nicht ausdrücklich herausgestellt wird , so kann man ihn doch sehr wohl als begründende Motivation für seine Position an-und hinnehmen.

Milt, Bain, Lange

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ben ; von den gezählten Elementen auf die Reihe der zwischen ihnen beste­ henden Relationen . Uberlegungen von Mill und B ain sind in Varianten von großer Bedeutung für in der Naturwissenschaft und Physik herrschende Auffassungen gewesen ; bis in die Neuzeit hinein. Aber man kommt so nicht heran an das, was die An­ zahl ist ; und vermag auch so überhaupt nicht den Anforderungen der Mathe­ matik gerecht zu werden. Das ist nicht einfach dem anschaulich Anfallenden zu entnehmen wie eine Farbe oder eine Gestalt ; oder auch nur einer Mengen­ gestaltung. Zwar lassen sich die Einwände Husserls gegen Mill (Philosophie der Arith­ metik , 1 89 1 ; S. 1 6 , 1 7 ) leicht beiseite schieben : Daß Mill für seine Ableitung nur auf Dingliches zurückgreift und das dafür anfUhrt, aber nicht-sinnfällige Gegenständlichkeiten wie "Gedanken", "Engel", "Gefühle" nicht berück­ sichtigt. Das würde, auch auf dem Boden der Mill'schen allgemeinen Konzep­ tion ohne besondere Mühe sich kompensieren lassen ; wie er denn ja auch andere, nicht handgreifliche , Gegenständlichkeiten im Bereich des sinnlich Faßbaren letz tlich gründen läßt, und das ihm sogar ein Hauptanliegen ist. Es ist ja auch ganz unwahrscheinlich , daß bei der von Mill angestrebten Gründlichkeit ihm die etwa von Leibniz und Locke vertretenen Meinungen nicht sollten bekannt gewesen sein : So z.B. , wenn Leibniz 2 5 sich gegen die Meinung der Scholastiker, die Zahl könne nicht auf Unkörperliches ange­ wendet werden , wendet und darauf hinweist , sie sei ein universalissimum , anwendbar auf eine Zusammenfassung beliebiger Gegenständlichkeiten, wie etwa Gottes, eines Engels, einer Bewegung, eines Menschen , "welche zusam­ men vier sind ". Oder, wenn Locke 2 6 sie nimmt als allgemeinste Vereinigungs­ möglichkeiten von überhaupt etwas, das sein oder gedacht werden kann ; von Menschen, Engeln, Handlungen, Gedanken im Zugleich der Zusammenfassung und· in bezug auf Relationen überhaupt. übrigens spricht Mill selbst sp äter in einer Anmerkung zum Werke seines Vaters 2 7 von Any objects whether physi­ cal or mental are related or are in a relation to one another-. 2 8 Oder auch in seiner Logik: A ber jedermann hat in seinem Geiste ein vollkommen deut­ liches Bild von einer geraden Linie, einem Kreis oder einem Rechteck und ein jeder schließt mit Zuversicht von diesen geistigen Bildern auf die ent­ sprechenden äußerlichen Dinge. Die Wahrheit ist, daß wir bei A bwesenheit der Gegenstände selbst die in unserer Erinnerung studieren können und fort­ während studieren; und in dem Fall geometrischer Formen können wir un2 5 Leibniz, De arte combinatoria opera philosophia, 1 666, herausgegeben v .J .E.Erdmann, Berlin 1 840, S. 8 . 2 6 John Lo cke, A n essay concerning Human understanding. Obersetzt von Kirchmann, Berlin 1 8 7 2 , S. 2 1 3. 2 7 James Mill, Analysis of Phenomena of the human Mind ; in der von seinem Sohn redigierten Neuausgabe von 1 8 6 9 , Bd. II S. 1 0 . 2 8 J . S t . Mi ll , Logik S. 2 9 5 , Anmerkung.

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seren Erinnerungen vollkommen, in den m eisten anderen Fällen ab er nur unvollkommen trauen. Ernster zu nehmen ist der Hinweis darauf, daß der gestalthaften Erfas­ sung von Mehrheiten für uns sehr enge Grenzen gesetzt sind. Eine solche anschauliche, gleichsam simultane , Erfassung reicht bei uns nicht über die Gestaltkorrelate der allerersten Anzahlen hinaus. Schon "dreiundzwanzig" figural zu erfassen und so auch gegen "vierundzwanzig" zu differenzieren, dürfte rein anschaulich nicht möglich sein ; ganz zu schweigen von der Menge überhaupt beliebig großer, etwa 7 -oder 8 stelliger Zahlen . Tro � dem handelt es sich hier nur um ein rein psychologisches, nicht in der Sache selbst grün­ dendes Gegenargument. Es wäre prinzipiell , wenn auch natürlich nicht prak­ tisch die imaginäre Möglichkeit gegeben , daß irgendwann ein überdimen­ sionales Gehirn siebeosteilige Mehrheiten in ihrer Differenziertheit in sich auch in simultaner Anschaulichkeit präsent haben könnte ; wie wir das Kor­ relat der Anzahl "Drei" ja auch figural als abstrakte Gestalt erschauen kön­ nen . (Im Gegensatz dazu würde das ebenfalls triftige Faktum , das Frege gegen Mills Position anführt, daß nämlich der Null notwendig ja überhaupt kein anschaulich aufgreifbares Fundament entspricht, nicht psychologischen, sondern phänomenologischen Charakter haben.) Entscheidend aber bricht m.E. die Mill'sche Position , solche auf sich isolierte Aggregate anzahlig zu fassen an einem anderen Faktum in sich zu­ sammen. Es ist von ihr aus nicht die Lückenlosigkeit der Anzahlenreihe ga­ rantiert und kommt so nicht einmal als Erfordernis in Sicht. Die je einzelne Anzahl ist das , was sie ist, erst in der Reihe der Anzahlen und kommt in der erst zu ihrem eigenen Selb st, ohne Hinblick auf ihre Stellung. Der Systematik einer solchen Reihe wäre eine auf sich isolierte Anzahl nicht als solche verstehbar und käme höchstens als eine mit anderen Mengen vergleichbare und so auch mitteilbare Menge in den Griff. Es wäre prinzipiell wohl möglich , daß irgendwelche Aggregate, die ir­ gendwelchen Anzahlen einer Anzahlenreihe korrelat sein sollten, nie in einer Wirklichkeit realisiert und auch phantasiemäßig nicht realisierbar wären. (Man denke nur an die imaginäre Einheit i oder die negativen Anzahlen.) Man würde prinzipiell nicht über die Zufälligkeit des je Anfallenden hinaus­ kommen. Eine Lückenlosigkeit der Aggregatenreihe, wie sie für die Anzahlen­ reihe ja wesentliches Konstitutivum sein würde, wäre aus der blossen Empirie heraus nicht garantiert. Es könnte sehr wohl auch möglich sein, daß rein kausal Dubletten und Tripel umweltlieh sich nicht zu realisieren und zu stellen vermöchten . Oder daß das begegnende Universum nur aus einer sehr beschränkten Menge von Gegenständen bestände (und auch in vorstellungs­ mäßiger Anschaulichkeit - wie es ja de facto der Fall ist - sich nur so zu präsentieren vermöchte) . So etwas wie eine quantitative Reihung bekäme man so nicht in den Griff; und streng genommen würde man auf dieser Basis nicht einmal die Frage nach ihr sinnvoll stellen können.

M ill, Bain, Lange

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Gleichwohl würde das die Anzahlenreihe als solche in ihrer Lückenlosig­ keit und ihrer methodischen Endlosigkeit nicht berühren. Vom bloßen Rezipieren des umweltlieh Anfallenden kommt man nicht auch an ein aus der Zukunft her Anstehendes heran, nicht zur Verifikation von Allgemeinurteilen und deren absoluter Geltung. Es wäre von der reinen Empirie aus, als der Position Mills und Bains, etwa prinzipiell möglich , daß irgendwo oder irgendwann ein Dreieck mehr oder weniger als 1 80 ° hätte ; oder in irgendeinem Winkel der Welt sich ein Rot präsentierte, das dem Blau ähnlicher wäre als Orange ; oder wo 2 + 2 sich als 5 präsentierte. Das aber würde der absoluten Geltung der objektiven Befunde widersprechen. Die prinzipiell mögliche Diskontinuität des Mill'schen oder auch Bain'schen Zahlverstehens wird nur scheinbar überbrückt in der Position von F.A. Lange. 29 Der sieht im Raum das Urbild der Verbindung alles Gegenständ­ lichen , in der es von der die Einheit des Ich ausmachenden Synthesis zusammengehalten wird , so daß eine Diskontinuität nicht aufkommt: Ein Ganzes in seiner Teilbarkeit. Auf das hin stellt sich ihm das Universum in Relationen zueinander. Aus ihm als aus der großen allumfassenden Synthesis des Mannigfaltigen lassen sich mit Leichtigkeit kleinere Einheiten der ver­ schiedensten Art aussondern. Das Ganze des Raumes fällt nach ihm in seiner Geschlossenheit von sich aus an. Es vermag sich zu erweitern und einzuengen; aber es bleibt das Ganze : Von der Einheit des Ich her, die wiederum nur von diesem Ganzen her getragen wird . 30 Er nimmt den Raum als eine Grundgegebenheit und wie ein sinnlich Anschauliches, als ein Kontinuum ; mit und aus dem Discreta in Positionen gegeneinander und Relationen zueinander wie von sich aus an­ fallen. Und abstrahierend dann zu gleichartigen, wie punktuale Elemente aufzugreifen sind , die durch die Kontinuität des Raumes auch Kontingenz habett . Darüberhinaus sollen nach ihm auch innere Vorgänge , wie Stimmungen, Empfindungen, Hunger und Durst oder die Anstrengungen des Nachdenkens etc., da sie gefühlt und als innere dem Äußeren entgegengesetzt sind , so eben als innere Zustände unserer empirischen Person so lokalisiert sein . Und in ihrem Manifestwerden an Eigenkörperlichem eine auch räumliche Basis erhal­ ten ; im Zurückscheinen des Ich aus der objektiven Welt her und aus der Ein­ heit des Raumes aus ihm her anfallen . Das ist schwer verstehbar und wäre kaum haltbar. (Es sollen etwa ja auch die fraglichen Gefühle selbst gezählt werden, nicht ihre psychophysischen Korrelate.) Aber selbst solche psychophysische Korrelation fiele für rein ideelle Gebilde wie mathematische Lehrsätze , arithmetische Irrtümer, die sieben Todsünden etc . fort . Trotzdem aber kann man sie ja alle zusammen in 29 F. A. Lange , Logische Studien, Iserlohn 1 8 7 9 , insonderheit S. 1 3 5 - 1 41 . 30 Lange, Logische Studien , S. 1 3 7 , 1 3 8 .

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einer Mehrheit zusammenfassen und sie als echte Mehrheiten , nicht nur im übertragenen Sinne, sich gegenüber haben. Auch das anzahlhaft Verstandene wird von ihm als gestalthaft, wie von sich aus sich stellend , genommen. Auch das konstituiert nach Lange sich nicht durch successives Hinzufügen von Eins zu Eins, sondern liegt so in der Anschauung gegenüber (bei Lange durch einen vorgängig unbewußten, nicht weiter erklärten , Akt der Anschauung gebildet) : "Denn jeden Zahlbegriff erhalten wir ursprünglich als das sinnlich bestimmte Bild einer Gruppe von Gegenständen, seien es auch nur unsere Finger oder die Knöp fe und Kugeln . einer Zählmaschine". 3 1 Von hierher versteht Lange die Arithmetik . Nach ihm erhalten wir jeden Zahlbegriff ursprünglich als das sinnlich bestimmte Bild einer Gruppe von Gegenständen. Sie geben sich nach ihm, wie die räumlichen Gebilde, als in synthetischen Einheiten gegenüberliegend. Er nimmt dabei in diesem Aus· druck "Synthesis" zunächst nicht viel mehr als eine Fixierung der Tatsache, daß sich in all unseren Vorstellungen Einheit eines Mannigfaltigen findet. Gleichwohl schlägt dieser Versuch, die Arithmetik auf die Geometrie um­ zubiegen , fehl. Gerade von dem , was das Wesen der geometrischen Gestalten und den rein objektiven Gehalt ihrer punktualen Elemente ausmacht, von der Position dieser Elemente zueinander, ist ja in der Arithmetik ganz abgesehen. Die Stellung der Elemente zueinander und die Reihenfolge , in der sie aufge­ griffen und gebunden sind , ist hier im Gegensatz zur Geometrie ganz belang­ los. Und es vermögen Abstrakta ( für die eine räumliche Position sinnlos wäre) und reale oder vorgestellte Konkreta zusammengefaßt sein zu anzahl­ hafter Einheit. Etwa sieben Tugenden, vier Sterne und zwei mathematische Beweise, drei verschiedene Zeitpunkte und drei über verschiedene Konti­ nente verteilte Steine zu einer Gesamtheit von Gegenständlichkeiten. Man kann derart wohl den geometrischen Bereich anzahlig durchgreifen ; aber nicht umgekehrt die Arithmetik vom Räumlichen her verstehen. Im Gegensatz zur Geometrie ist das anzahlhaft Verstandene von vorn­ herein unter die ( subjektiven) Bedingungen eines Aufgreif�ns und B indens gestellt : In der Reihenfolge der aufgegriffenen Elemente, im Zusammenfas­ sen von (aus ihrer objektiven Gestaltung gelösten) Elementen zu neuen, nun anzahlmäßig verstandenen Aggregaten. Sie haben als solche erst in Richtung der unter die Beliebigkeit meines Willens gestellten Möglichkeit, sie so zu binden und zu fassen, ihr obje ktives Sein als eben diese Aggregate. Die Pro­ blematik der räumlichen Gestaltung (auf die hier nicht eingegangen werden soll) geht in andere Richtung als die der arithmetischen Aggregation. Aus einem Unbewußten her und unkontrollierbar bricht nach ihm die Welt aus einer Transcendenz in die faßbare Oberfläche; aus ihr her fertig in Qualitäten anfallend und aus dem Ganzen sich auflösend in Relationen. Aber das so Anfallende bliebe zufallend und unter die Zufälligkeit seiner Realisa3 1 Cf. Lange, Geschichte des Materialismus II, Iserlohn 1 8 7 7.

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tion gebunden. Und das würde auch für die gegenständlich begegnenden Kor­ relate der Anzahlen zu gelten haben. Es würde so nicht eine aus sich selbst sich in die Unendlichkeit vortreibende Anzahlenreihe resultieren , sondern lediglich Aggregate relational verbundener Mengen in Sicht kommen lassen. Es würde aus ihnen selbst her keine geordnete Reihe sich ergeben. Eine Lük­ kenlosigkeit der Folge und eine durchgehende apodiktische Allgemeingültig­ keit der Befunde (wie sie Lange anstrebt) wäre auch hier nicht garantiert . Sowenig wie bei J. St. Mill das der Fall ist und notwendig bei allen empiri­ stisch sich aufbauenden Systemen. Auch wenn das Universum oder der uns zugängliche Weltraum nur aus einem Dutzend Gegenständen bestände, würde das die Anzahlenreihe in ihrer methodisch unabgeschlossenen Endlosigkeit nicht daraufhin eingrenzen : Wie Mill und Bain nimmt auch Lange die den Anzahlen entsprechenden Korrelate hin als von sich aus anfallende gegenständliche Aggregate , die je in sich geschlossen wie von sich aus begegnen und vergleichbar nebeneinander liegend sich stellen ; als Korrelate je etwa der 7 , 5, 8, 3 entsprechend . So aber gerade ist ein innerer Zusammenhang der Anzahl und eine Lückenlosigkeit nicht gewährleistet. Es könnte wie bei Mill auch hier das gegenständliche Korrelat aus irgendwelchen makabren Gründen der einen oder anderen Anzahl sich nicht realisiert haben oder realisieren können. Und gerade die Lückenlosigkeit ist konstitutiv für die Reihe der Zahlen und ihr wesensmäßig eigen. Man würde so wohl im Vergleich zu einem ebensogroß der Gruppen oder durch Zuordnung ihrer Elemente zueinander zu einem ebensoviel und mehr oder weniger kommen , aber nicht zu einem anzahlmäßigen und ihr wesensmäßigen soviel. Es ist weiterhin auch so, daß das so empirisch Anfallende im Bereich des Individuellen verbleibt, in das hic et nunc gebunden. Es reicht nicht über das Empirische hinaus und erlaubt nicht apodictische Urteile von strengster All­ gemeingültigkeit , wie sie für die Arithmetik erforderlich wären (und wie auch Lange im Gegensatz zu Mill sie fordert ) , sondern solche von induktivem Wert, von, wenn auch höchster, Wahrscheinlichkeit. Es ist, wie bei allen em­ piristisch fundierten Systemen, noch derart, daß man nur je Individuelles in Sicht und Griff bekäme . Man käme so nicht zu einer echten Allgemeingültig­ keit der arithmetischen Befunde und Gesetze. Es bestände immer die Mög­ lichkeit, daß irgendwo und irgendwann einmal solche Gruppen in ihrem Zu­ einander und im Rechnen mit ihnen ganz andere Resultate präsentierten als jetzt und hier ; daß trotz aller noch so oft bestätigten Beobachtung und noch so großer Erfahrung in irgendeinem Weltwinkel einer mit sich durch­ einander geratenen Natur die 5 etwa als eine gerade Zahl begegnete. Das aber würde nicht dem Wesen und den Ansprüchen der mathematischen Gesetz­ lichkeit gerecht werden . Und da hilft auch weitestgehendes Abstrahieren von allem Qualitativen nicht weiter.

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ähnlicher Weise wie Lange argumentiert übrigens auch Baumann. 3 2 B. Helmholtz, Kronecker, Dedek ind

Das , was als an sich ungeordnete Mehrheit (Aggregat) in das Bemerken an­ fällt, vermag geordnet zu werden durch Zuordnung seiner Elemente zu einer einem anderen Menschen bekannten konstanten Reihe von irgendwie Gegen­ ständlichem . Und vermag auch von mir für mich selbst in eip.er festen Folge festgehalten zu werden . Die Zuordnung zu solcher Standardreihe ist unab­ hängig von der objektiven Gestaltung und Aggregation des gegenweltlich An· fallenden und zu Bestimmenden ; und unter mein B elieben gestellt. Notwen­ dig ist natürlich die Eindeutigkeit der Zuordnung. Ungeordnetes vermag so in eine festgewordene Ordnung abgebildet und derart verfügbar an Hand gege­ ben und mitgeteilt zu werden. Es ist zu orten auf eine Standardreihe hin. Was als solche Standardreihe genommen wird , ist belanglos: Es können das die Pendelschläge eines Uhr· werks, oder die Kugeln eines Rechenbretts sein . Oder ganz willkürlich ge­ setzte Zeichen, Striche etwa oder Punkte. Oder - das ist hier von Wichtigkeit - auch die Ordinalzahlworte wie Erstes, Zweites, Drittes etc. als eine in sich feste natürliche Abfolge, die dadurch gewährleistet ist, daß eine gegenwärtige Vorstellung in einem der Anschauungsform der Zeit angehörigen Gegensatz als die nachfolgende im Aufgreifen gegenübergestellt ist ; in einem Verhältnis, das nicht umkehrbar ist. (Und so gesehen die Zeit - psychologisch - ein Apriori der Zahlreihe wäre .) Wesentlich ist dabei nur, daß die Reihe konstant ist und in dieser Konstanz festgehalten und weitergegeben werden kann. Mit einer Zuordnung zu einer Ordinalzahlreihe ist aber noch nicht ein Aggregat als Mehrheit verstanden. Das unter einer Ordinalzahl Gefaßte hcrt streng individuellen Charakter. Es ist so ein je Einziges, das von allen anderen sich absetzt : Eben als "Erstes " , "Zweites", "Drittes" etc . Diese B ezeich· nungen haben aber noch nicht quantitativen Charakter; wenn auch ein Ag­ gregat von Vorhergehendem sie zu ihrem Begriff führt , so fällt sie doch nach Signierung der Ordinalzahl in sich zurück und geht nicht konstituierend in den Begriff des Ordinalwortes ein. Und qualifiziert den, lediglich als seinen Stellenwert in der Zahlenreihe fixierend, von außen her. Die Ordinalzahl ist Eigenname eines Einzelnen und nichts darüberhinaus. 33 Auf der Basis dieser Stellenwerte läßt sich wohl eine strenge Folge der anfallenden Objekte auf· greifen und festhalten. Die Mehrheit und Anzahligkeit kommt so nicht in 32 J J. B auman, Die Lehre von Raum, Zeit und Mathematik, Berlin 1 869 , Bd. II, inson· derheit S. 5 7 1 . 3 3 Es ist hier charakteristisch , daß die Ordinalzahlen deklinierbar sind; im Gegensatz zu den Cardinalzahlen. (Wenn etwa im Lateinischen die ersten drei Cardinalzahlen deklinabel sind , so ist das wohl ein Heraufscheinen des Gestaltcharakters wie z.B. Mill das auffaßte - aus den Urzeiten her.)

Helmholtz , Kronecker, Dede kin d

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Sicht. Die Ordinalzahl antwortet nicht auf ein "Wieviel". Dies fixierende Durchgreifen gibt lediglich Individuelles frei und hält es zugleich fest. Die Reihenfolge, in der das objektiv zur Begegnung Anstehende aufgegriffen wird , ist dabei belanglos. Und völlig gleichgültig auch das Quale des Aufge­ griffenen. Von je Einzelnem , so wie es durch die Ordinalzahl fixiert und isoliert ist gegen alles andere hin, kommt man nicht an eine Mehrheit heran. Man kann ein Stellensystem sich so aufbauen ; aber nicht damit rechnen. Man kann nicht ein Sechstes (das schon grammatisch als Einzelnes fixiert und identifi­ ziert ist) mit einem Dritten (das ebenso individualisiert ist) multiplizieren ; oder e in Einzelnes mit einem anderen Einzelnen. 34 Die Ordinalzahl präsentiert von sich aus keine Mehrheit. Trotzdem ver­ suchen Kronecker und v.Helmholtz von hier aus die Arithmetik in den Griff zu bekommen und einer arithmetischen Systematik gerecht zu werden . So formuliert Kronecker 35 : Den naturgemäßen A usgangspunk t ftir die Entwick­ lung des Zahlb egriffs fi"nde ich in den 0 r d n u n g s zahlen. In diesen b esit­ zen wir einen Vorrath gewisser, nach einer festen Reihenfolge geordneten, Bezeichnungen, welche wir einer Schaar verschiedener und zugleich ftir uns unterscheidbarer Objekte b'eilegen können. Die Gesam theit der hierbei ver­ wendeten Bezeichnungen fassen wir in dem Begriffe der "A n z a h l der Objek te ", aus denen die Schaar besteht, zusammen, und wir knüpfen den A usdruck for diesen Begriff unzweideu tig an die le tzte der verwendeten Bezeichnungen an, da deren A ufeinanderfolge fest bestimmt ist. So kann z.B. in der Schaar der Buchstaben (a,b,c,d, e) dem Buchstaben a die Bezeichnung als " erster ", dem Buchstaben b die Bezeichnung als " zweiter " usf. und end­ lich dem Buchstab en e die Bezeichnung als "fünfter " beigelegt werden. Die Gesam theit 5 der dab ei verwendeten Ordnungszahlen oder die "Anzahl " der Buchstaben a,b,c,d,e kann demgemäß in A nknüpfung an die letzte der ver­ wendeten Ordnungszahlen durch die Zahl "Fünf" bezeichnet werden. Man meint aber in der Anzahl einer Menge nicht, daß in einer Schaar von Buchstaben , mit denen man die Elemente der Menge bezeichnen kann, ( a,b ,c,d,e) einer die Bezeichnung "Erster" , der nächste die Bezeichnung "Zweiter" , ein anderer die Bezeichnung "Dritter" erhält. Die Gesamtheit dieser Buchstaben wird von Kronecker als die Anzahl der Menge gemeint und als "Fünftes" oder Fünf bezeichnet. Dann aber hat man die Anzahl der ge­ zählten Gegenstände verschoben in die Menge der bezeichnenden Ordinal­ zahlen. Und das ist im Abzählen nicht gemeint.

34 Wohl dagegen: sechs mit drei ; bezw. I mit I . Aber dann hat man eine Anleihe bei den Cardinalzahlen gemacht. (Was wiederum ein eigenes, wenn auch ganz anderes Pro· blem mit sich bringt. Auf das unten noch eingegangen werden soll. 35 Kronecker., "über den Zahlbegriff" (Philos. Aufsätze in der Festschrift für Eduatd Zeller) , S. 265f.

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In ähnlicher Weise argumentiert v. Helmholtz 36 : Wenn ich die vollstän­ dige Zahlenreihe von 1 bis n brauche, um jedem Elemente der Gruppe eine Zahl zuzuordnen, so nenne ich n die A n z a h l der Glieder der Gruppe ". " Die Zahlen dürfen wir zunächst als eine Reihe willkürlich gewählter Zeichen b etrachten, für welche nur eine bes timmte A rt des A ufeinanderfotgens als die gesetzmäßige oder nach gewöhnlicher A usdrucksweise "natürliche " von uns festgehalten wird. Die Bezeichnung der "natürlichen " Zahlenreihe hat sich wohl nur an eine b estim m te Anwendung des ZähZens geknüpft, nämlich an die Ermittlung der A n z a h l gegebener reeller Dinge. !ndem wir von diesen eines nach dem anderen dem gezählten Haufen zuwerfen, folgen die Zahlen bei einem natürlichen Vorgang auf einander in ihrer gesetzmäßigen R eihe. Mittels dieses ordinalen Zeichensystems der Zahlen geben wir Beschrei­ bungen der Verhältnisse reeller Objekte, die, wo sie anwendbar sind, jeden geforderten Grad der Genauigkeit erreichen können, und mittels desselben werden in einer großen A nzahl von Fällen, wo Naturk örper unter der Herr­ schaft bekannter Naturgesetze zusamm entreffen oder zusamm enwirken, die den Erfolg messenden Zahlenwerte durch R echnung voraus gefunden. Man meint aber mit dem Satz "Anzahl 5 einer Menge" nicht die Eigen­ schaft dieser Menge , daß bei irgendeiner beliebigen Anordnung und durch gliedweise beliebige Signierung durch Nominalausdrücke mit Hilfe solcher Zeichen 5 das letzte und höchste Glied ist. Die einzelnen auf die gemeinte und ordinal bezeichnete Endzahl hinfüh­ renden Elemente sind hier selbst wieder Ordinalia und geben sich als in der Reihe der Ordinalzahlen (im Sinne der klassischen Grammatik als Primus , Secundus, Tertius) geordnet. Solche Ordinalia lassen sich zusammenfassen zu einer Gruppe (Helmholtz) oder Schaar (Kronecker) ; zu einer Menge, die auf die ( ordinale) Endzahl hin orientiert und zu bezeichnen ist. Trotzdem kommt man so nicht an das heran, womit man es als mit einer Anzahl zu tun hat. Gerade das individualisierende Numerieren der Or­ dinalzahl führt an der Anzahl vorbei und geht in ganz anqere Richtung. Es kommt so wohl im Konglomerat von Individuellen in streng geordneter Reihe in Sicht ; aber gerade so noch nicht als Anzahl. Es bleiben so "dieser (erste)" und "dieser (zweite) " und "dieser ( dritte) " Gegenstand (z.B . Apfel) unabhängig und selbständig voneinander nebeneinander liegen . Es würden so dann etwa 5 + 2 nicht 7 ergeben, sondern 2 je den einzelnen Ordinalzahlen korrelate Gegenstände, die lediglich durch ihre Stellung in der Reihe einen 36 H. v. Helmholtz, .,Zählen und Messen" (Philos. Aufsätze in der Festschrift für Eduard Zeller) , S. 3 2 , 2 1 , 2 0 ) . Dem sich auch Benno Erdmann i n seiner Logischen Elementarlehre, Halle 1 89 2 , S . 1 0 5 ff. anschließt; mit einem Hinweis auch ;mf Newton und Gauß. (Merkwürdiger­ weise rechnet er hier Gauß auch dazu, dessen relationale Totalintention in ganz andere Richtung geht.) Dazu : C. F. Gauss , Anzeige der .,Theoria residuorum biqua­ draticorum" ; Commentatio se cunda; Werke Bd. II, Göttingen 1 86 3 , S. 1 74-1 7 8 .

Helmholtz, Kronecker, Dedekind

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qualitativen Wert hätten, aber nicht den in der Ausgangsformel gemeinten quantitativen Charakter haben würden. Es wird aber durch bloßes Nebenein­ anderliegen umweltlieh Andrängendes nicht schon 3 mal dasselbe. Es gibt so noch nicht sich in einer gemeinsamen Selbigkeit als 3 Äpfel ( im Plural ! ). Durch bloße Abstraktion von allem Qualitativen ist hier nichts zu errei­ chen. Auch absolute qualitative Gleichheit zweier Gegenständlichkeiten würde nicht zur Dasselbigkeit führen. Und auch für völlige Ununterscheid­ barkeit würde gegenständliche Verschiedenheit notwendige logische Vor­ bedingung sein. Gleichheit würde auch dann nicht in eine Dasselbigkeit umschlagen . Derartige Mengen kann man durch Zuordnung miteinander vergleichen und bestimmen mit Hilfe dieser Reihung in einem "mehr", "weniger" oder "ebensoviel ". Man kann sie zusammenfügen zu größeren Gesamtheiten oder sie umeinander vermindern. 37 Sie sind von großer praktischer und tech­ nischer Bedeutung. Aber mit Ordinalzahlen kann man nicht rechnen . Sie sind und bleiben streng individuelle Bezeichnungen. Wenn ich 3 Äpfel esse , so esse ich nicht 3 mal den ersten oder dreimal den zweiten oder dreimal den dritten . Sondern esse dreimal einen Apfel, dreimal so etwas wie einen Apfel. Das "ein" ist hier aber nur unbestimmter Artikel (und hat mit Anzahligkeit nichts zu tun). Und darum , um etwas, was allen drei Äpfeln und in allen drei Äp feln gemein­ sam ist, handelt es sich hier. Was aber ist ein solcher allgemeiner Gegenstand ? Um ein je Individuelles geht es hier nicht ; das ist nur einmal da. Aber auch nicht um einen Begriff oder Begriffe : Die kann man nicht essen . In einer sehr subtilen , an Kronecker sich anlehnenden Weise und auf ihn sich berufend , sucht Dedekind 38 von der Ordinalzahl aus die Arithmetik zu inter­ pretieren. Er geht aus davon, daß sich die Ordinalzahlen in einem konstanten Modtt.s folgen . Die einzelnen Ordinalien bilden eine Reihe, die in ihrer Struk­ tur durch die immer gleichbleibende Beziehung des je einen Ordinale auf ein Folgendes fest bestimmt ist, und die im Endordinale , auf das es ja ankom­ men soll, terminiert. Man kann davon reden, daß jedes Ordinale unter dieser festen Beziehung sein Abbild hat . Im Hinblick auf dieses konstante Hinbe­ ziehen eines auf ein ihm Folgendes spricht Dedekind von einem "Abbilden eines Systems in sich selbst" . Dedekind nimmt nun die Gesamtheit der auf das Endordinale hinführenden konstanten Reihe der Ordinalia wie eine Menge und als im Endordinale enthalten. Und als Anzahl, die durch das End­ ordinale signiert wäre. Doch da ergeben sich Bedenken : Eine Ordinalzahl enthält nichts. 3 9 Sie ist nur Angabe eines Stellenwertes und ist nur dieser Stellenwert. Insonder37 Die Worte Addition und Subtraktion wurden mit Absicht hier noch vermieden. 38 Richard Dedekind, Was sind und was sollen die Zahlen, 6. Auflage, Braunschweig. (§ II, 2 1 , § IV , 36, § VI, 7 1 und 73, § XIV, 1 6 1 ) . 3 9 Gerade das Enthaltensein ist wesentliches Konstituens von Dedekinds Systematik.

Frustrane Versuche des Anzahlverstehens

heit geht das, was an Ordinalien zum Endordinale hinführt, nicht konsti­ tuierend in sie ein. Sie sind im Endordinale nicht mitgemeint. Es würde auch von dieser Position aus die Null nicht erklärbar und als Anzahl verstehbar sein ; trotzdem antwortet die Null ja auf die Frage "Wieviel" und hat so anzahligen Wert . Auch für die negativen Zahlen würden sich Schwierigkeiten ergeben. Darüberhinaus aber würde zu gelten haben : Die je einzelnen, auf die Endordinale hinführenden Ordinalzahlen (bzw. die ihnen korrelaten Ele­ mente) sind, wenn auch je voll qualitätsentleert und insofern qualitativ inner­ lich gleich , dennoch durch ihre Position zueinander, in der sie verstanden werden, gegeneinander differenziert und individualiter präzisiert : Das Grund­ g�ied (bei Dedekind die Eins) als dasjenige, dem kein anderes vorhergeht, und das nicht Abbild eines Vorhergehenden ist ; das Zweite als das, dem dieses Grundglied , das Dritte als etwas dem zwei Elemente vorhergehen etc. ; das Endglied schließlich als das, welches alle anderen hinter sich hat und dem kein weiteres folgt. Man erhielte so wohl ein wohlgeordnetes Aggregat, wohl eine Mehrheit je Verschiedener aber nicht das Mehrfache eines Seihen , wie es für die Anzahl40 konstitutiv ist. Sowohl Helmholtz wie Kronecker und auch Dedekind gleiten nach dem Ansatz bei den Ordinalzahlen mit "Schaar", "Gruppen ", "Enthaltensein" aus dem Bereich der Ordinalien über in Bereiche von durch Kardinalzahlen Faßbaren; ebenso A.Thaer (Arithmetik und Algebra, Breslau 1 9 08 ) , der sich auch auf Kronecker beruft. Auch J .Newton legt seiner arithmetischen Sys­ tematik die Ordinalzahl zugrunde ; wenn er auch nicht konsequent dabei bleibt.41 Wie der Versuch von J . St. Mill und der von Bain, an die Anzahl heranzu­ kommen , fehlschlägt (es würde ja dann weder die Lückenlosigkeit noch die Endlosigkeit der Zahlreihe garantiert sein), so führt auch das Ausgehen von der Ordinalzahl nicht an die Anzahl, die Kardinalzahl im eigentlichen Sinne heran. Trotz der so erreichbaren ( da unter meinen Willen gestellten) Lücken­ losigkeit und Endlosigkeit. Auch dann nicht, wenn man ihre durchaus geordnete Gesamtheit oder eine Vielheit von ihnen unkonsequenterweise zugrunde legt. Gerade schon durch ih re Nominierung sind sie verschieden voneinander. Bei der Anzahl handelt es sich aber je um dasselbe , das mehr­ fach so zusammengefaßt ist. (Und gerade das macht ihren Unterschied von einer (auch geordneten) Menge aus und ist ihr ein wesentliches Charakteristi­ kum. ) 40 Auf Seite 44 gebraucht übrigens Dedeki�d fiir das von ihm als Anzahl Genommene auch den Ausdruck "Grad des Systems" ; was m.E. ein ausgezeichneter, sehr treffen­ der Ausdruck dafiir sein würde. 41 J . Newton , Arithmetica universalis, Kap. II: Per numerum non tam multitudinem unitatem quam abstrac tum quantitatis cujusvis ad alium ejusdem generis quantita· tem, quae pro unitate hab etur, rationum intellegimus.

N atorp

35

(Als Menge im Gegensatz zum bloßen Aggregat sei hier genommen ein Aggregat , in dem eine qualitative Gleichartigkeit (und sei es auch nur die des Gegenstand-überhaupt-Seins) der Komponenten mit antizipiert ist.) C. Natorp

über die Schwierigkeit, von einer bloßen aggregierten Mehrheit in einer Verschiedenheit je Einzelner, wenn auch Gleicher an das heranzukommen, was die Anzahl eben als das Mehrfache desselben ausmacht, kommt auch Natorp42 nicht hinweg. Trotzdem er von einem ganz anderen Ausgangspunkt das Problem angeht als Helmholtz , Kronecker oder Dedekind. Alles Erkennen ist ihm das Erfassen in Relationen , ein beziehendes und vergleichendes Setzen von etwas auf ein anderes hin. Dies Eine und dies Andere ist schon aus dem Wesen der Beziehung als ein (zunächst) rein For­ males gegeben als Grundglied und Gegenglied erkennender Relation. Das so nicht durch Abstraktion gewonnen ist (wenn sie dann auch qualitativ sich beladen können) ; sondern so als ( sachlich leere) Denkpunkte, als bloße For­ malia in solcher Beziehung angesetzt und mit ihr vorausgesetzt sind. In solcher qualitativen Leere wären und sind diese Denkpunkte qualitativ gleich ; lediglich durch ihre Stellung zueinander in ihrer Verschiedenheit un­ terschieden. Unterschieden so und verschieden voneinander als Grundglied und Gegenglied ; von denen das Gegenglied wiederum Grundglied einer neuen Setzung sein kann ; oder auch beide zusammen als neues (nun einzelnes) Grundglied auftreten können, auf das hin in einer weiteren Setzung ein neues Glied dann sich anfügt. In ihrer Verschiedenheit unterschieden s o nur durch ihre Stelle in der anrührenden Setzung von Eins, Eins, Eins und so weiter. In einer Reihe , die durch den gleichbleibenden Setzungsmodus und die durchge­ hende Konstanz der Methode fest geworden ist, und in den die Stellenglieder gehalten werden und signiert werden können als Elemente, als Erstes, Zweites, Drittes etc . ; in einer auf das Endglied zulaufenden Folge . Mit solchen Reihen hat man jeweilige Endglieder eines Zählens im Hin­ blick auf die je vorhergehenden in die Hand bekommen nach dem Modus von Ordinalzahlen . Und hätte andererseits die Gesamtheit der Glieder, bis zum Endglied , dieses eingeschlossen, fe st verfügbar. Solche Gesamtheit ist das, was von Natorp43 als Anzahl hingenommen wird . Aber so kommt so etwas wie Anzahlhaftigkeit noch nicht in Sicht. Die zusammengefaßten Elemente stehen in ihrer Setzung und durch sie als Selb42 Paul Natorp, Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften, Leipzig 1 9 2 1 , Kap . III § 1 , 2 , 3 . Paul Natorp , Philosophische Propädeutik, Marburg 1 90 3 , S . 1 7 . 4 3 Natorp wertet die Elemente zur "Eins" auf. Es ist dann natürlich relativ leicht ein arithmetisches System so aufzubauen ; das in der Eins schon latent sein würde. ( Aber die "Eins" ist als Antwort auf ein "Wieviel" selbst schon Anzahl ) .

Frustrane Versuche des Anzahlverstehens

56

ständige und so je Individuelle nebeneinander und hintereinander , in einer Reihe ; zusammengehalten durch die ( konstante) Methodik des Setzens und Anrührens. Sie b ilden so ein wohlgeordnetes und auch abbildendes Konglo­ merat von in sich selbständigen Elementen . Sie sind aus solcher Gesamtheit heraufzuholen als Erstes, Zweites, Drittes u .s.w . . Gerade in ihrer je-Einzig­ heit , die durch ein Vorher und Nachher der anderen Elemente fixiert ist, werden die Elemente solcher Aggregate in ihrer Verschiedenheit bei eventuel­ ler völliger Gleichheit manifest. Aber nur

dasselb e vermag anzahlhaft

sich zu

präsentieren, qualitative Gleichheit genügt nicht dazu . Es bleibt bei Natorp (wie in anderer Terminologie bei Kronecker und Dedekind) die Frage offen: Was gibt der Anzahl das Fundament ; was ist hier das Element, das zugleich als dasselbe in Verschiedenheiten manifest wird. Natorp kommt nicht über eine bloße Menge je verschiedener Einzelner zur Anzahl, einem Mehrfach Desselben.

D.

Ho bbes, Locke, Leibniz

Von der Ordinalzahl sens.stren . aus kommt man ohne ein zusammenfassen­ des Abgleiten in eine Menge Einzelner ( als die dann Ordinalien genommen werden) nicht an eine Quantität, um die es ja in der Arithmetik geht , heran. Zwar ist das Verstehen der Ordinalzahl auf Mehrheit angewiesen, doch gilt nicht das Umgekehrte. Arithmetik ist primär abgestellt auf die Quantität von Mehrheiten hin. So faßt schon Euklid ( im Anfang des Vll. Buches seiner Elemente) die Zahl (bzw. Anzahl) ein fach als eine Vielheit von Einheiten auf. Aber der Begriff der Einheit brachte und bringt vor Schwierigkeiten . Und es führt auch nicht weiter, wenn man den Begriff zurück biegt auf d as , wo­ nach j edes Ding "eines" genannt wird ; weil es als

eins

in der Zahlenreihe

aufgegriffen werden kann . D as , was Einheit ist oder als Einheit genommen wird , fallt nicht einfach vom Objektiven her an, als ein schlicht objektiver Befund ; so wie etwa eine Farbe aus sich her gerade diese Farbe ist , oder ein Ton von sich aus als dieser Ton sich stellt. Man hat j edes

Unzerlegbare,

sinnlich oder nicht sinnlich Fa�sbare als Ein­

heit oder als letzte solche Einheit genommen .44 Aber die Unzerlegbarkeit reicht hier nicht aus zur Erklärung und läuft an dem Problem vorbei : Gewiß, die Farbe Rot ( "die" Röte) ist aus sich selbst her, in ihrer Verschiedenheit tmd ihrem sich-Ab setzen von anderen F arb en , Einheit. Aber auch eine far­ bige Fläche , in der sie sich realisiert, ist eine Einheit , und die wiederum ist in echter Weise teilbar. Und Analoges gilt je von Neuern für Teilstücke dieser Teile . So ist auch eine in sich geschlossene von anderen sich absetzende Melo­ die eine Einheit, trotzdem sie in je einzelnen Tönen umweltlieh anfallt. Auch 44 Z. B. G. Köpp, Arithmetik, Eisenach 1 8 6 7 , S. 5 u. 6.

Hobbes, Locke, Leibniz

37

ein Mensch ist eine Einheit, obwohl er in seine Glieder und Organe zerlegbar ist, die dann von Neuern als Einheiten angegangen werden können. Auch Bruchzahlen können in Iterationen als Einheiten genommen werden ; und sogar der "kleinste Bruch" , trotzdem es den nicht "gibt". Nicht reduzierbare Elemente sowohl wie in sich fest geschlossene Mehrheiten und Gestalten {Konkreta und Abstrakta) können unter einem hinweisenden Dies als Einhei­ ten aufgefaßt und erfaßt werden, und · das in immer neuen Kombinationen. Es ist in mein { subjektives) Belieben gestellt, was ich je als Einheit neh­ me. Ein jeweiliges Bedürfen oder Interesse bestimmt hier das, was an der vortragenden Deixis eines Dies {oder Etwas) sachlich fest wird. Unter der Möglichkeit, auch Getrenntes, Selbständiges so zusammenfassend zu fassen, stellen sich Einheiten . Sie haben in diesen Möglichkeiten ihre formale Struk­ tur.45 Sachlich genügt dabei der Charakter der Gegenständlichkeit ( der durch Qualitatives lediglich eingeengt werden kann) . In ihrer Geschlossenheit vermag die Einheit gegen Anderes und Andere sich abzusetzen, als ein von ihnen gegenständlich Verschiedenes. Das, was als Einheit aufgegriffen wird , ist das nicht in bezug auf Andere ; ist nicht auf sich selbst bezogen und durch sich selbst auch "Eins ". Die Einheit lediglich als solche hat essentialen Charakter. Erst in die An­ zahlenreihe gestellt und die methodisch vortragend, erst unter die Methodik der Zahlenreihe gestellt, erhält sie nun den existentialen Wert der "Eins". Und die ist so dann von pragmatischer Wichtigkeit für den Aufbau arith­ metischer Systeme. Gerade so ist sie wie jede Anzahl als auf ein Wieviel ant­ wortend von grundlegender Bedeutung für die Arithmetik als der Wissen­ schaft des "Wieviel". Diese Differenz übersieht Ho bbes, und bedarf ihrer auch nicht für seinen Zweck ; sie spielt erst später {cf. unten) im Hinblick auf die Multiplikation eine sichtbare Rolle: Jedes als Eins Genommene muß schon als Einheit vor­ geg�en sein ; und andererseits kann jede Einheit als eins gefaßt werden . So formuliert er46 : Numerus est unum et unum, vel unum unum et unum, et sie deinceps; nivirum unum et unum numerus binarius, unum unum et unum numerus temarius et similiter de caeteris num eris, quod idem est ac si diceremus, numerus est unitates. Wobei man den Plural des Prädikats auf den Singular des Subjekts hin beachten möge. In ähnlicher Weise wie bei Hobbes wird von John Locke die Anzahl von der { lediglich so hingenommenen) Eins aus verstanden : Durch Wiederholung der 1 und Verbindung beider b ildet man daraus die Samm elvorstellung, die man mit zwei bezeichnet. Wer so verfährt und zu der letz ten Sammetzahl immer wieder eine Einheit hinzufügt und ihr einen Namen gib t, kann zählen

45 Leibniz gebraucht für das in dieser Sphäre sich Stellende auch den Ausdruck "semi· mentalis". (Epistulae ad Patrem des Bosses octo ; epistula II , 1 706). 46 Th. Hobbes, De corpore ( 1 6 5 5 ) , cap. VII, 7 .

38

Frustrane Versuche des Anzahlverstehens

oder hat die Vorstellung verschiedener A nsammlungen von Einsen, die von­ einander verschieden sind. 47 Die Lückenlosigkeit einer nur auf der Eins sich aufbauenden additiven Zahlenreihe wird so erreicht. Aber es erklärt - auch hier - nicht, was die als Basis genommene "Eins" an sich selber ist: Von sich aus ist nicht etwas "eins" , so wie es etwa blau oder hart oder heiß ist . Es wird es erst im sich­ Absetzen gegen die "zwei" oder "drei" etc. (so wie es auch als Einzelnes erst im sich-Absetzen - zwar nicht gegen die Zahlenreihe - sondern gegen ein Meh­ reres seiner Art und im Zusammenhang damit so in Sicht kommt). Das Ver­ stehen der "Eins " ist angewiesen auf die Präkonzeption eirier Zahlenreihe; die aber hier gerade aus ihr her erst verstanden werden soll. Auch die Zahlenreihe ist ja nicht etwas, das durch bloße Abstraktion, durch Absehen von allen qualitativen Besonderheiten des gegenweltlich An­ fallenden aus dem Objektiven her schlicht begegnet. Im Ausgehen vom Empi­ rischen würde weder die konstitutive Lückenlosigkeit dieser Reihe noch ihre methodische unabgeschlossene Unendlichkeit garantiert sein oder auch nur als Problem in Sicht kommen. Und erklärt nicht so auch die Anwendbarkeit, die Triftigkeit der Zahlenreihe für alle Arten von Objekten.

Ausdrücklicher noch als Hobbes und· Locke, an die er sich im übrigen auch anlehnt, setzt Leibniz die Anzahl von dem rein objektiv, lediglich Abbilden­ den ab : Unum au tem esse intelligiter quidquid uno actu intellectus, sive simul cogitandus. 48 Man hat hier im Beziehen des "Unum " auch auf das "in uno actu" einen Zirkel sehen wollen (z.B. Frege) ; ein Zurückbringen der "Eins" auf sich sel­ ber. Aber es scheint mir so , daß Leibniz die "Eins" noch nicht als Anzahl, als Numerus nimmt, sondern als Element, und daß er sie nicht existential ver­ steht wie die Anzahl, sondern essential . Die actio una entspricht m.E. dem, was oben von mir als hindeutende Deixis herausgestellt wurde, und die von Natur aus, ihrem Wesen nach eindeutig ist ; und so ihren gegenständlichen Reflex im unum hat. Im Absehen vom je aktuellen Gebrauch verbreitert sich bei Leibniz der Triftigkeitsbereich de� unum zur Unitas, u n ter der die Viel­ heit alles Gegenständlichen überhaupt faßbar wird. Leibniz versteht und ver­ festigt so die Eins auf die als Element verstandene Einheit hin ; und baut daraufhin sein Zahlensystem auf: Numerus ist ihm Unitates : Numerum definio unum et unum et unum etc. s e u unitates. 49 (von mir gesperrt ) A bstractum autem ab uno est Unitas; ipsum to tum ex unitatibus seu to talitas dicitur Num erus. 50 4 1 J. Locke , An Essay conceming Human understanding II, cap. XVI § 5 ( 1 690) , Ubersetzung v. Kirchmann, Berlin 1 8 7 2 , S. 2 1 4. 48 Leibniz, Dissertatio de arte combinatoria ( 1 6 6 6 ) , Prömium, Abs 4. 49 Epistula ad jacobum Thomasium ( 1 669) , Abs. XII . 50 Dissertatio de arte combinatoria, Prömium, Abs. 5 .

Hobbes, Locke, Leibniz

39

Er nimmt die Eins (unum , unitas) nicht als Anzahl (numerus) , sondern lediglich als deren Element ; das als Einzelnes gegen Anderes oder eine Mehr­ heit sich ab setzt ; und das an sich qualitätslos sich aufladen kann mit all und jedem. Und gelöst ist aus dem aktualen Zusammenhang einer Zahlenreih�, die er so erst summierend aufbaut. Est enim numeros quasi ftgura quaedam incorporea, orta ex unione entium quorom cunque, v.g. DEI, A ngeli, Hominis, Mo tus, qui simul sun t quator. 5 1 E r versteht die "Eins" nur als Element, nicht als Zahl. (Trotzdem sie j a auch Antwort auf ein "Wieviel" ist! ) Das zeigt sich auch an seiner Ableitung der Zahlenreihe : Definitiones:

1 ) Deux, est un et un. 2) Trois, est Deux et un. 3) Quatre, est Trois et un.

Axiome, mettant des ch oses egales Demonstration:

a

La place, l 'egalite dem eure. 52

2 et 2 est 2 et 1 et 1 (par la def. 1) 2 et 1 et 1 est 3 et 1 (par la def. 2) 3 et 1 est 4 (par la def. 3)

Donc (par / 'A xiome)

2 et 2 est 4. Ce qu 'il falloit dem ontrer. Je pouvois, au lieu de dire que 2 et 2, est 2 et 1 et 1 , mettre que 2 et 2 est egal Q 2 et 1 et 1, et ainsi des autres/53

Und ergänzend : En repetan t l 'Idee de l 'unite et la joignant a une au tre unite nous en faisons une Idee co llective, que nous nomm ons deux . Et quic onque peu t faire cela et avancer toujours l'un de plus a Ia derniere Idee collective, a la quelle il donne un nom particulier, peu t comp ter, 54 tandis qu 'il a une suite de noms et assez de memoire pour la retenir. 55 Von dort aus konstituiert sich ihm sein arithmetisches System in Rela­ tionen, und er bekommt so die gezählten Elemente schematisch ( unter der Voraussetzung des Associationsgesetzes, der Gleichgültigkeit der Reihenfolge der Summanden für das Resultat) fest und verfügbar in den Griff; über das je anschaulich Vorgestellte und Vorstellbare hinaus lückenlos bis ins Endlose hinein . Letztlich in der bloßen Methodik des Hinzufügens von Einheiten aufeinander hin. Man kann so auf der als bloßer Basis hingenommenen Eins ein in sich widerspruchsloses System von Relationen aufbauen , das der formalen Sys­ tematik der Arithmetik genüge tut. 51 Dissertatio de arte combinatoria, Abs. 6. 5 2 Welches Axiom von L. in dem Fragment "Non inelegans Specimen demonstrandi" Definition 1 , als wie selbstverständlich vorausgesetzt wird . 53 Nouveaux Essays, Liv. II , Kap . XVI, § 5. 54 Cf. dazu das vorhergehende Zitat von john Locke. 55 Leibniz, "Nouveaux Essays sur l'En tendement humain" ( 1 7 0 3 ) , Liv. II, § 5 .

Frustrane Versuche des Anzahlverstehens

40

Trotzdem kommt m an so , durch b loße Summation, nicht an die Anzahl heran . Wenn man formuliert

"1

+

1

+

1

=

3" ,

so stehen auf der linken Seite der

Gleichung einzelne Elemente, die für sich je selb ständig, zwar qualitativ gleich , aber gegenständlich verschieden sind . (Nur gegenständlich Verschie­ dene kann man summieren. ) Auf der rechten dagegen steht und zwar nicht

3

3

mal dasselbe

mal irgendeines der (verschiedenen) Elemente der linken

Seite ; sondern etwas, das in allen diesen Elementen dasselbe ist und in seiner Mehrfachheit , über eine bloße Summe hinaus, die Anzahl ausmach t. Aber es bleibt so die Frage offen, was als dasselbe sich mehrfach in · den verschie­ denen Elementen sich zu manifestieren vermag. Mit bloßen nominalen Defi­ nitio nen, wie in den oben angeführten Leibniz 'schen, ist das Problem ja nicht abgetan. Die b leiben der Problematik als solcher äußerlich und laufen an ihr vorbei. Diese Auffassung der Anzahl als einer solchen Menge je Einzelner ist ( auch wenn sie nicht von Ordinalzahlen ausgeht) - in Varianten - die übliche. oder üblich gewesen. Hierbei wird die ses Einzelne als Ele ment , als je Eines und des Weiteren dann auch als "Eins " hingenommen ; und als Zusam­ menhang dann solcher Einzelner (bzw. Einsen) die Anzahl verstanden .

E.

Schröder, Busserl

Den Schwierigkeiten, die sich aus der Abstraktion vom Qualitativen ( und so differenzierter

Gegenständlichkeiten

wie

Dingen , Vorgängen , Gefühlen ,

mathematischen Lehrsätzen etc . ) ergeben , und wie sie die Motivation flir die Bain'sche Po sition waren , versucht in anderer Weise

E. Schröder56

aus dem

Wege zu gehen dadurch , daß er die zu zählenden Gegenstände ( ein-) eindeu­ tig zuordnet gesetzten Strichen. Er nimmt dabei eine Mehrheit solcher ge­ zählten Gegenstände bzw. Stücke als deren Anzahl, und die jeweilige Menge der ihnen korrelaten Striche als Zahl. Durch solche Zuordnung würde man die verschiedensten Gegenstände in bezug auf ihre Häufigkeit und zwar aus­ schließlich auf die , und von ihrem qualitativen Gehalt unabhängig, fest in die Hand bekommen . Er ersetzt dabei die gesetzten Striche durch das Zifferzei­ chen

1

als "Eines" oder "Eins" . Auf diese Position hin versteht Sehröder die

Zahlen und die Anzahlreihe :

Jedes der zu zählenden Dinge wird eine Einheit genannt. Um nun ein Zeichen zu erhalten, welches fähig ist, auszudriic ken, wie­ viele jener Einheiten vorhanden sind, richtet man die A ufmerksamkeit der Reihe nach einmal auf eine jede derselben und bildet sie mit einem , Strich: 1 (eine Eins, ein Einer) ab. Er nimm� die Zahl gleichsam als eine Abbildung der 56 E. Schröder, Lehrbuch der Arithmetik und Algebra, Leipzig 1 8 7 3 , Band 1 , Seite 5, 6, 8 , 9, 1 1 .

Schröder, Husserl

41

zu zählenden Dinge : Die natürliche Zahl ist eine A b bildung der Einheiten in Hinsicht ihrer Häufigkeit. Die Ziffern bzw. Zahlworte würden ihm der kon­ trakte Ausdruck solcher Strichgruppen sein. Auf ähnlicher Basis argumentiert auch 0 . Stolz, "Vorlesungen über allge­ meine Arithmetik" , Leipzig 1 88 5 , Teil 1 , S. 1 0 . Man kann derart durch Zuordnung Nichtgegebenes abbilden in seiner Häufigkeit auf Gegebenes und Gehbares hin . Man kann es dem Anderen so an Hand geben und so auch für sich selber festhalten. Für Beides bieten ge­ setzte Punkte oder einfache Striche sich wie von selbst an, auf die als eine konstante präkonzipierte Folge beliebig anfallende Mengen verfügbar fest werden ; die fest wird in der Möglichkeit bloßer Wiederholung und im Hinzu­ fügen neuer Einheiten sich ausweiten kann in ein Unbegrenztes. Das erscheint als für die Praxis, für Handel und Handwerk voll ausrei­ chend. Man bekommt jede beliebige Menge irgendwelcher Einheiten (ob kon­ kret oder abstrakt) so mitteilbar, abbildhaft in die Hand , auf eine Standard­ menge hin, eben solche Strichreihe hin, geortet. 5 7 Das läßt sich systematisch in den Relationen solcher Mengen gegeneinander zu einem festen für viele Zwecke brauchbaren exakten Gefüge vereinigen. Die Folge der Striche braucht nicht dem objektiv Anfallenden entnom­ men zu werden, sondern kann durch Setzen der Striche , wie unter meinen Willen gestellt, in konstanter Methode des Folgenlassens erfolgen. Es ist so eine Lückenlosigkeit solcher Reihe garantiert und zugleich ihre prinzipielle Unabgeschlossenheit. Beides wäre von der möglichen Zufälligkeit des objek­ tiv Zufallenden unabhängig. (Wie das bei Mill und Bain nicht der Fall wäre .) Aber was ist das, was hier als Einheit zu Anzahlen zusammengefaSt und gezählt wird? Dieser Strich und dieser Strich und dieser Strich sind gewißlich drei Striche. Aber das , wovon das Resultat der Plural ist, das "ein" Strich (im Sinn pes unbestimmten Artikels) geht nicht in dem "dieser" oder "dieser" oder "dieser" auf. Und wenn es sich an denen auch exemplifiziert, so liegt es doch in einer anderen Ebene. Unter einer Vielzahl zusammengefaSt könnte nur Verschiedenes sein ; nur das ist zählbar. Dem würde in einer Gleichung "Dies Etwas und dies Etwas und dies Etwas sind 3 Etwas" bzw. "Etwas + Etwas + Etwas 3 Etwas" die linke Seite der Gleichung entsprechen. Als deren Resultat auf der rechten Seite die Anzahl 3 Etwas. In der aber ist in der gegenständlichen Verschiedenheit je dasselbe erfaßt: 3 mal dasselbe . Das , was Einheiten hier als solche sind , wie sie i n der Anzahl oder im Plural zusammengefaSt sind , in ihrer merkwürdigen Ambivalenz, zugleich Verschiedenes und dasselbe zu sein, wird von Sehröder übersprungen. Die Ambivalenz blieb im Begriff der Einheit verschlossen , und die Einheit wie ein nicht weiter diskutiertes und nicht weiter abgeleitetes etalon hingenommen und weitergegeben. Dies wurde von ihm verstanden vom zählen aus und =

57 Es würde sich um eine "wohlgeordnete Menge" im Sinne Cantors handeln.

42

Fru strane Versuche des Anzahlverstehens

lediglich als dessen Grundlage. (Ähnlich faßt sie Köpp 5 8 als Komponente einer vorausgesetzten Vielheit.) Um den Schwierigkeiten, die sich aus dieser Ambivalenz ergeben , zu begegnen , läge es hier vielleicht nahe , an so etwas , wie an den Begriff zu den· ken. Und es ist auch so , d aß auf beiden Seiten der Gleichung das vor mir auf dem Tisch liegende unter demselben Begriff (z.B. Äpfel) aufgegriffen werden kann. Trotzdem geht es hier nicht um Begriffe. Begriffe von gleichem sach­ lichen Gehalt können nicht als Plural auftreten und verharren in einmaliger Identität. Obwohl in einem Begriff eine gegenständliche Vielheit erfaßt wer· den kann, ist er ein Einmaliges. Jeden Begriff gibt es nur einmal. Begriffe können auch nicht einzeln auf dem Tisch liegen und ich kann auch nicht drei Begriffe (z.B. von Äpfeln) essen, so wie ich drei Äpfel essen kann, die unter denselben Begriff fallen . Das auf der rechten Seite der Gleichung Stehende soll je Verschiedenes und zugleich je Dasselbe sein. Das wäre von der Sehrö­ dersehen Position aus unverständlich. Darüberhinaus würde hinsichtlich der Schröder'schen Position noch ein weiteres sich ergeben. Darauf wurde schon von Husserl59 hingewiesen : Wir schreib en do ch nicht einer Menge von Nüssen die Zahl Vier und jeder einzelnen dieser Nüsse die Zahl Eins zu, weil diese Mengen durch 1111 jede einzelne Nuß aber durch I abgebildet werden kann. Werden die A nzahlen als jene auf .ifquivalenz gegründeten R elationsbe­ griffe definiert, dann ginge doch jede Zahlenaussage anstatt auf die konkret vorliegende Menge als solche imm er nur auf Verhältnisse derselben zu ande­ ren Mengen. Nennen wir eine Menge vor uns liegender Nüsse darum vier, weil sie einer gewissen Klasse von unendlich vielen Mengen angehört, die sich wechselsez� ti'g in eindeu tige Korrespondenz setzen lassen ? Man kann durch Zuordnung von Mehrheiten auf ein System von Strichen (wie Sehröder das tut) oder überhaupt auf eine konstante Folge von Gegen­ ständlichkeiten (z.B. Tonfolgen oder andere konstante und schon bekannte gegenständliche Reihen hin ) Mehrheiten in ihrer Größe festhalten und weitergeben. Und solche Mengen in ihren Relationen zueinander fixieren . Die Grundlagen zu einer exakten Mengenlehre sind so gegeben . Nur rech nen kann man auf solch gegenständlicher Basis nicht. Man kann nicht 3 Äpfel mit 2 Äpfeln multiplizieren, nicht drei Striche mit zwei Strichen , nicht drei Etwas mit zwei Etwas und überhaupt nicht Gegenständliches mit Gegen­ ständlichem . Das geht nicht. Es bleibt so weiter die Frage offen: Was ist die Anzahl?

5 8 Gustav Köpp, Arithmetik, Eisenach 1 86 7 (Erste Ab teilung § 3 , Absatz 3 und 4) . übrigens nimmt auch Leibniz die "Eins" als Grundlage seiner Ableitungen schlicht hin. (Nouveau Essays, Livre second , Cap. XVI ) . 59 Husserl, Philosophie der Arithmetik, Neuausgabe (den Haag 1 9 70 ) , S. 1 1 6 , 1 1 7 .

Schröder, Husserl

43

Im Gegensatz zu Sehröder stellt Busserl den Begriff der arithmetischen Ein­ heit und der Zahl nicht auf eine Abbildung, sondern auf das Gegenständ­ liche , wie es aus der Umwelt unmittelbar anfällt, ab . Er sieht die gezählte Einheit auf das "Etwas" hin an und sieht im Etwas dasjenige, was allen Ge­ genständen und Gegenständlichkeiten zukommt, im Absehen von den sach­ lich-inhaltlichen Besonderheiten solcher Gegenstände ; das lediglich noch als leerer Bewußtseinsinhalt, in seiner Zugehörigkeit dazu, sich präsentiert. 60 Das kann so aus beliebig anfallenden Mehrheiten kollektiv fest zusammengefaßt sein , die es, nach Busserl nun als "Anzahl", gegenständlich trägt. Es können so in sich geschlossene Einheiten (Dinge, Vorgänge , Gefühle, aber auch das Etwas selbst) zu festen Mehrheiten in "kolligierender Verbindung", wie in Gegenständen höherer Ordnung zusammengefaßt sein, um so gegenüber zu liegen. Als kollektive Verbindung wird von Busserl dabei genommen eine Ge ­ samtheit, deren Elemente nicht relational-sachlich aneinander und ineinander gebunden sind. Wie etwa bei irgendwelchen dinglichen oder vorgänglichen Gestaltungen oder bei in objektiven Relationen sich Konstituierendem das der Fall ist. Es kann alles und jedes, das in gegenständlicher Selbständigkeit in sich abgeschlossen ist, so in kollektiver Verbindung zusammengefaßt wer­ den . Die qualitativen Relationen der Gegenstände zueinander (Gleichheit, Ähnlichkeit etc.) sind wie deren innere Gestaltung an den Sachgehalt des Erfaßten gebunden ; wenn sie auch den Gegenständen äußerlich sind. Sie ändern sich mit dessen Qualitäten. Auch die kollektiven Vereinigungen sind den Gegenständen äußerlich . Im Gegensatz zu den Relationen aber sind sie nicht an die Gegenstände und deren Qualitäten gebunden. Sie sind unter meinen Willen gestellt und haben subjektiven Charakter. 6 1 (So würde das bloße Zusammensein und sich Geben im Raum und der Zeit noch keine kollektive Einigung sein .) Es ist das kollektive Verbundensein je interessebedingt und rein subjektiv vom Erkennenden so zusammengebunden. Es ist objektiv unabhängig und kein objektiver von sich anfallender Charakter. Es wird daher von Busserl als psychologisch , als ein psychischer Akt verstanden. Busserl setzt an bei dem Begriff des Etwas, den er mit dem der Eins identifiziert. Nach seiner Auffassung Kommt die "Eins " ihrem Begriffe nach 60 Worin alle Gegenstände - w irkliche und m ögliche, reale und nich t reale, physische und psy chische u.s. w. - übereinkommen ist nur dies, daß sie Vorstellungsinhalte sind oder durch Vorstellungsinhalte in unserem Bewuß tsein vertreten werden. Offenbar verdankt der Begriff des Etwas seine En ts tehung der Reflexion auf den psy chischen A k t des Vorstellens, als dessen Inhalt eben jedes bestim m te Objekt gegeb en ist. Hus­ serl, Philosophie der Arithmetik, 1 890, Neuausgabe den Haag 1 9 7 0 , S. 7 9 -84. 6 1 Derart ist auch das Anzahlwort dem Gezählten prinzipiell äußerlich und gerade unabhängig von dessen sachlichem Gehalt, dessen Konstitutionen und objektiven Relationen. Es hat rein kollektiven Charakter.

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Frustrane Versuche des Anzahlverstehens

wesentlich überein mit irgendeines, irgendein Ding oder ein Ding schlecht­ weg, wo " ein " Ding den unbes tim m ten A rtikel b edeu tet; und alle diese Na­ men hab en wieder wesentlich dieselbe Bedeu tung wie das Etwas ". "Offenbar verdankt der Begriff des Etwas seine Entstehung der R eflexion auf den psy­ chischen Akt des VorstelZens als dessen Inhalt eben jedes bestimmte Objekt gegeben ist. 6 2 Durch kollektive Zusammenfassung solcher Etwas (das er mit der Eins identifiziert) kommt Husserl zu seinem Begriff der Anzahl: Indem wir zäh­ len, bringen wir jedes der konkret vorliegenden Dinge unter diesen Begriff . . . Indem jeder Gegenstand der Vielheit bloß als ein Etwas gedacht wird, so ist das Etwas bereits Eins. Das Etwas ist aber nicht von sich aus "Eins". Wohl ist es so, daß jedes Etwas auch als Eins aufgegriffen werden kann. Und alles unter den Begriff des Eins gefaßte auch unter den des Etwas fällt. Aber sie sind nicht bedeu­ tungsidentisch . Das "Etwas Rotes" hat sicher nicht anzahligen Charakter und an sich mit der Eins nichts zu tun. Und ebenso läuft der Versuch Husserls vom unbestimmten Artikel "ein", der nach ihm bedeutungsgleich dem Etwas sein soll, die Anzahl "Eins" zu fassen und von daher abzuleiten, an der Anzahligkeit vorbei. Wenn ich sage: "Ein Dreieck hat drei Seiten", so meine ich dabei normaliter nicht "Eines" (im Sinne der 1 ) , sondern will im Gegenteil über alle Dreiecke eine Aussage machen , die in Allgemeingültigkeit des Dreiecks (als solchen überhaupt) das Dreieck konstitutiv bestimmt. Und es ist auch nicht so , daß die "Eins" aus dem unbestimmten Artikel "ein " sich entwickelt hat oder aus ihm sich spezifizierte. Die meisten Sprachen haben den unbestimmten Artikel gar nich t ; wie das so auch im Lateinischen der Fall ist. Trotzdem aber können sie zu exakten Anzahlbegriffen kommen. 63 In der kollektiven Verbindung wird je durch additive Hinzufügung eines weiteren Etwas zu einem oder schon mehreren Etwas aus einem bloßen an­ fallenden ( sukzessiven oder simultanen) Konglomerat eine Anzahl hervorge­ hoben . Nach Husserl ist der sprachliche Ausdruck dafür das Synkategorema­ ticum "Und". 64 Doch ist es so , daß die kollektive Verbindung nicht sprachlich auf das "Und" angewiesen ist. Dieser sprachliche Ausdruck kann im Deutschen durch das Komma, im Lateinischen durch bloße Aneinanderreihung ersetzt sein . Und umgekehrt ist es auch so , daß nicht ein jedes "Und " einer kollek­ tiven Verbindung Ausdruck gibt. So etwa führt in dem Doppelsatz "A ist b und C ist d" das "Und" nur weiter und bindet nicht. Auch ist es wohl so, daß in dem "A und B sind Menschen" und in dem Satz "A und B sind ein 62 Husserl, a.a.O., S. 80 und 84. 63 Dabei mag es durchaus so sein, daß sprachgenetisch und psychologisch das "Eins" von der Einheit , der Einigung den Namen hat. Doch ist das für diesen Zusammen­ hang ohne Bedeutung. 64 Husserl, a.a.O., S. 75 und S. 3 3 3 ff.

Schröder, Husserl

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Paar" es sich um eine kollektive Verbindung handelt und hier ein neues Gegenständliches unter dem "und" sich konstituiert. Anders ist es bei dem "A und B sind Brüder", bei dem das "Und " nicht in eine geschlossene Mehrheit bringt, sondern lediglich die A und B durch den Plural des Prädi­ kats unter präkonzipierten Gegenständlichkeiten einweist, die aber an sich so keine quantitative Bedeutung haben , sondern sachlich divergieren , sachlich gerade nicht koinzidieren. Jede kolligierende Verbindung vermag wohl unter einem "Und" sprachlichen Ausdruck zu erhalten ; doch· gilt nicht auch das Umgekehrte. Auf die Kollektion solcher Einsen stellt Busserl die Anzahlen ( 2 , 3 , 4, etc . ) ab und als deren Allgemeinbegriff die Anzahl, die er so von der bloßen Vielheit abhebt . Es wäre so allerdings die Eins nicht als Anzahl sensu strenuo zu betrachten . Und als Kollektiva ja auch nicht die Null oder die negativen Zahlen . Und trotzdem antworten die auf die Frage nach einem "Wieviel". Diese Frage ist ein ausschlaggebendes und auszeichnendes Charakteristikum dessen , was eine Anzahl ist . Gerade aber auf diese Frage antwortet im Gegen­ satz zur "Eins" das "Etwas" nicht, und auch nicht der unbestimmte Artikel ein. Und dem wird die Husserl 'sche Auffassung von "Eins" und "Etwas" nicht gerecht. Von sich aus ist eben Etwas nicht schon Eins. Erst in einer Anzahlenreihe kommt es so in Sicht und kann unter diesem Aspekt aufge­ griffen werden ; oder dann, wenn es in einem Aggregat steht, das auf die Möglichkeit des Auszählens angesehen , als unbestimmte Anzahl verstanden wird. Es gilt hier Ähnliches wie für die Schröder'sche Position, auf die schon eingegangen wurde. Auch wenn man die Husserl'sche Identifikation von Etwas und Eins akzeptieren wollte , würde das auch hier nicht vor das bringen, was uns als Anzahl gegenüberliegt . Unter einer Anzahl zusammengefaßt kann nur gegenständlich Verschiedenes sein . Nur das ist zählbar. Zugleich müßte es dasselbe sein , was auf der rechten Seite der Gleichung ( " 1 Etwas + 1 Etwas + 1 Etwas sind 3 Etwas ") auftritt. Es würden auf der linken Seite die Komponenten einer Mehrheit in je einstrahliger Intention erfaßt sein als in sich selbst geschlossene Gehalte, die in kollektiver Einigung wohl als eine feste Gruppe , oder eine Menge in einem Gegenstand höherer Ordnung, erlaßt wären, aber nicht zugleich 3 mal dasselb e sein, wie es für die Anzahl bedin­ gend ist. Das ist anders bei dem , was auf der rechten Seite der Gleichung steht ; im Resultat. Es ist hier nicht dies Dies und nicht das andere Dies oder das nächste Dies, was hier mehrfach ( 3 mal) auftritt. Ein Dies kann nicht mehr­ fach auftreten . Es bleibt in sich abgeschlossen , und verharrt in Einmaligkeit. Die Individualität würde gewahrt bleiben bei noch so weitgehender qualita­ tiver Abstraktion und völliger qualitativer Gleichheit ; bis auf das bloße Etwas hin, das aber so immer noch dies Etwas bleiben würde, und nicht mehrfach da sein. Aber es handelt sich im Resultat der rechten Seite der Gleichung um 3 mal dasselbe, das nicht in der Verschiedenheit der Komponenten aufgeht :

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F rustrane Versuche des Anzahlverstehens

Es handelt sich nicht um 3 mal das erste, oder 3 mal das andere oder das dritte, sondern um ein ihnen gegenüber und in ihnen Allgemeines; um einen Allgemeingegenstand , von dem hier ausgesagt wird , und der die individuellen Besonderheiten an und in sich hat. Das hat seine Individualität als Dies ( oder die Mehrheit davon) in den Allgemeingegenstand verloren. Man kann diesen Apfel nicht mehrfach auf dem Tisch vor mir liegen haben ; auch nicht die abstrakten qualitativen Gehalte dieser Äpfel. Und kann die auch nicht essen, sowenig wie die Begriffe davon. Die Frage, was es mit solchen Allgemeinge­ genständen auf sich hat , bleibt hier offen. F. ]evons

Man umgeht die hier auftretende Schwierigkeit natürlich auch nicht dadurch, wie St. ]evons das versucht. Er geht davon aus, daß anzahlig zusammengefaSt werden nur solche Gegenstände oder Gegenständlichkeiten , die gleich und auf diese Gleichheit hin angesehen sind. Also etwa "Elefanten" oder aber "Säugetiere " oder aber "etwas überhaupt". Durch Absehen von den Beson­ derheiten des je Einzelnen bekomme man so dann ein allen Gemeinsames in Sicht ; aber auch nur als das, was nach Jevons gezählt wird ; und nach ihm gezählt werden könne . Denn nur so würden sie unter denselben Begriff fallen und mit demselben Terminus erfaßt werden können. Man müsse je etwas, zum wenigsten als b loßes Etwas , in der Hand behalten , von dem man alles andere Unterscheidende abfallen lassen kann, um es in einer Anzahl von zum wenigsten in einer Hinsicht Gleichen zusammen im Griff zu haben. Man kann ja nicht Katzen und Hunde und Löwen einfach zusammenzählen ; es sei denn, man sehe von ihren Besonderheiten ab und fasse sie schlicht als "Tiere". Oder Löwen, Engel, Steine und Gedanken ; es sei denn man habe sie als "Gegenstände überhaupt" oder als "bloße Etwas" im Vorgriff. (Dann aller­ dings kann man, worauf zu Anfang schon hingewiesen wurde, schlechthin alles zusammenfassend zählen.) Darauf ist ja in älterer und neuerer Zeit , genugsam hingewiesen ; sehr präzise e.twa insonderheit von Hobbes, Husserl und Ueberweg.65 Trotzdem ist es aber ja so , daß nur voneinander zu Unters Cheidendes, in gegenständlicher Selbständigkeit gegeneinander Stehendes, gezählt werden kann. Nur gegenständlich Verschiedenes kann zu einer Anzahl zusam m enge­ faSt sein . 65 "Die Zahl, absolut gesagt, setzt in der Mathematik unter sich gleiche Einheiten vor­ aus, aus denen sie hergestellt wird". (Hobbes) "Die Zahlen entstehen durch Abstraktion von Mengen, deren Glieder in irgendeiner Hinsicht untereinander gleich vorgestellt werden. Mengen untereinander gleicher Dinge - in abstracto gedacht - das sind Zahlen" . (Husserl) "Nur auf Grund der Begriffsbildung können Numeralia verstanden werden, welche die Subsumtion gleichartiger Objekte unter den nämlichen Begriff voraussetzen". ( Fr. Ueberweg).

Jevons

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Es ergibt sich dann aber die Schwierigkeit, daß die in der Anzahl zusammen­ gefaßten Elemente zugleich verschieden und gleich zu sein hätten . Diese Schwierigkeit versucht Jevons66 zu lösen dadurch , daß er von dem Sachgehalt , wie er im strengen Begriff gemeint ist, die accessorischen indivi­ dualisierenden Momente, (etwa daß dieser strenge Sachgehalt gerade jetzt oder in zeitlicher oder räumlicher Divergenz , Eigentumsbeziehungen und überhaupt dem strengeil Sachgehalt Unwesentliches) absondert ; zugleich aber, vom Rande her gleichsam , sie in den Sachgehalt hereinscheinen läßt. Für einen einfachsten Fall, in dem die Elemente der Anzahl durch 1 und die unwesentlichen Accidentien durch Beistriche angegeben sind , führt er dann an , daß für die Erklärung der Zahl 3 als 1 + 1 + 1 man eigentlich schreiben müßte 1' + 1" + 1 '" . /{ has often been said that units are in respect of being perfectly similar to each other; but though they may be perfectly similar in some respects, they must be dzfferent in at least one point, o therwise they would incapable of plurality. Those marks (hier die unterscheidenden Merkmale) must exist if they are really three men and not one and the same, and in speaking of them as many. Number is but another name for diversity. Exact identity is unity, and with difference arises plurality. A bstract numb er, then, is the empty form of difference; the abstract num b er three asserts the existence of marks without specifying their kind. 67 Fo r instance, in counting a num ber ofgold coins I must count each coin once, and not more than once. Let C denot a coin, and the mark ab ove it the position in the order of coin ting. Then 9 must count the coins C ' + C " + C '" +

C"" + . . . . . Whenever I wn" t e the symbol 5 I really m ean 1 +1 +1+1+1 and it is per­ fectly understo od that each of these units is distinct from each other. I/ re­ quisite I might mark them thus 1 ' + 1 " + 1 " ' + 1 " " + 1 ' "" . Mit solchen Signaturen aber wäre die Gleichheit der gezählten Gegen­ ständlichkeiten verloren gegangen. So etwa würden bei 1' + 1'' + 1 "' für die 2 drei verschiedene gegenständliche Werte re sultieren, je nachdem ich die erste, zweite oder dritte Eins subtrahiere. Es ist dabei belanglos, wie groß oder wie geringfügig auch immer die unterscheidenden Differenzen sein mögen. Wollte man die Aufgabe 3-2 im Jevons'schen Sinne als ( 1' + 1 " + 1 "' ) - ( 1 "" + 1 "'" ) verstehen , so wäre sie schlechthin unlösbar und schon als bloße Forderung unsinnig. Man kann nicht von 5 Äpfeln 2 Birnen subtrahie6 6 St. Jevons, The principles of Science, London 18 74 ( Seite 1 7 6 , 1 7 7 , 1 7 5 , 1 58 , 1 6 2 ) . 6 7 Z u diesen Jevons'schen Formulierungen auch Paul du Bois-Reymond, Allgemeine Funktionentheorie, Teil 1 , Tübingen 188 2 , Seite 16 : Die A nzahl ist gleichsam der Rest, der in unserer Seele zurückbleibt, wenn alles, was die Dinge unterschied, sich verflüch tigt, und nur die Vorstellung sich erhält, daß die Dinge getrennt waren. Sie miß t das Geftih� wie oft wir hab en aufmerken müssen.

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F rustrane Versuche des Anzahlverstehens

ren und nicht von einem Apfel eine Birne. Es sind zählbar und abzählbar nur solche Gegenständlichkeiten, die in sich selbst stehend voneinander abgesetzt, und so in einem "dies" fixierbar sind ; und die ihre Qualität abgeschlossen in sich haben. Dabei ist es aber so , daß (wie sachliche Gleichheit auch) Verschiedenheit wohl bedingende Grundlage der Anzahlerfassung ist ; aber Anzahligkeit nicht einfach in Verschiedenheit aufgeht. Wenn ich sage "dieser Fleck und j ener Fleck sind von verschiedener Farbe", so kommt nicht etwas in einer Zwei­ heit in Sicht ; sondern in seiner (qualitativen) Verschiedenheit. Auf Anzahl­ haftigkeit ist hier noch gar nicht gefragt, von sich aus präsentiert sich hier etwas noch nicht als "zwei". Analog gibt auch eine Dasselbigkeit etwas noch nicht als "Eins" und führt noch n icht in eine Anzahlenreihe. Quantität (also auch Anzahlen) ist auch hier nicht aus Qualitativem herauszuholen. Bloß verschiedene Gegenständlichkeiten sind unterschieden und unter­ scheidbar durch Momente der Qualifikation oder der Position zueinander oder doch unter der Möglichkeit differenzierten Hinweisens deictisch gegen­ einander. Sie vermögen derart wohl in Aggregaten sich zu stellen und so aufgegrif­ fen werden. Aber der Versuch die Anzahl vom Einzelnen aus zu verstehen (im Grenzfall auch "Etwas, das eins . ist") führt bei konsequenter Durchfüh­ rung zwangsläufig in die Schwierigkeiten, die sich im Hinblick auf die Jevons' sehe Position ergeben haben. (Das gilt auch für alle solche Versuche von den Empiristen her bis in die Neuzeit, z.B. Busserl.) Man würde so wohl Aggregate und auch fest in sich geschlossene und durch ein Wort zu bezeichnende und zu fixierende Mengen erhalten. Und würde weiterhin die Komponenten ein-eindeutig einander zuordnen und in einem "mehr", "gleich " · oder "weniger" die Aggregate mengenmäßig ver­ gleichen können und solche Mengen in ihren Relationen zueinander festle­ gen. Und weiterhin solche Aggregate auch einer Standardreihe solcher Ag­ gregate zuordnen (die etwa . der natürlichen Anzahlenreihe konkordant sein könnte oder einer Tonleiter etc. ). Man kann so einem Andern die Größe einer Menge an Hand geben und mitteilen. 68 Aber man kann nicht mit solch en Aggregaten im eigentlichen Sinne rechnen. Darauf, daß man so nicht würde subtrahieren können , wurde bereits verwiesen. Aber man kann auch nicht 3 Elefanten mit 2 Elefanten multipli­ zieren oder 3 Atome mit 2 Atomen oder 3 Etwas mit 2 Etwas . Das wäre schlechthin sinnlos. Aber auch bei der gewöhnlichen Addition schon zeigt sich das . Ein lediglich sammelndes Aufgreifen je Einzelner ist noch keine Addition, und ein bloßes Aggregat noch nicht auch die Anzahl von etwas. Sondern allenfalls eine Menge. Wäre die Anzahl lediglich das abbildende Zu­ sammen verschiedener Gegenstände (mit noch so minutiösen Differenzen) , s o bliebe sie lediglich abbildendes Konglomerat dieser Gegenstände mit ihren 68 Es sei hier auch auf das von Steinthai über "Die Mandunegersprachen" § 1 4 3 Ange­ führte hingewiesen. ( cf. Anhang) .

Jevons

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Differenzen , aber wäre nicht Anzahl von etwas qualitativ Selben . (Das sie doch sein soll .) "Dieser und dieser und dieser Apfel auf dem Tisch vor mir sind zusam­ men 3 Äpfel" . Dem Aggregat je verschiedener Einzelner steht hier im Resul­ tat ein sachlich Selbes gegenüber, das als Mehrma liges aufgegriffen und ge­ bunden ist. Das je Einzelne aber kann nicht mehrfach dasein und angesetzt werden, der Plural ist nicht einfach Mehrheitsausdruck von je Einzelnen . Ein je Einzelnes kann sich nicht selbst hinzugefügt werden. Der Einmaligkeit von je Verschiedenem im Aggregat steht die Mehrmalig­ keit desselben in der Anzahl oder im Plural gegenüber. Aber was ist hier das­ selbe? Was ist das, was als sachlich Selbes in gegenständlich Verschiedenes hinein sich zu verlieren vermag ; und dennoch aus ihm her zur B egegnung ansteht? Und in die Welt hinein sich vereinzelt? Durch Abschieben auf quali­ tative Gleichheit umgeht man diese Frage nicht. Für Gleichheit ist immer schon gegenständliche Verschiedenheit die Grundlage. Gezählt kann nur Verschiedenes werden , in der Anzahl aber hat man es mit einem je mehrfach Seiben zu tun . Man könnte vielleicht annehmen wollen, es handele sich hier um einen Begriff oder um Begriffe . In einem Beispiel "5 Äpfel" fällt das je Verschie­ dene ja auch unter einen und denselben Begriff. Aber man zählt ja nicht die Begriffe, sondern durch sie hindurch die Begriffsgegenstände. B egriffe kön­ nen nicht auf dem Tisch liegen ; ich kann wohl 5 Äpfel als Gegenstände kau­ fen und essen, aber nicht 5 Begriffe. Schon der Plural wäre für einen Begriff sinnlos . Es sei denn unter gegenständlicher Suppo�ition (z.B. die Plurale ver­ schiedener Worte) , in der sie aber nicht aktual gebraucht werden. Ähnliches wie für den Begriff würde auch für das vorstellungsmäßig abzu­ hebende Quale von etwas zu gelten haben. Auch das ist ja in solchen Sätzen nicht gemeint, (und auch das würde man nicht kaufen und essen können). Und das würde ja das Quale des je Einzelnen bleiben und nicht von sich aus zu einem Allgemeingegenstand (wie er gezählt wird) werden ; sondern eben das Quale solchen Allgemeingegenstandes ausmachen. Durch vergleichende Abstraktion kommt man nicht hinaus über das je Einzelne zu einem im je Einzelnen durchhaltenden Allgemeingegenstand. Man würde ein Aggregat gleicher Gegenstände in der Hand behalten ; die in ihrer Gleichheit unter denselben (einen ! ) Begriff fallen würden, aber weiter­ hin als je einzelne von einander zu unterscheidende Gegenstände verbleiben. Man würde über ein begriffliches Sosein der je Einzelnen nicht hinauskom­ men. Zudem würden die Begriffe der je Einzelnen in einen zusammenfallen: Gold + Gold ist Gold ; nicht aber 2 Gold . Das ändert sich auch nicht dadurch , daß b ei absoluter Gleichheit der je Einzelnen diese auch zeitlich und räum­ lich koinzidieren . Gerade auch die (absolute) Gleichheit und die Ununter­ scheidbarkeit würden eben rein ihrem Begriffe nach Verschiedenheit schon voraussetzen, auch Raum und Zeit sind in keiner Weise prinzipia individua­ tionis. Erst im festhaltenden Dies stellt es sich als Individuelles .

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Frustrane Versuche des Anzahlverstehens Man kommt dem Wesen dessen , was als Durchhaltendes in der Anzahl

zusammengefaSt ist, so nicht näher. Darüberhinaus würde auch der Versuch , vom "Dies " charakter oder "Etwas" charakter z u abstrahieren nicht weiter­ führen . Es würde sich in einem regressus in infinitum totlaufen . (Die Deixis ist eben nich ts, das im Objektiven gründet , wie eine qualitative oder raum­ zeitliche Unterscheidbarkeit ; und von dort aus verstehbar wäre . ) Ähnlich i s t es auch schon für unseren gewöhnlichen grammatischen Plu­ ral . Was ist das , von dem er die Mehrheit angibt ?

G. Frege Von je Einzelnen und so auch dem deictisch Faßbaren ausgehend und an ihm ansetzend, ergibt sich immer die Schwierigkeit , daß das anzahlig Zusam­ mengefaSte zugleich Verschiedenes und Dasselbe ist. Es lag daher nahe , vom B egriff auszugehen und etwa die Aussage "Dieser Apfel und dieser Apfel und dieser Apfel sind zusammen 3 Äpfel " als den

Ausdruck begrifflicher Abhängigkeiten zu lesen . Und es ist ja auch so , daß

ein einmaliger B egriff der Möglichkeit nach ein Mehrfaches an einzelnen Ge­ genständen unter sich zusammenfassen kann . Der Begriff als die Bedeutung eines Sachworts geht dabei nicht einfach im qualitativen Gehalt einer Vorstellung auf ; ein bloßes Quale ist noch kein B egriff. Wesentlich ist ihm auch ein intentionales Hindeuten auf Gegenwelt­ liches, das in ihm sachlich vorerfaßt ist. Und das in einer (wenn auch imagi­ nären) Welt zu einem vom bloßen Vorstellungsgehalt unabhängigen gegen­ ständlichen Selbst kommen könnte ; auch dann , wenn das Gegenständliche dabei leer bleibt (wie in bezug auf Greifen und Drachen und dergl . ) Begriffs­ inhalt und sein Umfang, angesetzte Qualität und ihr Triftigkeitsbereich sind grundverschieden und nicht auseinander ableitbar, aber doch fest ineinander gebunden im verstehbaren Begriff. Während die vorgenannten und angegangenen Autoren für das Verstehen der Anzahlhaftigkeit vom je einzelnen ausgehen, setzt

Frege 69

beim Begriff

und zwar beim Qualitativen des B egriffes an . Er geht dabei für das , was die Anzahl und die Reihe der Anzahlen ist , aus von der "Null " . Und die versteht er aus von in sich widerspruchsvollen Be­ griffen etwa : "Sich selbst ungle ich " , "h ölzernes Eisen", "viereckiger Kreis" und dergleichen. Denen entspricht auf der gegenständlichen Seite nichts ; es be­ gegnet hier nichts in seinem leib haften Selb st. Der Umfang solcher B egriffe wird von Frege als die Anzahl

0

(Null ) genommen . Die würde nach ihm dann

rein aus der Struktur solcher B egriffe sich ergeben. Und mit ihnen als deren formales Korrelat von vomherein gegenständlichen außerbegrifflichen Bestand

69 Gottlob Frege, Grundlagen der Arithmetik, Hildesheim 1 9 6 1 ( 1 884).

Frege

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haben ; i n einem Modus ideeller (hier negativer) Existenz. Von hier aus sucht Frege sich die Anzahlenreihe verstehend aufzubauen. So aber kommt man nicht an die Null, an die Anzahl 0 heran. Wie die sinnlosen Lautzusammenballungen ( "Abrakadabra" und in anderer Weise die bloßen Interjektionen) haben auch die sogenannten wider­ spruchsvollen Begriffe keinen verifizierbaren gegenständlichen Sinn. Es handelt sich bei ihnen nicht um echte Begriffe, in denen etwas begriffen oder vorergriffen werden kann. So durchstreicht etwa "Ein A, das nicht ein A ist", sich selbst schon in statu nascendi . Und ebenso ist es in bezug auf so etwas wie "hölzernes Eisen" ; also ein Eisen , das aber kein Eisen sein soll. Auch ein Wortgefüge wie "eine synkategorematische Katze" ist ohne verstehbaren Sinn . 70 Es formiert sich bei solchen Wortgefügen im Gegeneinander der zusammengestellten Be­ griffe kein neuer in sich geschlossener Begriff ; und, auch vorstellungsmäßig, nichts zu einem in sich geschlossenen Was ; nichts, nach dessen Bestehen oder Fehlen in irgendeinem objektiven (realen oder ideellen) Bereich unter irgend­ einem Modus des Begegnens auch nur gefragt werden kann. Und das auch im Prädikat in die Leere gehen würde; und unter dem nichts verstanden und bestimmt werden könnte. Solche Kombinate sind begriffsleer und nichts als ein sinnloses Wortge­ füge (nicht anders als bei einem bloßen Lauthaufen, etwa Abakadabra, das dann der Fall sein würde ) . Trotzdem die Komponenten derartiger Wortag­ gregate je für sich einen Sinn haben, verlieren sie den in solchen Kombinaten. Es gibt keine mögliche Vorstellung, die ihnen entsprechen könnte ; sie haben keinen Triftigkeitsbereich , auf den hin sie zutreffen können und fallen in sich selbst zusammen. Es wird in ihnen nichts intendiert und vorerfaßt, sie sind ohne gegenständliche Bedeutung und Verweisung. 7 1 Es liegt hier mit solchen Worthaufen noch keine präkonzipierte Vorstel­ lung vor, die dann aus dem Objektiven her sich sachlich auffüllen könnte zur Leibhaftigkeit, oder aber leerbleiben könnte ; kein Was, in bezug auf das man

70 Während im Fall des ,.nicht Aseienden A" ein logisches Durchstreichen vorliegt, liegen Synkategorematica und so etwas wie Katzen in prinzipiell verschiedenen Sphären, die rein ontologisch nicht miteinander vereinbar sind und aus sachlichen Gründen sich ausschließen . 7 1 Diesen Sachverhalt übersieht auch Husserl, der Sätzen wie ,.Alle Vierecke haben fünf Ecken" oder ,.Hölzernes E i sen" auf Grund ihres (äußerlichen ! ) Zusammengehal­ tenseins durch ihre grammatikalisch-formale Stru ktur eine Art Bedeutung zubilligt ; im Gegensatz zu bloßen Wortballungen wie "ein rundes Oder" und ,.Mensch und ist" und dergleichen. Husserl , Logische Untersuchungen Teil 1 , Kap. IV, § 1 2 . Dazu übrigens auch : Ein Satz wie ,.A ist nicht a" wäre falsch, aber nicht sinnlos . Dagegen wäre "Ein nicht-a seiendes a" schon begrifflich sinnlos. Die Funktion der Copula bedingt diese Differenz.

Frustrane V ersuche des Anzahlverslehens

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auf eine (eventuell ideelle ) Existenz fragen könnte und eine anzahlhafte Ant­ wort erhalten im Sinne eins Ja o der Nein. Sie meinen und bezeichnen nichts : Sie verweisen überhaupt nicht und b ezeichnen daher auch nicht ein Nichts . 72 Da mit ihnen kein

Was,

nach dessen Wieviel gefragt werden könnte , vorliegt ,

kann das auch nicht unter die Frage, ob "drei" , "zwei", "ein s " oder "null " , geraten. Nichtbezeichnen und nichts B ezeichnen sind Verschiedenes. Auch bei der Null müßte nach einem präkonzipierten Etwas , einem "Wovon" es null wäre, gefragt werden können. Es geht b ei der Null als einer Anzahl um die Tatsächlichkeit von etwas, um das Wieviel oder das Wieoft der Realisation vom Was dieses Etwas ; um die Größe eines von einem antizipier­ ten Was eröffneten Triftigkeitsbereiches. Aber dieses Was muß auch in sach­ licher Konstitution erfragbar antizipiert sein , um überhaupt eine anzahlhafte Antwort , und sei es

als "null " erhalten zu können. Solche Antwort aber er­

gibt sich nicht aus dem im Begriff vorergriffenen Was, sondern liegt in irgend­ einer gegenständlichen begriffsunabhängigen Sphäre , in die hinein mit dem Begriff gefragt werden soll und kann . Der als Was vorerfaßte Sachgehalt des B egriffs bedarf der gegenständlichen Verankerung, um auch anzahlig faßbar zu sein. Das ist anders, wenn ich etwa hinsichtlich der Existenz von Greifen oder der Anzahl j etzt lebender Dinosaurier die Frage stelle. Es fehlt auch hier ein anzahlmäßig faßbares gegenweltliches Korrelat . Solche Tiere gibt es nicht oder nicht mehr. Aber es ist hier im Begriffswort ein

Was

vorgegeben, auf das

hin gefragt, und das auch (wenngleich vielleicht unvollkommen ) , vorstel­ lungsmäßig vorerfaßt werden kann . Und mit dieser Möglichkeit ist eine Sphäre eröffnet, aus der man hinsichtlich seiner Existenz (und des Wieoft solcher Existenz) eine Antwort im Sinne des Ja oder Nein erhalten kann . Mit einem b egrifflich vorerfaßten Was ist hier der Weg in einen Triftigkeitsbereich auf­ getan, aus dem her ein solches Was in ( ideeller oder realer) E xistenz der Mög­ lichkeit nach vorfindlieh sein kann oder fehlen , in einem auszählbaren Wie­ viel . Mit einem Wieviel, das nicht in diesem Was schon mit angesetzt ist und aus dem sich ergib t, sondern erst aus dem faktisch in außerbegrifflicher Exi­ stenz Anfallendem faßbar wird als drei , zwei oder null . Die widerspruchsträchtigen W� rtgefüge und sinnlosen Worte

haben

keinen Triftigkeitsb ereich ; es entspricht ihnen kein Begriff, sie sind begriffs­ leer. Da unter ihnen kein

Was

sich konstituiert nach dem gefragt werden

kann , kann solch ein Was hier auch von vomherein nicht gesucht werden . Es resultiert hier eine b loße Leere ; die führt nicht weiter in eine Zahlenreihe und verweist nicht in sie. Sie ist Leere und weiter nichts . So etwas wie An­ zahligkeit kommt hier überhaupt noch nicht in Sicht und so auch nicht die

72 So ist streng genommen das Korrelat solcher widerspruchsträchtigen Wortkombinate nicht einmal ein Nich ts ; weil überhaupt kein gegenständliches Korrelat hier inten­ diert ist.

Frege

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Null. 73 Der Begriffsleere hier (bei "hölzernem Eisen" , "nicht A-seienden A", "Abrakadabra") steht gegenüber die Leere des Triftigkeitsbereiches im an­ deren Falle ( in bezug auf "Greifen", "Sphinxe" , "6 wertigen Wasserstoff" und dergleichen) ; in bezug auf die echte Fragen nach einem positiven oder negativen Modus ihrer Existenz, auch wenn sie nur negierende Antwort erhalten können, sehr wohl möglich sind , und die aus einem, wenn auch imaginären Felde gegenständlich anzuscheinen vermögen. Keinen Triftigkeitsbereich haben und den Triftigkeitsbereich "Null" haben , ist Grundverschiedenes. Das übersieht Frege.

Noch einfacher als mit der Null macht es sich Frege mit der Ableitung der Eins ( 1 ) ; auch hier mit der Ableitung von Quantitativem aus Qualitativem . Wohl gilt es, daß wenn a unter den Begriff F fallt und ebenso b , daß dann a gleich b ist bis zur absoluten Gleichheit. (Das kann bis zur qualitativen Iden­ tität gehen . So kann ich bei einer gleichmäßig gefärbten Fläche feststellen , daß hier und dort sich dieselbe Farbe vorfindet, und zwar im strengsten Sinne : Wie man auch eine Farbe nicht wieder abmalen kann.) Trotzdem kommt so von einem Dasselbesein noch nicht so etwas wie Anzahligkeit und Eins in Sich t ; kommt nicht von der identischen Qualität zur numerischen Identität , und so auch nicht an die Anzahl 1 heran. Von sich aus ist ein Et­ was nicht I Etwas ; sondern ist schlicht es selbst ; ein Etwas, mit dem noch nicht eine mögliche Anzahlenreihe mit anscheint . Man verbleibt im Bereich des Qualitativen. Ein Ring, der unter den Begriff "dieser mein Ring" fällt, kann verloren und wiedergefunden werden. Er vermag dann, unter diesen Begriff gestellt, · als derselbe in Sicht zu kommen. In dieser Identität aber kommt er darum nicht schon als ein Einmaliges in Sicht; und trotzdem er den ganzen Triftig­ keitsbereich des Begriffes ausmacht, noch nicht im Sinne der Anzahl. Es wtrd in solcher qualitativen Identität etwas lediglich zurückgebogen auf sich selbst und sein eigenes Quale ; nicht aber gestellt auch schon in eine Reihe der Anzahlen. Es stellt sich noch nicht in einem Wieviel und Wieoft oder in die­ sem Falle also in der Anzahl "eins" ( 1 ). Erst wenn ich diesen Ring im Hin­ blick auf eine (antizipierte) Anzahlenreihe anspreche, kommt er auch als "einer" in Sicht ; im Heranscheinen von der neben ihm und auf die hin zu­ geordnet , nicht aber von sich aus an sich selbst. Ich kann wohl die Anzah­ lenreihe auch an das legen, was als dasselbe heraufscheint. Aber das wird hier dann wie von außen herangetragen. Von sich aus gibt etwas sich noch nicht 73 Es hätte keinen Sinn einem Begriffsumfang den Anzahlwert .,Null" zuzuschreiben, wenn er nicht der prinzipiellen Möglichkeit nach auch offen wäre für andere Anzah­ len und daraufhin im Davonabsetzen verifizierbar. Der Begriff der Null bliebe unver­ stehbar ohne das Heranscheinen anderer Anzahlen neben ihm . In der .,Null" ist schon die Anzahlhaftigkeit, der Hinblick auf die ganze Anzahlenreihe antizipiert; in einem .,kein " nich t.

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Frustrane Versuche des Anzahlverstehens

als "eins" ; so wie es aus sich heraus und auf sich selbst hin als dasselbe sich präsentiert, oder als blau oder rot. (Ubrigens würde auch, wenn man das "Eins" sein im Sinne numerischer Identität verstehen wollte, die Ableitung Freges aus den unter denselben Begriff F fallenden a und b als aus einer präkonzipierten Doppelheit als ursprünglich in Verschiedenheit Gefaßter, die in ihrer Gleichheit auf dasselbe hin koinzidieren , schon eine Zweiheit und so Anzahl implizieren. ) Demgegenüber versucht Frege, wie bei der Null auch die Eins vom be­ grifflich-Qualitativen aus auch als Quantitatives in den Griff zu bekommen. Er setzt ein b ei der von ihm auf die widerspruchsträchtigen Begriffe hin miß­ verstandenen Null , und argumentiert von dort aus. Nach ihm fällt unter den Begriff oder das Prädikat "gleich Null" ein ( 1 ) Gegenstand, nämlich die Null. Es wäre das dann die umfängliche Anzahl, die dem Begriffe "gleich 0" zu­ kommt. (Wie bei ihm "0" der gegenständliche Umfang wäre des B egriffes "gleich aber ungleich 0".) Nun ist es aber so, daß dem Ausdruck "gleich 0 " Verschiedenes ent­ spricht. Und zwar erstens "gleich null" und zweitens "gleich Null". Im ersten Fall wäre die Anzahl dessen, worauf das Prädikat "gleich null" zutrifft, un­ endlich groß. (Anzahl der Elefanten auf dem Mond oder der erwachsenen Menschen , die in einer Nußschale Platz haben oder zwei weniger zwei etc.etc.) Jedenfalls aber nicht einfach nur "eins" ( 1 ) . Anders ist es, wenn ich das "gleich 0 " nicht numerisch nehme (nicht als "gleich null " ) , sondern als gegenständlich Festes, als "gleich Null" oder als "gleich der Null ". Dann fällt unter den Begriff "gleich 0" üetzt Null) tat­ sächlich nur ein ( 1 ) Gegenstand nämlich "die Null" . Aber ein Gleiches gilt dann auch für "gleich 2 (Zwei ) " oder "gleich 3 (Drei) " etc., wie auch dem "der jetzt regierende Kaiser von J apan" oder dem ,Julius Caesar". Es haben hier derart unendlich viele B egriffe denselben anzahligen Umfang, nämlich 1 . Und e s ist auch so , daß m an über die Null, die Eins , die Zwei etc. wohl Aus­ sagen machen kann, 74 aber nicht mit ihnen würde rechnen können. Die Null, _

74 So kann man etwa feststellen, daß die Drei eine Primzahl ist, daß sie eine ungerade Zahl ist, daß sie mit arabischen oder römischen Ziffern geschrieben werden kann. Und auch, daß sie eine Zahl ist, deren Quadrat 9 ist. Man kann auch von ihnen die Existenz aussagen im Modus des Vorkommens : Es gibt sie beim Rechnen in Glei­ chungen und in der Zahlenreih e ; sie kommen dort vor. Aber so rechnet man nicht mit ihnen, und so kann man mit ihnen auch nicht rechnen. Man hat sie jetzt in ihrer Funktion entaktualisiert und eingeklammert. Man kann so - unter gegenständlicher Supposition - wohl über die Anzahl reden, aber hat sie so nicht in ihrer Funktion und im Vollzug ihrer Bedeutung. "Die" Fünf ist nicht die Anzahl von etwas, sondern ist hier selbst Gegenstand. Vom fun ktionalen genuinen Wert der Zahl oder Anzahl, so wie man mit ihr rechnet, ist ihr gegenständliches Sein und Sosein wohl zu unterschei­ den. So bezeichnen auch die echten funktionalen Partikel [ aber, obwohl, sondern etc. ] nichts Gegenständliches, im Gegensatz zu den Relationspartikeln [neben, mit, gegen, für etc. ) . Trotzdem werden sie verstanden. Doch kann man auch gegenständliche

Frege

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die Eins, die Zwei, die Drei sind zwar zusammen vier ( 4 ) Anzahlen, aber ergeben nicht zusammen die Anzahl Sechs. Man kann mit null , eins, zwei etc. wohl rechnen , aber keine gegenständlichen Aussagen über sie machen . Es sei denn gerade diese Feststellung, in der sie aber auch unter gegenständlicher Supposition stehen ; nicht aber in actu. 7 5 Im einen Falle entspricht demsel­ ben Begriff eine Unendlichkeit verschiedener unter ihn fallender Gegenständ­ lichkeiten, im anderen unendlich vielen verschiedenen Begriffen dieselbe Umfangsgröße . Da führt es auch nicht weiter, wenn Frege dann schreib t: Wenn unter einen Begriff F ein Gegenstand fällt, und wenn allgemein daraus, daß x unter den Begriff F fällt, und daß y unter den Begriff fällt, geschlossen werden kann, daß x = y ist, so ist 1 die Anzahl, welche dem Begriffe F zukommt. (S. 91) Der Satz würde zu recht bestehen , wenn hier das "ein" als Zahlwort zu verstehen wäre ; aber dann auch nichts besagen und nicht über eine Wieder­ holung des Vorausgesetzten und eine bloße terminologische Identifikation hinaus weiterführen . Nimmt man das "ein" aber im Sinn des unbestimmten Artikels , so würde man versuchen, so die Anzahl " 1 " einschleichen zu lassen. Aber das würde falsch sein . Es würde das "ein" dann entweder nur bezeich­ nen, daß der Begriff F nicht sinnleer ( in obiger Bedeutung) wäre ; oder aber wenigstens offenbleiben auf die Möglichkeit auch noch anderer Anzahlen hin . Dann aber würde nicht einmal aus "x y " mit Notwendigkeit eine Das­ selbigkeit resultieren ; geschweige denn , daß man so die Anzahl " 1 " in den Griff bekäme . Auch in einer anderen Formulierung, die Frege dieser seiner These auf Seite 67 gibt, zeigt sich ihre Unhaltbarkeit : Einem Begriff F kommt die Zahl 1 zu, wenn nicht allgem ein, was auch a sei, der Satz gilt, daß a nicht unter F falle, und wenn aus den Sätzen "a fällt unter F und b fällt unter F " allge­ mein folgt, daß a und b dasselbe sind. Mit solcher Dasselbigkeit aber kommt etwas nicht schon als "Eines" in Sicht. Es zeigt sich so als Dasselbe, aber von sich aus auch nur als "Dasselbe ". Die Dasselbigkeit hat qualitativen Charak­ ter, aus ihr ist Quantität, also auch die "Eins", nicht zu erschließen ; nicht aus der Essentia auch die Existenz. Widerspruchsfreiheit und Widerspruchsträchtigkeit sind Qualitativa von Begriffen oder B egriffskombinaten. Weiterhin aber· ist es noch so, daß selbst dort, wo unter ihnen sich ein echtes Quale, nach dem gefragt werden kann, sich konstituiert, dennoch die Frage nach dem Wieviel davon prinzipiell offenbleibt. =

Feststellungen über sie machen. (Wie z . B . eben gerade diese hier; oder daß sie in andere Sprachen übersetzbar sind) . Aber in diesen Feststellungen werden sie nicht verstanden ; die sind nicht ihr Sinn. Verstanden werden sie lediglich als aktuell, im lebendigen Vollzug eines Satzes. Sie haben an sich pragm atischen Charakter. Das ineinander Verschwimmenlassen von gegenständlichem Charakter und funk­ tionalem Wert ist charakteristisch auch für die Fregesche Ableitung der Anzahlen. 75 Analoges gilt übrigens auch für die echten Imperative.

Frustrane Versuche des Anzahlverslehens

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In jeder Quantität und so auch in je der Anzahl ist Existenz in irgend­ einem Modus (sei es ideeller oder realer Natur) latent und tragend . Und die wird in ihr angesprochen im "Wieviel" oder "Soviel" der Vorfindlichkeit von etwas in irgendeinem Bereich . Anzahl geht auf etwas, das "ist" oder das "besteht" ; und ist das "Wie oft " solchen Bestehns. Sie ist angewiesen au f eine mögliche existentiale Manifestation des Begriffes von etwas, und die scheint in ihr mit herauf. Die auf ein Gegenständliches hin abgeprägte Leer­ form des Begriffs, in der das Was dieses Gegenstandes vorerfaßt ist , ist nicht zugleich auch dasj enige , was sie zu gegenständlicher Leibhaftigkeit auffüllen würde. In seiner Unleibhaftigkeit gibt der Begriff von etwas nicht zugleich von sich aus das von ihm Intendierte in seinem leibhaften Selbst in die Hand. Ich kann beliebige , beliebig vie l auch in sich widerspruchslose Begriffe b ilden , ohne daß ein ihrem Quale entsprechender Gegenstand vorfindbar ist : Und es mag genug Gegenstände möglicher Begriffe geben , die nie begrifflich erfaßt sind. Vorstellungsmäßig-b egriffliche Unleibhaftigkeit und die Leibhaftigkeit im Selbst sind Grundgegebenheiten von prinzipieller Differenz . ( So wie auch Wahrnehmung und Vorstellung nicht weiter und nicht auseinander ab leitb ar sind ; trotz ihrer psycho-physischen Abhängigkeiten.) Gerade diese Unleibhaf­ tigkeit, die sich hier und da oder dort zur Leibhaftigkeit auffüllen kann, ermöglicht einen Triftigkeitsbereich ; aus dem heraus etwas anzahlig, unter null , eins, zwei etc. in seinem Selbst anzufallen vermag. Als Begriff sens.stren. ist zu nehmen die Bedeutung eines Sachwortes: Das Hinweisen auf ein von ihm Unabhängiges, irgendwie Objektives; durch das dieses Objektive eindeutig und ausreichend festgelegt ist . Diese hinwei­ sende Intention des Sachworts vermag von dem her, worauf sie ausgerichtet ist , in vorstellungsmäßiger Anschauung qualifiziert zu sein . D ieser anschau­ liche Gehalt vermag abzublassen bis in vorerfas sende pragmatische Inten­ tionen auf etwas hin ; und in denen gerade so auch Gegenständliches (reales oder irreales, objektives oder subjektives ) vorgreifend in Griff bringen und fixieren. (Man kann seitenweise mit Verständnis lesen ohne anschauliche Vorstellungen zu haben . ) Das als Begriff hier Gefaßte is't nicht - worauf hingewiesen ist - bloßes Quale und nicht so etwas , wie eine verallgemeinerte abgeschwächte Vorstellung davon . Der Begriff der Erbse ist weder rund noch überhaupt räumlich konfiguriert ; und der Begriff des Roten oder der Röte ist nicht wiederum rot, auch nicht ein abgeblasstes Rot. Der B egriff hat hin­ weisenden, pragmatischen , nicht aber gegenständlichen Charakter; wenn ich ihn auch in gegenständlicher Supposition aufgreifen und über ihn reden kann. 76 (Vom Sachnomen sind dabei - worauf oben schon h ingewiesen wurde die Synkategorematica zu unterscheiden , die nichts bezeichnen, aber an­ weisend sind im Vollzug der Sätze . )

7 6 Cf. Grundlagen einer Phänomenologie der Erkenntnis, Kap . IX.

Frege

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Wesentlich ist die spezifische Ausrichtung in die Zukünftigkeit eines möglichen Begegnens ; und mit ihr die Öffnung eines Triftigkeitsbereichs, (der aber die Größe "null" haben oder annehmen kann) und als Umfang des Begriffes mit dem Begriffsinhalt fest verbunden den Begriff ausmacht als die beiden Konstituentien des Begriffs. Wobei der Inhalt essentialen , der Triftig­ keitsbereich existentialen Charakter hat. Umfang und Inhalt des Begriffs liegen trotz ihrer festen Bindung im Begriff in verschiedenen Sphären oder Schichten. Inhalt und Umfang (bzw. Qualität und Triftigkeitsbereich) des Begriffes sind trotz ihrer festen Bindung ineinander im Begriff Grundverschiedenes und nicht auseinander ableitbar. Gleichwohl läßt Frege beide ineinander ver­ schwimmen und bringt sie gründlich durcheinander. 77 So formuliert er: Die Gestalt des Dreiecks D ist der Umfang des Begriffes "ähnlich dem Dreieck D " ( S . 7 9 ) . Es würde das aber besagen, daß die Gestalt des Dreiecks D die Gesamtheit der ihm ähnlichen Dreiecke sei ; also eine Qualität von etwas eine Quantität von etwas. Und weiter: Die A nzahl, welche dem Begriff F zu­ kommt, ist der Umfang des Begriffes "gleichzahlig dem Begriff F". (S. 7 9 , 80) 78 Das aber würde bedeuten, daß die Anzahl der unter einen Begriff F fallenden Gegenstände die Gesamtmenge der mit dem Begriff F gleichzahli­ gen , gleichgroßen Mengen wäre ; also eine Gesamtheit von unendlich vielen äquivalenten Mengen. 7 9 Mit Recht sieht Frege in seinem Beispiel Der Wagen des Kaisers wird von vier Pferden gezogen (S. 5 9 ) in dem Zahlwort 4 nicht ein Eigenschaftswort von Gegenständen wie etwa in "edel" oder "schwarz". 80 Eine Änderung des Zahlwortes 4 in 6 oder 2 würde auch den mit 1 angesetzten und in irgendwel­ cher Anschauung vorgestellten Gegenstand "Pferd " nicht qualitativ irgend­ wie tangieren . Und so auch nicht dessen Mehrzahl. Frege nimmt daher den zitierten Satz als eine Aussage über Begriffe und das Zahlwort als dem Be­ griff . "Pferd" zukommend ; nicht als Aussage über die durch das Sachnomen intendierten Objekte, sondern als Aussage über die B egriffe, durch die hin­ durch die Objekte erfaßbar sind . ( S . 59 , 6 1 , 64) Er nimmt die Begriffe selbst als die sprachlich intendierten Objekte. Aber es ist ja so : Nicht 4 Begriffe von Pferden werden vor den Wagen gespannt und ziehen den ; das wäre von denen

77 Seine Kritik dabei der Mill 'schen und J evons 'schen Position ist aber ausgezeichnet und von höchster Exaktheit. 78 Vergl . dazu auch Freges Anmerkung auf S. 7 9 : Ich glau be, daß for " Umfang des Begriffes " einfach " Begriff" gesagt werden könnte. 79 Gegen die Frege 'schen Positionen nehmen übrigens - unter je anderen Gesichts­ pun kten - auch E. Husserl, Philosophie der Arithmetik, Neudruck 1 9 7 0 , den Haag, Seite 1 1 8- 1 2 2 und P. Natorp, Die Grundlagen der exakten Wissenschaften, Leipzig und Berlin 1 9 2 1 , Seite 1 1 6 - 1 2 1 Stellung. 80 Es ist charakteristisch und symptomatisch, daß wenigstens bei uns - die echten Zahlworte undeklinierbar und keines Plurals fähig sind wie die Adjektive. -

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Frustrane Versuche des Anzahlverstehens

zuviel verlangt . 81 Sondern die in den Begriffen gemeinten Pferde selbst sind das, worum es hier geht. Und die vor mir auf dem Tisch liegenden 3 Äpfel sind keine Begriffe , sondern die Äpfel selbst, die ich dann esse. Begriffe kann man nicht essen und von 3 bloßen Äpfelbegriffen wird man nicht fett. Der Versuch Freges, aus dem Begrifflichen her das Wesen der Null und der Eins herzuleiten und die Null und die Eins so in die Hand zu bekommen, schlägt daher notwendig fehl ; und damit auch die Ableitung der Zahlenreihe, die auf der Eins von ihm aufgebaut wird , und in die hinein dann die Proble­ matik der Eins nun übergeht in die Reihe der Anzahlen von Zahl zu Zahl und somit auch die Existenz. Die Quantität von etwas ergibt sich nicht aus seinem Begriff. 8 2 (Dazu auch unter anderem Gesichtspunkt P. Natorp , a.a.O. s. 1 2 3 ) . Das gilt prinzipiell fü r mögliche Versuche überhaupt, die Anzahl vom B egriff aus des Gezählten zu fassen und zu verstehen . Es wäre das ja auch ein Analogon zum alten ontologischen Argument des Anselmus, das hier (wie bei Frege in negativer Wendung) in einem neuen Modus wiederholt würde.

81 Begriffe sind einmalig-Einziges. Man kann sie auch nicht verdoppeln oder halbieren. 82 Quantität ist aus der Qualität nicht heraufzuholen und nicht die Existenz aus der Es­ sentia. Umgekehrt aber vermag sehr wohl Existenz in den Begriffsgehalt von etwas konstituierend einzugehen ; in positivem oder negativem Modus. (.,Der jetzt regie­ rende Kaiser von Japan", .,der ausgestorbene Dinosaurier" etc. ) . Als im Subjekt mit angesetzt , vermag man dann das Existenzmoment in echter (apriorischer) Analysis sich wieder heraufzuholen : .,Den jetzt regierenden Kaiser von J apan gibt es", .,den ausgestorbenen Dinosaurier gibt es nicht mehr"_ Analog vermag Anzahliges in den Begriff von e twas eingehen, um in ihm gegenständ­ lich fest zu werden (und dann aus ihm gegebenenfalls analytisch erfaßt zu werden). So z.B. "Das Zweirad" , "ein D�ieck", .,vierbeinige Tiere" etc . . Anzahl (und Exi­ stenz) sind in diesen Fällen entaktualisiert und bestimmen den Begriff lediglich quali­ tativ. Aber für diesen nun neuen komplexen Begriff bleibt dann von Neuern die Frage nach dem Wieviel davon offen. (Also etwa: Wieviel Zweiräder es gibt oder an einem bestimmten Orte es gibt).

Kapitel IV DAS VORHANDENSEIN UND DIE REAUTÄT

An das, was das Wesen der Anzahl ausmacht, kommt man nicht vom sach­ lichen Gehalt dessen heran, was in ihr zählend zusammengeiaßt ist. Sterne, Menschen, Moleküle vermögen je so zusammengeiaßt sein. Bedingend ist lediglich ein sachliche Gleichheit ; wie sie auch im Absehen und übersehen von qualitativen Besonderheiten der zur Begegnung anstehenden Etwas hingenommen und zusammengeiaßt werden zu bloßen Gegenständlichkeiten überhaupt. Zugleich aber auch eine gegenständliche Verschiedenheit. {Ohne solche Verschiedenheit würde man ja nicht abzählen können.) Trotzdem handelt es sich ja anzahlmäßig um dasselbe in der Anzahl, nicht um je ver­ schiedene Einzelne. Worauf oben schon hingewiesen wurde, scheitert etwa Mills Versuch das Wesen der Anzahl empirisch-abbildlich zu fassen; abgesehen davon, daß größere Anzahlen praktisch überhaupt nicht in Sicht zu bringen sind, prinzi­ piell auch daran, daß die der Anzahlenreihe notwendige Lück enlosigkeit nicht garantiert wäre. Ebenso läuft der Husserl-Reyersche Versuch , die Eins und den unbestimmten Artikel auseinander zu verstehen - wie oben gezeigt wurde - an der Problematik der Anzahlhaftigkeit vorbei. Und es führt auch nicht weiter, wenn man vor der eigentlichen Problematik Halt macht und wie z.B . Leibniz die Eins als Grundlage der Zahlenreihe nimmt ; denn die Eins ist ja selber schon Anzahl. Auch um Begriffe geht es nicht bei dem, was gezählt wird . Man kann nicht vier Begriffe vor einen Wagen spannen (wie Frege das versucht) ; und von vier Apfel-Begriffen wird man nicht satt. Quantität ist aus der Qualität einer Sache nicht verstehbar. (Trotzdem es Quantität ohne qualitativen Gehalt nicht gibt, und auch das Umgekehrte nicht der Fall ist.) Man kann ein solches Konglomerat von Daten als eine in sich geschlossene Einheit oder aber als Vielheit seiner Komponenten auf­ fassen. Verstandene Quantität fällt nicht von sich aus schlicht an. Die von dorther gemachten Versuche, auf die oben eingegangen wurde in ihren Varianten, schlagen daher notwendig fehl. Was aber ist das, was in seiner gegenständlichen Verschiedenheit dennoch als dasselbe aufgegriffen und zusammengeiaßt werden kann; auf das man sich ausrichtet (und ausgerichtet sein muß , um zu existieren) ? Und das nicht in einem leibhaften Selbst identifizierbar angegangen wird und dennoch kein bloßer Begriff in seiner gegenständlichen Leere ist ? Diese Schwierigkeit besteht nun aber nicht nur für die Anzahl, sondern bricht schon im vormathematischen Bereich auf: Im gewöhnlichen gramma­ tischen Plural, wie er im alltäglichen sprachlichen Umgang gebraucht wird ; in der Frage, wovon der Plural denn ein Plural sei. (Und auch schon im isolier-

60

Das Vorhandensein und die Realität

ten Substantiv! ) Es ist hier auch so, daß ein Selbes als ein in gegenständlicher Mehrheit zur Begegnung anstehend genommen wird : Auch der Plural ist nicht einfach Ausdruck eines Konglomerates einzelner voneinander ver­ schiedener Individueller. (Gegenüber dem Anzahlausdruck wird aber im Plural als solchem Umweltliebes nicht quantitativ spezifiziert. Auch nicht in der unbestimmten Weise des "wenig" oder "viel" und auch nicht in der leeren Form des "x" oder "a" stellvertretend vorerfaßt. Er verharrt in quan­ titativer Neutralität, geht auf bloßes Mehrsein hin, das occasional von außen her nicht eingegrenzt und sonst offen ist auf die Welt hin.) Aber was ist das, was im Plural angegangen und erfaßt wird? Sicher ist es ja so, daß in ihm auch je Einzelne aufzugreifen sind und aufgegriffen werden. Und sicherlich ist es auch so, daß das je Einzelne unter denselben Begriff (etwa Apfel) fällt . Es sollte hier schon stutzig machen, daß ich sagen kann : "Dies und Dies und Dies sind drei Äpfel." Von einem Begriff gibt es keinen Plural ; er ist in seinem Quale nur das, was er als dieses Quale ist. Man ist hier nicht auf Begriffe ausgerichtet , wenn man sagt: "In diesen Kasten gehören Erbsen, in jenen Bohnen". Begriffe kann ich nicht in einen Kasten legen. Und es ist auch nicht so, daß hier um eine Anzahl oder eine unbestimmte Menge in ihrer Individualität fest bestimmbarer und identifizierbarer Erbsen es sich handelte. Der Satz würde auch durchaus sinnvoll sein oder bleiben, wenn durch irgendeinen makabren Zufall es einmal plötzlich keine Erbsen mehr realiter gäbe oder geben würde. Es geht im Plural nicht um ein bloßes Konglomerat von unter einem "Dies" und ,Jenes" fest bestimmten Gegenständen, die als je Einzige festge­ halten und festzuhaltende sind: Es handelt sich im Plural nicht um solche im Dies identifizierbaren individuellen und sachlich unterschiedenen Gegen­ stände. Weder die Anzahl noch der Plural gehen auf Begriffe hin und sind nicht aus denen her verstehbar. Begriffe und auch eine Anzahl davon kann ich nicht in einen Kasten legen ; und die gehören auch nicht dort hinein. Es würde auch nicht weiterführen aus arithmetischen Zusammenhängen das Zahlproblem lösen zu wollen. In ihnen ist immer das, was Zahl und Anzahl ist, je schon vorausgesetzt. Die Grundi age eines Systems wird nicht von dem aus verstellbar, was auf ihr, eben als System, sich aufbaut; das Element nicht aus der Mehrheit dieser Elemente. Es geht um das Wesen der Elemente von Anzahl, Plural und Aggregaten: Gegenweltlich Anfallendes wird faßbar unter einem "Dies" ; wie es in einem Hindeuten manifest wird ; das auch ein geistiges Hindeuten auf Geistiges (doch in seiner vollen Gänze Präsentes, gerade so in sich geschlossenes Ge­ genständliches) sein kann. Konglomerate davon sind im deictischen Durch­ stoßen der qualitativen Gehalte (und daher im Absetzen von ihnen) als Mengen solcher ( deictischen) Elemente zusammenfaß bar. Die Elemente solcher Mengen sind dabei lediglich als Zielpunkte eben einer möglichen

Das Vorhandensein und die Realität

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De"ixis, von vomherein qualitätsleer hingenommen und i m Hinblick darauf sachlich gleich. Dazu ist keine Abstraktion erforderlich , der bloße deictisch gesetzte Gegenstandscharakter genügt und besagt hier schon dasselbe. (Wie auch schon jeder Vollzug mengenmäßiger Erfassung von Umweltliehern zeigt; man abstrahiert nicht erst mühevoll, sondern läßt einfach beiseite liegen .) Sehr wohl ist dabei eine qualitative Beladung des Dies jederzeit möglich . Doch sieht man auch dann durch solche Gehalte hindurch auf ein Dies hin, das qualitativ nur tingiert ist. Außerdem würde es ja beim Abstrahieren so sein, daß das, was abstrahiert und von dem abgesehen werden soll, auch bei to­ taler Abstraktion immer noch das voraussetzen müßte, von dem es beiseite geschoben und beiseite gelassen wird. Das würde trotzdem in einem Dies und zwar grundlegend restieren. Und auch von dem Dies zu abstrahieren , in einem infiniten Regress sich totlaufen. Als Element, in diesem Sinne unter ein Dies gestellt, wird etwas in seiner vollen Gänze aufgegriffen, als Individuum im ursprünglichen Wortsinn; und im sich-Absetzen von allem Anderen als Verschiedenes von dem und als ein in-sich-stehendes Einmaliges. Als ein unter die Dies-Deixis Gestelltes vermag ein Individuelles nicht mehrfach vorzukommen; es ist keines echten Plurals fähig. Es wird unbeschadet seiner Größe als Ungeteiltes und Unteilbares genommen ; (darum natürlich nicht schon als Teilloses) . In ihrer Verschieden­ heit voneinander, wie überhaupt von allem Anderen, lassen sich solche Ele­ mente zusammenfassen zu grösseren Einheiten. Nur gegenständlich Ver­ schiedenes vermag derart zusammengefaSt zu sein. Für die Menge als solche ist dabei belanglos nicht nur die qualitative Beladung der Elemente , sondern auch ihre objektive Position zueinander und die Reihenfolge, in der die Ele­ mente zur Begegnung anstehen. Als ein Individuelles ist dabei zu nehmen und wird hier genommen etwas, das in seiner vollen Leibhaftigkeit unter einem hinweisenden Dies präsent ist oder doch so genommen werden kann ; und so sich abhebt von allem An­ deren. Sei das nun ein Gegenständliches der Außenwelt oder ein für sich in seinem Selbst aufgegriffenes Phänomen der inneren Anschauung (ein phan­ tasiertes, vorschwebendes Farbphänomen etwa oder ein sonstiges Phantasma oder aber ein aktuelles Gefühl als dieses oder eine anschauliche Empfindung j etzt) .

·

Wie ein Sonderfall , als Prototyp des Individuellen mag hier vorerst das ge­ nommen werden, was als Vorhandenes aus der natürlichen Umwelt her zur Begegnung ansteht und derart deictisch faßbar wird . (Auch das aus der Ver­ gangenheit und Zukunft so Heraufscheinende würde dazu gehören .) Das Vorhandene (wie es unter einem Suppositionswechsel auch als Indi­ viduelles in Sicht kommen kann) ist etwas, das mir vor der Hand liegt ; in seiner Präsenz oder derart, daß es prinzipiell wenigstens gleichsam bereitliegt, lediglich auf mein Zuwenden hin auch in anschaulicher Selbstgegebenheit

62

Das Vorhandensein und die Realität

sich zu zeigen ; oder doch so hingenommen wird. ( So wie etwa die Rückseite des Mondes oder meines Schrankes. ) Und zwar nur durch bloßes zugreifen und sich-zuwenden, nicht aber durch Neuerschaffen, präsent wird . Solch Neuerschaffenes würde dann allerdings auch sofort als nun Vorhandenes aufzugreifen und in Sicht zu bringen sein: Das Erschaffen selbst aber ist nicht die Manifestation eines sich-Zuwendens auf ein Seiendes hin, das im Vorhandensein das subjektiv vom Ich aus Hintragende und Markierende ist. Und ebenso ist nur ein ak tives sich-Zuwenden und Erfassen bedingend dafür, um etwas als vorhanden in Sicht kommen zu lassen. Ein passives An­ fallen der Befunde und ein passives Herangebrachtwerden des Erkennenden an die Gegenständlichkeiten der Umwelt würden nicht genügen. Es wäre nichts ausgemacht darüber und nicht garantiert, daß ein selber sachlicher Gehalt, irgendein Gegenstand auch in den Zwischenzeiten des sieh-Zeigens und Anfallens als derselbe noch Existenz hätte. Die Umwelt würde als ein in äußerer Zufälligkeit Zufallendes in eine inkohärente Folge von Daten und Fakten zerflattem. Es würde das nur in einer eventuell gesetzmäßigen Folge von Ereignissen vo rgänglich sich stellen ; aber gerade so nicht vor der Hand liegen . Ein Gegenstand der Umwelt wird als vorhanden nur genommen, wenn er präsent sich zeigt ; oder für solche Präsenz unter meinen Willen gestellt , für seine Präsentation bereitliegt , und er mir hinsichtlich dessen zur Verfügung steht: Lediglich unter der Möglichkeit durch aktives Aufsuchen etwas jeder­ zeit zu fassen und nur unter meinen Willen gestellt, hat man es jederzeit und in den Interwallen seiner Präsenz durchhaltend im Griff und Vorgriff. 83 (Auch eine noch so enge Folge anfallender Daten würde nicht ausreichen dazu und allenfalls eine Gleichheit sich feststellen lassen.) Derart scheint am Vorhandenen schon eine Möglichkeit des Weges zu ihm ; eine Möglichkeit es (prinzipiell wenigstens) auffinden zu können; in ihm ist etwas im Hinblick auf den Weg zu ihm letztlich in einer Beziehung zu mir in meinem Jetzt angegangen. Dabei ist es nicht so, daß j ede räumliche Bestimmung einem Vorhan­ densein oder möglichen Vorhandensein konkordant ist. So nicht dann, wenn es sich um räumliche Relationen (etwa des Nebeneinander) zwischen Etwas und einem anderen handelt oder um Beziehungen zu etwas, das nur imagi­ nären Wert hat und nicht auch selbst greifbar ist ; oder um Relationen in 8 3 Cf. dazu auch' Grote, .,Die Welt der Dinge" 1 94 8 , S. 1 89ff. und .,Möglichkeit, Ding und Dasein " (Philosophia naturalis, Bd. 111 , 1 ) . Auch die fonnale Erscheinung des Dinges stellt sich unter diesem Modus : Daß nach einem anschaulich Präsenten Anderes unter einem Erwarten heranscheint ; als auf aktive Zuwendung hin (herumgehen, auseinanderbrechen etc .) auch Ieibhaft das in Sicht zu kommen vennag. Es ist hier aber das Vorhandensein entaktualisiert ; nicht mehr auf den Erkennenden hin unmittelbar orientiert. Sondern auf das gegenständ­ lich Präsente hin und an das sachlich gebunden und nun als qualitativ-konstituieren­ des Moment in die formale Dinggestalt eingegangen.

Das Vorhandensein und die Realität

63

einer Märchenwelt . Sondern nur, wenn es um meinen aktuellen Raum , dessen dynamischer Mittelpunkt ich in meinem Selbst bin, geht. Ebenso würde auch das neutrale Enthaltensein in einem Weltganzen nicht das Wesen des Vorhandenseins ausmachen: Es würde auch hinsichtlich solchen Totums, das alles enthielte, aber in nichts enthalten wäre, die Frage seines Daseins oder Vorhandenseins aufzuwerfen sein. Und es ist weiterhin auch nicht so, daß der spezifische Charakter des Vorhandenseins wie ein Quale von ihm selbst sich aufdrängt� und schlicht begegnete wie ein "rot", "hell", "rauh" ; oder wie ein "irisierend" im Zusam­ menhang mit einem Tun nur schlicht sich manifestierte. Das würde in einen infiniten Regreß führen. Als ein Existenzmodus ist es gerade dem entzogen, was qualitativ mit ihm angesetzt wird. Das Vorhandene ist im Wege zu ihm methodisch auf das vital zentrierende Ich hin systematisch festgeworden. Das gilt auch für das Ich als solches selbst. Es ist zwar in seiner durchleb­ ten Vorfindlichkeit nicht im vorher ausgeführten Sinne vorhanden. Es ist aber so, daß in der Möglichkeit sich zuwendenden Innewerdens es über seine jeweilige Präsenz hinaus gegenständlich festzuwerden vermag und als die Umwelt zentrierend in seinem leibhaften Gebundensein auf die Welt hin geortet und faßbar ist und so sich dem System des Vorhandenen 84 einglie­ dert . Das Vorhandensein und das Ich sind auf dem Boden aktiver Zuwen­ dung korrelativ. Mit dem durch seine Leiblichkeit in das System des Vorhan­ den gebundenen Ich vermag dann auch das, was es (etwa wie ein Gefühl stim­ mungsmäßig) tingiert oder affizierend es tangiert (etwa ein Schmerz) darauf­ hin als je Meiniges verstanden zu werden und eingebunden zu sein in das System. Das Vorhandene ist faßbar als etwas, dessen leibhafte Begegnung nur unter die Bedingung meines Willens gestellt ist und das so , prinzipiell wenig­ stens, durch bloßes Aufsuchen zur Selbstgegebenheit gebracht werden kann oder .könnte. Auch das jetzt Präsente wird als vorhanden so verstanden: Daß ich mich so darauf ausrichten kann, es mir so festhalten und auch aus der Er­ innerung so heraufholen kann. Es ist das, worauf ich auch vorgreifend den Finger legen kann in einem hindeutenden (und nur so verstehbaren) deicti­ schen "Dies". Es ist etwas, das, so wie es gemeint ist , in seiner vollen Leibhaf­ tigkeit und seiner (even tuell successiv zu fassenden) vollen Gänze in diesem "Dies" vorerfaßt ist. In seiner Gänze wird es als ein gegenständlich nicht teilbares Festes angesetzt : Als Individuelles. Dieser Individualitätscharakter fällt nicht einfach vom Objektiven her an, sondern wird so genommen. Es vermag je wiederum ein Individuelles praktisch geteilt zu werden oder auch als Teil eines Größeren verstanden werden. Und auch vom Raumzeitlichen her ist es nicht einfach so zu verstehen ; so als wenn Raum und Zeit die prin­ zipia individuationis wären. Auch wenn Gegenständlichkeiten raumzeitlich in

84 Das Ich vermag vorhanden zu sein , aber nicht vorzukommen.

Das Vorhandensein und die Realität

64

ihrem vollen qualitativen Gehalt koinzidieren , so werden sie wohl ununter­ scheidbar, gleichwohl aber - b leibt im Begriff schon der Ununterscheidbarkeit -- worauf oben schon hingewiesen wurde - die . Individualität dieser Gegen­ ständlichkeiten in ihrer ausschließenden Verschiedenheit weiterhin erhalten und gerade so sichtb ar . Unterschiedenheit setzt Verschiedenheit vorau s . Es würde übrigens auch für das raumzeitliche Universum als solches gelten , daß es, wenngleich in sich selbst raumzeitlich bestimmt, nich t wiederum in eine raumzeitliche Bestimmung geraten kann: Und daß es trotzdem ein Indivi­ duelles ist. (Und umgekehrt wäre es auch so, daß sehr wohl ein Allgemeines nach Raum und Zeit b estimmt sein kann "Der Löwe kam

1 8 70

nur noch in

Afrika, nicht auch in Asien vor" . ) Das Vorhandene wird unter seinem "Dies-da" aus der Umwelt her auch als Individuelles gegenständlich fest. Es setzt so in seiner in sich geschlos­ senen Gänze in ausschließender Verschiedenheit gegen alles andere sich ab , als ein Einmaliges . Es ist dies und nur dieses hier, nur das, worauf ich ausge­ richtet bin. In seinem Gestelltsein unter die dies-Deixis vermag das Indivi­ duelle nicht mehrfach vorzukommen . In der prinzipiellen (darum nich t auch der faktischen) Möglichkeit, e s aufsuchend i n seiner vollen Gänze erfassen z u können , ist etwas als vorhan­ den Hingenommenes ein eminent Objektives ; das über die Faktizität seines Erfaßtwerdens hinaus formal Bestand haben würde auch für den Fall , daß es kein erkennendes Wesen gäbe. Es ist nur so über die Interwalle seiner Präsenz hinaus als perexistierend faßbar ; und wird nur im Hinblick darauf so gen om­ men. Die unter mein Belieben gestellte Faßbarkeit des Vorhandenen ist die unausgesprochene

Randbedingung

eines

physikalischen

oder

überhaupt

me chanisch en Durchgreifens der Umwelt. Es ist das , was man verfügbar vor­ greifend im Griff hat , und das so von vitaler Bedeutung ist für alles aktive Handeln und Verhalten. Das Vorhandene ,

als ein individuelle s, ist zusammenfaßbar zu Mengen

von je Einzelnen. Man kann es so durch Ordinalzahlen signieren , mit denen je nur ein Einzelnes erfaßt ist. Man kann solch e Mengen anderen Mengen zuordnen und einem Anderen

an

Hand geben ; und so auth der Menge der

Ordinalzahlen. In einer rein subj ektiven von brutal Anfallendem abgeh o­ benen Reihung. Aber man bleibt auch dann im Bereich der Mengen. So etwas wie Anzahlhaftigkeit kommt so noch nicht in Sich t ; man erfaßt derart wohl ein Konglomerat in einem "Ebensoviel" , aber nicht in einem " Soviel". Die Mengenzuordnung, wie sie für das Vorhandene m ögl ich ist , hat größte prak­ tische Bedeutung. Nur rechnen kann man mit Mengen nicht : Man kann nicht Mengen mit Mengen multiplizieren, nich t haupt nicht

5

Gegenständlichkeiten mit

5 Äpfel mit 2 Äpfeln und über­ 2 Gegenständlichkeiten. D arüber­

hinaus ist es ja auch noch so , daß man vom Vorhandenen aus, das immer nur je Einzelnes ist, nicht Urteile von absoluter Allgemeingültigkeit (wie sie z . B . fü r d i e Mathematik fundierend sind ) verifizieren könnte. Man würde vom Vorhandenen aus lediglich zu empirischen Urteilen von vielleicht höch ster

Das Vorhandensein und die Realität

65

Wahrscheinlichkeit kommen können, aber nicht absolut geltende Befunde in die Hand bekommen. Das Vorhandensein ist Existentiale kat-exochen , ist abgestellt auf seine Erfas­ sungsmöglichkeiten hin durch das Ich . Im Gegensatz dazu ist das Realsein ein Relationale. Beides ist grundverschieden; doch kann Vorhandenes unter einem Suppositionswechsel als Reales angesprochen werden , und umgekehrt. Aus dem Totum der Welt und dem in ihr Vorhandenen zugehörig, gibt sich etwas in seinem Dasein als so da wie jenes, im gleichen Modus des ßegegnens; daß dieses Ding dort so da ist , wie jenes und alle anderen ; daß unter gleichem Realitätsmodus es ansteht wie die. Man kann , ohne weiter zu untersuchen, was es mit solchem Realitätswert sonst noch auf sich hat, ihn eichen auf irgendein bestimmtes Ding hin, so wie es dort liegt ; auf das Buch dort vor mir oder die eigene Hand oder nach Ver­ einbarung auf ein Beliebiges sonst. Und all das als real nehmen , was in Bezug auf dieses Ding dort gerade so sich gibt , oder im Zusammenhang mit ihm Ieibhaft in Sicht gehoben werden kann und weiter das, was mit ihm an Rela­ tionen und Vorgängen zur Präsenz zu kommen vermag. Daran ändert aich auch nichts dadurch, daß jeweils nur ein Teil des Dinges unmittelbar Ieibhaft sich gibt, und andere dingliche Eigenschaften aus der Verdecktheit nur heraufscheinen oder heraufgeholt werden können (z.B. die Rückseite meines Schrankes, oder indirekt auch seine physikalischen und chemischen Beschaf­ fenheiten) . Daß das sinnlich so Offenbare über sich hinausweist auf ein nach ihm Transcendentes kommt hier nicht zum Tragen. Das so Transcendente bleibt dem Ganzen des in seiner Realität Hingenommenen, so wie das eben auf dieses, das gutbürgerliche Ding der alltäglichen Praxis, auf die "res" als solche, bezogen ist, immanent. Es verharrt in einer dem Umweltganzen möglicher Erscheinungen immanenten Transcendenz. Das ist die Einstellung des normalen praktischen Verhaltens. Sie ist als solche durchaus nicht vag und vermag die Basis abzugeben für ein exaktes naturwissenschaftliches Durchgreifen der Welt, in dessen Grundbegriffe ihre Ansebaulichkeiten aufgehoben sind. Es ist die Position des natürlichen Rea­ lismus. 8 5 Die Physiologie der Sinne deckte nun das sinnfällig Erscheinende (wozu auch die Aspekte, Erscheinungen anderer Menschen gehören würden und die des eigenen Körpers) auf in ihre kausalen Korrelate ; in Ätherschwingungen, Atome, Elektronen und dergleichen. Diese physikalischen Befunde und ihre Abhängigkeiten voneinander und ihre Relationen zueinander wurden dann als die eigentlichen Konstituentien der Welt genommen ; denen gegenüber 85 Ich hatte früher dafür den Ausdruck "naiver Realismus" gebraucht, doch wurde ich von H. Hegenbarth, Graz, darauf aufmerksam gemacht, daß ein solcher Terminus in eine Reihe anderer Theorien verweist und die voraussetzt.

Das Vorhandensein und die Realität

66

würden die sinnlich anfallenden Daten rein subjektiven anzeigenden Charak­ ter haben und in einer b loßen Empfindungssphäre verbleiben , deren vital zentrierender Mittelpunkt das Ich wäre. ·

Das mit solcher Vertiefung des Sinnfälligen Gewonnene wurde als (im

eigentlichen Sinne) Reales hingenommen, demgegenüber die anschauliche Gegeb enheit des Erscheinenden lediglich den Wert anzeigender Darstellung haben würde . Derart , daß das einzelne Sinnesdatum als Anzeichen für die Existenz eines ihm kausal Korrelaten , sachlich aber ihm Inkommensurablen zu nehmen wäre ; daß zugleich aber in den Relationen solcher Daten sich Ver­ hältnisse des

ihnen Transcendenten als sich meldend genommen werden

können. Aber auch für solche kausalen Korrelate würde es gelten , daß sie - wenn auch indirekt - nur in Phänomenalem sich stellen würden , in physikalische Apparaturen hinein sich melden und in deren Re aktionen und nur so faßbar sein würden. Diese Apparate selbst wieder und ihre Reaktionen würden eben­ falls in subjektiv Phänomenale m sich präsentieren. Kausalität ist verstehbar nur als induktiv-empirische konstante Folge und läßt einen aus sich selb st Bestand hab enden erwirkenden Träger nich t von sich aus in Sicht kommen und verifizierbar erfassen. Man ko mmt im Ausgehen von Phänomenen auch mit ihr nicht aus dem Bereich des Phänomenalen hinaus. Das durch die Sinne Anfallende würde so als üe nur) einem Einzelnen eigen, diesen wie in ein Gehäuse raumzeitlich verwobener sinnlicher Daten und Vorstellungen ein­ und abschließen . Ein solch es System vermöchte dem erscheinungsmäßigen Ablauf des Weltgeschehens gerecht zu werde n ; aber es würde erkenntnistheoretisch in einem absoluten

Subjektivismus

terminieren und nicht die Möglich keit

echten ( nicht letztlich phänomenal gebundenen) Transcendierens freigeben. Ein wie in sich selbst Stehendes, der sinnfälligen Sphäre J enseitiges, Trans­ cendentes kommt so nicht in Sicht. Uber diesen Subj ektivismus hinauszu­

kommen , würde nur meinend oder glaubend möglich sein. 86

(Trotzdem hätte ein solches System nicht etwa einen solip siseben Cha­ rakter : Der Solip sismus ist eine eminent metaphysische, wenn auch negie­ rende, Aussage über Transcendentes. Hier aber ist - rein methodisch schon - nicht einmal die Sphäre aufgetan, in die hinein eine dahinzielende Frage , und sei es nur als Frage überhaupt, gestellt werden könnte ! )

86 Es ist nach Kant "immer ein Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenver­ nunft, das Dasein der Dinge außer uns bloß auf Glauben annehmen zu müssen, und wenn es jemand einfallt, es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entge­ genstellen zu können" (Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur 2. Auflage, XXXIX, Anmerkung). Ähnlich Schopenhauer, wenn er meint, man könne einen Vertreter des Solipsismus (also in meiner Terminologie des radikalen Phänomenalismus) nicht widerlegen, aber man müsse ihn ins Tollhaus sperren.

Das Vorhandensein und die Realität

67

Auf dem Boden dieser Methodik ist es natürlich nicht angängig, irgend­ welche phänomenale Gestalten , sie analog auf die eigne Leiblichkeit hin verstehend , als Erscheinungen anderer der gleichen Welt angehörender Men­ schen zu nehmen, und so ein transcendentes Gebiet und von dort aus das Gebiet eines Transcendenten überhaupt als existent sich zu eröffnen. Und ebenso geht es nicht an , aus der Tatsache sozialer Gefühle (Mitleid, Liebe , H aß etc.) auf die Existenz anderer Menschen, als dem, worauf die Gefühle gehen , schließen zu wollen. 8 7 Dergleichen würde auch auf bloße Phantasmen gerichtet sein können. (Wie eine miterlebende Lektüre von Romanen zeigen kann.) Auch der Versuch , von der Hemmung gewollter Eigenbewegungen aus das System zu durchbrechen , 88 führt nicht viel weiter. So etwas wie eine in dieser Hemmung manifest werdende Gegenkraft und ein sie Tragendes ist nicht verifizierbar aufzuweisen. Der Bezug auf ein den Phänomenen Transcendentes, wie das im prak­ tischen Dahinleben schlicht hingenommen wird , und das der kritische Realis­ mus, nach methodischem Sich-Absetzen von ihm , wieder einschleichen läßt, ist beim konsequenten, auf die Phänomene fundierten , Idealismus in all seinen Varianten umdeutend herausgestrichen. Und läßt sich durch keinen Kunstgriff wieder hereinholen. Diese Entwicklung in die verschiedenen Formen. des erkenntnistheoretischen Idealismus hinein war folgerichtig und zwangsläufig, wenn man unter der Supposition des methodischen Zweifels am sinnfällig-Anfallenden einsetzt und an ihm verifizierend aufbauen will . Trotzdem : Die Dinggestalt bleibt, lediglich auf diese Basis gestellt, ohne innere Gewich tigkeit und ohne die dem Ding eigene Materialität. Das Ding besteht ja nicht aus Sinnesdaten und sinnlichen Phänomenen ; es besteht auch nicht in der Einheit ihrer Kombinationen und nicht im auf ein "dort" zen­ trierten Gesetz ihres Zusammenhangs. Man hat in seinen erscheinenden Qua­ litäten , in dem , was so von ihm getastet oder gesehen wird, wohl mit dem Apfel zu tun. Aber man ißt nicht Phänomene und deren auf ein "dort " hin zur Einheit geschlossene Gesamtheit, sondern eben den Apfel selbst. Man würde im gestalthaften Erscheinen lediglich wie um eine Leere hin abtasten. Und es führt nicht weiter, wenn man die als mit Atomen und Molekülen vollgepackt hinnimmt und den Gegenstand als eigentlich ein Konglomerat von ihnen. Man verschiebt damit lediglich das Problem. Und auch die würden unter diesem Aspekt nur als Knotenpunkte von, letztlich in sinnlichen Phä­ nomenen fundierten, Relationen sich ausweisen. Man ißt den Apfel selbst und nicht sein Aussehen , seine Undurchdring­ lichkeit oder sein Gewicht. Und Essen ist mehr als bloße Umkombination 8 7 Wie z . B . bei Riehl, Philos. Kriticismus II, 2, S. 1 6 8 ff. 88 Wie z . B . bei Dilthey , Ursprung des Glaubens an die Realität der Außenwelt, Sitzungs­ bericht der preußischen Academie der Wissenschaften 1 890 II.

Das Vorhandensein und die Realität

68

von Daten gegeneinander und miteinander : Brot stillt den Hunger, Wasser löscht den Durst. In Hunger und Durst aber reißt ein

Bedürfen

auf: das nicht

in den Empfindungen ( und etwa einem neutralen Unbehagen) aufgeht, mit denen es manifest wird ; und das z . B . bei Hunger und Durst in den verschie­ densten Arten des Appetites-auf sich spezifizieren kann ; und das intendieren­ den Charakter hat. Man ist mit solchem Bedürfen , mit den rein animalischen Appetenzen, in die Zukunft hinein aufgetan . Doch in ganz anderer Weise , als es beim Er­ warten eines Sinnfälligen der Fall ist. Statt eines Andrängens aus der Zu­ kunft her wie beim sinnfälligen Erwarten ist hier ein Hindrängen und Geö ff­ netsein auf die Zukunft hin konstitutiv. Während bei der Erfüllung einer Er­ wartung etwas selb st übergeht in sein leeres Vorwegscheinen hinein zur vollen Leibhaftigkeit, geschieht das sich-Absättigen des Bedürfens durch das Einfallen eines Anderen . Es scheint auch nicht das Sättigende von ihm selbst her an wie ein Erwartetes. Bedürfen ist auf Absättigung hin angelegt ; es geht auf ein anderes hin. Und das nicht accessorisch , so etwa wie ein Schmerz auf eine Ursache ver­ weist oder associativ ein sinnfälliges Datum auf ein anderes ; sondern , von sich aus , seinem Sosein nach . Unter ihm wird das Begegnende zu etwas , das j eweils dem Genüge zu tun vermag oder nicht ; und das mit dieser dyna­ mischen Po sition von dem in jedem Bedürfen heraufscheinenden und in ihm aufbrechenden Ich abgesetzt ist als ein

gegenweltlich Selbständiges .

Und das

der Leere eines spezifischen Bedürfens sich einp assend gerade so, nicht nur als ihm nicht Zugehöriges, in vitaler

Ichfrem dheit

intendiert wird und so aus

dieser spezifischen Leere seine Bestimmtheit hat. (Einpassen in ein Anderes vermag sich aber nur ein ihm je Frem des.) Es ist so von der Vitalität des Ich s aus eine Sphäre eröffnet von etwas, das einen zentral angeh t. In ihr wird · die Welt von vornherein unter solchem Bedürfen , z.B. Hunger und Durs t, angesprochen: Alles in ihr Begegnende erhält von dorther, in der Möglichkeit positiven oder negativen Antwortens darauf, die Tinktion gegenweltlicher Gewichtigkeit ( auch der eigene Leib kann unter gegenweltliche Supposition geraten) ; und unte't' einem Supp osi­ tionswechsel in dann negativer Tinktion auch phänomenale Daten . Mit dieser im Bedürfen aufreißenden Leere ist natürlich auch schon das , was s i e auffüllen würde, als existent mitgesetzt u n d gegeben. (Aus d e m Fak­ tum des Durstes ergibt sich nicht auch das D asein dessen , was ihn lösch t : Man kann verhungern und verdursten . ) Aber es ist hier eine Sphäre aufgetan , in die hinein man zum wenigsten fragen kann, und aus der her etwas mit seinem Begegnen als gegenweltlich Selb st ändiges antworten würde. Auch wenn diese Sphäre als solche gegenständlich leer bleibt, ist sie als bloßes Korrelat des in seinem Bedürfen lebenden Ich dennoch da: Die Welt gibt sich von vornherein in dieser Gegensätzlichkeit , in einem primären ge­ geneinander-Abgesetztsein vom Ich und so anscheinender Gegenwelt. Es wird

Das Vorhandensein und die Realität

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das Gegenweltliche in seiner Eigenständigkeit nicht analogisch erst aus dem Ich verstanden. Das Gegenweltliche ist dabei nicht etwas, das neben oder gegenüber dem Ich in einem bloßen Getrenntsein zu finden wäre ; sondern das in einer vita­ len Beziehung dem Ich entgegen liegt ; das ich mir einverleiben oder aneignen kann und verlieren oder verschenken; und als so im gleichen Realitätsgrad wie das Einverleibende über ein neutrales ein-anderes-Sein hinaus als etwas Fremdes genommen wird , das in sich selbst steht. (Im Unterschied zum Bedürfen, den rein animalischen Appetenzen , wird in den Mitgefühlen z.B. Liebe, Mitleid etc. etwa, nicht etwas gegenweltlich vorerfaßt. Sie bringen so nicht in einer Leere einen ihnen einpassenden wenn auch nur negativ vorerfaßten - materialen Gehalt in Sicht ; sondern müssen den voraussetzen, um auf ihn hin geschehen zu können. Man kann nicht in das Leere hinein Mitleid haben, wohl dahingegen hinein hungern . Sie eröffnen nicht Realität, sondern müssen sie voraussetzen. Man hat auch Schmerzen und Empfindungen nicht in eine gegenweltliche Sphäre hinein.) Das, was so gegenweltlich anscheint, ist faßbar als die positive oder nega­ tive Antwort auf vitales Erfordern 89 und ist dessen Korrelat . Es ist faßbar als das und nur als das , was dem Genüge zu tun vermag ("Etwas, das sättigt" etc., oder das nicht vermag, aber doch im Aspekt sich darauf absetzt) . Es hat in dieser Bezogenheit auf das Ich seine vitale Gewichtigkeit und ist mit ihr in seinem Realitätsmodus auf das Ich hin geaicht und eingeglichen. Auch dort noch, wo es uriter differenzierteren Modis spezifisch angegangen ist. Nach ihm greift man durch die Daten der Sinne hindurch ; und hat hier im Tasten den Finger an dem , worum es einem zu tun ist, selbst liegen und nicht an dessen Abbildung. 90 Auf das ist man primär ausgerichtet, das tastet man ab und an und umwandert es im Sehen , und das sieht so aus. In den Daten der Sinne kündigt es sich erscheinend an, so wie die von sich aus zu­ fallen oder aber, wie unter freien Willen gestellt, einem Erwandern und Er­ tasten sich zu geben vermögen. Die sinnlichen Gehalte, unter denen gegebe­ nenfalls es sich stellt und ergriffen werden kann, sind ihm lediglich Um­ kleidung und Anzeichen , mit denen es aber nicht in das Ich hinein antwortet. Die durch das anschaulich Präsente hindurch anstehende vitale Gewich­ tigkeit wird nicht in SinnfäHigkeiten hinein manifest, wie sie auch auf ihnen sich nicht aufbaut. Gerade so aber, als nicht nur in einer Möglichkeit seiner Präsentationen gegenständlich festgeworden, wird sie nicht betroffen von 89 Es soll den verschiedenen Modis solchen Bedürfens (z. B. Hunger, Durst, erotischen Gespanntseins etc . ) hier weder dem Umfang noch der Tiefe nach nachgegangen werden. 90 Daß dabei im Erkenntniszusammenhang man es auch mit Abbildungen zu tun haben kann und zu tun hat, zeigt jede chem. Formel und jedes Zoologie buch. Aber darum ist Wahrnehmung noch kein Abbilden. Abbildung setzt ihrem Wesen nach schon auch unmittelbar erfassendes Erkennen voraus. Wenn Wahrnehmung und Erkennen ledig­ lich ein abbildliebes Erfassen wäre, könnte man das nicht einmal wissen.

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Das Vorhandensein und die Realität

den Schwierigkeiten, die sich aus der möglichen Diskontinuität des Sinnfälli­ gen ergeben. Sie ist abgestellt auf die spezifische Leere im Bedürfen des Ich und hat von dort her, als deren Reflex aus prinzipieller Zukünftigkeit heran­ scheinend durchhaltende Festigkeit. Wenn in der bloßen Möglichkeit, auf beliebiges freies Aufsuchen hin zur Präsenz zu kommen, und nur als diese Möglichkeit Gegenständliches seine, die Inkohärenz des je nur Momentanen überbrückende, formale Substanz hat , (wie sie auch dem Fleck auf der Rückseite des Schrankes oder den Far­ ben eines Regenbogens eignet) , und die gerade so und als diese bereitliegt auch im Verdeckten oder Ungehobenen, so hat es aus seiner Gegenweltlich­ keit, in seiner vitalen Gewichtigkeit, die ihm eigene Materialität. Die Welt ist hier in einem ganz anderen , eigentlichereD Sinne aufge­ schlossen als mit dem , worin sie sich sinnfällig zeigt. Das so in ideeller Mate­ rialität Anscheinende vermag vorhanden zu sein und so sich zu verifizieren, so wie das auch schlicht sinnfällige Daten vermögen. Darüber hinaus aber vermag man es zu haben. Und das nicht in dem blanden Sinne, wie ich auch von einer Vorstellung oder Empfindung sagen kann, daß ich sie habe. Gerade das würde nicht von ihm gelten. Sondern in dem des Besitzens. Und umge­ kehrt wäre es ohne verstehbaren Sinn, von Sinnesdaten oder als neutral hin­ genommenen Phänomenen behaupten zu wollen, man könne sie haben im Sinne des Eigentums. Man kann sie auch nicht verkaufen oder verschenken etc. . Mit diesen Terminis ist man über rein mechanische Konstellationen hinaus. In Haben, Besitzen und dergleichen ist ein Bedürfen latent und ein Verfügbarhaben dafür, das eben als Materialität zurückscheint. Das in diesen Worten schon antizipiert ist und hereingezogen wird in das Verhalten zur Welt. Vorhandensein und Realität sind scharf auseinanderzuhalten. Das eine terminiert existential, das andere essential. Vom sinnfällig-Phänomenalen aus würde immer nur Phänomenales sich stellen; und auch das immanent-Trans­ cendente (die Rückseite meines Schrankes etwa oder Atome und Mole­ küle) verbleibt in diesem Bereich. Ein , jenseits dieses B ereiches Liegendes, real Transcendentes und so in sich selbst gründendes Ichfremdes würde so noch nicht in Sicht kommen. Der Bereich des Phänomenalen ist in sich ab­ geschlossen und weist von sich aus nicht über sich hinaus. Man hätte nicht einen Grund oder auch nicht die Möglichkeit danach zu fragen, über diesen Bereich hinaus. Es wäre so noch nicht einmal der B egriff davon vorgegeben. Erst unter irgendeinem Modus des Bedürfens kommt ein solcher Bereich zum wenigsten der Sphäre nach in Sicht. (Es ist die Scheinproblematik des "Dinges an sich ", die hier aufbricht, und die nicht vom Phänomenalen aus, sondern gerade so , von sich aus, sich auflöst.) Schon der Begriff der realen Transcendenz wäre unverstehbar, wenn er nicht in ganz anderer Weise, als vom Phänomenalen her, vorgegeben wäre. Man könnte nicht einmal nach realer Transcendenz auch nur fragen.

Kapitel V DAS VORKOMMEN

Unter seinem Vorhandensein bekommt man Umweltliebes fest und verfügbar vor die Hand . Trotzdem ist es nicht so , als wenn das umweltlieh Begegnende aufginge in dem , was unter dem Modus des Vorhandenseins sich stellt . So etwa kann ich sagen "Es gibt Nordlichter". Und der Satz würde zu recht bestehen auch dann, wenn zur Zeit gerade keines davon vorhanden ist. Aber sie kommen vor. Sie fallen wie von sich aus zu. Man hat mit ihnen zu rech­ nen und muß auf sie gejaßt sein. Doch sind sie nicht, wie Vorhandenes, auch aufsuchend zu finden. Oder bei "Es gibt Rechenfehler" geht es nicht um etwas, das in einer Gegenwart auch da zu sein brauchte, oder daß überhaupt jemand jetzt Rechenfehler macht, oder irgendwo in einem Buch fehlerhafte Ausrechnungen sich finden. Aber man muß damit rechnen, daß irgendje­ mand beim Rechnen Rechenfehler macht oder machen kann. Das liegt im Bereich der Möglichkeit. Im Gefaßtsein-müssen darauf steht das Vo rkomm ende in einer Möglich­ keit seines sich-Gebens als Soetwas aus der Zukunft her an. Und ragt so in die reale Umwelt hinein . Auch das Vorhandene steht über seine Präsenz hinaus (und in seiner Präsenz) aus der Zukünftigkeit in einer Möglichkeit leibhaften Begegnens an. In beiden Fällen handelt es sich um echte objektive Möglichkeiten . 91 (Im Unterschied zu subjektiven Möglichkeiten , wie sie etwa in einem "Vielleicht regnet es morgen" Ausdruck erhalten.) Sowohl das Vor­ handene wie das Vorkommende vermögen unter einem "Es gibt" existential aufgegriffen zu werden. 9 1 Die hier gemeinte objektive Möglichkeit ist nicht zu reduzieren auf eine bloße Wider­ spruchslosigkeit. (Wie das in vielen Logiken alter und neuer Zeit gen ommen wird.) Widerspruchslosigkeit betrifft ein Sosein, gründet im Quale von etwas. Möglichkeit geht auf einen Modus des Anstehens von etwas aus einer Zukünftigkeit in eine Wahr­ nehmungswelt, in eine Gegenwärtigkeit. Widerspruchslosigkeit ist ein zeitloses qua­ litatives Konstitutivum . Widerspruchslosigkeit hat essentialen, Möglichkeit existen­ tialen Charakter. Rein äußerlich wird die Differenz auffällig daran, daß Möglichkeit in Graden der Wahrscheinlichkeit sich abstufen kann, Widerspruchslosigkeit aber nicht. (Widerspruchslosigkeit ist wohl eine notwendige Grundlage der Möglich keit, reicht aber allein nicht dafür aus. (Morphium konnte zeitweise in der Apotheke nicht abgegeben werden). Dem in seine Endlichkeit Gebundenen vermag das aus der Zukunft seines Begegnens Anfallende in Ungewißheit b evorzustehen. In seiner Möglichkeit und al s möglich ver­ mag etwas aus einem erwartenden Geöffnetsein auf je eines neben mehreren aus der Welt her anzustehen ; nicht in einem additiven " Und" gebunden, sondern in einem gegenseitigen sich-Ausschliessen unter einem "Oder " : Das, worauf man eingestellt sein muß im GefaStsein auch auf Anderes , wenn man keine Enttäuschung erleben will, ist das , was als objektiv Mögliches gegenüberliegt.

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Das Vorkommen

Die Gegensätzlichkeit der aktiven und unter meinen Willen gestellten Möglichkeit des sich zuwendenden Aufgreifens und der des passiven Rezi­ pierens des lediglich objektiv Anfallenden reflektiert sich aus der Welt her im Vorhandensein und Vorkommen und gibt die notwendige Alternative für das Begegnen aus der Welt her von Dies (dies Etwas) und So etwas in einem Ent­ weder-Oder. (Im Unterschiede zu subjektiven Möglichkeiten, wie sie etwa in einem "Vielleicht regnet es morgen" Ausdruck erhält .) Sowohl das Vorhan­ dene wie das Vorkommende vermögen unter einem "Es gibt" existential auf­ gegriffen zu werden. Es gibt den Schreibtisch , an dem ich sitze , den Mond und den Kaiser von Japan in einem Vorhandensein . Und es gibt Nordlich ter und Propheten, Rechenfehler und Dreiecke als vorkommende. Es sind verschiedene Modi unter denen die Existenz im Sinne des "Es gibt" manifest wird und zur leibhaften Begegnung aus der Welt her ansteht. Das aber gründet nicht i m Quale, im sachlichen Gehalt dessen , was so ange­ setzt, und von dem so ausgesagt wird : Es gibt den Briefkasten mir gegenüber als etwas Vorhandenes ; und soetwas wie dieser Briefkasten kommt vor, solche Briefkästen kommen vor. Es ist so, daß auch dieser Briefkasten mit zu dem gehört, was unter einem Soetwas-wie erfaßt werden kann; und ebenso umgekehrt das Vorkommen von etwas sich an einem einzelnen Vorhandenen verifiziert. Und zwar beides im vollen qualitativen Gehalt. Nicht Qualitatives macht also die Differenz der beiden Existenzmodi aus. Es betrifft das nicht den sachlichen Gehalt, um den es geht ; das Quale , sondern den Modus, wie er existential ansteht. Ein solch sachlich-qualitativer Gehalt vermag (als derselbe) in zwei grund­ verschiedenen Arten zur auch leibhaften Begegnung aus der Welt und der Zu­ kunft her anzustehen. Er vermag anzustehen unter der Möglichkeit ihn (prinzipiell wenigstens) lediglich durch ein unter meinen Willen gestelltes sich-Zuwenden zu auch leibhafter Präsenz zu bringen ; gleichsam in einem Bereitliegen dafür. Er ist im methodischen Weg zu ihm zu orten und wird so individualisierend de'ictisch festgehalten. Das ist anders bei dem, was als vorkommend aus einer möglichen Zukünf­ tigkeit heranscheint. Man ist nicht wie beim Vorhandenen auf ein in irgendeiner Position Fixierbares aus. Seine mögliche Präsenz ist nicht wie beim Vorhandenen unter meinen Willen gestellt. Es steht an als wie von sich aus anfallend . Es ist etwas, worauf man gefaßt sein muß . Es gibt sich so nicht als in einem festen Ort bereitliegend. Es ist nicht wie das Vorhandene ge­ genständlich fest in sich abgeschlossen ; sondern steht über eine mögliche Präsenz immer wieder von Neuern an und weicht immer wieder zurück in eine ihm immanente Transcendenz. Man kann hier eine vitale Möglichkeit, wie sie im Vorhandensein tragend ist , einer realen Möglichkeit, in der Umweltliebes einem lediglich passiv Ge­ öffnetsein zufällt, gegenüberstellen. Beides sind echte objektive Möglichkei­ ten. Es handelt sich in beiden Fällen um echte Existentialbehauptungen , mit

Das Vorkommen

73

denen etwas in einem Bezug auf die lebendige Gegenwart erfaßt wird . Beide gehen im Verstehen der Umwelt durcheinander hin und bestimmen in diesem Miteinander unser Weltbild. 9 2 Im praktischen Verhalten zur Welt drängt sich das Vorhandene in den Vordergrund . Es ist ja das, was vor der Hand liegt, das man im Griff hat oder ins Auge faßt ; oder das in der bloßen Möglichkeit dazu vorerfaßt ist. Mit dem man derart hantieren kann, woran man arbeitet, und worauf man im aktiven Tun und Handeln ausgerichtet ist. Auch das kausale Verstehen des Umwelt­ geschehens ist nur auf dem Boden des Vorhandenseins möglich . Kausalität geht immer von Individuellem aus auf Individuelles hin ; und so von Vor­ handenem auf das Vorhandensein eines Anderen . In solch einem kausalen System hat Vorkommen und Vorkommendes keinen Platz ; man übersah es daher, oder versuchte in merkwürdigen Umdeutungen , es aus der Welt zu schaffen. Man nahm es gnoseologisch nur eben hin, überdeckt vom Vorhan­ denen . Gleichwohl begegnet unter dem Modus des Vorkommens des Soetwas , die Welt nach ihrem größeren Teil: als das, worauf man gefaßt sein muß , das so andrängt, und mit dem man so zu tun hat. Auch auf das lediglich Vor­ kommende, nicht nur auf das unter dem Modus des Vorhandenseins Vorer­ faßte, ist das Lebendige ausgerichtet und muß das sein, wenn es Bestand haben will . Wenn man Hunger hat und Brot braucht ; nicht dies oder jenes bestimmte Stück Brot, sondern nun Brot schlechthin, gleichgültig, von wo es kommt und hergestellt ist. Und wenn man Durst hat , ist man nicht ausge­ richtet auf eine genau und individuell exakt bestimmte (diese ! ) Wassermenge, sondern auf Wasser schlechthin , auf diesen Stoff, der beliebig irgendwoher kommt und vorkommt. Auf dergleichen hin sind die primitiven Funktionen des Leibes, die Reflexe und vegetativen Appetenzen - und zwar ausschließ­ lich - angelegt ; auf qualitative Gehalte , die von sich aus anfallen und so aus der Zukünftigkeit anstehen. Wesentlich für einen Reflex ist ja, daß auf ein irgendwie Zufallendes hin er ausgelöst wird ; auf etwas in einer Reizemp­ findung und nur so sich Ankündigendes. Und daß er in diesem Geöffnetsein nicht auf je Individuelles hin ausgerichtet ist. So sind es ja auch die urtbe­ wußten vegetativen Funktionen des Körpers , z.B. die Sekretion von Magen­ saft und Speichel , die Entleerung der Gallenblase und die Steuerung der At­ mung. Je weiter man in der Tierreihe abwärts steigt, um so weniger ist das Verhalten gesteuert unter dem Gesichtspunkt des Vorhandenseins auf indi­ viduell Vorerfaßtes hin. Schon im Hinblick auf ihre motorischen Fähigkeiten ist nicht anzunehmen , daß einer Tanie etwa oder unserem Süßwasserpolypen oder einer festsitzenden Meduse etwas Umweltliebes unter dem Modus des Vorhandenseins begegnen könnte ; selbst, wenn man absurder Weise einen 92 Vorhandensein und Vorkommen sind nicht aufeinander zu reduzieren. Gleichwohl aber ist es so, daß wohl alles Vorhandene unter dem Modus des Vorkommens aufge· griffen werden kann und das Vorkommen an ihm sich zu verifizieren vermag.

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Das Vorkommen

menschlichen Intellekt bei ihnen annehmen wollte. Auch das lebendige Rea· gieren ist auf vorkommendes Begegnen hin angelegt. Aber auch im gutbürgerlichen Dahinleben ist es ähnlich. So etwa in : "Das Kind bekommt seine Milch" . (Wobei das "seine " nicht eine individualisie­ rende Eigentumsbeziehung ist, und die im "seine" latente Quantität nicht vom vorhanden-Mengenmäßigen, sondern vom Subjektiven her, als ein Bedür­ fen auffüllend, sich bestimmt.) Gewiß die Milch, die dem Kind jeweils gege­ ben wird , ist dann auch individuell präzisierbar ; aber es geht nicht um diese Milchmenge, wenn gesagt wird : "Das Kind bekommt (heute und morgen und überhaupt) die ihm zustehende Milch" . Es geht hier nicht um die jeweilige Menge etwa der individuell fixierbaren und identifizierbaren Atome. Auch wenn ich sage ; "Ein Beamter erhält monati ich sein Gehalt" , so fehlt dem "Gehalt" ein individuelles Korrelat überhaupt ; denn die je einzelnen Auszah­ lungen ohne durchhaltenden Anspruch darauf sind noch nichts Gehaltmä­ ßiges, und es ist weiterhin auch belanglos , in welcher individuellen Form jeweils die Auszahlung erfolgt , ob in Münzen, Banknoten oder Kontenüber­ tragung. 9 3 Auch das "Ein Beamter" ist ja nicht individuell auf Herrn Meyer oder Herrn Schulze etc. festgelegt. Oder etwa bei : "Man sieht auf einem Fahrplan nach , wenn man sich über einen Zugverkehr orientieren will", wobei man sowohl hinsichtlich des "man" wie hinsichtlich des "Fahrplan" über je Einzelnes hinaus ist. In all solchen Fällen handelt es sich nicht einfach um etwas, das durch Absehen von raumzeitlichen Besonderheiten des Vorhandenseins zu erhalten wäre. Durch das würde man nicht über Individuelles hinauskommen zu sol­ chen Gegenständlichkeiten, um die es sich hier handelt, sondern bliebe wei­ terhin in einem Bereich von abstraktiv eingeengten Individuellen ; als ein in individueller De"ixis Festgehaltenes. Raum und Zeit sind nicht einfach die prinzipia individationis. (So kann man denn auch sagen : "Am Abend werden im Zirkus auch dressierte Löwen vorgeführt" ; und hier handelt es sich ja doch keineswegs um Individualitäten_ ) Nicht weil etwas raumzeitlich geortet ist, kommt es unter dem Aspekt individuellen Vorhandenseins in Sicht, son­ dern , wenn es de"ictisch vorerfaßt oder vorzuerfassen ist , ist es raumzeitlich zu orten. Ebenso geht es (umgekehrt) nicht um ein vom gegenweltlich Anstehen­ den abstrahiertes lediglich Qualitatives, einen bloßen Soseinsgehalt (etwa dem der Milch) . Dergleichen kann man nicht trinken oder kaufen oder sonst mit ihm hantieren. 9 3 Sehr auffällig ist, daß auch bei der Ausgabe von Monopolen , die ja von vornherein nicht auf individuell-Vorhandenes abgestellt sind, oder - und hier sogar sprachlich ­ bei der Konzession auf das Erzvorkommen in einem Territorium. Und ebenso ganz besonders auch bei der Währung eines Staates, deren Wert nicht nur nicht auf Raum­ Zeitliches orientiert ist, sondern bei dem auch der Bezug auf alles qualitativ-Differen­ zierende entfällt und lediglich von einem das subjektive Bedürfen und Wünschen Auffüllenden in bloßem Vorkommen bevorsteht.

Das Vorkommen

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Und das Gleiche gilt , wenn man versuchen wollte , hier nur ein Begriff­ liches zu sehen: 94 Ein Beamter würde sich kaum mit qem bloßen Begriff seines Gehalts zufrieden geben. Löwen kommen in Afrika, nicht aber in Asien oder Spitzbergen vor ; sie werden in absehbarer Zeit auch in Afrika aus­ gerottet sein. Eine solche raumzeitliche Gebundenheit aber würde für die B egriffe nicht gelten. Begriffe fressen auch keine Menschen ; weder Indivi­ dual-noch Allgemeinbegriffe tun das. Trotzdem aber gib t es ganz allgemein Löwen, die b eißen , und nicht nur die Löwen Alois und Berta, die im Göt­ tinger Zoologischen Garten vorhanden sind , und die man dort füttern kann. Das in seinem Vorkommen Vorerfaßte , das Soetwas, macht die breite, stump fe gegenständlich (darum nicht qualitativ) amorphe Masse dessen aus, womit man im alltäglichen Leben zu tun hat. · Das vermag durchgriffen zu werden in der iterierbaren Methodik willentlicher Zuwendung. Es konsti­ tuiert unter solcher Methodik sich ein festes System , das des Vorhanden­ seins. Dem , als einem tragenden Skelett, gliedert sich das Vorkommende an und ein , zu einer verstehbaren in sich geschlossenen Umwelt. Vorkommen und Vorhandensein sind streng alternativ. Für zwei Grund­ haltungen erkennenden Verhaltens stellt sich hier Umweltliches unter akti­ vem Aufsuchen und passiven Zuwarten in je verschiedener Weise: Unter dem Gesichtspunkt der vitalen Möglichkeit als Vorhandenes ; unter dem der (rea­ len) Möglichkeit schlechthin seines Begegnens als Vorkommendes. Primär ist das Geöffnetsein in ein Andrängen von Welt überhaupt ; das lebensnotwen­ dige Ausgerichtetsein auf ein mögliches Anstehen aus der Zukunft her. Und 94 Als Begriff ist hier genommen die verweisende eindeutige Bindung eines Substantivs auf ein Gegenständliches hin ; dasjenige , womit etwas ergriffen und begriffen wird. Man ist im Verstehen des Sachworts nicht auf ihn hin (als ein Gegenständliches) , sondern durch ihn auf Sachliches hin ausgerichtet, auf das in ihm durch das Wort hingewiesen wird . Solche Bindung kann auch über Relationen laufen und in ihnen ;tusdrüc klich werden. Trotzdem sind solche Relationszusammenhänge nicht das, worum es hier geh t ; nicht diese Begriffe sind es, die im Plural aufgegriffen sind, son· dem das , was in und mit ihnen gemeint und fixiert wird . Darüberhinaus ist es so , daß die im substantivischen Sachwort latente eindeutige Verweisung auf sachlich-Gegenständliches hin (der Begriff also) in gleicher Weise vor Individuelles und Allgemeingegenständliches bringt ; in Individual- und Allgemeinbe­ griffen. Ausschlaggebend ist nur, ob auf Allgemeingegenstände oder Individuelle ver­ wiesen wird . Sekundär dann erst ergeben sich die Triftigkeitsbereiche, die im einen Fall eben deictisch auf Einzelnes und deren Gesam theit, im anderen auf Allgemeinge­ genständliches in seinen Manifesta tionen hingehen. Natürlich kann man auch in der Sphäre der Begriffe halt machen und auf die begriff­ lichen Relationen sich ausrichten ; und so ein exaktes und widerspruchsfreies System sich aufbauen. Die großartige Entwicklung der modernen Logistik zeigt das zur Genüge. Aber letztlich geht es ja nicht um Begriffe im Plural. Man kann Begriffe nicht essen und kann sie nicht kaufen oder verkaufen . Außerdem sind Begriffe desselben Gehalts je nur Einmaliges. Wohl kann das, was unter sie fällt, mehrfach das sein, nicht aber der Begriff als solcher. Er kann nicht mehr­ fach auftreten . Es gibt keine Mehrheiten von ihm und keinen Plural. Cf. Grote, Grundlagen einer Phänomenologie der Erkenntnis , a.a.O., Kap . IX.

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Das Vorkommen

dann sind notwendig diese zwei Formen aufnehmenden Verhaltens möglich und nur diese zwei, passives und aktives Rezipieren. In Hunger und Durst, den großen und kleinlichen Wünschen der Alltäg· lichkeit und in der Angst schon um die eigene oder die Anderer Fortexistenz ist der Mensch vorgängig in die Welt geöffnet, die derart als Gegenwelt sich stellt. Das gibt dem aus der Welt im Erwarten Heranscheinenden die vitale lebensnotwendige Bedeutung. So steht auch das jetzt schon Vorhandene aus der Zukunft möglichen Begegnens her an : Daß es greifbar, faßbar95 ist , und (prinzipiell) beliebig auch aus einer Verdeckung her, lediglich unter meinen Willen gestellt, in Sicht zu bringen ist und gleichsam so bereitliegt. (Und Bereitliegen ist ledig­ lich so zu verifizieren und darauf angelegt.) Offensichtlicher gilt das auch für das Vorkommende, das je von vomherein und immer von Neuern aus der Zukünftigkeit möglichen Begegnens vorausliegt. Der Mensch und alles Lebendige ist um seiner selbst willen in seinem Bedürfen sich selbst voraus und in die Zukunft hinein aufgetan ; gleichgültig, ob die von rein Objektivem her sachlich gefüllt oder ab solut leer ansteht. Das macht den gegenweltlichen Wert des Begegnenden aus ; über die bloße Phäno­ menalität etwa sinnlicher Daten hinaus. Solch sich-voraus-Sein ist lebensnotwendig. Eine Wunde ist nicht abzu­ wehren, wenn sie geschlagen ist ; ein Schlag nicht, wenn er erst getroffen hat. Ein Organismus muß vorgängig schon auf die Verwertung der Nahrung ein­ gerichtet sein, wenn die Nahrungsaufnahme und das Suchen danach sinnvoll sein soll . Ein fliegender Ball ist nicht zu fassen, wenn man nicht nach dorthin greift, wo er im Augenblick des Zugriffs sein wird . Man würde je zu spät kommen . Es genügt nicht die Erinnerung, daß man sich bei der Berührung des Ofens verbrannt hat. Man lebt nicht aus der Erinnerung her ; sondern auf die Zukunft hin. Auch das Gegenwärtige erhält seine gegenständliche Festig­ keit aus der Zukunft her : Daß es so faßbar ist und auch erinnernd so aus der Vergangenheit heraufgeholt werden kann. Alles Lebende, wenn es Bestand haben soll, muß auf die Zukunft hin , in einem Erwarten so auch ausgerichtet sein. Alles sinnlich Anfallende würde vorübergleiten und nicht einmal als es selbst festgehalten sein. Auch das jetzt Präsente würde, zu seinem Selbst kommen erst dadurch , daß es als ein in sich Vorausgehaltenes einfällt. Nur ein auf eine Zukünftigkeit seines Begegnens abgestelltes Vorstellungsmäßiges ist festzuhalten als dasselbe. Auch ein Erin­ nern hilft da nicht weiter, erst wenn es aus der Vergangenheit heraufzuholen ist, und in ihr bereitliegt ; als so in einem dort zu Erwartenden vorausliegt, wird etwas gegenständlich dort geortet. Diese Gegenwelt wird nicht vom sinnlich Anfallenden erst eröffnet und stellt sich nicht aus der her: Auch die absolute Leere kann derart gegenüber­ liegen von vornherein. Und das wäre unverständlich , wenn sie vom Objekti95 Schon in dem ,.-bar" liegt ein Vorausgreifen in die Zukunft.

Das Vorkommen

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ven her erst eröffnet wäre. E s ist hier im Lebendigen von vornherein eine Leere aufgetan, die aufgefüllt sein will und eröffnet ist aus einer Notwendig­ keit, auf die Zukünftigkeit hin zu leben. Man ist ausgerichtet in einem Erwar­ ten auf zu Erwartendes hin. Auch alles bloß sinnlich Anfallende , alle bloßen Qualitativa und Emp­ findungen würden unerfaßt vorübergleiten . In bloßen Phänomenen wird nichts verstanden; nicht einmal sie selbst. Sie würden nicht als ein Festzuhal­ tendes und in einem Selbst Festgewordenes sich geben : Wenn sie nicht , abgehoben von sich , aus einer Zukünftigkeit des Begegnens ( zu der auch die Wie­ derheraufholbarkeit und Faßbarkeit in einem Erinnern gehören würde) und so in der Möglichkeit des Erfassens unter einem Erwarten sich vorauslägen. Es würde lediglich eine qualitativ tingierte Folge als ein dadurch charakterisier­ ter Vorgang sich präsentieren. Erst in seinem Abgehobensein von sich in einer Erwartungsvorstellung ist es als dasselbe in ihr festzuhalten und kommt so, in dieser Unabhängigkeit, aus dem vorübergleitenden Geschehen zu einer Stabilisation seiner selbst. Wohl Vorstellungen, nicht aber zufallende und schwindende Daten kann man anschaulich festhalten. Vorstellungen kann man als sie selbst halten und haben ; aus der Realität anfallende bloße Daten wären als solche nicht faßbar. Auch das unmittelbar in verstehender Wahrnehmung Verstandene hat seine Festigkeit , daß es hier und dies ist, aus solchem sich-Vorausliegen. Man erlebt in der Wahrnehmung das erfüllende Einfallen in eine vorausgehobene Vorstellung. Das Phänomen der Undeutlichkeit, eines der erkenntnistheore­ tisch interessantesten Phänomene überhaupt, wäre ohne diese Abgehoben­ heit von sich selbst völlig unverständlich . (Wenn hier das Erwarten als Grundbefindlichkeit und als Grundbedingung für das Verstehen von Vorhandenheit und Vorkommen herausgestellt wurde, so soll damit kein genetischer Charakter als ein Urphänomen schlechthin gemeint sein . 96 Das würde in das Gebiet der Psychologie fallen. Man könnte sehr wohl denken, daß eine erlebte Folge hier bestimmend wäre : Daß je ein erstes irgendwann wiedererlebtes Glied solcher Folge auch ein ihm damals nach­ folgendes associativ in diesen Folgen heraufscheinen ließe ; und so das Heran­ scheinen von etwas aus der Zukunft her, ein Erwarten und ein zum-voraus­ Erfassen von etwas ermöglichte. Und eine Bahnung durch das Vergangene vor Zukünftiges zu bringen vermöchte.) Dies sich-Voraussein ist ein auszeichnendes Charakteristikum des Leben­ digen gegenüber einem bloßen Reagieren, wie es für die Physik und die Chemie grundlegend ist. Und nur auf diesem Boden eines Erwartens sind auch überprüfende Verifikationen möglich .

96 Wie das noch in der "Welt der Dinge" 1 948, S. 24 von mir hingenommen wurde.

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Kapitel VI DIE SYNTHETISCHEN URTEILE APRIORI

Die Ausrichtung auf ein Individuelles ist punktuell ; im Gegensatz zu dem , was unter einem Vorkommen als Soetwas sich stellt : Das steht in seinen Prä­ sentationen breit aus der Umwelt her an. Und bestimmt von dort her (wor­ auf ja genugsam hingewiesen wurde) schon Haltung und Verhalten , auch wo das im aktiven Handeln vom vorhanden-Individuellen überdeckt wird . Darü­ berhinaus ist es abgesehen von diesem praktischen vitalen Wert von höchster theoretischer und gnoseologischer Bedeutung: Es gibt einen Weg frei in Ur. teile von apriorischer Allgemeingültigkeit. Solche Urteile gibt es: Jeder Körper ist ausgedehnt ; jede Farbe hat eine Ausdehnung im Raum ; jeder Ton hat eine Dauer in der Zeit. Die ganze Geo­ metrie gehört hierher, ebenso wie die Sätze und Resultate der Arithmetik. Es gibt den Satz vom Widerspruch und vom ausgeschlossenen Dritten , die Syllo­ gismen der Logistik und den Schluß von n auf n+ 1. Man versuchte solche Urteile in ihrer Wahrheitsgeltung auf eine Häufung je einzeln gemachter Er­ fahrungen zu verstehen , in ad ditiver Empirie . Man versuchte sie unter die Methodik der induktiven Naturwissenschaften zu stellen. So versuchen das etwa J. Locke, Comte , Hume und insbesondere J. St. Mill; und in der neueren Zeit Mach , und , in Varianten, der Wiener Kreis. (Auch die moderne Physik z.B. bei Planck und Einstein wurde weitgehend auf diesem Boden verstanden .) Trotzdem würde das aber der absoluten Geltung dieser Sätze nicht gerecht werden und die nicht erklären. Es würde auch nicht weiterführen, wollte man diese Problematik in die Psychologie und auf zwanghafte Naturgesetzlichkeiten des Denkens abschie­ ben . Das würde (wie Husserl in den "Prolegomena" seiner logischen Unter­ suchungen in ganzer Exaktheit aufgewiesen hat) lediglich in einer, wenn auch großer, Wahrscheinlichkeit terminieren. Darüberhinaus würde es nur eine Verschiebung des Problems in ein anderes Gebiet hinein bedeuten und an der in Frage stehenden Problematik , schon rein gegenständlich vorbeilaufen. Auch die Berufung auf einen consensus omnium ist natürlich nicht be­ weiskräftig. Auch noch so viele je einzelne Beobachtungen, auch noch so abstrakter Daten bringen nicht vor eine mögliche Gesamtheit qualitativer Befunde; derart, daß die in voller Leibhaftigkeit, nicht nur in bloßem Gemeintsein sich präsentieren. Solcher leibhaften Selbstgegebenheit aber bedürfte es, um so die absolute Allgemeingültigkeit von Urteilen darüber zu garantieren . Es bestände ja sonst immer wieder die Möglichkeit , daß etwa in irgendeinem Winkel der Welt sich ein Rot dem Grün ähnlicher präsentierte als dem Orange ; daß zu irgendeiner Zeit die Höhe bzw. die Stärke eines Tones abhängig wäre von seiner Dauer ; oder daß in einer Ebene zwei Gerade irgendwie und irgend-

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wo in mehr als einem Punkt sich kreuzen könnten. Die Unendlichkeit mög­ licher Befunde wäre beim Ausgehen von letztlich individuellen Sachgehalten her, bei noch soweit getriebener Ab straktion (und da hilft auch nicht das schöne Wort "ideierende" Ab straktion) , einem in seine Endlichkeit gebun­ denen Erkennenden nicht in einer sich selbst gebenden Leibhaftigkeit gege­ ben . Man würde vom Individuellen aus sich in Scheinprobleme verlieren. Nun ist es gewißlich so, daß man im Hinblick auf ein Individuelles im Ab­ sehen und B eiseitelassen aller individualisierenden und existentialen Mo­ mente ich mir dessen Was und Wasgehalt, seine Essentia (Termini, die der Husserlschüler Adolf Reinach synonym für das Wort Wesen97 gebraucht) in die Gegebenheit bringen kann. Und weiterhin so , daß ich diesen (individuel­ len ) Sachgehalt vergleichen kann mit anderen (individuellen) Sachgehalten ; und mir dessen Gleichsein etwa oder Verschiedensein oder überhaup t seine Relationen zu je anderen mir hervorheben. Und weiterhin wiederum die Relationen dieser Relationen untereinander. Man vermag so die Welt zu durchgreifen. (Wie in anderer Weise auch der Empirismus . ) Aber man vermag nicht auch die Möglichkeit totalitärer Aussagen s o zu fundieren und zu verifizieren. Man bleibt so letztlich immer in individuellen Befunden verhaftet. Darum aber gibt es doch - wie die oben angeführten B eispiele zeigen - Urteile , die über das Gegenwärtige und das aus der Ver­ gangenheit Erfahrene hinaus, absolut Gültiges auch über aus der Zukunft her B egegnendes auszusagen ermöglichen: Es gibt allgemeingültige Urteile nicht nur a posteriori auf grund je gemachter Erfahrung, sondern eben auch a priori vor aller leibhaften Begegnung. Das erscheint für die rein analytischen Urteile ohne weiteres einsichtig; für solche Urteile , bei denen das Prädikat schon im Begriff des Subjekts ent­ halten und mit ihm angesetzt und so schon vorausgesetzt ist ; und im Urteil aus ihm lediglich hervorgeholt wird .98 Man hat nun (und das ist eine weit­ verbreitete Meinung) in bezug auf diese Selbstverständlichkeit die allgemein­ gültigen Urteile eingeengt auf diese analytischen Urteile. Oder hat das doch versucht. Aber ein solcher Versuch schlägt fehl. In einem Satz: "Bei gleicher Größe und Gestalt ist ein roter Fleck einem violetten ähnlicher als einem gelben " ist die unabdingbare Allgemeingültigkeit für alle Einzelfälle nicht begrifflich fundiert . Von einem Enthaltensein der korrelaten Begriffe inein­ ander kann hier keine Rede sein. Das würde vom Begrifflichen her nicht zu verstehen sein . Rot, Violett und Gelb sind unabhängig voneinander das, was 97 Z.B. in dem , von Frau Conrad-Martius herausgegebenen Vortrag "Was ist Phänome­ nologie" . 9 8 So ist das z . B . bei: , .Ein Körper ist ausgedehnt" , nicht dagegen bei: ,.Ein Körper ist schwer". Bei "Ein Rappe ist schwarz ", nicht dagegen bei: "Ein Rabe ist schwarz " (es gibt ja auch, wenn auch sehr selten, weiße Raben) . Oder: "Blei ist schwer" . (Die Schwere gehört zu seinem Begriff) Die Schwärze ist beim Rappen begriffliches unab­ dingbares Konstitutivum, beim Raben ein empirischer Befund. Analoges gilt hinsicht­ lich des Körpers in bezug auf Ausdehnung und Schwere.

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sie sind ; ohne daß eins implizite im anderen mitgemeint wäre. Rot wäre das, was es ist, auch wenn es außer ihm keine Farben geben würde oder gegeben hätte ; oder auch nur vorstellbar wären. 99 Oder auf einem ganz anderen Gebiet: "Ein reguläres Zehntausendeck ist seinem umschriebenen Kreis ähnlicher als ein diesem eingeschriebenes Dreieck". Auch hier gründet die allgemeingültige Ähnlichkeit nicht im Be­ grifflichen. Die Analyse der Begriffe würde hier sogar die umgekehrte Bezie­ hung ergeben. Es gibt darüberhinaus kein einziges negatives analytisches Urteil. Und zwar notwendig nicht. Ein Satz wie "Ein Kreis ist nicht vier­ eckig" bzw . "Ein Kreis ist kein Viereck" hat von vornherein allgemeine, nicht nur induktive , Gültigkeit. Gleichwohl hat der exakte Begriff des Kreises als des geometrischen Ortes aller Punkte, die von einem Punkt (dem Mittel­ punkt) denselben Abstand haben , keinen Bezug auf den der Viereckigkeit ; geschweige , daß der in ihm enthalten und aus ihm herauszuholen wäre . So­ wenig wie der des Orion oder der Barmherzigkeit. Der Kreis ist das , was er ist, auch wenn es so etwas wie Vierecke nicht und nicht einmal als gedank­ liche Gebilde gäbe. Auch der schlichteste Begriff eines einfachen Gegenstan­ des , etwa meines Tintenfasses, würde sonst in eine Unendlichkeit negativer Bestimmungen auf das gesamte Universum hin auseinanderfließen. Es würde dann ja im Begriff dieses Tintenfasses etwa auch das Nichtenthaltensein der Eisenbahn, des Kaisers Napoleon , des Sirius und der Barmherzigkeit in die­ sem Begriff enthalten, mitgemeint und gesetzt sein. Es ist charakteristisch dabei, daß es auch eine echte negative konstituierende Eigenschaft nicht gib t : Es gibt wohl die Farben Rot, Blau, Grün ; aber es gibt nicht die Farbe Nichtrot oder Nichtgrün . 1 00 Es vermögen überhaupt keine Relationen gegen­ ständlich Verschiedener analytischen Urteilen das Fundament zu geben ; sie haben alle herantragenden , hinzusetzenden, syn-thetischen , nicht aber her­ auslösenden , ana-lytischen Charakter. Das gilt auch weitgehend für den Bereich der Arithmetik. Man hat auch hier versucht, ihre Resultate als analytisch zu verstehen und so zu begründen. Doch besteht hier die Kantische Auffassung eines nicht-analytischen, son­ dern synthetischen Charakters der arithmetischen Formeln und Urteile zu Recht. Ein Satz wie : "7 + 5 ist gleich 1 2 + 0" ist von unabdingbarer Allge­ meingültigkeit (ebenso wie dessen Umkehrung) . Und es ist auch so , daß die auf beiden Seiten der Gleichung resultierenden korrelaten Mengen gleich sind. Ebenso ist es so, daß bei " 1 2 7 + 5 " in der Menge 1 2 die Mengen 7 und 5 enthalten sind; als Konstitutiva. Aber die Begriffe 7 und 5 sind nicht als Begriffe dem Begriff 1 2 immanent und nicht als solche in ihm mitgemeint. =

99 Eine Abschiebung der hier auftretenden Problematik in das Gebiet der Physik, auf Ähnlichkeitsgrade der Wellenlängen, würde natürlich auch nicht weiterführen, son­ dern hier sogar umgekehrte Resultate ergeben. 1 00 Dabei ist es nicht so, als wenn solche exakten analytischen Urteile nur einen zusätz­ lich erläuternden explizierenden Charakter hätten: Die ganze Naturwissenschaft z.B. wird in solcher eigenen Begrüflichkeit und aus ihr sich ergebenden analytischen

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Man meint in diesen Anzahlen nur das in ihnen unmittelbar Angegebene selber. Es wären sonst ja auch deren Abhängigkeiten voneinander in Teilen, Potenzen und Wurzeln und überhaupt ihre arithmetischen Strukturen vorge· geben und mitgemeint. Und nicht nur das, sondern auch die Beziehungen der über die 1 2 hinausliegenden Zahlen und Anzahlen. So etwa wären dann im Hinblick auf 1 2 50 0-48 8 dem Begriff der 12 die Begriffe 500 und der 488 impliziert . Und in jedem Zahlbegriff die ganze Arithmetik schon vorgefaßt und mitgefaßt ; und einfach ihm analytisch zu entnehmen . Es ist mit dem Anzahlwort 3 die Gruppe 1 + 1 + 1 zusammengefaßt ge­ meint und eindeutig und ausreichend angesetzt. Aber auch nicht mehr. Nicht etwa, daß sie die Quadratwurzel von 9 ist , oder der 1 1 1 te Teil von 3 3 3 etc . . Das ergibt sich wohl aus dem mit dem Anzahlwort "drei" fixierten Gegen­ ständlichen , aber nicht aus dem Begriff der 3 und ist dem Begriff nicht im­ pliziert . Ebenso wenig ist irgendein grundlegender Satz der reinen Geometrie ana­ lytisch. Daß die grade Linie zwischen zwei Punk ten die Kürzeste sei, ist ein syn thetischer Satz. Denn mein Begriff vom Graden enthält nichts von Größe, sondern nur Qualität. Der Begnff des Kürzesten kommt auch gänzlich hinzu, und kann durch keine Zergliederung aus dem Begriff der geraden Linie gezo­ gen werden. 1 0 1 Auch daß zwei gerade Linien sich höchstens in einem Punkt schneiden können , oder daß zwei sich schneidende Gerade oder überhaupt zwei Gerade keinen Raum einschließen, ist nicht analytisch aus ihrem Begriff heraufzuholen . 1 0 2 Ahnlieh ist es hinsichtlich der Winkelsumme des Dreiecks, oder des Verhältnisses der Außenwinkel zu den beiden gegenüberliegenden Winkeln oder der Gleichheit der Basiswinkel im gleichschenkligen Dreieck etc . . Der Ausdruck Dreieck kennzeichnet ausreichend und eindeutig (von sphär. Dreiecken etwa sei abgesehen) eine in sich geschlossene ebene gradli­ nige Figur mit drei Ecken. Aber es ist in dieser Definition und Fassung nichts über die Größenverhältnisse von Winkeln ausgesagt ; auch überhaupt nicht einmal so etwas mit angesetzt und vorausgesetzt wie Winkel, und ob es über­ haupt Winkel hier gibt. Das ergibt sich erst im Hinblick auf den Gegenstand dieser Definition . Darüberhinaus aber ist es allgemein so, daß wohl alle analytischen Sätze allgemeingültigen Charakter haben ; daß aber nicht das Umgekehrte gilt : Ein Satz, wie : "Alle allgemeingültigen Sätze a priori sind analytisch ", würde sich =

Urteilen erst ein System in strenger Kausalgesetzlichkeit. Cf. Grundlagen einer Phäno­ menologie der Erkenntnis, Kap. XXIII . 1 0 1 Cf. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik , § 2 . 1 0 2 Man könnte hier darauf hinweisen, daß gesagt wird: "Parallele schneiden sich im Unendlichen". Und das würde dann heißen , daß sie einen Raum einschließen. Aber es ist hier doch so, daß bei den Parallelen (sens.stren.) und den im Unendlichen sich schneidenden Geraden um verschiedene Gegenständlichkeiten es sich handelt, die lediglich aus rechnerischen Gründen identifiziert werden. (Um ein exaktes , legales Mogeln also, wie es auch Grundlage der so wich tigen Differentialrechnung ist) .

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selbst durchstreichen . Er beansprucht totalitäre Geltung, aber gerade er ist nicht-analytisch . Es sind diese Urteile nicht von analytischem Charakter. Nicht alles, was a priori, vor jeder besonderen Erfahrung sich rechtfertigt oder rechtfertigen läßt, ist rein analytisch , aus den Begriffen her abzuleiten. Urteile dieser Art, wie die vorstehend angeführten aus dem Gebiet der Ästhesiologie , Arithmetik und Geometrie haben weder den empirischen Charakter höchster Wahrscheinlichkeit ihrer Geltung, noch den der absoluten notwendigen Geltung der analytischen Urteile. Sie wurden als synthetische Urteile in ihrer apriorischen notwendigen Geltung für den Aufbau unserer Erscheinungswelt von Kant aufgewiesen. Gleichwohl ist es aber ja so, daß Kant in seiner Begründung dafür in einem anthropologischen Relativismus steckenbleibt, der einer absoluten , nicht subjektgebundenen, Gültigkeit die­ ser Urteile nicht gerecht wird . Die Problematik dieser Urteile ist uralt und wird angeschnitten schon von Plato im "Protagoras" und mehr noch im "Theätet"; als Gegensatz der Viel­ heit der Individuen und dem einmaligen einheitlichen Allgemeinen , unter dem wir sie fassen , und an dem sie teilhaben. Der Ausmessung etwa der Win· kelsumme (von immer nur induktivem Wert ) würde gegenüberstehen , daß es für ein Dreieck überhaupt und "dem " Dreieck wesentlich ist, die Winkelsum· me 2 R in einer über die bloße Faktizität hinausgehenden notwendigen Gültig· keit zu haben. Die Welt der idealen Gegenständlichkeiten ( "Die Tugend" , "Das Dreieck") wird von Platon wie eine eigene ( fast eigentliche) Welt als vorgegeben hingenom � en ; wie eine Welt, die neben der natürlichen Erfah· rungswelt selbständigen Bestand hat, und aus der her die natürliche erst wis· senschaftlieh zu verstehen ist. Das wird von ihm metaphysisch unterbaut als eine Art Erinnern, wie aus einer Präexistenz in der Welt der Ideen ; in ewiger Zeitlosigkeit. (Wobei zu überlegen wäre, ob nicht in der "Ewigkeit" schon ein Bezug auf die Zeit latent ist und so eine, wenn auch verdeckte und ver­ schobene, Individualität.) Diese präexistente selbständige Welt wird von Aristoteles beiseite gescho· ben ; das Diesseins-überhobene Allgemeine , so wie es im Wortbegriff gemeint ist, wird nun von ihm hereingeholt in das je einzeln Begegnende als dessen tragender und wesentlicher Kern, als (abstrakter) Teil eines jeweils Indivi­ duellen. Dieser Wesenskern ist aus dem Individuellen herausgehoben als ein Dreieck etwa ; als ein beliebiges Dreieck etwa, das bestimmt wäre nur ledig· lieh als planares geschlossenes Gebilde von drei geraden Seiten , wie mir das derart im Wahrnehmen oder Vorstellen gegenüberliegen kann. 1 0 3 Von diesem Kern , wie er von einem exakten Begriff des je Gemeinten gefaßt ist, im Wort­ begriff weitergegeben werden kann und in ihm ausreichend bestimmt ist, werden andere für seine Existenz notwendige und aus ihm notwendige Eigen­ schaften (etwa Winkelsumme etc.) getragen, und sind in ihrer Notwendigkeit 1 03 Vom Sphärischen sei hier abgesehen.

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aus ihm herauszuholen ; aber gehen über das gesetzte Quale dieses Kerns hinaus und sind mit dem einfachen Wortbegriff eines Dreiecks nicht mitge­ meint. 1 04 Natürlich kann man absehen davon, ob ein vorliegendes oder vorschwe­ bendes anschauliches Dreieck spitz-oder stumpfwinklig ist und wie groß . Es bleibt aber trotzdem weiter das intendierend b egrifflich Hervorgehobene des ursprünglich anschaulich (ob in Wahrnehmung oder Phantasie ) Gegenüberlie­ genden , eines Individuellen. Das ändert sich auch nicht dadurch , wenn von seiner raumzeitlichen Position abgesehen wird . Es wird dadurch wohl raum­ zeitlich unbestimmt, aber nicht zu etwas Zeitlosem, zu einer raumzeitlosen Idee . 1 05 Ich kann nun an einem so anschaulichen (abstrakten!) Individuellen auch Einzelheiten in ihren Relationen mir einsichtig machen , etwa die Größenver­ hältnisse der Winkel und dergleichen. Oder auch über die Verhältnisse meh­ rerer solcher Gebilde zueinander. Und ich kann annehmen , daß für gleiche oder ähnliche Gebilde dasselbe gilt ; auch wenn ich sie nicht in Sicht habe. Trotzdem würde ich nicht so üb er die Verhältnisse des jeweils vorliegenden Gebildes hinauskommen auch auf andere ihnen vielleicht gleiche und könnte das nur meinend (wie selbstver­ ständlich ) hinnehmen ; oder müßte sonst den B eweis je für jedes andere von Neuern aufzeigen . Man würde aber so nicht die Totalität aller, selbst gleicher, Gebilde in die Hand bekommen. Verifizierend sind aber lediglich leibhafte Gegebenheiten, in ihrem Selbst sich gebende oder so anschaulich herauf­ scheinende Gegebenheiten , nicht nur gemeinte . Vom Individuellen aus (und sei es noch so abstrakt und qualitätsentleert , auch in bezug auf seine Raumzeitlichkeit) kommt man so nicht an AUge­ meingültigkeit heran , nicht an die Totalität möglicher Exemplifikationen eines sachlichen Gehalts . Man würde über ein bloßes Meinen ohne verifizie­ rendt! Kraft nicht hinaus kommen. Aber es gib t eben doch Urteile a priori von nichtanalytischer Allgemeingültig­ keit . Im Hinblick darauf hat Husserl geglaubt in einer besonderen "ideieren­ den" Abstraktion die unendliche Vielheit möglicher Exemplifikationen sol­ cher Sachgehalte in einer einmaligen Schau von deren "Wesen" fest in den Griff zu bekommen ; in einer unmittelbaren Schau, die gleich primär sei der­ jenigen , unter der etwa in der Wahrnehmung Individuelles in seinem leibhaf­ ten Selbst sich gibt. Es soll nach ihm dem Menschen eigen sein , in solch einem erschaubaren "Wesen" der Dinge und Sachen deren sachlichen Gehalt in für die Totalität der Exemplifikationen dieses Gehalts gültigen Weise zu 1 04 So ist das letztlich auch die Position der Neusch olastiker (z. B . Jos. Geyser etwa in

, .Neue und alte Wege der Philosophie" ) . 1 0 5 Wie j a auch eine Nichtunterscheidbarkeit nicht aus 2 Gegenständen , die zusammen­

fallen, einen identischen werden läß t. (Worauf oben schon eingegangen wurde) .

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erfassen und derart Allgemeinurteile darüber verifizieren zu können . Man soll

die in unbestimmt allge­ meiner Weife und unverm iScht mit Setzungen von Individuellem, doch über Individuelles, aber rein als Einzelheit der Wesen im Modus des Oberhaup t urteilen . Und das nicht nur meinend , sondern als ein in seinem leibhaften derart auf diesem Boden Urteile fällen können ,

Selbst sich Gebendes unmittelbar zu erfassen . 1 06 Was es mit solcher Wesensschau auf sich hat, bleibt indessen fragwürdig. Die Auslassungen Husserls darüber sind vage. Er b egründet sie mit der Not­ wendigkeit , Urteile von apriorischer Allgemeingültigkeit fällen zu können und im Hinweis auf eine primäre , nicht weiter ableitb are erlebende Erfas­ sung; auf ein nicht weiter Reduzierb ares, eine Art urphänomenaler Gegeben­ heit. Mir ist eine solche Wesensschau , die zugleich eine Totalität von E xem­ plifikationen eines "Wesensgehalts " bringen soll , nicht gegeben . Das gilt auch für die subtile Interpretation der Busserlsehen Position durch W. Reyer ;107 aber auch sein Versuch , der Wesenssch au ein Gesicht zu geb en , führt nicht viel weiter : Es ist nun gewißlich so , daß aus einem ( realen oder auch nur vorgestell­ ten) Gebilde ich seine Gestalt und seine innere ( auch qualitative und ideelle) Gestaltung mir ab heben kann ; und im Ab sehen von seiner Raum zeitlichkeit und seiner schicksalhaften Gebundenheit mir das als sein Was un d das im Begriff Fixierte gegenständlich mir so h erausheben. Weiterhin vermag ich auch die es konstituierenden Elemente durch gleiche oder gleichwertige zu · ersetzen , ohne daß das Was der gemeinten Gestaltung in seinem dem Wortb e­ griff entsprechenden Sinn sich ändert . Ich kann auf das im exakten Begriffs­ wort sinnvoll Ge meinte dire kt oder indirekt hinweisen ; und das in ihm In­ tendierte in seiner formalen und qualitativen Ge staltung mir vorgreifend vorstellig machen. Aber ich komme so nicht über je Einzelnes hinaus. Das mir gegenüber­ liegend (wahrnehmend oder vorgestellt) vom Begriffswort hindeutend An­ gerührte bleibt diesseihe Einzeln e , auch wenn seine Teile gleichwertig ausge­ tauscht werden ; und nur der ihm korrelate und ihn fixierende Begriffssinn derselbe bleib t. Ein gleichseitiges, mir irgendwie anschauliches Dreieck bleibt das selbe hindeutend Erfaßbare, auch wenn seine F arb en wechseln ; ohne daß dies Dreieck als solche s und die an ihm und aus ihm sich ergebenden Abhängig­ keiten sich ändern . Ein als dieser Träger verstandener Pfahl wird nicht dadurch ein anderer, daß ich ihn anders anstreiche ; oder gar im anders-Anstreichen mir auch nur vorstelle. Und ein Mensch bleibt derselb e , dieser selbe Mensch von seiner frühe sten J ugend bis ins Alter, trotz der Veränderungen , die er durchmach t, und trotzdem im Laufe seines Lebens vermutlich alle Zellen

1 06 Cf. dazu Husserl, Ideen zur reinen Phänomenologie, I, § 1 -7 und: Logische Unter­ suchungen, Bd . I, S. 1 06 , 1 09 und Bd. II, S. 1 6 1 - 1 64 . 1 0 7 Wilh. Reyer, Einführung i n die Phänomenologie, Leipzig 1 9 26.

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seines Körpers sich neu aufbauen. Er bleibt dasselbe Individuum . Er ist anders geworden , doch nicht ein Anderer. Auch wenn ein mir vorliegender grüner Fleck zu einem grauen verbleicht, verbleibt er doch dieser Selbe, wird nicht zu einem zweiten : Erst wenn der Begriff des sich-Änderns herausge­ strichen wird , sind hier zwei Ue individuelle ! ) Flecke erfaßbar, im Nach­ einander. Verbleichen , sich ändern und geändert werden (bzw. auf solche Möglich­ keit hin angesehen werden) und sei das auch nur in der Vorstellung, vermag nur ein als vorhanden Hingenommenes, bzw. daraufhin Angesehenes. Dabei ist es dann so , daß ein derart vorliegendes oder vorschwebendes Gebilde wohl anders geworden ist , aber darum doch nicht schon ein A nderes ; nicht ein gegenständlich Verschiedenes. Das Anderssein gibt noch nicht ein gegen­ ständlich Anderes an Hand oder andere Gleiche ; geschweige denn eine Tota­ lität solcher möglichen Anderen . Das aber übersieht Reyer, und das kommt bei seinem Ansatz nicht in Sicht ; der bleibt bei ihm verankert im vorliegend Individuellen und dessen Variieren . Ändern oder in Veränderungen aufgegriffen werden , vermag sich nur Individuelles, hier also der im Dies festzuhaltende Gehalt des mir Vorliegen­ den , der so auch Individuelles bleibt. Weder durch Abstraktion noch durch Austausch von Elementen , wenn der exakte Sinn des Wortbegriffs erhalten bleibt, kommt man zu einem Anderen und bringt so auch nicht Andere in eigener Leibhaftigkeit verifizierend in Sicht, und natürlich auch nicht deren Totalität. Daß dergleichen gemeint und mitgemeint sein kann , gibt es noch nicht originär in seinem Selbst frei. Und würde noch nicht daraufhingehende Allgemeinurteile verpflichtend bestätigen können. Dabei gilt für Reyer, wie auch für Busserls Position, noch ein weiteres: Es ist prinzipiell unmöglich , daß endlichem Erkennen des in seine Endlichkeit gebundenen Menschen die Unendlichkeit möglicher Manifestationen eines sachlichen Gehalts in ihrer Totalität erfaßbar ist. Eine bloße Behauptung gibt die Möglichkeit dazu nicht frei. Immer von Neuern würde Neues für eine Erfassung anstehen ; eine solche Totalität würde immer von Neuern neue Möglichkeiten des Erfassens offenlassen und nicht ein totalitäres Zutreffen garantieren ; immer von Neuern blieben neue Möglichkeiten des Nichtzu­ treffens offen. (Nicht viel anders als beim induktiven Vorerfassen des Empi­ rismus.) Es gibt in seinem Selbst, verifizierend , sich nur das, was in seinem Gehalt Ieibhaft begegnend gegenüberliegt ; nicht auch das, was mit ihm her­ aufscheint. Daß mit ihm eine Unendlichkeit weiterer Gehalte gemeint wer­ den kann, bedeutet noch nicht deren Leibhaftigkeit. Deren bedürfte es aber, um von hier aus totalitäre Urteile zur Evidenz zu bringen . Das würde ein Allgemeinurteil nicht über ein bloßes Vermuten und Annehmen hinaus fun­ dieren können. Ein bloßes Desiderat, im Hinblick auf eine Allgemeingültig­ keit von von der Empirie unabhängigen apriorischen Urteilen zu sein, genügt nicht zu deren Verifikation.

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Die Busserlsehe Wesensschau, auch in ihren Abwandlungen und ebenso die Neuscholastische Position bringt nicht vor die totale Variationsbreite apriorischer Allgemeinurteile. Aber man bedarf dieser Theorien auch gar nicht : Man ist von vornherein unter einem Vorkommen im Soetwas breit in die Welt hinein geöffnet. (Im Gegensatz dazu würde das Vorhandensein ja nur vor je Individuelles bringen.) So einfach ist das. e Dab i ist es dann so , daß man mit dem Soetwas nicht auf eine Totalität ausgerichtet ist und nicht das Toturn seiner möglichen Manifestationen in Sicht und Griff hat . Man ist lediglich , (im möglichen Absetzen von Anderem) als auf einzeln Faßbares aus in dessen Anstehen von der Welt her. Aber gerade so ist es von Bedeutung für die Logik und die Gültigkeit von Allgemeinurteilen ; denn um je derart als bloßes Soetwas Vorerfaßtes, ein­ zeln 1 0 8 sich Stellendes, geht es primär. Unter die hypothetische Funktion des Subjekts gestellt, gibt es den Weg frei in eine (totalitäre ! ) je-Beliebigkeit zu möglicher Verifikation und unmittelbarer Einsich tigkeit. (Wenn etwas so ist, wie im Subjekt an-und vorausgesetzt ist, so ist es in seinen konstituierenden Beständen und Relationen eben so.) Dieses in der je-Beliebigkeit offene totalitäre Vorerfassen bringt aber nicht ein Totum von Erfahrbarem zu sich-selb st-Gebendem in Sicht ; das würde immer wieder ins Ungehobene zurückweichen und in bloßes Gemeint­ werden. Es ist der Gegensatz von aktiver auf ein Vorhandensein ausgerichteten Einstellung und dem passiven Anfallenlassen eines Soetwas im bloßen Rezi­ pieren , dem bloßen Anfallen sachlicher Gehalte von sich aus ; der hier zu an­ thropologischer Bedeutsamkeit aufbricht; in der Gegensätzlichkeit von indi­ viduellen und generellen Urteilen. Beide Modi sind für den Menschen gleich primär. 1 0 9 Beim aktiv in der Welt Lebenden mit seiner Ausrichtung auf mechanisch Greifbares und geschichtliches Geschehen wird das im passiven Anfallen­ lassen - als lediglich vorkommend - überdeckt vom greifbar Individuellen und beherrschte so die erkenntnistheoretischen überlegungen. Das ist der Grund , warum die Versuche das Allgemeine in den Griff zu bekommen im­ mer wieder im Ausgehen vom Individuellen stecken blieben. Durch noch so weitgehende Abstraktion gelingt es vom Individuellen aus nicht das Indivi­ duelle hinter sich zu lassen und die Alternative "individuell oder generell " zu überbrücken . Und das ist auch der Grund, warum andererseits Husserl , um über das hinaus zu Allgemeinem zu kommen, seine im Unklaren gehaltene 1 08 Es ist dabei scharf zu unterscheiden zwischen Individuum und Einzelnem . Im ersten Fall handelt es sich um ein deictisch fundiertes Existential e ; im zweiten um ein qualitativ-relationales sich-Absetzen von Anderem, um einen essentialen Charakter. 1 09 Daß für solche Organismen die zu aufsuchender, eigenwilliger Rezep tionsbewegung nicht fähig sind, die Welt lediglich in einem Soetwas unter einem Vorkommen sich stellen würde, darauf wurde oben schon hingewiesen.

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"Wesensschau " postulierte , die aber bei ihm bloßes Postulat ist und in der leeren Luft hängen bleib t ; und ohne anthropologisch verstehbares Funda­ ment_ Ein solches Fundament ist von vomherein im vorkommenden Soetwas gegeben , als nicht weiter abzuleitende Grundgegebenheit ; ohne weitere Pro­ blematik und Theorie. Individuelles und Generelles werden existential getra­ gen von den beiden alternativen Grundbefindlichkeiten des Menschen , dem aktiven und passiven Aufgetansein in die Welt. Verschiedenes Befragen erhält lediglich auch verschiedene Antworten. So einfach ist das . Und zugleich von so eminenter Bedeutung. Von der bloßen induktiven Empirie kommt man nicht über Annahmen von vielleicht höchster Wahrscheinlichkeit hinaus. Und das Ausgehen vom Begriff in analytischem Urteil sens. stren. bliebe eng eingeschränkt und würde dem breiten Spektrum der allgemeingültigen Urteile, wie sie durch eine Synthesis a priori an Hand gegeben sind, nicht gerecht werden . (Also solcher wie die , die auf die Beispiele aus der Ästhesiologie, der Farbrela­ tionen , etwa hingehen.) Aber auch die sind mit absoluter Notwendigkeit eben doch verifizierbar. Das mag unter einem anderen Gesichtspunkt deutlicher werden : Ich kann von einem Segelschiff etwa, das ich früher einmal gesehen habe , jetzt eine anschauliche Vorstellung haben ; und weiterhin mir aus ihr die Aspekte der Masten , die Besonderheit der Takelung und dergleichen , und auch darüberhinaus die Relationen der Einzelheiten zueinander mir vergegen­ wärtigen. Ich erinnere dabei diese Einzelheiten als solche nicht einfach ; ich hatte sie auch früher nicht beachtet, aber ich kann sie jetzt (und nachträg­ lich ) aus dem Gesamtaspekt der vorstellungsmäßigen Anschauung mir herauf­ holen , ohne darum das Schiff in seinem leibhaften Selbst gegenüber zu ha­ ben . Daß solche Einzelheiten, wie sie aus Vergangenern mir jetzt herauf­ scheinen , nicht einfach erinnert sind , zeigt sich daran, daß ich sie vergleichen und mir in ihren Relationen ins Licht heben kann mit Gegenständen einer neuen mir jetzt gegenwärtigen Umgebung. Also etwa, daß die Masten kleiner sind als ein Kirchturm im Innenlande , vor dem ich jetzt stehe. Weder eine induktive Erfahrung noch eine Erinnerung sind dabei tragend , und trotzdem vermag ich darüber Urteile zu fällen. Analoges, wie das, was in der Erinnerung heraufscheint, gilt auch für das, was aus der Zukunft heranscheint. Doch vermag darüber hinaus Erwartetes zu wahrnehmungsmäßiger Fülle zu kommen und sich so zu bestätigen , wie das für das Erinnerte nicht mehr möglich ist. (Erinnerung kann immer täu­ schen , Erwarten kann enttäuschen dagegen in seinem Leerbleiben.) Ich kann so in seiner anschaulichen Vorstellung heute schon feststellen etwa, daß bei einem Regenbogen , der vielleicht morgen oder übermorgen sich zeigt, das Grün dem Blau ähnlicher sein wird als dem Rot. Die Möglichkeit nicht­ empirischer Urteile ist derart in der Anschaulichkeit des Soseins von etwas gegeben ; es besteht so die Möglichkeit zum Voraus gültige Urteile über

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Individuelles zu fällen . Alles das, was so an Eigenschaften , am Sosein solcher Dinge zu erwarten steht, kann ich derart vorgreifend feststellen.U 0 (N icht natürlich ihre Existenz .) So wie für das in einem Dies faßbare Individuelle ist es auch für das , was in seinem Vorkommen als Soetwas sich stellt. Auch dessen sachlicher Gehalt mit seiner Offenheit in die Zeit und den Raum hinein vermag aus der Zu­ künftigkeit möglichen Begegnens in seinem Quale heranzuscheinen und so gegenüberliegen. Man kann dem in der Vorstellung so Vorausliegenden 1 1 1 qualitative (interne un d externe) Befunde entnehmen als gültig für alle seine Manifestationen , in denen ja nichts anderes fest wird , als eben je es selbst. Unter ein Wenn gestellt, vermag man auch hier darüber zum Voraus gültige Aussagen zu machen. Wenn etwas Soetwas ist, wenn es so aus der Welt her in seinem Vorkommen aus ihr als Soetwas getragen wird , dann ist es auch in seinen Einzelheiten so ; sonst wäre es eben ein anderes. Der qualitative Gehalt dabei eines individuellen Dies und eines vorkom­ menden So etwas bleibt derselbe dabei, und so auch ein unmittelbarer sach­ licher Konnex trotz des grundverschiedenen gegenständlichen Charakters. Ein irgendwie Anschauliches, sei es wahrgenommen oder vorgestellt, vermag von vornherein deictisch als ein "dies etwas" in Sicht zu kommen. Aber auch als ein in die Welt gebundenes "Soetwas" : Der Geometer vermag auf eine geometrische Figur vor ihm auf dem Papier als auf diese Figur dort hinsehen, lediglich auf diese dort vorhandene, aktiv greifbare Gestalt. Oder aber - wie das normaliter der Fall ist - im bloßen passiven Rezipieren als auf ein beliebig, wie von sich aus Anfallendes sich öffnen ; im Hinsehen auf ein im anschaulichen (auch so vorgestellten) Gehalt erscheinendes Soetwas . Letzt­ lich in diesem passiven Aufgetan in eine Zukünftigkeit gründet die Mög­ lichkeit allgemeingültige Urteile a priori über das Individuelle hinaus zu fällen. Das ist von grundlegender Bedeutung, unter anderem auch für die Geometrie und Arithmetik ; und hier insonderheit auch für die Vertauschbar­ keit der Faktoren. 1 1 0 Für den anschaulichen Gehalt der Erinnerungs- und Erwartungsvorstellungen ge­ brauchte man auch die Ausdrüc ke Erinnerungsbild und Erwartungsbild. Das verlei­ tete dazu, hier soetwas wie Abbildungen zu sehen. Aber gerade um eine Abbildung handelt es sich hier nicht. Das würde in einen Regress führen. Es müßte dann ja neben solch anschaul i chem Gehalt das, wovon er das Abbild wäre, irgendwie vorstel­ lungsmäßig mitgegeben sein. Und neben dem ein Weiteres und so fort. Auch die Beob­ achtung zeigt nichts dergleichen. Es ist vielmehr so, daß ich auf das Erwartete (oder Erinnerte ) selbst hinsehe : Es ist selbst das, was hier aus einer undurchsichtigen ( zeitlichen oder räumlichen) Ferne heranscheint, ohne doch in seinem leibhaften Selbst sich zu geben. Es scheint in dieser Unleibhaftigkeit selbst von seiner Stelle in der Welt her an. Eine Abbildauffassung, wie sie sonst im Wissenszusammenhang von großer Bedeu­ tung ist, wäre hier fehl am Platze. 1 1 1 Und in der Möglich keit irgendwann und irgendwo je von Neuern zu begegnen, ist solche Zukünftigkeit konstitu tiv.

Kapitel VII DIE ART

Das Soetwas 1 1 2 in seinem Vorkommen ist von vornherein i� der Möglichkeit seiner Präsentationen breit geöffnet in die Welt. Es streut sich in sie hinein aus in einem offenen Streuungsfeld von nur potentieller Unendlichkeit. Das ist anders als bei dem Modus, unter dem ein Soetwas in der A rt ( "Der" Löwe , "Die " Osramlampe) breit sich manifestiert. Das Vorkommen des Soetwas in seiner gegenständlichen Offenheit ist hier als qualitatives Konstitutivum in die Art mit eingegangen und ist in ihr aufgegangen ; es hat seinen existentialen Charakter verloren und wird zu einem Essentiale der Art. Es ist als Existentiale hier neutralisie_rt;. Es ist hier nun der unmittelbare Kon­ takt mit dem , was begegnet oder begegnen kann , verloren gegangen. Die im Soetwas tragende Intention auf sein Vorkommen zurückgebogen in ein quali­ tatives Konstituens der Art ; die nun als ein neuer Gegenstand (eben höherer Ordnung) s ich stellt. Das Streuungsfeld des Soetwas geht als ihre Manifesta­ tionsbreite eigenschaftlieh in sie ein. Es ist gegenständlich in ihr festgewor­ den und liegt mit ihr gegenüber: Als ein Gegenstand nun höherer Ordnung mit anderen Eigenschaften als das Soetwas , der auch wiederum unter die Supposition des Vorkommens geraten kann . Während das Soetwas in freies Streuungsfeld 1 1 3 (bzw. sein Präsentationsfeld) herausgeht, geht umgekehrt bei der Art dieses Feld als Manifestationsbreite qualitativ in sie ein . Dem Soetwas als einem gegenständlich Offenem steht die Art als ein in sich Geschlossenes gegenüber. Ihre Manifestationsbreite würde auch termi­ nieren in einer aktualen Unendlichkeit im Gegensatz zur potentiellen des Streuungsfeldes eines Soetwas. Weder das Soetwas noch die Art haben an sich selbst einen quantitativen Charakter. Sie vermögen in ihrer Existenz sich zu verifizieren schon an einem einzigen Singularen . Das Soetwas in seinem Vorkommen gibt aber den Weg frei in eine Totalität von Singularitäten . Im Gegensatz dazu streut die Art sich nicht aus in Einzelheiten . Sie bleibt in sich geschlossen . Sie ist und bleibt ein in sich geschlossenes Einmaliges. Sie um faßt wohl die Präsentationen des Soetwas, aber sie erfaßt sie nicht mehr selbst ; bringt nicht vor deren leibhafte Gegebenheit, intendiert die nicht einmal, sondern nimmt sie lediglich hin ; von außen her gesehen und einen Schritt zu­ rückgetreten wie ein Totum ( trotzdem sie an sich selbst kein echtes Totum 1 1 2 Der Ausdruck .,Soetwas" ist nicht schön , aber als Gegensätzliches zum .,Dies-Etwas " prägnant. Andere Termini, die sich hier anboten wie etwa .,Allgemeingegenstand" sind leer und nichtssagend und werfen lediglich die Frage auf, was denn ein Allge­ meingegenstand ist. Oder sie sind wie .,Wesen " , ,.Idee" , ,.Idealgegenstand" , ,.Species", ,.Gattung" und dergleichen schon literarisch vorbelegt. Vielleicht finden meine Epigonen einmal einen besseren Ausdruc k daflir. 1 1 3 Wie das auch im Umfang des ihm zugehörigen Be gri ffs faßbar sein würde.

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Die Art

ist) . Der offenen möglichen Mehrmaligkeit des Soetwas , das sich Ieibhaft zu geben vermag, steht die geschlossene Einmaligkeit der Art gegenüber. Aber gerade so wird das je Einzelne nicht mehr aus ihr verstanden. Es ist in ihr nun als bedingende Voraussetzung hingenommen. Sie geht auch nicht auf in einer Gesamtheit von Singularitäten. Die würde ein echtes Quantum sein , Resultat einer quantitativen Beurteilung einer vor­ gegebenen Menge Einzelner und abgestellt auf ein "alle" davon (auch wenn das "alle" nur aus einem Einzelnen bestehen würde). Und unter ganz anderem Aspekt in Sicht käme. Art und Soetwas liegen in verschiedenen existentialen Ebenen , wenn auch in der Art das Soetwas aufgegangen ist. Man ist hier aus der Unmittel­ barkeit möglichen Begegnens gleichsam einen Schritt zurück getreten und hat nun die Art als neue Gegenständlichkeit höherer Ordnung sich gegenüber. So ist es z.B . etwa auch mit geometrischen Figuren, die mir begegnen , und die ich konstruieren kann. Es liegen mir etwa Dreiecke gegenüber, spitzwinklige , stumpfwinklige , rechtwinklige. Die kommen so und so und so als Varianten von Soetwas wie ein Dreieck vor und haben so ihre Existenz . Aber so gibt sich noch nicht das Dreieck. Das ist we der spitz, noch stumpf, noch recht­ winklig, und man kann es auch nicht zeichnen oder irgend wie anschaulich vorstellen . Trotzdem aber gibt es das ; aber es gibt sich nicht in einer Leibhaf­ tigkeit. Erst, wenn das (existentiale ) Vorkommen als Qualitativum mit her­ eingenommen wird , stellt sich hier etwas als nun neuer, wenn auch nur mein­ barer Gegenstand . Der Unterschied von Art und Soetwas vermag dabei schon rein äußerlich sichtbar zu werden an den verschiedenen Aussagen , die über die beiden Geltung haben können. So kann man sagen : , ,Der Löwe wird zwanzig bis dreißig Jahre alt, er ist teils männlichen, teils weiblichen Geschlechts, man findet ihn in Afrika und in einzelnen Exemplaren auch in Klein-Asien , wo er in hundert Jahren ausgestorben sein wird ". In diesem "bis", "teils", "ein­ zelnen Exemplaren", "ausgestorben" drängt das in der Art latente Vorkom­ men wieder an die Obfläche. Von Soetwas , wie von einem jeweils nur einzeln vorkommenden Löwenexemplar läßt sich dergleichen nicht sagen . (Und schon gar nicht von einem in seiner Vorhandenheit aufgegriffenen.) Nicht von dergleichen kann ich sagen, das es teils männlichen, teils weiblichen Geschlechtes ist ; es ist in einem entweder-oder immer schon entschieden . Oder, daß es 20 bis 3 0 Jahre alt werde. Und schon gar nicht - auch in seiner Mehrzahl nicht - das Aussterben von ihm behaupten. Soetwas wie ein Löwe vermag lediglich zu sterben , aber nicht auszusterben. Es ist ganz und gar nicht so , daß durch abstrahierendes Absehen von irgendwelchen Besonder­ heiten vom Einzelnen man auf das Allgemeine hin abglitte. Auch das Ein­ zelne kann für sein Erfaßtwerden abblassen zu einem qualitativ fast leeren "Diesda" oder "Soetwas " ( schpn, wenn ich es in seiner qualitativen Gänze gar nicht kenne und daran uninteressiert bin). Und andererseits kann ein der Art nach in Sicht Kommendes in der vollen sachlichen Fülle seines qualita-

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tiven Gehaltes angegangen sein . Der Unterschied von Art und einzelnem Soetwas ist nicht in der Quantität des Qualitativen zu suchen . Die Art ruht auf dem Fundament des ( singulären) Soetwas ; aber umgekehrt ist das Singu­ läre nicht von der Art her faßbar. Das zeigt sich schon an dem "teils-teils" und an dem "bis ". (So ist - auf anderem Gebiet - von der geraden Linie wohl das Dreieck oder andere geometrische Gebilde verstehbar, aber nicht umgekehrt vom Dreieck aus die gerade Linie .) Es gibt die Art , aber sie gibt sich nicht selbst in eigener LeibhaftigkeiL So wie ein Individuelles und ein Soetwas Ieibhaft sich zu geben vermögen. Durch das in ihr latente Vorkommen ist die Art in e ine mögliche Unendlich­ keit hinein ausgeweitet. In der Unendlichkeit dieser Manifestationsbreite bleibt sie aber von vornherein jedem verifizierenden Zugriff auf ihre je ein­ zelnen Manifestationen prinzipiell entzogen. Sie verharrt in Unleibhaftig­ keit ; und vermag sich zu bestätigen lediglich im Hinblick auf ein sie tragendes Soetwas. Die Manifestationsbreite der Art hat das Streuungsfeld des Soetwas und so den Modus des Vorkommens zur bedingenden Voraussetzung. Aber man hat von ihr aus nicht mehr das je Singuläre im Griff und in einer totali­ tären LeibhaftigkeiL Um darüber verpflichtende Urteile zu fällen, bedarf es des Rückgriffs auf das Vorkommen von Soetwas. So kommt ja auch nicht eine gerade Linie oder die Zahlenreihe in ihrer Unendlichkeit Ieibhaft zur Selbstgegebenheit, sondern ist lediglich in ihrer Intention daraufhin metho­ disch vorgegeben. (Natürlich vermag auch eine Art als eine Gegenständlich­ keit höherer Ordnung in von neuem - unter nun anderer Supposition - als ein nun neues Soetwas aufgegriffen zu werden, und man eigene Urteile über sie fällen ; z.B . "Soetwas wie der Löwe kommt in diesen Überlegungen vor" .) Arten sind lediglich intendiert und geben sich nicht in einer eignen Leib­ haftigkeit. Sie hab en ihre Position und ihr Sein in den Sachverhalten mög­ lichen Vorkommens von Soetwas und von dort her und in ihnen eine echte Existenz und Schicksalsgebundenheit. Durch das in ihr latente Vorkommen ist derart die Art in die Existenz gebunden. Es gilt· das aber auch für andere Modi derartiger ideeller Existenz, die nicht wie die Art in räumlichen Struk­ turen und Abgrenzungen sich geben . So wie das bei Stoffen der Fall ist . Als Stoff soll hier verstanden werden solch gegenständliches So etwas, das als nicht in sich differenzierte, nicht als in discretis strukturierte Menge , sondern lediglich als von außen zu umgreifendes Quantum h�ngenommen wird .U 4 Dies Umgreifen hat von sich aus keinen quantitativen Sinn. Es könnte an sich so das Wasser eines Ozeans oder das Luftmeer von Planeten so aufgegriffen sein. Also etwa Wasser, Luft , Milch , Sand, chemisches Material, Mineralien, 1 1 4 Im Gegensatz zu solchen Quanten von nicht-Discretem stehen Mengen von discreten Elementen , die z.B. flir die Mengenlehre von Bedeutung sind. Doch sind hier Trans· formationen ineinander möglich : Ich kann ein Pfund Mehl als korrelative Menge der einzelnen Mehlkörner auffassen oder einen Liter Wasser in die entsprechende Anzahl der Wassermoleküle übersetzen. Und umgekehrt.

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auch elektrische Ladungen ( Coulomb) etc . . Das kommt in Quanten von Soetwas vor, begegnet so in Stoffquanten. Aber solche Stoffquanten sind noch nicht der Stoff (das Eisen, die Luft, das Wasser) . Das (existentiale ! ) Moment des Vorkommens ist dann als ein Qualitativum in ein neues Gegen­ ständliches "den" Stoff eingegangen, der nun als ein neuer Gegenstand ( hö­ herer Ordnung) meinbar ist; von dem dann von neuem auch ein Vorkommen oder Nichtvorkommen ausgesagt werden kann. Und von dem zum Teil neue und andere Aussagen Geltung haben können als von den korrelaten Stoff­ quanten : "Das Schießpulver wurde von Bertold Schwarz erfunden. Es wird seither von allen Kulturstaaten laufend hergestellt und gebraucht". Dabei ist es aber so, daß das Schießpulver nicht laufend erfunden wurde, sondern nur einmal. Und hergestellt werden und pfundweise verpackt und verkauft jeweils nur Quanten von Soetwas wie Schießpulver; nicht "der" Stoff, son­ dern Stoffquanten . "Der" Stoff in seiner geschlossenen Gänze ist überhaupt, sowenig wie die Art, nicht Ieibhaft faßbar. Trotzdem ist er keine Abstraktion aus den Stoffquanten, wie sich schon daraus ergibt , daß in dem "erfunden" von ihm etwas gilt, was von den Stoffquanten nicht gelten würde. Er ist lediglich me inbar, hat aber gleichwohl eine echte existentiale Position in den Stoffquanten, die hier und da oder dort vorkommen. Mit dem Verschwinden dieser Stoffquanten würde es auch "den" Stoff Schießpulver nicht mehr geben, und er in die Vergangenheit absinken. Arten und Stoffe (das Dreieck ; das Schießpulver; der Löwe ; das Wasser) geben sich nicht in eigner Leibhaftigkeit. Das mag Motivation gewesen sein , sie als Begriffe verstehen zu wollen. Aber gerade um Begriffe handelt es sich hier nicht : Der Begriff des Löwen frißt keine Neger. 1 1 5 Vom Begriff der Milch wird niemand fett. Das Gehalt eines Beamten steigt mit den Dienst­ jahren ; er würde aber kaum mit dem Begriff dieses Ge halts zufrieden sein. Es wäre auch verfehlt, wollte man eine Kanone, statt mit Pulver, mit Begrif­ fen davon laden. Der Löwe kann aussterben, und den Stoff Milch könnte es einmal wegen Verschwinden allen Milchviehs nicht mehr geben. Auf Spitzbergen gibt es den Löwen nicht und auf der Sonne kommt der Stoff Milch vermutlich nicht vor. Das aber würde die Begriffe davon nicht berühren. Der Schicksalsgebun­ denheit des Vorkommens und so auch des Vorkommens von Art und Stoff steht die ideelle Schicksalsüberhobenheit der Begriffe , . ihre Unabhängigkeit von Raum und Zeit gegenüber. Soetwas , Arten und Stoffe stehen (direkt oder indirekt) aus der Welt her zur Begegnung an, der Begriff nicht. Er sei denn unter der gegenständlichen Supposition genommen, unter der er aber nicht seinen eigentlichen funktionalen Wert hat ; wohl aber gerade so in der Logik eine Rolle spielt, und es ihn dort gibt.

1 1 5 Auch das bloße Was des Löwen ( als ein echtes Abstraktum ) , sein bloß qualitativer, auch vorstellungsmäßig abzuhebender, Gehalt frißt keine Neger.

Kapitel VIII DAS SACHNOMEN UND DER PLURAL 1 16

Aus diesem , in einem Vorkommen gegenständlich fundierten, Soetwas wird auch der Plural verstehbar und verstanden. Nur Vorkommendes, auf sein Vorkommen hin Angesehenes, vermag in den Plural einzugehen . ( Es würde hier dasselbe gelten, was oben gegen die Jevons'sche Position im Anzahl­ verstehen gezeigt wurde.) Es soll ja im Plural ein sachlich Selbes mehrfach aufgegriffen werden und gerade so zusammengeschlossen sein. Das aber wäre vom vorhanden Individuellen aus nicht möglich und würde lediglich ein bloßes Aggregat von "dies und dies etc ". sein ; die in sich abgeschlossen in dieser Selbständigkeit trotz qualitativer Gleichheit verschieden blieben (schon Gleichheit setzt ja Verschiedenheit voraus) . Und gerade nicht, wie es der Plural verlangt, eine Mehrheit von sachlich Seihen. Das leistet ohne weiteres das So etwas , das von vomherein in einer mög­ lichen Vielheit manifest wird . Während Vorhandenes zu einer abgegrenzten Menge sich zusammenschließen kann , öffnet sich das Soetwas von vornherein in ein Streuungsfeld , das von sich aus keinen quantitativen Wert hat. Das aber von außen her eingeschränkt sein kann, wie etwa "die auf dem Tisch liegenden Ap fel". Diese Streuungsbreite koinzidiert mit dem Triftigkeitsbe­ reich des korrelaten Begriffs , ohne doch mit dem identisch zu sein. (Auch wenn es etwa durch eine Naturkatastrophe soetwas wie Äpfel nicht mehr gäbe, würde das ihren Begriff nicht tangieren .) Das gilt nicht nur für den Plural der Substantive, sondern auch für die Sub­ stantiva selbst als solche, für Hauptworte also, deren Korrelate selbständig aus Eier Welt her anstehen. 1 1 7 Auch deren grammatischer Singular ist nicht nur Ausdruck von individuell Faßbarem . Das würde streng genommen nur für Eigennamen gelten und die Fälle , in denen durch Demonstrativa, Possessiva und den demonstrativ verstandenen bestimmten Artikel ein lediglich vorkom­ mendes Soetwas in die Individualität herauf und an die mögliche Vorhan­ denheit herangeholt wird . Der auf das offene Soetwas abzielende Charakter des Substantivs ( oder besser Sachworts) als solchen wird bei uns akzen­ tuierend hervorgehoben durch den unbestimmten Artikel "ein". 1 1 6 Die exemplarischen Belege dieses Kapitels mag der sprachlich nicht Engagierte bei­ seite lassen oder überfliegen , ohne den Weg in das Prinzipielle der Problematik zu verfehlen. 1 1 7 Gegensätzlich dazu wird das Korrelat des Adjektivs nicht existen tial, sondern als ge­ bunden an ein anderes begriffen. Der qualitative Gehalt ist in beiden Fällen derselbe. Im ersten aber auf mögliche (ideelle oder reale) existentielle Fundierung hin, eben hier auf ein Soetwas angesehen, im zweiten Fall vorgängig auf relationales Gebun­ densein.

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Das Sachnomen und der Plural

Im Englischen entspricht unserm "ein" hier ein a oder an im Gegensatz zu der Anzahlbezeichnung one. Auch bei uns koinzidiert nicht der un· bestimmte Artikel mit einer Anzahlbezeichnung. Es soll in dem Satz "Ein Löwe ist ein Lebewesen" nicht (es sei denn durch besondere Betonung) gesagt werden, daß "Einer" ( 1 ) der vie len Löwen ein Lebewesen ist . 1 1 8 Die Anzahlbezeichnung "Eins" wäre ohne gleichzeitigen Bezug und Mit· heraufscheinen der Zahlenreihe ( 1 , 2, 3, etc.) nicht verstehbar ; und der­ gleichen ist ja auch nicht der Fall. Es würde auch von einem je einzelnen, unter einem "Eins" faßbaren Löwen nicht zu gelten haben ein Satz wie : "Ein Löwe wird 2 0 b i s 30 Jahre alt und ist teils männlichen , teils weiblichen Geschlechts ". Das wäre von einem je einzelnen Löwen zuviel verlangt . Es steht hier das Gemeinte wohl im Singular, aber geht nicht auf im Individuel­ len .U 9 Sein Wert ist totalitär und ohne Grenzen. Die Sache als solche, wie sie als So etwas in �hrem So aus der Welt heranscheint, ist an sich neutral gegen Einzelheit und Vielheit ; und indifferent gegen den grammatischen Singular oder Plural. Sie hat auch im grammatischen Singular pluralen Cha­ rakter, ohne doch Korrelat eines Pluralis im Sinn der Grammatik zu sein. Weder vom Individuellen noch von der Anzahl her würde das Wesen des unbestimmten Artikels zu fassen sein. Es fehlt sogar ein sprachliches Äquiva­ lent und eine Akzentuation durch ihn in den meisten Sprachen . Das bloße Sachnomen 1 2 0 als solches übernimmt seine Funktion mit, in dessen schlich­ ter Ansetzung. Der Sinn des Sachwortes in Ausrichtung auf ein Dies oder aber ein Soetwas differenziert sich hier aus seiner Stellung im Satzzusammen­ hang und der unausgesprochenen oder durch Demonstration an Hand gege­ benen Situation , in die die Redenden gestellt sind. So entfällt der unbe­ stimmte Artikel schon im Lateinischen, im Altitalischen , im Griechischen und im Sanscrit. So kann denn etwa im Lateinischen das Wort "homo" sowohl im singulären (demonstrativ heraufzuholenden) als auch im generel­ len Sinn gebraucht werden ; wie das auch dem gegenständlich-neutralen Cha­ rakter des Vorkommens der Sache entspricht. Das "homo" (wie auch das "Ein Mensch ") hat an sich totalitären Charakter und steht trotzdem im Singular ; meint aber in seinem totalitären Geltungsanspruch gleichwohl nicht eine plurale Gesamtheit . 1 1 8 Die etymologisch - psychologischen Zusammenhänge zwischen dem "Ein" und dem "Eins" mögen und können hier beiseite bleiben. 1 1 9 Auch mit der Interpretation des unbestimmten Artikels auf ein "irgendein" oder "ein beliebiges" oder ein ,Jedes" würde man hier im Bereich des Individuellen ver­ bleiben. So würden z;B. für den Fall "ein Löwe" solche Ausweichversuche schon an dem "bis" oder dem "teils-teils" scheitern. 1 20 Mit Absicht wurde hier nicht gesagt " Substantiva". Auch Eigennamen sind Substan­ tiva. Aber sie terminieren in einem Dies, nicht wie die Sachnomina in einem Soetwas. Substantiv ist eine rein grammatische Kategorie, die Beides um faßt. Andererseits sind Infmitive, Adjektive und Gerundien Sachnomina, gelten aber grammatisch nicht als Substantive . Partizipia und Gerundiva können ambivalent gebraucht werden.

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Das gilt nicht nur für die kulturell aneinander gebundenen Sprachen der alten Welt, sondern findet sich auch bei geographisch und ethnologisch weit auseinanderliegenden Völkergruppen , die auch historisch nicht miteinander in Verbindung gekommen sind und eine ganz andere Entwicklung durchge­ macht haben . So bezeichnen im malayo-polynesischen Sprachstamm , insonderheit in den melanesischen Idiomen die Wortformen , welche als (Sach-) Nomina ge­ braucht werden , Sachliches ohne Rücksicht auf Einzelheit und Mehrheit. In dieser Indifferenz hat hier das Nomen einen allgemeingegenständlichen Cha­ rakter (wie er dem Soetwas entsprechen würde) . Der kann individualisierend spezifiziert werden durch das Zahlwort "eins" (bzw . durch ein Synonym dieses Wortes) oder durch personale bzw . demonstrative Pronominalab­ kömmlinge . So etwa im Viti durch ein vorgesetztes Zahlwort (dua = ein ) , oder wenn e s sich u m ein bestimmtes Einzelnes handelt durch das Personal­ pronomen der 3. Person (Koya) ; also etwa e dua na Tamata = ein Mann oder Ko Koja na Tamata = der Uener bestimmte) Mann. Zur Bezeichnung der Mehrheit (wo im Singular das Pronomen der 3. Person stehen wÜrde) , wird hier dann ein Plural dieses Pronomens vorgesetzt, während das Sachnomen unverändert bleibt ; also : Ko ira na tamata = die Männer. Das ist insofern in­ teressant , als hier das Sachnomen in seiner in sich geschlossenen Offenheit als So-etwas sich absetzt gegen einen echten Plural seiner selbst. So ist auch im Annatom das Substantiv indeklinabel. Der Plural wird hier gar nicht oder lediglich bei Personen durch ein vorgesetztes ilpu (unklarer Genese) ausge­ drückt. Auch im Tana b leibt das Substantiv unverändert und wird sowohl für den Singular wie den Plural gebraucht. Wie im Viti das Zahlwort edua in einer Abwandlung als dua zur singula­ ren Heraushebung (gegenüber einem Plural einer Sache) gebraucht wird , wer­ den auch in anderen hierher gehörigen Sprachen die Zahlworte für 1 synonym genommen für unseren unbestimmten Artikel. So im Malayischen sa (sa-oran = ein Mensch und 1 Mensch ) , oder im Dayak idja (idja arut = ein Boot und 1 Boot) . 1 21 Einen über das genuine plurale Geöffnetsein der Sachnomina hinausge­ henden Plural, wie er dem unseren entspricht, erreichen diese Sprachen durch Zuhilfenahme von Worten, die Haufen, Schaar oder Menge bedeuten ; oder eines Präfixes vei, das eine Fülle ausdrückt (und auch ein Adjektivum derart intensivieren kann im Sinne eines "sehr"), aber das Nomen selbst nicht tangiert ; oder auch das mehrheitsbezeichnende manga (unklarer Ge­ nese) im Tangala. Im übrigen kann der Numerus , ob singularisch oder plura­ lisch , auch lediglich schon vom Verb um auf das unveränderte Sachnomen hin sich ergeben. Auch durch Redublikation des Nomen kann in diesen Sprachen

1 2 1 Cf. dazu auch die sprachliche Verwandtschaft von ein und eins,

an

und

one,

bei uns.

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Das Sachnomen und der Plural

es zur Bildung eines echten Plurals kommen (Malayisch : Radja-radja=die Fürsten ; Dajak : badjan-badjan = die Hirsche ) . 1 22 Solche präzisierende Intensivierung des Sachnomens auf einen echten Plural hin durch Verdoppelung solchen Namens ist im Japanischen häufig (z.B . : Jama = Berg, jama-Jama = die Berge; Kuni = Land, Kuni-guni = Län­ der). Daneben aber kommen - wie es auch im Malayischen der Fall ist Mehrheitsbezeichnungen vor durch Ausdrücke, welche viel, Menge und der­ gleichen bedeuten (oho ku no = viel, tai-sei-no = in Menge, kazu-kazu-no = zahlreich ) . Die Nomina haben hier im Allgemeinen keine Plural form . Ledig­ lich bei Personalpronomen ist der Plural durch besondere Suffixe gekenn­ zeichnet. Sie sind undeklinabel. Die japanische Sprache kennt auch weder den bestimmten noch den unbestimmten Artikel. Trotz all dem ist sie doch keineswegs primitiv ; die diesbezüglichen zuordnenden Strukturen ergeben sich aus dem übrigen grammatischen Aufbau der Sätze. 1 2 3 Auch in der Inkasprache werden solche Redublikationen zur Intensivie­ rung gebraucht ( z.B. Runa = Mann ; Runa-Runa = Vo lk ) . Trotzdem es hier ein echtes Pluralsuffix gib t : k una (waman = Falke; Waman-Kuna = Falken ) . 124 Die Differenz zwischen dem (pluralen) Geöffnetsein des Sachnomens und dem (grammatischen) Plural zeigt sich gut auch im Jakutischen. Es gibt hier einen echten Plural, der in einem Suffix -lar Ausdruck erhält (Fr. Mül­ ler, "Grundriß der Sprachwissenschaft ", Bd. II, Abt. 2 , S. 2 68 ). Daneben aber ist es so , daß der grammatische Singular nicht nur ein einzeln Bestimmtes meint, sondern auch auf quantitativ Unbestimm tes dem Quale nach gehen kann. (Also Ausdruck eines Sachnomens in gegenständlicher Offenheit , im Sinne des Soetwas.) So steht ein Appelativum in solchem Singular, wenn die Mehrheit auf bestimmte oder unbestimmte Weise durch ein Attribut angedeu­ tet wird . Also z.B. Bias Kisi = 5 Menschen (eigentlich Mensch ) oder alba zia = viele Häuser ( eigentlich Haus ) . Oder wenn die Mehrheit durch die Natur des Prädikats sich ergibt. 1 2 5

1 2 2 Dazu : H. von der Gabelentz, Die melanesischen Sprachen nach ihrem gramma­ tischen Aufbau und ihrer Verwandtschaft unter sich und mit den malayisch-polyne­ sischen Sprachen, Leipzig 1 8 6 1 , § 3 2, § 1 4 3 , § 242 ; Friedrich Müller, Die Sprachen der schlichthaarigen Rassen, Wien 1 8 80, 2. Abt., S. 1 6, 5 6 , 7 0 , 1 1 4 ; J . C. Buschmann, in : Wilh . v. Humboldts Kawi-Werk, Bd. 111, Berlin 1 83 8 , S . 7 2 1 ; Friedrich Müller, in: Reise der Österreichischen Fregatte Novara um die Erde, Linguistischer Teil, Wien 1 86 7 , S. 2 1 6-21 7 , S. 302. 1 23 J. J. Hoffmann, A Japanese Grammar, Leiden 1 868 , S. 55; Sachio Tamamuski, Ein­ führung in die japanische Gegenwartssprache, Tokyo (ohne Jahr) , S. 5 , S. 6 . 1 24 J. J . Tschudi, Die Kechuasprache, Wien 1 853 , I . 1 25 Otto Böthling, Ober die Sprache der Jakuten, lndiana University Publications, Vol. 3 5 ( 1 8 5 1 ) , § 6 1 9 , § 622, § 6 24. Böthling weist dabei (§ 626) auf lateinische Satz konstruktionen als auf ein Analogon hin, in denen auf ein singular gefaßtes Kollektivum das Prädikat im Plural steht (pars magna receperunt, magna multitudo c onvenerant, pars urbes petunt).

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(Umgekehrt gibt e s nach Ermann 1 2 6 i m Altägyptischen Formen, die äußerlich-formal reinen Pluralcharakter haben, deren Prädikat aber im Singu­ lar steht. Es scheint mir, als ob hier die Ambivalenz des Sachnomen , dasselbe als Mehrfaches zu fassen , auseinandergetreten ist ; zu einer Einheit erst im Satz. Ebenso wird nach F. Müller 1 2 7 im Alt-Griechischen der Plural der Neutra mit dem Singular der Verben zusammen gebraucht. Doch ist es so, daß die scheinbare Pluralendung "-a" sich mit einer Endungsform , die dem Wesen nach einer neutralen Bildung zu kam, deckt, und die noch unentschie­ den gegen Einzahl und Mehrzahl je nach Bedarf singulariter oder pluraliter genommen wurde.) Mehr noch dominieren die reinen Sachnomina im grammatischen Aufbau der primitiven Sprachen ; so etwa in einigen australischen Dialekten . So wird im Dippil und wurde von den Eingeborenen am Lake Macquarie die Dif­ ferenz von Singular und Plural sprachlich überhaupt nicht berücksichtigt und lediglich auf dem Boden der bloßen unveränderten Sachnomen hier aufge­ baut. So etwa makoro = Fisch oder Fische, Kolay = Stock oder Stöcke. Doch wird im Kamillaroi ein Plural durch Affigierung von burula = viel oder in der Sprache am Encounter Bay durch demonstrative Abkömmlinge ( der im Australischen sehr entwickelten und differenzierten Pronomina) oder auch ( zum wenigsten scheinbar) durch genuine Affixe wie im Wiradurai, auch sprachlich erreicht. 1 2 8 Man war geneigt , diese grammatischen Strukturen als primitiv gegenüber der unserer Sprachen ( so z.B. Fr. Müller) anzusehen . Doch wohl mit Un­ recht. Das würde wohl gelten für die angeführten australischen Dialekte, für das Buru und auch für das Kogaba. Aber doch nicht einfach für die ural­ altaischen und die indonesischen Sprachen. Dagegen spricht die Art der oft sehr differenzierten Struktur des Verbalorganismus, und wie durch eine re­ lativ große Zahl von Demonstrativabkömmlingen hier der Sachgehalt des Nomens im Sinn der Singularität und Pluralität aufgegriffen und so spezifi­ ziert wird : Im bestimmten und unbestimmten Singular, im inklusiven und exklusiven Dual, im inklusiven und exklusiven Trial und im eigentlichen Plural (der auch durch irgendwelche Zahlworte getragen werden kann) . Die quantitative Differenzierung ist hier vom Sachnomen abgeglitten und berührt den Sachgehalt als solchen nicht mehr. Sachnomina als solche sind neutral gegenüber Singularität und Pluralität. So steht auch "ein Löwe " grammatisch im Singular und hat doch totalitäre Geltung. (Zugleich ist es hier instruktiv, daß diese Sachnomina, in denen ein Soet­ was laut wird , nicht auf Begriffliches hingehen. Begriffe können nicht etwa unter einem Dualis inclusivus aus der Welt her begegnen , derart, daß der eine der Beiden etwa verreisen oder sterben könnte.) 1 26 J . Ermann, Ägyptische Grammatik, Berlin 1 90 2 , S. 1 08f. 1 2 7 Fr. Müller, Einleitung in die Sprachwissenschaft, Wien 1 8 76 , S. 1 1 7 . 1 2 8 Friedr. Müller, Reise der Fregatte Novara, Wien 1 86 7 , S. 2 1 6 -2 1 7 und : Sprachwis­ senschaft , Bd. II, 1 . Abt., S. 5, 1 9 , 2 7 , 34, 43, 49, 66 , 82.

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Das Sachnomen und der Plural

Es ist das Sachnomen , das hier im Mittelpunkt sprachlicher Gestaltung steht. Aus einem Gestelltsein in die Welt wird in ihm ein aus ihr Anstehendes aufgefangen . Nur ein in seinem Vorkommen als So etwas Anstehendes vermag unter einem Sachnomen in einen Plural einzugehen. Ein bloßes Konglomerat von Individuellen macht nicht auch die Zusammenfassung in einem Plural möglich . Aus der Grundbefindlichkeit des in einem Erwarten Aufgetanseins stellt sich das aus der Zukünftigkeit seines Begegnens Heraufscheinende in zwei differenten Modis ; und notwendig nur in diesen Beiden, worauf oben schon eingegangen wurde. Man vermag ausgerichtet zu sein auf das , was wie unter meinen Willen gestellt aufsuchend zu finden ist ; und so für sein auch leibhaf­ tiges Begegnen gleichsam bereitliegt. Und andererseits auf das hin , was bei lediglich passivem Aufgetansein, wie von sich aus anzufallen vermag, und auf das man gefaßt sein muß. Einer vitalen Möglichkeit des Begegnens im ersten Fall steht eine reale Möglichkeit gegenüber ; beides sind echte objektive Möglichkeiten . Es sind die beiden Formen , in denen Sachgehalte aus der Welt her anstehen , von denen sie existential vorerfaßt und getragen werden und so gegenständlich aus der Zukünftigkeit möglichen Begegnens gegenüber­ liegen . Im ersten Fall habe ich das aus der Welt her Anstehende vorgreifend fest im Griff und eindeutig geortet im Weg zu ihm auf mich hin in einem Dies (und das auch auf dem Felde der Erinnerung heraufholbar) als ein einmalig­ Individuelles und in sich Abgeschlossenes. Das ich eben fest umschlossen vorgreifend , als nur gerade dieses, im Griff und in der Hand habe. Oder das , wenn der Weg zu solchem der Möglichkeit nach als Dies zu Fassenden ver­ deckt oder offen bleibt, in einem bloßen Etwas so zu fassen ist . Aber gerade so vermögen Individuelle nicht zu einem Plural gebunden und in ihm zusammengefaSt und gemeint werden . Individuelle Elemente (dieser Löwe und dieser Löwe etc.) können wohl zu einem Aggregat oder (z.B. räumlich ) einer gestalteten Einheit zusammengefaSt werden . Aber sie gehen nicht ein in den Plural "Löwen". Sie bleiben weiterhin in nur äußerer Zusammenfassung ein bloßes Aggregat des Löwen Alois, des Löwen Cäsar und des Löwen Nero in ihrer vollen Selbständigkeit und gegenständlichen Verschiedenheit. Im Plural aber geht es um dasselbe, das als ein sachlich Selbes auch mehrfach sich Gebendes hingenommen wird . Das aber vermag Individuelles nicht zu leisten. Dazu genügt nicht Gleichheit in irgendeiner Hinsicht der zu fassenden Individuen , auch absolute Gleichheit läßt die nicht zu "demselben" werden. 1 2 9 Ebenso setzt völlige Ununterscheidbarkeit (auch nach Raum , Zeit und Quale) rein begrifflich schon Verschiedenheit voraus; nur Verschiedenes läßt sich vergleichen und auf Gleichheit, Ungleichheit, Un­ terschiedenheit und überhaupt auch nur ansprechen. Analoges gilt für den 1 29 So sind umgekehrt auch - worauf oben schon hingewiesen wurde - Raum und Zeit nicht als solche prinzipia individuationis.

Das Sachnomen und der Plural

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Versuch , durch Abstraktion los vom Individuellen und darüberhinaus zu kommen. Man bleibt trotz allen Abstrahierens doch weiter bei "diesen" Individuellen, und auch , wenn man bis zum bloßen Etwas sich vortreibt, weiter bei diesen (individuellen) Etwas. Das den Plural tragende Sachnomen ist derart notwendig Ausdruck eines nicht-Individuellen : Man ist unter dem Modus möglichen Vorkommens mit ihm auf ein Soetwas hin ausgerichtet ; sonst könnte es ja eben nicht in einen Plural, in ein Me hrfaches seiner selbst eingehen. Nur Vorkommendes, nur " Soetwas" vermag der Breite der Sachworte volle Erfüllung zu geben . Unter dem Sachnomen ist man von vomherein breit aufgetan auf ein Soetwas hin in der möglichen Vielheit seiner Präsentationen, aus dem ihm konstitutiven Modus des Vorkommens heraus. Sachnomina sind nicht einfach Ausdruck eines qualitativen Gehaltes ; wie der irgendwie nur ein in sich geschlossenes bloßes Konglomerat von qualita­ tiven Daten , Relationen und dergleichen wäre . Daß bei dem so aus der Welt her anstehenden Soetwas es sich nicht um einen bloßen Soseinsgehalt, um das hervorgehobene Quale von etwas , eines individuellen Etwas , handelt, zeigt sich darin , daß ein solcher Soseinsgehalt derselbe sein würde , wie der­ jenige , der im Adjektiv oder auch einem Adverb Ausdruck erhalten kann ; und bei denen er nicht aus der Welt her existential sich stellt, wie bei den Sachnominibus, sondern als gebunden an anderes sich gibt. Das Quale ist Eigenschaft von etwas, das Soetwas in sich Selbständiges und so Gegenüber­ liegendes . So wie vom (individuell ) Vorhandenen kann ich auch vom (vorkommen­ den ) Soetwas sein Quale mir abheben. Und es ist so , daß der Soseinsgehalt, das reine Quale, bei dem , was vorkommt und dem , was als vorhanden hinge­ nommen wird , dasselbe ist in beiden Existenzmodis ; und derselbe ist, wenn diese Existenzmodi überhaupt negiert sind in einem "Es gibt nicht Greifen und .Sphinxe ". (Dabei ist es natürlich so , daß - einen Schritt zurücktretend - man auch solchen Soseinsgehalt als lediglich bloß solchen dann, exi stential als ein neues Soetwas wiederum gegenständlich aufgreifen kann.) 1 30 Ich kann sehr wohl von in Afrika lebenden Löwen mir ihre Soseinsgehalte abheben und so auch in einer anschaulichen Vorstellung abfangen . Aber solche , auch anschaulichen , Soseinsgehalte fressen ja keine Neger und saufen Wasser dazu. Sie sind und bleiben Abstrakta. Und nicht auf Abstrakta ist man in den Existenzmodis des Vorhandenseins und Vorkommens von Löwen ausgerichtet. Auch nicht auf Begriffe davon ; einen Begriff des Löwen gibt es überhaupt nicht im Plural, er ist Einmaliges. Dergleichen würde auch nicht 1 3 0 Die Existenzmodi von Gegenständen der Sachnomina gehen nicht auf deren Quale ein. Doch vermögen sie auch solchen Qualien (qualitativ ! ) sich anzugliedern zu neuen Gegenständlichkeiten : z. B . "Der jetzt regierende Kaiser von Japan" oder "Die auf Spitzbergen vorkommenden (oder vorhandenen) Eisbären". Und so oder so existen· tial aufgegriffen werden , eben als neue Gegenständlichkeiten.

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Die Sachnomen und der Plural

laut bellend durch die Wüste laufen. Ein Löwe ist auch wesentlich gefähr­ licher als sein von ihm abgehobener qualitativer Gehalt oder sein Begriff. Man kann Soetwas (wie Löwen) züchten oder ausrotten. Das aber kann man weder bei einem Individuum noch bei einem Begriff, und das wäre hinsicht­ lich eines bloßen Quale schon der Frage nach sinnlos. Im Soetwas stellt sich ein qualitativer Gehalt als existential getragen und so als ein in seinem Vorkommen, als in seinem Anstehen zur Begegnung Ge­ genüberliegendes ; und so als Sache , auf die man bedroht oder bedürfend (positiv oder negativ oder gleichgültig) , um seines Lebens willen, sich aus­ zurichten hat oder ausgerichtet ist. Als ein Gegenständliches, das aus einem Erwarten her gegenweltlich bevorsteht oder bevorstehen kann und daraufhin angesehen und verstanden wird. Gegenüber dem bloßen essentialen Gehalt ist das Soetwas existential vom Vorkommen getragen ; wie in anderer Weise das (individuelle) Etwas deictisch vom Modus des Vorhandenseins gehalten wird. Wie so das Etwas ist auch das Soetwas ein aus der Gegenwelt existential An­ stehendes und daraufhin - in diesem Modus - Vorerfaßtes. Beides sind echte Gegenständlichkeiten ; und es ist nicht so , daß das Soetwas ein aus dem Individuellen abstrahiertes Quale wäre. Individuelles Etwas und das Soetwas stehen existential gleichwertig nebeneinander. 1 3 1 M an kann sogar sagen , daß unter anthropologischem Gesichtspunkt in seinem Vorkommen das Soetwas das Primäre ist (wor.auf oben schon hinge­ wiesen wurde) . Es nimmt einen dominierenden Raum ein im Bereich dessen, womit man umweltlieh in natürlicher Einstellung umgeht : "Ich habe Appetit auf einen Apfel" ; "Ich bitte um ein Stück Brot" ; "Ich will mir eine Fahr­ karte lösen " und dergleichen . Primär ist nicht dies (individuelle) Stück Brot, sondern mein Hunger auf Brot überhaupt, und was diesen Hunger stillt; näm­ lich soetwas wie Brot. Das , was hier unter dem unbestimmten Artikel ange­ sprochen wird , ist nichts Individuelles ; auch wenn im Moment des Zugrei­ fens oder de"ictisch es dann so in oder vor der Hand liegt und sich daraufhin dann individuell spezifiziert. Aber gerade so, als eine Sache überhaupt, als so-Etwas, bestimmt es weitgehend mein Umweltverhalten. Und gerade so hat man im alltäglichen Leben mit ihm zu tun. In den Sätzen "Ich nehme dies Stück Brot" und "Ich nehme ein Stück Brot" hat dies Stück und das ein Stück dieselbe gegenweltliche Gewichtig­ keit, denselben unmittelbaren vitalen Wert. Sowenig wie das Etwas ist auch das Soetwas nicht von sich aus vorgängig auf eine Mehrheit hin angelegt. Es ist wohl konstitutiv für eine Mehrheit, aber nicht Mehrheit konstitutiv dafür; als wenn es aus ihr abstrahiert wäre. Man könnte einem einzel-Individuellen 1 !1 1 Dabei vermag unter einem Dies das Soetwas je sich zu exemplifizieren. Und umge­ kehrt ein Totum des Soetwas (das an sich gerade keine Totalität ist oder hat) in einem Dies als etwas (als Art und Stoff) konzipiert werden. Cf. Grote, Grundlagen einer Phänomenologie der Erkenntnis, Kap. XXI und "Existenzmodi von Art, Stoff und Wesen" , Zeitschrift für Philosophische Forschung, 1 964, Heft 4.

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Dies hier ein einzeln-Generelles (ein) gegenüberstellen ; wenn nicht d as Wort "generell " in Arturteile , universelle Urteile und Universalurteile hinein ver­ waschen wäre . 1 32 Ein unter seinem Vorkommen vorerfaßtes Soetwas steht als ein qualitativ in sich Abgeschlossenes zur Begegnung an . Nicht so in seiner gegenweltlichen Gänze , in der es hier und dort und auch zugleich sich zu stellen vermag; auch aus der Vergangenheit und Zukunft her. Das als Soetwas in seinem So Festgewordene vermag als dasselbe in je weiteren Präsentationen seiner selbst sich zu präsentieren ; und anzustehen so auch zu je weiteren Möglichkeiten des sich-Gebens. In seinen Präsentationen reicht es in die Umwelt hinein , ohne doch darin aufzugehen. In irgendeiner Form des Zusammen vermögen die so zur Begegnung anzustehen. Etwa an­ einander gebunden sein unter einem "viel", "wenig", oder "oft " davon; aber eben unter einem davon . Und dieses "davon" geht über ein je Individuelles hinaus und verweist in ein "Soetwas ". Es setzt sich ab gegen immer je weitere Präsentationen, die mit ihm heraufscheinen , und aus denen es heran­ scheint in einer Präsentationsbreite von prinzipieller Unbegrenztheit. Es vermag derart als " Soetwas-wie " aus der Welt her mehrfach sich zu stellen; im Gegensatz zum deictisch faßbaren und gefaßten Individuellen, das je nur einmal vorhanden ist . Das Soetwas ist derart raumzeitlich nicht gebunden. Es vermag hier und da und j etzt und dann zugleich vorzukommen . Im Gegen­ satz zum als individuell Aufgegriffenen, das (als Selbes) nur entweder hier oder da oder dort vorhanden ist oder war oder sein wird . Die Konglomera­ tion von individuell Vorhandenem ( als je Verschiedenem ) würde in aktualer Unendlichkeit terminieren, die Präsentatio nsbreite des Soetwas (als je des­ selben) in potentieller. Mit einem Sachnomen ist man in die Welt hinein geöffnet auf ein Soet­ was hin in einer Totalität seiner Präsentationen. Diese Totalität geht nicht in einem Totum auf. Das Soetwas hat kein faßbares Totum und bleibt als solches immer in gegenständlicher Unabgeschlossenheit . 1 33

1 3 2 Wenn das (als vorhanden genommene) dies gegen eine Mehrheit erfaßt wird , komm t es als einmalig-Individuelles in Sicht. Wenn das (als vorkommend genommene) Soet­ was in der Mehrheit seiner Manifestationen oder daraufhin erfaßt wird , kommt es als Art in Sicht. 1 33 Aus der prinzipiellen gegenständlichen Offenheit des Soetwas ergibt sich dann auch, daß man ganz allgemein wohl sagen kann "Es gib t Menschen" , oder auch eingeengt "Es gibt einzelne oder wenige oder viele Menschen " ; aber nicht "es gibt alle Men­ schen ".

Kapitel IX DAS SOETWAS UND DIE ZAHL

Das in seinem Vorkommen manifeste Soetwas ist bedingend und ausreichend für die Verifikation von allgemeingültigen Urteilen a priori , für das Sachno­ men und den Plural. Darüberh inaus aber ist es von Bedeutung für den struk­ turellen Aufbau der Arithmetik. Das gilt schon für die normale Anzahl im alltäglichen Rechnen . Die aus dem Objektiven (sei das real oder irreal) anfallenden qualitativen Konglomerate vermögen (subjektiv) durchgriffen und fixiert zu werden unter einem hinweisenden Dies. Solche deictisch angerührten ,,Dies " vermögen zusammengefaSt zu werden in einer Menge als deren Elemente . Diese Ele­ mente sind von vornherein qualitätslos, nicht qualitätsentleert durch Ab­ straktion ; von sich aus nur Zielpunkte einer Ua subjektiven) Deixis. Sie las­ sen sich aber auffüllen mit jedem beliebigen Qualitativen ; auch in sich fest geschlossene Konglomerate und auch Mengen wiederum können als Ele­ mente auftreten . Derartige Mengen können in ihrer Größe verglichen werden miteinander durch ein-eindeutige Zuordnung ihrer Elemente zueinander; und so auch auf eine vorgegebene Standardmenge hin festgelegt werden ; in einem "Ebensoviel, Mehr oder Weniger". In diese Dies-Deixis (bzw. der Möglichkeit dazu) präsentiert sich etwas als Individuelles und nur so als dessen gegenständliches Korrelat. Und kommt so auch , und nur so , von vornherein als voneinander Verschiedenes in Sicht: Ein bloß qualitatives Unterscheiden führt hier nicht weiter auf Individuelles und Verschiedenheit. Unterscheidung setzt rein begrifflich schon die Ver­ schiedenheit des je zu Unterscheidenden voraus. 1 34 Das gilt auch für die Ununterscheidbarkeit und das totale Obergehen sachlicher Gehalte ineinan­ der, das schlechthin unverstehbar bliebe ohne grundlegende Verschiedenheit der Komponenten . Auch die raumzeitliche Identität als solche genügt daher nicht, ein ausreichendes Kriterium der Individualität zu sein . (Wenn auch wohl Motiv für die Annahme davon.) Eine Menge oder ein Konglomerat von je in einem ,,Dies" deictisch faß­ barem Individuellen aber ist noch keine Anzahl. Es ist und bleibt eine Mehr­ heit von je sachlich Verschiedenen ; und nur in ihren Positionen nebeneinan­ d�r oder nacheinander Unterschiedenen oder zu Unterscheidenden. Das kann sehr wohl auch anzahlhaft durchgriffen werden , aber ist so und als solches 1 34 Für die Differenz von Verschiedenheit und Unterscheidung ist es symptomatisch und auch äußerlich charakteristisch, daß es wohl für die Un terscheidung nicht aber für die Verschiedenheit eine verbale Entsprechung gibt. In bezug auf Verschiedenheit gibt es kein Verbum.

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noch nicht als Anzahl verstanden ; noch nicht verstanden als mehrmals das­ selb e Sachliche und verstehbar_ Die Anzahl ist nicht einfach nur ein abkür­ zender Ausdruck für ein Konglomerat oder eine Menge ; bloße Summation ist keine Addition. In einem Satz wie ,,Diese Birne und diese Birne und diese Birne sind 3 B irnen " ist das drei nich t von dem je individuell Fixierten und so Verschie­ denen ausgesagt (oder etwa von dem einen oder dem anderen dieser Gegen­ stände) ; sondern von einem seihen Sachgehalt, der mehrfach oder mehrmals aus der Welt her begegnen kann als ein allen Gemeinsames. Und in den die unterscheidenden Einzelheiten des "Dies" nicht mit eingehen. Die begegnenden Individuellen sind wohl unter einen Begriff hier zusam­ mengefaSt und zusammenfaßbar. Aber auch über solch Begriffliches wird so noch nichts mit der 3 ausgesagt. So nimmt z.B. Frege wohl in seinem (oft zitierten) Beispiel "4 Rosse zogen den Wagen des Kaisers" die 4 als Aussage über den Pferdebegriff: Aber Begriffe lassen sich ja nicht vor einen Wagen spannen . Es sind auch nicht 3 Begriffe , die als Äpfel vor mir auf dem Tisch liegen , und die ich esse ; von den Begriffen davon würde man nicht satt wer­ den . Und nicht über die sagt man etwas aus. Begriffe haben auch kein Ge­ wicht und keine Farbe. Und überdies : einen B egriff gibt es je nur einmal, und er ist faßbar je nur in gegenständlicher Supposition, in der er gerade nicht seine Funktion, sein eigentliches, eignes Wesen hat . Aber man gebraucht dessen ja auch nicht. Es bietet sich im Vorkommen von etwas als So etwas problemlos, wie von sich aus, an . Es wird nicht abstra­ hierend aus Individuellem erst gewonnen ; denn so würde es immer im Indivi­ duellen verhaftet b leiben , und eine Abstraktion etwa von Raum und Zeit würde - wie oben gezeigt - nicht weiter führen . Es würde lediglich dessen Quale ins Licht rücken. Erst sofern solch Quale von seinem Vorkommen existential getragen aus der Welt (materialiter oder idealiter) her ansteht, kommt es als Soetwas in Sicht und vermag in die Welt hinein sich eben auch mehrfach zu exemplifi­ zieren . Für das Soetwas ist ja derart wesentlich , daß in ihm gegenständlich Ver­ schiedenes als dasselbe erfaßt werden kann und von vornherein als mehrfach dasselbe erfaßt wird . 1 35 Und zwar von vornherein ; nicht abstrahierend vom Boden aus erst des Individuellen; im genuin-primären so-Gegebensein. Als solches ist es zählbar in einem Sooft und zusammenfaßbar unter einem Wie­ viel in einem Soviel (als Anzahlen). So erhält Addition einen Sinn über eine bloß mengenmäßige Summation hinaus : In der Zusammenfassung differenter 1 3 5 Eine äußerlich sichtbare Folge davon , daß in der Anzahl je nur sachlich dasselbe zusammengefaSt ist, zeigt sich sch on darin , daß nur Gleichnamiges in sie eingehen kann . Also nicht etwa man 7 Elefanten und 4 Löwen derart zu addieren vermag, sondern die erst auf eine Gleichartigkeit gebracht werden müssen, etwa als 1 1 Säuge­ tiere oder 1 1 Gegenstände überhaupt.

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Elemente von Mehrheiten zu einer Anzahl desselb en . (Analoges gilt umge­ kehrt für die Subtraktion. ) Man kann derart eine Anzahl mit einer anderen zu einer neuen Anzahl zusammenfassen. Man kann 5 Birnen mit 2 Birnen zusammenlegen , und erhält dann in nun neuer Anzahl 7 Birnen . Man kann addieren. Das ist anders bei der Multiplikation. Man kann eine Anzahl nicht mit einer Anzahl multi­ plizieren . Eine Anzahl ist ja immer die Anzahl von Etwas bzw. präziser von Soetwas. Jedenfalls von Gegenständlichem , in dem sie fest verankert ist. Man kann nicht 7 Elefanten mit 3 Elefanten multiplizieren , auch nicht 7 Erbsen mit 3 Erbsen malnehmen und nicht 7 Atome mit 3 Atomen. Und überhaupt nicht irgendwelche Gegenständlichkeiten ( und so auch nicht etwas bzw. Soetwas) mit anderen . 1 36 Es ist nun sehr wohl im Multiplikanden ein Gegenständliches anzahlmä­ ßig angesetzt, nicht aber im Multiplikator. Während im Multiplikand ein gegenständliches Wieviel steht, wird im Multiplikator dessen Wie oft angege­ ben. Die Multiplikationsformel "7 mal 3 " ist auf einen Vollzug hin angelegt, hat imperativischen Wert, der im Resultat dann zu gegenständlicher Ruhe kommt ; sie ist nicht einfach aufnehmendes Abmalen eines objektiv Formier­ ten . Wenn sie auch als fertige Formel als Abbildung formaler objektiver Strukt1,1ren genommen worden kann. (Aber dann ist man betrachtend schon einen Schritt zurückgetreten.) 1 3 7 Der Multiplikator hat pragmatischen , nicht 1 36 Bei uns sind Differenzen von Multiplikand und Multiplikator sprachlich abgeschlif­ fen. Das ab er ist noch im Lateinischen, Griechischen und auch im Sanskrit nich t der Fall. Im Lateinischen stehen die Cardinalzahlen der Multiplikanden die sprachlich anderen (Mal-) Zahlen des Multiplikators gegenüber, (die sogar bei den ersten Zahlen verschiedene Wurzeln haben : uno und semel; du o und bis) . Analog ist die Formen­ differenz im Griechischen , wo die über die Zwei hinausgehenden Malzahlen im Mul­ tiplikator die Anhangsilbe -kis von demonstrativ-anweisendem Wert bekommen. Und ebenso ist es im Sanskrit, wo der Multiplikatorcharakter durch ein angehängtes krtvas betont wird. (cf. Franz Bopp , Kritische Grammatik der Sanskritasprache, 3 . Auflage 1 86 3 ; § 23 7 , § 2 3 8. Bopp hält dabei die Form krtvas flir ein Präsenspar­ tizip ; doch ist es wohl eine pragmatische, nicht gegenständliche Bildung. Man kann ja Gegenständliches nicht mit Gegenständlichem multiplizieren; und dazu gehören auch die Partizipia.) Auch im Gotischen erhält der Multiplikator durch ein der Cardi­ nalzahl nachgestelltes sintha einen charakterisierenden Ausdruck von nicht gegen­ ständlich-faßbarem Wert (Wilh. Braune, Gotische Grammatik; Halle 1 909 , § 1 4 9 ) . Wobei das the phonetisch dem heutigen englischen t h entsprich t. Das ist umgekehrt in der klassischen Gebrauchsmultiplikation des Chinesischen, bei der der gegenständliche Wert des Multiplikanden durch Stützsilben von qualitativem Gehalt (der aber bis zu einem "Stüc k" in ein bloßes Etwas abgehlaßt sein kann) unterstrichen zu werden vermag ; während der Multiplikator frei davon ist, frei auch vom Ausdruch seiner pragmatischen Funktion , den er aber haben kann, wie das im Lateinischen, Griechischen , Gotischen und im Sanskrit ja der Fall ist. (Doch haben auch wir ja noch in dem zweimal, dreimal solche Unterstreichung, wofern nicht gar das "mal" als selbständig vorangestellt wird.) 1 3 7 Ich vermag dabei sehr wohl zu lesen und aufzufassen die Formel 5 3 15 als Abbil­ dung einer Dreiergruppe von Fünfergruppen irgendwelcher Sachen und als gleich •

=

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hinweisenden , sondern anweisenden Wert : Derart also , wie man einen Befehl versteht ; durch den man nicht vor etwas gebracht wird , wie durch einem Be­ hauptungssatz, sondern durch den man unmittelbar geworfen wird in ein Handeln oder mögliches Handeln. Er ist reines Funktionale und an sich selb st nicht Anzahl. Er würde ohne das Widerlager, das er im Multiplikanden (letzt­ lich einem Soetwas) hat , nicht verstehbar sein. Malzahlen in actu werden nicht gezählt, sondern durch sie wird gezählt. Man mag so (provisorisch ) der Anzahl die Malzahl gegenüberstellen ; wenn auch der letztere Terminus nicht üblich ist. 1 38 Anzahlen sind je die Anzahl von Gegenständen . Sie haben und behalten diesen gegenständlichen Charakter, auch wenn der Gegenstandscharakter ins Unbestimmte abgleitet und in eine bloße Leerstelle hinein verschwimmt. Man kann nicht im eigentlichen Sinne mit ihnen und zum wenigsten nicht mit ihnen allein rechnen. Man kann wohl einen Additions-oder Multiplika­ tionsausdruck etwa lesen als Abbildung der Konfiguration einer zusammen­ gesetzten Menge ; und sagen , daß das Konglomerat der einen Seite einer Gleichung anzahlmäßig gleich ist dem anders konfigurierten Konglomerat auf der anderen Seite ; oder auf beiden Seiten dasselbe Konglomerat nur je anders konfiguriert ist. Das würde schon im Verstehen der Subtraktion vor Schwie­ rigkeiten bringen und auch hinsichtlich des Sinnes, den man den negativen Zahlen geben müßte , wenn man sie als Anzahlen , als ein gegenständlich Festes fassen wollte. Das Korrelat des Minuszeichens würde als Gestaltscha­ rakter oder Konglomeratscharakter gegenständlich nicht faßbar sein . Es gibt keine primär und durch sich selbst negativen Gegenstände. Die arithmetischen Befunde sind nicht einfach Abbildungen von Gegen­ ständlichem . Negative Gegenstände gibt es nicht, und auch den im aginären Zahlen entsprechen nicht faßbare Gegenstände. Lediglich die positiven An­ zahlen sind echte faßbare Anzahlen ; alle anderen nur in ihrer Methodik angegeben und verfügbar. Die sogenannten negativen Anzahlen und Zahlen sind lediglich Anweisungen , wie man ein ihnen entsprechendes Anzahliges in Sicht und Griff bringen könnte und erhalten nur im Zusammenhang eines Rechnens verstehbaren Sinn. Dieser methodis che Charakter wird auffälliger noch bei den imaginären Zahlen, in denen lediglich im Pragma etwas zu finden , man Halt macht. einer Gruppe von 1 5 Sachen (oder in anderer Weise entsprechend 9+6 1 5 ) . Das ist möglich und besteht zurecht, und spielt in der Mathematik eine bedeuts ame Rolle. Aber so rechnet man ja nicht primär, nicht im abbildliehen Aufgreifen von Relations­ zusammenhängen. 1 3 8 Dieser Funktionscharakter der Malzahl (und durch sie auch der Anzahl und der Zahl) ist nich t deren Eigenschaft: Sie besteht im Schema solchen Vollzugs und in nichts anderem . Sie hat daneben auch Eigenschaften , aber die dec ken erst unter gegenständ­ licher Supposition sich auf; in einem Aspekt, unter dem man nicht mit ihr rechnet: So wenn ich Aussagen über eine Zahl mache, etwa daß sie eine Primzahl ist oder eine gerade Zahl oder in einem dekadischen System die und die Position hat. =

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Negative Anzahlen (wie auch die imaginären) wären etwas schlechthin Unverständliches , und auch aus einer bloßen Vorstellung heraus nicht Faß­ bares, wenn man schlicht auf aus dem Gegenständlichen her Andrängendes und so sich Stellendes angewiesen wäre. Mit dem , ,Analogiebilden " ist hier nichts getan . Erst im Hinblick auf die mögliche Methodik schrittweisen Fort­ nehmens kommen auch negative Anzahlen in Sicht. Gerade hier ist das methodische Moment vortragend oder zurücktragend, und wird Soetwas hier gehalten und meinbar : Die negativen Anzahlen sind Ausdruck einer Metho­ dik und werden von der getragen. Multiplikand und Multiplikator (Malzahl) sind wesensverschieden. Das eine hat gegenständlichen Wert, das andere pragmatischen Charakter. Der Multiplikand kann sich sachlich beladen, der Multiplikator nicht. Das heißt zugleich , der Multiplikand kann eine benannte Zahl sein , der Multiplikator nicht. Das ist nur scheinbar anders im Meter-Gramm-Sekundensystem der Physik, und auch schon in der gewöhnlichen Berechnung einer Fläche, bei denen auch im Multiplikator benannte Zahlen auftreten können . Trotzdem : Die eine der Komponenten dient auch hier lediglich als larvierter Ausdruck eines "Wieoft". So etwa bei der Berechnung einer Fläche ; wenn die eine Seite als infinitesimales Rechteck genommen wird , und die andere als Aus­ druck und Maß des Wieoft dieser infinitesimalen Fläche. Oder etwa zur Be­ rechnung eines zurückgelegten Weges in der Zeit. Die ein Berechnen und ein methodisches Vergleichen sachlicher Befunde erleichternde Reduktion auf ein Meter-Gramm-Sekundensystem tangiert nicht die funktionale Differenz von Multiplikator und Multiplikand. Das gilt auch schon für die isolierte Anzahl. In ihr sind Multiplikand und Multiplikator der Anlage nach schon latent: Das So-oft eines Soetwas (nicht etwa der "Eins", die selb st schon Anzahl ist) ; wobei bei benannten Anzah­ len sich das Soetwas substantivisch mit Sachgehalten auffüllen kann. Das Soetwas und die Malzahl sind Konstituentien auch der isolierten Anzahl ; die in der Multiplikation lediglich auseinandertreten. Die Differenz der Anzahlen und Malzahlen zeigt sich auch schon rein äußerlich . Man kann mit beiden ansteigende Reihen bilden, die ins Unfaß­ bare , ins nicht mehr Faßbare hinein auslaufen. In beiden Fällen geschieht das aber in verschiedener We ise. Die Anzahl terminiert in einer Unermeßlichkeit, die aber objektiv je in sich abgeschlossen ist. Sie betrifft - so groß sie auch immer sein mag - immer schon Seiendes (oder auch Werdendes) in der ge­ genständlichen Sphäre. Sie gründet mit ihrer Unerfaßbarkeit in der (subjek­ tiven) Unfähigkeit, das Objektive hier zu erfassen . Im Gegensatz dazu ist die Reihe der Malzahlen unabgeschlossen, sie läuft aus der nur unter meinen Willen gestellten Iteration der Setzung her aus, und gründet in meiner subjek­ tiven Fähigkeit dazu. Und in nichts sonst. Man könnte hier auch von einer methodischen Unendlichkeit im Gegensatz zur gegenständlichen Unendlich­ keit der Anzahl reden. (Entsprechend dem , daß man in bezug auf andere Gebiete auch von potentieller und aktualer Unendlichkeit reden kann.) Für

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einen allumfassenden , allwissenden Geist würde etwa s o etwas wie ein Totum der Welt auch in seiner Unbegrenztheit anzahlmäßig prinzipiell faßbar sein. Hinsichtlich der Malzahl wäre das ebenso prinzipiell sinnlos ; von vornherein der Versuch schon die Malzahlenreihe so zu verstehen , nicht verstehbar. Mit dem Malzahlwort wird nicht etwas bezeichnet , wohl dagegen mit dem Anzahlwort. Die Malzahl hat ihr Sein in ihrem Vollzug und wird auf dessen Nachvollzug hin verstanden ; so wie das auch bei den Operationszei­ chen , den Imperativen und den Synkategorematicis (nich t, und, aber etc ., dagegen nicht bei den Präpositionen) der Fall ist. Dieser Funktionscharakter der Zahl wird laut z.B. im Lateinischen mit den Adverben semel, bis, ter im Gegensatz zu den Distributiven singuli, bini, temi, die einen rein anzahligen Charakter haben . Und ebenso im Griechischen durch dis und tris bzw. im Sanskrit durch dvis und tris und hier besonders deutlich durch sakrt = einmal (nach Bopp wörtlich : eins-machend ) . Während umgekehrt der Anzahlcharak­ ter betont sein kann durch Affixe gegenständlichen Charakters. Etwa im Ainu durch ein niu oder pe (nach J ahn Batchelor, Memoirs of the Literature College , Tokyo 1 8 8 7 ) oder durch Fügworte von sachlichem Gehalt kon, twa, to n und anderen im Barmanischen ( Friedr. Müller, Die Sprache der schlicht­ haarigen Rassen, Wien 1 8 80) . Die Methode, ein So etwas (realiter oder idealiter) heranzuholen , beizu­ fügen und zusammenzufassen, ist wiederholbar : Man kann zählen . Solch wiederholendes Hinzufügen wäre bei Individuellem (Etwas) , bzw. bei gegen­ ständlichem Realen ( und auch Irrealen) nich t möglich. Man kann derart ein bloßes Konglomerat im Hinblick auf das in ihm anstehende Soetwas pragma­ tisch durchgreifen . Unter der Möglichkeit dazu kommt es dann anzahlhaft in Sicht; als ein Gegenständliches, das unter der Möglichkeit solchen Tuns und im Hinblick auf die eine innere Struktur erhält. In der Anzahl ist das Sche­ ma solch möglichen Tuns in bezug auf Soetwas mitverstanden und tragend . Sie lSt nicht ein fach rezipiertes Abbild 1 3 9 von Individuellen , irgendwelchen "Dies und Dies" , sondern mögliches Resultat eines pragmatisch-wiederhol­ baren Schemas. Auch bei der Multiplikation ist es so, daß man nicht auf Gruppen , die durch den Multiplikanden angegeben sind und in einer durch den Multiplika­ tor bestimmten Obergruppe zusammengefaSt sind, als auf ein komplexes Ganzes hinsieht und auch auf den Multiplikator als auf auch ein Gegenständ­ liches ausgerichtet ist. 1 4 0 Sondern , daß das im Multiplikand Angegebene und in ihm gegenständlich Festgewordene iteriert werden soll gemäß der im Mul1 39 So wie etwa eine chemische Formel prätendiert, die Abbildung materialer Strukturen und Geschehnisse zu sein. 140 Allenfalls das ewe könnte man dafür in Anspruch nehmen. Es werden die (bei uns multiplikativen ) Mehrheitswerte ausgedriic kt mit Hilfe von tewe (Platz ) : ewe tewe eto (je) 2 an 3 Orten . Und hätte hier dann Zweiermengen in 3 Gruppen sich gegen· über. =

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tiplikator stehenden MalzahL Man ist von den im Multiplikanden aufgegrif­ fenen Einheiten unter dem im Multiplikator angegebenen Modus zusamm en­ fügenden Setzens auf das Ergebnis hin ausgerichtet. Das aber ist etwas ganz anderes als das Betrachten von Gruppen in ihren Verhältnissen zueinander: Das Rechnen hat dynamischen, nicht statischen Charakter. Daß das Rechnen an Anzahlen (und sei es an der gegenständlichen Einzelheit) ansetzt und in ihnen sich niederschlägt und zur Ruhe kommt, ändert daran nichts ; und auch nicht, daß sich das Rechnen letztlich in Anzahlen verifiziert. Der Funktionswert der Malzahl, wie er als Multiplikator sich stellt und im Multiplikanden konstitutiv ist, wird in dieser Differenz deutlicher noch bei der Division. Das Dividieren würde von der Anzahl allein aus nicht zu verstehen sein . Gewiß , ich kann messen , wie oft eine Anzahl in einer anderen und eine Menge in einer anderen Menge enthalten ist. Und kann so auch fragen, wie oft der Nenner im Zähler quantitativ enthalten ist. Der Nenner ist hier eine echte Anzahl. (Nur Anzahlen können in einer anderen Anzahl quantitativ enthalten sein.) Im Resultat steht dann aber ein "Wieoft" des Enthaltenseins (im Gegensatz zum "Wieviel" der Anzahl) , eine echte Malzahl ; nicht eine Anzahl. In ihm wird, auf sich selbst gestellt, die Malzahl als Relation fest. Aber gerade so auch : Eine Relation, das Verhältnis zweier Anzahlen, ist nicht wiederum eine Anzahl. Doch das ist ja kein Dividieren , kein Teilen im rechnerischen Sinne. Daß, wie bei der echten Division, der fünfte oder nte Teil von etwas genommen werden soll , ist in keiner Weise anzahlhaft zu fassen und zu verstehen . In der Anzahl, als einem gegenständlichen Charakter, scheint ja immer noch das, wenn auch sachlich leere , Gegenständliche, ein Soetwas herauf. Dies leere gegenständliche Rudiment läßt sich jederzeit und beliebig auffüllen durch Konkretes. Das ist für die Anzahl wesentlich . Das würde auch für den Nenner gelten , wollte man ihn anzahlmäßig auffassen . Man kann aber nicht einen Sack voll Erbsen durch eine Handvoll Erbsen oder Bohnen teilen und eben­ sowenig überhaupt durch Gegenständliches ; und sei dies auch nur rudimen­ tär. Eine Menge durch so und so viele Gegenstände teilen zu wollen , wäre schlechthin sinnlos ; (so könnte man allenfalls messen). (Man umgeht natürlich diese Schwierigkeit nicht dadurch , daß man den Bruch 4/3 liest als 4 1 /3 und die 4 nimmt als Anzahl einer neuen Einheit nämlich 1 / 3 . Das würde lediglich eine Verschiebung des Problems bedeuten.) Das Malzahlwort hat anweisenden, das Anzahlwort hinweisenden Charak­ ter. Die Malzahl als solche ist Ausdruck eines Pragma, unter dem Soetwas zusammengefaSt wird zur Anzahl ; aber selbst nichts Gegenständliches und nicht auf derartiges hinweisend. In beiden Fällen resultiert aus derselben Zahlenformel Grundverschie­ denes : Ein anzahlig gefaßtes Gegenständliches im ersten Fall ; im anderen ein Verhältnis von Nenner zu Zähler, das Sooft des Enthaltenseins vom Nenner im Zähler. Beide Aspekte wären unvereinbar, und doch rechnet man in der ·

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Zahl mit ihnen weiter und zwar gegebenenfalls in der gleichen Rechnung, trotz dieser Ambivalenz. Und es bleibt zunächst die Frage offen, womit rech­ net man denn eigentlich, was ist das, was als Zahl hier auftritt, was spielt in der Arithmetik die tragende Rolle?

Dabei ergibt sich nun hier etwas sehr Merkwürdiges: Die Vertauschbarkeit der Faktoren eines Produkts. Die Vertauschbarkeit von Multiplikand und Multiplikator; oder präziser : Die Vertauschbarkeit der aktualen Funktion der Malzahl ( im Multiplikator) gegen ihre feste gegenständliche Gebundenheit in die Konstitution des Multiplikanden . (Wobei das tragende Soetwas des Mul­ tiplikanden an und in der Stelle des ursprünglichen verbleibt; und die Ver­ tauschbarkeit nur die Malzahlen betrifft (sowohl der latenten im Multiplikan­ den , wie der aktuellen im Multiplikator) . Wie ohne weiteres daran zu erken­ nen ist, daß die sachliche Auffüllung des Soetwas im Multiplikanden , also die Benennung des Multiplikanden in der Position des Multiplikanden verbleibt und von ihm aus in das Resultat übergeht, während die Malzahl als solche, als Multiplikator, immer unbenannt bleibt. Diese Vertauschbarkeit der Faktoren ist nichts Selbstverständliches . Sie gründet nicht im Wesen der Malzahl oder der Anzahl und ist nicht analytisch aus deren Begriff heraufzuholen. (Auch der Leibniz'sche Versuch dazu schlägt hier fehl.) Erst im Hinblick auf die Sachen selbst, auf ein aus ganz anderer, rein objektiver, Sphäre sich Stellendes ist solche Vertauschbarkeit verifizierbar. Es mag hier hingewiesen werden auf ein ja bekanntes Beispiel : Auf die geometrische Anordnung von einer der Multiplikation korrelaten und auf sie abzielenden Ele mentenmenge. Also etwa 2 4 in der Gestaltung als : : : : . Ob in horizontaler oder vertikaler Richtung man zusammenfaß t (welche Zusammen fassung also dem Multiplikator und welche dem Multipli­ kanden entsprechen würde) ist für das Resultat, die Gesamtmenge , belanglos. Das · objektive Korrelat bleibt dasselbe. Die Elemente solcher Konglomerate vermögen sich sachlich aufzufüllen. Und vermögen unter ( einem "Dies" oder) einem "Soetwas" aufgegriffen zu werden . Die Möglichkeit einer Allgemein­ gültigkeit so erhobener Befunde ist - gemäß dem oben über die synthe­ tischen Urteile a priori Gesagten - damit gegeben. 1 4 1 Anzahlen kann man addieren, aber nicht mit ihnen multiplizieren , da sie gegenständlich gebunden sind. Malzahlen kann man nicht addieren , da ihnen ein gegenständliches Substrat fehlt, und sie ohne gegenständliche Festigkeit und Gewicht sind ; aber man kann sie verdoppeln , verdreifachen etc., und ·

1 4 1 Diese zwei- Dimensionalität der Abbildung (wie sie auch z.B. bei Wittstein, Kambly, Languth, Thaer gebräuchlich und in ihrer Anschaulich keit durchaus einsichtig ist) , gegen die er opponiert, will P. Natorp durch eine lineare Reihung der Element kom­ binate ersetzt wissen , den simultanen Aspekt durch Succession der Bindung. Das ist möglich. Doch führt es nicht prinzipiell weiter, es ist letztlich sogar dasselbe. (Dazu P. Natorp, "Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften " , Leipzig 1 9 2 1 , s. 1 5 0 , 1 5 1 ) .

Das Soetwas und die Zahl

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überhaupt sie mehrfach vollziehen . (Wiederholen läßt sich nur ein Pragma, ein Tun aus dem Schema eines Verhaltens heraus. ) Beide Ansätze schließen sich aus. Trotzdem koinzidieren sie in der Zahl, mit der man unter wechseln­ den Aspekten rechnet und weiterrechnet. Nach der Zahl selber aber greift man ins Leere : Sie hat kein eigenes Ansich wie die Anzahl und in andner Weise die Malzahl; 1 42 aber gerade so gibt sie den Weg frei in die Arithme tik. Die beiden möglichen Resultate der Division würden unvereinbar sein . Gleichwohl rechnet man mit ihnen weiterhin als mit der Zahl. Man kann im arithmetischen Rechnen Zahlen addieren und mit ihnen multiplizieren , sub­ strahieren und dividieren. Und es ist nicht so, als wenn es sich bei ihr einfach um einen Gegenstand höherer Ordnung handelt. Für das Wesen der Anzahl ist gegenständlich konstitutiv das "Und". Die Zahl formiert sich unter einem "Oder", aber gerade so wird nicht etwas als in sich geschlossener Gegenstand fest. Die Bedeutungsambivalenz des Zahlworts, wie sie im Arithmetischen ma­ nifest wird , gründet nicht im Begriffsgehalt von Anzahl und Malzahl, als wenn sie mit denen schon gesetzt wäre. Sie hat nicht logischen, sondern on­ tologischen Charakter ; im Hinblick auf die gemeinten Sachen selbst und deren Konstellationen. (Wie etwa das oben am geometrischen bzw . Natorp' sehen Beispiel gezeigt wurde .) Aus einer ganz anderen Sphäre also, nicht aus einer Analytik der B egriffe Malzahl und Anzahl sich aufbauend . Auf dieser Vertauschbarkeit baut sich die Arithmetik auf. Aus ihr her wird dann auch die Zahl in ihrer Ambivalenz verstehbar. Ein solcher Reibungsmodus ist unter mein Belieben gestellt , unter meinen Willen des gerade so Aufgreifens. So , wie in anderer Weise ein anfallendes Konglomerat von Elementen ( cf. oben) einmal als in sich geschlossene ein­ heitliche Gestalt , das andere Mal als in sich diskrete, eigentliche Mehrheit genommen werden kann. Dem Modus des objektiv Anfallens steht hier ein subjektiv-pragmatischer Modus des Aufgreifens gegenüber. Von der Beliebig­ keit der Reihung geht ein Weg durch die Vertauschbarkeit der Faktoren bis in die Divergenz der Divisionsresultate, die auf dem Boden des Soetwas in ihrer Allgemeingültigkeit von vornherein sich verifiziert. Und so auch der �ahl in ihrer Flexibilität die arithmetische Breite gibt. Diese Flexibilität der Zahl ist schon dadurch an Hand gegeben , daß die Malzahl von vornherein ein, wenn auch völlig leeres, Soetwas , von dem es das "Sooft " Ist, mit heraufscheinen läßt; 143 wie auch in der, auch isolierten 142 Es sei denn man nehme sie in b etrachtende, gegenständliche Supposition (etwa 3 ist eine Primzahl, 4 ist eine gerade . Zahl, die Zahl 2 wird bei uns im allgemeinen mit arabischen Ziffern geschrieben). Aber so rechnet man nicht mit ihr. Während rech­ nerisch 2 und 4 6 sind, würden unter gegenständlicher Supposition 2 und 4 an­ zahlig 2 ausmachen, nämlich 2 Anzahlen oder Zahlen. 1 43 Wie die Malzahlen würden ja auch die arithmetischen Operationszeichen Plus und Minus ohne gegenständliches Widerlager sinnleer und nicht verstehbar sein. Auch die Relationen sind nichts Selbständiges neben ihren Relaten ; ich kann nicht im gleichen =

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Anzahl schon die Malzahl latent ist. Die Malzahl zieht derart im Resultat im­ mer auch schon ein zum wenigsten blasses Soetwas mit sich heran. Mit einer Akzentverschiebung und Gewichtsverlagerung vermag so die Malzahl, im Resultat auf sich selbst gestellt, auch Anzahliges in den Griff zu bringen. Die Zahl kommt erst in der arithmetischen Formel zu dem , was sie ist: So oder so in möglichem Wechsel der Intention ; aber nicht zu einem eigenen "An sich selbst". Sie hat erst aus dem pragmatischen Zusammenhang des Rechnens ihr Sein . Aber gerade so ist sie Grundlage des arithmetischen Rech­ nens, und gerade so kann man sie addieren und mit ihr multiplizieren . Und gerade so kann man wie mit einem etalon mit ihr hantieren auch in Rela­ tionen und wechselnden Befunden. Das Rechnen ist nicht aus der Zahl verstehbar, sondern die Zahl aus dem Rechnen. (Wie das in anderer Weise auch die Rechenzeichen sind.) Die bloße Zahl als solche ist Knotenpunkt arithmetischer Operationen und Intentionen ; aber eröffnet gerade so das Gebiet der eigentlichen arithmetischen Systematik und gibt deren Möglich­ keiten frei ; in der Vertauschbarkeit der Faktoren letztlich gründend. Diese Etalons werden als gegenständlich fest Gewordenes undiskutiert lediglich hingenommen. Gleichwohl ist es so, daß gerade sie die Grundlage sind der strengen arithmetischen Systematik ; und daß zugleich in der ihnen eigenen Ambivalenz sie so oder so an die Oberfläche treten können im Ge­ brauch . Und dann auch trotz prinzipieller Wesensverschiedenheit die Resul­ tate der Arithmetik einer (zum wenigsten exakten ! ) Mengenlehre akkordant sein können .

Was die Zahl ist , ergibt sich aus der arithmetischen Systematik. Für die An­ zahl ( und die in ihr latente Malzahl) gilt das nicht: Das, was die Grundlage eines Systems ist, kann nicht aus dem her verstanden werden , was aus dem , eben als System, sich aufbaut. Analoges haben wir in der Planimetrie ; in bezug auf die gerade Linie. Jede lineare Kurve kann vital begriffen werden (über ihre bloße phäno­ menale Gestaltung hinaus) in ihrem Vollzug und Nachvollzug. Als bloßes Schema eines solchen Weges hat sie von sich aus keine , auch nicht infinitesi­ male Breite (, die nur einen phänomenal anfallenden Charakter haben würde). Als solches Schema aber vermag sie ihrerseits phänomenal ( sinnlich oder vor­ stellungsmäßig) gegenständlich fest zu werden ; und in Relationen derart zu Anderem aufgegriffen und begriffen zu werden , und so dann auch in bezug auf Anderes ( , für das aber dann dasselbe gelten würde) . Es würde das aber auf einen immerwährenden Regress hinauslaufen. Als lediglich sinnliches DaSinn sagen : " Die Rose ist ähnlich " , wie ich sagen kann: "Die Rose ist rot". Und ebenso wäre Bewegung ohne ein , wenn auch gänzlich neutrales, Bewegtes nich t faß­ bar ; oder ein Bewegtes ohne eine heraufscheinende Bewegung. Oder ein Hinzufugen ohne ein, wenn auch sachlich leeres hinzufUgendes Etwas oder Soetwas.

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Das Soetwas und die Zahl

turn bliebe eine solche , etwa auf dem Papier gezeichnete und gegenüberlie­ gende , Kurve über ihre bloße Präsenz hinaus unverstanden , wie ein beliebiger Farbfleck etwa oder ein sonstiges anfallendes Datum der Sinne und begreif­ bar nur in ihren Relationen zu Anderem , das sie i:ticht sind. Darüberhinaus ist es aber nun so, daß die gerade Linie als Gerade nicht nur in Relationen zu Anderem, sondern auf einen ihr eigenen Punkt selbst, auf ihren Endpunkt hin , vollziehend begriffen wird und so sich nicht in eine Unendlichkeit möglicher Kurven verliert : Die Gerade ist aus sich selbst her gerichtet, unabhängig vom brutal Anfallenden ; sie ist aus sich selbst her ver­ stehbar und nicht auf Anderes angewiesen. Dadurch unterscheidet sich die Gerade von anderen Linien, daß sie von sich aus Richtung hat in einem strengen Sinne, an sich selbst Richtung auf etwas ist und darin aufgeht ; bestimmt in allen ihren Teilen auf einen Punkt hin (und von ihm aus weiter in gleicher Richtung sich fortzusetzen vermag) : Im Sehen und sich-Bewegen auf etwas hin, das hier als Zielpunkt die Rich­ tung eindeutig bestimmt und in allen Teilen richtunggebend durchhält. Vom Ich aus oder von einem Orte aus , in dem man gleichsam selber Aufstellung nimmt, auf etwas Anderes hin , das durchhaltend den Weg zu ihm festlegt ; einen Weg, der gezogen und vollzogen sein will und muß ; um die Gerade zu verstehen . Prototyp ist hier anthropologisch der Sehstrahl als mögliche Blickrichtung auf etwas hin. Der ist vorgegeben. Dieser Richtpunkt der Geraden an ihrem Ende (aber auch in ihr) ist wie die Gerade selb st an sich qualitätslos, aber vermag gerade darum qualitativ sich aufzufüllen ; und gerade so und mit ihm die Gerade in ihrer Position unter mein Belieben gestellt zu sein. Das gibt den Weg frei in so etwas wie eine Planimetrie, deren Gestaltungen so verstehend zu durchgreifen sind. Ein solches System , wie es in der Planimetrie manifest wird , ist verstehbar von der Geraden aus und von dort und nur so . Auch wenn die Gerade ausserhalb des untersuchten planimetrischen Gebildes liegt, wie bei einer Hyperbel oder Parabel, würde das nicht anders sein. Auch die würden quantitativ und for­ mal faßbar und begreifbar sein erst in Reduktion auf ein Koordinatenkreuz aus graden Linien . Die grade Linie ergibt sich in ihrem Wesen nicht aus der Planimetrie, für die ·sie Grundlage und Voraussetzung ist; sondern sie wird primär manifest schon im vorplanimetrischen anthropologischen Bereich , unmittelbar. Es gibt keine exakte, ausreichende planimetrische Definition der Geraden , die nicht zum wenigsten indirekt die grade Linie voraussetzte. Musterbeispiel ist ja dafür die Euklidische Defmition (Elemente, Buch I Erklärung 4; Übersetzung von Lorenz 1 839) : Eine grade Linie ist diejenige, welche zwischen allen in ihr befindlichen Punk ten auf einerlei A rt liegt ; wie sie ja so noch weitgehend handelsüblich ist. Die ist einerseits zu eng, andererseits zu weit . Sie läßt, zum wenigsten infinitesimal, in dem "zwischen " die beliebige Möglichkeit gleicher Kurven offen . Und nach der anderen Seite zu würde auch die Peripherie des Kreises oder von Stücken davon der Euklidischen Konzeption gerecht wer-

Das Soetwas und die Zahl

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den. Es würden auch wohl aus der Umkehr der Formel für die Parabel oder Hyperbel ein Kreuz von Linien resultieren , aber keine Garantie sich ergeben dafür, daß diese Linien grade Linien sind. Die Gerade ist die einzige Linie , die in ihrem vollen Sosein und in aii ihren Eigenschaften aus sich selbst her verstehbar ist und unmittelbar so ma­ nifest wird ; und nicht erst in Relationen zu Anderem und auf Anderes hin voii erfaßbar ist. Die grade Linie ist das pragmatische ( ! ) Apriori der Geo­ metrie. Wie die in der Anzahl latente Malzahl hat auch die Gerade einen dyna­ misch-anthropologischen Grundcharakter. Dem hinzufügenden Hereinholen von Soetwas im einen Falle steht ein Hingehen auf anderes im anderen ge­ genüber. Die Grundlage eines Systems ist eben nicht aus dem her begreifbar, was auf ihr als Voraussetzung systematisch sich aufbaut. ( So ist auch , auf ande­ rem Gebiet, das Wesen des Begriffs nicht aus einem noch so subtilen und exakten System der Logistik zu erfassen und abzuleiten , da der ihre Voraus­ setzung ist.)

Kapitel X {Anhang) ABBILDHAFTE ERFASSUNG VON MEHRHEITEN

Nicht von sich selbst und aus sich selbst differenzierte Quanten 1 44 (z.B. Stoffe wie Wasser etc.) können nicht, in sich selbst differenzierte Quanten ( z.B . Konglomerate) brauchen nicht anzahlhaft erfaßt zu werden , um sie auf ihre Quantität hin zu verstehen . Der Bereich des anzahlmäßig Erfaßten öff­ net sich wohl erst mit steigender Zivilisation und erweitert sich mit fort­ schreitender Industrialisierung unseres alltäglichen Lebens {und umgekehrt die erst ermöglichend) ; und läßt die bloße Konglomeration dann weitgehend im Unbeachteten zurück . Man würde e s sich aber z u leicht machen , wollte man die Quantitätser­ fassung auf dem Boden konglomerativer Gestaltungen 1 4 5 schlechthin als pri­ mitiv oder als primitiver abtun . Beides läuft auch für uns noch nebeneinander her und hat nichts mit einer Rangordnung zu tun. Es ist eben nicht nötig, daß ein Konglomerat von selbständig nebenein­ ander Stehenden und so ZusammengefaSten auch als im normalen Sinne anzahlmäßig in Sicht kommt. Man greift Konglomerate auf und hat mit ihnen zu tun, ohne sie zu zählen. Man hat im alltäglichen Leben genugsam damit zu tun . Man kann sie sich herausheben und vergleichen mit andern, die dem Hörenden schon bekannt sind, und im Hinweis auf sie ihre Größe je­ mandem mitteilen. Man kann sie in ihrer Größe auch in ihrer Gesamtgestalt erfassen und irgendwie ihre in sich abgeschlossenen Teile daraufhin. Die Er­ fassung eines Konglomerats setzt nicht ein anzahlhaftes Durchgreifen {sensu strenuo) voraus ; das je lediglich ein Sonderfall ist . Von sich aus ist ein , auch quantitatives, Konglomerat nicht auch eine Anzahl. {Auch wenn es auch auf seine Anzahligkeit hin durchzählt werden kann ; z.B. Kartoffeln, eine Hand voll Gold etc.) Das konstituierende Prinzip ist hier nicht der Bezug der je ein1 44 Erst wenn die durch ein an sich ihnen Äußerliches eingegrenzt werden (z.B. dies Glas Wasser und das Wasser in jenem Topf) oder generaliter genommen werden, (wie in "Das Wasser, die Milch und das öl sind drei verschiedene Flüssigkeiten") können sie auch unter anzahlhafte Supposition geraten. 1 4 5 Die Betrachtung und Gesamterfassung eines gu ten Bildes zeigt, wie schon das Fort­ fallen eines vielleich t unwich tigen Details das Gleichgewicht des ganzen Bildes, seine Ruhe oder aber seine innere Bewegtheit stören und seinen Sinn überhaup t zerstören würde. Wo man in negativer Weise und dennoch aufdringlich sieht, wie etwas, und sei es nur ein schwarzer oder farbiger Fleck, fehlt. Man würde ohne weiteres, auf Anhieb , Graphiken von Dürer, Schongauer oder Holbein auseinanderhalten können, ohne auf Analysen der Einzelheiten angewiesen zu sein ; würde ihr Differieren aber erst im Eingehen auf Details auch vergleichend beweisen können. Und das, tro tzdem man so gerade nicht an den inneren Gehalt des Bildes herankommt. Es wäre ohne Sinn hin­ sichtlich des ersten Falles (im Erfassen des Gesamtaspekts) im Gegensatz zum zwei­ ten von Primitivität reden zu wollen.

Abbildhafte Erfassung von Me hrheiten

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zeinen Anzahlen aufeinander und ihr Zusammenhang untereinander in einer Reihe, aus der heraus erst etwas zur Anzahl wird , sondern auf etwas Äußeres, auf andere Konglomerate oder auf eine praktische Notwendigkeit oder ein vitales Bedürfen hin orientiert. Es sind aber solche Konglomerate etwas , wo­ mit man im unmittelbaren Leben primär zu tun hat. Und umso mehr domi­ nierend, je mehr die Lebensbedingungren naturhaft gebunden sind. Es gibt Völker oder auch Gruppen in ihnen , für die keine Notwendigkeit und keine Veranlassung b esteht, sich mit unserer physikalischen Systematik oder auch mit der Anzahlhaftigkeit ( als solcher) dessen , womit man sich beschäftigt , auch explizit und ausdrücklich auseinanderzusetzen . Bei denen Sachkonglomerate auf ihren biologischen oder anthropologischen Wert (aus traditionellen und mystisch-mythischen Bindungen) hin verstanden werden und so unter ihnen merkbar, aufdringlich und bestimmend sind. Und die sich so im Gleichgewicht befinden zu ihrer Umwelt. (Der Begriff des "Gleichge­ wichts" hat eine größere anthropologische Bedeutsamkeit als der einer ledig­ lich an unserem Zivilisationsgrad gemessene Begriff der Primitivität ; und ist rein anthropologisch üb erhaupt zentral. Es wird selten jemand anfangen , nur aus Pläsier und zum Zeitvertreib zu zählen ; insonderheit, wenn Dringenderes sich ihm aufdrängt . ) Diese Art , der nicht-abzählenden Mehrheitserfassung, ist weitverbreitet ; insonderheit b e i - unter dem Gesichtspunkt unserer Zi.v ilisationsbedingun­ gen - primitiven und nicht aus ihrer unmittelbaren Naturverbindung ge­ lösten Völkern. Derart, daß man solche Mehrheit als ein qualitativ gestaltetes Ganzes, und auf das hin auch seine Komponenten erfaßt; und die weitgehend auch auf ihre individuellen Besonderheiten und in ihren Konfigurationen zu­ einander. Die F ähigkeit zu solchem Erfassen vermag dabei in einem außeror­ dentlichen. für uns kaum verstehbaren und wohl sicher nicht nachvollziehba­ ren Grade entwickelt zu sein . So kommen die Koossaer nicht über die al­ lerersten Mehrheitsbezeichnungen heraus. (Nach dem Bericht etwa von van der Kemp , der lange unter ihnen lebte, konnte er eine B ezeichnung für eine unserer 8 entsprechende Mehrheit schon nicht mehr feststellen.) "Dessen ungeachtet ist ihre Vorstellung von der Größe einer Herde Vieh so bestimmt , daß nicht ein Stück daran fehlen darf, ohne daß sie es sogleich merken . Wenn Herden von vier bis fünfhundert Rindern zu Hause getrieben werden , sieht der Besitzer sie hereinkommen und weiß , ob einige fehlen und sogar welche " . 1 4 6 In einem weitaus geringeren Grade , aber doch prinzipiell ebenso , findet man das auch bei uns noch auf dem Lande . So etwa weiß der Rinderhirt , der abends seine Herde nach Hause treibt, ob sie vollständig ist. Und er weiß das, ohne zu zählen , auf den Gesamtaspekt hin. Er kennt die einzelnen Tiere in 1 46 H. Lichtenstein, Reisen im südlichen Afrika, Bd. I, S. 464 und S. 668 und A. F. Pott, Die quinare und vigesimale Zählmethode bei Völkern aller Erdteile , Halle 1 84 7 , S. 17.

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ihren individuellen Besonderheiten und kennt sie in ihrer Zugehörigkeit zu dieser Herde und in einem (zunächst qualitativen) Zusammen als "seine Herde ". Und in diesem Zusammenschluß und dieser Größe dann auch als qualtitativ abgesetzt gegen andere Herden in einem Mehr oder Weniger oder gleichgroß. Und "sieht" in einer qualitativen Defizienz dann auch gerade diejenigen , die , obwohl zugehörig, dennoch nicht zu sehen sind. Dies impon­ derable Moment ist in Worten schwer zu fassen . Man mag aber um solche Imponderabilien sich deutlich zu machen, wenn auch nicht Quantitatives fundierend , etwa vergleichen "Mantegna's Stich Kampf der Seegötter" mit Dürers Kopie davon: Wie hier trotz fast fotografischer Treue dieser Wieder­ gabe etwas entstanden ist, das ein inneres Leben hat und den Wert eines Bildes sens .stren . ; wälu� d demgegenüber Mantegnas Original im Bereich einer toten bloßen Abbildung verbleibt. Oder man sehe sich Rembrandts "Landschaft mit den drei Bäumen" im Spiegelbilde an, um zu sehen, wie dann der Sinngehalt des Bildes in sich zusammenfallt. Das Ganze ist in diesen Fällen etwas Anderes und mehr, als die Summe seiner Teile. Leonardo da Vinci stellte für seine Schüler Anleitung und Regeln für die Komposition von Bildern auf; aber trotzdem ist keiner von ihnen ein Leonardo geworden. Auch auf anderem Gebiet, dem des Tonalen , läßt Analoges sich zeigen : So würde uns in einer Oktave oder der Folge von mehreren Oktaven das Ausfal­ len eines oder mehrerer Töne ohne weiteres auffallen , ohne daß anzahlmäßig dabei etwas erfaßt sein müßte. In gleicher Weise wissen die Abipanier (ein Indianerstamm am unteren Paraguay) unmittelbar, etwa beim Aufbruch zu einer Jagd , ob einer der sehr zahlreichen Hunde, die sie sich dafür halten, nicht da ist; und wissen auch welche. Und ebenso erkennen sie , ob in ihren großen Herden einige Rinder fehlen ; und das ohne sie zu zählen , oder auch das überhaupt zu können . In diesen treu aufbewahrten Gesamtvorstellungen ist die Anzahl der Gegen­ stände nicht differenziert. Nichts gibt Anlaß dazu sie besonders auszu­ drücken ; das würde hier nur eine zusätzliche Belastung sein. Neben diesen erstaunlichen Fähigkeiten einer nicht-anzahlmäßigen Erfassung konkreter Gesamtheiten ist die Unterscheidung von Mehrheiten , wie sie unseren Anzah­ len entspricht , bei den Abipaniern dürftig. Die dafür gebrauchten Ausdrücke reichen bis ,,zwanzig", denen sich dann ein "viele " anschließt (wie das ja auch bei den Koossaem der Fall ist) : 1 ini-tara (etwas allein ) 2 inoak (ein Paar) inoaka y eka-ini 2+ 1=3 4147 geyenkate (Zehen des Nandu ) 1 4 7 Mart. Dobrizhofer, Historia de Apibonibus, Wien 17 84, Bd. II, Kap. XVI de Abipo­ num lingua; A. F. Pott, a.a.O., S. 4, 5, 6, 7 ; E. Cassirer, Philosophie der sprachl. For· men , Berlin 1 9 2 3 , S. 1 8 7 , 1 88 ; Friedrich Müller, Die Sprachen der schlichthaarigen Rassen, Wien 1 8 8 2 , I. Abteil . , S. 4 1 2-41 4.

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hanam hegem (Finger der Hand) 5 lanamri hegem (Finger der Hände) 10 lanamn· hegem kat gratserhaka anamitiri hegem 20 (Die Finger der Hände zusamm en mit den Füßen ) Darüberhinaus halten (oder hielten) sie die Versuche der Missionare, sie zu einem Zählen in unserem Sinne zu bringen, für eine sehr überflüssige und wunderliche Zumutung. Sie brauchen in ihrem praktischen Dahinleben der· gleichen ganz einfach nich t. Es ist überhaupt auch nicht so , als ob diese Mehrheitsbezeichnungen der Abipanier Anzahlbezeichnungen in unserem Sinne wären . Die Mehrheitsauf· fassung, als von etwas als einer Gesamtheit von Elementen , kommt hier nicht auf dem Boden einer gleichförmigen und gleichmäßigen Vermehrung nach einer gesetzmäßigen Methode von einer Grundzahl aus zustande, wie es bei uns hinsichtlich der (bestimmten) Anzahlen der Fall ist. Die Mehrheiten , die in diesen Mehrheitsworten laut werden, und auf die hin irgendwelche Konglo· merate verstanden werden und verstanden werden können, haben nicht aus ihrem eigenen Wesen her ihren sachlichen Zusammenh ang, nicht aus einer in ihnen liegenden Gesetzlichkeit und nicht aus einem Bezug aufeinander. Sie haben je ihre eigene individuelle Physiognomie. Jede wird so für sich vor· gestellt. Sie bilden keine in sich homogene Reihe. Wie wenig die Mehrheitserfassung der Abipanier auf Anzahligkeit abge· stellt ist, mag man an Folgendem sehen : "Wenn ihrer etliche von den Feldern , wo sie entweder einige Waldpferde gefangen oder schon zahm gemachte andere entwendet haben , nach Hause zurückkehren , so wird kein Abipanier die Ankömmlinge fragen : "Wieviel Pferde habt ihr nach Hause gebracht?" Sondern : "Wieviel Raum nehmen die Pferde ein , die ihr nach Hause gebracht habt?" Diese werden nun hierauf antworten : "Wenn wir unsere Pferde alle in eine Reihe hin zusammen stellten , so würden sie diesen Platz einnehmen"; oder "sie reichen von diesem Wald bis zu dem Ufer des Flusses". An einer solchen Antwort genügt allen , weil sie daraus auf die Menge Pferde einen Schluß machen können , wenn sie gleich deren eigentliche Anzahl nicht wis­ sen .- Bisweilen nehmen sie einen Haufen Gras oder Sand in die Hände , weisen seihen den Fragenden und glauben ihnen dadurch von der übergroßen Menge der Dinge , worüber man sie fragt, einen hinlänglichen Begriff gegeben zu haben ". 148

Gegenüber solchem gestaltmäßigen Erfassen einer Mehrheit steht die an­ zahlmäßige , für deren Einzelheiten die Stellung zueinander und die Besonder­ heit ihrer anfallenden Gesamtgestalt gerade gleichgültig ist, und deren Posi­ tion in solcher anfallenden Gestalt hier gerade als belanglos angesehen wird . Derart , daß sie als einzelne Komponenten gleichwertig nebeneinander oder nacheinander stehend ohne Rücksicht auf ihre Quale genommen und zusam-

148 Dobrizhofer, a.a.O. (in der Ausgabe von Kreil, 1 7 8 3 ) , S. 202-204.

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mengefaßt werden ; daß sie nicht in einer bestimmten Konfiguration , in einem objektiven Gestalthaften, einfach anfallen , sondern daß ihr Zusam­ menfassen unter mein Belieben gestellt ist : Daß ich mit diesem oder jenem oder jenem anfangen und fortfahren kann in einem subjektiv in se iner Reihenfolge unter meinen Willen gestellten Zusammen. Die Zusammenfas­ sung hat hier einen rein subjektiven pragmatischen Charakter. In Gegensatz zu solchem anzahlmäßigen Durchgreifen werden nun hier (bei den Abiponiern) die zu erfassenden Konglomerate orientiert auf ein ihnen Äußerliches hin , das ihnen gegenüber selbständig ist ; und unter prak­ tischen Gesichtspunkten rein empirisch aufgegriffen und dem Hörenden als Beispiel an Hand gegeben ist, um von dort her die zu erfassende Menge ihm indirekt mitzuteilen . Die einzelnen, durch Mehrheitsworte bezeichneten , Gruppen stehen zusammenhanglos nebeneinander, sind aber nicht aufeinan­ der bezogen. Diese zum Vergleich dem Hörenden mitgeteilten Mengen brau­ chen dabei untereinander keinen sachlichen oder methodischen Zusammen­ hang zu haben und können wie willkürlich ausgewählt sein . Wie das oben bei den abiponischen Mehrheitsworten sichtbar ist , wo zur Bezeichnung der unserer Anzahl 4 entsprechenden Menge, die der "Zehen des Nandu " genom­ men wird , also aus einem sachlich ganz fremden Gebiet. Hinsichtlich dieser, in sich inkohärenten , Reihe wäre es sogar möglich, daß (- absurderweise na­ türlich -) sowohl auf der Objektseite wie auf der Bezeichnungsseite irgend­ welche Gruppen nicht realisiert wären; ohne daß darum durch solche Lücken­ haftigkeit eine solche Mehrheitskette in sich zusammen- oder auseinanderfiele und ihre praktische Bedeutung verlöre. Das aber ist anders bei der Reihe der Anzahlen , für die gerade eine Lückenlosigkeit auszeichnendes und wesent­ liches Charakteristikum ist. Quantenhaftes Umfassen und anzahlhaftes Durchgreifen von Konglo­ meraten stehen nebeneinander ; zu äußerem Vergleich auf anderes hin oder innerem Auszählen solcher Gesamtgehalte. Sie sind nicht auseinander zu ent­ wickeln. Dabei ist es so , daß Konglomerate immer entweder so oder so ver­ standen werden ; und in obje ktivem Anfallen oder subjektivem Auszählen in ihrer Gänze in Sicht kommen, als in sich geschlossene Menge oder aber als Anzahl von etwas. Doch vermag sowohl eine Menge anzahlhaft durchgriffen, wie eine Anzahl mengenmäßig aufgegriffen zu werden. Alle Mengen vermögen anzahlmäßig durchgriffen zu werden . Und es wird wohl - meiner Ansicht nach - so sein, daß auch in den Sprachen , in denen die Gesamtheitsgestalt die Mehrheitsauffassung bestimmt, doch immer An­ sätze zur Anzahlhaftigkeit vorhanden sind (schon im Zusammenfassen von sehr entfernt Liegendem, wo nicht die Gestaltung, sondern das Zusammen­ fassen bindet), wenn auch die in Bezeichnungen von Gesamtheitsgestalt sprachlich aufgehen und dahinein festwerden ; auch wenn das am Grammati­ kalischen nicht oder nicht mehr auffällig ist. Es ist nicht wahrscheinlich , daß eine absolute Ausschließlichkeit realisiert ist. Man müßte dann vorsichts­ halber nur von einer, wenn auch weitgehendsten Dominanz des einen oder

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anderen Modus bei den verschiedenen Sprachen sprechen. Doch mag dieser Gesichtspun k t hier und im Folgenden außer Betracht bleiben und soll nicht berücksichtigt werden. 1 4 9 Dabei ist es durchaus hier auch möglich , daß Mengenbezeichnungen in Anzahlworte eingehen. Wir haben das im Lateinischen hinsichtlich der Hun­ derte und Tausender etc . (ducenti, trecenti, etc.), die schon durch ihre Dekli­ nierbarkeit auf einen sachgebundenen Charakter hinweisen . Und bei denen die Vorsilben du(o), tres nicht mehr anzahlmäßigen Wert haben , während das -centi Ausdruck ist einer zusammengeschlossenen Mehrheit. Daß auch bei uns die Mengenauffassung in die Anzahlenreihe einzukreu­ zen vermag (ohne dabei die in ihrem Wesen zu tangieren) , zeigt sich daran, daß man in dieser Reihe das je Abgezählte , oder der Möglichkeit nach Abzu­ zählende , substantivisch und so entaktualisiert zu einer in sich abgeschlos­ senen Menge zusammenfassen kann : Man spricht von Zehnern, Hundertern und Tausendern, und es ist psychologisch so , daß, worauf oben schon hinge­ wiesen wurde, z.B. 99 nicht so sehr in der Anzahlreihe von 1 ab gesehen wird , wie als 1 00- 1 . Die gegenstandsgebundene Plumpheit der abiponischen 1 5 0 Mehrheitsbe­ zeichnungen ist nicht einfach auf eine sprachliche oder intellektuelle Un­ terentwicklung zu reduzieren . Dagegen würde schon der ungewöhnliche Reichtum ihrer. Verb alformen sprechen . Dem entspricht es, wenn die Tsikitos bei einer sehr weitgehenden sprach­ lichen Differenzierung als Mehrheitsbezeichnung lediglich für das unserem "Eines" korrelate ein eigenes Wort haben ; und im übrigen eine Mehrheit durch aufheben von Fingern , abbildend , mitgeteilt wird ; und bei denen es mehr als fraglich ist, ob man hier von eigentlicher Zahlhaftigkeit sprechen kann. Es ist hier wohl sicher, daß es sich um bloße Mengenübertragung handelt. Dies fragliche Zahlwort (für 1 etania) dürfte der Hinweis auf ein in sich-Geschlossensein (und Abgesetztsein gegen anderes) sein ; also den ge­ genständlichen Charakter etwa unseres "dies" oder des unseres unbestimm­ ten Artikels haben. In ihm als solchen liegt noch nicht eine weiterführende Methodik, sondern es geht über in ein bloßes Abbilden (durch aufgehobene Finger) in demonstrierbare Mengen hinein, die in sich abgeschlossen , unab­ hängig sind voneinander. Solche, einer Anzahl gerade wesentliche immanente Progredienz fehlt auch den Mehrheitsbezeichnungen der australischen Sprachen. Die gehen hier lediglich bis zu einer unserer Anzahl 3 korrelaten Menge. Lediglich bei den =

1 49 So ist auch ,.ein Dutzend" nicht einfach synonym mit der ,.Zwölf", wenn es auch anzahlmäßig ihr entspricht. Es ist hier auch mengenmäßig etwas aufgegriffen ( wenn auch im Hinblick auf eine Anzahl ) . Das zeigt sich etwa daran, daß man von einem ,.guten Dutzend" sinnvoll reden kann, oder von ,.Dutzenden von Menschen ". Oder etwa im Französischen une Tren taine, wo außer der Substantivierung auch die Varia­ tionsbreite des Ausdrucks den Nicht-Anzahlcharakter deutlich mach t. 1 50 Levy-Brühl, Das Denken der Naturvölker, S. 1 2 2 ; Mart. Dobrizhofer, An account of

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(jetzt ausgestorbenen) Anwohnern des Hunter River kamen genuine Mehr· heitsbezeichnungen bis 4 vor. Ebenso übrigens auch bei den ausgestorbenen Tasmaniern. In sehr beschränkter Weise führen sie durch Kombination oder Wiederholung etwas weiter. ( So etwa im Wiraturai 1 5 1 : num bai = 1 , bula = 2 , bula-numbai = 3 ; oder i m Turrubu P 52 : kunnar = 1 , budela = 2 , mudan = 3 , budela-budela = 4 , mudan-budela = 5 ; oder i m Kamilaroi 1 53 : mal = 1 , bular = 2, guliba = 3, bular-bular = 4, bular-guliba = 3 , guliba-guliba = 6. Darüber­ hinaus bedient man sich der Abbildung in aufgehobene Finger hinein . Oder von Worten, die viel oder groß bedeuten (so z.B. im Wiraturai : bungu = viel, aber auch 4, 1 54 bungugalan = sehr viel, aber auch 5 ; oder im Macquarie 1 5 5 überhaupt für das über 4 Hinausgehende kauvol-kauvol = groß-groß) . Diese sprachliche Enge der Mehrheitsbezeichnungen bei den Tsikitos oder den Australiern einfach auf eine Unterentwicklung des Sprachvermö­ gens oder des Gehirns als solches hin zu verstehen , würde dabei aber bedeu­ ten, nicht die Sachlage zu vereinfachen, sondern sie zu versimpeln . So steht dieser Enge bei den Chikitos die außerordentliche Differenzierung der Pron. possessiva (und des Akkusativs vom Personale) gegenüber. Und bei den Australiern ist es so, daß ihre Kasuserfassungen fast an die sehr durchb ilde­ ten des Finnischen heranreichen können und die Verbalstrukturen des Satzes bei manchen Dialekten an die sehr differenzierten des Ural-Altaischen. 1 56 Es braucht nicht ein mangelndes Sprach-oder Zählvermögen schlechthin der Grund für solches Gebundenbleiben in den Bereich des sinnlich auch the Abipones, II, S. 1 7 2 - 1 80 ; Mart. Dobrizhofer, Historia de Abiponibus, Bd. II, Kap. XVI, S. 1 66 . 1 5 1 Friedr. Müller, Grundriß d. Sprachwissenschaft, Wien 1 8 79 , B d . I I , Abt. I I , S. 23 und Reise der Österreichischen Fregatte Novara um die Erde, Linguistischer Teil, s. 25 1 , 1 86 7 . 1 5 2 William Ridly, Kamilaroi and other Australian Languages, Sydney 1 8 7 5 , S . 8 5 . 1 53 William Ridly, ibid., S. 3 2 . 1 54 De m entspricht es, wenn b e i einigen melanesischen Idiomen da s Wort tar viel zugleich auch (auf die Finger orientiert) für das unserem ,.zehn" Entsprechende gebraucht wird , und dasselbe bei den Lakoniern für das Wort gapra gilt: Daß hier also je das letzte Wort bis zu dem eine Mehrheit bestimmt wird, umschlägt in das mehr­ heitsmäßige vage ,.viel". Beziehungsweise das .,viel" gebraucht wird auch für die letzte Bezeichnung unter der eine Mehrheit exakt gefaßt wird. Und interessant ist, daß mit steigendem Zivilisationsgrad der Wert des synonym gebrauchten ,.viel " sich verschiebt auf 1 00 , 1 000 bei benachbarten, ab er stammesmäßig zugehörigen Dialek· ten. Warum dabei das ,.viel" mit dem 1 0 (bzw. 1 00, 1 000) synonym gen o mmen wird und nicht mit dem 1 1 (bzw. 1 0 1 , 1 00 1 ) also einem darüberhinaus gehenden , ist mir nicht verstehbar und psychologisch nicht erklärbar. Das muß einstweilen als bloßes Faktum so h ingenommen werden, doch mag hier die Vorgegebenheit der Finger ausschlaggebend sein. 1 5 5 Friedr. Miiller, Grundriß, Bd. II, Abt. II, S. 1 4. 1 56 Das war auch die Motivation für Bleek (in: . The library of his Exellence Sir G. Grey, Philology vol. II) Cape-Town 1 8 5 8 , die Australier zu einer etymologischen Gruppe zusammenzufassen mit den Mandzu, Türken, Finnen , Ungarn. (Dagegen: Fr. Müller, Die Reise der Fregatte Novara, Linguistischer Teil, 1 8 6 7 , S. 243 f.). =

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Faßbaren bzw . der Ausdruck dafür sein. Zwar kann sehr wohl eine zerebrale Unterentwicklung das ursächlich bedingen, 1 5 7 doch braucht das nicht der Fall zu sein . Es vermag sehr wohl einfach daran liegen , daß keine praktische Notwendigkeit gegeben war, über ein gestalthaftes oder mengenmäßiges Er· fassen hinaus weiterzugehen auf ein anzal11haftes Zählen hin . Die primitiven Lebensverhältnisse der Naturvölker (absichtlich wurde hier nicht gesagt : der primitiven Völker) gaben keine Veranlassung dazu. Erst mit dem Einbruch der Zivilisation änderte sich das ; und unter Umständen entscheidend. Wie sehr hier kulturelle Einflüsse von Bedeutung sind, und wie sehr die Berührung mit anderen Zivilisationen (wie das schon der Handel mit sich bringen würde) die genuinen Mehrheitserfassungen modifizierend weiter zu entwickeln und sogar umzustellen vermögen , kann man sich an der Gegenüberstellung ver· schierlener melanesischer Dialekte 1 5 8 deutlich machen , die bei Stammes· gleichheit oder doch Stammesverwandtschaft gleiche grammatische Grund­ strukturen aufweisen ; und die dennoch in der Art der Mehrheitserfassung weitgehend voneinander differieren. Das Mare etwa, wie es auf einer abseitigen Insel von etwa 6000 Bewoh· nem gesprochen wird (oder doch in ihrer Isolierung noch , also etwa um 1 8 60 so gesprochen wurde ) , faßt die Mehrheiten in ganz roher Abbildlichkeit auf die eigenen Glieder hin . (Lediglich die Ausdrücke für 1 und 2 erscheinen unabhängig davon.) Auch die Zahlausdrücke der stammverwandten Annatomier sind ursprüng­ lich eingeschränkt ; enger sogar als im Mare und reichen nur bis 5 . Doch haben sie seit Beginn der Kolonisation, anschließend an die 5 , die Zahlworte aus dem Englischen abwandelbar übernommen und gebrauchen sie sinnge­ mäß. Die anzahlmäßigen Ausdrücke (aus dem Englischen) verdrängen dabei allmählich die ursprünglich mengenmäßigen, so daß z.B. für die 4 ein for gebraucht wird und das ursprüngliche Wort dafür emanawan sich nur noch aus Wortkombinationen heraufholen läßt. Im übrigen ist es so , daß beide Modi nebeneinander verwendet werden können . So der Ausdruck für 5 , für den aber schon fast ausschließlich das aus dem Englischen stammende Zahl­ wort faiv gebräuchlich ist , statt des ursprünglichen ik man (das schon als "eine Hand" auf einen abbildhaft-mengenmäßigen Charakter hinweist) , das aber nur noch vereinzelt und in ganz bestimmten Redewendungen Verwen· dung findet. Neben dem Mare und dem Annatomischen steht hier noch das Viti : Die Fidschi-Insulaner haben schlechthin das Anzahlsystem des malayisch-polyne· 1 5 7 Vermutlich ist das auch bei den Tasmaniern und den Australnegern der Fall ; doch soll hier darüber weder im negativen noch im positiven Sinne etwas präjudiziert wer· den und die Frage danach hier ausgeklammert bleiben. 1 5 8 Cf. dazu das von H. von der Gabelentz, Die melane�ischen Sprachen nach ihrem grammatischen Bau und ihrer Verwandtschaft unter sich und mit den malayisch­ polynesischen Sprachen , Leipzig 1 86 1 , I, S. 1 5 , 2 5 , 89, 1 88 , beigebrachte sprachliche Material.

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sischen Sprachstammes mit nur geringfügigen sprachlichen Abwandlungen übernommen. Derart, daß in den mir bekannten Grammatiken ich dafür auch nicht Rudimente einer doch wahrscheinlich eigenen Form ursprünglicher Mehrheitserfassung gefunden habe. Und das, trotzdem der formal-gramma­ tische Aufbau der melanesischen und malayo-polynesischen Sprachen doch differiert. Charakteristisch für die hier erfolgte Umstellung der Einstellung auf Mehrheiten erscheinen mir dabei Bildungen wie rua na dran 2 mal 1 00 = 200 tolu na dran = 3 mal 1 00 = 300 rua na udolu = 2 mal 1 000 = 2000 insonderheit aber das neben dem dran = 1 00 gebrauchte dua na drau = 1 mal 1 0 0 . Mit den na = mal ist man über die bloße Mengenauffassung hinaus ge­ gangen : Man kann Gegenstände nicht mit Gegenständen multiplizieren, und seien die auch noch so abstrakt. Und daher auch nicht Mengen mit Mengen. Ähnliches findet sich auch im Mahaga auf der Ysabel-Insel. Diese Mehrheitsbezeichnungen bei den Chikitos, den Australiern und Tasmaniern entsprechen Mehrheiten, die auch bei uns simultan und ohne zu zählen unmittelbar erfaßt werden können, gestalthaft, in festgewordenen Erinnerungsbildern ; und zwar neben ihrem, natürlich auch möglichem, an­ zahlhaften · Erfassen. Man "zählt" normalerweise nicht zwei Gegenstände, sondern "hat" sie ; in unaufdringlicher Selbstverständlichkeit. Die beiden Ge­ genstände verbleiben normalher hier in gegenständlicher Gebundenheit und werden nicht anzahlmäßig aus ihr gelöst. Die sachlich-sinnliche Gestalt sol­ cher Gestaltungen dominiert hier noch vor der auch möglichen anzahlhaften Erfassung und ihrem abzählenden Durchgreifen, und liegt so als gegenständ­ lich gegenüber ; als wesensmäßig wahrgenommen oder vorgestellt Konkretes. So drängt die Zweiermehrheit etwa an auch in dem "Paar" oder einem "Beide". In das "Paar" aber ist Sachliches schon konstitutiv eingegangen und in ihm tragend. Ein Apfel und eine Tugend sind kein Paar, und auch nicht ein Huhn und sein Ei. Und auch rein räumlich schon zwei Menschen von denen der eine in Amerika, der andere in Deutschland lebt, kommen nicht so als "Paar" in Sicht. Und ebenso wird mit dem "Beide " auf eine schon präkonzipierte Zusammengehörigkeit (wie das "alle" eine Menge beurteilend) hingewiesen : Daß es alle dieser gegenständlich gewordenen zweier-Mehrheit sind. Die Bezeichnungen (Paar, Beide) haben rein mengemäßigen Charakter. Das ist von Bedeutung auch für die Beurteilung der australischen Mehrheits­ bezeichnungen . So werden von den Eingeborenen am Lake Alexandrina und am Ufer des Murray auf dem Boden von kuko = Paar gebildet für 4 = kuko­ kuko , für 5 = kuko-kuko-ki, für 6 kuko-kuko-kuko und für 7 = kuko-kuko­ kuko-ki. Die nicht auseinander her sich entwickeln und nicht in einem multi­ plikativen Akt, sondern durch Hinzufügung von Mengen zu Mengen sich lediglich aggregieren . =

Abbildhafte Erfassung

von

Mehrheiten

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Analoges wie für die "Zwei" gilt, wenn auch i n geringerem Grade, für die "Drei". Jede räumlich eng zusammenliegende Konstellation dreier Gegen­ stände oder Punkte zeigt das ; z.B. die Augen eines Würfels. Das läßt sich auch in umgekehrter Weise sichtbar machen: Zwei Bäume und ein davon entfern­ ter, wie sie anzahlhaft drei ausmachen würden , stellen sich im unmittelbaren Aspekt nicht als 3 , sondern gestalthaft, eben als 2 Bäume und ein davon getrennter ; eine Zweiergruppe und eine Einergruppe, die zusammen eine Obergruppe ausmachen . Diese gestalthafte simultane Mehrheitserfassung reicht indessen nicht weit : Als obere Grenze geben die dahinzielenden psy­ chologischen Experimente eine der Anzahl 5 korrelate Menge an. Schon die "Sechs" auf dem Würfel fällt in zwei Dreiergruppen an, die durch ihre beson­ dere Konstellation zusammengehalten werden. (Auch die Vierer-und Fün­ fermengen ze ifallen leicht in Untergruppen , wenn ihre Konfiguration darauf hinführt.) Diese Mehrheiten , wie sie den Anzahlen 1 bis 3 (oder 4) korrelat sind, sind gebunden in das Sachliche, das in ihnen sich stellt. Es wird in ihnen nicht nur in seinen Elementen etwas angerührt, wie es beim Abzählen oder beim Zuordnen zu irgendwelchen Standardmengen der Fall ist, sondern die Elemente sind hier von sich aus konstitutiv tragend ; 1 5 9 in ihrer Gestaltung zueinander. Und geben diesen Mehrheiten auch qualitativ ihr je besonderes Gesicht. Die Sachen selbst scheinen in diesen Formen so von sich aus herauf, aufgefangen und verstanden durch erinnernd festgehaltene und so präkonzi­ pierte Gestaltungsbilder ; ohne weiteren Bezug auf andere und auf anderes. Dies sachliche Gebundensein scheint in diesen Mehrheitsbezeichnungen noch herauf. Davon ist Ausdruck und darin gründet die Deklinierbarkeit der ersten 3 bzw. 4 Zahlworte im Lateinischen , im Griechischen und im Sanskrit. Diese Deklinierbarkeit der ersten 3 bis 4 Grundzahlen h at einen anderen Charakter und ist anders fundiert als das, (etwa im Lateinischen) bei dem ducen ti, trecenti u.s.w. der Fall ist. Es ist bei diesen Worten in das -centi eine Abgezähltheit hinein entaktualisiert und etwas als in einer abgezählten Menge irgendwelcher präkonzipierter Sachen gegenständlich festgeworden. Und diese Mengen werden dann durch das hier eigentliche Zahlwort duo oder tres angesetzt. Und ähnlich ist das bei der Deklinabilität der zwei-oder dreitausend etc . . Es wird hier das Duo milia zunächst auf die Menge von leeren Etwas hin erfaßt, die sich auf ein attributiv im Genitiv stehendes No­ men hin substantiviert. Anthropologisch verwandt ist diesem sich-Geben einer Mehrheit ( 1 -4) in seiner komkreten Gestaltung, dem bestimmenden Heraufdrängen von Quali1 59 Solche eigentliche unmittelbare Mehrheitserfassung scheint es mir bei in einer Folge anfallenden Daten kaum zu geben: Dennoch gibt es auch hier das Anfallen in Gestal· ten . So gibt es visuell und tonal Morsen und im Tonalen auch Akkorde und Oktaven. ( Das für den Geübten sinnvoll in Gestalten und nicht erst im Abzählen differenzie­ rend aufgegriffen wird ) .

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tativem an die Oberfläche, wenn im Bantu 160 Augen, Ohren, Hände und Füße, kurz die paarig am Körper vorhandenen Glieder durch eigene Nominal­ affixe qualitative Bindung erhalten und andere paarig in der Umwelt sich zeigende Gegenstände du rch je andere (der Klasse und Art nach ) Affixe ge­ kennzeichnet sind . Und hierher gehört auch in einem weiteren Zusammen­ hang, daß manche Sprachen, bei denen es pronominal zur Ausbildung eines Dualis 1 6 1 oder Trial gekommen ist, darüberhinaus einen In.klusivus oder Ex­ klusivus entwickelt haben , je nachdem der Redende eingeschlossen ist oder nicht und so die Mehrheit mitgestaltet ; wie das z.B. etwa in den melanesischen Dialekten der Fall ist. Diese Mehrheiten ( 1 bis 4 und bei besonderer Konstellation die 5 auch) vermögen in fester formaler Gestaltung, ohne darum auch auf besondere etwa räumliche Konstellation, anzufallen als in sich fest geschlossene Aggre­ gate ;1 6 2 als prägnante Gruppen in konkreter Abstraktion: Unmittelbar, ohne auf ein Durchzählen und ohne auf die Zuordnung zu anderen schon bekann­ ten Aggregaten von Gegenständen (etwa die Finger etc.) angewiesen zu sein. So wie Kreise , Quale , Dreiecke und auch Vierecke unmittelbar aus dem Ob­ jektiven her verstanden werden. (Es bleibe dabei dahingestellt, ob es bei den durch die ersten drei Ziffern ausgedrückten es sich um echte in ihren Ele­ menten abgesetzte Konglomerate (oder auch Anzahlen) handelt , oder ob sie nicht als Konkrement, als in sich fest geschlossene phänomenale Einheiten, 1 60 S. Meinhof, Bantugrammatik, S. 8f. 1 6 1 Die Dual (u. Trial) bildung ist in der Entwicklung der Sprachen dabei im Rückgang begriffen. So schreibt Cassirer, a.a.O., S. 203 : Im Semitischen gehört er der Grund­ sprache an, beginnt aber in den Einzelsprachen m ehr und mehr zu verschwinden. Im Griechischen ist der Dual in einzelnen Dialekten schon in vorh is torischer Zeit ge­ sch wunden, und auch bei Homer befindet er sich bereits im Zus tand der A uflösung. Nur im A ttischen Diolek t behauptet er sich längere Zeit, um jedoch auch h ier im 4. Jahrhundert vor Chr. allmählich zu verschwinden. In diesem nich t an ein besonderes Gebiet und an b esondere Bedingungen gebundenen Verhältnis drii c kt sich offenbar ein allgemeiner sprachlogischer Zusammenhang aus. Der Rückgang des Duals ftillt m it dem allmählichen, stetig fortschreitenden Ubergang von der individuellen und kon· kreten Zahl zur Reihenzahl zusamm en. Je stärker der Gedanke der Zahlenreihe als eines nach einem streng einheitlichen Prinzip aufgebau ten Ganz en . sich durchsetz t, umsomehr wird jede Einzelzahl, statt einen besonderen Inhalt zu repräsentieren, zur bloßen Stelle, die jeder anderen gleichwertig ist. Die Mehrheitsgestaltung auf die unmittelbare Gestaltung hin und auf eine Anzahlenreihe scheinen so für den Ge­ brauch im umgekehrten Verhältnis zu stehen . Das hat alle Wahrscheinlich keit für sich. (Doch sollte man hier auch an polynesische Sprachen z.B. auf Samoa, Tahiti, Hawai , das Tonga und Maori denken und an einige malayische Dialekte, für deren Entwicklung das gerade nicht der Fall zu sein scheint) . 1 6 2 Wie weit das Anfallen solcher Gestalten auch von sachlichen Tinktionen abhängig ist, bleibe dahingestellt: Also ob z.B. eine Tugend, ein Löwe und das Meer gestalthaft sich schlicht so zu geben vermögen oder ob ihre Erfassung als "drei" erst auf dem Umweg der Zuordnung zu anderen (greifbaren) Mengen oder durch abzählende Zu­ sammenfassung möglich ist.

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begegnen können, wie gestaltete Farbflecken oder Kreisgestalten etc.; und so auch unmittelbar anfallen können) . 1 63 Man hat versucht die Sonderstellung der drei ersten Mehrheitsbezeich­ nungen und ihr in sich-Geschlossensein (und dann auch die Anzahlenreihe überhaupt) im Anschluß an Humboldt und im Hinblick auf dessen Autorität aus einer reinen Subjektivität und der Stellung des Menschen in die Welt sich zu erklären ; aus einer Ursituation des Redenden. 1 64 Man nahm das Ich und Du bzw. das Ich , Du und Er (Es) als eine Grundgegebenheit, aus der heraus die Zwei und die Drei anthropologisch sich manifestierten . Aber gerade so ist es nicht. Wohl sind diese Gegebenheiten als drei abzählbar, aber sie drängen unter diesem Charakter sich nicht primär auf. In der Reihe ist das primär subjektiv zu verstehende Ich ausgerichtet auf das objektiv sich Ge­ bende hin. Das Ich als ein gegenständlich zu fassendes "Ich-selbst" stellt sich erst in der Reflexion ; unmittelbar fällt das Objektive hier an in Paaren und Tripeln . Es müßten im umgekehrten Falle auch Personalrudimente in die Mehrheitsbezeichnungen aller Sprachen etymologisch fundierend eingehen . Das aber ist nicht der FalJ . I 65 Die vielfachen Versuche solcher Ableitung aus dem Personalen erscheinen mir nicht überzeugend. Man müßte dann übrigens auch die Ordinalzahlen als Fundament der Mehrheitserfassung hinnehmen ; aber das würde am Wesen der Mehrheiten vorbeigehen . Lediglich im indoger­ manischen Sprachkreis ist ein etymologischer Zu�ammenhang zwischen der "Zwei" (duo, two , deux, dwa, dyo ) und dem "Du" (tu, thou, twam, dy ) 1 63 Es sei in diesem Zusammenhang hingewiesen auf die sehr sorgfaltigen und auf großes Material sich stützenden Untersuchungen von 0. Köhler (bei Dohlen, Eichhörnchen, Elstern, Amazonas , Graupapageien , Sittichen und Affen) . Bei denen die simultane und auch successive (vorsprachliche ! ) Mehrheitserfassung konstant zwischen 5 und 8 Elementen liegt. Die Maximalgrenze solchen Erfassens ist danach etwa bei 7 und 8 . (0. Köhler, "Vorsprachliches Denken u n d Zählen der Vögel", Festschrift zum 60. Geburtstag von Erwin Stresemann. Und 0. Köhler, "Tierpsychologische Versuche zur Frage des unbenannten Den kens" , Vierteljahrsschrift der naturforschenden Gesellschaft , Zürich, 1 9 5 3 ) . O b für alle Tierarten das gilt , bleibe natürlich dahingestellt, doch halte ich ein solches biologisches vorprogrammiertes simultanes oder successives Vorerfassen für wahr· scheinlich. Wenn beim Menschen die Erfassungsgrenze der ungestalteten Mehrheit relativ nied· rig, etwa bei 5 liegt, so mag das seinen Grund darin haben, daß hier ein echtes abzählen­ des Zusammenfassen, das zu dem über das je Vorliegende methodisch progredieren und sprachlich zu fixieren vermag, das lediglich, wenn �uch in abstrakter formloser Gestaltung sich Gebende und so Vorerfaßte , weitaus bequemer, exakter und weiter· deutender überlagert und sprachlich fixiert. Es soll daher über solche Zusammen­ hänge hier nichts präjudiziert werden und mag beiseite bleiben. 1 64 E. Cassirer, Philosophie der symbo lischen Form en , Berlin 1 9 2 3 , S. 200. 165 G. von der Gabelentz , Chinesische Grammatik, S. 1 1 2f. ; H. Winkler, Der Uralal· taische Sprachstamm, S. 59ff., 1 60 ; J . P. A. Ermann, Ägyptische Grammatik, S. 8 5 ; G . Steindorf, Koptische Grammatik; E. Cassirer, a.a.O., S. 2 1 0 , 2 1 1 ; W. Schott, Zur Chinesischen Sprachlehre, S. 29.

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erweislich. Aber das doch nur im Sinne einer anzunehmenden gemeinsamen Wurzel, nicht aber darum schon in dem einer Entwicklung der Mehrheitsbe­ zeichnung aus dem Personale her. Solche nicht auf ein erkennendes, erle­ bendes redendes Ich primär eingestellte Ausrichtung findet ihren Ausdruck z.B . in den altaischen Sprachen oder im Koptischen , in denen das "Ich" gefaßt ist in possessiver Bindung an "mein Körper", "mein Sein", "mein Leib " 1 66 und so in den Bereich des gegenständlich Gegenüberliegenden gezo­ gen wird . Im übrigen mag die Frage nach der Genese der in sich Geschlossenheit dieser Mehrheitsgestalten hier beiseite bleiben: Ausschlaggebend ist , daß neben dem anzahlhaften Durchgreifen und auch dem Verfestigen solcher Aggregate auf vorgegebene Mengen hin solche Aggregate als genuin in sich geschlossen zu begegnen vermögen . Die ersten 3 , 4 (allenfalls noch 5 ) Aggregate vermögen auch in fester Gestal­ tung sich zu geben , wie eine Farbe oder eine Farbkombination oder ein Ton und ein Akkord oder ein Ding oder ein aus Teilen bestehendes Ganzes. Man kann mit den korrelaten Mehrheitsbezeichnungen oder -Worten direkt auf sie hinweisen und den Hörenden vor sie hinbringen und mit diesen Worten solche Aggregate in der Vorstellung anschaulich anschwingen lassen , in fester Gebundenheit wie mit einem Sachwort die anschauliche Vorstellung der zu­ gehörigen Sache. Das wird anders, wenn man über diese ersten Zahlworte hinausgeht. Rein anschaulich und in der Gestaltung sind sie nicht mehr zu fassen und so auch nicht vorstellungsmäßig zur Anschaulichkeit zu bringen. Die in ihre Sphäre hineingehenden Worte würden leer und blind bleiben, wenn man nicht der Anschaulichkeit auf andere Weise zu Hilfe kommt und sie abbildet durch etwas Hinweisendes, das man dem Hörenden in Sicht und durch bezeich­ nende Worte an Hand geben kann. Es wird dann mit anderen Gegenständen oder im sprachlichen Hinweis auf die ein "Ebensoviel" angegeben. Solche Orientierung der Aggregate auf das Gestalthafte hin ist in den meisten Sprachen, zum wenigsten bei primitiven Völkern , die Basis des Erfas­ sens und Weitergehens und an Handgebens eines Aggregats. 167 Und es ist dabei so , daß es sich um Idiome geographisch weit auseinander liegender Nationen von ganz verschiedener Stammesentwicklung handelt , die auch historisch nie 1 66 Der e tymologische Zusammenhang von , ,zwei " und "Du" ist über das Indogerma­ nische hinaus, keineswegs allgemein. Im Chinesischen sind die Worte für "Du" und " Frau" synonym und im Thay die Worte für "Du" und "Mutter" stammverwandt. So hängen auch im Grönländischen die Personalia nicht mit den Zahlwörtern zusammen, sondern gehen auf Deutewurzeln u w "hier" und ik "dort" zurück. "Ich " bedeutet hier etwa "meine Hierheit" und "Du" ,.Deine Dortheit". S. Kleinschmidt , Gramma­ tik der Grönländischen Sprache, Berlin 1 85 1 ; Fr. Müller, Die Sprachen der schlicht­ haarigen Rassen, Bd. II, S. 1 69 . 1 6 7 Sie genügt zur schlichten Mitteilung irgendwelcher Mengen auch durchaus.

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Konnex miteinander gehabt haben ; um vollkommen voneinander selbstän­ dige B ildungen und Ausbildungen. Für die solche abbild-übertragende Mitteilung der Größe eines Konglo­ merates bieten sich die Finger, Hände und überhaupt Gliedmaßen des Kör­ pers wie von selber an . Sie sind praktisch ( ftir den unmittelbaren Verkehr wenigstens) frei verfügbar und jederzeit vorzeigbar. Das erklärt die weltweite Verbreitung der quinaren , dezimalen und vigintesimalen Systeme zur Erfas­ sung und mitteilenden übertragung (z.B.der alten mexikanischen Sprachen) gegenständlicher Aggregate ; und weitgehend auch die etymologische Her­ kunft von Zahlausdrücken zum wenigsten primitiver Völker. Und vor allem deren zunächst abbildende Funktion. 16 8 So ordnet man etwa in der Sprache der lnnuit 1 6 9 zunächst nur den Fingern der einen Hand (wie sie auch der unmittelbaren Aggregatserfassung, auf die oben hingewiesen wurde, ent­ sprechen) zu ; setzt dann mit denselben Worten an der anderen von Neuern an und weiter dann an einen Fuß und dann dem anderen (mit einer hinzufügen­ den B ezeichnung dieser Gliedmassen im Localis) . Für "zwanzig" sagt man weiter "Einen Menschen beendet" und für den zweiten Meuschen, mit. dem die Zahl "Einundzwanzig" beginnt "Mensch , der mein Gefährte ist" und für "zweiundzwanzig" = "2 am anderen Menschen", etc. Solch ein lediglich abbildender Charakter der Aggregatsbezeichnungen wird deutlich auch im Dayakischen (auf Borneo) , 1 70 wo eine solche Glieder­ zählung fortgeführt wird durch Vorzeigen von Blatt-oder Papierstücken ; oder von vornherein durch derartiges Vorzeigen ersetzt wird . Ebenso ist es bei den Indianern des Chaco 1 7 1 in Paraguay, wenn über die den Körpergliedern korrelaten Mehrheiten hinaus die Bezeichnungen dafür abbrechen in ein unbestimmtes "Viel" oder aber "Haare des Kopfes". Es ist den Aggregatsbezeichnungen hier keine Methodik immanent, die sie über das je Erreichte und Aufgegriffene vortreibt in eine sich aus sich selbst ent­ wickelnde Reihe . Diese Mehrheitsbezeichnungen sind auf Aggregate abgestellt. Die Reihen­ folge der abbildenden Gegenständlichkeiten (z.B .der Finger und Zehen) 1 68 Dieser Dezimalcharakter bei uns ist nicht etwa im zahlenmäßigen Aufgreifen über­ haupt gegründet. Ein Duodezimalsystem wäre für das Rechnen im Hinblick auf den Modus der Teilbarkeit angemessener und beweglicher gewesen. Das zeigt sich auch daran , daß man immer noch im Kleinhandel am "Dutzend" festhält, und daß die alte Thalerwährung ( Thaler, Groschen, Pfennig) sich darauf aufbaut. Aus der Zeit her hat sich auch noch bis in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg die Bezeichnung "Sechser" für das Fünfpfennigstüc k der heutigen Dezimalwährung erhalten. Derart also , daß die ursprüngliche Wortbedeutung und das mit ihr Bezeichnete auch hinsichtlich des Zahl­ worts auseinanderfällt. 1 69 S. Kleinschmidt, Grammatik der grönländischen Sprache, Berlin 1 8 5 1 ; W. Thalbitze r , Eskimo in Boas, Handbook I, S . 1 047 ; Fr. Müller, Die Sprachen der schlichthaarigen Rassen, S. I 7 8 , 1 79 . 1 7 0 W . Brooke, Ten years i n Sarawak, I, S. 1 3 9- 1 4 0 . 1 7 1 S. Hawtrey , The Legua-lndians of the Paraguayan Chaco , S. 296.

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kommt in ihnen nicht zum Tragen. Es ist, prinzipiell wenigstens, bei ihnen belanglos, wo bei ihnen der An fang des Zuordnens gemacht wird ; ob ich von der linken oder rechten Hand etc. aus aufzugreifen beginne . (Wenn auch praktisch wohl immer mit den Fingern begonnen wird). Das ist anders b e i anderen (geographisch und Rasse nach auch weit von­ einander verschiedenen Völkern z.B. Afrika, Brasilien, Neuguinea) . Es wird hier die Menge der erfragten Elemente, die dem letzten vorher gehen, unmit­ telbar durch die Position des letzten Bezeichnungsgliedes angegeben. Eine feste Reihenfolge der Glieder, denen beigeordnet wird , ist dann notwendig, um zu erreichen , daß durch das jeweilige Endglied der abbildenden Elemente die je vorangegangene Menge in Sicht gebracht wird . Das ist in Sonderheit bei einigen afrikanischen Idiomen (auf die Cassirer, Levy-Brühl und Wertheimer Bezug nehmen) deutlich . So werden etwa im Akra, Ewe , Nuba und Mandingo die lautlichen Aggregate (fast) immer getra­ gen und verstanden von Vorstellungen der Finger aus, in fester Reihenfolge. Ausgehend von den Fingern der linken Hand , auf die mit der rechten gedeu­ tet wird und fortfahrend dann in umgekehrter Weise an der rechten Hand und weiterhin übergreifend dann in gleicher Weise auf die Zehen erst des einen Fußes und dann des anderen. 1 7 2 Diese Aggregatsbezeichnungen haben derart rein abbildhaften Wert . Sie entwickeln sich nicht wie in unserer Anzahlenreihe auseinander und aufein­ ander hin ; aus der inneren Gesetzlichkeit dieser Reihe. Sondern es stehen hier Gegenständlichkeiten, Dinge und dergleichen, die in fest geschlossene Gruppen gebunden sind , nebeneinander und je für sich selbständig aufgegrif­ fen . Und beigeordnet bekannten Gruppen, über die man frei verfügen , und die mitteilend man auch anderen zu Gesicht bringen kann. Sehr gut hat S. Steintal dieses Verfahren im Hinblick auf das Mandingo 1 73 beschrieben : "Nicht das Quinar-System , also nicht die bloße Kürze der ersten, einfachen Reihe , trägt die Schuld dieser mangelhaften Entwicklung der Zah­ len , sondern das Vigesimal-System ; und nicht dieses an sich , sondern die un­ reine Auffassung des Wesens der Zahl selbst. Das nämlich ist die Schuld (wenn ich so sagen darf) , die auf dem Geiste der Neger lastet, daß er, zur Zehn gelangt, nicht die sinnliche Stütze verlassend , frei schöpferisch die Zehn mit sich selbst _vervielfältigte, die kurze Reihe aus ihr selbst zur langen aus­ dehnte, sondern an seinem Leibe haftend von der Hand , dem edlen Werkzeug aller Werkzeuge, dem Dienen des Geistes, herabsank zum staubwühlenden Fuß, dem Sklaven des Leibes. Dadurch blieb überhaupt die Zahl am Leibe kleben und ward nicht zur abstrakten Zahl-Vorstellung. Der Neger hat keine 1 7 2 S. Meinhof, Vergleichende Grammatik .der Bantusprache, 1 9 06 ; I. A. Zimmermann, Grammatical S ketch of the Akra Language, Stuttgart 1 85 2 ; T. J. Bowen, Grammar and Dictionary of the Joruba Language (Smithonion Institut 1 8 5 8 ) ; I. B. Schlegel, Schlüssel zur Ewesprache, Stuttgart 1 8 5 7 . S. Westermann , Ewe Grammatik, Reinisch, Nuba Sprache. 1 73 S. Steintal, Die Mande-Negersprachen, 1 8 6 7 , § 1 4 3 .

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Zahl, sondern nur eine Anzahl von Fingern, Finger der Hand und des Fußes ; nicht sein Geist ist e s , welcher, vom Drange nach dem Unendlichen getrie­ ben , zu jeder bestimmten Anzahl immer noch darüber hin�usginge und aus sich selbst Eins hinzufügte ; sondern die existierenden Einzelnen, die Dinge der Natur führten ihn von Eins zu Eins, vom kleinen Finger zum Daumen, von der linken zur rechten Hand, von der Hand zum Fuß , von einem Men­ schen zum andern ; nirgends griff er freigestaltend ein , sondern kroch an der Natur umher. Der Neger zählt nicht ; er mißt. Mit seinen Fingern und Zehen mißt er die Anzahl der zu zählenden Dinge ; statt die Dinge zu zählen , legt er gewissermaßen seine Finger und Zehen an sie , wie eine Art Elle. Hier, sagt der Neger, ist eine Vielheit gleicher Dinge, die ich mit den Fingern der linken Hand, oder mit ihnen und drei Fingern der rechten decke ; dort ist eine , die ich mit den Fingern und Zehen von zwei Menschen decke ; u.s.w . . Das ist nicht die That, die unser Geist übt, wenn er zählt. Gewiß lernten auch die sanskritischen Völker an den Fingern zählen ; sie lernten an den beiden Händen den Rhythmus der sich wiederholenden Reihe und die Zusammen­ setzung kennen. Aber die sanskritischen Völker haben diesen Rhythmus des Fortschrittes und die Kunst der Zusammensetzung auch wirklich begriffen die Negerstämme nicht ; jene haben den Unterricht, den die Natur selbst ihnen gegeben, dazu benutzt, die Natur ideal fortzusetzen und durch Addi­ tion und Multiplikation, und , indem sie vom Gezählten völlig abstrahierten , die Anzahl zur Zahl zu gestalten, der Neger betastete sich, ohne zu lernen". Man ist in diesen Sprachen nicht über das bloße Abbilden einer Menge auf eine andere , vorgegebene hin , hinausgekommen. Es trägt die Reihe dieser Aggregatsbezeichnungen nicht sich selbst. Es ist zwar hier auch eine Ordnung der erfaßten Aggregate erreicht, aber die Reihung bleibt dem in ihr Erfaßten äußerlich , sie ist bezogen auf eine sachlich ganz andere , von ihr unabhängige. Es würde sich , worauf oben schon hingewiesen wurde, nicht prinzipiell etwas ändern , wenn durch eine Laune der Natur ein derartiges Aggregat sowohl auf der abgebildeten wie auf der abbildenden Seite fehlen würde. Das würde, wenn in beiden Reihen es nicht realisiert oder realisierbar wäre, hier die Sys­ tematik in keiner Weise stören . Eine solche Annahme wäre für eine echte Anzahlenreihe schlechthin sinnlos. Man könnte mit solcher Systematik auch wohl ein "Ebensoviel" mitteilend an Hand geben, aber nicht wie bei der An­ zahlenreihe ein "Soviel ". Es gibt keinen sachlichen Obergang vom Modus der einen Reihe in den der anderen. In rassischer, kultureller, historischer und geographischer Unabhängigkeit von diesen Sprachen präsentiert sich die Aggregatserfassung-und Mitteilung auch im Bereich der Südseeinsulaner in ganz analogem Modus. So ist es etwa bei den Murray-Insulanern: Sie haben nur zwei eigentliche Aggregatsworte (netat für 1 ; und nais für 2 ) , aus denen sie weitere nur durch Addition bilden (nair etat 3 ; neir neir 4; etc., oder in anderen Distrikten dieser Gegend etwa: urapun für 1 , okosa für 2 ; und entsprechend dann okosa-urapun für 3 , okosa-okosa für 4, okosa-okosa-urapun für 5 , okosa-okosa-okosa 6 . Dar=

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überhinaus dann vab gleich viel. Daneben aber gibt es auf den Murray-Inseln und überhaupt in diesen Bezirken (wie bei den angeführten afrikanischen, amerikanischen und grönländischen Volksstämmen) ein System des Abbildens auf die Glieder des eigenen Körpers, beginnend mit dem kleinen Finger der linken Hand über Arme und Schultern verlaufend bis zum kleinen Finger der rechten Hand. Das hat in anderen Sprachen dieser Gegenden seine Analoga. Und es ist dabei so , daß die dabei �brauchten oder begleitenden Zahlwörter lediglich die Bezeichnung der Körperteile sind, bis zu denen zugeordnet und zusammengefaSt ist, in einer Folge, die auf den Körper in fest bestimmter Weise vorgängig geortet und antizipiert ist. Auch hier handelt es sich um bloße Abbildung von Aggregaten auf eine präkonzipierte Reihe anderer ; einer Reihe aber, die nicht aus ihren Elementen methodisch sich entwickelt, sondern von außen her durch den Körper zusammengehalten ist. 1 74 Wie wenig diese Aggregatsbezeichnungen der Südseeinsulaner echte Zahlworte sind, und wie wenig sie sich auseinander entwickeln , und wie sehr sie auf gegenständliche Träger (die durch die Zufälligkeit Glieder desselben Körpers zu sein , zusammengehalten werden) angewiesen sind, zeigt sich sehr gut in einem Papua-Dialekt Neu-Guineas. Es sind hier Mehrheitsbezeichnun­ gen in folgender Art im Gebrauch : 1 75 Für 1 anusi (kleiner Finger der rechten Hand) 2 doro (rech ter R ingfinger) (rech ter Mittelfinger) 3 doro (rech ter Zeigefinger) 4 doro 5 ubei (rechter Daumen) 6 tama (rech tes Handgelenk ) (rech ter Ellenbogen ) 7 unubo 8 znsa (rech te Schulter) 9 denoro (rechtes Ohr) 10 diti (rech tes A uge) 11 diti (linkes A uge ) 12 medo (Nase) (Mund) 13 bee 14 denoro (linkes Ohr) 15 vzsa (linke Schulter) 16 unubo (linker Ellenb ogen) 17 tama (linkes Handgelenk ) 18 ubei (linker Daumen) 19 doro (linker Zeigefinger) =

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1 74 Hunt, Murray islands; Torres Straits Ooumal of the Anthropological Insti tute , XXVIII , p. 1 3 , London) ; Haddon, The west tribes of Torres Straits , J . A. I., XIX, S. 30 5-306. The Carnbridge Expedition to Torres Straits, III , 4 7, 86-8 7 , 323, 364; L. Levy·Brühl, Das Denken der Naturvölker, Wien u. Leipzig 1 9 26 , S. 1 58 - 1 60. 1 7 5 The Cambridge Expedition to Torres Straits , III, S. 3 64 ; L. Levy-Brühl, a.a.O., S. 1 6 2 .

Abbildhafte Erfassung von Mehrheiten

131

20 doro (link er Mittelfinger) 21 doro (linker Ringfinger) 22 anusi (link er Kleinfinger) Diese Aggregatsbezeichnungen wären unverstehbar ohne den Bezug auf die Körperteile in bestimmter präkonzipierter Reihenfolge ( derart , daß die genannten Glieder die Grenze der Mengen angeben, mit denen verglichen wird in einem "Ebensoviel" ). Ohne solchen deictischen Bezug würden für das Wort doro sechs Bedeutungen möglich sein und für die übrigen , mit Ausnah­ me von medo und bee, je zwei; differenziert nach linker und rechter Körper· seite. Es handelt sich auch hier lediglich um die äußerliche Zuordnung von Aggregaten zu Aggregaten , von Mengen zu Mengen , nicht um die innere Ent­ wicklung der Begriffe a�seinander. (Auch ein Einschleichenlassen der "Eins" würde hier nicht weiterführen . Die "Eins" ist selbst eine Anzahl und nur aus der Anzahlenreihe und ihrer Methodik zu verstehen. Von sich aus ist ein Ge­ genstand oder ein Dies oder ein Etwas nicht auch "Eins". Es fällt nicht ohne weiteres von den Gliedern des eigenen Leibes aus der Anzahlcharakter an und ist nicht daraus zu verstehen . Gewiss aber ist es so, daß der eigene Leib eine zentrale Stellung einnimmt in d'er Welt, in die man gestellt ist ; und daß die auf ihn hin, und der aus ihr verstanden wird . Im irra­ tionalen Verflochtensein in die Welt wird vom eigenen Ich aus auch der andere Mensch als Mensch verstanden und die Tiere und Pflanzen als Lebe­ wesen . In mythischmystischen Zusammenhängen versuch t der Primitive auch die toten Gebilde der Umwelt zu durchleben und zuletzt und letztlich füllt sich auch der kahle exakte Kraftbegriff der Psyche anthropomorph auf. Aus diesen Zusammenhängen her haben die Hände, mit denen man in der Um­ welt hantiert, ihre besondere Bedeutung; in der Mitte zwischen dem Ich und dem umweltlieh Gegenüberliegenden. Man partizipiert mit und in ihnen an der Natur. Man lebt in ihnen, hat sie aber zugleich als aktuell durchlebte Um­ welt . Man vermag in ihnen und auf sie hin so etwas wie Mengen unmittelbar sich einzugleichen. Und im Hinblick auf sie Umweltliebes in Durchgliederung zu erfassen. Das macht ihre vitale Bedeutung aus. Die quinaren , dezimalen und vigesimalen Systeme sind Zeugnis dafür. Dies An-und Eingleichen von Mengen auf die Glieder des Körpers ist, abgesehen von der praktischen Mög­ lichkeit , so mitzuteilen und festzuhalten , von großem emotionalen Wert ; ein unbewußter Modus, sich im Gleichgewicht zu halten zu dem , was begegnet. Es ist eine der vielen Formen sich die Welt zu verlebendigen , sich zuzueignen und sich einzugleichen . Von dorther, aus diesem vitalen Gestelltsein in die Welt, wurde von Cas­ sirer, Wertheimer und Levy -Brühl versucht, das, was die Zahl ist, zu fassen. Ihre Befunde sind von sehr großer anthropologischer Bedeutsamkeit, doch laufen sie und die Schlüsse daraus am Wesen der Anzahl vorbei. Auch die Finger und sonstigen Glieder des Körpers stellen sich als Aggregate , mengen­ mäßig ; wenn auch als Aggregate von besonderer und auch über die bloße Mit­ teilungsfunktion hinausgehenden vitaler Bedeutung. Und da hilft auch die

1 !1 2

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Zuordnung von Aggregaten zu anderen Aggregaten nicht weiter, von fester, und die andern ausschließenden, Bindung der sie konstituierenden Elemente aneinander (wie ein rein mechanisches Anbinden von Etwas an ein anderes Etwas im Aus-und Abschluß gegen weitere Etwas) . Und auch nicht die Zu­ ordnung zu einer Standardreihe solcher Aggregate. Man würde so nicht über ein "Ebensoviel" hinauskommen zu einem soviel. Lediglich ein "gleichgroß", "kleiner" oder "größer" von verglichenen Mengen würde in Sicht kommen. Auch für eine Standardreihe von Aggregaten, gleichgültig welcher Art immer sie sei, besteht das Problem weiter und bricht von Neuern auf; läßt aber nicht so etwas wie Anzahligkeit in Sicht kommen. Nicht einmal die Lückenlosig­ keit, wie sie der echten Anzahlenreihe eignet, wäre durch solche Standard­ reihe aus der selbst heraus garantiert. Auch b ei abstrahierendem Vergleich aus qualitativ tingierten Mehrheiten bleibt nicht so etwas zurück, wie die abstrakte Anzahl bei der qualitativen Abstraktion ; von einer Menge bleibt immer nur eine Menge, in diesem Fall von "Etwas" zurück. Darüberhinaus sind natürlich aber die qualitativ-anthro­ pologischen Bezüge von größter vitaler Bedeutung. Das Umweltliehe fällt ja primär in sachlich qualifizierten Aggregaten an ; in einem bunten sachlich und vital tingierten Durcheinander. Die Stärke des sinnlichen Eindrucks vermag dabei in den Vordergrund zu drängen und die Mehrheitsbezeichnungen qua­ litativ auch sprachlich zu bestimmen. Dera,rt , daß für verschiedene Arten von Gegenständen verschiedene Zahlwortreihen im Gebrauch sind . So werden in verschiedenen westkanadischen Idiomen verschiedene Zahlworte gebraucht, j e nachdem für platte, runde , lange etc. Gegenstände. 1 76 Wie etwa im Tsim­ shian, wo für das Zahlwort 1 bei platten Gegenständen gak , bei runden g'erel, bei langen k 'awutskan , bei Menschen k 'al, bei Booten k 'amalt, bei Maßen k 'alt und für das Zahlwort 2 bei platten Gegenständen t 'ep quat, bei runden goupel, bei langen gaopskan , bei Menschen t 'epquadal, bei Booten g'alpeelk , bei Maßen gulb el verwendet wird usw . . Daneben aber gibt es hier noch eine Zahlwortreihe, die für alle Gegenstände (und auch alle diese) gilt. Analoges findet sich bei den benachbarten Stämmen, so etwa im Heitsuk­ Dialekt, für 1 Lebewesen menok , bei Rundem menkam , bei Langem ments'ak, bei Plattem menaqsa ; für 2 entsprechend maalok, masem, mats 'ak, matlqusa und zwar in weitergehender Spezifikation (Tage , Schalen, Gruppen, Schachteln etc.) 177 So können auch in einem anderen dieser Dialekte , Kwa­ kintl, die Zahlworte sachliche Nominalrudimente als Suffixe annehmen und so auf eine nicht beschränkte Zahl differenzierter Klassen sich ausrichten; um diese Klassen in den Zahlworten zu antizipieren. 1 78 Auch im Bereich der Melanesischen Sprachen findet sich solche generische Tinktion der Aggregatserfassungen und eine klassifikatorische Gruppenbil1 76 Fr. Boas , Handbook of American Indian Language, Bd. I, S. 396. 1 7 7 Fr. Boas, The N. W. tribes of Can ad a. Reports of the British Association for the advancement of sciences. S. 65 5-656. 1 7 8 Levy-Brühl, a.a.O. , S . 1 70.

Abbildhafte Erfassung von Mehrheiten

133

dung innerhalb des auf seine Quantität hin angegangenen. 1 79 S o werden etwa im Viti verschiedene Worte (neben den sonstigen Zahlworten) gebraucht, je nachdem es sich um Kokosnüsse, Canoes, Fische etc. handelt. a buru 10 Kokosnüsse 1 0 Canoes a udundu 1 0 Fische a b ola Wie sehr die Sachgebundenheit in der Aggregatserfassung-und Auffassung tragend sein kann , und daß nicht nur das Quale der Elemente , sondern auch ihre "äußere Konstellation zueinander hier von Bedeutung ist , zeigt sich z.B. etwa im Klamath , wo , je ihrer Art nach , die Gegenstände ausgebreitet sein müssen oder in Schichten übereinander gelegt oder in Reihen geordnet oder zu Haufen geworfen werden müssen, um Aggregate von ihnen als fest spezi­ fizierte Mehrheiten zu erfassen und zu verstehen ; und wo das auch einen entsprechenden sprachlichen Ausdruck erhält. Der abbildhafte Charakter dieser Art von Aggregatsverstehen ist hier besonders deutlich . 1 80 (Eine solche Sachgebundenheit klingt auch im Deutschen noch nach, in manchen unbestimmten Mehrheitsworten zum Wenigsten. So spricht man von einem "Haufen ", nicht aber von einer "Gruppe" Steine ; im Gegensatz zu einer Menschen- "gruppe", aber von einer ganzen "Reihe" von Häusern. Man spricht von einer Verbrecher "rotte" ; aber gebraucht das Wort "Rotte " nicht für ein Kardinalskonzil oder für eine Stammtischrunde. Man spricht von einem "Schwarm" Vögel , ab er nicht von einem Schwarm Kühen. Den Aus­ druck "Herde" wendet man wohl für Schafe an , aber nicht für Hühner. Be­ sonders die in relativ primitiven Umweltsbeziehungen stehende Jägersprache ist reich an solchen spezifischen Kollektivausdrücken: Eine "Kette" Rebhüh­ ner, ein "Sprung" Rehe , ein "Rudel" Rotwild etc . . Da es sich um unbe­ stimmte Mehrheiten handelt , sind die Differenzen der absoluten Anzahlen ihrer Elemente dabei irrelevant ; und umgekehrt ermöglicht die Gleichheit solcher Anzahlen noch nicht den Übergang in eine andere dieser Fassungen, oder bringt die gar mit sich .) =

Die quantitative Erfassung eines Aggregats bei melanesischen , afrikanischen und amerikanischen Idiomen hat abbildenden, auf die qualitative Gestaltung des Konglomerats abgestellten , Charakter. Das ist anders bei einigen hinterindischen und ostasiatischen Sprachen , trotzdem auch hier eine qualitative Tinktion des ZusammengefaSten weitge­ hend die Mehrheitsauffassung bestimmt und den äußeren Aspekt dieser Sprachen beeinflußt. (Weshalb man geneigt sein konnte, auch hier einen blossen Abbildungscharakter zu sehen.)

1 7 9 H. von der Gabelentz, Die Melanesischen Sprachen, S. 2 3 . 1 80 Cf. dazu : S. Gatschel, Klamath-languagc, S . 53 f. ; Cassirer, a.a.O., S. 1 84f.

1 34

Anhang

Das gilt insonderheit für die monosillabischen Sprachen und ist hier wohl durch die grammatische Struktur bedingt oder mitbedingt. Das findet sich aber auch im Japanischen und Koreanischen ; meines Erachtens infolge der kulturellen Dominanz des Chinesischen in diesen Sprachen . ( So gebrauchen die Koreaner abgewandelte chinesische Zahlworte mit für das Chinesische charakteristischen Stützworten, doch werden von den koreanischen Kran· kenschwestern hier am Krankenhaus auch genuine koreanische Zahlaus· drücke ohne solche Anlehnung verwendet. ) Es wird in diesen Stützwörten eine (unter irgendeinem Gesichtspunkt) anticipierte Spezies vorerlaßt dessen, was gezählt werden, oder worunter etwas gestellt werden soll . Es wird h ier etwas in einzelnen, auffälligen oder wichtigen Eigenschaften aufgegriffen und qualitativ vorgefaßt, das dann in den eigentlichen Substantiven weiter spezifiziert wird : Allgemeingegenstände, die als gezählte dann sachlich weiter aufgefüllt und differenziert werden. So tritt im Mikirdialekt des Barmanischen an das eigentliche Zahlwort bei Per· sonen das Wort hang, bei Tieren jon, bei Bäumen und aufrechten Gegen­ ständen pak, rong bei runden pum etc . . 1 87 Und ähnlich auch im Rang-Khol. Eine besonders phänomenal differenzierte und subtile Ausbildung hat die Systematik dieser Stützworte 1 8 2 im Chinesischen erhalten. So etwa nach Fr. Müller: wei ( Würde) bei Mandcpinen, Gelehrten, aber auch Kanonen ; wei (Schwanz ) bei Fischen ; jän (Auge) bei Rädern ; tso (Sitz ) bei Häusern , Tem­ peln , Bergen, Glocken ; tin (Spitze) bei Hüten, Türmen, Schirmen ; th ou (Kopf) bei Tieren ; thjau (Ast, Etwas in die Länge gezogenes) bei Schlangen , Drachen, Stricken, aber auch bei Hunden und Füchsen ; pa (Handhab en ) bei Messern , Stühlen ; mjän ( Gesicht) bei Spiegeln, Fahnen ; khou (Mund) bei Menschen, aber auch bei Glocken, Kisten Körben ; etc. etc . . So sagt man etwa: ]i 'k hou zin (ein Mund-Mensch ) oder ]i'wei yu (ein Schwanz-Fisch ) usw . . Für das J apanische führt Hoffmann 1 6 solcher Stützworte an, mit dem Hinweis, daß de facto ihre Liste erheblich größer ist. 1 84 (Wir haben dergleichen in freilich

1 8 1 P. Grierson , Linguiste survey of India 111, S. 1 1 8 , 1 84. L. B. Levy-Briih l a.a.O., S. 1 7 2. 1 8 2 Der in den Grammatiken gebräuchliche Ausdruck "Numerative" dafür wurde absicht­ lich vermieden. Um irgendwie Zahlhaftes handelt es sich ja nicht bei diesen klassifika­ torischen Vorerfassungen. Das zeigt sich auch daran, daß sie nach den Demonstra­ tivpronomen obligatorisch sind. Auch der an der englischen und amerikanischen Literatur sich anbietende Terminus "classifier" ist in Varianten vorbelegt. So m ag denn hier provisorisch von Füllworten oder Stützsilben gesprochen werden. 1 83 Fr. Müller, Grundriß der Sprachwissenschaft 1 8 80 Bd. II, Abt. II S. 4 1 3 ; Liu Mau­ Tsai, Deutsch-chinesische Grammatik. 1 9 64 Berlin, S. 5 - 1 1 , S. 1 40- 1 42 ; B. Karl­ gren, Schrift und Sprache der Chinesen, 1 9 7 5 Berlin, S. 25 , 26 ; Juen Ren Chao, 1 968, A Grammar of spoken Chinese, S. 5 0 7 , 5 54ff, 568, Stephan Endlicher, An­ fangsgründe der chinesischen Grammatik. Wien 1 845, S. 24 1 , 242 ; Wilh. Schott, Zur Chinesischen Sprachlehre. Berlin 1 8 5 7 , S. 1 54, 1 5 5 . 1 84 1 . J . Hoffmann , A Japanese Grammar, Leiden 1 868, Kap . IV § 3 7 , S. 1 4 8 , 1 4 9 .

Abbildhafte Erfassung von Mehrheiten

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sehr beschränktem Grade ja auch bei uns, wenn wir etwa von "einem Blatt Papier" oder "drei Stück Rindvieh" sprechen.) Auch lexikalisch, als selbständige Formen, bedürfen die chinesischen und japanischen Zahlworte der Anlehnung an Gegenständliches, in solchen Stütz­ worten. So wird im Chinesischen das Wort ka (im Sinne etwa von "Stück" suffigiert . 1 85 1 Ik Ka 2 Ni Ka 3 = San Ka 4 Ka etc. Si Und im Japanischen das Wort tsu = Stück (ursprünglich Stück Bamb us) 1 86 tsu 1 = fito 2 tsu fu ta tsu mz 3 4 jo tsu etc. Diese Füllworte oder Stützsilben sind im verstehenden Gebrauch abge­ blaßt. Sie haben aber substantivischen Charakter, der sich sachlich auffüllt und weiter differenziert durch das Quale der gezählten und gemeinten Ge­ genstände. Sie terminieren, insonderheit das Ka und das tsu in einem Soetwas-wie. Schon daß sie in den je einzelnen Anzahlen als je Mehrfaches gebunden sind und so in einem Plural auftreten können, zeigt ihren Soet­ wascharakter. Solche Stützworte und mit ihnen die in ihnen vorerfaßten eigentlichen Sachworte haben gegenständliche Bedeutung. Demgegenüber haben im Chinesischen die vorangestellten abstrakten Zahlworte sensu strenuo ( also etwa 2, 3, 4 etc.) rein pragmatischen Charakter ; sie sind bloße Zählworte. Das Soetwas und das Sooft sind hier auseinandergetreten. Im chinesischen Multiplikator können die Zählworte (Malzahlen) isoliert auftreten oder aber mit einem B eiwort 1 8 7 unklarer, doch wohl sicher nicht substantivischer, Ge n ese verb unden werden; wie das etwa unserem "mal" oder dem griechi­ schen kis entsprechen würde. (Im Multiplikator können echte Substantiva ja nicht auftreten .) Es liegt hier eine echte arithmetische, nicht nur abbil­ dende Struktur vor.

1 8 5 Hoffmann, lbd., S. 1 50. 1 86 Fr. Müller, Grundriß der Sprachwissenschaft, Bd. II Abt. II S. 3 1 4. 1 8 7 Martin Piasek, Elementargrammatik des Neuchinesischen , Leipzig 1 9 5 7 , S. 33 .

NAMENREGISTER

Anselmus 5 8 Aristoteles 8 2 Bain, A . 2 2 , 2 4 , 2 5 , 2 7 , 2 9 , �o. 3 4 , 4 0 , 4 1 Batchelor, J. 1 07 Baumann, J . 30 Bleek, K. 1 2 0 Boas, Fr. 1 32 Bö thling, 0. 96 Bois-Reymond,P. du, 4 7 Bopp, F. 1 04, 1 0 7 Bowen, T . 1 2 8 Braune, W . 1 04 Brooke, W. 1 2 7 Buschmann, I . 9 6 Cambridge Expedition t o Torres S traits 1 3 0 Cantor, G . 1 0, 4 1 Cassirer, E. 1 1 6, 1 24, 1 25 , 1 2 8 , 1 3 1 , 1 3 3 Chao, J. R. 1 34 Comte 7 8 Conrad-Martius, H. 79 Dedekind, R. 3 0, 3 3 , 34, 3 5 , 36 Dilthey, W. 67 Dobrizhofer, M. 1 1 6, 1 1 7 , 1 1 9 Dürer, A. 1 44, 1 1 6 Einstein, A. 7 8 Endlicher, S t. 1 34 Erdmann, B. �2 Ermann, J. 97, 125 Euklid 36, 1 1 2 Frege, G. 1 5 , 2 6 , 3 8 , 5 0 , 5 3 , 54, 5 5 , 5 7 , 5 8 , 5 9 , 1 03 Gablentz, v.d. , G. 1 2 5 Gablentz v.d., H. 9 6 , 1 2 1 , 1 3 3 Gatschel, S. 1 3 3 Gauss, K . Fr. 3 2 Geyser, J. 8 3 Grey, G . 1 2 0 Grierson, P. 1 34 Haddon, A. 1 30

Hamilton, W. 2 2 Haw trey, S. H. 1 2 7 Hegenbarth, H . 65 v. Helmholtz , H . 30ff. Hobbes, Th. 3 6 , 3 7 , 3 8 , 46 Hoffmann, J . 96, 1 34, 1 35 Holbein, H. 1 1 4 v. Humboldt, W. 9 6 , 1 2 5 Hume, D. 7 8 Hunt, A. 1 3 0 Husserl, E . 1 5 , 2 5 , 40, 42-46, 48, 5 1 , 5 9 , 7 8 , 8 3-86 J evons, S t. 46-48, 5 7 , 93 Kambly , L. 1 09 Kant, I. 6 6 , 8 0- 8 2 Karlgren, B. 1 34 v.d. Kemp 1 1 5 Kleinschmid t, S. 1 2 6 , 1 2 7 Köhler, 0. 1 2 5 Köpp, G. 3 6 , 42 Kronecker, L. 30- 3 6 Lange , F. 2 2 , 2 7 -29 Languth, H. 1 09 Leibniz , G. W. 2 5 , 3 6-40, 42, 5 9 , 1 09 Leonardo da Vinci 1 1 6 Levy-Brühl, L. 1 1 9 , 1 2 8 , 1 3 0, 1 3 1 , 1 32 Lichtenstein, H. 1 1 5 Liu-Mau-Tsai 1 34 L ocke, J . 2 5 , 36-3 8 , 54, 7 8 Mach, E . 7 8 Mantegna, A. 1 1 6 Meinhof, S. 1 24, 1 2 8 Mill, J . 2 5 Mill, J . S t. 22-30, 34, 4 1 , 5 7 , 5 9 , 7 8 Müller, Fr. 96, 9 7 , 1 0 7 , 1 1 6, 1 2 0 , 1 2 6 , 1 2 7 . 1 34, 1 3 5 N atorp, P. 3 5 , 3 6 , 5 8 , 1 09 N ew ton, I. 3 2 , 34 Piasek, M. 1 35 Planck, M. 7 8

Namenregister P1aton 8 2 Pott, A . F. 1 1 5 , 1 1 6

S tolz , 0 . 4 1 S tresemann 1 2 5

Reinach, A. 79 Reinisch, L. 1 2 8 Rembrandt 1 1 6 Reyer, W. 5 9 , 84, 8 5 Rickert, H . 8 Ridly, W. 1 2 0 Riehl, A . 6 7

Tamamuski, S. 1 34 Thaer, A. 34, 1 09 Thalbitzer, W. 1 2 7 Thomasium, J . 3 8 Tschudi, I. 9 6 Tylor, E. B. 1 4 Ueberweg, F r . 4 6

Schlegel, I. B. 1 2 8 S chongauer 1 1 4 Schopenhauer, A. 66 Schott, W. 1 2 5 , 1 34 Schröder, E. 40-43, 45 Schwarz , B. 9 2 S teindorf, G . 1 2 5 S teintal, S. 48 , 1 2 8

Wertheimer, M. 1 2 8 , 1 3 1 Westermann, S . 1 2 8 Winkler, H. 1 2 5 Wittstein, Th. 1 09 Zeller, E. 3 1 , 3 2 Zimmermann, I . A. 1 28

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SACHREGISTER

Die Anzahl nicht einfach A b b ildung eines Conglomerats von Individuellen 1 09 A b b ildung eines System s in sich selbst (bei Dedekind) 3 3 Mehrheitserfassung der A b iponier (Paraguay) 1 1 6 Die Z ahl als abstrakte Figur (bei Mill) 2 3 abstrac t nom ber als "empty Form of differenz" (bei jevons) 47 Das Aggregat oder Mehrheit (als Zusammenschluß je gegeneinander selbständiger Ele­ mente; im Gegensatz zum gestalthaften Gebundensein der Elemente etwa im Ding) 1 1- 14 Anzahlcharakter im A inu, betont durch Fügw orte 1 0 7 Mehrheitserfassung durch Abbildung i n fester Reihenfolge auf Körperteile i m A k ra (zu den Ewesprachen gehörig) 1 2 8 A llgem ein-Gegenstand (kein Abstraktionsprodukt, nicht vom Individuell-Phänomenalen aus faßbar, Reflex eines Vorkommens) 3 3 Pluralcharakter i m A ltägyp tischen 9 7 A m bivalenz der Zahl (wird unter der Vertauschbarkeit der Faktoren manifest. Unter ihr steht z.B. das Divisionsresultat entweder als Menge oder als Relation von Mengen.) 1 1 0 Das A ndere (nach Blickwendung vom Dies zu Jenem relational sich absetzend) 5 Mehrheitserfassung der A nnatomier, ursprünglich rohe abbildende; die aber unter europäi­ schem Einfluß anzahlmäßig wurde. Melanesischer Dialekt 1 2 1 I n der A nzahl wird ein S oetwas unter einem in ihr latenten "S o-oft" (als der Malzahl) gegenständlich fest 1 03 , 1 05 negative A nzahlen (Angaben durch das pragmatische minus getragene Methodik mögliche positive Mengen in den Griff zu bekommen) . Es gib t nicht von sich aus negative Mengen 1 05 , 1 06 apriorische A llgem eingültigkeit von analytischem oder synthetischem Charakter, nicht durch Induktion faßbar. Mit dem S oetwas des Vorkommenden an Hand gegeben 7 8 ff. Die A rt, kein Abstraktum sondern von existentialem Wert. Vermag S chicksale zu haben und lokalisiert zu sein, bleibt aber unabgeschlossen; ein Vorkommen in ihr gegenständ­ lich fest geworden. Geht nicht auf in der Gesamtheit ihrer Exemplifikationen und gib t sich als Totum nicht in einer eigenen Leibhaftigkeil 89ff. Qualitative Abbildung der Mehrheit in der Ban tu-sprache 1 24, 1 2 8 Mehrheitserfassung im Barmanischen 1 0 7 Bedürfen (eröffnet einen Weg auf das Transcendente hin. In ihm ist der Bereich von transcendentem x als Bereich vorgegeben. Transcendentes setz t immer schon das Wis­ sen um Transcendenz voraus. In ihm öffnet sich primär der Blick auf 'ein lchfremdes, vom Ich Abgesetz tes) 6 8 ff. Begriff, Wortbedeutung. Nicht Vorstellungscharakter, auch keine Relationsvorstellungen, nicht Summe von Merkmalen. S ondern im Wort verhaltenes Hindeuten und S chema eines Verhaltens zu etwas von pragmatischem Charakter. Hinweisende Bedeutung eines S achworts 50, 7 5 primitiver Aufbau des Mehrheitsverslehens i m Buru 9 7

S achregister

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Chikitas s. Tsikitos Dajak (auf Bomeo) abbildende Pluralbildung; Zahlw ort für 1 synonym mit unbestimmtem Artikel 9 5 , 1 2 7 Die Dasselbigkeit im Gegensatz z u Gleichheit und Mehrfachheit 3 3 , 3 6 Deixis hindeutend, im Dies terminierend 4 Der Dezimalcharak ter (bei uns) 1 2 7 Das Dies (hindeu tend und vorerfassend, gegenständliches Correlat der (Dies-) Dei"xis 3ff. Scheinproblematik des Ding an sich 7 0 Differenz von S ingular und Plural nicht sprachlich ausgedrückt im Dippil 9 7 Discreta in sich geschlossen und abgesetz t von anderem. Zusammenfaßbar in Aggregaten und Mengen. In Gestaltungen z.B. Dinge hinein sich auflö send und verlierend 1 2 , 1 8 Charakter der Division 1 08 Der Dualis (und Trial) dazu Cassirer 1 24 Ebensoviel (relationaler Charakter von Mengen und Aggregaten zu anderen; im Gegensatz zum S oviel) 2 0 Das Ein als unbestimmter Artikel (Versuch Husserls von hier das Eins z u fassen) 44 Einheit (als Unzerlegb arkeit genommen bei Köpp ; fällt nicht vom Objektiven schlicht an. Hat "semimentale S truktur" im Sinne von Leibniz) 36, 3 7 Die Eins (Versuch bei Frege sie als Quantitatives aus Qualitativem abzuleiten; Husserls Versuch sie aus dem unbestimmten Artikel auf das E twas hin zu fassen) 44, 7 5 Elem ent leeres C orrelat eines Hindeutens; als bloße Constituentien Conglomerate summierend 9, 1 0 Plural am Encounter Bay durch Demonstrativ-abkömmlinge 9 7 Enthaltensein (bei Dedekind) 3 3 Erwartungsvorstellungen und Erinnerungsvorstellungen keine Abbildungen 8 8 Essentialer Charak ter (im Gegensatz zum Existentialen) der konstituierenden Elemente als unselbständige Teile eines größeren Ganzen 7 9 Essentialer Charak ter der Einheit (gegenüber dem existentialen Wert der Eins) 3 7 e talon die E inheit s o undiskutiert hingenommen z.B. bei Sehröder und weitergegeben 4 1 Etwas (in ihm das Dies als bloße Möglichkeit latent, in unvollzogener Dei"xis) 4 Abbildlicher Multiplikationscharakter in der Ewe sprache 1 09 , 1 2 8 existen t i m Sinne. des "es gib t" sowohl das fü r ein aufsuchend Bereitliegende wie das der Möglichkeit nach von sich aus Begegnende; sowohl Vorhandenes wie Vorkommendes 72 Existentialer Charak ter 1 9

Die Anzahl als Figura incorporea (bei Leibniz) 39 Fitschi s. Viti Gefühle (in ihrer quantitativen S tärke je als Ganze nur erlebbar) 1 8 Vitale Gewich tigkeit 6 7 , 68 Gleichgewicht in anthropologischer Bedeutung 1 1 5 Gleichzahligkeit (im Gegensatz zur Gleichmächtigkeit Cantors) 1 8 Der Ausdruck des Multiplikators im Go tischen 1 04 Grade Linie (von sich aus Richtung: aus vorplanimetrischem Bereich, nicht erst aus ande­ rem geometrischen Gebilde verstehbar. Auch nicht aus der Buklidsehen Definition 1 12, 1 13 Grundglied, Gegenglied, Endglied (bei Natorp) 3 5 zur Dualbildung auf Hawai 1 24 qualitativ tingierte Mehrheitsworte im Heitsuk Dialekt 1 32

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Mehrheitserfassung der üetzt ausgestorbenen) Anwohner des Hunter-river (Australien) 1 19 Ichfremdheit (als gegenweltliche Selbständigke it, in realer Transcendenz gründend im Bedürfen) 68 ideierende A bstrak tion (bei Husserl) 8 3 imaginäre Zahlen 1 05 Mehrheitsbezeichnung der Indianer des Chak o 1 2 7 Individuelles (in seiner vollen Gänze unter einem Dies Aufzugreifendes) 6 1 redublicierende lntensivu:rung in der In�asprache 9 6 abbildliehe Mehrheitserfassung der Innuit 1 2 7 inseparable association (bei Mill) 2 2 Irgendein (kein Anzahlcharakter i m Sinne der "Eins") 1 3

Plural der Jaku ten 9 6 Jenes wie das "dies" auch das ,jenes" unter die freiwillige Zuwendung gestellt, im F ort­ sehen vom "Dies" 7 Abbildcharakter in der Joru basprache (zu den Ewesprachen gehörig) 1 2 8 Plural i m Kam illaroi (australischer Dialekt) 9 7 Klamath Abbildcharakter nach den F ormen des z u erfassenden Gegenständlichen 1 3 3 Primitivität des Kogaba (australischer Dialekt) 9 7 Kollek tive Verbindung (nicht relational) b . Husserl 4 3 Mehrheitserfassung bei den Koossaern 1 1 5 vitaler Wert der linearen Kurve 1 1 1 Im Kwakin tl (einem westkanadischen Dialekt) können die Zahlworte sächliche Nominal­ rudimente annehmen 1 32 Aggregativer Charakter der Mehrheitserfassung in der Sprache am Lake A lexandrina (australischer Dialekt) 1 2 2 Mehrheitserfassung bei den Lakoniern (einem melanesischen Idiom) 1 2 0 Lau thaufen z.B. Abrakadabra 5 1 Leibhaftigkeit (entfallend fur die Art) so wie Individuelles und Soetwas in ihrem eigenen Selbst sich zu geben vermögen 9 8 Lückenlosigkeit der Zahlen und Anzahlen 20, 2 6 Im Macquarie (Sprache der E ingeborenen a m Lake Macquarie) Plural und Singular nicht sprachlich different 12 0 Mehrheitserfassung im Mahaga der Isabelinsel ähnlich dem Melanesischen und MalayoPolynesischen 1 2 2 Im Malayischen Redublication von Sachwerten auch zur Pluralbildung 95 Malzahl Angabe des pragmatischen "Wieoft" 1 05 , 107 Abbildlichkeit im Mandingo (Mande-Negersprache) ohne abstrakte Zahlvorstellung 1 2 8 Manifestationsbreite der Art (im Gegensatz zum S treuungsfeld des S oe twas 89 Dualis im Maori 124 Mehrheitserfassung im Mare in roher Abbildlichkeit 1 2 1 Materialität gegenüber formalem Substanzcharakter Reflex eines Bedürfens, vitale Ge­ wichtigkeit 6 7 f. , 7 0 S achwerte der melanesischen . Idiome meist ohne Rücksicht auf Einzelheit und Mehrheit gebraucht 9 5 Menge (Elemente i n ihr selbständig.) Nicht i m Sinne einer unbestimmten Anzahl ge­ braucht. Keine innere Gestaltung. Dei"ctisch gegründete Sachüberhobenheit. Cantars Definition der Menge 1 0- 1 3 Menge von Mengen 1 0- 1 6

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Mexikanische Sprachen Vigintesimalsystem 1 2 7 objektive Möglichkeit keine Qualität oder Beschaffenheit, Freisein von Widersprüchen not­ wendig, doch nicht ausreichend. Anstehen aus der Welt her zur leibhaften Begegnung 7 l ff. reale (objektive) Möglichkeit unter der etw as, wie von sich aus, anfallen kann. Konsti­ tutiv für Vorkommen und dann auch die Art 7 2 vitale (objektive) Möglichkeit, die ich habe, die durch mein Handeln realisiert; oder unter der etwas durch freiwillentliches Zuwenden zur leibhaften Präsenz kommen kann. Konstitutiv für Vorhandensein und Ding 7 2 Multiplicand die von der Malzahl z u vervielfältigende Anzahl. Hat gegenständlichen Charakter 1 04 Multiplikator Angabe des .,wieoft" der Multiplikand genommen werden soll. Hat prag­ matischen Charakter 1 04 Mehrheitsbezeichnungen der Murray-Insulaner (im Bereich der Torres-S traits) 1 2 2 , 1 2 9

Das (absolute) Nichts 1 0 Abbildcharakter der Nu ba sprache (ähnlich wie i n den Ewe-sprachen) 1 28 Die Null danach zu fragen nur in Bezug auf den Triftigkeitsbereich sinnvoller Begriffe sinnvoll, nicht in B ezug auf Lauthaufen und in sich widerspruchsträchtige Begriffe 52 Opera tionszeichen z.B. Plus und Minus, von pragmatischem Wert ohne gegenständliche C orrelate 1 1 0 Ordinalzahlworte (streng individueller Charakter wie Eigennamen) 3 0

Abbildlichkeit i m Papua Dialekt auf N euguinea 1 3 0 permanen t possibility der Wahrnehmung (b. Mill) 2 2 Plural nicht einfach konglomerativer Ausdruck von Individuellem 5 9 , 6 0 Pragma aktives Verhalten z u oder m i t Gegenständlichem 4 Pragmatisches A nrühren hindeutendes Vorerfassen 4-5 principia individuationis nicht Zeit und Raum 5 0 -

Q}lan tenhaftes Umfassen im Gegensatz zum Anzahlhaften Durchgreifen 1 1 8 In jeder Q}lan tität Existenz tragend 5 6 Q}lan tum (von S toffen) nicht anzahlhaft auf Aggregation von Discreten angesehen 1 7 - 1 9 Q}linar systeme und Vigesimalsystem 1 3 1 Realität im Gegensatz zum Vorhandensein ein Relationale 65 Sacknomina in einem S oetwas terminierend 94 Dualbildung auf Sam oa 1 2 4 Sanscrit 1 04, 1 07 Semimen tale S tru k tur der Anzahl (b. Leibniz) 3 7 Sich-voraussein des Lebendigen 7 7 Das Soetwas als Gegenständliches des Vorkommens unter objektiver Möglichkeit sich stellend 7 1 , 1 04 Soviel existentialer Charakter von Anzahlen, im Gegensatz zum .,Ebensoviel" 2 0 Substan tiva i m Gegensatz zum S achnomen eine grammatische Kategorie 94 Schicksalsgebundenheit der Art und des S toffes im Gegensatz zum Begriff 9 1 , 9 2 Standardmenge 1 4 Standardreihe 3 0

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Stoffe sens. stren. geben sich quantitativ nicht in diskreten Elementen ; und als solche nicht in ihrer vollen Gänze, nicht in einem ihnen eigenen leibhaften S elbst. Trotzdem vermögen sie in der Totalität ihrer E xemplifikation S chicksale zu haben und sind keine Begriffe 9 1 S toffmengen, oder besser S toffquan ten können als solche unmittelbar begegnen oder auch von außen her umgriffen werden. S ie können derart als S oetwas vorkommen oder in einem dies faßbar vorhanden sein 9 1 , 9 2 Streuungsfeld (des S oetwas) i m Gegensatz zur Manifestationsbreite der Art 8 9 S tützworte und S tützsilben (numerative) i n den ostasiatischen Sprachen, i m Chinesischen, J apanischen, Koreanischen, Mikir-Dialekt des B armanischen und im Rang-Khol 1 34ff.

Plural im Tagala 9 5 Dualis auf - Tahiti 1 2 4 Mehrheitserfassung i n der Sprache der (jetzt ausgestorbenen) Tasmanier 1 1 9 f Im Thay die 2 nicht mit dem D u stammverw andt, aber mit einem abbildliehen "Paar" (cf. S chott) 1 2 ö Dualis i m Tonga 1 2 4 immanente Transcendenz: Verharren - i m Bereich möglicher Phänomene (Rückseite eines Din ges, die causalen Correlate der Sinnesdaten) 65 reale Transcendenz: um nach Transphänomenalen fragen zu können, muß der Begriff eines Jenseits des Phänomenalen, so etwas wie ein Bereich solcher Transcendenz vor­ gegeben sein. Er erö ffnet sich vom vitalen Bedürfen her 7 0 Triftigkeitsbereich eines S achworts oder eines Begriffes 1 1 , 5 2 Mehrheitserfassung der Tsikitos l l 9 , 1 2 0 qualitativ tingierte Mehrheiten im Tsimshian 1 32 Mehrheitserfassung im Turru bul (Australien) 1 2 0 Unabgeschlossenheit der Zahlenreihe 4 1 actuale Unendlichkeit des Gezählten und z u Zählenden 2 1 potentielle Unendlichkeit des ZähJens und der Anzahl 2 1 Unterschiedenheit setzt Verschiedenheit voraus; hat relational-qualitativen Charakter 7 Unzerlegbarkeit des je als E inheit Genommenen 3 6 Im Ural-A ltaischen auch die ersten Zahlworte sind nicht auf Personalia z u reduzieren 1 2 0, 1 2 6 analytische Urteile a priori i m Gegensatz zu synthetischen Urteilen a priori 7 9 , 8 0 synthetische Urteile a priori 7 9 , 8 0 Verschiedenheit hat nicht relationalen Charakter, sondern dei"ctisch-pragmatische Grundlage 6 , 8, 46f. , 5 9 Vertauschbarkeit der F aktoren 1 09 Vigesimalsystem e in den Ewe-Sprachen 1 28 Umstellung von Abbildlichkeit auf Anzahlhaftigkeit im Viti cf. F itschi 1 2 1 Vorhandensein auf aktives willentliches sich Zuwenden bereitliegend sich-S tellendes 6 1 f. Das Vorkommen 7 1 f. Wesensschau (bei Husserl) 8 3 , 84 Widerspruchslosigkeit und. objektive Möglichkeit 7 1 in sich widerspruchsvolle Begriffe 5 0 Frage nach dem Wieviel auszeichnendes Charakteristikum dessen, was eine Anzahl ist 45 Mehrheitserfassung im Wira turai (Australien) 1 2 0 Wohlgeordnete Menge (Cantor) 4 1

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Zahl im Gegensatz zu Malzahl und Anzahl 1 1 0f. Eindeutige Zuordnung 2 0 Nur i m indogermanischen Sprachkreis ein etymologischer Zusammenhang der Zwei mit dem "Du" erweislich 1 26