Anton Claus. Leben und Werk: Studie zum späten Jesuitentheater 9783110615500, 9783110617788, 9783110615586, 2018963414

Around the middle of the 18th century, the Swabian Anton Claus was among the most influential authors of Jesuit drama. H

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German Pages 349 [350] Year 2018

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
1. Das Jesuitentheater vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert
2. Biographie
3. Poetik
4. Werk
5. Literarhistorischer Kontext
6. Nachleben
7. Resümee: Anton Claus – ein Jesuitendramatiker des achtzehnten Jahrhunderts
Literaturverzeichnis
Personenindex
Verzeichnis von Claus’ Dramen
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Anton Claus. Leben und Werk: Studie zum späten Jesuitentheater
 9783110615500, 9783110617788, 9783110615586, 2018963414

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Simon Wirthensohn Anton Claus. Leben und Werk

Frühe Neuzeit

Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt

Band 221

Simon Wirthensohn

Anton Claus. Leben und Werk Studie zum späten Jesuitentheater

ISBN 978-3-11-061550-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-061778-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-061558-6 ISSN 0934-5531 Library of Congress Publication Number: 2018963414 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

www.degruyter.com

Vorwort Die Erforschung des vergleichsweise wenig beachteten Jesuitendramas des achtzehnten Jahrhunderts bildete einen der Schwerpunkte der ersten Arbeitsphase des Innsbrucker Ludwig Boltzmann Instituts für Neulateinische Studien. Von 2010 bis 2017 wurden im Rahmen der Forschungsschiene ‚Religion‘ mehrere Projekte durchgeführt, die in erster Linie die Edition von Dramen bzw. Texten aus dem Umfeld der jesuitischen Theaterarbeit vorsahen. Dahinter stand zum einen das Anliegen, aussagekräftige Dokumente zeitgenössischer literarischer Diskurse in ihren literar- und geistesgeschichtlichen Zusammenhängen vorzustellen, zum anderen das Bemühen, Jesuitendramen nicht nur als kulturhistorische Zeugnisse, sondern auch als literarische Texte ernst zu nehmen. Um das Feld zu erschließen, wurden Schriften von Jesuiten ausgewählt, die ab den 1720er Jahren in ihrem jeweiligen kulturell-geographischen Raum als Autoren mit einer überdurchschnittlichen, über die Schulaufführungen hinausgehenden ‚literarischen Reichweite‘ aus der breiten Masse an Schuldramatikern hervorgetreten waren. In der oberdeutschen Ordensprovinz bot sich hierfür der von anderen Theaterschaffenden der Gesellschaft Jesu als Dramatiker geschätzte und intensiv rezipierte Pater Anton Claus an. Stefan Tilg, der erste Direktor des Boltzmann Instituts, hatte schon vor Beginn der Institutslaufzeit in Publikationen zum lateinischen Theater in Tirol auf die Bedeutung dieses Autors hingewiesen. Als Mitarbeiter des Instituts durfte ich diesen Bereich des Projekts übernehmen und mich der im Projektantrag vorgesehenen Edition eines Dramas von Anton Claus widmen: Es entstand die Edition eines seiner Hauptwerke, der Tragödie Publius Cornelius Scipio sui victor, die 2015 in der Serie Tirolensia latina erscheinen konnte. Im Zuge dieser Beschäftigung wurde allerdings deutlich, dass der Autor eine tiefergehende Beschreibung verdient, als es im Rahmen einer Edition möglich ist. Eine derartige Darstellung wird in der vorliegenden Studie versucht. Sie möchte Claus’ umfangreiches dramatisches Werk vor seinem historischen Hintergrund vorstellen und damit einen Beitrag zum Verständnis des Jesuitentheaters in der Aufklärungszeit insgesamt leisten. Die Untersuchung wurde 2016 von der Universität Innsbruck als Dissertationsschrift angenommen. Für die Publikation wurde sie stilistisch überarbeitet und inhaltlich ergänzt. Eine solche Arbeit konnte ich nur schreiben, weil ich auf die freundliche Mithilfe vieler zählen durfte. Herzlich danken möchte ich Sigurd Paul Scheichl, der die Dissertation betreut und ihre Entstehung nach Kräften gefördert hat. Als Zweitbetreuer hat mir Stefan Tilg mit vielen Ratschlägen zur Seite gestanden; er war es auch, der meine Aufmerksamkeit auf das Forschungsthema gelenkt hat. Von unschätzbarem Wert war die Unterstützung, die ich von Martin https://doi.org/10.1515/9783110617788-202

VI

Vorwort

Korenjak und Florian Schaffenrath erfahren habe; sie haben nicht nur dazu beigetragen, das Manuskript zu verbessern, sondern mir auch mit etlichen Hinweisen und Anregungen ‚zwischen Tür und Angel‘ weitergeholfen. Wilhelm Kühlmann und Achim Aurnhammer möchte ich herzlich dafür danken, dass sie mit ihren wohlwollenden Gutachten die Aufnahme des Buches in die Reihe Frühe Neuzeit ermöglicht haben. Meine Überlegungen und Zweifel konnte ich jederzeit mit den Mitarbeitern des Ludwig Boltzmann Instituts für Neulateinische Studien teilen. Besonders hilfreich war vor allem die Zusammenarbeit mit William Barton, Valerio Sanzotta und Isabella Walser. Beim Korrekturlesen des Manuskripts haben mich Elisa und meine Eltern unterstützt. Ausgesprochen dankbar bin ich auch jenen Institutionen, die die Drucklegung des Buches durch die Bereitstellung finanzieller Mittel gefördert haben. Freundlich unterstützt haben mich das Ludwig Boltzmann Institut für Neulateinische Studien, der Forschungsschwerpunkt ‚Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte‘ der Universität Innsbruck, das Vizerektorat für Forschung der Universität Innsbruck sowie das Dekanat der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck. Thal/Innsbruck, Oktober 2018

Inhalt V

Vorwort Einleitung

1

1

Das Jesuitentheater vom sechzehnten bis zum achtzehnten 14 Jahrhundert

2

Biographie

3 3.1 3.2 3.3 3.4

Poetik 37 37 Literarisches Selbstverständnis Die Observationes zu den Tragödien 45 48 Autoritäten und Vorbilder Claus’ poetologische Konzepte im Detail 52

4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.4 4.5

75 Werk Frühe Stücke 76 76 Telemachus in Athenaeo 78 Comoedianten Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741) 80 82 Cornelius Publius Scipio sui victor Stilico tragoedia 91 101 Themistocles tragoedia Protasius rex Arymae 112 Gesamtbetrachtung der Tragoediae ludis autumnalibus 122 datae Exercitationes theatrales (1750) 167 Fünfaktige Stücke 172 Kurzdramen 187 Deklamationen 196 216 Exercitia rhetorica Meditationsdramen 227 Jovianus tragoedia 240 Exercitationes theatrales (1755) 245

5 5.1

Literarhistorischer Kontext 249 Klassizismus auf der Jesuitenbühne

19

249

VIII

5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.2

6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.5 7

Inhalt

251 Corneille in der jesuitischen Literatur Frankreichs Claus als Erneuerer des Jesuitendramas 256 Klassizismus in poetologischen Arbeiten deutschsprachiger 258 Jesuiten 266 Überwindung des senecanischen Dramenmodells 269 Ursachen der Neuerungen Analoge Tendenzen im zeitgenössischen deutschen Drama 271 Nachleben 282 Claus’ Dramen und der ‚jesuitische Kanon‘ 282 Ein Fallbeispiel für produktive Claus-Rezeption: das Brixner 286 Schultheater Fortleben des Jesuitentheaters nach 1773 288 290 Übersetzungen Johann Andreas Schachtners Stiliko 293 Die Augsburger Übersetzung der Tragoediae ludis autumnalibus 296 datae Joseph Schenkls Übersetzung der Tragoediae ludis autumnalibus datae 298 Franz Xaver Jann: Etwas wider die Mode 303 306 Übersetzungen in andere Volkssprachen 307 Aufführungen von Claus-Dramen im Volkstheater Resümee: Anton Claus – ein Jesuitendramatiker des achtzehnten Jahrhunderts 311

Literaturverzeichnis Personenindex

315

337

Verzeichnis von Claus’ Dramen

341

Einleitung Forschungsgegenstand Der Dramatiker Anton Claus (1691–1754) ist unter Literaturwissenschaftlern heute weitgehend unbekannt. Das hat damit zu tun, dass die lateinische Literatur der Frühen Neuzeit, und hier insbesondere diejenige des achtzehnten Jahrhunderts, bis zum Aufblühen der Neulatinistik vor wenigen Jahrzehnten nur in geringem Ausmaß akademische Beachtung gefunden hat. Es ist jedoch insofern verwunderlich, als das Werk des Jesuiten aus mehreren Gründen einen attraktiven Forschungsgegenstand darstellt. Erstens kann Claus aus unterschiedlichen Blickwinkeln als paradigmatischer katholischer Schuldramatiker der 1720er bis 1740er Jahre gelten. Wie in dieser Zeit üblich, entstanden seine Stücke (fast) durchwegs in lateinischer Sprache und dienten vorderhand als Gebrauchstexte für verschiedene, mehr oder weniger stark formalisierte Rituale der schulischen bzw. religiösen Erziehung. Die Themen, die der Autor in ihnen behandelte, sind repräsentativ für das kontemporäre jesuitische Schuldrama. In stofflicher Hinsicht ist das Werk ebenfalls charakteristisch für diese Dramatik bzw. wegweisend für ihre weitere Entwicklung. Und auch Claus’ Lebensweg verlief größtenteils beispielhaft für eine Jesuitenbiographie seiner Zeit. Der Autor eignet sich daher gut für eine Standortbestimmung des Jesuitentheaters um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Zweitens war Claus – und dies hebt ihn aus der Masse der jesuitischen Theaterschaffenden heraus – als Schuldramatiker ungewöhnlich einflussreich. Der Druck der Tragoediae ludis autumnalibus datae sorgte 1741 für eine ästhetische Zeitenwende auf den Jesuitenbühnen der deutschen Ordensprovinzen. Mit seinen poetologisch grundierten, klassizistisch ausgerichteten Stücken übte er nachhaltigen Einfluss auf die dramatischen Arbeiten der letzten Generationen von Jesuitendramatikern aus. Führende Intellektuelle der Spätzeit der alten Gesellschaft Jesu wie Franz Neumayr oder Ignaz Weitenauer nahmen in ihren Veröffentlichungen auf den um wenige Jahre älteren Ordensbruder Bezug.1 In der zweiten Jahrhunderthälfte blieben Claus’ Stücke in Form von Übersetzungen für ein breiteres Publikum zugänglich. Sie leisteten einen relevanten Beitrag zum literarischen Diskurs ihrer Zeit, vielen Zeitgenossen waren sie gut bekannt.

 Neumayr 1751, S. 173; Weitenauer 1758, S. 7. https://doi.org/10.1515/9783110617788-001

2

Einleitung

Drittens verdient die Qualität der Stücke eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Claus’ Bekanntheit bei den Zeitgenossen rührt nicht zuletzt daher, dass es sich bei ihm um einen der talentiertesten Dramatiker handelte, den die deutschen Jesuiten im achtzehnten Jahrhundert hervorgebracht haben. Seine sprachlich schlichten Stücke mit ihren kunstvoll arrangierten Peripetien erreichten ein für das Schuldrama bemerkenswertes künstlerisches Niveau. Unbeschadet aller situativ bedingten Einschränkungen schuf der Autor Dramen von hoher Handlungsintensität und beachtlicher psychologischer Tiefe; vergleichsweise große Bühnenwirksamkeit ist anzunehmen. Von Literaturwissenschaftlern, die sich in jüngerer Vergangenheit mit dem späten Jesuitendrama befasst haben, ist die literarische Qualität von Claus’ Stücken bereits beiläufig gewürdigt worden. Elida Maria Szarota, Herausgeberin einer mehrere tausend Seiten starker Periochen-Edition, zählt den Autor zu den „hervorragendsten Jesuitendramen-Verfassern der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts“. Die Tragödie Themistocles erachtet sie überhaupt für „eines der bedeutendsten Dramen der Jesuitenbühne“.2 Stefan Tilg, einer der besten Kenner des lateinischen Theaters im historischen Tirol, hält die Stücke des Dramatikers aufgrund ihrer „herausragenden individuellen Qualität“ 3 für beachtenswert. In seinem Beitrag zur neulateinischen Komödie im Oxford Handbook of Neo-Latin bezeichnet er Claus als „one oft the most gifted Jesuit playwrights of all time“.4 Für die Wahl des Autors als Gegenstand einer Untersuchung spricht zu guter Letzt auch die verhältnismäßig gute Quellenlage: Die zwei Dramensammlungen, die der Jesuit drucken ließ, bieten Texte, die unterschiedlichen dramatischen Gattungen zuzuordnen sind und für unterschiedliche Aufführungssituationen intendiert waren. Sie bilden also den Schuldramatiker in seiner ganzen Schaffensbreite ab. Die Paratexte dieser Sammlungen, insbesondere die wertvollen poetologischen Erläuterungen in seinem Tragödienband, gewähren darüber hinaus Einblicke in ästhetische Ideale des Autors und die bislang wenig untersuchte Theorie des Jesuitendramas in der Aufklärungszeit.5

Stand der Forschung Eine umfassende Darstellung von Leben und Werk dieses Autors soll dazu beitragen, das Jesuitendrama insgesamt besser zu verstehen. Dem lateinischen

   

Szarota 1980, Bd. 2,2, S. 2265–2266. Tilg 2012, S. 675. Tilg 2015, S. 98. Vgl. dazu Valentin 2007; Tjoelker 2014 sowie Tjoelker 2016.

Stand der Forschung

3

Theater der Ordensschulen in den deutschsprachigen Ländern ist in der Forschung des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts zwar einige Aufmerksamkeit zuteilgeworden;6 zumal für akademische Qualifikationsarbeiten war die über zweihundertjährige Theaterpraxis des Ordens ein attraktives Untersuchungsgebiet. Die Bandbreite der Forschung trägt dieser zeitlichen Dauer und der historischen Entwicklungsfähigkeit der Einrichtung allerdings nur eingeschränkt Rechnung. Ein Großteil der Publikationen konzentriert sich auf das Jesuitendrama des späten sechzehnten und frühen siebzehnten Jahrhunderts, ein Abschnitt, der in älteren Überblicksdarstellungen gerne als „Blütezeit“ des Ordenstheaters bezeichnet wird.7 Für diese Bewertung gibt es zwar vor allem in sozioliterarischer Hinsicht gute Gründe – im Zeitalter der Konfessionalisierung fanden öffentliche Aufführungen unbestritten die größte Resonanz und entfalteten als Medium konfessioneller Propaganda die größte Wirkung –, sie ist aber insofern problematisch, als sie der Fehleinschätzung den Boden bereitet hat, wonach es sich bei den jesuitischen Aufführungen späterer Zeit nur noch um eine „Nachblüte“ 8 dieser Theatertradition gehandelt habe, deren Erforschung (so wurde suggeriert) wenig lohnend sei. Betont wurden ein angeblicher Rückzug der theatralischen Praxis ins Klassenzimmer9 und die vermeintliche Strategie später Ordensdramatiker, durch Anlehnung an

 Den bedeutendsten Überblick zum Jesuitendrama im deutschen Sprachraum bietet Valentin 1978. Vgl. außerdem den Aufsatzband Valentin 1990. Daneben zu beachten sind einige Publikationen von Rupert Wimmer, insbesondere Wimmer 1982, in dem der Autor von einer Untersuchung zum ägyptischen Joseph ausgehend größere Zusammenhänge aufzeigt. Unverzichtbar für jede Forschung zur jesuitischen Literarkultur ist Bauer 1986. Aus jüngerer Zeit beachtenswert sind Pohle 2010 sowie Metz 2013, S. 254–790, der das Jesuitendrama mit dem protestantischen Schuldrama in Beziehung setzt. Ein wichtiges Hilfsmittel ist Valentin 1983/84 (im Folgenden schlicht Valentin). Elida Maria Szarotas Periochenedition Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet (1979–1987) steht als Hilfsmittel inzwischen den Online-Angeboten von Bibliotheken wie der Bayerischen Staatsbibliothek nach. Die in ihr vorgenommene Periodisierung ist aber trotz offensichtlicher Schwächen bis heute ohne wirkliche Alternative. Zum Jesuitentheater insgesamt sind über 3000 Publikationen erschienen. Siehe Griffin 2017, S. 230 mit weiterführender Literatur.  Scheid 1930, S. 40; Reinhardstöttner 1889, S. 64. Müller 1930 lässt seine Darstellung 1665 enden. Flemming 1923, S.  unterscheidet zwischen einer „Münchner Blüte“ (1590–1617) und einer „Wiener Blüte“ (1648–1680). Valentins große Studie von 1978 umfasst die Zeit bis 1680. Seine Sammlung von Aufsätzen, die 1990 unter dem Titel Theatrum catholicum erschien, trägt den Untertitel Les jésuites et la scène en Allemagne au XVIe et au XVIIe siècle. Für die ältere Literatur vgl. außerdem die Beobachtung von Sieveke 1965, S. 9: „Die Forschung zum Jesuitendrama beachtete […] vorwiegend die Anfänge bis zum Hochbarock.“ Umfassender ist Becher 1941.  Scheid 1930, S. 73.  Wimmer 2000, S. 197.

4

Einleitung

klassizistische Autoritäten dem Niedergang der Institution entgegenzuwirken.10 Die Folgen alter Pauschalierungen sind weiterhin gegenwärtig.11 Die verhältnismäßig geringe Forschungsaktivität zum späten Jesuitendrama dürfte überdies mit der rapiden Entwicklung der volkssprachlichen Literatur in dieser Zeit zusammenhängen. Der zurückhaltenden Behandlung der Aufklärungszeit in der traditionell von der germanistischen Literaturwissenschaft betriebenen Jesuitendramaforschung entspricht nämlich auf höherer Ebene die Vernachlässigung der Literarkultur in den katholischen Gebieten des deutschen Sprachraums im achtzehnten Jahrhundert insgesamt. Noch immer erfährt die oberdeutsche Literatur der Barock- und Aufklärungszeit in der Germanistik geringe Beachtung, weil sie sich großteils nicht in das final angelegte Schema einer einheitlichen deutschen Nationalliteratur einfügen lässt.12 Dabei ist ein umfassendes literarhistorisches Verständnis dieser Epochen nur dann möglich, wenn auch Aspekte des Literaturbetriebs berücksichtigt werden, die auf die Literatur der ferneren Zukunft nur in beschränktem Maße oder gar keinen Einfluss nahmen, in ihrer Zeit jedoch den literarischen Diskurs prägten. Auf Grundlage dieser Überlegung möchte die vorliegende Studie das Bewusstsein dafür schärfen, dass das intertextuell vernetzte, auf zeittypische ästhetische Entwicklungen reagierende lateinische Jesuitendrama auch im achtzehnten Jahrhundert als konstitutiver Bestandteil der deutschen Literaturgeschichte gesehen werden muss. Erst in jüngerer Zeit wurden, vornehmlich von neulatinistischer Seite, vermehrt Bemühungen unternommen, das Jesuitendrama des achtzehnten Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum differenzierter zu betrachten und literarisch zu rehabilitieren. Zu den ersten, die auf Versäumnisse der Forschung hingewiesen haben, gehörte Stefan Tilg, der ab 2008 in mehreren Aufsätzen zur Tiroler Jesuitenbühne zeigen konnte, dass pauschal weder von einem Nachlassen des literarischen Engagements der Patres noch von einem rückläu-

 Valentin 2007, S. 316–317.  So lässt etwa Fidel Rädle seine Darstellung im 2013 erschienenen Überblickswerk Neo-Latin Drama and Theatre in Early Modern Europe 1650 enden. Angelika Kemper hat in ihrer 2014 erschienenen Arbeit zu Hof und Macht im lateinischen Theater frühneuzeitlicher Residenzen das 18. Jahrhundert offenbar gar nicht erst in Betracht gezogen (vgl. S. 16). Wittmann 2009 bietet zwar eine faktenreiche Untersuchung zum Ende des Jesuitentheaters in München, sie leidet jedoch an unbegründeten Urteilen, die unreflektiert aus älterer Forschung übernommen sind (etwa S. 125): „Der Niedergang des Jesuitentheaters war schon vor der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mehr zu leugnen gewesen.“  Vgl. dazu die Überlegungen, die Breuer 1979 in seinem immer noch aktuellen Einleitungskapitel anstellte.

Stand der Forschung

5

figen Zuschauerzuspruch ausgegangen werden kann.13 Von großer Relevanz für das Forschungsfeld war Frank Pohles 2010 erschienenes Buch Glaube und Beredsamkeit. Katholisches Schultheater in Jülich-Berg, Ravenstein und Aachen (1601–1817). Die auf umfangreicher Quellenrecherche basierende Publikation reicht weit über eine vom Titel nahegelegte Lokalstudie hinaus. Vielmehr ist es einer der zentralen Verdienste des Autors, größere Entwicklungen und Zusammenhänge des späten Jesuitentheaters aus historischer Perspektive beschrieben und auch die Entwicklung des Schultheaters nach der Aufhebung des Ordens 1773 in die Darstellung miteinbezogen zu haben. Pohle fordert explizit, „die ‚Nachblüte‘ des Jesuitentheaters in den Jahren 1700–1730“ näher zu behandeln und äußert die Vermutung, dass „noch mancher interessante Autor zu entdecken sein dürfte.“ 14 Zur Aufarbeitung des Feldes beigetragen haben in der Folge Nienke Tjoelkers Einführung zur Edition von Andreas Friz’ Epistola de Tragaediis sowie ein Artikel der Autorin über späte Jesuitenpoetik.15 JeanMarie Valentin hat eine breit angelegte Studie zum Jesuitentheater des achtzehnten Jahrhunderts schon vor über zwanzig Jahren angekündigt; sie ist jedoch bis heute nicht erschienen.16 Wenn in älteren Arbeiten das achtzehnte Jahrhundert überblicksmäßig behandelt wurde, dann in Gesamtdarstellungen zum Jesuitendrama oder zum Jesuitenorden.17 Daneben liegen Studien zum Spielbetrieb einzelner Kollegien vor, in denen die Spätphase der Vollständigkeit halber mitbehandelt wurde,18 sowie monographische Darstellungen zu wichtigen Dramatikern des achtzehnten Jahrhunderts; diese Arbeiten nehmen freilich kaum aufeinander Bezug, gewähren also keine Einblicke in größere Zusammenhänge. Wilhelm Fiebers Dissertation über den Jahrhundertwende-Autor Johann Baptist Adolph kann heutigen wissenschaftlichen Standards nicht mehr genügen; Ähnliches gilt für

 Tilg 2008; Tilg 2011; Tilg 2012, S. 680–681.  Pohle 2010, S. 38–40.  Tjoelker 2014; Tjoelker 2016.  Valentin 1996, S. 95. Angekündigt wurde ein Band mit dem Titel Finis tragoediae christianae. Le Théâtre des Jésuites dans l’Empire de la fin du XVIIe siècle à la suppression de la Compagnie de Jésus.  Zu ersterem siehe Flemming 1923; Scheid 1930; Becher 1941. Zu zweiterem Duhr 1907– 1928. Der Überblick über die Publikationen zum Jesuitentheater des 18. Jahrhunderts kann trotz umsichtiger Recherche keine Vollständigkeit beanspruchen. Zumal Aufsätze, die sich im Titel nicht als Arbeiten zum Jesuitendrama deklarieren, könnten unbeachtet geblieben sein, vgl. z. B. Kühlmann 1982b.  Beispielhaft dafür ist Ingrid Seidenfadens Arbeit zum Konstanzer Jesuitendrama (1963), in der die Zeit nach 1710 nur noch en passant behandelt wird (S. 132–135). Stärker in den Fokus rückt die Spätzeit in Sandra Krumps zweibändiger Arbeit zum Passauer Jesuitentheater (2000), in der drei späte Dramen ediert und beschrieben werden.

6

Einleitung

Kurt Adels Studie über denselben Autor.19 Eine solidere, allerdings wenig übersichtliche Beschreibung von Adolphs Dramen bietet Franz Günter Sieveke in seiner Dissertation.20 Weitere Jesuitendramatiker aus dem frühen achtzehnten Jahrhundert, denen in geringem Umfang wissenschaftliche Beachtung zuteilgeworden ist, sind Paul Aler, der zuletzt von Fidel Rädle und Frank Pohle gewürdigte wurde,21 sowie Franz Callenbach, zu dessen satirischen Dramen die Dissertationen von Rudolf Dammert und Doris Behrens vorliegen.22 Einen Überblick über das Werk von Franz Lang bietet Werner Kindigs Dissertation von 1965.23 Langs dramentheoretische Schrift Dissertatio de actione scenica (1727) wurde von Alexander Rudin herausgegeben, eingeleitet und übersetzt;24 Rudin legte dazu auch seine Dissertation vor.25 Die Dissertatio fand als eines der wichtigsten Zeugnisse jesuitischer Bühnenpraxis weitergehende Beachtung.26 Mit Lang befasst hat sich auch Marianne Sammer in ihrer Dissertation zu den Münchner Fastenmeditationen, der sozioliterarische Kontext der Meditationsdramen bleibt hier allerdings großteils unberücksichtigt.27 Die aufschlussreichsten Beiträge zum Bühnenschaffen von Lang, insbesondere zu seinen Meditationsdramen, stammen von Barbara Bauer.28 Dem dramatischen Werk des österreichischen Jesuiten Anton Maurisperg sind vier knappe OnlinePublikationen des Instituts für Klassische Philologie der Universität Graz gewidment.29 Zum Theaterschaffen des vielseitig begabten Ignaz Weitenauer liegt seit 1958 Edith Kellners Dissertationsschrift Ignaz Weitenauers Ars poetica und Tragoediae autumnales vor.30 Die Arbeit ist veraltet, eine moderne Darstellung zu Weitenauer tragicus ist ein Desiderat. Die 2016 erschienene kommentierte

 Fieber 1917; Adel 1952/53.  Sieveke 1965.  Rädle 1994; Pohle 2006; Pohle 2010, S. 449–464. Vgl. außerdem die lokalhistorischen Beiträge von Fritz 1911 und Kuckhoff 1931.  Dammert 1903; Behrens 1981. Siehe außerdem Duhr 1928, Bd. 4,2, S. 88–100.  Kindig 1965.  Lang 1975.  Rudin 1973.  Engle 1970; Zauft 2003.  Sammer 1996.  Bauer 1982; Bauer 1986.  Ulrike Syrou, Ludwig Fladerer: Kommentar zum Mucius Scaevola des A. Maurisperg; Ludwig Fladerer: Die Allegorie auf der Jesuitenbühne: Das Drama über Mucius Scaevola von A. Maurisperg; Mareike Einfalt: Kurzbiographie Anton Maurisperg S.J.; Ulrike Syrou: A. Maurisperg: Mucius Scaevola – Grundzüge der Handlung. http://gams.uni-graz.at/context:arj.maurisperg (4. April 2018).  Kellner 1958. Zu weiteren Arbeiten Weitenauers vgl. Jahreiß 1990; Kemmler 2002 sowie Korenjak 2012, S. 1297.

Stand der Forschung

7

Edition der Weitenauer-Tragödie Hannibal moriens von Stefanie Paul leistet hier nur einen bescheidenen Beitrag; die Autorin, die ihren Fokus auf Aspekte der Antikenrezeption legt, bezieht die spezifischen Entstehungsbedingungen der Tragödie als Ordensdrama kaum mit ein.31 Die Stücke Franz Neumayrs, der wie Weitenauer nicht vorrangig als Schuldramatiker in Erinnerung geblieben ist, sind in zwei monographischen Darstellungen behandelt worden:32 Hans Gumbels Dissertation Franz Neumayr. Ein Beitrag zur Geschichte des lateinischen Dramas im 18. Jahrhundert von 1938 beschreibt die Poetik und Tragödien des Autors vor ihrem geistesgeschichtlichen Hintergrund;33 Neumayrs Kongregationsdramen – ein gewichtiger Teil seiner dramatischen Produktion – bleiben jedoch unerwähnt. 1992 erschien die Darstellung Franz Neumayr SJ (1697– 1765). Leben und Werk eines spätbarocken geistlichen Autors aus der Feder von Neumayrs Ordensbruders Peter van der Veldt.34 Im Mittelpunkt stehen hier allerdings Neumayrs Biographie und sein Wirken als Geistlicher; die Kapitel zu Theater und Poetik sind knapp ausgefallen. Dazu ist ein aktueller Aufsatz von Hermann Wiegand erhellender.35 Michael Denis findet aufgrund seines reichen volkssprachlichen Werks in literaturhistorischen Arbeiten verhältnismäßig oft Erwähnung; seine lateinischen Dramen wurden bislang jedoch nur in Felicitas Reisingers ungedruckter Dissertation von 1962 eingehend behandelt;36 Reisinger bietet Text und Übersetzung, aber wenig Aufschlussreiches zur Interpretation bzw. Kontextualisierung der Stücke. Zu Andreas Friz’ dramenpoetologischer Abhandlung Epistola de tragaediis legte Bernhard Weybora 1940 seine Dissertation vor. Zu dieser Schrift liegt weiters die bereits erwähnte Edition von Nienke Tjoelker samt substantieller Einleitung vor.37 Eine einführende Darstellung zu diesem letzten bedeutenden Wiener Ordensdramatiker bietet die germanistische Hausarbeit von Alfred Tamerl aus dem Jahr 1968.38 Angesichts der von Valentin verzeichneten Menge an Aufführungsbelegen ist die Forschungsaktivität zum Jesuitendrama des achtzehnten Jahrhunderts

 Paul 2016.  Vgl. außerdem Habersetzer 1977 sowie Wiegand 2013.  Gumbel 1938.  Van der Veldt 1992.  Wiegand 2013.  Reisinger 1962.  Tjoelker 2014. Vgl. zu Friz außerdem Frizberg 1931; Pintér 2009 sowie drei Online-Publikationen des Instituts für Klassische Philologie der Universität Graz: Mareike Einfalt u. a.: Beschreibung der Handschrift 938; Mareike Einfalt u. a.: Kurzbiographie Andreas Fri(t)z; Ludwig Fladerer: Die Poetik des Andreas Friz und ihr Antikebezug. http://gams.uni-graz.at/ context:arj-fritz (4. April 2018).  Weybora 1940; Tamerl 1968.

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Einleitung

also bescheiden. Mit Anton Claus hat sich die Literaturwissenschaft allerdings noch weniger befasst. Mit Ausnahme einer japanologischen Studie,39 meiner Edition seiner Tragödie Scipio sui victor und eines Aufsatzes von mir zu seinen Geschichtsdramen hat sie dem Autor bislang überhaupt keine eigenständige Publikation gewidmet.40 Sein Name taucht zwar in der Regel in Überblicksdarstellungen und gelegentlich in Lexika auf;41 Informationen, die über die Bereitstellung bio-bibliographischer Daten hinausgehen, bieten jedoch nur wenige Publikationen:42 Eine erste knappe Behandlung erfuhren Claus’ Tragoediae in Nikolaus Nesslers Studie über die Dramaturgie der Jesuiten Pontanus, Donatus und Masenius (1905); Nessler beschränkte sich allerdings darauf, das „durch seine Anlage und seinen Inhalt gleich merkwürdige Buch“ als Corneille-Imitat darzustellen.43 Die erste kurze biographische Grundlegung stammt aus der Feder des Jesuiten Nikolaus Scheid, der im Rahmen seiner Überblicksdarstellung zum Jesuitendrama (1930) eine kurze Beschreibung der Dramensammlung Tragoediae ludis autumnalibus datae mit Schwerpunkt auf Stilico vornahm und auch auf die mit Claus in Zusammenhang gebrachte Sammlung Exercitationes theatrales von 1755 einging; bereits 1917 hatte Scheid Claus’ Stilico in einer Rezension einer zeitgenössischen Stilicho-Tragödie in der Ordenszeitschrift Stimmen der Zeit gewürdigt.44 In der zwar apologetisch angelegten, aufgrund  Detlev Schauwecker veröffentlichte seine Überlegungen zum Drama Protasius rex Arymae zwischen 2004 und 2005 in drei Aufsätzen in einem fachdidaktischen Journal der Universität Kansai.  Claus 2015; Wirthensohn 2017. Die defizitäre Forschungslage hat bisweilen zu erstaunlichen Irrtümern geführt. Laudin 2002, S. 282 mutmaßt nicht nur, Claus habe noch zwei weitere Scipio-Dramen verfasst, sondern schreibt ihm überdies Karl Gotthelf Lessings Lustspiel Die reiche Frau (1776) zu, das er offenbar in eine Claus-Übersetzung eingebunden fand. Sinnbildlich für die geringe Bekanntheit des Autors heutzutage ist der Umstand, dass Claus im Wikipedia-Eintrag Liste von Persönlichkeiten der Stadt Kempten (Allgäu) (zuletzt abgerufen am 4. April 2018) nicht erwähnt ist. Ein eigener Artikel in Wikipedia fehlt ebenfalls.  Menzel 1859, S. 245–255; De Backer/Sommervogel 1891, Bd. 2, S. 1204–1205 bzw. De Backer/ Sommervogel 1900, Bd. 9, S. 49; Koch 1934, S. 340–341; Roloff 1965, S. 676; Kosch 1969, Bd. 2, Sp. 664; Valentin, S. 1036–1037; Meid 2009, S. 362.  Auch unter den Gelehrten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts findet Claus kaum Erwähnung. Bezeichnend dafür ist, dass er im 1804 von Alois Klement Baader herausgegebenen Lexikon Das gelehrte Baiern oder Lexikon aller Schriftsteller, welche Baiern im 18. Jahrhunderte erzeugte oder ernährte nur als Verfasser der Exercitationes theatrales aufgenommen ist und diese zudem falsch datiert sind. In Johann Georg Meusels Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller (die entsprechenden Bände erschienen 1803 und 1808) scheint er gar nicht auf; offenbar rechnete Meusel den in lateinischer Sprache publizierenden Jesuiten nicht zu den deutschen Schriftstellern.  Nessler 1905, S. 14–15.  Scheid 1917; Scheid 1930, S. 26; 75–80. Rezensiert wurde Flavius Stilicho. Eine Tragödie aus dem sinkenden Rom von Raoul Konen (1901).

Herangehensweise

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der schier unermesslichen Menge an verarbeiteten Quellen aber auch heute noch unverzichtbaren Geschichte des Jesuitenordens in den Ländern deutscher Zunge bietet Bernhard Duhr eine knappe Übersicht über das Werk des Dramatikers;45 auf einzelne Dramen wird kurz eingegangen, ebenso auf die Paratexte der Sammlungen. Elida Maria Szarota druckte in ihrer Periochensammlung Periochen zu fünf Aufführungen von Claus-Dramen ab;46 im Kommentarteil setzte sie sich insbesondere mit der Tragödie Themistocles auseinander; auf den Autor des Stücks ging sie in ihren Ausführungen jedoch nicht ein. Am intensivsten beschäftigte sich in jüngerer Vergangenheit Jean-Marie Valentin mit dem Dramatiker. In seinem Répertoire chronologique brachte er Claus mit insgesamt 19 Aufführungen in Verbindung und legte eine Kurzbiographie des Autors vor, die sich gemeinsam mit der hunderter anderer Jesuitendramatiker im Appendix des Werks befindet.47 Daneben publizierte Valentin knapp vier Seiten über die poetologischen Vorworte in Claus’ Tragoediae ludis autumnalibus datae in seinem 1972 erschienenen und 2007 nachgedruckten Artikel La diffusion de Pierre Corneille en Allemagne au XVIIIe siècle à travers les poétiques jésuites.48 Basierend auf Valentin widmete Tjoelker Claus 2014 im Vorwort ihrer Edition von Andreas Friz’ Epistola de tragaediis einige Überlegungen;49 sie beschränkte sich allerdings auf Claus’ Paratexte und das in den Exercitationes von 1750 abgedruckte Drama Moyses praedo praedonum. Knappe Einblicke in das dramatische Werk von Claus finden sich ferner in einigen Publikationen von Stefan Tilg. In seinem Beitrag Theater in Tyrolis latina. Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol legte er eine informative Analyse der Tragödie Themistocles vor.50 Auch in zwei Aufsätzen in Tagungsbänden besprach Tilg Anton Claus als repräsentativen Dramatiker der späten Innsbrucker Jesuitenbühne.51

Herangehensweise Um Claus als repräsentativen Vertreter des späten Jesuitendramas darzustellen, hat sich ein ganzheitlicher Zugang mit positivistischer Grundlegung emp-

 Duhr 1928, Bd. 4,2, S. 82–84.  Szarota 1979–1987, 4 Bde. Zu Themistocles siehe Szarota 1980, Bd. 2, S. 637–644, 2264–2267. Zu Scipio S. 589–604b, 2257; zu Stilico Szarota 1983, Bd. 3, S. 1581–1588, 2272–2273.  Valentin, S. 1036–1037.  Valentin 2007, S. 301–305.  Tjoelker 2014, S. 12–17.  Tilg 2012.  Tilg 2008; Tilg 2011.

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fohlen. Das Sammeln von Daten und Beschreiben kaum untersuchter Quellentexte bilden die Grundlage der Arbeit. Ein weiterer Kernbestandteil der Studie ist die Interpretation von Claus’ literarischem Werk, d. h. die literaturwissenschaftliche Analyse des Corpus. Ein dritter Schwerpunkt besteht darin, das Werk des Autors literarhistorisch einzuordnen. Diese Inhalte sind im Buch in folgender Weise angeordnet: Das erste Kapitel bietet eine knappe Einführung in das Thema Jesuitentheater im Allgemeinen. Angesichts der hierzu reichlich vorhandenen Forschungsliteratur werden nur grundlegende Auskünfte geboten sowie Entwicklungen vorgeführt, die für das Verständnis des Ordenstheaters im achtzehnten Jahrhundert von besonderer Relevanz sind. Das zweite Kapitel stellt den Autor in seinem Lebensumfeld vor. An biographischen Informationen standen bislang nur die von De Backer/Sommervogel und Valentin bereitgestellten Eckdaten zur Verfügung.52 Da bei einem jesuitischen, an Ordensvorgaben gebundenen Autor den Schaffensumständen größere Bedeutung zukommt als bei modernen, freien Schriftstellern, wird der biographische Hintergrund hier ausführlich ausgeleuchtet. Im dritten Kapitel folgen Überlegungen zum Selbstverständnis des Jesuiten als Autor sowie zu seinen poetologischen Maximen. Dabei wird versucht, das Spannungsfeld bewusst zu machen, in dem der Dramatiker operierte: Einerseits stellte er sich den literarischen Diskursen seiner Zeit, andererseits musste er seine Stücke mit der konkreten Realität der Schulbühne vereinbaren. Das vierte, umfangreichste Kapitel des Buches ist dem dramatischen Werk gewidmet. Hier werden Claus’ erhaltene Dramen in Einzelstudien beschrieben. Das dient zum einen der Grundlagenforschung im Forschungsbereich Jesuitendrama. Zum anderen soll die Aufarbeitung des gesamten erhaltenen Werks dazu beitragen, ein möglichst differenziertes Bild des Autors zu zeichnen und Verallgemeinerungen vorzubeugen, wie sie sich in den häufig eher breit als tief angelegten Studien zum Jesuitendrama nicht selten finden. Im fünften Kapiteln wird versucht, das Werk des Autors historisch zu kontextualisieren. Sowohl das Umfeld des Jesuitentheaters als auch Parallelen zum deutschen Drama der Frühaufklärung – Claus’ Dramenverständnis entspricht in vielerlei Hinsicht dem seines Zeitgenossen Johann Christoph Gottsched (1700–1766) – werden diskutiert. Diese Darstellung der Einbindung von Claus’ Dramen in das literarische Leben des achtzehnten Jahrhunderts kann im Rahmen dieser Studie nicht in aller Ausführlichkeit erfolgen. Dennoch scheint mir gerade dieser Aspekt besonders wichtig zu sein. Zu oft wurden bislang von der neulateinischen Forschung Bezüge zur Literatur der klassi-

 De Backer/Sommervogel 1891, Bd. 2, S. 1204–105; De Backer/Sommervogel 1900, Bd. 9, S. 49; Valentin, S. 1036–1037.

Quellen

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schen Antike überbewertet und infolgedessen der zeitgenössische Kontext zu wenig ins Blickfeld genommen.53 Im letzten Kapitel wird das für einen Ordensdramatiker der Spätzeit des Jesuitendramas außerordentlich intensive Nachleben von Claus’ Œuvre vorgestellt. Die zahlreichen lateinischen Zitate, die sich im Buch finden, werden allesamt ins Deutsche übersetzt. Bei der Textgestalt der Zitate wurde die Orthographie des Originaltexts weitgehend beibehalten. Nur die Groß-/Kleinschreibung sowie die Interpunktion wurden der besseren Lesbarkeit wegen vereinheitlicht und modernisiert.

Quellen Die Grundlage der Arbeit bilden Claus’ gedruckte Dramensammlungen Tragoediae ludis autumnalibus datae (Augsburg 1741, Nachdruck 1753) und Exercitationes theatrales (Ingolstadt/Augsburg 1750, Nachdruck 1762). Auch die anonyme Sammlung Exercitationes theatrales dirigente P. Antonio Claus exhibitae (Augsburg/Innsbruck 1755) ist Gegenstand der Untersuchung. Daneben wurden die beiden Manuskripte konsultiert, die sich erhalten haben: Die Handschrift der Tragödie Jovianus ist im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg konserviert,54 diejenige des Übungsstückes Tonsiastrus in der Österreichischen Nationalbibliothek.55 Ergänzend wurden zahlreiche gedruckte Periochen eingesehen, die bei Valentin verzeichnet und bibliographisch erschlossen sind; für ihre Sichtung wurde auf die Bestände der Bayerischen Staatsbibliothek, der Universitätsbibliothek München, der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, der Bibliothek der Universität Freiburg i. Br. und des Archivs des Beethoven-Gymnasiums Bonn zurückgegriffen. Die Chorpartien der Tragödien Themistocles und Protasius finden sich als Anhang zu den Periochen der jeweiligen Stücke in der Bayerischen Staatsbibliothek bzw. in der Universitätsbibliothek Augsburg.56 Die einzige nicht mit seiner Theaterarbeit in Verbindung stehende Schrift des Autors, die sich ausfindig machen ließ, ist eine Rede, die Claus als Vorsitzender der großen Marianischen Kongregation in München hielt.57

 Vgl. z. B. Paul 2016.  Jovianus tragoedia acta ludis autumnalibus Dilingae 1751, Bibliothek GNM, Sig. Hs. 116961/28.  Exercitium sive comoedia latina in quinque actibus inscripta ‚Caupo‘, ÖNB, Sig. Cod. 13123 Han.  Chori In Tragoedia Protasiana, UB Augsburg, Sig. 02/III.7.4.55–2. Themistocles tragoedia, BSB, Sig. 4 Bavar. 2193,XII,1/46.  UB Eichstätt-Ingolstadt, Sig. 04/1 BO E IV 387. Siehe hier S. 31.

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Für die biographische Erschließung des Dramatikers war das Generalarchiv des Jesuitenordens in Rom (ARSI) die wichtigste Anlaufstelle. Der Bestand Germania Superior ermöglichte es, die Biographie von Anton Claus von dessen Ordenseintritt an schematisch zu rekonstruieren. Die Abfolge der Lebensstationen sowie die Aufgaben, denen Claus in den verschiedenen Kollegien nachging, sind in den Catalogi annuales dokumentiert, nach Häusern geordneten Listen, in denen sämtliche Ordensmitglieder einer Provinz erfasst und ihre Tätigkeiten in abgekürzter Form angeführt sind. Ergänzend standen die Catalogi triennales zur Verfügung, die sich aus zwei Teilen zusammensetzen: Im Catalogus primus sind Herkunft, Alter, akademischer Grad, Gesundheitszustand sowie die im Zeitraum der Ordenszugehörigkeit übernommenen Aufgaben des jeweiligen Mitglieds tabellarisch aufgelistet. Der Catalogus secundus (bzw. Catalogus secretus) bietet eine knappe subjektive Einschätzung der Persönlichkeit eines jeden Bewohners eines Hauses durch den jeweiligen Superior. Ferner liegen im römischen Generalarchiv die Originale der Litterae annuae der oberdeutschen Jesuitenprovinz, d. h. die handschriftlichen Berichte über die Ereignisse, die sich in jedem Kollegium der Provinz innerhalb eines Jahres zugetragen haben. Da in den Chroniken die Namen einzelner Jesuiten so gut wie ausschließlich im Todesfall erwähnt sind, sind die meisten Bände für die Rekonstruktion von Claus’ Leben von geringem Wert; vielfach enthalten sie aber knappe Angaben zu den an den jeweiligen Kollegien aufgeführten Stücken; die Sujets der Herbstspiele sind häufig verzeichnet, in der Regel gefolgt von einer (meist stereotypen) Erwähnung des Publikumszuspruchs. Aufschlussreich sind die Litterae annuae von 1754, in denen sich ein drei Seiten umfassender Nachruf auf den Dramatiker findet.58 Eine gekürzte Fassung dieses Nachrufs ist in die Sammlung Elogia eingegangen; eine Abschrift dieses Dokuments findet sich im Archiv der deutschen Ordensprovinz in München.59 Im Provinzarchiv finden sich darüber hinaus Abschriften bzw. Originale der Kataloge, die für die Rekonstruktion der Biographie ebenfalls verwendet werden. Als weniger hilfreich erweisen sich die einzelnen Hauschroniken (Historiae domus). Die in ihnen enthaltenen Informationen bieten gegenüber den Angaben in den Litterae annuae kaum einen Mehrwert. Persönliche Dokumente von Anton Claus konnten nicht aufgefunden werden, Verlagskorrespondenz und sonstige Briefe sind vermutlich verloren. Im Zuge der Ordensaufhebung 1773 sowie der folgenden Säkularisierungen

 LA, Bd. 90, Bl. 330v–331v.  Elogia selecta prov. Germ. super. 1652–1766, S. 132–133.

Quellen

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wurden offenbar zumal Dokumente aus der jüngeren Vergangenheit kollektiv entsorgt.60

 Der Verlust vieler jesuitischer Korrespondenzen zumal des 18. Jahrhunderts ist leider eine Tatsache. Bekannt ist zum Beispiel, dass Charles Porée (1675–1741) ein handschriftliches Epistolarium in 12 Bänden hinterlassen hat; heute findet sich davon keine Spur mehr. Flamarion 2002, S. 232–233. Erhalten haben sich tendenziell ältere Dokumente, etwa Korrespondenzen von Jakob Pontanus (1542–1626) oder Matthäus Rader (1561–1634). Bauer 1986, S. 274; Rader 1995/2009.

1 Das Jesuitentheater vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert Der Jesuitenorden war eine der kulturell prägendsten geistlichen Institutionen der Frühen Neuzeit in Europa.61 1536 als Gemeinschaft zur Pflege und Verbreitung des katholischen Glaubens gegründet, entwickelte sich die Societas Jesu rasch zu einem Bildungsorden, dessen didaktisches Angebot auch Externen offenstand. In der Absicht, die Jugend auf Basis humanistisch-christlicher Werte zur künftigen geistigen Elite heranzubilden, gründeten die Patres innerhalb weniger Jahrzehnte in weiten Teilen des Kontinents und später auch in den missionierten Territorien Niederlassungen und eröffneten Schulen. Vielerorts erreichten die jesuitischen Bildungseinrichtungen geradezu Monopolstellung. Im Mittelpunkt des Kurrikulums stand die Rhetorikausbildung, d. h. die Vermittlung der lateinischen Sprache. Ziel der Schulbildung war die souveräne Beherrschung der lingua universalis der gelehrten Welt als Mittel der Kommunikation, Argumentation und Polemik. Eine Methode, mit der die produktive Sprachkompetenz der Schüler gefördert werden sollte, war das szenische Vortragen von Dialogen, das in der öffentlichen Darbietung von lateinischen Schauspielen gipfelte. Diese öffentlichen Jesuitenaufführungen, die üblicherweise am Schuljahresanfang bzw. ab der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts am Schuljahresende stattfanden, bildeten eine Synthese von Didaktik und literarischem Schaffen, die in ihrer Breitenwirksamkeit einmalig war. Im Laufe von knapp 220 Jahren wurden verstreut über die katholischen Länder Tausende von Stücken aufgeführt, die von unzähligen Zuschauern verfolgt wurden. In größeren Städten strömten zu Glanzzeiten Hunderte zu den Aufführungen, in ländlichen Gebieten stellten sie oft die einzige Möglichkeit kultivierter Unterhaltung dar. „Kein gebildeter Katholik wird auf seinem Bildungsweg bis weit in die Zeit des Aufgeklärten Absolutismus hinein nicht an Schultheateraufführungen teilgenommen haben.“ 62 Die Patres, die die Spielvorlagen lieferten, blieben größtenteils anonym. Der Orden legte Wert darauf, die Aufführungen nicht als Werk eines einzelnen, sondern als Leistung des gesamten Kollegs darzustellen. Aus der großen Zahl an Ordensdramatikern ragen heute nur wenige heraus, sei es, weil sie bereits

 Gute Einführungen zum Jesuitentheater bieten McCabe 1983, S. 3–68; Filippi 1997; Filippi 2006. Speziell zum deutschen Sprachraum aus jüngerer Zeit: Pohle 2010, S. 19–27 bzw. 216– 327; Rädle 2013. Zuvor u. a. Kindermann 1959, S. 440–484; Valentin 1980; Wimmer 2000 sowie (allerdings sehr oberflächlich) Wolf 2000. Für weiterführende Literatur siehe Anm. 6.  Pohle 2010, S. 27. https://doi.org/10.1515/9783110617788-002

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von den Zeitgenossen besonders geschätzt wurden, sei es aus forschungsgeschichtlichen Gründen. Die Absichten, die die Jesuiten mit ihren öffentlichen Spielen verfolgten, waren vielfältig. Zunächst standen die Anwendung und Vertiefung der Unterrichtsinhalte sowie didaktisch-motivationale Faktoren im Mittelpunkt: Das Schultheater als Zielpunkt der rhetorischen Ausbildung bot dem Schüler Gelegenheit, das erworbene Wissen öffentlich zu präsentieren, verlangte also auch entsprechenden Fleiß im Vorfeld. Die Darbietung war zugleich ein Ausweis der guten Schularbeit, die die Jesuiten leisteten, und diente dazu, Werbung für das Kolleg und den Orden zu machen. Das galt zumal dann, wenn die Aufführungen zu speziellen, außerschulischen Anlässen erfolgten und enkomiastisch angelegt waren. Daneben wurde auf inhaltlicher Ebene versucht, Anliegen zu vermitteln: Das moralisierend-erbauliche Gepräge der Stücke sollte die Beteiligten zu einer christlichen Lebensführung anhalten. Dabei wurden in unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten verschiedene Schwerpunkte gesetzt. In der Vergangenheit wurde mehrfach der Versuch unternommen, diese Entwicklungen in historischen Phasen zu kategorisieren, was zu ebenso hilfreichen wie problematischen Konstrukten geführt hat.63 Hier sollen, auf diesen Arbeiten aufbauend, nur einige elementare Entwicklungen vorgestellt werden. Im deutschen Sprachraum beginnt die jesuitische Spieltradition mit der Aufführung des Euripus 1555 in Wien. Das Stück des flämischen Minoriten Levin Brecht über den Menschen am Scheideweg zwischen Tugend und Sünde ist charakteristisch für öffentliche Darbietungen der Frühzeit: In dieser Periode gelangten vorwiegend von humanistischen Traditionen geprägte Moritaten und Bibelstücke auf die Bühnen, daneben wurde vereinzelt antikes Theater dargeboten. Ab dem späten sechzehnten Jahrhundert erfuhren die Aufführungen stärkere Reglementierungen durch die Ordensoberen, die darauf drängten, nur moralisch erbauliche Inhalte darzubieten. Volkssprachliche Interludien, die dazu eingesetzt worden waren, das lateinunkundige Publikum bei Laune zu halten, wurden verboten; stattdessen wurden nun Periochen gedruckt, d. h. (zumeist) lateinisch-deutsche Programmhefte, in denen die Handlung der einzelnen Szenen knapp paraphrasiert wurde, um den Zuschauern das Verständnis der Handlung zu erleichtern. Zur selben Zeit setzten sich vermehrt Stücke durch, die heute noch als typisch für das Jesuitentheater insgesamt wahrgenommen werden: Büßer- und Heiligenstücke, oft in der Form von Märtyrerdramen, deren Stoffe der christlichen Geschichte von der Antike bis in die

 Am einflussreichsten war in jüngerer Zeit Szarotas fünfstufige Gliederung von 1979. Weitere Gliederungen stammen von Reinhardstöttner 1889, S. 59; Flemming 1923; Scheid 1930 sowie Müller 1930. Kritisch beleuchtet werden diese Gliederungen von Pohle 2010, S. 248–253.

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jüngere Vergangenheit entnommen wurden bzw. aus den kolonialisierten Gebieten nach Europa gelangt waren. Oftmals mit Musik und Bühneneffekten prunkvoll inszeniert, wurde in ihnen die Größe Gottes sowie die Überlegenheit der eigenen Konfession gefeiert. Der Einsatz spezifisch katholischer Motive und Stoffe wurde massiv dafür genutzt, den Wahrheitsanspruch der religio avita gegenüber den Protestanten zu bekräftigen; besonders in der Zeit um und während des Dreißigjährigen Krieges wurde die Jesuitenbühne zu einem Ort päpstlicher Propaganda, die mitunter große Menschenmengen erreichte. Auch in der Folge spiegelten sich in den Stücken aktuelle politische Ereignisse (Türkenkriege, Spanischer Erbfolgekrieg), Haupt- und Staatsaktionen wurden nun zu beliebten Sujets. Ab dem späten siebzehnten Jahrhundert nahmen neben religiösen und aktuell-politischen Themen allgemein ethische Inhalte immer größeren Raum ein. Dazu gehörte neben Themen wie Ehe und Kindererziehung die Frage nach richtigem staatsmännischen bzw. staatsbürgerlichen Verhalten. Um diese Themen vorzuführen, wurden vermehrt profangeschichtliche Stoffe aus der vorchristlichen Antike und aus der antiken Mythologie bearbeitet. Sakrale Stoffe lassen sich zwar auch in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts noch beobachten, mancherorts traten sie aber zurück oder wurden gänzlich aufgegeben.64 Eine Auffälligkeit später Dramentexte ist die verstärkte Übernahme klassizistischer Prinzipien durch Rückgriff auf französische Vorbilder, vor allem Pierre Corneille – eine Entwicklung, für die Claus, wie gezeigt werden wird, als Vorreiter gelten kann.65 Dieser Neuorientierung ist in der Forschung bisweilen als Indiz für ein Nachlassen der Eigenkreativität der Jesuiten gesehen worden. Nikolaus Scheid ging davon aus, die Einführung des französischen Klassizismus auf der deutschen Ordensbühne habe „den allmähliche[n] Niedergang des jesuitischen Schuldramas eingeleitet“,66 begründete diese Aussage aber nicht. Auch Jean-Marie Valentin hat den Rückbezug auf Corneille als Rettungsversuch eines in die Krise geratenen Jesuitentheaters gedeutet und argumentiert, die Jesuiten hätten dem qualitativen Niedergang ihres Theaters entgegenzuwirken versucht, indem sie ihre Stücke an Modellen ausrichteten, die als zeitgemäß gelten konnten.67 Dass sich das Jesuitentheater in der ersten Hälfte

 Siehe Tilg 2011, S. 140.  Valentin 2007.  Scheid 1930, S. 26. Noch drastischer urteilt Flemming 1926, S. 765: „Der Einbruch des franz. Klassizismus bedeutet geistig die Kapitulation vor dem Rationalismus, das Ende eines eigenständigen Jesuitendramas.“  „[…] il apparaît comme l’autorité seule capable de redonner vie à la scène des collèges tombée du haut niveau qu’elle occupait encore un demi-siècle plus tôt, à celui, médiocre, de l’exercice scolaire et moralisant dont le portrait cruel et ironique tracé par Nicolai influencera long-

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des achtzehnten Jahrhunderts bereits in einer Phase des Niedergangs befunden habe, ist als Theorem heute aber zumindest in seiner Einseitigkeit überholt. Es ist sicherlich zutreffend, dass vielerorts die Konkurrenz durch andere Theaterformen sowie allerorts durch das nun immer leichter zugängliche gedruckte Buch zugenommen hatte. Die Tatsache, dass das Jesuitentheater in dieser Phase allmählich die Kritik aufgeklärter Utilitaristen auf sich zu ziehen begann, ist ebenfalls unstrittig. Und auch mit Aufführungen vor riesigen Zuschauermassen, wie sie für das frühe siebzehnte Jahrhundert vereinzelt bezeugt sind und die literarhistorische Wahrnehmung des Jesuitentheaters prägen, ist in der Zeit, als Claus tätig war, nicht zu rechnen. Von einem Rückzug der Theaterpraxis ins Klassenzimmer zu sprechen ist jedoch problematisch. Zum einen wurde auch nun in Theatersälen gespielt, für die mit stattlichen Zuschauerzahlen gerechnet werden kann.68 Zum anderen muss man sich vor Augen führen, dass die Schule auch in den ‚Blütezeiten‘ des Jesuitentheaters das natürliche Habitat der Stücke war; die Annahme von Massenveranstaltungen ist auch für das Gros der Aufführungen in der Zeit der Konfessionalisierung unrealistisch. Nimmt man die Anzahl gedruckter Periochen als Indiz und zieht die durchweg ein positives Bild vermittelnden Einträge aus den Litterae annuae hinzu, so ergibt sich in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts durchaus nicht der Eindruck einer auf den Untergang zusteuernden kulturellen Institution.69 Die Spielaktivität blieb an vielen Standorten bis zum Ende des alten Jesuitenordens 1773, vielerorts auch darüber hinaus, rege.70 Schon gar nicht darf man davon ausgehen, die jesuitischen Dramatiker der 1720er bis 1750er Jahre hätten ihr Theater gegenüber dem des siebzehnten Jahrhunderts als literarisch minderwertig empfunden und aus diesem Grund einen ästhetischen Neubeginn versucht. Aus den Paratexten, die sich in den Dramensammlungen finden, lassen sich ebenso wenig Hinweise darauf ableiten wie aus anderen Quellen.71 Vielmehr stößt man in theatertheoretischen temps, et injustement, le jugement des historiens de la littérature.“ Valentin 2007, S. 316. Siehe auch Valentin 1990, S. 225; 251–252.  Eine öffentliche Aufführung bedeutete immer einen beachtlichen Zusatzaufwand (Musik, Kostümierung, Bühnenbild, Periochendruck). Dieser wäre mit Sicherheit nicht betrieben worden, hätte man nicht mit entsprechendem Publikumszuspruch rechnen können. Zur Publikumssituation in Innsbruck in den 1720er Jahren vgl. Tilg 2008, S. 198–199.  Zur Blüte des Innsbrucker Jesuitentheaters im 18. Jahrhundert. vgl. Tilg 2008, S. 198–199. Zum Dillinger Theater um 1750 vgl. die Notiz bei Rädle 1999, S. 506, Anm. 9.  In Österreich endet die Tradition des lateinischen Schulspiels aus politischen Gründen bereits 1764. Grimm 1987, S. 304.  Die Belegstelle, die Scheid dafür anführt, ist falsch verstanden worden. […] cum rariores sint, qui ad nostrae aetatis genium latinas tragoedias scripsere (Claus 1741, S. []), bedeutet nicht „weil die lateinischen Tragödien zu seiner Zeit weniger werden“ (Scheid 1930, S. 75) –

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1 Das Jesuitentheater vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert

Schriften dieser Zeit auf dezidierte Ablehnung von Gestaltungsformen, die das barocke Jesuitentheater geprägt hatten. Klassizistische Bauformen werden ihnen als Ideal gegenübergestellt. Es sind folglich künstlerische Motive als Ursachen für die Übernahme dieser Ästhetik anzunehmen.72 Die Literaturwissenschaft ist hier, wie es scheint, der Verführung einer teleologischen Perspektive anheimgefallen. Im Wissen um die Aufhebung des Jesuitenordens 1773 wurde schon den Dramatikern der ersten Jahrhunderthälfte ein Bewusstsein um ihre Dekadenz unterschoben, zu deren Überwindung man klassizistische Theorie eingesetzt sah. Werke wie jene von Anton Claus beweisen hingegen, dass auf den Jesuitenbühnen bis tief ins achtzehnte Jahrhundert hinein Stücke von beachtlichem literarischen Niveau aufgeführt wurden.

wie viele es damals noch gab, verdeutlicht Valentin eindringlich –, sondern: „weil es wenige gibt, die nach dem Geschmack unserer Zeit [d. h. nach klassizistischen Vorgaben] lateinische Dramen geschrieben haben.“  Siehe hier S. 269–271.

2 Biographie Franz Anton Claus wurde am 15. Oktober 1691 in Kempten geboren. In den Personallisten der oberdeutschen Jesuitenprovinz findet sich die Ergänzung, er stamme aus dem Bistum Konstanz. Der junge Allgäuer müsste folglich in der Kemptner Stiftstadt in St. Lorenz getauft worden sein.73 In den Taufbüchern der Pfarre, die bis ins siebzehnte Jahrhundert zurückreichen, scheint er allerdings nicht auf. Aus diesem Grund lassen sich keine Aussagen über seine gesellschaftliche Herkunft treffen. Der einzige Hinweis zu seiner Familie ist die in einem Empfehlungsschreiben überlieferte Information, wonach Claus der Enkel eines – offenbar angesehenen – Forstverwalters gewesen ist.74 Kaum weniger im Dunkeln liegen Claus’ Kindheit und Jugend. Wahrscheinlich absolvierte er von 1697 an am kurfürstlichen Gymnasium seiner Heimatstadt Kempten die Lateinschule (Principia, Rudimenta).75 Belegt ist, dass er im Schuljahr 1699/1700 die Grammatica besuchte.76 Eine der raren Periochen, die sich vom Kemptner Schultheater erhalten haben, verzeichnet den jungen Claus in der Rolle eines Hofknaben und Tänzers bei der Hirlanda-Aufführung vom 1. [?] September 1700.77 Ob er in dieser Schule noch weitere Klassen belegte, ist nicht

 Kempten lag an der Bistumsgrenze. Die Pfarre St. Lorenz, zu deren Einzugsbereich die Stiftstadt und große Teile des Umlands gehörten, war dem Bistum Konstanz unterstellt, die ebenfalls zum Fürststift gehörende Fraktion Lenzried dem Bistum Augsburg.  „[…] hießig Forst Verwalthers seel. hinterlaßene Enkhel […].“ Brief vom 23. Oktober 1709, siehe Anm. 82. Vorstellbar ist eine Verwandtschaft mit Joseph Ignaz Claus, einem in der Augsburger Gegend tätigen Geistlichen, der sich als Verfasser deutscher und lateinischer Predigtliteratur einen Namen machte. Auch dessen Herkunft liegt im Dunkeln. Meusel 1803, S. 133, gibt als Geburtsjahr ebenfalls 1691 an. Er verstarb 1775. Vgl. Veith 1785, S. 36.  In der Stiftstadt bestand seit dem 17. Jahrhundert ein Gymnasium, das zunächst von Weltgeistlichen, ab 1701 von den Hofkaplänen (Petrinern) geführt wurde. Petz 1998, S. 421–423.  Grammatica bezeichnet hier die erste der drei classes inferiores. Außerdem wird in der Perioche zwischen Principista und Rudimentista unterschieden; beide Begriffe bezeichnen die ‚Vorschule‘, in der die Schüler Latein lesen, schreiben und flektieren sowie Griechisch lesen und schreiben lernten. Die Anmerkung ist wichtig, da die Terminologie für die unteren Klassen von Jesuiten- und am jesuitischen System ausgerichteten Schulen in den Quellen und in der Forschung uneinheitlich ist. Im Gegensatz zur hier geltenden Abfolge (Principia) – (Rudimenta) – Grammatica – Syntaxis minor – Syntaxis maior bezeichnet vielfach Rudimenta die erste der drei classes inferiores, d. h. es gilt die Abfolge (Principia) – Rudimenta – Grammatica – Syntaxis, z. B. Duhr 1921, Bd. 3, S. 382. Die Ratio studiorum von 1599 operiert mit den Begriffen Infima, Media und Suprema classis grammatica (Lukács 1986, S. 434–441). Die höheren Klassen tragen stets die Bezeichnungen Humanitas/Poesis und Rhetorica.  Gecrönte Unschuld oder Hirlanda Königin von klein Britanien Vorgestellt von der Studierenden Jugent deß hochfürstlichen Gymnasii zu Kempten zum Beschluß des Schul=Jahrs 1700 den Monats Tag Septembris. Sign.: Seitenstettener Periochen Nr. 15 der Sammlung des Instituts für https://doi.org/10.1515/9783110617788-003

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dokumentiert – vermutlich blieb er bis zum Ende der Grammatikklassen, d. h. noch weitere zwei Jahre, in Kempten. Die Poetica, die erste der beiden höheren Schulstufen, besuchte der Knabe dem in den Litterae annuae überlieferten Nachruf zufolge bereits im Benediktinerkloster Mehrerau am Bodensee;78 es ist anzunehmen, dass es Claus’ Begabung war, die die Lehrer in Kempten dazu bewogen hat, eine Versetzung in die Stiftschule anzuregen, die einen guten Ruf genoss.79 Im traditionell gut mit dem Allgäu vernetzten Kloster, in dem in den 1660er Jahren ein Gymnasium eingerichtet worden war, dürfte Claus vermehrt Schultheateraufführungen beigewohnt bzw. an ihnen mitgewirkt haben; im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert herrschte in der Mehrerau „allem Anschein nach sehr rege Spieltätigkeit“.80 Leider hat nur wenig Quellenmaterial die Säkularisierung überdauert; Periochen, deren syllabi actorum für eine Aufarbeitung ausgesprochen hilfreich wären, sind heute rar und für die Zeit, in der sich Claus im Kloster aufhielt, nicht überliefert. Erhalten hat sich aus dieser Zeit jedoch ein biographisches Detail: Während seines Aufenthaltes in der Mehrerau trug sich ein für den Knaben denkwürdiges Ereignis zu, das ein unbekannter Dillinger Chronist im Nachruf in geradezu literarischer Eindringlichkeit dokumentiert hat. Claus soll, als er am Ufer auf einer Holzplanke spielte, abgetrieben worden sein und stundenlang auf dem See mit der Strömung gerungen haben, ehe ihn die Besatzung eines Schiffs aus der gefährlichen Situation befreite.81 Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Die Perioche liegt nur auf Deutsch vor.  LA, Bd. 90, Bl. 330v–331r [= 1754, S. 8–10]. Vgl. außerdem Elogia selecta prov. Germ. super. 1652–1766, S. 132–133.  Kottmann 1996, S. 320.  Fuhrich 1986, S. 71. Wesentliche Initiativen für das Mehrerauer Schultheater dürften von P. Joseph Langenauer (1647–1708), P. Placidus Hellbock (1642–1710) und P. Benedikt Müller (1659–1719) ausgegangen sein. Vom späteren Abt Franz Pappus (1673–1753), einem vielseitigen Schriftsteller, der bei den Jesuiten in Konstanz und Feldkirch studiert hatte (Spahr 1973, S. 12), haben sich Dramentexte erhalten. Ulmer o. J., S. 12. Pappus war Choragus einer 1696 aufgeführten Comoedia de Sancto Emerico. Fuhrich 1986, S. 72. Es ist gut möglich, dass er auch der Chorag von Stücken war, in die Claus als Schüler involviert gewesen ist.  Da es sich dabei um das einzige Dokument handelt, das unmittelbar aus dem Leben von Claus berichtet und damit aus den eher stereotypen Angaben herausragt, wird der Passus hier ungekürzt wiedergegeben (LA, Bd. 90, Bl. 331r [1754]): Pietatem hanc in superos singularem ab ipsa jam adolescentia coluisse constat; atque hac singularem etiam caeli favorem commeruisse credi fas est, cum adolescens in Majore Augiensi Benedictinorum monasterio poeseos studiosus, praesenti vitae periculo ereptus, Societati servatus est. Lacus Acronii ripam legebat animi causa, nudo assere pro nave et baculo pro remo puerorum more usus. Et ecce! Tollente paulatim se vento undisque relabentibus in medium fere lacum propellitur, ubi per quinque fere horas cum

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Rekonstruieren lässt sich, dass Claus einen Teil seines Bildungswegs in Feldkirch beschritt. In dem bereits erwähnten Schreiben aus dem Jahr 1709 bittet ein Vertreter des Fürststifts Kempten den Feldkircher Stadtrat, Claus in Anbetracht seiner schulischen Leistungen für einen Studienplatz im Priesterseminar Collegium Germanicum in Rom vorzuschlagen.82 In einem der beiden Antwortbriefe, die sich erhalten haben, wird das Gesuch abschlägig beschieden. Claus könne erst für das Alumnat in Rom rekommandiert werden, wenn er das Bürgerrecht der Stadt gegen Gebühr erworben habe.83 Man muss daher davon ausgehen, dass er sich nicht nach Rom aufmachte, zumal die Vorschlagsfrist bereits wenige Tage nach dem Entsenden des Briefes ablief.84 Aus dem Schreiben lassen sich jedoch andere Schlüsse ziehen: Zum einen ist gesichert, dass Claus sich in Feldkirch aufhielt und dort gute schulische Leistungen vorwies. Zum anderen stand für ihn die Entscheidung, Priester zu werden, spätestens ab dem Jahr 1709 fest.

tabula, quam manibus pedibusque arctissime complectebatur, jactatus, tandem in navigium, quod Lindavio Brigantium tendebat, a longe conspectus (grandiorem avem aquaticam vectores crediderant) a nautis projecto fune pertractus est, atque incolumis Brigantium advectus admiranda custodis angeli pro cliente vigilantis cura, quem cum sanctis omnibus plurima prece invocasse se primum fassus est interroganti, deinceps de nullo alio, quam parentum suorum luctu, quem ex ipsius morte concepturi forent, tum sollicitus. Magnam enim vero spem aquis submersam doluissent parentes. („Es steht fest, dass ihm diese außergewöhnliche Frömmigkeit schon von Jugend an eigen war. Und mit Recht darf man annehmen, dass er sich dadurch auch eine außergewöhnliche Gunst des Himmels verdient hat, weil er nämlich im Knabenalter als Schüler der Poetik-Klasse im Benediktinerkloster Mehrerau aus echter Lebensgefahr gerettet und der Gesellschaft [Jesu] bewahrt wurde. Er hielt sich zum Entspannen am Ufer des Bodensees auf und verwendete nach Art der Knaben ein einfaches Brett als Schiff und einen Ast als Ruder. Und da! Als plötzlich der Wind auffrischte, wurde er von den ablandigen Wellen ungefähr mitten auf den See hinausgetragen, wo er fast fünf Stunden lang mit seinem Brett, das er mit Händen und Füßen fest umschlungen hielt, umhergetrieben wurde. Schließlich wurde er von einem Schiff aus, das von Lindau nach Bregenz übersetzte, von weitem erblickt (die Schiffer hielten ihn für einen größeren Wasservogel) und von den Matrosen mit einem ausgeworfenen Tau geborgen. So erreichte er Bregenz unversehrt dank der bewundernswerten Obsorge des Schutzengels, der seinen Schützling bewachte. Diesen hatte er – wie er einem Nachfragenden bekannte – mit vielen Gebeten zusammen mit allen Heiligen angerufen, bald um nichts Anderes besorgt als um das Leid seiner Eltern, das sie durch seinen Tod erfahren haben würden. Die Eltern würden nämlich darunter gelitten haben, wenn ihre große Hoffnung im Wasser untergegangen wäre.“)  Erhalten haben sich ein Brief vom 23. Oktober 1709 vom Stift Kempten an die Stadt Feldkirch und zwei Antwortbriefe vom 30. Oktober und 8. November desselben Jahres. Sie befinden sich im Staatsarchiv Augsburg. Sig.: Fst. Kempten Archiv, Akten 2665.  Die zwei Alumnatsstellen in Rom waren begehrt. Siehe Ludewig 1908–1911, S. 112, Anm. 5.  In den Schülerlisten des Collegium Germanicum – der erste Band der Nomina alumnorum Collegii Germanici et Hungarici umfasst den Zeitraum von 1552 bis 1716 – scheint Claus nicht auf.

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Die Bildungsstätte, die er in Feldkirch besuchte, war die dortige Jesuitenschule. Der Wechsel von Bregenz ins Feldkircher Kolleg war für den Schüler ein logischer Schritt. Dass die Jesuiten in Vorarlberg engen Umgang mit den Angehörigen anderer Orden pflegten, ist belegt;85 es ist naheliegend, dass die Mehrerauer Benediktiner begabte Schüler, die nicht über die finanziellen Mittel verfügten, eine Universität zu besuchen, nach dem Schulabschluss nach Feldkirch vermittelten, um ihnen im Kolleg St. Nikolai den Besuch der höheren Klassen und des Lyzeums zu ermöglichen.86 Fürsprache war in diesem Fall tatsächlich nötig, denn in Feldkirch gab es kein Internat 87 – Claus musste als Kostgänger untergebracht werden. Das Unterrichtsniveau am Feldkircher Lyzeum, einer zweijährigen höherbildenden Schule, in der Philosophie und Theologie gelehrt wurden, kam freilich einer universitären Ausbildung nicht gleich, zumal an philosophischen Disziplinen vorwiegend Logik und an theologischen ausschließlich Kasuistik vorgetragen wurde.88 Claus kann insbesondere in der Theologie nur erste Grundlagen erworben haben. Nach dem Abschluss des Lyzeums im Herbst 1709 durfte sich Claus Magister artium liberalium nennen – im genannten Brief aus Kempten scheint er unter diesem Titel auf und auch der Chronist der Litterae annuae von 1754 hält fest, Claus sei iam suprema philosophiae laurea ornatus („schon mit der höchsten Auszeichnung der Philosophie geschmückt“) in die Gesellschaft Jesu eingetreten. Wie Claus die folgenden beiden Jahre verbracht hat, ist unbekannt. Am 28. September 1711 trat er in den Jesuitenorden ein. Im Herbst des Jahres begab er sich nach Landsberg am Lech in das Ausbildungszentrum der oberdeutschen Jesuiten. Schon 1578 war in der günstig gelegenen Provinzstadt ein Novizenhaus eingerichtet worden, das eine Nachwuchsausbildung nach römischen Gepflogenheiten möglich machte.89 Der Tagesablauf war exakt festgelegt, kontemplative Phasen wechselten mit Unterricht in den Ordensregeln, im Katechismus und in der Heiligen Schrift. Es ist anzunehmen, dass Claus auch eine Pilgerreise machen musste, wie sie die Novizenordnung vorsah.90

 Ludewig 1908–1911, S. 126; S. 203.  Das Modell war verbreitet. So wurden etwa die besten Schüler des Fürstbischöflichen Gymnasiums Brixen zumindest bis 1748 nach dem Schulabschluss, d. h. nach der Syntaxis maior, an die Jesuitenkollegien von Innsbruck bzw. München vermittelt. Mutschlechner 1976, S. 26.  Löcher 2006, S. 75.  Ludewig 1908–1911, S. 112.  Zur Geschichte des Hauses vgl. Ringler o. J. [1991?], S. 14–56.  Allerdings ist belegt, dass die Pilgerreise in den allerletzten Jahren vor der Aufhebung nicht mehr üblich war. Ringler o. J., S. 72. Zu den Jahren 1711–1713 liegen keine Informationen vor.

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Nach der Ablegung der ersten Gelübde am Ende des Noviziats stand einem jungen Jesuiten üblicherweise ein dreijähriges Philosophiestudium bevor. Claus übersiedelte zwar in die Universitätsstadt Ingolstadt, sein Philosophicum am Feldkircher Lyzeum wurde jedoch als vollwertiges Studium anerkannt,91 sodass er anstelle der Unterweisung in Logik, Physik und Metaphysik selbst im Rahmen des Interstiz als Lehrer angestellt wurde.92 Im Schuljahr 1713/14 unterrichtete er am Ingolstädter Kollegium die Rudimenta, im Folgejahr begleitete er denselben Jahrgang in der Grammatica. 1715/16 war er in Amberg, 1716/ 17 in München bereits jeweils als Lehrer der Humanitas tätig. Daneben versah er stets kleinere Arbeiten, die in den Kollegien anfielen.93 Spätestens im Herbst 1717 kehrte er nach Ingolstadt zurück, um das vierjährige Theologiestudium aufzunehmen. Zwar versuchte er offenbar, sich auch dafür seine Ausbildung im Feldkircher Kolleg anrechnen zu lassen, die Obrigkeiten gewährten aber keine Abschläge.94 In seinem dritten Studienjahr trat er – soweit sich dokumentieren lässt – erstmals als Dramatiker in Erscheinung. In Ingolstadt wurde am 14. Dezember 1719 eine comoedia heroica mit dem Titel Telemachus in Athenaeo (Valentin, Nr. 4173) auf die Bühne gebracht. Auf der zugehörigen Perioche findet sich die handschriftliche Angabe Auth[ore] P[atre] Anton Claus.95 Die Notiz dürfte von späterer Hand hinzugefügt worden sein – Claus war zu dieser Zeit noch kein Pater. An der Richtigkeit der Zuschreibung zu zweifeln, liegt jedoch kein Grund vor. Die Ingolstädter Jahre waren mit Sicherheit prägend für Claus’ spätere Laufbahn. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wohnte er am dortigen Kollegium regelmäßig Schultheateraufführungen bei; schon ein Jahr nach seinem Abschied aus

 Quellen für diese und die folgenden Informationen: Catalogus personarum et officiorum prov. Germ. sup. ann. 1712–1722. Archiv der deutschen Provinz der Jesuiten, ms. VI. 36, S. 4–5; ARSI, Bd. 49, Catalogus brevis 1700–1715 bzw. Bd. 50 Catalogus brevis 1715–1745. Dass Claus kein reguläres Philosophiestudium innerhalb des Ordens abgeschlossen hat, wird auch aus den Catalogi triennales ersichtlich: Im Feld Tempus studiorum, in dem sich für die Mehrzahl an Ordensmitgliedern der Eintrag Phil. 3, Theol. 4 findet, steht nur der Eintrag Theol. 4; vgl. z. B. ARSI, Bd. 38, Catalogus triennalis 1749–1754, S. 27.  Interstiz bezeichnet im Jesuitenorden die Zeit praktischer Tätigkeiten, an denen man sich zwischen dem Philosophie- und dem Theologiestudium beweisen musste.  Vgl. die Einträge in den römischen Catalogi breves: Für 1714/15 und 1715/16 scheint er u. a. als Präfekt der Armenbibliothek, 1716/17 als Hilfskraft in der großen Kongregation auf.  In den römischen Catalogi breves von 1711/12 (Bl. 354r) und 1712/13 (Bl. 384r) ist vermerkt, der Novize habe bereits zwei Jahre Theologie studiert. Möglicherweise wurde er deshalb zu Beginn des Theologiestudiums einer Prüfung unterzogen (Catalogus brevis 1717/18, Bl. 71r: Visit[atus] sub 1a orat[?]).  Die Perioche befindet sich in der Universitätsbibliothek München unter der Signatur 4° P. lat. rec. 548.

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Ingolstadt sollte er ja selbst als Rhetoriklehrer für Theaterdarbietungen zuständig zeichnen. An der Jesuitenschule der Stadt war von 1717 bis 1721 Joseph Buschele als Professor der Rhetorik tätig.96 Möglicherweise stand Claus mit ihm in Kontakt. Zwischen dem dramatischen Schaffen Buscheles und demjenigen von Claus lassen sich jedenfalls Parallelen beobachten. In Buscheles 1718 aufgeführtem Alphonsus IV. (Valentin, Nr. 4129) machen sich laut Carl Max Haas, dem besten Kenner der Ingolstädter Bühne, „erste Anzeichen der nahenden Aufklärung“ 97 bemerkbar. Das Stück setzt sich mit Machiavellismus im absolutistischen Staat auseinander, kreist also wie die frühen Claus-Dramen um Fragen richtigen staatsmännischen Verhaltens. Am 7. Juni 1721 wurde Claus in Eichstätt zum Priester geweiht, in dieser Zeit müsste er auch sein Theologiestudium abgeschlossen haben. Im Anschluss daran absolvierte er das Tertiat, die letzte, vorwiegend kontemplative Phase der Ordensausbildung. Er begab sich zu diesem Zweck in die dafür vorgesehene Einrichtung der oberdeutschen Jesuitenprovinz in Altötting. Mit dem Abschluss der Ausbildung nahm Claus seine pädagogischen Tätigkeiten wieder auf. Der junge Ordensmann, der schon von Kindheit an an Ortswechsel gewöhnt war, begann nun das für Jesuiten typische Wanderleben. Von 1722 bis 1734 änderte er siebenmal seinen Wohnort, in sechs Gymnasien war er als Lehrer der Rhetorik-Klasse tätig. Es waren diese Jahre, in denen er als Jesuitendramatiker Bedeutung erlangte. Er verfasste und inszenierte nun die meisten der Stücke, die er ab den vierziger Jahren gesammelt herausgab. Die erste Station war von Herbst 1722 bis 1724 die Stadt Pruntrut (Porrentruy) im schweizerischen Jura. Pruntrut hatte sich nach der Reformierung Basels im sechzehnten Jahrhundert zu einem Zentrum des Katholizismus in der heutigen Westschweiz entwickelt, 1591 hatten auch die Jesuiten mit ihrer Bildungsarbeit in der Stadt begonnen. Trotz der bescheidenen Größe behielt Pruntrut seine Bedeutung als Studienstadt auch nach dem Dreißigjährigen Krieg, konnte sie im Laufe der Zeit sogar noch ausbauen. Im achtzehnten Jahrhundert gehörten dem Kolleg nicht nur das Gymnasium, sondern auch ein Lyzeum und ein Priesterseminar an.98 Mit dem Auftrag, die Rhetorik in Pruntrut zu lehren, war Claus in die äußerste Peripherie der Provinz entsandt worden – möglicherweise ein Zeichen der Wertschätzung; die Lehrtätigkeit in der zu gro-

 Buschele, geboren 1680 in Wörleschwang, machte sich nach seiner mehr als zehnjährigen Tätigkeit als Rhetorik-Lehrer als Professor für Kontroversialtheologie in Luzern einen Namen. Er starb 1755 in München. Valentin, S. 1034–1035.  Haas 1958, S. 73.  Duhr 1928, Bd. 4,1, S. 342.

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ßen Teilen von französischsprachigen Buben besuchten Schule wurde vielleicht nicht allen angehenden Pädagogen zugetraut. In seiner Eigenschaft als Rhetorik-Lehrer begann Claus sich im Jura intensiv als Dramatiker zu betätigen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war er der Autor des im September 1723 aufgeführten Stücks, dessen Titel Duhr mit Duo comoedi, qui damnatis theatralibus nugis in eremum se subduxere („Zwei Komödianten, die ihre Theaterpossen verdammten und sich in die Einsiedelei zurückzogen“) angibt;99 auf der Perioche findet sich die handschriftliche Angabe Choragus P[ater] Antonius Claus.100 Bemerkenswerterweise scheint Claus damit seine Laufbahn als Chorag, d. h. als jesuitischer Regisseur und Aufführungsleiter von öffentlichen Darbietungen der Rhetorik-Klasse, ausgerechnet mit einem Stück eröffnet zu haben, in dem er gegen die Unmoral des Theaterspielens zu Felde zog; die Polemik richtete sich freilich gegen fahrende Schauspieltruppen. Das Thema ist auch insofern beachtenswert, als Claus sich in Pruntrut in einen lebhaften Theaterbetrieb involviert fand. Für das Jahr 1723 sind neben dem Herbstspiel eine Faschingsaufführung der Poetik-Klasse sowie szenische Meditationen der größeren und kleineren Kongregation dokumentiert.101 Die Litterae annuae verzeichnen ein zweites Herbststück, das Rätsel aufgibt 102 – zwei Herbstspiele in einem Jahr sind äußerst ungewöhnlich. Im Folgejahr wartete Claus bereits mit einem seiner besten Stücke auf: Stilico tragoedia wurde am 4. September 1724 uraufgeführt und, wie üblich, zwei Tage später wiederholt.103 Der gängigen Praxis im Jesuitenorden entsprechend wurde Claus nach zwei Jahren versetzt. Am 6. Oktober 1724 traf er in Freiburg i. Ü. ein.104 Das  Duhr 1928, Bd. 4,1, S. 343.  Valentin, Nr. 4377. Die Perioche zum Stück führt nur den deutschen Titel Comoedianten; die handschriftliche Verfasserangabe findet sich auf dem Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek, Sig. 4 Bavar. 2193,IX,9.  LA, Bd. 84, S. 372.  LA, Bd. 84, S. 372: Eiusdem celsissimi plurimorumque hospitum praesentiam et laudem meruit, quae anno scholastico coronidem imposuit, tragoedia, Philindus nempe Cimmeriae princeps filialis amoris ectypon. („Die Tragödie, die dem Schuljahr die Krone aufsetzte, nämlich Philindus, Fürst von Kimmerien, ein Beispiel der Kinderliebe, verdiente sich die Anwesenheit und das Lob seiner Hochwürden und zahlreicher Gäste.“)  Valentin, Nr. 4426. In den Litterae annuae (Bd. 85, S. 52) findet sich dazu die knappe Erwähnung Litterarium annum clausit Stilico tragoedia, a copioso spectatore ex merito summa cum approbatione spectatus. („Das Schuljahr beschloss Stilico tragoedia, das von einem großen Publikum verdientermaßen mit höchstem Lob angesehen wurde.“) Derartige knappe Einträge finden sich zu den meisten Herbstspielen dieser Zeit und damit auch zu den meisten anderen Herbstaufführungen, die Claus betreute.  October 1724: 6. Ven. hora 2da appulerunt P. Antonius Claus et M. Ludovicus. (Diarium A, Bd. 8. Bl. 224r., zit. nach Büsser 1938, S. 52.)

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Kolleg, das Anfang der 1580er Jahre unter der Aufsicht des betagten Petrus Canisius eingerichtet worden war, galt neben Luzern als das bedeutendste in der Schweiz.105 Im siebzehnten Jahrhundert hatte die Schülerzahl mitunter über 600 betragen,106 neben den Gymnasialklassen wurde auch ein Philosophiekurs angeboten. Claus hatte wie in Pruntrut und später in Freiburg i. Br. eine Klasse mit französisch- und deutschsprachigen Schülern zu unterrichten.107 Als Dramatiker legte er wiederum ein bedeutendes Stück vor. In den letzten Monaten des Schuljahres 1724/25 dürfte die erste Fassung von Scipio sui victor entstanden sein, die Claus am Ende des Jahres in der Aula des Kollegiums mit großem Erfolg aufführen ließ:108 Am 3. September 1725 wurde das Stück pro foeminis gegeben, drei Tage später folgte die offizielle Darbietung vor der Stadtprominenz,109 die den Herbstspielen des Kollegs regelmäßig beiwohnte.110 Die Aufführungen waren nicht frei von Provisorien. In Freiburg war es üblich, dass die Schüler an den Tagen vor den Herbstspielen in der Stadt umherzogen, um Stühle für die Zuschauer zusammenzutragen. Die Bühne musste zuvor eigens aufgebaut und Tafeln, Bilder etc. aus der Aula entfernt werden. Für das frühe achtzehnte Jahrhundert ist zudem belegt, dass die Fenster ausgehängt wurden, um mehr Platz zu schaffen.111 Am 2. Februar 1726 band sich Claus endgültig an den Orden, indem er die letzten Gelübde ablegte.112 Im Herbst des Jahres trat er wiederum als Chorag in Erscheinung: Stilico wurde am 2. September, wohl im Rahmen der Generalprobe, dem Freiburger Schulrat vorgespielt.113 Am 4. September folgte die erste, am 6. September die zweite öffentliche Aufführung des Stücks.  Duhr 1928, Bd. 4,1, S. 331.  Duhr 1913, Bd. 2,1, S. 293.  In der Rhetorikklasse, in der de iure nur Latein gesprochen wurde, dürfte sich das nur in bescheidenem Maß ausgewirkt haben. In den unteren drei Klassen musste der Lehrstoff offenbar auf Deutsch und Französisch vorgetragen werden. Duhr 1928, Bd. 4,1, S. 331.  Das Titelblatt der in der Bayerischen Staatsbibliothek erhaltenen Perioche trägt wiederum eine handschriftliche Verfasserangabe: P[ater] Ant[onius] Claus prof[essor] rhet[oricae] choragus, Sig. 4 Bavar. 2193,X,1/44.  Sept. 4. fer. 3. Exhibita pro foeminis comoedia (Diarum B, Bd. 5, Bl. 297v). Sept. 6. fer. 5. Exhibita ultimum comoedia, quae merito suo multum placuit. Subiuncta distributio praemiorum (Diarum B, Bd. 5, Bl. 298r, jeweils zit. nach Büsser 1938, S. 52).  Ehret 1921, S. 114–116.  Ehret 1921, S. 69–73.  Heutzutage werden die letzten Gelübde, mit denen sich der Jesuit zu Gehorsam gegenüber dem Papst verpflichtet und sich endgültig an den Orden bindet, üblicherweise bereits am Ende des Tertiats abgelegt. Im 18. Jahrhundert scheint dies anders gewesen zu sein. Auch Franz Neumayr legte seine letzten Gelübde erst zwei Jahre nach Ende des Tertiats ab. Van der Veldt 1992, S. 27.  1726. Sept. 2. lunae. Post prandium probatio tragoediae, praesentibus et spectantibus tribus consultatoribus collegij. (Diarium A, Bd. 9, Bl. 10v, zit. nach Büsser 1938, S. 52.)

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Für das Schuljahr 1726/27 zog Claus nach Freiburg i. Br. weiter.114 Hier waren die Jesuiten in den 1710er Jahren beträchtlich unter Druck geraten, die Universität galt – auch infolge der Zerstörungen im Spanischen Erbfolgekrieg – als desolat. Auf Betreiben der Landstände waren die Ordenspädagogen 1716 gezwungen worden, ihre Lehrpläne zu verändern.115 1718 folgte der kaiserliche Befehl, das Philosophiestudium auf zwei Jahre zu verkürzen.116 In den zwanziger Jahren hatte sich die Situation beruhigt. Für das Gymnasium wurde ein Neubau errichtet, der im Frühjahr 1727 bezogen werden konnte. In der Aula wurde ein Theater für die Herbstspiele, im Oratorium der kleineren Kongregation ebenfalls ein feststehendes Theater für die Aufführungen während des Jahres eingerichtet.117 Ob das Stück, das am Ende des Schuljahrs 1727 aufgeführt wurde, aus Claus’ Feder stammt, ist unsicher. Iter ad astra (Valentin, Nr. 4569), das die im Dezember 1726 heiliggesprochenen Jesuiten Aloysius Gonzaga und Stanislaus Kostka in der Fabel von Castor und Pollux verherrlicht, wurde am 19., 21. und 25. August aufgeführt, also rund zwei Wochen vor dem üblichen Termin der Herbstspiele Anfang September. Der Termin war gewählt worden, um das Stück in die Feierlichkeiten zu Ehren der beiden Jesuitenheiligen einzubinden, die in diesem Jahr in allen Kollegien der Provinz begangen wurden und in Freiburg i. Br. ganze acht Tage dauerten. Das Fest fiel zusammen mit der Einweihung des neuen Turms des Kollegiums.118 An den regulären Terminen der Herbstspiele in der ersten Septemberwoche fanden hingegen ein Jahr später die Aufführungen von Scipio statt. In den folgenden Jahren wurde Claus schon nach jeweils einem Schuljahr versetzt. 1728/29 hielt er sich in Straubing auf 119 – hier ist für dieses Jahr auch eine Faschingsaufführung der Rhetorikklasse bezeugt 120 –, 1729/30 in Mün-

 1726. Sept. 30. Lunae. Mane equites discesserunt P. Widenman et P. Claus, hic Frisburgum Brisg., ille Augustum ad officium ministri. (Diarium A, Bd. 9, Bl. 13v, zit. nach Büsser 1938, S. 52.)  Kurrus 1977, S. 134–150. Damit einher ging die Einstellung von Professoren für Natur- und Völkerrecht, Öffentliches Recht und Lehensrecht, Zivil- und Kriminalprozess, Geschichte, Zivilund Militärarchitektur, französische und italienische Sprache.  Kurrus 1977, S. 139. Das dreijährige Philosophiestudium war offenbar als zu teuer angesehen worden, zumal es sich bei Freiburg um eine schlechtfrequentierte Grenzlanduniversität handelte. Man kann die Einführung des Bienniums als einen der ersten Angriffe des aufgeklärten Staats auf das scholastisch geprägte Philosophiestudium der Jesuiten begreifen. Freiburg i. Br. machte den Anfang, in Innsbruck erfolgte die Einführung des Bienniums 1733, in Wien und Graz konnte sich der dreijährige Kurs halten. Unter Joseph II. kehrte man zum Triennium zurück.  Duhr 1728, Bd. 4,1, S. 296.  LA, Bd. 85, Bl. 299v–300r [= 1727, S. 132–133].  Zur Straubinger Jesuitenbühne siehe Behner 1949.  LA, Bd. 86, S. 149.

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chen, wo er zugleich Präfekt der kleinen Kongregation war.121 In beiden Kollegien brachte er jeweils in der ersten Septemberwoche seinen Scipio auf die Bühne. Der Münchner Scipio wird vom Chronisten der Litterae annuae vor allem deshalb hervorgehoben, weil ihm nicht nur, wie üblich, der Kurfürst beiwohnte, sondern auch der dreieinhalbjährige Thronfolger Maximilian III. Joseph, der nach der Aufführung mit einem Preis bedacht wurde.122 Ab Herbst 1730 gehörte Claus dem Innsbrucker Kollegium an. In der dortigen Hauschronik ist er für das Jahr 1731 nicht nur als Lehrer der Rhetorikklasse ausgewiesen – in dieser Eigenschaft hatte er den späteren Rektor von Konstanz Franz Xaver Mannhart ersetzt –, sondern auch als Leiter der kleineren Kongregation bzw. Studentenkongregation123 und Studienbeauftragter.124 Auch für die Jahre 1732–1734 sind ihm in der Hauschronik diese Tätigkeiten zugeschrieben.125 Im Innsbrucker Kolleg gab es in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts ein reges Theaterleben.126 Die Aufführungen waren so gut besucht, dass der Theatersaal im neugebauten Gymnasium zu klein wurde und man nach 1721 aus Platzgründen das Hoftheater bespielte. 1727 beantragte der  Pars II. historiae collegii societatis Jesu Monacensis, S. 419. Möglicherweise ist Claus’ Name aus diesem Grund auf Periochen zweier Münchner Meditationsstücke von 1730 in der Bayerischen Staatsbibliothek handschriftlich ergänzt (Valentin, Nr. 4763 und 4764). Ob Claus für die Christoph Wahl zugeschriebenen Stücke, die in der großen Kongregation aufgeführt wurden, einen Beitrag leistete, ist unbekannt.  LA, Bd. 86, Bl. 204r [= 1730, S. 33]: Altera scena, quae sub finem anni litterarii Scipionem cum plausu dedit, multo spectabilior facta est ex serenissimi Maximiliani junioris praesentia. Nam inspectante et applaudente tota aula et civitate ad praemium publice accipiendum est promulgatus. Et jure quidem merito id factum, non mero favore. Eminuit enim serenissimus discipulus ex themate aliis etiam Grammaticae discipulis proposito. („Die zweite Aufführung, die am Ende des Schuljahres den Scipio bei großem Applaus vorstellte, war dank der Anwesenheit des durchlauchten Knaben Maximilian besonders prächtig. Denn während der ganze Saal und die ganze Stadt zusahen und applaudierten, schritt er nach vorn, um den Preis öffentlich entgegenzunehmen. Und dies geschah mit vollem Recht, nicht nur aus Wohlwollen. Denn der durchlauchte Schüler tat sich in Gebieten, mit denen auch die anderen Grammatikschüler konfrontiert wurden, hervor.“)  Vgl. LA, Bd. 86, Bl. 296v [= 1731, S. 44].  Historia collegii [Oenipontani] ab anno 1703–1747, Bl. 117r: Praes[es] cong[regationis] min[oris] [,] studi[osorum] instructor min[orum?]. Dank der Hauschroniken von Innsbruck und München sowie der Catalogi personarum et officiorum der Provinz lässt sich das Tätigkeitsfeld des Jesuiten für die folgenden Jahre etwas präziser fassen. Der Umgang mit den Angaben ist allerdings aus zwei Gründen schwierig: Zum einen sind die Tätigkeitsbezeichnungen stets abgekürzt, Abkürzungsschlüssel gibt es keinen. Zum anderen wurden in die Listen vielfach auch unbedeutende Tätigkeiten vermerkt, um der betreffenden Person zu schmeicheln.  Allerdings in der Form Prof. Rhet. Praeses Cong. min. Instructor MM. Historia collegii [Oenipontani] ab anno 1703–1747, Bl. 119v; Bl. 121r.; Bl. 123v.  Tilg 2008; Tilg 2011; Tilg 2012, S. 680–682. Zum Innsbrucker Jesuitentheater siehe auch Hastaba 2004.

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Schulleiter sogar ein eigenes Theatergebäude, das allerdings nicht bewilligt wurde. Claus brachte hier vermutlich alle vier Stücke zur Aufführung, die er später in seiner ersten Sammlung in Druck gab. Vieles spricht dafür, dass er am Ende des Schuljahres 1731 Scipio aufführen ließ.127 Zum Schulschluss 1732 ließ er wiederum Stilico aufführen,128 ein Jahr später erfolgte die Erstaufführung von Themistocles tragoedia,129 in seinem letzten Innsbrucker Jahr, 1734, diejenige von Protasius Arimae rex.130 Innsbruck war die letzte Station seiner Tätigkeit als Lehrer der Rhetorica. Mit 42 Jahren kehrte Claus nach München zurück und wurde damit Mitglied des größten Kollegiums der oberdeutschen Provinz.131 Zu Beginn des Jahrhunderts hatte die Gemeinschaft – Residenz und Auslagerungen inklusive – 100 Mitglieder gezählt.132 In München war auch das Tätigkeitsfeld des Ordens am größten. Neben den schulischen Aufgaben waren Predigten am Hof, in St. Michael, in der Liebfrauen- und Heilig-Geist-Kirche und in der Aula des Gymnasiums, regelmäßige Vorträge in sechs Kongregationen und sechs Bruderschaften sowie in sechs Spitälern und Gefängnissen zu halten und 14 Katechesen zu betreuen.133 Claus ging daher hier nun auch explizit geistlichen Aufgaben nach. In der Münchner Historia domus ist er für die Zeit von 1734 bis 1736 als hist[oricus] prov[inciae][,] con[fessor] temp[li][,] catech[ista] in crypta ausgewiesen.134 Interessanter als die Information über seine Tätigkeiten als Beichtvater135 und Religionslehrer ist der Hinweis, Claus sei Provinzhistoriker gewesen, zumal er als solcher Aufzeichnungen hinterlassen haben müsste. Leider konnten  Siehe hier Anm. 331. Eine ausführliche Argumentation findet sich in Claus 2015, S. 16–18.  Historia collegii [Oenipontani] ab anno 1703–1747, Bl. 120v: In fine anni scholastici in scenam productus Stilico tragoedia valde commendata ab omnibus. („Am Ende des Schuljahres wurde die Tragödie Stilico auf die Bühne gebracht, die von allen sehr gelobt wurde.“)  Historia collegii [Oenipontani] ab anno 1703–1747, Bl. 122v: Sub finem anni scholastici in scenam productus Themistocles omnium plausum et prorsus singularem commendationem promeritus est. („Am Ende des Schuljahres wurde Themistocles auf die Bühne gebracht und verdiente sich den Applaus und die außergewöhnliche Empfehlung aller.“)  In der Druckversion trägt das Stück den Titel Protasius rex Arymae. Als Dramatiker blieb Claus in Innsbruck offenbar präsent. Noch 1768 planten Mitglieder der Universität, ein von Claus verfasstes Drama aufzuführen. Siehe hier S. 307–308 sowie Duhr 1928, Bd. 4,1, S. 308; Lechner 1909, S. 99.  Zum Münchner Kolleg, allerdings primär in dessen Entstehungszeit, siehe Fink-Lang 1994.  Duhr 1928, Bd. 4,1, S. 230.  Duhr 1928, Bd. 4,1, S. 230.  Pars II. historiae collegii societatis Jesu Monacensis, S. 446.  Die Tätigkeit eines Beichtvaters in dieser Zeit in München ist intensiv, wie eine Notiz aus dem Jahr 1724 zeigt: In St. Michael sind 24 Beichtstühle besetzt, in denen unermüdlich Beichte gehört wird. Duhr 1928, Bd. 4,1, S. 230.

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keine Dokumente identifiziert werden, Claus wird in Zusammenhang mit der Historiographie des Ordens bislang überhaupt nicht genannt. Als erster Geschichtsschreiber der oberdeutschen Provinz war vom Provinzial in den 1720er Jahren der Schwabe Ignaz Agricola (1661–1729) eingesetzt worden, der 1727 den ersten und 1729 den zweiten Teil der Historia provinciae Societatis Jesu Germaniae superioris herausgab, in denen er die Jahre 1540–1591 und 1591–1600 behandelte. Nach dessen Tod schrieb Adam Flotto (1679–1744) an der Geschichte weiter und veröffentlichte 1734 ihren dritten Teil über die Jahre 1601–1610. Ob Flotto auch in der Folge noch am Projekt weiterarbeitete, ist zweifelhaft, zumal man seine Arbeit offenbar nicht schätzte.136 Der vierte Teil der Historia erschien 1746 und behandelte die Jahre 1611–1630; als Autor zeichnete Franz Xaver Kropf (1691–1746), der von 1738 an offizieller Provinzhistoriker war.137 Claus’ Rolle bei diesem Projekt ist unklar.138 Die Einträge in den Katalogen sprechen dafür, dass er Flottos Arbeit fortführte. Sollte er tatsächlich an der großen Provinzgeschichte geschrieben haben, scheint er mit dieser Tätigkeit nicht zurande gekommen zu sein; jedenfalls gab er das Amt ohne sichtbares Resultat wieder ab. Vom 1. Oktober 1737 bis zum 22. September 1738 war Claus in München Präses der Marianischen Congregatio maior,139 auch Lateinische Kongregation genannt, weil ihre Mitglieder – Adelige, Geistliche, Beamte und Studierende – allesamt der lateinischen Sprache mächtig waren.140 Die Gemeinschaft war gleichsam eine Vereinigung der gesellschaftlichen Elite der Stadt, sogar der Kurfürst selbst und die Wittelsbacher Prinzen waren Mitglieder und aktiv in  Duhr 1928, Bd. 4,2, S. 147. Duhr berichtet, Flotto habe noch bis 1738 als Historiker weitergewirkt, ehe man ihn des Amtes enthob. Die Catalogi breves von 1734/35 [Bl. 354v], 1735/36 [Bl. 371r] und 1736/37 [Bl. 388r] geben jedoch an, dass Flotto in dieser Zeit bereits als Volksmissionar tätig war.  Kropf begann auch noch den fünften und letzten Band über die Jahre 1631–1640, der von Ignaz Weitenauer vollendet und 1754 herausgegeben wurde. Duhr 1928, Bd. 4,2, S. 147.  Bemerkenswert ist, dass Claus in den Catalogi als Hist. Prov. genau mit jener Aufgabenbezeichnung geführt wird wie Kropf und Weitenauer. In den späteren Jahren ist diese Bezeichnung noch weiteren Jesuiten zugeschrieben, die mit der gedruckten Geschichte an keiner Stelle in Zusammenhang gebracht werden, etwa Georg Kolb für das Jahr 1747/48 oder Anton Luidl für das Jahr 1749/50. Offenbar war den Ordensleuten bald selbst unklar, was die Kürzel in den Katalogen bedeuteten. Der Verfasser des Nachrufs machte Claus kurzerhand zu einem Historiae Professor – was sicherlich nicht stimmt. Zwar gab es in den Kollegien Ende der dreißiger Jahre bereits Geschichtelehrer, vgl. LA, Bd. 90, Bl. 330v [= 1754, S. 8]; im Catalogus brevis 1735/36, Bl. 369r ist seine Funktion in diesen Jahren aber eindeutig als Historicus provincial[is] ausgewiesen.  Pars II. historiae collegii societatis Jesu Monacensis, S. 467: praes[es] congr[egationis] maj[oris] lat[inae][,] conf[essor] in sacello S. Maria. Die genauen Datenangaben stammen aus Valentin, S. 1036.  Van der Veldt 1992, S. 38.

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die Organisation eingebunden.141 Eine Rede, die Claus in dieser Funktion hielt, ist erhalten.142 Zu Mariä Lichtmess 1738 vorgetragen, ehrte er darin die im vorangegangen Jahr verstorbenen Sodalen; der zehn Seiten lange Text in eleganter lateinischer Prosa ist das einzige nicht-literarische Schriftdokument des Autors, das sich erhalten hat. In seiner Eigenschaft als Präses trat Claus auch wieder als Dramatiker in Erscheinung. An jedem der vier Fastensonntage 1738 wurde, wie in dieser Zeit in München üblich, ein Meditationsdrama aufgeführt. Claus verfasste die Stücke selbst. Die Aufführungsserie über den rechten Weg in den Himmel lässt sich dem Autor freilich nur aufgrund ihrer Aufnahme in die Exercitationes theatrales von 1750 zuordnen. Den Auftrag für die musikalische Gestaltung der Stücke erteilte er an vier verschiedene Komponisten.143 Sie sind alle dem Umfeld des Hofes zuzuordnen. Die Darbietungen, die im Oratorium der großen Kongregation stattfanden, fanden beachtlichen Anklang.144 Auch von Angehörigen des Hofs wurden sie besucht und geschätzt.145 Für die beiden folgenden Jahre fehlen in der Hauschronik Aufzeichnungen über die Tätigkeiten einzelner Jesuiten. Für das Jahr 1739/40 liegt wieder ein Catalogus generalis vor. Claus war nunmehr in der Bibliothek des Hauses aktiv, betätigte sich daneben als Beichtvater und war in einer Kongregation adeliger Knaben engagiert.146 In den beiden folgenden Jahren ging er ähnlichen Tätigkeiten nach;147 1742/43, im letzten Jahr, das er in München verbrachte, scheint er als Leiter der Bibliothek auf.148  Van der Veldt 1992, S. 38. Vgl. auch LA, Bd. 87, Bl. 158v [= 1737, S. 22]: 1737 war Maximilian III. Joseph persönlich caput sodalium.  Universitätsbibliothek Eichstätt-Ingolstadt, Sig. 04/1 BO E IV 387.  Giovanni Battista Ferrandini komponierte die Musik für Prima ad caelum via per innocentiam, Joseph Anton Camerloher für Felix primae ad caelum viae terminus, Christoph Hirschberger für Secunda ad caelum via per poenitentiam, Bernardo Aliprandi für Devia a caelo via.  Pars II. historiae collegii Soc. Jesu Monacensis, S. 480: Meditationes scenicae per quadragesimas placuere plurimum. („Die szenischen Meditationen für die Fastenzeit gefielen sehr.“)  LA, Bd. 87, Bl. 158v (= 1737, S. 22): Quae vero in oratorio per vernum ieiunium exhibita principibus coeterisque sodalibus fuere scenicarum meditationum spectacula, maximam ab omnibus approbationem ob singularem concinnitatem retulerunt. („Die Aufführungen der szenischen Meditationen, die im Oratorium in der Fastenzeit für die Fürsten und die übrigen Sodalen stattfanden, erhielten von allen höchste Zustimmung aufgrund ihrer außergewöhnlichen formalen Ausgewogenheit.“) Vgl. auch Van der Veldt 1992, S. 44.  Catalogus personarum et officiorum provinciae Germaniae superioris societatis Jesu. Anno 1739 et 40 ms. XI. 28/15, o.S: soc[ius] bibl[iothecarii][,] catech[ista] epheb[orum] aulic[orum] [,] funct[?] [,] conf[essor] temp[li] et gymn[asii].  Catalogus officiorum provinciae Germaniae superioris societatis Jesu. Anno 1740–41 ms. XI. 28/14, S. 13. Catalogus personarum et officiorum provinciae Germaniae superioris societatis Jesu. Anno 1741–42 ms. XI. 28/14, S. 15.  Catalogus personarum et officiorum provinciae Germaniae superioris societatis Jesu. Anno 1742–43, S. 40.

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Claus’ Münchner Jahre waren wohl zentral für das literarische Selbstverständnis des Jesuiten. Es ist kein Zufall, dass er ausgerechnet im bildungsgesättigten Umfeld des Kollegs von St. Michael die Entscheidung fällte, seine Werke an die Öffentlichkeit zu bringen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die Drucklegung der vier Meditationsdramen 1738. Die Stücke kamen bereits im Jahr ihrer Aufführung in vier Einzeldrucken heraus – wenn auch nicht aus künstlerischen Erwägungen, sondern als erbauliche Schriften für die Sodalen.149 Als er in den folgenden Jahren seine Tragödien für den Druck redigierte, konnte er mit mehreren Schriftstellerkollegen Umgang pflegen. Das Münchner Kolleg war zumal in den späten dreißiger Jahren ein Begegnungsort literarisch interessierter Intellektueller. Claus arbeitete hier nicht nur gemeinsam mit den Historikern Flotto und Kropf, sondern machte auch Bekanntschaft mit mehreren Ordensdramatikern, darunter Christoph Wahl, einem äußerst produktiven Verfasser von Meditationsdramen. Besonders prägend dürfte die Zusammenarbeit mit Franz Neumayr gewesen sein, einem der einflussreichsten Schriftsteller der Gesellschaft Jesu im achtzehnten Jahrhundert, dessen Schriften teilweise bis ins zwanzigste Jahrhundert aufgelegt wurden.150 Claus kannte den sechs Jahre jüngeren Neumayr bereits aus der Zeit im Novizenhaus in Landsberg, in das jener ein Jahr nach ihm selbst eingetreten war. Der gebürtige Münchner war in seiner Heimatstadt von Februar 1731 bis Ende des Schuljahres 1735/36 als Rhetorik-Lehrer am Gymnasium tätig und ließ in dieser Zeit zumindest neun öffentliche Theaterproduktionen – Tragödien und Meditationsstücke – aufführen.151 Mit Sicherheit diskutierte er mit Claus über die dramatische Kunst und hielt Rücksprache mit ihm, eine Würdigung von Claus’ Theaterarbeit findet sich in Neumayrs Poetik Idea poeseos (1751).152 1738 folgte er Claus als Leiter der großen Kongregation nach, 1751/52 befanden sich die beiden gemeinsam in Dillingen, wo Neumayr für ein Jahr zum Regens des Konvikts bestellt war.153 Ab dem Schuljahr 1741/42 scheint mit Ignaz Weitenauer ein weiterer bedeutender Gelehrter der

 1738 war das zweite Jahr, in dem der ganze Text der Münchner Meditationen gedruckt wurde. Zur Drucklegung von Georg Arnolds Meditationen 1737 verzeichnet LA, Bd. 87, Bl. 158v [= 1737, S. 22]: eorumque [meditationum] non musicus tantum textus, ut hactenus, sed prosa etiam tota, ut quam plurimis etiam absentibus prodessent typis publicis excusa. („Nicht nur – wie in der Vergangenheit – die Gesangstexte, sondern auch der gesamte Sprechtext der Aufführung wurde gedruckt und veröffentlicht, um möglichst vielen Abwesenden von Nutzen zu sein.“)  Van der Veldt 1992, S. 3.  Van der Veldt 1992, S. 37.  Neumayr 1751, S. 173.  Van der Veldt 1992, S. 48.

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Gesellschaft unter den Mitgliedern des Münchner Kollegs auf. Weitenauer, der in diesem Jahr Rhetorik lehrte, ist mit Sicherheit ebenfalls mit Claus in Kontakt gekommen. Es ist anzunehmen, dass Claus, der wenige Monate zuvor, wohl im Frühjahr 1741, seine Tragoediae ludis autumnalibus datae veröffentlicht hatte,154 auf den jungen Choragen Eindruck machte. In einer seiner späteren Publikationen bezeichnete Weitenauer Claus ausdrücklich als Vorbild.155 Die Zeit, die Claus in München verbrachte, war politisch unruhig. Nach dem Tod Karls VI. im Oktober 1740 hatten die Franzosen geglaubt, der rechte Augenblick, Österreich zu entmachten, sei gekommen. Der bayerische Kurfürst Karl Albrecht sollte dem Plan zufolge die Kaiserwürde übernehmen. Im Mai 1741 wurde ein französischer Gesandter in München mit großen Ehren empfangen, am 24. Januar 1742 Karl Albrecht in Frankfurt am Main zum Kaiser gekrönt. Zur gleichen Zeit nahm der Österreichische Erbfolgekrieg jedoch eine andere Wendung. Nur knapp drei Wochen nach der Krönung hielten österreichische Truppen in München Einzug. Die Jesuiten waren in das politische Geschehen einerseits involviert, weil sie enge Beziehungen zum Hof pflegten,156 andererseits, weil die Kriegswirren das Kolleg selbst in Mitleidenschaft zogen. Die Fastenaufführungen des Jahres mussten abgesagt werden, am 8. Mai bezogen 54 Husaren in drei Klassenzimmern Quartier und forderten hohe Geldbeträge als Kriegssteuer.157 Kurz vor dem Abzug der Truppen wurde das Jesuitenkolleg noch von ungarischen Soldaten überfallen.158 Von 1743 an war Claus drei Jahre lang Bewohner des Tertiatshauses in Altötting. Der inzwischen über 50-Jährige übernahm nun Aufgaben im Gesundheitsbereich des Ordens. Das Öttinger Kolleg war um die Jahrhundertmitte nicht nur Ausbildungsstätte, sondern auch ein Zentrum für die Alten und Kranken der Provinz. Welchen Tätigkeiten er in Altötting nachging, lässt sich in etwa rekonstruieren. Als minister war er für die weltlichen Angelegenheiten des Hauses zuständig und bekleidete damit das nach dem Rektor höchste Amt des Kollegs, als consultor war er Mitglied des Hausgremiums. Daneben war er Präfekt der Krankenabteilung und der Bibliothek sowie Beichtvater in der (Jesuiten-?) Kirche und bei den Englischen Fräulein von St. Joseph.159 Der Auf-

 Die Druckerlaubnis durch den Provinzial datiert vom 24. Januar 1741.  Weitenauer 1758, S. 399.  Duhr 1928, Bd. 4,1, S. 231–232.  Van der Veldt 1992, S. 43.  Duhr 1928, Bd. 4,1, S. 229.  Catalogus generalis personarum et officiorum provinciae Germaniae superioris societatis Jesu ab anno 1743 in annum 1744, S. 50: minist[er][,] cons[ultor][,] praef[ectus] sanit[atis] et biblioth[ecae][,] conf[essor] temp[li] et VV. anglic. [Virginum anglicanarum].

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enthalt im Sanatorium scheint Claus selbst gesundheitlich zugesetzt zu haben. Seine physische Konstitution wird im Catalogus triennalis von 1746 bereits als debilis bezeichnet 160 und kam in der Folge bis zu seinem Tod über die Beurteilung mediocer nicht mehr hinaus. Vielleicht litt er schon seit Mitte der vierziger Jahre an der Lungenkrankheit, die im Nachruf als Todesursache verzeichnet ist. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Claus überwiegend in Dillingen an der Donau. Von 1746 bis zu seinem Tod ist er – mit Ausnahme des Jahres 1751/ 52 – als Mitglied des dortigen Kollegiums St. Hieronymus verzeichnet. Den Katalogen zufolge deckten sich seine dortigen Obliegenschaften weitgehend mit den Aufgaben, die er in Altötting versehen hatte. Vier Jahre lange war er als minister und consultor in der Hausverwaltung tätig, daneben war er als Präfekt für die Krankenabteilung, die Bibliothek und die Kirche des Kollegs verantwortlich sowie als Beichtvater aktiv. Für das Jahr 1746/47 ist außerdem die Tätigkeit als exhort[ator] FF. [fratrum?]161 dokumentiert, für die Folgejahre ein Engagement als geistlicher Berater in einem Nonnenkloster. In Dillingen bereitete er auch die Veröffentlichung seiner zweiten Dramensammlung vor, die zweibändige Publikation Exercitationes theatrales, die 1750 in Ingolstadt erschien. Offenbar strahlte Claus’ Begeisterung für das Theater auf andere Mitglieder des Kollegiums aus. In den späten 1740er und 1750er Jahren ist für Dillingen eine wahre Flut an Aufführungen dokumentiert. Für das Jahr 1750 lassen sich etwa elf Dramenaufführungen nachweisen, 1752 und 1753 insgesamt 17.162 Die lebhafte Theaterkultur fand nicht zuletzt in der Vielfalt der Theaterschaffenden Ausdruck: Während des Schuljahres führten mit Ausnahme der Rhetorica regelmäßig alle Schulklassen Stücke auf – der Fokus auf Aufführungen der classes inferiores ist auch von den Litterae annuae dokumentiert.163 Szenische Darbietungen veranstalteten darüber hinaus die beiden Marianischen Kongregationen, die Bewohner des Konvikts von St. Hieronymus sowie das Knabenseminar St. Joseph, das jedes Jahr eine Faschingsaufführung organisierte.164  ARSI, Bd. 38, Catalogi triennales 1743–1746, S. 109.  Die Bedeutung ist unklar. Möglicherweise ist ein Prediger gemeint, vielleicht auch einfach der morgendliche Weckdienst.  Rädle 1999, S. 506, Anm. 9, basierend auf Valentin. Rädle, dessen Ausführungen zum Dillinger Jesuitentheater sich mit wenigen Ausblicken auf die Zeit bis 1650 beschränken, hat angemahnt, die produktive Spätzeit der dortigen Bühne harre einer eigenen Studie.  Vgl. z. B. den Eintrag zum Jahr 1751 in LA, Bd. 90, S. 22–23. Inferiores enim classes omnes ea dexteritate suos in scenam produxere, ut nulla sine ingenti omnium applausu redierit. („Alle unteren Klassen brachten ihre Schüler nämlich mit solcher Kunstfertigkeit auf die Bühne, dass keine ohne den gewaltigen Applaus aller abging.“)  Vgl. z. B. LA, Bd. 89, Bl. 304r [= 1749, S. 15]: His [den Aufführungen der Schulklassen] adde melodrama Saturnalitium, quod Sancti Josephi seminarium instruxit […] („Dazu rechne das

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Die 1755 erschienenen, auf Darbietungen der unteren Klassen beruhenden Exercitationes theatrales, in denen Claus als Gewährsmann bemüht ist,165 sind ein bleibendes Zeugnis für die späte Blüte des Dillinger Ordenstheaters. Claus wirkte in dieser Zeit bei mehreren Aufführungen von Stücken jüngerer Kollegen als Regisseur mit.166 Vermutlich verfasste er auch selbst noch Stücke und brachte sie zur Aufführung. Zuweisen lässt sich ihm die Tragödie Jovianus, die 1751 als Herbstspiel gegeben wurde. Wieso Claus wenige Wochen nach dieser Aufführung noch einmal für ein Jahr nach Landsberg übersiedelte, ist unklar. Als er 1752 nach Dillingen zurückkehrte, scheint er gesundheitlich bereits stark beeinträchtigt gewesen zu sein. In seinen letzten eineinhalb Lebensjahren übernahm er nur mehr beratende Funktionen. Als Admonitus, Spiritual und Beichtvater kümmerte er sich um geistlichen Beistand.167 Auch als Ratgeber für die jungen Pädagogen im Kolleg bemühte er sich dem Nachruf zufolge.168 Der dramatischen Arbeit blieb er bis zuletzt verpflichtet. An der Herausgabe der Exercitationes theatrales seiner jüngeren Kollegen dürfte er in den letzten Monaten seines Lebens noch selbst mitgewirkt haben. Daneben hatte er offenbar noch die Überarbeitung von (heute unbekannten) Kongregationsstücken im Sinn.169 An der zweiten Auflage der Tragodiae ludis autumnalibus datae von 1753, einem kaum veränderten Nachdruck, scheint er hingegen selbst nicht mehr beteiligt gewesen zu sein. Die letzten Wochen seines Lebens waren von Krankheit gezeichnet. Der Verfasser des Nachrufs rühmt die exemplarische Duldsamkeit des Paters. Claus sei auch

Faschings-Melodrama, das das Sankt-Josephs-Heim darbot.“) Utraque Mariana studiosorum sodalitas […] perelegans drama praemisit. („Beide Marianischen Studentenkongregationen führten äußerst gefällige Dramen auf.“) Weitere Belege u. a.: Bl. 177v; LA, Bd. 90, Bl. 177r; Bl. 332v; Bl. 353v.  Vgl. hier S. 245–248.  LA, Bd. 90, Bl. 331r: […] dramataque a magistris Dilinganis ipso directore exhibita, et nuperrime luci publicae data („[…] die Dramen der Dillinger Lehrer, die unter seiner Leitung aufgeführt wurden und erst kürzlich dem Licht der Öffentlichkeit übergeben wurden“).  Catalogus generalis personarum et officiorum provinciae Germaniae superioris societatis Jesu ab anno 1751 in annum 1752, S. 14: admon[itus][,] praef[ectus] spiritualis[,] conf[essor] coll[egii] et temp[li]. Vgl. auch den Eintrag im Nachruf: ultimo sesqui anno conscientias nostrorum rexit. („In den letzten anderthalb Jahren richtete er die Gewissen der Unsrigen auf.“)  LA, Bd. 90, Bl. 331r: […] sive magistris eximio cum profectu principia humaniorum literarum instillaret. („[…] sei es, dass er den Lehrern mit großem Erfolg die Prinzipien der literarischen Bildung einflüsterte.“)  LA, Bd. 90, Bl. 331v: Dramata parthenica corrigenda supererant, iamque his, ut erat otii omnis impatiens, manum admovere cogitabat, cum subito asthmate […] correptus. („Marianische Stücke waren noch zu überarbeiten, und da ihm jegliche Untätigkeit unerträglich war, dachte er schon daran, Hand an sie zulegen, als ihn plötzlich das Asthma […] dahinraffte.“)

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in den letzten Tagen seines Lebens ein Vorbild christlicher Lebensführung gewesen und selbst dann noch seinen Gebetspflichten nachgekommen, als seine Kräfte ihm dies kaum mehr erlaubten.170 Am 15. Februar 1754 verstarb Anton Claus in Dillingen, der Verfasser des Nachrufs hat als Todesursache Asthma angegeben. Beigesetzt wurde er in der dortigen Jesuitenkirche.171 Die Biographie des Autors ist in vieler Hinsicht exemplarisch für einen Jesuiten des achtzehnten Jahrhunderts. Häufige Ortswechsel; lange Jahre pädagogischer Tätigkeit; Bemühungen, durch Kongregationsarbeit gesellschaftlich Einfluss zu nehmen; und intensive literarische Beschäftigung prägten das Leben vieler Patres der alten Gesellschaft Jesu. Die wenigen Indizien, die auf Claus’ Persönlichkeit schließen lassen, deuten auf einen durch und durch systemkonformen Ordensmann. Den Rektoren, die seinen Charakter überwiegend als melancholisch beurteilten,172 bereitete er ebenso wenig Probleme wie der Obrigkeit in Rom. In den Generalsbriefen wird sein Name an keiner Stelle erwähnt. Bei aller Vorsicht, mit der man den von Würdigungstopoi unterlegten Ausführungen des Nekrologschreibers begegnen muss, scheint Claus ein Mensch von tiefer Frömmigkeit und unbedingtem Einsatz für das Wohl des Ordens gewesen zu sein. Der Fleiß und die Gewissenhaftigkeit, mit denen er den ihm anvertrauten Aufgaben nachkam, hat auch in seinen sorgfältig redigierten literarischen Arbeiten Niederschlag gefunden.

 Elogia selecta, S. 133: Singularis in eo eluxit morum suavitas, candos eximius, regularum et instituti amor ad scrupulum exactus, religio summa, ut, cum per morbum non liceret per se, ab alio quotidie voluerit frangi sibi panem coelestem, nec licet solutus obligatione intermiserit pensum ecclesiasticum, extremis adeo vitae diebus, cum spiritus jam poene deficeret. („In ihm glänzte eine einzigartige Annehmlichkeit der Sitten, außergewöhnliche Redlichkeit und eine skrupelhaft vollkommene Liebe zu den Regeln und dem Auftrag. Er war von höchster Frömmigkeit, sodass er, als es ihm selbst aufgrund seiner Krankheit nicht mehr möglich war, wollte, dass ihm andere täglich die Hostie brachen. Und auch als er von der Messpflicht befreit war, verzichtete er nicht auf den Besuch der Messe, sogar in den letzten Tagen des Lebens, als ihn die Kräfte fast schon verlassen hatten.“)  Haub 2008, S. 54.  Besonders in seinen frühen Jahren wird Claus’ naturalis complexio häufiger als melancolica bzw. declinans in melancoliam beschrieben. Siehe dazu die Catalogi triennales. Später finden sich auch andere Bewertungen. Im letzten Katalog von 1751 erhält Claus z. B. die Beurteilung Ingenium: valde bonum. Judicium: bonum. Experientia rerum: magna in comicis. Profectus in litteris: valde magnus. Naturalis complexio: phlegmatico-sanguinea. Talentum: ad officium ministri praef[ecti] spirit[ualis] (ARSI Bd. 38, Catalogus triennalis 1749–1754, Bl. 181r).

3 Poetik . Literarisches Selbstverständnis Für eine literarhistorisch adäquate Beurteilung von Claus’ literarischem Schaffen müssen einige Vorüberlegungen zur Selbstwahrnehmung des Jesuiten als Autor angestellt werden. Das Werk eines jesuitischen Dramatikers unterscheidet sich grundlegend von dem eines modernen, autonomen Autors. Claus agierte nicht als Individuum, sondern als Vertreter einer Institution, deren Werte und Normen er berücksichtigen und kommunizieren musste. Drei Aspekte, hinsichtlich deren sein literarisches Selbstverständnis von modernen Vorstellungen des Autorbegriffs abweicht, sollen an dieser Stelle diskutiert werden: (1) Inszenierung von Autorschaft, (2) Verhältnis von Literatur und Schule, (3) verschriftlichte Oralität. (1) Wenn man sich mit Claus’ Werk beschäftigt, fällt zuerst die defensive Haltung auf, die der Autor in seinen Paratexten an den Tag legt. Im Vorwort der Tragoediae ludis autumnalibus datae beeilt er sich zu erklären, nur die repetita et importuna etiam multorum vota et eorum praecipue, quorum nutus veneror, authoritas („wiederholte und sogar aufdringliche Bitten vieler und insbesondere die Autorität derer, deren Befehle ich befolge“)173 hätten ihn nach langem Widerstand dazu bewogen, seine Tragödien zu veröffentlichen. Ähnlich äußert er sich im Vorwort der Exercitationes theatrales: Ne […] quidem sponte, sed alienis votis compulsus („nicht aus Eigeninitiative, sondern durch die Bitten anderer dazu gedrängt“)174 habe er die Stücke dem Drucker überantwortet. Es liegt nahe, die Äußerungen als topische Bescheidenheitsgesten aufzufassen; der Topos, von Freunden oder Bekannten zur Herausgabe eines Werks gedrängt worden zu sein, ist in frühneuzeitlichen Vorreden weit verbreitet, entsprechende Formulierungen finden sich in auch in den Vorworten anderer Drucke von Jesuitendramen.175 Dass Claus diesen Gedanken so stark betonte – insbesondere indem er angab, auf Weisung seiner Vorgesetzten gehandelt zu haben –, bleibt jedoch auffällig. Möglicherweise haben tatsächlich Ordensangehörige die Veröffentli-

 Claus 1741, S. [].  Claus 1750, Bd. 1, S. [].  Vgl. z. B. Paullin 1669, S. []: […] si multorum desideriis, qui excusam typis Philotheam saepius a me flagitabant, facerem satis („[…] wenn ich den Wünschen vieler, die eine gedruckte Philothea häufig von mir forderten, entsprochen habe“). Siehe auch das Vorwort des ersten Bandes Exercitationes dramaticae von Karel Kolczawa (1703) sowie den ersten Brief in Franz Langs Epistolae familiares (1725). https://doi.org/10.1515/9783110617788-004

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chungen gefördert. Zwar erschien die erste Dramensammlung Jahre nach Claus’ Betätigung als Rhetorik-Lehrer; der Ruf, ein talentierter Dramatiker zu sein, mag den Pater jedoch begleitet haben.176 Vielleicht darf man noch weitergehende Schlüsse aus den Äußerungen ziehen. Es scheint plausibel, dass sich in ihnen die Unsicherheit eines Autors niederschlägt, der sich in keine stabile literarische Tradition einschreibt, individuelle Autorschaft jedenfalls nicht ohne Vorbehalte für sich beanspruchen kann. Die jesuitischen Dramatiker hatten das Verfassen von Stücken traditionell als gottgefällige Tätigkeit begriffen, die darauf abzielte, dem Bildungsauftrag nachzukommen und das Ansehen der Gesellschaft Jesu mittels attraktiver Aufführungen zu heben, keineswegs jedoch als literarische Aktivität nach modernen Vorstellungen. Dazu kommt, dass Konzeption und Rezeption dieser literarischen Praxis durch Oralität und daraus resultierende gattungsimmanente Flüchtigkeit gekennzeichnet waren. Der lateinische Text eines Stücks wurde zumal in der Frühzeit des Jesuitentheaters nicht als autonomes Kunstwerk begriffen, sondern sozusagen als Drehbuch für ein zeitlich begrenztes Gesamtkunstwerk, das Sprache und Spiel im Verbund mit Bühnenbild, Kostümen, Musik, Tanz und Showeffekten konstituierten. War die Performanz vorüber, so war auch das Textmanuskript im Grunde genommen wertlos. Das ist einer der Gründe, weshalb heute bis zu 95 % der Dramentexte verloren sind. Nach der Aufführung hatte das Manuskript seine Funktion erfüllt und durfte mit keiner weiteren Verwendung rechnen.177 Für das defizitäre Autorkonzept des Jesuitendramas ist bezeichnend, dass der Name der Dramatiker auf den Periochen nur in Ausnahmefällen aufscheint. Infolgedessen war die Drucklegung von jesuitischen Dramentexten lange Zeit äußerst selten gewesen. Dramentexte, die sich aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert erhalten haben, liegen überwiegend in handschriftlicher Form vor, die meisten davon in Textbüchern, die für den unmittelbaren Gebrauch bestimmt, nicht aber als Konservierungsmedien intendiert waren. Während der ersten hundert Jahre des Jesuitentheaters waren von deutschsprachigen Ordensbrüdern neben Jakob Baldes Jephtias nur drei Dramen im Druck erschienen, und auch diese nur als Modellstücke in Jakob Pontanus’ Poetik Institutiones poeticae.178 Bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts  Im Catalogus triennalis von 1737 wurde Claus vom Münchner Superior ausdrücklich talentum ad tradenda et scribenda humaniora („Talent zum Unterrichten und Verfassen von Literatur“) bescheinigt. ARSI Bd. 36, Catalogus triennalis 1737–1740, Bl. 223v.  Rädle 1988a, S. 136–147. Siehe auch Hess 1976.  Rädle 1988a, S. 137. Baldes Jephtias tragoedia erschien 1654 in Amberg als Einzeldruck. Siehe dazu Führer 2003. Weitere Literatur sowie eine knappe Einschätzung von Führers Arbeit bietet Stroh 2004, S. 271, Anm. 85.

3.1 Literarisches Selbstverständnis

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wurden nur die Schuldramen Jakob Bidermanns (1578–1639) und Nikolaus Avancinis (1611–1686) in eigenständigen Sammlungen veröffentlicht;179 die Stücke des nicht zuletzt aufgrund der deutschen Übersetzung seines Cenodoxus bekannten Dramatikers und Romanciers Bidermann erschienen allerdings erst postum und Avancini hatte als Hofdramatiker der Habsburger eine Sonderstellung inne.180 Nicht wesentlich anders verhielt es sich im achtzehnten Jahrhundert. Zwar erschienen nun einige Dramensammlungen begabter Autoren im Druck,181 der Löwenanteil der Stücke wurde aber auch jetzt bestenfalls handschriftlich archiviert. Für das Selbstverständnis eines jesuitischen Dramatikers zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts dürfte die Haltung des Franzosen Charles Porée (1675–1741) repräsentativ gewesen sein: Obwohl als Verfasser von Tragödien und Komödien außerordentlich erfolgreich, ließ der Lehrmeister Voltaires seine Stücke wie auch einen Großteil seiner Reden zu Lebzeiten nicht drucken.182 Der Veröffentlichung von Schulspielen konnte daher leicht der Vorwurf unangemessenen persönlichen Ehrgeizes anhaften.183 Außerdem mahnten die einschlägigen Ordensgebote zu Zurückhaltung. In der 1736 erschienenen Aktualisierung der Ratio studiorum für die oberdeutsche Provinz waren die seit jeher restriktiven Bestimmungen bezüglich des Schultheaters erneut ins Be-

 Die dritte substantielle Dramensammlung des 17. Jahrhunderts, bestehend aus drei Komödien, einer Tragödie und drei Mischdramen, lieferte Jakob Masen im dritten Band seiner Palaestra eloquentiae ligatae (1683), wo die Stücke allerdings dezidiert als didaktisches Anschauungsmaterial deklariert sind. Nicht um jesuitische Schuldramen handelt es sich bei Andreas Brunners Dramata sacra, die 1684 postum gesammelt erschienen. Die handlungsarmen, gebetsähnlichen Texte in der Volkssprache wurden wohl als erbauliche Lektüre verbreitet. Vgl. Valentin 1990, S. 334. Zu Brunner insgesamt siehe Valentin 1990, S. 315–346 und Valentins Nachwort in Brunner 1986.  Bidermann 1666. Die Sammlung erschien erst viele Jahre nach Bidermanns Tod 1639; laut Angaben im Vorwort war sie vom Verfasser selbst bereits vorbereitet worden. Die von Joachim Meichel geleistete Übersetzung seines berühmtesten Dramas erschien 1635 unter dem Titel Cenodoxus, der Doctor von Pariß. Nikolaus Avancini: Poesis dramatica. 5 Bde. Köln/Rom 1675– 1686. Einige Exemplare des ersten Bandes sind auf 1674 datiert. Mundt/Seelbach gehen davon aus, dass nur zwei von 27 gedruckten Dramen Avancinis „Schuldramen im engeren Sinne“ sind (Avancini 2002, S. ).  Neben Claus’ Dramen erschienen ab 1730 Sammlungen von Maurisperg (1730), Hueber (1747/48), Friz (1757, 1764), Weitenauer (1758), Neumayr (1760a) und Denis (1794). Außerdem erschienen nun zahlreiche Sammlungen von Meditationsstücken.  Flamarion 2000, S. –. Die sechs erhaltenen Tragödien Porées wurden postum 1745, seine Komödien 1749 jeweils in Paris gedruckt. Zu Porées Zurückhaltung vgl. auch das Vorwort des Herausgebers von Porées Reden 1737 in Köln.  Individueller Ehrgeiz war im alten Jesuitenorden verpönt. Vgl. z. B. Weitenauers Eigeninterpretation seiner Corona Arminii, Weitenauer 1758, S. 113.

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wusstsein der Ordensangehörigen gerufen worden. Das Bestreben, das Schultheater innerhalb des Schulbetriebes zurückzudrängen und auf seine pädagogisch-didaktischen Aufgaben zu beschränken, ist in der Schrift manifest. Tragödien und Komödien sollten nur selten aufgeführt werden, auf das Verbot von Frauenrollen und zwielichtigen Figuren auf der Bühne sowie auf das Lateingebot wurde entschieden hingewiesen. Skurrilitäten und Scherze sollten verbannt werden. Ausschließlich Inhalte, die der moralischen Belehrung zuarbeiteten, waren weiterhin geduldet. Vor allem aber findet sich in dieser Schrift die Anweisung, niemand dürfe ohne ausdrückliche Billigung durch den Superior dramatische Arbeiten in Angriff nehmen.184 Als Claus seine Tragoediae fünf Jahre nach der Herausgabe dieser Schrift in Druck gab, war es also sicherlich nicht von Nachteil zu betonen, im Auftrag anderer gehandelt zu haben. Das gilt insbesondere angesichts der Art der von ihm vorgelegten Stücke. Wenn in den letzten Jahrzehnten vor der Veröffentlichung der Tragoediae Jesuitendramen im Druck erschienen waren, dann in der Regel christliche Spiele bzw. asketische Stücke (sogenannte meditationes bzw. considerationes), deren Vervielfachung dazu dienen konnte, den anwesenden Sodalen das Mitbeten und Mitsingen zu erleichtern bzw. später unabhängig von der Aufführung privatim den Dialog mit Gott zu suchen.185 Tragödien waren jedoch in den deutschen Ordensprovinzen in dieser Zeit selten verlegt worden. Im Fall von Claus’ Stücken kam erschwerend hinzu, dass der Autor in drei seiner vier Tragoediae religiöse Themen überhaupt nicht einbezogen hatte. Stücke mit weltlichem Sujet aber waren in dramentheoretischen jesuitischen Schriften auch des achtzehnten Jahrhunderts noch abgelehnt worden.186 Weltliche

 Neque scenicae actionis ullius, vel dialogi componendi negotium quisquam suscipiet, nisi superior conscius rem totam approbaverit. („Keiner soll sich mit dem Verfassen von szenischen Texten oder Dialogen beschäftigen, wenn nicht der Superior eingeweiht ist und die ganze Sache bewilligt hat.“) Kropf 1736, S. 212.  Im Vorwort von Johannes Paullins Philothea, einem Vorläufer der meditationes, begründet der Verfasser den Druck damit, dass die Botschaft des Stücks im Herzen des Lesers tiefere Wurzeln schlage als in dem des Zuschauers, der von den Aufführungseffekten abgelenkt sei. Paullin 1669, S. []. Der bedeutendste Druck von Meditationsdramen vor 1741 war Langs dreibändiges Theatrum (1717).  Jouvancy 1725, S. 74 hatte in seinem Claus sicherlich bekannten pädagogischen Handbuch Christianis litterarum magistris de ratione discendi et docendi (überarbeitet hg. erstmals 1703) nahegelegt, der Chorag solle in einer Tragödie keine obskuren historischen Ereignisse verarbeiten, sondern den Stoff ex uberrimo sacrarum litterarum, aut annalium ecclesiae thesauro („aus dem überaus reichen Schatz an geistlichen Schriften und Kirchenannalen“) beziehen. Vgl. auch S. 120. Le Jay hatte in der Vorrede zu Joseph fratres agnoscens (gedruckt 1723, 1725 in die Bibliotheca rhetorum aufgenommen) gegen weltliche (v. a. romantische) Tragödienstoffe

3.1 Literarisches Selbstverständnis

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Stücke waren daher in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts nur in Ausnahmefällen gedruckt worden. Gabriel-François Le Jay hatte neben Bibeldramen drei Stücke auf Grundlage paganer antiker Geschichte bzw. Mythologie herausgegeben, wenn auch im Rahmen seiner didaktischen Materialsammlung Bibliotheca rhetorum (1725), d. h. vorderhand als Anschauungsmaterial. In den Sammlungen von François Noël (1717) und Anton Maurisperg (1730) war jeweils eine weltliche Tragödie gemeinsam mit mehreren christlichen Dramen gedruckt worden.187 Der apologetische Tonfall von Claus’ Vorworten ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Der Autor versuchte sich gegenüber Kritikern aus den eigenen Reihen abzusichern, da seine Tragoediae merklich von dem abwichen, was bislang der Normalfall einer jesuitischen Dramensammlung gewesen war. Die paganen Stoffe, die Claus behandelte, ließen sich, wenngleich sie mit dem Christentum harmonierende Tugenden vorführten, nicht mehr selbstverständlich mit dem traditionellen Anliegen des Jesuitentheaters pietatem affectu auge[re] („mittels emotionaler Regung die Frömmigkeit zu steigern“)188 in Einklang bringen. Claus musste es nicht nur darum gehen, die Publikation an sich zu rechtfertigen, sondern mehr noch die Publikation von Stücken, die für traditionell jesuitische Domänen wie Steigerung der Volksfrömmigkeit und konfessionelle Mission nicht mehr unmittelbar nutzbar gemacht werden konnten. Letztlich musste er Akzeptanz für innerweltliche Normen setzende Texte in einem System schaffen, das Literatur vielfach auf ein Instrument zur Ausdehnung und Stärkung der katholischen Glaubensgemeinschaft reduziert hatte Claus beschränkte sich indes nicht auf eine defensive Argumentation. Er bemühte sich, gerade die moderne Anlage seiner Sammlung als vorteilhaft darzustellen. Man habe ihn zu Veröffentlichung gerade deshalb gedrängt, cum rariores sint, qui ad nostrae aetatis genium latinas tragoedias scripsere ([…] „da es wenige gibt, die im Stil unserer Epoche lateinische Tragödien geschrieben haben“).189 Die Formulierung bleibt vage; ob darunter nur die klassizistische Form oder auch inhaltliche Aspekte verstanden werden, bleibt – wohl bewusst – offen. Sie schließt jedenfalls die Möglichkeit mit ein, dass Stücke, in

Stellung bezogen. Allerdings finden sich in seiner Bibliotheca u. a. die Tragödien Croesus, Damocles und Abdolominus.  In François Noëls Opuscula sacra (1717) sind abgesehen von Philotas und der Komödie Coecus videns ausschließlich christliche Dramen abgedruckt, die teilweise deutlich in Richtung von asketischen Stücken gehen. Anton Maurispergs Dramata IV (1730) bieten außer Mutius Scaevola ebenfalls ausschließlich Dramen christlichen Inhalts.  Noël 1717, S. [].  Claus 1741, S. [].

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denen das Lob Gottes zugunsten diesseitiger, allgemein-menschlicher Themen in den Hintergrund tritt, von hohen Ordensvertretern nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht waren. Man muss sich in diesem Zusammenhang vor Augen führen, dass die Stücke, die in den Jesuitenschulen auf die Bühne gebracht wurden, auf ihren Gehalt hin geprüft und die Aufführungen überwacht wurden.190 Nur nützliche, d. h. religiös erbauliche und pädagogisch wertvolle Inhalte sollten dargeboten werden. (2) Im ‚bildungswütigen‘ achtzehnten Jahrhundert war es aber offenbar möglich geworden, schulische Obliegenheiten stärker von religiöser Erbauung zu trennen. Claus’ Legitimierungsstrategie sah jedenfalls vor, den Fokus auf den zweiten großen Tätigkeitsbereich des Ordens zu legen und die Dramen auf Funktionen zu verpflichten, die ihrer Entstehung in der Tat zu Grunde gelegen hatten, nämlich auf den Lateinunterricht an den Jesuitengymnasien. Mag Claus auch bei Erscheinen seiner Stücke nicht mehr als Pädagoge tätig gewesen sein – die Tragoediae sind für die Herbstspiele an den Jesuitenschulen verfasst und einstudiert worden, die Exercitationes wohl zu einem großen Teil außerhalb der Klassen- bzw. Schulgemeinschaft gar nie aufgeführt worden. Der Verfasser betonte in den Vorreden der Sammlungen, dass auch der Überarbeitung der Stücke in Hinblick auf die Veröffentlichung ein pädagogisches Motiv zugrunde gelegen habe: Er habe Unterrichtsmaterialien für künftige Lehrergenerationen bereitstellen wollen. Die Observationes seiner Tragoediae empfiehlt er ausdrücklich jenen, denen die Theaterarbeit noch bevorsteht;191 die Exercitationes den Lehrern der Gymnasien, v. a. denjenigen, die die Schüler mittels Klassentheater auf größere Bühnen vorbereiten.192 Wie die Bemerkung, von anderen zur Veröffentlichung gedrängt worden zu sein, müssen freilich auch diese Äußerungen differenziert beurteilt werden. Claus hat seine Stücke zwar für den Schulgebrauch geschrieben. Das schließt jedoch nicht aus, dass er zugleich literarische Ambitionen mit ihnen verfolgt haben kann.193 Insbesondere für die Tragoediae, die über die angehängten

 Dem Rektor und den Konsultatoren musste das Thema vor der Ausarbeitung vorgelegt und das Stück nach der Ausarbeitung vom Rektor und gegebenenfalls vom Studienpräfekten zensuriert werden. Wenigstens acht Tage vor der Aufführung musste für den Rektor und die Konsultatoren eine Probeaufführung veranstaltet werden. Duhr 1921, Bd. 3, S. 500.  Claus 1741, S. []: […] in eorum potissimam gratiam, quos idem, qui me diu exercuit, theatralis labor exspectat. („[…] denen zuliebe, denen die Theaterarbeit, die mich lange beschäftigt hat, noch bevorsteht.“)  Claus 1750, S. [].  Überschneidungen von Schuldrama und Kunstdrama in der Barockzeit sind häufig. Vgl. Alt 1994, S. 42–50.

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Autorkommentare an poetologische Diskurse der Zeit andocken, ist ein künstlerischer Anspruch nicht in Abrede zu stellen. Es ist jedenfalls wenig glaubhaft, Claus habe die Veröffentlichung seiner Stücke einzig in der Absicht vorbereitet, den Lehrern der Jesuitenschulen fertige Dramen zum Unterrichtsgebrauch bzw. als Muster zur Orientierung bei der eigenen Dramenproduktion an die Hand zu geben. Dagegen spricht nicht zuletzt der Umstand, dass er beim Redigieren der Stücke Änderungen vorgenommen hat, die sich für Ordenskollegen, die sie auf die Bühne bringen wollten, als unvorteilhaft erweisen mussten, etwa wenn er die Chorpartien strich oder das Bühnenpersonal reduzierte. Solche Eingriffe lassen sich nur mit ästhetischen Motiven erklären und indizieren, dass an der Wiege der Sammlung künstlerische Erwägungen standen. Die Möglichkeit, seine Stücke als Lesedramen in Umlauf zu bringen, vielleicht sogar in die Reihe kanonischer lateinischer Dramatiker aufgenommen zu werden, hat der Autor mit Sicherheit gesehen, zumal lateinische Tragödien im Stil des bei vielen Zeitgenossen geschätzten französischen Klassizismus tatsächlich selten waren. Claus dürfte geahnt haben, dass sich das gedruckte Werk eines jesuitischen Autors über die Bibliotheken der Ordenskollegien rasch verbreiten und auf diese Weise einem potentiell großen Leserkreis zugänglich gemacht würde. Für Ordensangehörige und Schüler, aber auch für Externe boten sich die Stücke als unterhaltsame und lehrhafte Lektüre an, die zugleich als modisch gelten konnte. Der Autor entschied sich freilich dagegen, diesen Funktionsbereich in den Tragoediae paratextuell anzudeuten. Erst im Vorwort der Exercitationes findet sich ein dezenter Hinweis auf eine Verwendung der Stücke als Lesedramen: Die Übungsstücke des zweiten Bandes seien ab illis tantum legenda, qui etiam tenuem Musam non dedignantur („nur von denen zu lesen, die auch die schlichte Muse nicht verschmähen“).194 Ursache für das zögerliche Bekenntnis zum Lesedrama ist wohl erneut das problematische Selbstverständnis des Jesuiten als Schriftsteller. Claus empfand es als weniger anstößig, die Dramen als Unterrichtsmaterialien zu deklarieren. (3) Ein drittes, unmittelbar damit in Verbindung stehendes Charakteristikum des Werks, das hier besprochen werden soll, betrifft das Medium von Claus’ literarischen Produktionen. Der Jesuit betonte mehrfach den reinen Aufführungscharakter der Stücke, gleichsam als funktionierten sie nur in der szenischen Umsetzung auf der Bühne, nicht jedoch darüber hinaus. Nicht dem Textsubstrat sei der Erfolg der Stücke geschuldet, sondern actorum dexteritati et spectatorum humanitati („der Gewandtheit der Schauspieler und der Gewo-

 Claus 1750, S. [].

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genheit des Publikums“).195 Im Wissen darum habe er sich weniger um einen eleganten Stil als um Handlungsdichte bemüht, cum enim tragoedias has avido et ad nova semper properanti spectatori, non meditabundo lectori scripserim („weil ich nämlich diese Tragödien für einen gierigen und stets nach Neuem lechzenden Zuschauer und nicht für einen reflektierten Leser geschrieben habe“).196 Man muss auch diese Aussagen als Schutzbehauptungen bzw. Bescheidenheitsgesten werten. Claus hatte zwar in der Tat Erfolge als Dramaturg vorzuweisen – die Stücke, die er herausgab, bereitete er jedoch für den Druck sorgfältig vor, eben indem er typische Elemente des Bühnendramas tilgte und Stil bzw. Metrik nachträglich glättete. Claus bediente sich damit einer Argumentation, die ihm als Topos aus anderen Publikationen bekannt war. Um ihre gedruckten Dramen gegenüber Kritikern in Schutz zu nehmen, bezeichneten die jesuitischen Choragen sie gern als Nebenprodukte der Aufführungen, die in schriftlicher Form zwar eigenständig existieren können, an literarischer Wirksamkeit aber hinter ihrer szenischen Umsetzung zurückbleiben. Nikolaus Avancinis Bonmot, seine Stücke seien, von der Bühne losgelöst, mera ossa et cadavera („nichts als Knochen und Gerippe“),197 mag Claus gekannt haben.198 Avancini, der auf elaborierte Inszenierungen seiner Stücke im Rahmen der prunkvollen Wiener ludi Caesarei zurückblicken konnte, dürfte die Diskrepanz zwischen Aufführung und Druck allerdings stärker empfunden haben als Claus. Bei ihm verläuft die Argumentation – möglicherweise nicht zufällig – analog zu derjenigen von Claus. Auch Avancini gibt an, er habe beim Verfassen der Stücke nicht an eine Veröffentlichung gedacht, sondern sich erst spät und auf Drängen anderer für die Drucklegung entschieden; mit dem mitunter wenig erhabenen Stil müsse Nachsicht geübt werden.199

 Claus 1741, S. [].  Claus 1741, S. [].  Avancini 1674, S. []: Scio quantum distare possit stylus agentis ad horam in theatro et scribentis ad saecula in musaeo. Illum scenae apparatus, oblectamenta aurium, oculorum illecebrae, actoris lepor et dexteritas condiunt ad delectationem. […] Nempe quae in scena aguntur, viva sunt et animata. Quae leguntur, mera ossa et cadavera. („Ich weiß, wie sehr sich der Stil des für den Augenblick im Theater Tätigen von dem des für die Ewigkeit in der Schreibkammer Schreibenden unterscheiden kann. Jenen würzen der Bühnenapparat, die Genüsse für die Ohren, die Reize für die Augen, die Anmut und Gewandtheit des Schauspielers, sodass Vergnügen entsteht. […] Denn was auf der Bühne geschieht, ist lebendig und belebt, was gelesen wird, nichts als Knochen und Gerippe.“)  Vgl. neben Avancini z. B. Lang 1717, S. []. Siehe auch Friz 1757, S. [], der angibt, er habe die Stücke ursprünglich nur für den privaten Gebrauch geschrieben.  Avancini 1674, S. []. Vgl. Claus 1741, S. []: Jambo utor simplici et non rarum admodum humili. („Ich verwende einen einfachen, nicht selten recht niederen Jambus.“)

3.2 Die Observationes zu den Tragödien

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Überschaut man die hier vorgestellten Spuren literarischer Selbstinszenierung, so lässt sich also feststellen, dass Claus als Autor behutsam Position bezogen hat. Apologetische Formulierungen prägen seine Paratexte. Daneben finden sich allerdings auch Äußerungen, die als Ausdruck bewusster Autorschaft aufgefasst werden können. An erster Stelle ist hier die Bezugnahme auf Pierre Corneille zu nennen. Indem Claus sich im Vorwort der Tragoediae nachdrücklich in die Tradition des barocken tragicorum princeps200 stellte, beanspruchte er implizit Geltung als Literat. Der Abdruck der Selbstkommentare, in denen er sich als aristotelischer Dramatiker darstellte, muss ebenfalls als Autoritätssignal gesehen werden, auch damit postulierte er Zugehörigkeit zur literarischen Tradition. Ein konkretes Argument, das er zur Legitimierung seiner Autorschaft ins Feld führte, ist seine lange Erfahrung als Bühnenpraktiker: In seinen Vorreden wies Claus ausdrücklich darauf hin, auf langjährige und erfolgreiche Tätigkeit als Dramatiker und Dramaturg zurückblicken zu können. Er konnte auf diese Weise den Anspruch, qualitativ ansprechende Dramen vorzulegen, auch deshalb bekräftigen, weil die Jesuiten über die Leistungen und Tätigkeiten ihrer Mitglieder penibel Buch führten, Claus in jedem neuen Katalog also erneut als erfolgreicher Rhetor aufschien. Mit diesem Argument stellte er sich erneut in die Tradition Pierre Corneilles, der in seinen Paratexten seine Autorität ebenfalls darauf gegründet hatte, über jahrelange Bühnenerfahrung zu verfügen.201

. Die Observationes zu den Tragödien Einer der interessantesten Aspekte an Claus’ literarischem Werk ist die paratextuelle Ausstattung seiner ersten Dramensammlung Tragoediae ludis autumnalibus datae mit Autorkommentaren. Die auf die einzelnen Dramen folgenden Observationes gewähren Einblicke in die ästhetischen Vorstellungen und poetologischen Richtlinien, auf denen das Werk basiert, sowie in das Drama- und Theaterverständnis des Jesuiten. Sie sollen an dieser Stelle literarhistorisch kontextualisiert und ausgewertet werden. Das achtzehnte Jahrhundert war der letzte Zeitabschnitt, in dem normative Poetiken in Mitteleuropa eine ernstzunehmende Bedeutung hatten. Mit dem

 Claus 1741, S. [].  Corneille 1980, Bd. 3, S. 119: Je hasarderai quelque chose sur cinquante ans de travail pour la scène, et en dirai mes pensées tout simplement […]; vgl. auch S. 141: Le commentaire dont je m’y sers le plus est l’expérience du théâtre et les réflexions sur ce que j’ai vu y plaire ou déplaire.

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3 Poetik

Aufkommen der Genie-Bewegung setzte sich ab den 1770er Jahren eine neue Ästhetik durch, die sich althergebrachten Vorstellungen einer regel- und systemgeleiteten Kunst radikal widersetzte. Die Zeitenwende in der Literaturgeschichte ist damit wenige Jahrzehnte nach dem Entstehen der dramatischen Arbeiten von Anton Claus anzusetzen. Sein Werk ist, wie die gesamte Tradition des Jesuitendramas, den Forderungen der klassischen Regelästhetik unterworfen. Nur vor dem Hintergrund vormoderner Literaturtheorie ist eine adäquate Einschätzung seines literarischen Schaffens überhaupt möglich. Seit der Intensivierung der Rezeption der aristotelischen Poetik im sechzehnten Jahrhundert 202 hatte das mimesis-Prinzip als dominantes Paradigma frühneuzeitlicher Kunstschöpfung eine enorme Wirkmächtigkeit entwickelt, wobei nicht nur die imitatio naturae, sondern mehr noch die Orientierung an überkommenen Idealen im Mittelpunkt stand. Vorrangige Kriterien ästhetischer Wertung waren mehr denn je der Grad der Nachahmung antiker Vorbilder sowie die Einhaltung poetischer Regeln, die man in literaturtheoretischen Schriften der Antike, allen voran Aristoteles’ Abhandlung über die Poetik und Horaz’ Pisonenbrief, festgeschrieben sah. Die einflussreichen Literaturtheoretiker des italienischen Cinquecento hatten den Anspruch erhoben, die beiden dunklen, wenig systematischen Texte verstanden und für die Neuzeit aufbereitet zu haben. Bei Aristoteles sahen sie Normen literarischer Verfahrensweisen und Vorgaben zur Funktion von Literatur übermittelt, in Horaz’ Ars poetica fanden sie unter anderem je eine existentielle Maxime für Kunst und Künstler formuliert: Kunst habe dulcis („erfreuend“) und utilis („nützlich“) zu sein, der Künstler müsse über ingenium („Talent“) und ars („schriftstellerisches Handwerk“) verfügen.203 In der Folge arbeiteten sich mehr als 200 Jahre lang Theoretiker und Dichter an diesen Vorstellungen ab, war doch die Gültigkeit dieser Regeln, bei aller Polemik und allen Unklarheiten die Details betreffend, im Großen und Ganzen bis in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts anerkannt. Angesichts der Bedeutung normativer Vorstellungen im Literaturbetrieb der Frühen Neuzeit war es selbstverständlich, dass auch die Bühnenpraxis der

 Wegweisend für die Rezeption der im Mittelalter wenig gekannten aristotelischen Poetik in der Frühen Neuzeit waren die lateinische Erstausgabe von Giorgio Valla (1498) und die vielgelesene lateinische Übersetzung von Alessandro Pazzi de’ Medici (1536). Vgl. Fuhrmann 1973, S. 198–199; Kappl 2006.  Zu Beginn von Ignaz Weitenauers Kommentar zur Ars poetica (1757) ist das Dichtungskonzept der Vormoderne kompakt zusammengefasst: Atque hoc Horatius ponit […] poeticam artem esse, ac proinde certis et statis legibus contineri. („Horaz setzt fest […], dass Poesie ein Handwerk ist und daher von bestimmten und festgelegten Gesetzen definiert ist.“) Weitenauer 1757, S. 3.

3.2 Die Observationes zu den Tragödien

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Jesuiten von innen her theoretisch grundgelegt werden musste. Ab dem späten sechzehnten Jahrhundert erschienen daher poetologische Arbeiten von Ordensangehörigen, in denen versucht wurde, die antike Theorie und ihre humanistischen Interpretationen für die Ordensbühne aufzubereiten, wenn auch mit geringen Auswirkungen auf die Praxis:204 Zumindest bis zur Mitte des siebzehnten Jahrhunderts herrschte große Diskrepanz zwischen den klassizistischen Poetiken und der Wirklichkeit der christlich-volkstümlichen Bühne, wo vielfach Gattungsdefinitionen missachtet und die aristotelischen Einheiten nicht respektiert wurden.205 Eine erste Annäherung der poetologischen Theorie an die Gepflogenheiten der Schulaufführungen lässt sich mit Alessandro Donatis Ars poetica von 1631 konstatieren.206 Mit Jakob Masens Palaestra eloquentiae ligatae (1654–1657)207 und insbesondere mit Franz Langs Dissertatio de actione scenica (1727)208 fanden Theorie und barocke Praxis schließlich stärker zueinander. Dem Einfluss dieser Schriften auf die jesuitische Bühnenrealität waren aber auch im Hoch- und Spätbarock enge Grenzen gesetzt. Die Ordensdramatiker orientierten sich eher an den Stücken anderer Choragen als an theoretischen Traktaten. In der Zeit der Aufklärung wurde auf die jesuitischen Literaturtheoretiker des Barock kaum noch Bezug genommen. Als Autoritäten wurden sie von Vorbildern aus dem französischen Klassizismus abgelöst, die sich ihrerseits wiederum auf die antike Theorie beriefen – Claus war, wie an späterer Stelle gezeigt werden soll, im deutschsprachigen Raum ein Vorreiter dieser Entwicklung.209 Eine der heute sichtbarsten Folgen der Regelästhetik besteht in einer Häufung von poetologischen Schriften und Paratexten.210 Insbesondere Dramen (zu den dramatischen Gattungen hatte sich in den antiken Poetiken die größte Anzahl an Regeln erhalten) wurden beim Druck gerne mit poetologischen Kom-

 Die erste bedeutende poetologische Arbeit waren die Prolegomena zu Martin Delrios Ausgabe römischer Tragödien: Delrio 1593. Siehe dazu Bauer 1994, S. 203–213. Das erste umfassende Werk eines deutschen Jesuiten waren Jakob Pontanus’ Poeticarum institutionum libri III von 1594. Wenig Praxisbezug charakterisiert auch noch Tarquinio Galluzzis Commentarii III de tragoedia et comoedia von 1621. Siehe dazu Happ 1922, S. 31.  Bauer 1994, S. 198: „Das Jesuitentheater war als didaktische Veranstaltung unaristotelisch.“ Bauer bietet einen Katalog häufiger Verstöße gegen die aristotelische Theorie. Vgl. auch Valentin 1978, Bd. 1, S. 340–348.  Happ 1922, S. 58–59; Bauer 1994, S. 213–214; benütze Ausgabe: Donati 1633.  Benützte Ausgabe: Masen 1682/83.  Lang 1727.  Siehe Valentin 2007 und hier S. 256–258.  Zu den poetologischen Schriften der französischen Klassik, auf die in der deutschen Aufklärung in den Paratexten Bezug genommen wurde, vgl. z. B. Julliard 1998, S. 31–32.

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mentaren paratextuell ausgestattet, in denen der Autor bekundete, mit der Theorie vertraut zu sein, und erläuterte, wie er die theoretischen Forderungen in seinen Texten umgesetzt hatte, d. h. bewies, dass sich sein Text in die literarische Tradition einordnen ließ.211 Anton Claus versah beide seiner Dramensammlungen mit einführenden Paratexten. Wie viele Dramatiker seiner Zeit streute er bereits in die Vorworte poetologische Überlegungen ein. Bemerkenswerter sind jedoch die sogenannten Observationes („Beobachtungen“), die er in den Tragoediae ludis autumnalibus datae mit abdrucken ließ.212 In den bis zu sieben Druckseiten umfassenden Prosaabhandlungen, die er jeder der vier Tragödien Scipio sui victor, Stilico tragoedia, Themistocles tragoedia und Protasius rex Arymae nachstellte, wies er die Regelkonformität seiner Stücke nach, indem er Aspekte der Handlungsführung erläuterte, seine Motivationen bei der Figurenzeichnung darlegte und ausführte, wie er der Forderung nach der Einheit von Zeit, Ort und Handlung im jeweiligen Stück nachgekommen war. Die Texte sind leserfreundlich strukturiert und mit gliedernden Marginalien versehen, darunter De scopo huius tragoediae („Über die Intention dieser Tragödie“), De characteribus personarum („Über die Figuren“), De unitate actionis („Über die Einheit der Handlung“).

. Autoritäten und Vorbilder In Ermangelung sekundärer Quellen (Briefe, Tagebücher o. ä.) sind die Observationes neben den Dramentexten an sich die einzigen Dokumente, auf die sich eine Rekonstruktion von Claus’ Literaturverständnis und seinem Verhältnis zur literarischen Tradition stützen kann. Bevor die Paratexte unter diesen Gesichtspunkten ausgewertet werden, soll allerdings auf Problematiken dieser Quellen hingewiesen werden. Zum einen haben die Informationen, die sich aus den Observationes beziehen lassen, über die Tragoediae ludis autumnalibus datae hinaus nur bedingt Gültigkeit; für die Exercitationes theatrales, in denen sich keine analogen Paratexte finden, darf die Theorie nicht unreflektiert übernom-

 Der gegenteilige Fall ist auch möglich: Der Herausgeber von Bidermanns Ludi theatrales legte Wert darauf zu unterstreichen, dass Bidermanns Stücke eben nicht mit der Theorie kompatibel sind. Die Strategie hat jedoch dieselbe Zielrichtung: Vertrautheit mit der Theorie sollte signalisiert werden. Vgl. Bauer 1994, S. 197.  Claus’ Tragödien unterscheiden sich dadurch von den zeitgenössischen Dramensammlungen von Maurisperg und Hueber, in denen paratextuelle poetologische Ergänzungen fehlen bzw. stärker reduziert sind. Die bislang ausführlichste wissenschaftliche Behandlung von Claus’ Observationes bietet Valentin 2007.

3.3 Autoritäten und Vorbilder

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men werden. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass die Quellenlage nur einen beschränkten Blickwinkel gestattet: Über den Lektürehintergrund des Autors lässt sich wenig in Erfahrung bringen.213 Zwar kann man davon ausgehen, dass er als Absolvent der Jesuitenschule sowie der philosophischen und der theologischen Fakultät die antiken Klassiker ebenso gelesen hat wie Schlüsseltexte der patristischen Tradition. Was er an frühneuzeitlicher Literatur – neulateinischer wie volkssprachlicher – kannte, bleibt jedoch ebenso weitgehend im Dunkeln wie die meisten seiner literarischen Präferenzen bzw. Abneigungen. Es ist sicher, dass auf seine poetologischen Vorstellungen auch Autoren Einfluss genommen haben, die in den Veröffentlichungen nicht erwähnt werden; man denke insbesondere an den Einfluss anderer Jesuitendramatiker.214 Zu den Autoren, auf die Claus in den Observationes explizit Bezug genommen hat, gehören die bereits genannten antiken ‚Literaturtheoretiker‘ Aristoteles und Horaz. Als akribischer Arbeiter, der er war, kam er nicht umhin, sich mit antiker Dramentheorie ausführlich zu befassen. Aristoteles wird in jeder der vier Observationes erwähnt, zumeist in mehreren Zusammenhängen. An einigen Stellen finden sich (mehr oder weniger) wörtliche Übernahmen der lateinischen Poetik-Übersetzung des Alessandro Pazzi de’ Medici,215 eines der maßgeblichen Rezeptionskanäle der Schrift in der Frühen Neuzeit. Claus brachte damit zum Ausdruck, dass er sich nicht darauf beschränkt hatte, die neuzeitlichen Auseinandersetzungen mit der Poetik zu verfolgen, sondern auch den aristotelischen Text konsultiert hatte.

 Ganz anders verhält es sich in dieser Hinsicht beispielsweise mit den Tragödien Ignaz Weitenauers. Bei ihm kann nicht nur aus anderen Werken auf Leseerfahrungen geschlossen werden (v. a. aus seinem Kommentar zur horazischen Ars poetica), er hat seine Tragoediae autumnales von 1758 auch mit einem Erläuterungsapparat ausgestattet, der Weitenauers enorme Belesenheit bezeugt.  Claus erwähnt mit Charles de la Rue nur einen anderen Jesuitendramatiker. Claus 1741, S. [].  Vgl. z. B. Claus 1741, S. 165: […] dum ait poetam tragicum res gestas tractare n o n p r o u t g e sta sunt, quod est historici, sed prout geri potuer u n t , aut d e b u e r u n t s e c u n d u m v e risimile, vel necessarium (aus Arist. Poet. 1451a). Weiters: Imo C.7 ait: ridiculum esset quaerere, ut vulgata fabula, in quibus tragoediae sunt, ad unguem retineantur (aus Arist. Poet. 1451b). S. 243: docet enim C.11 art.1 de Poetica minime decere bonos et aequos viros ex felicibus infelices factos in scenam inferre: ut quod terrifici, miserandive nihil habeat, sed scelesti (aus Arist. Poet 1453a). Die Kapitelzählung folgt der in der Frühen Neuzeit üblichen, wie sie in der 1550 in Venedig gedruckten lateinischen Gesamtausgabe des Aristoteles vorgegeben ist. Im Folgenden wird die Poetik nach der lateinischen Ausgabe des Jesuiten Silvestro Mauro von 1668 zitiert, die die Übersetzung von Pazzi de’ Medici übernimmt.

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Weniger offensichtlich ist Claus’ Rezeption von Horaz’ Ars poetica. Nur vereinzelte Indizien weisen darauf hin, dass er sich mit diesem in der Frühen Neuzeit fraglos normativ verstandenen Text auseinandergesetzt hat. Die ins Vorwort der Tragoediae aufgenommene Wendung vestigia […] deserere ausus ist aber wohl eher als bewusste, programmatische Anspielung auf Hor. Ars 285–288 zu verstehen denn als konventionalisierte Floskel.216 Das Zitat ist jedenfalls sinnig eingesetzt; Horaz spricht im Kontext von der Lizenz des Dichters, von den vestigia Graeca abzugehen. Claus stellte sich als Autor dar, der von den antiquiorum vestigia – gemeint ist wohl senecanisches Drama – abzugehen wagt. Eine weitere deutliche Bezugnahme auf Horaz ist die direkte, wenn auch unpräzise Übernahme von Hor. Ars 119, die sich in den Oberservationes in Stiliconem zur Unterstützung des aristotelischen Fiktionalitätskonzepts findet.217 Der Kunstbrief des Augusteers scheint damit auf den ersten Blick mehr als Fundgrube für kompakte Formulierungen gedient zu haben denn als inhaltliche Autorität. Nimmt man das literarische Feld, in dem Claus’ Werk entstand, als ganzes in den Fokus, so wird freilich klar, dass Vorstellungen, die auf der Rezeption dieses Textes fußen, von weitergehender Bedeutung für die Stücke gewesen sind:218 Das jesuitische Bildungswesen – die Theaterpraxis im Speziellen – definierte sich nicht nur entscheidend über die horazische Vorstellung der Nützlichkeit von Literatur, sie machte auch den in der Ars überlieferten Gedanken, literarische Kunstfertigkeit ließe sich durch stetes Üben verbessern, zu einer Grundfeste ihres Bildungssystems. Auf diesem Optimismus gründet nicht nur die Methode, die Schüler jahrelang zu Übungszwecken literarische Texte verfassen zu lassen, sondern auch die Praxis, alljährlich dutzende als Literaten zuvor nie in Erscheinung getretene Patres damit zu beauftragen, aufführungsreife Dramen zu produzieren. Expliziter und konkreter hat Claus die Vorbildwirkung der französischen Tragiker kenntlich gemacht. Die Bezugnahme auf den französischen Klassizismus ist eines der auffälligsten Merkmale von Claus’ dichterischer Theorie und Praxis. Zu den Autoren, die in den Paratexten erwähnt sind, gehören die Brüder Pierre und Thomas Corneille, Jean Racine sowie der Jesuit Charles de la Rue. Unter den genannten Autoren nimmt Pierre Corneille mit Abstand den ersten Rang ein: Der Dramatiker, der etwa hundert Jahre vor Claus’ Schaffenszeit

 Das Zitat findet sich auch in Corneilles erstem Discours. Corneille 1980, Bd. 3, S. 125.  Claus 1741, S. 165: Aut famam sequere aut convenientia finge. („Halte dich entweder an Bekanntes oder erfinde etwas, das dazu passt.“) Vollständig lautet der Vers: Aut famam sequere aut sibi convenientia finge.  Vgl. Valentin 1978, Bd. 1, S. 343.

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seine größten Erfolge gefeiert hatte, war das wichtigste literarische Vorbild für Claus, was die Auslegung klassizistischer Poetik und deren Umsetzung im Drama betrifft. Die Tragoediae lehnte der Jesuit im Vorwort ausdrücklich an den französischen Tragiker an: Antiquiorum enim vestigia, non tamen regulas deserere ausus Petrum Cornelium, quem tragicorum principem Ruaeus noster assentiente litterato orbe appellat, sequi conatus sum, etsi non passibus aequis. („Ich habe nämlich von den Spuren der Älteren, nicht aber von ihren Regeln abzugehen gewagt und versucht, Pierre Corneille, den unser de la Rue unter Zustimmung der gelehrten Welt den ersten unter den tragischen Dichtern nennt, zu folgen, wenn auch nicht mit gleichen Schritten.“)219 Sowohl die Dramen als auch die Paratexte Corneilles waren für den Ordensdramatiker wegweisend, besonders augenscheinlich ist die Beeinflussung jedoch anhand letzterer. Sie lässt sich bereits an der Form beobachten, in der Claus seine dramentheoretischen Überlegungen präsentierte. Die Einzelbesprechungen, die er zu jedem der Stücke vorlegte, und die in ihnen diskutierten Inhalte gemahnen an die poetologischen Examens, die Corneille seinen Dramen in der Sammelausgabe von 1660 vorangestellt und auch in der 1682, zwei Jahre vor seinem Tod, erschienenen letzten autorisierten Ausgabe seiner Werke abdrucken hatte lassen. Bemerkenswert ist, dass beide Dramatiker die Kommentierung erst lange Zeit nach der Entstehung der Stücke vornahmen. Ebenso wie Claus, der seine Stücke erst Jahre nach der Uraufführung herausgab und dafür mit Erläuterungen versah, hatte auch Corneille seine Dramen erst nachträglich in systematischer Form poetologisch ausgedeutet, um auf heftige Anfeindungen vor allem von Seiten der Académie française und des Abbé d’Aubignac (La pratique du théâtre, 1657) zu reagieren.220 Mit seinen theoretischen Ausführungen versuchte er seine Stücke gegen Kritiker in Schutz zu nehmen, die ihm Verstöße gegen den aristotelischen Normenkomplex zur Last legten. Schon die Veröffentlichung von Corneilles erstem großen Bühnenerfolg Le Cid hatte in den späten 1630er Jahren eine intensiv geführte Auseinandersetzung nach sich gezogen, in welcher der Verfasser unter anderem der Missachtung der zentralen aristotelischen Konzepte Schicklichkeit und Wahrscheinlichkeit bezichtigt wurde. Anstoß für diese als Querelle du Cid in die Literaturgeschichte eingegangene Kontoverse war Georges de Scudérys polemische Abhandlung Les Observations sur le Cid (1637) gewesen. Im achtzehnten Jahrhundert hatte sich die Beurteilung Corneilles gewandelt. Für Claus und seine Ordensbrüder galten dessen Werke unangefoch-

 Claus 1741, S. [].  Obwohl die drei Discours erst viele Jahre nach dem Beginn der Auseinandersetzungen erschienen, sind in ihnen die Positionen des jungen Corneille im Wesentlichen unverändert. Clarke 1992, S. 87. Zuvor waren zahlreiche kleinere theoretische Schriften erschienen.

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ten als ideale Regeldramen. Die Kontroversen des siebzehnten Jahrhunderts, die vielfach in Details ihren Ausgang nahmen, ja gerade darauf basierten, dass über ästhetische Fragen im Allgemeinen Konsens herrschte,221 wurden in der jesuitischen Corneille-Rezeption der Aufklärungszeit nicht weitergetragen. Für die Dramatiker der Folgezeit erwiesen sich die Schwierigkeiten, mit denen sich Corneille konfrontiert sah, als ausgesprochen günstig. Angesichts der Polemiken war der Franzose nicht umhingekommen, seine Theorie auch systematisch darzulegen. Aus diesem Grund finden sich ab der Ausgabe seiner Stücke von 1660 neben den Examens auch die berühmt gewordenen drei Discours sur le poème dramatique, in denen der Autor sein Programm in essayistischer Form präsentierte und sein Verständnis der aristotelischen Poetik darlegte. Für die Rezeption des Autors in der deutschen Aufklärung waren diese Schriften von großer Bedeutung. Claus rezipierte sie intensiv und übernahm in den Observationes Ausschnitte daraus in lateinischer Übersetzung. Sie dienten ihm als Grundlage für seine eigenen dramatischen Verfahrensweisen und als Richtschnur, an der Parameter der praktischen Umsetzung aristotelischer Lehre ausgerichtet werden konnten. Vielfach fungierte die Corneille’sche Poetik als das Brennglas, durch das Claus Aristoteles rezipiert und gedeutet hat. Noch bedeutender waren die Observationes in strategischer Hinsicht: Viele Entscheidungen werden in ihnen mit Verweisen auf Corneille begründet. Im folgenden Kapitel soll diese Form der Intertextualität herausgearbeitet werden.

. Claus’ poetologische Konzepte im Detail Tragödiendefinition Claus eröffnet seine Autorkommentare, wohl nicht zufällig, mit einem Hinweis zu seinem Gattungsverständnis. Zu Beginn der Observationes in Scipionem legt er eine Tragödiendefinition vor, die der barocken christlichen Theaterpraxis nähersteht als der poetologischen Theorie der Antike: Tragoediam, non tragicomoediam praesens drama appello, quia, etsi laetum habeat exitum comoediae convenientem, personas tamen omnes illustres et serias tantum actiones […] involvit. („Tragödie, nicht Tragikomödie nenne ich das vorliegende Drama, weil es, obgleich es einen glücklichen, eigentlich zu einer Komödie passenden Ausgang hat, lauter Figuren von Rang vorführt und ausschließlich bedeutsame Handlungen […] miteinander verflicht.“)222 Claus zufolge grenzen das aufgebotene Personal und die Gewichtigkeit des Inhalts sowie – wie aus seinen weite-

 Fuhrmann 1973, S. 223.  Claus 1741, S. 78.

3.4 Claus’ poetologische Konzepte im Detail

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ren Ausführung erkenntlich wird – der kathartische Charakter, nicht aber der Ausgang der Handlung die Tragödie gegenüber anderen dramatischen Genres ab. In der Tat enden drei seiner vier Tragödien glücklich: Scipio feiert seine victoria sui ipsius, Themistokles und Protasius müssen zwar ihr Leben lassen, setzen dadurch jedoch einen Akt für das Gemeinwohl, der als Triumph markiert ist;223 die beiden Stücke stehen strukturell dem christlichen Märtyrerdrama nahe. Claus’ Tragödien beweisen mit dieser Ausrichtung Kontinuität zu den Ordensdramen des siebzehnten Jahrhunderts.224 Für die Jesuiten waren glückliche Stückausgänge gerade für öffentliche Aufführungen attraktiver gewesen, ging es doch darum, positive Emotionen zu vermitteln, nicht zuletzt um den Sieg der eigenen Konfessionsgemeinschaft massentauglich zu inszenieren. Tragödie im landläufigen Sinn war dazu wenig geeignet. Die Häufigkeit dieses Handlungsmusters in der jesuitischen Tradition machte es Claus leicht, die aristotelische Empfehlung des tragischen Ausgangs der Tragödie einfach zu übergehen, zumal ein solcher auch in jesuitischen Poetiken für nicht verbindlich erklärt worden war,225 ja mitunter waren Stücke mit erhabenem Personal und glücklichen Ausgängen sogar empfohlen worden.226 Ein klarer Bruch mit der aristotelischen Lehre ist darin zwar nicht auszumachen; in der Poetik ist dieses Gattungscharakteristikum weder Bestandteil des Tragödiensatzes, noch wird es an anderer Stelle unbedingt gefordert. Aus dem Vergleich der vier Handlungsmodelle in Arist. Poet. 1452b–1453a geht die Präferenz für eine negative Handlungsentwicklung gleichwohl eindeutig hervor.227 Viele Dramatiker der Frühen Neuzeit sahen sich aus diesem Grund vor

 Vgl. Claus 1741, S. 244: succumbit […] Themistocles, sed fato spontaneo et in hominum oculis glorioso; neque ipse se miserum, sed beatum reputat. („Themistokles stirbt […], jedoch eines plötzlichen und in den Augen der Menschen rühmlichen Todes. Er hält sich selbst nicht für bedauernswert, sondern glücklich.“)  Valentin 1978, Bd. 1, S. 353–366. Vgl. dazu auch die Tragödiendefinition in du Cygnes Poetik von 1664. Der negative Ausgang der Handlung wird hier erst nach den Spezifika von Stoff, Figuren und Stil als Gattungscharakteristikum erwähnt und sogleich relativiert. Du Cygne 1664, S. 244–245.  Donati 1633, S. 134–137 argumentiert, ein glücklicher Ausgang einer Tragödie sei akzeptabel, wenn zuvor bedeutsame und schlimme Ereignisse vorgeführt worden seien.  Lang 1727, S. 83–84 argumentiert, dem gesitteten Publikum seiner Zeit seien weder einfältige Figuren noch schlimme Ereignisse zuzumuten.  Aristoteles 1668, S. 917: Necesse est igitur pulchram fabulam […], cuius quidem ex miseria ad felicitatem mutatio non sit, sed contra ex felicitate ad miseriam. („Es ist nötig, dass eine gute Fabel nicht vom Unglück ins Glück, sondern – umgekehrt – vom Glück ins Unglück umschlägt.“ Arist. Poet. 1453a) Kurz darauf räumt er ein, dass auch der umgekehrte Fall möglich sei – die Geringschätzung dieser Konstellation ist jedoch kenntlich gemacht.

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3 Poetik

das Dilemma gestellt, ein höfisches Dramenpersonal eigentlich nur in Stücken mit unglücklichem Ausgang aufbieten zu können. Das Bedürfnis, den Triumph eines vir illustris auf die Bühne zu bringen, führte zu einer Blüte von Mischgattungsbezeichnungen wie traurige comedi, comoedia tragica, comicotragedia, drama comico-tragicum oder tragicomoedia.228 Wie gegenwärtig etwa die zunächst im italienischen Humanismus auftretende Etikettierung tragicomoedia ab dem sechzehnten Jahrhundert auch auf der Ordensbühne war, zeigt sich auch daran, dass sie in jesuitischen Poetiken als eigenständige Gattung geführt und theoretisch beschrieben wurde.229 Wenn Claus seine Stücke dennoch dezidiert nicht als tragi-comoediae bezeichnet, dann auch deshalb, weil die er Lizenz, Stücke trotz ihres ‚untragischen‘ Ausgangs mit der Gattungsbezeichnung ‚Tragödie‘ zu versehen, bei seinem deklarierten Vorbild Pierre Corneille vorfand. Dieser hatten für die frühen in einem Happyend resultierenden Stücke Clitandre (1630/31) und Le Cid (1636/ 37) zunächst die Gattungszuschreibung tragi-comédie verwendet, ab der Gesamtausgabe von 1648 jedoch auch diese Stücke unter der Bezeichnung tragédie drucken lassen;230 auch später entstandene Dramen, die ein glückliches Ende aufweisen, wie Héraclius (1646) oder Nicomède (1650), führte er in der Folge unter der Bezeichnung Tragödie.231 Der Einfluss Corneilles dürfte gewichtiger zu veranschlagen sein als derjenige der barocken Ordenspoetiken: Für die wirkungsästhetische Legitimierung des Happyends bezog der Jesuit sich, wie im nächsten Abschnitt gezeigt werden wird, explizit auf den Franzosen. Die Funktion der Tragödie Für seine Ausführungen über den Nutzen der Tragödie bezog Claus sich selbstverständlich auf die aristotelische Funktionsbestimmung der Gattung am Ende des berühmten Tragödiensatzes.232 Diese war in der frühneuzeitlichen Dramentheorie nicht zuletzt deshalb auf so große Resonanz gestoßen, weil sie so viele

 Guthke 1961, S. 347–348.  Masen 1683, Bd. 3, S. 11–13 widmet tragicocomoedia [sic] und comicotragoedia je ein eigenes Kurzkapitel, hält letztere aber für die unwürdigste aller dramatischen Gattungen (S. 11). Vgl. auch Donati 1633, S. 247–249.  Georg Greflingers Übersetzung von Le Cid, die 1650 bzw. 1679 in Hamburg erschien, verwendet noch die Gattungsbezeichnung Tragi-comoedia. Raab 1910, S. 13.  Im ersten Discours spricht er in diesem Zusammenhang von der tragédie heureuse. Corneille 1980, Bd. 3, S. 126.  Aristoteles 1668, S. 209: Tragoedia est imitatio actionis illustris […] per misericordiam vero atque terrorem perturbationes huiusmodi purgans. („Die Tragödie ist die Nachahmung einer bedeutsamen Handlung […], die Mitleid (ἔλεος) und Furcht (φόβος) hervorruft und dadurch die Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt.“ Arist. Poet. 1449b)

3.4 Claus’ poetologische Konzepte im Detail

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Fragen offenließ, dass sich ihr Aussagegehalt großzügig dehnen ließ. Bis heute herrscht keine Einigkeit darüber, was unter den Begriffen ἔλεος und φόβος präzise zu verstehen ist bzw. wie man sich die aristotelische Katharsis konkret vorzustellen hat; weitgehend Konsens besteht zumindest darüber, dass im Katharsis-Konzept des Aristoteles eine moralische Läuterung des Zuschauers zwar mitgedacht sein kann, in erster Linie jedoch der wohltuende Effekt, den das Erleben konstruierter Emotionen auf die Psyche des Einzelnen ausübt, den Nutzen der Tragödie konstituiert, wobei eine therapeutische Tragweite dieser Wirkung angenommen werden kann, aber nicht muss.233 Dieser psychologische Aspekt ist in Claus’ Auslegung gänzlich ausgeblendet geblieben. Katharsis ist bei ihm ein rein auf moralische Kategorien bezogener Begriff. Um den Tragödiensatz so auszulegen, musste dem aristotelischen Text allerdings Gewalt angetan und Zusammengehöriges voneinander getrennt werden. Während bei Aristoteles der Zuschauer, indem er im Theater ἔλεος und φόβος erlebt, von ebendiesen und ähnlichen Affekten gereinigt wird, wird er in Claus’ Vorstellung, indem er Furcht und Mitleid erfährt, von anderen Leidenschaften (Eros, Machtgier etc.) gereinigt, weil er sich vor deren Konsequenzen fürchtet. Der Autor hat also eine rationale Instanz zwischengeschaltet. Es ist nicht der im Theater erlebte Affekt an sich, der eine Veränderung bewirkt, sondern die intellektuelle Verarbeitung von Erfahrenem, d. h. die Lehre. ἔλεος bezeichnet bei Claus das Sich-Einfühlen in die Situation einer Bühnenfigur, φόβος das reflektierte Bewusstsein des Beobachters, selbst mit vergleichbaren Gefahren konfrontiert werden zu können. Die Schaffung dieser Zustände ist damit nicht das Ziel der Tragödie, sondern ein Medium, das der Tragiker einsetzt, um das pädagogische Telos zu erreichen. In den Observationes tritt die Vorstellung einer Trennung zwischen der Empfindung des Zuschauers und den dadurch bereinigten Affekten deutlich zu Tage, etwa wenn Claus erläutert, die dargestellten Ereignisse seien satis gravia […] ad timorem et commiserationem […] excitandam e t noxias animi affectiones purgandas („[…] bedeutsam genug, um Furcht und Mitleid […] zu erregen und schädliche Affekte des Gemüts abzuführen.“)234 Dass bei Claus Katharsis zu einer Methode doktrinaler Vermittlung

 Rapp 2009, S. 103 bleibt sehr vorsichtig, wenn er in Anlehnung an Arist. Pol. 7,7 anregt, vielleicht denke Aristoteles schlicht an die Funktion, „unschädliche Freude“ zu evozieren. Etwas konkreter deutet Fuhrmann 1992, S. 110: „[Die Tragödie] ‚reinigt‘ den Zuschauer, indem sie ihm die Grenzen und die Gefährdung menschlicher Existenz vor Augen führt und indem sie ihn auf diese Weise zur Selbsterkenntnis nötigt.“ Halliwell 1986, S. 184–201 hält die Verbindung von ethic exercise und habituation for the emotion (S. 196) für zentral: tragic k a t h a r s i s in some way conduces to an ethical alignment between the emotions and the reason (S. 201).  Claus 1741, S. 79.

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umgelegt ist, erhellt auch daraus, dass Claus das Verb docere in seine theoretischen Ausführungen immer wieder eingewoben hat.235 Die Wirkung der Tragödie ist damit nachhaltiger angelegt, als sie in der aristotelischen Vorstellung gedacht sein dürfte. Bei Claus ist auf Aristoteles gegründetes Theater durch und durch moralische Besserungsanstalt. Der Lehrwert des jeweiligen Stücks ist in den Observationes als scopus („Absicht“) explizit ausgewiesen. Dass es sich bei dieser Auslegung der Katharsislehre nicht um eine kreative Eigenleistung des Autors handelte, versteht sich. Claus griff auf Konzepte zurück, die auf den Aristoteles-Kommentaren des Cinquecento fußen und bei den Theoretikern des französischen Klassizismus, allen voran Chapelain, Scudéry, de la Mesnardière und d’Aubignac, auf fruchtbaren Boden gefallen waren.236 Claus kam wohl bereits in seiner Schul- und Studienzeit mit diesen Deutungsweisen in Berührung, als Lehrer war er sicherlich damit vertraut. Die Prolegomena des vielgelesenen Syntagma tragoediae Latinae (1593) von Martin Anton Delrio, in denen eine moralische Lesart der aristotelischen Poetik anklingt,237 hatten das jesuitische Tragödienverständnis nachhaltig geprägt; mit Jouvancys Ratio discendi et docendi (1703), das an den Jesuitenschulen als Aktualisierung der Ratio studiorum Verwendung fand, dürfte der Dramatiker sich jedenfalls persönlich befasst haben.238  Claus 1741, S. 79: Pericula […] spectatorem docent amoris violentiam timere. („Die Gefahren lehren den Zuschauer die Macht der Liebe zu fürchten.“) S. 160: Scopus vero tragoediae est docere, quam noxius sit nimius parentum in filios suos amor et per timorem et commiserationem […] animos a simili affectione purgare. („Die Intention der Tragödie ist es, zu lehren, wie schädlich allzu große Liebe der Eltern zu ihren Kindern ist, und die Gemüter durch Furcht und Mitleid von einem ähnlichen Affekt zu reinigen.“)  Übersichtlich dargestellt von Lurje 2004, S. 16–27: Bahnbrechend für die moralisierende Auslegung des Katharsisbegriffs waren die italienische Übersetzung der Poetik von Bernardo Segni 1549 sowie der Kommentar von Vincenzo Maggi und Bernardo Lombardi 1550. In Giovanni Antonio Viperanos De poetica libri III von 1579 erscheint die Vorstellung, Ziel der Tragödie sei eine moralische Läuterung nicht von, sondern durch Furcht und Mitleid bereits als eine „von Aristoteles losgelöste, allgemeingültige Tragödiendefinition“ (Lurje 2004, S. 21). Zu Beginn des 17. Jahrhunderts waren zwar auch gegenläufige, stärker am Wortlaut orientierte Auslegungen gegenwärtig (z. B. Daniel Heinsius: De tragoediae constitutione, 1611), im französischen Klassizismus setzte sich jedoch, basierend auf Jean Chapelains Lettre sur la règle des vingt-quatre heurs (1630), Maggis Auslegung durch.  Delrio 1593, S. 5 (aus: Liber primus: De tragoedia): […] Aristoteli d. operis c.11. consentaneum, cum ait ex felicitate in miseriam fieri debere commutationem […] Unde fit, ut in tragoedia potissimum vita moresque fugiendi […] proponantur. („Das stimmt mit dem 11. Kapitel von Aristoteles überein, wo er sagt, dass der Wandel vom Glück ins Unglück führen muss. Daraus ergibt sich, dass in der Tragödie eindringlich ein abzulehnender Lebenswandel und abzulehnende Sitten dargestellt werden sollen.“)  Zu Jouvancy siehe hier S. 251. Für Jouvancys Katharsis-Begriff vgl. z. B. Jouvancy 1725, S. 74: Finem Aristoteles docet esse purgationem animi, scilicet vitiis et pravis affectibus. („Aristo-

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Bedeutend für Claus’ Theoretisierung tragischer Wirkungsästhetik war darüberhinaus wiederum Corneille. Dessen Überlegungen zur Funktion der Tragödie stehen ebenfalls in der Tradition der zeitgenössischen, ethischen PoetikExegese, allerdings hatte der Franzose in der Diskussion seiner Zeit mit einer differenzierten und spitzfindigen Analyse für Irritation gesorgt und die Schwächen in der Argumentation seiner Zeitgenossen aufgedeckt.239 So erklärte er die Nützlichkeit der Tragödie zwar zu Beginn seiner Discours für essentiell und unterstrich dies, indem er eine Paraphrase des aristotelischen Gedankens präsentierte, die ein mit der herrschenden Lehrmeinung übereinstimmendes Verständnis des Katharsisbegriffs dokumentierte.240 Als er sich im zweiten Discours ausführlich mit den Begriffen pitié, crainte und purgation auseinandersetzte, resultierte dies jedoch in einer unorthodoxen Beurteilung der aristotelischen Lehre.241 Unter Bezugnahme auf antike wie zeitgenössische Beispieltexte äußerte er Zweifel an der Kompatibilität der aristotelischen Theorie mit der Realität der Bühne: J’ai bien peur que le raisonnement d’Aristote sur ce point ne soit qu’une belle idée, qui n’ait jamais son effet dans la vérité.242 Die alltägliche Erfahrung zeige nämlich, dass der Zuschauer kaum je bis zur crainte réfléchie vordringe, die Voraussetzung für eine tatsächlich Einflussnahme der Kunst auf menschliche Verhaltensweisen ist. Corneille mutmaßte, Aristoteles habe die Katharsislehre entwickelt, um das Drama gegen Platon in Schutz zu nehmen. Für eine Anwendung auf die Bühnenpraxis bedürfe sie jedoch einer flexiblen Interpretation. Diese kritische Begutachtung des aristotelischen Systems wurde von Claus nicht aufgegriffen. Er überlas die entsprechenden Abschnitte in den Discours offenbar bewusst,243 Zweifel an der moralpädagogischen Wirksamkeit teles lehrt, das Ziel sei die Reinigung des Charakters, und zwar von Lastern und schlechten Affekten.“) Ähnlich äußert sich der Autor in seinem poetologischen Dialog Institutiones poeticae von 1718, S. 75: Finis tragoediae est concitare quosdam animi affectus, ad reliquos omnes purgandos. („Ziel der Tragödie ist es, bestimmte Affekte des Gemüts zu erregen, um die restlichen dadurch zu reinigen.“) Vgl. auch Le Jay 1726, S. 62.  Lurje 2004, S. 126.  Corneille 1980, Bd. 3, S. 119: […] puisqu’il est impossible de plaire selon les règles, qu’il ne s’y rencontre beaucoup d’utilité. S. 143: La pitié d’un malheur où nous voyons tomber nos semblables nous porte à la crainte d’un pareil pour nous; cette crainte, au désir de l’éviter; et ce désir, à purger, modérer, rectifier, et même déraciner en nous la passion qui plonge à nos yeux dans ce malheur les personnes que nous plaignons, par cette raison commune, mais naturelle et indubitable, que pour éviter l’effet il faut retrancher la cause.  Halliwell 1986, S. 301.  Corneille 1980, Bd. 3, S. 146.  Dass Claus mit Corneilles Skepsis an der Katharsistheorie vertraut war, ist deshalb gesichert, weil er den darauffolgenden Abschnitt der Discours in die Observationes in Themistoclem sinngemäß übernommen hat: Corneille 1980, Bd. 3, S. 147: Polyeucte y a réussi contre cette maxime, et Héraclius et Nicomède y ont plu, bien qu’ils n’impriment que de la pitié […]

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der Tragödie waren für ihn wohl eine abwegige Vorstellung. Nichtsdestotrotz erwies sich die eigenwillige Aristoteles-Rezeption, die Corneille auf diese Weise begründet hatte, für Claus als vorteilhaft. Sie erlaubte es ihm nämlich, eigene Verstöße gegen die Poetik mit Verweis auf den kanonischen französischen Dramatiker zu rechtfertigen. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn der Jesuit im Zuge der Ausführungen über die Notwendigkeit, Furcht und Mitleid auf der Bühne darzustellen, merklich von Aristoteles abrückt, dies allerdings nicht eingesteht, sondern als eine mit dem antiken Text im Einklang stehende Interpretation Corneilles darstellt: Idem Cornelius affirmat Aristotelem non in omni tragoedia timorem et commiserationem simul requirere. („Derselbe Corneille behauptet, dass Aristoteles nicht in jeder Tragödie zugleich Furcht und Mitleid verlange.“)244 Der Passus im zweiten Discours, in dem der Franzose Furcht in der Tragödie für verzichtbar erklärte, war für Claus deshalb praktisch, weil sich dadurch ein wirkungsästhetisches Dilemma lösen ließ, vor das ihn die Handlungsstruktur zweier seiner Dramen gestellt hatte: Der Opfertod, den seine Helden Themistokles und Protasius erleiden, erregte beim Publikum zwar Mitleid, Claus konnte aber nicht davon ausgehen, dass er auch Furcht auslösen würde. Da in beiden Fällen die Protagonisten nicht aus eigenem Verschulden, sondern aufgrund äußerer Widrigkeiten zu Tode kommen, liegt kein moralisches Fehlverhalten vor, vor dessen Konsequenzen sich der Zuschauer fürchten und in Acht nehmen hätte können.245 Zudem sind die Märtyrertode als Triumphe dargestellt: Angesichts des Happyends konnte er schlecht argumentieren, seine pädagogischen Ziele auf dem Weg der Einschüchterung, d. h. mittels timor, erreichen zu wollen. Wenn der Zuschauer aus der Erkenntnis der Fehler einer Figur für sein eigenes Leben lernen sollte, so war das nur dann in überzeugender Weise möglich, wenn das Stück für diese Figur tatsächlich ‚tragisch‘ ausgeht, dem Zuschauer also illustriert wird, mit welchen Konsequenzen er selbst bei Nichteinhaltung der doctrina moralis246 zu rechnen hat.247 Da Claus aus Claus 1741, S. 244: […] sed commiserationem etiam absque timore sufficere, quam sententiam ipse in suo Polieucto, Nicomede et Heraclio secutus est. („[…] dass aber Mitleid ohne Furcht genügt, welcher Ansicht er selbst in Polyeucte, Nicomède und Héraclius gefolgt ist.“)  Claus 1741, S. 244.  Claus hätte sich für eine solche Auslegung auf Donati (vgl. Anm. 225) beziehen können. Dass er es nicht tut, ist bezeichnend für sein Verhältnis zu den Ordenspoetiken.  Claus 1741, S. 78.  Vgl. dazu Masen 1683, Bd. 3, S. 7: Siquidem manifestum est illum, qui ab infelicitate in insperatam felicitatem emergit, non misericordiam ac metum […], sed spem ac gaudium […] in spectatoribus concitare. („Da nämlich klar ist, dass derjenige, der aus dem Unglück in ein unverhofftes Glück aufsteigt, nicht Mitleid und Furcht, sondern Hoffnung und Freude bei den Zuschauern erregt.“)

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handlungsexternen Gründen einen glücklichen Ausgang vorzog, konnte diese Abschreckung nicht mehr als primäre Intention dargestellt werden. Mit Aristoteles als Autorität kam er in dieser Hinsicht also nicht weiter. Bei Corneille hingegen konnte Claus die Befugnis für seine Gestaltungsweisen finden. Dieser hatte zur Lösung des Dilemmas eine Ästhetik der Bewunderung entwickelt und damit die Wirkungsabsicht der Tragödie neu theoretisiert. In den Discours deutete er das Konzept der admiration vorerst nur an, indem er erläuterte, die Praxis lehre, dass des personnes tout a fait vertueuses qui tombent dans le malheur,248 obgleich nicht dazu geeignet, Furcht zu verbreiten, auf der Bühne eben trotzdem funktionierten. Der Gegensatz zwischen Bewunderungs- und Katharsis-Dramaturgie schwingt bereits mit.249 Ausführlich erläuterte Corneille diesen ästhetischen Ansatz im Examen der späten Tragödie Nicomède, deren durch und durch tugendhafter Titelheld zunächst eingekerkert wird, letztlich jedoch einen verdienten Triumph feiert: Ce héros de ma façon sort un peu des règles de la tragédie, en ce qu’il ne cherche point à faire pitié par l’excès de ses infortunes, mais le succès a montré que la fermeté des grands cœurs, qui n’excite que de l’admiration dans l’âme du spectateur, est quelquefois aussi agréable, que la compassion que notre art nous ordonne d’y produire par la représentation de leurs malheurs.250 Die aristotelische Katharsislehre, wie Corneille und seine Zeitgenossen sie interpretierten, wird hier also auf den Kopf gestellt.251 Nicht die Mahnung vor den Fehlern einer Figur, sondern das Aufzeigen ihrer Tugend ist die Wirkungsabsicht des Stücks. Mit der poetologischen Legitimierung des triumphierenden Protagonisten wirkte Corneille bahnbrechend für die Tragödie der Frühaufklärung, die vielfach anhand des idealen Helden vorbildliche menschliche Verhaltensweisen vorführte. Dass insbesondere das auf Einhaltung poetische Normen bedachte späte Jesuitentheater davon Gebrauch machte, war naheliegend. Claus stellte sich zwar im Paratext nicht explizit in die Tradition der Corneille’schen Ästhetik der Bewunderung; in den Observationes in Scipionem sind entsprechende Vorstellungen jedoch angedeutet.252 Damit wird die intendierte Wirkung der  Corneille 1980, Bd. 3, S. 147.  Vgl. Meier 1993b, S. 45.  Corneille 1980, Bd. 2, S. 643.  Corneille 1980, Bd. 2, S. 643 hatte die Inkompatibilität seiner Theorie mit Aristoteles sogar selbst eingestanden: Dans l’admiration qu’on a pour sa vertu, je trouve une manière de purger les passions dont n’a point parlé Aristote.  Claus 1741, S. 78 spricht hier zwar nicht wörtlich von Bewunderung; das Vergnügen, das der Triumph auslöst, entspricht jedoch dieser Vorstellung: Quamvis laeta sequatur mutatio, quae denique voluptatem potius, quam terrorem in spectantium animis relinquit, haec ipsa tamen, cum ex domito amore proveniat, una cum priori timore impellere spectatorem potest ad noxios amores strenue domandos. („Zwar kommt es schlussendlich zu einer Wendung zum

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Tragödie gegenüber dem Aristotelismus theoretisch beträchtlich ausgeweitet. Nicht nur die Angst vor negativen Konsequenzen des eigenen Handelns, sondern darüber hinaus die mit positiven Gefühlen einhergehende Beobachtung eines Protagonisten, der in einer schwierigen Situation die richtigen Entscheidungen trifft und dadurch Tugendhaftigkeit beweist, kann beim Zuschauer in einer sittlichen Besserung resultieren. Der Gestus des Abschreckens wird durch die Ermunterung zur Nachahmung abgelöst bzw. ergänzt. Auf der Jesuitenbühne war die Ästhetik der Bewunderung schon seit über hundert Jahren erfolgreich umgesetzt, allerdings nur in Ansätzen theoretisch legitimiert worden.253 Der Rückgriff auf Corneille erlaubte es Claus, diese Praxis glaubwürdig aus dem klassizistischen Regelwerk abzuleiten, ohne selbst den aristotelischen Text zu sehr strapazieren bzw. mit ihm brechen zu müssen. Der tragische Held Figurencharakterisierung nimmt in den Observationes den größten Raum ein. Mit Ausnahme von Protasius, dessen Observationes insgesamt kürzer gehalten sind, verfasste Claus zu allen Tragödien kurze Kapitel, in denen er die wichtigsten vier bis sechs Figuren des Stücks vorstellte und seine Beweggründe bei der Charakterzeichnung erläuterte. Stückübergreifend können drei Prinzipien als maßgeblich für die Konzeption der Figuren isoliert werden: (1) variatio innerhalb des Dramenpersonals, (2) Überlieferungsstreue und (3) psychologische Differenziertheit (‚mittlerer Held‘). Die ersten beiden Punkte lassen sich rasch abhandeln. Das Bemühen um ein möglichst differenziertes Dramenpersonal ist gleich zu Beginn des Abschnitts über Figurenzeichnung der Observationes in Scipionem festgehalten: Quod characteres personarum attinet, admodum inter se diversos efformare studui. („Was die Figuren anbelangt, habe ich mich darum bemüht, sie möglichst gegeneinander abzuheben.“)254 Er habe unter anderem danach getrachtet, auch moralisch verderbte Figuren zu entwerfen, um die Vorzüge des Protagonisten durch Kontrast deutlicher herauszuarbeiten.255 Der Dramatiker hatte die Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung wohl in der Praxis vor Augen geführt bekommen. Die scharfe Kontrastierung der Figuren war für das lateinische

Guten, was eher Vergnügen als Furcht beim Publikum zurücklässt, aber gerade dieses Vergnügen kann, weil es von der Überwindung der Liebe herrührt, im Zusammenspiel mit der früheren Furcht den Zuschauer dazu bewegen, schädliche Liebesleidenschaft streng zu zügeln.“)  Donati 1633, S. 118 versucht die Wirkung des Märtyrerdramas auf Aristoteles zu beziehen, indem er argumentiert, der Triumph des Märtyrers steigere die (Gottes-)Furcht.  Claus 1741, S. 78.  Claus 1741, S. 80.

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Schultheater in besonderem Maße von Bedeutung, da das Publikum auf diese Weise beim Verständnis der Handlung unterstützt werden konnte. Man darf annehmen, dass die Unterscheidbarkeit mittels differierender Kostümierung zusätzlich verstärkt wurde. Ein vom Autor mehrfach thematisiertes Prinzip in Bezug auf die Ausstattung der Figuren ist Überlieferungstreue. Claus war darauf bedacht, die Figuren so zu übernehmen, wie sie in den Quellen gezeichnet sind. Das zeigt sich am deutlichsten, wenn der Dramatiker von ebendieser Überlieferung abweicht (etwa im Zuge der Charakterisierung der Figur Eucherius in Stilico),256 weil er sich in diesen Fällen gezwungen sieht, bestimmte Züge der entsprechenden Figur zu rechtfertigen. An anderen Stellen weist er ausdrücklich darauf hin, dass er den historiographischen Darstellungen gefolgt sei. So bemerkt er beispielsweise bezüglich der Hauptfigur von Stilico: Stiliconem propono, qualem Historia describit. („Stilico führe ich so vor, wie ihn die Geschichte beschreibt.“)257 Der Dramatiker folgte damit der horazischen Empfehlung, Figuren charakterlich so auszustatten, wie der Rezipient sie kennt.258 Das für Claus wichtigste, in drei von vier Observationes hervorgehobene Prinzip der Figurengestaltung ist psychologische Plausibilität bzw. innere Differenziertheit. Die Figuren – in erster Linie die Hauptfiguren – mussten so viel an Identifikationspotential mitbringen, dass die Erregung von Mitleid auf Seiten des Publikums überhaupt möglich war. Um das zu erreichen, verzichtete der Autor auf Extreme des Charakters. In den Observationes in Scipionem erläutert er, er habe die Hauptfigur des Stücks weder so stoisch anlegen wollen, wie der Historiker Florus diese dargestellt hatte, noch so empfänglich für Leidenschaften, wie Corneille und Racine die Figur Titus in ihren jeweiligen Bearbeitungen des Bérénice-Stoffes gezeichnet hätten. Damit leitet er thematisch über zur aristotelischen Lehre vom ‚mittleren Helden‘ und erklärt, er habe die Eigenschaften der Figur so ausbalanciert, ut tragoediae heroem darem, qualem vult Aristoteles, nempe non nimis probum, sed humano vitio et errori obnoxium. („[…] dass ich der Tragödie einen Helden gebe, wie Aristoteles ihn will, nämlich einen nicht zu tugendhaften, sondern für menschliche Schwächen und Fehler anfälligen.“)259 Das garantiere, dass die Figur psychologisch plausibel und daher mitleiderregend sei.

 Claus 1741, S. 162; vgl. Wirthensohn 2017, S. 118–119.  Claus 1741, S. 161.  Hor. Ars 120–125. Möglicherweise kannte Claus auch die diesbezüglichen Überlegungen Gottscheds. Siehe hier S. 277.  Claus 1741, S. 78–79.

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Mit der Einführung dieses Gestaltungsprinzips, das für die Tragödie der Aufklärung insgesamt charakteristisch ist,260 führte sich Claus nachdrücklich als aristotelischer Dramatiker ein und stellte sich zugleich bis zu einem gewissen Grad gegen die jesuitische Tradition. Die aristotelische Beobachtung, wonach ein Tragödienheld dann besonders wirkungsvoll ist, wenn er menschliche Fehler aufweist,261 hatte im Jesuitentheater wenig Resonanz gefunden. Subtilität der Charakterzeichnung war auf der Schulbühne wenig gefragt. Die Patres zogen es lange Zeit vor, entweder durch und durch idealisierte Menschen – zumeist in Form von Märtyrern – als Wegweiser für eine christliche (katholische) Lebensführung zu inszenieren oder in großen Sündern die gerechte Rache Gottes vorzuführen. Theoretiker des siebzehnten Jahrhunderts wie Donati und in dessen Gefolge Masen hatten das Postulat des ‚mittleren Helden‘ aus diesem Grund verworfen.262 Wenn Claus den Autoritäten aus seinem Orden in dieser Hinsicht nicht beipflichtete, so ist das zum einen Ausdruck seines Klassizismus, zum anderen wohl Folge einer praktischen Überlegung: Es scheint plausibel, dass er im ‚mittleren Helden‘ pädagogische Vorzüge für sein weltliches Jesuitendrama gesehen hat. In drei der vier Dramen (Scipio, Stilico, Protasius) werden Figuren vorgeführt, für die der Rezipient Sympathie, zugleich aber ein Bewusstsein um ihre Fehlbarkeit entwickelt. Die Gestaltung gründet wohl auf der Überlegung, dass der Zuschauer, der sich mit einer Figur identifiziert, tiefere Einblicke in ihre Verfehlungen erhält und besser daraus lernen kann. Die Irrtümer der Hauptfiguren dieser Stücke werden in den Observationes allesamt besprochen: Der junge Scipio vernachlässigt, von Liebesleidenschaft ergriffen, seine Pflich-

 Martino 1972, S. 312.  In der aristotelischen Poetik erfolgt die Einführung dieses Konzepts im Zuge der Diskussion der unterschiedlichen Handlungsmuster. Auf die Ablehnung gänzlich tugendhafter Helden, die ins Unglück geraten, sowie gänzlich verworfener Charaktere, die ins Glück bzw. Unglück geraten, folgt die Beobachtung: […] reliquum est, ut ad haec maxime idoneus is habeatur, qui medius inter tales sit. Is autem erit qui nec virtute, nec iustitia antecellat, minimeque per vitium pravitatemve in ipsam infelicitatem lapsus fuerit, vero humano quodam errore. („Übrig bleibt, dass jener als am besten geeignet gilt, der zwischen diesen steht. Dies ist einer, der sich zwar nicht durch Tugend und Gerechtigkeit auszeichnet, aber auch nicht durch Schlechtigkeit und Verworfenheit ins Unglück gerät, sondern wegen eines menschlichen Fehlers.“) Aristoteles 1668, S. 916. Siehe Arist. Poet. 1453a.  Donati 1633, S. 113–122 nimmt den ‚mittleren Helden‘ zwar zunächst gegen diejenigen in Schutz, die behaupten, es gäbe nur Fromme und Sünder; in der Folge legt er jedoch dar, dass auch Stücke mit tugendhaften Helden Furcht und Mitleid erregen. Masen 1683, Bd. 3, S. 5–6 macht keinen Hehl daraus, dass er mit Aristoteles bricht: Je unverdienter einen Helden das tragische Schicksal ereile, desto größer sei das Mitleid des Publikums. Vgl. Wels 2009, S. 117, und Hoxby 2016, S. 205–215.

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ten; Stilico ist von allzu großem Ehrgeiz, Protasius von Expansionsbestrebungen eingenommen. Vereinzelt übertrug Claus das Gestaltungsprinzip des ‚mittleren Helden‘ auch auf Nebenfiguren. Auch in diesen Fällen nahm er in den Observationes eine Beurteilung der Figuren vor, in der er charakterliche Vorzüge und Laster auflistete und diskutierte.263 Claus’ Interpretation des Theorems ist freilich mit dem aristotelischen Konzept nicht deckungsgleich. Wie sein Katharsis-Verständnis ist auch seine Auffassung des ‚mittleren Helden‘ stark beeinflusst von christlich geprägten Vermittlungsversuchen frühneuzeitlicher Exegeten, die bei Aristoteles die Idee einer moralischen Weltbühne grundgelegt sahen. Das betrifft vor allem die Art des Fehlers, dem die Figuren ausgesetzt sind. Während die aristotelische ἁμαρτία in erster Linie einen Verstoß gegen die διάνοια („Einsicht“), d. h. ein intellektuelles Versagen bezeichnet – man denke an Aristoteles’ Ideal eines Tragödienhelden, den sophokleischen Ödipus –, gebricht es Claus’ mittleren Helden durchwegs an Charakterstärke.264 Zwar sind auch in der Poetik „Ethos und die auf Einsicht beruhende Treffsicherheit des Helden nicht völlig voneinander unabhängig.“ 265 Gegenüber den sittlich nicht hervorragenden, aber doch überdurchschnittlich guten Protagonisten, von denen Aristoteles ausgeht, sind die Hauptfiguren Scipio, Stilico und Protasius jedoch lasterhafte Charaktere.266 Claus wusste um diese Inkonzinnität nicht Bescheid. Theater ist im Verständnis eines jesuitischen Dramatikers ohne das Vorführen moralischer Schwächen nicht vorstellbar. Er bedurfte der moralischen Deutung der ἁμαρτία, um Charaktertragödie mit pädagogischer Absicht realisieren zu können. Das bedeutet zugleich, dass er zwei an sich stärker getrennte Momente der aristotelischen Tragödientheorie aneinanderkoppelte: ἁμαρτία ist bei Claus nicht eine Voraussetzung für die Möglichkeit einer Katharsis, sondern der Gegenstand selbst, der im Bewusstsein des Zuschauers einer Katharsis unterzogen bzw. abgeführt werden soll. Noch klarer tritt der freie Umgang mit dem Text der Poetik zu Tage, wenn man die Heldenkonzeption in der Tragödie Themistocles in den Blick nimmt –

 Anhand der Nebenfiguren in Scipio wird das am deutlichsten betrieben, vgl. Claus 1741, S. 79: ut ita habeant, quam philosophus expetit, mediocritatem, ut non sint nimium probi, nec tamen ita improbi, ut commiseratione videantur indigni. („[…] sodass sie jenen mittleren Charakter haben, den Aristoteles verlangt, damit sie nicht zu rechtschaffen sind und auch nicht so verworfen, dass sie Mitleids unwürdig erscheinen.“)  Diese Beobachtung gilt für die Aufklärungstragödie weitgehend allgemein. Martino 1972, S. 333–338.  Fuhrmann 1992, S. 43.  Die in Protasius gegebene Möglichkeit, einen intellektuellen Irrtum zu thematisieren (der Titelheld vertraut auf einen offensichtlichen Verräter), hat Claus nicht ausgearbeitet.

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was bislang in Bezug auf ἁμαρτία in den Tragoediae ausgeführt wurde, trifft nur auf die übrigen drei Stücke zu. In Themistocles rückte der Jesuit gänzlich vom Gestaltungsprinzip des ‚mittleren Helden‘ ab. Mit der Hauptfigur des Stücks schuf er eine durch und durch tugendhafte Figur; in den Observationes charakterisierte er sie selbst als omnino probum et sine vitio.267 Ist das Drama schon aus diesem Grund kaum kompatibel mit der aristotelischen Lehre, so erst recht nicht, wenn man die Handlung des Stücks in den Blick nimmt: Aristoteles hatte eine Handlungsentwicklung, bei der ein rechtschaffenen Charakter vom Glück ins Unglück gestürzt wird, streng verurteilt: id quod terrifici miserandive nihil habeat, sed scelesti („das ist weder furcht- noch mitleiderregend, sondern abscheulich“).268 Claus, der den Passus in den Observationes in Themistoclem in Pazzis Übersetzung wörtlich zitierte,269 musste eingestehen, auf den ersten Blick verstoße es gegen das aristotelische Regelwerk, einen heros sine vitio zugrunde gehen zu lassen, weil dadurch beim Publikum nicht Sympathie für die Hauptfigur, sondern Empörung über die Antagonisten ausgelöst werde. Ein Stück dieser Art sei der moralischen Läuterung des Publikums sogar eher abträglich, weil tugendhaftes Verhalten nicht belohnt werde.270 Nichtsdestotrotz wehrt sich der Autor im Anschluss daran gegen die Einschätzung, sein Themistocles laufe den aristotelischen Vorstellungen eines guten Dramas zuwider. Zwar scheine – videri ist ein Leitbegriff seiner Argumentation271 – das Stück den Forderungen des Philosophen zu widersprechen, bei genauer Betrachtung sei es jedoch regelkonform. Wenn Claus den entsprechenden Abschnitt aus der Poetik zitiert, so gehört das somit zur Legitimierungsstrategie: Nicht Unkenntnis der Regeln, sondern eine kreative Auslegung derselben liegt der Tragödie zugrunde. Claus beruft sich für seine kühne Argumentation ein weiteres Mal auf Corneille:272 In einem speziellen Fall dulde es,

 Claus 1741, S. 243.  Aristoteles 1668, S. 915 (Arist. Poet. 1452b).  Claus 1741, S. 243.  Claus 1741, S. 243. Da der Abschnitt der Poetik mit Mäyrtyrerdramen nicht kompatibel ist, war er in der Frühen Neuzeit generell Gegenstand lebhafter Diskussion. Hoxby 2015, S. 240.  Claus 1741, S. 243: Videor in hac tragoedia ab Aristotelico dogmate […] recedere […] („Ich scheine in dieser Tragödie von der aristotelischen Lehre […] abzuweichen […]“). Verum haec ipsa probitas non vi detur Aristoteli in theatro probari. („Diese Tugendhaftigkeit scheint Aristoteles auf dem Theater nicht gutzuheißen.“)  Videtur tamen Cornelio hoc Aristotelis dogma exceptionem pati. („Corneille scheint dieser Lehrsatz des Aristoteles aber eine Ausnahme zuzulassen.“) Claus 1741, S. 244. In der Folge spielt er Corneille sogar gegen Aristoteles aus: Praecellens virtus videtur Cornelio habere aliquid et tenerius et sublimius et ad percellendum aptius quam mediocris illa Aristotelici herois probitas. („Herausragende Tugend scheint Corneille etwas Subtileres und Erhabeneres und zur Erschütterung Geeigneteres anzuhaften als dieser ‚mittleren‘ Redlichkeit des aristotelischen Helden.“)

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Corneille zufolge, das Regelwerk, das gewaltsame Ende eines tugendhaften Helden auf die Bühne zu bringen – dann nämlich, wenn dessen Feinde nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Schwäche oder Irrtum handelten.273 In diesem Fall halte sich die Empörung über die Übeltäter in Grenzen, Mitleid auf Seiten des Publikums sei zu erwarten. Claus gelingt es auf diese Weise, seinen Themistokles, der von den griechischen Gesandten in der Tat irrtümlich des Staatsverrats angeklagt wird, als akzeptablen – aristotelischen – Tragödienhelden darzustellen. Corneille erwies sich also auch in dieser Hinsicht als bequemer Gewährsmann. Im zweiten Discours hatte er nicht nur zu beweisen versucht, dass der ‚mittlere Held‘ keine conditio sine qua non sein könne, sondern auch ausgeführt, dass Aristoteles’ kategorische Ablehnung von Handlungsverläufen, bei denen eine tugendhafte Figur ins Unglück stürze, einer favorable interprétation bedürfe. Letztere sei nötig, führte er aus der Perspektive des Theaterpraktikers aus, pour n’être pas obligés de condamner beaucoup de poèmes que nous avons vu réussir sur nos théâtres.274 Die beiden Ausnahmen, die er im Folgenden skizziert, entstellen die aristotelische Aussage so stark, dass de facto nur der Triumph des vollkommen Bösen als Tabu übrig bleibt: Gestattet ist die Unterdrückung eines vollends rechtschaffenen Protagonisten hingegen sowohl dann, wenn dieser schlussendlich triumphiert – als Beispiele führt Corneille seine eigenen Dramen Héraclius und Rodogune an –, als auch dann, wenn die Gegenspieler des Helden, wie in Polyeucte, aus Schwäche bzw. Unkenntnis handeln – der von Claus in Anspruch genommene Fall. Da bei diesen Konstellationen Freude über den Triumph der Figuren bzw. Mitleid die Empörung über die Verfolgung überwiege, stehe die Interpretation im Einklang mit den Intentionen des Aristoteles, argumentiert Corneille und liefert im gleichen Atemzug eine Erklärung dafür, weshalb der Grieche diese Überlegungen nicht berücksichtigt habe: […] peut-être Aristote n’a su prévoir, parce qu’on n’en voyait pas d’exemples sur les théâtres de son temps.275 Noch ein weiteres, kaum weniger ‚hausbackenes‘ Argument Corneilles hat Claus in den Observationes in Themistoclem übernommen, um den vollends tugendhaften Charakter seiner Hauptfigur zu rechtfertigen. Als Grieche habe Aristoteles dem System Monarchie so ablehnend gegenüberstanden, dass für ihn die Vorstellung eines tugendhaften Fürsten vollends abwegig erschienen wäre. Gegenwärtig gebe es jedoch keine Gründe mehr, tugendhafte Hauptfiguren aus diesem Grund abzulehnen. Claus nahm offenbar keinen Anstoß daran,

 Claus 1741, S. 244.  Corneille 1980, Bd. 3, S. 149.  Corneille 1980, Bd. 3, S. 150.

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dass Corneille die mythologischen Helden der antiken Tragödie auf Projektionen der attischen Realpolitik reduzierte – ein Indiz dafür, wie wenig differenziert er die poetologischen Erläuterungen seines Vorbildes rezipierte, wenn er sie für seine Zwecke verwerten konnte. Die Diskussion über die Notwendigkeit des ‚mittleren Helden‘ ist symptomatisch für Claus’ Umgang mit seinen Vorbildern. Anstatt auf die ordenseigenen Poetiken von Donati oder Masen zurückzugreifen, die den ‚mittleren Helden‘ schon seit Langem als für das Jesuitendrama untauglich verworfen hatten, berief er sich auf die weltliche französische Klassik, um ein Gestaltungsprinzip zu legitimieren, das in der jesuitischen Theaterpraxis an sich gang und gäbe war276 und das Corneille seinerseits umständlich auf Aristoteles zurückzuführen versucht hatte, um sein eigenes Märtyrerdrama Polyeucte zu verteidigen, das wiederum von der jesuitischen Theatertradition inspiriert ist. Die ‚natürlichen‘ Rezeptionsverläufe werden durchkreuzt von theoretischen Bezugnahmen, die nur mehr oder minder plausibel sind.

Das Verhältnis zwischen den Figuren Unter anderen Gesichtspunkten ist Claus’ Verhältnis zur aristotelischen Poetik weniger problematisch. Wenn der Dramatiker eine Tragödie dann für besonders effektvoll hält, wenn sie einen Konflikt zwischen Angehörigen derselben Familie vorführt, so steht er damit im Einklang mit der Poetik. In den Observationes in Stiliconem wird arctissimus nexus sanguinis („engste Blutsverwandtschaft“)277 zwischen den Figuren als Qualitätskriterium präsentiert und das Konzept zugleich auf freundschaftliche Beziehungen ausgeweitet, praesertim si amicus patitur ab amico pariter summe invito et reluctante.278 („[…] insbesondere wenn ein Freund unter einem Freund leidet, der das, was er tut, gänzlich widerwillig und widerstrebend tut.“) Aristoteles hatte in Poet. 1453b das Naheverhältnis der Konfliktpartner (perturbationes […] inter necessarios)279 als besonders günstige Konstellation für die Erregung von Mitleid vorgestellt. Innerhalb der Tragoediae hat dieses Kompositionselement in Stilico und Themistocles den stärksten Niederschlag gefunden. In beiden Stücken sind Atmosphäre und Spannung durch die Verwandtschaft der Figuren unterstützt. Claus sah allerdings auch die Gefahr, dass die Konfrontation von Angehörigen derselben Familie zu pietätlosen Konstellationen führen kann. In Protasius

   

Vgl. dazu Jouvancy 1718, S. 78. Claus 1741, S. 160. Claus 1741, S. 160. Aristoteles 1668, S. 919 (Arist. Poet. 1453b).

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setzte er daher bewusst einen Filter ein: Um den Verrat des Sohnes am Vater nicht zu drastisch erscheinen zu lassen und den Zuschauer nicht zu verstören, wird eine übelwollende Schwiegertochter eingeführt, die den Konflikt schürt.280 Prinzipien der Handlungsentfaltung: Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit Mit Ausnahme der Heldenkonzeption in Themistocles ist in den Observationes keinem Thema eine so ausführliche und sorgfältig argumentierte Besprechung zuteilgeworden wie dem Verhältnis von Handlung und Historie. Das ist erklärungsbedürftig, denn während der Verstoß gegen das Theorem des ‚mittleren Helden‘ in der Tat eine Erläuterung rechtfertigt, liegt diesbezüglich kein offener Bruch mit der klassischen Lehre vor. Dass Claus am Schluss der ohnehin bereits lang geratenen Observationes in Stiliconem weitschweifig und in apologetischem Tonfall darlegt, wieso seine Fabel von der historischen Überlieferung abweicht, scheint umso verzichtbarer, als Aristoteles auf Geschichtstreue nicht nur keinen Wert gelegt hatte, sondern mehr noch die Übernahme von wahren Ereignissen eigentlich abgelehnt hatte: Sane constat ex supradictis non poetae esse facta ipsa propria narrare, sed quemadmodum vel geri quiverint vel verisimile vel omnino necessarium fuerit. („Aus dem Gesagten wird deutlich, dass es nicht Aufgabe des Dichters ist, das zu erzählen, was tatsächlich geschehen ist, sondern das, was geschehen hätte können oder wahrscheinlich oder notwendig gewesen wäre.“)281 Claus zitierte den Gedanken im Zuge seiner Argumentation sogar selbst.282 Freilich könnte der Autor sein Stück mit einer anderen Stelle der Poetik in Konflikt gesehen haben, die einen Eingriff in die Fabel auf den ersten Blick tatsächlich zu untersagen scheint: Receptas fabulas mutare non licet, verbi gratia Clytaemnestram ab Oreste extinctam, Eriphyelen ab Alcmeone, quas sane invenire atque susceptis iam recte uti oportet. („Die überlieferten Geschichten ändern darf man nicht, ich meine zum Beispiel, dass Klytaimnestra von Orest getötet werden muss und Eriphyle von Alkmäon. Man muss Geschichten gänzlich selbst erfinden oder das Überlieferte richtig verwenden.“)283 Die Beispiele lassen jedoch darauf schließen, dass es Aristoteles nur darum ging, festzuhalten, dass arrivierte Fabeln nicht substantiell verändert werden dürfen.284 Der Aussage liegt die rezeptionsästhetische Überlegung zugrunde, dass allgemein bekannte Tatsachen nicht auf den Kopf gestellt wer-

    

Claus 1741, S. 332. Aristoteles 1668, S. 909 (Arist. Poet. 1451b). Claus 1741, S. 165. Aristoteles 1668, S. 920 (Arist. Poet. 1453b). Fuhrmann 1992, S. 47 spricht relativierend von einer „gewissen Überlieferungstreue“.

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den dürfen, um das Publikum nicht zu irritieren. Wenn Claus eine Rechtfertigung vorbringen zu müssen glaubte, weil er die dem Publikum im Detail kaum bekannten Ereignisse um den historischen Stilico in Rom zusammenführte, schoss er jedenfalls über das Ziel hinaus, zumal eigenständige Stoffgestaltung im Jesuitentheater gang und gäbe war.285 Möglicherweise lässt sich seine ausführliche Erläuterung mit der noch breiteren Abhandlung des Themas bei Pierre Corneille erklären.286 Es scheint nachvollziehbar, dass Claus die Gelegenheit wahrgenommen hat, seinen Kenntnisstand hinsichtlich eines Gegenstands unter Beweis zu stellen, der von seinem Vorbild besonders in den Vordergrund gerückt worden war: die Modifikation einer Fabel gemäß dem Wahrscheinlichen und dem Notwendigen. Im Discours sur la tragédie et sur les moyens de la traiter selon le vraisemblable ou le nécessaire hatte Corneille versucht, die aristotelischen Begriffe εἰκός und ἀναγκαῖον zu klären,287 und eine Typologie dieser Gestaltungskategorien entwickelt. Diese beginnen eben dann zu greifen, wenn der Dichter sich der von Aristoteles gewährten Freiheit bedient, die Umstände historischer Ereignisse zu verändern.288 Corneilles Konzept des vraisemblable bedeutet im Wesentlichen Plausibilität.289 Der Begriff des nécessaire erhält ein Gewicht, das er bei Aristoteles noch nicht hat. Anders als in der Poetik, in der die beiden Begriffe teilweise synonym verwendet werden, steht nécessaire hier mitunter in Opposition zu vraisemblable. Corneille versteht darunter insbesondere die Beschränkungen, denen der Dramatiker durch die Realität der Bühne und die poetologischen Regeln unterworfen ist. Beide Begriffe markieren Grenzen, die den Gestaltungsfreiraum des Dichters bei der Handlungskonzeption determinieren; sie stellen ihn aber vor unterschiedliche Anforderungen. Der Dichter darf die überlieferte Fabel ändern, sofern die veränderte Situation plausibel ist; er muss sie ändern, wenn die Notwendigkeit es erfordert.

 So hält der Verfasser der Praemonitio ad lectorem der Bidermann-Ausgabe von 1666 (S. []) fest, ein Dramatiker habe non quidem potestas mentiendi, sed concinnandae tamen fabulae ad sublimes affectus in spectatorum animis excitandos („[…] zwar nicht die Befugnis zu lügen, aber die Möglichkeit, die Handlung so zu modifizieren, dass sie starke Regungen im Gemüt der Zuschauer auslöst“).  Vgl. dazu die aufschlussreichen Studien von Forestier 1998 und 2004.  Frede 2009, S. 11–12 bestimmt ἀναγκαῖον („Notwendigkeit“) als „all das, was Dingen einer Art zukommt oder was immer in einer bestimmten Situation eintritt“, wobei im spezifischen Fall der Tragödie die Unzuverlässigkeit des Menschen für zusätzliche Komplexität sorge. εἰκὸς („Wahrscheinlichkeit“) hingegen ist „das, was ‚einleuchtend‘ oder ‚plausibel‘ ist“.  Corneille 1980, Bd. 3, S. 161–163.  Corneille 1980, Bd. 3, S. 166–169.

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Claus hat im Zuge seiner Beobachtungen über Eingriffe in die Überlieferung explizit auf diesen Discours verwiesen.290 In seinen eigenen Ausführungen spart er zwar den Begriff des necessarium weitgehend aus, die Vorstellungen, die sich ableiten lassen, decken sich jedoch insgesamt mit denjenigen Corneilles. Wenn Claus in die überlieferte Fabel eingriff, dann entweder, weil die Regeln dies notwendig erforderten (z. B. erforderte die Einheit der Handlung die bereits erwähnte Verlagerung von Stilicos Fall nach Rom) oder wenn die Handlung dadurch glaubwürdig ausgebaut werden konnte (z. B. durch die Einführung zusätzlicher Figuren). Das Verhältnis zwischen Handlung und historiographischer Überlieferung in den Tragoediae ist jedoch komplex und wenig einheitlich. Während der Dramatiker sich in den Observationes in Stiliconem zu einer maßvollen dichterischen Autonomie bekennt, findet sich in den Observationes in Protasium das Argumentationsmuster, bestimmte Handlungsereignisse seien zwar nicht plausibel, aber eben historisch.291 In den Observationes in Scipionem findet sich ein dritter Ansatz: Dass die Gegenspielerin Scipios einen Mann an Heldenmut übertrifft, sei zwar nicht verosimilis (und auch nicht historisch), derartige Amazonen hätten sich jedoch auf der Bühne bereits bewährt 292 – ein typisch Corneille’sches Argument, das dokumentiert, dass es Claus letztlich nicht darum ging, eine schlüssige Theorie vorzulegen; er begnügte sich damit, sein Vorgehen eklektizistisch zu begründen. Die aristotelischen Einheiten Kaum Argumentationskunst benötigte Claus, um darzulegen, dass er in den Tragoediae der Forderung nach der Einheit von Handlung, Ort und Zeit nachgekommen war. Die Stücke bieten in dieser Hinsicht kaum Reibeflächen. Wenn Claus sich in den Observationes in Scipionem trotzdem mit diesen Prinzipien auseinandergesetzt hat, dann deshalb, weil ihre Umsetzung eines der zentralen Anliegen der klassizistischen Tragödientheorie darstellte. Schon seit dem

 Claus 1741, S. 166: Si cui haec non sufficiant, Petrum Cornelium legat, qui in sua dissertatione de tragoedia et praesertim de modo illam tractandi secundum verisimile aut necessarium hanc facultatem […] erudite defendit. („Wem das nicht ausreicht, der möge Pierre Corneille lesen, der in seiner Abhandlung über die Tragödie und insbesondere über die Art, sie gemäß dem Wahrscheinlichen und dem Notwendigen zu gestalten, diese Lizenz […] gelehrt verteidigt hat.“)  Claus 1741, S. 332. In diesem Stück ist Überlieferungstreue am stärksten betont: […] summa fidelitate secutus sum Historiam. („[…] bin ich der Geschichte mit höchster Treue gefolgt.“) Claus 1741, S. 332.  Claus 1741, S. 79.

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frühen sechzehnten Jahrhundert hatten die für Aristoteles grundlegende Einheit der Handlung sowie die aus der Poetik ableitbare Einheit der Zeit als verbindlich gegolten, nach Erscheinen von Castelvetros Poetik-Kommentar (1570) war auch die Einheit des Ortes rasch eingefordert worden.293 Die Forderung nach der Einheit des Ortes stellte Claus nur in Stilico und Protasius vor (geringfügige) Probleme. In Stilico ließ sie sich, wie bereits gezeigt, nur auf Kosten eines Eingriffs in die historische Überlieferung konstruieren. In Protasius gab Claus zwar der Überlieferung den Vorzug, musste aus diesem Grund aber mit umständlichen Hintergrundhandlungen operieren. Was die Definition des ‚Ortes‘ anbelangt, wählte Claus einen pragmatischen Ansatz: Der Autor hielt sich nicht an eine strenge Ortseinheit Racine’scher Prägung, sondern gestattete sich die Freiheit, die Handlung an mehreren benachbarten Schauplätzen anzusetzen.294 Die Einheit der Zeit ließ sich ebenfalls ohne größere Schwierigkeiten als gewährleistet darstellen, zumal Claus im Gefolge Corneilles argumentieren konnte: [poeta] non itaque attendere potest, an vere intra tale temporis aut loci spatium contigerit, modo contingere potuisset. („[Der Dichter] kann deshalb nicht in Betracht ziehen, ob sich etwas tatsächlich innerhalb dieses Zeitraums oder an dieser Örtlichkeit ereignete, sofern es sich ereignen hätte können.“)295 Auffallend ist die Tendenz hin zu einer zusehends freieren Gestaltung: Während sich die Handlung der frühen Stücke Stilico und Scipio aus handlungsinhärenten Gründen fast zwangsläufig innerhalb mehrerer Stunden vollzieht, muss Claus in den Observationes in Themistoclem bereits eingestehen: Unitatem temporis quod attinet, fateor, multa et gravia in unum diem congesta. („Was die Einheit der Zeit betrifft, so sind, ich gestehe es, viele bedeutsame Ereignisse an einem Tag zusammengefasst.“)296 In Protasius ist schließlich die Wahrung dieser Einheit nur noch auf Kosten wenig realistischer Konstrukte möglich. Die Einheit der Handlung versteht Claus als Primat einer übergreifenden, alle Nebenhandlungen zusammenführenden und aus deren logischer Verknüpfung resultierenden Haupthandlung: Ad quam actionem unicam diriguntur omnes reliquae, quae in singulis actibus ponuntur, actiones incompletae et ita inter se cohaerentes, ut non una post aliam, sed una ex alia, verosimiliter, et ex his denique ipsa actio primaria sequatur. („An dieser einheitlichen Handlung sind alle anderen Handlungen ausgerichtet, die als Einzelhandlungen unvollstän-

   

Fuhrmann 1973, S. 202. Claus 1741, S. 81. Claus 1741, S. 165–166. Claus 1741, S. 247.

3.4 Claus’ poetologische Konzepte im Detail

71

dig sind und so untereinander verbunden sind, dass nicht eine auf die andere, sondern eine – glaubwürdig – aus der anderen folgt, und aus diesen schließlich die Haupthandlung.“)297 Claus war sich im Klaren darüber, dass die Einheit der Handlung im Gegensatz zu den (relativ) messbaren Einheiten von Zeit und Ort der subjektiven Wahrnehmung unterliegt. In den Observationes in Stiliconem bemühte er sich deshalb um eine Konkretisierung des Konzepts. Gewähr für die Einheit der Handlung leiste in der Tragödie die Einheit der Gefahr, in die sich der Protagonist begibt. Zwar sei es zulässig, diesen mehreren Gefahren auszusetzen, diese müssten jedoch auseinander resultieren: […] modo inter se ita sint connexa, ut heros ex uno non plene evadat, quin ex hoc ipso in aliud necessario incidat. („[…] solange sie untereinander so verbunden sind, dass der Held einer Gefahr nicht ganz entkommt, ohne dass er zwangsläufig in eine andere gerät.“)298 Claus übernahm damit einen Passus aus Corneilles drittem Discours fast wörtlich und gab diese Quelle auch an: Unitatem actionis Petrus Cornelius ex Aristotele statuit in unitate periculi. („Die Einheit der Handlung legte Pierre Corneille aus Aristoteles als Einheit der Gefahr fest.“)299 Auch hier findet sich also das argumentative Muster, Gestaltungselemente vermittels des Franzosen aus Aristoteles abzuleiten. In Wahrheit findet sich dieser Gedanke freilich weder in der Poetik, noch findet sich bei Corneille ein Hinweis darauf, diese Überlegung gründe auf der antiken Schrift. Corneille hatte auch hinsichtlich der aristotelischen Einheiten eine freie Interpretation vorgelegt, die dem Dichter großzügige Gestaltungsmöglichkeiten bot.300 Claus muss dies zwar gesehen haben, er erachtete es jedoch für bequemer, zwischen Corneille und Aristoteles nicht zu differenzieren. Er konnte sich wohl ohnedies sicher sein, dass seine Umsetzung der Drei-Einheiten-Lehre nicht auf Widerspruch stoßen würde. Dramaturgie Zu dramaturgischen Aspekten im engeren Sinn schweigt sich Claus in den Observationes weitgehend aus. Nur vereinzelte Äußerungen lassen darauf

 Claus 1741, S. 80.  Claus 1741, S. 163.  Claus 1741, S. 163. Vgl. Corneille 1980, Bd. 3, S. 174: Je tiens donc […] que l’unité d’action consiste […] en l’unité de péril dans la tragédie […] Ce n’est pas que je prétende qu’on ne puisse admettre plusieurs périls […], pourvu que de l’un on tombe nécessairement dans l’autre […].  Das äußert sich unter anderem darin, dass er die Einheit der Zeit nicht streng auf zwölf oder 24 Stunden begrenzt wissen will und die Einheit des Ortes auch dann als gegeben ansieht, wenn die Handlung sich an verschiedenen Orten innerhalb derselben Stadt vollzieht. Corneille 1980, Bd. 3, S. 183.

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3 Poetik

schließen, welche Überlegungen ihn bei der Aufbereitung eines Stoffes für die Bühne geleitet haben. Das ist zwar insofern verständlich, als Dramaturgie in jesuitischen Dramenpoetiken tendenziell nachrangig behandelt wurde. Angesichts dessen, dass Claus sich selbst in erster Linie als Theatermacher und Lehrmeister für angehende Schuldramatiker darstellte, hätte man Angaben zu Informationsvergabe, Handlungsverteilung, Szenen- bzw. Figurenwechsel u. ä., wie Corneille sie in seinem dritten Discours angestellt hatte,301 jedoch in etwas ausgiebigerer Form erwartet. Nur zwei Bereiche gewähren tiefergehende Einblicke: Zum einen äußert sich Claus zur Gestaltung der Peripetie und erklärt, er habe versucht, die Spannung in Scipio möglichst lange aufrechtzuhalten, indem er den Handlungsknoten zu Beginn des letzten Akts noch stärker verwickelt habe. Habe die Peripetie schließlich stattgefunden, so dürfe man Informationsdifferenzen zwischen dem Publikum und nicht eingeweihten Figuren nicht auf der Bühne beheben:302 Nihil quippe spectatorem adeo fatigat quam repetita eorum, quae jam audivit aut vidit, narratio. („Denn nichts ermüdet den Zuschauer so sehr wie die erneute Erzählung dessen, was er schon gehört oder gesehen hat.“)303 Der Dramatiker propagiert damit die Priorität der Zuschauer- über die Figurenperspektive. In der Praxis hat er diesem Ansatz aber nicht immer Rechnung getragen – manche Szenen vermitteln den Eindruck, eher für das Kommunikationssystem der Bühne konzipiert zu sein als für das Publikum. Ein zweites dramaturgisches Prinzip, das aus den Paratexten hervorgeht, ist die Ablehnung von Blutszenen auf der Bühne: Non enim cum iis sentio, qui illam demum pulcherrimam tragoediam credunt, in qua ex resecto palam vertice erumpens unda sanguinis pavimentum et tabulatum aspergit aut truncata et sparsa membra omnes theatri angulos cruentant. („Ich halte es nämlich nicht mit denen, die jene Tragödie am schönsten finden, in der eine Blutwoge, die aus dem offenstehenden, abgeschnittenen Rumpf hervorschießt, sich über den Boden und die Bühne ergießt oder die abgeschlagenen und herumliegenden Körperteile alle Ecken der Bühne mit Blut bespritzen.“)304 Soll eine Figur getötet werden, so habe das hinter der Bühne zu erfolgen, da Gewaltszenen unfreiwillig komisch wirken können, was der Intention des Tragikers gänzlich zuwiderlaufe. Mit der Ablehnung der auf der Jesuitenbühne häufig eingesetzten Blutrequisiten erweist sich Claus zum einen als Verfechter horazischer Maximen – Horaz hatte in Ars 185–188 ähnlich eindringlich davor gewarnt, Unrea-

   

Corneille 1980, Bd. 3, v. a. S. 176–182. Zu dramaturgischen Prinzipien siehe hier S. 150–162. Claus 1741, S. 164. Claus 1741, S. 333.

3.4 Claus’ poetologische Konzepte im Detail

73

listisches oder Grausames auf die Bühne zu bringen305 –, zum anderen als Vertreter eines rationalen Illusionstheaters, der sich dessen bewusst ist, dass grobschlächtige Schockeffekte nicht mehr zeitgemäß sind.306 Resümee Claus’ Observationes zu seinen vier Tragödien sind interessante Zeugnisse für die Gedankenwelt eines späten Jesuitendramatikers – nicht nur, weil sie dokumentieren, welche theoretischen Überlegungen den Dramatiker bei seiner literarischen Tätigkeit leiteten, sondern auch, weil sie veranschaulichen, welcher Strategien er sich bediente, um Autorschaft zu inszenieren. Es ist offensichtlich, dass er in erster Linie als Dramatiker aristotelischen Zuschnitts wahrgenommen werden wollte. Der Philosoph erscheint in den Observationes als unumstößliche Autorität. Da Claus’ Bühnenpraxis jedoch vielfach mit dem Wortlaut der Poetik nicht kompatibel war, schaltete er Corneille als Mittler zwischen, was keiner Rechtfertigung bedurfte, denn Corneille galt dem Europa des frühen achtzehnten Jahrhunderts als Meister der Bühnenkunst und war dank Jouvancys Ratio discendi et docendi und den Dramensammlungen von François Noël und Charles de la Rue auch unter den deutschsprachigen Jesuiten als Vorbild anerkannt.307 Der Franzose ließ sich für Claus bequem als Autorität darstellen, welche die aristotelischen Satzungen den Anforderungen der Gegenwart gemäß ausgelegt hatte. Dass Corneille nicht nur quelque modération à la rigueur de ces règles du philosophe für nötig befunden,308 sondern mehr noch mit einzelnen Theoremen, wenngleich nicht offen, so doch in der Sache gebrochen hatte, blieb dabei unerwähnt. Claus’ poetische Vorstellungen decken sich damit weitgehend mit denjenigen des Franzosen; von einem accord total entre Claus et Corneille zu sprechen,309 verbietet jedoch der uneingeschränkte Glaube des Jesuiten an die Möglichkeit einer moralisch wirksamen Katharsis. In der Tradition von Corneilles Examens bieten die Observationes keine systemhafte Dramentheorie. Poetologische Aspekte werden hier in locker Vgl. dazu auch Corneille 1980, Bd. 3, S. 159–160.  Claus 1741, S. 333: Abhorret jam ab tali laniena saeculum nostrum. („Unsere Zeit schreckt mittlerweile vor solchem Gemetzel zurück.“) Die Vermeidung von Blutszenen auf der Bühne ist auch charakteristisch für andere zeitgenössische Dramatiker. Ein gutes Beispiel bietet Weitenauers Mors Ulyssis. Hier wird eigens für die Tötungsszene ein Zelt aufgerichtet (Weitenauer 1758, S. 290). Vgl. auch Weitenauer 1757, S. 103. Die horazische Absage an offene Gewalt auf der Bühne wurde bereits von Jesuitendramatikern des 17. Jahrhunderts diskutiert, siehe Hoxby 2016, S. 212.  Jouvancy 1725, S. 74; Noël 1717; De la Rue 1722. Vgl. hier S. 252–254.  Corneille 1980, Bd. 3, S. 149.  Valentin 2007, S. 305.

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3 Poetik

essayistischer Form vorgestellt. Claus wollte keinen Beitrag zur Jesuitenpoetik leisten, sondern schlicht seine Dramen theoretisch fundieren. Das ist ein weiteres Motiv dafür, wieso er, wenn er sich auf Aristoteles bezog, diesen überwiegend vermittels Corneille wahrnahm. Als Praktiker, der er durch und durch war, scheint er an der antiken Tragödientheorie an sich wenig Interesse gehabt zu haben. Was ihn interessierte, waren die konkreten Handgriffe, die er an einem Plot vornehmen musste, um daraus ein gutes Drama zu fertigen. Gut aber konnte ein Drama im Verständnis der Zeit nur sein, wenn es die Regeln des Aristoteles umsetzte. Claus brauchte Aristotelismus für den Hausgebrauch und Corneille hatte das antike Theoriegebäude für die Praxis der Bühne zurechtgezimmert.

4 Werk Das gedruckte Werk von Anton Claus umfasst 26 Dramen. Die Sammlung Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741) enthält vier fünfaktige Tragödien, in den Exercitationes theatrales (1750) sind 22 kürzere Stücke unterschiedlicher Form und funktionaler Bestimmung zusammengefasst. Zwei weitere dramatische Arbeiten sind in Form von Periochen erhalten, die Tragödie Jovianus ist als Manuskript bewahrt geblieben. Dass damit das gesamte dramatische Œuvre des Autors erfasst ist, ist allerdings unwahrscheinlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Jesuit noch weitere Stücke geschrieben hat, die zwar zur Aufführung gelangten, von denen sich aber keine Spuren erhalten haben oder die dem Autor nicht mehr zugeordnet werden können.310 Auch die Möglichkeit, dass Claus der Verfasser einiger der 1755 anonym herausgegebenen Exercitationes theatrales a magistris inferiorum classium dirigente P. Antonio Claus exhibitae war, muss man in Betracht ziehen. Allein die erhaltenen Teile des Werks bezeugen jedenfalls intensive dramatische Tätigkeit, zumal anzunehmen ist, dass ein Großteil der Stücke im Lauf der zwölf Jahre entstand, die Claus im Schuldienst verbrachte (1722–1734). Für einen jesuitischen Choragen, der im Abstand weniger Wochen aufführungsreife Stücke liefern musste, ist diese Produktivität freilich nichts Außergewöhnliches – Franz Lang soll im Laufe seines Lebens annähernd 120 eigene Stücke auf die Bühne gebracht haben.311 Bevor Claus’ Dramen im Folgenden in Einzelkapiteln vorgestellt werden, soll auf Ungleichgewichte innerhalb des Werks hingewiesen werden. Zwar handelt es sich durchwegs um Stücke für Schulen und Bruderschaften, d. h. um Gebrauchsliteratur. Der Grad der literarischen Durchformung divergiert jedoch: Die Tragoediae ludis autumnalibus datae, die für die großen, öffentlichen Schuljahresendfeiern verfasst, teils mehrfach überarbeitet wurden und über die angehängten Observationes in literarische und poetologische Diskurse der Zeit eingebunden sind, sind die ästhetisch am intensivsten reflektierten Stücke des Autors; allen Bescheidenheitsgesten zum Trotz handelt es sich hierbei um Texte mit unverkennbarem literarischem Kunstanspruch. Die Tragoediae werden aus diesem Grund in der Arbeit am ausführlichsten besprochen; sie stehen auch im Mittelpunkt der Abschnitte, in denen der literarhistorische Kontext von Claus’ Schaffen vorgestellt wird.312

 Zu Aufführungen, die während des Schuljahres erfolgten, wurden auch im 18. Jahrhundert häufig keine Periochen gedruckt.  Lang 1975, S. 315. Zur Belastung, die den Patres daraus erwuchs, pünktlich fertige Spielvorlagen zu liefern, siehe Rädle 2013, S. 215.  Siehe hier S. 249 ff. https://doi.org/10.1515/9783110617788-005

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4 Werk

Auch beim Verfassen der Exercitationes theatrales hat der Autor nach aristotelischen Maßstäben gearbeitet. Der Sammlung ist ebenfalls eine akribische Redaktion zuteilgeworden, die Handlung der Stücke ist frei von Brüchen und ihre Sprache sorgfältig gearbeitet. Dennoch wird aus der Aufmachung der Sammlung, dem Umfang und dem Thema vieler Stücke erkenntlich, dass Claus damit ein anderes, künstlerisch weniger engagiertes Register bedienen wollte. Die Stücke werden daher insbesondere auf ihren konkreten Sitz im Leben an den Jesuitenschulen hin untersucht. Die Stücke, welche nur in Form von Periochen überliefert sind, müssen anders behandelt werden. Periochen können als Textgrundlage naturgemäß nicht bemüht werden. Sie sind mehr Zeugnisse einer Aufführung denn Textzeugen. Diese Stücke erfahren folglich keine literaturwissenschaftliche Detailuntersuchung, Überlegungen zu Stoffwahl und Handlungsaufbau werden gleichwohl angestellt. Verzichtet wird darauf, Claus weitere, bislang nicht mit ihm in Verbindung gebrachte Theaterstücke zuzuweisen. Ein solches Vorgehen würde angesichts der kargen sekundären Überlieferung unweigerlich in den Bereich des Spekulativen führen.313

. Frühe Stücke Die ersten beiden Stücke des Autors, die sich nachweisen lassen, sind nur in Form von Periochen überliefert – Claus hat sie nie drucken lassen. Sie sollen hier vor allem insofern besprochen werden, als sie auf das spätere Werk des Autors verweisen.314

.. Telemachus in Athenaeo Am 14. Dezember 1719 wurde in Ingolstadt ein Stück mit dem Titel Telemachus in Athenaeo aufgeführt.315 Die als Untertitel geführte Gattungsbezeichnung comoedia heroica liest sich wie ein Hinweis auf die Anlasssituation: Die Auf-

 So wird etwa das 1727 in Freiburg i. Br. aufgeführte Stück Iter ad astra, das in Claus 2015, S. 15 unter Vorbehalten mit Claus in Verbindung gebracht wird, hier nicht behandelt. Zwar war Claus 1727 im Freiburger Kolleg als Lehrer der Rhetorik prinzipiell für die Jahresendaufführung zuständig, konkrete Hinweise für seine Autorschaft gibt es jedoch nicht.  Dass Claus der Verfasser der beiden Dramen war, ist auf den Periochen handschriftlich vermerkt. Endgültige Sicherheit hinsichtlich der Autorschaft gibt es nicht, die Wahrscheinlichkeit ist gleichwohl hoch.  Valentin, Nr. 4173.

4.1 Frühe Stücke

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führung erfolgte zu Ehren des bayerischen Prinzen Johann Theodor, der im September des Jahres bei den Ingolstädter Jesuiten sein Studium angetreten hatte.316 Nach dem Tod seines Bruders Philipp Moritz im März 1719 war der jüngste noch lebende Sohn von Kurfürst Maximilian II. Emanuel für den geistlichen Stand bestimmt worden. In den Litterae annuae ist er in diesem Jahr als häufiger Gast des Jesuitenkollegs von Ingolstadt ausgewiesen.317 Die Handlung des Stücks ist auf der knapp gehaltenen Perioche nur in groben Linien skizziert. Grundlage bildet Strab. Geogr. 5,4,8, wo im Kontext der Beschreibung des Golfs von Neapel ein Athene-Heiligtum erwähnt wird, das Odysseus auf dem äußersten Vorsprung der sorrentinischen Halbinsel angelegt haben soll. Im Stück besucht Telemach diese Stätte, um die Stiftung seines Vaters zu besichtigen und dessen persönlicher Schutzgöttin ein Opfer zu bringen. Unter dem Eindruck des Besuchs beschließt er, sich fortan anstelle von Jagd- und Kriegsabenteuern der Verehrung der Athene zu widmen. Es ist anzunehmen, dass das Stück eher als eine theatralische Einlage bei einer Feier dargeboten wurde als im Rahmen einer eigenständigen Theateraufführung. Um Schultheater hat es sich nicht gehandelt; unter den Darstellern finden sich nur drei Schüler, fast alle Aufführenden waren Studenten; vor allem jedoch fehlen die üblichen Verweise auf den Schulkontext auf dem Titelblatt. Die Periochen wurden vorrangig aus Gründen der Ehrerweisung gedruckt, ihr Adressat ist offenkundig Johann Theodor. Das wird neben der graphischen Gestaltung (der Widmungsnehmer ist auf dem Titelblatt merklich hervorgehoben) aus dem in der Stückbeschreibung enthaltenen Interpretationshinweis deutlich, der sicherstellen soll, dass der Widmungsnehmer den dargestellten panegyrischen Plot allegorisch auf sich bezieht: In der Figur des Telemach ist der junge Wittelsbacher gespiegelt, der sein höfisch-weltliches Leben gegen das Ingolstädter Jesuiten-Athenäum vertauscht und auf diese Weise zum Ruhm der Universität beiträgt. Die Auskünfte, welche die Perioche über den Hergang der Aufführung gibt, sind zwar limitiert. Es lassen sich jedoch einige inhaltliche Aspekte identifizieren, die auf die weitere Entwicklung des Dramatikers vorausweisen: Das humanistische Bildungsethos des Pädagogen ist in Telemachus bereits manifest, die positive Darstellung des Lernens, die in späten Werken wiederaufgenommen wird,318 ist hier ein Kernmotiv. Auch die topische Darstellung der Jagd als Symbol einer unkultivierten, rohen Gegenwelt wird in späteren Arbeiten wiederkehren: Der Gegensatz sittliches Leben versus Jagdvergnügen tritt im Übungs-

 Weitlauff 1970, S. 110.  LA, Bd. 84, Bl. 91 [= 1719, S. 181].  Vgl. Oleum Divae Catharinae in: Claus 1750, Bd. 2, S. 18–38.

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4 Werk

stück Poena contempti missae sacrificii als zentrales Motiv wieder auf.319 Noch stärker verweisen thematisch-stoffliche Entscheidungen auf das spätere Werk: Es ist kein Zufall, dass Claus für die Gelegenheit auf ein mythologisches, dezidiert nicht-christliches Sujet zurückgegriffen hat, und das obwohl sich für den Studienbeginn des jungen Geistlichen und postulierten Bischofs von Regensburg mitten im Advent ein religiöser Stoff angeboten hätte.320 Das Drama, für das der Theologiestudent sich interessierte, war eben nicht das religiöse Spiel barocker Tradition, sondern das klassische Historiendrama, dessen Inhalt sich innerweltlich aktualisieren ließ. Symptomatisch ist auch, dass Claus sich für dieses Stück bereits an der französischen Belletristik des siebzehnten Jahrhunderts bediente. Das Drama wurzelt im pädagogischen Abenteuerroman Suite du quatrième livre de l’Odyssée d’Homère, ou les avantures de Télémaque, fils d’Ulysse (1699) des französischen Prinzenerziehers François Fénelon. Das Buch, ein absoluter Bestseller des frühen achtzehnten Jahrhunderts, wurde auch an deutschen Höfen zur Prinzenerziehung eingesetzt,321 höchstwahrscheinlich war der Widmungsnehmer mit der Erzählung vertraut. Claus durfte davon ausgehen, dass Teile des Publikums das Buch kannten und es als intertextuelle Folie unter seinem Drama identifizieren würden. Dass Claus selbst mit dem Roman vertraut war, lässt sich mit der Tragödie Scipio belegen: Der Name der Figur Eucharis ist als intertextueller Verweis auf den Télémaque angelegt.322 Der Umstand, dass sich das Stück auf den Studienantritt Johann Theodors bezieht, könnte als Indiz darauf verstanden werden, dass Claus auch in späteren Dramen auf konkrete tagesaktuelle Ereignisse Bezug genommen hat. Die Analyse der übrigen Stücke hat in dieser Hinsicht wenige Aufschlüsse gebracht. Tiefergehende Einzeluntersuchungen könnten hier noch Ergebnisse liefern.

.. Comoedianten Das erste Herbstspiel, das Claus als Lehrer der Rhetorica veranstaltete, war eine metatheatralische Darbietung: Im September 1723 brachte er am Kollegium Pruntrut ein Stück auf die Bühne, das auf der deutsch-französischen Perioche

   

Claus 1750, Bd. 1, S. 315–331. Weitlauff 1970, S. 90. Bensiek 1972, S. 1; Kapp 2000, S. 127. Claus 2015, S. 202.

4.1 Frühe Stücke

79

den lapidaren Titel Comoedianten trägt. Dass das Stück auf Latein aufgeführt wurde, steht außer Zweifel.323 Die Handlung, die von einer Anekdote in Matthäus Raders Viridarium Sanctorum angeregt ist, ist bewusst komisch angelegt.324 Der fahrende Komödiant Pantomimus richtet im Wald eine Bühne auf, um für den Grafen von Oropesa ein Stück aufzuführen. Er verspricht sich hohe Einnahmen. Schon bald kommt es jedoch zu Schwierigkeiten: Zunächst gerät Pantomimus mit Jägern in Konflikt, dann kündigt einer der von ihm engagierten Schauspieler unerwartet seinen Dienst. Pantomimus bedauert nun umso mehr, dass sein Gefährte Polludio ihn vor einigen Wochen verlassen hat. Dieser hat inzwischen die Sittenlosigkeit seiner früheren Gaukeleien eingesehen und lebt in einer Höhle im Wald als Einsiedler. Als Pantomimus ihn unerwartet trifft, legt dieser ihm nahe, ebenfalls mit dem Schauspielen aufzuhören: Er ringt ihm das Versprechen ab, in Zukunft auf „unreine Possen“ zu verzichten. Polludio muss aber erkennen, dass Pantomimus ihm zwar nach dem Mund redet, in Wahrheit jedoch an seinen Aufführungen nichts ändern will. Aus diesem Grund sperrt der Einsiedler seinen ehemaligen Weggefährten kurzerhand in seiner Höhle ein. Inzwischen ist der Hofstaat des Grafen angekommen. Der eingesperrte Pantomimus wird auf Betreiben Polludios für verrückt erklärt, anstelle der Theateraufführung wird ein Jagdspektakel organisiert. Zuletzt kommt Pantomimus frei und kann die Aufführung doch noch beginnen lassen. Aufgrund von Zeitnot und der Unzuverlässigkeit der Schauspieler missrät diese jedoch dergestalt, dass das höfische Publikum sich bereits vor dem Ende des Prologs davonmacht. Enttäuscht beschließt Pantomimus, mit dem Schauspielgewerbe zu brechen und fortan ebenfalls als Einsiedler zu leben. Das Stück spielt vor dem Hintergrund zeitgenössischer Theaterdiskurse, in denen die Unmoral der fahrenden Theatertruppen gebrandmarkt wurde. Unzüchtiges Verhalten und Geldgier sind Stereotype, die den Wanderschauspielern in Comoedianten zugeschrieben werden. Das Wandertheater wird implizit als negatives Gegenkonzept zum sittlich-bildenden, nicht auf Profit ausgerichteten Schultheater vorgestellt. Die Moral des Stücks ist allerdings vergleichsweise schwach akzentuiert. Die pädagogische Chance, explizit vor der sittenverderblichen Kraft von Wandertruppen zu warnen, hat Claus (soweit sich aus der Perioche ersehen lässt) nicht wahrgenommen. Komische Aspekte

 Valentin, Nr. 4377. Duhr 1928, Bd. 4,1, S. 343 gibt den Titel Duo comoedi, qui damnatis theatralibus nugis in eremum se subduxere an.  De duobus vicissim inclusis pia et iucunda historia, in: Rader 1612, S. 208–216. Das Motiv des bekehrten Schauspielers ist in der Hagiographie gängig, vgl. z. B. die Biographie des Hl. Silvanus in Rosweyde 1615, S. 128.

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4 Werk

überwiegen ausdrückliche Kritik. Von einer moralischen Läuterung der Hauptfigur lässt sich nicht sprechen. Ihre Absage an das Theater erfolgt nicht auf Basis innerer Überzeugung, sondern infolge persönlicher Kränkung. Richtungsweisend für spätere Arbeiten von Claus ist der strenge formale Aufbau. Obwohl er keinen klassischen Dramenstoff verarbeitete, setzte der Autor klassizistische Vorgaben um. Die aristotelischen Einheiten sind ebenso realisiert wie die Forderung nach einem mittelmäßigen Helden. Für ein jesuitisches Herbstspiel hat die Hauptfigur freilich außergewöhnliche Charakteristika: Zum einen handelt es sich um keine historische bzw. legendäre Figur. Zum anderen tritt der Typus des Antihelden hier nicht, wie im Jesuitendrama häufig, in der Ausprägung ‚Bösewicht‘ auf, sondern als ein moralisch zweifelhafter, aber gleichwohl liebenswürdiger Tölpel.

. Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741) Am 24. Jänner 1741 bewilligte der oberdeutsche Jesuitenprovinzial Rudolph Burckhart den Druck von Claus’ erster literarischer Veröffentlichung, den Tragoediae ludis autumnalibus datae. Das Buch erschien beim Verleger und Buchhändler Franz Anton Strötter in Augsburg.325 Seit der letzten dokumentierten Aufführung eines dieser Stücke unter Claus’ Ägide waren mehr als sechs Jahre vergangen. Weshalb der Autor so lange zuwartete bzw. sich erst nach vielen Jahren zur Veröffentlichung entschloss, lässt sich nur erahnen. Die schriftstellerische Feinarbeit am Text kann die lange Zeitspanne nicht hinlänglich begründen. Mag sein, dass persönliche Gründe eine Rolle spielten. Vielleicht hat Claus sich anlässlich seines fünfzigsten Geburtstages dazu durchgerungen, ein lang geplantes Projekt doch noch umzusetzen. Wenn man das Jesuitentheater als Ganzes in den Blick nimmt, ist eine Publikation mit großem zeitlichem Abstand zur Erstaufführung freilich nichts Außergewöhnliches. Als Jakob Baldes Tragödie Jephtias 1654 im Druck erschien, waren seit der ersten Inszenierung in Ingolstadt 17 Jahre vergangen, Jakob Bidermanns Cenodoxus erschien in lateinischer Sprache sogar erst 64 Jahre nach der Augsburger Uraufführung im Herbst 1602.326 Die Ursachen  Strötter ist belegt zwischen 1732 und 1743. Gier 1997, S. 1275. Den Druck besorgte Maximilian Anton Heiß, dessen Offizin zwischen 1718 und 1748 bestand. Gier 1997, S. 1268.  Rädle 1988a, S. 139. Vgl. auch das Vorwort Ferdinand Huebers, eines Zeitgenossen von Claus, zu seiner Sammlung von Dramen und affixiones: Et hic quidem mirari posset vel amicus lector, vel criticus censor […], quod antiquas maxime et non potius hodierno aptas tempori materias referant: […] Sed sciat simul, quod opus hoc iam triginta et amplius abhinc annis […] produxerim. („Der freundliche Leser oder der strenge Kritiker könnte sich wundern, dass die Stücke

4.2 Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741)

81

für den häufig ‚verspäteten‘ Druck von Jesuitendramen liegen wohl in der soziokulturellen Wahrnehmung der Texte als Gebrauchsliteratur für ein temporäreres Ereignis.327 Angesichts dessen ist es weniger außergewöhnlich, dass die genannten Stücke spät, als vielmehr, dass sie überhaupt gedruckt wurden. Die Stücke, wie sie in der Tragödiensammlung überliefert sind, sind mitunter stark veränderte Bearbeitungen der ursprünglichen, für die Aufführungen in den Kollegien geschriebenen Textfassungen. Zwar sind die handschriftlichen Bühnenmanuskripte nicht erhalten, ein Vergleich des 1741 gedruckten Texts mit den in den Periochen überlieferten Szenenparaphrasen zeigt jedoch, dass Claus gewichtige Änderungen hinsichtlich Handlungsführung und Personal vornahm. Besonders offensichtlich wird Claus’ revisionistisches Verfahren anhand der Stücke, für die Periochen zu mehreren Aufführungen erhalten sind. Der Autor arbeitete von Aufführung zu Aufführung an seinem Textsubstrat, passte es an die Gegebenheiten des jeweiligen Kollegiums an und versucht seine Bühnenwirksamkeit zu steigern. Bei der Vorbereitung der Stücke für den Druck wurde die Handlung noch einmal überarbeitet. Der Autor fügte Szenen ein, tauschte Figurennamen aus und reduzierte das Personal. Auf allen Periochen sind Figuren verzeichnet, die in den Druckfassungen nicht aufscheinen, darunter offensichtliche Hans-Wurst-Figuren wie der von der Commedia dell’arte inspirierte Scanarellus in den Scipio-Aufführungen von Freiburg i. Br. und Straubing; für derartige rein der Unterhaltung dienende Figuren war in der Ausgabe, die den poetologischen Normen der Tragödie genügen musste, kein Platz mehr. In der letzten Überarbeitungsphase dürften zusätzlich stilistische und metrische Korrekturen erfolgt sein. Eine ungefähre Vorstellung davon, wie stark der Autor den Aufführungstext in sprachlicher Hinsicht modifizierte, lässt sich aus dem Übungsstück Tonsiastrus gewinnen – zu diesem Drama hat sich ein Bühnenmanuskript erhalten.328 Verzichtet hat der Autor in den Tragoediae (wie auch in den Exercitationes) auf das Abdrucken der in den Zwischenspielen der Aufführungen eingesetzten Chorpartien.329 Die Ursachen dafür sind ebenfalls in den klassizistischen Ansprüchen des Autors zu suchen: Hätte er die allegorischen Chorpartien mit abgedruckt, wäre die Einheit der Handlung nicht mehr gegeben gewesen. Das Aussparen der Interludien in der Druckfassung ist im Jesuitendrama insgesamt

vor allem alte und den heutigen Zeiten nicht entsprechende Stoffe behandeln. Er soll jedoch wissen, dass ich das Werk schon vor dreißig Jahren und früher verfasst habe.“) Hueber 1747, S. [].  Vgl. hier S. 45–48.  Siehe hier S. 223–227.  Zu den Chorpartien von Claus’ Tragödien siehe hier S. 162–167.

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4 Werk

ein häufiges Phänomen. Bereits Jakob Pontanus hatte seine Chöre im Druck weggelassen, beim Druck später jesuitischer Schulstücke war dies der Normalfall. Die von der Oper angeregten, unklassischen Verseinschübe galten ihren Verfassern als literarisch minderwertig.330

.. Cornelius Publius Scipio sui victor Ein Stück, dessen junge, sympathische Hauptfigur hohes Identifikationspotential und damit hohe pädagogische Anschaulichkeit für eine adoleszente Schauspieltruppe gewährleistet, hat Claus an den Beginn seiner Dramensammlung gestellt: die 1725 für die Herbstspiele in Freiburg im Üechtland (Valentin, Nr. 4451) entstandene Tragödie Cornelius Publius Scipio sui victor. Nicht nur aufgrund der Anordnung der Stücke in der Publikation ist es legitim zu vermuten, Claus habe Scipio als sein gelungenstes Drama erachtet. Darauf deutet auch der Umstand hin, dass der Autor das Stück nach seiner Zeit in Freiburg i. Ü. wohl in allen Kollegien, in denen er als Rhetorik-Lehrer tätig war, zur Aufführung brachte. 1728 ließ er es in Freiburg i. Br. (Valentin, Nr. 4631), 1729 in Straubing (Valentin, Nr. 4721), 1730 in München (Valentin, Nr. 4765) und – höchstwahrscheinlich – 1731 in Innsbruck als Herbstspiel aufführen.331 Diese wiederholten Aufführungen eines Stücks in unterschiedlichen Kollegien sind für das Jesuitentheater auch in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts noch außergewöhnlich.332 In der Regel verfasste der Chorag für das

 Flemming 1923, S. 223. Als literarisch vollwertig konnten Chöre zumal dann nicht gelten, wenn sie wie bei Claus gereimt und akzentrhythmisch aufgebaut waren. Zu de la Rues Aussparen der Chorpartien vgl. Rieks 1989, S. 18. Zu Baldes Verständnis siehe Rädle 1988b, S. 361. Zu den Streichungen der Bidermann-Herausgeber siehe Bidermann 1666, S. []. Vgl. auch das Vorwort der Amberger Claus-Übersetzung von 1776, S. []: „Allein wozu dann die Chöre? – Ich verbethe mirs, daß sie zur Uebersetzung gehören.“  Eine Aufführung von Scipio in Innsbruck ist zwar nicht belegt, aber wahrscheinlich: Für das Schuljahr 1730/31 fehlt in Innsbruck der Name des aufgeführten Herbststücks. Dass es ein Herbstspiel gegeben hat, ist jedoch dokumentiert. Zuständig dafür war Anton Claus, der 1730 als Rhetorik-Lehrer seinen Dienst angetreten hatte. Wahrscheinlich ist eine Aufführung des Scipio u. a. deshalb, weil Claus dieses Stück auch als Rhetorik-Lehrer in Straubing (1729) und München (1730) im ersten (und zugleich jeweils letzten) Jahr seines dortigen Aufenthaltes aufführen ließ. Außerdem ist unwahrscheinlich, dass Claus ausgerechnet in der Stadt, in der er sich am längsten als Rhetorik-Lehrer aufhielt, auf eine Aufführung eines Stücks verzichtete, das er ansonsten überall hatte aufführen lassen. Eine ausführliche Argumentation findet sich in Claus 2015, S. 16–18.  Für die erste Jahrhunderthälfte konnte ich auf Grundlage von Valentin nur fünf weitere Choragen ausfindig machen, die ein Stück, das sie für ein Kollegium verfasst hatten, an einem anderen Ort wiederholen ließen: Joseph Haill (Sennacherib: Ingolstadt 1707, Valentin, Nr. 3703;

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Herbstspiel jeden Jahres ein neues Stück. Claus, der mit Stilico noch ein zweites Stück mehrfach zur Aufführung brachte, scheint mit seinen Tragödien so erfolgreich gewesen zu sein, dass er es vorzog, an ihnen zu feilen und sie auf die Ressourcen des Kollegiums, an dem er aktuell tätig war, abzustimmen, als neue Stücke zu verfassen. Inhalt und Aufbau Die Tragödie – Claus nimmt, wie gezeigt, zur Gattungsfrage selbst Stellung333 – basiert auf einer Episode aus dem Zweiten Punischen Krieg (218–201 v. Chr.). Der junge römische Feldherr Scipio Africanus Maior zog 209 v. Chr. mit einem Heer nach Spanien, um die Vormacht Karthagos auf der Iberischen Halbinsel zu brechen. Seine erste militärische Operation, die Einnahme der strategisch wichtigen Hafenstadt Neukarthago (Cartagena), bildet den Hintergrund der Dramenhandlung. Die Handlung setzt ein, als die Stadt bereits erobert ist und das karthagische Heer sich unter der Führung des Stadtkommandanten Mago auf eine nahe Festung zurückgezogen hat. In der ersten Replik gibt Scipio den Befehl zum Angriff auf diese Festung. Die Weisung wird jedoch auf Bitten von Scipios numidischem Verbündeten Perax zurückgezogen. Perax hat nämlich Magos Nichte, die attraktive Eucharis, als Geisel genommen und rechnet damit, den Stadtkommandanten mittels Erpressung zur Übergabe der Festung bewegen zu können. Ursprünglich hatte der Numider geplant, Eucharis als Kriegsbeute zu behalten und zu heiraten – aus diesem Grund hatte er sich den Römern überhaupt erst angeschlossen –, die nachdrücklichen Zurückweisungen der Gefangenen haben ihn jedoch dazu bewogen, seine Pläne zu revidieren. Als Mago, der sich in Sorge um seine geliebte Nichte ins Römerlager begeben hat, das Mädchen in der Gewalt des verhassten Überläufers sieht, droht ein Zweikampf, der nur durch das Eingreifen Scipios verhindert werden kann. Der Feldherr rügt Perax für dessen Vorgehen, das er eines römischen Verbündeten für unwürdig erachtet, gewährt Mago vier Stunden Bedenkzeit und nimmt Eucharis in seinen Schutz. Perax, der als ein seinen Leidenschaften hilflos ausgelieferter Barbar gezeichnet wird, schwört Scipio daraufhin heimlich Rache für den Verlust seiner Kriegsbeute und die öffentliche Bloßstellung.

Innsbruck 1710, Nr. 3818), Joseph Steurer (Eustachius: Ingolstadt 1713, Nr. 3937; Amberg 1714, Nr. 3956), Anton Joseph Simon Wallpach (Titus Japon: Hall 1721, Nr. 4254; Mindelheim 1724, Nr. 4417), Adam Weiche(n)mayer (Talandus: Augsburg 1721, Nr. 4240; München 1724, Nr. 4423) sowie ein anonymer Chorag (Triumphus paterni amoris: Amberg 1725, Nr. 4438; Rottenburg 1727, Nr. 4611).  Siehe hier S. 52.

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Im 2. Akt tritt Eucharis in den Mittelpunkt. Die Prinzessin genießt zwar in Gefangenschaft alle Annehmlichkeiten, an ihrer feindlichen Haltung gegenüber Rom ändert dies indessen nichts: V. 284–287: Hoc solum mihi in Scipione displicet, origo Itala et Roma patria; namque Romanum genus non potero non odisse. Dies allein missfällt mir an Scipio: dass er italischer Herkunft und seine Heimat Rom ist. Denn das römische Volk werde ich niemals nicht hassen können.

Der Rezipient erfährt, dass Eucharis mit dem keltiberischen Fürsten Alucius verlobt ist, dem gefürchtetsten Feind Roms. Während die Prinzessin noch davon träumt, dass ihr Verlobter mit seinem Heer die Stadt zurückerobern und sie befreien könnte, tritt Alucius unerwartet in ihre Zelle. Er hat sich als ihr Bruder Spartus ausgegeben und sich so Zutritt verschafft. Im Laufe des Besuchs verspricht er, Lösegeld für sie zu bieten. Im 3. Akt lehnt Scipio das Angebot des nach wie vor als Spartus vorstelligen Alucius allerdings ab. Er stößt damit bei seinem Bruder Lucius und dem Strategen Laelius auf Kritik. Die beiden mutmaßen, dass sich der junge Feldherr inzwischen in die punische Prinzessin verliebt haben könnte, und leiten das nicht zuletzt aus Scipios unglaubwürdiger Argumentation ab, die Gefangene könne erst dann gegen Lösegeld freigelassen werden, wenn der Senat in Rom dies gebilligt habe. Als Scipio mit dem Vorwurf der Verliebtheit konfrontiert wird, reagiert er unwirsch, schließlich ist ihm als sittlichem Vorbild des römischen Heeres eine Liebelei mit einer feindlichen Gefangenen nicht gestattet. In einem Monolog in der 5. Szene des 3. Akts verleugnet Scipio seine inzwischen längst offenkundigen Gefühle, indem er die Eifersucht, die er beim Gedanken, Eucharis werde nach ihrer Freilassung Alucius heiraten, empfindet, als staatsmännisches Unbehagen deutet. Er verspricht, Eucharis freizulassen, wenn Alucius zuvor die Verlobung löst. Alucius, der im ganzen Stück mehr als verzweifelter Liebender denn als bedrohlicher Feind erscheint, erklärt sich Eucharis gegenüber zu diesem Opfer bereit, wird von ihr aber dazu überredet, sie mit kriegerischen Mitteln zu befreien. Im 4. Akt wird Alucius aber selbst gefangen genommen, da seine Tarnung durch das Erscheinen des echten Spartus unvermittelt auffliegt. In seiner Niedergeschlagenheit ist er bereit, die Verlobung mit Eucharis aufzuheben, um dadurch die Freilassung seiner Geliebten zu ermöglichen. Scipio zögert jedoch weiterhin, denn inzwischen denkt er ernsthaft daran, Eucharis zu heiraten. Im Heer regt sich indes Widerstand gegen den pflichtvergessenen Feldherrn.

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Laelius ist in großer Sorge, zumal eine Hochzeit mit einer Nicht-Römerin gegen alte Gesetze verstoßen würde. V. 890–893: Lege si spreta patrum male peregrinos Scipio sequatur thoros, si dux ad hostes transeat, credis nihil hoc obfuturum gloriae et Romae bono? Wenn Scipio, das Gesetz der Väter geringschätzend, schändlich eine Fremde zur Frau nimmt, wenn er als Anführer zum Feind überläuft, glaubst du etwa, das werde dem Ruhm und dem Wohl Roms nicht abträglich sein?

Im 5. Akt lässt Scipio Hochzeitsvorbereitungen treffen. Ihm droht nun von drei Seiten Gefahr. Erstens steht ein Aufstand des Heers unmittelbar bevor. Zweitens haben die Gefangenen beschlossen, wenn nötig ihre Dolche gegen Scipio zu zücken. Und drittens hat Perax, dessen Versuche, Eucharis doch noch als Braut zugesprochen zu bekommen, enttäuscht worden sind, wiederum die Seiten gewechselt und plant nun gemeinsam mit Spartus und Mago einen Anschlag auf den römischen Feldherrn. Für eine erste Entschärfung der Situation sorgt Scipios selbstsicherer Auftritt vor dem Heer, bei dem er Eucharis präsentiert und erklärt, sie sei des Ehegemachs eines römischen Fürsten allemal würdig. Von der Schönheit und Tugendhaftigkeit der Prinzessin geblendet, lassen die Soldaten ihre Umsturzpläne fallen und stimmen der Hochzeit zu. Eucharis nimmt sich jedoch vor, einen vorbereiteten Giftbecher auszutrinken, um sich auf die Ehe mit einem verhassten Römer nicht einlassen zu müssen. Auch Alucius, der seine Geliebte nicht als Braut eines anderen sehen kann, hegt Selbstmordgedanken. Als trotz dieser Umstände alles auf die Hochzeit hindeutet, kommt es zur unerwarteten Wendung, die Scipio gezielt inszeniert hat: Vor der versammelten Hochzeitsgemeinde verzichtet er auf Eucharis und überlässt sie seinem Feind Alucius, wodurch er sich zum Sieger über sich selbst kürt. Das Brautpaar fällt ihm ungläubig zu Füßen, als er erklärt: V. 1243–1246: Si amare possem quidpiam extra patriam, amare vellem hanc virginem; sed sit procul affectus hic a corde Romani ducis, quem sola virtus et patriae amor occupat. Wenn ich etwas lieben könnte außer meinem Vaterland, so wollte ich dieses Mädchen lieben. Doch fern sei dieses Gefühl vom Herzen eines römischen Anführers, das nur der Tugend und der Vaterlandsliebe Platz gewährt.

Damit ist zwar der Höhepunkt des Dramas erreicht, die restlichen beiden Szenen sorgen aber noch für zusätzliche Spannung: Plötzlich ertönt Kriegs-

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geschrei. Spartus, Mago und Perax ziehen mit ihren Truppen gegen die unvorbereiteten Römer. Alucius und Eucharis eilen davon, um die Punier über die jüngsten Vorkommnisse zu informieren. Als Spartus von Scipios Güte erfährt, bricht er den Angriff sofort ab und schließt sich Rom an. Ein letztes Mal kommt Spannung auf, als Eucharis plötzlich verschwunden ist und die Befürchtung im Raum steht, Perax könnte sie gekidnappt haben. In Wirklichkeit hat sie sich freilich zu Mago begeben, um ihn ebenfalls von der Großherzigkeit Scipios zu überzeugen und ihm ein Bündnis mit Rom ans Herz zu legen, das prompt geschlossen wird. Auch in der letzten Szene erweist sich Scipio als großzügig: Das Lösegeld, das ihm die Karthager als Dankgeschenk überlassen, gibt er als Mitgift an Alucius weiter. Die Tragödie ist die handlungsintensivste der vier gedruckten Herbsttragödien des Autors. Reflexionen und Monologe sind auf ein Minimum reduziert, Dialoge dienen fast ausschließlich dazu, Handlung zu generieren. Hinsichtlich Spannungsaufbau hat Nikolaus Scheid dem Stück sogar die „Palme unter der ungezählten Menge der alten Jesuitendramen“ 334 zugesprochen. In der Tat dürfte es sich bei Scipio um ein ungemein bühnenwirksames Ordensdrama handeln. Die Figuren kontrastieren effektvoll, Unterhaltung und Belehrung stehen in einem sorgfältig ausbalancierten Verhältnis. Die Vielzahl der Wendungen, insbesondere die dramatische Peripetie, die Claus wie auch in den anderen Tragödien in den 5. Akt versetzt, machen Scipio zu einem äußerst kurzweiligen Stück, das ein paradigmatisches Thema des klassischen Trauerspiels verhandelt: Die Hauptfigur gerät in einen Gewissenskonflikt zwischen gesellschaftlicher Bestimmung und privater Erfüllung. Seiner Liebe zu einem seinem Status unangemessenen Mädchen wegen bringt Scipio seine Sendung und Herrscherautorität in Gefahr, kann sich aber anders als der mit ihm verwandte Alfonso in Grillparzers Jüdin von Toledo selbst aus ihr befreien. Intention Damit ist auch die primäre Intention der Tragödie benannt. Indem es Scipio gelingt, der Verführung zu trotzen und auf den richtigen, vorbestimmten Weg zurückzukehren, wird er zu einer pädagogischen Vorbildfigur. Claus ging es darum, Liebesleidenschaft als Gefahr darzustellen, um seine Schüler gegen die Macht sinnlicher Liebe zu imprägnieren. Verliebtheit, so die Botschaft des Stücks, führt in die Katastrophe, weil sie den Verliebten seine eigentliche Bestimmung vergessen lässt. An diese Mahnung hat Claus ein Ehekonzept gekoppelt, das er als ideal verstanden wissen will: Der negativ beurteilten Verliebt-

 Scheid 1917, S. 476.

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heit Scipios wird in der Verbindung von Alucius und Eucharis eine Beziehung gegenübergestellt, die den Gesellschaftsvorstellungen der alten Gesellschaft Jesu (wie auch der Vormoderne im Allgemeinen) entspricht. Die Verlobung dieser beiden Figuren erfolgte auf Anordnung der Schwiegerväter, die diese Entscheidung auf Grundlage von Nützlichkeitserwägungen getroffen hatten. Wie auf der Jesuitenbühne häufig, transportiert das Drama mehrere pädagogische Anliegen zugleich. Neben der Warnung vor Liebesleidenschaft sind die Propagierung der christlichen Tugenden Selbstlosigkeit, Freigebigkeit und Nächstenliebe sowie die Verankerung der Vaterlandsliebe erzieherische Ziele des Texts. Inwieweit es sich bei Letzterem um ein aufrichtiges Anliegen des Texts – möglicherweise mit panegyrischem Unterton – oder nur um einen literarischen Topos handelt, muss offenbleiben.335 Nicht ausfindig machen lässt sich jedenfalls ein konkretes politisches Ereignis, auf das diese HeimatPropaganda Bezug nehmen könnte. Quellen Vorbild für die Grundkonstellation, bei der ein Einzelner vor die Wahl zwischen persönlichem Glück und der Erfüllung überpersönlicher Erwartungen gestellt wird, war das Gesellschaftsdrama Pierre Corneilles. Insbesondere ein Vergleich mit dessen Tragikomödie Le Cid von 1636 drängt sich regelrecht auf. Wie in Corneilles erstem bedeutenden Stück liegt der zentrale Konflikt von Scipio in der Unvereinbarkeit von Individualität und Rollenbild. Wie in Le Cid wird er im Inneren der Hauptfigur ausgefochten. Wie Corneille gibt Claus letztlich normgetreuem gesellschaftlichem Verhalten den Vorzug vor privatem Glück. Um diesen Konflikt dramatisch zu kontextualisieren, werden in beiden Texten ähnliche Handlungsmuster konstruiert: Auch bei Corneille steht ein junger Adeliger im Mittelpunkt, der in einer südeuropäisch-nordafrikanischen Auseinandersetzung (Le Cid spielt vor dem Hintergrund der Maurenkriege im Spanien des elften Jahrhunderts) militärisches Heldentum beweist. Bedeutender als die kriegerischen Herausforderungen sind jedoch auch hier Spannungen, die das private Umfeld der Figur prägen: Rodrigo sieht sich mit der Herausforderung konfrontiert, zur Rettung der Familienehre ausgerechnet den Vater seiner Braut zum Duell fordern zu müssen. Der Konflikt lässt sich hier wie in Scipio also auf die Dichotomie von Ehre und Liebesglück reduzieren. Dass Claus Corneilles Cid gekannt hat, steht außer Frage. Es ist gut möglich, dass das Stück bei der Wahl des Stoffes und der Genese der Handlungsverwicklung Pate gestanden hat.

 Vgl. hier S. 144–146.

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Als Quelle für Scipio ist auf den Periochen das 26. Buch von Livius’ Ab urbe condita ausgewiesen. In der in Liv. 26,50,1–14 geschilderten Episode übergibt Scipio nach der Einnahme von Neukarthago eine Gefangene an ihren Bräutigam, den keltiberischen Prinzen Alucius, und erklärt zugleich, er selbst könne niemals eine Frau lieben, da sein Herz von Vaterlandsliebe gänzlich ausgefüllt sei. Claus hat diesen Ansatz zum Leitgedanken seines Stückes gemacht. Auch das Motiv des Lösegelds, das Scipio, nachdem er es von den dankbaren Karthagern als Geschenk erhalten hat, Alucius als Mitgift überlässt, konnte er in der Livius-Stelle finden. Wie in vielen Fällen ist jedoch die Angabe, die die Perioche bietet, eine irreführende Verknappung der tatsächlichen Quellensituation. Claus hat Livius sehr wohl direkt rezipiert, viele seiner Motive gehen aber auf eine bereits in der Antike, vor allem jedoch in der Frühen Neuzeit fruchtbare Tradition zurück, die Scipio Africanus zu einem Vorbild römischer Tugenden stilisierte, seine Vita dieser Absicht gemäß ausschlachtete und umschrieb.336 Das wird in der Tragödie in erster Linie daraus deutlich, dass in ihr zwei verschiedene Episoden aus Livius’ Scipio-Darstellung zusammengeführt wurden: In die rahmende Erzählung der Eroberung Neukarthagos in Liv. 26 sind narrative Elemente aus Liv. 30,12,11–15,11 eingeflossen, wo der Historiograph von der Liebe des Numiderfürsten Massinissa zur Karthagerin Sophonisbe und deren politisch motiviertem Selbstmord berichtet.337 Claus’ Figur Perax geht ebenso auf diese Episode zurück wie das Motiv des Giftbechers, den Eucharis zu trinken beabsichtigt. Vor allem aber ist Eucharis selbst der patriotischen, kriegerisch gesinnten Sophonisbe nachgebildet, einer antiken Präfiguration der femme fatale, die Helden mit ihren weiblichen Reizen von ihrem tugendhaften Weg abzubringen droht.338 Der Selbstmord der Sophonisbe war in der Frühen Neuzeit ein beliebter Bühnenstoff, der zuerst in Italien – die 1525 erschienene Sofonisba von Giangiorgio Trissino gilt als Wegbereiterin der Tradition –, ab dem späten sechzehnten Jahrhundert in Frankreich und in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts auch im deutschen Sprachraum Verbreitung fand.339 Bedeutend

 Ein beredtes Dokument der heroisierenden Scipio-Rezepion in der Frühen Neuzeit ist die Darstellung in Petrarcas De viris illustribus und Africa.  Der Selbstmord der Sophonisbe ist auch bei anderen antiken Historiographen überliefert: Diod. 27,7; App. 8,2,10; Dio Cass. Zon. 9,13.  Die eingängigste Darstellung Sophonisbes als femme fatale in der Antike findet sich bei Diod. 27,7.  Eine französische Übersetzung des Dramas von Trissino legte de Saint-Gelais für eine Aufführung 1556 vor. Weitere frühe Dramatisierungen des Stoffs stammen von Mermet (1580), de Montchrestien (1596) und de Montreux (1601). Bedeutend sind die Fassungen Mairets (1634)

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für die Rezeption des Stoffs auf der Jesuitenbühne ist vor allem ihr Erfolg im Musiktheater. Ausgehend von Nicolò Minatos Libretto Scipione Affricano (1665) entwickelte sich eine Operntradition, in die sich im achtzehnten Jahrhundert unter anderem die Bearbeitung von Apostolo Zeno für die Oper Scipione nelle Spagne einschrieb. Sie wurde 1710 zu Musik von Antonio Caldara in Barcelona uraufgeführt. Wie der Titel andeutet, ist die Sophonisbe-Episode hier (in abgeänderter Form) in das spanische Neukarthago verlagert. Damit ist eben jene Fusion der Schilderung der Einnahme Neukarthagos in Liv. 26 mit der Sophonisbe-Episode durchgeführt, die sich auch bei Claus nachweisen lässt. Man darf annehmen, dass dieses Libretto, das 1722 auch in Wien aufgeführt und in deutscher Übersetzung gedruckt wurde, eine der wichtigsten Quellen für das 1725 entstandene Claus-Stück war. Zwar ist der Stoff bei Claus gegenüber Zenos aus mehreren Handlungssträngen bestehendem barocken Libretto schlichter gestaltet. Dass Claus das Libretto gekannt hat, ist aber allemal wahrscheinlich, wie sich nicht zuletzt aus einer Gegenüberstellung der beiden Textanfänge vermuten lässt: Claus, Scipio sui victor, – Scipio: Romane miles, cuius invicta manu una occupata nocte Carthago iacet! Complenda nunc victoria et, quas messuit hesterna nox, iam colligat lauros dies.

Zeno, Scipione nelle Spagne, – Scipio: Duci, nel suolo Ispano vinta è Cartago, e di un sol giorno è ’l frutto si grande acquisto.

Römische Soldaten, durch deren unbesiegte Faust Carthago darnieder liegt, nachdem es in einer Nacht besetzt wurde! Der Sieg muss nun vollendet werden, den Lorbeer, den die gestrige Nacht geerntet hat, soll dieser Tag einsammeln.

Offiziere, auf spanischem Boden ist Karthago besiegt. Eines einzigen Tages Frucht ist eine so große Errungenschaft.

Zenos Libretto dürfte die wichtigste Bühnenfassung des Stoffes sein, auf die Claus zurückgegriffen hat. Weitere zeitgenössische Prätexte sind allerdings nicht auszuschließen. Möglich ist etwa, dass auch innerhalb der jesuitischen Theatertradition entsprechende Vorbilder greifbar waren. In Denis Petaus Carthaginienses, das 1634 in der Sammlung Selectae patrum societatis Jesu tragoediae gedruckt wurde, sind das Setting und einige Motive vorweggenom-

und Pierre Corneilles (1663). Im deutschen Sprachraum erschienen u. a. Versionen von Dedekind (1654) und Lohenstein (1680). Schon 1647 war von Zesen der Roman Die afrikanische Sophonisbe erschienen. Eine vollständige Auflistung der Bearbeitungen bis ins 19. Jahrhundert bieten Ricci 1904 sowie Axelrad 1956.

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men.340 Die älteste belegte Inszenierung des Scipio-Stoffes auf der Jesuitenbühne ist Johann Baptist Adolphs 1703 in Wien aufgeführtes ‚Drama historicomorale‘ Virtus non postulat annos sive Scipio Iunior Romanorum belli imperator (Valentin, Nr. 3577), das Stück verhandelt aber eine andere Episode aus der Vita des römischen Feldherrn.341 Als Vorbild für Claus kommt ein Linzer Stück aus dem Jahr 1708 in Frage. Der Titel Hymenaeus inter arma sive Publius Scipio (Valentin, Nr. 3747) macht hellhörig. Da sich jedoch keine zugehörige Perioche erhalten zu haben scheint und sich in der Sekundärliteratur zu diesem möglicherweise 1729 wiederholten Stück (Valentin, Nr. 4705) außer dem Titel keine gesicherte Information findet, lässt sich darüber aber leider keine Aussage treffen.342 Die Tatsache, dass Claus ein Opernsujet aufgegriffen hat, bestätigt, dass die Jesuiten im achtzehnten Jahrhundert die Oper nicht nur als Konkurrenzmedium begriffen, sondern auch als Stoffrepertoire für eigene Aufführungen nutzbar machten. Dafür mussten natürlich die Inhalte so verändert werden, dass sie sich mit dem jesuitischen Erziehungsprogramm in Einklang bringen ließen. Dass dabei mitunter die Aussagen des Prätexts auf den Kopf gestellt werden mussten, ist anhand von Claus’ Drama offenkundig: Die melodramatische Handlung, die um das Motiv der Liebesleidenschaft kreist, war für die Jesuitenbühne denkbar ungeeignet. Claus konnte die Handlung in dieser Form nur auf die Bühne bringen, weil er an deren Schluss eben die zuvor vorgeführte Verliebtheit als Schwäche desavouierte. Erst die Peripetie, in dem Scipio seine Verliebtheit überwindet und dadurch zum ‚Sieger über sich selbst‘ stilisiert wird, machten die Handlung und den Protagonisten für die Jesuitenbühne tauglich. Nachleben Rezeptionsbelege zum Stück sind spärlich überliefert, sieht man von den deutschen Übersetzungen aus den Jahren 1775 und 1776 ab.343 Man kann aber davon ausgehen, dass das Drama in der Druckfassung von 1741 vielerorts gekannt und in zahlreichen Kollegien aufgeführt wurde. Einige in Valentins Reperto-

 Cnorbarus 1634, Bd. 2, S. 3–59.  Adel 1960, S. 108.  Das Stück ist nur im Spielplan von Fröhlich dokumentiert, auf dem auch Valentin, Nr. 3747 beruht. Fröhlich 1955, S. 243. Der Stoff wurde offenbar von den Zeitgenossen sehr geschätzt: Ein Stück über Syphax und Sophonisbe wurde im Juni 1726 am protestantischen Gymnasium St. Anna in Augsburg aufgeführt. Meyer 1927, S. 75.  Siehe dazu hier S. 296–303. Vgl. auch die Claus-Rezeption im Brixner Schultheater, hier S. 286–288.

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rium verzeichnete Aufführungen dürften auf Claus’ Scipio beruhen, etwa das 1768 in Eichstätt aufgeführte Stück mit dem Titel Scipionis juvenis in patriam amor (Valentin, Nr. 7394) oder das Klagenfurter Stück mit dem Titel Scipionis Africani continentia qui virginem Carthagine nova capta intactam sponso restituit (Valentin, Nr. 7410) aus dem gleichen Jahr. Auf Claus’ Stück basierte auch der Scipio, der 1789 im ehemaligen Jesuitengymnasium im niederländischen Ravenstein gespielt wurde (drei Jahre zuvor war hier ein Themistokles gegeben worden).344 Eventuell inspirierte sich auch der 1763 in Solothurn aufgeführte Asdrubal oder die Gütigkeit des Scipio (Valentin, Nr. 7173) am Claus-Drama.345 Darüber hinaus darf man eine indirekte Form des Nachlebens annehmen. Das Stück könnte dazu beigetragen haben, dem barocken sui-victor-Gedanken auf der Jesuitenbühne die Popularität zu verschaffen, die ihm in den letzten Jahrzehnten vor der Ordensaufhebung zuteilwurde. Das Motiv des sich selbst überwindenden Helden, das bereits im Titel der entsprechenden Stücke angegeben ist, hat im späten Jesuitentheater weite Verbreitung gefunden.346 Bei Valentin sind zwanzig weitere Stücke mit der Angabe sui victor im Titel aufgelistet. Claus’ Stück steht zwar nicht am Anfang dieser Reihe – ältere Stücke stammen aus Brig (1711) und Innsbruck (1722)347 – sein Erfolg könnte aber dazu beigetragen haben, dieses Handlungsmuster zu verbreiten, zumal zwölf der sui-victor-Stücke aus der Zeit nach der Drucklegung der Tragoediae datieren.

.. Stilico tragoedia Stilico tragoedia ist es das älteste Stück, das Claus in die Dramensammlung von 1741 aufgenommen hat. Damit ist es das älteste Stück überhaupt, das sich vom Autor als Volltext erhalten hat. Claus verfasste es im Jesuitenkolleg von Pruntrut (Valentin, Nr. 4426), seiner ersten Station als Rhetorik-Lehrer, wo es bei der Herbstfeier des Jahres 1724 am 4. September uraufgeführt und zwei Tage später wiederholt wurde. Nach seinem Abschied aus Pruntrut brachte er

 Pohle 2010, S. 1075.  Das Stück wurde von dem 1724 in Innsbruck geborenen Choragen Johann Baptist Debenedictis inszeniert.  Als literarisches Motiv tritt der sui-victor-Gedanke im Jesuitentheater schon früher auf, vgl. z. B. de la Rues Cyrus (uraufgef. 1673), 1,2.  Brig: S. Joannes Gualbertus miles gloriosus sui victor, Valentin, Nr. 3843. Innsbruck: Troas sive S. Henricus imperator Troiae et sui victor, Valentin, Nr. 4305. Die weiteren Stücke tragen bei Valentin die Nummern 4798, 4928, 4980, 5079, 5308, 5475, 5674, 5904, 6057, 6219, 6335, 6439, 6544, 7413, 7530, 7544, 7565, 7607.

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Stilico 1726 in Freiburg i. Ü. (Valentin, Nr. 4510) und 1732 in Innsbruck (Valentin, Nr. 4863) jeweils an zwei Terminen auf die Bühne. Die Periochen aus allen drei Aufführungsorten formulieren das vorgeführte moralische Exempel als „Unbesonnene Liebe der Elteren gegen ihren Kinderen“. In der Tat ist Stilicos ‚unbesonnene Liebe‘ zu seinem Sohn – nach modernen Vorstellungen müsste man eher von übertriebenem väterlichen Ehrgeiz sprechen – das Motiv, das die Handlung in Gang setzt und die Verwicklung auslöst. Stilicos unlauteres und letztlich unnötiges Lobbying, mit dem er seinem Sohn die Heirat mit der Schwester des Kaisers und auf diesem Weg den Kaiserthron zu verschaffen sucht, führen zur Komplikation und schließlich zum tragischen Ende der Hauptfigur. Inhalt und Aufbau Zu Beginn des Stücks spornt Stilico seinen Sohn Eucherius dazu an, in der anstehenden Schlacht der Römer gegen die Goten Kriegsruhm zu erwerben, und sich dadurch der Heirat mit Placidia, der Schwester des Kaisers, würdig zu erweisen. Stilico selbst ist, obgleich vandalischer Abstammung, seit Langem ein treuer Beamter Roms, der sich unter dem vormaligen Kaiser Theodosius verdient gemacht hat; seine Tochter Thermantia ist mit dem weströmischen Kaiser Honorius, Theodosius’ Sohn, verheiratet. Eucherius, der Placidia aufrichtig liebt, fürchtet, schlechte Chancen auf eine Verbindung mit der Schwester des Kaisers zu haben, weil er zum einen als Nicht-Adeliger benachteiligt ist, zum anderen nicht daran glaubt, dass der friedliebende Honorius sich tatsächlich auf einen Krieg mit den Goten einlassen wird. Stilico spricht ihm Mut zu, verschweigt jedoch, dass er sich – daran hängt das ganze Stück – heimlich zum Schein mit dem Gotenkönig Alarich verbündet hat, um die Goten gegen Rom aufzuwiegeln und auf diese Weise den Krieg zu entfesseln, den er für das Erreichen der persönlichen Ziele für notwendig erachtet: 1,1 Quamdiu Mavors furit, et Roma trepidat, tuta Stiliconum domus ridere poterit: cuncta sunt nostra in manu […] Solange Krieg herrscht und Rom zittert, wird das Haus der Stilicos sicher lachen können. So lange liegt alles in unseren Händen.

Der erste Auftritt von Honorius lässt jedoch Zweifel an der Durchführbarkeit von Stilicos Plan aufkommen, die sich mit dem Erscheinen des gotischen Gesandten Attalus prompt zu bestätigen scheinen. Stilico erfährt, Honorius habe sich seinerseits mit Alarich auf ein Bündnis geeinigt und werde dem Gotenkönig Placidia als Braut überlassen. Auf Stilicos Entrüstung darüber, dass die

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Goten damit den Geheimbund mit ihm gebrochen haben, erwidert der Gesandte, die Möglichkeit eines gemeinsamen Angriffs auf Honorius und einer anschließenden Reichsteilung bestehe noch immer, Alarich wolle sich aber aus (gerechtfertigtem) Misstrauen gegenüber Stilico eine zweite Option offenhalten. In die Enge getrieben – ein Bündnis zwischen Rom und den Goten würde nicht nur die Hochzeit des Eucherius zunichtemachen, sondern auch Stilicos eigene Position massiv schwächen – erwägt Stilico zum ersten Mal ernstlich, seinen Vertrauten und Schwiegersohn Honorius mittels Staatsstreich zu entthronen. Die Chancen auf eine erfolgreiche Durchführung des Putschs stehen gut, da er das römische Heer auf seiner Seite weiß, das den als autoritätsarmen Zauderer wahrgenommenen Kaiser nicht schätzt und einen etwaigen Bündnisschluss Roms mit Alarich als einen Akt der Feigheit und Verrat am Vaterland begreifen würde. Der von schlimmen Gewissensqualen begleitete Umsturzplan wird im 2. Akt jedoch vorerst aufgegeben, da Stilico von Honorius erfährt, die Einigung Roms mit Alarich sei nur eine Finte, die Stilico die Zeit geben solle, den Kampf gegen die Goten sorgfältig vorzubereiten. In Wahrheit wolle Honorius Placidia Eucherius zur Frau geben und ihn zugleich zum Herrscher über die Hälfte des italienischen Reichs ernennen. Stilico ist gerührt und verflucht sich selbst, weil er seinen Wohltäter fast vom Thron gestürzt hätte. In einem Akt der Reue schwört er das erstaunte Heer auf ewige Treue gegenüber Honorius ein. Doch ausgerechnet als alles auf den uneingeschränkten Triumph des Stilico hindeutet, wendet sich das Blatt: Attalus meldet, dass Alarich nun nicht länger zuwarten wolle und droht, den Geheimbund Honorius zu verraten, wenn Stilico nicht in Bälde den Angriff auf den Kaiser in die Wege leite. Der Protagonist gerät zusehends unter Druck, muss er doch unter allen Umständen verhindern, dass der Kaiser von seinem Geheimpakt mit den Goten erfährt. Im 3. Akt wird der König in einem Brief gewarnt: Ein undankbarer Höfling trachte danach, ihm das Zepter zu entreißen. Stilico, dem von Honorius das Vertrauen ausgesprochen wird, sucht im Heer nach dem Verräter. Einen Selbstmordversuch des immer verzweifelter werdenden Intriganten können die Soldaten verhindern. Inzwischen wird Eucherius gefangen genommen und von Honorius des Hochverrats beschuldigt. Attalus wendet sich an Stilico und erklärt ihm, er selbst habe den anonymen Brief verfasst und Eucherius verleumdet, um Stilico endgültig zum Handeln zu zwingen: 3,9 Fac quod placebit. Caesarem, vel filium, vel te perire coget haec praesens dies. Tu, was dir gefällt. Entweder der Kaiser oder dein Sohn oder du musst heute sterben.

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Der zu Unrecht eingekerkerte Eucherius muss nun zu seinem Entsetzen erkennen, dass sein Vater der eigentliche Urheber der Missstände ist. Er gerät seinerseits in die Entscheidungsnot, entweder seinen Vater verraten zu müssen oder den geliebten König der Gefahr eines Anschlags auszusetzen. Beim Verhör streitet er beharrlich jede Schuld ab, gibt jedoch auch seinen Vater nicht preis. Stilico hat sich inzwischen endgültig dazu durchgerungen, Honorius abzusetzen. Er verleugnet diesem gegenüber hinterlistig Eucherius und gibt vor, aus Scham über seinen missratenen Sohn ins Exil gehen zu wollen. Thermantia beschließt, sich ihm anzuschließen. In einem Zwiegespräch im Kerker bekundet Eucherius seinem Vater die Bereitschaft, für ihn zu sterben. Als sein Vater ihn mit seinem Plan vertraut macht, Honorius umzubringen und ihn dadurch zu befreien, ist er entsetzt. Dem König gegenüber verrät er seinen Vater aber noch immer nicht. Der humane Honorius, der nach wie vor Sympathie für Eucherius hegt, bietet Stilico nun unvermittelt eine letzte Chance, das Dilemma zu lösen: Dieser solle Eucherius heimlich befreien und mit ihm fliehen. Stilico weist diese Möglichkeit jedoch als ehrschädigend zurück. Er bittet vielmehr, Eucherius öffentlich hängen zu lassen, um Zeit zu gewinnen und keinen Verdacht auf sich zu ziehen. Im 5. Akt versucht Thermantia, ihren eingekerkerten Bruder zur Preisgabe seiner Komplizen zu überreden. Dieser warnt sie eindringlich vor einem bevorstehenden Angriff auf ihren Gemahl Honorius, bringt es jedoch nicht über sich, bekanntzugeben, aus welcher Richtung Gefahr droht. Inzwischen ist für die Absetzung des Honorius alles vorbereitet, die Soldaten warten auf den Befehl. Nun ist es erneut das Auftreten des Attalus, das für eine Wendung sorgt. Der gotische Gesandte vermeldet, Honorius lasse gerade einen Wagen anspannen, mutmaßlich um zu fliehen. Attalus droht, dass er dem Kaiser das Doppelspiel des Stilico verraten werde, sollten die Soldaten nicht augenblicklich losschlagen und den Kaiser noch vor dessen Flucht ermorden. Bevor Stilico allerdings das Kommando geben kann, tritt der Offizier Hudinus auf und meldet, er habe den fluchtbereiten Honorius bereits in dessen Wagen erdolcht, was die Soldaten dazu verleitet, Eucherius zum neuen Kaiser zu erklären. Zur Überraschung aller eilt Honorius in der folgenden Szene jedoch selbst herbei. Nicht er, sondern Eucherius, den er heimlich für einige Zeit in die Ferne schicken wollte, um ihn anschließend zu begnadigen, ist dem Angriff zum Opfer gefallen. Hudinus hat ihn verwechselt. Als der sterbende Eucherius herbeigetragen wird, gesteht Stilico, vom Schmerz überwältigt. Seine Umsturzpläne sind angesichts des Todes seines Sohnes sinnlos. Der Versuch, sich mit dem Dolch das Leben zu nehmen, misslingt. Unter den Augen der verstörten Höflinge wird er zum Henker abgeführt, um als ehrloser Verräter seine Strafe zu empfangen.

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Quellen Wie in den anderen drei Stücken der Sammlung beruht die Handlung von Stilico zwar auf historischen Ereignissen, weicht von den geschichtlichen Fakten aber zwangsläufig etwas ab. Historisch sind die Familienverhältnisse: Der Hofbeamte Flavius Stilicho (ca. 362–408) hatte sich 384 mit Serena, der Pflegetochter des oströmischen Kaisers Theodosius I., vermählt und war nach dem Tod des weströmischen Kaisers Valentinian II. 394 zum Heermeister Westroms erhoben worden, der die Regierungsgeschäfte für Theodosius’ zehnjährigen Sohn Honorius übernehmen sollte. Stilicho, der auf diese Weise faktisch der mächtigste Mann in Westrom war, stärkte seine Position durch die Verheiratung seiner Tochter Thermantia mit Honorius sowie die Verlobung seines Sohns Eucherius mit der Schwester des Kaisers, Placidia. Die Ereignisse, auf denen die Handlung basiert, datieren aus dem Jahr 408. Der Westgote Alarich erhob sich zum wiederholten Mal gegen Rom und forderte Geld, das ihm Stilicho ohne Zustimmung von Honorius gewährte. Das Verhältnis zwischen den beiden war abgekühlt. Kurze Zeit später wurde Stilicho verdächtigt, Eucherius mittels eines Geheimpakts mit Alarich den oströmischen Thron verschaffen zu wollen. Des Hochverrats angeklagt, wurde Stilicho im August des Jahres in Ravenna gerichtet, Eucherius konnte vorerst entkommen. Claus gibt als Quellen für sein Stück die Kapitel 37 und 38 des siebten Buches von Orosius’ Historia adversus paganos sowie Paulus Diaconus’ Historia Romana circa annum Christi 412 an.348 Vergleicht man sein Stück mit der Darstellung der Episode in diesen Quellen, so fällt auf, dass Claus auf das religiöse Moment verzichtet, das bei Orosius und Paulus Diaconus die Schilderung bestimmt. Bei den christlichen Autoren der Spätantike bzw. des Mittelalters liegt der dargestellten Intrige der Hass des Arianers Stilicho auf den Katholizismus zugrunde, ein Motiv, das Claus gänzlich ausspart, wie er selbst in den zugehörigen Observationes dargelegt hat: verum in hac tragoedia de religione non agitur. („In dieser Tragödie geht es jedoch nicht um Religion.“)349 Das ist bemerkenswert, weil völkerwanderungszeitliche Konflikte zwischen rechtgläubigen Christen und Häretikern von den Jesuiten häufig in dezidiert religionspolitischer Absicht auf die Bühne gebracht worden waren. Man denke an die seit dem siebzehnten Jahrhundert zahlreichen Dramatisierungen der Viten von Boethius und Hermenegild, in denen die Auseinandersetzungen zwischen Ka-

 Claudians panegyrische Gedichte De laude Stiliconis (heute üblicherweise De consulatu Stilichonis) sind in den Periochen ebenfalls als Quelle angegeben, bieten aber meines Erachtens keine für das Stück relevanten Informationen. Beachtenswert scheint allenfalls, dass sich auch Claudian hinsichtlich religöser Aspekte völlig ausschweigt.  Claus 1741, S. 162.

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tholiken und Arianern typologisch als Spiegel für den Kampf des Katholizismus gegen zeitgenössische Häresien, in erster Linie den Protestantismus, verwendet wurde. Auch Georg Stengels Stilico sacrilegus (Ingolstadt 1624), die einzige belegte Inszenierung des Stoffes auf der Jesuitenbühne der deutschsprachigen Länder vor Claus’ Stück, ist als Ketzerdrama angelegt.350 Wenn Claus den antiken Darstellungen in dieser Hinsicht nicht folgte, so legt das nahe, dass der Autor die Anregung und Strukturideen für sein Stück vorrangig nicht von den im Druck angegebenen Quellen, sondern von einer modernen Adaption des Stoffes bezog, die ebenfalls auf den Aspekt des religiösen Konflikts verzichtet, nämlich Thomas Corneilles Stilicon aus dem Jahr 1660. Claus merkte ganz am Ende der Observationes in Stiliconem selbst an, sein Drama verdanke sich zu nicht geringen Teilen der Tragödie des jüngeren Corneille. Er habe jedoch versucht, die Handlung von derjenigen des Stilicon abweichend zu gestalten, um nicht bloß als Übersetzer zu gelten. In der Tat fördert ein Vergleich der beiden Stücke neben Parallelen, die offenkundig Übernahmen geschuldet sind, auch große Unterschiede zutage. Handlungsentwicklung und Figurenzeichnung in Claus’ Stilico weichen merklich von der französischen Vorlage ab. Während in Claus’ Drama alle Szenen unmittelbar dem zentralen Konflikt dienstbar gemacht sind, finden sich bei Corneille zwei Konflikte fast gleichrangig nebeneinander: Neben den Handlungskern um den intriganten Stilico tritt – kausal nur lose damit verbunden – eine Liebesgeschichte zwischen Eucherius und Placidia, deren Spannung sich daraus schöpft, dass die Schwester des Königs sich trotz reziproker emotionaler Neigung der Weisung ihres Bruders Honorius, Eucherius zu heiraten, widersetzt, weil sie eine standesübergreifende Hochzeit als Verrat an ihrem toten Vater empfindet. Literarische Charakteristika Wenn bei Claus die Einheit der Handlung konsequenter umgesetzt ist als in der Tragödie Thomas Corneilles, so liegt das auch daran, dass in seinem Stück

 Stilico Sacrilegus, Das ist: Tragoedia von Stilicone einem gewaltigen unnd hochberümbten Obristen under den Großmächtigisten Keysern Theodosio unnd Honorio, welcher wegen daß er kirchliche Freyheiten freventlich angegriffen / auch selbsten in verrätherischen Practicken ergriffen / auß gerechtem Urtheil Gottes von seinem hohen Stand in eußerstes Ellendt gestürzt / und mit einem kläglichen Endt / andern zu einem kläglichen Spectacul / Schaw- und Beyspil worden. Aufgef. in Ingolstadt, 20. Oktober 1624. Valentin, Nr. 920. Eine Aufführung des Stoffs, die den politischen Aspekt akzentuiert, ist in der heutigen Slowakei dokumentiert: Ambitio vindicata sive Stilico Romani Imperii sceptrum violentia manu sibi vindicare volens Honorii legitimi imperatoris jussu captus et capite truncatus. Aufgef. in Trnava 1719. Staud 1984–1988, Bd. 1, S. 144–145.

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mehr als in seiner französischen Vorlage die Titelfigur die Handlung dominiert. Das hängt damit zusammen, dass die Figur bei ihm konzeptuell aufgewertet ist: Während Corneilles Stilico durchweg als Bösewicht erscheint – er arbeitet vom 1. Akt an geradezu obsessiv an der Absetzung des Kaisers –, manövriert sich Claus’ Figur zwar aus eigenem Verschulden, nicht aber in per se böswilliger Absicht in ein Dilemma, das in einer herausfordernden psychischen Kontroverse resultiert. Der eigentliche Konflikt des Dramas findet im Inneren der Figur statt, wo im Spannungsfeld zwischen eigenen und fremden Interessen, zwischen Ambitionen und Gewissenqualen allmählich das Bewusstsein Raum greift, dass die Ermordung des Schwiegersohnes unausweichliche Folge nunmehr unkontrollierbar gewordener Vorgänge ist. Die Verstrickung, in die Stilico nach und nach gerät, macht den Reiz des Stückes aus und hat seinen Erfolg mit Sicherheit befördert. Die Zerrissenheit der Hauptfigur sowie ihr tiefer Fall – bis zum Ende des 2. Aktes scheint ihr intriganter Plan ja aufzugehen – tragen ebenfalls dazu bei. Daraus resultiert, dass der sich Intrigen, Verrats, Lügen und eines Mordplans schuldig machende Stilico trotzdem als eine auffällig sympathische Figur gezeichnet ist. Vor dem Hintergrund der auf der Jesuitenbühne weit verbreiteten, von pädagogischen Anliegen getragenen simplifizierenden Einteilung des Dramenpersonals in gute und schlechte Figuren verdient dieses Spezifikum hervorgehoben zu werden. Die differenzierte Charakterzeichnung ist von Claus bewusst als dramatisches Mittel eingesetzt worden. Sie soll dem Zuschauer die Möglichkeit bieten, sich der Figur emotional anzunehmen und ihr Ende tatsächlich als Tragödie zu begreifen: quidem […] est improbus; sed ita, ut non omnem in spectantium animis commiserationem haec quasi coacta improbitas extinguat. („Freilich ist er sittlich schlecht; aber nicht so sehr, dass eine sozusagen erzwungene Schlechtigkeit jegliches Mitgefühl im Herzen der Zuseher auslöschen würde.“)351 Das Stück bringt somit sein moralisches Anliegen weit weniger platt und aufdringlich auf die Bühne als viele der zahlreichen anderen jesuitischen Stücke, in denen das Motiv der illegitimen Machtübernahme im Mittelpunkt steht. In seiner subtilen Unterweisung ist Stilico differenzierter. Es ist nicht die Bestrafung eines eindimensionalen Bösewichts, die vorgeführt wird, sondern das nichtsdestoweniger als gerecht empfundene Schicksal eines fehlbaren, verblendeten Menschen. Claus hat auch dramaturgisch intensiv an der Bühnenwirksamkeit gefeilt: Wenn der sterbende Eucherius auf die Bühne getragen wird, um dort mit seinen ultima verba den Vater eben nicht zu verraten, so ist dies wesentlich ein-

 Claus 1741, S. 162.

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drücklicher als der entsprechende Botenbericht in Stilicon. Selbiges gilt für die effektreich organisierte Schlussszene, der gegenüber der Schluss Corneilles recht plump erscheint. Auf Thomas Corneille geht die Wahl des unhistorischen Schauplatzes zurück. Auch Claus lässt die gesamte Handlung des Stückes in Rom spielen, um die Einheit des Ortes zu wahren. Überhaupt ist Claus’ ältestes erhaltenes Drama das Stück, in dem er die klassizistische Dramentheorie am konsequentesten umgesetzt hat. Der ehrgeizige Stilico, der aus guten Absichten schuldig wird, ist eine tragische Figur par excellence. Seine Fehlbarkeit entspricht ganz dem aristotelischen Postulat der Durchschnittlichkeit der Figuren. Auch die aristotelische Empfehlung, die Hauptfiguren sollten untereinander verwandt sein, ist umgesetzt; der arctissimus nexus sanguinis („engste Blutsverwandtschaft“)352 zwischen den Figuren trägt zur Steigerung des dramatischen Pathos unmittelbar bei. Im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Stücken, in denen die Einhaltung poetischer Regeln der literarischen Qualität eher abträglich ist, ist Stilico ein Musterbeispiel für die klassizistische Umsetzung aristotelischer Dramentheorie. Die Umsetzung klassizistischer Ideale lässt sich bis in Details hinein verfolgen: Claus ging offenbar davon aus, dass Alarich nicht Latein konnte. Den Brief, den er Stilico in der 4. Szene des 1. Akts zukommen lässt, kann dieser folglich nicht lesen. Um das Prinzip der Wahrscheinlichkeit zu wahren, muss der Gesandte ihn übersetzen. Intentionen Anhand der Unterschiede zwischen Text und Vorlage lassen sich die Intentionen des Autors veranschaulichen. Anders als Corneille, für den die Schaffung eines unterhaltsamen Theaterstücks im Mittelpunkt stand, ging es Claus darum, bei Einhaltung poetologischer Maximen einen moralisch lehrhaften Plot auf die Bühne zu bringen. Die Konzentration des Konflikts auf eine einzelne Figur leistet dazu einen wichtigen Beitrag: Die kompakte Handlung, in der ein zusehends überforderter Held in die Enge getrieben wird, führt dem Publikum ein leicht verständliches, anschauliches und zugleich spannendes Beispiel für die Anfälligkeit des Einzelnen für Ruhmsucht, aber ebenso für schlichte Fehlkalkulation vor Augen: Wie in Scipio macht sich in Stilico eine mit Identifikationspotential ausgestattete Hauptfigur eines vorerst relativ harmlos erscheinenden Vergehens schuldig, das sich in der Folge zu einem großen Problem auswächst und für sie weitreichende Konsequenzen hat. Abseits des großen Themas der Hybris kommt damit ein subtil eingeflochtenes pädagogi-

 Claus 1741, S. 60.

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sches Nebenthema zur Geltung: Auch kleine Delikte können unabsehbare Folgen zeitigen. Neben dem in der Figur des Stilico vorgeführten Negativexempel bietet das Stück jedoch auch einen positiven Helden zur Identifikation an. Eucherius, in den antiken Quellen als erbitterter Christenfeind verrufen, ist bei Claus wie bei Corneille ein aufrichtiger Charakter und damit der eigentliche Antagonist seines Vaters. Die Standhaftigkeit und Opferbereitschaft des zwischen Vater- und Herrscherliebe hin- und hergerissenen jungen Helden sollte von den Schülern der Jesuitenschule als vorbildlich erkannt werden. Auch Eucherius ist jedoch kein makelloser Held. Seine Verliebtheit – in der letzten Szene des 1. Akts kündigt er aus Verzweiflung über seine unerfüllte Liebe den Selbstmord an – ist ausdrücklich negativ zu werten. Ambivalent ist auch die Zeichnung von Honorius. Einerseits erweist er sich Eucherius gegenüber als großzügig, andererseits leitet sein falsches Spiel mit den Goten die Katastrophe ein. Auch der höfische Topos des Frauenhelden wird auf ihn angewandt (2,6). Der Lehrspielcharakter des Stückes wird auch daraus ersichtlich, dass Claus gegenüber der Corneille’schen Fabel alles tilgte, was für sein pädagogisches Telos irrelevant war oder ihm sogar zuwiderlief. Placidia, aufgrund ihres widersprüchlichen Charakters die interessanteste Figur in Stilicon, wird ausgespart bzw. agiert nur als Backstage-Figur. Dadurch ist auch die Liebesgeschichte deutlich reduziert. Zwar ist auch bei Claus Eucherius in Placidia verliebt, dieser Handlungsstrang wird aber so knapp wie möglich gehalten und ab der Einkerkerung des Eucherius ganz aufgegeben. Nicht als Liebesgeschichte mit unglücklichem Ende, sondern als Lehrstück über richtiges und falsches Verhalten im sozialen Raum soll das Stück rezipiert werden. Die bei Corneille die Handlung dominierende Ständeproblematik ist bei Claus ebenfalls zurückgenommen. Zwar basiert das Stück auf Stilicos Annahme, der ‚Bürgerliche‘ Eucherius müsse sich der Hochzeit mit einer Adeligen erst würdig erweisen. Dass es sich dabei jedoch um einen Irrtum handelt, wird bereits frühzeitig deutlich, als Honorius ihm mitteilt, dass er seine Schwester ohnehin mit Eucherius verheiraten wollte. Stilicos Intervention wird somit im Nachhinein als überflüssig entlarvt, was das Scheitern der Figur noch tragischer erscheinen lässt. Standesunterschiede, im weltlichen europäischen Drama des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts häufig Motor der Handlungsentwicklung, werden von jesuitischen Autoren generell kaum je in den Mittelpunkt gerückt. Dafür lassen sich sowohl schultheaterspezifische Erklärungen finden, etwa dass Liebe – und damit auch standesübergreifende Verbindungen – aus pädagogischen Gründen als Motiv gemieden wurde, als auch Erklärungen, die mit der gesellschaftlichen Konstitution des Ordens und seiner Institutionen in Zusammenhang stehen. Die Jesuitenschulen, in denen Schüler aus unterschiedlichen sozialen Schichten zusammentrafen, konnten kein Inte-

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resse daran haben, die ohnehin offensichtlichen gesellschaftlichen Rangunterschiede zwischen den Kindern breitzutreten. Ständeunterschiede auf die Bühne zu bringen war für den Jesuitenorden schlicht nicht attraktiv. In diesem Kontext verdient auch der in den Periochen formulierte Untertitel „Unbesonnene Liebe der Elteren gegen ihren Kinderen“ eine Bemerkung. Die Warnung davor, aus übertriebenem elterlichem Ehrgeiz Unrecht zu begehen, wird von den Periochen zur moralischen Kernaussage des Texts stilisiert, ist aber nicht ganz so bestimmend für die Aussage des Stücks, wie dadurch postuliert wird. Wahrscheinlich hat der Autor ihn aus diesem Grund in der Druckfassung getilgt. Für die Tragoediae ludis autumnalibus datae ist damit gleichwohl eines der zentralen Themen benannt. Das Motto lässt sich auf das zehn Jahre jüngere Stück Protasius übertragen, in dem ebenfalls der Sohn des Protagonisten in eine Machtposition gehievt werden soll.353 Dass dieses pädagogische Thema für die Jesuiten ein besonderes Anliegen war, beweist der Umstand, dass auch einige der nicht von Claus selbst inszenierten Aufführungen von Stilico, von denen wir Kenntnis haben, die ‚übertriebene Kinderliebe‘ in den Fokus stellen.354 Nachleben Das Nachleben des Stücks auf den Ordensbühnen dürfte lebhaft gewesen sein. In Aachen wurde 1748 Amor indulgens in liberos in Stilicone punitus (Valentin, Nr. 5955)355 gegeben, in Hildesheim 1761 Actio de Stiliconis proditione contra Honorium imperatorem (Valentin, Nr. 6994), in Trier 1763 Stilico et Eucherius Vatter und Sohn (Valentin, Nr. 7177) und 1776 wiederum in Aachen Stilico. Ein Trauerspiel;356 die letzten beiden Aufführungen dürften in deutscher Sprache erfolgt sein. Dass allen diesen Periochentiteln der Text von Claus zugrunde liegt, kann zwar nicht bewiesen werden. Die Wahrscheinlichkeit ist gleichwohl sehr hoch: Die Handlungsverläufe fast aller Aufführungen, für die noch Periochen greifbar sind (Aachen, Trier), decken sich abgesehen von kleineren Abweichungen mit dem Text der Tragoediae. Die Perioche zum Stück Stilico oder gestraffte Treulosigkeit (Valentin, Nr. 7328), das 1766 in Oettingen in Bayern auf die Bühne kam, weicht hingegen ab; Schauplatz ist hier ein Ort bei Ravenna, Eucherius steht auf Seiten der Verschwörer, das Personal unterschei-

 Zum Thema Vater-Sohn-Beziehungen in den Tragoediae vgl. hier S. 131–133.  Vgl. zum Thema auch Stücke wie Poena neglectae educationis (Claus 1755, S. 162–202) oder Porées Pater amore vel odio erga liberos excaecatus (Porée 1755, S. 77–130).  Die Perioche befindet sich im Archiv des Beethoven-Gymnasiums Bonn, Sig. ABG 15, Historisches, Ordner Periochen.  Pohle 2010, S. 1013.

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det sich. Der Verfasser dürfte Claus’ Stück gekannt, den Stoff aber individuell gestaltet haben. Keine Zweifel bestehen an Claus’ Urheberschaft bei einigen Aufführungen des Stoffes, die außerhalb des Jesuitenordens dokumentiert sind. Für diese Darbietungen griff man freilich auf deutsche Übersetzungen zurück. 1759 wurde das Stück auf der benediktinischen Bühne in Salzburg gegeben.357 Die Salzburger Textgrundlage, die auf den Hoftrompeter Johann Andreas Schachtner zurückgeht, hat sich als Druck in der Universitätsbibliothek Salzburg erhalten. 1783 kam das Stück in Schachtners Übersetzung auf dem Münchner FaberbräuTheater zur Aufführung.358 Zwei weitere Aufführungen sind in der Schweiz dokumentiert: 1789 wurde es in Einsiedeln, 1825 in Sitten aufgeführt.359

.. Themistocles tragoedia Zwischen der Uraufführung von Scipio und der des nächsten im Tragödienband erhaltenen Stücks, Themistocles tragoedia, liegen acht Jahre. Der Handlungsablauf der Innsbrucker Aufführungen vom 2. und 4. September 1733, der sich in einer Perioche erhalten hat (Valentin, Nr. 4917), weist wie die ersten Fassungen von Stilico und Scipio Unterschiede gegenüber der gedruckten Version von 1741 auf; dazu gehört auch hier das Aussparen der allegorisierenden Chorpartien, deren Text in der Perioche überliefert ist.360 Im Unterschied zu den beiden früheren Stücken wurde Themistocles von Claus aber nach den beiden ersten Aufführungen nicht für Bühnen anderer Ordenskollegien adaptiert – das Gymnasium in Innsbruck war die letzte Station, wo Claus eine feste Anstellung als Lehrer der Rhetorica hatte. Inhalt und Aufbau Die Vorgeschichte des Stücks, die im argumentum knapp dargestellt ist, ist unter anderem bei Thukydides überliefert: Der attische Staatsmann Themistokles (525–459 v. Chr.), der die griechische Flotte 480 v. Chr. bei Salamis zum Sieg gegen das Heer des Perserkönigs Xerxes geführt hatte, fiel infolge innergriechischer Zwistigkeiten in Ungnade und wurde 471 mittels Scherbengericht aus

 Boberski 1978, S. 315.  Vgl. dazu hier S. 293–296.  Büsser 1938, S. 94 gibt an, die ‚Erläuterung‘ auf der Perioche der Sittener Aufführung bringe „fast wörtlich“ Entlehnungen aus dem argumentum und den Observationes von Anton Claus. Zur Einsiedler Aufführung siehe Büsser 1938, S. 93.  Die Chorpartien von Themistocles werden ausführlich besprochen auf S. 163–165.

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Athen verbannt, von Sparta sogar zum Tode verurteilt. Themistokles floh ausgerechnet zu Xerxes’ Sohn, dem nunmehrigen Perserkönig Artaxerxes I., der dem vormaligen Feind nicht nur Exil gewährte, sondern ihm seine Hochachtung erwies, indem er ihn als Satrap über mehrere persische Provinzen einsetzte.361 Das brisante Überlaufen eines verfolgten, ehemaligen ‚Nationalhelden‘ zum vormaligen Feind erweist sich in Claus’ Stück als fruchtbare dramatische Ausgangssituation. Am Tag der Handlung befindet sich Themistocles schon seit über zehn Jahren am persischen Hof. Der Verbannte wird von den Persern in Ehren gehalten, leidet aber an Heimweh, weshalb er mit Freude reagiert, als er von der Ankunft zweier griechischer Gesandten erfährt, die ihm – wie er zunächst irrtümlich annimmt – eine Heimkehr nach Griechenland ermöglichen werden. Asietta, seine Tochter aus einer Verbindung mit einer Perserin, kann nicht nachvollziehen, weshalb der Held, der bei Artaxerxes alle Annehmlichkeiten genießt, in das als bäuerlich und ärmlich gezeichnete Griechenland zurückkehren will. Sie wirft ihm Undank gegenüber dem Perserkönig vor. In der Antwort des Helden wird das von Anfang an präsente Motiv der Heimatverbundenheit erstmals breit ausgeführt. 1,1 Extra patriam dum vivo, quantuscunque sim, sum exul tamen, et exul, etsi sim innocens, multis tamen reus videbor. Fama, quae vita mihi opibusque cunctis charior semper fuit, reparanda non est, patriae nisi suae Themistocles reddatur. Solange ich außerhalb des Vaterlandes lebe, bin ich, wie angesehen ich auch bin, doch ein Verbannter, und als Verbannter gelte ich, wiewohl ich unschuldig bin, vielen als Verbrecher. Der Ruf, der mir stets teurer war als mein Leben und alle Reichtümer, lässt sich nicht wiederherstellen, solange Themistocles nicht seinem Vaterland zurückgegeben ist.

Themistocles’ Hoffnung auf Heimkehr erhält zusätzlich Nahrung, als Artaxerxes vom Angebot der Gesandten berichtet, im Gegenzug für Themistocles’ ‚Freilassung‘ den totgeglaubten persischen Prinzen Astyages, Asiettas Verlobten, aus griechischer Gefangenschaft zu entlassen. Themistocles wundert sich zunächst darüber, dass die Griechen nicht nur einen Verbannten zurückholen, sondern zugleich eine Kriegsgeisel freigeben wollen, teilt dann jedoch die Euphorie der

 Thuk. 1, v. a. 135–138. Einige Quellen berichten, Themistokles habe sich noch zu Xerxes selbst begeben, vgl. die Liste bei Plut. Them. 27 sowie Diod. XI, 56.

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auf Hochzeit hoffenden Asietta. Die Stimmung kippt mit dem ersten Auftritt der beiden Gesandten Agathocles und Lysistratus. Sie beschimpfen Themistocles als Überläufer und Verräter, und stellen ihm eine Verurteilung in Aussicht. Endgültige Klarheit über die Situation verschafft das Auftreten von Cleophantus, Themistocles’ Sohn aus einer Verbindung mit einer Griechin, der im Zuge der jüngsten Entwicklungen aus Griechenland geflohen ist und dem Vater unerwartet entgegentritt. Er berichtet, Themistocles werde eine Verstrickung in die Verschwörung des ‚Vaterlandsverräters‘ Pausanias vorgeworfen. Auf Vater und Sohn warte in Griechenland das Todesurteil. Im 2. Akt erfährt Themistocles, der König habe dem Antrag der Gesandten bereits zugestimmt. Artaxerxes werde ihn ausliefern, weil er die Heimkehr des Prinzen Astyages erwirken wolle. Themistocles reagiert verzweifelt. Das Angebot zur Flucht, das ihm der treue Höfling Artavasus unterbreitet, schlägt er allerdings aus, um den König nicht zu erzürnen und seine Tochter nicht in Gefahr zu bringen. Artaxerxes, der inzwischen das eigentliche Ansinnen der Gesandten erkannt hat, hat sich nun seinerseits der Sache angenommen. Er will Themistocles zwar, wie er den Gesandten versprochen hat, nach Griechenland zurückschicken, ihm jedoch ein Heer an die Seite geben, das dem Angeklagten in seiner Heimat Gerechtigkeit verschaffen soll. Als die Gesandten im 3. Akt davon erfahren, geraten sie in einen Disput. Während der Spartaner Agathocles den angekündigten Feldzug eines persischen Heeres nach Griechenland als Beweis für die Schuld des Themistocles wertet, zweifelt der Athener Lysistratus an der Schuld seines ehemaligen Mitbürgers. Er ängstigt sich vor einem erneuten Einfall einer persischen Armee in Griechenland, zumal der entscheidende Stratege der jüngsten griechischpersischen Auseinandersetzungen, Themistocles, nun auf der anderen Seite in den Kampf ziehen würde. Ein solcher Feldzug ist aber, wie das Publikum nun erfährt, auch nicht im Sinne des Titelhelden. Der Dialog zwischen Cleophantus und Themistocles in der Mitte des Dramas ist eine Schlüsselszene des Texts: Als bereits alles auf einen persischen Feldzug unter Führung des Themistocles hindeutet, erklären sich Vater und Sohn gegenseitig, einen Krieg gegen die Heimat nicht übers Herz zu bringen: 3,3 Horrescit animus, dum mente volvo excidia stragesque ultimas iam iam imminentes Graeciae et manu patris vastanda tecta et moenia, in quibus mihi vitam pater dedisti. Mich schaudert, wenn ich die Trümmer vor mir sehe und die totale Zerstörung, die Griechenland nun droht und die von der Hand des Vaters zu verwüstenden Häuser und Mauern, in denen du, Vater, mir das Leben schenktest.

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Themistocles’ Wunsch, den Feldzug abzuwenden, missfällt allerdings Asietta, die fürchtet, der Vater könnte den ganz auf Krieg eingestimmten Artaxerxes erzürnen. Themistocles wendet sich an die Gesandten und verspricht ihnen, Frieden zu sichern und auf alle Vorzüge, die er in Persien genießt, zu verzichten, wenn nur seine Unschuld anerkannt würde. Die Gesandten wittern jedoch eine List; Themistocles’ Unschuld sei erst bewiesen, wenn dieser zum Schein gegen Griechenland ziehe, auf dem Schlachtfeld die Seiten wechsle, das Perserheer verwirre und dessen Niederlage erzwinge. Ein Verrat an seinem Wohltäter Artaxerxes kommt für den immer verzweifelteren Helden aber nicht in Frage. Zu Beginn des 4. Akts tritt Artaxerxes als aggressiver Kriegsherr auf. Die Verteidigung von Themistocles’ Ehre erscheint nun freilich nur mehr als Vorwand, vorrangig möchte der König die Gelegenheit nutzen, Rache für die schmähliche Niederlage seines Vaters in den Perserkriegen zu nehmen und über die Griechen zu triumphieren. Weitere Verhandlungen mit den Gesandten lehnt er ab, den Tod des Astyages, der sich noch immer in griechischer Gefangenschaft befindet, nimmt er in Kauf. Als der König die Delegation auf Intervention der um ihren Bräutigam besorgten Asietta dann doch empfängt, versuchen ihn die Griechen noch einmal zu einem friedlichen Abschluss der Verhandlungen zu drängen. Artaxerxes bekräftigt seinen Entschluss, Astyages zu opfern, um Themistocles zu rächen. Dieser steht nun endgültig am Scheideweg: Er muss entweder gegen seine Heimat in den Krieg ziehen oder gegen seinen Wohltäter aufbegehren. Ein Fluchtversuch, den er als letzten Ausweg sieht, misslingt. 4,6 Ergo supersit nullus in terris modus per quem meorum capita, famam, patriam possim simul servare? So gibt es also auf Erden keine Möglichkeit mehr, wie ich das Leben der Meinen, meine Ehre und mein Vaterland zugleich bewahren kann?

In seiner Verweiflung lässt Themistocles am Heiligtum des Xerxes ein Opfer zu Ehren der Minerva, der Schutzgöttin Athens, vorbereiten. Im 5. Akt werden die Gesandten zum Heiligtum geführt. Artaxerxes schwört, dass er nicht eher seine Waffen sinken lassen werde, als sein toter Vater gerächt und dessen Schande getilgt ist. Themistocles tritt auf und argumentiert, er selbst habe die Schande des Xerxes zu verantworten, es sei folglich an ihm selbst, diese aus der Welt zu räumen. Artaxerxes erteilt ihm den Oberbefehl über die militärische Operation und verfügt ausdrücklich, niemand dürfe sich Themistocles’ Befehlen widersetzen. Der Athener wiederum schwört

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dem König Treue und erklärt, die Manen des Xerxes mit griechischem Blut vergelten zu wollen. Anschließend tritt er ab, um das Opfer zu vollbringen. Inzwischen ist auch Cleophantus von der Notwendigkeit eines Feldzuges gegen Griechenland überzeugt, da er die Weisung des Orakels, Themistocles solle griechisches Blut vergießen, als Aufruf zum Kampf deutet. Die beiden Gesandten, die von der Schuld des Themistocles nunmehr restlos überzeugt sind, sind verwundert, dass selbst Minerva sich auf die Seite der Perser geschlagen zu haben scheint. Artaxerxes schwört die Perser noch einmal auf den Krieg ein, als Themistocles auftritt und zum Erstaunen aller verkündet: 4,8 Rex magne vive, Persia et Graecia simul triumphet! Unus occidat Themistocles! Hoch auf, großer König, Persien und Griechenland sollen zugleich triumphieren! Einzig Themistocles soll sterben!

Der Auftritt von Themistocles’ Gefolgsmann Olynthus erhellt die Situation: Themistocles hat das Blut des Opfertieres mit Gift vermischt und getrunken. Auf die allgemeine Bestürzung folgt die Erklärung des Helden. Durch seinen Tod ist Xerxes gerächt, ein Krieg gegen Griechenland ist nun nicht mehr nötig. Die Gesandten erkennen ihren Fehler und rühmen Themistocles, der in den Tod geht, um seinem Vaterland eine persische Invasion zu ersparen. Ein Gegengift, das Asietta besorgt hat, kommt zu spät. Themistocles haucht vor den Augen des Königs seinen Geist aus, dieser erklärt ergriffen, dem letzten Wunsch des Sterbenden natürlich nachkommen und Frieden mit den Griechen halten zu wollen. Zur Besiegelung des Friedens wird die Asche des Helden zwischen Persien und Griechenland ebenso aufgeteilt wie seine Nachkommen: Asietta bleibt in Persien, Cleophantes kehrt nach Athen zurück. Themistocles tragoedia ist ähnlich wie Stilico auf ein sich zuspitzendes Dilemma hin konzipiert. Beide Stücke führen Hauptfiguren vor, die mit einer Zwangslage konfrontiert werden, weil sie zwei widerstreitenden Positionen verpflichtet sind. Als sie infolge unkontrollierbarer äußerer Dynamiken unter Druck geraten, bleibt ihnen nur das Verbrechen (Stilico) bzw. der Freitod (Themistocles), um die Verstrickung zu lösen. Der Konflikt, dem sie ausgesetzt sind, ist in beiden Texten das Resultat gut motivierter Interessen, die nicht miteinander vereinbar sind. Themistocles fühlt sich einerseits seiner Heimat verpflichtet, sieht sich andererseits aber in der Schuld seines Wohltäters Artaxerxes. In der polaren Disposition der Nebenfiguren, einem auffälligen Ordnungsprinzip des Texts, wird der innere Zwiespalt der Figur zum Ausdruck gebracht: Neben den prominent hervortretenden Figuren Artaxerxes und Themistocles sowie dessen Diener Olynthus setzt sich das Dramenpersonal aus

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zwei persischen Höflingen, zwei griechischen Gesandten und den beiden Kindern der Hauptfigur zusammen. Diese Figurenpaare sind in sich wiederum differenziert: Der Gesandte Agathocles vertritt die Ansicht Spartas, wonach Themistocles definitiv schuldig ist, der Gesandte Lysistratus Athen und dessen ambivalentes Verhältnis zur Hauptfigur; daraus eröffnen sich politisch motivierte Unstimmigkeiten. Der Höfling Artavasdus ist tendenziell für die griechischen Gesandten in Persien zuständig, der Höfling Megabasus für die persischen Gefangenen in Griechenland. Besonders wirkungsvoll ist die Anordnung der Figuren entlang der Dichotomie Griechenland-Persien in Bezug auf die Kinder. Asietta steht für Themistocles’ persische Gegenwart, Cleophantus für dessen griechische Vergangenheit. Auf diese Weise ist der Konflikt auf fast alle Figuren übertragen; es entsteht der Eindruck einer äußerst labilen Situation. Umso wirkungsvoller ist die Lösung des Konflikts in der letzten Szene. Das Drama gehört insgesamt zu den gelungensten des ganzen dramatischen Œuvres. Claus schafft es, vom unvermittelten Einstieg in 1,1 bis zum Finale des Stücks kontinuierlich Spannung aufrechtzuhalten. Im 1. Akt wird diese über die der Handlung vorangehende, unvollständige und somit missverständliche Information über die mögliche Heimkehr des Protagonisten konstruiert. In der Folge liefert das konflikthafte Geschehen per se Spannung: Die Versuche verschiedener Figuren, einen Ausweg anzubieten, sorgen für etliche Wendungen. Die Entscheidungen der Hauptfigur werden stets so lange wie möglich verdeckt gehalten, anstehende Ereignisse bleiben mit Ausnahme des über Vorverweise angedeuteten Selbstmords im 5. Akt unvorhergesehen. Gut gelungen ist zudem die unangestrengte Informationsvergabe: Der Dramatiker vermittelt im Laufe der 1. Szene Vorgeschichte und Figurenkonstellation, ohne dass die Einführung je konstruiert wirken würde. Das dramaturgische Handwerk beherrschte er hier souverän. Auch psychologisch ist Themistocles eines der am besten ausgearbeiteten Jesuitendramen überhaupt. Die von den Figuren gesetzten Handlungen sind nicht nur durchwegs gut motiviert, sie sind auch häufig Ausdruck innerer Skepsis bzw. Reibungen. Insbesondere die inneren Spannungen der Hauptfigur sind in den Dialogen eingängig ins Licht gesetzt. Claus hat außerdem, ausgehend vom aristotelischen Ideal der Blutsverwandtschaft, Beziehungen zwischen den Figuren geschaffen, die aufgrund der Verstrickung von persönlichen und staatsmännischen Aspekten ungemein wirksam sind: Die Hochachtung, die Themistocles und Artaxerxes für einander empfinden, trägt zur Steigerung des Konflikts ebenso bei wie die Stellung Asiettas, die als Tochter eines Griechen und Braut des persischen Königsneffen Astyages hilflos zwischen den Fronten steht, zumal sie vom Vater gezwungen wird, seine für sie nicht nachvollziehbare Haltung zu unterstützen (3,4).

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Im Gegensatz zu Stilico gerät Themistocles ohne eigene Schuld in eine aussichtslose Situation. Damit übergeht Claus die aristotelische Forderung, die Hauptfigur einer Tragödie bedürfe eines durchschnittlichen Charakters. Sein Themistocles ist durch und durch ein vorbildlicher Held. Das in christlicher Optik einzige Fehlverhalten, der Selbstmord, wird von Claus nicht anachronistisch als Sünde ausgelegt 362 – eine solche Interpretation liefe der Logik des Stücks zuwider. Claus hat die Makellosigkeit seiner Hauptfigur in den Observationes in Themistoclem thematisiert und mit Verweis auf Corneille zu rechtfertigen versucht.363 In der Tat führt Themistocles trotz seiner Heldenkonzeption keine plumpe Konfrontation von Gut und Böse vor. Da das Handeln aller Figuren hinreichend motiviert und in sich schlüssig ist, erscheint auch die Hauptfigur nicht als überzeichnete Lichtfigur, sondern behält ihr Identifikationspotential. Das hat zur Folge, dass Claus nicht Gefahr läuft, pedantisch zu moralisieren. Auf Bestrafung stereotyper Bösewichte wird verzichtet, moralische Sentenzen bleiben weitgehend ausgespart, sogar die vorbildlich selbstlose Tat der Hauptfigur am Ende des Stücks lässt sich letztlich ebenso gut als unausweichlich notwendiges Handeln eines vernunftgeleiteten Bürgers wie als freier Willensentscheid eines Helden begreifen. Das Stück steht damit der Tradition der antiken Schicksalstragödie näher als der des christlichen Lehrstücks. Intentionen Das bedeutet freilich nicht, dass die Tragödie nicht trotzdem moralische Instruktionen transportierte. Claus hat den moralischen Anspruch von Themistocles in den zugehörigen Observationes klar formuliert. Das Stück diene ad generosam pietatem in patriam, parentes, concives etiam male de nobis meritos excitandam. („[…] dazu, großmütige Gefühle gegenüber dem Vaterland, den Eltern und Mitbürgern – selbst wenn sie sich gegen uns vergehen – zu wecken.“)364 Daran lässt sich die relative Fortschrittlichkeit des Autors erkennen. Claus geht es nicht mehr um die Inszenierung vorbildlicher katholischer Individuen, sondern um die Propagierung einer staatsbürgerlichen Ethik auf allgemein christlicher Basis. Mit Postulaten wie gesellschaftlich angemessenem Verhalten, Rücksicht auf die Interessen anderer und Einsatz für das Gemeinwohl setzte er Idealvorstellungen des aufgeklärten Staats dramatisch um. Modern ist auch der pazifistische Grundtenor des Stücks: Um den Frieden zu wahren, sind

 Claus 1741, S. 243: quod quidem gravissimum scelus esse Christiana lex docet, sed Ethnica antiquitas ignoravit („was die christliche Lehre natürlich für ein schlimmes Verbrechen hält, die pagane Antike aber nicht wusste“).  Siehe hier S. 63–65.  Claus 1741, S. 244.

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der Hauptfigur keine Opfer zu gering. Vergleicht man die versöhnliche Schlussszene mit den Ausgängen traditioneller jesuitischer Märtyrerstücke – aber auch mit dem Ausgang von Protasius rex Arymae –, wird dies hinlänglich deutlich. Quellen Claus scheint sich für dieses Stück am intensivsten mit antiken Quellen auseinandergesetzt zu haben. Über paratextuelle Verweise als Quellen bestätigt sind moralische Exempla in den Facta et dicta memorabilia des frühkaiserzeitlichen Anekdotensammlers Valerius Maximus. Im argumentum wird aus Passagen zitiert, in denen Themistocles als Beispiel für undankbare Behandlung gegenüber verdienten Staatsbürgern erscheint (Val. Max. 5.3.ext.3) bzw. zu einem Vorbild für Vaterlandsliebe (5.6.ext.3) stilisiert wird. Das Zitat aus dem zweiten der beiden Abschnitte von Valerius ist bei Claus bewusst modifiziert: quasi quaedam pietatis clara victima concidit wird im argumentum des Stücks durch pietatis in patriam victima cecidit ersetzt, um es auf die Textaussage zuzuspitzen. Auch Plutarch hat bei der Ausarbeitung der Handlung erwiesenermaßen Pate gestanden.365 In den zugehörigen Observationes ist dokumentiert, dass zum einen die Charakterzeichnung des Artaxerxes, zum anderen die Einführung der Tochter Asietta von der entsprechenden Parallelvita inspiriert ist. In der Darstellung des antiken Biographen wird von einer zweiten Ehe des Themistokles berichtet, aus der die jüngste Tochter Asia hervorgegangen sei (Them. 32, 1–3). Claus ging anders als die moderne Forschung davon aus, Themistokles habe erst in Persien ein zweites Mal geheiratet, die Tochter entstamme somit einer Verbindung mit einer Perserin.366 Der Name von Themistokles’ Sohn, Kleophantos, ist ebenfalls bei Plutarch überliefert. Die Erwähnung antiker auctores in den Paratexten darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass die Inspiration für das Drama auf Texten der jüngeren Literaturgeschichte beruhte. Wie bei der Entstehung der beiden vorangehenden Antike-Dramen erfolgte die Rezeption historischer Stoffe vermittels zeitgenössischer literarischer Vorbilder. Ab dem siebzehnten Jahrhundert hatte das Leben des Themistokles im europäischen Drama zahlreiche Bearbeitungen erfahren. Der erste, der die Bühnenwirksamkeit der Konstellation am Perserhof erkannte, war der Herodot-Übersetzer Pierre du Ryer.367 Dessen 1648 erschie-

 Vgl. Szarota 1980, Bd. 2,2 S. 2264. Für Nepos-Rezeption, die Szarota ebenfalls annimmt, gibt es hingegen meines Erachtens keine Anhaltspunkte.  Claus 1741, S. 246. Stellvertretend für den heutigen Forschungsstand siehe Marr 1998, S. 163.  Du Ryer 1648.

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nene Tragödie Thémistocle gestaltete die überlieferte Erzählung mit romantischen Motiven aus, die in der Folge vor allem im italienischen Musiktheater rezipiert wurden. Adriano Morsellis Temistocle in bando, 1682 in Venedig, und Apostolo Zenos Temistocle, 1701 in Wien uraufgeführt, stellen amouröse Verwicklungen noch stärker in den Mittelpunkt. Im Sprechtheater gestaltet wurde die Episode in den volkssprachlichen Bearbeitungen des Niederländers Michiel von Breda (1686) und des Engländers Samuel Madden (1729).368 Letztere präsentiert wie Claus’ Tragödie Vaterlandsliebe im Untertitel: The Lover of his Country. Das erste neulateinische Themistokles-Drama wurde 1683 von Valentin Merbitz auf der Dresdner Schulbühne zur Aufführung gebracht, der Stoff ist hier jedoch ganz anders gestaltet.369 Einen anderen inhaltlichen Fokus setzt auch die einzige jesuitische Adaption der Themistokles-Vita vor 1733, Johann Baptist Adolphs 1696 in Wien gegebene Komödie Themistocles Atheniensium dux Admeto Molossorum regi mediante regio filiolo reconciliatus (Valentin, Nr. 3282). Ein möglicher Aufhänger für Claus’ Drama war die auf der Operntradition beruhende italienische Bearbeitung des späteren Kustoden der römischen Arcadia, Michele Giuseppe Morei (1695–1766), die 1728 am Theater des Collegio Romano aufgeführt wurde,370 d. h. zu einer Zeit, als die habsburgfreundliche Politik der jesuitisch dominierten Arcadia Kontakte zum deutschsprachigen Kulturraum förderte.371 Moreis Drama entspricht bezüglich der dargestellten Handlung Claus’ Themistocles und weist daneben beachtliche motivische Ähnlichkeiten auf. Die Kinder der Hauptfigur werden auch hier dazu verwendet, den inneren Konflikt der Hauptfigur zu veranschaulichen: Der in Persien aufgewachsene Cleofanto tritt dafür ein, den Feldzug aus Respekt vor dem Kaiser durchzuführen; sein Bruder Agesilao versucht, diesen abzuwehren (vgl. v. a. 4,5 und 4,7). Die eindrückliche Szene, in der Themistocles sich im Dialog mit seinem Sohn das durch den Krieg zerstörte Heimatland vorstellt (Claus, Themistocles 3,3), ist bei Morei ebenfalls präfiguiert (5,7). Indizien liefern auch die Figurennamen: Agesilaus – der Name wird in der Antike nur von Ps.-Plutarch mit Themistokles in Verbindung gebracht 372 – war auch bei der Innsbrucker Aufführung des Claus-Dramas der Name von Themistocles’ Sohn; in der Druckfassung wurde er durch den historisch belegten Namen Cleophantus ersetzt.

 Von Breda 1686; Madden 1729.  Merbitz [1683]. Merbitz führte auf Basis von Cornelius Nepos Einzelepisoden aus dem Leben des Helden zusammen. Roling 2011.  Morei 1728.  Alfonzetti 2012, S. 19.  Ps. Plut. Para. 305d berichtet, Themistokles habe einen Bruder Agesilaos gehabt, der als Spion zu Xerxes gesandt wurde.

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Auch für den in der Perioche verzeichneten Darius findet sich bei Morei eine Entsprechung. Auf der Innsbrucker Perioche finden sich auch Figurennamen, die bei Morei nicht aufscheinen, aber offensichtlich auf der frühneuzeitlichen Stofftradition beruhen: Artabazus, ein Variante des historisch belegten Artabanus, sowie die bei Diodor überlieferte Mandana begegnen bereits im Stück du Ryers.373 Claus kannte die Schilderung bei Diodor offensichtlich nicht.374 Er dürfte sich also auch an einer weiteren zeitgenössischen Quelle bedient haben. Dafür spricht auch eine Parallele zu Metastasios Temistocle:375 Dass Claus und der italienische Librettist unabhängig voneinander einen griechischen Gesandten namens Lysimachus (bei Metastasio Lisimaco; bei Claus’ Lysimachus in der Perioche, in der redigierten Fassung Lysistratus) eingeführt hätten, ist nicht anzunehmen.376 In der drei Jahre nach dem Innsbrucker Herbstspiel in Wien uraufgeführten Fassung Metastasios erlebte die Bühnenrezeption des Themistokles in Mitteleuropa ihren Höhepunkt. Bis zum Ende des Jahrhunderts wurde das Libretto über 20 Mal vertont. Claus legte also ein Stück vor, das unter stofflichen Gesichtspunkten den Nerv der Zeit traf.

Nachleben Für das Nachleben von Themistocles tragoedia gilt Ähnliches wie für Stilico und Scipio. Auch für dieses Stück ist für die Zeit nach 1741 von Aufführungen und Adaptionen in Jesuitenkollegien auszugehen. Valentin verzeichnet zwar einige Aufführungen von Themistokles-Stücken, wie viele von diesen tatsächlich auf das Stück von Claus zurückgehen, kann aber nicht mit Sicherheit angegeben werden, da in den wenigsten Fällen noch Periochen greifbar sind.377 Der Luzerner Themistocles von 1734 (Valentin, Nr. 4986) wurde schon von De Backer/Sommervogel mit Claus in Verbindung gebracht.378 Eine Perioche zu dieser Aufführung konnte ich nicht auffinden. Die Informationen, die

 Diod. XI, 57.  Diod. XI, 57 berichtet, Themistokles habe nach seiner Aufnahme bei Xerxes eine Perserin geheiratet. Claus hätte diese Information für seine Argumentation in Claus 1741, S. 246 gut verwenden können.  Metastasio 1737.  Das Motiv, dass ein griechischer Gesandter beim Perserkönig vorspricht und um Auslieferung des Themistokles bittet, findet sich bereits in Zenos Libretto.  Außerdem muss mit Einflüssen von Metastasios Libretto gerechnet werden, das 1754 auch auf Deutsch herauskam. Einflüsse von Bodmers Die Rettung in den Mauern von Holz (gedr. 1769) sind hingegen unwahrscheinlich.  De Backer/Sommervogel 1900, Bd. 9, Sp. 49.

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Szarota zu diesem Stück bietet, deuten aber darauf hin, dass es sich um eine auf Claus’ Innsbrucker Darbietung zurückgehende Fassung (Perioche, Manuskript) gehandelt haben dürfte.379 An einer der beiden Aufführungen dürfte sich auch das Briger Stück Themistoclis Liebe gegen dem Vatterland von 1739 (Valentin, Nr. 5285) inspiriert haben. Bekannt war das Stück wohl auch dem Verfasser des Innsbrucker Herbstspiels von 1761, M. T. Cicero amore reipublicae exul spontaneus (Valentin, Nr. 6998), in dem der Freitod des Themistokles in einer Parallelhandlung in den Chorpartien dargestellt wurde.380 Sehr wahrscheinlich ist Claus-Rezeption in den bei Valentin verzeichneten Themistokles-Stücken, die aus rheinländischen Kollegien stammen, zumal hier auch Aufführungen seines Stilico dokumentiert sind. 1752 wurde in Aachen Amor patriae in Themistocle triumphans (Valentin, Nr. 6277) gegeben, die Handlungsführung der Perioche deckt sich mit dem Drucktext der Tragoediae. 1761 folgte in Düsseldorf Themistocles. Ein Opfer der Liebe zum Vaterland (Valentin, Nr. 6978); die Perioche stand bereits Valentin nicht mehr zur Verfügung. Im selben Jahr war eine Aufführung in Osnabrück geplant (Valentin, Nr. 7018), die jedoch offenbar nicht stattfand.381 Für 1769 ist ein Stück De Themistocle in Hildesheim (Valentin, Nr. 7452) bezeugt; über diese Aufführung und über das Wiener Stück von 1757 (Valentin, Nr. 6754) lässt sich keine Aussage treffen.382 Mit Claus in Verbindung zu bringen sind hingegen die Aufführungen in Einsiedeln (1789), Schwyz (1791) und Brig (1811).383

 Szarota 1979, Bd. 1,1, S. 79–80 berichtet von einer Aufführung 1733 in Luzern. Das ist eine falsche Information. Es muss sich entweder um die von Claus inszenierte Aufführung 1733 in Innsbruck oder um die Aufführung 1734 in Luzern (Valentin, Nr. 4986) handeln. Letzteres ist wahrscheinlicher, da Szarotas Periochenbeschreibung mit der erhaltenen Perioche aus Innsbruck nicht übereinstimmt. Der Untertitel der Perioche, den sie angibt („Das ist die biß in den Tod unüberwindliche Liebe gegen dem Vatter-Land“), wird auch von Eberle 1929, S. 103, mit der Luzerner Aufführung von 1734 in Zusammenhang gebracht. Szarota dürfte noch Zugang zu einer Luzerner Perioche gehabt oder Eberle gekannt haben. Eberle 1929, S. 106 vermerkt, in einem der Zwischenspiele der Aufführung sei der Kampf der Perser gegen die Griechen mit dem Kampf der Schüler gegen das Griechische gleichgesetzt worden.  Die Perioche mit dem Text der Chorpassagen befindet sich in der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Dip. 473/27.  Meyer 1993 ff. Bd. 20, S. 80: „Vorbereitet 1761 am Osnabrücker Jesuitenkolleg, aber nicht aufgeführt.“  Eher von Metastasio angeregt sein dürften die beiden als Valentin, Nr. 5272 verzeichneten poetischen Übungen, die im Frühjahr 1738 in Wien aufgeführt und zu Ehren der dortigen Bakkalaureatsabschlüsse gedruckt wurden. Karl Dollenz: Exercitationes ab illustrissima Viennensi rhetorica in theatro exhibitae. Bd 1. Wien 1738, S. 46–81.  Büsser 1938, S. 150.

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.. Protasius rex Arymae Die jüngste Tragödie der Sammlung, Protasius rex Arymae (in der Perioche Protasius Arimae rex), entstand als Herbstspiel 1734 in Innsbruck (Valentin, Nr. 4976). Das Märtyrerdrama ist das konventionellste Stück der Tragoediae ludis autumnalibus datae. Es reiht sich ein in eine intensive Rezeption des Protasius-Stoffes auf den Jesuitenbühnen des frühen achtzehnten Jahrhunderts. Der Plot um den japanischen König, der von seinem eigenen Sohn entmachtet wird, dürfte seine Attraktivität nicht zuletzt seinem exotischen Schauplatz verdankt haben, der wohl auch eine entsprechende fernöstlich geprägte Bühnengestaltung zur Folge hatte.384 Inhalt und Aufbau Die Handlung von Protasius ist auf den ersten Blick schwer zu überschauen. Grund dafür ist insbesondere das vom Quellentext vorgegebene, für ein aristotelisches Drama wenig geeignete Nebeneinander weit voneinander entfernter Örtlichkeiten. Claus hat die Einheit des Schauplatzes zwar eingehalten, allerdings um den Preis vieler Botenberichte, die Ereignisse aus drei Orten zusammenführen: Protasius’ Königreich Aryma; Surunga, der Sitz des japanischen Kaisers Daifusama; und das dazwischenliegende Fuchsimum, der Ort der Handlung. In Fuchsimum hält sich Protasius bei seinem Schwager Quibous auf. Dieser kann sich nicht erklären, weshalb Protasius, der sich in Japan als Vorkämpfer für das Christentum einen Namen gemacht hat, noch am selben Tag weiterreisen will, obwohl er dadurch die örtliche Karfreitagsprozession versäumen würde. Ein Diener klärt ihn darüber auf, dass ein Brief von Michael, Protasius’ Sohn, den König zur Weiterreise in die Kaiserresidenz dränge. Quibous, einst selbst ein Heide und von Protasius bekehrt, erläutert daraufhin, weshalb er die Abreise des Schwagers vor der religiösen Feier für besonders ungünstig hält: Im Volk kursiere das Gerücht, Protasius habe sich vom christlichen Glauben abgewandt. Worauf dieses Gerücht basiert, wird im wütenden Auftritt des jungen Bürgers Sacajus szenisch vermittelt: Protasius hat seinen Sohn Michael nach langem Widerstand dazu überredet, seine Ehe mit der Christin Martha – Sacajus’ Schwester – aufzulösen und an ihrer statt die Heidin Fiuma, die Enkelin des Kaisers, zur Frau zu nehmen. Sacajus wirft Protasius unchristliches Verhalten vor und schwört Rache für das erlittene Unrecht. Quibous ist über das

 Immoos 1981, S. 36. Wimmer 2005, S. 20, geht davon aus, dass die Abbildungen in den Berichten der jesuitischen Fernostmission die Bühnenbilder bei Aufführungen fernöstlicher Stoffe prägten.

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Vorgehen von Protasius ebenfalls entsetzt, der König kann ihn jedoch vorerst beruhigen: Er habe auf Geheiß des Christen Daifaccius gehandelt, eines kaiserlichen Höflings; dank Michaels Heirat mit der Enkelin des Kaisers habe er von diesem ein kaiserliches Dokument erhalten, das es ihm erlaube, in Zukunft Maßnahmen zur Stärkung des christlichen Glaubens zu setzen. Zu Beginn des 2. Akts wird Daifaccius als Betrüger eingeführt: Als er von Protasius’ Reiseplänen erfährt, versucht er ihn mit allen Mitteln davon abzuhalten. Sollte der König nämlich tatsächlich beim Kaiser vorsprechen, würde auffliegen, dass das kaiserliche Dokument, in dem Protasius eine Ausweitung seines Herrschaftsgebietes angekündigt wird, eine Fälschung von Daifaccius selbst ist. Erst jetzt wird für das Publikum ersichtlich, dass Protasius seinen Sohn einzig deshalb zur Scheidung und Wiederverheiratung gedrängt hat, weil er sich erhofft hatte, durch eine Verbindung seines Sohnes mit der Nichte des Kaisers seine Herrschaft auf das Gebiet Figense ausdehnen zu können. Aufgrund des vermeintlichen kaiserlichen Schreibens geht er davon aus, dieses Ziel erreicht zu haben. Jetzt wird auch klar, dass der Grund für Protasius’ Reise an den Kaiserhof die Beglaubigung ebendieses Dokuments ist. Als Quibous von diesem Plan erfährt, verurteilt er ihn scharf. Auf Daifaccius’ machiavellistisch gefärbte Rechtfertigungsversuche reagiert er unnachgiebig: 2,3 Artem regendi discere mihi si placet, non te magistro indigeo. Nec ratio status, nec publica salus, nec domus propriae decus sunt promovenda crimine et fidei sacrae jactura. Wenn ich einmal die Kunst des Regierens lernen möchte, brauche ich nicht dich als Lehrmeister. Weder das Wohl des Staats, noch das Heil des Gemeinwesens, noch der Ruhm des eigenen Hauses dürfen durch ein Verbrechen und den Abfall vom heiligen Glauben vergrößert werden.

Protasius gesteht ein, sich unchristlich verhalten zu haben. Er will dieses Unrecht aber durch die Christianisierung der – vermeintlich – neu erworbenen Territorien wiedergutmachen. Daifaccius argumentiert zudem, eine Verbindung von Protasius’ Familie mit dem Kaiserhaus sei für die Kirche nur von Vorteil. Unter vier Augen versucht er erneut, den Protagonisten von der Reise zum Kaiser abzuhalten, und führt dabei unter anderem die Rachsucht des (vorgeblich) nunmehr entmachteten Königs von Figense ins Feld. Als er erfährt, dass sich Michael und Fiuma bereits in Surunga aufhalten und – wie Michael in seinem Brief mitgeteilt hat – das gefälschte kaiserliche Dokument an den Kaiser selbst übergeben haben, reagiert er entsetzt. Er muss nun davon ausgehen, dass ihm der Kaiser auf die Schliche gekommen ist. Seinem Diener gegen-

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über gesteht er, dass er das Dokument aus reiner Geldgier gefälscht habe; für sein angebliches Lobbying beim Kaiser hat Protasius immer wieder mit Geldzuwendungen gedankt. Der Diener vermutet allerdings bereits, dass auch Michael ein doppeltes Spiel spielt: Da davon auszugehen ist, dass der Kaiser und Michael inzwischen den Betrug aufgedeckt haben, ist es seltsam, dass Michael seinem Vater brieflich nichts davon mitgeteilt und ihn sogar darum gebeten hat, nach Surunga zu reisen. Im 3. Akt beginnt sich das Schicksal gegen Protasius zu wenden. Seine Frau Justa kommt mit seinen beiden jüngeren Söhnen an und berichtet, sie sei aus Aryma vertrieben und das Land von feindlichen Truppen eingenommen worden. Urheber des Staatsstreichs sei ausgerechnet Protasius’ Sohn Michael, der sich zum neuen König erklärt und die Stiefmutter samt seinen Stiefbrüdern vertrieben habe. Protasius kann nicht glauben, dass sein Sohn ihn hintergangen hat, und vermutet ein Komplott. Er argwöhnt, seine ehemalige Schwiegertochter Martha und ihr Bruder Sacajus könnten sein Herrschaftsgebiet in einer Racheaktion eingenommen haben. Er will selbst nach Aryma zurückreisen, um die Aufständischen niederzuschlagen und die Schuldigen auszuforschen. Im 4. Akt tritt der Betrüger Daifaccius wieder auf. Er ist erleichtert, da er von Michaels Rebellion erfahren hat und nun die (sich letztlich nicht erfüllende) Hoffnung besteht, dass der Kaiser über seinen Betrug doch nicht in Kenntnis gesetzt ist. Er will nun so rasch wie möglich nach Surunga zurückreisen, um dort seine Intrigen fortzuspinnen. Protasius, der immer noch Sacajus für den Anstifter zur Rebellion hält, bittet ihn, diesen beim Kaiser anzuzeigen. Die Ankunft seines Höflings Cianquedonus zwingt Protasius jedoch dazu, sich endgültig mit der Wahrheit zu konfrontieren. Cianquedonus hat Michael und Fiuma mit eigenen Augen das Zepter ergreifen sehen. Zudem berichtet er von kaiserlichen Verlautbarungen, die in Aryma angeschlagen worden sind und die Machtübernahme offiziell bestätigen. Fiuma habe Michael aus Machtgier zum Verrat am eigenen Vater angestachelt. Justa, Protasius’ fromme Gattin, sieht darin eine Strafe Gottes: 4,3 Hic fructus est connubii haud satis pii. Dum sceptra coniux artibus malis nova exposcis, etiam vetera deperdis miser. Das ist das Ergebnis einer unfrommen Ehe. Während du, Gemahl, mit üblen Schlichen nach neuen Zeptern getrachtet hast, hast du auch die alten jämmerlich verloren.

Protasius kündigt an, seine Herrschaft mit Waffengewalt zurückerobern zu wollen, auch wenn Cianquedonus ihn auf die Aussichtslosigkeit einer solchen Unternehmung hinweist. Inzwischen hat Quibous ein Schiff rüsten lassen, mit

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dem er Protasius in Sicherheit bringen will, denn seit der Kaiser in Person seiner Enkelin mit ihm gebrochen hat, ist er in Fuchsimum nicht mehr sicher. Der abgesetzte König lehnt jedoch vorerst ab. Er will zwar seine Söhne in Sicherheit bringen lassen, selbst aber gegen Aryma ziehen, und, wenn nötig, im Krieg sein Leben lassen. Justa und die Söhne wollen aber eher sterben, als von Protasius getrennt leben. Als dieser sich um seiner Söhne willen schließlich doch zur Flucht entscheidet, ist es zu spät: Inzwischen haben kaiserliche Truppen unter der Führung des Statthalters Xogura das Haus umstellt. Als dieser dem Titelhelden zu Beginn des 5. Akts erklärt, dass der Kaiser ihn bestrafen lasse, weil er die Herrschaft über Figense usurpieren wollte, erfährt das Publikum, dass Protasius’ Vorfahren bereits über dieses Gebiet geherrscht hatten, sein Anspruch auf die Herrschaft also bis zu einem bestimmten Grad legitim ist. Gravierend ist, dass der abgesetzte König sich in den Augen des Statthalters mittels einer List die Macht über Figense verschaffen wollte. Zwar weiß Xogura vom Betrug des Daifaccius. Als dieser herbeigeführt wird, gibt er jedoch an, von Protasius zur Fälschung des Dokuments angestiftet worden zu sein. Protasius, der Daifaccius blind vertraut hatte, wünscht diesem nun den Tod, erfährt aber, dass er selbst vom Kaiser zum Tode verurteilt worden ist. Erst jetzt gesteht er sich seine Schuld ein. Justa, die an der Sündhaftigkeit seines Verhaltens nie gezweifelt hat, erkennt erleichtert, dass ihr Gatte zu seinen christlichen Werten zurückgefunden hat. Zugleich klagt sie freilich über die harte Strafe. Eine neue Information sorgt indes für eine plötzliche Wendung: Protasius sei gerettet. Nicht die versuchte Machtübernahme in Figense, sondern Protasius’ christliches Bekenntnis sei der eigentliche Grund für die Bestrafung. Das Urteil würde aufgehoben, sollte der König seinem Glauben öffentlich abschwören. Protasius kann sein Glück kaum fassen. Zur Überraschung aller erklärt er jedoch, er werde die Rettung nicht in Anspruch nehmen. Die geänderten Umstände seien dennoch glücklich, weil er nun nicht als Verbrecher, sondern als Märtyrer sterben könne. Die todtraurigen Kinder ermutigt er, indem er ihnen von seinem neuen Reich und Triumph im Himmel erzählt. Als Xogura die Hinrichtung anordnet, übergibt Protasius einem der Höflinge einen Brief, in dem er Michael verzeiht und ihn darum bittet, vom wahren Glauben nicht abzufallen. Die Hinrichtung selbst bereitet neue Schwierigkeiten: Da es in Japan nicht zulässig ist, dass Könige von einem Henker gerichtet werden, befiehlt Xogura, Protasius möge sich, den lokalen Gepflogenheiten entsprechend, selbst den Bauch aufschlitzen. Ein Selbstmord kommt für den Christen allerdings nicht in Frage, weshalb er einem Höfling befiehlt, ihn in einem Hinterzimmer hinzurichten. In der letzten Szene – Protasius liegt bereits tot auf der Bühne – verspricht Xogura, der Gerichtete solle ein königliches Begräbnis erhalten.

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Wie für Themistocles haben sich zur Innsbrucker Aufführung von Protasius gedruckte Chorpartien erhalten.385 In ihnen wird die Handlung in der DavidGeschichte allegorisch gespiegelt: Im ersten Teil wird Davids Ehebruch thematisiert, im zweiten wird der Aufstand des Abschalom und im dritten die Versöhnung mit Gott dargestellt. Protasius rex Arymae hebt sich merklich von den restlichen drei Dramen der Tragoediae ludis autumnalibus datae ab. Als einziges Stück basiert es auf einem christlichen Stoff. Es steht in der jesuitischen Tradition der Märtyrerstücke und verhandelt diesen Gedanken im Gegensatz zu Themistocles in konventioneller Weise – ein überzeugter Christ geht für seinen Glauben in den Tod. Auffällig unterscheidet Protasius sich von den übrigen drei Stücken auch dahingehend, was die Gestaltung der Figuren und den Aufbau der Handlung anbelangt. Im Gegensatz zu den sorgfältig durchkomponierten drei anderen Stücken, in denen zumeist konsistente Figuren nachvollziehbare Handlungen setzen, ist in Protasius vieles nicht schlüssig begründet. Viele Details der Handlung sind bei der Erstlektüre kaum verständlich. Die nur referenziell vermittelten Ereignisse um den Usurpator Michael bleiben bis zum Schluss unklar, der Betrug von Daifaccius ist schlecht motiviert, die Beziehung des Kaisers zum Christentum widersprüchlich (einerseits gibt er dem Christen Michael seine Enkelin zur Frau, andererseits lässt er Protasius als Christen hinrichten). Auch die Figuren sind teilweise misslungen. Claus kann nicht beabsichtigt haben, dass die Hauptfigur als leichtgläubiger Tölpel erscheint, der einer ebenfalls wenig überzeugenden Tartuffe-Figur auf den Leim geht. Dass sich der anfangs hasserfüllte Sacajus schon bald mit der Hauptfigur versöhnt, obwohl er zuvor von dieser nicht nur geschädigt, sondern auch grundlos verleumdet worden ist, ist psychologisch ebenso unrealistisch wie der Umstand, dass sich der verschlagene Daifaccius zum Schluss bei Protasius für den Betrug entschuldigt. Gegen die Handlungslogik verstößt die Remotivierung des Todesurteils im 5. Akt: Den modernen Rezipienten irritiert, dass Protasius’ Machtstreben mit einem Mal irrelevant, dafür sein Christentum – bislang unproblematisch – plötzlich Ursache für eine Verurteilung ist. Claus wollte offensichtlich um jeden Preis ein Märtyrerstück schaffen, in dem nicht ein Verbrecher für seine Schuld büßt, sondern ein Christ freiwillig in den Tod geht. Die Einheit der Handlung ist damit zumindest beeinträchtigt, weil sich Protasius’ Tod mit dem restlichen Plot in keinen kausalen Zusammenhang bringen lässt. Generell hatte Claus Schwierigkeiten, die hagiographische Erzählung in das Korsett der aristotelischen Vorgaben einzupassen. Die Einheit des Ortes wirkt konstruiert und auch

 Der Druck liegt in der Universitätbibliothek Augsburg unter der Signatur 02/III.7.4.55–2.

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die Einheit der Zeit ist nur auf Kosten der Wahrscheinlichkeit möglich: Dass innerhalb eines Tages ein Brief von Michael aus Surunga eintrifft und Justa, die von Michael inzwischen bereits vertrieben wurde, aus Aryma ankommt, dazu der Höfling Cianquedonus und der Statthalter Xogura auftreten, ist ein wenig überzeugendes Konstrukt. Bezeichnenderweise sind auch die Observationes in Protasium verhältnismäßig knapp gehalten. Paradoxerweise lassen sich alle diese Auffälligkeiten zu der Beobachtung bündeln, dass es sich bei Protasius rex Arymae um das genretypischste Jesuitendrama der Tragoediae handelt. Zum einen war der Märtyrergedanke bekanntlich das Motiv, das auf den Ordensbühnen des siebzehnten Jahrhunderts für etliche Stücke prägend war. Zum anderen sind die vorgestellten Phänomene inhaltlicher Inkonzinnität typische Züge des jesuitischen Schuldramas. In der barocken Tradition trat vielfach stückübergreifende Handlungslogik gegenüber Effekthaftigkeit und Eindringlichkeit einzelner Szenen in den Hintergrund, auf in sich stimmige Figuren wurde wenig Wert gelegt. Das abrupte, dramatisch nicht vorbereitete Einführen von Figuren oder Motiven – im gegebenen Fall etwa die religiös begründete Verurteilung – war ebenfalls häufig. Die formalen Schwächen von Protasius stechen insbesondere ins Auge, weil Claus in den anderen drei Dramen konsequent um eine rationalistische, psychologisch und logisch schlüssige Komposition bemüht war. Es könnte sein, dass strategische Gründe hinter der Aufnahme dieses Stücks in die Sammlung standen. Möglicherweise wollte Claus mit der Aufnahme eines traditionellen christlichen Dramas die Obrigkeit für sich einnehmen. Angesichts der drei übrigen leicht als allzu weltlich empfundenen Stücke war es bestimmt von Vorteil, die Sammlung mit einem christlichen Stück abzuschließen. Auf ein christliches Korrektiv deutet auch hin, dass der in Themistocles gefeierte Selbstmord hier ausdrücklich als Sünde dargestellt ist.386 Intentionen Zudem muss man sich fragen, welches inhaltliche Ziel Claus mit diesem Stück verfolgt hat. Über das allgemeine moraldidaktische Programm „Bleibe auf dem rechten christlichen Weg!“ hinaus transportiert es nämlich keine pädagogischen Botschaften, die für Jugendliche relevant wären. Außerdem bringt der Protagonist so gut wie kein Identifikationspotential für Schüler mit. Vielleicht waren die Adressaten des Stücks politische Entscheidungsträger bzw. die Schü-

 Zur Darstellung des Suizids vgl. auch den Umstand, dass die Figur Stilico bei den Aufführungen von Stilico Selbstmord beging, in der Druckfassung jedoch zum Henker abgeführt wird. Weitenauer 1758, S. 399.

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ler in ihrer Eigenschaft als potentielle zukünftige Entscheidungsträger. Die Mahnung, politische Erfolge nicht um jeden Preis zu erzielen, lässt sich mit den wechselnden Bündnissen in Europa in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts jedenfalls in Verbindung bringen. Auch theologisch lässt es sich deuten: Claus könnte zeigen wollen, wie weit der jesuitische Probabilismus nicht gehen darf. Ein intentional begangenes Delikt bleibt ein Unrecht, auch wenn – wie in diesem Fall – dadurch ein Vorteil für die christliche Gemeinde in Aussicht steht. Jedenfalls ist das Argumentationsmuster, das der Intrigant Daifaccius zur Rechtfertigung der Ehescheidung verwendet, typisch für die im achtzehnten Jahrhundert intensiv geführte Probabilismus-Rigorismus-Debatte: 2,3 Quibous: Nunquid sacra, quam profitemur, religio vetat thorum mutare viva coniuge? Daifaccius: Nisi publicum majusque regni commodum aliud exigat. Lex nulla, nulla regula obstringit sine exceptione. Quibous: Verbietet es denn nicht die heilige Religion, zu der wir uns bekennen, das Ehegemach zu wechseln, während der Ehepartner noch lebt? Daifaccius: Nur wenn das größere Gemeinwohl nicht etwas anderes fordert. Kein Gesetz, keine Regel gilt ohne Ausnahme.

Quellen Die Wahl des Schauplatzes Japan ist weniger innovativ, als es auf den ersten Blick scheint. Das Stück steht in einer lebhaften Tradition fernöstlicher Stoffe auf der Jesuitenbühne, die sich bereits für das frühe siebzehnte Jahrhundert belegen lässt und bis zur Auflösung des Ordens 1773 erhalten blieb. Aus den deutschsprachigen Ländern sind zumindest 150 Periochen bzw. Volltexte zu Stücken mit japanischen und chinesischen Stoffen dokumentiert,387 in ganz Europa könnten insgesamt mehr als 600 Stücke allein mit japanischem Setting aufgeführt worden sein.388 Der Weltmission entnommene Sujets waren für den Orden aus unterschiedlichen Gründen attraktiv. Erstens weckten sie die Neugierde des Publikums, für das die Spiele eine rare Gelegenheit darstellten, Einblicke in fremde Lebensrealitäten zu nehmen. Zweitens boten die Missionserzählungen aus Asi-

 Wimmer 2005, S. 18.  Takenaka 2005, S. 379. Zu fernöstlichen Stoffen auf der Salzburger Benediktinerbühne vgl. Rosenstatter 2010.

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en, Afrika und Amerika europäischen Jesuitenkollegien die Möglichkeit, für den Orden zu werben. Berichte der Missionare, die durch ihre Umsetzung auf der Bühne zusätzlich an Emphase und Bildlichkeit gewannen, stellten das Wirken des Ordens in entlegenen Erdteilen als Erfolgsgeschichte dar; man darf davon ausgehen, dass auch das Rekrutieren junger Europäer für die Mission ein Ziel dieser Spiele war.389 Und drittens konnte man mittels dieser Aufführungen den Zuschauern die weltweite Gültigkeit des kirchlichen Wertesystems vor Augen führen. Aufgrund der relativen Aktualität der Ereignisse, auf denen die Stücke basierten, ließen sich anhand der jungen, inmitten Ungläubiger stets gefährdeten christlichen Gemeinden die Größe christlicher Tugend und die Gnade Gottes eindringlicher darstellen als mittels vieler kanonischer, zeitlich entlegener Märtyrerbiographien. Dem Publikum mussten die Stücke als plastische Inszenierung der Heilsgeschichte erscheinen. Der Umstand, dass der überwiegende Teil der jesuitischen Missionsstücke in Ostasien spielt, hat historische Gründe: Seit den Reisen Franz Xavers, des hoch in Ehren gehaltenen Archegeten der jesuitischen Weltmission, sah sich der Orden in besonderer Weise für den Fernen Osten zuständig. 1585 war der Gesellschaft von Papst Gregor XIII. das Exklusivrecht für die Missionierung Chinas und Japans zuerkannt worden.390 Verdienste um den christlichen Glauben in diesen Gebieten (in Japan konnten zehn Prozent der Bevölkerung christianisiert werden391) durften die Jesuiten damit für sich allein reklamieren; die japanischen Märtyrer konnten als ‚Ordensmärtyrer‘ beansprucht werden. Damit die japanischen Stoffe auf die europäischen Bühnen gelangen konnten, waren komplexe Vermittlungsprozesse nötig. Die Berichte, die aus Japan nach Europa gelangten, denen ihrerseits bereits oft mündliche oder schriftliche Tradierungsschritte zugrunde lagen, wurden von den Choragen in den seltensten Fällen direkt rezipiert. Viel häufiger nutzten sie in Europa entstandene, historiographisch ausgelegte Gesamtdarstellungen. Verwendung fanden insbesondere die Missionserzählungen De Christianis apud Iaponios triumphis (1623) des flämischen Ostindienreisenden Nicolas Trigault und der erste Band der Weltgeschichte des Katholizismus des Niederländers Cornelius Hazart (nieder-

 Für Japan trifft das allerdings nicht mehr zu, da hier schon 1614 die Missionare ausgewiesen wurden. Spätestens ab 1635 konnten auch keine Missionare mehr eingeschleust werden, da das Tokugawa-Schogunat, das die Auslöschung des japanischen Christentums konsequent betrieb, das Land streng abschottete. Schwade 2005, S. 344–350.  Schwade 2005, S. 333. 1602 nahmen allerdings auch Franziskaner, Dominikaner und Augustiner ihre Missionsarbeit in Japan auf.  Immoos 1981, S. 37.

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ländisch 1667–1671, deutsch 1678–1701)392 – die beiden Werke, die auch Claus als Quellen für Protasius rex Arymae angegeben hat. Weder Trigault noch Hazard, dessen Darstellung auf Trigault basiert, hat Japan mit eigenen Augen gesehen. Die Erzählung von Protasius basiert also auf älteren Quellen. Auf Grundlage der modernen Geschichtswissenschaft lassen sich die historischen Ereignisse, die im Drama umgesetzt werden, wie folgt rekonstruieren:393 Arima Harunobu, der sich nach der 1579 vom Jesuitenvisitator Alessandro Valignano empfangenen Taufe Protasius nannte, herrschte über die Halbinsel Shimabara auf Kyushu, die im Zuge der ersten Christenverfolgung von 1587 zu einem Rückzugsgebiet der Gläubigen geworden war. 1609 ließ er ein portugiesisches Handelsschiff in einer Vergeltungsaktion für das blutige Niederschlagen eines Aufstands von Japanern in Macao versenken. Der mächtige Landesfürst und de facto Machthaber Japans, Tokugawa Ieyasu, in dessen Gunst Protasius aufgrund dieses Ereignisses gestiegen war, bot ihm daraufhin die Hand seiner Enkelin für seinen ältesten Sohn Naozumi an. Protasius nahm das Angebot an, musste zuvor allerdings die rechtmäßige Ehe seines Sohnes auflösen, was seine christlichen Vasallen massiv irritierte. Hintergedanke seines Vorgehens war es, die engen Kontakte mit Ieyasu dafür zu nützen, Gebiete zurückzugewinnen, die er 1582 im Zuge eines Bürgerkriegs verloren hatte. Um dies zu erreichen, bestach er Ieyasus Untersekretär, den Christen Okamoto Daihachi, der ihm nach längerer Wartezeit mitteilte, er habe das Gewünschte erwirkt, und diese Lüge mit einem gefälschten Schriftstück beglaubigte. Da Daihachi in der Folge nichts mehr von sich hören ließ, beschloss Protasius 1611, sich selbst an Ieyasus Hof zu begeben. Er reiste zunächst bis Fushimi, von wo aus sein Sohn und dessen Frau zur Klärung der Angelegenheit in die Residenz vorauseilten – angeblich um dem Vater zu helfen, in Wahrheit aber wohl um ihm zu schaden. Trigault zufolge diskreditierten die beiden Protasius bewusst, um selbst als Machthaber eingesetzt zu werden. Als der zuständige Beamte von der Bestechung erfuhr, ließ er Daihachi ins Gefängnis werfen und wenige Tage später öffentlich verbrennen. Protasius wurde abgesetzt, in die Verbannung geschickt und zwei Monate später enthauptet. Naozumi erhielt das Herrschaftsgebiet seines Vaters unter der Bedingung, dass er vom Christentum abfalle und seine Untertanen wieder den einheimischen Religionen zuführe. Nicht überraschend ist in der Darstellung Trigaults das Typologische der Erzählung betont. Protasius erscheint als sympathischer Sünder, der nach der

 Trigault 1623, S. 17–21; 36–42; Hazart 1678, Bd. 1. S. 144–145. Im Bibliothekskatalog des Münchner Jesuitenkollegs, wo Claus die Stücke redigiert haben dürfte, scheinen 1741 beide Titel auf. Siehe hier Anm. 761.  Die Darstellung basiert auf Schwade 2005, S. 341–344.

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Verbannung zu seiner Spiritualität zurückfindet, in seinem Scheitern die Gerechtigkeit Gottes walten sieht und schließlich – nachdem er das Seppuku, die rituelle Selbsttötung japanischer Adeliger, abgelehnt hat – freudig den Märtyrertod stirbt. Dieses einfache, lineare Schema ist es auch, das den Stoff für die mit möglichst eingängigen moralischen Exempla operierende Jesuitenbühne attraktiv machte. Dazu kommt, dass die Figur genügend Fallhöhe mitbrachte, um ihr Schicksal als tragisch erscheinen zu lassen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Erzählung von Protasius neben dem Titus-Japon-Stoff 394 und Episoden aus dem Leben des Franz Xaver der am häufigsten aufgeführte Bühnenstoff aus Japan war. Die älteste Aufführung, die sich nachweisen lässt, datiert aus dem Jahr 1642 (Leoben; Valentin, Nr. 1319). Von 1647 bis zur Innsbrucker Aufführung von Claus’ Stück 1734 haben sich Aufzeichnungen zu 18 auf dem Stoffkreis basierenden Aufführungen erhalten, die – soweit sich das aus den erhaltenen Zeugnissen rekonstruieren lässt – mehrheitlich den Märtyrertod des Protasius in den Mittelpunkt stellten. Daneben wurde vereinzelt das Machtgebaren seines Sohnes, manchmal die (bei Claus nicht angedeutete) Ermordung von Protasius’ Söhnen Franziskus und Matthäus in den Fokus genommen.395 Außerdem wurden Stücke aufgeführt, die die Christenverfolgung unter Michael (Naozumi) thematisieren.396 Vorrangige Quelle für das Claus-Drama war mit Sicherheit Trigaults Bericht (oder deren Übernahme bei Hazart). Die Handlung des Dramas lehnt sich eng an die Schilderung in De Christianis apud Japonios triumphis an; die strikte Orientierung am Quellentext ist für die dramaturgischen Schwächen des Stücks sicherlich mitverantwortlich. Daneben wusste Claus jedoch um die Tradition der Protasius-Stücke sicherlich Bescheid, erlebte der Stoff im frühen achtzehnten Jahrhundert doch eine Blüte. In den 1720er Jahren war er mindestens viermal aufgeführt worden, 1721 sogar in Innsbruck. Es ist davon auszugehen, dass sich 1734 noch die Perioche dieser Aufführung im Innsbrucker Kolleg befand, wahrscheinlich auch das Manuskript.397 Ein Vergleich des auf der Pe-

 Vgl. hierzu Wimmer 2005, S. 21–34.  Valentin verzeichnet Aufführungen in Ingolstadt 1660 (Nr. 1915), Solothurn 1662 (Nr. 2000), Konstanz 1667 (Nr. 2131), Brig 1682 (Nr. 2657), Hall 1682 (Nr. 2671), Solothurn 1697 (Nr. 3322), München 1701 (Nr. 3489), München 1707 (Nr. 3714), Hildesheim 1713 (Nr. 3935), Landsberg 1714 (Nr. 3976), Luzern 1716 (Nr. 4058), Innsbruck 1721 (Nr. 4258), Landsberg 1722 (Nr. 4309). Immoos 1981 verzeichnet zusätzliche Aufführungen in Solothurn 1647 und Konstanz 1663, sowie Stücke aus Zagan 1676, Feldkirch 1725 und Linz 1727, gibt dafür allerdings keine Quellen an.  Arimandonus, Straubing 1632 (Valentin, Nr. 1111).  Michael Protasii Patris flagellum: das ist: üble Früchten übersehender Kinder-Zucht in Michael Königs Protasii Sohn in Innsbruck. (Valentin, Nr. 4258)

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rioche dokumentierten Inhalts dieses Stücks mit Claus’ Drama fördert jedoch mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zu Tage. Das Vergehen des Protasius im Stück von 1721 ist weniger unchristliches Verhalten als vielmehr zu große Nachsicht bei der Erziehung seines Sohnes. Nachleben Angesichts der Vielzahl an Stücken aus diesem Stoffkreis bis 1734 ist es erstaunlich, dass sich nach der Darbietung von Claus’ Tragödie in Innsbruck nur noch eine Aufführung eines Protasius-Stücks auf der Bühne der alten Gesellschaft Jesu nachweisen lässt, und zwar ebenfalls in Innsbruck, wo die Syntax maior im März 1757 das Stück Pia constantia principum Arimae zum Besten gab.398 Auch wenn man sich vor Augen führt, dass in der Dokumentation große Lücken herrschen, scheint dies darauf hinzudeuten, dass der Stoff als nicht mehr zeitgemäß empfunden wurde – im Gegensatz zu anderen bereits im siebzehnten Jahrhundert aufgekommenen japanischen Stoffen wie Titus Japon oder Justus Ucondonus,399 die weiterhin gespielt wurden. Ob dies zugleich bedeutet, dass Claus’ Protasius weniger rezipiert wurde als die übrigen drei Stücke, lässt sich nicht beweisen. Jedenfalls ist bis zur Aufhebung des Jesuitenordens eine mutmaßliche Aufführung von Claus’ Drama 1764 im Prämonstratenserkloster Marchtal im heutigen Baden-Württemberg das einzige Rezeptionszeugnis.400 Weitere Spuren eines Nachlebens verweisen in die Zeit nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu: Das Stück gelangte im Zuge der Walliser Claus-Rezeption spät zur Aufführung. 1788 und 1807 wurde Protasius in Brig, 1821 und 1826 in Sitten aufgeführt. Sämtliche dieser Aufführungen dürften in deutscher Sprache erfolgt sein.401

.. Gesamtbetrachtung der Tragoediae ludis autumnalibus datae Im folgenden Kapitel erfolgt eine ganzheitliche Beschreibung der Tragoediae ludis autumnalibus datae. Beobachtungen hinsichtlich Sprache und Stil, Stoffwahl, Themen, Handlungsstrukturen und Darstellungsweisen werden ange-

 Valentin, Nr. 6716. Die Perioche, die nur aus einem gefalteten Quartbogen besteht, liegt in der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Dip. 473/42. Valentin, Nr. 6716.  Zu den Justus-Ucondonus-Stücken vgl. Wimmer 2005, S. 34–42.  Johner 1905, S. 20, verzeichnet die Aufführung eines Protasius rex Arymae 1764 im Kloster Marchtal. Zit. nach Meyer 1993 ff., Bd. 21, S. 77, der vermutet: „Möglicherweise handelt es sich hier um eine Aufführung des Stücks von Anton Claus“. Vgl. auch Oberst 2010, S. 308.  Carlen 1950, S. 325–356.

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stellt. Auf diese Weise soll ein Überblick über literarische Spezifika der Tragoediae sowie über die von Claus in der Sammlung angewandten dramaturgischen Mittel gelingen. Inwieweit die vorgestellten Charakteristika für das Jesuitentheater der Aufklärungszeit generell kennzeichnend sind, müsste im Einzelnen geprüft werden. Viele der Analyseergebnisse dürften jedoch für andere zeitgenössische Ordensdramen ebenfalls Gültigkeit haben.

Sprache und Stil Die Sprache der Tragoediae ludis autumnalibus datae ist ein schlichtes Latein. Wortwahl und Positionierung der Wörter sind, sieht man von metrisch bedingten Setzungen ab, nie bewusst poetisch. Artifizielle Figuren finden sich nicht, auf metaphorische Formulierungen und mythologische bzw. anderweitig gelehrte Anspielungen, wie sie in der Tradition des lateinischen Trauerspiels gängig sind, wird verzichtet. Auch gesuchte intertextuelle Bezugnahmen lassen sich nicht beobachten. In syntaktischer Hinsicht fallen die häufigen kurzen Hauptsätze auf, komplexe Gefüge werden gemieden. Auf eine stärker stilisierte Sprache wird nur zurückgegriffen, wenn dies von der Redesituation gefordert wird (z. B. bei Ansprachen, etwa Scipio V. 1325–1337, oder Mahnreden, etwa Protasius 1,2). Weitere Merkmale des mündlichen Stils sind rasche Sprecherwechsel, Ellipsen (vor allem Fragen sind häufig nicht ausformuliert) sowie die Verwendung gesprächsorganisierender Elemente (viele Fragen und Ausrufe; Einsatz metasprachlicher Wendungen, z. B. Scipio, Vers 65: Fare ergo! Quaenam causa te sistit mihi?; Scipio, Vers 91–92: Grates, Scipio, tibi debeo. / Quod scire per te quaesii, scio). Das Bemühen, die Dialoge durch die Wahl einer alltäglichen Umgangssprache psychologisch plausibel zu gestalten, ist einer der offensichtlichsten Züge von Claus’ Dramenkunst. Der horazischen Empfehlung, den sprachlichen Duktus der Tragödie der Redesituation anzupassen, wird nachgekommen.402 Die Dialogsprache, die der mündlichen Redesituation Natürlichkeit und Lebendigkeit verleiht, ist eine bewusste stilistische Entscheidung, mit der sich der Autor gegen die als statisch und umständlich empfundene Rhetorik des barocken Jesuitendramas abzugrenzen versuchte. Wichtigstes antikes Vorbild für die sprachliche Gestaltung der Tragödien war somit nicht der einzige römische Vertreter der Gattung, der rhetorisch elaborierende Seneca tragicus, sondern die römische Komödie. Schon im frühen Jesuitentheater hatten die Komiker

 Hor. Ars 96–98; 113–114.

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Plautus und Terenz als stilistische Vorbilder Wertschätzung erfahren. Vereinzelt waren moralisch annehmbare Stücke dieser Autoren im Ordenskontext aufgeführt worden. Vor allem die bereits in der Antike gelobte pura oratio des Terenz galt als Ideal für einen kolloquialen Stil. Jouvancy rühmte den Komiker etwa als auctor Latinitatis tersissimae („Verfasser gepflegtesten Lateins“).403 Einflüsse bei Claus zeigen sich neben der ausgewogenen Tonhöhe in der Übernahme bestimmter Formen und Wendungen, die er zur Schaffung von dramatischer Couleur eingesetzt hat. Der Archaismus sies bzw. siet ist ein deutliches Signal, ebenso die häufige Verwendung performativer Verben in der ersten Person Singular, die bei Claus grammatisch häufig nicht streng eingebunden sind: Allein in Scipio wird obsecro sechsmal, rogo zehnmal verwendet. Bei Plautus sind die beiden Formen 171- bzw. 35-, bei Terenz 71- bzw. neunmal belegt. Auch das vielfach gebrauchte, lapidare vale als Abtrittssignal einer Figur ist ein Reflex der Komödiensprache. Im Vorwort hat der Jesuit seine Entscheidung für einen natürlichen Stil verteidigt: Schon Pierre Corneille habe festgehalten, dass die Figuren, die der Dichter auf die Bühne bringt, selbst keine Dichter seien.404 Dieser hatte im Discours sur le poème dramatique aus diesem Grund für einen mittleren, vom Epos unterschiedenen Stil plädiert. Noch stärker ist die Vorbildwirkung Charles de la Rues zu gewichten, dessen Erwähnung im Vorwort der Tragoediae kein Zufall sein dürfte.405 Unter dem Einfluss Corneilles hatte der französische Jesuit ab den späten 1660er Jahren lateinische Tragödien vorgelegt, die eine deutliche Abwendung von Seneca und eine Orientierung an den Gestaltungsidealen der zeitgenössischen französischen Dramatik bezeugen.406 In markantem Kontrast zum Ordensdrama seiner Zeitgenossen forcierte de la Rue ein interaktives Bühnendrama. Epische Elemente (lange Repliken, Monologszenen) sind in seinen Stücken reduziert, es entsteht der Eindruck, die Figuren redeten nicht – wie im senecanischen Drama häufig – nur nacheinander, sondern tatsächlich miteinander. Die gesteigerte psychologische Plausibilität, die aus der Replikgestaltung folgt, wird auch vom Stil unterstützt. Die kurzen, kolloquia-

 Jouvancy 1725, S. 82. Jouvancy ordnet an, Terenz nur in gereinigter Form zu lesen, d. h. in der von Jouvancy selbst veranstalteten Edition Publii Terentii comoediae expurgatae. Rouen 1686. Von Plautus rät er ab. Vgl. Rädle 2013, S. 210.  Claus 1741, S. []–[]. Vgl. Corneille 1980, Bd. 3, S. 134.  Claus 1741, S. IV. Die Stücke de la Rues waren im lateinischen Schultheater des 18. Jahrhunderts generell vorbildlich. Exemplarisch zeigen dies Stücke des Brixner Choragen Joseph Resch. Resch hat aus Lysimachus mitunter ganze Dialogpartien übernommen bzw. adaptiert. Seine hs. überlieferten Dramen werden gerade am Institut für Klassische Philologie der Universität Innsbruck für eine online-Publikation vorbereitet.  Rieks 1989, S. 18.

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len Formulierungen, die sich in de la Rues Stücken (neben senecanischen Partien) finden, sind Anzeichen einer endenden Vorherrschaft des Manierismus auf der Jesuitenbühne, wie ihn Denis Petau und Charles Malapert noch wenige Jahre zuvor vertreten hatten und wie er von de la Rues Zeitgenossen Avancini noch mit Erfolg gepflegt wurde. Wenn zwei der Dramen de la Rues, Lysimachus und Cyrus, noch 1722 in Ingolstadt nachgedruckt wurden, so ist das ein Hinweis darauf, dass der Franzose dem Stilempfinden vieler seiner Ordensbrüder um einige Jahre voraus war. In den deutschen Provinzen war das senecanische Modell auch im frühen achtzehnten Jahrhundert noch vorherrschend, bei Dramatikern wie Paul Aler oder Anton Maurisperg überwiegen rhetorisch überhöhte Passagen.407 Bereits weitgehend pragmatisch ist die Sprache einiger der Stücke des Franzosen Gabriel-François Le Jay. Die Komödien, die er in den Liber dramaticus der auch im deutschen Sprachraum gedruckten Bibliotheca rhetorum (erstmals Paris 1725) aufnahm, sind dem nüchternen, knappen Stil von Claus’ Tragoediae relativ ähnlich. In Le Jays Tragödien lässt sich die Tendenz ebenfalls beobachten, ihre Sprache ist aber vergleichsweise stärker stilisiert. Anton Claus ist der erste oberdeutsche Jesuit, an dem sich der ästhetische Umschwung in seiner ganzen Tragweite beobachten lässt. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass viele Stücke anderer Dramatiker ungedruckt blieben. Wahrscheinlich legten viele Choragen, die ihre Dramen nur für eine Aufführung schrieben, auf stilistische Ausarbeitung wenig Wert und hielten ihren Stil einfach. Gerade der Umstand, dass Claus sich dafür entschied, seine Tragödien in ihrer schlichten Sprache als literarische Texte zu veröffentlichen, ist indes ein aussagekräftiges Zeugnis eines gewandelten Stilempfindens. Metrik Die schlichte Form schlägt sich auch in der metrischen Gestaltung der Stücke nieder. Da Claus die Interludien nicht mit abdruckte,408 konnte er sich in den Tragoediae auf die Verwendung des jambischen Trimeters beschränken. Der Sprechvers der unter dem Namen Senecas überlieferten Dramen war seit den Ursprüngen der neulateinischen Tragödie im frühen vierzehnten Jahrhundert gattungskonstitutiv gewesen. Die Jesuiten griffen seit der Frühzeit ihrer Theaterpraxis darauf zurück, mischten ihn jedoch gelegentlich mit dem

 Das Werk Alers bietet sowohl konservative Stücke wie z. B. Genovefa (1706), als auch schlichtere Partien, vgl. z. B. die Eingangsszenen von Ansberta in Aler 1702, S. 265–317. Auch bei François Noël finden sich sowohl rhetorisch stark durchformte Partien als auch eher nüchterne Dialoge.  Zu den Interludien der Stücke siehe hier S. 162–167.

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flexibleren Senar.409 Auch ihr Trimeter selbst entsprach nicht detailgetreu den antiken Gestaltungsprinzipien. Den jesuitischen Dramatikern stand keine umfassende Verslehre zur Verfügung. Die Autoren kannten das Grundschema des Verses und elementare Regeln aus ihrem Schulunterricht, einige spezifische Gesetzmäßigkeiten (zur Handhabung des Hiats, zur Position der Zäsur, zum Verhältnis von Wort- und Metrumsgrenze) sollten jedoch erst von Philologen des neunzehnten Jahrhunderts wiederentdeckt werden.410 Wichtigstes Prinzip für die Entwicklung einer eigenen Verskunst war die Imitation von Vorbildern. Poetologische Schriften boten nur wenig Unterstützung. Eine relativ einflussreiche Beschreibung des dramatischen Versbaus, auf die man sich beziehen konnte, waren die der Metrik gewidmeten Abschnitte in Delrios Syntagma Tragoediae latinae (1593).411 Die Analyse von Claus’ Trimeter zeigt, dass theoretische Anleitungen nicht streng beachtet wurden, zumal wenn sie nicht eindeutig formuliert waren: Die sogenannte Lex Diomedis, d. h. die beim spätantiken Grammatiker Diomedes formulierte Aufforderung zur Vermeidung jambischer Wörter im fünften Versfuß,412 fand in Delrios Syntagma zwar Erwähnung, allerdings blieb sie in der übersichtlichen Skizze, die Delrio beifügte, unbeachtet.413 Bei Claus fand die antike Konvention folglich keine Berücksichtigung; Klauseln, die wie nihil patri (Scipio, V. 56) oder manus meas (Scipio, V. 161) aus zwei jambischen Wörtern bestehen, sind in den Tragoediae zahlreich. Ebenso unbekannt war dem Autor die Konvention, den ersten Versfuß nicht aus einem tribrachischen Wort zu bilden:414 Versanfänge wie Facere decebat (Scipio, V. 148) sind zwar selten, lassen sich aber nicht auf Versehen des Autors zurückführen, da es in seinen Tragödien generell häufig zu tribrachischen Auflösungen kommt. Sogenannte zerrissene Anapäste (d. h. Anapäste mit Wortfugen nach der ersten oder zweiten Kürze), die im klassischen Trimeter nur an erster Position belegt sind,415 finden sich bei Claus auch an dritter und fünfter Position. Charakteristisch für seinen Trimeter – wie für den jesuitischen Trimeter im Allgemeinen – ist zudem der überaus häufige Rückgriff auf die (in der klassischen Dichtung bereits vorkommende) Endsilbenkürzung. Die Kürzung betrifft in erster Linie die Endsilbe -o in der 1. Person Singular von

      

Bauer 2000, S. 104. Siehe dazu Leonhard 1996, S. 320–323. Delrio 1593, Bd. 1, S. 78–82. GLK 1, S. 11–13. Delrio 1593, Bd. 1, S. 80–81. Vgl. dazu Questa 1999, S. 170. Crusius 1997, S. 78.

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Verben wie posco (Scipio, V. 72), fero (Scipio, V. 332), propono (Stilico, 1,3) in der zweiten und vierten Thesis. Aufgrund der vielen Auflösungen – eine weitere Annäherung an die Praxis der antiken Komödie – ist die Skansion der Stücke herausfordernd, was bei Zeitgenossen auf Kritik gestoßen ist. Im Vorwort seiner Übersetzung von 1776 referiert Joseph Schenkl die Kritik eines Franzosen, die Stücke litten an einem „schleppenden Ausdruck, und einem Jamb, der sich nicht gleich ist“.416 Leider gelang es nicht, die Rezension, auf die Schenkl sich bezieht, ausfindig zu machen. Stoffwahl Dem Großteil der Jesuitendramen, die in den drei deutschsprachigen Ordensprovinzen öffentlich aufgeführt wurden, lagen zumal in den ersten 150 Jahren alttestamentarische und hagiographische Stoffe sowie historiographische Erzählungen aus dem christlichen Abendland und den christlich missionierten Gebieten zugrunde.417 Daneben wurden – vorwiegend in den ersten Jahrzehnten – antike Komödien und Tragödien, Humanistendramen, Moritaten sowie – über die gesamte Dauer der jesuitischen Theaterpraxis – Dramen über schulisches Lernen zur Aufführung gebracht. Angesichts dieser lange Zeit überwiegend aus christlichen Lebenswelten bezogenen Stoffe fällt auf, dass Claus in seinen Tragoediae mehrheitlich weltliche Sujets bearbeitet hat. Scipio und Themistokles sind vorchristliche Helden, in Stilico werden religiöse Aspekte nicht zur Sprache gebracht. Dass das Jesuitentheater des achtzehnten Jahrhunderts sich vermehrt weltlichen Themen zuwandte, ist bereits konstatiert worden. Man hat gesehen, dass nun diesseitige Probleme aufgegriffen wurden, für deren Illustration Helden aus nicht-christlichen Kontexten attraktiv wurden.418 Schon von der frühen Forschung ist der Rückbezug auf die vorchristliche Geschichte als Charakteristikum der Spätphase des Jesuitentheaters herausgestellt worden. Oskar Eberle hat für die letzten sechzig Jahre der Jesuitenbühne in Luzern das „heidnische Heldenspiel“ als Innovation ausgemacht: „Darin sind neu Stoff, Form, Seelenlage“; Szarota bestimmte „die großen antiken Muster“ für die Zeit ab 1700 als „das ganz Neue“.419 Ganz neu sind die Stoffe allerdings nicht, auch dann nicht, wenn man die mit der Bibel assoziierte, frühe vorderasiatische Geschichte außer Acht lässt.    

Claus 1776, S. []. Vgl. Rädle 2013, S. 231–243 sowie Parente 2016, S. 153. Tilg 2008, S. 194–197. Eberle 1929, S. 102; Szarota 1979, Bd. 1,1, S. 78.

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4 Werk

Ein Epaminondas ist schon für das Jahr 1596 belegt (Pruntrut; Valentin, Nr. 378), ein Cicero triumphans für das Jahr 1619 (Ingolstadt; Valentin, Nr. 821). Die 1634 in Antwerpen gedruckte Sammlung Selectae patrum societatis Jesu tragoediae, die mehrere rein weltliche Stücke enthält, war in den deutschen Provinzen gewiss bekannt. Ab den späten sechziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts wurden Stoffe aus der vorchristlichen Antike bereits mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgeführt.420 Außerdem gelangten ab der Jahrhundertmitte pagan-mythologische Sujets421 zur Aufführung sowie Stoffe aus der nachchristlichen antiken Historie, die sich nicht mehr heilsgeschichtlich deuten ließen.422 Einer bestimmten Anzahl an paganen Stoffen eröffnete sich die Jesuitenbühne also schon vor 1700. Ab dem Beginn des achtzehnten Jahrhunderts nahm ihre Häufigkeit jedoch zu, was freilich nicht bedeutet, dass es dadurch zu einer vollkommenen Ablöse traditioneller Sujets gekommen wäre. Eine kursorische Durchsicht der bei Valentin verzeichneten Aufführungen zeigt, dass biblische, hagiographische bzw. heilsgeschichtliche Stoffe weiterhin einen großen Teil ausmachen. Pohles Beobachtung, die von Szarota beschriebenen Exempla weltlich-antiker Staatsmänner seien „nicht ganz so bestimmend für die Spielpläne im Untersuchungsgebiet“,423 kann wohl dahingehend ergänzt werden, dass auch in den übrigen deutschsprachigen Provinzen diese Stücke die späten Spielpläne sind nicht so stark dominierten, wie Szarotas Aufstellung dies suggeriert, zumal gerade in stofflicher Hinsicht mit großen kollegspezifischen Unterschieden zu rechnen ist.424

 Valentin verzeichnet Tullia tragoedia [Lucius Tarquinius] (Regensburg 1667, Nr. 2151), Roma servata [Catilina] (Ingolstadt 1670, Nr. 2239), Tragica declamatio in C. Julio Caesare expressa (Graz 1675, Nr. 2422), Julius Caesar (Graz 1677, Nr. 2482), Brutus (Regensburg 1679, Nr. 2575), Hannibalis terrifica hostibus pueritia (Innsbruck 1685, Nr. 2771), Dei et Coriolani favor (Köln 1688, Nr. 2881), Pietas coronata in Philindo (Landsberg 1695, Nr. 3214) und Themistocles (Wien 1696, Nr. 3282).  Codrus (Graz 1632, Nr. 1103; Hildesheim 1678, Nr. 2522), Pylades et Orestes (Fulda 1680, Nr. 2597; Pruntrut 1695, Nr. 3234), Iphigenia (Linz 1680, Nr. 2605; Steyr 1697, Nr. 3323). Eine – allerdings weitgehend inhaltlich-deskriptive – Studie zum antiken Mythos auf der Jesuitenbühne bietet Janning 2008.  Seianus (Würzburg 1646, Nr. 1451), Caracalla (Konstanz 1673, Nr. 2345; Landsberg 1680, Nr. 2603; Neuss 1682, Nr. 2687; Aachen 1687, Nr. 2832).  Pohle 2010, S. 260.  So sind beispielsweise in Innsbruck nach 1724 keine sakralgeschichtlichen Stoffe mehr dokumentiert, während sich im nahen Hall in Tirol das weltliche Paradigma kaum durchsetzte, vgl. Tilg 2011, S. 140; 147. Szarota 1980, Bd. 2,2, S. 2277 beobachtet eine „Vorliebe des Linzer Jesuitenkollegs für den griechischen Mythos“.

4.2 Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741)

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Dass diese Stoffe nun einen gewissen Erfolg verbuchten und bis 1760 anteilsmäßig zunahmen, ist jedoch unbestritten. Dafür lassen sich mehrere Gründe annehmen. Erstens wurde die Darstellung konfessionell besetzter Themen nun von manchen wohl nicht mehr als zeitgemäß empfunden. Zwar wurde weiterhin polemisiert, Stücke mit konfessionellen Anliegen finden sich bis in die letzten Jahre vor der Aufhebung des Ordens. Das Interesse des Publikums an derartigen Konflikten dürfte jedoch zurückgegangen sein.425 In der Folge wurden auch Theaterfunktionen wie Panegyrik und Fürstenspiegel wieder von konfessionellen Diskursen gelöst, und Exempla nicht-religiöser, realpolitischer Tugenden fanden sich in der vorchristlichen Geschichte zuhauf. Es ist nicht verwunderlich, dass pagane Helden zunächst auf der Wiener Bühne Erfolg hatten, wo sie in den Dienst der Habsburgpanegyrik traten;426 dafür eigneten sich Helden wie Scipio Africanus auch deshalb gut, weil die Habsburger sie zu ihren mythologischen Vorfahren zählten.427 Zweitens bot in der Zeit der Aufklärung die Thematisierung von staatsmännischem, auf das Wohl der Allgemeinheit abzielendem Handeln für die Jesuitenschulen eine gute Möglichkeit, die Vereinbarkeit ihrer Bildungsarbeit mit den Zielen des Staates zu demonstrieren. Antike Helden ließen sich als ideale Projektionsflächen pädagogischer Themen in den Dienst jesuitischer Menschenbildung nehmen. Eine dritte Ursache dürfte die Anpassung des jesuitischen Lehrplans an pragmatische Forderungen sein:428 Nachdem historische eruditio lange Zeit nur insoweit vermittelt worden war, als sie zum Verständnis der gelesenen Texte notwendig war, griff ab dem späten siebzehnten Jahrhundert die Erkenntnis Raum, dass das Fach Geschichte stärker im Bildungskanon verankert werden müsse. Ein einflussreicher Verfechter dieser Position war Joseph de Jouvancy, der in seiner Ratio discendi et docendi die Ansicht vertrat, turpe est ignorare quid gestum sit, antequam natus esses. („Es ist schändlich, über die Zeit vor deiner Geburt nicht Bescheid zu wissen.“)429 In der oberdeutschen Provinz begann man in der Folge damit, dreimal wöchentlich eine halbe Stunde lang biblische Geschichte zu lehren.430 Zur Einführung eines regulären Schulfaches

 Vgl. Duhr 1921, Bd. 3, S. 469.  Wimmer 1986, S. 1115 spricht mit Blick auf die Habsburgpropaganda schon für das späte 17. Jahrhundert von einer „Säkularisierung“ des Jesuitendramas.  Vgl. dazu Tanner 1993.  Schon im frühen 17. Jahrhundert war in Bayern von Seiten der juristischen Fakultät und der Regierung stärkeres Augenmerk auf Geschichtsvermittlung im Bildungssystem gefordert worden. Seifert 1984, S. 50–51.  Jouvancy 1725, S. 87–88. Vgl. Brader 1910, S. 734.  Duhr 1928, Bd. 4,2, S. 9.

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kam es 1727, von diesem Jahr an wurden nach und nach die sechs Bände des historischen Leitfadens Rudimenta historica des Ordensbruders Maximilian Dufrène als Unterrichtsgrundlage für die sechs Schulstufen in Verwendung genommen.431 1728 zog die österreichische Provinz nach, wo auf das ebenfalls sechsbändige Lehrwerk von Franz Wagner zurückgegriffen wurde.432 Im didaktischen Handbuch von Franz Xaver Kropf (1736) wurde dem Geschichtsunterricht bereits eine ausführliche Besprechung zuteil.433 Diese Umbrüche im Bildungskanon erfolgten in den Jahren, als Claus als Dramatiker und Chorag aktiv war. Dass sie sich im Schuldrama niederschlugen, ist anzunehmen. Die Inhalte des Geschichtsunterrichts auf die Bühne zu bringen, bot sich nunmehr an. Formale und inhaltliche Lernziele konnten so gemeinsam bedient werden. Es greift aber zu kurz, Claus’ Stoffwahl vorrangig als Reflex auf bildungspolitische Entscheidungen zu sehen. Als der Geschichtsunterricht systematisch eingeführt wurde, hatte er mit Scipio und Stilico ja bereits zwei Schuldramen weltlichen Zuschnitts zur Aufführung gebracht. Persönliche Präferenzen dürften dafür ein wichtiges Motiv gewesen sein. Als Autor, der sich selbst in der Tradition Corneilles sah, war es für ihn naheliegend, derartige Stoffe zu bearbeiten. Es scheint jedoch plausibel, dass die vorgestellten Entwicklungen es Claus erleichterten, persönliche Vorlieben umzusetzen. Diese persönliche Komponente verweist auf eine weitere, gewichtige Ursache für den Erfolg dieser Stoffe. Historiendramen entsprachen dem Geschmack der Zeitgenossen. Im Sprech- und Musiktheater der europäischen Literaturen bildeten antike Heldensujets seit vielen Jahrzehnten ein fruchtbares Stoffrepertoire.434 Durch das Herausarbeiten pädagogischer Botschaften war es möglich geworden, diese Stoffe auch im Schultheater mit Gewinn vorzuführen. Die Schuldramatiker konnten auf diese Weise den Anspruch stellen, Theater auf der Höhe der Zeit zu bieten. Von späteren Ordensdramatikern wurde Claus gerade aufgrund seiner Stoffwahl geschätzt. Ignaz Weitenauer hielt die Verortung eines Stücks in der historischen Wirklichkeit für eine besondere Qualität des Dramas. Die Tragoediae führte er als Musterbeispiele für eine derartige Dramenproduktion an.435

 Dufrène 1727–1730. Den sechs Bänden ging ein methodologisch angelegter Einführungsband (1727) voraus. Vgl. Duhr 1928, Bd. 4,2, S. 10–11; Pachtler 1894, Bd. 4, S. 111–117.  Wagner 1729–1732. Die ältesten Exemplare des ersten Bandes, die mir zugänglich waren, sind als editio secunda ausgewiesen; wann die Erstausgabe erschien, ist ungeklärt. Zu Wagner siehe Brader 1910, S. 735; Steiner 2008, S. 191.  Brader 1910, S. 735.  Vgl. Niefanger 2005. Zum Geschichtsdrama im 18. Jahrhundert vgl. auch Sander 2013.  Weitenauer 1958, S. 7.

4.2 Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741)

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Auch die wertschätzende Erwähnung von Scipio und Themistocles in Franz Neumayrs Idea poeseos lässt sich als Zustimmung zu einem weltlichen Jesuitendrama deuten.436 Von anderen Jesuitendramatikern war die Wahl weltlicher Stoffe hingegen stärker problematisiert worden. Jouvancy und Le Jay hatten dagegen Einwände erhoben.437 Andreas Friz diskutierte zu Beginn seiner in den frühen 1740er Jahren entstandenen Epistola de tragaediis ausführlich, ob geistliche oder weltliche Stoffe zu bevorzugen seien. Er gab ersteren der Vorzug, ließ aber auch zweitere gelten, sofern sie zu einem tugendhaften Leben erziehen.438 Themen Aufgrund von Claus’ stofflichen Entscheidungen sind auch die pädagogischen Themen, die in den Tragoediae vorgeführt werden, großteils diesseitig. Vorgeführt werden insbesondere Ideale des gesellschaftlichen Miteinanders. Ein Thema, das in allen vier Stücken zur Geltung kommt, ist ‚Familie‘. Dem Sozialkodex des Ordens entsprechendes Verhalten innerhalb der Familie wird propagiert, indem vorbildliche bzw. abzulehnende familiäre Rollenbilder vorgeführt werden. Der Schwerpunkt liegt auf Beziehungen zwischen Vätern und ihren Kindern. In Stilico steht das Vater-Sohn-Verhältnis im Mittelpunkt. In den Augen des modernen Lesers mögen sich Aspekten wie Hinterlist, Verschlagenheit, Verrat an einem Wohltäter zwar sinnvollere moralische Aussagen zugrunde legen lassen als der Beziehung zwischen Stilico und Eucherius. Aufgrund der paratextuellen Informationen, die die Periochen liefern, ist aber auch die Warnung vor „unbesonnener Liebe“ der Eltern zu ihren Kindern als pädagogisches Thema ernst zu nehmen. Stilico macht sich schuldig, weil er seinen Sohn in eine gesellschaftliche Spitzenposition heben will – nicht nur diesem zuliebe, sondern auch zur Befriedigung seines eigenen familiären Ehrgeizes. Daraus resultiert ein weiteres Versagen der Figur in ihrer familiären Rolle: Ein Putschversuch würde zugleich einen Aufstand gegen den eigenen Schwiegersohn bedeuten, der Staatsstreich zur Ermordung des Ehegatten seiner Tochter führen. In der Figur des Sohnes ist dem Titelhelden ein positives Rollenbild diametral gegenübergestellt. Eucherius stellt persönliches Glück dem Wohlergehen der anderen hintan. Die Zwangslage, in die er gerät, folgt daraus, dass er sowohl den Vater als auch den Kaiser retten möchte: Einerseits lehnt er den Plan des Intriganten ab, andererseits kann er aus Loyalität gegenüber dem

 Neumayr 1751, S. 173–174.  Jouvancy 1725, S. 74, siehe hier Anm. 186.  Tjoelker 2014, S. 78–80.

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4 Werk

Vater keine Anklage vorbringen. Eucherius ist sowohl ein vorbildlicher Untertan als auch ein vorbildlicher Sohn. In der Figur treffen sich politische Tugend und Gehorsam – zwei Prinzipien, die in der jesuitischen Erziehung im Vordergrund standen. Ähnlich problematisch ist die Vaterrolle in Protasius. Auch hier tritt ein Vater auf, der ein Unrecht begeht, um der Familie soziales Prestige und Macht zu sichern. Dem Putsch, den der Sohn schließlich gegen seinen Vater durchführt, liegt ein psychologisches Muster zugrunde, das auf der Jesuitenbühne wiederholt thematisiert worden ist: Die Übertragung der Sündhaftigkeit des Vaters auf den Sohn.439 Auch in diesem Stück werden abseits problematisierter und als verwerflich kenntlich gemachter Verhaltensweisen positive Rollenbilder vorgeführt. Neben der Stilisierung Justas zur idealen christlichen Ehefrau (vor allem in 5,6 und 5,7) wird eine gelungene Vater-Sohn-Beziehung vorgeführt, und zwar anhand des Verhältnisses zwischen Protasius und seinen beiden jüngeren Söhnen Franciscus und Matthäus. Zunächst wird die bedingungslose Vaterliebe und Opferbereitschaft der Söhne hervorgehoben, am Ende des 4. Akts steht sogar die Möglichkeit eines bürgerlichen Idylls im Exil im Raum. Da Protasius seine Schuld zu diesem Zeitpunkt weder eingesehen noch gesühnt hat, muss dieses Lösungsangebot jedoch ins Leere laufen. In 5,14 wird die Familie sogar zur idealtypischen familia Christiana stilisiert: Vater und Mutter trösten die Kinder, indem sie ihnen die Parabel von Protasius’ Wanderschaft und Sieg im Jenseits erzählen. Die Vermittlung eines Erziehungsideals, demzufolge die Eltern ihre Kinder in die christliche Heilslehre einführen und diese zugleich tröstlich wirkt, ist sicherlich intendiert. In Themistocles steht das Thema ‚Familie‘ im Zeichen der vernünftigen Vaterliebe. Sowohl seinem Sohn Cleophantus als auch seiner Tochter Asietta gegenüber verhält sich Themistokles zugleich als Lehrmeister der Tugend und als einfühlsamer Vater. Deutlich wird diese Doppelfunktion zumal in der 4. Szene des 3. Akts, als er die kampfeswillige Asietta in die Schranken weist. Seine Drohung, die Tochter zu verstoßen, ist typisch für die strengen, oftmals

 Vgl. z. B. die Dramen um Clotarius und Chramnus aus Eichstätt 1669 (Valentin, Nr. 2201), Landsberg 1682 (Nr. 2679), Neuburg 1706 (Nr. 3678), Ingolstadt 1733 (Nr. 4916). Der Plot ist – wie die ihm zugrundeliegende historische Episode aus der Merowingerzeit – äußerst brutal: König Clotarius, der selbst aus Machthunger seinen Bruder und zwei seiner Söhne umgebracht hat, rügt seinen Sohn Chramnus für dessen tyrannische Statthalterschaft, woraufhin dieser ihm nach dem Leben trachtet. Der Staatsstreich misslingt, Chramnus wird zwar begnadigt, plant jedoch einen weiteren Mordversuch und – als dieser ebenfalls misslingt – eine Feldschlacht gegen seinen Vater. Er unterliegt und wird mit seinen Kindern lebendig verbrannt.

4.2 Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741)

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grausam konsequenten Erziehungsmethoden, die die Jesuiten auf ihren Bühnen zur Darstellung brachten. Mit der Gestaltung von Vater-Kind-Beziehungen folgte Claus einem Trend der späten Jesuitenbühne. Szarota identifizierte in ihrer Aufstellung „Erziehungsprobleme“ und „Ehefragen“ 440 schon für die Periode von 1674 bis zum Anfang des achtzehnten Jahrhunderts als neue Paradigmen. Sie ortete angesichts dieser Themen, die traditionelle Motive wie den „großen Büßer“ verdrängten, sogar „eine Art literarischer Revolution“ 441 und begriff diese Tendenzen als Indizien für ein „bürgerliches Trauerspiel“ auf der Ordensbühne. Das ist allzu kategoriell gedacht; in den Stücken treten keine Bürger auf, erst recht werden keine bürgerlichen Katastrophen auf die Bühne gebracht. Tatsache ist jedoch, dass mit Erziehungsfragen nunmehr Themen behandelt werden, die im bürgerlichen Trauerspiel ebenfalls von Bedeutung werden. Dass sich die jesuitischen patres, die sich bei ihrer schulischen Tätigkeit tagtäglich mit Erziehungsfragen konfrontiert sahen, für das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern interessierten, ist nachvollziehbar. Im Jesuitentheater des achtzehnten Jahrhunderts, das sich zusehends allgemein ethischer Themen annahm, musste das Thema Erziehung daher beinahe zwangsläufig aufgegriffen werden, zumal ihm im intellektuellen Diskurs der Aufklärung eine vorrangige Bedeutung zukam. Plausibel ist, dass konkrete Erfahrungen der Jesuiten mit den Eltern ihrer Schüler Anstoß gaben für die Wahl von Themen wie guter und falscher Elternliebe. Adressaten der öffentlichen Erziehungsdramen waren ebenso sehr die Eltern wie die Kinder. In den meisten jesuitischen Stücken, die sich mit Erziehungsproblemen befassen, tritt der Vater als gerechter Richter über das Fehlverhalten seines Kindes auf. Die Strafe, die in den Stücken für Gesetzesvergehen und Ungehorsam gegenüber elterlichen Weisungen vollzogen wird, ist fast immer drastisch. So etwa in den Joseramnus-Dramen, in denen ein flämischer Fürst seinen Sohn zum Tod verurteilen lässt, weil dieser eine arme Frau um einige Äpfel betrogen hat.442 In den Erkembaldus-Stücken wollen die Höflinge den übelgeratenen Stiefsohn des Königs begnadigen, woraufhin dieser selbst die (Todes-)Strafe an ihm vollzieht.443 Die Folgen von Ungehorsam werden etwa im Stesimbrotus-

 Szarota 1979, Bd. 1,1, S. 73.  Szarota 1979, Bd. 1,1, S. 73.  Landsberg 1686 (Valentin, Nr. 2814), Brig 1688 (Nr. 2876), Klagenfurt 1694 (Nr. 3161), Amberg 1702 (Nr. 3501), Ellwangen 1721 (Nr. 4250), Landshut 1723 (Nr. 4362), Neuburg 1753 (Nr. 6443).  Das älteste dieser Stücke, München 1690 (Valentin, Nr. 2991), stammt aus der Feder von Franz Lang. Gegen die jesuitischen Erziehungsideale, die eine so grausame Strenge vorsahen, regte sich schon zu dieser Zeit Widerstand. Lang verteidigte sich in seinen Epistolae ad amicos

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4 Werk

Stoff veranschaulicht: Der Thebaner Epaminondas lässt seinen Sohn Stesimbrotus, nachdem jener in der Schlacht gesiegt hat, wegen Insubordination zum Tod verurteilen.444 Eine ähnliche Fabel adaptieren die Stücke um den Römer Titus Manlius Torquatus.445 Nur in Ausnahmefällen zeigt sich der Vater so versöhnlich wie im Triumphus paterni amoris olim in Ludovico Mantuae duce spectatus (Amberg 1725; Valentin, Nr. 4438).446 Hier wird der sündhafte Sohn schlussendlich als Erbe eingesetzt. Eine andere Facette vorbildlichen elterlichen Verhaltens bieten die Leontares-Stücke: Der Vater geht gemeinsam mit seinem Sohn in den Tod, um letzteren vor dem Dienst beim türkischen Herrscher zu bewahren.447 Ab den neunziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts scheinen vermehrt Stücke gespielt worden zu sein, in denen zwei bis drei Söhne einander gegenübergestellt werden.448 In der Regel ist der ältere Sohn der missratene, der jüngere ein Vorbild. Dazu gehören die Stoffe um den Verleumder Garzias449 und den Apostaten in den Trebellius-Stücken.450 Eine weitere Gruppe von Erziehungsstücken behandelt die Folgen verfehlter Kindererziehung. Hier tritt der Vater auf, der seinem Sohn infolge inadäquaten Ehrgeizes Schaden zufügt (die Protasius-Stücke, Claus’ Stilico, die AsparStücke451); jener, der sich wie Clotarius nachlässiger, „sorgloser Kinder=Zucht“ et notos gegen diese Vorwürfe (Szarota 1983, Bd. 3,2, S. 2267). Weitere Aufführungen erfolgten in Mindelheim 1729 (Valentin, Nr. 4707), Ingolstadt 1752 (Nr. 6323), Konstanz 1759 (Nr. 6835).  Augsburg 1722 (Valentin, Nr. 4288), Pruntrut 1735 (Nr. 5060), Pruntrut 1757 (Nr. 6744), Regensburg 1759 (Nr. 6883).  München 1717 (Valentin, Nr. 4103), Luzern 1718 (Nr. 4141), Linz 1719 (Nr. 4182), Freiburg i. Ü. 1727 (Nr. 4570), Wien 1733 (Nr. 4945), Freiburg i. Ü. 1744 (Nr. 5669), Augsburg 1746 (Nr. 5777), Hall 1750 (Nr. 6144), München 1752 (Nr. 6349), Sitten 1753 (Nr. 6452), Amberg 1754 (Nr. 6465), Freiburg i. Ü. 1760 (Nr. 6917), Straubing 1770 (Nr. 7528), Eichstätt 1771 (Nr. 7545).  Aufgeführt auch in Rottenburg 1727 (Valentin, Nr. 4611).  Amberg 1689 (Valentin, Nr. 2917), Mindelheim 1695 (Nr. 3217), Hall 1696 (Nr. 3257), Brig 1735 (Nr. 5017), Straubing 1741 (Nr. 5499), Augsburg 1742 (Nr. 5510), Pruntrut 1745 (Nr. 5759), Konstanz 1747 (Nr. 5891), Kaufbeuren 1749 (Nr. 6072), Regensburg 1751 (Nr. 6267), Freiburg i. Br. 1752 (Nr. 6313), Neuburg 1755 (Nr. 6607).  Szarota 1983, Bd. 3,2, S. 2254.  Das Jesuitentheater kennt verschiedene Garzias. Hier handelt es sich um den Sohn von Sanctius I. und Elvira. Aufführungen des Stoffes erfolgten laut Valentin in: Innsbruck 1692 (Nr. 3062), Düren 1761 (Nr. 6977), Trier 1768 (Nr. 7435).  Aachen 1644 (Valentin, Nr. 1359), Wien 1651 (Nr. 1621), Hildesheim 1681 (Nr. 2632), Burghausen 1696 (Nr. 3246), Hall 1698 (Nr. 3340), Neuburg 1698 (Nr. 3358), Wien 1714 (Nr. 3989), Innsbruck 1726 (Nr. 4518), Ellwangen 1728 (Nr. 4628), Bamberg 1737 (Nr. 5142), Jülich 1739 (Nr. 5317), Kaufbeuren 1740 (Nr. 5389), Landsberg 1740 (Nr. 5392), Eichstätt 1741 (Nr. 5444), Brig 1742 (Nr. 5513), Neuburg 1743 (Nr. 5615), Pruntrut 1744 (Nr. 5686), Luzern 1745 (Nr. 5743), Ellwangen 1752 (Nr. 6306), Augsburg 1763 (Nr. 7120), München 1768 (Nr. 7419).  Die Aspar-Stücke, aufgeführt in Solothurn 1764 (Valentin, Nr. 7234) und Neuburg 1772 (Nr. 7606), sind Wiederaufnahmen von Claus’ Stilico mit anderem Personal. Auch hier versucht

4.2 Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741)

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schuldig macht;452 und schließlich jener, der aufgrund zu nachsichtiger Erziehung die moralische Verwahrlosung seiner Kinder verschuldet. Letzteres ist in nuce in den Heli-Dramen umgesetzt: Die Söhne des Hohepriesters Heli entweihen den Tempel mit „unmenschlichen Lasteren“, „welches zwar alles Heli sehr wohl wuste / doch auß unmässiger Liebe gegen den Söhnen nit anderst abstraffete / als mit etlich linden Worten / da er sie vilmehr hätte von Priesterlicher Würde verstossen / oder auch mit grösseren Straffen züchtigen sollen.“ 453 Im Jülicher Tyrsus von 1718 (Valentin, Nr. 4132) geht die Verwilderung der Kinder sogar so weit, dass sie den Vater meuchlings töten. Auch in den Exercitationes theatrales von 1755 findet sich mit Poena neglectae educationis ein Drama zu diesem Thema.454 Seltener findet sich die Vorstellung des ungerechten Vaters wie im Luzerner Alexander et Aristobulus von 1701.455 Im Kontext der Familie lässt sich auch das Thema ‚Ehe‘ als übergreifendes pädagogisches Anliegen der Tragoediae identifizieren. Jesuitische Eheideale sollten an die Knaben des Gymnasiums und an das Publikum weitergegeben werden. Dies erfolgt vorwiegend ex negativo; mit wenigen Ausnahmen sind die vorgeführten Beziehungskonstellationen als abzulehnend markiert. Besonders negativ bewertet ist das Konzept der Liebesehe. In Scipio dominiert die Warnung vor den Gefahren der Verliebtheit den Aussagegehalt des Stückes, was mit der Ablehnung der Liebesheirat unmittelbar einhergeht. Nicht von ungefähr gerät der Protagonist in Gefahr, als er mit dem Gedanken spielt, seine Schwärmerei in einem Eheverhältnis gesellschaftlich zu legitimieren. Negativ muss auch Eucherius’ Liebe zu Placidia in Stilico gesehen werden. Selbstverständlich als Sakrileg gekennzeichnet ist die Scheidung von Protasius’ Sohn Michael samt anschließender Wiederverheiratung. Hier greifen

der Titelheld seinen Sohn in eine Machtposition zu hieven, verspielt aber die Gunst, in der er beim Kaiser steht – wie Stilico ist Aspar aufgrund einer Ehe an das Kaiserhaus gebunden –, durch ein geheimes Bündnis mit dem Feind – hier handelt es sich um die Vandalen. Man kann annehmen, dass der Autor Stilico gekannt hat.  Vgl. hier Anm. 439. Das Zitat stammt der Landsberger Perioche, vgl. Szarota 1983, Bd. 3,2, S. 1565.  Szarota 1983, Bd. 3,2, 1574. Der Stoff taucht schon 1621 in Augsburg erstmals auf der Jesuitenbühne auf (Valentin, Nr. 851). Der Großteil der bei Valentin verzeichneten Aufführungen datiert aus dem 17. Jahrhundert: Amberg 1625 (Nr. 931), Osnabrück 1630 (Nr. 1067), Hildesheim 1644 (Nr. 1372), Paderborn 1650 (Nr. 1568), Siegen 1661 (Nr. 1963), Freiburg I.Br. 1691 (Nr. 3014), Brig 1693 (Nr. 3092), Burghausen 1699 (Nr. 3373), Bamberg 1726 (Nr. 4500).  Zum Stück, das 1754 in Dillingen aufgeführt (Valentin, Nr. 6480) und möglicherweise 1762 ebendort wiederholt wurde, vgl. hier S. 247.  Innocentia paterna crudelitate oppressa Das ist Alexander und Aristobulus durch vätterliche Grausamkeit undertrucket (Valentin, Nr. 3483). Der Stoff wurde 1712 auch in Innsbruck aufgeführt (Valentin, Nr. 3898).

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zwei inakzeptable Unternehmungen ineinander: Auf die Annullierung einer rechtmäßigen Verbindung folgt die Heirat mit einer Ungläubigen. Pädagogisch wertvoll war zumal Ersteres nur in begrenztem Ausmaß. Die negative Darstellung der Ehescheidung hatte in den katholischen Gebieten in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts als pädagogische Instruktion geringen Einfluss, da die als unauflöslich definierte Ehe in der Praxis so gut wie nie annulliert wurde. Das kanonische Eherecht, das im Tridentinum bestätigt wurde und für die folgenden Jahrhunderte prägend wirkte, ging von der prinzipiellen Unauflösbarkeit der Ehe aus.456 Nur schwere Verfehlungen eines Ehepartners konnten für eine Enthebung a thoro et mensa geltend gemacht werden, was räumliche Trennung der Gatten, formal jedoch den Fortbestand der Ehe bedeutete. Verse wie die folgenden lassen sich jedoch als Aufruf zur ehelichen Treue deuten: Protasius, 1,3 Sit vel Deorum neptis, est pellex tamen, quaecunque viva conjuge priore occupat thorum mariti. Und sei sie auch die Nichte der Götter, trotzdem bleibt eine Buhlerin, wer das Bett eines Ehemanns in Beschlag nimmt, dessen frühere Frau noch am Leben ist.

Sehr wohl den Gegebenheiten der Zeit entsprachen interkonfessionelle Ehen, zumal in Gebieten, die sowohl von Katholiken als auch von Protestanten besiedelt waren.457 Die Beurteilung solcher Mischehen im Katholizismus ist ambivalent. Zwar wird eine Verbindung mit einem bzw. einer Ungläubigen weder in der Bibel noch von den Kirchenvätern beanstandet, der Heilige Stuhl hielt aber lange daran fest, Mischehen als normwidrig zu statuieren.458 Es ist davon auszugehen, dass Claus in dieser Frage die Haltung der Kirche übernahm. Michaels Hochzeit mit Fiuma ist auch deshalb negativ zu werten, weil es sich bei der Braut um eine Heidin handelt. Wenn diesen Exempla moralischen Fehlverhaltens in den Tragoediae positive Ehekonzepte gegenübergestellt sind, so erfolgt dies fast immer über weibliche Figuren. Dazu werden Tugenden der weiblichen Figuren hervorgehoben, die sich den jesuitischen Gesellschaftsvorstellungen entsprechend freilich überwiegend in passiv-unterordnendem Verhalten erschöpfen: Justa verkörpert in Protasius das Ideal der tiefgläubigen, unterwürfigen Ehefrau, die ihren

 Can. 1056, Blasius 1987, S. 23.  Für das frühe 19. Jahrhundert vgl. Zum Bach 1820. Für die protestantische Perspektive vgl. Ammon 1839.  Ammon 1839, S. 139.

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Mann unaufdringlich auf den rechten Weg zurückführt; in Scipio besteht Eucharis darauf, entgegen den Wünschen des Protagonisten den von ihrem Vater ausgewählten Bräutigam heiraten zu dürfen; Thermantia, in Stilico die Gemahlin von Honorius, ist eine untertänige, sittenstrenge Hofdame. Asietta ist in Themistocles dem persischen Thronfolger Astyages treu geblieben, obwohl sie schon seit langer Zeit annehmen musste, dass er nicht mehr am Leben ist. Dass Ehetugenden mehrheitlich von Frauen repräsentiert werden, hängt mit dem Verbot weiblicher Figuren auf der Jesuitenbühne zusammen.459 Indem ideale, unanstößige weibliche Rollenbilder transportiert wurden, ließ sich das Verbot bis zu einem gewissen Grad umgehen. Der Typus der idealen Ehefrau war aus diesem Grund neben der Märtyrerin die am weitesten verbreitete Frauenrolle auf der Jesuitenbühne. Ein Stoff, in dem die christliche Ehefrau als Bewahrerin der Tugend und zugleich Retterin des Ehegatten gefeiert wird, ist der erfolgreiche Plot um Bertulfus und Ansberta, der auf eine Erzählung in Jakob Bidermanns Acroamata zurückgeht.460 Die Frau erscheint hier als mutige, kluge Partnerin, die für das Wohl ihres Gatten jegliche Gefahr in Kauf nimmt. Ebenfalls ein rekurrenter Typus der letzten hundert Jahre der Jesuitenbühne ist die keusche Ehefrau, die zu Unrecht der Untreue verdächtigt wird; häufig tritt sie in einer Umkehrung des PotipharMotivs auf. Beispiele dafür sind etwa Genoveva von Brabant oder Gundeberga.461 Ein weiterer Rollentypus, der in mehreren von Claus’ Stücken gestaltet ist, ist der des Ehrgeizigen. Zumeist tritt er in Form des nach Macht strebenden Fürsten auf. Der Themenkomplex korreliert eng mit dem Rollenbild des Vaters. Es sind, wie bereits vorgeführt, die Väter Stilico und Protasius, an denen Ehrgeiz bzw. Herrschsucht als negative Charaktereigenschaften exemplifiziert werden. Auf der Perioche der Aachener Stilico-Aufführung von 1748 wird dies in der Mahnung deutlich gemacht, „daß, wo Kinder-Lieb und Ehrgeitz zusammen treffen, der Untergang nicht weit entfernt sey.“ 462  Siehe hier S. 154.  Als der Reichsfürst Bertulfus auf einer Reise ins Heilige Land von einem osmanischen Fürsten gefangen genommen wird, reist seine Gattin Ansberta hinterher, gibt sich als Geigenspieler aus und erlangt damit die Gunst des Fürsten. Zum Dank für ihre Darbietung erhält sie Bertulfus als Sklaven zugesprochen, der sie nach ihrer Rückkehr zunächst für eine Betrügerin hält, schließlich jedoch ihre Leistung anerkennt. Bidermann 1642, S. 209–238. Valentin dokumentiert von 1652 bis 1759 17 Aufführungen des Stoffes. Auch in benediktinischem Kontext ist der Stoff nachgewiesen. Siehe Oberst 2000, S. 18.  Valentin verzeichnet von 1662 bis 1733 13 Genoveva-Aufführungen, Gundeberga ist von 1708 bis 1727 drei Mal belegt.  Die Perioche befindet sich im Archiv des Beethoven-Gymnasiums Bonn, ABG 15, Historisches, Ordner Periochen.

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In Stilico sind die negativen Auswirkungen von Ehrgeiz besonders plastisch dargestellt. Die vom Titelhelden gesetzten verwerflichen Handlungen sind Folgen eines als verderbt verstandenen Wertekatalogs, dem die Figur verpflichtet ist. Das darf bei einer Interpretation des Stücks nicht übersehen werden. Nicht erst der Verrat an seinen Mitmenschen, sondern bereits das Streben bzw. der Anspruch, seinem Sohn über das Maß des Erlaubten hinaus Vorteile zu verschaffen, machen Stilico zu einem Exempel verfehlter Lebensführung. Nur vor dem mentalitätsgeschichtlichen Hintergrund des Barockkatholizismus, der hinter individualistischen Bestrebungen unakzeptable Grenzüberschreitungen im Verhältnis des Menschen zu Gott sieht, wird auch für den modernen Rezipienten deutlich, woran die Figur in den Augen des Autors vorrangig krankt. Die Intrigen, die sie spinnt, müssen letztlich wohl ebensosehr als Konsequenz wie als Ausdruck ihrer Charakterschwäche ausgelegt werden. Ihre Geschäftigkeit wird als Hintertreibung des Kollektivs und damit als Verstoß gegen die göttliche Ordnung gewertet. Die Fixierung auf innerweltliche Ziele, wie sie die Figur vertritt, musste dem zeitgenössischen Katholiken bereits per se als Indiz für einen sündhaften Charakter gelten. Für die Gedankenwelt eines Jesuiten kann dieser Aspekt kaum überschätzt werden. Wenn persönliches Streben in den Augen des frühneuzeitlichen Christen generell problematisch ist, so trifft dies in besonderer Weise auf die Mitglieder des Jesuitenordens zu. Das Ideal des vorbehaltslosen Dienens prägte Spiritualität und Pädagogik des Ordens. Einzig für das große Ganze, d. h. den Erhalt und die Expansion der alten Religion und das Wohl des Ordens, sollte der Einzelne seine Kräfte einsetzen. Die Durchsetzung dieser Ideologie war nur möglich, wenn hierarchische Strukturen dafür sorgten, dass der Einzelne Gehorsam wahrte und persönliche Interessen untergraben wurden. „Reflexive Subjektivität, Freiheit der eigenen Stellungnahme, Überantwortung des Einzelnen an Gesinnung und Gegenseitigkeit, an Selbstentscheidung und Gesellschaft“ 463 wurden ausgeschaltet. In einem solchen System musste ehrgeiziges Verhalten, das nicht auf das Wohl der Allgemeinheit abzielte, zwangsläufig als Gefahr gelten. Es ist daher nachvollziehbar, wenn die Jesuiten das Motiv des Strebens nach weltlicher Macht in ihren Theaterstücken häufig in pädagogischer Absicht thematisierten. In den Tragoediae sollten, wie bereits erwähnt, vor allem die Exempla von Stilico und Protasius abschreckend wirken und die Gefahren dieser Haltung illustrieren. Das Motiv beschränkt sich jedoch nicht auf diese beiden Figuren. In Themistocles strebt Artaxerxes danach, Griechenland zu un-

 Ballauf 1970, S. 88.

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terwerfen und damit Rache für die Niederlage seines Vaters zu nehmen. In Protasius ist Machtstreben nicht nur für den Titelhelden, sondern auch für dessen Sohn Michael charakteristisch. Auch in Perax, dem Quertreiber in Scipio, ist der Typus des Ehrgeizigen gestaltet, hier allerdings ohne politischen Anspruch. Insgesamt fällt auf, dass mit Ausnahme von Michael keine dieser Figuren reüssiert.464 Die Pläne, die sie sich zurechtlegen, werden in der Regel von Instanzen zunichtegemacht, die aus der Perspektive des Rezipienten eine gerechte Ordnung repräsentieren. Nicht zuletzt daraus wird deutlich, in welche Richtung die Rezeption gelenkt werden soll. Der Ehrgeiz der Figuren soll als unangemessene Überhöhung des Selbst begriffen werden – auch dort, wo wie im Fall von Artaxerxes ein Ziel aus der Perspektive der Figur vertretbar scheint. Im zeitlichen Umfeld von Claus haben sich auch zahlreiche andere Autoren dieses Themas angenommen. Szarota hat neben Familienangelegenheiten den Typus des Ehrgeizigen explizit als Charakteristikum des Jesuitendramas des späten siebzehnten Jahrhunderts ausgemacht.465 Wie in den Claus-Dramen geht es in den Textgruppen, die sie dafür als Beleg anführt, vorwiegend um politisch Ehrgeizige. Den Typus hatte es allerdings bereits in älteren Perioden des Jesuitentheaters gegeben. Bis in die zweite Hälfe des siebzehnten Jahrhunderts wurden zur Illustration üblen Machtstrebens noch vorwiegend biblische Exempla nutzbar gemacht. Darunter fallen die zahlreichen Dramen, in denen die Geschichte der David-Söhne Absalon und Adonia umgesetzt sind.466 Schon früh taucht der Ehrgeizige, der an seinem Machtstreben zu Grunde geht, in der Figur des Seianus, eines mächtigen, schließlich aber zum Tode verurteilten Prätorianerpräfekten aus tiberianischer Zeit, auf der Jesuitenbühne auf.467 Im Feldkircher Kenelmus puer von 1661 (Valentin, Nr. 1943) setzt die machthungrige Schwester des Königs einen Mörder auf den jungen Thronfolger an, der ihr zur Obsorge anvertraut ist.468 Auch die bereits genannten Clotarius-Chramnus-

 Aus dramaturgischen Motiven war es unmöglich, auch die Bestrafung Michaels auf die Bühne zu bringen. Das Scheitern Michaels als König, das die historischen Quellen überliefern, ließ sich in die Dramenhandlung nicht eingliedern, ohne die aristotelischen Einheiten vollends auszuhebeln.  Szarota 1979, Bd. 1,1, S. 78.  Der Absalom-Stoff ist einer der fruchtbarsten und langlebigsten des Jesuitentheaters. Valentin verzeichnet von 1571 bis 1755 53 Periochen. Adonia ist zwischen 1669 und 1750 acht Mal belegt.  Würzburg 1646 (Valentin, Nr. 1451), Neuss 1693 (Nr. 3123), Landshut 1697 (Nr. 3308), Pruntrut 1704 (Nr. 3606).  Der Stoff (das Stück?) wurde auch 1662 in Konstanz (Valentin, Nr. 1974) und Brig (Nr. 2196) aufgeführt.

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Stücke gehören in die Rubrik der Ehrgeiz-Dramen.469 Ab dem späten siebzehnten Jahrhundert werden bürgerliche Formen des Ehrgeizes häufiger: In der Ingolstädter Ambitio castigata von 1697 (Valentin, Nr. 3302) gibt sich ein Müller für den verstorbenen Fürsten aus, der gleiche Stoff kam 1739 in Landsberg auf die Bühne.470 Ähnlich gelagert ist das Ingolstädter Stück über einen hochmütigen Schuster von 1740.471 Eine andere Ausprägung des Ehrgeizigen begegnet im ambitionierten, habgierigen Seefahrer.472 An politischen Stücken kam im achtzehnten Jahrhundert der Stoff um den König von Ormuz hinzu,473 der seinen greisen Eltern und neun Brüdern zunächst die Augen ausstechen und sie anschließend verbrennen lässt, ehe ihn die gerechte Rache ereilt. In unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Claus’ Stilico aufgeführt wurden Impietas Caroli filii in parentem Philippum II. Hispaniarum regem castigata (Luzern 1722; Valentin, Nr. 4313) – zugleich ein Beispiel für missglückte Kindererziehung – und Brossius fortunae ludibrium (Konstanz 1724; Valentin, Nr. 4390). Zumal Brossius ist mit Claus’ erstem Drama eng verwandt. Auch hier geht es um einen zu Ansehen gekommenen Höfling, der sich mit korrupten Machenschaften zu erhöhen sucht, letztlich jedoch zu Fall kommt. 1735, ein Jahr nach der Aufführung von Claus’ Protasius, wurde in Augsburg Cussero tragoedia (Valentin, Nr. 5014) gegeben. Erneut sind die Parallelen offensichtlich: Der Erstgeborene ist ein rebellis filius, der versucht, den Vater frühzeitig vom Thron zu stoßen.474 Wie in Claus’ Tragoediae wird also in vielen dieser Stücke das Thema Ehrgeiz mit Vater-Kind-Konflikten in Zusammenhang gebracht. Ambitio und impie-

 Vgl. hier Anm. 439.  Ambitio castigata in molitore principe, Landshut 1739 (Valentin, Nr. 5321).  Sutor ne ultra crepidam oder Ein jeder bleib bey seinem Handwerk, Ingolstadt 1740 (Valentin, Nr. 5382).  Darunter fallen Stücke um den Portugiesen Emmanuel Sosa in der Nachfolge von Avancinis Ambitio sive Sosa naufragus, Wien 1643 (Valentin, Nr. 1354).  Der Stoff, als dessen Quelle François de Belleforest angegeben wird, findet sich unter verschiedenen Bezeichnungen: Ambitio in Ceadvalla rege Armuziae olim punita, Landshut 1770 (Valentin, Nr. 3437), Ambitio parricidalis castigata in Soldano, Regensburg 1719 (Nr. 4191), Ambitio punita in Phraarte Armuziae principe, Ingolstadt 1720 (Nr. 4215), Leodvalla Ormuziae rex tragoedia, Hall 1759 (Nr. 6848); auch die Ursazanes-Dramen dürften auf dem gleichen Stoff basieren: Landshut 1695 (Nr. 3215), Eichstätt 1752 (Nr. 6302), Text in der Bayerischen Staatsbibliothek, Sig. 11548725 Clm 27713.  Das Thema hält sich auch in den letzten Jahrzehnten vor der Ordensauflösung noch auf der Bühne. Vgl. z. B. das 1750 in Feldkirch aufgeführte Stück Amoris de Ambitione Triumphus (Valentin, Nr. 6135), in dem der Sohn dem vom Pferd gefallenen Vater Hilfestellung verweigert und sich dessen Krone aufsetzt. Valentin verzeichnet aus dieser Zeit eine Reihe weiterer Ambitio-Stücke, ich konnte jedoch die Periochen nicht einsehen.

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tas stehen in einem Naheverhältnis, die Fehlhaltung des Ehrgeizigen wird veranschaulicht, indem sie an ein offensichtliches Verbrechen geknüpft wird. Neben dem Ehrgeizigen als negativ bewertetem Typus des politisch Tätigen finden sich in den Tragoediae zwei positive Spielarten des homo politicus: zum einen der vaterlandsliebende Staatsbürger; zum anderen der Herrscher, der sich durch Milde und Menschlichkeit auszeichnet. Ersterer wird in Scipio und Themistocles vorgeführt. In beiden Stücken kumuliert das dramatische Geschehen im Aufzeigen idealer staatsbürgerlicher Verhaltensweisen, im letzten Akt wird jeweils ein civis optimus (Themistocles, 5,9) gefeiert. Themistokles bannt durch seinen als Akt der Versöhnung inszenierten Selbstmord die Kriegsgefahr für seine Heimat – Claus brachte damit eine Variation des vaterländischen Heldentodes auf die Bühne. Das Grundanliegen des Stücks war auf der Perioche ausdrücklich formuliert, Claus warb für die Aufführung 1733 in Innsbruck mit dem Untertitel Liebe deß Vatterlands. Bei der Aufführung trat in den Zwischenspielen der Amor patriae als allegorische Figur selbst auf und explizierte die Haltung der Hauptfigur. Im Drucktext von Themistocles ist der Aspekt der Vaterlandsliebe auch mit sprachlichen Mitteln herausgearbeitet. Allein in der letzten Szene des Stücks hat der Autor das Wort patria 15-mal verwendet, das Bemühen, patriotisches Pathos zu schaffen, ist offenkundig: Themistocles, 5,9 Hoc [sc. eversa tecta Graeciae] vetant Dii, pietasque patriae debita et pro hac victima occumbo laetus. Dies [die Zerstörung Griechenlands] verbieten die Götter und die Ehrfurcht, die ich dem Vaterland schuldig bin. Diesem zum Opfer sinke ich freudig hin. Themistocles, 5,9 Vive, conserva hoc caput amore patriae, quae suo demum sinu te stringit […] Lebe, bewahre dieses Haupt aus Liebe zum Vaterland, das dich endlich an seinen Busen drückt […]

In Scipio bannt der Titelheld durch seinen großmütigen Verzicht eine Gefahr für das Gemeinwesen und konsolidiert den Staat darüber hinaus durch das Anwerben von Bundesgenossen. Zugleich fungiert er als moralisches Vorbild und trägt als solches dazu bei, die Ordnung im Staat zu stärken. Der Sieg des Protagonisten ist als Sieg für das Vaterland eingängig kenntlich gemacht. Auch dafür hat der Autor mit suggestiven sprachlichen Wendungen gearbeitet:

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Scipio, V. 880–882: Non quod placet, sed quid deceat et publicae rei bonum quid poscat, explorare regentem decet. Nicht was gefällt, sondern was sich gehört und was das Wohl des Staates fordert, soll der Fürst erstreben. Scipio, V. 1243–1246: Si amare possem quidpiam extra patriam, amare vellem hanc virginem; sed sit procul affectus hic a corde Romani ducis, quem sola virtus et patriae amor occupat. Wenn ich etwas lieben könnte außer meinem Vaterland, so wollte ich dieses Mädchen lieben. Doch dieses Gefühl bleibe fern vom Herzen eines römischen Anführers! Es ist nur von der Tugend und der Vaterlandsliebe erfüllt.

Die Vermittlung patriotischer Ideologie auf der Jesuitenbühne war zu Claus’ Zeiten – zumindest in Österreich – eine schon seit vielen Jahrzehnten etablierte Praxis. Sie wurzelt in der Habsburg-Panegyrik Nikolaus Avancinis (1611–1686), der mit groß angelegten, selbst für die Jesuitenbühne außerordentlich prunkvollen ludi caesarei vor den Augen des Kaisers um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts für Aufsehen sorgte.475 In Pietas victrix (1659) ist der später auch bei Claus verwendete Rückgriff auf die antike Geschichte zur Illustration politischer Tugenden umgesetzt: In der Darstellung des Triumphes des römischen Kaisers Konstantin wird der Regierungsantritt Leopolds I. gefeiert. In anderen Werken Avancinis ist die Verherrlichung des Kaiserhauses noch expliziter dargestellt, etwa im Stück Curae caesarum (1664; Valentin, Nr. 2062), in dem eine Reihe österreichischer Kaiser auftritt. Die Habsburger nahmen ihrerseits die Huldigungen gerne entgegen. Bereits Ferdinand III. hatte sich als großzügiger Sponsor der Jesuitenspiele erwiesen, Leopold versäumte kaum eine Aufführung und verteilte gelegentlich auch selbst die Preise an die Schüler.476 Avancinis Nachfolger als Chorag des Wiener Kollegiums war der Schlesier Johann Baptist Adolph (1657–1708). Mit ihm erfuhr die Jesuitenbühne ihre engste Bindung an das Kaiserhaus.477 Schon in seinen frühen Stücken Ferdinandus Quintus (1684, Valentin, Nr. 2752), Orbus Eucharisticus (1690; Valentin, Nr. 2997) und Kennethus (1690; Valentin, Nr. 2998) wurde in panegyrischer Ab-

 Siehe dazu Wimmer 1986 sowie die Einleitung in Avancini 2002.  Sieveke 1965, S. 32.  Adel 1960, S. 54.

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sicht auf das Haus Habsburg angespielt.478 Als es um die Jahrhundertwende im Zuge des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714) zu einer Politisierung des gesellschaftlichen Klimas kam, fand dies auch in seinen Stücken Niederschlag. Mit dem 1701 aufgeführten Amor patriae sive Arminius defensor Germaniae (Valentin, Nr. 3499) legte Adolph ein betont vaterländisches Stück vor. Ebenso deutlich ist die Bezugnahme auf die zeitgenössische politische Situation im Stück Virtus non postulat annos sive Scipio iunior Romanorum belli imperator (1703; Valentin, Nr. 3577), in welchem dem jungen Feldherrn der Auftrag erteilt wird, Spanien für das Imperium Romanum zurückzuerobern. Der junge Scipio, dem der Vater seine künftige Größe in einer Epiphanie verkündet, erscheint hier als Präfiguration des spanischen Thronprätendenten, Erzherzog Karl.479 Zwei Jahre später setzte sich Adolph in Hannibal (Valentin, Nr. 3647) propagandistisch mit dem Konflikt um Spanien auseinander. Im Gefolge Adolphs versuchten auch andere Jesuiten, die Schulbühne in den Dienst der Kriegspropaganda zu stellen, darunter der Laibacher Joseph Pogatschnigg (1675–1712), der 1704, ebenfalls am Wiener Kollegium, den Stoff um Gottfried von Bouillon zur Aufführung brachte.480 Auch der Steirer Anton Maurisperg (1678–1748) stimmte in die Vaterlandsverherrlichung auf der Ordensbühne mit ein. Sein 1710 in Graz aufgeführter Mutius Scaevola (Valentin, Nr. 3812) vermittelte die Überzeugung Gloria haud ulla est magis / secura, quam pro patria fortem mori („Nichts verheißt so sicheren Ruhm wie ein tapferer Tod für das Vaterland“).481 Maurispergs Mutius wurde 1723 in Passau (Valentin, Nr. 4375) und 1759 in Klagenfurt (Valentin, Nr. 6858) wiederholt, zu einer Zeit also, als das Haus Habsburg seine Ansprüche auf den spanischen Thron längst hatte aufgeben müssen. Während man die Klagenfurter Aufführung mit dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) in Verbindung bringen kann, lässt sich für die Aufführung in Passau, die zwei Jahre vor der ersten Aufführung von Claus’ Scipio in Freiburg i. Ü. vonstatten ging, kein konkreter historischer Bezugsrahmen fassen. Vaterlandspropaganda war hier, soweit sich das beurteilen lässt, nicht an ein einzelnes politisches Ereignis geknüpft, und das sollte für die weitere Entwicklung dieses Themenkreises auf der Ordensbühne wegweisend sein. Auf die

 Adel 1960, S. 55. Die Stücke Adolphs sind nicht gedruckt, haben sich jedoch handschriftlich erhalten. In der ÖNB füllen sie fünf starke Folianten (Sig. Cod. 9809–9813).  Adel 1960, S. 55.  Godefredus Bullionicus Hierosolymae suique victor maximus, Valentin, Nr. 3614.  Maurisperg 1730, S. 6. Zu Pogatschnigg und Maurisperg vgl. Duhr 1928, Bd. 4,2, S. 77. Zu Maurisperg vgl. außerdem Krump 2000, S. 159–186. Ein bewusst vaterländisches Thema darf man auch im Fall von Achilles germanicus sive Otho I. (Wien 1702, Valentin, Nr. 3544) vermuten.

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Passauer Darbietung folgte nämlich eine ganze Reihe von jesuitischen Aufführungen, in denen sich das Motiv offenbar verselbstständigte. Der patriaGedanke hatte sich inzwischen von einem vom Zeitgeschehen motivierten politischen Statement in Richtung einer literarischen Konvention entwickelt. Die zahlreichen patriotisch gefärbten Stücke, die nun aufgeführt wurden, stellten den Vaterlandsgedanken nicht mehr in einen tagespolitischen Kontext, sondern propagierten Vaterlandsliebe als allgemeingültiges Ideal. Wenn in den Dramen von Anton Claus dieses Thema breit ausgeführt ist, so beruht dies also zum einen auf dem Umstand, dass sich diese Stoffe auf der Jesuitenbühne bereits bewährt hatten und inzwischen zu ihrem konventionellen Repertoire gehörten, zum anderen auf einem Zeitgeist, der zwar im Kielwasser politischer Entwicklungen, aber abgelöst von konkreten historischen Ereignissen Raum griff. Im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts trat in den deutschsprachigen Gebieten zum ersten Mal patriotisches Denken neuzeitlicher Ausformung auf.482 Die sich entwickelnde gesellschaftliche Öffentlichkeit schuf ein Bewusstsein politischer Zusammengehörigkeit, das in weiterer Folge der Ausbildung des bürgerlichen Nationalstaates den Boden bereiten sollte. Literarische Texte gehörten zu den Distributoren dieser Gesinnung. Lässt man die Geschichte des modernen deutschen Dramas mit Gottsched beginnen, so steht die Gattung von Anfang im Zeichen des Vaterlandsgedankens. Sterbender Cato (1732) thematisiert den Selbstmord aus „patriotische[r] Liebe zur Freiheit“ 483 und ist darüber hinaus reich an patriotischen Sentenzen. Auch in anderen literarischen Gattungen, insbesondere der Dichtung, gewann der Motivkreis nunmehr an Bedeutung.484 Dabei muss man sich die Frage stellen, welches politische Konzept dem Vaterlandsgedanken überhaupt zugrunde lag. Die politischen Verhältnisse im Reich erlaubten ja, sich zugleich als Bürger des Reiches und eines Territoriums zu fühlen. Reichspatriotismus und Territorialpatriotismus existierten nebeneinander.485 Daneben ließen sich institutionell losere Einheiten auf den Begriff des Vaterlands beziehen, kleinere geographische Kreise ebenso wie der durch die gemeinsame deutsche Sprache definierte kulturelle Raum – eine Vorstellung, die für Gottsched zentral wurde486 und für das sich ausbildende Konzept einer Nation grundlegend war. Es ist legitim, auch für das patriotische Jesuitendrama ab den 1720er Jahren einen weitgehend von politischen Institutionen losgelösten Vaterlands Prignitz 1981, S. 7.  Gottsched 2009, S. 202–203.  Vgl. neben Kaiser 1973 beispielsweise die Würdigung Ewald Kleists als vaterländischer Dichter in der Abhandlung Vom Tode für das Vaterland des Aufklärers Thomas Abbt von 1770.  Priginitz 1981, S. 11.  Fulda 2010, S. 16.

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begriff anzunehmen. Zwar schwingt im patriotischen Gestus wohl eine Reichsvorstellung mit – in den Tragoediae deuten die Rom-Bezüge in Scipio darauf hin.487 Den Jesuiten schwebte dabei aber wohl eine abstrakte Idee vor Augen, vielleicht die verklärte Vorstellung des Reichs in den vorangehenden Jahrhunderten, und nicht das von internen Konflikten gebeutelte Heilige Römische Reich, wie es sich im achtzehnten Jahrhundert konkret darstellte. Schon im Spanischen Erbfolgekrieg hatten Österreich und Bayern auf verschiedenen Seiten gekämpft, im Österreichischen Erbfolgekrieg (1740–1748) verschärften sich die reichsinternen Differenzen weiter. Es scheint begreiflich, die Jesuiten, denen überterritorialer Zusammenhalt wichtig war, hätten in dieser Situation für eine Einigung des Vaterlands und eine Überwindung dieser Konflikte Position bezogen. In der Tat lassen sich in Scipio und Themistocles Anhaltspunkte dafür finden; in beiden Stücken kommt es am Ende zu einer friedlichen Einigung zwischen zwei Konfliktparteien. Diese Konstellationen mit handfesten innerreichlichen Spannungen in Verbindung zu bringen, fällt jedoch schwer, zumal der Fokus der Stücke auf dem Einzelnen liegt, der in den Dienst des Vaterlands tritt; in der Zeitgeschichte finden sich keine Persönlichkeiten, die sich vernünftig mit dem Handeln der Protagonisten in Bezug setzen ließen. Wenn man sich vor Augen hält, in welchem politischen Umfeld Claus’ Scipio entstanden ist, wird noch deutlicher, dass er mit seiner patria keine konkrete politische Einheit, sondern eine abstrakte Idee vertrat. Wozu hätte er in Freiburg i. Ü., seit 1648 nicht mehr Reichsgebiet, für das Reich werben sollen? Auch für Themistocles lässt sich kein konkreter Anlass für eine politische Stellungnahme benennen. Zwar begann im Oktober 1733, wenige Wochen nach der Aufführung, der Polnische Erbfolgekrieg, der wohl bereits seine Schatten vorauswarf. Man muss sich aber davor hüten, voreilig einen Zusammenhang zwischen der politischen Situation an der Rheingrenze und der Aufführung in Innsbruck anzunehmen. Viel naheliegender ist, dass Claus sich mit der Thematisierung des Vaterlandsgedankens in den Dienst allgemeiner Menschenbildung stellen wollte.488 ‚Vaterland‘ bezeichnet den örtlich und sozial beschränkten Raum, in dem ein durchschnittlicher Schauspieler und Zuschauer einer jesuitischen Aufführung sein Leben verbrachte sowie – aber erst allmählich – das größere Territorium der Deutschsprechenden, das die entstehende Öffentlichkeit vor allem in Form

 Vgl. die Schlussreplik von Scipio (V.1382), die in der Aussage mündet Roma felix floreat sub hoc duce („Rom erblühe glücklich unter diesem Feldherrn“).  Eindeutig im Dienst eines konkreten Staatswesens stehen allerdings die patriotischen Dramen, die der Schweizer Jesuit Ignaz Zimmermann (1737–1797) in den 1770er Jahren in seiner Heimat aufführen ließ, darunter Urs und Victor (Solothurn 1772, Valentin, Nr. 7612). 1777 legte er einen Wilhelm Tell vor. Zimmermann 1779.

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von Zeitschriften als identitäre Einheit zu konstruieren begann. Patriotisches Verhalten bedeutet im frühen achtzehnten Jahrhundert Einsatz für die Pfarrund Stadtgemeinde, und zwar im ganz konkreten Sinn als gemeinnützigökonomisches Engagement,489 auch gegen den eigenen Vorteil: Adelungs Definition des Patrioten als „Person, welche das allgemeine Beste auch zum Nachtheile ihres eigenen Besten befördert, welche die allgemeine Wohlfahrt ihrer eigenen vorziehet“,490 entspricht dem Konzept, wie Claus es verstand. Dienst am Vaterland konnte jeder leisten, der den überhöhten tragischen Konflikt von der Bühne auf seine alltägliche Erfahrungswelt herabbrach. Indem das Jesuitentheater dieses Thema aufgriff, stellte es sich also aktiv in den Dienst der Volksaufklärung: Es trug dazu bei, die in voraufgeklärter Zeit dem Fürsten übereignete Verantwortung für das Funktionieren eines Kollektivs an die Bürger zu delegieren und ein Bewusstsein für die Relevanz gemeinschaftsdienlichen Handelns zu entwickeln. Patriotische Haltung bestand dabei vorerst nicht in Abgrenzung zu anderen politischen Territorien, sondern im „gemeinsamen Bestreben, die natürliche und gesellschaftliche Umwelt zu verändern und zu verbessern“.491 Ein kompetitives Moment entwickelt sich erst nach und nach. Es ist kein Zufall, dass weder in Scipio noch in Themistocles ein Sieg über einen politischen Gegner des Vaterlands, sondern jeweils ein Sieg mit der Gegenpartei gefeiert wird. Zwei weitere Erklärungsansätze für den Erfolg des Vaterlandsgedankens sollen nur noch kurz angerissen werden. Zum einen muss die Vorstellung des himmlischen Vaterlands im Auge behalten werden;492 unter Vaterlandsliebe lässt sich auch ein gottgefälliges Leben im Privaten begreifen. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass der Begriff patria sich aus literarischen Gründen als Schlagwort für die Tragödie anbot: Der Umstand, dass die vorgeführten Helden für den gesamten Staat Opfer bringen, verleiht der Handlung die Bedeutungsschwere, die für das tragische Genre erwünscht war. Die Sujets, mittels derer die betreffende Haltung auf der Bühne illustriert wurde, bezogen auch andere Jesuitendramatiker gerne aus der antiken Geschichte bzw. aus dem Mythos. Erfolgreich war die Legende des letzten attischen Königs Codrus, der sich infolge eines Orakelspruchs selbst den Feinden

 Böning 2003, S. 65. Bönings Aufsatz bietet einen guten Einblick in das Vaterlandskonzept, das für Claus bestimmend gewesen sein dürfte.  Adelungs Wörterbuch, erstmals 1774; hier zitiert nach Adelung 1811, Bd. 3, Sp. 671–672.  Böning 2003, S. 65.  Vgl. z. B. den Hinweis auf der Perioche des Luzerner Themistocles von 1734, „daß man vor allem nach dem Himmlischen Vatter-Land trachten und um solches streiten solle“. Zitiert nach Szarota 1979, Bd. 1,1, S. 79.

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ausliefert; Valentin dokumentiert für das achtzehnte Jahrhundert neun Aufführungen.493 Ein weiteres Stück, in dem ein Orakelspruch zum Freitod führt, ist der Innsbrucker Anchurus oder die siegende Liebe des Vatterlands von 1754 (Valentin, Nr. 6506). Hier wirft sich ein Königssohn in einen Schlund, der seine Stadt bedroht. Sieben Aufführungen sind dokumentiert vom Stoff um Marcus Attilius Regulus, der im Ersten Punischen Krieg, vom Feind gefangen genommen, als Unterhändler nach Rom zurückgeschickt wird, dort aber, statt zu vermitteln, die Römer auf den Kampf einschwört und schließlich bei seiner Rückkehr ins punische Lager dafür getötet wird.494 Auch Figuren, die in anderen Zusammenhängen bereits auf die Jesuitenbühne gebracht worden waren, werden nun patriotisch zugespitzt, darunter der sterbende Hannibal oder Cicero.495 Nicht fehlen darf auch in den letzten Jahrzehnten der Jesuitenbühne der Arminius-Stoff, der 1750 in Graz (Valentin, Nr. 6142) und 1770 in Bamberg (Valentin, Nr. 7495) dramatisch umgesetzt wurde. Weitere bei Valentin verzeichnete patriotische Stücke der Spätphase sind Phileni fratres in patriam pietate insignes (Klagenfurt 1746; Valentin, Nr. 5827), Bluts-verschwendrische doch nicht verblutete Liebe des Vatterlands Oder Iphigenia (Münster 1753; Valentin, Nr. 6440), Theseus Oder Grussmuthvolle Liebe des Vatterlands (Regensburg 1756; Valentin, Nr. 6675), Antipater a Demosthene moriente victus (Hall 1762; Valentin, Nr. 7068) und Philamenes amoris in patriam victima (Burghausen 1769; Valentin, Nr. 7444).

 Hildesheim 1720 (Valentin, Nr. 4212), München 1741 (Nr. 5486), Graz 1744 (Nr. 5670), Neuburg 1758 (Nr. 6807), Koblenz 1762 (Nr. 7047), Feldkirch 1763 (Nr. 7130), Köln 1765 (Nr. 7245), Freiburg i. Ü. 1770 (Nr. 7505), Sitten 1770 (Nr. 7526). Der Stoff wurde auch im kontemporären deutschen Drama aufgegriffen Vgl. Johann Friedrich von Cronegks Fassung von 1758, die von Lessing im ersten Stück der Hamburgischen Dramaturgie besprochen wurde.  Augsburg 1752 (Valentin, Nr. 6283), Regensburg 1753 (Nr. 6448), Sitten 1754 (Nr. 6539), Innsbruck 1755 (Nr. 6582), Dillingen 1760 (Nr. 6907), Pruntrut 1769 (Nr. 7475), Freiburg i. Ü. 1771 (Nr. 7548).  Hannibal: Annibal tragoedia das ist Hannibal Glorreiches Schlacht-Opfer Der Dem Vatterland geschworenen Treu (Mindelheim 1745, Valentin, Nr. 5745), Hannibal für sein Vaterland (Brig 1768, Nr. 7385). Ignaz Weitenauers 1747 in Landshut aufgeführter Annibal (Nr. 5922, gedruckt in Tragoediae autumnales 1758, S. 9–104) wählt einen anderen Zugang. Bezüglich der folgenden Hannibal-Stücke ist aufgrund fehlender Informationen keine Einschätzung möglich: Steyr 1751 (Nr. 6270), Graz 1760 (Nr. 6918), Münstereifel 1763 (Nr. 7165), Trier 1772 (Nr. 7615). Cicero: Cicero pro patria exul (München 1748, Valentin, Nr. 6018), M. T. Cicero exul spontaneus (Augsburg 1755, Nr. 6553), M. T. Cicero amore reipublicae exul spontaneus (Innsbruck 1761, Nr. 6998), M. T. Cicero ab exilio redux a senatu populoque romano honoratus (Innsbruck 1763, Nr. 7142). Es ist vorstellbar, dass in manchen der politischen Stücke Spannungen zwischen den Jesuiten und der staatlichen Obrigkeit Niederschlag fanden. Die Innsbrucker CiceroDramen von 1761 und 1763 legen jedenfalls eine subversive Deutung nahe, siehe Tilg 2011, v. a. S. 148–151.

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Ein letztes übergreifendendes Thema der Tragoediae ludis autumnalibus datae, das hier besprochen werden soll, ist das Ideal der clementia. Das Konzept des mildtätigen Herrschers findet sich, unterschiedlich akzentuiert, in allen vier Dramen der Sammlung. In Themistocles gibt Artaxerxes unter dem Eindruck der Selbstopferung der Titelfigur seine Invasionsambitionen auf und kündigt trotz persönlicher Antipathie ein foedus aeternum („ewiges Bündnis“, 5,9) mit Griechenland an. Die Invasionspläne selbst werden von Themistokles ebenfalls für einen Beweis der clementia des Kaisers gehalten; der Held geht davon aus, der Perserkönig organisiere den Feldzug ihm zuliebe (2,7). In den übrigen drei Stücken reagiert ein Herrscher mit Nachsicht auf eine vorausgehende Anfeindung, Milde rückt in die Nähe der christlichen Tugend des Verzeihens. Honorius verzeiht in Stilico seinem mutmaßlichen Gegenspieler Eucherius und plant, ihn in Sicherheit zu bringen, obwohl er annehmen muss, dieser habe ihm nach dem Leben getrachtet. In Protasius verzeiht der Titelheld seinem Sohn, der ihn nicht nur hinterlistig entmachtet, sondern auch seine Verurteilung zum Tod mitzuverantworten hat (5,16). In Scipio stellt der Titelheld seine clementia nicht nur zur Schau, indem er seinem Feind Alucius dessen Verlobte zurückgibt, sondern auch durch die Begnadigung, die er dem gesamten punischen Heer zuteilwerden lässt. Neben der Leistung des Verzichts ist sein großzügiges Handeln, das auf Staatsklugheit und Großmut beruht, das Motiv, anhand dessen das Heldentum der Figur demonstriert wird. Scipios Sieg ist ein Triumph der Humanität: V. 1336–1337 Vicisti Afros non ense, sed clementia. Nicht mit dem Schwert, sondern mit Milde hast du die Punier besiegt.

Claus verwendete damit einen Terminus, der für das Jesuitentheater des achtzehnten Jahrhunderts als Code für bestimmte Handlungsmuster gelten kann: Clementia erscheint vielfach bereits im Titel von Dramen, die um mildtätiges Verhalten der Protagonisten kreisen.496 Die Stücke greifen auf ein antikes Herr 1694 wird in Ellwangen Rara offensae regiae maiestatis clementia in S. Ludovico Galliarum rege (Valentin, Nr. 3148) auf die Bühne gebracht, 1702 in Wien Alexandri magni victoria cum clementia (Valentin, Nr. 3545), 1707 in München Clementia Alphonsi regis Arragoniae (Valentin, Nr. 3712), 1732 in Augsburg Troia clementia S. Henrici II. servata (Valentin, Nr. 4844), 1734 in Klagenfurt Clementia Quinti Metelli (Valentin, Nr. 4979) und Alexander ab exhibita erga captivam regis clari familiam clementia et continentia magnus hostium major sui victor (Valentin, Nr. 4980), 1757 in Konstanz Clementia in domo regia mirabilis (Valentin, Nr. 6695), ein Stück, das wohl zwei Jahre später in Ingolstadt wiederholt wurde (Valentin, Nr. 6852), 1765 in Würzburg Victrix Augusti clementia (Valentin, Nr. 7286). Dazu gesellen sich mehrere Stücke, in de-

4.2 Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741)

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scherideal zurück. Caesars clementia war sprichwörtlich gewesen, ausführlich beschrieben worden war die Tugend in Senecas De clementia. Die an Nero adressierte Mahnschrift hatte großen Einfluss auf die politische Theorie der Renaissance und der Frühen Neuzeit,497 auch jesuitische Staatstheorie nahm selbstverständlich darauf Bezug.498 Das Theatermotiv basiert – nicht zuletzt in terminologischer Hinsicht – auf Seneca. Es liegt auf der Hand, diese Stücke mit der Idee von Fürstenspiegeln in Verbindung zu bringen bzw. als Herrscherpanegyrik zu begreifen, nahmen die aufgeklärten Machthaber das Ideal des nachsichtigen Staatsmanns doch gerne selbst für sich in Anspruch; in der clementia, die die Figuren zur Schau stellten, konnten sie ihre eigene Generosität gespiegelt sehen. Interessant ist die Frage, inwieweit das clementia-Motiv mit der Entwicklung der bürgerlichen Zivilgesellschaft in Zusammenhang gebracht werden kann. Nachsicht des Stärkeren mit dem Schwächeren lässt sich als Schritt in Richtung einer egalitär organisierten Gesellschaft deuten, wie sie sich ab dem achtzehnten Jahrhundert allmählich auszubilden begann.499 Man darf vermuten, dass die Propagierung dieser Tugend als ideales Handlungsmuster des gesellschaftlichen Miteinanders zu den vorrangigen Intentionen der Choragen gehörte. Adressaten waren nicht vorwiegend Fürsten, sondern Durchschnittsbürger. Das scheint insbesondere dann plausibel, wenn man das clementia-Motiv im Kontext anderer inhaltlicher Neuerungen sieht, die für das Ordensdrama der Spätzeit charakteristisch sind und in die Tragoediae Eingang gefunden haben. In den vorangehenden Abschnitten konnte gezeigt werden, dass Ehe- und Familienangelegenheiten auf der späten Jesuitenbühne ebenso ein großer Erfolg beschieden war wie vorbildlichem staatsbürgerlichen Verhalten. Anhand dieser Themen werden Situationen konstruiert, die zwar literarisch überhöht sind, sich aber über Analogien auf den Alltag des Durchschnittsbürgers beziehen lassen. Das Jesuitentheater verstand sich in dieser Zeit als Einrichtung, die gesellschaftliche Fragestellungen diskutierte, Lösungen vorschlug und bestimmte Verhaltensweisen und Haltungen propagierte. Zieht man eine Summe aus den Ausführungen der vorangehenden Teilkapitel, so ergibt sich die Ideal-

ren Titel sich Schlagwörter wie mansuetudo oder amnestia finden. Bemerkenswert ist auch der Erfolg des Motivs in benediktinischem Kontext. Auf der Ordensbühne in Salzburg wurden von 1710 bis 1768 zumindest acht weitere Stücke gespielt, die das Wort clementia bzw. clemens im Titel führen. Boberski 1978, S. 264–306.  Treu 1948; Stacey 2015.  Siehe Pedro de Ribadeneiras Princeps Christianus adversus Nicolaum Machiavellum (1603, zuerst spanisch 1595), vgl. Stacey 2007, S. 313.  Vgl. dazu Duhr 1892, S. 281–296: „Die französische Revolution ein Product des Jesuitismus“.

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vorstellung eines Bürgers, der (1.) sich seiner familiären Verpflichtungen und Rollenanforderungen bewusst ist, (2.) sich redlich verhält und keine übertriebenen diesseitigen Ziele verfolgt, (3.) sich für das christliche Vaterland einsetzt und (4.) Milde und Nachsicht gegenüber seinen Mitmenschen walten lässt. Mit dem Aufgreifen säkularer, ethischer Themen näherte sich die Pädagogik des Jesuitentheaters merklich der Aufklärung an.500 Der Einzelne gewann als diesseitiges Subjekt Bedeutung als Bühnenfigur, seine Verpflichtungen im Kleinen (Familie) wie im Großen (Staat) wurden zu ideologischen Inhalten. Mit dem Zurücktreten heilsgeschichtlicher Stoffe verlor das Lob der Größe Gottes, das in der Frühzeit der Gattung oftmals moralisch-pädagogische Aussagen überlagert hatte, an Präsenz. Nicht mehr das Walten Gottes, sondern das Verhalten des menschlichen Individuums diktierte nun den Aussagegehalt vieler Stücke. Der Rezeptionsmodus der Kontemplation wurde tendenziell durch das Empfangen von Lehrinhalten ersetzt. Es ist schwer einzuschätzen, bis zu welchem Grad die Jesuiten sich mit dieser Schwerpunktsetzung bemüht haben, dem aufgeklärten Staat das Schultheater als wertevermittelnde Instanz anzuempfehlen. Es scheint aber einleuchtend, dass auf diese Weise versucht wurde, der Kritik am jesuitischen Bildungswesen zu begegnen. Insbesondere hinter der Darstellung staatsbürgerlicher Tugenden könnte die Absicht stehen, das Jesuitentheater als gesellschaftlich nützliche Einrichtung zu positionieren. Eben das Fehlen gesellschaftlicher Relevanz war es ja, was die Kritiker des jesuitischen Bildungssystems beanstandeten. Überschätzen sollte man strategische Ursachen jedoch nicht: Wenn die Jesuiten auf ihren Bühnen die vorgestellten pädagogischen Schwerpunkte setzten, dann auch (und in erster Linie) deshalb, weil sie ihren eigenen gesellschaftlichen Positionen entsprachen. Dramaturgische Verfahrensweisen Im folgenden Kapitel werden Überlegungen zum schriftstellerischen Arbeitsprozess, der Claus’ Tragödien zugrundeliegt, angestellt – ein Aspekt, der im Werk eines Schuldramatikers besonders interessant ist, weil es sich bei den Stücken ja um Auftragsstücke geradezu ‚serieller‘ Fertigung handelte. Wie zu erwarten, lassen sich Verfahrensweisen ausmachen, die der Ökonomisierung des Entstehungsprozesses eines Stückes dienten. Es war für den Autor schon aus zeitlichen Überlegungen vorteilhaft, Gestaltungsformen, die sich als tauglich erwiesen hatten, wiederzuverwenden. Das lässt sich bereits am Personal und an der Konfiguration der Stücke beobachten: Der Autor wählte in allen vier Dramen eine ähnliche Personal-

 Siehe dazu Szarota 1981.

4.2 Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741)

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struktur. Was sich bewährt hatte, wurde beibehalten. Die Anzahl an Figuren, die mittels Namen individualisiert sind und auf der Bühne das Wort ergreifen, schwankt zwischen neun (Themistocles) und elf (Protasius, Scipio). Dazu kommen jeweils Figurenkollektive, die überwiegend stumm agieren. Claus bemühte sich in der Druckfassung offenbar um eine überschaubare Anzahl von Figuren, die als eigenständige Charaktere identifiziert werden mussten. Gegenüber den von ihm inszenierten Aufführungen der Stücke reduzierte er das Personal jedenfalls merklich. In den syllabi actorum der Periochen sind stets wesentlich mehr Figuren verzeichnet – selbst dann, wenn man diejenigen, die nur für die Interludien handlungsbedeutend waren, außer Acht lässt. In der Straubinger Perioche von Scipio sind etwa 17 namentlich gekennzeichnete Figuren unterschieden; dazu kommen zahlreiche halbindividualisierte Rollen wie Centurio, Decurio, Belli dux etc. Der Großteil der Szenen wird von zwei bis vier Figuren bestritten, an Kulminationspunkten der Handlung treten jedoch regelmäßig deutlich mehr Figuren auf. So sind die Schlussszenen immer als Massenszenen gestaltet, bei denen mit Ausnahme weniger (zumeist negativ gezeichneter) Nebenfiguren das gesamte Ensemble auf der Bühne steht. Dies ist zum einen typisch für das klassische französische Drama, zum anderen war die Massenszene von jeher ein geschätztes dramaturgisches Mittel der Jesuiten.501 Aufgrund der stets hohen Anzahl an verfügbaren und auftrittswilligen Schauspielern mussten in bestimmten Szenen zwangsläufig viele Figuren zugleich auf der Bühne stehen. Die aufwändig choreographierten Massenaufzüge trugen wesentlich zum panegyrisch-feierlichen Gesamteindruck der Aufführungen bei, wie er dem Geschmack der barocken Gesellschaft entsprach. Besonders auffällige Analogien zwischen den Stücken lassen sich in Bezug auf eingesetzte Strukturelemente beobachten. Eine Untersuchung der Handlungsstruktur der vier Tragoediae zeigt, dass Claus wiederholt auf dieselben Bauformen zurückgegriffen bzw. verwandte handlungstragende Motive eingesetzt hat, um die Handlung zu konstruieren. Zu den strukturellen Konvergenzen zwischen den Stücken auf der Ebene der Handlung gehört, dass Claus den Plot stets um eine eindeutige Hauptfigur herum komponiert hat.502 Scipio, Stilico, Themistokles und Protasius stehen als Titelhelden nicht nur formal im Mittelpunkt, sie sind auch die Figuren, von denen die Stücke absolut dominiert werden. Die anderen Figuren sind – überspitzt formuliert – nur deshalb notwendig, weil sie den Protagonisten zu Reaktionen zwingen, von ihm zu Reak-

 Flemming 1923, S. 181–195.  Szarota 1979, Bd. 1,1, S. 37 identifizierte „klassische Stücke mit dramatischen Zentralhelden als Exemplum“ als eine von acht „Formen“ des Jesuitendramas.

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tionen gezwungen werden oder sein Verhalten kontrastiv beleuchten. Diese Hegemonie kommt im Text schon von den ersten Versen an zur Geltung. Scipio und Stilico beginnen mit längeren Ansprachen der jeweiligen Hauptfiguren, in Themistocles gehört die erste Replik ebenfalls der Hauptfigur; Protasius setzt zwar mit einem Zwiegespräch von Nebenfiguren ein, die Hauptfigur ist aber vom ersten Vers an Gegenstand des Dialogs. Bezeichnend ist auch die Koinzidenz von ‚Lebenseinschnitt‘ und Dramenende. Der Schluss fällt in Scipio mit dem Triumph der Hauptfigur, in den restlichen drei Dramen mit deren Tod zusammen. Damit einher geht, dass in den vier Hauptfiguren fast alles angelegt ist, was die Dramen an Komplexität und intentionaler Widersprüchlichkeit transportieren. Über diese Figuren hinaus lassen sich nur in Eucherius (Stilico) und Cleophantus (Themistocles), nicht von ungefähr den Söhnen der Hauptfiguren, Ansätze innerer Ungereimtheiten erahnen. Die Titelfiguren der Dramen sind es, die in Krisensituationen Entscheidungen treffen müssen, ja nur bezüglich ihres Handelns denkt der Rezipient überhaupt mehrere Optionen an. Im Gegensatz zu fast allen übrigen Figuren haben sie bis zu einem gewissen Grad Zugang zu Skepsis bzw. Selbstreflexion und demonstrieren Entwicklungsfähigkeit. Infolgedessen ist auch das Identifikationspotential, das die Stücke bereitstellen, mit wenigen Ausnahmen auf sie reduziert. Die Komplexität der Hauptfiguren rührt daher, dass in ihrem Inneren diejenigen Konflikte zur Geltung kommen, die auch auf der Handlungsoberfläche bestimmend sind. Claus hat – und das ist eines der auffälligsten Charakteristika der Sammlung und Folge der radikalen Zentrierung der Hauptfiguren – stets einen Konflikt auf zwei Ebenen verhandelt: Die primäre Problemstellung der Stücke ist zugleich ein psychologisches Problem der Figuren. In allen vier Fällen geht es um die Unvereinbarkeit zweier Positionen, die teils im Lauf der Handlung ausgebildet werden, teils von Anfang an etabliert sind. In Scipio markiert die Liebessehnsucht des jungen Feldherrn die eine Position, Staatsraison die andere; in Stilico steht der persönliche Ehrgeiz auf der einen, die Wahrung familiärer Eintracht und das Pflichtbewusstsein des Staatsbeamten auf der anderen; in Protasius liegt die Dichotomie in der Unvereinbarkeit von persönlichem Ehrgeiz und christlicher Lebensführung. In den drei Dramen kollidiert also individuelles Verhalten mit einer systemhaften Ordnung (Staat, Familie, Religion). Die Hauptfiguren, denen erst nach und nach die Ausmaße des Dilemmas bewusst werden, werden vor die Entscheidung gestellt, entweder gegen die Ordnung zu verstoßen oder persönliche Interessen aufzugeben. Claus hat mehrere Lösungswege vorgeführt: Scipio entscheidet sich freiwillig, Protasius zwangsläufig für eine Eingliederung in das System, ersterer durch Verzicht, zweiter durch Reue. Stilico gerät in eine Lage, in der es ihm unmög-

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lich ist, in die systemische Ordnung zurückzukehren. Sein Festhalten an der individualistischen Position muss unabwendbar in die Katastrophe führen. Das Stück ist auch deshalb das ‚tragischste‘ der Sammlung, weil dem Protagonisten schon früh die Möglichkeit verstellt ist, seinen Fehler zu korrigieren. Analog ist die Grundstruktur von Scipio, Stilico und Protasius auch hinsichtlich der Anordnung der Nebenfiguren. Der Autor hat der Hauptfigur jeweils eine Figur zur Seite gestellt, die eindeutig die individualistische Position repräsentiert: In Scipio verkörpert der numidische Überläufer Perax sinnliche Leidenschaft, in Stilico drängt der gotische Unterhändler Attalus auf den Staatsstreich, in Protasius schürt Daifaccius den Expansionsgedanken der Hauptfigur. Zugleich gibt es in den drei Stücken Figuren, die nachdrücklich die entgegengesetzte Position vertreten: in Scipio in erster Linie dessen Bruder Lucius, in Stilico der dem König treue Eucherius, in Protasius Justa, die christliche Ehegattin des Protagonisten. Der Konflikt, in dem sich die Hauptfiguren befinden, wird also dadurch verschärft, dass sie mit Repräsentanten beider Positionen verkehren und von ihnen beeinflusst werden. Auf diese Weise wird er auch an den Rezipienten kommuniziert, erfolgt die Vermittlung des inneren Dilemmas doch vorwiegend über diese Gespräche. Für Themistocles hat Claus sein Schema leicht modifiziert. Hier gerät der Held nicht infolge eigener irrationaler Handlungen in einen Interessenskonflikt. Es sind die äußeren Umstände, die die Konfliktsituation herbeiführen. Dennoch lässt sich auch hier das dichotomische Strukturmuster ausmachen, das den restlichen drei Dramen zugrunde liegt. Aus dem Gegensatzpaar Griechenland–Persien, das von Anfang an über dem dramatischen Geschehen schwebt, wird nach und nach das Dilemma entwickelt, in das die Hauptfigur, ohne dass sie es zu verantworten hat, gleichwohl gerät. Auf der einen Seite steht auch hier eine ‚systemische‘ Position: Themistokles hat die Möglichkeit, mit dem Perserheer gegen Griechenland ziehen. Ihr gegenüber steht mit der Vaterlandsliebe eine persönliche Haltung. Als einziges der Stücke bietet Themistocles eine Lösung an, die in eine zumindest partielle Übereinkunft der beiden Interessen mündet: Der Vaterlandsliebe wird Genüge getan, der Perserkönig zufrieden gestellt. Die Hauptfigur muss dafür allerdings ihr Leben opfern. Auch hier wird die Dichotomie von den Nebenfiguren unterstützt: Artaxerxes vertritt das System, Themistokles’ Sohn Cleophantus die Gegenposition.503 Bezüglich der Anlage der meisten Nebenfiguren beschränkte sich Claus auf schemenhafte Charakterisierung, als Charaktere bleiben sie überwiegend

 Zur streng symmetrischen Anordnung der Nebenfiguren in Themistocles vgl. hier S. 105– 106.

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blass. Es handelt sich um Bedienstete, Familienangehörige und Vertreter der Gegenpartei, die mit wenigen Ausnahmen nur in geringem Ausmaß ein eigenständiges Profil erhalten. Auffällig ist die Häufung von Typen: So finden sich wiederholt der intrigante Speichellecker (Perax, Daifaccius), dessen ihm intellektuell überlegener Diener (Bitias in Scipio, Fiungus in Protasius), der treue, besorgte Untergebene (Laelius in Scipio, Olynthus in Themistocles, Jocondonus und Cianquedonus in Protasius) sowie der redliche Sohn bzw. junge Bruder (Lucius Scipio in Scipio, Eucherius in Stilico, Cleophantus in Themistocles, Franciscus und Matthäus in Protasius). Was den Umgang mit weiblichen Figuren anbelangt, lässt sich eine so straffe Einheitlichkeit beobachten, dass ein intentionales Vorgehen des Autors als gesichert gelten kann. Claus sah in der Druckfassung der Tragödien jeweils eine weibliche Figur vor und behandelte etwaige weitere, die die Handlung erforderte, als background-Figuren (Placidia in Stilico, Fiuma in Protasius). Damit suchte er offenbar eine Kompromisslösung. Die Studienordnung des Jesuitenordens aus dem späten sechzehnten Jahrhundert hatte ja vorgesehen, dass auf weibliche Figuren generell verzichtet werden müsse.504 Auf diese Weise sollte der Aufführung von Stücken vorgebeugt werden, die nicht den moralischen Vorstellungen des Ordens entsprachen; der Motivkreis ‚Liebe‘ sollte ausgeschaltet werden. Ein Vergleich mit anderen jesuitischen Dramensammlungen zeigt, dass der Einsatz von Frauenrollen in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts keineswegs der Regelfall war. Anton Maurisperg operierte – von allegorischen Figuren und Göttinnen abgesehen – nur in zwei der vier 1730 gedruckten Dramen mit weiblichen Figuren (Deodatus, Joannes Nepomucenus). In Ignaz Weitenauers fünf Tragoediae autumnales (1758) sowie in der daran angehängten Komödie Ego findet sich überhaupt keine weibliche Figur; selbst dort, wo man sich eine weibliche Rolle erwarten würde – etwa in Mors Ulyssis eine Penelope –, wird darauf verzichtet. Ähnlich verhält es sich in Franz Neumayrs Theatrum politicum (1760).505 Andreas Friz verfasste zwar eine Tragödie Penelope, in der neben der Hauptfigur noch eine Schar Jungfrauen auf der Büh-

 Ratio studiorum von 1591: neque ullus muliebris habitus, aut si forte necesse sit, non nisi decorus et gravis introducatur in scenam. („Auf der Bühne soll keine weibliche Figur oder zumindest, wenn es denn unbedingt nötig sein sollte, nur eine anständige und würdevolle zum Einsatz kommen.“) Lukács 1986, S. 248 bzw. 262. Die Version von 1599 ist noch restriktiver: nec persona ulla muliebris vel habitus introducatur („Keine weibliche Figur und kein weibliches Kostüm darf verwendet werden.“) Lukács 1986, S. 371. In der Praxis wurden weibliche Rollen freilich sehr wohl eingeführt, vgl. z. B. die zahlreichen Katharina- oder Genoveva-Dramen.  In den sechs darin aufgenommenen Tragödien scheint keine weibliche Figur auf. Weibliche Figuren finden sich zwangsläufig in Neumayrs Hochzeitsspiel Tobias et Sara, das sich im Anhang seiner Tragödiensammlung befindet.

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ne zu sehen war, in seinen übrigen drei Tragödien finden sich aber keine weiblichen Figuren; dasselbe gilt für seine zwei Kurzdramen. Claus ist in dieser Hinsicht also recht eigenständig vorgegangen. Daraus zu schließen, dass der Autor tendenziell ‚liberal‘ eingestellt gewesen sein könnte, wäre aber zu weit gegriffen; die Zusammensetzung des Personals erfolgte bei ihm auf Grundlage dramaturgischer Überlegungen. Manifest wird das anhand der Stückentwicklung von Stilico. Bei den ersten Aufführungen des Stücks verzichtete Claus noch auf eine weibliche Figur. Erst in der Perioche der Innsbrucker Aufführung von 1732 ist auch ein Darsteller von Thermantia verzeichnet. Aus Claus’ Ausführungen in den Observationes geht hervor, dass er derartige Änderungen vornahm, um die Bühnenwirksamkeit und Überzeugungskraft der Stücke zu steigern. Der gänzliche Verzicht auf weibliche Rollen hätte zu Einbußen bei der Wahrscheinlichkeit der Handlung geführt, um die es Claus besonders ging. Insbesondere wenn man sich vergegenwärtigt, dass Claus’ Vorbild das weltliche französische Drama war, wird klar, wieso er ohne Frauenrollen nicht auskommen konnte: Stücke in der Tradition Corneilles und Racines sind ohne Geschlechterkonfrontation kaum vorstellbar. Wie von der Antike bis zum Ende der frühen Neuzeit üblich, wurden bei den Aufführungen die Frauenrollen durchwegs von Männern gespielt. Schauspielerinnen, wie sie im zeitgenössischen Wandertheater bereits auftraten, waren für die Jesuitenbühne bis zur Auflösung des Ordens undenkbar. Strukturelle Übereinstimmungen zwischen den Stücken eröffnen sich auch in Hinblick auf den Umgang mit der Peripetie. Claus gestaltete in allen vier Stücken im 5. Akt wirkungsvolle Peripetien, die den Erfolg der Stücke sicherlich mitbegründeten. In Scipio, Stilico und Themistocles ist die Handlung über viele Szenen hinweg auf einen scheinbaren Ausgang hin konstruiert, der in der Peripetie abgewendet wird. In Protasius ist die Handlungsstruktur komplexer; drei Wendepunkte lassen sich ausmachen: Ein erstes Mal ändert sich die Lage für den Protagonisten zu Beginn des 5. Akts grundlegend, als er erfährt, dass er Opfer einer Täuschung geworden ist. Einen zweiten Wendepunkt bedeutet die Nachricht der Begnadigung, einen dritten seine Entscheidung, auf die Begnadigung zu verzichten. Eine solche triadische Struktur kommt im Märtyrerdrama häufig zur Anwendung. Eine Hinrichtung kann ja nur dann als Martyrium gelten, wenn dem angehenden Märtyrer die Möglichkeit geboten wird abzuschwören, er dieses Angebot aber aus religiöser Überzeugung ausschlägt. Claus bemühte sich darum, die Peripetien des Texts dramaturgisch hervorzuheben. Als inhaltliche Höhepunkte der Dramen sind sie stets in Form von Massenszenen gestaltet. In Scipio 5,12 befinden sich fünf, in Stilico 5,10 sechs, in Themistocles 5,9 acht und in Protasius 5,11 fünf Figuren auf der Bühne, zu denen sich jeweils Gruppen von Soldaten, Höflingen oder Schergen gesellen.

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Außerdem arbeitete der Autor in diesen Szenen mit effektvoller Symbolik. In Scipio und Themistocles erfolgt die Peripetie unter Bezugnahme auf Sakramente, die für den Spannungsaufbau nutzbar gemacht werden. Die Hochzeit in Scipio und die Opferung in Themistocles werden von langer Hand angekündigt, Ereignisse erscheinen – zumindest der Logik des inneren Informationsrahmens entsprechend – paradox: Scipio verheiratet seine Feinde, Themistokles opfert sich selbst. In der Peripetie bzw. in direkter Folge legen die Hauptfiguren aller vier Dramen in verhältnismäßig langen, pathetischen Repliken ihre Beweggründe dar. Ökonomische Strategien zeigen sich in den Tragoediae auch an rekurrenten inhaltlichen Elementen. Ein Motiv, das in Scipio, Stilico und Protasius die Handlungsentwicklung vorantreibt, ist die gegen die gesellschaftlichen Konventionen verstoßende Beziehung zwischen Mann und Frau. In Scipio verstößt die in Aussicht stehende Hochzeit zwischen dem Titelhelden und Eucharis gegen die römischen Ehekonventionen. In Stilico steht die problematische, weil zunächst unrealisierbar scheinende Beziehung zwischen Eucherius und der Königsschwester am Beginn der Handlung. In Protasius ist die christliche Gemeinde irritiert, weil Protasius die rechtmäßige Ehe seines Sohnes annulliert hat, um ihn mit der Enkelin des Kaisers zu verheiraten. Ein weiteres Motiv, das Claus mehrfach als Baustein für die Handlungsgenese verwendet hat, ist die Intrige.506 Gleich drei der Stücke operieren mit dem Motiv des Doppelspiels. Erneut fällt Themistocles aus der Reihe, in dem eine hinterlistige Täuschung zwar im Raum steht, letztlich aber nicht umgesetzt wird (die beiden griechischen Gesandten legen Themistokles nahe, mit dem Perserheer gegen Griechenland zu ziehen, nach Beginn der Kampfhandlungen aber plötzlich die Seiten zu wechseln). In zwei Stücken ist die Intrige unverzichtbarer Bestandteil der Haupthandlung, die Handlungsstruktur basiert direkt auf diesem Motiv: In Stilico ist der Intrigant zugleich die Hauptfigur. Protasius verfällt erst infolge der Winkelzüge des Hofbeamten Daifaccius auf die letztlich fatale Idee, zum Kaiser zu reisen. Das Motiv dient in beiden Texten zur Schaffung eines Spannungsbogens: Mittels der Intrige wird die Fallhöhe um den Protagonisten geschaffen. In Scipio ist Perax die intrigante Figur. Strukturell unterscheidet sich das Stück von den zuvor besprochenen. In Scipio ist das Intrigenmotiv nicht in die Haupthandlung eingebunden. Der gesamte Komplex um den Quertreiber Perax bildet einen mit der Haupthandlung kausal zwar verknüpften, für sie aber nur zu Beginn konstitutiven Nebenstrang.

 Wimmer 2005, S. 24. hat in der Intrigenhandlung ein Charakteristikum des späten Jesuitentheaters gesehen und das am Beispiel der Titus-Japon-Dramen zu zeigen versucht. Vgl. auch Van der Veldt 1992, S. 106: „Neumayrs Bühnenstücke sind richtige Intrigentragödien.“

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Ein dritter dramaturgischer Aspekt, der hier angesprochen werden soll, ist die Informationsvergabe. Rekurrente Gestaltungsformen lassen sich auch ausmachen, wenn man die Vergabe von Information an das Publikum in den Fokus nimmt. Unter diesem Gesichtspunkt ist im Jesuitendrama allgemein mit einer Besonderheit zu rechnen. Auf den Ordensbühnen wurde eine spezifische Form dramatischer Informationsvermittlung praktiziert, die über zwei getrennte Kanäle verlief: Das Bühnenspiel als genuine Vermittlungsinstanz dramatischer Literatur wurde epitextuell vorbereitet bzw. ergänzt.507 Über die Periochen, die gedruckten Programmzettel, die schon vor der Aufführung eines Stücks in der Stadt kursierten, konnten die Zuschauer sich im Voraus über den Handlungsverlauf informieren. Für große Teile des Publikums waren die in der Regel in die Volkssprache übersetzten kompakten Szenenparaphrasen der Periochen wohl eine zugänglichere Informationsquelle als der lateinische Text, der auf der Bühne gesprochen wurde. Die Koexistenz dieser beiden Kanäle sowie die unterschiedlichen Verstehenshorizonte der Zuschauer beeinflussten die Rezeptionssituation maßgeblich. Eine Folge dieser Vermittlungssituation war, dass die Peripetien in Claus’ Dramen als Mittel der Spannungserzeugung nur in Grenzen wirksam waren.508 Zumindest Ereignisspannung konnte mittels der Peripetien nur in beschränktem Ausmaß aufgebaut werden, zumal neben den Szenenparaphrasen der Periochen weitere Faktoren dem Spannungsaufbau entgegenwirkten: Hinweise auf den Ausgang des Stückes sind häufig schon im Titel angelegt (Scipio s u i v i c t o r , Stilico t r a goedia). Weiters wusste auch der zeitgenössische Rezipient aufgrund seiner Welterfahrung, dass die Texte einen anderen Ausgang nehmen würden, als die Handlungslogik suggeriert. Dafür sorgten gattungstypologische Vorbildung – ‚ein gutes Drama hat eine Peripetie‘ – und literatursoziologisches Kontextwissen – beispielsweise ‚eine Jesuitenaufführung kann nicht in eine Liebesheirat münden‘. Außerdem dürften die mitspielenden Kinder ihre Eltern und Verwandte im Voraus informiert haben. Es ist folglich davon auszugehen, dass sich die intendierte Funktion der Peripetien nicht auf den Spannungsaufbau beschränkte. Ebensosehr ging es darum, dem Publikum vermittels der szenischen Darstellung eines die Handlungslogik aushebelnden Ereignisses die

 Ein anderer Kanal, der für die Rezeptionssituation von Dramen in der Moderne prägend ist, war dafür – zumindest für die von Claus selbst inszenierten Aufführungen – nicht relevant: der gedruckte Dramentext.  Es gilt festzuhalten, dass Ereignisspannung in der vormodernen Theatertradition generell kaum vorkommt. Auch in der antiken Theorie (Horaz, Aristoteles) ist Spannung keine Kategorie.

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Eindrücklichkeit der Leistung des Protagonisten (Scipio, Themistocles, Protasius) bzw. die Verderblichkeit der Sünde (Stilico) vor Augen zu führen.509 Nicht nur in Bezug auf den Ausgang des Stückes ist die Ereignisspannung in den Tragoediae beschränkt. Auch hinsichtlich der Handlungsentwicklung in den ersten vier Akten sind häufig Gelegenheiten, Was-Spannung zu erzeugen, nicht wahrgenommen. Das Publikum wird schon früh über alle Handlungsstränge in Kenntnis gesetzt und kennt die Ziele, die die einzelnen Figuren verfolgen. Letzteres ist insbesondere für das Handeln der intriganten Akteure relevant: Der Quertreiber Perax teilt seinen Plan, gegen Scipio zu intrigieren, dem Publikum gleich bei dessen Entstehung mit; in Stilicos Machenschaften hat das Publikum ebenfalls von Beginn des Stücks an Einblick; Daihaccius wird in Protasius gleich bei seinem ersten Auftritt als Bösewicht identifiziert (etwas länger im Ungewissen bleibt der Rezipient hinsichtlich der Absicht der griechischen Gesandten in Themistocles, die strukturell mit den intriganten Figuren verwandt sind). Die Intentionen dieser Figuren sind den Zuschauern bekannt, lange bevor das davon betroffene Bühnenpersonal von ihnen erfährt. Damit verzichtet der Autor zwar auf den Effekt der Auflösung der Intrige – schlussendlich erleben die Figuren Überraschungen, die dem Publikum verwehrt bleiben –, dafür schafft der Informationsvorsprung des Publikums WieSpannung. Der Rezipient entwickelt Interesse dafür, wie die Figuren ihre List zur Anwendung bringen bzw. wie die restlichen Figuren darauf reagieren. Claus steht damit in der Tradition des barocken Intrigendramas – charakteristisch ist etwa Pierre Corneilles Rodogune (1647) –, das die Perspektive der intriganten Figur häufig schon frühzeitig in den Rezeptionsprozess einbezieht und über unterschiedliche Informiertheit zwischen Figuren und dem Publikum Spannung erzeugt. Die großzügige Informationsvergabe in Claus Dramen ist also dramaturgisch motiviert. Zugleich ist sie pädagogisch sinnvoll. Indem die Stücke Einblicke in die Mechanismen der Intrige gewähren, konfrontieren sie den Rezipienten mit den Zwangslagen, in die die intriganten Figuren geraten. Die Verzweiflung des Stilico bzw. Daifaccius’ Angst, seine Winkelzüge könnten auffliegen, sind eingängig dargestellt; somit konnte anschaulich demonstriert werden, dass unlautere Handlungen nicht zum gewünschten Ziel führen. Sehr wohl dem Aufbau von Ereignisspannung dient hingegen das in den Tragoediae an vielen Stellen eingesetzte Mittel der Andeutung – für den modernen Leser eines der auffälligsten kommunikativen Muster in Claus’ Tragödiensammlung. Immer wieder geben Figuren nicht ihr ganzes Wissen preis, indem

 In der religiösen Tragödie Jovianus, siehe hier S. 240–245, ließ sich mittels der Peripetie die Größe eines stets im Sinn der Gerechtigkeit agierenden, aber unerwartete Handlungen setzenden Gottes vorführen.

4.2 Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741)

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sie andeuten, weitere Informationen nachzuliefern. Phrasen, mit denen die Figuren Auskünfte auf spätere Zeit verschieben, sind zum Beispiel Scipio V. 496 suo patebit tempore („zur rechten Zeit wird es bekannt werden“), Scipio V. 613 plura mox („bald mehr davon“), Scipio V. 629–630 nova / et mira cernes („Neues und Erstaunliches wirst du erfahren“), Stilico 1,1 plura pandam in tempore („mehr werde ich zur rechten Zeit bekanntgeben“), Protasius 1,4 brevi patebunt alia („Weiteres wird bald bekannt sein“), Protasius 3,6 mox dabit dies („bald wird sich zeigen“). Die Information, die auf diese Weise verschwiegen wird, wird in den meisten Fällen noch innerhalb desselben Akts nachgereicht. Aufgrund der mehrheitlich recht kurzen Spannungsbögen dürfte der spannungsmindernde Einfluss der Periochen hier weniger zur Geltung gekommen sein. Das Publikum sollte durch das gezielte Verweigern von Information in Spannung versetzt und der Rezeptionsfokus auf ebendiese Information gelenkt werden. Zugleich handelt es sich um eine Strategie der Szenenverknüpfung. Bemerkenswert ist dieses Mittel in Bezug auf das innere Kommunikationssystem der Bühne: Auf der Handlungsebene ist das Verweigern von Information nämlich in vielen Fällen nicht klar motiviert (vgl. z. B. Scipio V. 37, 629, 943). An diesen Stellen lässt es sich handlungsintern nur damit begründen, dass die Figuren ihrerseits dramatische Situationen zu konstruieren versuchen, d. h. die nicht-informierten Figuren in Spannung versetzen, um die Information in der Folge effektvoller an diese weitergeben zu können. Es kommt also zu einer Art Spiel im Spiel, bei dem die Figuren für einander effektvolle Szenen inszenieren. Am anschaulichsten wird dies anhand der Peripetien selbst. Die effektreichen Inszenierungen der Heiratsszene in Scipio bzw. der Opferungsszene in Themistocles lassen sich auf der Handlungsebene nur auf diese Weise sinnvoll deuten. Ein zentrales Prinzip der Informationsvergabe in den Tragoediae soll abschließend im Detail besprochen werden: die Tendenz, epische Vermittlungsmuster weitestgehend zu reduzieren.510 Dazu eine Vorbemerkung: Drama ist fast immer auf bestimmte Formen epischer Vergabe angewiesen, da sich nicht der gesamte Informationsbedarf des Publikums über das Spiel auf der Bühne decken lässt. So muss etwa die Vorgeschichte episch nachgereicht werden, häufig müssen auch Handlungsstränge, die sich parallel zur Bühnenhandlung ereignen, in Form erzählender Rede vermittelt werden. Auch die Charakterisierung von Figuren und Ereignissen erfolgt vielfach nicht mittels szenischer Darstellung. Die Tragoediae sind insgesamt keine Ausnahme; auch in ihnen muss Information, die das Publikum zum Verständnis der Handlung benötigt, mitun-

 Vgl. hierzu Valentin 1993.

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ter direkt referiert werden. Es lässt sich jedoch beobachten, dass Claus versucht hat, so wenig wie möglich auf solche Vermittlungsformen zurückzugreifen. Zuerst muss hier der Umstand, dass Figuren häufig Andeutungen machen, noch einmal erwähnt werden. Vielfach wird die verschwiegene Information im Folgenden nämlich szenisch vermittelt. Das ist ein weiterer Grund, weshalb Claus häufig auf dieses Mittel zurückgegriffen hat: Ein Ereignis szenisch darzustellen war für ihn attraktiver, als es von einer Figur referieren zu lassen. Erzählende Figurenrede wird durch szenisches Sich-Ereignen, Mitteilen durch Zeigen ersetzt. Ein weiteres Indiz für Claus’ Skepsis gegenüber epischer Vermittlung ist das Fehlen von handlungsrelevanten Prologen.511 Im Gegensatz zum lateinischen Drama der Antike, das der Handlung ausführliche expositorische Prologe voranstellte, wählte Claus in allen vier Stücken einen direkten Einstieg. Scipio und Stilico beginnen zwar mit Ansprachen, in denen wichtige Informationen übermittelt werden, in beiden Fällen ist diese aber in eine dialogische Situation eingebettet, die psychologisch plausibel ist und dem Sprecher die Möglichkeit gibt, den Aussagegehalt mittels Gestik, Mimik und Stimmführung szenisch zu veranschaulichen. In Scipio gibt zudem eine ausführliche Regieanweisung Auskunft darüber, wie die verbale Information auf der Bühne nonverbal gedoppelt werden soll. Offensichtlich ist das Bemühen um szenische Gestaltung der Eingangsszene auch in Protasius, wo Teile der Vorgeschichte in einem emotional geführten Dialog vermittelt werden. Dem Fehlen von Prologen entspricht der weitgehende Verzicht auf Monologe.512 In Scipio sind nur vier von 51 Szenen, in Stilico drei von 50 Szenen, in Themistocles eine von 37 Szenen und in Protasius zwei von 40 Szenen als Monologszenen gestaltet. Damit wird von einer weiteren Möglichkeit der epischen Informationsvermittlung abgesehen, die der Monolog als psychologisch zwar unplausible, durch Konventionalisierung aber legitimierte Kommunikationssituation der Bühne darstellt. Das ist auch insofern auffällig, als die Handlungsstruktur der Dramen eigentlich den Einsatz von Monologen nahelegen würde: Die Dilemmata, in denen sich die Hauptfiguren befinden, ließen sich im Rahmen von Einzelszenen gut exponieren und diskutieren. Zwar finden sich in den Dramen Szenen, in denen die Hauptfigur allein auf der Bühne steht und ihre innere Zerrissenheit offenbart, sie beschränken sich aber fast immer auf

 Die Periochen der Aufführungen belegen zwar, dass die Aufführungen mit musikalischen Prologen begannen. Diese wurden jedoch weniger dafür eingesetzt, in die Handlung einzuführen, als vielmehr darum, Stimmung zu erzeugen.  Andreas Friz warnte in seiner Epistola de Tragaediis ausdrücklich vor zu langen Monologen. Tjoelker 2014, S. 104.

4.2 Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741)

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wenige Verse und haben vorwiegend szenische Bedeutung: In ihnen geht es eher darum, zu zeigen, dass die Figuren mit sich ringen, als mitzuteilen, weshalb sie mit sich ringen. In drei der vier Dramen wird außerdem auf Botenberichte weitgehend verzichtet. Mit Ausnahme von Protasius, dessen komplexe Hintergrundhandlungen nur episch vermittelt werden können, hat Claus die Tragödien streng dramatisch angelegt. Fast alles, was sich im Verlaufe der Handlung ereignet, wird direkt auf der Bühne dargestellt. Mit wenigen Ausnahmen müssen in diesen drei Stücken also keine Hintergrundinformationen referiert werden. Botenberichte werden nur verwendet, um über die Ermordung des Eucherius bzw. den Selbstmord von Themistokles zu informieren513 sowie um – in sehr reduzierter Form – die Vorgeschichte nachzureichen (für einen Botenbericht als Mittel der Exposition vgl. etwa Cleophantus’ Bericht über die Zustände in Griechenland in Themistocles, 1,7). Der Verzicht auf Hintergrundhandlung brachte mit sich, dass der Autor, der ja auch die Einheiten der Zeit und vor allem des Ortes berücksichtigen musste, verschiedene Handlungssequenzen fast simultan und am gleichen Ort nachvollziehbar motivieren musste. Gerade im Umgang mit diesen Schwierigkeiten liegt eine der Qualitäten von Claus’ dramatischen Arbeiten. Der Dramatiker hat es verstanden, die Konzentration verschiedener Handlungsstränge auf einen Ort plausibel erscheinen zu lassen. Auch die Szenenübergänge sind fast durchwegs gelungen, das Auf- und Abtreten der Figuren ist mehrheitlich gut motiviert. Für Claus’ Bevorzugung szenischer Informationsvermittlung sind erstens ästhetische Ursachen anzunehmen. Die Konstellation seiner Vorbilder deutet das zumindest an: Das Theater der französischen Klassik ist tendenziell szenisch angelegt, deutlich szenischer als die auf der Bühne handlungsarmen, in hohem Maß mit epischen Vermittlungsformen arbeitenden Dramen Senecas. Zweitens lässt sich eine didaktische Ursache annehmen: Beim Theaterspielen sollten die Kinder das Miteinander-Sprechen üben. Für monologischen Sprachgebrauch gab es andere Übungsformen. Ein drittes Motiv dürfte pragmatischer Natur sein. Die Vermittlung eines lateinischen Texts an ein in dieser Sprache zumindest ungeübtes, ihrer oft nicht mächtiges Publikum war im Jesuitentheater stets ein Problem. Claus konnte zwar damit rechnen, dass mithilfe der Perioche ein oberflächliches Verständnis der Handlung erreicht wurde, Details der Handlung ließen sich aber schwer vermitteln. Eine Möglichkeit, dem Publikum entgegenzukommen, boten nonverbale (Bühnenbild, Requisiten, Körper-

 Claus klammerte diese Ereignisse aus dem Bühnengeschehen aus, weil er bemerkt hatte, dass Tötungsszenen leicht ins Komische kippen können. Vgl. Claus 1741, S. 333.

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sprache) sowie paraverbale Informationskanäle (Intonation, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit). Diese Kanäle konnten aber für Handlungen, die sich nicht unmittelbar auf der Bühne ereigneten, nur in Ansätzen nutzbar gemacht werden. Indirekt vermittelte Handlung, die nur über den Vortrag eines lateinischen Texts dargestellt wurde, lief Gefahr, vom Publikum nicht verstanden zu werden. Der Autor bemühte sich daher um eine Dramaturgie, die es ihm erlaubte, Inhalte möglichst häufig über einen gedoppelten Übergabeprozess an das Theaterpublikum zu kommunizieren: Sprache als Vermittlungsträger und der Gestus des Zeigens sollten sich überlagern und wechselseitig ergänzen.

Aufführungen Die bis hierhin vorgenommene literaturwissenschaftliche Untersuchung der Tragoediae ludis autumnalibus datae basiert auf dem Druck von 1741. Im Folgenden sollen indes auch zu den Aufführungen der Stücke in den 1720er und 1730er Jahren einige Überlegungen angestellt werden. Substantielle Informationen zur dramaturgischen Umsetzung der Tragoediae bei den von Claus organisierten Herbstfeiern bieten nur die Periochen der Aufführungen.514 Diese erlauben es zunächst einmal, die Besetzung der Rollen nachzuvollziehen. Claus griff, wie bei den jesuitischen Herbstspielen üblich, nicht ausschließlich auf Schüler des Gymnasiums zurück. Die Hauptrollen besetzte er üblicherweise mit Studenten der Universität. Auch weitere führende Rollen wurden an Studenten übergeben, die das große Textpensum leichter bewältigen konnten als Schüler. Bei einigen Aufführungen wurden sogar fast alle individualisierten Rollen von Studenten verkörpert, während die Schüler als Figurenkollektive (salii, duces Persici, duces Graeci etc.) auf die Bühne kamen. Bei den Aufführungen in Pruntrut und Straubing, für die aufgrund der Entfernung zur nächsten Universität kaum Studenten zur Verfügung standen, wurden offenbar weitere Mitglieder des Kollegs für die tragenden Rollen eingesetzt. Die Schüler, die als Schauspieler auftraten, rekrutierten sich aus allen fünf bzw. sechs Schulstufen. Ihre Anzahl änderte sich entsprechend der Größe des Kollegs. Während in den kleineren Kollegien zwischen dreißig und fünfzig Akteure und Sänger auftraten, waren 1730 beim Scipio des großen Münchner

 Die Diarien der Kollegien sind in dieser Hinsicht wenig aufschlussreich. In den in den Litterae annuae übernommenen Berichten der Hauschronisten finden sich nur knappe, stereotype Einträge, z. B. Litterarium annum clausit Stilico tragoedia, a copioso spectatore ex merito summa cum approbatione spectatus (zur Aufführung 1724 in Pruntrut, LA, Bd. 85, S. 52); Anno literario coronidem longe gloriosissimam imposuit Publius Cornelius Scipio sui victor gloriosus (zur Aufführung 1729 in Straubing, LA Bd. 86, S. 149).

4.2 Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741)

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Kollegs inklusive Chorsängern und Tänzern 157 Personen in die Darbietung eingebunden.515 Die Periochen liefern außerdem Hinweise zu den als Chöre bezeichneten Interludien der Stücke, die Claus in der Druckfassung getilgt hat. Wie im Jesuitentheater schon im siebzehnten Jahrhundert gängig, griff der Chor nicht selbst in die Handlung ein, sondern agierte in davon losgelösten, durch den Einsatz von Musik und Theatereffekten prächtig ausgestalteten Zwischenspielen im Prolog bzw. am Aktschluss.516 Der Verfasser ließ in ihnen, wie im zeitgenössischen Ordensdrama üblich, mythologische bzw. biblische Figuren und Allegorien auftreten, um zentrale Botschaften des Dramas zu doppeln und in suggestiver Form hervorzuheben. So wurde in den Interludien der ScipioAufführungen der Achilles-Polyxena-Mythos aufgegriffen, um die Gefährdung der verliebten Hauptfigur zu illustrieren, sowie die Aeneas-Dido-Episode, um die Überwindung der Leidenschaft im Dienst der überindividuellen Sendung in einer Parallelhandlung zu feiern. In den Stilico-Aufführungen wurden die Gefahren der Elternliebe durch Einschaltung des Phaetonmythos illustriert, in Protasius das Fehlverhalten des Protagonisten, der seinen Sohn zur Aufhebung seiner Ehe zwingt, im Ehebruch Davids gespiegelt. Während sich zu den Chören der beiden frühen Dramen nur die knappen Angaben im Rahmen der Inhaltsübersicht des jeweiligen Stückes erhalten haben, sind in den Innsbrucker Periochen von Themistocles und Protasius auch die Texte dieser Passagen überliefert.517 Für das späte Jesuitentheater sind derartige Librettodrucke nichts Ungewöhnliches. In der zweiten Jahrhunderthälfte wurden sogar deutsche Chorpartien häufig im Druck verteilt.518 Eine Untersuchung von Claus’ Chorpartien soll nun exemplarisch anhand der ThemistoclesChöre erfolgen.519

 Anders als in den meisten anderen Jesuitenschulen gab es in München zwei Züge pro Schulstufe.  Janning 2005, S. 66–75. Zur zeitgenössischen Theorie siehe Neumayr 1751, S. 181–184.  Erhalten haben sich auch die Chöre des handschriftlich überlieferten Jovianus, vgl. hier S. 240–245.  Das Verständnis der Singtexte war offenbar schwierig. Aus diesem Grund begann man im frühen 18. Jahrhundert damit, Chöre auf den Periochen abdrucken zu lassen. Wann die Praxis, Chöre zu drucken, genau einsetzt, konnte ich nicht ausfindig machen. In Innsbruck ist Divina providentia domo Palatinae propitiae von 1717 das erste Stück, dessen Chöre sich im Druck erhalten haben, vgl. Tilg 2011, S. 145.  Claus’ Autorschaft ist, wiewohl sehr wahrscheinlich, nicht endgültig gesichert. Gelegentlich dürften die Interludien von anderen Autoren verfasst worden sein. Mir ist ein Fall aus der Zeit nach der Ordensaufhebung bekannt: Joseph Zimmermann verfasste die Arien zu Franz von Paula Gassers Jakob und Benjamin, vgl. Jann, Bd. 3, S. [].

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Die allegorische Parallelhandlung der Innsbrucker Themistocles-Aufführung ist in drei Teilen in die Haupthandlung eingeflochten: Im Prolog zürnt der Kriegsgott dem Genius Graeciae, weil Griechenland seinen Helden Themistocles verbannt hat. Angewidert ruft er die Perser zum Angriff auf die undankbaren Griechen auf. Der Amor patriae bringt sich als Friedensbringer ins Spiel, wird vom Genius Graeciae jedoch nicht ernst genommen. Dieser bittet im ersten Zwischenspiel (nach dem 2. Akt) Minerva, Apoll und Diana um Hilfe. Die Götter wenden sich jedoch allesamt ab, da auch ihnen das an Themistocles begangene Unrecht missfällt. Im letzten Zwischenspiel (nach dem 4. Akt) wird der Inhalt des letzten Akts vorweggenommen. Der Amor patriae kündigt, vom Genius Graeciae zunächst unverstanden, an, Themistocles werde sich eine Trophäe und ein Mausoleum verdienen. Nach einer Intervention der Götter erklärt sich der genius Graeciae bereit, die Heimatliebe des Verbannten anzuerkennen und diesen wieder aufzunehmen. Der Amor patriae gibt jedoch zu verstehen, dass Griechenland seinen Helden lebend nicht mehr zu Gesicht bekommen wird. Ein weiteres, nicht-chorisches Zwischenspiel (nach dem 3. Akt) diente der Auflockerung: Im Rahmen einer Tanzeinlage wurde ein persisches Frühstück aufgetragen. Anders als bei den Aufführungen der anderen drei Tragödien, bei denen Claus in den Zwischenspielen Parallelfiguren aus der Mythologie und der Bibel auf die Bühne brachte, sind hier ausschließlich Figuren aufgeboten, die mit der Haupthandlung unmittelbar in Bezug stehen. Den Ereignissen am Perserhof ist auf diesem Weg ein Götterapparat beigegeben, mit dem die Handlung expliziert, kommentiert und vorausgedeutet wird. Die Chöre des Themistocles kommen damit in inhaltlicher Hinsicht dem Chorgebrauch des antiken Dramas am nächsten. Unter formalen Gesichtspunkten ist freilich vom antiken Erbe wenig übriggeblieben. Der Text, der vom Direktor der Innsbrucker Hofmusik, Johann Heinrich Hörmann (1694–1763), in Musik gesetzt wurde, zeigt vielmehr, wie weit sich die Interludien des Jesuitendramas inzwischen von ihren bei Autoren wie Balde oder Avancini noch gut sichtbaren antiken Ursprüngen entfernt hatten. An die Stelle rhetorisch aufwändiger Kunstgedichte traten nun syntaktisch einfache Singvorlagen. Rhythmus und Reim lösten quantitierende Metren ab. Nicht literarische Kunst, sondern Sangbarkeit und leichte Vermittelbarkeit an das Publikum gaben den Ausschlag für die Textgestaltung. Zur Illustration dieser Gestaltungsweise mögen die folgenden Partien genügen, in denen Mars erläutert, weshalb er sich von Griechenland abwendet: Themistocles, Prolog: Quaeris? Ingrata, perfida! Edic ubi, ubi Themistocles meus? Cujus criminis heros hic reus, damnatus ad exilia? Sic Martis tractas pignora? Sed senties infelix Graecia ultorem, quem noluisti patriae defensorem. Themistoclem olim fulcrum Graeciae, jam trepida ducem Asiae!

4.2 Tragoediae ludis autumnalibus datae (1741)

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Surge Persa, tende vela, vibra ferrum, faces, tela, strages tuas vindica! Ure, seca, perde, neca! Graeco duce, manu Graeca strata ruat Graecia! Du fragst? Du Undankbares, Treuloses [Land]! Sag, wo, wo ist mein Themistocles? Welchen Verbrechens ist dieser Held schuldig, dass er verbannt wurde? Behandelst du so die Kinder des Mars? Unglückliches Griechenland, du wirst dessen Rache fühlen, den du als Beschützer der Heimat verschmäht hast. Themistocles, einst Stütze Griechenlands, fürchte nun als Anführer Asiens! Erhebe dich, Perser, stich in See, schleudere das Schwert, Fackeln, Geschosse, nimm Rache für deine Niederlage! Brenne, schneide, zerstöre, töte! Mit einem griechischen Anführer, von griechischer Hand soll Griechenland verheert werden und ins Verderben stürzen!

Akzentrhythmische, gereimte Einschübe finden sich zwar bereits im humanistischen Schultheater, wo sie ein Fortleben mittelalterlicher Vaganten- und geistlicher Lyrik bezeugen; allerdings waren sie selten, da sie von den meisten Autoren als Ausdruck schlechten Stilempfindens gemieden wurden. Auch bei den frühen Jesuitendramatikern fanden sie kaum Verwendung,520 in Poetiken wie Pontanus’ Institutiones erfuhren sie dezidierte Ablehnung.521 Bis tief ins siebzehnte Jahrhundert wurden lateinische Verse in der Form volkssprachlicher Lyrik von Jesuitendramatikern daher vorwiegend in ironisierender oder individualisierender Funktion eingesetzt; die Figuren, denen diese Formen zugeordnet waren, wurden dadurch als ungebildet, einfältig oder dem Volk zugehörig charakterisiert. Ab der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts wurde diese Form der Zwischenspielgestaltung jedoch häufiger und nach und nach zur akzeptierten Normalität.522 Eine Vermittlerrolle spielten dabei vielleicht die aufkommenden Meditationsspiele, in denen eine einfache, liturgisch beeinflusste Sprache von Anfang an erwünscht war. In Franz Neumayrs Poetik Idea poeseos (1751) werden gereimte lateinische Verse schließlich selbstverständlich mitbehandelt.523 Der Chor der Jesuitenbühne hatte sich somit im Zuge derselben ästhetischen Geschmacksumstellung verändert, die auch für die Erneuerung der Sprechpartiengestaltung ursächlich war. Schlichtheit und Klarheit waren zu  Rädle 1988b, S. 334. Als Beispiel für ein humanistisches Drama mit gereimten Cantica bespricht er Reuchlins Henno.  Rädle 1988b, S. 343.  Rädle 1988b, S. 361.  Die formale Gestaltung von Rezitativ, Arioso und Arie wird erläutert in Neumayr 1751, S. 184–189. Siehe dazu auch Wiegand 2013, S. 115.

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vorrangigen Qualitätskriterien geworden. Inzwischen war man auf neue Vorbilder aufmerksam geworden, die mit schlichteren, volkstümlichen Chorliedern Erfolg hatten. In den Chorpartien des Themistocles wird deren Einfluss überaus deutlich: Nicht antike Choreinlagen, sondern zeitgenössische Libretti der Opera seria mit ihrer klaren, dezidiert antimarinistischen Textführung liegen dieser Textgestaltung zugrunde.524 Die Chorpartie ist kein formal einheitlicher Text mehr, sondern ein Aufeinanderfolgen inhaltlich zwar kohärenter, formal jedoch variierender Kurztexte. Zentrales Strukturprinzip ist wie in der zeitgenössischen Oper der Wechsel von Rezitativen und Arien. Die beiden Teile entsprechen funktional den Konventionen der Oper:525 Das Rezitativ steht im Dienst der (Neben-)Handlungsvermittlung. In rhythmischer Reimprosa setzen Figuren Handlungen bzw. erläutern ihr Handeln. Der Modus der Aufführung war ein dem Sprechen angenäherter Gesang, der von zurückhaltender Instrumentalbegleitung gerahmt war; vermutlich kam nur Begleitung durch den Basso continuo zum Einsatz. In den Arien (sie sind im Gegensatz zu den Rezitativen in der Perioche als solche betitelt) bzw. Duetten wird bereits Bekanntes aufgegriffen und weiter ausgeführt, reflektiert oder moralisch bewertet. Im Mittelpunkt stehen Kontemplation und die Schaffung von Stimmung. Aus diesem Grund wurde in den Arien wohl auf das gesamte Orchester zurückgegriffen. Generell dürfte die musikalische Umsetzung von Arie und Rezitativ an die Gepflogenheiten der Oper angelehnt gewesen sein. Die Binnengestaltung der Arien ist ebenfalls von der Oper inspiriert. Die häufigste Form in den Chören von Themistocles ist die sogenannte Da-capoArie (zehn von 21 Arienpartien), die in der Perioche durch die Angabe „etc.“ im Versschluss sowie durch einen Asterisk zur Kennzeichnung der fine ausgewiesen ist. Der Schauspieler sang die Teile A und B, kehrte dann zum Teil A zurück, um ihn musikalisch zu improvisieren. Die Verse der Lieder sind durchwegs silbenzählend gestaltet, wobei reimende Verse stets dieselbe Silbenanzahl aufweisen. Unregelmäßigkeiten finden sich kaum, im Hiat sind Elisio-

 Zur stilistischen Entwicklung der Opera seria im späten 17. Jahrhundert vgl. u. a. Gier 2000, S. 113. Zur Entwicklung des jesuitischen Musikdramas im Kontext der Rezeption der italienischen Oper vgl. u. a. Scheitler 2005, v. a. S. 280–282.  Vgl. die Definition der Begriffe bei Gurlitt 1967, S. 799: „Das R[ezitativ]. ist Träger der Handlung (erzählende und erklärende Abschnitte, Berichte, Dialoge usw.) und bereitet damit die in der Arie dargestellten Reflexionen und Affekte vor.“ Im Jesuitenorden wurde die Unterscheidung bereits im 17. Jahrhundert theoretisch beschrieben, allerdings ohne Bezugnahme auf das Schultheater: Athanasius Kircher geht im fünften Buch seiner Musurgia universalis (1650) auf den stylus theatralis ein und unterscheidet zwischen einem nur vom Bass begleiteten stylus recitativus, einem mehrstimmigen stylus choriacus und dem von Tanz begleiteten stylus festivus. Vgl. Erlach 2006, S. 106–110.

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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nen bzw. Synalöphen häufig nicht realisiert. Der internen Einheitlichkeit der einzelnen Arie steht die Vielfalt an Gedichtformen gegenüber. Die Verse sind vier-, fünf- oder sechshebig, die Kadenzen ein-, zwei-, oder dreihebig. Vielseitig ist auch das Reimschema. Besonders beliebt sind Schweifreime (AAB CCB) bzw. Variationen (AAAB CCCB, AABBC DDEEC u. ä.), deren verschränkender Reim von Versen mit einsilbiger Kadenz gebildet wird. Ob Claus für die Gestaltung dieser Partien auf persönliche Rezeption zeitgenössischer Opern zurückgreifen konnte, muss offenbleiben. Der Umstand, dass sich Einflüsse der Oper auch hinsichtlich der Stoffwahl bemerkbar machen (vgl. Scipio), deutet darauf hin. Festzuhalten ist allerdings, dass die Annäherung der Chöre an Formen des italienischen Musiktheaters im Jesuitentheater bereits früher zu beobachten ist.526 Auf der Jesuitenbühne der 1720er und 1730er Jahre scheint diese Art der Chorgestaltung bereits als Standard etabliert gewesen zu sein.527 Über die Musik, die den Chorpartien unterlegt war, lässt sich wenig sagen. Die Partituren sind allesamt verloren. Sie stammten aus der Feder lokal tätiger Musiker und wurden nicht weiterverwendet, d. h. für Aufführungen eines Stücks in einem anderen Kolleg wurde eine neue Musik geschrieben. Der dafür betriebene musikalische Aufwand war wahrscheinlich eher gering.528 Der Komponist musste sich auf das beschränken, was im Jesuitenkolleg – schon aus Platzgründen – möglich war. Da es sich bei den personae musicae nicht um ausgebildete Sänger gehandelt haben dürfte, musste die Begleitung zwangsläufig zurückgenommen werden. Die Besetzung des Orchesters ist auch aus diesem Grund als relativ klein anzunehmen.

. Exercitationes theatrales (1750) Neun Jahre nach der Veröffentlichung der Tragoediae ludis autumnalibus datae erschien 1750 in Zusammenarbeit zwischen dem Ingolstädter Verleger Johann Franz Xaver Craetz und seinem Augsburger Kollegen Thomas Summer Claus’

 Erlach 2006, S. 119; Schmid 1989, S. 75. Die Chöre von Franz Langs 1717 gedruckten Meditationsdramen folgen bereits diesem Gestaltungsparadigma.  Erlach 2006, S. 292 resümiert, dass „der Unterschied zwischen Jesuitentheaterstücken und Opern sehr groß ist“. Die Feststellung ist richtig, geht aber am Kern des von ihm beanstandeten Theorems vorbei. Communis opinio ist nicht, dass sich das Jesuitentheater zur Oper entwickelt, sondern dass es im Laufe seiner Entwicklung Elemente der Oper in sich aufnimmt.  Vgl. Erlach 2006, S. 292. Überlegungen zur Zusammensetzung eines Orchesters bei einer Jesuitenaufführung bietet Flemming 1923, S. 237–246. Untersuchungen zur Musik des Jesuitentheaters sind generell rar. Eine Ausnahme stellt Schmid 1989 dar.

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zweite Dramensammlung unter dem Titel Exercitationes theatrales.529 In zwei Bänden veröffentlichte der Autor insgesamt 22 Stücke, die sich größtenteils mit konventionellen Gattungsbezeichnungen nicht klassifizieren lassen. Viele der Stücke verbinden Pädagogisches mit komödienhaften Zügen, es finden sich Stücke zur Vermittlung formal-rhetorischer Inhalte, daneben erbauliche Spiele wie die sogenannten Meditationsdramen. Die Sujets beruhen teils auf hagiographisch-jesuitischem Schriftgut, teils auf der Phantasie des Autors. Klassizistische Stoffe setzte er hier nicht mehr um. Beibehalten wurden jedoch zentrale Konzepte der aristotelischen Poetik: Die Einheit von Zeit, Ort und Handlung ist gewährleistet. Kurzweilige, stringente Handlungsführung und psychologisch konsistente Figuren sind auch für die meisten dieser Stücke kennzeichnend. Sämtliche Dramen hatte Claus im Laufe der Jahre an Schulen oder in Marianischen Kongregationen aufführen lassen. Da keines der Stücke als ludus autumnalis aufgeführt wurde, gibt es jedoch in den meisten Fällen keine Anhaltspunkte hinsichtlich Entstehungszeit und Aufführungsort.530 Der bewusst schlichte Titel der Sammlung entspricht ihrer Konzeption. Claus hielt im Vorwort fest, er verfolge mit der Veröffentlichung der Stücke keine literarischen Ambitionen, sondern wolle lediglich Übungsmaterial für den Schulunterricht bereitstellen: Nec illustres tragoedias nec digna theatris publicis spectacula in hoc opusculo, lector, exspectes. […] Magistris scholarum praecipue amice communico […] dramata. („Leser, erwarte dir in diesem Buch keine erhabenen Tragödien und auch keine Schauspiele, die öffentlicher Theater würdig wären. […] In erster Linie den Lehrern an den Schulen übergebe ich freundlich […] diese Stücke.“)531 Dass es sich dabei nicht bloß um Bescheidenheitstopik handelt, wird anhand der unterschiedlichen funktionellen Kategorien offenbar, denen die Stücke paratextuell zugeordnet sind. Sie verweisen auf Übungsformen der Jesuitengymnasien (declamatio, exercitium in Rhetorica). Die Exercitationes sind damit wertvolle Dokumente zweier untrennbar miteinander verbundener und nur im wechselseitigen Bezug verständlicher Bereiche der Literarkultur der Gesellschaft Jesu: Sie sind einerseits bedeutsam als Vertreter jesuitischer Literaturproduktion, im Besonderen der nur in geringem Umfang überlieferten Komödienproduktion der Ordenschoragen, andererseits konkrete Zeugnisse für die didaktischen Methoden an den Jesuitenschulen.

 Paisey 1988, S. 36; 260. Craetz und Summer waren auf Jesuitica spezialisiert. Sie verlegten gemeinsam unter anderem auch Huebers Flores poetici (1747/48) und Neumayrs Idea poeseos (1751). Eine zweite Auflage der Exercitationes gaben sie 1762 heraus.  Ausnahmen bilden die vier Meditationsdramen, die 1738 in München aufgeführt wurden, sowie das Drama Tonsiastrus, das 1730 wohl in München aufgeführt wurde. Siehe hier S. 227.  Claus 1750, S. [].

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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Vorab soll daher einigen Überlegungen zum ‚Sitz im Leben‘ der Stücke Raum gegeben werden. In der rhetorischen Ausbildung an den Jesuitenschulen, die sich als stufenförmiges System zunehmend komplexer werdender Übungspraktiken darstellte,532 waren dialogische Methoden von der infima an gängig: Bei der concertatio wurde jedem Schüler ein aemulus („Nacheiferer“) zugewiesen, der dessen falsche Antworten schlagfertig korrigieren musste – ein Mittel, das dazu dienen sollte rhetorisch-sprachliche Fertigkeiten und eine rasche intellektuelle Reaktion auszubilden und das als wichtiges Propädeutikum für die späteren Disputationen galt.533 Bei der recitatio waren die Schüler angehalten, die Ausführungen des Lehrers in Form einer eigenen kleinen Ansprache wiederzugeben.534 Mit szenischen Übungen wurde ebenfalls das Ziel verfolgt, mündliche Kommunikation in lateinischer Sprache zu schulen. Hierbei ging es weniger darum, die spontane Reaktionsfähigkeit zu steigern, als vielmehr um das richtige Auftreten bzw. Verhalten in einer Redesituation. Sie bedeuteten demnach eine Fokussierung auf bestimmte Teilbereiche der klassischen Rhetorik: Im Mittelpunkt stand insbesondere die actio bzw. pronuntiatio, die Vortragskunst an sich. Sicherheit im mündlichen Vortrag des Lateinischen bzw. im Sprechen vor Publikum im Allgemeinen sollte erreicht werden, indem korrekte Aussprache und Betonung sowie die Kunst der richtigen Mimik, Gestik und Körperhaltung gezielt geübt wurden. Da ein überzeugendes, gewinnendes Auftreten für die Schulabgänger in ihrer künftigen Eigenschaft als Prediger, Missionare u. ä. für die Interessen des Ordens von Bedeutung war, galt dieser Teilbereich als besonders wichtig und wurde, soweit möglich, auch in theoretischen Werken vermittelt. Cypriano Soarez bezeichnet die pronuntiatio in seiner für die jesuitische Schulrhetorik bis ins achtzehnte Jahrhundert fundamentalen Ars rhetorica (1568) als pars […] quae in dicendo una dominatur („den Teil, der beim Sprechen dominiert“).535 Ende des sechzehnten Jahrhunderts widmete der französische Jesuit Jean Voellus der richtigen Aussprache einen ausführlichen Passus in seinem poetisch-rhetorischen Manual Artificium orationis cuiuscunque componendae (1597).536 Darstellungen finden sich auch bei den Dichtungstheoretikern Donati und Masen. Das wohl interessanteste Zeugnis jesuitischer Vortragsdidaktik ist Franz Langs Abhandlung Dissertatio de actione scenica (1727), in der auch die Haltung unterschiedlicher Gliedmaßen, die Bewegung auf der

    

Vgl. Filippi 1997, S. 192–197. Barner 1970, S. 341. Pohle 2010, S. 216. Verwendete Ausgabe: Soarez 1584, S. 196. Vgl. Pohle 2010, S. 219. Verwendete Ausgabe: Voellus 1604, S. 219–234.

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Bühne und die Ausbildung einer verschiedene Befindlichkeiten imitierenden Mimik behandelt sind. Das unterste Niveau der szenisch-rhetorischen Ausbildung bildeten die von der Ratio studiorum ausdrücklich vorgesehenen privatae scenae, d. h. im Rahmen des Unterrichts in verteilten Rollen vorgetragene Textausschnitte oder Kurztexte ohne jeglichen Inszenierungsaufwand,537 zunächst auch sine fabula scenica et affectu538 („ohne dramatische Handlung und Theatralik“). Solche Schülergespräche waren als Übungsform im Humanismus entwickelt worden, Erasmus’ Colloquia familiaria waren nur eine unter vielen Kompilationen, die im Rhetorikunterricht über Jahrzehnte Verwendung fanden.539 An den Jesuitenschulen wurden für diese Art von Übungseinheiten in den untersten Klassen dialogische Eklogen verwendet oder auch ordenseigene Publikationen wie die Progymnasmata des Jakob Pontanus, eine Sammlung von kurzen, syntaktisch einfach gebauten Alltagsszenen, die Rüstzeug für basale Kommunikation auf der Basis von alltäglichem Vokabular bereitstellte.540 Das Setting dieser Texte ist häufig die Schule. Die Situation entspinnt sich zwischen Schülern bzw. zwischen Lehrer und Schüler. Zwischen diesen elementarsten Formen schauspielerischer Betätigung und dem vorläufigen Ziel- und Höhepunkt, dem Auftritt der Schüler im öffentlichen Schultheater, gab es Abstufungen, die sich durch die Anzahl der Zuschauer, den Ort der Aufführung und die Feierlichkeit des Rahmens voneinander unterschieden. In diesem Bereich sind Claus’ Exercitationes vorrangig eingesetzt worden. Sie kamen dort zur Geltung, ubi adolescentes intra scholae unius parietes et in theatridiis exerceri et theatris majoribus sensim solent aptari. („[…] wo die Jugendlichen innerhalb der Mauern einer Schule auf kleinen Bühnen üben und allmählich an größere Theater herangeführt werden.“)541 Für verschiedene Altersklassen intendiert, teils vor der Schulgemeinschaft, teils vor ausgewählten Klassen, teils nur vor der Klassengemeinschaft aufgeführt, waren die Stücke feste Konstituenten des Schullebens. Eine Klärung, welchem Rahmen die von Claus ausgewiesenen Dramenkategorien entsprechen, lässt sich nur begrenzt leisten. Der erste Band enthält den Angaben des Autors zufolge dramata, ein Terminus, der im achtzehnten Jahrhundert nicht nur als generischer Überbegriff für dramatische Gattungen aller Art verwendet wurde, sondern auch als Gattungskategorie, die alle jene

    

Lukács 1986, S. 428. Lang 1727, S. 68. Stroh 2007, S. 178–179; Gotzen 2011. Pontanus 1588–1594. Vgl. Bauer 1986 sowie Fumaroli 1996, S. 78–90. Vgl. Claus 1750, S. [].

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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dramatischen Texte umfasste, die sich nicht in konventionelle Rubriken wie Tragödie oder Komödie einordnen ließen.542 Claus verstand darunter formal wie inhaltlich disparate Texte, die aber stets bedeutend kürzer waren als seine Tragödien: Der Band enthält sowohl fünfaktige, von den Tragoediae stofflich abgrenzbare, ernste Stücke als auch heiterere Zwei- bis Dreiakter. Anders als im zweiten Band sind hier den Stücken paratextuell keine konkreten Kategorien zugewiesen. Für diese Stücke darf aber jedenfalls mit einem halböffentlichen Rahmen gerechnet werden. Der Autor nennt sowohl die Schule als auch die Kongregationen als Aufführungsorte. Der zweite Band bietet zu Beginn declamationes, d. h. Stücke, für die sich ein konkreter Ritus im Schulalltag bestimmen lässt. Im Anschluss finden sich die bezüglich ihres Aufführungsanlasses davon unterschiedenen, pragmatisch weniger genau zu fassenden exercitia scholastica. Den Abschluss der Sammlung bilden Meditationsspiele, deren Aufführungsrahmen die Sitzungen der jeweiligen Marianischen Kongregationen bildeten. Die Sammlung stellt in ihrer Art eine Ausnahme dar, reine Sammlungen von Übungsstücken wurden kaum gedruckt, wie Claus selbst festgehalten hat.543 In Prag erschienen von 1703 bis 1716 sechs Bände Exercitationes dramaticae von Karel Kolczawa; sie enthalten aber zu großen Teilen Texte für öffentliche Aufführungen und nur wenige Kurzdramen.544 Einige mit Claus’ Exercitationes vergleichbare Übungsstücke finden sich in den breiter angelegten Flores poetici des Münchner Jesuiten Ferdinand Hueber.545 In früheren Zeiten scheinen von Ordensmitgliedern überhaupt keine derartigen Stücke in Druck gegeben worden zu sein. Dass erst im achtzehnten Jahrhundert damit begonnen wurde, verwundert nicht, nahm doch nun auch der Druck anderer Jesuitendramen zu. Vielleicht muss man diese Entwicklung aber stärker als

 Für ersteres vgl. z. B. Lang 1727, S. 71; für letzteres vgl. z. B. Neumayr 1751, S. 189.  Vgl. Claus 1750, S. [].  Kolczawa 1703–1716.  Hueber 1747/48. Nicht um Sammlungen von Übungsstücken handelt es sich hingegen, soweit ich sie einsehen konnte, bei den von Valentin verzeichneten Exercitationes, die ab dem frühen 18. Jahrhundert in Wien und Graz herausgegeben wurden. Die schmalen Drucke enthalten stark stilisierte poetische Dialoge mit heroischem Personal, die die jeweilige Rhetorica den Bakkalaureatsabsolventen als Gratulationsgabe widmete. Valentin verzeichnet: István Amiodt: Exercitationes theatrales rhetorum Viennensium. Wien 1709 [nicht nachgewiesen]. Karl Dollenz: Exercitationes ab illustrissima Viennensi rhetorica in theatro exhibitae. Wien 1738. Franz Xaver Kislinger: Exercitationes theatrales. Graz 1728 [die Bayerische Staatsbibliothek gibt den Titel unter dem Autor Anton Erber als Verlustexemplar an]. Franz Xaver Roys: Exercitationes dramaticae. Wien 1746. In der Österreichischen Nationalbibliothek fand sich außerdem der ebenfalls mit Roys assoziierte Druck Exercitationes dramaticae honoribus dominorum neo-doctorum promotore Ignatio Jagerhueber. Graz 1748.

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den Druck der anderen Dramen mit der schrittweisen Veränderung des jesuitischen Bildungswesens in Zusammenhang bringen. Frank Pohle hat für das Niederrheingebiet beobachtet, dass Nachrichten über Klassenaufführungen ab den 1730er Jahren seltener werden.546 Wenn Claus 1750 gedruckte declamationes zur Wiederverwendung vorlegte, so könnte das ein Indiz für die allmähliche Erosion dieser Unterrichtspraxis auch in anderen Gegenden sein. Zwar hält der Autor selbst fest, Übungsstücke würden in den Kollegien ausgesprochen häufig aufgeführt.547 Es ist aber zu vermuten, dass inzwischen vielerorts das Engagement der Klassenlehrer um eine eigenständige dramatische Produktion abgenommen hatte. Die Hypothese erhärtet sich, wenn man liest, dass Claus seine Publikation im Vorwort mit dem Hinweis rechtfertigt, Stücke als Übungsmaterial seien zwar begehrt, es gebe aber wenige Dramatiker, die solche kurzen Texte zur Verfügung stellten.548 In Konsequenz darf man vermuten, dass Claus’ Übungsdramen in einer Zeit der nachlassenden literarischen Eigenproduktion der Kollegien in der zweiten Jahrhunderthälfte in vielen Gymnasien der Gesellschaft Jesu, die szenische Übungen weiterhin praktizierten, als Unterrichtsmaterialien zum Einsatz kamen.549 Darauf deutet auch der Umstand hin, dass die Sammlung 1762 nachgedruckt wurde.

.. Fünfaktige Stücke Die vier Fünfakter am Beginn der Sammlung sind – vielleicht mit Ausnahme des sprachlich relativ einfachen Moyses praedo praedonum – Texte, die die Schüler unmittelbar an die ludi autumnales heranführen sollten. Um die Schüler schrittweise auf die großen Aufführungen vorzubereiten, wurden auch längere Übungsstücke mit komplexeren Handlungsstrukturen einstudiert. Der Aufführungsrahmen war vermutlich halboffiziell, für eine Aufführung innerhalb der Klassengemeinschaft wäre der betriebene Aufwand wohl zu groß gewesen.

 Pohle 2010, S. 218 geht für das Niederrheingebiet davon aus, dass um die Mitte des 18. Jahrhunderts „Klassenverbände als theaterspielende Einheiten kaum noch in Erscheinung“ traten.  Claus 1750, []: […] quarum tamen usus in Gymnasiis est frequentissimus. („[…] deren Verwendung an den Gymnasien überaus häufig ist.“)  Claus 1750, []: […] cum enim pauciores sint, qui dramata et breviores actiones scenicas scripsere. („[…] da es wenige gibt, die dramata und kürzere szenische Stücke geschrieben haben.“)  Verwendung fanden die Stücke auch außerhalb der oberdeutschen Provinz. Zur Rezeption der Stücke am Neisser Gymnasium vgl. Klemenz 1913, S. 155.

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Charitas Christiana Das erste Stück der Sammlung gemahnt formal an Claus’ Tragödien, ist im Vergleich zu diesen allerdings deutlich kürzer. Die Wahl des Sujets ist programmatisch zu verstehen: Der Autor kehrte mit dieser Sammlung zur christlichen Stofftradition des Jesuitendramas zurück. Dafür griff er eine Erzählung aus der hagiographischen Überlieferung auf: Dramatisch umgesetzt ist eine der Erzählungen aus dem Leben des spanischen Heiligen Johannes von Gott (1495–1550), des Stifters des Ordens der Barmherzigen Brüder. Der Titel des Stücks dürfte auf den Namen des Ordens anspielen. Schauplatz der Handlung ist Granada. Der Adelige Antonius Martinius trägt seinem Diener am Leichnam seines Bruders auf, ihm Feiertagskleidung zu besorgen, damit er bei der Hinrichtung von Petrus Velasquius in festlicher Pose erscheinen könne. Velasquius, ein vormaliger Freund des Hauses, war von Martinius’ Bruder zum Duell gefordert worden und hatte diesen dabei getötet. Seither befindet er sich in Kerkerhaft und wartet auf seine Exekution. Nachdem Martinius sich mit blutrünstigen Vorstellungen auf das Ereignis eingestimmt hat, wird ihm jedoch plötzlich mitgeteilt, der Sträfling sei geflohen, die öffentliche Henkersbühne werde gerade abgebaut. Von Rachsucht gepackt, argwöhnt er sogleich, dass der Prediger Johannes de Deo die Flucht in die Wege geleitet haben könnte. Als er auf diesen trifft, gaukelt er ihm vor, er habe dem Mörder seines Bruders verziehen und wolle vor dem Stadtrat sein Recht geltend machen, seinem Schädiger Absolution zu erteilen. Auf diese Weise erschleicht er sich das Vertrauen des arglosen Predigers; er wird von ihm zu Velasquius geführt, der sich zu seinem Erstaunen nach wie vor im Kerker befindet. Das Gerücht seiner Flucht war in die Welt gesetzt worden, weil der Stadtrat dem Edelmann die Schmach einer öffentlichen Enthauptung ersparen wollte und ihn stattdessen in der Zelle hinzurichten plant. Velasquius präsentiert sich als bußfertiger Sünder, der Martinius einzig darum bittet, nicht auf einer öffentlichen Hinrichtung zu bestehen. Dieser begibt sich ins Rathaus, vermeintlich um die Freilassung des Gefangenen anzuordnen, in Wirklichkeit jedoch, um den öffentlichen Vollzug der Todesstrafe einzufordern. Entsetzt erfahren Velasquius’ jüngerer Bruder und sein Onkel Odoardus davon. Gemeinsam mit Johannes bitten sie Martinius flehentlich, sich mit einer Hinrichtung im Verborgenen zu begnügen. Auch Martinius’ Geliebte schaltet sich ein, indem sie ausrichten lässt, sie könne keinen Unmenschen lieben. Am Ende des 4. Akts leitet Johannes mit einer Mahnpredigt die Umkehr ein: Judicium sine misericordia, qui non fecerit misericordiam! („Es wird aber ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat!“, Jak. 2,13) Martinius solle wissen, dass er selbst dereinst vor das Gericht Gottes geführt werde, wo er als Unnachgiebiger nicht mit Barmherzigkeit rech-

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nen dürfe. Martinius gibt zwar eine trotzige Antwort, in der Folge kann er jedoch den Anblick des Kreuzes und des toten Bruders nicht mehr ertragen. Johannes’ Mahnung geht ihm nicht aus dem Kopf. Einerseits glaubt er dem Toten eine öffentliche Hinrichtung schuldig zu sein, andererseits fürchtet er um sein Seelenheil. Als ein Diener ihn zur Hinrichtung abholt, ist er wie von Sinnen. Gerade noch rechtzeitig tritt er an die Henkerbühne, um Velasquius Amnestie zu gewähren. In der Schlussszene dankt er Johannes, dessen mahnende Worte seinen Sinneswandel ausgelöst haben. Er und Velasquius schließen sich Johannes an und führen fortan ein Leben als besitzlose Mönche. Claus hat als Quelle schlicht vita Joannis de Deo angegeben, möglicherweise bezog er sich damit auf den so überschriebenen Abschnitt in dem vom Wiener Trinitarier Johann a Sancto Felice veranstalteten, 1721 in Köln erschienenen Supplementum zu der hagiographischen Sammlung Flos sanctorum (1599) des spanischen Jesuiten Pedro de Ribadeneira.550 Bei Valentin ist der Stoff nicht nachgewiesen, Claus dürfte ihn selbst für die Bühne entdeckt haben. Dokumentiert ist ein Nachleben des Stücks im Tiroler Volkstheater: 1768 stellten einige Akademiker den Antrag, in den Ferien Anton Claus’ Tragödie Martinus aufführen zu dürfen;551 für das Jahr 1792 ist in Kitzbühel die Aufführung Martinez oder die besiegte Rachbegierde dokumentiert – Textgrundlage bot die 1788 veröffentlichte Bearbeitung von Franz Xaver Jann.552 Mit seiner reduzierten Handlung und dem leitmotivisch rekurrierenden Motto aus dem Jakobusbrief steht das Stück Claus’ Meditationsdramen nahe. Dazu passt auch die Figur des katechetischen Glaubenszeugen Johannes de Deo, der seine Mitmenschen zu christlichen Tugenden bekehrt. In der Figur seines Gegenspielers, Martinius, wird ein Spannungsfeld zwischen irdischer und jenseitiger Gerechtigkeit aufgezogen. Dafür operiert Claus mit unterschiedlichen semantischen Nuancen des Begriffs charitas: Martinius sieht sich in der Pflicht der charitas fraterna (4,2), der Bruderliebe, die in seinen Augen nach der Bestrafung des Mörders verlangt; Johannes hingegen repräsentiert die charitas Christiana, die bedingungslose Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Martinius’ Fehlhaltung ist unter anderem dadurch kenntlich gemacht, dass er, von Rachegedanken gänzlich eingenommen, die Bestattung seines toten Bruders vernachlässigt. Die Monologszenen des 5. Akts, in denen die Figur um die Entscheidung ringt, sind die zentralen Momente der Glaubenspädagogik, die das Stück leistet. Sie münden in das Lob der Selbstüberwindung, ein Motiv, das ja bereits in den Tragoediae als bedeutendes Anliegen des Dramatikers

 Sancto Felice 1721, S. 86–107, die vorliegende Episode befindet sich auf S. 94–95.  Lechner 1906, S. 99.  Sikora 1906, S. 370. Zu Jann siehe hier S. 303–306.

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ausgeführt ist: Victor tui / generose, nunc te nobilem vere virum / agnosco. („Edler Überwinder deiner selbst, nun erkenne ich dich als wahrhaft adeligen Mann an.“ 5,9) Die Vorstellung ist hier an Nobilitätsideale gekoppelt: Nicht das Festhalten an ständischen Ehrbegriffen, sondern christliche Lebensführung adelt den Menschen. Diese Färbung des Stoffes dürfte auf Claus zurückgehen. In der hagiographischen Tradition ist Martinius – nachmals ein treuer Mitbruder von Johannes – vor der Bekehrung kein Edelmann, sondern ein Wucherer und Zuhälter. Jesuitentheater versteht sich hier als Fürstenspiegel; angesichts der anzunehmenden Aufführungssituation sind die Adressaten allerdings keine politischen Entscheidungsträger, sondern adelige Schüler. Bei allem christlichen Schematismus der Fabel hat Claus im Detail mit bemerkenswerten Relativierungen gearbeitet. Johannes de Deo ist zwar ein frommer Christ, wird zugleich jedoch mehrfach als simplex („einfältig“) charakterisiert; Martinius’ plumpe Lüge, in deren Folge er zu Velasquius geführt wird, durchschaut er nicht; möglicherweise wirkt das Konzept des mittleren Helden nach. Martinius selbst wird nicht mittels schulmeisterlicher Belehrung von einem rachedurstigen Adeligen zu einem barmherzigen Christen bekehrt, sondern durchlebt einen reflektierten Wandlungsprozess, im Zuge dessen er unter anderem beobachtet: Nempe audiam fungus levis, / nugis poparum territus et orci metu, / verbisque simplicissimi emotus viri? („Soll ich hörig sein wie ein leichter Pilz, erschreckt von der Furcht vor der Hölle und den dummen Geschichten der Messdiener, erschüttert von den Worten dieses Einfaltspinsels?“ 5,4). Durch diese moderaten Eingriffe in das Gut-Böse-Schema der Hagiographie gewinnt das Stück an Tiefe. Aufgewertet wird der Plot außerdem durch die anschauliche Schilderung künftiger bzw. metaphysischer Ereignisse: In 4,4 beschreibt Johannes in drastischen Bildern die anstehende Hinrichtung und das göttliche Gericht. In 5,2 malt sich Martinius aus, wie sein toter Bruder im Jenseits auf die Hinrichtung des Mörders Velasquius reagieren wird. Moyses praedo praedonum Nicht der von den Ordenschoragen vielfach auf die Bühne gebrachte biblische Mose, sondern ein gleichnamiger Archeget des ägyptischen Koinobitentums ist Titelheld des zweiten Stücks. Claus bezog den Stoff aus den Vitae patrum, einer vom niederländischen Jesuiten Heribert Rosweyde 1615 in Druck gegebenen Kompilation einflussreicher hagiographischer Schriften des dritten und vierten Jahrhunderts.553 Belegt ist eine Aufführung des Stoffes zum ersten Mal 1731 in  Die Erzählung bildet das 22. Kapitel der als Buch 8 in die Vitae patrum aufgenommenen Historia lausiaca des Palladios von Helenopolis. Rosweyde 1615, S. 749–751.

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Kaufbeuren,554 möglicherweise basierte diese bereits auf Claus’ Stück. Mit hoher Wahrscheinlichkeit als Rezeptionsdokument von Claus’ Übungsdrama zu werten ist die Konstanzer Aufführung von 1751.555 Zu Beginn des 1. Akts macht sich Moyses, ehemals Räuberhauptmann und nunmehr Mönch in einem abgelegenen Kloster, auf den Weg, um seine einstigen Bandenmitglieder zu suchen und auf den rechten Weg zurückzuführen. Zwei dieser Räuber, Camillus und Corvinus, streunen auf der Suche nach ihrem Anführer tatsächlich durch den Wald in der Umgebung des Klosters. Camillus, der Sohn eines reichen Alexandriners, der als Kind von Räubern verschleppt worden ist, klagt über das entbehrungsreiche Räuberleben, aus dem kein Weg zurück in ein gesittetes Leben führt. In diesem Augenblick hören die beiden das Pfeifsignal ihres ehemaligen Hauptmanns. Im 2. Akt tritt der Abt des Klosters auf. Er ist in Sorge um seinen Neffen Melindus, den Sohn einer adeligen Alexandrinerin, der im Kloster zu Besuch ist und es sich in den Kopf gesetzt hat, das Umland des Klosters zu erkunden. In der Tat wird dieser in Begleitung eines Dieners von den beiden Räubern überfallen. Im Zuge der Unterhaltung zwischen dem Buben und den Räubern werden Teile der Vorgeschichte vermittelt: Melindus ist der Sohn des inzwischen verstorbenen Prätors von Alexandria; der Räuber Camillus ist sein Bruder, der seit vielen Jahren verschollen ist. Camillus lässt Melindus ziehen, weigert sich jedoch aus Furcht vor dem Galgen, mit ihm nachhause zurückzukehren. Im 3. Akt tritt ein weiterer Gast aus Alexandria auf: Theophrastus, ein Verwandter des Abts, der den Gottesmann im Auftrag der Mutter der beiden Buben um Auskünfte über das Schicksal von Camillus bittet. Dieser kann jedoch nur entgegnen, man müsse weiterhin auf Gott vertrauen und vor allem Melindus beschützen. Als dieser von seiner Erkundungstour zurückkehrt, berichtet er weinend von Camillus’ Räuberexistenz. Theophrastus ist bestürzt und befiehlt, diese schändliche Wahrheit vor der Mutter zu verheimlichen. Inzwischen sind Camillus und Corvinus auf Moyses gestoßen und haben versprochen, ihm zu folgen. Im 4. Akt erklären sie, ihn überall gesucht zu haben und sich ohne Hauptmann so verlassen gefühlt zu haben, ut solent oves pastore fido perdito („wie es Schafe sind, die ihren treuen Hirten verloren ha-

 Moyses ex lupo pastor, Valentin, Nr. 4815. Die Perioche im Stadtarchiv Kaufbeuren (Sig. B 136 Nr. 9) belegt, dass es sich um diesen Stoff handelte: „[…] Moyses ein in denen Leben der Alt=Vätteren höchstberühmter Mann, von welchem billich kann gesagt werden, daß er aus einem ruberischen Wolff ein guter Hirth worden seye, in dem er zuvor als ein Rädlführer der Rauber und Mörder durch sein gottloses Leben vil verführet […]“. Ob es sich dabei um eine Vorlage oder ein Rezeptionsdokument von Claus’ Stück handelte, lässt sich nicht eruieren.  Seidenfaden 1963, S. 191.

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ben“ 4,1). Moyses überredet sie, ins Kloster einzudringen, um sich dort an den besten Gaben gütlich zu tun. Während die beiden im 5. Akt vor den Toren des Klosters auf das Signal ihres Hauptmanns warten, werden sie jedoch von dem verkleideten Moyses gefesselt. Derselbe inszeniert nun ein Gerichtsverfahren, bei dem Theophrastus als Richter auftritt und die Räuber zum Schein zum Tod verurteilt. Camillus erklärt sich schuldig, bittet aber darum, nicht öffentlich in Alexandria hingerichtet zu werden. Nun tritt Moyses im Büßergewand auf und legt auch den beiden Räubern die Buße nahe. Jetzt erst klärt er sie darüber auf, dass er bereits seit Jahren im Kloster lebt, wo er nur der göttlichen Gerichtsbarkeit ausgesetzt ist. Nach einer längeren Diskussion überzeugt er die beiden Räuber, ebenfalls ins Kloster einzutreten. In der Schlussszene geben sich Theophrast und der Abt Camillus gegenüber als Familienangehörige zu erkennen. Camillus schämt sich zutiefst für sein Räuberleben und dankt Gott für die Bekehrung. Vor dem Bild des zwischen Räubern gekreuzigten Jesus bitten die beiden Sünder um Vergebung. Claus hat mehrere Handlungsstränge zusammengeführt und auf diese Weise eines der handlungsintensivsten, abwechslungsreichsten Stücke der Sammlung geschaffen. In die aus der Hagiographie übernommene Fabel – ein ehemaliger Räuberhauptmann bringt seine Räuber auf den rechten christlichen Weg zurück – hat der Autor eine Familiengeschichte eingewoben, die typische Motive des antiken Romans und der klassischen Komödie aufgreift (Entführung, Täuschung, Anagnorismos). Komödienhaft sind darüber hinaus die heiteren Nebenhandlungen, die mit der Haupthandlung harmonisch verstrickt sind. Die Nebenfiguren treten mehrfach in den Dienst komischer Effekte, vor allem der eremicola simplex („einfältige Einsiedler“) Zosimus und die Dienerfiguren Dromus und Corvinus, beide als Typen des servus stultus. Zosimus, der Koch der Eremitage, der unentwegt den Klostergründer Pachomius um Hilfe anruft, hält die beiden Räuber für Soldaten und befiehlt ihnen, Moyses, den er für einen Betrüger hält, mit seinem Gürtel aufzuknüpfen (1,4). Die Denkfehler, die der Figur immer wieder unterlaufen, sorgen für vielfache Situationskomik. Auch Camillus’ Begleiter Corvinus wird zur Schaffung von Komik eingesetzt, etwa wenn er sich davor fürchtet, das Kloster anzugreifen, und deshalb argumentiert: Quid? more furum nocte? Praedones sumus, / non inferamus gloriae nostrae ultimum / hoc dedecus! („Was? Nach Art der Diebe in der Nacht? Wir sind Räuber, beschmutzen wir unsere Ehre doch nicht mit dieser schlimmsten Schande!“ 4,1). Als der Überfall schließlich durchgeführt werden soll, bittet er Gott um Verzeihung dafür und stellt das Verbrechen als fromme Tat dar: Er wolle das Kloster berauben, um einem Hungernden zu essen zu geben. Corvinus meint damit allerdings sich selber (4,2).

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Angesichts der Häufigkeit humorvoller Einspielungen ist anzunehmen, dass Claus Moyses bewusst als Komödie angelegt hat. Die Moral des Stücks – auch Sünder können auf den rechten Weg zurückgeführt werden – soll in heiterer Form kommuniziert werden. Die Vermittlung christlicher Werte verliert gegenüber dem unterhaltenden Moment tendenziell an Bedeutung. Für eine Aufführung vor versammelter Schulgemeinschaft, wie sie für die Dramen der Sammlung angenommen werden kann, eignete sich ein solches Stück wohl besonders gut. Dass mit diesem Stück eine rundweg positive Stimmung vermittelt werden sollte, erschließt sich auch daraus, dass keine explizit negativen Figuren auftreten. Vielmehr wird deutlich gemacht, dass die beiden jungen Räuber, mit denen sich die Schüler identifizieren sollten, ohne eigenes Verschulden auf Abwege geraten sind. Sie erscheinen als Opfer verworrener Verhältnisse, nicht als Bösewichte. Da sie sich ihrer verfehlten Lebensführung vom Anfang der Handlung an bewusst sind, resultiert das Stück nicht in einer Läuterung, sondern in der Erkenntnis, dass Umkehr auch nach schweren Vergehen noch möglich ist. Im Schluss des Stücks, der Camillus’ aufrichtige Reue und seine Aufnahme ins Kloster vorführt, werden Komödie und christlicher Optimismus zusammengeschaltet. Wie in Charitas Christiana konstituiert sich das Personal zu großen Teilen aus einer gehobenen Gesellschaftsschicht, dahinter stehen allerdings andere Intentionen. Hier wird der tiefe Fall von Camillus aufgezeigt. Der Sohn des ehemaligen Prätors von Alexandria findet sich nun am Rand der Gesellschaft wieder. Mit Hilfe des Glaubens kann der soziale Abstieg überwunden werden. Darüber hinaus wird ein Spannungsfeld zwischen dem Adel einerseits und der monastischen Welt andererseits erzeugt: Die Mutter der Brüder erwartete sich von ihrem Bruder, dem Abt, eine Leistung, die nicht zu erbringen ist. Der Mönch kann sie nur auf die Gnade Gottes vertrösten. Die Sprache des Stücks ist äußerst einfach gehalten. Claus hat vorwiegend mit kurzen, einfachen Hauptsätzen gearbeitet, der Wortschatz ist – wohl bewusst – repetitiv. Möglicherweise war das Stück für die Schüler der unteren Klassen intendiert. Die Länge von über fünfzig Druckseiten ist dafür allerdings beachtlich. Sanctus Dasius martyr Für Dasius übernahm Claus die wohl bedeutendste Handlungsstruktur des barocken Jesuitendramas: das Märtyrerdrama. Er bezog sich dafür auf einen bei den Zeitgenossen bekannten Stoff aus der Zeit der diokletianischen Christenverfolgung: Dasius-Dramen waren auf der Jesuitenbühne mehrfach aufgeführt worden. Valentin verzeichnet von 1685 bis 1763 neun Belege, darunter eine

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Aufführung im Juni 1743 in Dillingen (Valentin, Nr. 5582), d. h. in dem Jahr, als Claus nach Dillingen übersiedelte; möglicherweise handelte es sich dabei um eine Aufführung des hier besprochenen Dramas. Vier der von Valentin aufgelisteten Aufführungen stammen aus der Zeit nach 1750, mit Übernahmen von Claus’ gedrucktem Stück ist zu rechnen. Als Quelle hat Claus die Fasti Mariani des Tiroler Jesuiten Andreas Brunner (1589–1650) angegeben, die 1630 erschienen waren und vielfach wieder aufgelegt wurden. Im argumentum zum Stück sind Passagen daraus direkt übernommen. Bei Brunner ist die Episode äußerst knapp geschildert:556 In Dorostorum in der römischen Provinz Mysia (dem heutigen nordostbulgarischen Silistra) wurde Saturn jährlich ein jugendlicher Bürger geopfert, der zuvor dreißig Tage lang kulinarisch verwöhnt und feierlich geschmückt wurde. Als die Wahl auf Dasius fiel, verweigerte dieser die kultischen Handlungen und ließ sich nicht für Saturn, wohl aber als christlicher Glaubenszeuge hinrichten. Biographische Informationen – der historisch bezeugte Dasius war Soldat in der römischen Armee – finden sich in Brunners Darstellung nicht. Claus hat die überlieferte Erzählung zu einem eigenständigen Plot ausgebaut. Sein Dasius ist ein argloses Kind, das die dreißigtägigen Verhätschelungen zwar genossen hat, beim Anblick des Opfermessers jedoch verstört vom Altar herunterspringt. Sein Onkel, der Prätor der Stadt, der die Opferung seines Neffen lange abzuwenden versucht hat, möchte Zeit gewinnen, um den Knaben zu beruhigen. Der Opferpriester Gagegorus wird indes von seinem Assistenten Stolander und dem Volkstribun gerügt, weil er das Opfer schlecht vorbereitet hat: Er hat Dasius zwar darüber informiert, dass er im Zuge der kultischen Handlungen zu einem Gott aufsteigen werde, ihm das Prozedere der Vergöttlichung aber verschwiegen. Zu Beginn des 2. Akts kehrt Dasius’ älterer Bruder Patroclus, von der verzweifelten Mutter mittels Briefen aus dem Ausland zurückgerufen, nach Dorostorum zurück. Inzwischen zum Christentum konvertiert, grämt sich dieser angesichts des sinnlosen Todes seines Bruders. Als er erfährt, dass er gerade noch rechtzeitig gekommen ist, dankt er Gott und begibt sich in den Tempel, wo ihn die heidnischen Priester dazu auffordern, Dasius von der Notwendigkeit, sich opfern zu lassen, zu überzeugen. Im 3. Akt bekehrt Patroclus seinen Bruder jedoch zum christlichen Glauben und gibt ihm zu verstehen, die religiösen Vorstellungen der lokalen Bevölkerung seien Irrtümer. In der Zwischenzeit versucht Beryllus, der Sohn des Prätors, der seinen Cousin Dasius darum beneidet, als Opferknabe ausgewählt worden zu sein, Stolander dazu zu überreden, ihn an dessen Stelle zu opfern.  Brunner 1630, Bd. 2, S. 31r–31v.

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Im 4. Akt werden Fluchtvorbereitungen getroffen. Mithilfe des bestechlichen Stolander soll Dasius befreit und Beryllus für ihn in den Tempel eingeschleust werden. Patroclus kann davon ausgehen, dass der Prätor seinen eigenen Sohn ohnehin nicht töten lassen wird. Als alles vorbereitet ist und die Kinder bereits ihre Kleider tauschen, wird der Betrug aber von einem unzuverlässigen Sklaven vereitelt. Im letzten Akt äußert Dasius den Wunsch, öffentlich geopfert zu werden. Das Volk strömt herbei, der inzwischen zum Oberpriester beförderte Stolander bereitet das Opfer vor. Patroclus ist entsetzt angesichts der Entwicklungen. Ehe es zur Tötung kommt, legt Dasius jedoch ein Kreuz auf den Altar, bekennt sich zum Christentum und verleugnet Saturn. Patroclus wird aufgefordert, den Bruder zur Vernunft zu bringen, beharrt jedoch nun selbst auf dem Martyrium. Die erboste Menge fordert auch seine Hinrichtung, der Prätor kündigt einen öffentlichen Feuertod für die beiden Brüder an. Claus hat das konventionelle Schema des Märtyrerdramas in mehrfacher Hinsicht modifiziert. Der Märtyrer ist hier ein Kind; er wird nicht vor die Möglichkeit gestellt, durch Abschwören von seinem Glauben sein Leben zu retten; der Märtyrertod findet im Rahmen der Handlung nicht statt. Außerdem hat der Autor eine Reihe von komischen Motiven sowie gänzlich unheroischen Nebenhandlungen eingeführt, die mit dem traditionellen Gattungsverständnis kaum kompatibel sind. Dass Claus kein traditionelles Märtyrerdrama vorlegt, wird schon zu Beginn des Stückes angedeutet: In der Konstellation, dass der ausgewählte Knabe mit dem Ausruf latro! latro! („Mörder! Mörder!“ 1,3) vor dem Messer des Oberpriesters flieht, ist die Martyriumsszene geradezu parodiert. Auch der darauffolgende Streit zwischen den schon mittels ihrer Namen als Karikaturen markierten Priestern Gagegorus und Stolander soll – über die Funktion, das heidnische Priestertum zu desavouieren, hinaus – sicherlich komisch wirken: Ineptia tua accidit hoc nefas. – Summo popae sic loqueris? insolens pecus! – Pecus ipse stolidum es. („Durch deine Dummheit ist dieser Frevel passiert.“ „Redest du so mit dem Oberpriester? Du freches Vieh!“ „Du bist selber ein dummes Vieh.“ 1,4). Eindeutig als humoristische Szenen angelegt sind auch 5,2 und 5,5: Der Oberpriester erteilt den Soldaten aus Angst vor Betrug den Auftrag, keine Priester mehr in den Tempel zu lassen, worauf sie ihm selbst hartnäckig den Zutritt verwehren. Trotz dieser komischen Momente bleibt die religiöse Aussagekraft des Dramas intakt. Das christliche Martyrium wird der heidnischen Kulthandlung entgegengesetzt, die friedliche christliche Religion dem blutigen Ritual entgegengehalten. Wie absurd die heidnischen Vorstellungen sind, ist deutlich herausgearbeitet. So wird Dasius in 1,3 gefragt An vis negare sanguinis guttam Deo / adeo te amanti? („Willst du denn dem Gott, der dich so sehr liebt, keinen

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Tropfen557 Blut gönnen?“), worauf dieser antwortet: Tam cruentum abominor Deum. („Einen so blutigen Gott lehne ich ab.“) Patroclus legt seine rechtzeitige Ankunft als Walten Gottes aus, der Dasius vor der blutigen Opferung bewahren will. Um die ursprüngliche Fabel nach aristotelischen Vorstellungen auszufalten, hat Claus zwischen den Figuren familiäre Beziehungen konstruiert. Der Prätor Bessus, die oberste Entscheidungsinstanz, befindet sich als Onkel des Titelhelden in einer zwiespältigen Situation. Eigentlich möchte er seinen Neffen vor dem Tod bewahren, befürchtet jedoch, dadurch seinen Rückhalt als Politiker in der Bevölkerung einzubüßen. In den Monologen (1,4), in denen dieses Dilemma manifest wird, erscheint er als Zentralfigur des Werkes, die sich letztlich für den opportunistischen Weg entscheidet. Vor dem erziehungsdidaktischen Hintergrund des Stücks muss die Figur als Negativexempel für das Setzen falscher Prioritäten gelten: Placere quaerit civibus plus quam Diis („Er versucht eher den Bürgern zu gefallen als den Göttern“ 4,1). Als Vorlage für Bessus könnte eine Figur aus Corneilles Polyeucte gedient haben: Der römische Heerführer Felix ist ebenfalls aus familiären Gründen daran interessiert, den Titelhelden zu verschonen, lässt aber schlussendlich aus machtpolitischen Gründen die Hinrichtung anordnen. Auch das Motiv des Doppelmartyriums könnte aus Polyeucte übernommen worden sein. In Corneilles Märtyrerdrama wird der Titelheld zunächst von seinem Freund Néarque bekehrt, dieser schreckt später jedoch vorübergehend davor zurück, für den neuen Glauben sein Leben hinzugeben. Patroclus erfüllt in Claus’ Stück eine analoge Funktion. Weitere Nebenhandlungen brandmarken Ehrsucht und Karrierismus. Der Assistenzpriester Stolander begehrt offen gegen seinen Vorgesetzten auf und schafft es schließlich mit unlauteren Mitteln, diesen abzusetzen. Offensichtlich als lächerliche Figur intendiert ist der Sohn des Prätors, Beryllus: Von Standesdünkel korrumpiert, weigert er sich, seinen Cousin als Gott anzubeten. Seine Bemühungen, selbst die Rolle des Opfers zu übernehmen, scheitern im letzten Akt, als der bestochene Stolander seine Versprechungen erwartungsgemäß nicht halten kann. Es scheint naheliegend, dass Claus mit dieser Figur das pädagogische Ziel verfolgte, adeligen Schülern die Lächerlichkeit überheblichen Verhaltens vor Augen zu führen. Zu Dasius hat sich neben einer deutschen Bearbeitung aus der Feder Franz Xaver Janns558 ein indirektes Rezeptionszeugnis erhalten. In der zumeist dem  Die beschwichtigende Aussage des Priesters, Dasius müsse nur eine gutta sanguinis („Blutstropfen“) opfern, liest sich als Vorverweis auf das in der Folge verwendete guttur („Kehle“). Dem Knaben soll die Kehle durchgeschnitten werden.  Siehe hier S. 304.

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bayrischen Aufklärer und Jesuitengegner Anton von Bucher zugeschriebenen Abhandlung Beyträge zu einer Schul- und Erziehungsgeschichte in Baiern (1778) stellt sich der Autor „einen dieser jungen Geistlichen [vor], wie er war. Er führte, zum Beyspiele den Celsus einen römischen Martyrer auf – den Dasius vom Claus, vielleicht nur mit veränderten Nämen.“ 559 In der Folge schildert der Verfasser in satirischem Tonfall die Theaterprobe, wobei er sich vor allem über die Rollenvergabe an bestimmte Schülertypen und das undifferenzierte psychologische Profil der Hauptfiguren mokiert.560 Der Passus deutet daraufhin, dass Claus’ Dasius zu den bekannteren jesuitischen Märtyrerdramen der zweiten Jahrhunderthälfte gehört haben dürfte. Picus Mirandulanus phoenix Marianus Das brisanteste Stück der Sammlung ist Picus Mirandulanus phoenix Marianus. Das ebenfalls fünfaktige Drama greift die Themen Zensur und Selbstzensur auf. Die Kerninformation des kurzen argumentum ist wörtlich aus der vielen Gesamtausgaben der Werke Giovanni Picos della Mirandola (1463–1494) vorangestellten, von dessen Neffen Gianfrancesco 1496 verfassten Biographie übernommen: Elegiaco carmine amores luserat, quos quinque libris exaratos religionis causa ignibus tradidit. („In elegischen Versen hatte er die Liebe spielerisch behandelt; er übergab sie, in fünf Bücher gegliedert, aus Frömmigkeit den Flammen.“)561 Der Passus steht im Kontext der vom Biographen verklärten Wandlung des Humanisten von einem weltzugewandten, ruhmsüchtigen Edelmann zu einem jenseitig orientierten Philosophen und Gelehrten. Die Darstellung des Savonarola-Anhängers Gianfrancesco Pico della Mirandola, die auch an anderen Stellen durch eine christlich-moralisierende Idealisierung des Onkels gekennzeichnet ist, gibt die Episode freilich verzerrt wieder: Tatsächlich dürfte der Philosoph seine lateinische Lyrik aus Zweifel an ihrer künstlerischen Qualität verbrannt haben.562 Die dramatische Umsetzung der Episode geht wahrscheinlich auf Claus zurück, der Stoff ist vor seiner Zeit als Rhetoriklehrer auf der Jesuitenbühne nicht dokumentiert. Wo und wann er das Drama zur Aufführung brachte, ist unbekannt. Ein möglicher terminus ante quem ist 1746 – in diesem Jahr wurde von

 Bucher 1778, S. 57.  Im Hinterkopf behalten sollte man hier auch, dass das Märtyrerdrama seit der ersten Nummer von Lessings Hamburgischer Dramaturgie 1767 als Genre literarisch diskreditiert war.  Verwendete Ausgabe: Pico della Mirandola 1573. Hierzu siehe S. 4r.  Vgl. dazu den Briefwechsel zwischen Pico und Angelo Poliziano zu Beginn des ersten Buchs von Polizianos Epistolarium (Verwendete Ausgabe: Poliziano 1644, S. 9–17, v. a. S. 14.) Diskutiert ist die Frage nach der Historizität der Buchverbrennung u. a. in Garin 2011, S. 15.

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der Konstanzer Congregatio maior ein Stück aufgeführt, dessen Handlung derjenigen von Claus’ Picus stark ähnelt. Dabei handelt es sich um die einzige von Valentin dokumentierte Umsetzung des Stoffes (Nr. 5786). Es ist plausibler, dass sich der Konstanzer Chorag von der Uraufführung des Stücks inspirieren hat lassen als umgekehrt.563 Das Stück beginnt mit einem allegorischen Prolog, in dem sich der Amor profanus und der Amor Marianus in volkstümlichen, paargereimten Versen ein Streitgespräch liefern. Der Amor profanus lobt die reiche Sammlung an Liebeslyrik in Picus’ Bibliothek und frohlockt, als er ein Manuskript des Hausherrn mit dem Titel Cupido triumphans findet; der Amor Marianus hält dagegen, er werde den picus („Specht“) schon rupfen und ihn in einen Phönix verwandeln. Mit dieser (wohl als Gesangseinlage angelegten) allegorischen Szene wird das Spannungsfeld abgesteckt, in dem sich der Protagonist beweisen muss. Die eigentliche Handlung beginnt damit, dass Picus verstört aus seinem Schlaf auffährt, weil er geträumt hat, sein Cupido sei ein Raub der Flammen geworden. Nachdem ihn seine Diener beruhigt haben, küsst er erleichtert das wertvolle Manuskript, an dem er viele Jahre geschrieben hat. Am nächsten Tag berichtet ihm der Ferrareser Höfling Florimontius, dass er zu seiner Gebieterin, der Fürstin Rosaura, aufbrechen müsse und ihr das Manuskript von Cupido mitbringen wolle, auf das sie schon lange sehnlichst warte. Bevor Picus das Manuskript nach Ferrara schicken kann, muss er es jedoch noch mit einer Widmung versehen: Da er es der Jungfrau Rosaura nicht zu widmen wagt, möchte er eines seiner Venus-Epigramme als Widmungsschrift verwenden. Inzwischen ist Picus’ Schwager Alvarus de Phoenice aus Spanien eingetroffen. Er bittet den berühmten Dichter um eine Inschrift für eine Statue, die er anlässlich der Geburt seines Sohnes anfertigen lassen möchte: Die Skizze zeigt Maria mit dem Jesuskind, das einen von Flammen gerahmten Vogel in der Hand hält; der Vogel soll die Abstammung von Alvarus’ Sohn von Specht und Phönix darstellen. Alvarus erblickt zufällig eines der von Picus verfassten Epigramme und hält es prompt für geeignet. Als er jedoch erfährt, dass sich die Verse nicht auf Maria und Jesus, sondern auf Venus und Amor beziehen, lehnt er sie bestimmt ab und ereifert sich über Picus’ anrüchige Dichtung. Im folgenden Streit hält Florimontius dagegen, die gesamte gelehrte Welt bewundere Picus dieser Gedichte wegen; sie trügen ihm und der Sippe ewigen Ruhm ein. Zur Schlichtung wird der Bischof Bassus hinzugezogen. Er wird aufgefordert, Ausschnitte aus dem Buch zu lesen, um sich ein Urteil zu bilden.

 Dass Claus sich in Konstanz aufgehalten hätte, ist nicht bekannt. Vgl. auch Seidenfadens Beobachtung, wonach in Konstanz von 1721 bis 1759 zahlreiche Stücke aus dem Repertoire oberdeutscher Bühnen übernommen wurden. Seidenfaden 1963, S. 132.

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Zu Beginn des 2. Akts bittet Bassus Picus unter vier Augen, ihm das kostbare Werk mit nach Florenz zu geben, um es dort drucken zu lassen. Insgeheim plant er freilich, das Manuskript zu vernichten. Alvarus wird in den Plan eingeweiht. Im 3. Akt wird die Intrige von einem Diener, der die beiden belauscht hat, aufgedeckt. Picus will zunächst nicht glauben, dass sein langjähriger Freund Bassus ihn hintergeht. In einem Gespräch mit Florimontius wird Picus das Ausmaß des Betrugs bewusst. Im 4. Akt stellt der Protagonist Bassus zur Rede. Dieser gesteht den versuchten Betrug, rechtfertigt sich jedoch damit, dass er seinen Freund mittels pius dolus vor großem Unglück bewahren habe wollen. Picus, der das Buch für seinen wertvollsten Besitz erachtet, weist dem Bischof die Tür, lässt ihn jedoch wenig später zurückrufen, um sich mit ihm auszusprechen. Nun legt Bassus dar, welche Gefahr für Picus’ Seelenheil von einer Veröffentlichung der Gedichte ausgehe. Der Dichter wende nämlich das von Gott gegebene Talent dafür auf, andere Menschen zur Sünde zu verführen. Bassus mahnt Picus, er solle das Manuskript zumindest noch einmal überarbeiten und erinnert ihn daran, dass er viele Jahre zuvor die Gottesmutter zu seiner Schutzherrin gewählt und geschworen habe, er werde, wenn sie seinen Studienerfolg fördere, nur für sie dichten. Dieses Versprechen sei er im Begriff zu brechen, denn wer einmal Gedichte auf Venus veröffentlicht habe, dürfe nie mehr Maria besingen. Im 5. Akt berichtet Bassus Alvarus verzweifelt vom Scheitern seines Plans; das Buch werde bald gedruckt werden. In der letzten Szene kündigt Picus zunächst an, er werde Florimontius Cupido gleich übergeben. Damit wird mit einer für Claus typischen bewussten Irreführung des restlichen Dramenpersonals die Peripetie eingeleitet: Cupido brennt bereits im Ofen, Florimontius kann nur noch die Asche nach Ferrara bringen. Picus beschließt, sich jetzt einem Buch über Maria zu widmen, woraufhin Bassus feierlich erklärt, Picus dürfe sich nun Phönix nennen, weil er, nachdem seine alte Existenz verbrannt sei, ein neues Leben führe. Eines der ursprünglichen Venus-Epigramme verbrennt nicht. Maria gewidmet, soll es als Inschrift für Alvarus’ Statue dienen. Das Motiv des Philosophen, der mit seiner Vergangenheit bricht, indem er Jugendwerke verbrennt, ist als literarischer Topos seit der Antike gängig. Bereits der junge Platon soll seine Gedichte verbrannt haben, ehe er sich der Philosophie zuwandte.564 Unter Jesuiten bekannt war die Bekehrungsgeschichte Jacob Baldes, der beim Eintritt in den Orden zwar keine Gedichte verbrannt, wohl aber seine Laute zerbrochen haben soll.565 Nichtsdestotrotz bereitet es  Swift Riginos 1976, S. 46–48. Zur Motivtradition siehe Anm. 33 und 34.  Hess 1979. Auch Baldes Bekehrung war im 18. Jahrhundert Gegenstand von Schultheateraufführungen, in deren Chören der Amor profanus mit dem Amor Parthenius bzw. Marianus

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heute Mühe, den Aussagegehalt des Stückes nachzuvollziehen. Zwar lässt sich argumentieren, der Plot stehe im Dienst elementarer christlicher Wertevermittlung: Nicht auf das Streben nach irdischem Ruhm, den amor mundi, sondern auf die Erfüllung religiöser Pflichten soll der Mensch seine Talente verwenden. Über die repressiven Tendenzen des Stücks lässt sich jedoch nicht hinwegsehen, auch dann nicht, wenn man die Biblioklastie im Stück rein symbolisch, etwa als Nachweis der Opferbereitschaft, begreift. Das Thema Zensur muss ernst genommen werden, weil es differenziert und in historisch authentischer Weise diskutiert wird, insbesondere in der langen 4. Szene des 4. Akts, die als Schlüsselszene des Dramas gelten muss. In ihr unterhalten sich Picus und Bassus über die Wirkmächtigkeit von Literatur, wobei ersterer die Autonomie der Kunst, letzterer die moralische Sendung des Künstlers zum vorrangigen Kriterium erhebt. Auf die Anklage des Bischofs, der Dichter schade aus Ruhmsucht der Allgemeinheit, weil er die Menschen zur Wollust verführe, reagiert Picus mit einem abgewandelten Zitat aus Tit. 1,5: Nam casta castis omnia. („Den Reinen ist alles rein.“) Nur wer ohnehin bereits verdorben sei, könne von seinen Gedichten Schaden nehmen, zumal Picus keine offensichtlichen Anzüglichkeiten, sondern ausschließlich Allegorien und zarte Regungen der Liebe vorführe. Gerade in dieser Subtilität liegt dem Kirchenmann zufolge jedoch die Gefahr: Dort wo ingenium und ars sich treffen, sei der Leser dem improbus amoris furor („dreisten Wüten der Liebe“) erst recht ausgeliefert. Besonders anfällig seien die Einfältigen, in deren Hände das Werk unweigerlich gelangen würde. Das Buch dürfe keinesfalls an die Öffentlichkeit gelangen, gerade weil es von außergewöhnlicher Genialität und poetischer Kunstfertigkeit sei. In der Argumentation des Bischofs spiegelt sich die jesuitische Position, wonach Literatur dem Primat der Nützlichkeit unterliegt: Moralisch bzw. theologisch unsaubere Literatur muss aus dem Verkehr gezogen werden. Die Praxis der Zensur war für einen Autor wie Claus Alltagserfahrung, in vielen Gebieten waren die Jesuiten selbst aktiv in politisch verordnete Zensurprozesse involviert. Die Vorstellung, Bücher gänzlich zu vernichten, vertrug sich allerdings nicht gut mit dem Humanismus der Gesellschaft Jesu. Schon seit dem sechzehnten Jahrhundert vertraten die Jesuiten tendenziell einer liberale, inklusorische Kulturpolitik: Texte, die mit den sittlichen Positionen nicht kompatibel waren, sollten nicht vernichtet, sondern adaptiert, anzügliche Stellen ‚retuschiert‘ werden. Vor diesem Hintergrund wurden zahlreiche zensierte Klassikereditionen angefertigt, darunter der viel gelesene, 1589 in Ingolstadt erschienene Terentius ab omni obscoenitate purgatus, Matthäus Raders Martialis

wetteifert. Siehe insbesondere das auf 1732 datierte Drama von Franz Besenella. Hess 1979, S. 613.

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epigrammata omni obscoenitate sublata (1599) oder Joseph de Jouvancys Q. Horatii Flacci carmina expurgata (1688). Von der verhältnismäßigen Liberalität des Ordens zeugt auch der Umstand, dass Antonio Possevino in seinen gegenreformatorischen Literaturkanon Bibliotheca selecta (1593) auch kleruskritische Texte aufgenommen hat, etwa Lelio Capilupis satirischen Vergil-Cento De vita monachorum (1534). Claus muss vor diesem Hintergrund zwar als Verfechter der Zensur, nicht unbedingt aber auch als Anhänger der Biblioklastie gesehen werden. Bücherverbrennung ist wohl primär symbolisch zu begreifen, wenngleich das Motiv auf den Jesuitenbühnen eine gewisse Tradition hatte.566 Im Kontext der Schule ist die Wirkungsabsicht ohnehin eine andere. Der pädagogische Aussagegehalt liegt in der abstrakten Moral des Stücks: Claus plädiert für das Setzen christlicher Prioritäten und eine jenseitsorientierte Lebensführung. An diesem Stück lässt sich gut zeigen, wie umsichtig Claus auch in den Exercitationes literarisch gearbeitet hat. Noch mehr als in seinen anderen Dramen hat Claus in Picus Mirandulanus mit christlicher Symbolik operiert. Auf die Vogel-Metaphorik – bereits zu Lebzeiten erhielt Giovanni Pico den Beinamen Phoenix – samt der an die Vogelarten geknüpften Assoziationen wird wiederholt zurückgegriffen; Feuer erscheint leitmotivisch in seiner Eigenschaft als verderbliches bzw. reinigendes Element; eine große Bedeutung kommt der Marien-Ikonographie zu. Die Ausstattung der Figuren ist charakteristisch für den Dramatiker. Die Hauptfigur verfügt über ein differenziertes Charakterprofil. In ihr wird kein plumper Wandel von einem Ehrsüchtigen zu einem Frommen vorgeführt, sondern eine langsame Läuterung einer zunächst um ihr Werk besorgten, aber nie ideologisch eingenommenen Figur. Sture Haltungen sind hingegen den zwei Gegenspielern Florimontius und Alvarus mitgegeben. Florimontius ist ein weltlich orientierter Renaissance-Höfling, der die repräsentativen Interessen seiner Fürstin vertritt und dem Klerus gegenüber prinzipiell skeptisch gesinnt ist: Nunquam / popis fides habenda est. („Den Pfaffen darf man niemals trauen.“ 3,5) Alvarus ist Vertreter einer unbedingten christlichen Rechtgläubigkeit. Wie in Charitas Christiana hat Claus mit stereotypen Zuschreibungen an das spanische Naturell operiert. Hier ist es die sprichwörtliche spanische Frömmigkeit, die zur Geltung kommt. Wie in anderen Stücken der Sammlung hat Claus mit einer komischen Nebenfigur operiert, allerdings ist Komik hier in vergleichsweise reduzierter Form eingesetzt und enger in die Haupthandlung eingebunden: Der einfältige Diener

 Wittmann 2009, S. 119.

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Dromus hält Cupido von Anfang an für einen gefährlichen dämonischen Geist, der im Haus sein Unwesen treibt. Claus arbeitet mit dramatischer Ironie, wenn er die Figur in 1,2 sagen lässt, sie habe die Gefahren dieses nichtsnutzigen Kerls im öffentlichen Theater vorgeführt bekommen. Im Gegensatz zu den einfältigen Sklaven in Moyses vertritt Dromus eine Position, die mit der intendierten Aussage des Stücks in Einklang steht.

.. Kurzdramen Die restlichen Stücke des ersten Bandes der Exercitationes sind strukturell einfacher gebaut. In ihnen treten grundsätzliche erzieherische Anliegen in den Vordergrund. Die gewählte Form ist dabei die Mahnung vor den Konsequenzen ungebührlichen Verhaltens. Eine Verwendung dieser Stücke im Unterricht der unteren Klassen ist ebenso vorstellbar wie ein Einsatz in den Kongregationen (letzteres trifft insbesondere für Jejunium sabbathinum und Stanislaus Kostka zu).

Gula punita Gula punita ist das erste von mehreren Dramen, die Schulbuben in den Mittelpunkt der Handlung rücken. Der Übungsstückscharakter tritt hier besonders offensichtlich zutage: Die Sprache ist einfach, die Handlung elementar; das Stück ist nicht in Akten, sondern schlicht in drei Teilen organisiert. Die moralpädagogische Lehre ist überdeutlich herausgestellt, der Titel des Stücks allerdings bis zu einem gewissen Grad irreführend: Gegeißelt wird nicht übermäßige Völlerei, sondern Diebstahl infolge kulinarischer Verführung. Weitere pädagogische Postulate sind die Warnung vor der Lüge bzw. der Appell, begangenes Unrecht einzugestehen. Die drei Buben Osmannus, Selimus und Bajazeth befinden sich im Garten des osmanischen Sultans in Konstantinopel. Der kindliche Selimus träumt davon, selbst in die Rolle des Sultans zu treten, da dieser das Vorrecht hat, die leckeren Früchte des Gartens zu essen. Besonders gelüstet den Buben eine Frucht, die allein auf einem Baum wächst. Osmannus warnt ihn jedoch: Der Sultan selbst habe diesen Baum gepflanzt, die Frucht dürfe nicht einmal berührt werden. Nachdem Selimus sich, vom Spaziergang erschöpft, in einem Wäldchen zur Ruhe gelegt hat, gesteht auch Bajazeth, der Verlockung, die Frucht zu essen, kaum widerstehen zu können. Osmannus rät ihm, mit den Trauben Vorlieb zu nehmen, deren Verzehr nicht unter Strafe stehe. Nachdem Bajazeth in den Weingarten abgegangen ist, erliegt Osmannus selbst der Verführung. Der Monolog, welcher der Tat vorangeht, ist ein anschauliches Bei-

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spiel für den syntaktisch einfachen, gleichwohl ironisch-verspielten Stil, den Claus im Stück anschlägt: Age belle fructus, impigre hunc stomachum subi! At si imperator resciat? vae, vae mihi! Sed quomodo poterit rescire? nemine vidente me? nam nemo me, nemo videt. Sum solus. Euge! audacter. Nur zu, du schöne Frucht, komm hurtig in diesen Magen! Aber was, wenn der Sultan davon erfährt? Weh mir, weh! Doch wie könnte er es auch erfahren? Wenn mich doch keiner sieht? Es sieht mich ja keiner! Ich bin allein. Wohlan! Mut! (1,5)

Im 2. Teil melden die Gärtner dem Knabenerzieher Achmet den Diebstahl, da als Täter nur die Buben in Frage kommen. Der naive Selimus macht sich verdächtig, weil er weiterhin von der Frucht schwärmt. Nach dem Verhör wird er aber für unschuldig befunden. Der Verdacht fällt auf Bajazeth, der mit einer Handvoll Trauben zurückkehrt und erklärt, er habe viele Früchte gegessen. Auch Osmannus tritt auf, verstrickt sich in Widersprüche, argumentiert aber, er habe geschlafen und im Schlaf stehle man nicht. Als der Täter mit Selimus allein ist, überredet er ihn, mit ihm gemeinsam Bajazeth zu verleumden; nur auf diese Weise könne er den Peitschenhieben entkommen. Im 3. Teil bereitet Achmet die Schutzgarde des Sultans darauf vor, auf den Verleumdeten einzuprügeln. Als Selimus noch einmal verhört wird, gesteht er jedoch, auf Anweisung von Osmannus gelogen zu haben. Da alle drei Buben beharrlich leugnen, ordnet der Sultan eine radikale Maßnahme an: Um den Täter zu überführen, solle man ihnen die Bäuche aufschneiden. Osmannus bekommt es mit der Angst zu tun, geht jedoch davon aus, es handle sich um eine leere Drohung. Bajazeth, der gegen die Weisung des Aufsehers Trauben gegessen hat, soll als erster aufgeschnitten werden. Ein Vertrauter des Sultans und Freund Bajazeths argumentiert jedoch, Osmannus habe seinen Schützling zum Traubendiebstahl angestiftet, weshalb dieser zuerst sterben müsse. Osmannus wird abgeführt, betet zu Mohammed, bekräftigte jedoch weiterhin seine Unschuld. Inzwischen fordern sich Selimus und Bajazeth gegenseitig in panischer Angst dazu auf, zu gestehen, um Osmannus zu entlasten. In der letzten Szene erfahren die gefesselten Gefährten erleichtert, dass in Osmannus’ Magen die Frucht gefunden wurde. Die Überreste und der Leichnam des Buben werden auf die Bühne gebracht. Als Quelle für das Stück gibt Claus Campofulgosus sowie, darauf basierend, Johannes Niess’ Alphabetum diaboli an. Ersteres bezeichnet die Anekdotensammlung Fatti e detti memorabili (Erstdruck in lateinischer Übersetzung 1509) des vormaligen Dogen von Genua, Battista Fregoso (1450–1504), die im

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deutschen Sprachraum bis ins achtzehnte Jahrhundert in lateinischer Übersetzung nachgedruckt wurde.567 Das Alphabetum diaboli (1618) des Jesuiten Niess ist eine typologisch angeordnete Sammlung von Beispielen sündhaften Verhaltens aus der Literaturgeschichte.568 Die beiden Texte bieten eine weitgehend deckungsgleiche Version der Episode, die Zielrichtung ist jedoch gegensätzlich: Während Fregoso sie unter der Rubrik De crudelitate als abschreckendes Exempel tyrannischer Grausamkeit anführt, steht bei Niess das Fehlverhalten des Schülers im Vordergrund; Claus hat Niess’ Ansatz übernommen. Das aus heutiger Sicht auffälligste Charakteristikum des Dramas ist das Nebeneinander von Komik und roher Brutalität. Der moderne Leser muss sich fragen, inwieweit die angesichts der pädagogischen Zielrichtung des Stücks grundsätzlich als gerecht begriffene Bestrafung eines sündigen Knaben angesichts des unverhältnismäßigen Strafausmaßes selbst als komischer Effekt intendiert ist. Der erste komische Versuch einer Bestrafung – das Bombardieren des Fruchtdiebs mit verfaulten Früchten – spricht dafür. Außerdem deutet darauf der Umstand hin, dass das bestialische Bauchaufschlitzen von einer Reihe von offensichtlich humorvollen Szenen gerahmt wird. Ausgeführt wird Komik in erster Linie anhand von Selimus, einer deutlich in der Tradition des servus stultus stehenden Figur. Exemplarisch für die so erzielte Situationskomik ist ein Dialog mit dem Erzieher in 3,10: Selimus: Domine Praefecte, num licet unicum hodie mihi mendacium? Achmet: Mendacium? Selimus: Hoc si licet, dicam statim, quod pomum ego decerpserim; nam malo coedi, quam mori, aut absque ventre vivere. Selimus: „Herr Aufseher, ist mir heute eine einzige Lüge erlaubt?“ Achmet: „Eine Lüge?“ Selimus: „Wenn mir das erlaubt ist, werde ich gleich sagen, dass ich die Frucht gepflückt habe; denn ich mag lieber verhauen werden als sterben oder ohne Bauch leben.“

Ähnliche Repliken finden sich über den gesamten Text verstreut. Mitunter sind sie mit der zentralen Handlung nur lose verbunden, etwa in 1,2, wo Selimus sich brüstet, ein Vertrauter des Sultans zu sein, weil dieser ihm einst eine Ohrfeige verpasst habe. Auch andere Figuren werden in den Dienst der Komik genommen, insbesondere der träge Bajazeth. Vielleicht wird man dem Stück gerecht, wenn man intendierte altersspezifische Unterschiede in der Rezeption annimmt und davon ausgeht, jüngere

 Verwendete Ausgabe: Fregoso 1726. Die Episode findet sich im 2. Kapitel des 9. Buches auf S. 317v.  Verwendete Ausgabe: Johannes Niess 1624. Die Episode findet sich auf S. 170–171.

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Schüler sollten vor Fehlverhalten abgeschreckt, ältere und Erwachsene erheitert werden. Diese Unterscheidung dürfte mit der zwischen Schauspielern und Publikum kongruieren: Man darf vermuten, dass der Autor das Stück für die unteren Schulklassen vorsah. Im Publikum befanden sich vermutlich auch ältere Schüler. Auffällig ist, dass die Frucht im Stück an keiner Stelle genauer beschrieben wird – im Gegensatz zu den Quellen, wo sie als Zitronatzitrone spezifiziert ist. Claus dürfte absichtlich ein möglichst weites Feld an Assoziationen eröffnet haben. Das Stück lässt sich somit mit unterschiedlichen Ausformungen des christlichen Motivs der verbotenen Frucht in Beziehung setzen, von Gen. 2,17 – hier ist die Frucht ebenfalls nicht näher bezeichnet – bis zum Birnendiebstahl des Augustinus in Confessiones 2,9. Jejunium sabbathinum Das folgende Stück ist thematisch ein Gegenentwurf zu Gula punita. Hier wird gezeigt, welchen Gefahren jemand entgeht, der einer kulinarischen Verführung widerstehen kann. Wie im vorangehenden Drama sind zur Betonung der pädagogischen Botschaft Komik und Drastik eingesetzt. Das Stück, das in drei Teile gegliedert ist, kommt mit reduziertem Personal aus: Nur drei Figuren sowie eine Backstage-Figur werden eingesetzt. Protagonist ist der fromme Jugendliche Constantius, der den Vorsatz gefasst hat, an Samstagen zu Ehren der Muttergottes zu fasten. Am Tag der Handlung, einem Samstag und seinem Geburtstag, muss er seine Gebete unterbrechen, da er sich krank fühlt. Sein Diener Dromulus regt an, der Jubilar solle diesen Tag ohnehin nicht mit Beten, sondern dapsiliter et genialiter („genießerisch und fröhlich“, 1,1) verbringen. Als Leander, der Freund der Hauptfigur, von deren Unpässlichkeit erfährt, schlägt er Kakao als Heilmittel vor. Da sich kein Kakao mehr im Haus befindet, schickt Leander Dromulus mit der Bitte um Kakao zu Constantius’ Cousine Placidia. Als der Protagonist davon hört, reagiert er ablehnend: Von einem Mädchen dürfe man nichts annehmen, jeder Umgang mit dem weiblichen Geschlecht sei verderblich, einzig Maria dürfe geliebt werden. Das Werben des verliebten Leander um Placidias Gunst verurteilt er streng. Kurz darauf kehrt Dromulus mit zahlreichen Gaben zurück, die jedoch zu Leanders Bedauern nicht für ihn, sondern für den Jubilar bestimmt sind. Für Leander hat sie einen leeren Korb mitgeschickt und ausrichten lassen, dieser sei das beste Heilmittel für dessen ‚Krankheit‘. Der gekränkte Leander wird von Dromulus deswegen gehänselt. Während der Diener den Kakao zubereitet, beschließt Leander, ihm den Spott heimzuzahlen: Er sabotiert den Kakao, indem er Tabak, Tinte und Mäusegift einrührt. Damit will er seinen Freunden einen Denkzettel verpassen.

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Nachdem Dromulus den Kakao auf drei Tassen verteilt hat, verzichtet Leander unter dem Vorwand, keinen Durst zu haben und außerdem samstags zu fasten, auf sein Getränk. Erst jetzt fällt Constantius ein, dass er ebenfalls zu fasten gelobt hat. Sogleich beschließt er, seinen Kakao erst am folgenden Tag zu trinken – sehr zur Enttäuschung von Dromulus, der sich selbst auf das Getränk gefreut hat und Constantius zum Trinken auffordert. Mehrmals lässt dieser sich fast überreden, bleibt letztlich aber standhaft. Dromulus hingegen trinkt den vergifteten Kakao und kollabiert wenig später mit schweren Magenbeschwerden. Constantius, der die leere Tabaksdose Leanders sieht, begreift die Zusammenhänge und lässt einen Arzt rufen. Leander erkennt verzweifelt das Ausmaß seiner Tat. Da Dromulus um sein Leben ringt, kann er sich nur noch an die Gottesmutter wenden. Das gemeinsame Gebet der Freunde zeigt jedoch Wirkung: Dromulus beginnt, aus der Nase zu bluten und auf diese Weise das Gift auszuscheiden. Er überlebt die Vergiftung; Leander verspricht, in Zukunft ein frommes Leben zu führen. Als Quelle für diesen Stoff ist der Sodalis parthenius angegeben, eine 1621 von Kaspar Lechner veranstaltete und 1722 mit aktualisierten Beispielen neu herausgegebene Leitschrift für die Mitglieder der Marianischen Kongregationen,569 in der fromme Verhaltensweisen von einstigen Sodalen dokumentiert wurden. Beide Auflagen enthalten Schilderungen von Fastenverhalten, die im argumentum des Stücks referierte Episode konnte ich jedoch nicht identifizieren. Jejunium sabbathinum ist das erste Stück der Sammlung, in dem sämtliche Figurennamen als bedeutungstragend markiert sind. Constantius („der Beständige“) ist der vorbildliche, unbestechliche katholische Jugendliche. Der Name seines Dieners, Dromulus („der Läufer“), soll an den typischen Sklaven der römischen Komödie gemahnen. Leander assoziiert die gleichnamige Figur aus dem antiken Mythos. Wie dieser handelt er aufgrund von Verliebtheit töricht. Die Warnung vor sinnlicher Liebe ist das wichtigste pädagogische Thema des Stücks. Leanders Werben um Placidia (sowohl „die Gefällige“ als auch „die Mäßigende“) ist Constantius’ Marienverehrung diametral gegenübergestellt. Der Einfall, ihm im wörtlichen Sinne einen Korb zu geben, ist einer der komischen Höhepunkte des Stücks, zumal er eine metasprachliche Reflexion der Figuren voraussetzt: Quid ergo vult germanica haec phrasis sibi, / qua dicimur cuipiam corbem dare? („Was bedeutet also jene deutsche Redewendung ‚jemandem einen Korb geben‘?“ 2,1)

 Verwendete Ausgabe: Lechner 1721. Siehe auch Lechner 1722.

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4 Werk

Das Stück ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine Aufführung in der Marianischen Kongregation verfasst worden. Das Thema lässt an eine Aufführung in der Fastenzeit oder im Advent denken. Sanctus Stanislaus Kostka angelorum conviva Das folgende Stück stellt wiederum einen frommen Jugendlichen in den Mittelpunkt. Die Tugend, die hier demonstriert wird, ist vorbildliches Gottvertrauen. Claus bediente sich dafür an der Biographie des Jesuitenheiligen Stanislaus Kostka (1550–1568). Der als Ordensnovize verstorbene Sohn polnischer Adeliger gehörte mit Aloysius von Gonzaga (1568–1591) zu den wichtigsten Vorbildfiguren der jesuitischen Knabenerziehung.570 Im Jesuitendrama wurden Erzählungen aus seinem Leben daher häufig auf die Bühne gebracht. Allein für das Jahr 1727 – im Dezember des Vorjahres waren Stanislaus und Aloysius heiliggesprochen worden – verzeichnet Valentin 15 Aufführungen.571 Claus’ Drama greift eine Episode aus der Jugend des Heiligen auf. Der junge Stanislaus befindet sich mit seinem Bruder Paulus im Haus des Protestanten Corvinus („Rabenvater“) in Wien. Ebenso wie der Sohn des Hauses ist er schwer erkrankt. Zu Beginn des Stücks prognostiziert der Arzt, Stanislaus werde den Tag nicht überleben. Der Knabe wacht wenig später auf und erzählt freudestrahlend, er sei von Maria zum Gastmahl der Engel gerufen worden. Die Umstehenden, die seine Aussagen für Fieberträume halten, bittet er, ihm das Sterbesakrament zu spenden, damit er sich zum Gastmahl aufmachen könne. Paulus denkt klagend darüber nach, wie er den Todesfall den Eltern berichten solle. Corvinus spricht ihm jedoch Mut zu: Er habe einen neuen, besseren Arzt rufen lassen. Als Paulus entgegnet, auch der beste Arzt könne nichts ausrichten, wenn Maria jemanden zu sich holen wolle, kommt es einer kurzen Meinungsverschiedenheit: Corvinus: Maria? Quae deliria, et somnia haec! confide tu Medico novo: centum Mariis praevalet. Paulus: Parce, moneo, blasphemiis. Es, nosco, Lutheri assecla, non vis Mariam colere; sed caveas tamen matrem Dei lacessere probris impiis.

 Jetter 2009.  Bei Valentin verzeichnet (Nr. 4569) ist auch das in Freiburg i. Br. zu Ehren von Stanislaus und Aloysius aufgeführte Drama Iter ad astra, als dessen Verfasser Anton Claus zumindest in Frage kommt. Vgl. hier Anm. 313. Stanislaus-Dramen im Druck erschienen 1730 in Maurispergs Dramata IV (S. 65–86) und zwei Jahre vor den Exercitationes in Huebers Flores poeticorhetorici, letzteres unter der Gattungsbezeichnung Promulgatio mariana, Hueber 1748, S. 1–26.

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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Corvinus: „Maria? Was sind denn das für Wahnvorstellungen und Träumereien! Vertraue du nur dem neuen Arzt. Er vermag mehr als hundert Marien.“ Paulus: „Ich mahne dich, spar dir deine blasphemischen Aussagen. Ich weiß, du bist ein Anhänger Luthers. Du willst Maria nicht verehren. Aber hüte dich trotzdem, die Gottesmutter mit unfrommen Schmähungen zu reizen!“ (1,4)

Im 2. Teil bereitet sich Stanislaus rituell auf die letzte Kommunion vor. Als Corvinus davon erfährt, ordnet er erzürnt an, dem katholischen Priester den Eintritt zu verwehren und sogar, sofern nötig, die Hunde auf ihn loszulassen. Paulus kann daher für seinen Bruder nichts tun, als ihm einen Zettel des neuen Arztes – eines Wunderheilers – zuzustellen, den er sich an den Hals hängen soll. Stanislaus hält diese Heilpraktiken jedoch für Aberglauben. Er möchte nur Marias Anweisungen gehorchen und lässt den Zettel heimlich ins Feuer werfen, woraufhin er explodiert. Der Kranke erklärt seinen verstörten Dienern, lieber auf offener Straße sterben zu wollen als in diesem verwunschenen Haus, wo ihm zudem die Sterbesakramente vorenthalten werden. Zu Beginn des 3. Teils rühmt sich der Wunderheiler damit, den Sohn des Hauses mit seiner Zettelmethode vollständig geheilt zu haben. Paulus hofft, dass der Zettel im Fall von Stanislaus ähnliche Wirkung zeitigt. Als er erfährt, dass das Schriftstück im Ofen verbrannt ist, bekommt er einen Wutanfall. In diesem Augenblick meldet ein Diener den Tod des Protagonisten und ein Wunder: Bevor der Junge verschieden sei, habe ihm ein Engel die Hostie gebracht. Paulus eilt ins Krankenzimmer, findet Stanislaus zu seiner Überraschung aber nicht nur am Leben, sondern völlig genesen vor. Das Gastmahl mit den Engeln hat ihn wiederhergestellt. In der letzten Szene berichtet Corvinus weinend, dass sein Sohn letztlich doch verstorben sei. Stanislaus wirft ihm vor, selbst für den Tod des Sohnes verantwortlich zu sein. Hätte er sich nicht dem Wunderheiler, sondern Maria anvertraut, wäre der Bub gerettet worden. Wie in anderen Stücken hat Claus für die Gestaltung dieses hagiographischen Sujets nicht auf komische Figuren verzichtet. Der Unverstand bzw. die verqueren Ansichten von Paulus’ Diener Stapsylus stehen in scharfem Gegensatz zur reifen Intelligenz und Frömmigkeit der Hauptfigur. Claus setzte damit wieder einen humoristischen Kontrapunkt. Der Lächerlichkeit ausgesetzt ist vor allem unchristliches Verhalten: Wenn Stapsylus dem Diener von Stanislaus unreflektiert erklärt, er hätte auch gern einen sterbenden Herrn, damit er dessen Schuhe und Beinschienen erben könne (2,1), ist das ebenso als komisches Moment intendiert wie Stapsylus’ gutgemeinte Ratschläge, wie man die Osterliturgie möglichst zeitsparend hinter sich bringen kann (2,2). Claus hat als Quelle für das Stück die schon 1670, zwei Jahre nach dem Tod des Novizen erschienene Kostka-Biographie des italienischen Jesuiten Daniello

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4 Werk

Bartoli angegeben,572 in der das Wunder ausführlich geschildert und historisch kontextualisiert ist:573 Weil der mit dem Protestantismus sympathisierende Kaiser Maximilian II. das von seinem Vater Ferdinand eingerichtete Jesuitenkonvikt schließen ließ, mussten die für ihre Schulausbildung nach Wien gekommenen polnischen Brüder im Haus des protestantischen Ratsherrn Kimberger privat unterkommen.574 Als Stanislaus schwer erkrankte und der Hausherr ihm aus religiöser Überzeugung das Sterbesakrament verwehrte, wurde er Bartoli zufolge allerdings von der Heiligen Barbara gerettet. Die konfessionelle Polemik, die das Stück prägt, ist in der Quelle also bereits angelegt. Bei Claus, in dessen Œuvre dieses Thema sonst an keiner Stelle direkt aufgegriffen wird, wird die Warnung vor den Machenschaften der Protestanten jedoch mit einer ironisierenden Note versehen, aus der deutlich wird, dass die konfessionelle Debatte im achtzehnten Jahrhundert an Schärfe verloren hatte. Indem Claus den protestantischen Hausherrn den dubiosen Praktiken des selbstherrlichen Wunderheilers Nigronius (etwa „Schwarzkünstler“, vgl. v. a. 3,1) Glauben schenken lässt, setzt er den Protestantismus der Lächerlichkeit aus. Die lutherische Konfession erscheint mehr als Groteske denn als Gefahr. Der Magier steht im Stück im Dienst eines scharf ausgearbeiteten Antagonismus von Rechtgläubigkeit und Häresie: Der Hausherr verurteilt einerseits die katholischen Sakramente als Aberglauben, vertraut aber andererseits den Methoden des Wunderheilers. Dass Stanislaus im Drama von Maria gerettet wird, gründet ebenfalls auf konfessionellen Diskursen: Marienverehrung galt im siebzehnten Jahrhundert als wichtiges Kriterium konfessioneller Unterscheidung; Luther hatte die Bedeutung Marias bekanntlich auf die von der Bibel überlieferte Rolle reduziert. In Reaktion darauf war Marienverehrung von der Gegenreformation forciert worden. Innerhalb der katholischen Kirche war der Jesuitenorden mit seinen Marianischen Kongregationen der bedeutendste Träger der Marienkulte.575 Die Kongregation dürfte auch der Aufführungsort des Stückes gewesen sein. Poena contempti missae sacrificii Das erste Stück der Exercitationes, für das Claus keine konkrete Quelle, sondern nur die Information ex ficta relatione („aus einem erfundenen Bericht“)  Daniello Bartoli: Della vita, e miracoli del Beato Stanislao Kostka della Compagnia di Giesù libri due. Rom 1670. Das Werk wurde vielfach wieder aufgelegt. Schon 1672 erschien es in Konstanz in deutscher Übersetzung unter dem Titel: Das Leben, und scheinbare Wunderthaten deß S. Stanislai Kostka auß der Gesellschaft Jesu.  Bartoli 1672, S. 81–99.  Ebd. S. 50.  Delius 1963.

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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angegeben hat, trägt den aussagekräftigen Titel Poena contempti missae sacrificii („Strafe für die Geringschätzung des Messopfers“). Der kurze Zweiteiler operiert strukturell mit Elementen, die sich bereits in den vorangehenden Dramen finden: Protagonisten sind wiederum Schulbuben, die sich eindeutig in positive und negative Charaktere unterscheiden lassen; letztere werden in drastischer Weise bestraft. Die beiden adeligen Brüder Cervinus („Hirsch“) und Hubertus sowie deren Cousin Eustachius haben sich an einem Ferientag auf die Jagd begeben. Obgleich Beute bislang ausgeblieben ist, besteht Hubertus darauf weiterzujagen, da er in der Nacht zuvor geträumt hat, er werde mit einem Schuss zwei Hirschkälber erlegen. Eustachius bedauert es, wegen der Jagd die Messe versäumt zu haben, und wird dafür von seinen Begleitern verspottet. Der fromme Schüler hat jedoch Glück: Der Bauer Mopsus tritt aus dem Dickicht und lädt ihn ein, bei einer Messe in einer nahen Eustachius-Kapelle zu ministrieren. Die Versuche des Knaben, seine Cousins zum Besuch des Gottesdiensts zu bewegen, scheitern freilich. Nur zwischenzeitlich lassen sie sich für die Idee begeistern, beim Jägerpatron Eustachius für gute Jagdbeute zu beten. Als der Jäger Actaeon auftritt und nahe Beute verheißt, sind sie nicht mehr zu halten. Eustachius geht allein zur Messe und betet dafür, dass seine Gefährten für den verschmähten Gottesdienst nicht büßen müssen. Im 2. Teil haben sich die Hoffnungen der Brüder auf Beute wiederum zerschlagen. Als die Glocke der Kapelle für das Allerheiligste läutet, verspürt auch Hubertus das Bedürfnis, zur Messe zu gehen. Cervinus hält ihn jedoch mit lästerlichen Aussagen zurück. In diesem Augenblick erblickt der Jägerssohn Vulpulus („Füchschen“) ein Hirschkalb, Cervinus verfolgt es. Vulpulus fordert Hubertus aufgeregt auf zu schießen. Mopsus tritt aus der Kapelle und verpasst ihm eine Ohrfeige, da er mit seinem Geschrei die Messe gestört hat. Als Vulpulus das Gewehr wütend auf Mopsus richtet, ertönt ein Schuss – allerdings hat nicht er, sondern Hubertus geschossen und damit das Hirschkalb zur Strecke gebracht. In der letzten Szene bringt Actaeon den toten Cervinus auf die Bühne: Hubertus hat auch seinen Bruder getötet und damit tatsächlich mit einem Schuss zwei ‚Hirsche‘ erlegt. Eustachius erklärt in der Schlussreplik, das Unglück sei die Strafe für die ‚geschwänzte‘ Messe. Claus hat hier durchwegs Bedeutung tragende Namen gewählt. Cervinus und Vulpulus assoziieren Tiernamen, Eustachius und Hubertus verweisen auf Jagdpatrone (beide Heiligen sollen bei der Bekehrung einen Hirsch mit einem Kruzifix im Geweih erblickt haben), Mopsus ist ein Typus der bukolischen Literatur und Actaeon eine Figur aus dem antiken Mythos; letztere Bezeichnung ist besonders glücklich gewählt: Wie im Aktaion-Mythos wird im Stück ein Jäger Opfer seiner eigenen Jagdaccessoires; in beiden Geschichten ‚verwandelt‘ sich ein Mensch in einen Hirsch.

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4 Werk

Ein ideengeschichtlich interessanter Aspekt des Stücks ist die blasphemische Rhetorik des sündhaften Knaben Cervinus. In ihr spiegeln sich offenbar antiklerikale Diskurse des Entstehungskontexts des Stücks: monialis („Klosterfrau“) wird als Schimpfwort verwendet (1,4), religiöse Vorstellungen werden als aniles naenias („Altweiberpossen“, ebdt.) bzw. ridicula superstitio („lächerlicher Aberglaube“, 1,1) abgetan. Die Figur, die diese Äußerungen vorbringt, ist dadurch als negativer Charakter ausgewiesen. Allein der Umstand, dass diese Rhetorik auf der Jesuitenbühne Platz findet, ist jedoch bemerkenswert. Indem der Autor sie bewusst aufgreift, desavouiert er sie. In Cervinus’ Gegenspieler, dem frommen Knaben Eustachius, ist der ideale Sodale portraitiert. Gleich zu Beginn des Dramas gibt die Figur an, ihr Handeln folge der Mariana lex („Marianisches Gesetz“, 1,1) der Sodalitas. Die Kongregationen waren als Orte der Vermittlung christlicher Lebensführung eine wichtige Ergänzung zum gymnasialen Unterricht. Die Einhaltung regelmäßiger Messund Gebetszeiten zählten zu den Pflichten des Sodalen. Vermutlich diente dieses kurze, einfache Stück der Unterweisung jüngerer Schüler. Mit seiner makabren Pointe und seiner plastischen Moral transportierte es wirkungsvoll das pädagogische Programm der Ordenslehrer. Ein titelgleiches Stück dokumentiert eine Perioche aus Landsberg; es wurde 1757 von den Rudimentisten aufgeführt.576 Die Handlung ist strukturell ähnlich gebaut, die Strafe jedoch eine andere: Hier wird der Knabe, der die Messe verschmäht, auf der Vogeljagd vom Blitz getroffen. Die Entstehungszeit des Stücks und ähnliche Formulierungen im argumentum deuten daraufhin, dass das Claus-Drama als Vorlage gedient hat.

.. Deklamationen Der zweite Band der Exercitationes bietet zunächst eine Reihe von declamationes scenicae, kurzen Übungsdramen für den schulinternen Gebrauch. Die Methode der declamatio bildete einen Grundpfeiler der rhetorischen Ausbildung an den Jesuitenschulen. In der Ratio studiorum von 1599 festgeschrieben, verstand man darunter zunächst eine lateinische oder griechische Rede bzw. einen Gedichtvortrag der Schüler der Poesis und der Rhetorica vor Publikum.577 Dabei unterschied man zwischen declamatio privata, d. h. dem wöchentlichen Auftritt eines oder mehrerer Schüler vor dem Klassenverband als reine Übungsform, und declamatio publica, einer einmal im Monat erfolgenden, vom Studi-

 Valentin, Nr. 6723.  Lukács 1986, S. 428.

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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enpräfekten approbierten Performanz ausgewählter Schüler vor größerem Publikum. Die öffentlichen Deklamationen fanden in der Aula der Schule oder in der Kirche statt, für sie wurden die besseren Schüler ausgewählt. Die Lehrer hatten dafür Sorge zu tragen, dass möglichst viele andere Klassen zu den Darbietungen eingeladen wurden. Bereits im sechzehnten Jahrhundert wurden die monologischen Darbietungen ab und an zu Dialogen und kurzen Spielszenen ausgebaut.578 Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit eine immer stärker ritualisierte Spieltradition.579 Insbesondere im Umfeld wichtiger Feiertage lösten veritable Theaterspiele die monologischen Deklamationen ab und begründeten schulinterne Traditionen wie Katherinen-, Weihnachts-, Oster- oder Pfingstspiele. Der Klassenverband wurde zum Träger dieser Darbietungen, und zwar nicht nur die Rhetorica, sondern auch die unteren Klassen. Der Inszenierungsaufwand sollte offiziell so gering wie möglich gehalten werden,580 eine gewisse ‚Professionalisierung‘ lässt sich dennoch beobachten: Für zahlreiche Aufführungen wurden auch Periochen gedruckt.581 In größeren Kollegien wurde sogar ein eigenes Deklamationstheater eingerichtet.582 Die halböffentliche Inszenierung von Stücken verlangte nach qualitativ ansprechenden Texten, damit auch diejenigen Klassen, die das Publikum konstituierten, von der Aufführung profitieren konnten. Aufgeführt wurden daher nur die besten der von den Schülern verfassten Dialoge,583 oftmals dürfte wohl – wie im Fall der vorliegenden Stücke – der Klassenlehrer die Spielvorlage bereitgestellt haben. Die Anordnung der Stücke innerhalb der Sammlung entspricht ihrer Verwendung im Laufe des Schuljahres. Die Koppelung an Festtage legt nahe, dass die Stücke für eine declamatio publica intendiert sind, in der Praxis dürften sie freilich in kleinerem Rahmen ebenso Verwendung gefunden haben. Formal sind sie durchwegs einfach gebaut; zumeist handelt es sich um einaktige Stücke mit geringer Figurenanzahl.

 Vgl. Pohle 2010, S. 217. In der Ratio studiorum ist diese Übung bereits vorgesehen, Lukács 1986, S. 428.  Eine ausführliche Darstellung der Deklamationspraxis im 18. Jahrhundert bietet Pachtler 1894, Bd. 4, S. 140–144 unter dem Titel Ausserordentliche Übungen an den Gymnasien der oberdeutschen Provinz 1736. Eine zeitgenössische Darstellung findet sich auch in Michael Denis’ Autobiographie, Denis 1801, S. 38. Vgl. außerdem Barner 1970, S. 340; Pohle 2010, S. 218–230.  Lukács 1986, S. 421; Kropf 1736, S. 206–208.  Duhr 1921, Bd. 3, S. 469. Pohle 2010, S. 218 geht davon aus, dass Aufführungen vor allem von der Rhetorik- und den Grammatikklassen durchgeführt wurden.  Für Innsbruck vgl. Lechner 1909, S. 90. Für Freiburg i. Br. vgl. Duhr 1728, Bd. 4,1, S. 296.  Rädle 2013, S. 209.

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Declamatio in festo Sanctae Catharinae Den Anfang machen zwei Dramen, die anlässlich des Feiertags der Heiligen Katharina von Alexandria um den 25. November aufgeführt wurden. Katharina, die Patronin der Jesuitenschulen, war die wahrscheinlich bedeutendste Frauenfigur auf der Jesuitenbühne überhaupt. Valentin verzeichnet über einen Zeitraum von 200 Jahren über dreißig Aufführungen ihrer Lebensgeschichte im Kontext des Ordens.584 Wie mit Stanislaus Kostka griff Claus hier also ein im jesuitischen Bildungswesen gut etabliertes Sujet auf. In keinem seiner beiden Stücke tritt die Heilige Katharina allerdings selbst als Figur auf. Das Personal setzt sich jeweils ausschließlich aus männlichen Figuren zusammen. Das erste der beiden Dramen spielt immerhin noch im Umfeld der Heiligen, das argumentum fasst die berühmteste Episode aus ihrem Leben kurz zusammen: Der Herrscher Maximinus beauftragte die weisesten Philosophen des Landes damit, die christlichen Thesen der jungen Katharina in einer öffentlichen Disputation zu widerlegen; Katharina ließ sich aber nicht nur nicht von ihrem Glauben abbringen, sondern bekehrte auch noch fünfzig der Philosophen zum Christentum. In der declamatio in festo Sanctae Catharinae bildet diese Legende freilich nur den Hintergrund der Handlung. Nichts von alledem, was im argumentum angekündigt wird, wird auf der Bühne direkt dargestellt. Das Drama fängt das Ereignis sozusagen aus der Backstage-Perspektive ein. Die Figuren des Stücks sind mehrheitlich Bedienstete des Hofes. Der Höfling und Kryptochrist Porphyrius und die Pedelle Syntapsius und Blictrius befinden sich im Saal, der für die feierliche Disputation vorbereitet ist, und unterhalten sich über das anstehende Ereignis. Die beiden Pedelle verurteilen den Leichtsinn der Jungfrau, sich auf eine Auseinandersetzung mit so scharfsinnigen und terminologisch versierten Gelehrten einzulassen. Sie vertreten die Ansicht, dass es sich die Philosophen selbst bei einleuchtender Argumentation Katharinas niemals gefallen lassen könnten, von einer Frau belehrt zu werden. Porphyrius, ein heimlicher Anhänger Katharinas, entgegnet, das Geschlecht der Disputantin dürfe keine Rolle spielen. Nun tritt der Höfling Beryllus auf und ordnet an, man solle die Thesen anschlagen. Er bringt einen Lorbeerkranz und eine Goldkette mit, die demjenigen verliehen werden, der auch nur eine von Katharinas Thesen widerlegen kann. Beryllus berichtet, die Philosophen, die die Disputation kaum erwarten können, hätten vor Katharinas Zimmer Aufstellung genommen und sie gleich bei ihrem Erscheinen mit Syllogismen konfrontiert.

 Die Innsbrucker Aufführung eines Katharinendramas 1576 war von großer Bedeutung für die Entwicklung des Ordenstheaters überhaupt. Tilg 2005. Monologische Deklamationen, welche die Heilige thematisieren, sind abgedruckt in Masen 1710, S. 451–472 bzw. 613–630.

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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Syntapsius, der sich selbst für einen guten Logiker hält, überlegt unter dem Eindruck der Goldkette, selbst an der Disputation teilzunehmen. Um ihn darauf vorzubereiten, beschließen die Anwesenden, das Disputieren anhand einer der umstrittenen Thesen Katharinas zu üben. Blictrius führt den Vorsitz, Porphyrius tritt als Defendent, Syntapsius als Opponent auf. Die folgende Simulation der Disputation bildet das Kernstück des Dramas. Sie ist den Gattungskonventionen entsprechend in Prosa gehalten und in syllogistischer Form sowie mit typischen Disputationsformeln gestaltet: Syntapsius: Argumentabor contra thesin primam, quae sic habet: Datur ens a se, quod est deus, et hic tantum est unus in essentia. Contra cujus membrum secundum sic infero: Illa thesis, quae est falsa, non est admittenda. Atqui haec thesis est falsa. Ergo non est admittenda. […] Porphyrius: Nego minorem. […] Syntapsius: Probo minorem. Illa thesis est falsa, quae dicit aliquid falsum. Atqui haec thesis dicit aliquid falsum. Ergo est falsa. […] Syntapsius: Haec thesis dicit, quod detur tantum unus deus. Sed hoc est evidenter falsum. Ergo dicit aliquid falsum. Jam respondeat in forma, tantum in forma. Porphyrius: Nego minorem. Syntapsius: „Ich werde die erste These widerlegen, die folgendermaßen lautet: Es gibt das Seiende aus sich, das Gott ist. Und dieser ist einzig in seinem Wesen. Gegen den zweiten Teilsatz wende ich dies ein: Einer These, die falsch ist, ist nicht zuzustimmen. Und diese These ist falsch. Daher ist ihr nicht zuzustimmen.“ […] Porphyrius: „Ich bestreite den Untersatz.“ […] Syntapsius: „Ich beweise den Untersatz. Jene These ist falsch, die etwas Falsches besagt. Und diese These besagt etwas Falsches. Daher ist sie falsch.“ […] Syntapsius: „Diese These besagt, dass es nur einen Gott gibt. Aber das ist offensichtlich falsch. Daher besagt sie etwas Falsches. Er soll unter theoretischen Gesichtspunkten darauf antworten, nur unter theoretischen Gesichtspunkten.“ Porphyrius: „Ich bestreite den Untersatz.“ (3)

Die Disputation endet in einer Aporie. Porphyrius leugnet unter Berufung auf Katharina die Existenz der antiken Götter, Syntapsius hält diese Vorstellung für absurd. In diesem Augenblick tritt der alte Philosoph Anzymon auf, der die Entscheidung fällen soll. Zur allseitigen Überraschung gibt er Porphyrius Recht. Katharina habe ihn überzeugt, es gebe die antiken Gottheiten nicht, sondern nur einen Gott. Er widerruft alle seine früheren Schriften und erklärt sich bereit, für die neue Wahrheit mit seinem Leben einzutreten. Porphyrius gibt sich daraufhin als Christ zu erkennen, auch er will den Glauben nun offen bezeugen. In der letzten Szene wird berichtet, die übrigen Philosophen hätten sich ebenfalls der Meinung von Katharina angeschlossen. Das Wunder beweise die Existenz eines größeren, mächtigeren Gottes.

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4 Werk

Das Stück ist in dramaturgischer Hinsicht das innovativste der Sammlung. Claus hat in ihm mit dem Erwartungshorizont des Rezipienten gezielt gebrochen. Das argumentum ist intentional irreführend, ebenso der Auftakt des Stücks: Der Dialog zwischen den Bediensteten und dem Höfling – allesamt typische Nebenfiguren –, der ausgerechnet im Raum stattfindet, wo die Disputation erfolgen soll, lässt an die Eingangsszene einer klassizistisch organisierten Handlung denken. Sämtliche Vorbereitungen beziehen sich indes auf ein Ereignis, das nie eintritt – zur offiziellen Disputation kommt es nicht, da die ungeduldigen Philosophen Katherina in ihrem Haus belagern und von ihr unverzüglich ihrer Irrtümer überführt werden. Darüber hinaus hat Claus in geradezu moderner Weise ein Spiel im Spiel inszeniert: Es sind die ‚Nebenfiguren‘, die hier in die Rolle der Disputanten schlüpfen und genau jene komplexen Fragen diskutieren, die eigentlich den klügsten Köpfen des Landes und der Heiligen vorbehalten sind. Es ist anzunehmen, dass Claus diese Überraschungseffekte bewusst eingesetzt hat: Der Rezipient soll sich in ähnlicher Weise vor den Kopf gestoßen fühlen wie die Figuren angesichts des unwahrscheinlichen Triumphs der Jungfrau. Schlecht vorbereitet ist der Märtyrergedanke am Schluss der Handlung. Von Lebensgefahr im Zusammenhang mit dem christlichen Glauben ist in den ersten Szenen nicht die Rede. Anzymons Aussage, er gehe für den neuen Glauben gern in den Tod, ist textintern unmotiviert. Hinsichtlich ihrer pädagogischen Zielrichtung unterscheidet sich die declamatio merklich von den Kurzdramen des ersten Bandes der Exercitationes. Christliche Moralerziehung bleibt hier ausgespart; aus diesem Grund wird auch auf eine wertende Unterscheidung der Figuren und auf die komische Dienerfigur verzichtet. Das Anliegen des Stückes ist ein vorrangig sprachdidaktisches: Die Jugendlichen – es ist hier mit Schülern der oberen Klassen zu rechnen – sollten anhand des Vortrags des Textes ihre argumentativen Fertigkeiten verbessern. Sie sollten mit der Terminologie der Logik in Kontakt treten und sich Argumentationsmuster der Disputation einprägen, eine Unterrichtsform, die für ihren weiteren Bildungsweg wichtig war und in den Jesuitenschulen einen besonderen Stellenwert hatte.585 Das aus didaktischen Überlegungen erfolgte Integrieren von disputativen Textabschnitten in ein Versdrama ist keine singuläre Erscheinung. In Katharinendramen war dies generell üblich. Pohle erwähnt darüber hinaus einen Koblenzer Daniel in Hexametern von 1588, in den Streit- und Gerichtsreden in Prosa eingelassen sind.586

 Barner 1970, S. 342.  Pohle 2010, S. 221.

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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Oleum Divae Catharinae. Declamatio in festo Divae Catharinae Mit Oleum Divae Catharinae („Das Öl der Heiligen Katharina“) kehrte Claus zurück zu komischen, von Schulbuben bestrittenen Handlungen. Törichte Vorstellungen der Knaben werden der Lächerlichkeit preisgegeben. Erstmals wird hier unmittelbar auf den schulischen Alltag Bezug genommen: Die Knaben treten in ihrer Eigenschaft als Schüler in Erscheinung. Hauptfiguren der declamatio sind die drei schlechten Schüler Poastrus – wohl eine Anspielung auf ‚Poetaster‘ –, Pigrinus (etwa „Faulpelz“) und Potander (etwa „Trunkenbold“). Die Hausaufgabe der Knaben besteht darin, ein Gedicht über die Heilige Katharina zu verfassen. Pigrinus fällt allerdings nichts ein und auch Poastrus hat bislang nur schlechte Verse geschrieben. Potander tritt hinzu und gibt an, er sei nur dann ein fruchtbarer Dichter, wenn er mehr trinke als dichte. Pigrinus kann sich nicht erklären, dass dem Klassenkameraden Catharinus das Dichten so leicht von der Hand geht. Potander klärt ihn darüber auf, dass dieser seine Gedichte nicht selber schreibe, sondern sie sich von der Heiligen Katharina einflüstern lasse. Er besitze ein Gefäßchen mit arabischem Katharinenöl, an dem er während der Arbeit oft rieche.587 In diesem Augenblick hören die drei den fahrenden Tiroler Händler Danistrus (zu danista, „Wucherer“) seine Öle feilbieten. Dieser bietet ihnen zunächst ein Heilmittel gegen Katarrh, dann ein von seiner Schwester Katharina hergestelltes Kräuterwasser und schließlich ein Öl vom Tiroler Katharinaberg.588 Die Knaben diskutieren, ob es sich dabei um die gewünschte Flüssigkeit handeln kann: Poastrus: Ipse hoc fuisti in monte? Danistrus: Nec tantum semel. Vix quatuor horis distat a pago meo. Pigrinus: Ergo genitus in Arabia es? Potander: Hinc adeo niger et totus est pilosus. Arabes hoc habent (ut audio), nigerrimi sunt. Danistrus: Patria mea non vocatur Arabia; sed rustici nostri vocant Tyrolin. Poastrus: Est haec quaestio de nomine. An Tyrolin, an Arabiam voces, modo istud oleum veniat ex monte Catharis. Poastrus: „Bist du selbst auf diesem Berg gewesen?“ Danistrus: „Nicht nur einmal. Er ist keine vier Stunden von meinem Dorf entfernt.“ Pigrinus: „Also bist du in Arabien geboren?“ Potander: „Deshalb ist er so dunkel und ganz behaart. Bei den Arabern ist das so, wie ich gehört habe, sie sind ganz dunkel.“ Danistrus: „Meine Heimat nennt man nicht Arabien, unsere Bauern nennen sie Tirol.“ Poastrus: „Das ist bloß eine Frage der Bezeich-

 Katharinenöl hat es in der Volksmedizin tatsächlich gegeben. Es sollte angeblich aus den Knochen der Heiligen fließen und wurde gegen allerlei Gebrechen eingesetzt. Knust 2009, S. 38.  Claus dachte dabei vielleicht an den Katharinaberg in Schnals/Südtirol.

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nung. Magst du sie Tirol oder Arabien nennen – solang dieses Öl nur vom Katharinaberg kommt.“ (3)

Schließlich erstehen die Buben das Öl für einen Preis, der weit höher ist, als der Händler ursprünglich gefordert hatte. Sie beschließen, die Wirkung gleich auszuprobieren. Der Plan, sich vom Geruch inspirieren zu lassen, schlägt aber ebenso fehl wie der Versuch, das Öl als Tinte zu verwenden. In ihrer Verzweiflung fragen sie Catharinus um Rat. Dieser weist sie auf ihre Irrtümer hin und erklärt, er lasse sich nicht von seinem Katharinenwasser, sondern vom Glauben an die Heilige Katharina inspirieren. Er habe die Heilige zu seiner Patronin erwählt, bete während der Arbeit mehrmals und sei überdies fleißig. Daraufhin wollen die drei Buben das Fläschchen mit echtem Katharinenwasser, das Catharinus ihnen schenkt, nicht mehr haben. Sie beschließen, fortan fromm und tugendhaft zu leben und auf diese Weise zum Erfolg zu kommen. Verglichen mit der ersten declamatio zu Ehren der Heiligen Katharina ist das sprachdidaktische Moment in diesem Stück nicht besonders ausgeprägt. Die Möglichkeit, auch hier einen modellhaften (poetischen) Passus zu integrieren, hat Claus nicht wahrgenommen; die Verse, die von Poastrus vorgetragen werden, sind als schlechte Dichtung gebrandmarkt. Auch in moraldidaktischer Hinsicht ist die Handlung wenig wirksam, zumal die Schüler nicht für Irrtümer bestraft, sondern in eher plumper Weise belehrt werden. Das Stück lebt von der Einfalt der Hauptfiguren und der sich daraus ergebenden Situationskomik. Für die Zuschauer, die Schulgemeinschaft, war das Stück aufgrund der Vertrautheit mit den dargestellten Problemen sicherlich besonders komisch. Bemerkenswert ist der Einschub eines volkssprachlichen Passus: Der Händler Danistrus preist seine Waren in deutscher Sprache an, redet in der Folge allerdings nur noch Latein. Hinter dieser Sprachvariation steht – neben dem bewusst eingesetzten komischen Effekt – vielleicht die Intention, die Tiroler Herkunft des Händlers bereits durch die Verwendung eines mit Lokalkolorit versehenen Idioms anzuzeigen – der Schauspieler sprach wohl mit Tiroler Akzent. Abgesehen von einem Gedicht in der Komödie Tonsiastrus handelt es sich dabei um die einzigen deutschsprachigen Sätze, die sich von Claus erhalten haben. Das Stück gewährt Einblicke in die Unterrichtspraktiken der Jesuitenschulen. Dass das Verfassen von Gedichten in den oberen Klassen eine häufige Methode zur Verbesserung der sprachlichen Fertigkeiten war, ist bekannt.589 Die Themenstellung, wie wir sie hier antreffen, war typisch für diese Art von Übungen; eine Reihe von Übungsgedichten über das Martyrium der Heiligen

 Lukács 1986, S. 430, 432, 433; Pachtler 1894, Bd. 4, S. 142.

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Katharina aus dem Jahr 1610 haben sich aus Innsbruck erhalten.590 Das Drama beleuchtet diese poetische Praxis jedoch aus einer Perspektive, für die sich wenige Zeugnisse erhalten haben. Wie die Schüler der Rhetorik- und Poesieklasse mit diesen Methoden zurande gekommen sind, ist kaum dokumentiert. Man darf davon ausgehen, dass das Bild, das Claus hier aus seiner langjährigen Lehrerfahrung heraus entwirft, durchaus realistisch ist. Das jesuitische Schulsystem, das seine Schüler a priori zu Dichtern erklärte, mag mit derartigen Aufgabestellungen viele vor große Probleme gestellt haben. Die drei Sammlungen von jesuitischen Übungstexten, die sich etwa in Tirol erhalten haben, sind trotz alledem von bemerkenswertem sprachlichen Niveau; grammatikalische und metrische Fehler begegnen kaum, Lexik und Syntax sind unauffällig.591

Bos ad praesepe. Declamatio in festis natalitiis Domini Die erste der beiden Weihnachtsdeklamationen ist eines der bizarrsten Stücke der Exercitationes theatrales. Christliche Symbolik ist hier in grotesker Weise wörtlich genommen. Mit Weihnachtsspielen, wie sie auch heute noch in Schulen üblich sind, hat es wenig gemein. Die Handlung der aus sechzehn Szenen bestehenden declamatio spielt am Weihnachtstag im Haus der Londoner Adelsfamilie Puondus. Der Sohn des Hauses, Thomas, bereitet sich auf einen Tanzauftritt vor versammeltem Hof vor. Er gilt als bester Tänzer des Landes. Als Thomas fertig angekleidet ist, bittet ihn sein kleiner Bruder Carolus, sich die von ihm gebastelte Krippe anzusehen. Thomas, der ganz auf seinen Auftritt fokussiert ist, will sich mit solchen Spielereien nicht abgeben. Er verspricht Carolus einen Ochsen für dessen Krippe mitzubringen, wenn der Bruder ihn nur jetzt in Ruhe lasse. Allein zurückgeblieben, bettet der fromme, kindliche Carolus das Jesuskind auf das Taschentuch, das Thomas mitzunehmen vergessen hat. Der Priester und Hausfreund Edmundus bringt eine Jesusfigur als Gastgeschenk mit. Als er hört, dass Thomas, für viel Geld neu eingekleidet, als Tänzer auftritt, wundert er sich und äußert die Befürchtung, der Knabe könnte dafür büßen, an diesem heiligen Tag an einem weltlichen Spektakel teilgenommen und Gott vernachlässigt zu haben. Bei seinem Abgang lässt er ein Buch für Thomas zurück, in dem der in

 Der handschriftliche Band befindet sich im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Dip. 473/2, S. 1–10. Vgl. Korenjak 2012, S. 399. Auch andere Heilige sowie Episoden aus der Bibel wurden zu Übungszwecken gerne dichterisch verarbeitet. Vgl. auch den bei Hinterndorfer 2007, Anm. 67 erwähnten Band Schottenbibl. Wien, Ms. 657.  Korenjak 2012, S. 403.

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einen Ochsen verwandelte Nebukadnezar abgebildet ist. Als Carolus die Geschichte des hochmütigen Assyrers hört, kündigt er an, sie seinem ebenfalls hochmütigen Bruder als Warnung zu erzählen. Ein Diener tritt auf und berichtet aufgeregt, ausgerechnet die Königin habe Thomas ihr Taschentuch geliehen – ein außerordentlicher Gunstbeweis. In der nächsten Szene kippt die Stimmung. Thomas kommt schwer gekränkt nach Hause und berichtet fassungslos, er sei beim Tanz gestürzt, woraufhin die Königin vor dem versammelten Hof Assurge bos! („Steh auf, du Ochse!“) gerufen habe. Nun verspotte die ganze Stadt den gefallenen Helden. Edmundus kehrt zurück, um Thomas davon zu überzeugen, dass das Ereignis ein göttlicher Wink sei. Dieser ist jedoch zutiefst verletzt und reagiert verärgert, als er in Edmundus’ Buch das Bibelzitat cognovit bos possessorem suum et asinus praesepe domini („Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn“, Jes. 1,3) abgedruckt sieht. Edmundus setzt ihm eindringlich auseinander, dass die Gunst des Hofes vergänglich sei, während Gottes Gnade unendlich fortdauere. Der Junge habe sich tatsächlich wie ein törichter Ochse verhalten, als er aus Eitelkeit die Nähe der Königin derjenigen Gottes vorzog. Thomas bleibt zunächst störrisch, lässt sich schlussendlich jedoch bekehren. In der letzten Szene erklärt er feierlich, er sei der Ochse, den sein Bruder für seine Krippe gesucht habe. Entschlossen tritt er sein gesamtes Erbe an Carolus ab, um fortan das Joch Gottes zu tragen. Der Handlung liegt ein historisches Ereignis zugrunde. Daniello Bartoli überliefert in seiner 1676 erschienenen Geschichte des Jesuitenordens in England eine ausführliche Biographie des englischen Adeligen Thomas Pounde (1539–1614), der für seine Missionstätigkeit im Dienste des katholischen Glaubens fast dreißig Jahre Gefängnis auf sich nahm.592 Das Erweckungserlebnis des als erster Proponent des Jesuitenordens in England gefeierten Pounde, das sich auf 1569 datieren lässt, hat Claus in der Version des böhmischen Theologen Mathias Tanner (1694) dramatisch umgesetzt.593 Der Stoff ist auf den Jesuitenbühnen der deutschen Länder nur einmal bezeugt – bezeichnenderweise in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Druck der Exercitationes: Das 1749 in München aufgeführte Stück mit dem Titel Major a lapsu surgens Thomas Pondo verarbeitet den Stoff allerdings in einer vom Claus-Drama merklich abweichenden Weise.594  Bartoli 1676, S. 54–73.  Tanner 1694, S. 480–486.  Valentin, Nr. 6087. Auch in diesem Fall handelte es sich um eine declamatio: Die Aufführung erfolgte im Mai des Jahres durch die dortige Grammatikklasse. Als Quelle ist auf der Perioche ebenfalls Bartoli angegeben. Schon 1720 ist der Stoff bei den Salzburger Benediktinern belegt, Boberski 1978, S. 270.

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Weder bei Tanner bzw. Bartoli noch im Münchner Stück tritt das Motiv des Ochsen in ähnlicher Weise in den Vordergrund wie in Claus’ Drama. Die beleidigende Aussage der Königin ist zwar in beiden Quellen überliefert, das Zitat aber nicht christlich remotiviert. Wie intensiv Claus hingegen diese Metaphorik ausgeschlachtet hat, verdeutlicht etwa der folgende Abschnitt: Iam fastuosa cornua, et vanae nimis insignia Aulae pono. Tibi, Frater, meam haereditatem, splendidas domos, opes et jura promptus cedo: non decent bovem palatia haec: inquiro stabulum. Schon stoße ich die hochmütigen Hörner und die Insignien des eitlen Hofes ab. Dir, Bruder, überlasse ich bereitwillig meine Erbschaft, die prächtigen Häuser, Reichtümer und Rechte. Zu einem Ochsen passen keine derartigen Paläste. Ich suche einen Stall auf. (16)

Der kühne, letztlich allerdings wenig überzeugende Versuch, die historische Episode auf Grundlage dieses Motivs mit dem Weihnachtsevangelium zusammenzuführen, dürfte auf den Dramatiker selbst zurückgehen. Gelungener ist die Anbindung an andere biblische Vorlagen, Jes. 1,3, Ps. 48,13 sowie die Schilderung der ochsenähnlichen Existenz Nebukadnezars in Dan. 4,22–30. Die intertextuelle Verknüpfung funktioniert hier vor allem deshalb, weil die biblischen Textstellen das Ochsenmotiv ebenfalls mit den Themen Schuld gegenüber Gott bzw. Läuterung in Zusammenhang bringen. Ein Vergleich mit dem Quellentext erhellt die Intentionen des Dramatikers. Während Pounde bei Bartoli als katholischer Held gefeiert wird, ist dieser Aspekt bei Claus von geringer Relevanz. Zwar sind die in den Quellen zentralen religionspolitischen Spannungen der elisabethanischen Ära im Stück angedeutet – Edmundus erscheint in Tarnkleidung, weil er als katholischer Priester um sein Leben fürchten muss (5) –, die konfessionellen Gegensätze bleiben jedoch blass. Für den Aussagegehalt des Stücks sind sie unerheblich. Der zentrale Antagonismus wird zwischen einer von Prunksucht und Launenhaftigkeit geprägten höfischen Scheinwelt und privater Religiosität aufgemacht. Illustriert werden soll, wie der fehlende, dem diesseitigen Ruhm ergebene Mensch seine wahre Berufung erkennt, indem er sich Gott zuwendet. Damit wählt Claus einen Zugang, der symptomatisch für das späte Ordensdrama ist: Während in früheren Zeiten das Leiden des braven Katholiken Poundus in den englischen Gefängnissen als darstellungswürdig hätte gelten können, rückt bei ihm eine ethisch ausdeutbare, geradezu bürgerliche Episode aus dem Leben des Missionars in den Mittelpunkt des Interesses. Dramaturgisch funktioniert das Stück ähnlich wie die erste declamatio in festo Sanctae Catharinae: Das zentrale Ereignis – Thomas’ Blamage als Tän-

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zer – wird auf der Bühne nicht dargestellt. Das dramatische Geschehen besteht aus den Vorbereitungen bzw. der Aufarbeitung dieses Ereignisses. Einige Nebenfiguren sind aus diesem Grund präsenter als die Hauptfigur. Unter ihnen treten insbesondere Thomas’ Bruder Carolus und der Priester Edmundus als handlungsbestimmend hervor: Sie sind zunächst Gegenspieler der Hauptfigur, schaffen es aber in der Folge, Thomas von ihrer Position zu überzeugen und ihn auf den christlichen Weg zurückzuführen. Zur Erheiterung hat Claus wiederum eine Dienerkomödie zwischengeschaltet: Die beiden Hausdiener, der listige Dromulus und der naive Stychus, stehen in einem rivalisierenden Verhältnis, woraus sich eine komische Parallelhandlung ergibt (8). Dromulus macht sich zudem lächerlich, weil er als Diener der Hauptfigur an deren Ruhm Anteil zu haben glaubt (3), Stychus, weil er die Aussage der Königin arglos als Geste der Vertrautheit deutet (13). Sanctus Paulinus Nolae episcopus. Declamatio in festo nativitatis Domini Die zweite Weihnachsdeklamation basiert ebenfalls auf einer hagiographischen Erzählung. Claus griff dafür auf eine Episode aus dem Leben des Heiligen Paulinus von Nola zurück, die sich in den Gregor dem Großen zugeschriebenen Dialogi de vitis et miraculis patrum Italicorum erhalten hat.595 Unmittelbare Quelle war die vom Kölner Kartäuser Laurentius Surius (1522–1578) herausgegebene Sammlung De probatis sanctorum historiis, in die der Text der Dialogi eingegangen ist.596 Die geschichtlichen Ereignisse, die der Episode zugrunde liegen, datieren aus dem frühen fünften Jahrhundert. Die von Alarich angeführten Westgoten zogen nach der Plünderung Roms 410 weiter nach Süditalien, wo sie unter anderem die kampanische Stadt Nola überfielen und zahlreiche Bewohner der Stadt versklavten. Gregor zufolge wandte Paulinus, der Bischof der Stadt, alle seine Mittel auf, um seine Mitbürger freizukaufen.597 Nachdem er seinen gesamten Besitz veräußert hatte, ging ihn eine arme Witwe um Hilfe an, deren Sohn nach Afrika verschleppt worden war. Nun konnte Paulinus nur noch sich selbst als Pfand aufbringen. Er reiste nach Afrika, um dort anstelle des jungen Mannes für den Schwiegersohn des Königs als Gärtner zu arbeiten. Nachdem Paulinus die Gunst des Königs erlangt und seine Identität preisgegeben hatte, durfte er gemeinsam mit den übrigen Gefangenen aus Nola in die Heimat zurückkehren.  Verwendete Ausgabe: Gregor der Große 1696. Siehe S. 80r–82v.  Surius 1562, S. 733–738.  Gregor spricht statt von Westgoten von Vandalen und siedelt diese anachronistisch in Afrika an. Tatsächlich zogen die Vandalen erst 429 unter Geiserich nach Nordafrika.

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Das argumentum von Claus’ dreiteiligem Stück stellt diese Zusammenhänge kompakt dar, sodass der Leser die Eingangsszene rasch einordnen kann. Das Stück spielt am Weihnachtstag im Garten des heidnischen Vandalenkönigs Gensericus. Der hochbetagte Paulinus, der inkognito unter dem Namen Abdalonymus als Gärtner arbeitet, hat eine Krippe gebastelt und betet zu Jesus. Der Aufseher, ein gewaltbereiter Christenfeind, droht ihm deswegen mit Schlägen. Zwei Mitsklaven, ehemalige Nolaner Adelige, erblicken die Krippe und klagen darüber, dass sie am Weihnachtstag so schwer arbeiten müssen. Die Handlung kommt in Gang, als ein Diener von Gensericus meldet, eine Gesandtschaft aus Nola sei eingetroffen, um einen der Adeligen freizukaufen. Paulinus’ Mitsklaven reagieren erfreut. Ihre Freude währt jedoch nur kurz, denn die Gesandten suchen nicht nach ihnen, sondern nach Paulinus, den sie an seiner Stimme erkennen. Sie wenden sich an Gensericus, um die Freilassung ihres Bischofs zu erwirken. Der Vandale ist jedoch an Lösegeld nicht interessiert und will seinen fleißigen Gärtner nicht ohne weiteres ziehen lassen. Erst als die Gesandten ihm anbieten, einen jungen Diener anstelle von Paulinus zurückzulassen, stimmt er zu. Bei diesem Diener handelt es sich ausgerechnet um Melindus, jenen Sohn einer Witwe, für den Paulinus einst die Gefangenschaft auf sich genommen hat. Paulinus, der von diesem Handel nichts weiß, hat inzwischen sein Bischofsgewand angezogen. Vor der Abreise tritt jedoch Melindus an Paulinus heran, um sich zu verabschieden. Als Paulinus erfährt, dass der Knabe an seiner statt zurückgelassen werden soll, weigert er sich mitzukommen. Die Gesandten bestehen jedoch darauf, ihrer Stadt den Bischof zurückzubringen. Schließlich erklärt der König, beeindruckt von der Selbstlosigkeit des Protagonisten, er gewähre sowohl ihm als auch Melindus die Freiheit. In der letzten Szene treten die Mitsklaven auf, die mittlerweile über die wahre Identität des ehemaligen Gärtners aufgeklärt sind. Als Gensericus hört, dass sie Nolaner Adelige sind, lässt er auch sie ziehen. Paulinus dankt Gott für seine Güte. Der Stoff war auf der Jesuitenbühne bereits seit Langem heimisch. 1608 oder 1609 war er in Augsburg in einer Bearbeitung Kaspar Lechners auf die Bühne gebracht worden.598 Mehrere Aufführungen im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert folgten. Ein Vergleich der erhaltenen Periochen mit dem hier vorgestellten Stück zeigt deutlich Claus’ Bemühen um klassizistische Schlichtheit und Einheitlichkeit der Handlung: Sämtliche älteren Stücke, deren Handlung sich rekonstruieren lässt, dramatisieren die Überlieferung ohne Rücksichtnahme auf Ortswechsel oder zeitliche Wahrscheinlichkeit, ihre Handlung

 Valentin, Nr. 589 bzw. 613. Das Stück wurde 1612 in Ingolstadt wiederholt (Nr. 675).

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setzt bereits mit dem Angriff der Vandalen auf Nola oder kurz danach ein. Claus hingegen reduzierte die Handlung auf ein zentrales Ereignis und gewährleistete dadurch die Einheit der Zeit und des Ortes; relevante vorangehende Ereignisse werden über Bühnenrede vermittelt bzw. verstehen sich aus der Handlungsentwicklung. Die Handlung ist aus ästhetischen Motiven verknappt, infolgedessen ist auch die Aussagekraft des Stückes gebündelt: Paulinus’ Gedanken kreisen immer wieder um den Einsatz des Einzelnen für seine Mitmenschen. Eine Aufführung, für die sich aus der Spätzeit eine Perioche erhalten hat, behält diese Struktur bei: Das 1767 in Augsburg aufgeführte PaulinusStück behandelte denselben Ausschnitt; es ist eindeutig von Claus’ Drama inspiriert, variiert aber dessen Handlungsentwicklung.599 Claus hat in seinem Paulinus auf komische Elemente verzichtet. Dem Anlass, einer declamatio zur Weihnachtszeit, hat er auf diese Weise besser Rechnung getragen als mit dem eigenwilligen Bos ad praesepe. Dazu trägt auch der katechetische Charakter bei: Das Stück, das mit einem Gebet beginnt und mit einem Lobpreis Gottes endet, hat phasenweise meditativen Charakter. Passend dazu ist das Personal: Mit Ausnahme des tyrannischen Aufsehers, der eine rüde Sprache führt, treten ausschließlich sympathische Figuren auf; selbst Gensericus erscheint nicht als verbissener Widersacher, sondern als pragmatischer Vertreter eigener Interessen. Paulinus selbst ist uneingeschränkt positiv dargestellt, zwei Aspekte der Heiligenverehrung sind deutlich herausgestrichen: Zum einen ist er aufgrund der unbedingten Nächstenliebe, die er repräsentiert, als Vorbild gezeichnet. Zum anderen ist er als Stellvertreter Gottes inszeniert; Analogien zwischen seiner Lebensführung und der Opferbereitschaft Christi werden mehrfach betont, etwa wenn er wie Christus als Gärtner des Herrn dargestellt ist: Die Verse dexteritate maxima / et arte mira regios hortos colit („mit größter Gewandtheit und wunderbarer Kunstfertigkeit pflegt er die königlichen Gärten“, 2,1) könnten als Anspielung auf Joh. 20 intendiert sein. Declamatio in festo Paschatis Die erste der beiden declamationes anlässlich des Osterfests hat keinen spezifizierenden Titel. Im Unterschied zu den Weihnachtsdeklamationen liegt diesem Übungsdrama das biblische Ereignis zugrunde, wenngleich es, wie für Claus typisch, in unkonventioneller Weise gestaltet ist. Das allegorische Stück bringt einen Gerichtsprozess auf die Bühne. Gleich in den ersten Versen legt der Richter Nemesius die Ausgangssituation dar:

 Valentin, Nr. 7341. Vgl. z. B. die Namen einiger Figuren (Abdalonymus, Gensericus, Melindus). Die Perioche befindet sich in der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum,

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Pro scena tristis! Natus aeterni patris haeresque regni primus et princeps poli funus, cruento vulnere peremptus jacet! Ach, welch trauriges Ereignis! Der Sohn des ewigen Vaters, erster Erbe des Reiches und Fürst des Himmels liegt als Leichnam da. Er ist getötet worden, Blut rinnt aus seinen Wunden. (1,1)

Nemesius ist sich zwar darüber im Klaren, dass sich für ein solches Verbrechen schwerlich eine angemessene Strafe finden lassen wird, dennoch verspricht er den anwesenden Engeln, ein strenges Urteil zu fällen. Des Mordes angeklagt sind die beiden allegorischen Figuren Furor und Amor. Ersterer rühmt sich, die Schandtat begangen zu haben und bedauert, dass der geschundene Leichnam Christi keinen Platz für neue Wunden mehr biete. Der sanftmütige Amor bekennt sich ebenfalls schuldig; er habe erreicht, was Furor vergebens versucht habe, leide jedoch unter seiner Tat. Das folgende Streitgespräch, in dem die Angeklagten die Schuld für sich beanspruchen, nimmt einen großen Teil des kurzen Stücks ein. Furor argumentiert, er habe die Herzen der Hohepriester, des jüdischen Volkes und der Römer so sehr verhärtet, dass sie einen Unschuldigen hingerichtet hätten; er habe die Hände der Soldaten gelenkt, sie mit Knüppeln und Lanzen bewaffnet, Verrat, Kreuzigung und Tötung angeregt. Amor hält dagegen, all diese Maßnahmen wären fruchtlos geblieben, wenn nicht er Jesus vor der möglichen Flucht abgehalten und ihn zum Ölberg geführt hätte. Es sei seine Schuld, dass der allmächtige Gott seinem Sohn nicht geholfen habe. Schon bevor Furor den Leichnam geschändet habe, habe er mit seinem Pfeil Jesus das Leben genommen. Der Richter spricht beide schuldig und verurteilt sie zum Tod. Furor wird beauftragt, Amor mit Schlägen zu schinden und anschließend ans Kreuz zu schlagen, ehe er sich selbst richten soll. Nachdem sich der sterbewillige Amor die Dornenkrone aufgesetzt hat und von Furor zur Geißelung fortgezerrt worden ist, kündigt ein Engel an, ein neuer Richter werde sich der Sache annehmen: der auferstandene Christus. Dieser erklärt, nur Amor habe Macht über ihn gehabt, Furor habe vergebens nach seinem Tod getrachtet. Sein Urteil ist gnädig: Furor muss das Kreuz tragen, bis er sich bessert. Amor, dem ein Kreuz aus Christusblut auf die Stirn gezeichnet wird, erhält den Auftrag, auch in Zukunft derartige Taten zu setzen:

FB 307/9. Den von Valentin 1767 für Innsbruck verzeichneten Paulinus (Nr. 7355) hat es nie gegegeben. Die Perioche stammt aus Augsburg.

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Telis iisdem saucia, queis cor meum bene vulnerasti: plurimi ut mecum nova laeti resurgant gloria, fac plurimi mecum cadant, beatae amoris victimae! Mit den gleichen Waffen wüte, mit denen du mein Herz so gut verwundet hast, damit noch viele mit mir in neuem Ruhm auferstehen. Lass viele mit mir fallen als glückliche Opfer der Liebe! (6)

Das Drama ist ein gelungenes Beispiel für ein schlichtes christliches Übungsstück. Die Handlung ist auf ein Ereignis reduziert, den Hauptfiguren Furor und Amor eignet jeweils nur ein Charakterzug, der sorgfältig ausgearbeitet ist. Diese Eigenschaften rücken auch dieses Stück in die Nähe der Meditationsdramen, eine Verbindung, für die sich weitere Argumente finden lassen: das biblisch inspirierte Thema des Stücks; der Rückgriff auf allegorische Figuren; die relativ lange religiöse Anrufung, mit der das Stück schließt. Letztere bildet den Schlusspunkt einer Vielzahl von Sentenzen und kompakten Formulierungen, die über den gesamten Text verstreut sind. Insbesondere die Repliken von Amor bieten in konziser Form christliches Programm, vgl. zum Beispiel die Selbstvorstellung der Figur: Est haec amoris indoles, ut candide fateatur, imo corde quod clausum latet: Simulare nescius etiam se ipsum nequit non prodere: est sincerus, atque audax amor. Das ist das Wesen der Liebe, dass sie offen bekennt, was im Innersten des Herzens verschlossen und verborgen ist. Unfähig zu täuschen, vermag sie es auch nicht, sich selbst nicht zu offenbaren: Die Liebe ist aufrichtig und wagemutig. (3)

Der Gerichtsprozess, den Claus als Setting für das Drama wählt, eignet sich gut dazu, zwei Positionen einander gegenüberzustellen und die Qualitäten der christlichen Wahrheit zwar explizierend, aber dennoch dramatisch plausibel darzulegen – christliche Belehrung und Suggestion sind die zentralen Aufgaben, die der Autor dem Drama überantwortet. Daneben bietet die Konstellation des Stücks die Möglichkeit, Argumentationsstrategien zu rezipieren und zu reflektieren. In diesem Zusammenhang muss – wie für die Declamatio in festo Sanctae Catharinae – für das Verständnis dieses Stücks die Bedeutung der disputatio für das Bildungssystem des achtzehnten Jahrhunderts mitgedacht werden. Verglichen mit dem Katharinendrama ist die Konfliktsituation in der Osterdeklamation verworrener, bewerben sich hier doch die Angeklagten darum, die Schuld zugesprochen zu bekommen. Diese paradoxe Konstellation steht im Kontext weiterer christlicher Paradoxien, die das Stück reflektiert: die Darstel-

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lung des Todes am Kreuz als Triumph und die Vorstellung, wonach Christus für das Leben der Menschen sein Leben gegeben hat. Josephus ab Arimathaea. Declamatio in festo Paschatis Die zweite Oster-declamatio ist ein Bibeldrama, das mit der Darstellung der Auferstehung Christi dem Aufführungsanlass Rechnung trägt. Protagonist ist der in allen vier Evangelien erwähnte reiche Jude Joseph von Arimathäa; Claus beruft sich, wie er im argumentum darlegt, auf Mt. 27,75–28,4. Das argumentum ist ungewöhnlich, weil es keinerlei Informationen zum Inhalt des Stücks bietet, quia sat notum jam omnibus („weil er allen bereits hinlänglich bekannt ist“). Tatsächlich werden allerdings überwiegend Ereignisse dargestellt, die der Rezipient nicht voraussehen kann. Claus wollte nicht vorgreifen, um den Überraschungseffekt nicht zu beeinträchtigen. Der Autor hat die wenigen Bibelverse mittels fiktiver Episoden und Figuren auf acht Szenen ausgefaltet. Die Handlung setzt in den frühen Morgenstunden des Auferstehungstages ein. Joseph, der den Leichnam Christi in seinem Garten beigesetzt hat, unterhält sich mit seinem Sohn Benjamin über den ‚Schatz‘, der sich im Grab befindet. Benjamin lobt die Frömmigkeit des Vaters, die der Familie solche Reichtümer verschafft habe. Joseph sagt voraus, der ‚Schatz‘ werde aus dem Grab, das er eigentlich für sich selbst anfertigen hatte lassen, noch am selben Tag entfernt werden. Im Gebüsch versteckt, haben die Diener Furax („der Räuberische“) und Clepax („der Diebische“) das Gespräch verfolgt. Als sie allein sind, beschließen sie, den Schatz zu heben. Der ängstliche Furax würde damit zwar gerne bis zum Einbruch der folgenden Nacht warten, Clepax befürchtet jedoch, dass sich das aureum cadaver („goldene Kadaver“, 3) nicht mehr lange im Grab befinden werde. Als sie sich daranmachen, den Stein vor dem Eingang wegzusprengen, werden sie von plötzlich eintreffenden Soldaten aufgegriffen und an einen Baum gefesselt. Gegenüber den Pharisäern Semaias und Gamaliel, die im Gefolge der Soldaten auftreten, geben sie an, sie hätten im Auftrag ihres Herrn den Toten salben wollen. Semaias sieht sich daraufhin in seinem Verdacht bestätigt: Er argwöhnt, Joseph versuche den Leichnam verschwinden zu lassen, um die Lüge der Auferstehung in die Welt zu setzen und das Volk der Juden aufzuwiegeln. Als Joseph selbst wiederkehrt, beschuldigt Semaias ihn offen, entweder ein ebenso gerissener Betrüger wie seine Diener oder vollkommen töricht zu sein: Quin corpus infandum magi, dignumque corvis pabulum inferre proprio novoque tumulo, quis, nisi insanum furens auderet?

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Denn wer, wenn nicht ein vollkommen Verrückter, würde es wagen, den abscheulichen Leichnam dieses Hexers, der es wert wäre, den Raben als Futter vorgeworfen zu werden, in sein eigenes, neues Grab zu legen? (7)

Der Pharisäer befiehlt den Soldaten, bis zum Ende des dritten Tages das Grab streng zu bewachen. Schon kurz darauf kommt es jedoch zum Erdbeben (Mt. 28,2): Der Stein ist weggerollt, der Leichnam verschwunden. Die Soldaten berichten verstört, nur ein Gott habe das veranlassen können. Semaias bezichtigt sie der Geistesschwäche, die Botschaft der Auferstehung kann aber nicht mehr aufgehalten werden. Angesichts dessen erteilt Joseph seinen Dienern Amnestie: In diesem Garten, den die ganze Welt als Ort der Auferstehung und des Sieges über den Tod feiert, sollen keine Tränen vergossen werden. Änderungen gegenüber dem biblischen Text sind unter anderem der Verzicht auf die Figur der Maria Magdalena bzw. deren Begleiterinnen sowie die Modifikation der Zeitstruktur: Mt. 27, 62–66 berichtet, dass die Hohepriester bereits am Tag nach Jesu Tod aus Angst vor einer inszenierten Auferstehung das Grab versiegeln und bewachen ließen. Claus verdichtet die Ereignisse auf wenige Stunden, allerdings auf Kosten der Wahrscheinlichkeit: Dass Joseph und sein Sohn im Garten bereits vor Tagesanbruch von ihren im Gebüsch kauernden Dienern belauscht werden und diese kurz darauf von einer zu dieser Uhrzeit ausgesandten Truppe aufgegriffen werden, ist wenig überzeugend. Der größte Eingriff in die biblische Erzählung ist jedoch die Einführung der Dienerfiguren als Grabräuber. Damit wird ein Szenario angedeutet, das in Joh. 10,1 zwar als Erklärungsversuch für die Ereignisse der Osternacht tatsächlich Erwähnung findet, das auf die mit der Ostergeschichte vertrauten und mit einer darauf gründenden, klar determinierten Erwartungshaltung ausgestatteten Rezipienten aber gleichwohl grotesk wirken musste. Mit der Einführung der beiden Figuren bringt Claus auch hier einen komischen Aspekt ein und setzt damit einen unerwarteten Kontrapunkt zur Bedeutungsschwere der Ostergeschichte. Die beiden Diener stehen wie viele andere Figuren der Sammlung in der Tradition des servus stultus. Zumal dem ambitionierten Räuber Clepax sind wiederholt verquere Vorstellungen zugewiesen. So sollte etwa Komik geschaffen werden, wenn die Figur in Szene 3 darauf besteht, den Raub nicht erst in der Nacht, sondern unverzüglich durchzuführen, weil sich das für einen ehrlichen Mann gehöre. Ein weiteres Beispiel bietet Szene 7, wo Clepax auf folgende Weise versucht, das Geständnis seines Gefährten zu vertuschen: Sileto stulpor! Nil rapere, sed videre tantum voluimus, et pro necessitate tantum paucula, fideliter reddenda, tanquam mutuum accipere.

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Sei doch still, du Idiot! Nicht stehlen, sondern nur nachschauen wollten wir und und uns in unserer Notlage ein klein wenig nehmen, um es später – eine Art Darlehen – zuverlässig zurückzugeben.

Wie in anderen Dramen des Autors, die mit derartigen Motiven operieren, ist Komik einer moralisch defizitären Figurengruppe zugewiesen und in desavouierender Absicht eingesetzt. Die Ironisierung dient zugleich dazu, den Rezipienten für die Figuren einzunehmen. Mit ihrem unbeholfenen Verhalten und ihrer naiven Argumentation bleiben sie weitaus sympathischer als der Pharisäer Semaias, der mit seinen haltlosen Anschuldigungen und seiner rohen Sprache durch und durch als negative Figur dargestellt ist. Zu beobachten ist, dass das komische Moment im Stück nur phasenweise zur Geltung kommt. In den letzten Szenen der declamatio, in denen sich im Hintergrund der Handlung die Auferstehung ereignet, bleibt sie ausgespart. Die Funktion der Dienerfiguren ist hier eine andere: Die beiden an einen Baum gefesselten Delinquenten sollen Assoziationen zu den beiden mit Jesus gekreuzigten Schächern wecken. Mit ihrer Freilassung endet das Stück in umfassender Harmonie; die Schlussverse weisen über die Handlung hinaus auf die einheitsstiftende Bedeutung des Osterfests für die gesamte Christenheit. Man darf vermuten, dass Claus das Motiv des Grabraubes nur in einem Stück platzieren konnte, das in einer ausdrücklich an Übungszwecke adressierten Sammlung erschien und damit de facto keinen literarischen Ansprüchen genügen musste. Über die Frage, ob literarische Bearbeitungen in die biblische Überlieferung eingreifen dürfen, wurde in der Frühen Neuzeit ausgiebig diskutiert. Ignaz Weitenauer hielt in einem für die verhältnismäßig liberale Position der späten Jesuitendramatik repräsentativen Passus fest, eine gewisse fingendi licentia („Lizenz zur phantasievollen Gestaltung“) sei gestattet und oft notwendig, um die wenigen Verse, welche die Bibel auf einzelne Episoden verwendet, zu einem Drama auszubauen bzw. die Episode mit den dramatischen Konventionen in Einklang zu setzen. Es dürfe jedoch keine Veränderung vorgenommen werden, durch die die grundsätzliche Wahrheit der Episode gefährdet wäre.600 Claus’ Stück, das die traditionelle Perspektive der Auferstehungserzählung aufgibt und teilweise sketchhafte Züge aufweist, ist vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht unproblematisch. Spiritus sine spiritu. Declamatio in festo Pentecostes Der letzten declamatio des Bandes, für das Pfingstfest vorgesehen, hat Claus kein argumentum mehr vorangestellt. Das Stück dürfte auf der Phantasie des  Vgl. dazu das Vorwort zu Weitenauers Tragödie Jonathas Maccabaeus. Weitenauer 1758, S. 297. Weitaus strenger ist z. B. die Position des Kustoden der römischen Arcadia, Giovan Mario Crescimbeni. Vgl. Guaita 2009, S. 164.

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Autors beruhen. Wir haben es hier wieder mit einem der Schüler-Dramen zu tun, die indirekt Einblicke in den Alltag der Jesuitenschulen gewähren. Die beiden Schüler der Rhetorik Potander („Trunkenbold“) und Bromjus (βρόμιος, „lärmend“, ist ein Beiwort des Bacchus) beschließen gerade, der in Kürze stattfindenden declamatio fernzubleiben, als ihr Klassenkamerad Patroclus vorbeikommt und überraschend berichtet, er werde die Schule abbrechen und in ein Kloster eintreten. Zum Abschied begeben sich die Freunde ins Gasthaus, was den Schülern zwar eigentlich verboten ist, sich in den Augen der drei aber angesichts der nuptiis quasi sacris („frommen Heirat“ 2), d. h. Patroclus’ Eintritts ins monastische Leben, rechtfertigen lässt. Patroclus, der weder weiß, wie sein künftiges Kloster heißt, noch in welchen Orden er eintreten wird, erzählt, er habe kürzlich einen Brief von seinem Vater erhalten, in dem dieser ihm angeboten habe, ihm einen Platz in einem Kloster in der Steiermark zu verschaffen. Sollte es ihm dort nicht gefallen, werde er wiederkommen. Hauptgrund für seine Entscheidung sei, dass er fortan nicht mehr in die Schule gehen müsse. In der Folgeszene tritt der fahrende Händler Danistrus auf, der die Schüler über die landschaftlichen Vorzüge der Steiermark aufklärt. Bromjus beschließt unter dem Eindruck dieser Schilderung, sich seinem Freund anzuschließen. Potander ist zunächst unschlüssig, erklärt sich aber ebenfalls für reisefertig, als er hört, dass in der Steiermark Wein wächst und zu einem günstigen Preis angeboten wird. Zur Feier des Tages sollen Speisen und teurer Burgunder bestellt werden. Der Diener, der damit beauftragt wird, ist angesichts der übereilten Entscheidung wenig begeistert und lässt den Schülern ein Buch mit dem Titel Modus deliberandi sive de vitae statu rite eligendo („Die Art des Überlegens oder über die richtige Wahl der Lebensform“) zurück. Die Schüler zweifeln freilich nicht an der Richtigkeit ihrer Entscheidung, halten sich vielmehr für besonders fromm, und Patroclus philosophiert: scilicet spiritus, ubi / vult, spirat. („Der Geist weht nämlich, wo er will.“ 7) Die vorletzte Szene bringt die Wende. Ein Bote, den Patroclus’ Vater geschickt hat, bringt weder Geld noch Pferde, sondern einen Brief, der die Sachlage zurechtrückt: Der Vater bietet Patroclus an, in den Ferien mit ihm gemeinsam das Kloster zu besichtigen, wenn er denn tatsächlich Mönch werden wolle. Einstweilen solle er sich jedoch eifrig den Studien widmen. Enttäuscht resigniert der Schüler. Wenn er in den Ferien fahren müsse, dann könne ihm die Religion gestohlen bleiben. In der Schlussszene kehrt Dromulus zurück, allerdings bringt auch er nicht die erhoffte Labsal, sondern wenig erfreuliche Nachrichten: Potanders Vater sei im Anmarsch, um seinen Sohn für seinen Kneipenbesuch zu züchtigen. Bromjus schließt geläutert: Quin differamus, donec ad claustrum melior nos spiritus forte vocet. Hodiernus etenim, ut video, fuerat spiritus sine spiritu.

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Dann verschieben wir das, bis uns vielleicht ein besserer Geist ins Kloster ruft. Der heutige nämlich war, wie ich sehe, ein Geist ohne Geist. (9)

Der interessanteste Abschnitt des mit dem Pfingstfest über das Thema ‚Geist‘ locker in Verbindung stehenden Dramas ist die Eingangsszene, in der sich Potander und Bromjus über die anstehende declamatio unterhalten – eine metapoetisch angelegte Szene, die mit der Erwartungshaltung des Rezipienten ironisch spielt und damit bereits auf den heiteren Charakter des Stücks vorausweist. Die declamatio, der die beiden Schüler fernzubleiben beschließen, trägt den gleichen Titel wie das Drama selbst, Spiritus sine spiritu. Die Vermutungen, welche die Schüler hinsichtlich des Inhalts anstellen, werden sich im Folgenden an ihnen selbst bewahrheiten. Erst am Ende des Stücks wird ihnen bewusst, dass sie selbst zu Akteuren in einer mit diesem Titel überschreibbaren Episode geworden sind. Die Eingangsszene übernimmt somit eine ähnliche Doppelungsfunktion wie die Chorpassagen in Claus’ Tragödien: Die Handlung wird vorab auf einer anderen Ebene gespiegelt. Aus der Szene lassen sich Hinweise über die Praxis der declamationes ableiten, wenngleich Vorsicht angebracht ist: Ob der Umstand, dass die beiden Schüler sich darüber freuen, keine Rollen verkörpern zu müssen, für die Mehrheit der Jesuitenschüler repräsentativ war oder nur dazu dient, die beiden Figuren zu charakterisieren, muss offenbleiben. Ableiten lässt sich jedoch, dass der Besuch der von der Schulglocke angekündigten, d. h. wohl in den alltäglichen Schulbetrieb integrierten declamationes für Rhetoren nicht verbindlich, wenngleich erwünscht war. Der Titel des aufzuführenden Stücks wurde offenbar am stehenden Theater angeschlagen. Besonders interessant sind die Äußerungen der Schüler über die Aufführung an sich. Bromjus fürchtet, es werde ein Stoff geboten, der schon hunderte Male aufgeführt worden sei – eine Beobachtung, die aus der Feder des stets nach innovativen Stoffzugängen strebenden Claus spezifisches Gewicht erhält. Des Weiteren würde sich die Figur darüber freuen, wenn eine laeta et apta risibus / scena („fröhliche und zum Lachen bringende Aufführung“ 1) dargeboten würde – ein wichtiger Hinweis darauf, dass die heute komisch wirkenden Episoden in den Exercitationes vom Autor intentional als solche angelegt wurden, wohl im Hinblick darauf, den Schülern angesichts der häufigen declamationes Abwechslung zu bereiten. Das Stück ist offenkundig als Komödie angelegt. Neben Oleum Divae Catharinae und Tonsiastrus handelt es sich hier um das Stück, in dem der komische Aspekt am konsequentesten ausgearbeitet ist. Im Gegensatz zu anderen, ebenfalls mit heiteren Einsprengseln operierenden Dramen des Autors ist in diesen Stücken der komische Gestus über die gesamte Handlung durchgehalten. Die verqueren Vorstellungen der bereits über ihre sprechenden Namen als Komödienfiguren markierten Hauptfiguren prägen das Handlungsgesche-

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hen. Die den Schülern gegenübergestellten, überlegt handelnden Figuren (der Diener Dromulus und der Händler Danistrus) dienen dazu, die Irrtümer der Schüler noch deutlicher zu konturieren. Ungeachtet seiner komisch-verspielten Ausrichtung transportiert der Text ein pädagogisches Anliegen. Der didaktische Aspekt, welcher der Entstehung des Dramas zugrunde liegt, ist die Frage nach der richtigen Bestimmung des Menschen. Dabei handelt es sich nicht nur um ein komödientaugliches Motiv, sondern um einen Reflex auf einen Diskurs, der im achtzehnten Jahrhundert intensiv geführt worden ist, wie die zahlreichen Auflagen von Andreas Eschenbrenders Instructio pro eligendo vitae statu (1717) belegen, einer jesuitischen Orientierungsschrift, die aus streng christlicher Perspektive bei der Suche nach dem richtigen Lebensweg unterstützen möchte; die Laufbahn als Ordensgeistlicher wird in diesem Text zwar favorisiert, Vor- und Nachteile sind jedoch gegeneinander abgewogen.601 Das Buch, das Dromulus den Schülern vorlegt, spielt möglicherweise auf diesen Text an. Die Diskussion reflektiert ein Spannungsverhältnis, in das die katholischen Orden im achtzehnten Jahrhundert nach und nach gerieten. Zwar mussten sie sich weiterhin darum bemühen, junge Mitglieder anzuwerben; zugleich waren sie jedoch an einer Selektion interessiert, um Angriffen von Seiten der Aufklärer vorzubeugen, welche die Orden als Horte gesellschaftlich untauglicher Subjekte denunzierten und stereotype Vorwürfe wie Faulheit und Trunksucht in Umlauf brachten. Das Thema der electio status bona ist auf den Jesuitenbühnen schon vor Claus belegt. 1687 gaben die Sodalen der großen Kongregation in Ingolstadt ein Stück mit dem Titel Thomas Morus de vitae statu eligendo deliberans (Valentin, Nr. 2852), 1736 wurde in der Münchner Congregatio minor ein Stück mit dem Titel Felicissima servitus considerationi deliberantium de statu vitae eligendo proposita aufgeführt (Valentin, Nr. 5117). In diesen beiden Stücken wird die Entscheidung für ein geistliches Leben allerdings nicht problematisiert, sondern undifferenziert gefeiert.

.. Exercitia rhetorica Die folgenden drei Dramen werden unter der Gattungsbezeichnung Exercitium rhetoricum bzw. Exercitium scholasticum in Rhetorica geführt. Anlass der Auf Verwendete Ausgabe: Eschenbrender 1733. Ein weiterer einflussreicher Text, der sich mit dem Thema befasst, stammt aus der Feder des italienischen Jesuiten Carlo Gregorio Rosignoli (1631–1707); 1728 erschien er in einer lateinischen Übersetzung mit dem Titel De bona et prudentiae verae regulis conformi electione sive documenta pro bene eligendo vitae statu in Augsburg.

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führungen waren wohl die declamationes privatae, die wöchentlich am Samstag abgehalten werden mussten und im achtzehnten Jahrhundert in den oberen Klassen zumindest zwei Mal pro Jahr in szenischer Form zu erfolgen hatten.602 Gegenüber den declamationes muss man sich einen noch bescheideneren Aufführungsaufwand vorstellen. Die Stücke wurden von Schülern der Rhetorik-, möglicherweise auch der Poetik-Klasse aufgeführt, das Publikum dürfte aus den übrigen Schülern und der jeweils anderen Klasse bestanden haben. Da keine externen Zuschauer vorgesehen waren, ist den Stücken kein argumentum vorangestellt. Die didaktischen Inhalte, die mit diesen Texten abgedeckt wurden, gingen über die der declamationes hinaus. Neben dem Training schauspielerischer Fertigkeiten und der Sprachkompetenz im Allgemeinen ging es um die Vermittlung bzw. die praktische Vertiefung rhetorischer Kenntnisse und die Übung rhetorischer Strategien: Stilmittel, Argumentationsmuster und metrische Grundlagen wurden geübt. Caedes Abelis Das erste der drei Stücke, Caedes Abelis („Die Ermordung des Abel“), ist unter inhaltlichen Gesichtspunkten ein konventionelles Bibeldrama und damit eine Ausnahmeerscheinung im Werk des Autors. Mit der Stoffwahl bewegte sich Claus gleichwohl nicht im jesuitischen Mainstream: Die zugrundeliegende biblische Episode, Gen. 4, 1–16, ist auf der Jesuitenbühne erstaunlich selten belegt.603 Claus reicherte sie zwar mit fiktionalen Elementen an, die Beigaben fügen sich aber reibungslos in das überlieferte Narrativ. Auch in Bezug auf die Darstellungsperspektive experimentierte der Autor hier nicht wie in anderen Stücken, sondern orientierte sich an der Bibel. Die Erzählung ist in ein fünfaktiges Drama umgelegt, dessen Struktur sich mit der klassischen Handlungseinteilung in Protasis (1), Epitasis (2, 3), Katastasis (4) und Katastrophe (5) – wohl in didaktischer Absicht – idealtypisch deckt. Der 1. Akt führt die Figuren ein und ermöglicht eine charakterliche Einschätzung. Anders als sein jüngerer Bruder Abel, der bereitwillig zum Brunnen eilt, weigert sich Kain, für den alten, von der Feldarbeit erschöpften Vater Adam Wasser zu holen. Stattdessen reicht er ihm einen Apfel, den dieser als Symbol der Vertreibung aus dem Paradies verflucht. Zur gleichen Zeit sind Lucifer und Leviathan, die als Ackerbauern auftreten, angesichts von Abels

 Pachtler 1894, Bd. 4, S. 144.  Valentin verzeichnet nur Aufführungen in Wien 1662 (Nr. 2002), München 1725 (Nr. 4471) und Solothurn 1770 (Nr. 7527).

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Tugendhaftigkeit besorgt. Sie fürchten, der Knabe könne ihren Plan, das Menschengeschlecht zu vernichten, gefährden. Im 2. Akt wird der Konflikt des Stücks eingeführt: Abel kehrt mit einem leeren Krug von dem Fluss zurück, da dieser statt Wasser Blut führt. Adam äußert die Befürchtung, das üble Vorzeichen könnte seinem Sohn gelten. Er lässt Kain herbeirufen, um ein Opfer abzuhalten. Dieser zeigt aber offen seinen Unmut: Quid Caino nunc opus? Abel tuus non sufficit solus tibi? Hic solus omne gaudium, hic matris decus vocatur unus, solus hic charus patri. Wozu brauchst du denn Kain? Genügt dir dein Abel etwa nicht? Diesen allein nennt man die ganze Freude und Zierde der Mutter. Nur er ist dem Vater lieb. (2,2)

Im Gegensatz zu Abel, der als Hirte ein angenehmes Leben führt, muss er Tag und Nacht als Ackerbauer schuften. Adam lässt jedoch die Vorwürfe des reizbaren Sohnes nicht gelten und bezichtigt ihn des Bruderneides und der Gottlosigkeit, woraufhin Kain drohend voraussagt, er werde heute noch ein Opfer bringen. Der 3. Akt bringt einen ersten dramatischen Höhepunkt. Zu Beginn hoffen die in Hirtenkleidern auftretenden Schutzengel der Brüder, dass sich der Brudermord noch abwenden lasse. Sie reden beschwichtigend auf Kain ein und bewegen ihn zum Umdenken. Der Konflikt scheint ausgeräumt, als die Brüder beschließen, gemeinsam am Altar ein Opfer zu bringen. Kain opfert aber nicht wie Abel ein Lamm, sondern bringt nur einige Feldfrüchte dar. In der Folge bewahrheiten sich die Befürchtungen Abels: Gott, der in Form eines Blitzes auf dem Altar erscheint, nimmt nur seine Gabe, nicht aber die seines Bruders an. Im kurzen 4. Akt fasst Kain – von Luzifer und Leviathan dazu angestachelt – den Plan, das Verbrechen durchzuführen: Abel soll sein Opfer sein. Der 5. Akt, die Katastrophe, ist mit einer tragischen Binnenstruktur versehen. Zu Beginn herrscht Freude; Adam gratuliert Abel zu dessen erfolgreichem Opfer. Die positive Stimmung wird noch gesteigert, als Kain – scheinbar reuevoll – erklärt, ein zu geringes Opfer gebracht zu haben. Es folgt die Katastrophe: Kain führt Abel zum Altar und erschlägt den Betenden meuchlings mit einem Ast. Die Befriedigung angesichts der Tat weicht indes alsbald Gewissensplagen und Verzweiflung. In der kurzen Schlussszene erfährt Adam vom Mord. Die meisten Figuren des Dramas weisen nur Ansätze eines psychologischen Profils auf. Augenmerk auf eine differenzierte Zeichnung hat der Autor nur bei der Gestaltung von Kain gerichtet. Dieser ist, anders als der eindimensionale, weil durch und durch ‚gute‘ Abel, mit einem inneren Konflikt ausgestattet. Die Figur ist nicht durchwegs schlecht, die Vorwürfe des ungeliebten Sohnes erscheinen teils berechtigt: Die Passage in 2,2, in der er die Ungerechtigkeit

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darstellt, selbst als Ackerbauer unentwegt schwere Arbeit verrichten zu müssen, ohne dafür Anerkennung zu erhalten, während sein Bruder beim Viehhüten gemütlich im Gras liegt, gehört zu den stärksten Partien des Texts. Die barsche Antwort des unnachgiebigen Vaters passt schlecht zu den zwar auf Neid gegründeten, letztlich aber als Klage formulierten Versen. Vorrangig ging es dem Autor hier aber nicht um die Schaffung von psychologischer Stringenz. Der Inhalt des Stücks war von untergeordneter Bedeutung, moralische Belehrung bzw. Katechese standen nicht im Vordergrund (die Warnung vor Neid ist zwar präsent, wird aber zumal am Schluss des Texts nicht moraldidaktisch herausgestellt). Bedeutender war die formale Vorbildwirkung des Texts. Der strenge Aufbau des Stücks deutet darauf hin, dass eine der Intentionen des Verfassers darin bestand, Hinweise zum Verfassen eines Dramas zu geben. Die Analyse des Dramas sollte den Schülern der Rhetorikklasse – und damit insbesondere angehenden magistri choragi – veranschaulichen, wie aus einer allgemein bekannten Episode ein den poetologischen Forderungen der Zeitgenossen genügendes Stück entwickelt werden kann. Der gewählte Genesis-Ausschnitt eignete sich dafür gut, da die tragische Struktur im Bibeltext grundgelegt ist: Die aristotelischen Einheiten lassen sich als gegeben ansehen, der Verwandtenmord ist ein tragisches Motiv par excellence, die Anordnung der Figuren entspricht einer elementaren dramatischen Konstellation: Protagonist und Antagonist agieren im Zusammenspiel mit einer dritten Figur. Zur Illustrierung des Innenlebens der Hauptfiguren und Konturierung der beiden Positionen wurden vom Autor auf beiden Seiten zwei allegorische Figuren (Teufel, Schutzengel) eingeschaltet. Daneben bot das Stück Übungsmaterial für unterschiedliche Stilformen. Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Dramen des Autors ist der jambische Trimeter als Sprechvers in Caedes Abelis nämlich nicht durchgehalten. Zwar bleibt er der Leitvers, der das Stück eröffnet, schließt und in einigen Übergängen Verwendung findet, dazwischen sind jedoch Abschnitte in unterschiedlichen Metren gestaltet: Asklepideus minor (1,3), Hexameter (1,4; 2,1), eine epodenähnliche Strophenform aus Hexameter, jambischem Dimeter und Hemiepes (2,2), alkäische Strophe (2,4), jambischer Trimeter im Wechsel mit jambischem Dimeter (3,1) und sapphische Strophe (3,4).604 Nur der letzte Akt hat keine polymetrische Gestaltung erfahren. Die Zuweisung der Formen an bestimmte Handlungselemente entspricht weitgehend konventionellen Assoziationen: Lyrische Maße werden für Gebete eingesetzt, der Hexameter an besonders bedeutenden (und durchwegs bedrohlichen) Stellen der Handlung; der Wechsel von

 Das Vermaß der ersten beiden Verse von 4,2 bleibt rätselhaft.

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Trimetern und Dimetern lässt sich als graphische Veranschaulichung der Gefühlslage der Schutzengel deuten, die zwischen bösen Vorahnungen und Hoffnung schwankt. Zusätzlich gesteigert ist die formale Vielfalt des Stücks durch den Einschub von Prosapassagen. Sie begegnen in allen fünf Akten und sind ebenfalls zu Übungszwecken eingelegt. Die Abschnitte, die mitunter über mehrere Seiten gehen (vgl. etwa 3,2 bis 3,4) sind rhetorisch kunstvoll gestaltet. Häufig finden sich poetische Bilder und kreative Formulierungen, ab und an strotzen die Passagen vor Stilmitteln wie Anaphern, sonstigen Assonanzen und Parallelismen. Der Autor hat insbesondere versucht, seinen Schülern den Gebrauch rhetorischer Fragen zu veranschaulich, etwa in 2,2 unter Rückgriff auf Cic. Cat. 1,1 oder in 4,1 in Form folgender symmetrisch organisierter Fragenreihe: Quid hic haeres, Caine? quid astra suspicis? Quid aram circumspectas? demissas pariter a coelo flammas operiris infelix? Tua munera contemni non vides? omnem tibi a Deo veniam denegari non sentis? omnem gratiae locum tibi interclusum non deprehendis? Was sitzt du hier, Kain? Was schaust du die Sterne an? Was blickst du um den Altar? Verbirgst du, Unglücklicher, Flammen, die zugleich von Himmel herab gesandt wurden? Siehst du nicht, dass deine Gaben verschmäht werden? Merkst du nicht, dass Gott dir jegliche Gnade verweigert? Begreifst du nicht, dass dir jeder Weg zum Heil verstellt ist? (4,1)

Der Textausschnitt zeigt, dass das Stück auch als Hilfsmittel zur Schulung argumentativer Fähigkeiten konzipiert ist. Besonders in den Sprechpartien der Schutzengel bzw. der Teufel sind disputative Muster angelegt, mittels derer gezeigt werden sollte, wie eine Position mithilfe suggestiver sprachlicher Mittel überzeugend dargestellt werden kann. Joannes in vinculis. Exercitium scholasticum in Rhetorica Mit dem zweiten Exercitium rhetoricum brachte Claus ebenfalls einen biblischen Stoff auf die Bühne. Quellen gab der Autor dafür nicht an, die Kenntnis der Lebensgeschichte des aus dem Neuen Testament bekannten und von Flavius Josephus historisch verbürgten Propheten Johannes der Täufer ist für das Textverständnis vorausgesetzt. Der asketische Feldprediger prangerte die Sittenlosigkeit von König Herodes Antipas an, der sich von seiner Ehefrau getrennt hatte, um mit Herodias, der Frau seines Bruders, eine Beziehung einzugehen. Daraufhin wurde Johannes eingekerkert und hingerichtet. Der Stoff ist auf der Jesuitenbühne zumal bis zur Mitte des siebzehnten Jahrhunderts vielfach belegt.605  Valentin, S. 991.

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Anders als im vorangehenden Stück ist die biblische Episode hier nicht konventionell in ein Drama umgesetzt, sondern auf eine für den Autor typische Weise innovativ aufbereitet worden. Die Gefangennahme des Heiligen bildet den Hintergrund für eine Verwechslungskomödie. Der Beginn der in 16 Szenen geordneten Handlung zeigt Johannes im Gespräch mit dem jungen Silonus. Der Eremit bereitet seinen Jünger darauf vor, dass er selbst noch am selben Tag von furor / favorque, pietas et scelus, styx et polus / clementia et crudelitas („Wut und Gunst, Frömmigkeit und Frevel, Hölle und Himmel, Milde und Grausamkeit“ 1) dazu gezwungen werde fortzugehen, er sich jedoch bereits auf die in Aussicht stehenden Fesseln freue. Im selben Augenblick erscheint der Hirte Damoetas und mahnt aufgeregt zur Flucht, bewaffnete Männer seien im Anmarsch. Als Johannes dies hört, eilt er ihnen freiwillig entgegen. Zu zweit zurückgeblieben, klärt Damoetas Silonus darüber auf, dass er Johannes, um ihn zu retten, absichtlich in die falsche Richtung geschickt habe. Er selbst wolle sich dem Propheten nun ebenfalls anschließen. Da er sich bereits dementsprechend eingekleidet hat, halten ihn die eintreffenden Soldaten für Johannes. Sie bitten zunächst freundlich darum, der Prophet möge ihnen von seinem Reichtum etwas abgeben. Damoetas Versicherungen, er sei besitzlos, halten sie für eine Geste der Demut. Erst als sich dieser mehr und mehr als Einfaltspinsel erweist, erkennen sie ihren Fehler: Est error comicus in persona („Das ist ein komischer Irrtum in Person.“ 4). Als Johannes zurückkehrt, erklärt er sich sogleich bereit, alle erdenklichen Strafen auf sich zu nehmen, um seinen Glauben zu bezeugen. Enttäuscht muss er erkennen, dass die Soldaten nicht als Schergen des Königs gekommen sind, sondern als Gläubige, die um die Taufe bitten. Gemeinsam gehen sie ab zum Jordan. Wenig später erhalten die zurückgebliebenen Jünger wiederum Besuch: Eine Gesandtschaft des Königs möchte den Propheten mit Wein und kostbaren Speisen bestechen. Damoetas, der wiederum für Johannes gehalten wird, nimmt die Gaben dankend an. Erst als die Gesandten dem Analphabeten einen Brief von Herodias überreichen, kann Silonus sie über die Verwechslung aufklären. Der zurückkehrende Johannes jagt die Gesandtschaft davon, ohne den Brief der Ehebrecherin überhaupt angerührt zu haben. Der nächste Besucher ist Herodes’ Höfling Agrippa. Auch er hält zunächst Damoetas für den Propheten. In einer langen Rede klagt er ihn seiner majestätslästerlichen Vergehen an, Damoetas streitet diese indes zurecht ab; auch die Gaben der Gesandtschaft habe er keineswegs abgelehnt. Als Agrippa über die wahre Sachlage aufgeklärt ist, versucht er Johannes mit Schmeichelreden für die Sache des Königs einzunehmen. Dieser reagiert erzürnt und fährt fort, den Ehebruch des Königs zu geißeln. Agrippa beschließt ihn abzuführen, worüber Damoetes sehr erfreut ist, da er als Gefolgsmann des Predigers mit einer

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Anstellung am Hof rechnet. Als ihm die Wachen, irrtümlich und unwillig, Fesseln anlegen, will er von der Reise allerdings nichts mehr wissen. Johannes hingegen fordert, man möge ihn in Ketten legen. In der letzten Szene treten die inzwischen getauften Soldaten aus dem ersten Teil des Dramas wieder auf, um Johannes zu befreien. Dieser besteht jedoch auf seiner Verurteilung. Silon beschließt, ihm bis in den Tod zu folgen. Joannes in vinculis ist eines der heitersten Stücke der Exercitationes. Anders als in den lehrhaften Stücken, in denen komische Nebenfiguren zur Auflockerung der Handlung eingesetzt sind, dominiert Komik hier das ganze Stück. Der Hirte Damoetas – der Name stammt aus der bukolischen Tradition – ist als komischer Charakter ein Verwandter der in vielen Exercitationes auftretenden einfältigen Nebenfigur. Er rückt hier aber in den Mittelpunkt der Handlung, was beim Rezipienten dazu führt, dass humorvolle Momente das kontemplative Potential der biblischen Episode kaum zur Geltung kommen lassen. Zur Veranschaulichung der aus Missverständnissen und geistiger Beschränktheit geschöpften Komik – vielfach begreift die Figur Metaphern wörtlich oder löst Mehrdeutiges falsch auf – kann der folgende Ausschnitt beitragen: Tribunus: […] Vox tua non desertum modo, sed et urbem, et aulam dudum penetravit. Damoetas: Ain’ vero? Verumne hoc? clamavi, fateor, saepius has inter sylvas, nunquam tamen credidi, vocem mihi adeo penetrantem esse, ut in ipsa etiam urbe, et aula audiretur […] Tribunus: Imo vocem hanc hodie praesertim extollas, rogamus. Miles 1: Pronas, et avidas aures dabimus. Damoetas: Non indigeo vestris auribus, has carnificis cultro reservate. Miles 1: Sed nos indigemus lingua tua. Miles 2: Aperi ergo ora, et praebe, quod optamus. Damoetas: Linguam meam? Tribun: „Dein Ruf drang nicht nur durch die Wüste, sondern bis in die Stadt und an den Hof.“ Damoetas: „Tatsächlich? Ist das wahr? Ich gebe zu, ich habe hier im Wald oft herumgeschrien, aber ich hätte nie gedacht, dass mein Rufen so penetrant ist, dass es bis in der Stadt und am Hof gehört wird. […]“ Tribun: „Ja, wir hätten gern, dass du die Stimme heute besonders erhebst.“ Erster Soldat: „Wir halten dir begierig die Ohren hin.“ Damoetas: „Eure Ohren brauche ich nicht, bewahrt die für das Messer des Henkers auf.“ Erster Soldat: „Aber wir brauchen deine Sprache/Zunge.“ Zweiter Soldat: „Mach den Mund auf und gib uns, worum wir bitten.“ Damoetas: „Meine Zunge?“ (4)

Wie in Caedes Abelis und in dem folgenden Stück Tonsiastrius steht die Vermittlung von erzieherischen Botschaften hier nicht im Vordergrund. Johannes erscheint zwar als Kämpfer für die christliche Wahrheit; der Umstand, dass die Verhaftung des Glaubenszeugen hier in komischem Kostüm dargestellt ist, macht indes deutlich, dass das Aufzeigen christlicher Haltungen nicht primäres Anliegen des Texts ist. Erneut geht es um Didaxe formaler Fertigkeiten. Wie im vorangehenden Drama begegnen unterschiedliche metrische Formen – jambischer Trimeter, alkäische Strophe (1), Hexameter (3) –, noch bedeutender

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ist hier allerdings das Aufzeigen rhetorischer Strategien für das Verfassen von Prosatexten. Von der 4. Szene an ist das Stück durchgehend in Prosa gehalten, dabei handelt es sich wiederum um eine stark stilisierte Prosa, anhand deren spezifische rhetorische Phänomene demonstriert werden können. Die Repliken sind länger als die entsprechenden Abschnitte in Caedes Abelis. Das Bemühen, modellhafte Sätze für das Einüben langer, hypotaktisch verschachtelter Perioden bereitzustellen, ist evident. Die Tatsache, dass der Autor lange, dem Genus der Rede entlehnte Versatzstücke verwendet hat, hat zwangsläufig Auswirkungen auf die Gesamterscheinung des Texts. Viele Szenen wirken undramatisch, die psychologische Plausibilität der aufgrund der gespreizten Redensarten unnatürlich verzerrten Dialoge ist stark eingeschränkt. Bei einem Autor, der für gewöhnlich auf geschmeidige Dialogführung Wert legt und mit bewusst kurzen Sätzen operiert, ist das besonders auffällig. Der Eindruck fehlender Stringenz von Handlung und Charakteren ist unvermeidlich. Die Folgen dieser Gestaltung sind allerdings durchaus komischer Natur – und das hat vor dem Hintergrund anderer komischer Aspekte wohl als intendiert zu gelten: Viele Figuren erscheinen wie Roboter, die eine ihnen fremde Sprache sprechen. Besonders auffällig ist das im Fall des intellektuell beschränkten Damoetas, auch wenn seine Sprechpartien tendenziell weniger stilisiert sind als diejenigen der Besucher. Ein gutes Beispiel für die Sprachkomik des Stücks bietet die erste Begegnung Agrippas mit Damoetes. Man würde sich eigentlich eine schroffe Behandlung des vermeintlichen Propheten durch den Vertreter des Staats erwarten. Stattdessen hält Agrippa eine gediegene Rede, die auf bereits in Caedes Abelis eingearbeiteten Versatzstücken aus Cic. Cat. 1 beruht: Quousque tandem regis patientia abutere, mortalium vilissime? quamdiu linguae effrenis impetus aulae universae illudet? quo demum se se tua extollet superbia? Nihil ergo te majestas regia, nihil debita sceptris reverentia, nihil principuum munera, nihil gentium et naturae jura moverunt? […] Wie lange noch missbrauchst du die Geduld des Königs, Nichtigster unter den Sterblichen? Wie lange noch spottet die Kraft deiner zügellosen Zunge des gesamten Hofes? Wohin versteigt sich dein Hochmut? Rührt dich denn die königliche Majestät gar nicht? Gar nicht die dem Zepter geschuldete Ehrfurcht? Gar nicht die Obliegenheiten der Fürsten? Gar nicht die Rechte der Völker und der Natur? (12)

Die Ansprache ist noch weitaus länger. Das hat ebenso einen humoristischen Effekt wie der Umstand, dass die Rede an den unverständigen Hirten Damoetas gerichtet ist. Situations- und Sprachkomik gehen Hand in Hand. Tonsiastrus. Exercitium scholasticum in Rhetorica Das letzte Schuldrama der Sammlung ist eine Komödie, deren Handlung vielleicht auf der Phantasie des Autors beruht. Was sich in den vorangehenden

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Stücken beobachten lässt, ist hier noch einmal gesteigert: Die Handlung ist nur ein Vehikel für unterhaltsame rhetorische Übungen, moralische Belehrung ist nicht beabsichtigt. Das verhältnismäßig lange Drama ist in fünf Akten angeordnet, ohne dass diese Einteilung funktional motiviert wäre. Die übergreifende Handlung bleibt rudimentär, der Dramatiker legte den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Zeichnung der Figuren und die Gestaltung von Einzelszenen. Hauptfigur des Stücks ist der stubengelehrte Gastwirt Tonsiastrus, ein intellektueller Hochstapler und Geizhals (der Name ist von tondeo, „schneiden“ gebildet und soll Assoziationen zu „Halsabschneider“ wecken). Da er für seine Profitgier weithin bekannt ist, befinden sich keine Gäste in seiner Kneipe. Die freie Zeit kommt ihm jedoch gelegen, da er seit Kurzem privatim Rhetorik studiert und gerade dabei ist, ein Werk Ciceros zu analysieren, das ihm ein Gelehrter überlassen hat. Gegenüber seinem Kellergehilfen Dromulus prahlt er damit, innerhalb weniger Tage in ciceronianischen Perioden sprechen gelernt zu haben. In der Folge beginnt er Tropen zu studieren, wobei er sich auch von seinem Diener Stasimus nicht stören lässt, der vermeldet, ein Bäckergehilfe wolle eine alte Rechnung beglichen haben. Dromulus und Stasimus beschließen, die Verrücktheit ihres Herrn auszunützen und Küche und Keller zu plündern. In diesem Augenblick wird vor dem Haus ein Lied angestimmt: Drei fahrende Studenten bzw. Schüler aus Prag begehren Einlass. Weil Dromulus seinem Herrn weismachen kann, die Sänger seien gelehrte Herren, lässt dieser sie hereinrufen. Der Diener, der das Ereignis dazu nützen will, ein großes Gelage zu initiieren, verspricht den Gästen Getränke, empfiehlt ihnen aber, sich dem Wirt periodice vorzustellen, denn quod Romae in rostris Cicero, hoc in pago nostro et rastris herus meus („Was in Rom auf den Rednerbühnen Cicero war, das ist in unserem Dorf und bei unseren Geräten mein Herr“ 1,7). Tonsiastrus, der angesichts der Begrüßungsanrede entzückt ist, antwortet mit einer noch längeren Rede, die er allerdings von einem Zettel ablesen muss. Er verspricht sogleich Wein und Speisen, hält dann aber die Labsale, die er immer wieder ankündigt, stets zurück, auch als die Schüler dem geizigen Gastgeber schmeicheln, indem sie (ironisch gemeinte) panegyrische Gedichte vortragen. Von den Gedichten der Gäste inspiriert, fühlt sich auch Tonsiastrus zum Dichter berufen. Nachdem er in Erfahrung gebracht hat, dass Wasser aus der Quelle Castalia zum Dichten anregt, handelt Dromulus aus, dass die Schüler gegen Wasser aus der Quelle am Parnass bewirtet werden, worauf diese dem einfältigen Wirt eine Flasche Brunnenwasser überreichen. Tonsiastrus ist zwar von der stimulierenden Wirkung der Flüssigkeit überzeugt, will den Wein aber noch immer nicht herausrücken. Als der einfältige Stasimus dem Wirt gegenüber die Vermutung äußert, die Gäste seien ohne finanzielle Mittel, erklärt der Wirt den Schülern, er werde den

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Wein erst auftischen, wenn sie im Voraus bezahlten. Dromulus’ Argument, die Gäste hätten sich für ihre Gedichte eine Gegenleistung verdient und zudem bereits vorab mit Castalia-Wasser bezahlt, lässt er nicht gelten. Daraufhin gehen die Gäste ab, Tonsiastrus wendet sich ans Publikum: Das Essen sei angerichtet, gegen Vorauszahlung seien alle eingeladen. Tonsiastrus endet damit in einer für die lateinische Komödie ungewöhnlichen Weise. Wider die Gattungskonventionen kommt der alte, einfältige Geizhals nicht nur nicht zu Schaden, sondern bleibt sogar Sieger über die sympathischen Studenten und den gewitzten Diener Dromulus, die leer ausgehen. Aus diesem Grund verweigert sich das Stück auch einer moralischen Lesart. Das pädagogische Thema „Schuster, bleib bei deinen Leisten“, das der Rezipient sich als finale Aussage erwarten kann, wird letztlich nicht ausgeführt. Die Schlussreplik, in der sich Tonsiastrus triumphierend ans Publikum wendet, gibt Hinweise auf die Einbettung der Aufführung in das Schulleben: Auf die Darbietung folgte ein gemeinsames Essen. Das Stück ist mit Ausnahme kürzerer Abschnitte, in denen die Studenten in hexametrischen Versen ihre poetischen Fertigkeiten zur Schau stellen, in Prosa gehalten. Die ciceronianischen Perioden wirken in der Dialogsituation umständlich in die Länge gezogen, was wie in Joannes in vinculis zur Schaffung von Komik beiträgt. Komik wird ferner durch die Diskrepanz von Form und Inhalt erzeugt: Die von rhetorischen Figuren überbordenden Schachtelsätze vermitteln banale Informationen, etwa die Bitte um Bewirtung oder Anweisungen an das Hauspersonal. Der Lächerlichkeit preisgegeben ist insbesondere die Hauptfigur, die den hochtrabenden Stil nicht wie die übrigen Figuren als Spielerei begreift, sondern als ideales Sprachregister missversteht. Dank der dramatischen Situation, die der Autor konstruiert hat, ist die artifizielle Sprache hier in weitgehend realistischen Dialogen umgesetzt. Das Drama ist damit stilistisch schlüssiger als die beiden vorangehenden Stücke. Der Umstand, dass die didaktisch relevanten, komplexen sprachlichen Strukturen inhaltlich motiviert sind, ist die eigentliche kreative Leistung des Autors. Claus hat allerdings im Stück nicht durchwegs mit rhetorisch aufgeladener Sprache operiert. In vielen Passagen bedienen sich die Figuren einer vergleichsweise nüchternen, stilistisch unauffälligen Gebrauchssprache. Diese Abschnitte dienen unter anderem dazu, in heiterer Form Lehrinhalte zu vermitteln. Der Autor hat nämlich versucht, nicht nur Beispiele für rhetorisch geschulte Sprachverwendung, sondern auch rhetorische Theorie im Text unterzubringen, und sich keine geringeren Ansprüche gestellt, als die Vermittlung rhetorischer Tropen auf dramatischem Weg zu bewerkstelligen. Auch diese Partien sind in den Handlungskontext eingebunden und motiviert. Das Ergebnis ist eine mitunter bizarre Komik, etwa wenn Tonsiastrus seinem Kellergehilfen bei der Küchenarbeit die Begriffe Metapher und Metonymie erklärt:

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Dromulus: Sine, videam. – Quid hoc? caro suilla? an non habes aprinam, vel cervinam? Tonsiastrus: Est idem, domesticus sus pro quovis etiam sylvestri, est m e t o n y m i a . […] Dromulus: Deinde jam vermibus scatent haec aves, totae jam animatae. Tonsiastrus: Eo melius, est metaphora, cum ponitur animatum pro i n a n i m a t o . Dromulus: Et hi cancri jam putrescentes et dudum exanimes? Tonsiastrus: Est iterum alius modus metaphorae, cum ponitur inanimatum pro animato. Dromulus: „Gestatte, dass ich nachschaue. Was ist das? Schweinefleisch? Hast du kein Wildschwein oder Wild?“ Tonsiastrus: „Das ist dasselbe. Ein Hausschwein anstelle irgendeines Wildschweines zu nehmen ist eine Metonymie.“ […] Dromulus: „Außerdem kriechen schon Würmer aus diesen Vögeln hervor, die sind ja schon ganz lebendig.“ Tonsiastrus: „Umso besser, das ist eine Metapher, wenn etwas Belebtes anstelle von etwas Unbelebtem steht.“ Dromulus: „Und diese Krebse, die schon stinken und schon ganz verendet sind?“ Tonsiastrus: „Das wiederum ist eine andere Art von Metapher, wenn etwas Unbelebtes anstelle von etwas Belebtem steht“. (2,1)

Weitere Begriffe, die auf ähnliche Weise beispielhaft und mit einer knappen Erklärung versehen vorgestellt werden, sind Tropus, Figura per additionem, Figura per detractionem, Hyperbel, Ironie, Synekdoche, Allegorie, Suspensio, Gradatio, Onomatopöie und Commutatio; außerdem werden rhetorische Strategien wie Argumentum ab antecedentibus ad consequentia oder Argumentum a comparatione eingeführt. Das scherzhafte Moment steht dabei freilich immer im Vordergrund. Bemerkenswert sind auch die Verseinlagen, die sich im Text finden. Das vorgeblich panegyrische Gedicht, welches einer der fahrenden Schüler dem Gastgeber überreicht, ist ein Fünfzeiler in leoninischen Hexametern, in das das Wort Vivat als Akrostichon, Mesostichon und Telestichon eingearbeitet ist. Dazwischen lässt sich allerdings das Mesostichon ia ausmachen. Der onomatopoetische Bezug zum Esel ist überdeutlich herausgearbeitet, Tonsiastrus damit ironisch verunglimpft: Auf die Frage, ob denn auch Löwen (leoninische) Verse verfassen könnten, antwortet ein Schüler: Si faciunt asini, cur non et leones? („Wenn Esel es machen, wieso dann nicht auch Löwen?“ 2,2). Auf die Eselmetaphorik wird immer wieder Bezug genommen, etwa wenn der Wirt in 1,2 Onoonos- onomatopeia studiert (gr. ὄνος: Esel). Eingelegt sind auch drei kurze Gedichte in deutscher Sprache. Sie werden durchwegs von den Studenten vorgetragen. Wie in Spiritus sine spiritu dient die Volkssprache der Erzeugung von Komik: Es lebe der Herr Würth! Der seine Gäst braff schniert; Leert ihre Seckel redlich aus Damit sie kommen ring nach Hauß. Es lebe der Herr Würth! (1,5)

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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Neben dem offensichtlich als humorvoll intendierten Inhalt dieser Einschübe sorgt ihre Kontextualisierung für einen komischen Effekt: Der pseudogelehrte, in umständlichen lateinischen Perioden sprechende Tonsiastrus wird mit einem Gedicht in trivialen deutschen Knittelversen begrüßt. Die Komödie ist das einzige gedruckte Stück des Autors, zu dem sich eine handschriftliche Fassung erhalten hat. In der Österreichischen Nationalbibliothek befindet sich das 17 Blatt starke Bühnenmanuskript, das der Rhetorikschüler Johann Baptist Mynsinger für die Aufführung des Stücks 1730 verwendet hat – vermutlich in München, wo Claus bis in den Herbst des Jahres tätig war.606 Damit lässt sich zumindest ein Terminus ante quem für die Entstehung benennen. Ob das Stück tatsächlich in diesem Jahr entstanden ist oder zuvor bereits in anderen Kollegien zur Aufführung kam, muss offenbleiben; ein Chronogramm in der Szene 3,2 der Druckversion ergibt die Zahl 1728, allerdings finden sich weitere Chronogramme, die keine sinnvollen Zahlen liefern. Gesichert ist damit jedenfalls, dass auch in den Exercitationes Dramen aus Claus’ Zeit als Rhetor zusammengefasst sind. Bedeutsam ist Tonsiastrus als Zeuge für Claus’ Überarbeitungsverfahren: Das Manuskript entspricht inhaltlich dem Text, den er 1750 drucken ließ. Gleichwohl weicht das gedruckte Stücke auf mehreren Ebenen von dem der Handschrift ab. In kompositorischer Hinsicht ist es leicht gekürzt und verdichtet; so strich der Dramatiker etwa die erste Szene der Handschrift und verteilte die Exposition auf die weiteren Szenen. Auffällig ist zudem, dass an vielen Stellen Szenen- und Aktgrenzen verschoben wurden. Zahlreich sind erwartungsgemäß stilistische Nachbesserungen. Mit einer häufigen Verwendung dieses witzigen Übungsstücks an den Jesuitenschulen nach 1750 ist zu rechnen. Eine Rezeptionsspur hat sich erhalten: Albert Carlen zufolge ist ein aus Amberg stammendes, möglicherweise 1766 in Sitten aufgeführtes Stück mit dem Titel Negligentia punita an Tonsiastrus angelehnt.607

.. Meditationsdramen Den Abschluss der Sammlung bildet ein Zyklus von vier Meditationsdramen, die Claus an den Fastensonntagen des Jahres 1738 als Vorsitzender der großen Marianischen Kongregation in München in der Kongregationskirche zur Auf-

 Exercitium sive comoedia latina in quinque actibus inscripta ‚Caupo‘, Cod. 13123 Han. Erwähnt bei De Backer/Sommervogel 1891, Bd. 2, Sp. 1205.  Carlen 1950, S. 319–320.

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führung brachte. Diese Stücke sind daher nicht dem Schultheater im engen Sinn zuzuordnen; sie gehören zum Bereich des religiösen Laienspiels. Fastenmeditationen waren in jesuitisch geprägten Gemeinschaften in der Barockzeit fester Bestandteil des religiösen Lebens. Sie wurzeln unter anderem in den Ignatianischen Exerzitien und den im siebzehnten Jahrhundert international verbreiteten traditionellen Exempelerzählungen zur Fastenzeit.608 Im Laufe der Zeit entwickelten sich daraus szenisch organisierte Rituale. Exempla aus der Bibel oder der Sakralgeschichte wurden nun im Gotteshaus dramatisch umgesetzt.609 Im Dienst der Katechese stehend, zielten diese Aufführungen darauf ab, Glaubenswahrheiten in eingängiger Form (die Darbietung wurde unterstützt von Bildern und Musik) an die Mitglieder der Bruderschaft zu vermitteln. Der Zuschauer machte spirituelle Erfahrungen, aus denen er in weiterer Folge in einem rational-erwägenden Prozess eine Lehre ableiteten sollte.610 Um dies zu erreichen, blieben herkömmliche dramatische Gestaltungsprinzipien häufig außer Kraft. Dramentheoretische Postulate fanden oft keine Berücksichtigung, auf Nebenhandlungen wurde verzichtet, die Figuren wurden auf Vertreter isolierter, unmissverständlicher Haltungen reduziert. Die Handlung dieser Stücke, die ein paratextuell kommuniziertes religiöses Thema exemplarisch vorführte, war schlicht und widerspruchsfrei. Hinsichtlich seiner sprachlichen Gestaltung steht das Meditationsdrama liturgischen Textsorten nahe, ein Eindruck, der durch die in der Regel zahlreich eingewobenen Bibelzitate verstärkt wird. Kernaussagen wurden vielleicht in Form von Emblemen optisch gedoppelt. Die auf diese Weise betriebene suggestive Vermittlung christlicher Glaubenslehre wurde in den lyrischen Prologen und Zwischenspielen emphatisch unterstützt. In ihnen griffen allegorische Figuren das Thema des Stücks auf einer zweiten, explizierenden Handlungsebene wieder auf. Die musikalische Gestaltung dieser Einschübe rückte die Gattung in die Nähe des Oratoriums. Claus’ Meditationsdramen stehen in der Tradition der in München ab den 1720er Jahren belegten Dramenzyklen, in denen an bis zu fünf Fastensonntagen ein übergreifendes religiöses Thema mittels verschiedener Exempla aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wurde. Gegenstand seiner Dramen-

 Sammer 1996, S. 72; Valentin 1996b.  Sammer 1996, S. 32.  Bauer 1982, v. a. S. 110. Eine kompakte Darstellung des intendierten affektiv-rationalen Rezeptionsprozesses bietet Neumayr in seiner Idaea poeseos: Meditationis s c o p u s est sollicitudo pro securitate salutis. Sollicitudinis causa est consideratio, quam facilis et gravis sit coeli jactura („Ziel der Meditation ist Besorgnis um das Seelenheil. Ursache der Besorgnis ist die Überlegung, wie leicht man den Himmel verlieren kann und wie schwerwiegend das ist.“) Neumayr 1751, S. 197.

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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reihe ist die via ad coelum, die entweder über die Unschuld oder über aufrichtige Reue – das zentrale Motiv der katholischen Fastenliturgie – führen kann. Anhand des biblischen Joseph und zweier historischer Figuren wurde die Tragweite christlicher Lebensführung im Angesicht des Todes ins Bewusstsein gerufen. In den verhältnismäßig langen, katechetisch ausgerichteten argumenta wurde der Lehrwert der Stücke expliziert und die Bedeutung des vorgeführten Themas für die Lebenswirklichkeit des Einzelnen hervorgehoben. Um den Anforderungen der Gattung gerecht zu werden, hat der Dramatiker hier von origineller Gestaltung abgesehen. Anders als in den Übungsdramen, in denen Claus oft entlegene Stoffe wählte oder einen innovativen Zugang suchte, stellte er für die Kongregationen traditionelle Jesuitenstoffe auf tendenziell konventionelle Weise dar. Die vier Dramen sind neben Tonsiastrus die einzigen Texte des Autors, die in zwei Versionen existieren, da sich für sie Aufführungsdrucke erhalten haben. Seit 1737 war es in der Münchner congregatio maior üblich gewesen, nicht nur wie bisher die lyrischen Partien, sondern auch die Sprechtexte der Fastenmeditationen auf Broschüren drucken zu lassen und auszuteilen,611 wohl um den Sodalen das Verständnis zu erleichtern (das akustische Verständnis war in der großen Kirche sicherlich schwieriger als in den kompakten Theatersälen), vielleicht auch um eine private Beschäftigung mit den spirituellen Texten zu ermöglichen. Der durchwegs in Prosa gehaltene Sprechtext der via ad coelum unterscheidet sich auf diesen vier Aufführungsdrucken gegenüber den Exercitationes allerdings nur in graphischer Hinsicht merklich. Dennoch haben die Aufführungsdrucke einen wichtigen Quellenwert: Im Gegensatz zum Druck aus dem Jahr 1750 bieten sie auch die Texte der Chorpassagen und belegen somit, dass die für ein Meditationsdrama relativ langen Sprechtexte von lyrischen Einlagen unterbrochen waren. Diese Partien wechseln wie die Choreinschübe des zeitgenössischen Schultheaters612 zwischen Rezitativen und Arien, zumeist handelt es sich um in Paarreimen geordnete Verse in akzentuierenden Rhythmen. Aus den Aufführungsdrucken lassen sich zudem Rahmeninformationen zu den Darbietungen gewinnen. An allen vier Sonntagen wurde auf denselben Hauptdarsteller zurückgegriffen, den Doktor der Medizin Stephan Joseph Anton Muerpeckh, der bereits im Jahr zuvor als Protagonist eines Meditationszyklus in Erscheinung getreten war.613 Auch viele der übrigen Schauspieler traten wiederholt auf, dabei handelte es sich mehrheitlich um Studenten und

 Sammer 1996, S. 24. Zu Langs Weigerung, Meditationen drucken zu lassen, siehe Bauer 1982, S. 111.  Vgl. hier S. 166.  Siehe Georg Arnolds Dramenzyklus Vocatio ad nuptias, Valentin, Nr. 5183–5186.

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Schüler des Münchner Kollegs. Die Musik für die Aufführungen stammte, wie für die Münchner Fastenmeditationen üblich,614 von vier verschiedenen Komponisten aus dem Umfeld des Hofes. Die Musik für die Aufführung der ersten Meditation komponierte der Münchner Kammermusikdirektor Giovanni Battista Ferrandini (ca. 1710–1791);615 Komponist für die zweite Aufführung war Joseph Anton Camerloher (1710–1743).616 Die Musik für die dritte und vierte Meditation verfassten der ansonsten unbekannte Christoph Hirschberger (vor 1720–1756) und der Kammerkompositeur Bernardo Aliprandi (ca. 1710–ca. 1792). Sie steuerten auch zu anderen Münchner Meditationen der dreißiger Jahre Kompositionen bei. Prima ad coelum via per innocentiam. Meditatio I. Der ägyptische Joseph, den Claus in den ersten beiden Meditationen behandelt hat, war seit den Anfangstagen der Theaterpraxis der Jesuiten einer ihrer beliebtesten Stoffe.617 Schon im spätmittelalterlichen und humanistischen Theater vielfach zur Aufführung gebracht, wurde die Geschichte des Patriarchen im Zuge der religionspolemischen Auseinandersetzungen des sechzehnten Jahrhunderts zu einem Exerzierfeld exegetischer und theologischer Diskurse.618 Als Präfiguration des Erlösers, als der er seit den Kirchenvätern selbstverständlich galt,619 war Joseph für eine Aufführung im religiös akzentuierten kulturellen Kontext der Kongregation besonders attraktiv. Das erste Drama besteht aus drei Teilen, die in Inductiones – ein von Claus nur in den Meditationsdramen gebrauchter Begriff – zerfallen.620 Ort der Handlung ist ein ägyptisches Gefängnis, in dem der Protagonist aufgrund der Potiphar-Affäre seit drei Jahren festgehalten wird. Da Joseph im Traum die Verführungsszene wieder vor Augen tritt, beginnt er zu schlafreden, worauf ihn sein Mithäftling Canopus weckt. Erleichtert erkennt Joseph, dass er sich im

 Sammer 1996, S. 24.  Ferrandini war der bedeutendste der vier Komponisten des Zyklus. Der Schöpfer mehrerer bedeutender Drammi per musica gilt als wichtigster Vermittler des modernen italienischen Geschmacks der Pergolesi-Generation am Münchner Hof. Böhmer 2001, Sp. 1024–1025.  Forsberg 2000, S. 7 bezeichnet den heute auch in der Musikwissenschaft so gut wie unbekannten Camerloher als Pionier in der Entwicklung der frühen Sinfonie. Von 1734 bis 1741 schrieb der ehemalige Jesuitenzögling die Musik zu neun Fastenmeditationen; keine der Partituren ist erhalten. Münster 1989, S. 418; 424; 431–433.  Vgl. dazu Lebeau 1977 sowie Wimmer 1982.  Wimmer 1982, S. 34–39.  Wimmer 1982, S. 35.  Die Dreiteiligkeit, die auf die Ursprünge des Meditationsdramas in den Ignatianischen Exerzitien verweist, ist für die Gattung typisch. Sammer 1996, S. 17.

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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Kerker befindet – was Canopus nicht nachvollziehen kann. Ebenso unbegreiflich ist für diesen, wieso sein Gegenüber sich nicht heimlich auf Potiphars Frau eingelassen hat. Joseph setzt es dem Mithäftling, der als Diener des Pharao von ebendiesem beim Diebstahl ertappt und der Majestätsbeleidung angeklagt worden ist, mit Hilfe eines Vergleichs auseinander: Ebenso wie Canopus den Diebstahl nicht gewagt hätte, wenn er gewusst hätte, dass er ihn vor den Augen des Herrn verübt, konnte Joseph vor den Augen seines Herrn, des allwissenden Gottes, kein Delikt begehen. In der Folgeszene erscheint Apries, der Sohn Potiphars und jugendliche Freund von Joseph, und berichtet freudig, er habe Josephs Freilassung und Wiedereinstellung erwirkt – unter der Bedingung, dass dieser seine Tat gestehe. Der Held kann jedoch das nicht begangene Unrecht nicht bereuen und lehnt das Angebot ab. Dem ihm wohlwollend gesinnten Kerkermeister erklärt er, er fürchte sich davor, nach der Rehabilitierung wiederum in Versuchung zu geraten. Potiphar ordnet an, den ehemaligen Bediensteten aufgrund seiner Sturheit härteren Haftbedingungen auszusetzen. Der Kerkermeister legt dem Gefangenen nahe, Reue zu bekunden. Joseph entgegnet, er möge lieber im tiefsten Kerker sterben, als später in der Hölle leiden zu müssen. Ebenso wie Canopus, der für nur einen einzigen und zudem der Not geschuldeten Diebstahl bestraft worden ist, könnte Gott ihn für einen einzigen Fehltritt strafen. Schließlich werden Joseph und Canopus zum Pharao gerufen, mutmaßlich um hingerichtet zu werden. Joseph blickt dem Ereignis gleichmütig entgegen. Apries ist verzweifelt, wird aber vom Kerkermeister getröstet: Wenn Joseph den Traum des Pharao richtig deutet, wird die Todesstrafe ausgesetzt und der Sträfling auch gegen den Willen Potiphars in Freiheit gesetzt. Mithilfe seines Gottes werde er schaffen, was den Weisen des Landes verwehrt geblieben ist. Als Apries hört, man habe einen Galgen aufgebaut, trägt er sich mit Selbstmordgedanken. In diesem Augenblick aber verkündet ein Herold, Joseph habe das Rätsel gelöst. In der letzten Szene tritt der Held, zum Vizekönig aufgestiegen, selbst wieder auf. Seinen Triumph deutet er als Beweis der Gnade Gottes und als Lohn für seine Unschuld. Wie im Meditationsdrama häufig, ist die Handlung an einem Bibelvers aufgehängt, der leitmotivisch wiederkehrt und als Lehrsatz im Gedächtnis der Sodalen verankert werden soll: Quomodo (ergo) possum hoc malum facere et peccare in DEUM meum? („Wie sollte ich nun ein solch groß Übel tun und wider Gott sündigen?“). Die Bibelstelle – das Zitat stammt aus dem Dialog zwischen Joseph und Potiphars Frau in Gen. 39,9 – ist in einer Fußnote angegeben. Da Joseph sich streng an diesen Lehrsatz hält, ist die Figur nicht entwicklungsfähig, sie hält ihre Position – gegen die Empfehlungen der ihm überwiegend freundlich gesinnten und daher die Gefahr der Verführung verkörpernden Nebenfiguren – bis zum Ende konsequent durch.

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Literarisch überzeugend und unter katechetischer Perspektive intelligent ist die Einführung des Antagonisten Canopus. Der Mitgefangene ist kein boshafter Verbrecher, sondern Repräsentant des schwachen, der Verführung nicht standhaltenden Menschen. Anhand der Analyse seines als Majestätsbeleidigung geahndeten Diebstahls wird die Gefährdung Josephs bildlich vorgeführt. Auf diese Weise werden die Konsequenzen sündhafter Lebensführung pädagogisch eingängig vermittelt. Außerdem werden mittels Canopus, mit dessen der ägyptischen Mythologie entlehntem Namen Lokalkolorit geschaffen werden soll, die traditionellen Bezüge zwischen der Josephsgeschichte und der Christuspassion deutlicher gemacht: Die Vorstellung, dass Joseph gemeinsam mit dem Verbrecher hingerichtet werden soll, gemahnt an das Ölbergszenario. Das Stück ist zwar für ein Meditationsdrama außergewöhnlich reich an Handlung, trotzdem finden sich längere Passagen, die undramatisch vorwiegend theologische Fragen reflektieren und in homiletischem Gestus bzw. im Gebetston gehalten sind. Die Repliken sind großteils Joseph zugewiesen. Er tritt also nicht nur als Vorbild für ehrliche Lebensführung in Erscheinung, sondern auch als Lehrmeister, der die Nebenfiguren in die christliche Lehre einführt und damit zugleich die Rezipienten zu einem frommen Lebenswandel ermahnt, etwa wenn er seinem Wärter auseinandersetzt: etiam noster DEUS et a suis fidelibus offenditur […]; ab iis nempe, qui DEUM credunt, sed raro de DEO cogitant; („Auch unser Gott wird von seinen Anhängern beleidigt: von denen nämlich, die an Gott glauben, aber selten über Gott nachdenken“ 1,3) Die im Aufführungsdruck überlieferten Chorpassagen schlagen mittels allegorischer Figuren eine Brücke zwischen dem Überthema des Meditationszyklus und der Handlung. Protagonist des Prologs ist Philotheus, der über das bedrohliche Meer der Sünde in die ewige Heimat reisen möchte, obwohl das Schiff der Unschuld, das er dafür besteigen muss, zerbrechlich zu sein scheint. In den beiden Zwischenspielen wehrt sich die Figur Innocentius erfolgreich gegen Verführungen: Zunächst umschifft sie die Insel der fleischlichen Liebe, dann kämpft sie erfolgreich gegen die Gefahr der Entmutigung. Felix primae ad coelum viae terminus. Meditatio II. Die zweite Fastenmeditation steht unter dem Motto Timenti Dominum bene erit in extremum („Dem Gottesfürchtigen geht es am Ende gut, Sir. 1,13“). Sie führt das vorangehende Stück inhaltlich fort. Anders als in der ersten Meditation ist die Handlung hier aber äußerst reduziert. Geschildert werden die ereignisarmen Stunden vor dem Tod der Hauptfigur. Das Stück spielt an einem Jahrestag der Befreiung des nunmehrigen Vizekönigs Joseph. Zu Beginn des ersten der beiden Teile trifft sein Bruder Benjamin ein und wundert sich darüber, dass die an diesem Tag üblicherweise stattfin-

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denden Feierlichkeiten ausgesetzt worden sind. Von Josephs bedrücktem Sohn Manasses zum betagten Jubilar geführt, erfährt er aus dessen Mund, der Tag sei nicht der Jahrestag, sondern der erste Tag der Befreiung. Benjamin möge ihm gratulieren, da er nun bald a exilio in Patriam, a carcere ad libertatem, a vita misera ad beatissimam („aus dem Exil in die Heimat, vom Kerker in die Freiheit, aus einem elenden Leben in das glücklichste“ 1,4) entlassen werde. Benjamin und Manasses sind angesichts des bevorstehenden Todes tieftraurig, bewundern aber zugleich die Heiterkeit des Sterbenden. In der folgenden Szene wird ein Gegenbild entworfen: Theagenes, der Sohn eines Höflings, berichtet, er könne den Anblick seines Vaters nicht mehr ertragen, der angesichts des drohenden Todes panische Angst habe; die prunkvolle Ausstattung des Sterbezimmers mache ihn noch verzweifelter, da er seine Reichtümer zurücklassen muss. Der zweite Teil besteht überwiegend aus Dialogen zwischen Joseph und seinen Angehörigen. Der Sterbende versucht die Untröstlichen zu ermuntern und Ängste auszuräumen, verspricht reiches Erbe und Beistand in Zukunft und bittet wiederholt, ihn zu beglückwünschen. Das Thema der Unschuld aus der ersten Meditation wird wieder aufgegriffen: Angesichts des untadeligen Lebenswandels des Protagonisten – in der langen Unterredung mit Benjamin in 2,1 wird die gesamte Josephsgeschichte ausgerollt – erwartet ihn das himmlische Glück. Zum Schluss tritt Theagenes erneut auf und berichtet, sein Vater habe, bevor er more furentis bestiae („nach Art eines rasenden Tiers“ 2,6) verschieden sei, gestanden, dass er die Reichtümer unrechtmäßig erworben habe und er die Angehörigen ohne Erbschaft zurücklassen müsse. In der letzten Szene haucht Joseph seinen Geist aus. Die Umstehenden bewundern seine Haltung und geloben, ein ebenso tugendhaftes Leben zu führen wie der Verstorbene. Die Hauptfigur tritt auch hier als Lehrmeister auf, der Richtlinien und Werte christlicher Lebensführung in nüchterner, klarer Diktion kommuniziert. Zur Veranschaulichung der Größe der Figur hat Claus erneut mit einem eingängigen Gegenbild operiert, das auch hier referentiell vermittelt wird: Der Schilderung des Diebstahls von Canopus in der ersten Meditation entspricht hier der Bericht vom Tod des diesseitsorientierten, der Verführung der Korruption erlegenen Höflings. Die Anlage der Stücke als Aufführungsreihe hat sich auf den Inhalt niedergeschlagen. Das Stück entfaltet seine volle Aussagekraft nur für denjenigen, der auch der Aufführung der ersten Meditation beigewohnt hat. Die Zuversicht, mit der Joseph sein Leben beschließt, erscheint als Folge der Standhaftigkeit, die er im ersten Teil an den Tag gelegt hat. Nur wer frei von Schuld ist – so die beabsichtige Botschaft –, erlebt den Tod als Augenblick der Freude.

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Noch deutlicher als in der ersten Meditation sind in diesem Stück die Bezüge zur Fastenliturgie herausgearbeitet. In der szenischen Darstellung des Todes des Protagonisten ist die Passion der Karwoche präfiguriert. Claus hat auf Bühnenanweisungen verzichtet, es ist jedoch wahrscheinlich, dass Joseph vom Sterbebett aus agierte, d. h. an den toten Christus erinnerte, der in katholischen Kirchen am Karfreitag als Statue aufgestellt wird. Die sich verändernde Stimmungslage der Nebenfiguren zeichnet die Passionsgeschichte atmosphärisch nach: Die tiefe Trauer weicht am Ende dem Glauben an das Glück im Jenseits. Der Aufführungsdruck von 1738 bietet zusätzlich das Libretto eines Präludiums, in dem der von seinem Schrecken losgelöste Tod und der Amor caelestis auftreten, das irdische Geschehen also auf eine allegorischer Ebene gehoben und reflektiert wird, sowie den Text des Zwischenspiels, in dem die Geschichte des biblischen Tobias als Parallelhandlung dargestellt ist. Secunda ad coelum via per poenitentiam. Meditatio III. Mit der dritten Fastenmeditation brachte Claus einen weiteren vielfach dargestellten Jesuitenstoff in der Kirche zur Aufführung. Der oströmische Kaiser Maurikios (reg. 582–602) ist auf den Ordensbühnen der deutschsprachigen Gebiete seit dem frühen siebzehnten Jahrhundert nachgewiesen, allein aus dem achtzehnten Jahrhundert sind über dreißig Darbietungen bekannt.621 In vielen Periochen sind dieselben Quellen angegeben wie in Claus’ argumentum: die mittelalterliche Kirchengeschichte des Nikephoros Kallistos Xanthopulos und Cesare Baronios Annales ecclesiastici.622 Der Stoff ist außergewöhnlich blutig. Maurikios soll sich aus Geiz geweigert haben, Lösegeld an die heidnischen Awaren zu bezahlen, woraufhin diese mehrere Tausend Bewohner seines Reichs ermordeten. Im Heer und in der Bevölkerung regte sich daraufhin Widerstand, der Kaiser verlor die Macht an den Usurpator Phokas. Maurikios floh nach Osten, wo er von Anhängern des neuen Machthabers aufgegriffen und mitsamt seiner Frau und seinen Kindern hingerichtet wurde. Im Jesuitentheater tritt er in der lateinischen Namensform Mauritius als große Büßerfigur auf, die ihren Niedergang als gerechte Rache Gottes für das verweigerte Lösegeld und den Tod der christlichen Untertanen deutet. Diese Auslegung bestimmt auch Claus’ Drama, das unter dem Motto Justus es Domine et rectum judicium

 Valentin, S. 997. Jakob Masen hatte seinen Mauritius orientis imperator in seiner Palaestra eloquentiae ligatae bereits drucken lassen (Masen 1683, Bd. 3, S. 260–312). Ein gedruckter Mauricius liegt auch von Charles Porée vor (Porée 1746, S. 109–178.) Schon im späten 16. Jahrhundert gelangte der Stoff auf der protestantischen Schulbühne. Metz 2013, S. 25.  Verwendete Ausgaben: Nikephoros Kallistos Xanthopulos 1574, Buch 18, Kapitel 40 (Sp. 1148–1149). Baronio 1710 (ad annum 602), Bd. 8, S. 137.

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tuum („Herr, du bist gerecht und deine Entscheide sind richtig“, Ps. 119,137) steht. Der erste Teil des Dramas stellt die Familie des Kaisers auf der Flucht dar. Der Kammerdiener Magistrianus hat Vorkehrungen für die Zukunft getroffen: Mauritius und seine jüngeren Söhne sollen an einen sicheren Ort gebracht, der älteste Sohn und Thronfolger Theodosius beim verbündeten Perserkaiser erzogen werden. Theodosius’ Hadern mit dem Schicksal verbietet sich der Vater: Weder der Usurpator Phocas noch das rebellische Heer sei für die Lage der Familie verantwortlich, sondern er allein. Für sich selbst hat Mauritius alle Hoffnung aufgegeben, da er den Zorn Gottes über sich weiß; an Vergebung glaubt er nicht. Seine Söhne Tiberius und Petrus, die Hunger leiden, verstehen nicht, in welcher Lage sie sich befinden, und bitten den Vater, sie anderweitig zu bestrafen. Mauritius muss sich eingestehen, dass er, der bis vor kurzem noch ein Reich mit Nahrung versorgt hat, nun nicht einmal mehr seine Kinder ernähren kann. Auch dies sieht er jedoch als Teil der gerechten Strafe an. In der letzten Szene erscheint ein Hauptmann des Phocas, der ihn gefangen nimmt. Zu Beginn des zweiten Teils befindet sich Mauritius im Kerker und preist Gott. Seinem treuen Kammerdiener trägt er auf, für seine Kinder zu sorgen. Nun kommt es zu einer scheinbaren Peripetie: Der Hauptmann entlässt ihn im Auftrag des byzantinischen Senats aus dem Gefängnis und redet ihn sogar wieder als Kaiser an. Mauritius und Magistrianus danken Gott für dessen Gnade. Schon bald wird jedoch klar, dass die Gegner nur auf die Beschlüsse des Senats warten. Diese werden kurz darauf verlesen: Mauritius, seine Frau und die Kinder sollen enthauptet, ihre Kadaver ins Meer geworfen und die Köpfe auf einen Pfahl gespießt und nach Byzanz geschickt werden. Der Verurteilte spricht dem Dokument zwar die Rechtskräftigkeit ab, unterzeichnet es dann jedoch mit seinem Namen, d. h. dem Namen des rechtmäßigen Kaisers, und bittet darum, zum Richtplatz geführt zu werden. Dem verzweifelten Magistrian erteilt er den Auftrag, seinen Kindern Grüße auszurichten. Diese können aber nicht mehr übermittelt werden, denn die Kinder sind in der Zwischenzeit hingerichtet worden. Als der Verurteilte die abgeschnittenen Köpfe von Tiberius, Petrus und den beiden jüngsten Söhnen präsentiert bekommt, preist er wiederum Gott. Die Hoffnung Magistrians, dass sich wenigstens Theodosius gerettet haben könnte, zerschlägt sich in der letzten Szene. Mauritius erklärt seinem gefesselten Ältesten, auch er sei, obgleich schuldlos, schuldig, weil Gott die Verbrechen des Vaters an ihm vergelte. Das Stück endet mit einer mahnenden Beobachtung Magistrians: Wenn die Stafe Gottes für einen Bußfertigen bereits so groß sei, wie groß müsse sie dann erst für einen reuelosen Sünder sein? Ähnlich wie das erste der vier Stücke ist das Mauritius-Drama für eine Meditation sehr handlungsgeladen. Claus hat Handlungselemente eingebaut, die

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vom Plot nicht gefordert werden (die Zukunftspläne des Theodosius; das Hungern der Söhne). Ansatzweise ist sogar Spannung angelegt, ein anderer Ausgang des Stücks ist angedeutet. Mit diesen Charakteristika geht das Stück über das hinaus, was Meditationsspiele als szenische Form des Gebets und der Katechese für gewöhnlich leisteten. Im Einklang mit den Gattungskonventionen steht hingegen die unbeirrbare Haltung der Hauptfigur. Viele ihrer Repliken sind als christliche Glaubenslehrsätze angelegt. Christlich fundiert ist auch die archaisch anmutende Vorstellung, wonach Kinder für die Schuld der Eltern büßen müssen – Claus beruft sich dafür auf 4 Mose 14,18. Claus hat hier tendenziell häufiger mit Bibelzitaten operiert als in den vorangehenden, biblischen Stücken. Besonders hervorgehoben ist der Vergleich des Protagonisten mit dem sündigen David in 2 Sam 11–12 in 1,3. Anders als David wird Mauritius die göttliche Gnade aber nicht sogleich zuteil. Damit ist der Vergleich symptomatisch für die Anlage des Stücks. Der Aspekt der Gnade wird nur beiläufig thematisiert: Hic ure, hic seca, modo in aeternitate parcas („Verbrenne mich hier, zerschneide mich hier, wenn du mich nur in der Ewigkeit verschonst“ 2,7). Im Mittelpunkt steht die Bußfähigkeit des Helden. Obgleich mit den schlimmstmöglichen Erfahrungen konfrontiert, bleibt sein Glaube an die Gerechtigkeit Gottes unangetastet. Die Chorpassagen verknüpfen das Drama mit dem Überthema des Zyklus. Im Prolog tritt die aus der ersten Meditation bekannte Figur des Philotheus wieder auf. Er wählt nun den zweiten Weg zur ewigen Heimat, die Reue. Der Zwischengesang nimmt direkt Bezug auf die Mauritiushandlung. Rezeptionsspuren des Dramas haben sich wie für andere Dramen des Autors aus dem Wallis erhalten. Carlen erwähnt eine mögliche Aufführung 1771 in Sitten sowie eine Aufführung 1828 in Brig.623 Devia a coelo via per poenitentiam non veram. Meditatio IV. Den Abschluss der Meditationsreihe bildet wiederum ein Bibeldrama. Claus behandelte hier die in den ersten beiden Büchern der Makkabäer geschilderte göttliche Bestrafung des Seleukidenkönigs Antiochos IV. Epiphanes (ca. 215– 164 v. Chr.). Die Legende wurde auf der Jesuitenbühne nicht so häufig umgesetzt wie der Joseph- und Mauritius-Stoff, sie ist aber gleichwohl vielfach belegt. Das ausführliche argumentum, das 2 Makk 9,7–28 nahezu wortwörtlich wiedergibt, definiert das moralische Anliegen des Stücks als Warnung vor unaufrichtiger Reue. Damit tritt hier im Gegensatz zu den drei vorangehenden Meditationen ein Negativexempel in den Dienst der Glaubensarbeit.

 Carlen 1950, S. 258.

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Die Vorgeschichte bilden die Ereignisse aus 1 Makk 1,20–64, die Schilderung der von Antiochus angeordneten Verwüstung Jerusalems, der Entweihung des Tempels und der Ermordung oder Versklavung der Israeliten. Zu Beginn der zweiteiligen Handlung hat die göttliche Rache freilich längst eingesetzt. Von Gott mit unerträglichen Schmerzen gestraft, bittet der König den israelitischen Gesandten Abias um Rat. Indem er eine Reihe von Bibelzitaten in den Mund nimmt, gibt er vor, sich seiner Schuld bewusst zu sein und auf die Gnade Gottes zu hoffen. Abias bietet ihm an, den Priester Sadocus um Hilfe zu bitten. Dieser reagiert allerdings skeptisch auf den Bericht seines Glaubensbruders: Morientum lachrymae nondum testes sunt poenitentiae. Sunt lachrymae crocodilli: dolent et lachrimantur plurimi morituri non ob Deum aut coelum, sed ob vitae hujus delicias perdendas. Die Tränen der Sterbenden sind noch kein Beweis für Reue. Es sind Krokodilstränen: Viele Sterbliche klagen und weinen nicht wegen Gott oder wegen des Himmels, sondern weil sie ihre Reichtümer auf dieser Welt verlieren. (1,3)

Der Priester hält es für unwahrscheinlich, dass ein langjähriger Feind des wahren Glaubens sich nach so kurzer Zeit eines Besseren besinnt. Als er sich dennoch zu einem Besuch bereit erklärt, werden er und Abias vom rohen Lagerpräfekten Nicanor nicht zum Kranken vorgelassen. Erst der Kammerdiener kann ihnen Zutritt verschaffen. Es folgt ein langes Gespräch, in dem Sadocus dem König dessen Freveltaten vor Augen führt. Dieser zeigt sich reuig, auf die Forderung des Priesters nach Wiedergutmachung geht er jedoch erst nach einem weiteren Schmerzensschub ein. Sadocus betet nun für Antiochus’ Heil, mutmaßt jedoch insgeheim weiterhin, der König handle nicht aus aufrichtiger Reue, sondern aus Leidensdruck. Im zweiten Teil verliest der Kammerdiener das königliche Schreiben, in dem Antiochus um Vergebung seiner Sünden bittet und Wiedergutmachung ankündigt. Sadocus beginnt nun an die Rettung des Gepeinigten zu glauben, Abias dankt Gott für dessen Barmherzigkeit. Die beiden gehen davon aus, Antiochus könne zumindest sein Seelenheil noch retten. Als sie den Sterbenden in der Schlussszene damit vertraut machen, dass er nur noch im Jenseits Gnade erfahren kann, tritt jedoch dessen wahre Gesinnung zu Tage. Ehe er seinen Geist aushaucht, schmäht er Gott und bringt sich damit endgültig um seine Rettung. Die Abwendung von Gott ist im Stück nicht als punktuelle Entscheidung angelegt. Wie in den vorangehenden Texten bleibt die Hauptfigur konsequent ihren – hier freilich als negativ begriffenen – Ansichten treu. Die am Ende explizit gemachte Unaufrichtigkeit seiner Reue ist im Laufe der Handlung mehrfach angedeutet: Antiochus handelt von Anfang an nicht wie ein bußfertiger

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4 Werk

Gläubiger, sondern wie ein politischer Stratege. Seine Hinwendung zu Gott beruht auf Opportunismus, nicht auf Schuldbewusstsein. Wenn er sich etwas vorwirft, dann den mangelnden Weitblick, sich auf einen übermächtigen Gegner eingelassen zu haben. Die Bibelzitate, mit denen der König zu Beginn operiert, werden in seinem Mund zu leeren Floskeln; er hat sich nur aus Nützlichkeitserwägungen mit der Heiligen Schrift auseinandergesetzt. Die moralische Verworfenheit der Königspartei ist in der Figur des Nicanor grell herausgestrichen. Der Lagerpräfekt ist eine Verkörperung des Bösen, wie sie im Werk des Autors in dieser Schärfe ansonsten nicht begegnet. Seine Unmoral äußert sich nicht nur darin, dass er die jüdischen Gesandten verhöhnt und ihnen Aberglaube und Betrug vorwirft, sondern mehr noch darin, dass er sich in abfälliger Weise über seinen erkrankten König äußert. Er verurteilt dessen Kontaktaufnahme mit den Juden und bezeichnet Antiochus respektlos als semivivum et putridum cadaver („halbtoter und stinkender Kadaver“ 1,4). Dennoch ist Nicanors Befehl, den Gesandten den Zutritt zum Kranken zu verweigern, vom Autor als Sinnbild der göttlichen Gerechtigkeit inszeniert worden. Wenn der Priester nicht zum Kranken vordringen kann, so spiegelt das die Textaussage bildlich wider: Wer sein Leben lang keine Reue verspürt hat, wird von Gott im Augenblick des Todes daran gehindert, Buße zu lernen. An diese Vorstellung geknüpft ist das im argumentum formulierte pädagogische Credo des Textes: Das Vertrauen darauf, eine fehlerhafte Existenz durch Reumütigkeit in der letzten Stunde noch retten zu können, ist vergebens, da es sich bei dieser Art von Reue niemals um echte Bußbereitschaft handelt. Abgesehen von dieser Stelle sind die gebetshaften, katechetischkontemplativen Passagen gegenüber den restlichen drei Dramen zurückgenommen. Zwar tritt Saducus als Sprachrohr christlicher Inhalte in Erscheinung, seine Rolle ist aber eher die eines Beichtvaters denn die eines Lehrers. Seine Ausführungen bleiben auf einem oberflächlichen Niveau und kreisen stets um dieselben, von Antiochus vorgegebenen Themen. Im Prolog trifft der vom Weg abgekommene Viator („Reisender“) auf Poenitentia („Reue“). Diese bietet zwar zunächst ihre Hilfe an, stößt ihn jedoch von sich, als sie erfährt, dass er sich nur vor dem Tod fürchtet. Im Zwischenspiel wendet er sich an Gratia („Gnade“). Auch diese wendet sich aber von ihm ab, als sie seine wahren Absichten durchschaut. Der Umstand, dass Claus Glaubensgrundsätze ex negativo dargestellt hat, ist für die Gattung nicht außergewöhnlich.624 In der auf der Vorstellung der conversio gegründeten Fastenliturgie ist die Sündhaftigkeit des Menschen ein

 Sammer 1996, S. 26.

4.3 Exercitationes theatrales (1750)

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grundlegendes Motiv. Darstellungen von menschlichem Fehlverhalten finden sich daher in den Meditationsdramen vielfach.625 Überraschend ist allerdings, dass Claus das Thema des unbekehrbaren Sünders am Ende seines Zyklus positioniert und damit die Ordnung der Ignatianischen Exerzitien auf den Kopf gestellt hat. Die Zeit der Vorbereitung auf Ostern ist von ihm dramaturgisch als Weg in die Sünde umgesetzt, der in der Unschuld Josephs seinen Ausgang nimmt, in Mauritius die geglückte Buße des Sünders zeigt und im ewigen Sünder Antiochus endet. Claus’ Meditationsdramen werfen die Frage auf, weshalb der Autor sie 1750 erneut drucken ließ, zumal sie formal nicht recht in die Sammlung Exercitationes passen. Man kann argumentieren, dass die Drucklegung der Dramen in einem Buch eine dauerhaftere Konservierung gewährleisten konnte als die Drucke von 1738, die nur in Form von Broschüren vorlagen. Der Wunsch, die Stücke zu konservieren, ist jedoch per se erklärungsbedürftig. Als Spielvorlagen für ein spezifisches Ereignis intendiert, hatten die Texte nach der Aufführung ausgedient bzw. waren bestenfalls noch als Modelle für zukünftige Kongregationsstücke zu gebrauchen. Gesetzt den Fall, Claus hätte die Stücke für Aufführungen in den Kongregationen bereitstellen wollen, so überrascht freilich die Tatsache, dass er beim Redigieren der Texte die für den Aufführungsrahmen so wichtigen Chorpassagen aus ihnen tilgte; in anderen Sammlungen von Meditationsdramen sind diese als konstitutive Bestandteile der Dramen selbstverständlich mitabgedruckt. Dem Problem lässt sich beikommen, wenn man die Stücke als Lesedramen begreift, die aufgrund ihres reduzierten Handlungs- und Figurenprofils zwar über geringes Unterhaltungspotential, dafür aber über erbauliche Qualitäten verfügen. Eine Lektürerezeption mit dem Ziel der aufgelockerten Katechese lässt sich vorstellen. Dafür spricht, dass Claus auch bei der Ausarbeitung dieser Stücke ästhetisches Bemühen nicht abzusprechen ist. Marianne Sammers Äußerung, wonach „Fastenmeditationen […] an keine ästhetisch begründbaren Zwecke gebunden“ 626 seien, ist abzulehnen. Selbst die diesbezüglichen Äußerungen des Pragmatikers Neumayr, die als topische Autorkommentare differenziert beurteilt werden müssen, lassen keinen kontradiktorischen Gegensatz zwischen Nutzen und Ästhetik erkennen.627 Der Meditationsdramatiker hat  Vgl. z. B. Franz Neumayrs Zyklen Peccatum summum malum (1741, abgedr. in Neumayr 1747, S. 274–422) und Impedimenta seriae conversionis (1748, abgedr. in Neumayr 1754, S. 1– 103).  Sammer 1996, S. 37.  Neumayr 1747, S. []: Discursus solidi, instructiones praticae, viriles motus Theatrum asceticum magis expetebat quam ingeniosos errores, admirandas peripetias, panicos terrores, tenellas lacrymas, de quibus Terentio aut Sophocli plaudimus. („Solide Dialoge, praktische

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4 Werk

zwar in erster Linie dem katechetischen Auftrag Rechnung zu tragen, das schließt indes nicht aus, den Stoff nach ästhetischen Gesichtspunkten aufzubereiten. Claus achtete in allen vier Stücken auf formale Geschlossenheit und ein ausgewogenes Verhältnis von Handlung und Reflexion; dramatische Unwahrscheinlichkeiten zugunsten asketischer Anschaulichkeit bzw. Indoktrinierung finden sich nicht, stärker lehrhafte Partien sind überzeugend in den Handlungszusammenhang eingebunden. Sinnfällig für die künstlerische Gestaltung der Texte ist der Umstand, dass Claus auch hier die aristotelischen Einheiten über die für die Gattung konstitutive Einheit der Handlung hinaus berücksichtigte. Wenn Sammer beobachtet, der Josephsstoff erfahre in Claus’ erster Meditation „keine ganzheitliche dramatische Bearbeitung“ 628, so beruht das nicht nur auf einer bewussten Verknappung des Handlungsablaufs auf ein bestimmtes katechetisches Thema hin, sondern auch auf der aristotelischen Prägung des Dramatikers.

. Jovianus tragoedia Dank eines glücklichen Zufalls sind Einblicke in die Spätphase von Anton Claus’ dramatischer Produktion möglich. In der Periochensammlung des Germanischen Nationalmuseums hat sich die Handschrift des Stücks Jovianus tragoedia erhalten – neben der Tonsiastrus-Handschrift das einzige Dramenmanuskript des Autors, das sich auffinden lässt. Valentin hat das Stück, das 1751 in Dillingen als Herbstspiel zum Einsatz kam, Claus auf Basis einer Randnotiz von zweiter Hand zugeordnet: P[ater] Franc[iscus] Xav[erius] Hell, directore aut authore P[atre] Ant[onio] Claus, exhibuit. („Pater Franz Xaver Hell brachte das Stück von Direktor oder Autor Anton Claus auf die Bühne“).629 Was der Schreiber damit genau ausdrücken wollte, ist freilich unsicher. Regisseur der Aufführung war offenbar Hell, ob Claus der Verfasser des Stücks oder nur sein director war, wusste der Archivar offenbar nicht mehr (was unter director zu verstehen ist, ist unklar).630

Anweisungen, mannhafte Regungen waren dem Theatrum asceticum wichtiger als genialische Verwicklungen, bewundernswerte Peripetien, panische Schrecken, zarte Tränen, für die wir Terenz und Sophokles loben.“)  Sammer 1996, S. 33.  Valentin, Nr. 6216. Die Handschrift im Germanischen Nationalmuseum trägt die Signatur Hs. 116961/28.  Die Identifikation des Verfassers wird zusätzlich erschwert durch widersprüchliche Angaben auf der Perioche, die sich in der Dillinger Studienbibliothek befindet. Die Angaben Kaspar Veith [?] SJ und Joan. Leonardus Kässler dürften aber von späterer Hand stammen.

4.4 Jovianus tragoedia

241

Es gibt jedoch gute Gründe, Claus als Verfasser von Jovianus zu bestimmen. Sprachlich steht das Stück den gedruckten Tragoediae nahe; typische Wendungen (1,3; 2,3; 5,1 hac adhuc die, vgl. Scipio 801, 1204, Stilico 1,1; Themistocles 3,3; Protasius 4,2. 4,8 victima occumbet, vgl. Stilico 4,9; Themistocles 4,1; 4,2; 5,9 ubi rediero victor vgl. Scipio 598) kehren wieder. Bezüglich Motivik und Handlungsentwicklung finden sich ebenfalls Parallelen in seiner Tragödiensammlung; insbesondere die effiziente Zuspitzung der Handlung auf ein psychisches Dilemma verweist auf Claus.631 Aussagekräftig ist auch ein externer Hinweis, den die Litterae annuae beisteuern. Zur Herbstaufführung des Jahres 1751 ist darin festgehalten: Anno denique scholastico gloriosam coronidem imposuit Jovinianus tragoedia […] ab arte comica ad omnes regulas exactissima, universali omnium applausu ad promeritas laudes evecta. Dem Schuljahr setzte schließlich Jovianus tragoedia die Krone auf […], ein Stück, das von der dramatischen Kunst bis zu allen Regeln äußerst genau ausgearbeitet war und allerseits mit Applaus und verdientem Lob bedacht wurde.632

Dass die kunstfertige Umsetzung der dramatischen Regeln, d. h. der aristotelischen Theorie, in den Diarien erwähnt wird, ist sehr ungewöhnlich. Es handelt sich wohl um einen Verweis auf den berühmten Verfasser, der im Jahr zuvor seine zweite ‚regelmäßige‘ Dramensammlung veröffentlicht hatte und als Autorität in Fragen der richtigen Anwendung klassizistischer Regeln galt. Aus dem Kommentar des Chronisten wird deutlich, dass das Dillinger Kolleg stolz auf sein renommiertes Mitglied war. Das Stück stellt mit dem römischen Kaiser Jovian (reg. 363–364) eine Figur in den Mittelpunkt, die auf der Jesuitenbühne etabliert war.633 Die Hauptfigur befindet sich im Tross des Apostaten Julian in persischem Kriegsgebiet. Zu Beginn des Stücks lehnt der Kaiser das Friedensangebot persischer Gesandter hochmütig ab. Jovian, ein enger Vertrauter des Kaisers, warnt ihn vor törichten Handlungen, zumal am Vortag ein Jupiteropfer misslungen ist. Der Kaiser beruhigt ihn, kündigt aber an, zur Sicherheit noch am selben Tag einen Nebenkaiser und Thronfolger präsentieren zu wollen. Als aussichtsreichster Kandidat für diesen Posten gilt Maximus, ein Speichellecker des Kaisers und persönlicher Feind von Jovian. Im Gespräch mit seinem Freund Valentian, einem Kryptochristen, zeigt sich die Hauptfigur äußerst besorgt, da Maximus zudem ein blindwütiger Christenhasser ist. Er selbst gibt sich seinem Freund heimlich

 Zu motivischen Parallelen siehe hier S. 244.  LA, Bd. 90, S. 23.  Valentin, S. 993.

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4 Werk

als Christ zu erkennen. Einige Offiziere treten auf und erklären, unter Maximus nicht kämpfen zu wollen. Zum Schluss des 1. Akts keimt aber Hoffnung auf: Varronianus, Jovians Vater und eine wichtige Bezugsperson des Kaisers, ist von diesem aus Pannonien herbeigerufen worden. Man hofft, dass er die Thronfolge-Entscheidung Julians beeinflussen kann. Im 2. Akt wird Maximus als unmoralischer Charakter eingeführt. Sein Ziel, die Sippe Varronians zu vernichten, wird offenbar, sein blindwütiger Christenhass kommt ebenfalls zum Ausdruck. Mit den Persern hat er einen verräterischen Geheimpakt geschlossen: Er hat ihnen Frieden versprochen, wenn sie im Kampf den Kaiser töten und ihm so zur Machtübernahme verhelfen. Im 3. Akt rückt Jovians Sohn, Varronianus jun., in den Mittelpunkt der Handlung. Zunächst erscheint er im Gespräch mit seinem Freund, dem Sohn des Maximus. Anschließend legt Jovian seinem Sohn die christliche Religion nahe und schwört ihn auf den Tod für das Christentum ein. Inzwischen hat Varronianus sen. mit Julian verhandelt, woraufhin der Kaiser Jovian zu sich rufen lässt. Nachdem Julian die Möglichkeit, Maximus zum Thronfolger zu erwählen, angesprochen hat, schlägt er unerwartet Jovian für dieses Amt vor. Noch am selben Tag solle er in einer feierlichen Zeremonie vereidigt werden. Zur Bestürzung von Varronianus sen. lehnt der Auserwählte jedoch ab. Seine Beweggründe – bei der Zeremonie müsste er Jupiter opfern – kann er nicht bekanntgeben. Der 4. Akt führt den dramatischen Konflikt zum Höhepunkt. Der Kaiser mahnt Jovian, das Amt anzunehmen, andernfalls er Maximus bestimmen müsse. Jovian weiß, dass Maximus nicht nur seine Sippe vernichten, sondern auch dem Christentum massiv zusetzen würde. In einem eindrücklichen Monolog analysiert er sein Dilemma. Valentian setzt ihm auseinander, dass er, wenn er Jupiter zum Schein opfern würde, das Christentum retten könne. Unter dem Eindruck des Gesprächs und der Verzweiflung seines Vaters scheint die Hauptfigur bereit, das Amt anzunehmen, zumal der Kaiser auf eine Entscheidung drängt. Als es zum Opfer kommt, bringt Jovian den Verrat an seinem Glauben jedoch nicht über sich und bekennt sich zum Christentum. Der Kaiser ist außer sich und lässt Jovian und dessen Sohn in den Kerker werfen. Für weitere Maßnahmen bleibt jedoch keine Zeit, da in diesem Augenblick der Angriff der Perser gemeldet wird. Julian eilt in die Schlacht und trägt Maximus auf, die Gefangenen zu bewachen. Bei seiner Rückkehr sollen Vater und Sohn auf dem Jupiteraltar geschlachtet werden. Im letzten Akt bemüht sich Varronianus ein letztes Mal, seinen Sohn umzustimmen. Als er sieht, dass dieser zum Märtyrertod entschlossen ist, versucht er seinen Enkel zu retten, den Maximus begnadigen würde, sollte er Christus abschwören. Dieser ist zwischen den Mahnungen des Großvaters und den Be-

4.4 Jovianus tragoedia

243

fehlen des Vaters hin- und hergerissen. Inzwischen verbreitet sich die Nachricht, dass Julian gefallen ist. Jovian betrauert seinen ehemaligen Kaiser, sieht in dessen Schicksal jedoch die gerechte Strafe Gottes. Als Maximus die Henkerbühne aufrichten lässt, tritt dessen Sohn offen für die Gefangenen ein. Maximus lässt ihn wegbringen und ordnet die Hinrichtung an. Erst im letzten Augenblick kommt es zur Peripetie. Maximus muss unversehens flüchten, weil Valentian das zurückkehrende römische Heer dazu gebracht hat, Jovian zum Kaiser auszurufen. Unter der Bedingung, dass Rom zum Christentum zurückkehrt, nimmt dieser das Amt an. Mit den Persern wird Frieden geschlossen. In das Manuskript eingebunden sind die beiden Chorpassagen des Stücks. In ihnen wird die Rettung der wahren Religion durch den biblischen König Joas dargestellt. Formal weisen die Passagen Ähnlichkeiten zu den Chören des Innsbrucker Themistocles auf.634 Wie in seiner Zeit als Lehrer der Rhetorica hat Claus für das Dillinger Herbstspiel einen klassischen Heldenstoff in aristotelischer Gestaltung auf die Bühne gebracht und das Stück wie drei der vier gedruckten Tragoediae glücklich enden lassen. Jovianus ist jedoch insgesamt konservativer als seine früheren Trauerspiele. Frauenrollen bleiben ausgespart, die religiöse Dimension des Jesuitendramas rückt wieder in den Mittelpunkt. Heroendrama und christliche Tradition werden zusammengeführt, eine Übereinkunft, die überaus gut gelingt. Die christliche Heilsbotschaft ist anhand des (letztlich abgewendeten) Märtyrertodes der Hauptfigur in dramaturgisch überzeugender Weise in die Handlung eingearbeitet, die zugleich politische und innerweltlicherzieherische Botschaften transportiert. Die Qualität des Dramas liegt gerade in der (letztlich nur durch göttlichen Beistand überwundenen) tragischen Inkompatiblität von politischen und religiösen Tugenden. Die Szene, in der die Hauptfigur vor die Entscheidung gestellt wird, entweder als christlicher Heuchler das Christentum zu retten oder es als guter Christ der Verfolgung preiszugeben, gehört zu den eindrücklichsten des gesamten Werks des Autors. Verkörpert wird diese Tragik in der Figur von Jovians Sohn, der über ein kindlich-ungefestigtes, nur der väterlichen Spiritualität nachgeahmtes religiöses Empfinden verfügt und im letzten Akt zwischen dem vom Vater empfohlenen Märtyrertod und dem lebensnotwendigen Pragmatismus des verzweifelten Großvaters wählen muss. Auch der Großvater ist ein tragischer Held par excellence. Claus zeichnet hier die Figur eines menschlich integren heidnischen Politikers, der durchwegs richtige Entscheidungen trifft, im 5. Akt aber trotzdem und aus für ihn unverständlichen Gründen mitansehen muss, wie sein Sohn

 Siehe hier S. 163–166.

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4 Werk

und sein Enkel sich freiwillig in den Tod fügen. Auf den ersten Blick schlecht motiviert scheint die Peripetie. Das Finale, in dem Claus durch lange Retardierung große Spannung geschaffen hat, wird erst vor dem christlichen Weltverständnis des Autors verständlich: Im plötzlichen Umschwung zeigt sich das unermessliche Walten Gottes, der den braven Christen für seine Standhaftigkeit belohnt. Der Ausgang des Stücks führt insgesamt eine Variation des Märtyrergedankens vor, die ein modernes, tolerantes Christentum durchscheinen lässt: Die Hauptfigur erhält keinen abstrakten Triumph im Jenseits, sondern feiert in ihrer irdischen Wirklichkeit einen Sieg für das Gemeinwohl, indem sie dem Volk den rechten Glauben und den Ungläubigen Frieden bringt. Einige inhaltliche Motive, die in auffälliger Weise an Passagen aus den Tragoediae ludis autumnalibus datae gemahnen, sollen zusammenfassend dargestellt werden. Das Arrangement eines Bösewichts mit dem militärischen Feind (2,2) findet sich in Stilico (u. a. 1,4), Maximus ist auch in anderer Hinsicht ein Verwandter von Stilico (Machtgier, Konflikt zwischen schurkischem Vater und moralisch integrem Sohn). Das Motiv der gefangen gehaltenen Gesandten (v. a. 2,5) findet sich in Themistocles (4,3), ebenso das Motiv der durch den Angriff gefährdeten Geiseln (2,5, vgl. Themistocles 4,1). Besonders vielfältig sind die Parallelen zu Scipio: Neben dem Setting in einem Kriegslager erinnern das Motiv des gegen den Anführer aufbegehrenden Heeres (1,4, vgl. Scipio 4,9) und die Schlussszene, in der es zur Versöhnung der beiden Kriegsparteien kommt, an das Stück. Die Rückkehr des Heers in 5,9 gemahnt dramaturgisch an Scipio 5,12. Eine Bemerkung verdient auch die formale Gestaltung des Manuskripts. Der Schreiber hat den Text – mit Ausnahme der letzten Szene – nicht in Verszeilen angeordnet, sondern die jambischen Trimeter in Prosaform aneinandergereiht. Nur vereinzelte Betonungszeichen verweisen auf die metrische Struktur des Textes. Wahrscheinlich sollte Platz gespart werden. Der Schreiber war offensichtlich mit dem jambischen Trimeter so gut vertraut, dass er ihn weitgehend auch ohne graphische Unterstützung problemlos lesen konnte. Beim Überlieferungsträger handelt es sich um eine gut leserliche Reinschrift, in der nur geringfügige Überarbeitungen vorgenommen sind. Auffälligste Korrektur ist das Ersetzen von Jovinianus durch Jovianus635 in den Regieanweisungen (die Perioche war zu diesem Zeitpunkt offenbar schon gedruckt, hier trägt das Stück den Titel Jovinianus). Vereinzelt ist diese Adaption auch im Text vorgenommen, was aus metrischen Gründen weitere Änderungen nötig machte (vgl.

 Deutlich wird das Spiel mit dem Namen der Hauptfigur. Jovian erscheint als Überwinder von Jupiter, der absichtlich häufig in den obliquen Kasus (Jovis, Jovem, Jove) genannt wird.

4.5 Exercitationes theatrales (1755)

245

z. B. den Anfang von 5,5). Eingriffe dieser Art sind gewichtige Indizien darauf, dass es sich um ein Autograph des Verfassers handelte. Jovianus tragoedia als charakteristisch für die späte Schaffensphase des Autors zu werten ist problematisch. Zum einen ist es als Einzelstück nicht repräsentativ, zum anderen war es nicht für die Veröffentlichung intendiert, es ist mit den gedruckten Stücken also nur bedingt vergleichbar. Vielleicht ist es dennoch bezeichnend, dass Claus mit diesem Stück wieder stärker Anschluss an die christliche Tradition des Jesuitendramas gesucht hat. Neben dieser Auffälligkeit lassen sich allerdings vor allem Kontinuitäten beobachten. Der Dramatiker arbeitet hier wie in den älteren Tragödien mit heroischem Pathos. Die Verwicklung gewichtiger Ereignisse zu einer einheitsstiftenden Handlung führt zu ähnlich intensiven Spannungsmomenten und atmosphärisch dichten Szenen wie in den Tragoediae ludis autumnalibus datae. Aristotelische Dramentheorie findet ebenso selbstverständlich Anwendung wie in Claus’ Tragödiensammlung.

. Exercitationes theatrales (1755) Wenige Monate nach Claus’ Tod suchte der Augsburger Buchhändler Joseph Wolff um Genehmigung an, einen Band mit dem Titel Exercitationes theatrales a magistris inferiorum classium societatis nostrae dirigente P. Antonio Claus ejusdem societatis compositas („Übungsstücke, die von den Lehrern der unteren Klassen unserer Gesellschaft unter der Anleitung von Anton Claus, Mitglied derselben Gesellschaft, verfasst wurden“) drucken zu lassen. Das Buch erschien 1755 und enthielt elf Dramen. Wie sich Claus’ Verhältnis zu diesen Texten tatsächlich darstellte, lässt sich nur vermuten. Dem Wortlaut des Titels und Angaben im Vorwort zufolge könnte er als Regisseur die Aufführungen betreut haben.636 Informationen im Nachruf deuten darauf hin, dass er die Veröffentlichung angeregt und die Stücke für die Publikation redigiert hat.637 Ob sie allesamt von jüngeren Ordensbrüdern stammten oder ob Claus selbst Texte beigesteuert hat, muss offenbleiben. Anzunehmen ist, dass die darin aufgenommenen Stücke allesamt in Dillingen zur Aufführung gelangten, wahrscheinlich großteils im Rahmen von declamationes. Dass Claus im Titel des Buches genannt wird, erfolgte wohl vorrangig aus ökonomischen Überlegungen. Der Dramatiker war den Zeitgenossen ein Begriff, im Vorwort erscheint er als chorag[us] etiam apud exteros percelebris et

 Claus 1755, S. []–[].  LA, Bd. 90, Bl. 331v.

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4 Werk

tandem comicis laboribus immortu[us] („auch außerhalb des Ordens äußerst berühmter und durch seine Theaterarbeiten unsterblicher Chorag“).638 Die Bezugnahme auf Claus war wichtig, um das Buch auf dem zeitgenössischen Buchmarkt zu positionieren. Der Verfasser des Vorworts betont die schülergerechten Inhalte der Stücke. Tatsächlich spielen sie wie viele der Exercitationes von 1750 im Schulkontext. Anders als in Claus’ zweitem Dramenband sind hier gar keine traditionellen Bühnenstoffe umgesetzt, Quellen sind nicht angegeben. Die Handlung vieler dieser Dramen, die durchwegs weltlichen Zuschnitts sind, dürfte den Choragen selbst eingefallen sein. Gemeinsames Charakteristikum der Stücke ist der Rückgriff auf Komödienmotive. Anhand der durchwegs typisierten Figuren werden menschliche Gebrechen nach Art der römischen Komödie der Lächerlichkeit preisgegeben. Vielfache Situationskomik macht die Exercitationes zu der wahrscheinlich heitersten Dramensammlung deutschsprachiger Jesuiten überhaupt. Das erste Stück, Martius pueritiae Dilinganae animus („Der kriegerische Geist der Jugend von Dillingen“) spielt vor dem Hintergrund des Kinderkreuzzugs von 1212; die Kinder, die sich im Wald versammeln, kehren aber durch Intervention des Mönchs Zosmulus unverrichteter Dinge wieder zu ihren Eltern zurück. In Vulpanser (etwa „Fuchsgans“) wird ein einfacher Gänsehirte zum Hofknaben, verliert diese Stelle jedoch wieder aus Neugier und Angeberei.639 Locustae („Die Heuschrecken“) führt eine Schar Rudimentisten vor, die sich in kriegerischer Montur auf eine drohende Heuschreckenplage vorbereiten; die Schüler, die mit Bauernbuben in Konflikt geraten, müssen letztlich einsehen, dass gegen gottverhängte Plagen nur Gebete helfen. In Passeres („Die Spatzen“) jagt ein Bub solange Spatzen, bis er sich einbildet, in seinem Kopf nisteten tote Vögel. Das fünfaktige Date et dabitur („Gebt, so wird euch gegeben werden“, Lk 6,38) ist strukturell komplexer. Die an Terenz orientierte Komödie ist das literarisch wertvollste Stück des Bandes. Der eben erst zum Senator gewählte Chremes wirft auf Befehl seiner geizigen Ehefrau den freigebigen Sklaven Date aus dem Haus – in Unkenntnis darüber, dass mit ihm auch sein Bruder Dabitur auszieht. Mit diesem verschwinden auch die zahlreichen Lebensmittel, die der rührige Sklave angeschafft hat, und das ausgerechnet am Tag, als Chremes die übrigen Senatoren erstmals zu einem Gastmahl eingeladen hat. Aus Scham darüber, den hungrigen Gästen nichts bieten zu können, erwägt das Ehepaar,

 Claus 1755, S. [].  Menzel 1859, Bd. 2, S. 255 sieht in diesem Stück eine Reminiszenz an Calderóns La vida es sueño.

4.5 Exercitationes theatrales (1755)

247

sich am Dachbalken aufzuknüpfen. Schlussendlich kehren beide Brüder zurück und sorgen für ein Happyend. Contemptus studiorum („Geringschätzung des Lernens“) stellt einen reichen Schüler dar, der zur Strafe für seine Faulheit von seinen Eltern zum Schein verstoßen wird und in Bettlerkleidung von seinen früheren Gefährten nicht mehr erkannt wird. Faulheit ist auch Thema von Sutrina pigrorum schola („Die Schusterwerkstatt – Schule der Faulen“): Ein Schuster schickt den älteren Sohn in die Schule in der Stadt, während der jüngere das ungeliebte Schusterhandwerk erlernen muss. Der Vater hält seinen faulen und gefräßigen Ältesten lange Zeit für einen Musterschüler, ehe ihn der Brief des Pfarrers eines Besseren belehrt. Nun darf der fleißige jüngere Sohn den Bildungsweg einschlagen, sein Bruder wird widerwillig in die Zunft der grobschlächtigen Schuster aufgenommen. Gymnasista noctambulo („Der schlafwandelnde Gymnasiast“) führt einen Schüler vor, der den Plan fasst, nachts aus dem Konvikt zu schleichen, um eine studentische Musikveranstaltung zu besuchen. Der Aufseher und die Studenten erfahren davon und inszenieren einen Überfall. Erschreckt beschließt der Schüler, nie mehr heimlich auszugehen. In Nemo („Niemand“) wird die berühmte Idee des Odysseus aus der Polyphem-Episode scherzhaft rekontextualisiert. Ein Schulmeister droht seinen Job zu verlieren, weil er seinen ungezogenen Schülern nicht gewachsen ist. Auf sein Fragen, wer das Obst und die Enten der Bauern gestohlen habe, antworten sie stets mit „Niemand“. Die Schüler sind erst geständig, als der Schulmeister Niemand als Person einführt, die den Schülern wegen Verleumdung droht. Die letzten beiden Stücke liegen in Prosa vor, vielleicht wurden sie nicht mehr überarbeitet. Avaritia punita („Der bestrafte Geiz“) bringt einen Kaufmann auf die Bühne, der bei einem italienischen Maler ein Portrait für seine Ahnenreihe in Auftrag gegeben hat, den dafür festgesetzten Preis aber nicht zahlen will. Der Maler lässt das Portrait daraufhin, mit Eselsohren illustriert, öffentlich aufhängen und setzt seinen Schädiger dem Spott der Öffentlichkeit aus. Beim folgenden Gerichtsprozess wird der Geizhals zur Rechenschaft gezogen: Er muss das Portrait nicht nur zum festgesetzten Preis erwerben, sondern auch die hinzugemalten Eselsohren und die Prozesskosten bezahlen. Zur Strafe muss das Bild hängenbleiben. Im letzten Stück der Sammlung, Poena neglectae educationis („Strafe für vernachlässigte Erziehung“), hält ein Schneider die Mitschüler seines Sohnes, nicht jedoch diesen selbst für ungezogen, gerade dieser ist jedoch Anführer einer Diebesbande. Als die Bande aufgegriffen wird, wird der Vater für seine falsche Erziehung bestraft.640

 Das Stück wurde noch 1927 am Gymnasium vom Prüm/Eifel in Orginalsprache aufgeführt. Scheid 1730, S. 80.

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4 Werk

Die Sammlung weist in motivischer Hinsicht Ähnlichkeiten zu Charles Porées postum erschienener Komödiensammlung Fabulae dramaticae (1749) auf,641 in der ebenfalls Fehlverhalten von Schulbuben bzw. Studenten vorgeführt wird. Themen, die auch von Porée auf die Bühne gebracht wurden, sind etwa Faulheit bzw. liederlicher Lebenswandel sowie das vielleicht auf Terenz’ Adelphoi basierende Motiv des Vaters, der seine beiden Söhne charakterlich falsch einschätzt.642

 Porée 1749. Die Sammlung kam 1755 auch in Mainz/Frankfurt am Main heraus; in dieser Ausgabe sind die französischen Verseinlagen ins Deutsche übertragen. Stücke mit ähnlichen Motiven, die die Schüler zu Fleiß und einem sittlichen Leben anhalten sollen, sind auf den Jesuitenbühnen schon seit dem 16. Jahrhundert bezeugt. Rädle 2000, S. 140.  Misoponus sive otiosus in Porée 1755, S. 131–220; Pater amore vel odio erga liberos excaecatus in Porée 1755, S. 81–130.

5 Literarhistorischer Kontext Im Folgenden werden die literargeschichtlichen Zusammenhänge aufgezeigt, vor deren Hintergrund das Werk von Anton Claus entstanden ist und gewirkt hat. Hier wird zunächst das Verhältnis zwischen dem Jesuiten und seinem Vorbild Corneille besprochen, anschließend werden zwei Perspektiven eingenommen: Zum einen wird das Werk im Kontext der jesuitischen Literaturproduktion verortet; angesichts des regen Austauschs, den die Ordensstrukturen gewährleisteten, können die Einflüsse anderer Ordensangehöriger auf die Produktion eines jesuitischen Autors kaum überschätzt werden. Zum anderen sollen Parallelen zwischen Claus’ Werk und dem deutschen Drama seiner protestantischen Zeitgenossen untersucht werden. Da sich die Tragoediae ludis autumnalibus datae eindeutig als literarisches Hauptwerk von Anton Claus bestimmen lassen, sollen sie hier im Mittelpunkt stehen. Es sind diese Stücke, mit denen Claus am stärksten Anschluss an die literarische Tradition gesucht hat; die jesuitischen Ordensbrüder nahmen selbstverständlich auf diese Sammlung Bezug, wenn sie sich in dramentheoretischen Texten auf Claus als vorbildlichen Dramatiker beriefen.643

. Klassizismus auf der Jesuitenbühne Besonders deutlich zeigt sich die Einbettung von Claus’ Werk in die literarische Tradition anhand der Bezugnahmen auf Pierre Corneille. Die ausdrückliche Anlehnung an das klassizistische Vorbild gehört zu den auffälligsten Zügen der paratextuellen Gestaltung der Tragoediae. Man muss dies wohl als Signal des Autors an seine Ordensbrüder begreifen. Der Autor bemühte sich, es als Qualität seiner Tragödien darzustellen, sie stilistisch an diesem Vorbild ausgerichtet zu haben. Die Chancen, damit zu reüssieren, waren insbesondere deshalb hoch, weil Corneille, seinerzeit selbst Jesuitenzögling, in Ordenskreisen nach wie vor als Verkörperung einer zwar weitgehend weltlichen, aber auf christlichen Werten gegründeten, moralisch unbestechlichen Dramatik Wertschätzung erfuhr. Im Kollegium von Rouen an der im Jesuitenorden auch im achtzehnten Jahrhundert noch geschätzten neothomistisch-suarezischen Philosophie weltanschaulich geschult, hatte Corneille Dramen auf die Bühne gebracht, die sich als Umlegung der molinistischen Gnadentheorie begreifen lassen, ein antimachiavellistisches Weltbild bezeugen und, wo religiös, ein

 Vgl. hier S. 258. https://doi.org/10.1515/9783110617788-006

250

5 Literarhistorischer Kontext

heroisches Christentum feiern.644 Bis ins hohe Alter war er mit Mitgliedern der Gesellschaft Jesu in Kontakt gestanden. Claus hatte die wohlwollende Haltung seiner Ordensbrüder gegenüber Corneille sicherlich im Blick, als er seinen innovativen Theaterstücken mit Verweisen auf den Franzosen Autorität zu verleihen versuchte. Angesichts der Bedeutung Corneilles für die Tragoediae ist zu klären, wie sich die Vermittlung von dessen Dramen und Schriften konkret darstellte. Die Rezeption des Franzosen in den deutschsprachigen Gebieten des frühen achtzehnten Jahrhunderts ist für die katholischen Territorien weniger gut bezeugt als für den protestantischen Norden. Bis 1730 verzeichnet Meyer südlich des Mains ausschließlich Aufführungen am Münchner Hof.645 Zwar wurden die Dramen des Franzosen auch in den katholischen Gebieten von Wandertruppen aufgeführt, zu deren festem Repertoire Le Cid und Polyeucte gehörten;646 dennoch steht zu vermuten, dass für Claus’ Verhältnis zu Corneille die Vermittlung über ordensinterne Kanäle mindestens ebenso gewichtig war wie die allgemeine Bekanntheit des Franzosen; diese Vermittlung soll im folgenden Abschnitt untersucht werden. Sicher ist, dass Claus für seine literarische Arbeit die französischen Originaltexte seines Vorbilds konsultierte. Der Jesuit, der einige Jahre an den zweisprachigen Kollegien von Pruntrut und Freiburg i. Ü. tätig war, dürfte über solide Französischkenntnisse verfügt haben. Deutsche Übersetzungen von Stücken Corneilles erschienen zwar bereits seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts,647 allerdings nur in Einzeldrucken, d. h. ohne die für Claus so wichtigen poetologischen Paratexte. In der Bibliothek des Münchner Jesuitenkollegs, wo er die Veröffentlichung seiner Tragödien vorbereitete, sind im Jahr 1741 nur französische Ausgaben verzeichnet: die zweibändigen Œuvres de Corneille (Paris 1644/1647), in der allerdings späte Dramen des Autors noch ebenso fehlen wie die Trois discours, sowie eine fünfbändige Ausgabe mit dem Titel Théâtre de Corneille, wahrscheinlich diejenige, die 1714 bei Cavelier in Paris erschien.648  Valentin 2007, S. 316. Vgl. zudem die ausführliche Darstellung bei Fumaroli 1996, v. a. S. 63–87; 115–138.  Meyer 1993 ff., Bd. 3, S. 108 bzw. Bd. 4, S. 235–239: Le Menteur, Héraclius, Rodogune, Nicomède (alle 1719). Die überwiegende Mehrheit der deutschen Übersetzungen Corneilles, die Raab 1910 vorstellt, wurde in den protestantischen Territorien gedruckt. Dafür dürften freilich auch sprachhistorische Entwicklungen verantwortlich sein: Im protestantischen Bereich war Deutsch als Literatursprache schon weiter entwickelt.  Fischer-Lichte 1993, S. 70.  Raab 1910.  Im Bibliothekskatalog des Münchner Jesuitenkollegs von 1741 (Bayerische Staatsbibliothek, Cbm. Cat. 308 c) sind zwar die Titel der vorhandenen Werke aufgelistet, es finden sich

5.1 Klassizismus auf der Jesuitenbühne

251

.. Corneille in der jesuitischen Literatur Frankreichs Dass Claus’ Vorliebe für Corneilles Dramen durch ordensinterne Vermittlung zumindest bestärkt wurde, steht außer Zweifel. Als Orte der Kontaktaufnahme kommen die Bibliotheken der Jesuitenkollegien in Frage, wo sich nicht nur Corneille-Ausgaben befanden, sondern auch theoretische jesuitische Literatur französischer Herkunft. Gerade diese Schriften, vorwiegend aus der Feder von Professoren des Pariser Collège Louis-le-Grand, leisteten der Verbreitung französischer Barockdramatik in den katholisch geprägten deutschsprachigen Gebieten Vorschub. Welche der Veröffentlichungen Claus im Einzelnen gelesen hat, lässt sich zwar (mit Ausnahme von Texten de la Rues649) nicht nachweisen; dass die folgenden Veröffentlichungen den Ordenslehrer bei seinen dramatischen Tätigkeiten begleiteten, scheint indes plausibel. Ein Werk, das die Corneille-Rezeption auf den mitteleuropäischen Jesuitenbühnen mit Sicherheit befördert hat, ist Joseph de Jouvancys (1634–1719) didaktisch-pädagogisches Handbuch De ratione discendi et docendi, das 1703 im Auftrag der Ordensobrigkeit in überarbeiteter Form erschien und fortan als praktisches Kompendium und modernere Ergänzung zur Ratio studiorum von 1591/1599 Verwendung fand.650 Jouvancy bot darin unter anderem nach Gattungen geordnete Kataloge vorbildlicher Autoren, die sich aus antiken Schriftstellern sowie – in Ausnahmefällen – aus jesuitischen Autoren zusammensetzen. Für die literaturtheoretische Bildung seiner Leser musste der Verfasser auch auf neuzeitliche Standardwerke zurückgreifen, sodass er im Abschnitt über das Drama neben den einschlägigen Texten von Aristoteles und Horaz sowie der Poetik des Jesuiten Pierre Mambrun auch d’Aubignacs Pratique du théâtre und Corneilles theoretische Schriften zur Lektüre empfahl.651 Es ist anzunehmen, dass fast alle jesuitischen Lehrer, die in der Folgezeit in den deutschen Ordensprovinzen damit beauftragt wurden, Theateraufführungen

aber keine genauen bibliographischen Angaben. Neben einer aus zwei Parties bestehenden Corneille-Ausgabe (wohl derjenigen von 1644/1647, die noch heute in der Bayerischen Staatsbibliothek den Besitzvermerk des Jesuitenkollegs trägt) ist ein aus fünf Tomes bestehendes Théâtre de Corneille verzeichnet – vermutlich die aus fünf Tomes bestehende Cavelier-Ausgabe von 1714.  Claus 1741, S. [].  Verwendete Ausgabe: Jouvancy 1725. Zur Schrift siehe De Dainville 1951.  Jouvancy 1725, S. 74: Consule etiam, si Gallice scis, librum cui titulus ‚La Pratique du Theatre‘, necnon observationes a Petro Cornelio, Poëta Gallo, suis laudatissimis tragoediis praefixas. („Berücksichtige, falls du Französisch kannst, auch das Buch mit dem Titel La Pratique du Théâtre sowie die Beobachtungen, die der französische Dichter Pierre Corneille seinen äußerst erfolgreichen Tragödien vorangestellt hat.“)

252

5 Literarhistorischer Kontext

zu organisieren, die drei knappen Kapitel Jouvancys über Charakteristika und Funktion der dramatischen Gattungen zu lesen bekamen, also mit der Anregung, Corneille zu studieren, konfrontiert wurden. 1717 erschienen in Frankfurt am Main die Opuscula poëtica des Ostasienreisenden und Sinologen François Noël (1651–1729).652 Das Buch enthält neben religiöser Lyrik sechs Tragödien, denen eine kurze poetologische Abhandlung mit dem Titel Synopsis praeceptorum tragoediae nachgestellt ist. Darin äußert sich der Autor im Stil von Corneilles Examens zu Fragen der richtigen Stoffbehandlung, zum Aufbau einer Tragödie und zum Stil sowie zu den aristotelischen Einheiten. Anders als die Examens Corneilles und Claus’ Observationes präsentiert sich die Synopsis auf den ersten Blick zwar weniger als Apologetik eigener Gestaltungsprinzipien denn als eine quasi autonome, kurz gefasste Tragödienpoetik. Hinter dem Abdruck des Kapitels verbirgt sich aber wie bei seinen Zeitgenossen das Bedürfnis des Autors zu kommunizieren, dass er sich beim Verfassen der Stücke der zeitgenössischen poetologischen Diskurse bewusst gewesen ist. Noëls Werk ist in Hinblick auf Claus vor allem deshalb bedeutsam, weil es sich dabei um die erste im deutschsprachigen Raum gedruckte Sammlung von Jesuitendramen handelte, in der Corneille explizit als Vorbild ausgewiesen ist – und damit auch um die erste und einzige Dramenpublikation vor Claus’ Tragoediae, die (zumindest theoretisch) klassizistischen Vorstellungen verpflichtet ist.653 Es scheint aussagekräftig, dass der Barockdramatiker der einzige neuzeitliche Autor ist, der in der Synopsis als Gewährsmann bemüht ist. Ähnlich wie Claus geht Noël von einer direkten Kontinuität zwischen dem Drama der Antike und demjenigen Corneilles aus. So belegt er etwa seine eigenen Ausführungen zur Gestaltung der Repliken mit dem Hinweis, ut videre est non tantum apud Senecam et antiquos, sed etiam apud modernos v.g. apud D. Petrum Corneille („[…] wie man nicht nur bei Seneca und den Alten, sondern auch bei den Modernen, z. B. Pierre Corneille, sehen kann“).654 Hinsichtlich der Auslegung der aristotelischen Einheiten genießt Corneille in der Synopsis absolute Autorität. Darüber hinaus hat Noël viele Ansätze aus den Discours unmarkiert übernommen, teilweise „à la limite du plagiat“.655 Zur Rezeption der Opuscula poëtica liegen keine Studien vor. Es scheint jedoch plausibel, dass das Werk mit seiner Dramentheorie nicht nur auf die Durchsetzung Corneilles als dramatisches Modell nachhaltig Einfluss genommen hat, sondern

   

Vgl. Valentin 2007, S. 296–301 sowie Scheid 1930, S. 22–26. Valentin 2007, S. 296. Noël 1717, S. 463. Valentin 2007, S. 299.

5.1 Klassizismus auf der Jesuitenbühne

253

auch für die Strategie wegweisend gewesen ist, jesuitische Dramenpublikationen unter Bezugnahme auf den princeps tragici et comici carminis Gallici („Fürsten der französischen tragischen und komischen Dichtung“)656 paratextuell abzusichern. Schwer rekonstruieren lässt sich auch die deutsche Rezeption des ab 1701 in Frankreich monatlich erschienenen Journal de Trévoux. In den größeren Kollegien wie Ingolstadt, München oder Innsbruck sowie in den Kollegien des deutschen Westens und der Schweiz dürften Ausgaben dieses bedeutendsten jesuitischen Publikationsorgans des frühen achtzehnten Jahrhunderts aber zur Verfügung gestanden haben. Neben Rezensionen und wissenschaftlichen Beiträgen wurden in dieser Zeitschrift vereinzelt Texte zu literarischen Themen veröffentlicht, darunter die Abhandlung Une défense du grand Corneille des Journal-Gründers René-Joseph de Tournemine (1661–1739). Der Text erschien in der Maiausgabe der Zeitschrift von 1717 und wurde später in einzelnen CorneilleAusgaben mit abgedruckt.657 1722 erschienen in Ingolstadt zwei Dramen des Pariser Hofpredigers Charles de la Rue (1643–1725).658 Er war der wahrscheinlich einflussreichste Fürsprecher Corneilles für die späte Jesuitenbühne. Claus weist ihm im Vorwort der Tragoediae selbst eine Rolle als Vermittler von Corneilles Dramen zu: Petrum Cornelium, quem tragicorum principem Ruaeus noster assentiente litterato orbe appellat („Pierre Corneille, den unser de la Rue unter Zustimmung der gelehrten Welt den Ersten unter den Tragikern nennt“).659 Die Aussage rekurriert auf das Widmungsgedicht, das de la Rue seinem 1669 erschienenen lyrischen Potpourri Idyllia vorangestellt hat.660 Die über 150 Verse lange Epistel mit dem Titel Ad clarissimum virum Petrum Cornelium tragicorum principem preist den Dramatiker als Verkörperung einer neuzeitlichen literarischen Blüte in Frankreich. De la Rue und Corneille verband eine produktive Arbeits- und Freundschaftsbeziehung. In die Idyllia ist ein Epikedion anlässlich des Todes von Corneilles Sohn Charles aufgenommen. In de la Rues vierbändiger Lyriksammlung sind sowohl von Corneille besorgte französische Übersetzungen von Gedichten de la Rues als auch seine lateinische Übersetzung eines CorneilleGedichts abgedruckt.661 Der Umstand, dass de la Rues in den 1670er Jahren

 Noël 1717, S. 464.  Porée 2000, S. 40. Vgl. z. B. die Ausgabe Œuvres diverses de Pierre Corneille. Paris 1738, S. –.  De la Rue 1722. Vgl. außerdem Rieks 1989, S. 6–31.  Claus 1741, S. [].  Verwendete Ausgabe: De la Rue 1672.  De la Rue 1680. Für Corneille vgl. S. 116; 140; 270.

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5 Literarhistorischer Kontext

entstandene Stücke noch wenige Jahre vor seinem Tod in Deutschland verlegt wurden, beweist, dass seine Popularität innerhalb des Ordens auch im achtzehnten Jahrhundert noch Bestand hatte.662 Seine Corneille-Begeisterung ist in dieser Edition zwar paratextuell nicht angedeutet. De la Rues Rolle bei der Verbreitung des Klassizismus unter den deutschen Jesuiten dürfte dennoch schwer zu überschätzen sein. Einige weitere Schriften französischer Autoren erschienen in den Jahren, als Claus bereits als Schuldramatiker tätig war; als er den Druck der Tragoediae vorbereitete, dürfte er sie gekannt haben.663 Darunter fällt die Bibliotheca rhetorum von Gabriel-François Le Jay (1657–1734), ein mit zahlreichen Beispielen versehenes rhetorisches und poetisches Lehrwerk für Lehrer und Schüler der Jesuitenschulen. Das zweiteilige Werk (jeder Teil umfasst mehrere Bände) erschien 1725 in Paris und wurde bereits ab dem Folgejahr in München nachgedruckt. In der Einleitung des zweiten, der Poetik gewidmeten Teils rühmt der Autor das Drama des französischen Klassizismus als vorbildlich: Magnum theatro Gallico decus ac splendorem Cornelius ac Racinus contulere, quorum studio atque opera in eam dignitatem evasit, ut veteris Graeciae gloriam aemularetur. („Großen Ruhm und Glanz verliehen dem französischen Theater Corneille und Racine, durch deren Eifer und Anstrengung ihm solche Würde zuteilwurde, dass es sich mit dem Ruhm des alten Griechenland messen kann.“ 664 ) Ähnlich äußert sich Le Jay im Vorwort der Tragödie Joseph fratres agnoscens, die durch die Aufnahme in den separat gedruckten Liber dramaticus der Bibliotheca rhetorum Verbreitung fand. Der Autor versuchte hier anhand mehrerer Dramen Corneilles zu belegen, dass Corneilles Stücke zu den moralischen Zielsetzungen des Ordens nicht im Widerspruch stehen.665 Die Verbreitung von Le Jays Schriften dürfte derjenigen von Jouvancys Ratio nur unwesentlich nachgestanden haben. In der vom Innsbrucker Rhetorikprofessor Joseph Anton Rigler erstellen Lehrstoffverteilung für Jesuitengymnasien aus dem Jahr 1764 ist Le Jays Poetik (d. h. die entsprechenden Abschnitte aus der Bibliotheca) neben der aristotelischen Poetik und Soarez’ De arte rhetorica als Lehrstoff für den Lateinunterricht in der Rhetorikklasse aufgelistet.666

 Übersetzungen von Dramen de la Rues erschienen in Deutschland sogar noch nach der Ordensaufhebung: Ignazens Weitenauer und Karls de la Rue Trauerspiele. Hannibal. Hermann. Cyrus. Lysimachus. Augsburg 1777.  Im Bibliothekskatalog des Münchner Jesuitenkollegs sind die Werke verzeichnet. Vgl. dazu hier Anm. 761.  Le Jay 1726, S. 12.  Le Jay 1727, S. 67–68. Vgl. Northeast 2013, S. 25.  Joseph Rigler: Distributio docendorum ab anno 1615 usque ad annum 1764. Zit. nach Lechner 1908, S. 83–86. Zu Rigler vgl. Korenjak 2012, S. 937–938.

5.1 Klassizismus auf der Jesuitenbühne

255

1730 erschien das Théâtre des Grecs von Pierre Brumoy (1688–1742), eine kommentierte Ausgabe der erhaltenen Dramen der griechischen Antike in französischer Sprache.667 Der Übersetzer legte im Vorwort seine Intention dar, diese Texte, die aufgrund der Blüte des französischen Theaters und der Querelle des anciens et des modernes ins Hintertreffen zu geraten drohen, wieder bekannt zu machen. In den drei theoretischen Essays, die dem ersten Band vorangestellt sind, skizzierte er eine direkte Verbindung zwischen der antiken Tragödie und des Corneilles et des Racines.668 Das Werk dürfte ebenfalls in deutschen Jesuitenkollegien gelesen worden sein, wo es die Übernahme des klassizistischen Modells am Rande mit angetrieben haben könnte. Charles Porée (1676–1741), ebenfalls Professor des Collège Louis-le-Grand, hielt 1733 in Paris seine berühmte Rede Theatrum sit ne, vel esse possit schola informandis moribus idonea, die im selben Jahr im Original sowie in Brumoys französischer Übersetzung herausgegeben und in der zeitgenössischen Diskussion über den Nutzen des Theaters intensiv rezipiert wurde. Im zweiten Teil findet sich eine hymnische Würdigung Corneilles,669 der insofern als vorbildlich erscheint, als in seinen Stücken die Bedeutung erotischer Motive hinter die bedeutsamerer Themen zurücktrete. Die Rede wurde auch im deutschsprachigen Raum intensiv rezipiert,670 schon 1734 erschien sie in der Übersetzung von Johann Friedrich May in Leipzig.671 1757 erwähnte Weitenauer sie in seinem Kommentar der horazischen Ars poetica und konnte hinsichtlich ihrer Inhalte bemerken: quae, quia est in manibus omnium, locum hic non ascribo („[…] da sie sich ohnehin in aller Händen befindet, schreibe ich die betreffende Stelle hier nicht aus“).672

 Brumoy 1730.  Brumoy 1730, S. []. Für die Parallelen zwischen antikem und modernem Theater vgl. den dritten Discours, v. a. S. –. Vgl. außerdem Valentin 2004, S. 173–191.  Porée 2000, S. 40: Tene, Corneli Magne, vir ad laudem tragici carminis procreate, in quo natura experiri velle visa est quatenus humanum ingenium possit cogitando assurgere […] („Dich, großer Corneille, der du zum Lob des tragischen Liedes geboren wurdest, ein Mann, in dem die Natur, wie es scheint, beweisen wollte, wie hoch das menschliche Genie sich mit geistiger Tätigkeit zu erheben vermag [...]“).  Flamarion 2000, S. .  Des berühmten Französischen Paters Poree Rede von den Schauspielen: ob sie eine Schule guter Sitten sind, oder sein könnten? übers. nebst einer Abhandlung von der Schaubühne, herausgegeben von J.-Fr. Mayen. Vgl. Heßelmann 2002, S. 236; Julliard 1998, S. 58–62.  Weitenauer 1757, S. 159.

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5 Literarhistorischer Kontext

.. Claus als Erneuerer des Jesuitendramas Als die Tragoediae ludis autumnalibus datae 1741 erschienen, waren die deutschen Jesuitenkollegien für ein Theater, das sich auf Corneille und den französischen Klassizismus berief, also bereits vorbereitet.673 Claus stellte sich unter die Schirmherrschaft eines allgemein als vorbildlich akzeptierten Autors. In der literarischen Praxis beschritt der Dramatiker gleichwohl neue Wege. Bis dato war im deutschsprachigen Raum keine jesuitische Dramensammlung erschienen, die sich so ausdrücklich dem Ideal der französischen Klassik verpflichtet und dies auch konsequent umgesetzt hatte. Claus’ Klassizismus äußert sich in seinen Dramen in der Wahl weltlicher Heroenstoffe, mehr noch aber im Bemühen, die Stücke unter Bezugnahme auf aristotelische Dramentheorie auf allen Ebenen rational nachvollziehbar und in sich schlüssig zu gestalten. Der Begriff „Illusionstheater“ lässt sich mit Abstrichen – eine Aufführung auf Latein bedeutete selbstverständlich auch für das zeitgenössische Publikum einen Illusionsbruch – auf sie anwenden. Grundlegend für die Komposition war ein klarer, stets logischen Prinzipien und den aristotelischen Einheiten unterworfener Handlungsaufbau; dazu gehörten zum einen Möglichkeit und Vorstellbarkeit des Dargestellten, zum anderen technische Aspekte wie plausibel organisierte Szenen- und Figurenwechsel, Vermeidung von Brüchen zwischen den Akten, folgerichtiger Grad der Informiertheit der Figuren etc. – allesamt Charakteristika, die vor dem Hintergrund der wenig konsistenten, oft wirren Dramaturgie vieler frühneuzeitlicher Ordensdramen spezifisches Gewicht erhalten. Charakteristisch ist ferner die Anlage der Figuren: Claus schuf auf psychologischen Erfahrungen fußende, konsequent durchgehaltene Charaktere, die – wiederum auf Basis eines aristotelischen Theorems (‚mittlerer Held‘) – Einfühlungspotential für das Publikum bereitstellen. Figuren, die nicht im Dienst der Haupthandlung stehen, bleiben ausgespart. Auch in dieser Hinsicht ging Claus also ‚rational‘ vor. Ein weiteres auffälliges Charakteristikum von Claus’ rational-klassizistischer Ästhetik ist die nüchterne, auf ihre Funktion als Handlungsvermittlerin reduzierte Sprache; auf barocke Verspieltheit wird verzichtet, die Sprache ist (soweit das in lateinischer Sprache möglich ist) natürlich und der Sprechsituation angemessen. Vergleicht man seine Tragödientexte stichprobenhaft mit Schuldramen, die wenige Jahrzehnte zuvor im deutschsprachigen Raum erschienenen waren, so  Ab den fünfziger Jahren scheinen vereinzelt Corneille-Dramen auf der Jesuitenbühne aufgeführt worden zu sein. Valentin gibt Aufführungen von Polyeucte in Köln 1752 (Nr. 6288) und Brig 1753 (Nr. 6381) sowie eine Aufführung von Le Menteur in deutscher Übersetzung in Luzern 1772 (Valentin Nr. 7597) an. Pohle 2010, S. 302 erwähnt zudem Aufführungen von Polyeucte in Ravenstein (1765), Neuss (1763) und Jülich (1768).

5.1 Klassizismus auf der Jesuitenbühne

257

werden Claus’ Innovationen offenkundig: Noëls Tragödien eignet in vielen Passagen die mit mythologischen Anspielungen aufgeladene, bildhaft-rhetorische Sprache des senecanischen Trauerspiels. Sein Philotas steht den Dramatikern der Aufklärungsepoche zwar einerseits in Bezug auf sein paganes Sujet nahe, andererseits ist Transzendenz nicht ausgeschaltet und die Einbettung der Handlung in die christliche Heilsgeschichte deutlich gemacht.674 Maurispergs wohl modernstes Stück, Mutius Scaevola, ist unter formalen Gesichtspunkten ein typisches Jesuitendrama der Barockzeit:675 Die aristotelischen Einheiten sind nicht berücksichtigt, episodenhafte Einschübe stören das Handlungsgefüge, viele Entscheidungen sind schlecht motiviert, die Bedeutung von Einzeleffekten überwiegt das Bemühen um formale Geschlossenheit.676 Dass in der Zeit der Veröffentlichung der Tragoediae ludis autumnalibus datae eine Neuorientierung des Jesuitendramas in den deutschsprachigen Ländern begonnen hat, ist bereits gesehen worden. Valentin hat für die Zeit ab 1740 drei äußere Veränderungen ausgemacht, die ergänzend angeführt und ebenfalls als Anzeichen einer Rationalisierung gesehen werden können: Verschlankung der Inszenierung, Reduktion der Figuren und Verzicht auf Allegorien. Als Ursache identifizierte er zurecht geänderte Vorbilder: Das italienische Stil-Ideal der Avancini-Zeit wurde von französischen Vorbildern abgelöst.677 Claus machte seinen Innovationsanspruch selbst deutlich, als er im Vorwort der Tragoediae erläuterte, seine Ordensbrüder hielten die Veröffentlichung für nützlich, cum rariores sint, qui ad nostrae aetatis genium latinas tragoedias scripsere („[…] weil es wenige gibt, die nach dem Stil unserer Zeit lateinische Tragödien verfasst haben.“)678 Führt man sich die oben geschilderten Spezifika seiner Stücke vor Augen, so muss Claus unter dem genium aetatis eine klassizistische, rationalistische Dramatik verstanden haben, wie Corneille sie modelliert hatte und wie sie seit Gottscheds Critischer Dichtkunst von 1729 in der deutschsprachigen (protestantischen) Literatur en vogue war,679 in Frankreich im Drama Voltaires wieder auflebte und in Italien mit Stücken wie Scipione Maffeis Merope einen anhaltenden Erfolg genoss. Claus durfte sich somit als Autor darstellen, der das Jesuitentheater mit moderner europäischer Literatur in Beziehung gesetzt bzw. modernes europäisches Theater für die Jesuitenbühne nutzbar gemacht hatte.  Noël 1717, S. 214–255.  Maurisperg 1730, S. 1–27.  Andreas Friz hat die Tragödie als beispielhaft für missglückte Einheit der Handlung analysiert. Tjoelker 2014, S. 134–136.  Valentin 1990, S. 251.  Claus 1741, S. [].  Für das Verhältnis zwischen Claus’ und Gottscheds Klassizismus vgl. hier S. 271–281.

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5 Literarhistorischer Kontext

Von seinen Ordensbrüdern wurde Claus aus ebendiesem Blickwinkel wahrgenommen und als Autorität begriffen. Franz Neumayr zählte ihn in seiner Idea poeseos (1751) neben Porée, Metastasio und Gottsched zu den besten Dramatikern der Gegenwart.680 Ignaz Weitenauer, der sich in seinen dramentheoretischen Texten mehrfach auf Claus bezog, nennt ihn gemeinsam mit Corneille, Gottsched und Johann Elias Schlegel.681 Symptomatisch ist auch die Erwähnung des Autors in der Bibliotheca domestica des Ordensbruders Franz Xaver Mannhart. In der 1762 erschienenen Kurzenzyklopädie wird Claus im Abschnitt über die Tragödie gemeinsam mit Corneille, Racine und Tristan l’Hermite als Autor genannt, der die barbaries simplicitati iuncta („mit Einfalt verbundene Barbarei“),682 unter welcher die nachklassische Tragödie gelitten habe, durch Rückbesinnung auf aristotelische Grundsätze überwunden habe – und dafür auch in Frankreich gelobt worden sei.

.. Klassizismus in poetologischen Arbeiten deutschsprachiger Jesuiten Mit seinen formalen Innovationen leitete Claus einen Paradigmenwechsel auf der Jesuitenbühne der deutschsprachigen Provinzen ein. Die jesuitischen Tragödiensammlungen, die von 1741 bis zur Aufhebung des Ordens erschienen, fußen durchwegs auf klassizistischen Vorstellungen. Es ist bezeichnend, dass ihre Verfasser Andreas Friz, Ignaz Weitenauer und Franz Neumayr ihr poetologisches Programm jeweils in separaten Abhandlungen darlegten; das Signalisieren dramentheoretischer Kenntnisse war angesichts des nunmehrigen Stellenwertes klassizistischer Ästhetik unverzichtbar geworden. Um diese Entwicklung auf der Jesuitenbühne zu umreißen, sollen in der Folge die ästhetischen Ideale deutschsprachiger Jesuiten, die nach der Veröffentlichung der Tragoediae Jahresendsdramen in den Druck gegeben haben, der Reihe nach vorgestellt werden. Vorab wird ein Fall präsentiert, der sozusagen ex negativo zeigt, dass sich die Umsetzung klassizistischer Poetik in den späten 1740er Jahren allgemein als Qualitätsmerkmal von Schuldramen durchgesetzt hatte. Der Münchner Jesuit Ferdinand Hueber (1679–1762) legte zwar keine eigenständige Tragödiensammlung vor,683 im zweiten Band seiner 1747/48 erschienenen Flores poetico-

 siehe hier S. 263.  Weitenauer 1758, S. 7; Weitenauer 1757, S. 32.  Mannhart 1762, S. 139. Die französische Rezension konnte nicht ermittelt werden. Im Index des Journal de Trévoux, in dem eine solche zu erwarten gewesen wäre, taucht Claus’ Name nicht auf. Lénardon 1986. Zu Mannharts Bibliotheca siehe Marti 2007, S. 163–173.  Zu dem in der Forschung kaum behandelten Hueber vgl. Duhr 1928, Bd. 4,2, S. 80–82.

5.1 Klassizismus auf der Jesuitenbühne

259

rhetorici ließ er allerdings neben Kongregations- und Meditationsdramen vier Schuljahresendsstücke abdrucken. Diese Stücke, die Hueber über dreißig Jahre vor der Publikation als Chorag in Regensburg aufführen hatte lassen,684 widersprachen dem zeitgenössischen Verständnis aristotelischer Dramentheorie. Der Verfasser operierte mit groben Unwahrscheinlichkeiten. Zu Beginn von S. Ferdinandus Legionis et Castellae rex tritt etwa eine Taube als Bote Gottes auf, im 4. Akt des Stücks wird die Hauptfigur von einem Engel entrückt – derartige Wunder fanden in den Dramen der im Folgenden vorgestellten Jesuiten keinen Platz mehr. Die Handlung besteht nicht aus einer kohärenzstiftenden Verwicklung, sondern aus einer Folge zusammenhängender, nicht aber aus einander hervorgehender Einzelepisoden. Für eine Einheit des Ortes lässt sich kaum argumentieren. Dem Verfasser waren die Konflikte mit der herkömmlichen Theorie bewusst und er war sich im Klaren darüber, dass er damit auf Kritik stoßen würde. Im Gegensatz zu seinem Ordensbruder Maurisperg, der seine nicht-aristotelischen Dramen 1730 noch umstandslos hatte drucken lassen, sah Hueber sich jedenfalls gezwungen, die Unvereinbarkeit seiner Stücke mit der gängigen Ästhetik paratextuell zu thematisieren bzw. zugleich zu leugnen. Im Vorwort der Publikation legte er nämlich dar, wie er in seinen Stücken, obgleich unter Schwierigkeiten, die Regeln des Aristoteles berücksichtigt habe. Die Argumentation basiert freilich auf recht verqueren Ansichten und Übertreibungen. So rechtfertigt er seine großzügige Auslegung der Einheit des Ortes damit, dass er Stücke für wenig kunstfertig halte, deren Figuren es nur gestattet sei, an einem Tisch zu sitzen und miteinander zu sprechen. Die Unwahrscheinlichkeiten der Handlung erklärt er aus der Notwendigkeit, Spannung zu erzeugen – ein ebenso zu kurz greifendes Argument, zumal die abrupten Logikbrüche in seinem Stück der Entwicklung von Spannung nicht zuträglich sind. Es ist offensichtlich, dass Hueber, als er die Stücke in den 1710er Jahren verfasste, der dramatischen Theorie nicht Rechnung getragen hatte. Als er sie in den vierziger Jahren für den Druck vorbereitete, musste er erkennen, dass man nun theoriekonformes Drama bevorzugte und seine Stücke inzwischen veraltet waren. Die Tatsache, dass er zur Ehrenrettung seiner Dramen eine derart problematische Argumentation in Kauf nahm, ist ein aussagekräftiger Hinweis darauf, dass Regelkonformität mittlerweile unerlässlich war. Einer der wichtigsten Vertreter des rational-klassizistischen Jesuitendramas war der Österreicher Andreas Friz (1711–1790). Die gedruckten Dramen dieses „letzten bedeutenden Wiener Jesuitendramatikers“ 685 – 1757 erschien

 Valentin, S. 1065.  Frizberg 1931, S. 43.

260

5 Literarhistorischer Kontext

eine Sammlung von Tragödien und Kurzdramen, 1764 eine zweite, vollständigere Sammlung686 – kommen weitgehend ohne Paratexte aus, bieten aus diesem Grund auch keine Hinweise auf Vorbilder. Ob Friz, als er im Zeitraum zwischen 1741 und 1744 seine Poetik verfasste, Claus’ Tragoediae kannte, ist nicht gesichert, zumal er einer anderen Ordensprovinz angehörte.687 Der Schwabe ist in seinen dramatischen und dramentheoretischen Arbeiten an keiner Stelle erwähnt. Es ist vorstellbar, dass Friz seine Theaterästhetik unabhängig von Claus’ Veröffentlichung entwickelte; sie ist jedenfalls weitgehend analogen Vorstellungen verpflichtet. Der nur handschriftlich überlieferte Text der Poetik, der im Rahmen von Friz’ Tätigkeit als Lehrer am Grazer Jesuitenkolleg entstanden sein muss, trägt den Titel Epistola de tragaediis (sic).688 Er bringt ein Gattungsverständnis zum Ausdruck, das deutlich aufklärerische Züge trägt: Im Zentrum von Friz’ Überlegungen steht der Nutzen der Tragödie, der in der Gegenwart noch stärker in den Mittelpunkt gerückt werden müsse, als dies in der Antike der Fall gewesen sei.689 Viele Dramatiker, bemäkelt Friz, beschränkten sich darauf, dem Publikum Vergnügen zu bereiten, und verkannten damit das eigentliche Anliegen der Tragödie, das Aristoteles zufolge in der Verherrlichung der Tugend und der Ächtung des Lasters bestehe.690 Zwar gesteht Friz zu, Moraldidaktik sei dann besonders effektiv, wenn sie an Vergnügen gekoppelt sei, rein unterhaltende Zwischenspiele und Tanzeinlagen lehnt er jedoch ab.691 In den Zielsetzungen des Dramatikers, die er zu Beginn seiner Abhandlung konkret formuliert, trifft sich jesuitische Ethik mit aufklärerischem Pragmatismus: clementiam, pietatem in parentes et patriam, juris jurandi religionem, in rebus adversis constantiam, divitiarum honorumque contemptum („Milde, Respekt gegenüber den Eltern und dem Vaterland, Eidestreue, Unerschütterlichkeit angesichts von Unglücksfällen, Geringschätzung von Reichtum und Ehre“).692 Diese Ausrichtung hat unmittelbaren Einfluss auf die Stoffbehandlung. Friz zufolge lässt sich moralische Besserung des Publikums nur erreichen, wenn der Dramatiker sich an strenge Ordnungsprinzipien hält, die gewährleisten, dass dem vernünftigen Zuschauer die moralische Botschaft in glaubwürdiger Form unterbreitet wird:

 Friz 1757. Friz 1764. Penelope und Julius martyr erschienen zudem 1761 als Einzeldrucke.  Eine Jesuitenprovinz war im 18. Jahrhundert hinsichtlich Personenfluktuation relativ hermetisch. Vgl. Valentin 2007, S. 315.  Tjoelker 2014.  Tjoelker 2014, S. 76.  Tjoelker 2014, S. 74.  Tjoelker 2014, S. 76.  Tjoelker 2014, S. 78.

5.1 Klassizismus auf der Jesuitenbühne

261

Was auf der Bühne vor sich geht, muss wahrscheinlich sein. Dazu gehört eine strenge Ortseinheit sowie die Begrenzung der Handlungszeit, idealerweise auf die Dauer der Aufführung, maximal aber auf zwölf Stunden. Ebenso wichtig ist, dass der Zuschauer der Handlung sprachlich folgen kann; sprachliche Ornamente sowie gelehrte Anspielungen sollen daher gemieden werden.693 Das Theaterverständnis von Friz ist also streng klassizistisch geprägt.694 Das wird auch deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Autoritäten der Autor zur Beglaubigung seiner Theorie heranzieht. Friz bezieht sich auf die griechischen Tragiker, die antiken Komiker, Corneille, Racine, Molière, de la Rue, Metastasio und den Jesuiten Giovanni Granelli (1703–1770). Wie in den Paratexten von Claus ist auch in der Epistola der Einfluss barocker Ordenspoetiker unbedeutend, Friz erklärt sogar explizit: Nec movet me auctoritas Massenii. („Die Autorität Masens kümmert mich nicht.“)695 Ablehnend äußert er sich auch gegenüber dem manieristischen Stil von Seneca und Statius.696 Interessant ist der Umstand, dass Racine für Friz ein zumindest ebenso bedeutendes Vorbild gewesen zu sein scheint wie dessen Zeitgenosse Corneille. Der Jesuit hinterließ eine handschriftliche Analysis tragaediarum Racini, die sich im selben Konvolut wie die Epistola erhalten hat.697 Dies ist deswegen bemerkenswert, weil Racine zwar auch in den poetologischen Arbeiten von Claus, Neumayr und Weitenauer erwähnt wird, die Beurteilung seines Werkes bei den Jesuiten jedoch insgesamt ambivalent ausfiel. Bereits von de la Rue für den sittlichen Niedergang des französischen Theaters verantwortlich gemacht,698 galt Corneilles jüngerer Zeitgenosse ähnlich wie dessen Bruder Thomas spätestens seit der Veröffentlichung von Porées Rede De theatro in Ordenskreisen als Veneris columbulus („Täubchen der Venus“)699 und damit als höchstens formal brauchbares, moralisch aber zweifelhaftes Vorbild. Friz nahm an der Liebesleidenschaft von Racines Helden offenbar keinen Anstoß. 1751 erschien in Ingolstadt die Poetik des späteren Münchner Dompredigers Franz Neumayr (1697–1765) im Druck.700 Die Idea poeseos präsentiert sich  Tjoelker 2014, S. 110.  Tjoelker sieht Friz sogar als the most ‚classicist‘ unter den jesuitischen Dramentheoretikern des 18. Jahrhunderts. Tjoelker 2014, S. 70.  Tjoelker 2014, S. 90. Friz bezieht sich an dieser Stelle auf die von Masen aufgestellte Vorschrift, wonach eine Szene nicht mehr als fünfzig Verse umfassen darf.  Tjoelker 2014, S. 112; S. 140.  Abgedruckt und eingeleitet in Tjoelker 2014.  Rieks 1989, S. 9.  Porée 2000, S. 42. Porée charakterisiert Racine zudem als Dichter, qui totum intenderet animum ad suscitandos in Tragoedia ignes amatorios („[…] der seine ganze Geisteskraft darauf verwendet, in der Tragödie Liebesflammen zu erregen“).  Bis 1768 folgten noch drei weitere Auflagen der Schrift. Van der Veldt 1992, S. 357.

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5 Literarhistorischer Kontext

als handliches Schulbuch für angehende Lehrer der Jesuitengymnasien sowie als Rechtfertigungsschrift für den Poesie-Unterricht an Schulen.701 Neumayr verarbeitet darin seine Erfahrungen, die er als Rhetorikprofessor in den späten zwanziger und dreißiger Jahren in Brig, Solothurn und München gemacht hatte.702 Die Stücke, die er in diesen Jahren als Herbstspiele aufführen hatte lassen, veröffentlichte er 1760 unter dem Titel Theatrum politicum.703 Der Untertitel dieser Dramensammlung, ad commendationem virtutis et vitiorum detestationem („zur Anempfehlung der Tugend und Abwehr der Laster“), gibt Auskunft über Neumayrs Theaterverständnis. Das moralpädagogische Telos macht in seinen Vorstellungen das Wesen der Tragödie aus. Die ältere Forschung geht sogar so weit anzunehmen, der Zweck des Dramas sei in Neumayrs Poetik „des ästhetischen Charakters, den er bei Neumayrs Vorgängern noch hatte, entkleidet“.704 Aus seinen Stücken spreche einzig ein „praktischutilitaristisch[er] Moralismus“.705 Offenkundig ist, dass es Neumayr mit seiner Idea weniger darum ging, einen philologisch legitimierten Beitrag zum poetologischen Diskurs seiner Zeit vorzulegen als vielmehr eine alltagstaugliche Anleitung dazu, wie Dichtung einer moralpädagogischen Bestimmung zugeführt werden kann. Das äußert sich unter anderem darin, dass er seine Anweisungen – sieht man vom Rückgriff auf elementare aristotelische Theoreme ab – kaum theoretisch unterfüttert, sondern von seiner eigenen Bühnenerfahrung als Maßstab ausgeht. Aus diesem Grund ist für Neumayr nicht die gemäß Aristoteles vollkommene Tragödie das Ziel des Dramatikers, sondern diejenige, die den größten Lehrwert verspricht.706 Der Klassizismus, dem Neumayr gleichwohl verpflichtet ist, unterliegt daher in der Idea stets dem Primat der Nützlichkeit. Der Verfasser fordert wie Friz die Einhaltung der aristotelischen Einheiten, um die Wahrscheinlichkeit der Handlungsfiktion zu wahren und dem Zuschauer damit eine glaubwürdige Demonstration der Kausalität menschlichen Handelns bieten zu können. Der ‚mittlere Held‘ wird allerdings abgelehnt. Die aristotelische Forderung, Furcht und Mitleid zu erregen, dehnt Neumayr (wie Claus) auf andere Affekte aus,

 Neumayr 1751, S. []. Vgl. Van der Veldt 1992, S. 84 sowie Wiegand 2013, S. 113–115.  Gumbel 1938, S. 31 mutmaßt, die Idea sei bereits in den Jahren, als Neumayr Lehrer war, entstanden.  Neumayr 1760a. Die Veröffentlichung der Stücke unter diesem Titel kündigt Neumayr bereits in der Idea poeseos (S. 181) an. Die zahlreichen Verweise auf die darin enthaltenen Stücke dürften für den Leser der Idea in den fünfziger Jahren allerdings wenig hilfreich gewesen sein. Schon 1747 hatte Neumayr eine Sammlung mit Meditationsdramen herausgegeben.  Gumbel 1938, S. 26.  Gumbel 1938, S. 28.  Neumayr 1751, S. 175.

5.1 Klassizismus auf der Jesuitenbühne

263

indem er argumentiert, die Möglichkeiten eines Choragen beschränkten sich nicht auf die correctio vitii, sondern erlaubten auch die Propagierung von christlichen Tugenden. Als Beleg führt er Polyeucte an – Corneilles Märtyrerdrama war für die Jesuiten offenbar das beliebteste Stück, wenn es darum ging, die Abwesenheit der aristotelischen Wirkungskategorien zu entschuldigen bzw. deren Ergänzung durch die Vermittlung von Tugenden zu rechtfertigen707 – sowie de la Rues Cyrus, Gottscheds Cato und Claus’ Themistocles bzw. Scipio.708 Die meisten dieser Autoren kehren in Neumayrs Katalog von Gattungsvorbildern wieder und unterstreichen, dass in den Augen des Münchner Jesuiten nur klassizistische Dramatik als Qualitätstheater gelten konnte: Princeps habetur Cornelius senior et junior, quibus proxime accedit Racine, Ruaeus uti et Poyre Galli, Metastasius Italus, Gottsched et Clausius, ille Germanus, hic Latinus. („Als Erste gelten der ältere und jüngere Corneille, ihnen am nächsten kommen die Franzosen Racine, de la Rue und Porée, der Italiener Metastasio, Gottsched und Claus, jener in deutscher, dieser in lateinischer Sprache.“)709 Dennoch handelt es sich bei Neumayr um denjenigen der hier vorgestellten jesuitischen Dramatiker, bei dem die barocke Prägung ihre deutlichsten Spuren hinterlassen hat. In seinem Werk ist die Vorstellung einer emotionalen Vereinnahmung des Publikums stärker ausgeprägt als bei seinen Zeitgenossen. Das kommt in der Idea ebenso zum Ausdruck710 wie in den Prosadramen des Theatrum politicum, denen auch in der gedruckten Version lange Arien und Chorpartien sowie die Regieanweisung „Tanz“ zwischengeschaltet sind.711 In den langen melodramatischen Einschüben bleibt die barocke Präferenz für multimediale Bühnenshows lebendig. Der letzte Jesuit, der im deutschsprachigen Raum eine bedeutende poetologische Arbeit vorlegte, war der vielseitig gelehrte Ignaz Weitenauer (1709– 1783); sein Kommentar zu Horaz’ Ars poetica erschien 1757. Ein Jahr zuvor hatte er seinen Dramenband Tragoediae autumnales veröffentlicht,712 der deutliche

 Vgl. hier S. 43–44. Bereits Corneille selbst hatte so argumentiert. Corneille 1980, Bd. 3, S. 147. Vgl. Valentin 2007, S. 308.  Neumayr 1751, S. 174.  Neumayr 1751, S. 173. Vgl. Wiegand 2013, S. 121, der Neumayr in Bezug auf dessen Vorbilder attestiert, „sozusagen brandaktuell“ gewesen zu sein. Als vorbildlich für in sich schlüssiges moralisches Drama erwähnt Neumayr Claus auch auf S. 194.  Neumayr 1751, S. 176: Hortor autem, ut seligas aliquam [historiam…], […] sed habeat effectum seu eventum aut felicem auf funestum, qui sensus et phantasiam vehementer commoveat. („Ich mahne jedoch, dass du einen Stoff wählst, […] der aber einen glücklichen oder traurigen Ausgang hat, der die Sinne und die Phantasie heftig erschüttert.“)  Vgl. Van der Veldt 1992, S. 124.  Weitenauer 1757; Weitenauer 1758.

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5 Literarhistorischer Kontext

Spuren einer Claus-Rezeption aufweist. Legt bereits der Titel der Sammlung eine Beeinflussung nahe, so ist diese Vorbildwirkung in den poetologischen Animadversiones, die Weitenauer den Tragödien vorangestellt hat und die an Corneilles und Claus’ Paratexte erinnern, explizit gemacht.713 In den Animadversiones zu den Tragödien Annibal und Demetrius bezieht Weitenauer sich ausdrücklich auf den felicissimus poeta tragicus Antonius Clausius („sehr erfolgreichen Tragiker Anton Claus“);714 Er schätzt Claus insbesondere als Vertreter des historischen Dramas.715 Weitere Referenzen finden sich in Weitenauers Ars-poetica-Kommentar, wo der Autor mehrfach auf die Dramen des Kemptners Bezug nimmt, um bestimmte dramaturgische Kunstgriffe zu rechtfertigen. So hält er im Zuge seiner Ausführungen über das Wahrscheinliche und das Notwendige fest, es sei zwar nicht realistisch, dass Themistokles und Protasius Latein sprächen, aber eben notwendig.716 Das Werk, das mit einer schier unüberschaubaren Fülle an Beispielen aus der antiken und modernen Literaturgeschichte illustriert ist, geht weit über die Substanz eines herkömmlichen Kommentars hinaus. Ausgehend von den diskontinuierlich gesetzten Horazversen werden poetologische, insbesondere dramenpoetologische Konzepte diskutiert, indem die Vorgaben des Augusteers mit literarischer Praxis in Bezug gesetzt werden.717 Weitenauer erweist sich dabei als umsichtiger Kritiker, bei dem die für verbindlich erachteten antiken Poetiken mit einer rationalistischen Ästhetik in Einklang stehen. Unter den zitierten neuzeitlichen Autoren ist Pierre Corneille bei Weitem die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Corneille ist für Weitenauer der magnus theatri tragici restitutor („große Wiedererschaffer des tragischen Theaters“),718 allerdings wird dem Franzosen, Weitenauers kritischer Vorgehensweise ent-

 Vgl. Kellner 1958, S. 124–125.  Weitenauer 1758, S. 7, 399.  Weitenauer 1758, S. 7: Singulare Tragoediae ornamentum est, si fundamentis historiae, quoad licet, in personarum nominibus, dictis, factisque nitatur: quod jam olim ab Aristotele in Poetica, deinde a magno Petro Cornelio et nuper a felicissimo poeta tragico Antonio Clausio est animadversum. („Ein besonderer Schmuck der Tragödie ist es, wenn sie sich soweit möglich auf eine historische Grundlage bezüglich Figurennamen, Zitaten und Ereignissen stellt. Das wurde einst von Aristoteles in der Poetik, dann vom großen Pierre Corneille und jüngst vom sehr erfolgreichen Tragiker Anton Claus beobachtet.“)  Weitenauer 1757, S. 8. Vgl. außerdem S. 32 und 111.  Valentin 2007, S. 311 spricht von einem véritable exposé dogmatique sur les problèmes et les règles de la création littéraire.  Weitenauer 1757, S. 80. Vgl. auch Weitenauer 1757, S. 104: magnus Cornelius, theatri Gallici princeps („der große Corneille, der Fürst des französischen Theaters“).

5.1 Klassizismus auf der Jesuitenbühne

265

sprechend, keine ungeteilte Verehrung zuteil.719 Valentin hat eine admiration modérément critique de Corneille et du goût français720 ausgemacht und den Kommentar – wohl etwas zu schematisch – in die Nähe von Lessings etwa zeitgleich entstandenen Literaturbriefen gerückt, in denen der französische Klassizismus auf deutschem Boden seine erste Anfechtung erfahren hat. Das ist allein deshalb problematisch, weil Weitenauers Kritik an Corneille vorwiegend dessen Selbstkritik wieder aufnimmt. Das frühe Stück Clitandre, das Weitenauer als Exempel für ein Stück mit einer zu wenig präsenten Hauptfigur wählt,721 hatte Corneille ebenso selbst für gescheitert erklärt, wie er die von Weitenauer konstatierte Unvereinbarkeit von Le Cid mit der Theorie selbst einbekannt hatte.722 Außerdem implizieren Weitenauers Beobachtungen keine kategorische Ablehnung der Negativexempla. Das wird etwa daran deutlich, dass er an Le Cid zugleich zu zeigen versucht, dass die Konventionen des Dramas bestimmte unwahrscheinliche Handlungen eben nötig machen.723 An vielen anderen Stellen wird höchste Wertschätzung für Corneille deutlich, die nicht nur auf dessen magna […] prudentia et arte („mit großer […] Umsicht und Kunstfertigkeit“)724 verfassten Stücken beruht, sondern auch auf dessen Examens und Discours, auf die sich Weitenauer zur Unterstützung seiner Argumentation mehrfach bezieht.725 Neben Corneille bekundet Weitenauer unter den französischen Dramatikern Molière und de la Rue die deutlichste Zustimmung. Racine erscheint zwar überwiegend positiv, die für Jesuitendramatiker typische ambivalente Haltung gegenüber dem als Dichter der Leidenschaften verrufenen Dramatiker teilt der Jesuit aber.726 Aus ähnlichen Gründen äußert sich Weitenauer im Vorwort der Tragödie Demetrius ablehnend gegenüber Thomas Corneille: Dessen Tragödie sei non morum, sed amorum schola („keine Schule der Sitten, sondern der Liebe“).727 Voltaire wird zwar als formales Vorbild anerkannt, Weitenauer tadelt aber, dass dessen Mahomet zu sehr auf das delectare hin angelegt sei.728

 Von einer „bedingungslosen Corneille-Verehrung“ (Kellner 1958, S. 109) kann man nicht ausgehen.  Valentin 2007, S. 314.  Weitenauer 1757, S. 22.  Weitenauer 1757, S. 26. Vgl. Corneille 1980, Bd. 1, S. 699–707.  Weitenauer 1757, S. 8.  Weitenauer 1757, S. 96.  Vgl. Weitenauer 1757, S. 80; 95; 105; 109; 111; 112.  Weitenauer 1757, S. 73 bzw. 159. Weitenauer zitiert u. a. die Racine-Kritik des Jesuiten Natalis Stephan Saladon.  Weitenauer 1758, S. 396.  Weitenauer 1757, S. 170. Vgl. Kellner 1958, S. 111.

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5 Literarhistorischer Kontext

Insgesamt positioniert sich Weitenauer als Vertreter eines zwar moralisch gefilterten, aber rigiden Klassizismus und damit weniger als Pendant zu Lessing als vielmehr als Geistesverwandter Gottscheds, der im Ars-poeticaKommentar als severus censor Erwähnung findet.729 Die aristotelischen Vorgaben sind hier strenger eingehalten als bei Claus und Neumayr. Den ‚mittleren Helden‘, den Weitenauer, da er bei Horaz nicht aufgegriffen wurde, in seinem Ars-poetica-Kommentar nicht thematisieren kann, erklärt er im Vorwort von Annibal tragoedia für eine Voraussetzung für die Erregung von Furcht und Mitleid.730 Die beiden Affekte sind für ihn gattungskonstitutiv und können nicht, wie in Neumayrs Dramentheorie, durch andere Kategorien ersetzt werden – die Propagierung von Tugenden ist in Weitenauers Tragödientheorie nicht vorgesehen. Folglich handelt es sich bei seinen Tragoediae autumnales durchwegs um Tragödien im klassischen Sinn; alle fünf Stücke enden ‚tragisch‘. Ursache für die negative Entwicklung ist eine Charakterschwäche der Hauptfiguren, die in den Schlussrepliken in einer Art fabula docet als Laster gebrandmarkt ist. Bereits eine oberflächliche Leküre der Tragödien der hier vorgestellten jesuitischen Autoren zeigt, dass die theoretisch formulierten ästhetischen Prinzipien sich auch in der Praxis niederschlugen. Die Stücke heben sich von der jesuitischen Tradition unter denselben Gesichtspunkten ab wie Claus’ Tragoediae. Das Bemühen um ein rationales Handlungsgefüge, Wahrung der empirischen Wahrscheinlichkeit sowie psychologische Plausibilität und Kontinuität, die Vermeidung des Wunderbaren sind auch kennzeichnend für die Tragödien von Friz, Neumayr und Weitenauer. Selbiges gilt für sprachliche Neuerungen: Auf rhetorische Gestaltung der Latinität sowie Ausfaltungen etwa in Form von Gleichnissen, wie es für den Stil der senecanischen Tragödie typisch ist, verzichten die Autoren. Die Länge der Repliken nimmt tendenziell ab, Neumayr und Friz geben auch die Versform auf. Claus, Neumayr und Friz erlauben mit ihren kurzen, syntaktisch einfachen Sätzen eine flüssige Lektüre; in den Dramen Weitenauers besteht die Schwierigkeit – neben den häufigen gelehrten Anspielungen – sogar in starker stilistischer Verknappung.

.. Überwindung des senecanischen Dramenmodells Die Orientierung an klassizistischen Modellen bedeutete nicht nur ein Zurücktreten der Relevanz der barocken Jesuitenpoetiken, deren Einfluss auf die Büh-

 Weitenauer 1757, S. 111.  Weitenauer 1758, S. 2.

5.1 Klassizismus auf der Jesuitenbühne

267

nenpraxis schon für das siebzehnte Jahrhundert als relativ gering zu veranschlagen ist. Wichtiger ist in einem auf imitatio gegründeten Literaturkonzept die Ablöse traditioneller Vorbilder der jesuitischen Dramatiker, nämlich der manieristischen Literatur der silbernen Latinität, insbesondere der Dramen Senecas.731 Die zehn unter dem Namen Senecas überlieferten Tragödien waren für das Ordensdrama – wie für fast die gesamte lateinische Tragödientradition seit Albertino Mussatos Ecerinis (1314/15) – das traditionelle Bezugswerk gewesen. Zwar sind senecanische Dramen selbst auf den Jesuitenbühnen so gut wie nicht belegt, der Einfluss dieser Stücke auf die Theaterpraxis des Ordens war aber enorm, nicht zuletzt deswegen, weil Hercules furens und Hercules Oetaeus zum Lektürekanon der Ordensschulen gehörten,732 die Ordensdramatiker sich also bereits in ihrer Jugend mit diesen Dramen auseinandersetzten. Dass die dem Prinzip der Nachahmung verpflichteten Unterrichtsmethoden an den Jesuitengymnasien die Latinität ihrer Abgänger auch in stilistischer Hinsicht nachhaltig prägten, versteht sich. Zur Veranschaulichung mag der Fall des italienischen Jesuiten Giuseppe Enrico Carpani (1683–1762) genügen, der sich zwar im Vorwort einer seiner Tragödien explizit vom senecanischen Stil distanzierte, zugleich aber etliche Wortverbindungen und Versklauseln aus SenecaTragödien übernahm, weil er sie offenbar noch im Hinterkopf hatte.733 Die überragende Stellung Senecas in der Frühzeit des Jesuitentheaters schlug sich erwartungsgemäß auch in poetologischer Theorie nieder. Jakob Pontanus gab in seinen Poeticae institutiones von 1594 den Kurs vor: In tragoedia quam imitemur, exemplo suo docebit Seneca. („Welche Art der Tragödie wir nachahmen, wird Seneca mit eigenem Beispiel lehren.“)734 In seinem Gefolge ist die Autorität von Seneca im siebzehnten Jahrhunderts so gut wie ungebrochen.735 Johannes Bissel (1601–1682) stellte dessen Medea als vorbildliche Tragödie dar.736 Jakob Masen rekurrierte mehrfach auf senecanische Tragödien als Gattungs-

 Bauer 1986, S. 244 definiert die Orientierung am manieristischen Stilideal der silbernen Latinität als ein Charakteristikum des Jesuitendramas um 1600.  Rädle 2013, S. 209. Vgl. auch Jouvancy 1725, S. 165.  Sanzotta 2016, S. . Vgl. auch die Überlegungen zu Intertextualität im Jesuitendrama in Bauer 2000, S. 79.  Pontanus 1594, S. 29–30.  Bezeichnend dafür ist, dass sich der Herausgeber der bedeutenden Sammlung Tragoediae patrum societatis Jesu Selectae (Cnorbarus 1634) im Vorwort (S. 3) dafür rechtfertigt, eine Anthologie lateinischer Tragödien vorzulegen, die nicht aus Seneca-Tragödien besteht.  Duhr 1913, Bd. 2,2 S. 554.

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5 Literarhistorischer Kontext

vorbilder.737 Noch für die 1730 erschienenen Dramen von Anton Maurisperg war Seneca maßgebend.738 Die Jesuiten übernahmen aus dem antiken Vorbild die pathetische und mit Sentenzen aufgeladene Sprache, die sich als moraldidaktisches Instrument in gleicher Weise nützlich erwies wie zur Durchsetzung ideologischer Interessen.739 Die Aktgestaltung mit den Chören am Aktschluss eignete sich ebenfalls zur Hervorhebung wichtiger Botschaften. Außerdem ließ sich die senecanische Gestaltung der einzelnen Repliken in den Dienst jesuitischer Menschenbildung nehmen. Das frühe Jesuitendrama, das vielfach den Menschen am Scheideweg vorführte, um auf die Möglichkeit, das Seelenheil positiv zu beeinflussen, aufmerksam zu machen, übernahm die langen, rhetorisch durchformten Repliken, weil sich in ihnen das Ringen des Einzelnen um Entscheidungen anschaulich vorführen ließ. Ab dem Beginn des achtzehnten Jahrhunderts verlor diese Autorität jedoch mehr und mehr an Gültigkeit. Erneut ist die Ratio Jouvancys ein markanter Einschnitt. Jouvancy empfiehlt zwar die Lektüre der senecanischen Tragödien für die Rhetorikklasse,740 vor Seneca als Vorbild für den Choragen warnt der Pädagoge jedoch: Obiter monebo Senecam illum, cujus extant fabulae, multa et gravia peccare contra leges artis. („Übrigens will ich mahnend darauf hinweisen, dass jener Seneca, dessen Dramen sich erhalten haben, in vieler Hinsicht und schwerwiegend gegen die Regeln der Dichtkunst verstößt“).741 Diese Beobachtung machte in der Folge Schule. Für Le Jay sind Corneille und Racine auch deshalb so bedeutend, weil geeignete lateinische Vorbilder fehlen: Non habuit Latina tragoedia tam idoneos auctores. („In der lateinischen Tragödie gibt es keine so geeigneten Vorbilder.“)742 Bei den klassizistischen Jesuitendramatikern des deutschsprachigen Raums ist Seneca als Vorbild schließlich gänzlich aufgegeben. Claus zählt ihn nicht zu seinen Vorbildern, Friz zieht ihm

 Masen 1983, z. B. S. 6, 22, 27.  Vgl. dazu Ludwig Fladerer: Senecanische Gnomik im Mucius Scaevola des Jesuiten Anton Maurisperg. http://gams.uni-graz.at/archive/objects/o:arj-07B-18/methods/sdef:TEI/getPDF.  Vgl. Rädle 2013, S. 212–213.  Jouvancy 1725, S. 165. Seneca tragicus ist für ihn nicht identisch mit dem Seneca der ethischen Schriften.  Jouvancy 1725, S. 75. Ähnlich Jouvancy 1718, S. 102: artem tragicam ignorat […] multo praestantior futurus si temperare genio suo, quam indulgere maluisset. („Die Kunst der Tragödie beherrscht er nicht. […] Er wäre viel besser gewesen, wenn er sein Talent, anstatt ihm Freiheit zu gewähren, gezügelt hätte.“)  Le Jay, 1726, S. 12. Explizit Kritik an den senecanischen Tragödien übt er auf S. 67.

5.1 Klassizismus auf der Jesuitenbühne

269

die griechischen Tragiker vor,743 Neumayr lehnt ihn ab.744 Weitenauer äußert sich überwiegend negativ,745 verwirft zudem mit Statius und Claudian Autoren, die den Seneca-Tragödien stilistisch nahestehen.746

.. Ursachen der Neuerungen In der Forschung zum Jesuitentheater ist bereits versucht worden, Ursachen für diesen ästhetischen Wandel geltend zu machen. Jean-Marie Valentin hat zu Recht betont, dass Pierre Corneille sich aufgrund seiner Weltanschauung sowie aufgrund seines persönlichen Verhältnisses zur Gesellschaft Jesu als Gewährsmann für eine Neuorientierung der Ordensbühne anbot. Er zieht aber zu weitgehende Schlüsse aus seinen Beobachtungen, wenn er die Bezugnahme auf Corneille als Bemühen auslegt, ein in die Krise geratenes Jesuitentheater zu rehabilitieren.747 Für eine Krise des Jesuitentheaters bereits in den 1720er Jahren lässt sich pauschal nicht argumentieren. Wenn man die Neuorientierung als eine strategische Maßnahme begreifen will, so muss man sie auf die Ablehnung des (Schul-)Theaters durch aufklärerische Utilitaristen beziehen. Die Kritik der Aufklärer an Lerninhalten und Vermittlungsmethoden an den Jesuitenschulen war nicht nur in Österreich schon lange vor der Implementierung des neuen Lehrplans von 1764 massiv gewesen, als das Herbstspiel durch eine oratio de utili quodam argumento („Rede zu einem nützlichen Thema“)748 ersetzt und de facto aus den Schulen verbannt wurde.749 Das Theaterspielen galt in diesen Kreisen als unnötige Zeitver-

 Tjoelker 2014, S. 110: Si e tragicis Sophoclem aut Euripidem potius intelligere conaremur et legeremus quam Senecam […] („Wenn wir von den Tragikern eher Sophokles und Euripides zu verstehen versuchten und läsen als Seneca […]“) S. 138: […] cuius tragoediae non ita ad leges factae sunt, ut exemplo esse possint. („[…] dessen Tragödien nicht so nach den Regeln verfasst sind, dass sie uns ein Vorbild sein könnten.“)  Neumayr 1751, S. 181: Senecae stylus turgidior est, quam ut genio nostri saeculi placeat. („Senecas Stil ist schwülstiger, als dass er dem Geschmack unserer Zeit gefallen könnte.“) Vgl. auch S. 173, wo Neumayr die Tragödien der Gegenwart denjenigen der Antike vorzieht.  Weitenauer 1757, S. 103.  Weitenauer 1757, S. 30.  Valentin 2007, S. 316; Valentin 1990, S. 225; 251–252. Siehe hier S. 16.  Aus dem neuen, von Giovanni Battista de Gaspari konzipierten Lehrplan Instructio pro scholis humanioribus. Abgedruckt bei Engelbrecht 1984, Bd. 3, S. 467–483, hier S. 477.  Grimm 1987, S. 304. 1768 wurden Schulschlussaufführungen schließlich per Beschluss untersagt. Bereits 1763 waren die Deklamationen verboten worden. Zur Kritik am jesuitischen Bildungssystem siehe Van Dülmen 1969, S. 65, 79–80. Seifert 1984; Heitz 2003, S. 333–334; Müller 1993. Als zeitgenössisches Dokument vgl. z. B. Litzel 1731, v. a. S. 57–68.

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5 Literarhistorischer Kontext

schwendung. Die Häufung poetologischer Arbeiten, in denen die Nützlichkeit der Regeltragödie betont wird, lässt sich vor diesem Hintergrund als ein Bemühen der Ordenspädagogen deuten, die Kompatibilität ihrer Theaterpraxis mit den Anforderungen eines aufgeklärten Bildungssystems zu propagieren. Zumal für die Niederschrift von Friz’ Epistola, der gute Beziehungen zum Habsburgerhof unterhielt und später selbst in die theresianischen Reformprozesse involviert gewesen sein dürfte, ist dies ein wahrscheinliches Motiv.750 Dass auch die Veröffentlichung von Claus’ Tragoediae damit in Zusammenhang stand, ist jedoch eher unwahrscheinlich – die Vorstellung einer über die konkrete Erziehungssituation hinausgehenden Nützlichkeit von Theater ist bei ihm nicht akzentuiert. Wollte man für Claus’ Klassizismus eine außerliterarische Ursache benennen, dann eher das Bedürfnis des Paters nach einer gefestigten Autorität. Wenn er entgegen der Choragentradition als individueller Autor in Erscheinung trat, so mussten seine Stücke zumindest poetologisch gut abgesichert sein. Mit der Bezugnahme auf Pierre und Thomas Corneille ließ sich das bewerkstelligen: Tantos authores secutum me hactenus nec pudere, nec poenitere debuit. („Dafür, so großen Autoren gefolgt zu sein, musste ich mich bislang weder schämen, noch bereute ich es.“)751 Gewichtiger für Claus’ Orientierung an der französischen Klassik – und auch für den Klassizismus späterer Choragen – scheinen mir indes genuin literarische Motive zu sein. Die Autoren schätzten die Dramen Corneilles persönlich als Lektüre und bemühten sich, ihre Begeisterung für das Schultheater fruchtbar zu machen. In den theoretischen Schriften von Friz und Weitenauer ist die ästhetisch begründete Ablehnung barocker Gestaltungsformen klar kenntlich gemacht. Für Claus ist mit ebensolchen Anschauungen zu rechnen. Dass die Autoren mit Stücken in klassizistischer Form Erfolg beim Publikum haben würden, war abzusehen, man traf den Geschmack der literarisch Gebildeten. Corneille zu folgen galt als modern; die barocke Ästhetik der senecanischen Dramentradition war insgesamt aus der Mode gekommen. Betrachtet man die Situation im deutschsprachigen Raum als Ganzes, so ergeben sich Analogien zwischen dem protestantischen Norden und dem katholischen Süden, die in einer Zeit durchlässig werdender konfessioneller Grenzen durch direkte Einflüsse verstärkt worden sein dürften. Was im deutschsprachigen Theater geschätzt wurde, gefiel auch im Jesuitentheater. In gleicher Weise wie Seneca im siebzehnten Jahrhundert nicht nur Modell für das neulateinische

 Tjoelker 2014, S. 22.  Claus 1741, S. 166.

5.2 Analoge Tendenzen im zeitgenössischen deutschen Drama

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Theater, sondern auch für das deutsche Barockdrama gewesen war,752 waren es im Zeitalter der Aufklärung die Dramatiker der französischen Klassik.

. Analoge Tendenzen im zeitgenössischen deutschen Drama Dem Verhältnis zwischen dem Jesuitendrama des achtzehnten Jahrhunderts und dem zeitgenössischen deutschsprachigen Drama ist bislang kaum wissenschaftliche Beachtung zuteilgeworden.753 Die lateinische Theaterkultur der Kollegien ist wohl überwiegend als hermetisches, mit der kontemporären volkssprachlichen Dramatik nicht in Interaktion stehendes Feld wahrgenommen worden, zumal eine konfessionell bedingte Separierung zwischen dem katholisch dominierten Bereich und den protestantischen Territorien, in denen das deutsche Drama der Aufklärung bekanntlich fast ausschließlich entstand, als nach wie vor gegeben angesehen wurde.754 Letzteres soll an dieser Stelle nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen werden. Zumindest für die erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts sind konfessionell begründete Vorbehalte und kulturelle Differenzen zwischen den beiden „konkurrierenden Bildungs- und Wissenschaftssystemen“ 755 noch als so wirkmächtig anzunehmen, dass man nicht leichthin von einem Einfluss protestantischer Literatur auf die jesuitische Dramenproduktion ausgehen kann.756 Eine solche Beeinflussung kategorisch auszuschließen verbietet sich jedoch gleichfalls, nicht zuletzt deswegen, weil die Rezeption protestantischer Literatur im Jesuitenorden ab der Jahrhundertmitte dokumentiert ist. Noch außergewöhnlich mag der Fall des liberalen Daniel Stadler (1705–1766) sein, des Beichvaters des späteren Kurfürsten Max III. Joseph, der mit Christian Wolff korrespondierte und 1745 dessen Erhebung in den Reichsfreiherrenstand anregte.757 Aussagekräftiger ist, dass in Neumayrs 1751 verlegter Idea poeseos

 Vgl. etwa Opitz’ Übersetzung der Troades von 1625. Dass die Dramen der deutschen Barockdichter von Seneca geprägt sind, ist communis opinio der Forschung. Vgl. z. B. Liebermann 1978; Kühlmann 1982a.  Symptomatisch dafür ist die sehr allgemeine Darstellung in Tjoelker 2016.  Vgl. z. B. Schindling 1994, S. 3; Breuer 2001, S. 7.  Breuer 2001, S. 7.  Hier soll zugleich darauf hingewiesen werden, dass die Ursprünge des Jesuitendramas im protestantischen Humanistendrama liegen. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts waren die Ziele des jesuitischen Schultheaters allerdings noch fast ausschließlich didaktischer Natur; zudem waren die konfessionellen Positionen in dieser Zeit noch nicht so verhärtet.  Hammermayer 1988, S. 1139.

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5 Literarhistorischer Kontext

Gottsched bereits ausdrücklich als vorbildlicher Autor Erwähnung fand,758 und das obwohl in Neumayrs Biographie antiprotestantisches Engagement noch auf der Tagesordnung stand.759 Möglicherweise hatten die guten Kontakte des Leipziger Autors zum Habsburgerhof – 1748 war am Burgtheater Sterbender Cato aufgeführt worden, 1749 hatte Gottsched bei Maria Theresia Audienz erhalten – für vermehrte Akzeptanz seiner Schriften in Jesuitenkreisen gesorgt. Ignaz Weitenauer äußerte sich in seinem Ars-poetica-Kommentar von 1757 bereits selbstverständlich positiv über Gottsched und Johann Christian Günther bzw. den Hugenotten Guillaume de Salluste Du Bartas, in den sechziger Jahren entstanden schon jesuitische Lesebücher mit Texten protestantischer Autoren.760 Für die Zeit, als Claus die Tragoediae ludis autumnalibus datae redigierte, sind derartige Rezeptionsdokumente nicht bezeugt. Nichtsdestoweniger scheint es plausibel, dass Claus in der Zeit der Entstehung der Sammlung mit den Reformideen Gottscheds in Berührung kam und von ihnen beeinflusst wurde. Die Überlegungen des Leipziger Autors hatten in literarischen Zirkeln des protestantischen Raums für Aufsehen gesorgt. Dass sich im Münchner St. MichaelsKolleg, dem kulturellen und ideologischen Zentrum der oberdeutschen Provinz, wo Claus sich in den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren aufhielt, in dieser Zeit keine Exemplare der Schriften Gottscheds befunden hätten, scheint eher unwahrscheinlich.761 Zeitgenössische kulturelle Diskurse schlicht zu ignorieren entsprach nicht der jesuitischen Gelehrsamkeit. Ein recht deutliches Indiz für eine Gottsched-Rezeption des Paters bieten die Observationes in Themistoclem: Der Dramatiker begründet darin seine Stoffwahl damit, der Protagonist seiner Tragödie eigne sich zur Vorführung patriotischer Tugenden noch besser als Cato, da sein Selbstmord dem Staat im Gegensatz zum Freitod des Republikaners konkret von Nutzen sei.762 Es scheint

 Vgl. hier S. 263.  In den späten 1720er Jahren trat Neumayr als rabiater Verfechter der Eindämmung von alpinem Kryptoprotestantismus in Erscheinung. Van der Veldt 1992, S. 62–73. Auch im Alter sprach Neumayr sich noch vehement gegen religiöse Toleranz aus. Vgl. Van der Veldt 1992, S. 79.  Denis 1766; Weitenauer 1768. Vgl. dazu Heitz 2003, S. 338.  Im handschriftlichen Bibliothekskatalog des Münchner Jesuitenkollegs von 1741 (Sig. BSB, Sig. Cbm. Cat. 308 c) sind Schriften Gottscheds, darunter Versuch einer critischen Dichtkunst und Bände der Deutschen Schaubühne verzeichnet, allerdings sieht es so aus, als sei der Eintrag von späterer Hand hinzugefügt worden. Der Katalog wurde zwar 1741 angelegt, das Datum ist aber nicht sehr aussagekräftig, da im Katalog auch Schriften aus den fünfziger und sechziger Jahren verzeichnet sind.  Claus 1741, S. 243.

5.2 Analoge Tendenzen im zeitgenössischen deutschen Drama

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abwegig, dass Claus hier nicht an Gottscheds Cato von 1732 gedacht hat. Zwar war der Cato-Stoff von den Wandertruppen auch in der Fassung Joseph Addisons häufig aufgeführt worden, es liegt jedoch nahe, dass Claus einen Vergleich mit dem Stück anstellen wollte, das Gottsched in der Vorrede als epochemachendes Drama angekündigt hatte. Themistocles würde von Claus demnach als Stück vorgestellt, in dem die Gottsched’sche Forderung nach gesellschaftlicher Nützlichkeit von Literatur überzeugender umgesetzt ist als in dessen eigenem Modellstück. Wenn Claus Sterbender Cato und wohl auch die Critische Dichtkunst gekannt haben dürfte, als er die Veröffentlichung seiner Stücke vorbereitete, so impliziert das nicht automatisch, dass Gottsched auch auf die Entstehung von Claus’ Dramen Einfluss genommen hat. Dass Claus Cato bereits kannte, als er 1733 seinen Themistocles verfasste, ist möglich; seine ersten beiden Tragödien entstanden allerdings bereits in einer Zeit, bevor Gottsched als Literat und Kritiker Berühmtheit erlangt hatte. Das Verhältnis zwischen den beiden Theaterreformern ist also komplex. Offenbar entwickelte Claus unabhängig von Gottsched eine ähnliche Ästhetik wie der Leipziger Literaturpapst, gab seinen Stücken aber möglicherweise unter dem Eindruck der Lektüre von Gottscheds Schriften einen letzten Schliff bzw. richtete seine poetologischen Paratexte an ihnen aus. Da diese Beeinflussung jedoch weder als gesichert gelten kann, noch ihr etwaiger Umfang zu bestimmen ist, soll hier nur von einer Reihe von Analogien zwischen den beiden Autoren ausgegangen werden. Diese sollen herausgearbeitet und dadurch die kongruenten Positionen der beiden Autoren in ihren jeweiligen literarischen Kontexten dingfest gemacht werden. Bemerkenswert erscheint vorab, dass Gottsched und Claus von den Zeitgenossen tatsächlich als Pendants gesehen wurden: In dem bereits zitierten Katalog vorbildlicher Tragiker der Literaturgeschichte in Neumayrs Idea poeseos werden die beiden in einem Atemzug als Beispielautoren für die deutsche bzw. die lateinische Tragödie genannt.763 Zu großen Teilen sind die im Folgenden vorgestellten Analogien sicherlich der unabhängig voneinander erfolgten Rezeption gemeinsamer französischer Vorbilder geschuldet. Ebenso wie Claus ist Gottscheds ästhetische Theorie und literarische Praxis der französischen Klassik verpflichtet. Sein literarisches Wirken wäre ohne diese Einflüsse nicht vorstellbar. Die Dramen Pierre Corneilles sind auch für ihn zentrale Bezugswerke. Im noch stärker von französischer

 Neumayr 1751, S. 173. Auch Weitenauer nennt Themistocles, Stilico, Cato und Johann Elias Schlegels Canut zugleich als Beispiele für moraldidaktisch wirksame Dramen. Weitenauer 1757, S. 32.

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5 Literarhistorischer Kontext

Hofkultur geprägten Norden Deutschlands war Corneille schon im siebzehnten Jahrhundert als Leseautor und poetisches Vorbild Wertschätzung zuteil geworden.764 Um die Jahrhundertwende nahm diese Rezeption im Zuge der allmählichen Ablehnung der ‚Schwulstpoesie‘ der schlesischen Dichterschule noch einmal zu.765 Dichter wie Friedrich Canitz, Johann Besser, Johann Ulrich König oder Benjamin Neukirch orientierten sich stilistisch an französischen Idealen, insbesondere an Nicolas Boileau und dessen Art poétique (1674), für Gottsched der Inbegriff des Klassizismus,766 und hielten auch belletristische Texte aus dem Frankreich Ludwigs XIV. in Ehren. Die französischen Truppen, die an den Höfen engagiert waren, spielten gelegentlich französische Tragödien,767 die Prinzipale der Wandertruppen führten Le Cid und Polyeucte in ihrem Programm. Letzteres erfolgte allerdings in vom Original deutlich abweichenden Fassungen, die über Gattungsnormen großzügig hinwegsahen: Le Cid wurde in Form einer Haupt- und Staatsaktion geboten, Polyeucte in der freien Bearbeitung von Christoph Kormart (1669).768 Damit wurde dem Geschmack des zeitgenössischen Publikums Genüge getan, das das wuchtige Pathos des reinen Trauerspiels wenig schätzte und ihm neben unterhaltsamen Opern und Singbzw. Lustspielen mit komischen Elementen versetzte Darbietungen tragischer Stoffe vorzog.769 Die endgültige Durchsetzung Corneilles auf den deutschen Bühnen erfolgte auf Intervention Gottscheds.770 Dieser hatte bekanntlich, wie er in der Vorrede zum Cato erläuterte, anhand der Aufführung eines Prosa-Cid 1724 in Leipzig „den großen Unterscheid zwischen einem ordentlichen Schauspiele und einer regellosen Vorstellung der seltsamsten Verwirrungen“ 771 erkannt und sich in der Folge mit wichtigen poetologischen Arbeiten von der Renaissance bis zu seiner Gegenwart vertraut gemacht.772 Darauf gründete er sein Reformprogramm: Auf seine Anregung hin, regelmäßige Trauerspiele auf die Bühne zu bringen und dadurch das deutsche Theater von Grund auf zu erneuern, adaptierte die Neuber’sche Truppe ihr Repertoire und führte fortan überpropor-

 Béhar 2007, S. 73.  Zur Ablehnung der Schwulstpoesie vgl. z. B. Haller 1958, S. 687–689.  Martino 1978, S. 310. Julliard 2003.  Jaubert 2007, S. 174–177. Kurze Komödien waren allerdings weitaus häufiger.  Jaubert 2007, S. 177. Zu Kormarts ‚politischen‘ Bearbeitungen vgl. Meid 2009, S. 377.  Alt 1994, S. 40: „Zwischen 1685 und 1732 erscheinen in Deutschland lediglich neun Originaldramen, die man dem tragischen Genre zurechnen kann.“  Jaubert 2007, S. 177.  Gottsched 2009, S. 199.  Gottsched 2009, S. 200–201. Eine jüngere Einführung in Gottscheds Entwicklung zum Theatertheoretiker bietet Heßelmann 2014.

5.2 Analoge Tendenzen im zeitgenössischen deutschen Drama

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tional häufig französische Tragödien auf, wobei Corneille neben Voltaire der am öftesten gespielte Tragiker war.773 Prinzipale anderer Truppen übernahmen das Reformprogramm.774 Dennoch wird Corneille von Gottsched nicht ausschließlich positiv gesehen. Neben nationalem Konkurrenzdenken775 steht seine Vorliebe für den Corneille-kritischen, rigiden Aristoteliker d’Aubignac einer einseitig affirmativen Rezeption im Wege.776 In Bezug auf Le Cid bemerkt Gottsched etwa, die Académie française habe gut daran getan, an diesem Stück Kritik zu üben, da sie dadurch dazu beigetragen habe, ein Bewusstsein für fehlerhafte Trauerspiele zu schärfen.777 Gottsched stößt sich unter anderem an der ursprünglichen Bezeichnung als Tragikomödie, einer Gattungsbezeichnung, die er nicht zuletzt aus Ablehnung der Haupt- und Staatsaktionen verwirft.778 Auch an der wenig strikten Auslegung aristotelischer Regeln übt er Kritik, erweist sich in dieser Hinsicht also als strenger als Claus. Trotz dieser Einschränkungen erklärt Gottsched Corneilles Tragödien – allen voran Cinna – für modellhaft für den Aufbau eines deutschen Nationaltheaters. In Die Deutsche Schaubühne nahm er Übersetzungen von Horace (Glaubnitz 1729) und Le Cid (Lange 1699) auf. Der französische Dramatiker war für Gottscheds Reformprogramm also ähnlich bedeutend wie für Claus’ innovatives Jesuitentheater. Neben den Franzosen erwähnt Gottsched selbstverständlich auch antike Theoretiker als Autoritäten. Horaz zitiert er vielfach; grundlegend ist wie für Claus das Regelwerk des Aristoteles, wie Claus rezipiert Gottsched die Poetik durch die Brille französischer Exegeten. Unterschiedliche Herangehensweisen bedingen freilich unterschiedliche Perspektiven: Während der Theaterpraktiker Claus auf die philologisch ungenaue, auf praktische Umsetzung bedachte

 Jaubert 2007, S. 178.  Aus ökonomischen Gründen scheinen sich viele dieser Truppen allerdings schon nach wenigen Jahren wieder auf die publikumstauglicheren Komödien beschränkt zu haben. Jaubert 2007, S. 183. Als literarästhetisches Ideal setzte sich Gottsched mit seinen Vorstellungen aber vorerst durch.  Zwar gesteht er zu, dass sich „die Ausländer, und sonderlich die Franzosen, […] viel genauer nach den Regeln und Mustern der Alten gerichtet [haben], als unsre deutsche Dichter des vorigen Jahrhunderts.“ Gottsched 2009, S. 255. Ihre Dramenkunst zu übertreffen ist jedoch zumal für den älteren Gottsched ein Desiderat.  „Wo der berühmte Corneille und andre Franzosen sich als Meister erwiesen haben, da hat er [d’Aubignac] ihnen das gebührende Lob nicht versagt. Wo sie aber wieder die Natur verstoßen, da hat ihnen seine geschickte Feder ihre Fehler so artig zu verweisen gewußt, daß sie sich glücklich schätzen müssen, von diesem großen Manne beurtheilet worden zu seyn.“ Gottsched 1738, S. 142.  Gottsched 1735, S. 614–615.  Julliard 1998, S. 116–117.

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5 Literarhistorischer Kontext

Aristotelesvermittlung des Dramatikers Corneille rekurriert, rezipiert der stärker theoretisch interessierte Gottsched auch Autoren, die den Aristotelismus strenger fassen (d’Aubignac, Saint-Évremond); auf den aristotelischen Text blickt ersterer vermittels der lateinischen Übersetzung von Pazzi de’ Medici, letzterer vermittels André Daciers französischer Übersetzung. Ein weiteres gemeinsames Vorbild ist Terenz. Der Komiker, der in der Renaissance ebenso wie im Frankreich des siebzehnten Jahrhunderts bereits als Stilist geschätzt worden war, gilt Gottsched als ideales Vorbild für das Lustspiel: „Es muß also eine Komödie eine ganz natürliche Schreibart haben, und wenn sie gleich in Versen gesetzt wird, doch die gemeinsten Redensarten beibehalten. Hierin ist Terentius abermal unvergleichlich.“ 779 Claus betonte die Vorbildwirkung von Terenz zwar nicht, eine stilistische Untersuchung seiner Stücke fördert jedoch eine offensichtliche Beeinflussung durch den ‚mittleren Stil‘ des römischen Komikers zutage.780 Kommen wir nun zu den konkreten Parallelen zwischen den poetologischen Konzepten von Claus und denjenigen Gottscheds. Die sich überschneidenden Theaterideale der deutschen Frühaufklärung und des zeitgenössischen Jesuitendramas zeigen sich zuallererst in Hinblick auf den Aufbau eines Stücks. Eine nach klaren Regeln gefügte Tragödie ist für Gottsched das poetische Realisat vernünftig-aufklärerischen Denkens; ein rationaler Bauplan ist für ein Drama in seinen Vorstellungen somit schon aus ideellen Gründen unverzichtbar. Daraus folgt eine ästhetische Präferenz: „Das genaue Verhältnis, die Ordnung und richtige Abmessung aller Teile, daraus ein Ding besteht, das ist Quelle aller Schönheit.“ 781 Leitprinzipien der Handslungsentwicklung sind Beschränkung auf Wesentliches, Ordnung und Wahrscheinlichkeit. Die stringente, auf der Einhaltung der aristotelischen Einheiten beruhende Struktur von Claus’ Tragödien entspricht durchwegs diesem Konzept. Ein rationaler, dem Prinzip der Nachvollziehbarkeit verpflichteter Aufbau ist auch für das Drama des Jesuiten grundlegend. Analog gestaltet sich auch der konkrete Zugang zur Handlungskonzeption: Die Dramatiker der Frühaufklärung und die Jesuiten vertraten gleichermaßen die auf Aristoteles gründende Idee eines Primats der

 Gottsched 2009, S. 193, vgl. Julliard 1998, S. 156–157.  Siehe hier S. 124. Kennzeichnend ist ferner, dass zwischen Gottsched und den Jesuitenchoragen auch hinsichtlich der aus stilistischen Gründen abgelehnten Autoren Übereinstimmung herrscht. Die Autoren, die Gottsched in der Critischen Dichtkunst (Gottsched 2009, S. 50) als Negativexempla anführt – Statius, Claudian, Lucan, Seneca, Marino, Hofmannswaldau, Lohenstein –, werden auch von Friz und Weitenauer ausdrücklich abgelehnt. Tjoelker 2014, S. 110. Weitenauer 1757, S. 60, 88–89. Direkte Beeinflussung ist hier allerdings naheliegend.  Gottsched 2009, S. 71.

5.2 Analoge Tendenzen im zeitgenössischen deutschen Drama

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Handlung über die Charaktere.782 Ausgangspunkt eines Dramatikers ist die Fabel, Psychologie wird erst in einem weiteren Schritt in das Handlungssystem eingepasst.783 Auch bei der Konzeption der Figuren ist Wahrscheinlichkeit, das bedeutet auf empirische Beobachtung beruhende Psychologie, zentral für Gottsched und den jesuitischen Klassizismus.784 Hier lässt sich zudem die gemeinsame Tendenz beobachten, Figuren so zu übernehmen, wie sie von den historischen Überlieferungsträgern dargestellt sind.785 Gottsched berief sich dafür auf einen Passus in Horaz’ Ars poetica.786 Dass Claus diesen Gedanken in den Observationes mehrfach betonte, könnte auch einem vermittelnden Einfluss Gottscheds geschuldet sein. Eine Parallele zwischen Gottscheds und Claus’ Theaterverständnis ergibt sich weiters in Bezug auf stilistische Vorlieben. Beide sprechen sich für die Verwendung einer klaren, situationsadäquaten Sprache aus. „Falsche[n] Hoheit“ ist dem Autor der Critischen Dichtkunst „ganz unerträglich“,787 ein guter Dichter weiß „die hohe Schreibart durch die Regeln der Wahrscheinlichkeit zu mäßigen.“ „Allein in der Tragödie kommt der Poet gar nicht zum Vorschein, sondern es reden lauter andre Leute, die mit an den Begebenheiten teilhaben und als ordentliche Menschen eingeführet werden müssen.“ 788 Ganz ähnlich formulierte Claus im Vorwort der Tragoediae unter Bezugnahme auf Corneille: Neque eandem styli gravitatem, quae carmini epico convenit […], etiam in tragico semper requirendam Cornelius observat, cum ii, quos in scena loquentes poeta inducit, ipsi poetae non sint. („Corneille beobachtet, dass man in der Tragödie nicht immer nach derselben Stilhöhe streben soll, […] wie sie einem epischen Gedicht angemessen ist, weil diejenigen, die der Dichter auf der Bühne sprechen lässt, selbst keine Dichter sind.“)789 Ein auffälliger Bruch mit der angestrebten Natürlichkeit der Sprache ist ebenfalls konvergent: Die gattungstypische Gestaltung der Tragödie in Versen wird sowohl von Gottsched als auch von Claus beibehalten. Beide übernehmen die jeweils traditionelle sechshebige

 Martino 1972, S. 305. Gegensätzlich verhalten sich z. B. die Dramen Shakespeares.  Vgl. die systematische Anleitung an den Tragiker in Neumayr 1751, S. 176–178 basierend auf Gottsched 2009, S. 161.  Siehe z. B. Gottsched 2009, S. 83: „Denn hier [in der theatralischen Poesie] muß ein Poet alles, was von dem auftretenden Helden oder was es sonst ist, wirklich und der Natur gemäß hätte geschehen können, so genau nachahmen, daß man nichts Unwahrscheinliches dabei wahrnehmen könne.“  Gottsched 2009, S. 168. Zu Claus siehe hier S. 61.  Hor. Ars 120–124.  Gottsched 2009, S. 169–170.  Gottsched 2009, S. 171.  Claus 1741, S. []–[]. Vgl. Corneille 1980, Bd. 3, S. 134.

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5 Literarhistorischer Kontext

Versform: Gottsched den Alexandriner des deutschen Trauerspiels, Claus den jambischen Trimeter der lateinischen Tragödie. Aussagekräftige Analogien sind auch in Bezug auf die Wirkungsästhetik auszumachen. Kernstück der Theorie ist jeweils die Vorstellung einer gesellschaftlichen Nützlichkeit von Theater. Gottsched legte den Nutzen, den das Theater leistet, als ethische Belehrung des Publikums klar fest. Sein eindeutigstes Plädoyer für das Theater ist die Rede Die Schauspiele, und besonders die Tragödien sind aus einer wohlbestellten Republik nicht zu verbannen (1742): „Ein Trauerspiel […] ist ein lehrreiches moralisches Gedichte.“ 790 Ziel der Tragödie ist „eine Aufmunterung zur Tugend, eine Züchtigung der Laster.“ Dass dies Claus’ Vorstellungen entspricht, braucht nicht vertieft zu werden; in seinen Observationes sind derartige Konzepte etwa unter den Abschnitten scopus tragoediae explizit formuliert. Die Nützlichkeitsästhetik, der Gottsched und seine Mitstreiter das Theater unterwarfen, lässt sich als Anstrengung deuten, eine Einrichtung zu rechtfertigen, die aufgrund praktisch-utilitaristischer Denkweisen ebenso Zielscheibe multipler Kritik geworden war wie aus religiös-puristischen Motiven.791 Unter den Jesuiten ist eine theaterapologetische Perspektive, wie gezeigt, am stärksten mit Friz’ Epistola in Zusammenhang zu bringen. Das strenge formale Korsett der Tragödie ist für Gottsched zumal deshalb von Bedeutung, weil die intendierte Wirkung des Trauerspiels sich in seiner Vorstellung nur innerhalb des strengen Rahmens der Wahrscheinlichkeit vollziehen kann und letztere nur in einer „regelmäßigen und wohleingerichteten Tragödie“ 792 gewährleistet ist – ein Ansatz, der sich explizit auch bei Friz findet.793 Um die pädagogische Wirksamkeit zu erhöhen, wird im deutschen Drama wie im Jesuitentheater eine Fokussierung auf ein bestimmtes Thema vorgenommen. Das deutsche Drama der Frühaufklärung ist wie das zeitgenössische Ordensdrama objektivistisch angelegt. Der subjektive Rezeptionsspielraum des Zuschauers ist verschwindend gering, idealiter gar nicht vorhanden; das Stück bietet nur eine, als objektiv anerkannte Wahrheit an, die im Schwange des zeitgenössischen Erkenntnisoptimismus als kollektive Besserungsmaßnahme den Nutzen der Rezeption garantieren soll. Der Glaube an die Übertragungsmöglichkeit und Anwendbarkeit dieser moralischen Wahrheit ist uneinge-

 Gottsched 2009, S. 5.  In seiner Argumentation stützte Gottsched sich auf französische Vordenker, die in ihrem Land mit vergleichbaren Anfechtungen seitens der Orthodoxie zu kämpfen hatten, in erster Linie auf Fénelon, d’Aubignac und Porée. Julliard 1998, S. 54–62.  Gottsched 2009, S. 5. Vgl. auch S. 34: „Denn wenn eine Fabel nicht wahrscheinlich ist, so taugt sie nicht.“  Tjoelker 2014, S. 78.

5.2 Analoge Tendenzen im zeitgenössischen deutschen Drama

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schränkt.794 Um dieses Ziel zu erreichen, ergänzt Gottsched wie die Jesuitendramatiker die aristotelische Funktionsbestimmung um die Kategorie der Bewunderung. Die beidseitige Rezeption der Ästhetik Corneilles wird an diesem Ansatz besonders deutlich: „Ich bewundere solche Helden. Ich verehre ihre Vollkommenheit. Ich fasse einen edlen Vorsatz, sie nachzuahmen, und fühle einen heimlichen Ehrgeiz, nicht schlechter als sie befunden zu werden.“ 795 Die Handlungen des Helden sollen vom Publikum als vorbildlich begriffen werden – Rezeption ist also eine aktive intellektuelle Leistung – und zur Nachahmung anregen, wobei sich letztere aufgrund der sozialen Diskrepanz zwischen dem Tragödienpersonal und dem Gros der Zuschauer in erster Linie natürlich nicht auf die heroischen Taten an sich bezieht, sondern auf vergleichbare Handlungsweisen im bürgerlichen Alltag. Stücke wie Themistocles oder Cato sollen nicht Staatsmänner angesichts auswegloser Situationen zum Selbstmord anregen, sondern dazu, Entscheidungen auch gegen den eigenen Vorteil zu fällen. Der Zuschauer soll in der Fiktion der Bühnenhandlung mit einer schwierigen Situation konfrontiert werden, die er auf seine eigene Realität beziehen kann; durch die Überwindung dieser Situation soll er für sein eigenes Leben Schlüsse ziehen können. Gerade in der Unähnlichkeit der Lage des Protagonisten und des Publikums sieht Gottsched eine Qualität seines Tragödienprogramms, weil der Zuschauer sich angesichts der großen Schwierigkeiten, vor die er die Hauptfigur gestellt sieht, aufgefordert weiß, seine eigenen, wesentlich unbedeutenderen Probleme zu erdulden und rational zu meistern.796 Übereinstimmungen sind auch in stofflicher Hinsicht zu beobachten. Ebenso wie Claus’ weltliche Jesuitendramen bezieht auch die Tragödie der deutschen Frühaufklärung ihre Stoffe aus der Geschichte, häufig der Geschichte des Altertums; das ist auch insofern eine gewichtige Parallele, als weltliche Stoffe auf der Jesuitenbühne, wie oben ausgeführt, bis ins achtzehnte Jahrhun-

 Die Überlegungen zum Drama der Frühaufklärung, die Albert Meier im Rahmen seiner Analyse von Gottscheds Tragödie Agis, König zu Sparta (1745) angestellt hat, lassen sich umstandslos auf das Jesuitendrama von Claus übertragen (Meier 1993b, S. 74): „Eine so komplexe und in sich widersprüchliche Interpretationsgeschichte, wie sie etwa Georg Büchners Dramen Dantons Tod und Woyzeck provoziert haben, ist bei den Tragödien der Frühaufklärung undenkbar. Unter Berücksichtigung der historischen Normen kann bei ihnen immer nur die literarische Qualität strittig sein, nicht aber der ethische Gehalt bzw. die weltanschauliche Stellungnahme. Unbeschadet aller sonstigen Differenzen gestaltet das Theater dieser Zeit […] eine in den Grundzügen jeweils eindeutige Lehre, deren Wahrheitsgehalt zumindest im Argumentationszusammenhang des jeweiligen Werkes außer Frage steht.“  Gottsched 2009, S. 7. Zu Claus siehe hier S. 59–60.  Gottsched 2009, S. 9.

280

5 Literarhistorischer Kontext

dert selten waren.797 Auf Basis der Ständeklausel sollten Heroenstoffe geboten werden, da mit ihnen besonders eindrückliche dramatische Konflikte vorgeführt werden konnten. Eigentlicher Gegenstand waren somit nicht die Sorgen des Einzelnen, sondern staatsgefährdende Konflikte. Der Begriff des republikanischen Trauerspiels, der für die Beschreibung des deutschen Dramas im Gefolge Gottscheds geprägt worden ist,798 lässt sich in gleicher Weise auf Claus’ Tragödien anwenden, vor allem dann, wenn man die Begrifflichkeit ‚republikanisch‘ nicht im Sinne eines modernen Demokratismus in Abgrenzung zur Monarchie, sondern als Dienst an der res publica in Abgrenzung zu Egoismus und Tyrannei begreift.799 Das Drama dieser Zeit ist ein Aufruf an das Publikum, sich für das Gemeinwohl einzusetzen und individuelle Bedürfnisse der Nützlichkeit für das Kollektiv hintanzustellen. Claus’ Tragödien Scipio und Themistocles sind innerhalb dieser Gedankenwelt ideale Modellstücke. Die in ihnen vermittelten Ansichten sind repräsentativ für den dominierenden Typus des historischen Lehrstücks, der sich in Deutschland in den ersten Jahren von Claus’ literarischer Tätigkeit erst zu etablieren begann. Jakob Bodmer, der in den fünfziger Jahren zahlreiche politische Dramen verfasste, formulierte in einem anonym veröffentlichten Beitrag in Johann Georg Sulzers Allgemeiner Theorie der Schönen Künste (1771–1775) eine Theorie des politischen Trauerspiels und definierte es als eine Gattung, in der die „Vortheile der Geschichte und der Tragödie vereiniget seyen.“ 800 Bodmer, der mit seinen Stücken einen die „Privattriebe des Menschen“ aufzehrenden „patriotischen Staatsenthusiasmus“ wecken wollte,801 äußerte sich darin besorgt über (angeblich) jüngere Tendenzen der Bühne, etwa über die Mode, statt der „Vaterlandsliebe“ die „Weiberliebe“ 802 darzustellen. Er erwies sich damit als Verfechter genau jenes antiindividualistischen Rationalismus, den Claus in Scipio auf die Bühne gebracht hatte. Gefühlsgelenkten Entscheidungen sollte die Vernunft vorbeugen.803  Siehe hier S. 127.  Vgl. Meier 1993b, S. 20–35.  Inwieweit republikanische Ideen nach modernen Vorstellungen ein ernst zu nehmendes Anliegen der frühaufklärerischen deutschen Dramatiker gewesen sind, soll hier nicht diskutiert werden. Kaum leichter zu beantworten ist die Frage nach solchen Tendenzen auf der Jesuitenbühne, wo sich für das 18. Jahrhundert jedenfalls eine Häufung entsprechender Sujets feststellen lässt. Vgl. dazu die Überlegungen zur Innsbrucker Bühne von Stefan Tilg in Korenjak 2012, S. 677–680.  Sulzer 1792, Bd. 3, S. 711. Zur Autorschaft vgl. Meier 1993b, S. 9, Anm. 6.  Bürger 1997, S. 71.  Sulzer 1792, Bd. 3, S. 715.  Die Milde, die in Scipio ebenfalls angelegt ist und zu den zentralen Werteparadigmen des späten Jesuitendramas gehört, ist in der kontemporären deutschsprachigen Literatur ebenfalls

5.2 Analoge Tendenzen im zeitgenössischen deutschen Drama

281

Bekanntlich blieb das Paradigma des heroisch-gefühlskritischen Dramas für das deutsche Trauerspiel bis zu Lessing dominierend – erst in Stücken wie Miß Sara Sampson (1755) oder Christoph Martin Wielands Lady Johanna Gray (1758) dokumentiert sich eine Interessensverlagerung von politisch-ethischen Fragen hin zu privaten, bürgerlichen Themen; erst fortan tritt subjektives Erfahren an die Stelle objektiver Werte.804 Das empfindsame Dramenparadigma kam damit bezeichnenderweise in jenen Jahren in Gang, als die letzten großen jesuitischen Tragödiensammlungen publiziert wurden (nach 1758 erschien noch Neumayrs Theatrum politicum 1760 sowie Friz’ zweite Dramensammlung 1764805). Es konnte sich insbesondere im norddeutschen Raum rasch durchsetzen.806 In Süddeutschland und Österreich gab es jedoch in konservativen Kreisen stärkere Vorbehalte bis hin zu offener Gegnerschaft gegen den neuen Dramentyp. Beanstandet wurden sowohl empfindsame Motive und Haltungen an sich als auch das Fehlen moraldidaktisch verwertbarer Inhalte. Neben dem Reformierten Bodmer sowie seinem Freund Sulzer trat der ehemalige jesuitische Dramatiker Anton von Klein mit seiner Kampfschrift Ueber Lessings Meinung vom heroischen Trauerspiel und über Emilia Galotti (1780) als erbittertster Kritiker Lessings auf.807 Ausgehend von diesen Zirkeln behielt die Bewunderungstragödie noch bis über das Ende des Jahrhunderts hinaus eine bedeutende Anhängerschaft in den katholischen Gebieten. Dramatiker, die zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts nach wie vor in der frühaufklärerischen Tendenz der doctrine classique weiterschrieben, waren unter anderem die Österreicher Cornelius Hermann von Ayrenhoff und Heinrich Joseph von Collin. Auch die im folgenden Kapitel besprochene Rezeption von Claus’ Dramen in der zweiten Jahrhunderthälfte gehört zu diesem Strang der Literaturgeschichte.

prominent thematisiert worden. Johann Elias Schlegels Canut (1746), der in der Forschung gemeinhin als Vorreiter der Dramatik der Empfindsamkeit gilt, widersetzt sich auf den ersten Blick der Einordnung in das heroische Paradigma, weil der Autor in der Figur Ulfo einen verbrecherischen Helden aufbietet und in der „Verzeihensbereitschaft des Königs Canut ein konträres Moralverständnis erscheint.“ (Meier 1993b, S. 9.) Unter anderem sind es also die antimachiavellistischen Tendenzen des Stücks, die als Anzeichen für einen Bruch mit der traditionellen Heldentragödie verstanden worden sind. Auf der Jesuitenbühne waren diese Tendenzen seit Langem verbreitet.  Vgl. Meier 1993b, S. 9–10; Schulz 1988, S. 233.  Die lateinischen Schuldramen von Michael Denis erschienen erst 1794 in einem Sammeldruck; die Veröffentlichung hatte somit einen ganz anderen literarhistorischen Hintergrund als die Sammlungen der vierziger bis sechziger Jahre.  Meier 1993b, S. 12.  Meier 1993b, S. 12, Anm. 16. Vgl. auch Meier 1993a.

6 Nachleben In diesem Kapitel werden Dokumente vorgestellt, die eine künstlerische Beschäftigung mit Claus’ Stücken bezeugen. Für gewöhnlich beschränkte sich die Rezeption eines Jesuitendramas auf den Tag der Aufführung.808 Ein nennenswertes Nachleben blieb den meisten Texten versagt, sieht man von der Tradierung von Stoffen und der Weitergabe von Stückideen innerhalb des Ordens ab. Claus’ Dramen, insbesondere seinen Tragoediae, wurde hingegen ein vergleichsweise reiches Nachleben zuteil. Unterschiedliche Rezeptionsdokumente bezeugen eine Auseinandersetzung mit ihnen bis ins frühe neunzehnte Jahrhundert.

. Claus’ Dramen und der ‚jesuitische Kanon‘ Intensiv rezipiert wurden Claus’ Dramen zunächst von anderen Ordenschoragen. Zahlreiche Aufführungen, die auf den Tragoediae basieren bzw. von ihnen angeregt wurden, sind dokumentiert; viele weitere, vor allem auch die Verwendung der Exercitationes für Deklamationen und Klassenübungen, können angenommen werden. Diese Aufführungen sind im Kontext einer Entwicklung zu sehen, die für die Jesuitenbühnen in den letzten drei Jahrzehnten vor der Aufhebung des Ordens zusehends von Bedeutung wurde: die Tendenz zur Schaffung eines dramatischen Repertoires. In früheren Zeiten hatte es Kanonisierungstendenzen nur in Ansätzen gegeben.809 ‚Stückwanderungen‘, Stoffund Motivübernahmen, die auf dem Austausch von Periochen oder auch Manuskripten beruhten, waren zwar seit jeher verbreitet,810 anhaltender Erfolg als Bühnenvorlagen war den Stücken aber in der Regel nicht beschieden. Erst ab der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts erhielt die Wiederverwendung von Stücken eine größere Tragweite. Grundlage dafür waren die gedruckten Dramensammlungen, die in den deutschsprachigen Gebieten seit den vierziger Jahren vermehrt entstanden waren. Sie führten zu einer raschen und flächendeckenden Verbreitung einzelner

 Vgl. hier S. 37–42.  Vgl. z. B. die 1634 in Antwerpen veröffentlichten Selectae patrum societatis Jesu tragoediae. Die Anthologie ist als modernes Gegenstück zu den kanonischen senecanischen Dramen konzipiert. Damit hat der Herausgeber, der die Stücke der interessierten Jugend empfiehlt, bewusst einen Kanonisierungsprozess angeregt. Die Initiative ging jedoch hier nicht vom Orden selbst, sondern von geschäftstüchtigen Herausgebern aus. Vgl. dazu Questa 1999.  Pohle 2010, S. 299. https://doi.org/10.1515/9783110617788-007

6.1 Claus’ Dramen und der ‚jesuitische Kanon‘

283

Stücke. Die Provinzgrenzen, die lange Zeit eine gewisse kulturelle Barriere gebildet hatten, wurden für den Stücktransfer unbedeutend. Autoren aus verschiedenen Regionen steuerten nun Beiträge zu einem stetig größer werdenden Pool an jesuitischen Repertoirestücken bei. Neben den Tragödien von Claus zirkulierten die Stücke seiner oberdeutschen Ordensbrüder Franz Neumayr und Ignaz Weitenauer, die Sammlungen des Österreichers Andreas Friz, sowie Dramen der Franzosen Charles de la Rue, Gabriel-François Le Jay und Charles Porée, des Römers Giuseppe Carpani (1683–1762) oder des böhmischen Choragen Karel Kolczawa (1656–1717).811 Die Dramen kamen allerdings häufig in adaptierter Form auf die Bühne. Insbesondere die Ausschmückung mit Interludien, die in den gedruckten Versionen oft fehlten, scheinen die Choragen zumindest bis 1773 noch häufig selbst vorgenommen zu haben. Mitunter ging die kreative Eigenleistung dabei zu Lasten der Stückeinheit, wie sich anhand der Perioche zur ThemistoclesAufführung demonstrieren lässt, die 1752 in Aachen über die Bühne ging. Die Szenenparaphrasen auf der Perioche entsprechen Claus’ gedrucktem Drama; daneben finden sich jedoch nicht nur kommentierende Chorlieder in gereimten deutschen Versen, sondern auch Handlungsangaben und Sprechpartien zu einem unabhängigen, an Molière gemahnenden Lustspiel, das offenbar zur Auflockerung zwischen den Akten des Trauerspiels als Parallelstück zur Aufführung gelangte. Die Perioche zur Aachener Aufführung von Stilico 1748 weist ebenfalls einen von komischen Elementen versetzten Aufbau auf.812 In anderen Fällen wurde die Handlung an die Gegebenheiten des Kollegiums angepasst, etwa indem zusätzliche Rollen geschaffen wurden, wie die Perioche des Trierer Stilico von 1763 dokumentiert. Manche Choragen übernahmen die Handlung nur in groben Zügen und leisteten einen erheblichen eigenen Beitrag. Die Aufführung eines Stilico, die 1766 in Öttingen in Bayern stattfand, dürfte zwar von Claus’ Tragödie angeregt worden sein, weist aber eine weitgehend eigenständige Stoffgestaltung auf; anders als seine rheinländischen Kollegen operierte der Öttinger Dramaturg auch noch mit lateinischen Chören. Die Übernahme des gedruckten Materials durch die Choragen der Spätzeit erfolgte also zu höchst unterschiedlichen Graden. Die wichtigsten Ursachen für diese Kanonbildung sind außerliterarischer Natur. Die Kritik der Aufklärer am jesuitischen Bildungssystem mag manchen

 Pohle 2010, S. 300.  Es handelt sich dabei offenbar auch für diese Zeit noch um eine gängige Praxis. Pohle 2010, S. 306 beobachtet die Verwendung eines Lustspiels als Einlage auch für die Aufführungen von Weitenauers Annibal moriens in Münstereifel 1763 bzw. Ravenstein 1794. Carlen 1950, S. 282–283 bietet Beispiele aus dem Wallis.

284

6 Nachleben

Ordenslehrer zur Ansicht bewogen haben, dass es sich bei der Theaterpraxis des Ordens zwar um keine sinnlose, aber doch eine luxuriöse Einrichtung handelte und sich die für die Abfassung eines Stücks aufgewendete Zeit auf dringendere Obliegenheiten verwenden ließ. Auch die Ordensoberen, die sich im Zuge der Ausweisung der Jesuiten aus den bourbonischen Territorien mit drängenderen Aufgaben konfrontiert sahen als mit der Pflege ihres Bildungssystems, scheinen dem Schultheater nun tendenziell weniger Wert beigemessen zu haben. Zwar hielt der Ordensgeneral Ignazio Visconti in seinem Schreiben von 1752 prinzipiell an den überkommenen Praktiken fest, empfahl den Kollegien jedoch, im Fall finanzieller Engpässe auf die Vergabe von Schulprämien, öffentliche Deklamationen und Aufführungen für das Volk zu verzichten, um das Budget nicht zu Ungunsten der Bibliotheken zu belasten.813 Damit erklärte er das Schultheater zwar nicht offiziell für unerwünscht, machte jedoch klar, dass es nunmehr andere Prioritäten zu setzen galt. Dies galt wohl auch deshalb, weil ein Kernanliegen öffentlicher Darbietungen, nämlich konfessionelle Überzeugungsarbeit zu leisten, mit dem Ende der Gegenreformation an Bedeutung verloren hatte. Der Rückgriff auf bereits gedruckte Stücke erwies sich in dieser Situation als bequeme Methode, die Theaterpraxis effizienter zu gestalten und Zeit einzusparen, ohne gänzlich auf die für die Kollegien nach wie vor attraktiven öffentlichen Aufführungen verzichten zu müssen. Finanzielle Einsparungen ließen sich dadurch zwar nicht bewerkstelligen, für die deutschen Provinzen war die dahingehende Weisung Viscontis jedoch ohnehin weitgehend irrelevant, da die Jesuiten hier ihre Aufführungen kostenneutral zu gestalten wussten und es zumeist auch gelang, Sponsoren für die Prämien aufzutreiben.814 Literarhistorische Ursachen für die Ausbildung eines Kanons lassen sich ebenfalls benennen. Mit der Tendenz zum Repertoiretheater war eine Konzentration auf allgemein ethische, der Aufklärung nahestehende Inhalte verbunden, was sich auch nach außen demonstrieren ließ – zumal dann, wenn Stücke von Autoren wie Friz oder Neumayr auf die Bühne kamen, die in ihren theoretischen Arbeiten das Postulat der Nützlichkeit vertraten und damit an ihre Stücke den Anspruch gestellt hatten, Botschaften zu vermitteln, die für den aufgeklärten Staat von Interesse waren. Damit einher ging die Sicherung der literarischen Qualität, die in einer Zeit der Anfechtung mehr denn je von Bedeutung war. Indem die Choragen auf Stücke anerkannter Autoren zurückgriffen, konnten sie sicher sein, Qualitäts-

 Pohle 2010, S. 315.  Pohle 2010, S. 315. In den österreichischen Gymnasien schoss gewöhnlich der Staat einen Beitrag für die Prämien und die Herbstspiele zu. Vgl. Lechner 1909, S. 116.

6.1 Claus’ Dramen und der ‚jesuitische Kanon‘

285

theater – zumindest nach ihren Vorstellungen – zu bieten. Letzteres dürfte auf die Tätigkeit eines jesuitischen Rhetorik-Lehrers großen Einfluss gehabt haben: Während die Choragen früherer Epochen primär inhaltliche Forderungen umzusetzen hatten, sahen sich die Jesuiten der Aufklärungszeit auch in formalästhetischer Hinsicht stärker in die Pflicht genommen. Zum einen waren es die poetologischen Traktate, zum anderen die gedruckten Vorbilder zeitgenössischer Ordensangehöriger, die dazu verpflichteten, Stücke zu entwerfen, die den klassizistischen Vorstellungen entsprachen. Die Choragen dieser Zeit sahen ihren eigenen Hervorbringungen eine Reihe als vorbildlich empfundener Dramen gegenüber, was manche wohl entmutigt haben dürfte – gerade weil das Einpassen eines Stoffes in das Korsett des Aristotelismus eine ungleich größere Herausforderung darstellen musste als das Verfassen eines in zeitlicher und örtlicher Hinsicht unbegrenzten barocken Märtyrerdramas. Die Choragen mussten außerdem davon ausgehen, dass Teile des Publikums nun selbst eine entsprechende Leseerfahrung und damit Kritikfähigkeit mitbrachten. Die Zuschauer konnten nun zum einen selbst auf gedruckte Ordensdramen zugreifen, zum anderen hatte das deutsche und französische Regeldrama inzwischen eine beachtliche Verbreitung erfahren. Zumindest Teile des Publikums wussten, wie modernes Theater auszusehen hatte; der Chorag musste das bei der Vorbereitung einer öffentlichen Aufführung in Betracht ziehen. Daneben darf nicht übersehen werden, dass Kanonisierung einem allgemeinen Trend der Zeit entsprach. Schon vor der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war es zu einer ‚Literarisierung‘ der protestantischen Schulbühnen des Nordens gekommen, der ein sich stetig verfestigender Kanon zugrunde lag.815 Im Zuge der Aktivitäten Gottscheds wurde das deutsche Drama (sowie die Rezeption des europäischen Dramas im deutschsprachigen Raum) bewussten Kanonisierungsbestrebungen ausgesetzt, wie es sie bislang nicht gegeben hatte. Die von ihm initiierte Deutsche Schaubühne bildete nur den Anfang eines Tradierungs- und Selektionsprozesses, der das Repertoire der Bühnen fortan prägte.816 Im Laufe des Jahrhunderts folgten zahlreiche weitere Anthologien. Eine quantitative Einschätzung des Phänomens jesuitisches ‚Repertoiretheater‘ fällt schwer. Aufgrund fehlender Texte und Periochen – vielfach hat sich nur der Titel eines aufgeführten Stücks erhalten – ist es oft nicht möglich, eine Aufführung als Übernahme eines gedruckten Dramas zu identifizieren. Man darf keineswegs davon ausgehen, dass jede spätere Aufführung eines Stoffes zwangsläufig auf einem gedruckten Stück gleichen Namens beruhte. Die meisten Belege für Aufführungen von Repertoirestücken haben sich aus

 Pohle 2010, S. 300.  Vgl. Doetsch 2016.

286

6 Nachleben

dem Rheinland erhalten. Das mag zum einen damit zu tun haben, dass es sich dabei um ein verhältnismäßig randlagiges Gebiet handelt, in dem Erosionstendenzen der jesuitischen Literarkultur schon früher Spuren hinterlassen haben als in anderen Gegenden. Zum anderen ist das wohl darauf zurückzuführen, dass die Theaterpraxis der niederrheinischen Kollegien dank Frank Pohles umfassender Archiv- und Bibliotheksrecherche besonders gut aufgearbeitet ist. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Anzahl von Darbietungen, die auf gedruckten Stücken basieren, auch in anderen Gebieten höher sein dürfte, als bisher bekannt ist. Für das Nachleben von Anton Claus bedeutet das, dass eine auch nur annähernd vollständige Liste von Aufführungen seiner Stücke nicht zu leisten ist. Es ist jedoch aussagekräftig für die Popularität des Autors, dass seine Stücke in vielen Spielorten, für die Spielpläne erstellt wurden, aufscheinen. Insbesondere im süddeutschen Raum, wo Aufstellungen rar sind, müssen in den Jahren nach der Erstveröffentlichung der Tragoediae ludis autumnalibus datae 1741 weitere Aufführungen dieser Stücke in lateinischer Sprache angenommen werden.

. Ein Fallbeispiel für produktive Claus-Rezeption: das Brixner Schultheater Die vermehrte Drucklegung von Dramen hatte nicht nur zur Folge, dass Stücke von anderen Choragen als ganze übernommen wurden, sondern auch, dass vorliegende Stücke nun noch stärker als Modelle wirkten, als das zuvor bereits der Fall gewesen war. Die vom Aufklärer Anton von Bucher vorgenommene satirische Zeichnung eines Choragen, dessen literarische Leistung sich darin erschöpft, die Figurennamen eines bereits vorliegenden Dramas zu verändern,817 war womöglich nur eine geringfügige Übertreibung tatsächlicher Zustände. Wie gedruckte Jesuitendramen auf diese Weise auch außerhalb des Ordenskontextes weiterwirkten, zeigt ein Beispiel aus Brixen in Südtirol.818 Am dortigen bischöflichen Gymnasium lässt sich zwischen 1745 und 1761 lebhafte Theateraktivität nachweisen. Hauptverantwortlich dafür war der Schulpräfekt Joseph Resch (1716–1782), der in den 1730er Jahren in Innsbruck seine höhere

 Vgl. hier S. 182.  Auch von Schuldramatikern anderer Orden wurde auf gedruckte Jesuitenstücke zurückgegriffen. Beispiele dafür sind die Salzburger Stilico-Aufführung von 1759 (siehe hier S. 294–295) sowie eine Übersetzung von Friz’ Julius martyr, die 1784 von den Augustinern von Münnerstadt aufgeführt wurde (Hs. erhalten im Provinzarchiv Würzburg; Sig. PA, Akten 64/XXVI).

6.2 Ein Fallbeispiel für produktive Claus-Rezeption: das Brixner Schultheater

287

Bildung erfahren819 und dort möglicherweise Aufführungen von Claus’ Tragödien beigewohnt hatte. Die Stücke des Weltgeistlichen, die sich als Manuskripte erhalten haben, sind offenkundig von jesuitischen Praktiken inspiriert. Bei genauer Betrachtung lassen sich zudem konkrete Übernahmen aus Jesuitendramen ausmachen. Besonders auffällig ist die Beeinflussung im 1746 aufgeführten Schulschlussdrama Jugurtha. Die Handlung des 1. Akts des Stücks entspricht mit geringen Abweichungen den ersten Szenen von Claus’ fünf Jahre zuvor gedrucktem Scipio sui victor. Die Gestaltung vieler Repliken wurde vom Brixner Choragen direkt übernommen, Resch veränderte die Figurennamen, nicht aber die Rollen der Figuren. Zudem bediente er sich großzügig an Formulierungen aus der Vorlage. Von Vers 1 an, den Resch unverändert übernahm, finden sich etliche Wendungen aus Scipio in Jugurtha wieder, vor allem natürlich prägnante Formulierungen. Ein kurzes Beispiel soll zur Veranschaulichung genügen: Claus, Scipio, 74–75: Iuvat ruinis immori et Carthagine cadente cadere, cadere si fatum iubet. Es ist gut, in den Trümmern zu sterben und beim Fall Karthagos zu fallen, wenn das Schicksal zu fallen befiehlt. Resch, Jugurtha, 149–150:820 Iuvat ruinis immori! Nam patria cadente ferro cadere, si fatum iubet, fore gloriosum censeo. Es ist gut, in den Trümmern zu sterben. Denn ich glaube, dass es rühmlich sein wird, beim Fall der Heimat zu fallen, wenn das Schicksal es befiehlt.

Übernahmen aus Claus-Dramen sind auch in anderen Dramen Reschs bezeugt, etwa in Agamemnon suimet victor (1750), in dessen Perioche auf diejenige Livius-Stelle verwiesen wird, die Scipio zugrundeliegt. Nicht übergangen werden soll an dieser Stelle freilich, dass Claus nur einer von zahlreichen Autoren ist, an deren Stücken Resch sich bediente. Weitere Vorlagentexte, die sich nachweisen lassen, stammen von Nikolaus Avancini, Giuseppe Carpani, Nicolas Caussin, Charles de la Rue und insbesondere Seneca. Für die Theaterarbeit vieler katholischer Pädagogen ab den 1740er Jahren dürften die Verfahrensweisen des Brixner Choragen typisch gewesen sein. Durch die Übernahme inhaltli-

 Mutschlechner 1976, S. 180.  Resch 2018.

288

6 Nachleben

cher und sprachlicher Bausteine aus gedruckten Dramen versuchten sie, den eigenen Arbeitsprozess zu vereinfachen und zu beschleunigen. Das Bemühen um Qualitätssicherung dürfte ein weiterer Beweggrund gewesen sein.

. Fortleben des Jesuitentheaters nach 1773 Der Einschnitt, den die Aufhebung des Ordens im Jahr 1773 für das katholische Schultheater bedeutete, war nicht so radikal, wie es viele Arbeiten zum Jesuitentheater suggerieren.821 Dort, wo Schultheater noch erlaubt war, wurde es weiterhin betrieben und in einen öffentlichen Rahmen gestellt. Einen Beweis dafür, dass die Zeitgenossen Kontinuität wahrnahmen, bietet die Beschreibung der Regensburger Schultheateraufführung von 1786 in Goethes Italienischer Reise; der Durchreisende spricht in diesem Zusammenhang wie selbstverständlich vom „Jesuitenkollegium“. Mit einigen Veränderungen hat man nach der Ordensaufhebung jedoch zu rechnen. Die Tendenz, auf kanonische Stücke zurückzugreifen, dürfte zugenommen haben.822 Der Kanon wurde ausgebaut und verändert. Französische Schauspiele gelangten zur Aufführung, die deutschen Stücke des Exjesuiten Franz Xaver Jann, die unverkennbar in der Tradition des Jesuitendramas stehen, leisteten ab den 1780er Jahren einen wichtigen Beitrag.823 Beobachten lässt sich auch die Tendenz, dass kanonische Dramen nunmehr unter Verzicht auf vorherige Adaptierungsmaßnahmen auf die Bühne gebracht wurden. Schon für die letzten Jahre vor der Aufhebung hat Pohle in seinem Untersuchungsgebiet ein Nachlassen der Bereitschaft, die Stücke für die Aufführungen an die Umstände des Kollegiums anzupassen bzw. zu aktualisieren, konstatiert.824 Für diese Entwicklung finden sich auch in anderen Gegenden Indizien.825 Die literarischen Eigenleistungen des Choragen setzten somit zusehends aus, es sei denn, dass Stücke übersetzt werden mussten, da sie – wie

 Etwa Liebau 2009, S. 209. Auch historisch gesehen war die Ordensaufhebung kein plötzlicher Einschnitt, sondern „Kulminationspunkt einer Entwicklung, die mit den seit 1759 sukzessiv erfolgten Jesuitenvertreibungen aus den bourbonisch regierten Ländern ihren Anfang genommen hatte“. Müller 1985, S. 287–288. Siehe auch Schaich 1997, v. a. S. 78–79.  Vgl. die Situation im südniederländischen Ravenstein, für dessen Gymnasium bis ins frühe 19. Jahrhundert ein fast vollständiger Spielplan vorliegt. Pohle 2010, S. 1070–1078.  Vgl. hier S. 303–306.  Pohle 2010, S. 307.  Vgl. Carlen 1950, S. 281 über das Walliser Schuldrama: „Um 1760–70 verlieren sich die Chöre.“

6.3 Fortleben des Jesuitentheaters nach 1773

289

nun üblich – in deutscher Sprache aufgeführt wurden.826 Das Selbstverständnis der Schule als Ort der literarischen Produktion war damit an ein Ende gelangt. Das Schultheater beschränkte sich auf die Vermittlung ästhetischer und moralischer Normen und die Pflege des Repertoires.827 Aufführungen von Claus-Dramen im Rahmen dieser nachjesuitischen Schultheatertradition sind aufgrund mangelnder Quellenstudien nur vereinzelt dokumentiert. In den Gebieten, aus denen Studien vorliegen, sind allerdings Darbietungen belegt, was eine großräumige Rezeption vermuten lässt. In Ravenstein hat Pohle Aufführungen von Themistocles (1786) und Scipio (1789) nachgewiesen.828 Die beiden Stücke passten offenbar gut in die Reihe politischer Trauerspiele, für die in den achtziger und neunziger Jahren in diesem Gymnasium eine Häufung zu beobachten ist. In der Schweiz finden sich in zwei Gegenden Spuren von Aufführungen von Claus’ Stücken nach 1773. Anzunehmen sind Darbietungen in der Innerschweiz: 1789 sind für Einsiedeln ein Stilico sowie ein Themistocles dokumentiert, 1791 ein Themistocles im wenige Kilometer entfernten Schwyz.829 Belegt ist ein Nachleben des Autors in den ehemaligen Jesuitenkollegien des Wallis.830 Albert Carlen, der das Schultheater des Oberwallis von 1600 bis 1850 aufgearbeitet hat, hat für die Sittener Bühne beobachtet, dass nach 1760 häufig keine neuen Dramen mehr geschrieben, sondern Stücke von Claus, Weitenauer, Friz, Jann, Porée, sowie Corneille und Molière inszeniert wurden.831 Er geht davon aus, dass sich zwischen 1772 und 1777 Deutsch als Bühnensprache durchsetzte. Für Sitten hat er eine ganze Reihe von Aufführungen, die auf Stücken von Claus beruhen, verzeichnet: Mauritius (1771, laut Carlen vermutlich von Claus, wohl eine Adaption von Devia via per poenitentiam non veram), Scipio (1788, laut Carlen vermutlich von Claus), Charitas Christiana (1806, unter dem Titel Martinez, von Jann bearbeitet 832), Paulinus von Nola (1810, von Jann bearbeitet), Stilico (1825), Protasius (1826). Ähnlich intensiv war die Claus-Rezeption in Brig: Carlen berichtet von Aufführungen von Protasius (1788, 1807), Themistocles (1811), Mauritius, Kaiser

 Für Übersetzungen siehe hier S. 290–293.  Pohle 2010, S. 300.  Pohle 2010, S. 300.  Die Angaben in Büsser 1938, S. 93 bzw. S. 150 beruhen auf älterer Literatur. Periochen konnte Büsser nicht finden.  Zu einem Großteil der von Carlen 1950, S. 325–356 verzeichneten Aufführungen von Claus-Bearbeitungen liegen Periochen im Archiv des Geschichtsforschenden Vereins von Oberwallis im Kollegium Brig.  Carlen 1950, S. 256.  Vgl. dazu hier S. 305–306.

290

6 Nachleben

des Morgenlandes (1828), Charitas Christiana (1833, unter dem Titel Martinez, von Jann bearbeitet).833 Charakteristika dieser Walliser Schultheaterpraxis nach 1773 sind, neben der Wahl des Deutschen als Bühnensprache, das Aussparen von Tänzen und Chören, das durch das häufige Anfügen eines Lustspiels oder eines zweiten ernsthaften Stücks kompensiert wurde.834 Auch die von Pohle für das Niederrheingebiet ausgemachte835 verstärkte Reduktion der immer schon seltenen Frauenrollen lässt sich beobachten. Im Sittener Stilico von 1825 etwa ist Thermantia durch „Hermes, Geheimrath der Kaiserinn ersetzt“.836 Abgesehen von diesen geringfügigen Änderungen blieb das Schultheater im Wallis, das das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch lebendig war, der jesuitischen Tradition verpflichtet.837

. Übersetzungen Das Phänomen Jesuitendrama-Übersetzung an sich verdient einige einführende Bemerkungen. Das jesuitische Bildungswesen, das von seinen Anfängen im sechzehnten Jahrhundert an eng an die lateinische Sprache gekoppelt gewesen war, wies der Vermittlung der Volkssprache bis ins achtzehnte Jahrhundert eine untergeordnete Rolle zu. Die Ratio studiorum sah vor, den Unterricht sämtlicher Fächer in lateinischer Sprache abzuhalten, selbst außerhalb der Schulstunden waren die Schüler dazu angehalten, auf Latein zu kommunizieren.838 Das Schultheater der Gesellschaft musste diese „bedingungslose Entscheidung

 Carlen 1950, S. 258. Außerdem führt er Aufführungen von Stücken aus den Exercitationes von 1755 an: Poena neglectae educationis (Brig 1809), Date et dabitur vobis (Sitten 1783 und evtl. 1822), Nemo (Sitten 1874).  Carlen 1950, S. 322. In seinem Katalog der Aufführungen hat Carlen die Titel der angehängten ‚Nachspiele‘ mit abgedruckt.  Pohle 2010, S. 298–299.  Büsser 1938, S. 94.  Carlen 1950, S. 322.  Der 18. Paragraph der Ratio studiorum von 1599 schreibt den Professoren der unteren Klassen vor: Latine loquendi usus severe in primis custodiatur […], ita ut in omnibus, quae ad scholam pertinent, nunquam liceat uti patrio sermone […] („Insbesondere streng zu überwachen ist der Gebrauch des Lateinischen beim Sprechen, so dass für alles, das die Schule betrifft, niemals die Muttersprache verwendet werden darf“). Bauer 1998, S. 234–240 geht allerdings davon aus, dass gerade für den Elementarunterricht häufig auch die Muttersprache zum Einsatz kam. In Kropfs Ratio von 1736 (S. 282–283) finden sich erstmals Instruktionen bezüglich der Verwendung der Muttersprache im Unterricht der unteren Klassen, vgl. Pohle 2010, S. 323.

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für das Lateinische“ 839 mittragen; anders als in anderen europäischen Gebieten war eine volkssprachliche jesuitische Dramatik im deutschen Sprachraum lange Zeit praktisch inexistent.840 Volkssprache auf der Bühne dürfte zum einen wegen der protestantischen Konnotationen der Muttersprache verpönt gewesen sein,841 war jedoch mehr noch aus didaktischen Überlegungen untauglich: Als Bestandteil der rhetorischen Ausbildung – ein solcher waren die Herbstspiele zumindest theoretisch842 – mussten die öffentlichen Aufführungen selbstverständlich auf Latein erfolgen. Bemühungen, durch den Einsatz deutschsprachiger Interludien das Publikum bei Laune zu halten, wurden von den Ordensoberen untersagt. Einschübe in deutscher Sprache begegnen daher in gedruckten Stücken bis 1750 selten und wenn, dann häufig als Mittel der Satire.843 Jesuitendramen, die gänzlich in deutscher Sprache abgefasst sind, waren bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts eine Rarität.844 Zu einer Öffnung gegenüber der Volkssprache kam es erst, als die Fokussierung des jesuitischen Bildungssystems auf die klassischen Sprachen im Aufklärungszeitalter unter Druck geriet. Mit der aufkeimenden Nationalidee und dem Wandel der pädagogischen Prinzipien hielt das Deutsche auch in den Jesuitenschulen Einzug.845 Die Unumgänglichkeit solider muttersprachlicher Sprachkompetenz konnte nicht mehr bestritten werden. Auf der Schulbühne galt offiziell freilich weiterhin das Lateingebot. In der von Franz Kropf 1736 herausgegebenen Aktualisierung der Ratio studiorum ist die Ausschließlichkeit des Lateinischen noch einmal dezidiert festgeschrieben.846 Ab der Jahrhun-

 Rädle 1988a, S. 138.  Anders war die Situation beispielsweise in Spanien, Portugal, Frankreich oder Italien, vgl. Valentin 1990, S. 64, Barea 2013, S. 610–612, Pérez González 2014 und Filippi 2011. In diesen Ländern wurde auch die Verordnung, im Unterricht nur Latein zu sprechen, weniger konsequent umgesetzt, vgl. Bauer 1998, S. 238.  Abele 2015 relativiert die Bedeutung konfessioneller Aspekte für die Sprachwahl der Jesuiten.  Barner 1970, S. 348. In der Praxis war das allerdings nicht immer so: Wenn ein Großteil der tragenden Rollen nicht von Schülern verkörpert wurde, so entsprach das nicht den ursprünglichen Intentionen der jesuitischen Schultheoretiker.  Exemplarisch dafür sind die in einer Mischung aus Deutsch und Makkaronilatein verfassten Stücke von Franz Callenbach (1663–1743). Siehe Behrens 1981.  Die einzige deutsche Übersetzung eines Jesuitendramas aus dem 17. Jahrhundert, Joachim Meichels Cenodoxus-Übertragung von 1635, die für die Rezeption des Stückes gleichwohl bedeutend war, ist explizit als Lesedrama intendiert. Zu den wenigen Jesuitendramen, die in deutscher Sprache entstanden, gehören die Fastenspiele Andreas Brunners (gedr. 1684) sowie Dramen Paul Alers, vgl. Rädle 1994; Pohle 2010, S. 324.  Duhr 1928, Bd. 4,2, S. 19–25; Pohle 2010, S. 322.  Pachtler 1984, Bd. 4, S. 143.

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dertmitte wurden dennoch vereinzelt Stücke in deutscher Sprache auf die Jesuitenbühnen gebracht.847 Die Untersuchung dieses Wandels ist aufgrund fehlender Quellen schwierig: Allein auf Grundlage der nun häufig nur noch in deutscher Sprache gehaltenen Periochen auf die Aufführungssprache zu schließen, ist nicht zulässig.848 Es ist allerdings anzunehmen, dass sich der Trend, muttersprachliche Stücke aufzuführen, in den letzten Jahren vor der Ordensaufhebung verstärkte. In Österreich wurde 1764 das lateinische Schultheater mittels staatlicher Verordnung untersagt, Latein blieb hier in der Folge (fast) nur noch den Meditationsspielen vorbehalten.849 Auch in den bayrischen und Schweizer Schulen sind in dieser Zeit vermehrt deutsche Spiele dokumentiert. Gedruckte Übersetzungen blieben trotzdem selten. Das erste deutsche Spiel, das um die Jahrhundertmitte im Druck erschien, ist die in Franz Neumayrs Theatrum politicum aufgenommene Übersetzung Weitenauers von Neumayrs Tobias et Sara. Die Übersetzung war aus konkretem Anlass, der Hochzeit des bayrischen Kurfürsten Maximilian III. Joseph mit Anna Maria von Sachsen 1747, entstanden und ist somit nicht zwangsläufig als Dokument der Umbruchzeit zu sehen. Als solche müssen hingegen die ab 1758 in Augsburg gedruckten Übertragungen der Meditationsdramen von Franz Neumayr, darunter die Augustinus-Übersetzung des im folgenden Kapitel besprochenen Johann Andreas Schachtner, gelten, sowie die weiteren Übersetzungen Schachtners. Eindeutig ein Zeuge für die geänderten Rahmenbedingungen des jesuitischen Schultheaters ist auch die Übersetzung der Trauerspiele von Andreas Friz, die 1762 in Wien gedruckt wurde.850 Als Übersetzer dieser Stücke betätigten sich hier Jesuiten aus dem nahen Umfeld des Autors; zumindest an der Übersetzung von Cyrus, der 1760 bereits in deutscher Sprache auf die Bühne gelangt war,851 wirkte Friz selbst mit.852 Aus dem Vorwort des Bandes geht hervor, dass zudem eines der darin publizierten Stücke kurze Zeit zuvor in einer Versübersetzung erschienen war. Ein Zeugnis für die geänderten Rahmenbedingungen ist auch das Werk des Jesuiten Joseph Ignaz Zimmermann:

 Das erste Stück, das im Rheinland ab der Jahrhundertmitte erwiesenermaßen in deutscher Sprache auf die Bühne kam, war das Düsseldorfer Herbstspiel Jephte von 1755. Pohle 2010, S. 324.  Vgl. Pohle 2010, S. 325.  Tilg 2008, S. 173.  Friz 1762.  Tamerl 1968, S. 33.  Friz 1762, S. [].

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1769 übersetzte er den Isac von Pierre Brumoy, ab den siebziger Jahren legte er selbst deutsche Dramen vor.853 Weitere Übersetzungen erschienen nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu. Neben den im Folgenden besprochenen Publikationen der Claus-Übersetzer verdienen die vier Stücke, die 1777 von anonymer Hand als 153. Teil der Deutschen Schaubühne veröffentlicht wurden, Beachtung: Es handelt sich um Übersetzungen von Weitenauers Tragödien Annibal moriens und Arminii corona sowie von den beiden 1722 in Ingolstadt gedruckten Tragödien de la Rues, Lysimachus und Cyrus.854

.. Johann Andreas Schachtners Stiliko Verhältnismäßig oft in die Volkssprache übertragen wurden die Stücke von Anton Claus. Die älteste Verdeutschung eines Claus-Dramas, die sich nachweisen lässt, ist Johann Andreas Schachtners Stilico-Übersetzung, die 1759 gedruckt und im selben Jahr von den Salzburger Benediktinern auf deren Schulbühne zur Aufführung gebracht wurde.855 Der Bayer Schachtner (1731–1795) hatte die Jesuitenschule absolviert und an der Jesuitenuniversität Ingolstadt studiert,856 ehe er von 1754 an als Hof- und Feldtrompeter in Salzburg Karriere machte. Der Musiker, der als Librettist von Wolfgang Amadeus Mozarts 1780 komponierter Operette Zaide in Erinnerung geblieben ist, trat neben seinen Musiktheaterübersetzungen (v. a. von Dramen Metastasios) als Verfasser kurzer Prosa und Gelegenheitspoesie in Erscheinung.857 Als Übersetzer von Jesuitendramen hatte er sich bereits vor der Stilico-Übersetzung betätigt: 1758 gab er unter dem Titel Geistliche Schaubühne oder: Der Heilige Augustin in seiner Bekehrung seine Übersetzung eines Meditationszyklus von Franz Neumayr heraus;858 Neumayr hatte den Druck zuvor selbst autorisiert.859 In Schachtners  Valentin, S. 1210–1211.  Ignazens Weitenauer und Karls de la Rue Trauerspiele. Hannibal. Hermann. Cyrus. Lysimachus. Augsburg, 1777.  Stiliko, ein Trauerspiel, in fünf Aufzügen. Aus dem Lateinischen des Herrn P. Anton Claus, Priester der Gesellschaft Jesu. Salzburg 1759. Zur Salzburger Aufführung vgl. Boberski 1978, S. 315.  Schuler 1977 beruft sich auf zwei widersprüchliche Angaben, wonach Schachtner entweder in Dillingen oder in Ingolstadt die Jesuitenschule besucht hat. Stimmt ersteres, so könnte Schachtner Claus persönlich gekannt haben.  Lehrndorfer 1919 bietet einen Überblick über Schachtners poetisches Werk.  Neumayr 1758. Nicht auf Schachtner zurückgehen dürfte die Übersetzung einer weiteren Meditationsreihe Neumayrs über den Hl. Franziskus, die 1760 erschien. Neumayr 1760b.  Vgl. die Angabe auf dem Titelblatt: „auf Gutheissen des Herrn Verfassers zum Drucke befördert“. Es handelt sich um die Übersetzung des ersten Meditationszyklus in Neumayrs

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1765 unter dem Titel Poetischer Versuch in verschiedenen Arten von Gedichten erschienenen Sammlung literarischer Texte findet sich eine dritte Übersetzung eines Jesuitendramas: eine Übertragung von Le Jays Eustachius martyr.860 Zu Beginn desselben Bandes ließ Schachtner seinen Stiliko noch einmal abdrucken. In einer vorangestellten Notiz äußert er sich knapp zu seinen Übersetzungsprinzipien: Er habe zwei Nebenfiguren aus dem Originaltext ausgespart, weil er „dieses Trauerspiel zum Gebrauche deutscher Schauspieler, welche selten in einer Gesellschaft mit 9. bis 10. Mannspersonen versehen sind“,861 übersetzt habe. Außerdem entschuldigt er sich dafür, „da und dort ein wenig vom Original […] abgegangen [zu] seyn“. Bei einem Vergleich der Übersetzung mit Claus’ lateinischer Tragödie lassen sich allerdings, abgesehen von der Zusammenführung jeweils zweier Nebenfiguren, nur geringfügige inhaltliche Änderungen beobachten. In der 7. Szene des 3. Akts sind einige Repliken ergänzt, offenbar in der Absicht, die Enthüllung des Informanten des Königs hinauszuzögern und die Spannung dadurch zu steigern. Ein Eingriff Schachtners findet sich auch in der 10. Szene des 5. Akts: Eucherius wendet sich in seinen ultima verba direkt an seinen Vater: Du Vater! sieh! wie sehr versteigen sich die Triebe der unbedachtsamen, und gar zu großen Liebe?

Der Übersetzer wollte offenbar die Moral des Stücks an zentraler Stelle explizieren, der Einschub wirkt allerdings platt. Freiheiten in der Übersetzung sind ansonsten darauf zurückzuführen, dass Schachtner die Tragödie in paargereimte Alexandriner überführt hat. Um ausreichend Reimwörter unterzubringen, musste er den Text insgesamt etwas dehnen. Die Versanzahl vieler Repliken weicht daher vom Original ab. Auffällig sind die Auswirkungen der formalen Gestaltung unter stilistischen Gesichtspunkten: Schachtners gereimte, stark rhythmisierte Verse sind stilistisch deutlich stärker markiert als Claus’ schlichter Trimeter. Der Natürlichkeit der Sprache, einem Stilideal des Jesuiten, hat der Übersetzer nicht Rechnung getragen. Ein anschauliches Beispiel für den an

1747 veröffentlichtem Theatrum asceticum sive meditationes sacrae. Die fünf Meditationen, die Episoden aus dem Leben des Hl. Augustinus umsetzen, hatte Neumayr in der Fastenzeit des Jahres 1739 in München aufführen lassen. Schachtners Übersetzung erschien 1766 in zweiter Auflage.  Eustachius war 1684 am Collège Louis-le-Grand aufgeführt worden (Desgraves 1986, S. 110). Später hatte Le Jay ihn an den Beginn des 1725 veröffentlichten Liber dramaticus seiner Bibliotheca rhetorum gestellt. Vgl. dazu Rieks 1989, S. 32–42.  Schachtner 1765, S. 2.

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Gottsched erinnernden, bemüht-gekünstelten Stil von Schachtners Übersetzung bietet folgende Partie aus der 2. Szene des 1. Akts: Claus, Stilico, 1,2: Honorius: Anne concedet parens, ut charus adeo filius bello aspero dubiaeque Martis aleae exponat caput? Stilico: Charus licet sit filius; promptus tamen hunc immolabit Stilico Romae et Caesari. Si pro salute Caesaris natus cadit, cadet beatus. Funeri applaudet parens tam glorioso. Schachtner, Stiliko, 1,2: Honorius: Und so läßt der Vater zu, daß sein so lieber Sohn, die angenehme Ruh, die er bey ihm genießt, um Last und Krieg vertauschet, wo ihm so mancher Feind nach seinem Haupte lauschet? Stilico: So lieb mein Sohn mir ist, ist doch mein Herz bereit, daß es ihn Rom, und dir zum Opfer anerbeut, fällt mein Eucherian nur dir und deinem Reiche; so fällt er recht beglückt. Ich freu mich ob der Leiche, die mir so rühmlich ist.

Der Übersetzungstext leidet nicht nur an den gezwungenen Reimen, die in den 1760er Jahren wohl bereits antiquiert wirkten, sondern auch daran, dass Schachtner häufig zu nahe am Ausgangstext bleibt. Exemplarisch dafür ist eine Stilblüte im letzten Vers der 5. Szene des 5. Akts. Schachtner übersetzt hier eine lateinische Metapher wörtlich und entstellt damit den Sinn des Verses: nam nondum exui totum patrem (sinngemäß: „Ich habe noch immer Vatergefühle“) wird in seiner Übersetzung zu „Ich hab den Vater noch nicht gänzlich ausgezogen“. Die Ähnlichkeiten zwischen dem Stil des Stiliko und der Sprache der Gottsched’schen Dramen kommen nicht von ungefähr. Schachtner orientierte sich bewusst an den sprachlichen Vorgaben des Protestanten. Seine Texte weisen zwar oberdeutsche Lokalcouleur auf, das Bemühen um standardsprachliche Sprachverwendung und Orthographie ist jedoch offensichtlich.862 In Schachtners Paratexten ist die Ausrichtung seines dichterischen Werks am Gottsched-Deutsch dokumentiert. Bereits in der Vorrede zu seinem Augustin nahm er auf den Reformer Bezug. Dem Poetischen Versuch ist sogar eine aus-

 Lehrndorfer 1919, S. 217 stellt dar, wie sich Schachtners Orthographie unter dem Einfluss Gottscheds veränderte.

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führliche Vorrede des Leipziger Literaturprofessors vorangestellt. Der Autor des Bandes hatte Gottsched offenbar um ein Geleitschreiben gebeten, was jener dazu nützte, seine Überlegungen bezüglich der Rolle oberdeutscher Schriftsteller innerhalb einer deutschen Nationalliteratur ausführlich darzulegen. Auf Schachtner und dessen Dichtung bzw. Übersetzungen ging Gottsched dabei leider nur oberflächlich ein. Äußerungen über die Stilico-Übersetzung finden sich nicht. Ausführlicher hatte sich Gottsched über Schachtner in seiner Besprechung von dessen Neumayr-Übersetzung in der Zeitschrift Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit von 1761 geäußert.863 Gottsched attestiert Schachtner hier dichterisches Talent, kritisiert jedoch Verstöße gegen die Standardsprache sowie zu große Texttreue. Weitere Kritikpunkte verraten Gottscheds geringe Vertrautheit mit dem jesuitischen Theaterbetrieb. So stört er sich etwa daran, dass Schachtner anstelle von ‚Aufzügen‘ den Begriff ‚Betrachtungen‘ verwendete, offenbar in Unkenntnis der jesuitischen considerationes. Aus demselben Grund moniert er Nichtbeachtung aristotelischer Forderungen. Schachtner scheint sich diese Kritik allerdings zu Herzen genommen zu haben: Mit Stilico übersetzte er in der Folge ein in fünf Aufzügen organisiertes aristotelisches Drama.

.. Die Augsburger Übersetzung der Tragoediae ludis autumnalibus datae 1776 erschien im Augsburger Verlagshaus Rieger eine Übersetzung der Tragoediae ludis autumnalibus datae unter dem Titel P. Antons Claus Trauerspiele. Über die Identität des anonymen Übersetzers lässt sich spekulieren: Der Archaismus, das Possessiv-s an den Vornamen anzuhängen, ist ein Indiz dafür, dass der Übersetzer mit zumindest einem der beiden Urheber der Übersetzung von Ignazens Weitenauer und Karls de la Rue Trauerspiele identisch war, die ein Jahr später ebenfalls in Augsburg herauskam. Die Herausgeber dieser Sammlung zeichnen auf dem Titelblatt mit den Kürzeln K. B. v. M. und L. B., letzteres ist wohl als Leonhard Bayrer aufzuschlüsseln. Bayrer (1749–1802), ein vormaliger Jesuit, war nach der Aufhebung des Ordens Lehrer am Kollegium St. Salvator und Herausgeber der Reihe Poetisches Magazin, einer Sammlung moralisch unverdächtiger literarischer Texte für die Jugend.864 Der Pädagoge, der sich

 Gottsched 1761, S. 60–71.  Bayrer 1791–1794. Zu großen Teilen bestand die Sammlung aus Übersetzungen aus der klassischen Literatur, daneben fanden vor allem religiöse Arbeiten zeitgenössischer Autoren Aufnahme. Vgl. Baader 1824, Bd. 1, S. 42–43.

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1785 noch anschickte, eine „ächt katholisch[e]“ Geschichte der Stadt Augsburg zu schreiben,865 trat als streitbarer Verfechter katholischer Sittenstrenge auf. Ob Bayrer tatsächlich der Übersetzer von Claus’ Dramen ist, muss offenbleiben. Dass die Übersetzung der Tragoediae aus einem kulturkonservativen Umfeld stammt, wie es das St. Salvatorkolleg in den letzten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts war,866 geht aus dem Vorwort jedenfalls deutlich hervor. Der Übersetzer, der sich für sein etwas gönnerhaftes Urteil, die Stücke gehörten „zu den bessern“ der dramatischen Literaturgeschichte, auf anonyme Experten beruft, denen „die beßten Theaterdichter aller Nationen bekannt sind“, verteidigt die Dramen gegenüber Kritikern, die an ihnen das Aussparen romantischer Liebe bemäkeln würden, und bezieht damit in der zeitgenössischen Diskussion zwischen Vertretern der empfindsamen Literatur und Traditionalisten klar Position. Noch offensichtlicher wird sein kultureller Hintergrund am Schluss des Vorwortes, wo er in sentimentaler Rhetorik die Anfeindungen darstellt, denen sich die ehemaligen Jesuiten ausgesetzt sahen: Ich habe nichts beyzufügen, als daß der Verfasser dieser Trauerspiele das Unglück hat, von einer Classe Männer zu seyn, von der gewisse Leute, denen es immerzu warm ums Herz ist, und die dazu Ursache haben mögen, sagen, daß sie nie was Gutes in schönen Wissenschaften vermochten. Mit einem Worte: er war ein Jesuit.867

Es gibt wenig Grund daran zu zweifeln, dass der Verfasser solcher Zeilen ein ehemaliger Ordensangehöriger war. Das Vorwort steht im Diskurs der langanhaltenden Polemik um die Aufhebung der Gesellschaft Jesu,868 im Zuge deren Gegner die Untauglichkeit des jesuitischen Bildungssystems angeprangert hatten, während die Jesuiten selbst auf die Leistungen ihrer Ordensbrüder verwiesen. Auch die Übersetzung als solche kann als Beitrag zu diesem Diskurs verstanden werden, nämlich als Aktualisierung und Anschauungsmaterial der literarischen Errungenschaften eines Ordensmitglieds. Die Übersetzung stand überdies im Kontext der Bemühungen einzelner oberdeutscher Intellektueller, den literarischen Erzeugnissen des protestantischen Nordens eine eigene, katholische deutsche Literatur entgegenzuhalten, die frei war von den als sittenverderblich begriffenen Themen der neuen deutschen Dramatik seit Lessing.

 Bayrer 1785, S. []. Vom Aufklärer Friedrich Nicolai wird Bayrer, wie die ganze Schule des St. Salvatorkollegs, äußerst negativ beurteilt. Nicolai 1989, S. 103–108.  Schaich 1997.  Claus 1776a, [].  Zu den künstlerischen Reaktionen der Exjesuiten auf die Ordensaufhebung vgl. die Fallstudie zur Regensburger Herbstaufführung 1781 von Meyer 2012.

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Die Publikation ist die einzige Übersetzung der Tragödien, in die auch eine Übersetzung der Observationes aufgenommen ist. Das lässt sich zum einen als Indiz dafür verstehen, dass die übersetzten Stücke als Lesedramen intendiert waren, zum anderen als Hinweis darauf, dass es dem Übersetzer darum ging, dem Rezipienten Beweise für die literarische Qualität der Dramen zu bieten, wobei unter literarischer Qualität selbstverständlich die Befolgung poetologischer Maximen des Aristotelismus verstanden wurde. Der Übersetzer, der die Dramen in Prosa übertragen hat, blieb für eine frühneuzeitliche Übersetzung vergleichsweise eng am Ausgangstext. Der deutsche Text wirkt dadurch recht schwerfällig. Als Grundlage für eine Bühnenaufführung ist er wenig geeignet. Dass die Dramen in dieser Form auf die Augsburger Schulbühne kamen, ist dennoch nicht unwahrscheinlich.869 Claus, Scipio 1,3: Scipio: Captiva? Quae vero ista? Perax: Praesentem dabo. Tantisper arma cohibeas, donec redux hostis domandi clarius pandam modum. Augsburger Übersetzung: Scipio: Eine Gefangne? Welche diese? Perax: Sie soll hier seyn. Ruhe unterdessen, bis ich bey meiner Rückkehr die Weise den Feind zu überwinden mehr aufkläre.

Die Übersetzung wurde noch im selben Jahr in der in Lemgo erschienenen Auserlesenen Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur rezensiert.870 Der Rezensent attestiert den Stücken an sich zwar eine gewisse Qualität, hält die Übersetzung aber zum einen für überflüssig, denn die Stücke haben „hinwiederum nichts so vorzügliches, daß sie von allem Schmuck des Ausdrucks beraubt gefallen könten“,871 zum anderen aus stilistischen Gründen für misslungen.

.. Joseph Schenkls Übersetzung der Tragoediae ludis autumnalibus datae Im Gegensatz zur Augsburger Übersetzung ist für die im selben Jahr in Amberg herausgegebene Übertragung der Tragoediae ludis autumnalibus datae die

 In Augsburg wurde noch bis 1805 Schultheater gespielt. Witz 1876, S. 26. Vgl. auch Meyer 1927, S. 76.  Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur, Bd. 10 (1776), S. 665–667.  Ebd., S. 666.

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Identität des Urhebers gesichert:872 Die Prosaübersetzung, die dem Augsburger Übersetzer teils bekannt war,873 stammt aus der Feder des Exjesuiten Joseph Schenkl (1746–1778). Schenkl trat 1763 in den Jesuitenorden ein. Wie Claus absolvierte er sein Noviziat in Landsberg am Lech, um anschließend in Ingolstadt Philosophie zu studieren. Nach dem Abschluss des Studiums führte ihn das Interstiz von 1768 bis 1771 nach Dillingen, Regensburg und schließlich nach Amberg, von wo aus er in den Weilern Köfering und Godlricht den Katechismus lehrte. Im Herbst 1771 kehrte er nach Ingolstadt zurück, um das Theologiestudium aufzunehmen. Als Papst Clemens XVI. im Juli 1773 das Breve Dominus ac redemptor verabschiedete, absolvierte Schenkl gerade das zweite der vier Studienjahre. Dass er sein Studium in der Folge an der nunmehr staatlich geführten Universität fortsetzte, ist nicht anzunehmen; im Matrikelbuch der Universität scheint er wie die meisten seiner jesuitischen Kommilitonen nicht auf.874 Wie viele ehemalige Ordensbrüder fand er rasch eine Anstellung: Von 1774 an war er zunächst Professor für Grammatik, später für Rhetorik und Homiletik am ehemals jesuitischen, nunmehr kurfürstlichen Gymnasium Amberg.875 Seinen im Widmungsschreiben der Tragoediae geäußerten Plan, im Anschluss an die Übersetzung selbst „auf Originalstücke zu denken“ 876, konnte er vermutlich nicht mehr verwirklichen. Schenkl verstarb schon 1778 im Alter von nur 32 Jahren. Mit der Übersetzung der Claus-Dramen hatte der junge Professor 1775 begonnen. Im August des Jahres gab er seine Scipio-Übertragung in Druck, nachdem er das Stück auf die Amberger Schulbühne gebracht hatte.877 Im Folgejahr kam zunächst seine Stilico-Übersetzung heraus, ehe Schenkl die ebenfalls 1776 erschienene Augsburger Übersetzung der Tragödien zu Gesicht bekam. Seiner Themistocles-Übersetzung ist aus diesem Grund ein langes Vorwort vorange-

 Claus 1776b. Zu Schenkl vgl. Besnard 1833, S. 346. Gerl 1968, S. 230; Catalogus personarum et officiorum provinciae Germaniae superioris societatis Jesu für die Jahre 1763–1770; Catalogus personarum et officiorum provinciae Bavaricae societatis Jesu für die Jahre 1771–1773. In den Quellen findet sich häufig die Schreibung Schenckl.  Der Augsburger Übersetzer kannte zumindest Schenkls Scipio. Claus 1776a, [].  Freninger 1872, S. 83–84.  Blößner 1929, S. 99; 102.  Claus 1776b, S. [].  Im Vorwort zur Protasius-Übersetzung gibt Schenkl an, er veröffentliche die Stücke in der Reihe, wie sie aufs Theater gekommen seien. Dass Schenkl bei der Münchner Zensurbehörde die Bewilligung für Scipio (1775) sowie Stiliko und Protasius (1776) erhielt, dokumentiert Friess 1934, S. 104–105. Friess bietet auch einen Hinweis für eine Rezeption einer der beiden Übersetzungen: Ein Themistokles wurde 1777 für das Gymnasium Landshut bewilligt. Zum Amberger Schultheater nach 1773 siehe auch Blößner 1929, S. 68.

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stellt, in dem Schenkl argumentiert, wieso er die übrigen Claus-Tragödien noch übertrug, obwohl sie bereits in Übersetzung vorlagen. Erwartungsgemäß sind es die Mäkel der Augsburger Übersetzung, mit denen er seine eigene Arbeit rechtfertigt. Schenkl wirft dem Augsburger Übersetzer vor, zu wörtlich übersetzt und einen Stil gewählt zu haben, der den Eindruck entstehen lasse, Claus habe „gar nichts von einem Ausdrucke gewußt, der Pathos heißt.“ 878 Bei der Übersetzung einer Tragödie auf alles zu verzichten, „was rührt, und angreift, was Herz und Feuer hat, ohne Nerven und Sehnen daher [zu] murmel[n], heißt unsre Nation unter die Klasse der Unempfindlichen herab setzen.“ 879 Schenkl rechnet nicht nur in ästhetischen Belangen mit dem Augsburger Übersetzer ab. Auch in ideologischer Hinsicht distanziert er sich unmissverständlich von seinem Kollegen. Die aus den Paratexten der Augsburger Übersetzung sprechende Haltung, den geänderten Zeitumständen mit Verklärung der kulturellen Leistungen des Ordens und den Repressalien mit einer Attitüde gekränkten Stolzes zu begegnen, wird abgelehnt. Der Übersetzer legt seinem anonymen Kollegen zur Last, Claus nicht auf Grundlage von dessen literarischem Werk zu beurteilen, sondern ihn zu einem Märtyrer der Ungerechtigkeit zu stilisieren, die der jesuitischen Gelehrsamkeit widerfahren sei, und infolgedessen Claus’ literarische Bedeutung zu überschätzen. In die „Vergötterung von Menschen“,880 die sich einzig daraus speise, dass einige „das Unglück haben, bey diesen gottlosen Zeiten im Fache der Wissenschaft verfolgt zu seyn“,881 will Schenkl nicht mit einstimmen. Während er den Übersetzer für dessen „herzbrechende“ 882 Übersetzung verurteilt, sieht er Claus stilistische Schwächen nach. Dass ein Deutscher auf Latein einen „schleppenden Ausdruck, und einen Jamb, der sich nicht gleich ist“ schreibe – Schenkl greift damit die Kritik eines nicht näher genannten Franzosen auf – sei verständlich.883 Auch er selbst beurteilt Claus’ Tragödien differenziert. Die Stücke seien zwar solide komponiert, die in ihnen vorgeführten Leidenschaften und Laster gut und moraldidaktisch anschaulich inszeniert, dennoch hätten sie „viel Vermischtes, Gleichgültiges, und man wünschte es zu vermissen“. Protasius hält er sogar für gescheitert. Den Jesuiten mit gro-

 Claus 1776b, Vorwort Themistokles, S. [].  Claus 1776b, Vorwort Themistokles, S. [].  Claus 1776b, Vorwort Themistokles, S. [].  Claus 1776b, Vorwort Themistokles, S. [].  Claus 1776b, Vorwort Themistokles, S. [].  Einleitung zu Scipio. Leider ist es nicht gelungen zu eruieren, worauf Schenkl damit Bezug nimmt. Im Index des Journal de Trevoux, das als Rezensionsorgan in Frage kommt, fanden sich keine Angaben.

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ßen Dramatikern der Literaturgeschichte – Schenkl nennt Euripides, Sophokles und Shakespeare – zu vergleichen, verbiete sich. Die Tragödien müssten im Kontext ihrer Entstehungsbedingungen betrachtet werden, das heißt als Lehrstücke eines Rhetors, als welche sie freilich durchaus überzeugen könnten. Dass es Schenkl nicht nur darum ging, durch Verunglimpfung eines Konkurrenten Raum für sein eigenes Übersetzungsprojekt zu schaffen, sondern tatsächlich auch um ästhetische Aspekte, wird anhand seiner Übersetzung deutlich. Sie unterscheidet sich stilistisch beträchtlich von der Augsburger Übersetzung. Schenkl übersetzt zielsprachenorientiert, seine Prosaübertragung verfährt frei mit dem Originaltext. Wortfolge und grammatische Strukturen werden nicht wiedergegeben, mitunter ist zusätzliches Wortmaterial eingeführt. Längere Perioden des Originals sind in kürzere Sätze aufgelöst, Gliedsätze sind noch einmal reduziert. Häufig finden sich Anakoluthe, Interjektionen und Gedankenstriche, d. h. Elemente, die den Text dynamisch aufladen. Das Bemühen des Verfassers, den Text mit Pathos anzureichern und in ein bühnentaugliches Deutsch zu bringen, ist offenkundig. Claus, Themistocles 2,4: Et Persicus rex hospitis sui caput nil jura gentum veritus et datam fidem tradit furenti Graeciae et morti objicit. Schenkl, Themistokles 2,4: Und er – giebt seinen Gast der Rache seiner Feinde Preis – schleppt ihn zum Tode. – Mein Freund! Wo bleibet deine Treu? – mein König! kennst du die Stimme nicht, die Stimme der Natur, und das Gesetz, das sie in unsern Herzen schreibt, und jedem deutlich sagt – auch dem Barbar.

Schenkl versuchte in der Übersetzung, den jambischen Rhythmus des Originals beizubehalten; deutlich wird das insbesondere am Einsatz von Apokopen bzw. Synkopen, der augenscheinlich im Dienst der Jambisierung steht. Dennoch ist die Übersetzung nicht metrisch gebunden. Damit entspricht sie moderneren deutschen Trauerspielen wie Miss Sara Sampson oder Emilia Galotti – eine Übereinstimmung, die Gewicht erhält, wenn man sich vor Augen führt, dass in Prosa abgefasste kanonische Tragödien im deutschen Sprachraum bis in die Zeit Lessings praktisch nicht existierten. Entspricht dies noch der Augsburger Übersetzung, so werden die verhältnismäßige Modernität von Schenkls Dramen und Parallelen zu Entwicklungen im zeitgenössischen protestantischen Drama evident, wenn man Stil und Satzbau in den Fokus nimmt. Die bewusst konstruierte Natürlichkeit der Sprache, die Schenkl mit Mitteln wie häufigen Fragen und Anredeformeln, kurzen, oft imperativischen Sätzen, Anakoluthen, Wortwiederholungen, frequentem Einsatz von Füllpartikeln wie ‚ja‘ oder ‚nun‘ zu erreichen sucht, gemahnt an stilistische Verfahrensweisen der

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6 Nachleben

Sturm-und-Drang-Dramatiker. Gleiches gilt für den Einsatz des Gedankenstrichs, der, vereinzelt auch doppelt gesetzt, Sprechpausen indiziert. Stellt man noch das von Schenkl gegenüber Claus’ lateinischem Text gesteigerte sprachliche Pathos in Rechnung, so wird deutlich, dass es sich hier um eine Varietät handelt, die der Bühnensprache nahesteht, die von den Dramatikern des empfindsamen Paradigmas in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts verwendet wurde. 1776 war Schenkl damit auf der Höhe der Zeit. Im selben Jahr wurde nicht nur Klingers Drama Sturm und Drang uraufgeführt, sondern auch eine Reihe weiterer epochemachender Dramen wie Klingers Zwillinge, Lenz’ Soldaten und Wagners Kindermörderin publiziert. Goethes Götz von Berlichingen war 1773, Lenz’ Hofmeister 1774 erschienen. Es besteht kein Zweifel daran, dass der ehemalige Jesuit diesen stilistischen Vorbildern nacheiferte – ein Hinweis darauf, dass die kulturelle Schwelle, die zwischen den katholischen Gebieten und den protestantischen Territorien lange Zeit den Austausch behindert hatte, inzwischen überwunden worden war. Schenkl bewahrte Claus’ Dramen nicht nur für die neue, der lateinischen Sprache weniger aufgeschlossene Öffentlichkeit, sondern bereitete sie zugleich dem Zeitgeschmack entsprechend ästhetisch auf. Erhellend in dieser Hinsicht sind auch die wenigen literaturtheoretischen Äußerungen Schenkls, die in den Paratexten Platz gefunden haben. Unreflektierten Aristotelismus lehnt der Übersetzer ab.884 Regelzwang hält er für störend und verweist auf Autoren wie Sophokles und Euripides, die bleibende Werke verfassten, ohne Aristoteles’ Lehre gekannt zu haben. Symptomatisch ist außerdem, dass er Shakespeare, eines der zentralen Vorbilder der jüngeren deutschen Bühnenautoren, gegen den Aristotelismus ins Feld führt. Der Schluss, den er aus seinen Überlegungen zieht, ist ein Sturm-und-DrangGedanke par excellence: „Das Herz ist die Quelle, das uns Tragisch denken heißt.“ 885 Bemerkenswert an beiden Übersetzungen der Tragoediae ludis autumnalibus datae ist der unvermittelte Umgang mit dem Autor Anton Claus. Weder Schenkl noch der Augsburger Übersetzer befand es offenbar für nötig, seinen Lesern den Verfasser der Tragoediae vorzustellen. Das Fehlen biographischer Angaben ist zwar für eine Ausgabe aus dem achtzehnten Jahrhundert nichts Ungewöhnliches, man hätte sich aber bei einer Edition teils über fünfzig Jahre alter Stücke, zudem zwanzig Jahre nach dem Tod des Autors, zumindest einige Bemerkungen im Vorwort erwartet. Die Art und Weise, wie die Herausgeber

 Im Vorwort zum Themistocles, S. [] verwehrt sich Schenkl gegenüber einer zu engen Auslegung der klassizistischen Dramentheorie.  Claus 1776b, Vorwort Themistokles, S. [].

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den Verfasser einführen, erinnert an den Umgang mit einer bekannten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens: Eine Übersetzung vom Klaus? […] Hum, hören wirs deutsch, was ein Deutscher auf Latein sagte.886

Man darf daraus folgern, dass der Dramatiker Claus dem potentiellen Lesepublikum bekannt, ja geradezu vertraut war. Das ist bemerkenswert, zumal sich mit den gesellschaftlichen Umständen im Laufe dieser Jahre auch der ‚Literaturbetrieb‘ verändert hatte. Claus’ Dramen hatten offenbar diese Veränderungen überlebt. Es ist anzunehmen, dass die beiden Ausgaben seiner Tragoediae, möglicherweise auch die seiner Exercitationes, in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in Bayern in gewissen Kreisen anhaltenden Erfolg genossen. Die beiden Übersetzungen bezeugen das. Hätten die Übersetzer nicht damit rechnen können, dass der Name Anton Claus ein entsprechendes Publikum mobilisieren würde, wären die Übersetzungen wohl nicht angefertigt, zumindest nicht verlegt worden.887

.. Franz Xaver Jann: Etwas wider die Mode Demselben kulturkonservativen, exjesuitischen Augsburger Umfeld wie die Übersetzung der Tragoediae ludis autumnalibus datae von 1776 ist der Dramatiker Franz Xaver Jann (1750–1828) zuzuordnen.888 Jann, der von 1776 bis 1807 Lehrer am Kolleg St. Salvator war und in diesem Rahmen für die Schultheateraufführung zuständig zeichnete, brachte von 1782 bis 1803 sechs Bände der Reihe Etwas wider die Mode. Schauspiele und Gedichte ohne ärgerliche Caressen, und Heurathen, für die studirende Jugend heraus,889 Sammlungen biederer, katholisch grundierter Literatur. Der Autor wollte damit einen Kontrapunkt gegen moderne Dramatiker setzen, welche „unser ehrliches deutsches Vaterland mit einer ganzen Sündflute der schändlichsten Schauspiele überschwemmet“ haben.890 Die Vorbehalte, die er in den Vorworten gegenüber dem bürgerlichen Trauerspiel äußert, sind die in gegenaufklärerischen Kreisen der Zeit üblichen: Die Darstellung „weichliche[r], und zugleich gewaltsame[r] Leidenschaft“ 891  Claus 1776b, S. [].  Schenkl unterstellt den Augsburger Übersetzern explizit ökonomische Motive, vgl. Claus 1776b, Vorwort Themistocles, S. [].  Über Janns Biographie informiert Leinfelder 1832. Vgl. auch Wittmann 2009, S. 126–127.  Ein siebter Band erschien 1821.  Jann 1782, Bd. 1, S. [].  Jann 1782, Bd. 1, S. [].

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bedrohe die „guten Sitten“ und verstoße gegen „altdeutsche[n] Ehrbarkeit“.892 Um dieser Entwicklung gegenzusteuern, legte er moralische Stücke vor, in denen unmissverständliche pädagogische Botschaften transportiert werden.893 Die Befolgung aristotelischer Grundsätze ist in ihnen zum vorrangigen Kriterium ästhetischer Wertung erhoben.894 Viele dieser Stücke setzen typische Stoffe und Themen der späten Jesuitenbühne um.895 Dazu zählen auch Bearbeitungen von Claus-Dramen; Jann beschränkte sich dabei auf Stücke des Jesuiten, in denen vordergründig christliche Stoffe behandelt werden. Im zweiten, 1785 erschienenen Band von Etwas wider die Mode ist eine Bearbeitung von Dasius martyr aufgenommen.896 Die Grundkonstellation von Claus’ Stück wurde zwar beibehalten, Jann gestaltete den Stoff aber als Singspiel und veränderte ihn entsprechend, nur wenige Sätze sind in Übersetzung aus dem Original übernommen. Sämtliche Nebenhandlungen des auf zwei Aufzüge reduzierten Stücks wurden gestrichen. Dafür finden sich mehr reflektierende Passagen, in denen die christliche Moral expliziert wird. Im dritten Band der Sammlung von 1788 findet sich ein Stück mit dem Titel Paulinus von Nola, oder die wahre Menschenliebe.897 Das Drama beruht auf Sanctus Paulinus Nolae episcopus, Jann griff aber auch hier merklich in die Handlungsentwicklung ein. Kern des 1. Akts ist ein langes Gespräch zwischen Paulinus und Melindus, dem Knaben, für den Paulinus im Vorfeld der Handlung die Gefangenschaft auf sich genommen hat. Erst in weiterer Folge wird

 Jann 1800, Bd. 5, S. []. In der oben erwähnten Beschreibung des Augsburger Kulturlebens erwähnt Friedrich Nicolai Jann als den „Verfasser des albernen Etwas wider die Mode“ (Nicolai 1989, S. 104). Jann replizierte im Vorwort des 3. Bandes von Etwas wider die Mode 1788.  Leinfelder 1832, S. 25–26: „Bei den Jesuiten wurden öfters, besonders am Schlusse des Studienjahrs, Theaterstücke aufgeführet, aber meistens in lateinischer Sprache. Jann wurde Theaterdirektor und verfaßte dann selbst einige Schauspiele in lateinischer Sprache; allein er bedauerte sehr, daß das Publikum diese Sprache nicht verstand, und dabei also keinen Gewinn hatte; die damals neuen deutschen Theaterstücke konnte er aus mehreren Gründen nicht benützen, und so entschloss er sich, neue Schauspiele, Singspiele u.s.w. zu verfassen, um sie von den Schülern aufführen zu lassen; dabei sprach er seinen frommen Sinn für Tugend und Veredelung der Sitten im höchsten Grade aus; er entfernte Alles, was nur im Geringsten der Unschuld nachtheilig, oder dem Laster günstig hätte seyn können.“  Vgl. das Vorwort des vierten Bandes (1790), in dem der Verfasser nur Einwände der Rezensenten gegen die Charakterzeichnung und die aristotelischen Einheiten gelten lässt.  Vgl. z. B. Trebellius, König der Bulgarer in Bd. 2 (1785).  Zum Claus-Drama siehe hier S. 178–182.  Eine (äußerst negative) Kritik des 3. Bandes mit Einzelbesprechungen aller Stücke findet sich in der 95. Ausgabe der von Friedrich Nicolai herausgegebenen Allgemeinen deutschen Bibliothek (1790), S. 297–301.

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die nolanische Gesandtschaft eingeführt, die Wiedererkennungsszene ist also gedoppelt. Jann baut außerdem ein zusätzliches Spannungsmoment ein: Die Hinrichtung des Paulinus durch den Christenhasser Genserich steht im Raum. Die Innovationen, die Jann in das Drama einführt, gehen allerdings auf Kosten der Wahrscheinlichkeit. Die Dramaturgie wirkt konstruierter als in Claus’ Übungsstück. Wie in den anderen Bearbeitungen hat das moralische Empfinden des Übersetzers Niederschlag gefunden. Christliche Lehre rückt hier noch stärker in den Vordergrund als in der Vorlage, immer wieder sind katechetische Partien in die Handlung eingeflochten. Abweichend ist auch der Stil: Mehr noch als in Claus’ Übungsstück zeichnen sich die Mitgefangenen des Bischofs und deren Sklaventreiber Alastor durch rohen, teils brutalen Sprachgebrauch aus: Jann, Paulinus von Nola, 1,1: Adalard: […] Gut, ich werde ein anders Mittel finden; an der Maur des Gartens werde ich meinen unseligen Schedel zerstoßen, dann magst du hinkommen, Blutdurstiger, und Blut, und Gehirn, das daran klebet, herablecken.

Im Gegensatz zu diesen beiden Stücken ist die Bearbeitung von Charitas Christiana, die unter dem Titel Martinez, oder die besiegte Rachbegierde ebenfalls im dritten Band von Etwas wider die Mode abgedruckt ist, im Untertitel ausdrücklich als Claus-Bearbeitung ausgewiesen.898 An Eingriffen fällt hier zunächst die Umstrukturierung der Handlung auf. Jann organisierte das im Original fünfaktige Stück in drei Akten. Der Bearbeiter hielt sich ansonsten jedoch enger an die Vorlage als in Dasius und Paulinus. Zwar übersetzte er durchwegs frei, schmückte den ursprünglichen Text aus und fügte gelegentlich zusätzliche Repliken (vgl. z. B. 1,3) oder ganze Szenen (vgl. z. B. 1,4) ein, zu einem überwiegenden Teil wurde der Inhalt der Einzelrepliken jedoch übernommen. Die stärksten inhaltlichen Änderungen finden sich im Vergleich zum 3. Akt des Originaldramas, wo Jann zum einen zahlreiche zusätzliche Szenen eingearbeitet hat, zum anderen die Figur des Scharfrichters selbst auftreten lässt. Der daraus entstehende Konflikt zwischen dem Vertreter der Staatsmacht und dem christliche Prinzipien vertretenden Helden Johann von Gott lässt sich als Ausdruck des Unbehagens des Exjesuiten gegenüber der zeitgenössischen aufgeklärten Politik lesen – die Staatsmacht erscheint hier als eindeutig negative Instanz. Auffällig ist auch hier, dass Jann sich bemühte, die Handlung moralisch aufzuladen und Verhaltensregeln zu explizieren. Die Szene 1,4, ein Dialog

 Das Stück wurde im März 1785 von der kleinen Marianischen Kongregation in Augsburg aufgeführt. Wahrscheinlich entstand es zu diesem Anlass.

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6 Nachleben

zwischen dem friedfertigen Diener Jakomo und Martinez’ Cousin Ramirez, ist sichtlich nur deshalb eingeschoben, um das Verhalten der Hauptfigur zu kommentieren und negativ zu bewerten. Ähnliche Überlegungen liegen den gegenüber dem Originaltext ergänzten Repliken von Ramirez in 1,7 zugrunde (die Parenthese zeigt Beiseitesprechen an, das bei Claus fehlt): Jann, Charitas Christiana, 1,7: Martinez: […] Ich selbst werde meinen lieben Velasquez um Verzeihung bitten, und ihn zärtlich in meine Arme schließen. Ramirez: (Eine verruchte Heucheley!) […] Martinez: Was sagen Sie? Velasquez wäre entkommen? Johann von Gott: So sagt man wirklich in der ganzen Stadt. Martinez: O wenn es doch wahr wäre! Ramirez: (O wenn du doch kein so schändlicher Heuchler wärest!) […] Ramirez: (In meinem Leben sah ich keinen so abscheulichen Betrüger.)

Es ist anzunehmen, dass die drei Dramen in der Bearbeitung Janns einen großen Leserkreis erreicht haben. Mehrfach dürften sie auch Schultheateraufführungen zugrunde gelegt worden sein. Die lebhafte Rezeption der Stücke, die der Autor in seinen Vorworten betont, ist von Carlen für das Wallis bestätigt worden.899 Sie ist folglich auch in den anderen Gebieten anzunehmen, die Jann erwähnt hat.900

.. Übersetzungen in andere Volkssprachen Neben dieser beachtlichen Anzahl an Übertragungen in die deutsche Volkssprache lassen sich zwei Dokumente nachweisen, die eine Rezeption des Autors außerhalb des deutschen Sprachraumes bezeugen. Sie sind nicht greifbar, jedoch bibliographisch erfasst. Die älteste Übersetzung von Claus’ Dramen in eine Volkssprache ist demnach die polnische Übertragung, die 1751 anonym unter dem Titel Trzy traiedye Publiusza Kornelego Scypiona, Stylikona i Temistoklesa, polskim wierszem przłożył i wydał J. S. Z. Ł. Ł. S. Z. W. M. in Vilnius

 Carlen 1950, S. 256: „[…] Jann, dessen fade und moralisierende Stücke nun auf Jahrzehnte den Spielplan beherrschten.“  Vgl. u. a. das Vorwort des 5. Bandes von Etwas wider die Mode (1800): Die Stücke „wurden […] an sehr vielen Orten in Schwaben, Bajern, Franken, Schweiz, und Tyrol nicht ohne Beyfall aufgeführet.“

6.5 Aufführungen von Claus-Dramen im Volkstheater

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erschien. Die Abbreviatur lässt sich auflösen.901 Als Übersetzer tätig war demnach der ansonsten unbekannte Adelige Ignacy Stanisław Łopacinski. Die Versübersetzung erschien in der Druckerei der Jesuiten, die in Vilnius seit der Gründung des Kollegs 1570 eine bedeutende Stellung hielten. Weitere Übersetzungen von Jesuitendramen ins Polnische, darunter Meditationsdramen von Franz Neumayr sind dokumentiert.902 Gleichwohl ist die produktive Rezeption der Tragoediae ludis autumnalibus datae im Baltikum ein beredtes Zeugnis für den beachtlichen Erfolg der Stücke bei den Zeitgenossen. Bei De Backer/Sommervogel ist weiters eine spanische Übersetzung eines Claus-Dramas verzeichnet.903 Es ist die jüngste literarische Auseinandersetzung mit dem Autor, die sich eruieren lässt. Josephus Mundò, wohl ebenfalls ein Jesuit,904 soll im Kloster Veruela für eine Aufführung am 21. März 1893 eine Versübersetzung von Caedes Abelis angefertigt haben; der Text blieb wahrscheinlich ungedruckt. Bemerkenswert daran ist nicht zuletzt, dass der Autor in Spanien am Ende des neunzehnten Jahrhunderts noch bekannt waren.

. Aufführungen von Claus-Dramen im Volkstheater In bescheidenen Ausmaßen ist eine Rezeption von Claus’ Dramen auch außerhalb des unmittelbaren Schulkontexts dokumentiert. Die Verwendung der Stücke auf bürgerlichen Bühnen dürfte noch stärker als Zeugnis für ästhetische Werthaltungen zu beurteilen sein als die aus der Kontinuität schulischer Traditionen verständliche Rezeption des Autors an Gymnasien, das gilt zumal in einer Zeit, als sich das bürgerliche Trauerspiel als führendes dramatisches Paradigma durchgesetzt hatte. Die Quellen, die diese Rezeption bezeugen, sind allerdings in den meisten Fällen wenig aussagekräftig. In Innsbruck suchte eine Gruppe Studenten 1768 – vier Jahre nach der offiziellen Abschaffung der Herbstspiele905 – um Genehmigung an, das von

 Bentkowski 1814, Bd. 1, S. 547 löst sie auf als Ignaćy Stanisław z. Łopacina Łopacinski Surrogat Ziemski Woiewodziwa Mścisławskiego. Die Auflösung der Abbreviatur als Ignatius Stanislaus Łopacinski surrogator terrestris palat. Mscislav findet sich bereits bei Załuski 1752, S. 16. Juszynski 1820, Bd. 1, S. 263–264. druckt einen Ausschnitt daraus ab und erwähnt eine zweite Auflage der Übersetzung ohne Zeit und Ort. Die Übersetzung wird erwähnt bei De Backer/ Sommervogel 1891, Bd. 2, Sp. 1204.  Załuski 1752, S. 16–21.  De Backer/Sommervogel 1900, Bd. 9, Sp. 49.  Das ehemalige Zisterzienserkloster Veruela wurde von 1877 bis 1975 von Jesuiten bewohnt.  Grimm 1987, S. 304.

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6 Nachleben

Claus verfasste Trauerspiel Martinus öffentlich aufführen zu dürfen.906 Da die Truppe den Erlös Bedürftigen zu überlassen versprach, wurde dem Antrag stattgegeben. Das Stück, um das es sich handelte, war Charitas Christiana, Martinus verweist auf die Hauptfigur, Antonius Martinius. Die Aufführung als solche muss möglicherweise als ein Ausläufer der jesuitischen Schultheatertradition gesehen werden. Vielleicht versuchten Angehörige der Innsbrucker Bildungslandschaft nach dem offiziellen Ende der Schulspiele, die Aufführungen unter einem Deckmantel durchzuführen. Denkbar wäre auch, dass es sich um die Aufführung einer Volkstheatertruppe handelte. Diese Truppen waren in den sechziger Jahren in Tirol sehr aktiv, hatten allerdings ebenfalls unter politischen Restriktionen zu leiden.907 Im Tiroler Volkstheater sind weitere Aufführungen dokumentiert, die Claus-Rezeption (bzw. Jann-Rezeption) vermuten lassen: In Schwaz wurde 1763 ein Stück mit dem Titel Moyses Räuber der Räuber aufgeführt, 1795 ein Paulinus von Nola, 1792 in Kitzbühel Martinez oder die besiegte Rachbegierde.908 Aus Augsburg hat sich eine Perioche erhalten, die bürgerliche StilicoAufführungen bezeugt. Dem Dokument zufolge wurde in der ersten Hälfte der Fastenzeit 1767 das Stück vier Mal wöchentlich von der „vereinigten Burgerschafft“ der Stadt zur Aufführung gebracht.909 Die Szenenparaphrasen der Perioche lassen keinen Zweifel daran, dass Claus’ Drama den Darbietungen zugrunde gelegen hat; allerdings wurde der Text abgeändert, bevor er auf die Bühne kam: Das Stück bestand nur aus drei Akten, einige der Figuren trugen andere Namen. Der Bearbeiter entwarf auch Zwischenspiele: Die Chöre, in denen der Hohepriester Heli sowie Nero und Agrippina als Exempla falscher Erziehung fungieren, sind in der Perioche mit abgedruckt.910 In sozioliterarischer Hinsicht aufschlussreicher ist die Dokumentation einer Münchner Aufführung einer Versübersetzung von Claus’ Stilico in der Fastenzeit 1783. Die Darbietung, die wahrscheinlich auf Schachtners Übersetzung beruhte, ist dank eines erhaltenen Theaterzettels verbürgt.911 Aufführen-

 Sikora 1906, S. 30–31.  Hastaba 1986; Simek 1992.  Sikora 1906, S. 369–370.  Zu den Volkstheateraufführungen in Augsburg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. Meyer 1927, S. 77  Die Perioche befindet sich in der Stadt- und Staatsbibliothek Augsburg, Sig. 4 Aug 347– 13.  Der Einblattdruck befindet sich in der Universitätsbibliothek München unter der Signatur 0014/W 4 P.germ. 212(1781/83). Als Verfasser des Stücks ist A.S. angegeben. Westenrieder 1783, Bd. 2, S. 193 gibt einen Hinweis auf eine Scipio-Aufführung ebenfalls auf der Faberbräu-Bühne. Nicht erwähnt ist dies im Verzeichnis von Legband 1904, S. 488–496.

6.5 Aufführungen von Claus-Dramen im Volkstheater

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de Gruppe war die Compagnie der gewöhnlich-bürgerlichen Stadtmusikanten, Ort der Aufführung das Faberbräu-Theater in der Sendlinger Gasse. Aus diesen Rahmenumständen lässt sich auf das geistige Klima schließen, das der Darbietung zugrunde lag. Das Faberbräu hatte um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts eine bürgerliche Bühne geboten, auf der Wandertruppen „extemporirte Komödien mit dem unvermeidlichen Hanswurst“ 912 aufführten. Im Zuge der Aufklärung wurden volkstümliche Theaterformen zurückgedrängt und das Repertoire verfeinert. 1771 begann man damit, moderne Stücke zu inszenieren, unter anderem bürgerliche Trauerspiele von Lessing und Wieland.913 Wenn noch 1783 ein Jesuitendrama auf dieser Bühne aufgeführt wurde, so dokumentiert dies eine anhaltende ästhetisch-weltanschauliche Polemik zwischen Erneuerern und Traditionalisten in der Münchner Theaterszene. Letztere, darunter die dilettantisierende Kompagnie der Stadtmusikanten, die auf der Faberbräubühne bereits seit vielen Jahren Passionsdramen zur Aufführung brachte, wehrten sich gegen das neue, empfindsame Theater und hielten an der Aufführung einfacher Lustspiele sowie ‚sittenreiner‘ und lehrhafter Stücke fest.914 Die Aufführung von Stilico am 2. Fastensonntag 1783 muss somit als Kontrapunkt gegen das bürgerliche Trauerspiel gesehen werden. Das Stück erwies sich in seiner Anlage als günstig: Da in der Fastenzeit traditionell religiöse Stücke aufgeführt wurden, die Aufführung geistlicher Stücke vom Zensurkollegium jedoch inzwischen zumeist untersagt wurde, griffen die Verantwortlichen auf ein weltliches Drama eines jesuitischen Autors zurück, der sich allerseits als Verkörperung eines christlichen, moralisch erbaulichen Dramatikers darstellen ließ.915 Es ist anzunehmen, dass es vor dem Hintergrund dieses Kulturkampfes zu weiteren Aufführungen von Claus’ Dramen in volkstümlichen Kontexten gekommen ist. Übersetzungen von Jesuitendramen dürften weiterhin in den Zirkeln rezipiert worden sein, für die das heroisch-gefühlskritische Trauerspiel attraktiv blieb. Da Aufführungen von Amateurtruppen schlecht dokumentiert sind, fehlen allerdings Hinweise auf weitere konkrete Rezeptionssituationen. Kaum Spuren des Autors ließen sich in den Zeitschriften des achtzehnten Jahrhunderts finden. Eine systematische Suche konnte allerdings nicht angestellt werden. Eine Rezension der Exercitationes in den Regensburger gelehrten Nachrichten von 1761 musste unbeachtet bleiben, da mir kein Exemplar zu-

   

Kronegg 1903, S.332. Wagner 2013, S. 229. Kronegg 1903, S. 332. Friess 1934, S. 88; 166.; Laturell 1997, S. 402–403.

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6 Nachleben

gänglich war.916 Eine späte Erwähnung ist aus Wien erhalten: In der 17. Ausgabe des Journal von auswärtigen und deutschen Theatern, das am 30. September 1778 ebendort erschien, wird Claus in einem Artikel über das italienische Theater erwähnt. Der gewandelte Stilgeschmack geht aus diesem Dokument deutlich hervor: Der Verfasser lobt das dramatische Schaffen des Jesuiten Saverio Bettinelli (1718–1808), „besonders wenn man ihn mit seinen Mitbrüdern Fritz, Clauß, le Jai, la Rue, Carzani [sic], u.m. vergleicht.“ 917 Die Aufzählung macht deutlich, welche Autoren in den späten siebziger Jahren noch als Kanon der Jesuitendramatik in Erinnerung geblieben waren. Der unbekannte Verfasser kann zwar dem Schultheater durchaus Positives abgewinnen, ortet jedoch literarische Beschränktheit aufgrund der Ordensvorgaben. In der Oktoberausgabe, die den Artikel fortsetzt, ist die Kritik an den jesuitischen Autoren konkretisiert: „Bey den andern läßt sich nichts, als höchstens eine schicklich oder unschicklich den Klaßikern abgeborgte Redensart haschen; aber ein einfältiger Gedanke in schöne Worte gekleidet, ist eben so auffallend lächerlich, als wenn man in dem Gallawagen seiner Excellenz den – Stallmeister fahren sieht!“ 918

 Verzeichnet bei Baader 1804, Sp. 195.  Journal von auswärtigen und deutschen Theatern, 1. Theil, 1778, S. 136.  Ebd., S. 137–138.

7 Resümee: Anton Claus – ein Jesuitendramatiker des achtzehnten Jahrhunderts Anton Claus eignet sich gut für eine Standortbestimmung des bislang wenig untersuchten Jesuitendramas in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Der Dramatiker hat nämlich Stücke vorgelegt, die einerseits innovativen Tendenzen auf der Schulbühne Vorschub leisteten, andererseits jedoch den Anschauungen des Ordens so weit entsprachen, dass sie von den Autoritäten der Gesellschaft nicht beanstandet werden mussten. Er bewegte sich also im Rahmen dessen, was auf der Jesuitenbühne des achtzehnten Jahrhunderts neu und mit den Ordenstraditionen dennoch vereinbar war. Günstig für eine Fallstudie ist zudem die Quellenlage: Von keinem anderen deutschen Jesuiten seiner Zeit hat sich eine solche Bandbreite an Stücken unterschiedlicher dramatischer Genres erhalten. Die Biographie von Anton Claus ist in vieler Hinsicht charakteristisch für die eines jesuitischen Dramatikers. Viele Jahre lang betreute er die Rhetorikklassen verschiedener Jesuitenkollegien der oberdeutschen Provinz. Im Rahmen dieser Tätigkeit war er angehalten, Schultheateraufführungen vorzubereiten und als Regisseur zu betreuen. Darunter fielen die öffentlichen Herbstspiele ebenso wie kleinere, schulinterne Darbietungen. Untypisch für einen Choragen ist hingegen, dass Claus diese Dramen im Druck veröffentlichte. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, weshalb Claus in den Vorworten der Publikationen dagegen anschrieb, als Literat wahrgenommen zu werden, und die Veröffentlichung der Stücke mit dem Hinweis rechtfertigte, er habe nur Übungsmaterial für angehende jesuitische Rhetoren zur Verfügung stellen wollen. Ungeachtet dieser Bescheidenheitsbekundungen verfügen viele der Stücke über eine für die Schulbühne beachtliche künstlerische Qualität. Dass Claus’ dramatischer Produktion durchaus literarischer Anspruch zugrunde lag, ist offensichtlich. Das gilt zumal für seine erste Dramensammlung, die 1741 erschienenen Tragoediae ludis autumnalibus datae. Der Autor hat den Stücken poetologische Kommentare nachgestellt, in denen er sein dramatisches Programm darlegte und Anschluss an die literarische Tradition suchte. Im Gefolge seines erklärten Vorbilds, Pierre Corneille, legte er vier klassizistisch gebaute Tragödien in jambischen Trimetern vor, welche gegenüber dem Jesuitendrama früherer Zeiten, häufig vorrangig ein katholisches Propagandainstrument, neue Akzente setzten: Anhand weltlicher Stoffe aus der paganen Geschichte des Altertums sollte Bewusstsein für allgemein ethische Tugenden und soziale Normen gestiftet werden. Ideale, die in diesen Stücken pädagogisch aufgegriffen werden, sind unter anderem Einsatz für das Gemeinwohl, Vorrang von verhttps://doi.org/10.1515/9783110617788-008

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7 Resümee: Anton Claus – ein Jesuitendramatiker des achtzehnten Jahrhunderts

nunftgeleitetem Handeln bzw. Mäßigung der Leidenschaften oder rollenkonformes Verhalten im sozialen Umfeld. Der Geist der Aufklärung hat in dieser dramatischen Orientierung deutlich Niederschlag gefunden. Das gilt auch für die formale Gestalt der Tragödien. Claus’ Klassizismus äußert sich nicht nur in der Befolgung aristotelischer Dramentheorie, sondern auch in einem nüchtern-rationalen Handlungsaufbau. Die Stücke sind auf die notwendigen Handlungskonstituenten reduziert, sämtliche Motive stehen im Dienst des zentralen Konflikts. Dieser Klarheit trägt auch die Sprache Rechnung: Das Latein der Tragoediae ist eine schlichte, elegante, aber nie gesuchte Umgangssprache mit bewusst kolloquialen Einsprengseln. Ungezwungenheit und Natürlichkeit sind die Stilideale des Autors. In Claus’ zweiter Dramensammlung, den 1750 erschienenen Exercitationes theatrales, haben diese ästhetischen Prinzipien ebenfalls Anwendung gefunden. In stofflicher Hinsicht unterscheiden sich die 22 Stücke dieser Sammlung jedoch von den heroischen Tragödien. Claus hat hier bisweilen hagiographische bzw. biblische Sujets umgesetzt, bisweilen werden Szenen aus der Lebenswelt der Schulknaben dargestellt. In den meisten dieser Stücke wird eine einfache moralische Lehre vermittelt, für deren Illustration der Autor häufig mit Komik gearbeitet hat. Der Sitz im Leben der überwiegend kurzen Dramen variiert: Als Übungsstücke wurden viele der Exercitationes für unterschiedliche Unterrichtspraktiken an den Schulen eingesetzt, andere Stücke, darunter die vier Meditationsstücke am Ende der Sammlung, fanden in den Marianischen Kongregationen Verwendung. Das literarische Schaffen von Anton Claus eröffnete die letzte Blüte jesuitischer Dramenproduktion im deutschsprachigen Raum. In den Jahren nach der Veröffentlichung der Tragoediae ludis autumnalibus datae gaben auch andere Choragen der oberdeutschen und österreichischen Ordensprovinz redigierte Spieltexte von Jahresendaufführungen in Druck. Die Autoren dieser Sammlungen beriefen sich teils auf Claus und favorisierten durchwegs ähnliche Gestaltungsprinzipien. Wie Claus wählten diese Choragen Stoffe, die nicht mehr nur katholische Heilsbotschaften aussandten, sondern allgemein ethische Grundsätze vorführen ließen. Die Umsetzung klassizistischer Vorgaben wurde als Grundvoraussetzung für die moralische Wirksamkeit von Theater begriffen und eingefordert. In theoretischen Schriften, die diese Autoren ihren Dramensammlungen beigaben oder separat publizierten, argumentierten sie, dass nur die von den aristotelischen Gestaltungskategorien gewährleistete Wahrscheinlichkeit einer dramatischen Handlung eine Rezeption ermöglichte, die in einer sittlichen Besserung resultieren könnte. Indem die Choragen ihre Stücke auf klassizistische Wirkungsästhetik verpflichteten, bemühten sie sich zugleich, die Praxis des jesuitischen Schultheaters gegen Anfechtungen utilitaristisch argumentierender Bildungsreformer in Schutz zu nehmen.

7 Resümee: Anton Claus – ein Jesuitendramatiker des achtzehnten Jahrhunderts

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Es wäre falsch, Claus für diese Entwicklungen allein verantwortlich zu machen. Autoren wie Neumayr, Weitenauer oder Friz entwickelten vor einem breiten Lektüre- und Erfahrungshintergrund bis zu einem gewissen Grad eigenständige Positionen. Als Anregung hat Claus’ Tragödiensammlung von 1741 aber unbestritten großen Einfluss ausgeübt: zur Orientierung für Stoffwahl und Gestaltung, als Referenzwerk für Drucklegung und paratextuelle Ausstattung, vor allem aber auch als Vorbild für das Verfassen von Ordensdramen, die dem literarischen Zeitgeschmack entsprachen. Claus führte vor, wie das Schultheater des Ordens an der volkssprachlichen europäischen Gegenwartsliteratur ausgerichtet werden konnte. Ein Vergleich mit den Reformen Gottscheds ist vor diesem Hintergrund naheliegend. Unabhängig von Gottsched entwickelte Claus in den 1720er Jahren ein ähnliches literarisches Programm wie der Begründer des modernen deutschen Dramas. Wie er stand Claus für ein von der französischen Klassik beeinflusstes Theater, das an aristotelisch gestalteten heroischen Stoffen allgemein moralische Lehren vermittelte. Als der Jesuit seine Tragödien später für den Druck vorbereitete, waren ihm Gottscheds Schriften höchstwahrscheinlich bekannt. Möglicherweise richtete er seine Texte und vor allem Paratexte nachträglich an den Vorgaben des Protestanten aus. Der Erfolg von Claus’ Stücken war für einen Jesuitendramatiker beachtlich. Die Verbreitung seiner Schriften konnte ich nicht systematisch untersuchen, bezeichnend ist aber, dass ich in allen älteren katholischen Bibliotheken, die ich im Zuge meiner Recherchen benützte, Exemplare seiner Dramensammlungen finden konnte. Die Popularität seiner Stücke im katholischen Literaturraum belegen auch die Rezeptionsdokumente, die sich bis ins späte achtzehnte Jahrhundert nachweisen lassen. Dazu zählen neben Aufführungen auf den Jesuitenbühnen Aufführungen auf den Schulbühnen anderer Orden sowie im Volkstheater, vor allem aber auch mehrere deutsche Übersetzungen und Bearbeitungen. Diese Rezeptionsspuren bezeugen eindringlich, dass Claus’ literarisch effektive Stücke in einfachem Latein auch als Lesedramen Wertschätzung und vielfach Verwendung erfahren haben. Das Werk dieses späten Jesuitendramatikers war keineswegs nur eine Sammlung didaktischer Auftragsschriften, deren Wirkung sich auf die Klassenzimmer der Ordensschulen beschränkt hätte. Anders als von der älteren Forschung formuliert, hatte auch das Jesuitendrama des achtzehnten Jahrhunderts in gewichtigem Maß Anteil am zeitgenössischen literarischen Diskurs. Anton Claus, einer seiner repräsentativsten Vertreter, ist zu Unrecht lange Zeit kaum beachtet worden. Als Zeugnis der kulturellen Vielfalt mitteleuropäischer Literatur und Beitrag zum literarischen Leben seiner Zeit gebührt dem Werk ein angemessener Rang in der Literaturgeschichte der deutschsprachigen Gebiete in der Epoche der Aufklärung.

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Personenindex Der Personenindex verzeichnet alle realen Personen, die im Buch Erwähnung finden. Einzige Ausnahme bildet der Name Anton Claus, der passim vorkommt. Nicht aufgenommen wurden literarische Figuren; Namen realer Personen, die in historischen Dramen verwendet werden wie Themistokles oder Scipio, sind nur an Stellen ausgewiesen, an denen auf die historische Persönlichkeit Bezug genommen wird. a Sancto Felice, Johann 174 Addison, Joseph 273 Adolph, Johann Baptist 5, 6, 90, 109, 142, 143 Agricola, Ignaz 30 Alarich 95 Aler, Paul 6, 125, 291 Aliprandi, Bernardo 31, 230 Amiodt, István 171 Anna Maria (Sachsen) 292 Antiochos IV. Epiphanes 236 Arima Harunobu (Protasius) 120 Arima Naozumi 120 Aristoteles 46, 49, 53–57, 59–68, 70, 71, 74, 157, 251, 259, 260, 262, 264, 275, 276, 302 Arnold, Georg 32, 229 Artaxerxes I 102 Avancini, Nikolaus 39, 44, 125, 140, 142, 164, 257, 287 Ayrenhoff, Cornelius Hermann von 281 Balde, Jakob 38, 80, 82, 164, 184 Baronio, Cesare 234 Bartoli, Daniello 194, 204, 205 Bayrer, Leonhard 296, 297 Besenella, Franz 185 Besser, Johann 274 Bettinelli, Saverio 310 Bidermann, Jakob 39, 48, 68, 80, 82, 137 Bissel, Johannes 267 Bodmer, Jakob 110, 280, 281 Boethius 95 Boileau, Nicolas 274 Brecht, Levin 15 Brumoy, Pierre 255, 293 Brunner, Andreas 39, 179, 291 Bucher, Anton von 182, 286 Büchner, Georg 279 https://doi.org/10.1515/9783110617788-010

Burckhart, Rudolph 80 Buschele, Joseph 24 Caldara, Antonio 89 Calderón de la Barca, Pedro 246 Callenbach, Franz 6, 291 Camerloher, Joseph Anton 31, 230 Canisius, Petrus 26 Canitz, Friedrich 274 Capilupi, Lelio 186 Carpani, Giuseppe 267, 283, 287, 310 Castelvetro, Lodovico 70 Caussin, Nicolas 287 Chapelain, Jean 56 Claudian 95, 269, 276 Claus, Joseph Ignaz 19 Clemens XVI. 299 Collin, Heinrich Joseph von 281 Corneille, Pierre 8, 9, 16, 45, 50–52, 54, 57– 61, 64–66, 68–74, 87, 89, 124, 130, 155, 158, 181, 249–254, 256, 258, 261, 263–265, 268–270, 273–276, 279, 289, 311 Corneille, Thomas 50, 96, 98, 99, 261, 265, 270 Craetz, Franz Xaver 167 Dacier, André 276 de Belleforest, François 140 de Gaspari, Giovanni Battista 269 de la Mesnardière, Hippolyte-Jules Pilet de 56 de la Rue, Charles 49–51, 73, 82, 91, 124, 125, 251, 253, 254, 261, 263, 265, 283, 287, 293, 296, 310 de Montchrestien, Antoine 88 de Montreux, Nicolas 88 de Saint-Gelais, Mellin 88 de Salluste Du Bartas, Guillaume 272

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Personenindex

de Scudéry, Georges 51, 56 de Tournemine, René-Joseph 253 Debenedictis, Johann Baptist 91 Dedekind, Friedrich 89 Delrio, Martin Anton 47, 56, 126 Denis, Michael 7, 39, 197, 272, 281 Diodor 110 Diomedes 126 Dollenz, Karl 111, 171 Donati, Alessandro 47, 53, 54, 58, 60, 62, 169 du Cygne, Martin 53 du Ryer, Pierre 108, 110 Dufrène, Maximilian 130 Eschenbrender, Andreas 216 Euripides 302 Fénelon, François 78, 278 Ferdinand I. (HRR) 194 Ferdinand III. (HRR) 142 Ferrandini, Giovanni Battista 31, 230 Flavius Josephus 220 Florus 61 Flotto, Adam 30, 32 Fregoso, Battista 188, 189 Friz, Andreas 5, 7, 9, 39, 44, 131, 154, 160, 257–262, 266, 268, 270, 276, 278, 281, 283, 284, 286, 289, 292, 310, 313 Galluzzi, Tarquinio 47 Goethe, Johann Wolfgang 288, 302 Gonzaga, Aloysius 27, 192 Gottsched, Johann Christoph 10, 61, 144, 257, 258, 263, 266, 272–280, 285, 295, 296, 313 Granelli, Giovanni 261 Greflinger, Georg 54 Gregor der Große 206 Grillparzer, Franz 86 Günther, Johann Christian 272 Haill, Joseph 82 Hazart, Cornelius 119–121 Hédelin, François (Abbé d’Aubignac) 51, 56, 251, 275, 276 Heinsius, Daniel 56

Hell, Franz Xaver 240 Hellbock, Placidus 20 Herodes Antipas 220 Hirschberger, Christoph 31, 230 Hl. Dasius 179 Hl. Franz Xaver 119, 121 Hl. Hermenegild 95 Hl. Johannes von Gott 173 Hl. Katharina 198 Hofmannswaldau, Christian Hoffmann von 276 Horaz 46, 49, 50, 72, 123, 157, 251, 263, 266, 275, 277 Hörmann, Johann Heinrich 164 Hueber, Ferdinand 39, 48, 81, 168, 171, 192, 258, 259 Jann, Franz Xaver 163, 174, 181, 288–290, 303–306, 308 Johann Theodor (Wittelsbach) 77 Joseph II. (HRR) 27 Jouvancy, Joseph de 40, 56, 66, 73, 124, 129, 131, 186, 251, 252, 254, 267, 268 Jovian 241 Karl Albrecht (Bayern) 33 Karl VI. (HRR) 33 Kässler, Johann Leonhard 240 Kircher, Athanasius 166 Kislinger, Franz Xaver 171 Klein, Anton von 281 Klinger, Maximilian 302 Kolb, Georg 30 Kolczawa, Karel 37, 171, 283 Konen, Raoul 8 König, Johann Ulrich 274 Kormart, Christoph 274 Kostka, Stanislaus 27, 192, 193 Kropf, Franz Xaver 30, 32, 40, 130, 197, 290, 291 Lang, Franz 6, 37, 40, 44, 47, 53, 75, 133, 167, 169, 171, 229 Langenauer, Joseph 20 Le Jay, Gabriel-François 40, 41, 57, 125, 131, 254, 268, 283, 294, 310 Lechner, Kaspar 191, 207

Personenindex

Lenz, Jakob Michael Reinhold 302 Leopold I. (HRR) 142 Lessing, Gotthold Ephraim 147, 182, 265, 266, 281, 301, 309 Lessing, Karl Gotthelf 8 Lohenstein, David Casper von 89, 276 Lombardi, Bernardo 56 Łopacinski, Ignacy Stanisław 307 Lucan 276 Ludwig XIV. (Frankreich) 274 Luidl, Anton 30 Madden, Samuel 109 Maffei, Scipione 257 Maggi, Vincenzo 56 Mairet, Jean 88 Malapert, Charles 125 Mambrun, Pierre 251 Mannhart, Franz Xaver 28, 258 Maria Theresia (Österreich) 272 Marino, Giambattista 276 Masen, Jakob 39, 47, 54, 58, 62, 169, 234, 261, 267 Massinissa 88 Maurikios (Ostrom) 234 Maurisperg, Anton 6, 39, 41, 48, 125, 143, 154, 192, 257, 259, 268 Maximilian II. Emanuel (Bayern) 77 Maximilian II. (HRR) 194 Maximilian III. Joseph (Bayern) 28, 31, 292 May, Johann Friedrich 255 Meichel, Joachim 39, 291 Merbitz, Valentin 109 Mermet, Claude 88 Metastasio, Pietro 110, 258, 261, 263, 293 Minato, Nicolò 89 Molière 261, 265, 283, 289 Morei, Michele Giuseppe 109, 110 Morselli, Adriano 109 Mozart, Wolfgang Amadeus 293 Muerpeckh, Stefan Joseph Anton 229 Müller, Benedikt 20 Mundò, Josephus 307 Mussato, Albertino 267 Mynsinger, Johann Baptist 227 Neukirch, Benjamin 274 Neumayr, Franz 1, 7, 26, 32, 39, 131, 154, 156, 163, 165, 168, 171, 228, 239, 258,

339

261–263, 266, 269, 271–273, 277, 281, 283, 284, 292–294, 296, 307, 313 Nicolai, Friedrich 297, 304 Niess, Johannes 188, 189 Nikephoros Kallistos Xanthopulos 234 Noël, François 41, 73, 125, 252, 257 Okamoto Daihachi 120 Opitz, Martin 271 Orosius 95 Pappus, Franz 20 Paula Gasser, Franz von 163 Paulinus von Nola 206 Paullin, Johannes 37, 40 Paulus Diaconus 95 Pazzi de’ Medici, Alessandro 46, 49, 64, 276 Petau, Denis 89, 125 Petrarca, Francesco 88 Philipp Moritz (Wittelsbach) 77 Pico della Mirandola, Gianfrancesco 182 Pico della Mirandola, Giovanni 182 Platon 57, 184 Plautus 124 Plutarch 108 Pogatschnigg, Joseph 143 Poliziano, Angelo 182 Pontanus, Jakob 8, 13, 38, 47, 82, 165, 170, 267 Porée, Charles 13, 39, 100, 234, 248, 255, 258, 261, 263, 283, 289 Possevino, Antonio 186 Pounde, Thomas 204, 205 Racine, Jean 50, 61, 70, 155, 254, 255, 258, 261, 263, 265, 268 Rader, Matthäus 79, 185 Resch, Joseph 124, 286, 287 Ribadeneira, Pedro de 149, 174 Rigler, Joseph Anton 254 Rosignoli, Carlo Gregorio 216 Rosweyde, Heribert 79, 175 Roys, Franz Xaver 171 Saint-Évremond, Charles 276 Schachtner, Johann Andreas 101, 292–295, 308

340

Personenindex

Schenkl, Joseph 127, 299–303 Schlegel, Johann Elias 258, 281 Scipio Africanus Maior 83 Segni, Bernardo 56 Seneca 123–125, 149, 161, 252, 261, 267– 271, 276, 287 Shakespeare, William 301, 302 Soarez, Cypriano 169, 254 Sophokles 63, 240, 302 Sophonisbe 88, 90 Stadler, Daniel 271 Statius 261, 269, 276 Stengel, Georg 96 Steurer, Joseph 83 Stilicho 95 Strötter, Franz Anton 80 Sulzer, Johann Georg 280, 281 Summer, Thomas 167 Surius, Laurentius 206 Tanner, Mathias 204, 205 Terenz 124, 240, 246, 248, 276 Themistokles 101, 109 Theodosius I. (Rom) 95 Thukydides 101 Tokugawa Ieyasu 120 Trigault, Nicolas 119–121 Trissino, Giangiorgio 88 Tristan l’Hermite 258

Valentinian II. (Westrom) 95 Valerius Maximus 108 Valignano, Alessandro 120 Valla, Giorgio 46 Veith, Kaspar 240 Viperano, Giovanni Antonio 56 Visconti, Ignazio 284 Voellus, Jean 169 Voltaire 39, 257, 265, 275 von Breda, Michiel 109 Wagner, Franz 130 Wagner, Heinrich Leopold 302 Wahl, Christoph 28, 32 Wallpach, Anton Joseph Simon 83 Weiche(n)mayer, Adam 83 Weitenauer, Ignaz 1, 6, 7, 30, 32, 33, 39, 46, 49, 73, 117, 130, 147, 154, 213, 255, 258, 261, 263–266, 269, 270, 272, 273, 276, 283, 289, 292, 293, 296, 313 Wieland, Christoph Martin 281, 309 Wolff, Christian 271 Wolff, Joseph 245 Xerxes 101, 109 Zeno, Apostolo 89, 109, 110 Zesen, Philipp von 89 Zimmermann, Joseph Ignaz 145, 163, 292

Verzeichnis von Claus’ Dramen Der Werkindex vermerkt alle Erwähnungen von Claus-Dramen im Buch. Hervorgehoben sind jene Abschnitte, die spezifisch der Besprechung des jeweiligen Stücks gewidmet sind. Bos ad praesepe 203–206, 208 Caedes Abelis 217–220, 222, 223, 307 Charitas Christiana 173–175, 178, 186, 289, 290, 305, 306, 308 Comoedianten 25, 78–80, 80 Declamatio in festo Paschatis 208–211 Declamatio in festo Sanctae Catharinae 198–201, 205, 210 Devia a coelo via per poenitentiam non veram 236–240 Felix primae ad coelum viae terminus 31, 232–234 Gula punita 187–190, 190 Jejunium sabbathinum 187, 190–192 Joannes in vinculis 220–223, 225 Josephus ab Arimathaea 211–213 Jovianus 11, 35, 75, 158, 163, 240–245 Moyses praedo praedonum 9, 172, 175–178, 187, 308 Oleum Divae Catharinae 201–203, 215 Picus Mirandolanus phoenix Marianus 182– 187 Poena contempti missae sacrificii 78, 194– 196 Prima ad coelum via per innocentiam 31, 230–232

https://doi.org/10.1515/9783110617788-011

Protasius rex Arymae 8, 11, 29, 48, 53, 58, 60, 62, 63, 66, 70, 100, 108, 112–122, 123, 132, 134–137, 139, 140, 148, 151– 156, 158–161, 163, 241, 264, 289, 300 Sanctus Dasius martyr 178–182, 304, 305 Sanctus Paulinus Nolae episcopus 206– 208, 304 Sanctus Stanislaus Kostka angelorum conviva 187, 192–194, 198 Scipio sui victor V, 8, 26–29, 48, 52, 59–63, 69, 70, 72, 81, 82–, 8291, 101, 110, 123, 124, 126, 127, 130, 131, 135, 137, 139, 141–143, 145, 146, 148, 151–160, 162, 163, 167, 241, 244, 263, 280, 287, 289, 298, 299, 308 Secunda ad coelum via per poenitentiam 31, 234–236 Spiritus sine spiritu 213–216, 226 Stilico 8, 25, 26, 29, 48, 50, 61–63, 66, 67, 69–71, 83, 91–101, 105, 107, 110, 111, 127, 130, 131, 134, 135, 137, 138, 140, 148, 152–156, 158–160, 163, 241, 244, 273, 283, 286, 289, 290, 293, 295, 296, 299, 308, 309 Telemachus in Athenaeo 23, 76–78 Themistocles 2, 9, 11, 29, 48, 53, 57, 63–67, 70, 91, 101–111, 116, 117, 131, 132, 137, 138, 141, 145, 146, 148, 151–156, 158– 161, 163, 164, 166, 241, 243, 244, 263, 264, 272, 273, 279, 280, 283, 289, 299, 301 Tonsiastrus 168, 223–227, 229, 240